□ igitizedby O |/
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Original from
UNIVERSIIY OF IOWA
Digitized by Gougle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
ARCHIY
FÜR
KLINISCHE CHIRURGIE.
BBGBiCNDBT VON'
Dr. B. voa LANGENBEOK,
weil. Wirklichem Geh. Bat and Professor der Chirurgie.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. w. körte, Dr. a. Freih. von eiselsberg,
Prof, in Berlin. Prof, der Chirurgie in Wien.
D». O. HILDEBRAND. D». A. BIER,
Prof, der Chirurgie io Berlin. Prof, der Chirurgie in Berlin.
HUNDERTUNDSIEBENTER BAND.
Mit 21 Tafeln und aahlreirhen Textfiguren.
BERLIN 1916.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
NW. Unter den Linden 68.
Digitized by
Go^ 'gle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
• •
Digitized by
Gch igle
**♦ *♦
r T '
t
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
WOV 3 1»^«
Inhalt
Heft I: Ausgegeben am 10. Aaguat 1915. Seite
I. Feber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren mul Cysten
O (v. Keeklinghausen’sche Knochenkrankheit), zugleich ein expcri-
~~ menteller Beitrag zur Aetiologie der Knoeheneysten. (Aus der
chirurgischen l T niversitsitsklinik des Kgl. Charite-Krankenhauses
in Berlin. — Direktor: Geh. Med.-Kat Prof. Dr. 0. Hildebrand.)
Von Stabsarzt Dr. Fritz Lot sch. (Hierzu Tafel I -VI.) . 1
II. Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung.
Von Dr. W. B. Müller. (Hierzu Tafel VII und VIII.) . . . 13S
III. Leber Muskeliiberpflanzungen am Sehultergiirtel. Von M. Geru-
lanos. (Mit 14 Textfiguren und 2 Skizzen.).159
IV. Nochmals zur Technik der Magenresektion. (Aus der II. ehirurg.
Cniversitätsklinik in Wien. — Vorstand: Hofrat Prof. v. Höchen -
egg.) Von Dr. Hans Finsterer. (Mit 2 Textfiguren.). . . ISO
V. Sachliche Berichtigung zu vorstehenden Bemerkungen Finstereres.
Von Prof. Dr. Hans v. Habe rer.189
Heft II: Ausgegeben am 14. Dezember 1915.
'CVI. Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgie. Von
^ Dr. J. Schocmaker. (Mit 4 Textfiguren.).
v VII. Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten, nebst kasu-
istisehen Beiträgen aus den Hamburger Krankenhäusern. Von
^ Richard Paschen .
-L VIII. Ein Beitrag zur Gastroptosofrage, speziell unter radhdugisehem
) Gesichtspunkt. (Aus der I. ehirurg. Klinik [Prof. Dr. John Berg]
* und dem Röntgeninstitut [Dr. G. Forssell] des Kgl. Seraphimer-
r lazaretts in Stockholm.) Von Dozent Dr. Abraham Troell.
t (Hierzu Tafel IX und X.).
v 'IX. Feber Blaufärbung der Sklera und abnorme Knochenbrüchigkeit,
n (Aus der Kgl. ehirurg. Fniversitätsklinik zu Berlin. - - Direktor:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier.) Von Dr. Willy Hofmann.
X. Objektive Symptome der Insufficientia vertebrae. (Aus der ortlio-
pädischcn Heilanstalt des San.-Rats Dr. A. Schanz in Dresden.)
Von A. Schanz. (Hierzu Tafel XI —XV.).
r.
r
Die Gefahren der Lumbalpunktion. Von Dr. O. Seliönbeck
Digitized by
Gck 'gle
195
213
239
279
2Sfi
309
Original from
UNIVERSITT OF IOWA
Digitized by
IV Inhalt.
8eite
XFT. Zur Frape der Hernia peetinea. Von Dr. Fried rieh Kempf . 36S
XIII. Erwiderung auf Kempf's Veröffentlichung: r Zur Frage der
Hernia peetinea“. Von 0. Harzbeeker.377
Heft III: Ansgegeben am 23. Februar 1916.
XIV. Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. Von
Prof. Dr. Sprengel. (Hierzu Tafel XVI XIX.).379
XV. Eine bisher unbekannte Geschlerhtsteilmissbildung beim Mann.
Von Dr. Felix Danziger. (Mit 2 Textfiguren.).463
XVI. Frist chung eines grossen Hautwassersackes nach subkutaner
Ascitesdrainage. (Aus der chirurgischen Universitätsklinik in
Zürich. Vorstand: Prof. Dr. F. Sauerbruch.) Von Prof. Dr.
K. Hen sehen. (Mit 4 Textfiguren.).469
XVII. Neue Experimente zur Frage der homoplastischen Transplan¬
tationsfähigkeit des Epiphysenknorpels und des Gelenkknorpels.
(Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald. —
Direktor: Prof. Pels-Leusden.) Von Privatdozent Dr. Fr. H.
von Tappeiner. (Mit 7 Textfiguren.).479
XVIII. Ueber Hauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der
Leber. Von Dr. E. Liek.509
XIX. Nachtrag zu der Arbeit „Ueber Hlaufärhung dm* Sklera und
abnorme Knochenbrüchigkeit“ in Heft 2 dieses Bandes. Von
Dr. W i 11 v H o f m a n n.531
Heft IV r : Ausgegeben am 26. April 1916.
XX. Die operative Behandlung der supralarvngealen Pharynxstenose
durch Pharvngotomia externa und Lappenplastik. (Aus der
chirurgischen Universitätsklinik der Konigl. Charite in Berlin. —
Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen.
(Mit 12 Textfiguren.).533
XXL Zur Technik der Schädelplastik. (Aus der chirurg. Universitäts¬
klinik der Königl. Charite in Berlin. -- Stellvertr. Direktor: Prof.
Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen. (Hierzu Taf. XX und
XXI und 12 Textfiguren.) .551
XXII. Zur Kenntnis und operativen Behandlung des multiplen callösen
Magengeschwürs. Von Dr. E. Liek. (Mit 5 Textfiguren.) . . 575
XXIII. Leitungsanästhesie am Oberschenkel durch Infiltration des in-
earcerierten Querschnitts. (Aus der chirurg. Abteilung des städt.
Krankenhauses St. Georg in Leipzig und dem Reservelazarett II.
1. Abteilung b.) Von Dr. R. Sievers. (Mit 2 Textfiguren.) . 595
XXIV. Kriegsaneurysmen. (Aus der chirurg. Klinik, derzeit klin. Reserve-
spital in Innsbruck. — Vorstand: Prof. Dr. II. v. Habe rer.
k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse.) Von Prof. Dr. II. v. Habcrer 611
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
I.
(Aus der chirurg. Universitätsklinik des Kgl. Charite-Krankenhauses
in Berlin. — Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Hildebrand.)
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa
mit Tumoren und Cysten
(v. Recklinghausen’sche Knochenkrankheit),
zugleich eiu experimenteller Beitrag zur Aetiologie
der Knochencysten.
Von
Stabsarzt Dr. Fritz Lotscli,
Assistent der Chirurg. Universitätsklinik der Kgl. Charite.
(Hierzu Tafel I—VI.)
Anlass zu den nachfolgenden Untersuchungen gab ein aus¬
gesprochener Fall von generalisierter Recklinghausen’scher Ostitis
fibrosa, bei dem die Cystenbildung das Bild beherrschte. Seitdem
auch die solitären Formen, besonders die sogenannten Knochen¬
cysten zum weitaus grössten Teil als Folgezustände dieser Ostitis
fibrosa erkannt und anerkannt worden sind, hat sich die Kasuistik
und die zusammenfassende Literatur mit den solitären Knochen¬
cysten viel eingehender und häufiger beschäftigt, als mit der
generalisierten Erkrankungsfonn. Die chirurgische Literatur über
die solitären Knochencysten ist infolgedessen gegenwärtig gewaltig
angewachsen. Der Grund für diese Bevorzugung und dies beson¬
ders lebhafte Interesse der Chirurgen ist ein zweifacher. Erstlich
sind die Fälle mit solitären Knochencysten ungleich häufiger, und
zweitens mit fast ausnahmslos gutem Erfolge operabel. Die Gleich¬
heit des anatomischen Befundes hat übrigens bereits Froriep Aus¬
gang der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts veranlasst, in un¬
mittelbarem Anschluss an seinen berühmten Fall von generalisierter
Cystenbildung im Knochensystem eine zweite, von den späteren
Autoren anscheinend völlig übersehene Beobachtung einer solitären
multiloculären Darmbeincyste zu beschreiben.
Die generalisierte Form der Ostitis fibrosa ist als erheblich
seltener zu bezeichnen, so dass derartige Fälle auch heute noch
auf den Aerzteversammlungen mit Vorliebe demonstriert werden.
Archiv für kiin. Chirurgie. Bd. 107. Hefi 1. i
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
j
Digitized by
2 F. Lutsrli,
So hat Paltauf-Wicn für die 85. Versammlung der Naturforscher
und Aerzte in Wien (September 1913) die Demonstration eines
Skeletts von Ostitis fibrosa mit multiplen Cysten und Tumoren an¬
gekündigt. Trotz der umfangreichen Literatur und der zahlreichen
Arbeiten zusammenfassenden Charakters bietet dieses Gebiet noch
mannigfache ungelöste Probleme, so dass eine zusammenfassende
Darstellung unter besonderer Betonung der generalisierten Form
auch heute nicht wertlos sein mag.
Da mir durch die Güte des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Orth
die Präparate des pathologischen Museums der hiesigen Universität
zugänglich waren, konnte ich einige, für die ältere Literatur be¬
sonders wichtige Fälle Virchow’s nachuntersuchen, und hoffe da¬
durch einige Unklarheiten und Missverständnisse beseitigen, sowie
die Fragestellung für die unbekannte Aetiologie vereinfachen zu
können; denn für das Verständnis der Genese sind die generali¬
sierten Fälle sicherlich mindestens ebenso wichtig, vielleicht sogar
wichtiger und mehr Richtung gebend.
Schliesslich zeigte mir die Durchsicht der Literatur, dass die
Frage der experimentellen Erzeugung von Knochencysten mit Aus¬
nahme der wenigen Versuche Lexers noch garnicht in Angriff
genommen, oder wenigstens bis zur Stunde noch nichts darüber
mitgeteiit ist (vergl. Boit). Dies so gut wie unbestellte Gebiet
reizte mich trotz aller beschränkenden Schwierigkeiten zu experi¬
menteller Prüfung.
Die folgenden Untersuchungen über die generalisierte Ostitis
fibrosa von Recklinghausen’s gliedern sich demnach in einen klini¬
schen und einen pathologisch-anatomischen Teil mit ausführlicher
Berücksichtigung der Literatur unter Einbezug der Fälle solitärer
Knochenerkrankungen. Im dritten Abschnitt will ich die Aetio¬
logie zusammenfassend behandeln, zum Schluss meine Experimente
mitteilen.
Die Systemerkrankungen des Skeletts sind nach rein patho¬
logischen bzw. histo-pathologischen Begriffen abgegrenzt und klassi¬
fiziert worden, weil wir über die Genese so gut wie völlig im
Unklaren sind. Das gilt für Rachitis und Osteomalacie ebenso wie
für die senile Osteoporose und die als Ostitis fibrosa und Ostitis
deformans benannten Krankheitsbilder. Mit Recht erwartete man
für die Abgrenzung der einzelnen Krankheitstypen die wichtigsten
Aufschlüsse von der histologischen Untersuchung. Aber gerade
das nähere Studium des histologischen Substrats dieser verschie¬
denen Systemerkrankungen des Knochengewebes hat trotz aller
vermeintlichen und tatsächlichen Unterschiede soviel Gemeinsames
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
L'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
3
und geradezu verblüffend Gleichförmiges zutage gefördert, dass die
Grenzen nicht schärfer, sondern immer undeutlicher wurden, und
namhafte Autoren (v. Recklinghausen, Schuchardt, Schmorl
u. a.) offen bekennen, cs gäbe keine grundsätzlichen Unterschiede
z. B. zwischen Rachitis und Osteomalacie. Es ist eine sicherlich
auffällige und gewichtige Tatsache, wenn ein Mann wie v. Reck¬
linghausen als Endergebnis einer gerade der Knochenpathologie
gewidmeten Lebensarbeit ausspricht: „Auch bei dieser Kategorie
der erweichenden Knochenkrankheiten erweist es sich als untunlich,
ja unmöglich, zwischen Rachitis und Osteomalacie eine reinliche
und brauchbare Scheidegrenze zu ziehen.“
Mit dem Namen Rachitis verknüpfen wir ein bestimmtes
Krankheitsbild und v. Recklingshausen gibt zu, dass es die Be¬
griffe verwirren würde, wollte man vorschlagen, ihn abzuschaffen.
v. Recklinghausen’s Einteilung in porotische, hypo-, hyper- und
plegmatoplastische Malacie trennt nach anatomischen Befunden ver¬
schiedene Spielarten des gemeinsamen Krankheitsbildes. Wie es
scheint, bürgern sich diese Bezeichnungen nicht ein. Wenn zwischen
Rachitis und Osteomalacie eine brauchbare Scheidegrenze nicht be¬
steht, so bekennen wir am besten offen, dass wir unter Rachitis
die Osteomalacie der Kinder begreifen. Ihre Besonderheiten sind
durch das Vorhandensein der Epiphysenknorpel vornehmlich be¬
dingt. Der Rachitis stände dann die Osteomalacie der Erwachsenen
gegenüber, vor allem ihre puerperale Form. Ob zwischen der
senilen Porose und der Osteomalacie des Alters mehr als ein gra¬
dueller Unterschied besteht, bleibt gleichfalls zweifelhaft. Allen
diesen Krankheitsbildern ist die Ausbreitung auf das Knochensystem
gemeinsam und als wesentliches Substrat eine Störung des Gcwebs-
gleichgewichts der Knochen, eine Gleichgewichtsstörung zwischen
An- und Abbau, die zur Knochenerweichung führt.
Zu diesen genannten Krankheitsformen gesellen sich seit dem
letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts noch zwei hinzu, gleich¬
falls Krankheiten, die zur Erweichung des Knochensystems führen,
die 1876 von Paget beschriebene Ostitis deformans und die 1891
(bzw. 1889) von v. Recklinghausen beschriebene Ostitis fibrosa
mit Tumoren und Cysten. Zwischen diesen beiden Krankheits¬
bildern finden sich auch wieder so zahlreiche Uebergänge und
Zwischenstufen, dass sie v. Recklinghausen in seinen nach¬
gelassenen Untersuchungen über Rachitis und Osteomalacie als
metaplastische Malacie zusammenfasst. Er nennt die Paget-
sche Form die hyperostotisch - metaplastische Osteomalacie und
stellt ihr die von ihm beschriebene als einfach metaplastische
gegenüber.
l*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
4
F. Lot sch.
Digitized by
Die verschiedenen Arten der rachitisch - malacischen Erkran¬
kungen der Knochen ordnet v. Recklinghausen demnach in
folgendes Schema:
a) Die porotische Malacie mit der Enterart der porotisch-
hyperplastischen Malacie,
b) die hyperplastische Malacie,
c) die plegmatoplastische Malacie,
d) die metaplastische Malacie = fibröse Ostitis (v. Reckling¬
hausen), hierzu gehörig die nicht parasitären Knochen¬
cysten,
e) die hyperostotisch-hyperplastische Malacie = deformierende
Ostitis (Paget), hierzu gehörig die hyperostotisch- und
cystisch-metaplastische Malacie = Tumor bildende fibröse
Ostitis der Säugetiere, sowie die gutartigen Sarkome der
Knochen (Epulide, Myeloide, myeloplastische Tumoren) =
Neubildungen aus fibröser Ostitis,
f) die myeloplastische und hyperostotische Malacie = Osteo¬
genesis imperfecta.
Uns werden im folgenden vornehmlich die unter d und e auf¬
geführten Kategorien beschäftigen. Sicherlich handelt es sich hier¬
bei lediglich um morphologische Einheiten, deren Grenzen nicht
scharf sind. Die ausgesprochenen Fälle der Knochenerkrankung
nach Paget und v. Recklinghausen sind morphologisch gut und
leicht zu unterscheiden. Die Uebergangsfälle bereiten dagegen um
so grössere Schwierigkeiten für die Diagnose.
Zunächst sei das Krankheitsbild der Paget’schen Krankheit
kurz nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen gezeichnet. Die Er¬
krankung ist in England und auch in Frankreich anscheinend er¬
heblich häufiger als bei uns in Deutschland, so dass der grösste
Teil der Fälle in der englischen und besonders auch in der fran¬
zösischen Literatur veröffentlicht ist.
An die klassische Beschreibung des Krankheitsbildes durch
J. Paget im Jahre 1876 schloss sich in den nächsten Jahren eine
immer wachsende Zahl von Beobachtungen zugehöriger Fälle.
Gegenwärtig sind über 100, davon 50 pCt. in England, beobachtet
und beschrieben worden. Die Krankheit befällt beide Geschlechter
in etwa gleicher Zahl und fast stets im reifen oder gar im Greisen-
alter. Es ist deshalb bis zu einem gewissen Grade leicht ver¬
ständlich, dass in den meisten Fällen nebenher die häufigen
Alterserkrankungen gefunden wurden, vornehmlich Atherosklerose,
Rheumatismus und die als neuro-arthritische Diathese zusammen¬
gefassten Leiden. Die Krankheit entwickelt sich meist schleichend,
häufig ohne Schmerzen, bis plötzlich die bereits ausgcbildeten
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
5
Skelett,deformationen bemerkt werden. Oefters werden als erste
Anzeichen der Krankheit Neuralgien und rheumatische Schmerzen
beobachtet, die bisweilen heftig, bisweilen blitzartig in den Knochen
auftreten und in Schüben zu einer Hypertrophie und Deformation
der Knochen führen. Vor allem sind die Tibien häufig betroffen;
sie werden dick und allmählich nach aussen und vorn konvex ge¬
krümmt. Die Fibula ist meist in viel geringerem Grade beteiligt.
Tritt auch eine nach vorn und aussen konvexe Krümmung der
Femora ein, so kommt es zu einer starken und typischen O-Bein-
stellung. Am Schädel nimmt die Hyperostose öfters gigantische
Formen an. Der Schädelumfang vergrössert sich stark, die eben¬
falls hyperostotische Schädelbasis lässt häufig eine sogenannte Ele¬
vation erkennen, der Gesichtsschädel ist meist frei, doch wurden
auch Verdickungen, besonders der Jochbögen und Kieferknochen
beobachtet. In mehreren Fällen kam es zu frühzeitiger Ausstossung
der gesunden Zähne durch Verengerung der Zahnalveolen. Typisch
ist ferner in dem späteren Krankheitsvcrlauf eine Kyphose bzw.
Kyphoskoliose der Wirbelsäule, besonders in ihrem Brustabschnitt.
Der Thorax zeigt seitliche Abplattung durch Einwärtsbiegung der
Rippen. Das Becken erscheint durch eine Verdickung der Darm¬
beinkämme bisweilen verbreitert, während eine Verengerung der
inneren Beckenmasse nicht zu dem typischen Krankheitsbilde ge¬
hört. Im Gegensatz zu den unteren Extremitäten sind die Arme
meist weniger beteiligt, in einigen Fällen wurde eine nach hinten
aussen konvexe Verbiegung des verdickten Radius beobachtet, noch
seltener eine Hypertrophie und Krümmung des Humerus. Nach
den neueren Veröffentlichungen sind hyperostotische Verdickuugen
des Hand- und Fussgelenks keine Seltenheiten.
Durch diese ziemlich typische Deformation erhält in den aus¬
gesprochenen Fällen der Kranke ein ganz charakteristisches Aus¬
sehen. Der grosse Schädel mit dem kleinen Gesicht ist nach vorn
übergeneigt, durch die Kyphose und die Beinverkrümmung die
Körperlänge erheblich vermindert, die oberen Gliedmassen erscheinen
dadurch zu lang, das ganze Aussehen den anthropoiden AfTen ver¬
gleichbar.
Auf der Höhe der Krankheit lassen die Schmerzen meist nach.
Die Erkrankung ist häufig symmetrisch, doch wurde auch halb¬
seitige und gekreuzte Deformation beobachtet. Die Röntgenunter¬
suchung ist für beginnende Fälle sehr wichtig. Die Knochenstruktur
erscheint verdickt, fleckig, das Aussehen wird als watteartig be¬
zeichnet. Die Corticalis erscheint aufgelockert, durchlässig.
Pathologisch-anatomisch erweisen sich die Knochen stark ver¬
dickt, porös, von stark vermindertem Gewicht. Das Periost ist so
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Digitized by
6 F. Lot sch,
gut wie unbeteiligt, die Markhöhle erweitert. Histologisch zeigt
sich das Knochenmark in fibrilläres Bindegewebe umgewandelt, da¬
neben finden sich in der Markhöhle selbst Reste normalen Marks.
In dem fibrösen Mark liegen Riesenzellen, vielfach in Howship’schen
Lakunen. Das Knochengewebe besteht so gut wie durchweg aus
Spongiosa mit erweiterten Havers’schen Räumen und zeigt unregel¬
mässigen lamellösen oder geflechtartigen Bau. Es handelt sieh im
wesentlichen also um eine Marksklerose mit starker Neubildung
von osteoidem Spongiosagewebe. An den übrigen Organen wurden
vor allem atherosklerotische Veränderungen gefunden, ferner skle¬
rotische Bindegewebshypertrophie an den parenchymatösen Organen
(Leber, Milz, Nieren, Schilddrüse, Nebennieren).
Die Prognose ist schlecht, weil das Leiden die betagten
Kranken häufig bettlägerig macht und durch Komplikationen (Bron¬
chitis, Herzkrankheiten) zum Tode führt. Auffallend häufig wurde
die Entwicklung eines malignen Knochentumors beobachtet. Die
Aetiologie ist unklar. Die französischen Autoren neigen zum
grössten Teil dazu, die Syphilis für das Zustandekommen der
Paget’schen Knochenkrankheit verantwortlich zu machen.
Anhangsweise erwähne ich, dass auch circumscripte Knochen-
hvperostosen beobachtet und der Paget’schen Erkrankung zugezählt
worden sind. Die Möglichkeit steht ausser Zweifel, doch ist die
Gefahr eines Irrtums besonders gross. Die Fälle von exzessiver
Längen- und Dickenhypertrophie der Tibia, die nach aussen und
vorn konvex gebogen verläuft, während die normale Fibula wie
eine Sehne zu dem Bogen ausgespannt ist (Czerny, Lannelongue,
Schmieden, Katolicky, Menetrier und Gaukler), sind sämt¬
lich der diffusen Knochensyphilis sehr verdächtig.
Anders steht es mit der Schädelhyperostose. Die von Yir-
chow als Leontiasis ossea bezeichnete Hyperostose ist in einigen
sicheren Fällen von Paget’scher Erkrankung festgestellt worden.
Das histologische Substrat weist keine Unterschiede auf (Koch,
M. B. Schmidt, Bockenheimer). ßoit hat ganz neuerdings dar¬
über eine zusammenfassende Veröffentlichung aus der Königsberger
Klinik gebracht. Da indessen auch bei sehr ausgesprochener v. Reck-
linghausen’scher Ostitis fibrosa die gleiche Schädelhyperostose ge¬
funden wird, so soll diese Erkrankung später besprochen werden.
Die erwähnte Schädelhyperostose und manches andere gemein¬
same Symptom (auch Cysten wurden z. B. in einigen Fällen Paget's
beobachtet) leiten über zur fibrösen Ostitis v. Recklinghausen’s und
zeigen, dass es sich bei diesen beiden Krankheitsbildern nur um
Spielarten der gleichen Störung handelt. Mit der zusammenfassen¬
den Deutung der Ostitis fibrosa als einer chronischen Knochen-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Ucber i;cneralisicrtc Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
7
ervveichung durch entzündliche Bindegewebshyperplasic des Markes,
verbunden mit fibromatösen und riesenzellensarkomartigen Tumoren
sowie Cysten, hat v. Recklinghausen ein Verständnis jener Krank¬
heitsbilder ermöglicht, die als myeloide Degeneration des Skeletts
und unter ähnlichen Namen in der Literatur verstreut sind und
nicht verständlich waren. Es zeigte sich bald, dass dieser Gedanken¬
gang in weiterem Masse für die Lehre von den sogenannten
Knochencysten überhaupt von wesentlicher und ausschlaggebender
Bedeutung war, und wohl auch für die circumscripten gutartigen
Myeloidtumoren in Zukunft folgerichtig werden wird.
Die Fälle, die der klassischen Arbeit v. Recklinghausen’s
zugrunde lagen und zur Abgrenzung des nach ihm als fibröse Ostitis
mit Tumoren und Cysten benannten Krankheitsbildes führten, sind
die folgenden:
1. ßßjährigp Frau. Exitus an Pneumonie.
Sektionsbefand: Starke Genua valga, Hirtenstabförmig verkrümmte
und verdickte Femora, Flexionsstellungen in Hilft- und Kniegelenken. Starke
Kyphose der Brustwirbelsäule. Kopf schief, rechte Hälfte des Hinterhaupt¬
beines verdickt, ausgesprochene Elevation der Basis. Schiefes atrophisches
Becken.
Rechte Tibia von normaler Form und Struktur, enthält mitten im Fett¬
mark drei erbsen- bis haselnussgrossc glattwandige Cysten. Rechte Fibula
stark einwärts gekrümmt mit spindelförmiger Auftreibung am oberen Ende,
knöcherne Schale unvollständig, innen weisses, flüssigkeitsreiches, ödematüses
Gewebe mit einzelnen Spongiosainseln und Fasermark, im rechten Femur
innerhalb der spindelförmigen Anschwellung der Diaphyse und im Trochanter
und Collum weisse fibröse Herde zum Teil ödematös mit Spongiosainseln. Eine
haselnussgrossc, scharfrandige, fast glattwandige Cyste mit bräunlichem, kleister-
haltigem Inhalt, halb im Faser-, halb im Fettmark. Die geräumige Markhöhle
des unteren Schaftabschnittes enthält unter dünner Knochenschale Fettmark
mit braunen Flecken. Knorpel intakt. Im rechten Calcaneus Fibromstreifen
mit erbsengrosser Cyste, in der Basis des rechten ersten Metatarsus gleichfalls
kleine Cyste, im Halsteil Fibromstreifen. Oberes Ende der rechten Tina ver¬
dickt, enthält unter normaler Knochenrinde und unverändertem Knorpel multi-
loculäre Cyste mit serösem Inhalt. Diaphvsenwärts anschliessend fibröses Ge¬
webe bis zur Schaftmittc. Unteres Drittel des rechten Humerus verdickt,
Markhöhle erweitert mit fibrösem Gewebe erfüllt. Linker Rippenbogen nach
innen abgeknickt, Sternum nach vorn gebogen, in der Mitte fibröse Stelle mit
Spongiosa, Rinde verdünnt.
Mikroskopisch besteht das als fibrös bezcichnete Gewebe aus faserigem
Bindegewebe mit geringem Kerngehalt und wenig Riesenzellen, viel Pigment-
zellenzügen. Cystenwand aus kernarmem streifigen Bindegewebe gebildet.
Knochenschwund. Die Testierenden Spongiosabälkchcn fein porös.
Diagnose: Fibröse Osteomyelitis, multiple myelogene cystenbildendc
Fibrome der Knochen entzündlichen Ursprungs.
2. Skelett einer 40jährigen Frau (Museums-Präparat. klinische Daten
fehlem). Elevation der Schädelbasis, rechts-konvexe Skoliose der Brust-, Lor¬
dose der Lendenwirbelsäule. Schiefes ostcomalaeisches Becken. Abknickungen
der Darmheinkämme nach innen, der Tubera isehii nach aussen. Auftreibungen
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
8
F. Lot sch.
Digitized by
mit Lücken in der Knochenrinde und hohlem Innern, sowie Rauhigkeiten be¬
sonders an linkem Humerus und Femur und rechter Fibula, llmneri in tot(»
deformiert. Die Auftreibungen der anderen Knochen am oberen Drittel (z. B.
Kadii) Calluswucherungcn.
3. 40jühriger Maurer. Syphilis in der Anamnese. Nach Sturz von einer
Leiter heftige Schmerzen im linken Hüftgelenk (Coxitis (»der Infraktion des
Schenkelhalses?). Heilung. Pathologische Fraktur der linken Clavicula. Im
Bett sehr schmerzhafte (/uerfraktur der rechten Femurdiaphyse. Verzögerte
Konsolidation. Allmählich auffällige Krümmungen am Oberarm. Oberschenkel
und einem Unterschenkel. Abmairerum: und dauernde Schmerzen. Keine Urin¬
untersuchung. F.xitus an Marasmus.
Sekt i o n s b e f u nd : Hochgradige Knochenerweichung, S-förmige Verbiegung
des linken Oberschenkels mit bindegewebig iiberbriiekter Fraktur am oberen
Schäftende. Rechtsseitige Femurfraktur in der Schaftmitte und Abkniekung
des Kopfes und Halses nach unten. Kyphose (hu* oberen Brustwirbelsäule.
Lordose und rechts-konvexe Skoliose der Lendenwirbelsäuh*. starke Verkürzung
aller Wirbel. Klevation der Schädelbasis, Verbiegungen der linken Clavicula
mit alter Fraktur und der linken Scapula. Brustbeinkyphose, etwas schiefes
Schnabelbecken. Verdickungen und cireumscripte Auftreibungen mit braunrot
durchschimmernden Tumoren an den Diaphysen der langen Röhrenknochen,
aber auch an der linken Darmbeinschaufel, im Unter- und Oberkiefer. Periost
fest, adhärent. Schädel 5 9 mm dick. Nähte verstrichen. An der Aussen-
seite zahlreiche Grübchen, wie verwittert aussehend. Am stärkstem verdickt
Kadii und Femora (können ebenso wie Kippen und Schädeldach mit dem Messer
geschnitten werden), auf dem Längsschnitt Compacta durch fein porotische
Substanz ersetzt. Normale Spongiosa nur noch in den Unterschenkelepiphysen.
Die groben Poren mit gelbem Fett oder blutrotem Mark gefüllt. Im Humerus-
lind Femurkopf Spongiosa fein porös, weisslieh oder bräunlich mit kleinen
Cysten, stellenweise bis an den flelenkknorpel reichend. Markhöhle durch die
porotische Rindensubstanz verengert, durchbrochen und zum Teil ersetzt (z. B.
Kippen). Mark meist rot. lymphuid, selten mit Fettmarkinseln gemischt. Ver¬
einzelt dichtes fibröses Gewebe (rechter Schenkelhals, rechte Clavicula). Die
braunroten Tumoren sitzen stets in der neuentstandenen Rindensubstanz oder
gehen durch die ganze Dicke des Knochens hindurch. Mikroskopisch Faser¬
mark, wechselnd zellreich mit vielen Gefässen und reichlich Pigment. Knochen¬
abbau und neugebildete Osteoidbälkchen. Die braunroten Tumoren mit reich¬
lichen Pigmentzcllen und freiem körnigen Pigment sind typische Riesenzellen¬
sarkome. ln ihnen finden sich glattwandige Cysten von Steeknadelkopfgrösse.
eine erbsengrosse Cyste in der feinkörnigen Substanz, eine kirschkerngrosse in
einem Tumor einer Rippe.
Gründlicher, fast allgemeiner Skelettumbau. Vorstufe zu eigentlichem
Knochengewebe, polifericrender nicht regressiver Charakter. Die Riesenzellen¬
sarkome sitzen vornehmlich an denjenigen Knochenabschnitten, die statisch und
mechanisch am meisten beansprucht werden. Vornehmlich befallen sind die
langen Röhrenknochen. Wirbel. Schädelbasis, Ober- und l nterkiefer. daselbst
auch Kpuliden. Kreuzbein, platte Thnraxknochen. Becken. Schulterblätter,
Schädeldach. Wenig Patellae, Tali und Caleanei. Metatarsen. Phalangen der
Zehen. Pflugscharbein, Xascnmuseheln.
Das Wesen der Krankheit besteht nach den mitgeteilten Fällen
in einer fibrösen Umwandlung des Markes, die als entzündlicher
Vorgang gedeutet wird, und unter Knochenschwund zu einem
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
9
lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
völligen Umbau des Knochengewebes im Sinne spongiöser Um¬
wandlung führt, oder aber zur Bildung umfangreicher, sogar als
Tumoren imponierender Fibrommassen, darin kleinere oder grössere
pigmentreiche Riesenzellensarkome. Sekundär kann es sowohl in
den Fibromen wie in den Riesenzellensarkomen zur Bildung von
glattwandigen Cysten kommen.
Die übrigen Fälle, die zum Teil früher, zum grössten Teil
später veröffentlicht wurden, zeigen teilweise eine stärkere Ent¬
wicklung der riesenzellensarsomartigen Tumoren, teilweise der
Cystenbildung. Sie lassen sich zwar nur unvollständig in dieser
Weise trennen, doch gewinnt, wie ich glaube, die Uebersichtlich-
keit, wenn ich zunächst die Fälle aufführe, bei denen die Bildung
der Riesenzellensarkome im Vordergründe der Erscheinungen stand,
ihnen jene Fälle folgen lasse, die zwischen den beiden Gruppen
die Mitte halten, sodann die Fälle mit ausgesprochener Cysten¬
bildung aufführe, und für den Schluss jene Fälle aufspare, die zum
Teil nicht ganz eindeutig diagnostizierbar sind, vor allem aber eine
starke osteomalacische Komponente aufweisen.
Zu der ersten Gruppe gehört vor allem eine spätere Beob¬
achtung v. Recklinghausen’s (Nr. 2 der neuen Fälle, Beobachtung
aus dem Jahre 1908).
4. 54jährige Witwe. Zwei glatte Partus, letzter vor 21 Jahren. Ausser
Angina stets gesund. Vor 2 Jahren Stechen in der linken Oberarmmitte und
Unsicherheitsgefühl in den Beinen. Vor 1 Jahr stechende Schmerzen im rechten
Arni, später in beiden Oberschenkeln. Bettlägerig. Menopause seit Jahren.
Klinischer Befund: Verkrümmung und abnorme Beweglichkeit* der
Oberarme, starke Deformation der Oberschenkel in Abduktion und Aussen-
rotation, enorme Schmerzhaftigkeit bei leisester Berührung. Schädel, Sternum,
Ulavieula geben ohne Deformation federnd nach. Kippen- und Darmbein¬
schaufeln sehr biegsam, plattrachitisches Becken. Thorax seitlich abgeflacht.
1 2 Jahr ante exitum Exstirpation beider Ovarien, Nachlass der Schmerzen.
Albumen im Urin.
Kün tgennlo gi sch : Knochenstruktur vermindert. Knochen von gummi¬
artiger Konsistenz. Zunehmende Oedeme und Dyspnoe. Exitus.
Sektionsbefund: Blässe, Abmagerung. Oedeme, Zahndefekte. Weich¬
heit der Alveolarfortsätze. Hippen und Sternum einwärts gebogen und ein¬
geknickt: biegsam oder leicht brechend, ebenso die Phalangen. Schädeldach
bis 0,5 cm dick, fleckig, gerötet, schneidbar. Kaulie Oberfläche. Hvpophvsis
und Thyreoidea o. B.. desgl. Nebennieren. Im linken Nierenbecken und Blase
Kalk-Oxalatsteine und Kalk-Phosphatgries. Leichte, links-konvexe Skoliose.
Knochen biegsam und schneidbar. nicht konsolidierte Fraktur und Verkrümmung
der Ilumeri und Fcmora. frischere (Juerfraktur des rechten Humerus. Epiphysen
am wenigsten verändert mit lockerer fett markhaltiger Spongiosa. Atrophie der
Cortiealis. Am Schaft der Oberarm- und der Oberschenkelknochen Kinde porös,
schaumig, gerötet. Mark sehr hyperämiseh. braunrot, pigmentreich wie Hirn-
beergelee. darin kleine Uysten und Höhlen mit blutiger Flüssigkeit. Es stösst
stellenweise direkt an das unveränderte Periost. Wenig Fett mark in den Oe-
Digitized by Google
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
10
F. Lot sch,
Digitized by
lenkköpfen. Oedematös und weisslich fibröses Gewebe mit jungen Knochen-
bälkchen. Kleinere Cysten spärlich in der porösen Kinde. Grössere Hohlräumc
im Mark der Frakturstellen mit blutiirer Flüssigkeit, teilweise mit selbständiger
Membran. Innen an der porösen Cortiealis rein fibröser über 2 mm dicker
Mantel.
Mikroskopisch: ln den makroskopisch noch weniger veränderten Knochen
Ostcoklastennester mit Kesorptionslakunen. Mark zum Teil Granulationsgewebe.
An den Frakturstellen Lymphmark mit Fettzellen, Blutungen und Pigment,
Osteoid. Solitäres Kiesenzellensarkom 2:1 cm gross, im rechten horizontalen
Schambeinast mit Pigment.
Handelt es sich in diesem Falle nur um ein ganz circum-
scriptes kleines Riesenzellensarkom, so zeigen die folgenden eine
stärkere Ausbildung dieser Myeloidsarkome.
Schönenberger berichtet 1901 folgenden Fall:
5. 3djährige, früher stets gesunde Frau. Zwei normale Partus. Während
der 3. Gravidität Schmerzen im Kücken und in den Beinen, die nach der Ent¬
bindung Zunahmen. Vorübergehende Besserung durch mehrfache Spitalbehand¬
lung (Salicyl).
Befund: Schlechter Ernährungszustand, starke Berührungs- und spontane
Schmerzhaftigkeit aller Glieder, linkes Bein deformiert. Zuerst Incontinentia
urinac. Sensorium klar. Appetit gut. Nach , / 4 .Jahr unter Schmerzen Ver¬
dickungen an den Armen, rechtes Bein wird unbeweglich, später auch die Arme.
Muss gefüttert werden. Kopfbewegungen bleiben frei.
Diagnose: Osteomalaeie mit multiplem Osteosarkom. Exitus an Bron¬
chitis und Marasmus.
Sektionsbefund: Schädel 2—8 mm dick und leicht srhneidbar, federt
auf Druck. Gefässrciche Aussenschicht. Frakturen beider llumeri, rechts zwei¬
mal. Knickung beider Fcmora in der Mitte, der Unterschenkelknochen im
oberen Drittel. Schiefkartenherzförmiges Becken. Lordose der unteren Brust¬
wirbelsäule. Abknickungen und Frakturen zahlreicher Kippen. Knochen weich,
brüchig, schneid- und knickbar, sehr leicht. Mandelkerngrosse Cyste im unteren
linksseitigen Tibiafragment. Braunrote Tumoren in den Knochen des Beckens,
rechten Oberarmes, beider Unter- und Oberschenkel, Tumoren meist an den
Frakturstellen.
Histologisch: Pigment reiches Kiesenzellensarkom.
Der Autor fasst den Befund wie folgt zusammen:
1. Bedeutende Konsistenzverminderung sämtlicher Knochen,
2. spongiöse und rarefizierte Kindensubstanz,
3. gelbes und graurotes pulpöses Mark,
4. bikonkave Wirbelkörper (Fischwirbel),
5. Becken sehiefkarteuherzförmig, schnabelförmige Symphyse.
(j. multiple Frakturen und Infraktionen (Kippern, linker und zweimal
rechter Humerus, beide Tibien. beide Fcmora,
7. graurotes bis bräunliches Tumorgewebe, besonders in der Kinde, zum
Teil auch im Mark (Rippen. Becken, rechter Humerus, beide Tibiae
und Fibulae, Femura), mandelkerngrosse Cyste im unteren Fragment
der linken Tibia.
Mikroskopisch: Markfibrose, Zollreichtum verschieden, reichlich Pig¬
ment, besonders in den Präparaten von den unteren Extremitäten. Reichlich
Gcfässe, starker Knochenumbau in fibröses Mark eingebettet. Polymorphzellige
Kiescnzellcnsarkome.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
11
Die ausgedehnteste Bildung von Riesenzellensarkomen zeigt
der von Rehn 1904 mitgeteilte Fall.
6. 23jähriges Mädchen, früher wegen Bleichsucht, Ulcus ventrieuli und
Pleuritis behandelt. Schmerzen und geringe Schwellung der rechten Hüfte.
Nach 2 l i 2 Monaten gebessert entlassen. Erneute Hüftschmcrzen. 10 Monate
nach dem Beginn der Erkrankung rasch wachst 4 nder, sehr schmerzhafter Tumor
am distalen Ende der rechten Ulna. Operative Entfernung. Die grauroten
brüchigen Massen erweisen sich histologisch als Riesenzellensarkome (Albrecht).
Intermittierende Schmerzen im rechten Oberschenkel, im Kreuz, bald auch in
der rechten Schulter. Eine sehr schmerzhafte Auftreibung der rechten Darm-
beinschaufel wird operiert. Die grauroten weichen Tumormassen erweisen sich
wieder als Riesenzellensarkome (Al brecht). 7 Monate später harte schmerz¬
hafte Verdickungen im unteren und mittleren Drittel der rechten Tibia, darauf
der 8. und 9. rechten Rippe, der linken Beckenschaufel, der linken Tibiamitte
und 8. linken Rippe. Wegen unerträglicher Schmerzen Operation des grossen
Tumors der linken Beckenschaufel. Ausser braunroten Riesenzellensarkom¬
massen wird eine grosse Cyste mit klarer gelber Flüssigkeit und daneben
ein walnussgrosser derbfibröser Tumor (Spindelzellensarkom mit Riesenzellen)
gefunden. Inzwischen ein Jahr im Siechenhaus. Tumoren an Zahl und
Grösse gewachsen. In der Schaftmitte beider Femora druckempfindliche Ver¬
dickungen.
Röntgenbefund: Untersehenkeldiaphysen und Rippen zeigen fleckige
Strukturzeichnung, Hohlräume [im unteren Teil der rechten Fibula. 5 Monate
später Spontanfraktur beider Oberschenkel, die leidlich heilen. Zunehmende
Verbiegungen an den Tumorstellen. Knochen weich, federnd. Kein Bcnce-
Jones'sehcr Körper im Urin. Jodkali, Arsen, Eisen ohne Wirkung. Exitus, und
zwar 9 Jahre nach der Erkrankung, an Herzschwäche. Transsudate.
Sektionsbefund (Weigert): Braune Riesenzcllensarkome. Die ope¬
rierten in derbes fibröses Gewebe mit Spongiosa und zahlreichen glattwandigen
Cysten bis zu Haselnussgrössc eingebettet.
Histologisch: Fasermark, osteoide Säume, Lymphoidmark, riesenzellen¬
sarkomartiges Gewebe.
Decken hat in einer Inaugural-Dissertation 1909 den Sek¬
tionsbericht Weigert’s ausführlicher mitgeteilt. Danach fand sich
nur im rechten Oberschenkel eine zweikammerige glattwandige
Cyste, und zwar im harten Tumor am unteren Ende, umgeben von
weisslichera fibrösem Gewebe.
Der von Mönckeberg erhobene mikroskopische Befund (ebenfalls
von Decken mitgeteilt) ergab Cystenwand aus zellarmem, faserigem Binde¬
gewebe gebildet, umgeben von zellarmem, üdematösem Gewebe. Kapillaren mit
Blutextravasaten, Sharpey'sehe Fasern.
Diagnose: Fibromcysten.
Der mitgeteilte Fall ist deshalb von einer besonderen Bedeu¬
tung, weil er 9 Jahre lang unter fast ständiger Beobachturg war,
und weil einwandsfrei nachgewiesen wurde, dass die operativ ent¬
fernten Riesenzellensarkome sich in fibröse Massen mit Cysten
umwandelten, dass die Tumoren sich zu organisieren und sogar
zu verknöchern vermögen. Rehn erklärte deshalb die riesenzellen¬
haltigen Tumoren für entzündliche Bildungen, nicht für Sarkome.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
12
F. Ti o t so li,
Digitized by
Sie seien nur ein vorübergehendes, nicht das wesentliche Stadium
der Erkrankung, hätten nur eine ephemäre Bedeutung. Der End¬
ausgang sei osteoides Gewebe mit Fasermark.
Ich lasse eine Beobachtung Lissauer’s aus dem Jahre 1905
folgen:
7. 3Gjäliriir«*r Mann. Seit S Jahren Klanen über sohleohtenverdenden Gang,
dann unter SrhinorzanfiiIh-n Verdickungen zahlreicher Knochen, ausserdem kli¬
nisch diagnostiziertes myelogenes Riesonzellmsarkoin an der Mittelphalanx dos
rechten Zeigefingers. Zuletzt pathologische Frakturen. Kxitus nach 11 jährigem
Leiden.
An den hei der Sok t ion entnommenen Knnehen (leider nur wenige) fanden
sieh Zeichen hochgradigen Knochensohwundes und Fasermark. An der mittleren
Zoigofingerphalange ein typisches Riesenzcllonsarkom.
Ich schliesse hier die Beobachtung von Werndorff ans dem
Jahre 1908 an:
8. Djähriger Knabe, sonst stets gesund. Keine hereditäre Belastung. Von
frühester Kindheit an Verkiirzunir des rechten Beines ohne Trauma und Schmerzen.
Lernte schon mit Krücken laufen.
Befund: Beeiltes Bein stark atrophisch, verkürzt. Beeilter Oberschenkel
handbreit über dem Kniegelenk rechtwinklig nach liinten geknickt, Kniegelenk
frei. Oberes Drittel der rechten Tibia sübolsoheidonförmiir nach vorn konvex
gebogen und verdickt. Sonstiges Skelett palpatoriseh o. B.
Bönt j^en befund: Hochgradige oystisehe Veränderung dos rechten Darm¬
beins. der rechten Ober- und Unterschenkelknochen. Beeiltes Femur stark atro¬
phisch und besonders im unteren Drittel hochgradig deformiert. Schenkelhals
stark verkürzt, verschmälert. Geringe Coxa vara-Stollung, grosse multiloeulärr
Aufhelluni: im oberen Drittel des Femur. Mediale Knochenschale sehr dünn.
Diaphysenzeiohnung wolkig getrübt. Andeutung von Yakuolonbildung. 1 in
unteren deformen Drittel bis zur Epiphyse reichend eine er rosse multiloculäre
Cyste mit verdünnter Wand. Infraktion. Beeilte Tibia und Fibula stark atro¬
phisch, in den oberen und unteren Partien ähnliche oystisehe Aufhellung, atro¬
phisches rechtes Fussgelonk. Im übrigen Knochensystem inkl. Schädel ohne
Verändern ng.
Operation: Im unteren rechten Femurdrittel Eröffnung eines mit braun¬
rötlicher, fester, leicht zerreissbarer Tumormasse erfüllten Hohlraums unter ver¬
dünnter, zum Teil bindegewebiger Schale, kein flüssiger Inhalt. Keilresektion
im Gesunden, Spahn aus dem oberen Drittel der rechten Tibia. Excoehleation.
Mikroskopisch: Biesenzellensarkome mit grossen spindligen Zellen.
Beichlieh intercelluläre Bindegewebsfasern, viele Biesenz(dlen verschiedener
Formen, zahlreiche Hämorrhagien und Pigment. Keine elastischen Fasern. In
den erweit(»rten Markräumen Fasermark mit verschiedenem Kerngehalt. Deut¬
liche lakunäre Resorption. Die bei der Operation in der bindegewebigen Wand
gefundenen sehrotkorngrussen derben Körner bestehen mikroskopisch aus peri¬
pherischem Bindegewebe mit centralem grobfaserigem Hyalinbindegewebe ohne
Kernfärbung. Im Inneren ferner Herde von körnigem Detritus. In einem Ge¬
bilde ein deutliches, lamellar gebautes, nekrotisches Knochenstüek mit lakunärer
Oberfläche. Der Tibiaspahn erweist sieh als normaler Knochen, nur oben etwas
riesenzellensarkomartiges Gewebe.
Der Autor rechnet seine Beobachtung, gestützt auf den weiter
unten mitzuteilcnden Fall v. Ilaberer’s, nicht zur v. Reckling-
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
l'elicr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Vvsten.
13
hausen’schen Ostitis fibrosa, sondern spricht ihn als multiple
Sarkomatose des jugendlichen Knochens an. Ich glaube ihn trotz¬
dem unter die Fälle von Ostitis fibrosa einreihen zu dürfen, um¬
somehr, als v. Haberer (s. u.) die Zugehörigkeit seines in Rede
stehenden Falles zur Ostitis fibrosa v. Recklinghausen später selbst
zugegeben hat.
9. Der Fall v. llabcrer's betrifft einen 10jährigen Knaben. Im 3. Lebens¬
jahre schmerzlose unregelmässige Anschwellung der rechten Kopf- und Gcsichts-
hälfte. Dadurch Asymmetrie von Schädel und (iesicht. Im 5. Lebensjahre
pathologische Fraktur oberhalb der rechten Femurmitte. Heilung mit leichter
Auftreibung und Verkrümmung, lin S. Jahre pathologische Fraktur der
gleichen Stelle. Heilung mit starker Verkrümmung und Verdickung. Niemals
Schmerzen.
Befund: Innere Organe o. B. Keine Zeichen von Syphilis, anämisch,
schwächlich. Am rechten Scheitelbeinhöcker halbkugelige, glatte, harte Knoehen-
anschwellung. davor fluktuierende Geschwulst mit Knochenwall und blutigem
Inhalt, die auf Jodmedikation verschwindet. Beeiltes oberes Orhitalskclctt
aufgetrieben, Bulbus abwärts gedrängt. Rechter horizontaler Fntcrkieferast
enorm verdickt. Bedeckende Weichteile stets unverändert. Rechter Ober¬
schenkel in seiner Mitte nach aussen und vorn konvex gekrümmt und tumor¬
artig aufgetrieben. Verkürzung von 1,5 cm. Linke Trochantergegend stark
aufgetrieben.
Röntgenbefund: Multiloculäre Knochenhohlräume im rechten Scheitel¬
bein, in der oberen Hälfte des rechten Fcmurschaftes und in der linken Tro¬
chantergegend, hier Coxa vara. Cortiealis ratifiziert.
Frobeexcision aus dom Scheitelbein und rechten Femur. Periost etwas
verdickt, darunter dünne, weiche, höekrige Knochensehale. Als Inhalt blutreiche
Tumormasse. Exeochlcation.
Mikroskopisch: Osteoides Sarkom mit reichlich freien Riesenzellen,
Knochenbälkchen und Osteoklasten. Kein Knorpel. Kein Fasermark.
Nachuntersuchung im 13. Lebensjahre: Inzwischen keinerlei auffallend!'
Krankheitssymptome, bis auf stetiges Wachstum der Tumoren und Zunahme der
Verkrümmungen. Keine Schmerzen, keine Fraktur. Gang schlechter, watschelnd.
Nächtlicher Husten.
Befund: Abmagerung, Anämie. Innere Organe, besonders Lungen, o. B.
Tumoren des rechten Scheitelbeins, besondere des l’nterkiefers und beider Ober¬
schenkel (besonders rechts) an Grösse gewachsen. Verkrümmung und Verbildung
erheblich stärker. Im oberen Drittel des rechten Oberarms und an der Grenze
zwischen oberem und mittlerem Drittel der Tibia völlig druekschinerzfreie nein*
Knoehenauft rcibung.
Röntgenbefund: Rechtes Scheitelbein durch eystische Hoblräume mit
teilweise fehlender Knochensehale aufgetrieben (trotzdem kein Pergamentknittern).
Knoehenzeiehnuiig von Schädelbasis und Hirnschädel wabenartig verschleiert,
l’nterkiefereyste vergrössert. Kopfepiphyse des rechten Oberschenkels frei.
(’ystiseher Tumor der Beckenwand und des oberen Femurdrittels. Stärkere
Krümmung. Im rechten oberen Humerusdriltcl, unweit der Kpiphysenfuge, win¬
ziger centraler Hohlraum, darunter mehr exeentriseh ein grösserer, Aehnlielier
Hohlraum unterhalb der Sohaftmitte. In der linken Tibia entsprechende Auf¬
treibung, ebenfalls ausgedehntere eystische Räume. Weitere Auftreibungen und
Cystenbildungen in einigen Rippen (Nähe des Halsteils), an der 1. Phalanx des
linken 4. Fingers, sowie einigen Zehenphalangcn.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
14
F. Lot soll,
Digitized by
Probcexcision aus dem rechten ObcrschenkclschafL dabei wird eine grosse
starkblutende flülile im Knochen eröffnet. Im oberen Abschnitt weiche, braun¬
rote Tumormassen, unten festeres weisslichcs (iewebe.
Mikroskopisch erweisen sich die braunroten Massen wieder als Riesen¬
zellensarkomgewebe, das weissliche derbe (iewebe als straffes Rindegewebe mit
spärlichen Riesenzellen. Zwischen den Spongiosabälkehen allenthalben Faser¬
mark. Osteoklasten in Howship'schcn Lakunen. An anderen Stellen deutliche
Osteoblasten.
Auf Grund dieses Befundes deutete v. Haberer seinen Fall
zwar als Ostitis fibrosa, doch sieht er die multiplen Riesenzellen¬
sarkome als echte Tumoren und Komplikationen des Krankheits¬
bildes an. Dieser v. Haberer’sche Fall weist neben umfangreichen
Riesenzellensarkomen auch schon Cysten auf und leitet über zu
den nachfolgend aufgeführten Fällen.
Hirschberg untersuchte 1889 einige Knochen eines Falles
aus dem Jahre 1886 nach.
10 . 85jährige Dienstmagd. Vor 4 Jahren unter Abmagerung schmerzhafte
Anschwellung des linken Schlüsselbeins. Schmerzhafte Lähmungen der Arme.
Schmerzen im linken Oberschenkel. Nach 2 Jahren durch Fall linksseitige
Oberschenkelfraktur. Heilung mit erheblicher Verkürzung. Periostale links¬
seitige Tibiaverdickung.
Diagnose: Rheumatismus und Periostitis.
Exitus an Marasmus.
Sektionsbefund (Bericht dürftig): Zeichen von Marasmus. Innere Or¬
gane o. B., insbesondere ohne Metastasen. Nachuntersuchung von in Alkohol
aufbewahrten Skeletteilen. Alle von verminderter Konsistenz, mit dem Messer
schneidbar. Oberes Drittel des linken Humerus: Fraktur im Collum anatomieum.
Morsche Bruchflächen. Periost glatt, keine Knochenauftreibung. Knorpel fläche
o. B. Im Inneren 8 Cysten mit dünnen, bindegewebigen, zum Teil knöchernen
Zwischenwänden, zum Teil kommunizierend. Inhalt angeblich helle wässerige
Flüssigkeit. Im Tuberculum majus haseinussgrosse Cyste mit schwarzbräunlicher,
massig harter Masse. Knochenmark im Schaft graugelb, weich. Tibiastück mit
spindcliger, hühnereigrosser, blasiger Knochenauftreibung und Fraktur. Periost
frei. Auf dem Durchschnitt- hirsekorn- bis haselnussgrosse Cysten mit knöchernen
Scheidewänden und rötHellbraunem Wandbelag, zum Teil kommunizierend. Grösste
Cyste suhperiostal gelegen, sonst Rinde und Mark o. B. Oberes Femurdrittel
mit alter unterer Bruchfläche. Dort rötliche Massen, Periost frei. Im Trochanter¬
mark markstüekgrosser rötlicher Bezirk mit 5, bis erbsengrossen Hohlräumen
(künstliche Defekte?).
Mikroskopisch: UcberaH glcichmüssig Osteoidbildung, Fasermark. Strei¬
fige, kernarme, bindegewebige Cystenwände ohne Epithel: Pigment, Blutungen,
kleines typisches Riesenzellensarkom der Tibia fern von den Cysten.
Schönenberger will den Hirschberg’schen Fall nicht un¬
bedingt als zur Ostitis fibrosa gehörig anerkennen, weil die Multi-
plizität der Riesenzellensarkome fehlt. Hart, der die mikroskopi¬
schen Präparate 1904 nachuntersuchen konnte, bestätigte die
Diagnose Osteomalacie mit Riesenzellensarkomen. Er nimmt als
wahrscheinlich an, dass auch an anderen Skeletteilen derartige
Gck igle
Original frum
UNIVERSITÄT OF IOWA
l'cl'cr irenoralisierte Ostitis fihrosa mit Tumoren und Cysten.
15
Riesenzellcnsarkorae vorhanden waren und sieht den Fall, wie ich
glaube, mit Recht als Ostitis librosa an.
Zwei weitere Beobachtungen wurden im Jahre 1904 von
Mönckeberg und Hart veröffentlicht. Fall Mönckeberg, Be¬
obachtung aus dem Jahre 1903:
11 . 55jährige Frau. Vor 16 Jahren Exstirpation eines nach Zahnextrak¬
tion schnell entstandenen Kiefertumors. Vor 12 und 6 Jahren Entfernung
gleicher Kiefergeschwülste, die letzte als Osteosarkom diagnostiziert. In den
letzten beiden Jahren decrepide, dauernd in Krankenhäusern. Hier multiple
pathologische Frakturen (rechtes Femur, rechter Humerus, rechte Clavieula).
Diagnose 1 : Wegen früherer Schmierkur tertiäre Knochensyphilis.
Beschränkte Sektion: Mehr oder weniger glattwandige Cyste in der
Epiphyse des rechten Humerus, rechten Clavieula, rechten Beckenschaufel, im
oberen und unteren Drittel des rechten Femur. In der Umgebung völliger
Knoehenumbau mit rotem, teils faserigem Mark und Einlagerung solider knochen¬
freier Herde. Die erwähnte Fraktur nicht konsolidiert. Spindelförmige An¬
schwellung der 9. Rippe. Starke Kyphose und Verdickung des Schädeldaches,
tirösse der Cysten sehr wechselnd. Die grossen mit dünner, glatter, weisslicher
Innenwand und klarem, serösem Inhalt, die kleinen eingebettet in weiche, rot¬
braune Massen mit wenig Spongiosa. In der grossen Cyste der rechten Beeken-
schaufel. die sich nach aussen und innen vorbuchtet, unter sehr dünner Knochen¬
schale dunkel rote, fibrinartige abziehbare Massen an der Wand und in der
rötlichen Flüssigkeit. In der .‘1:1 cm grossen Cyste der rechten Clavieula
Innenfläche völlig glatt, rotbraun. Inhalt klar, rötlich gelb.
Mikroskopisch: Sehr gefässreiches Fasermark mit wechselndem Zellen-
gehalt. Osteoide Säume, geringe lakunäre Resorption, reichlich „dissezierendes"
Wachstum des Fasermarks. Umbau ohne Osteoblasten. Die Tumoren zum Teil
Fibrome, zum Teil Riesenzellensarkome.
Mönckeberg betont besonders, dass er diese Bezeichnung
wählt, „ohne mit diesen Namen irgend etwas über ihre Stellung
in der Geschwulstlehre aussagen zu wollen“. Cystenbildung ab¬
hängig von den Tumoren, also Erweichungscysten mit Blutextrava¬
saten. Seröse Transsudationen und Blutungen spielen nach Möncke¬
berg eine grosse Rolle. Viel Pigmentkörnchen. Riesenzcllen stets
dicht uradrängt von Erythrocyten, häufig in anscheinend prä-
formierten Ge websspalten. Mönckeberg unterscheidet zwei Arten
von Cysten. Solche, die in Fibromen entstehen, sie enthalten oft
kein Pigment, sind reine Erweichungscysten, haben eine geringe
Wachstumstendenz und führen in ihrer Umgebung zu starkem
Knochenumbau, zum Teil durch direkte Bindegewebsmetaplasie.
Im Gegensatz dazu enthalten die Riesenzellensarkomcysten viel
Pigment, entstehen ausser durch Erweichung durch Blutung, zeigen
eine grosse Wachstumstendenz und in ihrer Umgebung starken
Knochenabbau.
Fall Hart scheint mir identisch mit dem von Schmorl be¬
obachteten und gelegentlich der Diskussion zu Mönckebergs Mit¬
teilung erwähnten Fall.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
16
F. Lotscli,
Digitized by
12 . TS jährige Frau. Bis zum (>9. Lebensjahre arbeitsfähig, dann all¬
mählich hilflos. Seit 1 2 Jahr bettlägerig. Nie Knoehenschmerzen. Spontan-
fraktur des linken Oberschenkels im Bett, schmerzlos, konsolidiert nicht. Kxitus
an eitriger Bronchitis und hypostatiseher Pneumonie.
Sektionsbefund: Diffuse eitrige Bronchitis, allgemeine Altersatrophie
der inneren Organe. Schädel schwer, symmetrisch, etwas federnd, schneidbar,
4—11 mm dick, durchweg feinporig. Keine Diploö mehr. Nähte verschmolzen,
Wirbelsäule verkürzt, hochgradige Kyphoskoliose des Brustteils. Fischwirbel,
schneidbar, die mattweissen feinporigen Spongiosahühlen mit pulpösem Mark
gefüllt. Thorax seitlich eingedrückt. Kippeninfraktionen. Sternum kielartig
vorstehend mit Infraktionen. Unter dünner Cortiealisschale weitmaschige Spon¬
giosa mit pulpüsem Mark. Becken schiefkartenherzförmig, steile Darmbein-
schaufcln. etwas Schnabelsymphyse. Kechts starke Uoxa vara. Kerbt winkliger
Abgang des verkürzten Schenkelhalses, in den Schaft eingekeilt. Keine alte
Fraktur. Links gleichfalls Doxa vara. Hals verschwunden, nicht eingekeilt'.
Schräge Diaphysenfraktur mit (> cm Verkürzung und bindegewebiger Pseudar-
throse. Alle Knochen leicht, elastisch, schneidbar «wie mürbes Holz“. Auf
dem Durchschnitt oft papierdünne Corticalis mit schmaler Zone feinporiger
mattweiser Spongiosa. Im ('entrinn graurotes bis gelbes, pulpöses Mark, braun¬
rot durchscheinende Tumoren an zahlreichen Kippen, Becken. Wirbeln. Kreuz¬
bein, rechtem Humerus und Radius, rechtem Olecranon. beiden Femura und
rechter Tibia (je d), linker Tibia und Fibula, am oberen Ende. Tumoren meist
in der Coriiealis. Cysten mit dünnflüssigem braunem Inhalt bis mandelgross,
besonders an den Rippen. Fine wall nussgrosse Cyste am Planum popliteum
des linken Femur: ferner kleine weisse erbsengrusse Cyste mit hellgelbem In¬
halt in Wirbeln, Sternum und linker Tibia ohne Beziehung zu Tumoren.
Mikroskopisch: Kernarmes Fasermark mit Pigment, rarefizierte Spon¬
giosa. Am Schädeldach völliger Umbau, maschiges Balkenwerk mit dünner
peripherischer Lamelle. Strotzend gefüllte weite Blutgefässe, kleine Blutungen
und Pigmentablagerungen, einige pigmenthaltige Kiesenzellen. Stellenweise
zellreicheres Fasermark mit reichlich Osteoklasten in Lakunen. Schmale osteoide
Säume mit Osteoblasten. In einem Kippentumor Reste von Lymph- und Fett¬
mark in der Umgebung, dann folgt Fasermark mit stellenweise Osteoblasten.
Breite osteoide Säume. Das Fasermark geht allmählich in das gefässreiehe
Spindelzollengcwcbc mit zahlreichen Kiesenzellen mit eisenhaltigem Pigment
und Blutungen über. Tumorcent rum ohne Knoehenbülkehen. Erbsengrosse
Cyste im Tumorgewebe. Wand direkt aus Pigment und kernreichem Tumor¬
gewebe gebildet.
Der Autor fasst die Ergebnisse des Skelettbefundes folgendcrmassen zu¬
sammen :
1. Hochgradige Deformität des Thorax unter Beteiligung seiner sämt¬
lichen Komponenten,
2 . sch iefk arten herzförmiges Becken.
o. an Fischwirbel erinnernde W irbelkürper.
4. doppelseitige* Coxa vara,
5. Infraktionen des Sternums und multipler Kippen, Fraktur des linken
Femur,
Ö. abnorme Weichheit aller Knochen mit Rarefizierung der Corticalis
und Spongiosabälkchen, Bildung von Fasermark,
7. zahlreiche pigmenthaltige Kiesenzellensarkome und Cysten.
Hart bezeichnet den Fall als Osteomalacic mit multiplen
Riesenzellensarkomen, Frakturen und Cystenbildungen, und setzt
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
17
l’cbcr generalisierte Ostitis filmisa mit Tumoren un<I Cysten.
ihn zu den Fällen Hirschberg, v. Recklinghausen und Schö¬
nenberger in Analogie.
Ganz neuerdings auf dem Chirurgen - Kongress 1912 hat
Wrede aus der Lexer’schen Privatklinik nachfolgenden Fall nvit-
geteilt:
13 . 40jähri^r Dame. Beginn vor 10 .1 ähren mit Epulis am Cnterkiefer,
die operativ entfernt wurde. Ausgebreitete Ostitis fihrosa mit den charakte¬
ristischen Veränderungen tind zahlreichen Cysten in fast allen Knochen, auch
des Schädeldaches, röntgenologisch festirestel 11. .letzt grosses Riesenzellensarkom
iles Oberkiefers exstirpiort.
Der Fall ist vor allem wegen der früheren Epulis und des
jetzigen Riesenzellensarkoras am Kiefer von einer gewissen prin¬
zipiellen Bedeutung (s. später).
Wir kommen nunmehr zu jenen Fällen, in denen die Cysten¬
bildung das Bild beherrscht. Zunächst ein Fall v. Reckling-
hausen’s aus dem Jahre 1910 (Fall 1 in den Untersuchungen über
Rachitis und Osteomalacie, S. 390):
14. 33jährige Frau, früher .sehr kräftig". 4 glatte Partus. Letzter
vor 2 Jahren. 4 Wochen danach heim Absetzen eines Wasserkiibels vom Kopf
-Krachen im Kreuz und in der rechten Hüfte**.
Aer/.tliehe Diagnose: Lumbago traumatica. 30 pCt. l’nfallrentc. Kurz
darauf pathologische Fraktur des rechten, (> Wochen später beim Fmhctten des
linken 1 Iberschenkels.
Aufnahmebefund: Frakturen beider Femura, starke Senkung des Kreuz¬
beins, hochgradige Lordose der Lendenwirbelsäule. Nach 13 Wochen Gchver-
sueh auf Krücken, nach weiteren (> Wochen durch Ausrutsrhen Fraktur beider
Femora und des linken Humerus, die nicht fest konsolidieren. Im Bett Fraktur
des rechten Humerus. Zunehmende Kyphoskoliose der Brust Wirbelsäule und
Verengerung des Beckeneinganges. Knochenerweichungen und Thoraxverkriim-
mung. Dyspnoe. Kräftevcrfall. Fxitus.
Sektionsbefund: Abnorme Beweglichkeit, Verkrümmung und Verkürzung
beider Femora und Humeri, sowie des linken Vorderarmes. Poröse dünne (Yr-
ticalis und lockere Spongiosa mit Fettmark. Im rechten Humerusschaft grosse
Markhöhle mit bräunlich rotem Mark. An den weichen Stellen ist die Knochen¬
substanz durch dichtes weissliches oder rötliches (iewebe ersetzt. In der Spon¬
giosa des distalen Abschnittes des linken Femur fibröse Ilerdchcn mit je einer
kleinen Cyste. Ausgedehnte diffuse fibröse Stellen in den Humerus- und
Femurköpfen mit spärlichen Cysten. Fibröses Gewebe, bunt gefärbt, nimmt
fast die ganze Breite der Diaphysen ein und enthält viele glattwandige bis
taubeneigrosse Cysten an der Basis des rechten Malleolus externus. in der
Fibula kleine Cyste, eine tauhcncigrnssc subperiostale Cyste mit klarer gelber
Flüssigkeit und abgesetzten Erythrocyten in der vorgel)uchteten Mitte der
rechten Tibia. Perinst zum Teil adhärent, darunter Grübchen und Fenster in
der Curtiealis: derartige poröse Stellen auch am biegsamen Schädeldach, an
den Metatarsen und Metakarpcn, sowie den Phalangen. Keine Ebnation der
Schädelbasis. Thorax stark deformiert, seitlich eingedrückt. Kyphoskoliose.
Viele Rippenfrakturen. Rippen stark gerötet. Poren mit rötlichem Markgewebe
sicht bar. Ausgesprochenes ostenmalaeisches, schiefkartenherzförmiges Becken.
Starke Abmagerung. Ovarien mit dicker Albuginea. weicher, zähm- Substanz
Archir für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. *>
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
18
F. Lot sch.
Digitized by
mit erbsengrosscn Follikeln uml einer Cyste. Grosse Nebennieren. Schilddrüse
nicht vergrössert. Kalkabscheidungcn in den Harnwegen.
Der Autor fasst den Befund wie folgt zusammen:
1. «Stärkste malacische Deformation der Knochen durch die in den
letzten fünf Vierteljahren erfolgten Frakturen beider Hurneri, beider
Femora gesteigert. Sehr unvollkommene Heilungsvorgänge.
2. Ausgeprägteste fibröse Ostitis mit multiplen glattwandigen (Zysten.
Diese ganz gebunden an die fibrösen Herde, sämtlich in den am
meisten gefährdeten und am stärksten deformierten Abschnitten der
langen Röhrenknochen: sicherlich schon Jahre alt, nicht erst ent¬
standen durch das Trauma, vielleicht gesteigert, doch nicht minder
unter dem Einfluss der Schwangerschaften.
3. Leichte purotische Malacie, ältere hyperplastische Zustände des
Knochengewebes und noch im Fortschreiten begriffener Abbau.“
Den Beginn nimmt v. Recklinghausen schon für das zweite
Jahrzehnt an und glaubt, dass es sich in diesem Falle um ein
durch stationär gewordene jugendliche Malacie prädisponiertes
Skelett handelt, dem die Ostitis fibrosa gleichsam aufgepfropft ist.
Riesenzellensarkome wurden in diesem Falle nicht gefunden, ledig¬
lich Fibrome mit Cysten.
Ich füge hier den Fall Engel an, der aus dem Jahre 1864
stammt und als Dissertation unter Wernher-Giessen unter dem Titel
„Ueber einen Fall von cystoider Entartung des gesamten Skeletts“
veröffentlicht wurde:
15. 55jährige Frau aus Mainz. Heredität o. B. Hat nie Not gelitten.
Früher stets gesund, gross und schlank, mit auffallend breitem Brustkorb.
9 glatte Partus. 2 Aborte, Erster Partus im 25., letzter im 42. Jahre. Glatte
Puerperien, stillte selbst. Menopause im 47. Jahre. Beruf: Näherin, auch als
Ehefrau. Nach dem letzten Partus zweimal Gesichtsrose, die zweite schwer mit
Delirien. Seitdem zunehmende Abmagerung, Blässe, leichte Ermüdbarkeit.
Reissende Schmerzen, besonders nachts zuerst im linken Oberschenkel und linken
Oberarm, dann iin ganzen Körper; Steigerung bei kalter Witterung und im
Winter. Grosse Druckschmerzhaftigkeit, ln den letzten Jahren besonders
Schmerzen in der linken Beekenliälfte und der linken Kreuzdarmbeinfuge. Kräfte¬
verfall, viel bettlägerig. Kopf nach vorn gesunken. Thorax flacht ab. Früher
kurze* Anfälle von Cardialgie und häufig Diarrhöen, zuletzt Appetitmangel und
Verstopfung, Vor 1 Jahr beim Aufstehen Fall auf ebenem Boden und patho¬
logische Fraktur des linken Oberarmes. 4 Wochen später Refraktur des linken
Oberarmes und Fraktur des rechten Oberarmes. S Wochen vor dem Exitus
pathologische Fraktur beider Oberschenkel und des rechten Oberarmes. Exitus
an rechtsseitiger Pneumonie, Pleuritis exsudativa, Pericarditis, Anasarca. Im
Urin zuletzt phosphorsaurer Kalk.
Klinische Diagnose: Osteomalacie.
Sektionsbefund: Zahlreiche Cysten in den Beckenknochen, besondere
in den Darmbeinschaufeln beiderseits, in den Humeri und Femora, im rechten
Radius, allen Wirbelkörpern (besonders untere Brust- und Lendenwirbel), beiden
Clavikeln und Scapulae. Sternum und Rippen; wenige in den Knochen der
Bände und Fiisse, einige im Processus palatinus des linken Oberkiefers und
den Alveolarfortsätzen. Unterkiefer- und Schädelknochen cystenfrei. Grösse
der Cysten: linsen- bis erbsengrosse in den Wirbeln, walnussgrosse in den Rühren-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
19
knoehen. Grösste Cyste 7 cm Durchmesser in der linken Darmbeinschaufel, von
zahlreichen kleineren umgeben. Lage in der Compacta und Spongiosa zum Teil
uniloeulär, zum Teil durch Konfluenz multiloculär, mit dünnen, zum Teil
knöchernen Zwischenwänden. Nur die grösseren Cysten zeigen eine eigene, ver¬
schieden dicke bindegewebige Membran, stellenweise mit Pigmentmantel. Innen
und aussen rostfarben. Kein Epithel, keine Gefässkommunikation der Cysten.
Die kleineren Cysten grenzen direkt an normalen Knochen. Inhalt bald hell
serös, bald dunkelbräunlichc Flüssigkeit, zum Teil auch breiige feste Masse.
Auftreibung des Knochens nur an den Darmbeinschaufeln, wenig oder gar nicht
an den Röhrenknochen. Corticalis stellenweise durchbrochen. Pcriostdecke zum
Teil verdickt, blutreich. Die Cysten nehmen zum Teil die ganze Markhöhle
unter der verdünnten Corticalis ein. An der Innenfläche des Schädeldaches
puerperales Osteophyt. Frakturstellen schief geheilt, nicht an den cysten¬
reichsten Stellen. Vorstufen der Cystenbildung an Rippen und Sternum. Dort
Rötung, Knochen biegsam, leicht zu brechen, zum Teil aufgetrieben, zum Teil
schon kleine Cysten enthaltend. Periost blutreich. Scharfe Abgrenzung von
den gesunden Abschnitten. Völliger Knochenumbau, gleichmässige spongiöse
Struktur, keine Corticalis und Markhöhlen mehr. Knochen zum Teil schneidbar,
Gewicht verringert, Gelenkcndcn und Knorpel ohne Veränderungen. Thorax
seitlich zusammengeknickt, ausser den Frakturstellen keine Verkrümmungen an
den Extremitäten.
Mikroskopisch: Dünne Spongiosabälkchen mit Fasermark und reich¬
lichen Gefässen, fast keine Markzellen. Cystenwand aus kernarmem faserigen
Bindegewebe. Kein Tumorgewebe.
Engel fasst die Entstehung der Cysten auf als das Produkt
einer in multiplen Herden auftretenden Osteitis, die mit Gefäss-
zerreissung einhergeht, und vergleicht sie mit den apoplektischen
Cysten.
Das Skelett wird in dem pathologischen Museum zu Giessen
aufbewahrt. Decken untersuchte 1909 ein Stück Tibia unter
Boström’s Leitung nach und fand Pigment, Fasergewebe und
Osteoid. Zellfärbung liess sich nicht mehr erzielen, Riesenzellen
deshalb nicht mehr nachweisen, viel Sharpey’sche Fasern. Heineke
hat den Fall zum Teil makroskopisch nachuntersucht und betont
besonders die Atrophie der Knochen. Er fand in der Tibia einen
durch Corticalis und Markraum reichenden, etwa haselnussgrossen,
scharf begrenzten Herd von knochenharter Konsistenz mit membran-
loser Cyste; einen Befund, den er mit seinem nachfolgend aufge¬
führten Fall vergleicht. Fall Heineke aus dem Jahre 1903:
16 . 24 jähriges Mädchen, stets gesund. Keine Zeichen von Rachitis. Menses
regelmässig. Seit 4 Jahren nach Fall auf die linke Hüfte geringe Schmerzen
im linken Oberschenkel. Konnte gut gehen und tanzen. Seit 4 Wochen heftige,
reissende, rheumatische Schmerzen in der rechten Hüfte und im rechten Ober¬
schenkel, seit Ö Wochen auch im linken Oberschenkel. 11 Tage vor der Auf¬
nahme beim Ankleiden pathologische Fraktur des linken Oberschenkels, Im
Streckverband zeitweise leichte Schmerzen im linken Oberschenkel.
Befund: Grazile, bis auf leichte Brustwirbelkyphose und stark gewölbten
Thorax normal gebaute Person. Innere Organe o. B. Fraktur des linken Femur
handbreit unter dem Trochanter, abnorme Beweglichkeit. Keine Krepitation.
2 *
Digitized by
Gck igle
Original frum
UMIVERSITY OF IOWA
*20
Digitized by
» *
F. L nt sch,
7 cm Verkürzung, linkes Hein in Adduktion und Aussonrotation. An der Bruch¬
stelle keine Knoohcnauftreibung. l'ntersuchung wenig schmerzhaft, auch am
rechten, spontan schmerzenden Oberschenkel palpatorisch keine Veränderungen
nachweisbar.
Rön tgenbefund: Im linken Femur dicht unterhalb der Trochantergegend
hühnereigrosse, fast den ganzen (Querschnitt der Diaphysc einnehmende Buhle
mit dünner fpierfrakturierter Knockensehnle. Im rechten Femur und beiden
Beckenscliaufeln grosse Knochendefekte und walnussgrosse Höhlen in der Schaft¬
mitte des rechten Femur.
Bei der Probeinzision der Frakturstelle des linken Oberschenkels Kröffntmg
einer hühnereigrossen. glattwandigon Cyste, unter dünner, morscher Knochen-
schale. mit klarem, braunem, dünnflüssigem Inhalt. Probeexzision eines Stückes
der sorosaähnlichen Cvstenwand. primäre Naht. Sehr verzögerte Konsolidation
in Winkelstellung nach 4 Monaten. Nun Schmerzen im rechten l'ntersrhenkel,
oberhalb der Schaftmitte starke Druckschmerzhaftigkeit. Keine Verdickung.
Röntgenbefund: Die früher festgestellten Höhlen nach allen Seiten ver-
grössert.
Refraktur zwecks Sicllungskorrektur des linken Oberschenkels. Konsolida¬
tion braucht 4—5 Monate. Danach ist die Cyste verschwunden, währenddessen
Schmerzen im rechten Oberarm. Passive Schulterbewegungen schmerzhaft. Starke
Druckempfindlichkeit der oberen Mctaphyse und deutliches Pergamentknittern.
Keine Auftreibung.
Röntgenbefund: Mohrkammorige Höhlen unterhalb der Tubercula.
Schmerzen lassen allmählich nach, kann mit Cnterstiitzung gehen. Röntgen¬
befund unverändert. Ferner haselnussgrosse Aufhellung unterhalb der Fraktur¬
stelle des linken Femurs. Am sonstigen Skelett Hohlräume in der linken Tibia
und (irundphalanx der linken grossen Zehe ohne klinische Symptome. Im Laufe
des folgenden .Jahres anscheinend keine neuen Herde. Röntgenologisch nach¬
weisbare Vorgrösserung der haselnussgrossen Cyste zu Taubeneigrösse, (iang
schlecht, linkes Bein schwächer. Dauernd Schmerzen im rechten Selmltorgelenk,
sonst gutes Allgemeinbefinden. Skelett ohne Verbiegungen mit Ausnahme der
Frakturstellen des linken Femurs und der Kyphose, aber starke Atrophie, so
dass auch weiche Röntgenstrahlen schlechte Bilder geben.
M ik ros ko jiisch er Befund der Probeexeision : Cystenwandohne FpitheR
kern- und gefässarmes Bindegewebe mit etwas körnigem Pigment. Dann folgen
dünne kalklose Knoehenhälkchen mit breitem, faserigem, kernarmem Bindegewebe
und Pigment, Osteoblastenbesatz, kein Knorpel.
Beobachtung von Langendorff und Mommsen aus dem
Jahre 1875:
17. 33jähriger Schneider. Heredität ohne Bedang. Lernte mit 1 Jahr
laufen, dann deutliche Rarhitis, verlernte das Laufen wieder bis zum 5. Jahn».
Bis zum 32. Jahre stets gesund. Verheiratet, drei gesunde Kinder. Im
32. Lebensjahre anfallsweise „rheumatische" Schmerzen, die zeitweise das Liehen
unmöglich machten. 4 Jahre darauf pathologische Fraktur des Schlüsselbeins.
In der Folgezeit zahlreiche Frakturen. Anfangs glatte Heilung, später Ver¬
krümmungen. Auch Deformation des Thorax. Nieren- und Blasenstein¬
besehwerden. Leichte Lrmiidbarkeit. (ioht an Krücken. Aufnahme wegen Ober-
sehenkelfraktur.
Befund: Keine Schmerzen mehr, keine Konsolidation der Femurfraktur.
Zunehmende Verblödung. Fxitus in Asphyxie.
Sek t io n s lief un d: Körperlänge 130 cm. Schädeldach bis 1 cm dick,
blutreich, porös, federnd, sehneidbar. Keine Schichtenzeichnung mehr. Deut-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
29VV4H
Ober generalisierte Ostitis fibrusa mit Tumoren und Cysten. 21
liehe Oefässfurchen. Linkskonvexe Kyphoskoliose der unteren Brust- und Londen-
wirbclsäule. Becken schied, seitlich zusanimengedriiekt, biegsam. Linke Clavieula
mit Frakturcallus. Linker Humerus unter dem Collum chinirgicum nach aussen
konvex abgeknickt, ebenso im unteren Drittel e*ine gleiche Krümmung. Periost
unbeteiligt. (’ompacta der Diaphysen sehr verdünnt. Mark im proximalen Teil
rot, in der Schaftmitte zwei längliche cystenartige glattwandige Hohlräume mit
dünnflüssiger, alkalisch reagierender Flüssigkeit, mandel- bzw. pflaumengross.
Letztere mit Infraktion. In der oberen Epiphyse zwei bohnengrosse Iloldräume
im Fett mark. Yorderarmknochen geknickt. Beide Scapulae auffallend weich,
federml. Endphalangen der Finger kolhig verdickt, mit sehr breiten Nägeln.
Fraktur der rechten Feinurdiaphvse mit Verdickung der Fragment enden, nach
aussen konvexe Krümmung. Linksseitig subtrochantere Femurfraktur durch
straffe Handniassc vereinigt. Linke Tibia an den Epiphysen weich. Schaft
schwach nach vorn konvex gebogen. Das Mark gelb, in der Schaftmitte mark¬
st iiekgrosse gallertige Stelle mit kleiner Cyste. Firn' zweite Cyste in der
Kindensubstanz. In der Fibula kleinere Cyste. Im Nierenbecken Konkremente.
Ifydronephrose.
Mikroskopisch: (iefässreicbes Fasermark, starker Knochenabbau, Kiesen¬
zellen. Cystenwand aus derber gefässarmer Bindegewcbsntembran ohne Epithel.
In der Umgehung massenhaft Pigment.
Saxinger teilt 1912 folgenden Fall mit:
18. 36jährige Frau, früher gesund. Heredität negativ, keine Infektion.
Seit 12 Jahren verheiratet. Kein Partus, kein Abort. Seit dem 33. Jahre Meno¬
pause! Vor 3 Jahren unter erheblichen Schmerzen spindelige Auftreibung der
rechten Tibia. Durch Operation wird eine Knochencyste mit serösem, sanguino¬
lentem Inhalt eröffnet. In kurzen Abständen unter gleichen Schmerzen Auf¬
treibung der linken Tibia, des oberen Drittels des linken Femurs, dort patho¬
logische Fraktur, die trotz Streckverband nicht konsolidiert. Nach Ausbildung
der Verdickung Aufhören der Schmerzen. Bettlägerig bei gutem Allgemein¬
befinden. Allmählich auch Auftreibungen des rechten Femurs, linken Humerus,
rechten Vorderarmes, die die Kranke völlig hilflos machen. Fine Yorwölbung
am Sternum geht spontan wieder zurück.
Befund: Anämie, massige Abmagerung, Schädel frei. Innere Organe
o. B. Kund Liehe Finsenkung am Sternum, mächtige spindligc. nicht druek-
sehmer/hafte Auftreibung beider Tibicn, auch der rechten operierten, des rech len
Femurs, linken Humerus, rechten Oberarmes. Deutliches Pergamentknittern.
Fragliche Fluktuation. Verkrümmung beider Femora.
Uö n t gen bef und: Mehrkammerige Aufhellung in den aufgetriebenen
Stellen der beiden Tibicn. Fraktur im (»bereu Drittel des linken Femurs. Im
rechten Femur ein markstückgrosser regelmässiger Schatten. Die der Mitteilung
beigegebrnen Könt genbilder zeigen grosse multilnculäre vorgebuchtete TT o*:I-
räume, vornehmlich in der Schaftmitte der rechten o;i:\*ivvtc^ ^iVia uhdin den
rechten Yorderarmknochen.
ITnbepunktion dreier Cysten ergibt 200 cf-ni ^ klare gejbnöe Fiiissigkvit,
die unter massigem Druck steht. Spezifisches (iewieht U)lö Im S-jcLir.ei.t nu»’
Blutkörperchen, keine Bernsteinsäure. Bakterienfärbung? auch auf Tuberkel
baeillcn negativ, auch im Dunkelfekl bakterienfrei. Kurz daraus msd» ,4»ägig<_r
Herzschwäche Exitus. > r , , . ,
Sekt ion shefurid: Braunes Herz; ums Doppelte vergrösserte Nebennieren
inf«»lge Fettinfiltration. Ovarien bindegewebig entartet. Heide Tibicn. rechtes
Femur, linker Humerus, rechter Vorderarm durch Cysten mit klarer gelbrüt-
lielier Flüssigkeit unter papierdiinner Cortiealis aufgctriel>en. Kippen biegsam.
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
22
K. Lot sch,
Digitized by
Wirbelsäule o. B. Massige Beckendeformation. Der Durchschnitt des linken
Humerus zeigt nur im distalen Abschnitt noch Spuren von normal aussehendem,
mikroskopisch reichlich weisse Blutelemente (Mithaltendem Knochenmark.
Mikroskopisch: Hippen bestehen in der Hauptsache aus dickem fibrösen
(iewebe mit spärlichen schmalen Knochenbälkchen mit osteoiden Säumen. Im
Fasermark stellenweise weisse Blutzellen. In der Epiphyse kalkarme Cnrticalis
vorhanden. Osteoklasten nur vereinzelt, (iclenkknorpel o. B.
Die pathologisch-anatomische Beschreibung dieses Falles ist
etwas lückenhaft, vor allem fehlt die Mitteilung des mikroskopischen
Befundes der übrigen Knochen, besonders der mit Cysten durch¬
setzten. Soweit berichtet wurden Riesenzellensarkombildungen nicht
gefunden.
Im gleichen Jahre erschien folgende Mitteilung ßurchard’s:
19. 4jähriges Mädchen, lernt erst mit l'/ 4 Jahr laufen weiren diagnosti-
ziertcr Rachitis. Bald Hinken und Verkürzung d(‘s rechten Beines.
Röntgenbefund im Alter von DA Jahren: Haselnussgrosse unregel¬
mässige Aufhellung am rechten Trochanter minor.
Im 3. Lebensjahr deutlicli nach aussen konvexe Kriimmmung des rechten
Obcrsclienkels. Verkürzung. hinkender Gang. Keine Klanen, sonst gesund.
Röntgenbefund: Aufhellung am rechten Trochanter minor, mehr-
kammerig, walnussgross, Cortiealis zum Teil gänzlich geschwunden, Unteres
Drittel des rechten Femurs stark rarefiziert. Cortiealis selir verdünnt, haselnuss-
grosse Aufhellung und streifig fleckige Struktur. Entere Epiphysenlinie zackig.
Periost unbeteiligt. Zwischen mittlerem und unterem Drittel nach aussen kon¬
vexe Abbiegung des rechten Fernursehaftes. Aehnliche Veränderungen an beiden
Metaphysen der rechten Tibia, besonders oben, Auftreibung nach der Fibula
hin, Unregelmässigkeit der Epiphysen.
Befund im 4. Lebensjahre: Gut (Mit wickelt. Rechtes Bein um 3,5 ein
verkürzt, geht wie früher auf den rechten Zehenspitzen.
Der Röntgenbefund zeigt eine dem Körperwachstum entsprechende Ver-
grösscrung der Aufhellung. Sonstiges Skelett röntgenologisch frei. Keine ana¬
tomische Untersuchung.
Aus dem Jahre 1911 stammt folgender Fall Hartmann’s,
den auch Steinthal in seiner Diskussionsbemerkung auf dem
Chirurgenkongress 1912 erwähnt. Er wird von beiden Autoren
aufgefasst als eine Erkrankungsform, die zum Teil dem Paget-
.sehen, zum Teil dem v. Recklinghausen’schen Typus der defor-
: • <Jgütis ^gehört.
^"*^0! 2 $«Heredität ohne Belang. Schwach begabt, lernt
stf^terf .Tftwifig lviöfsjdmicrzefi. * ÖiS zum 25. Jahre nächtliche Schreib rümpfe
mft»J?eVtft^Sins.stär0n^ Im 15. Lebensjahre Gehen durch Schmerzen und Ver-
ljriwijsiwing beider ÖßeTschcnkcl erselnvert. Wegen Genua valga beiderseitige
FiflntHj).s/(l(JtJifjiK‘jr JGl^tte Heilung mit abnorm stark(‘r Callusbildung. Enten-
gan£. * *A{il>*ögwi)g; ddfc Cal Ins und erneute Osteotomie am rechten Femur;
Heilung durch Infektion verzögert. Gang hinkend, unsicher, fiel häufig. Zwei¬
mal wegen Fallverletzungen im Krankenhaus, ferner Appendieitis und Auf¬
treibung des Unterleibes. Aufnahme wegen allmählicher, schmerzhafter An¬
schwellung der linken Hüftgegend.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumorrn und Cysten.
23
Befund: Blässe. Innere Organe und Urin o. B. Keine Zeichen von
Rachitis. Gesicht etwas asymmetrisch. Zähne schlecht entwickelt, zum Teil
defekt. Thoraxskelett und Wirbelsäule ohne Veränderung. Apfelgrosse, flache,
knochenharte, glatte, stark druckempfindliche Anschwellung im Beckenring in
der linken Fossa iliaca. Die Gegend der linken Kreuz-Darm beinfuge etwas auf¬
getrieben und druckschmerzhaft. Linkes Hüftgelenk frei, linkes Femur leicht
gekrümmt, untere Hälfte des rechten Oberschenkels auffällig verbreitert, mit
grosser Operationsnarbe. Kniegelenk frei. Keine sonstigen Skelett Veränderungen.
Diagnose: Chronische Osteomyelitis, lT’obeincision des Tumors der linken
Fossa iliaca. Unter der Knochenschale im spongiösen Gewebe kleine Cyste
mit derber weissliehcr Membran, partielle Kxcoehleation. Tamponade wegen
starker Blutung.
Mikroskopisch (Walz): Riesenzellensarkomartiges Gewebe mit Cysten,
Endothelauskleidung! der einfach fibrösen Wand. Kein Knochenabbau, kein
Osteoid.
Mutmassliche Diagnose: Ostitis deformans seu fibrosa.
Wegen verzögerter Heilung mit Fistel und Sekret Verhaltung Operation
in Momburg'scher Blutleere. Eröffnung einer pflaumengrossen Knochenhöhle
mit Eiter, dahinter zahlreiche Cysten mit schleimig-serösem Inhalt. Radikale
Entfernung nicht möglich. Exitus im Kollaps V 4 Stunde post operat.
Sektionsbefund: Unteres Drittel des rechten Femurs kolbig verdickt
und nach innen abgeknickt. Auf dem Durchschnitt die Verdickung mit spongiöser
Knochenmasse ausgefüllt. Corticalis äusserst verdünnt. Gegen die gesunde #
Markhöhle kompakter Knochenabschluss, ln der spongiösen Masse der Auf¬
treibung Konglomerate kleiner, bis zirka kirschkerngrosser Cysten, mit dünner,
glatter, weissliehcr Wand und wasserklarem Inhalt, sowie weichen, gelblich¬
rötlichen, geschwulstähnlichen Gowebsmassen. ln der Nähe der Epiphysenlinie
ein linsengrosses, knorpelähnliches Gebilde, auch in den bei der Operation
exstirpierten Massen aus der linken Beckenhälfte neben Cysten mit glatter,
weisser Wand, die der Spongiosa direkt ansitzen, kleine rötliche, geschwulst-
artige Massen, teils frei im Knochen, teils in der Umgebung der Cysten.
Schädeldach schwer, bis 1,2 cm dick, Diploe fehlt, durchweg anscheinend
Com pacta.
Mikroskopisch: Tumormassen des rechten, früher operierten Femurs
zeigen riesenzellensarkomartige Struktur mit entzündlicher Infiltration. Faser¬
mark mit wenig Riesenzellen. Knochenabbau mit Osteoklasten, osteoide Säume.
Die knorpelartigen Gebilde bestehen aus wucherndem Hyalinknorpel. In der i
Umgebung Fasermark mit Riesenzellenanhäufungen, viel osteoide Säume. Im
Becken das gleiche Bild ohne Osteoid. Im Schädeldach Sklerose, spärliches
bindegewebiges Mark neben Fett- und Lymphmark, kein Osteoid.
Pathologisch - anatomische Diagnose: Ostitis fibrosa mit Ge¬
schwulst- und Cystenbildung im rechten Oberschenkel und Becken, Sklerose
des Schädeldaches.
1906 demonstrierte Katholicky in der Gesellschaft der
Aerzte in Wien Präparate des folgenden Falles:
21. 30 jahritie Dienstmagd. Vor 7 Jahren im Anschluss an eine intensive
Anämie Krankheitsbeginn mit allgemeiner Schwäche und Schmerzen in den
Beinen. Seit 3 Jahren Gehen nur auf Krücken möglich. Atembcschwcrdcn,
schläft in Knieellenbogcnlagc, der grosse Kopf vornüber geneigt, Kinn auf der
Brust; häufig wird der Kopf mit den Armen gestützt. Oberkiefer und \or allein
Unterkiefer in toto stark verdickt. Sternum oben eingedrückt, unten vorgewölbt.
Kyphoskoliose. Die unteren Rippen berühren fast die wulstig verdickten Darm-
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
24
F. Lutsch.
Digitized by
briukämme. Arme dadurch scheinbar verlängert, Vorderarme gekrümmt. Finger
in den Zwischengelenken radialwärts ahgcknickt. Heine verdickt. ödematös.
Unterschenkel etwas säbelscheidenartig gebogen. Aussehen und Haltung erinnert
an die Halt um: der anthropomorphen Affen. Ausser Atembesehwerden keine
Sehmerzen. Frische Humerusfraktur. Hei nicht schlechtem Allgemeinbefinden
nach 10 Tagen Exitus im Asthmaanfall an Lungenödem.
Sek t io ns I)ef u n d: Her/hypertruphie. Lungenödem. Alle Knochen weieb.
fast sehneidbar. porös, bimsteinartig. Schädeldach 1 cm dick. Unterkiefer-
Mittelst iirk /u (iänseriirriisse aufgetricben, mit »> cm dicker Schicht von fibrösem,
osteoidem (iewebc. Die kolbiir verdickten Unterkiefcriiste im Gegensatz dazu
hart, sklerosicrt. Kartrnhcrzbrckrn. Geheilte Spontanfraktur der verdickten
Schlüsselbeine, der Schulterblätter, des rechten Femurhalses. Sternums und
zahlreicher Kippen. Markhöhle der langen Röhrenknochen auf dem Durch¬
schnitt s’ark verbreitert, mit reichlichem, rotem Mark gefüllt. Uorlicalis sehr
verdünnt, stellenweise fehlend.
Rön t trcn bef und : (ileiclimässiL r c wabenartige Knochenstruktur mit eysten-
arti lt*m i llohlräumcn.
Mik ro s k o |ii schc r Hef u ml (St ern borg): Straffes, kornartiges, osteoides
(iewebc*. spärliche KnochenbäIkclicn, besonders am Kiefer und Rippen, nirgends
Sarkom. Fs handelt sich demnach um einen starken Knochenabbau, Ersatz des
normalen l\ noehengewehes durch spongiöses, osteoides (iewebc, mit teilweise
nachträglicher Kalkablagenmg. Patho|ogi>che Frakturen. Keine Riesenzellen-
sarkome.
Im Anschluss an diese Demonstration teilte Kolisko folgende
Beobachtung mit:
22. o() jährige Pfründnerin. Starke Sehädelverdickung, bis ein. Charakte¬
ristische Veränderungen des Reckens. Bildung zahlreicher Cysten und weicher
Tumoren, die sich als Riesenzellcnsarknme herausstellten. Hochgradigste Rare¬
fizierung der Knochen mit Cortiralisverdiinnung.
Latzko betonte in der Diskussion, er habe den Kolisko’schen
Fall klinisch und röntgenologisch untersucht. Einen angeblich ganz
ähnlichen Fall sah er unter Phosphortherapie heilen. Er warnt
deshalb vor Identifizierung. Es handelte sich einmal um Riesen¬
zellensarkome bei Ostitis fibrosa, im anderen um Osteomalacie.
In seinem Atlas chirurgisch-pathologischer Röntgenbilder 1908
erwähnt Grashev folgenden Fall:
23. - r >4 j;ihritre Kranke. Vor 4 Jahren Schwäche in den Reinen, vor 1 Jahr
pathologische Fraktur beider Reine. Seitdem bettläi^eri^r. Das ganze Skelett
im Zustande hochgradiger Malaeie. Hat. schrumpft förmlich zusammen. Oie
Unterschenkel lassen sich wie die Glieder einer Lederpnppe biegen. Röntgen-
bilder eines Radius mit Cysten, zugehörige l Ina rarefiziert, poröse Längs¬
strichelung, unterbrochen durch kleine Zellinst*ln, eines Metacarpus. der einen
eystischen Hohlraum enthält, und schliesslich eines cystischen Riesenzeilrn-
sarkoms des 5. Metacarpus.
Joachimsthal berichtet 1911 folgenden Fall:
24. 10 jähriges Mädchen. Früher angeblich Rachitis, konnte bis zum
4. Lebensjahre schlecht gehen und wurde deshalb meist gefahren. Mit <» Jahren
linksseitige hohe Femurfraktur.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY 0F IOWA
L eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
25
lief und: Starke Verbi eirunden und Verkürzungen im Bereich der Ex-
tremitätenknochen. Linkes Bein 9 ein, link(*r Arm 7 cm kürzer als reehter-
seits. Beide Humeri unterhall) des Deltoideusansatzes abgeknickt. Yorderarin-
knoidien erscheinen verkürzt und mehrfach abgebogen, desgleichen das linke
Femur. Linker Fuss in starker Yalgusstellung. Am Thorax Einbiegung der
vordem) linken Hippenpartien.
Röntgen bcfund: Ausser den Abknickungen zahlreiche Aufhellungen in
beiden Humeri, Ulnae und Kadii, Metaearpen, Phalangen, Scapula, Clavicula
und mehreren Rippen, im Becken, linken Femur, in der linken Tibia und
Fibula: rechtes Bein wenig beteiligt.
Joachimsthal stellt auf Grund seines Befundes die Diagnose
auf Ostitis fibrosa, an Osteomalacie erinnernd, und sieht das Wesen
der Krankheit in einer gesteigerten Resorption und reichlicher Neu¬
bildung kalklosen osteoiden Gewebes, bei gleichzeitiger fibröser
Umwandlung des Knochenmarks.
1912 hat Fujii unter Kaufmann’s Leitung folgenden Fall
bearbeitet:
25. .‘ICjähriger Mann. Angeblich lange Zeit wegen rheumatischer Schmerzen
in poliklinischer Behandlung.
Klinische Diagnose; llumcrusfraktur, Kyphose, chronische Nephritis,
Degeneratio cordis, Küekenmarksaffektion. Unbekannte Todesursache.
Sekt ionshefund: Kurperlänge 1Ö1 cm, KörpergewicJit nur 44.IS kg.
Thorax flach. Zwei frischere (Juerfrakturen des linken Humerus in der oberen
und unteren Metaphyse. Fraktur des linken horizontalen Schambeinastes und
des rechten Femurhalses. Auf dem Durchschnitt zeigte letzterer verdicktes
Periost, spongiösen Knochenumbau, verschmälerten Markraum mit braunrotem
MVk, darin einzelne hellere Partien. Im rechten Humerus eine die Markhöhlc
einnehmende, 12.5 em lange, glattwandige Uvste mit klarer, leicht gelblicher
Flüssigkeit. Sehädelkapsel verdickt, porös, leicht und sehneidbar. Geringe Basis-
elevaiion. Thoraxskelett weich, sehneidhar. 1 in 2. Wirhelkürper glattwandige.
erhsengrosse Uvste mit klarem, gelblichem Inhalt. Gekrümmte Kippen, bucklige
Scapulae. Kochte Tibia verdickt. Mark meist pulpös. braunrot, mit stellenweise
dunkleren Partien, in letzteren holle, tumorartige Massen. Etwas Sehnabel-
hecken. Schilddrüse stark knollig. Nebennieren etwas vergrössert. Ilodcn-
parenchvm weich, blass.
Naehu n t ersuch un g an in Formalin hzw. Miiller'seher Lösung gehärteten
Knochen nach f> Jahren.
a) Schädel: I nverdiektes Periost und Dura ziemlich fest adhärent, so
dass heim Abziehen Knochenlcile haften bleiben. Die äussere Knoehenober-
flache rauh, porös, fleckweise hyperämisch. Nähte völlig geschwunden. Innen¬
fläche feinhöekrig, weniger dunkelrot. Gefiissfurehen sehr deutlich. Die bis
1.5 cm dicke Sägefläeho zeigt durchweg feinporige, dunkelrote Knochensubstanz,
die biegsam, weich, elastisch und sehneidhar ist.
b) Linkes Femur etwas verdickt, nach vorn und aussen gekrümmt, be¬
sonders an der verdickten Grenze zum unteren Drittel weich, biegsam, schneid¬
bar. Knorpelfläehe intakt. Periost unbeteiligt. Stellenweise etwas periostal-
gebildetes Knoohengewebe. Auf dem Durehnitt Umbau der Corticalis zu poröser,
Längsstreifen von rotbrauner Masse enthaltender, bis 1,5 cm dicker Spongiosa.
Im verengerten Markraum braunrote, derbe, fcsthaftcndc und gut ahgegrenzte
MarkimisM*. In den Epiphysen Koste von Kettmai k, (> cm unterhalb des Tro-
Digitized by Google
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
26 F. Lutsch,
chanter major in der spongiösen Kinde der Aussenseite mandelgrosse Cyste mit
weisslieh glänzender, glatter Wand.
e) Rechter Humerus nicht aufgetrieben. In der .Schaftmitte 12,ö cm lange,
die Markhöhle einnehmende glatt wandte Cyste unter verdünnter Knochenschale.
Cystenwand dünn, serosaartig glanzend, transparent: löst sich stellenweise vom
umgehenden Knochen, Gelenkknorpel ohne Veränderungen.
d) Rechte Tibia mit normalem Gelenkknorpel etwas verdickt. Sägefläehe
zeigt poröses Knochengefiige. Nach der Abbildung fehlt eine eigentliche Mark¬
höhle, nur in der Schaftmitte weissrotes, sonst Fettmark, hier strahlt ausser¬
dem aus der Cortiealis der Hinterseite eine bläulich weisse, ziemlich durch¬
scheinende knorpelähnliche Masse in den Markraum. Fibula ähnlich verändert,
ohne die knorpelähnliche Masse. Beide Knochen weich und biegsam.
e) Talus etwas grossporig mit Fet t mark.
f) Rippen durch Müller’srhe Lösung entkalkt zeigen dünne Compaeta und
derbe Markmasse.
Mikroskopisch: Spongiöser Umbau der Cortiealis, gefäss- und pigment-
reiches Fasermark zwischen den Knoehenbälkchen. Das Fasermark von ver¬
schiedenem Zellgehalt, stellenweis ödematös und mvxomatös. Kapillarhyper¬
ämie. Knochenabbau nur durch Osteoklasten, wenig freie Riesenzellen. Knochen¬
anbau durch mehr oder minder deutliche Osteoblasten. Osteoid« 1 Säume be¬
sonders am Schädel. Cystenwand aus streifig hyalinem, kern- und gefässarmem
Bindegewebe. Cystenentstehung auf Grund von Serienschnitten aus ödematös
gequollenem Bindegewebe wahrscheinlich. Blutungen sollen nur eine sekundäre
Rolle spielen. Nirgends Knorpel, auch nicht in der verdächtigen Tibiastellc.
Kein riesenzellensarkornartiges Gewebe.
Der Autor betont die Aehnlichkeit seines Falles mit der an
erster Stelle aufgeführten Beobachtung v. Recklinghausen’s
(66jährige Frau). Schon bei seiner ersten Demonstration dieses
Falles auf der Heidelberger Versammlung deutscher Naturforscher
und Aerzte im Jahre 1889 hat v. Recklinghausen diesen als
Tumor bildende Ostitis deformans bezeichnten Fall mit dem nach¬
folgend aufgeführten in Parallele gesetzt, den Virchow auf der
Berliner Naturforscherversammlung 1886 als allgemeine Hyper¬
ostose des Skeletts mit Cystenbildung demonstriert hatte.
26. Klinische Daten sind nicht vorhanden. Auch einen Sektionsbericht
habe ich nicht finden können. Das Tageblatt der Naturforseherversammlung
enthält einen kurzen Bericht, dem ich folgendes entnehme:
Skelett eines kürzlich zur Sektion gekommenen unbekannten Mannes.
Besonders bemerkenswert ist eine kolossale Hyperostose des Schädels. Hyper¬
ostose und Verkrümmung der Femura und des rechten Humerus, die einen auf¬
fallenden Gegensatz zu einer Atrophie und porösen rarefizierten Beschaffenheit
anderer Knochen, namentlich der oberen Rippen bilden. Die Krümmungen
rühren nicht von früheren Frakturen her. Im Knochenmark findet man an
diesen Stellen teils elfenbeinerne Tela ossea, teils Spongiosa, teils fibroeartila-
ginäro Inseln, Markgewebe und grosse Cysten in den Diaphysen. Die inneren
Organe zeigten keine auf Syphilis deutende Veränderungen. Virchow will den
Prozess, der der allgemeinen Hyperostose zu Grunde liegt, von den bekannten
ähnlichen, besonders den syphilitischen getrennt wissen; dagegen weist er auf
die Aehnlichkeit mit dem tardiven Riesenwuchs hin.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
27
Das pathologische Museum unserer Universität besitzt das inacerierte
Skelett (Präparat (55, 18S(j). Schädel, rechter Humerus und linke Unterschenkel¬
knochen siml aufgesägt, in Spiritus aufbewahrt. Das durch die Verbiegungen
sehr stark verkleinerte Skelett (s. Fig. 1) zeigt eine starke, rechtskonvexe
Kyphoskoliose der Brust- und eine Lordose der Lendenwirbelsäule, derart, dass
der linke Rippenbogen den höhergestellten linken Darmbeinkamm berührt.
Rechtsseitiger Kippenbuckel. Thorax seitlich etwas eingedrückt. 1. bis 3. Kippe
beiderseits am Angulus aufgetrieben, hohl. Die gesamten Knochen stark
porotiseh. Im 4. und 5. Brustwirbelkörper ausser Porose grössere Hohlräume.
Diaphvse des linken Humerus aufgetrieben, desgl. der rechte Radius in der
Gegend der Tuberositas und der zweite Metacarpus. Schiefes Becken. Hoch¬
stand der rechten Beckenhälfte. Blasige Auftreibung der rechten Darmbein¬
schaufel. Die dünne Knochenschale knittert. Starke hirtenstabförmige Ver¬
biegung beider Femora mit hochgradiger Adduktionsstellung, so dass die Ober¬
schenkel sich kreuzen; dabei liegt der linke vor dem rechten, die rechten
Femurcondvien sind mit ihrer Gelenkfläche ganz nach linksseitlich gerichtet.
Die unteren beiden Schaftdrittel sind um das 3 fache verdickt, unförmig, porös,
anscheinend hohl. Der rechte Trochanter major stark ausgeprägt. Das linke
Femur ist in seinem oberen Drittel entsprechend dem Scheitel einer nach aussen
und vorn gerichteten Krümmung aufgetrieben. Der linke Tibiaschaft ist in
seiner medialen Seite buckelig vorgewölbt, der 1., 3. und 4. linke, sowie der
1. und 3. rechte Metatarsus sind unförmig verdickt, porotiseh.
Die Spirituspräparate haben eine ausgesprochen grüne Färbung ange¬
nommen. Der Schädel (Präparat Goa, 1SS(5, s. Fig. 2 u. 3) zeigt hochgradigste
Hyperostose des Schädeldaches, das abgeflacht und asymmetrisch erscheint.
Leontiasisartige Hyperostose der linken Gesichtsseite, der Stirn, Orbita, des
Jochbogons und Oberkiefers, sowie des Planum temporale. Im linken horizon¬
talen Unterkieferast (‘ine längliche Auftreibung nach beiden Seiten. Sie ist
nicht aufgesägt, doch anscheinend cystiseh. Zähne gut erhalten. Infolge der
Hyperostose des linken Oberkiefers stellen die Zähne im linken Oberkiefer deut¬
lich tiefer als rechts.
Die Sägefläche des Schädeldaches (s. Fig. 3) zeigt einen homogen pomti-
tischen Bau und lässt weder die äussere und innere Tafel, noch die Diplnö
unterscheiden. An der breitesten Stelle am linken Stirnschläfcnwinkel misst
die Dicke 3,5 cm, am Hinterkopf 2,5 cm. Die Knochensubstanz ist zwar
weicher als normal, scheint auch etwas zu federn, doch lässt sie sich mit dem
.Messer nur streckenweise schneiden. Die Basis ist deutlich eleviert, die Schädel¬
kapsel erscheint stark abgcflacht.
Der Schädel zeigt ferner vorn an der Glabella eine rundliche Impression,
und an der rechten Schläfe eine rundliche etwa 9 mm grosse Perforation. Fs
soli sich um Sehussvcrlctzungen handeln.
Der rechte Humerus (Präparat (55 b, 1SS(5, s. Fig. 4) ist 34 cm lang und
zeigt in der Schaftmitte eine Auftreibung. Die Corticalis ist porös, der Mark-
raum durch Spongiosa erfüllt, deren Maschen zum Teil auch in grösseren zu¬
sammenhängenden Bezirken durch ein gleichmässig dichtes Bindegewebe erfüllt
sind, zum Teil noch Fettmark enthalten; besonders im oberen Drittel iiber-
wiegt das Bindegewebe und hier sicht man auf dem Längsschnitt mehrere glatt-
wandige bis haselnussgrosse Hohlräumo eröffnet, die innerhalb des Bindegewebes
gelegen sind.
Linke Tibia (s. Fig. 4) ist 43 cm lang. Nach vorn, aussen konvex ge¬
bogen mit Anschwellung in der Schaftnutte. Auf dem Längsschnitt poröse
Corticalis, besonders die Schaftmitte von zusammenhängenden bindegewehs-
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
28
F. Lot srh.
Digitized by
artigen Massen eingenommen, darin mehren 1 glatt wandige Hohlräume l>is zu
Pflaumengrösse.
Zur mikroskopischen Untersuchung wurden Scheiben von der Sägeflärho
des Sehädeldaehes (linker Stirnschläfenwinkel) und aus der linken Tibiamitte
entnommen. Trotz ihres Alters Hessen sich die Celloidinschnitte wenigstens
vom Schädel noch ausreichend gut färben.
Mikroskopischer Befund: Schon mit blossem Auge lässt das Präparat
vom Schädel umsehlossen von spongiöser Knochensubstanz einen grösseren
knochenfreien Bezirk erkennen, der einen scharfwandigen grösseren ilohlraum
in sieh sehliesst. Die Spongiosabälkchen zeigen zum grössten Teil einen sehr
unregelmässigen Bau. Die Knochenkörperchen liegen teils dicht gedrängt, teils
spärlich und ungeordnet. Das Knochengewebe erweist sieh als sogenannter ge¬
flechtartiger Knochen. Die Oberfläche ist stellenweise deutlich lakunär, an
anderen Stellen finden sich breiten 1 osteoide Säume. Das Mark zwischen diesen
Spongiosabälkchen ist durchweg ein derb faseriges, gefässreiches Bindegewebe,
stellenweise scheinen die auseinander gedrängten Bindegewebsfasern und Spindel¬
zellen mit roten Blutkörperchen infarziert. Besonders an abgeschlossenen klei¬
neren Maschenräumen sind Nester von deutlichen Kiesenzellen zu sehen, teil¬
weise entsprechen ihnen llowship'sche Lakunen. Pigment ist. nicht mehr nach¬
weisbar. In dem knochenfreien Bezirk ist die Kernfärbung sehr mangelhaft, so
dass das Gewebe wie nekrotisch aussieht. Immerhin sind noch deutliche Faser¬
strukturen zu erkennen, die auch dem Ilohlraum als Wand dienen. Die mikro¬
skopischen Schnitte von der Tibia haben fast keine Kernfärbung mehr ange¬
nommen. Man sieht nur ganz verschwindende Bestehen von Knochenspongiosa,
meist als Knochenscherbchen in einem faserigen gelassreichen Bindegewebe.
Biesenzellen sind nicht zu erkennen. Dagegen lässt sich die Durchfleehtimg
der einzelnen Bindegewebsfaserbündel noch nachweisen.
Dieser mikroskopische Befund erlaubt wenigstens die Diagnose einer hoch¬
gradigen Markfibrose, die sogar zu tumorartigen Fibrommassen unter Abbau der
Knochensubstanz im Markraum geführt hat.
Unzweifelhaft bietet der Schädel das Bild der Leontiasis ossea, während
die Verdickung der Extremitätenknochen, wie es scheint, mehr auf tumorartige
Fibrombildungen mit Cysten zuriiekzuführen ist. Der Skelettbefund macht auch
das Vorhandensein von grossen eystischen Hohlräumen, besonders in einigen
Wirbelkörpern wahrscheinlich. Cystenartige llohlräume kleineren Umfangs finden
sieh auch in dem spongiösen Gewebe des Sehädeldaehes. Kiesenzellensarkom-
artige Bilder fehlen, desgleichen Frakturen. Knorpelgewebe halte ich nicht ge¬
funden.
Eine ähnliche weitere Beobachtung veröffentlicht Albertin
im Jahre 1890:
27. Die 35jährige Frau wurde klinisch nicht beobachtet. Bei der Sektion
fand sich eine gleiehmässige Erweichung des Skeletts mit geschwiilslartiger Auf¬
treibung des rechten Humerus und Femurs, sowie beider Hüftbeine. Gelenke
frei. Epiphysen unbeteiligt. Auf dem Durchschnitt cystenartige llohlräuinc,
besonders im Femur. Dadurch Aussehen eines grosslöcherigen Siebes.
Mikroskopisch: Fasermark, Knochensehwund, Cystenbildung durch Ver¬
flüssigung der Marksubstanz. Biesenzellcnsarkome nicht gefunden.
Ich lasse einen Fall von Gottstein folgen aus dem Jahre 1907:
28. 11 jähriges Mädchen. Im 4. Lehensjahre plötzlich zusammengeknickt,
dabei Oberselienkelfraktur. Seitdem vielfach pathologische Frakturen der Arme
und Beine. Stets glatte Frakturheilung. An Händen und Schädel entstanden
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
29
sehr starke Verdickungen. Cystischc Degeneration des ganzen Knoetiensystems
infolge von Ostitis fibrosa.
Im Jahre 1911 veröffentlichte Klestadt nachfolgende Beob¬
achtung:
29. 35jähriger Mann. Keine Rachitisanamnese, nur seit Kindheit grosser
Schädel. Mit 14Jahren pathologische Fraktur des rechten Oberschenkels.
Sehr langsame Konsolidation. Starke Verkrümmung des linken Unterschenkels
in den folgenden 2 Jahren unter massigen Schmerzen, macht das Gehen fast
unmöglich.
Der damalige Bef und der Erlanger chirurgischen Klinik lautet: Asymmetrie
des Schädels und Gesichts, Pectus carinatum, leichte Skoliose, deform geheilte
Fraktur des rechten Oberschenkels im unteren Schaftdrittcl mit 2,5 cm Ver¬
kürzung. Links Genu valgum und kompensierender Pes varus. Erfolglose
wiederholte Osteotomie links und osteoklastische Stellungskorrektur rechts.
6 Monate später Fraktur des linken Unterschenkels durch Fall auf ebenen
Boden. Heilung in 11 Wochen. 15 Jahre „gesund“. Dann Fraktur des rechten
Oberschenkels durch Fehltritt. Heilung in 14 Woehen. Seitdem intermittierende
.rheumatische" Schmerzen in den Reinen, besonders bei Witterungswechsel.
Müdigkeit.
Befund im 35. Jahre: Wassermann'sehe Reaktion negativ. Innere Organe
o. B., auch Nervensystem. Viereckige asymmetrische Kopfbildung. Hirnschädel
überwiegt, rechte Seite* grösser. Nähte und verknöcherte Fontanellen als Furchen
fühlbar. Oberfläche im ganzen glatt. Keine Kopfschmerzen. Geringe Kypho¬
skoliose. Affenhaltung. Schulter- und Beckenknoehen o. B. Rechtes Bein
dünner als das linke bei gut entwickelter Muskulatur. Am rechten Oberschenkel
zwei nach aussen und vorn konvexe Verbiegungen im oberen und mittleren
Drittel. Daselbst Knochenauftreibung. Rechtes Unterschenkel- und Fussskelctt
gracil, sonst o. 13. Linkes Bein länger, stark entstellt, am Oberschenkel nach
vorn und aussen konvexe Verbiegung zwischen mittlerem und unterem Drittel.
Der verdickte linke Unterschenkel nach hinten ausgebogen mit stark verdickten,
höckerigen Knickungen oben und unten. Auftreibungen im oberen Drittel der
linken Fibula. Keine Druckschmerzhaftigkeit. Spontan ziehende Schmerzen
besonders im linken Unterschenkel, schwinden auf Bettruhe.
Röntgenbefund: Ausgedehnte Cysten der linken Unterschenkelknoehen,
mit Ausbuchtung der verdünnten Knochenschale. Persistierender wabiger Callus
an den Osteotomie- bzw. Knickungssteilen. Rechter Oberschenkel hirtenstab¬
förmig deformiert, wabenartige Zeichnung. Compacta der Diaphysen erhalten.
An der Bicgungsstelle des linken Oberschenkels cystenartige Aufhellungen mit
netzartigen Schatten. Cortiealis stellenweise verdünnt. Schädeldach gibt dichteren
Schatten, Aufhellungen im Scheitelbein. Sonstiges Skelett, nicht als verändert
beschrieben. Keine histologische Untersuchung.
Ein sehr ausgesprochener Fall wurde von Gaugele 1906 bzw.
1907 mitgeteilt:
30. Beim Exitus 30jährige Frau. Kamilienanamnese o. B. Im 12. Lehens-
jahre Schliisselbeinbrueh, stets schwächlich, blass, schlechte Fussgängerin. Zwei
Partus. Das erste Kind, 14jährig, völlig gesund und kräftig, das zweite nach
t> Monaten an Zahnkrämpfen gestorben. Krankheitsbeginn im 2S. Lebensjahre.
Nach Fall von einem Stuhl hohe linksseitige Oberarmfraktur. Heilung mit Ver¬
kürzung und Winkelstellung in 11 Wochen. Danach allmähliche, ziemlich schmerz¬
hafte. weiche Auftreibung der rechten File. Mit 30 Jahren pathologische Fraktur
des rechten Oberarms. Heilung in guter Stellung in 2 Monaten. Während-
Digitized by
Go gle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
30
F. Lots eh.
Digitized by
dessen Fraktur der rechten Ulna an der Anschwellung. Heilung langsam,
schmerzhaft. I nter dem Uallus wird der Tumor wieder hart. Schmerzhafte
Auftreibung am rechten Schienbein, die schliesslich bläulich durch die Haut
schimmert und deutlich fluktuiert. Punktion ergibt klare, gelbe Flüssigkeit.
Nach Fall Fraktur des rechten Unterschenkels an der verdickten Stelle und
gleichzeitig des rechten Oberarms. Im Bett Fraktur des bereits schmerzhaften,
aber nicht nachweislich verdickten linken Oberschenkels. Heim Transport in
die Klinik trotz fast totalen (iipsverbandes Einknickung des rechten Humerus
an der alten Bruchstelle.
Klinischer Befund im 30. Lebensjahre: Anämie, schlechter Ernäh¬
rungszustand, linker Humerus oben winklig abgeknickt, rechter Humerus mit
Frakturcallus an mehreren Stellen, eine noch abnorm beweglich. Hechte Ulna
an der Grenze zum unteren Drittel auf das Doppelte verdickt. Linker Ober¬
schenkel im oberen Drittel an der noch beweglichen Frakturstelle nach innen
konvex gebogen. In der Mitte des rechten Ober- und Unterschenkels deutliche,
feste, etwas druckempfindliche Knochenauftreibung. Bei der Entlassung 1902
Besserung, vor allem der Schmerzen und Erzielung von Oehfähigkeit an Krücken
(Phosphor. Arsen. Calcium citricum). Nach kaum l ; 2 Jahr wieder schlechterer
Allgemeinzustand unter Heissen. Yergrosserung und Erweichung der Geschwülste
der rechten Ulna und pathologische Kefraktur. Langsame Heilung unter Ban¬
dagen. 1903 Schmerzen im rechten Bein, pathologische Fraktur des rechten
Femurs, seitdem gehunfähig. 1904 starke Biegsamkeit und Erweichung der
Kippen. Becken ohne Veränderung. Starke Abmagerung.
Küntgenbefund: Fleckige Zeichnung und Höhlenbildung, deutliche Karefi-
kation, zum Teil völlige Strukturlosigkeit. Grössere Verkrümmungen wurden
durch orthopädische Apparate verhütet. Zuletzt jahrelang ans Bett gefesselt.
Exitus nach 3tägiger Agonie unter urämischen Symptomen 1907 nach 8jährigem
Bestand der Krankheit.
Klinische Diagnose: Ostitis fibrosa (v. Keeklinghausen).
Sektionsbefund (Lubarsch): Sehr kleine weibliche Leiche, starke Ab¬
magerung, Muskelschwund, graciler Knochenbau. Linker Humerus nahe dem
Gelenkkopf seitlich abgeknickt: in der Diaphvsc des rechten nach aussen ge¬
krümmten Humerus mehrere Knochenauftreibungen, oberhalb des Ellbogengelenks
abnorme Beweglichkeit, ebenso wie an mehreren Stellen des rechten Vorder¬
arms und an den Unterschenkeln dicht unter dem Kniegelenk. Schaftmitte des
rechten Oberschenkels aufgetrieben und abnorm beweglich. Im oberen Drittel
des linken Femurs seitlich konvexe Krümmung. Sternum, Hippen und Wirbel¬
körper weich, leicht schneidbar, blutreich, porös, mit wabenartigen Höhlen durch¬
setzt. Hippen zum Teil nach innen geknickt, leichte Skoliose und Lordose der
Lendenwirbelsäule. Beekenknochen weich, schneidbar. Auf der Schnittfläche
dunkelrot mit erbsengrossen Höhlen durchsetzt. Die obere Metaphysc des linken
Oberarmes spindelig aufgetrieben, darunter bindegewebig vereinigte Fraktur.
Oberfläche rauh mit ovalen Corticalisdefekten. Auf dem Sägedurehschnitt Corti-
calis sehr dünn bis 3 mm. mit einigen weissliehen Fortsätzen gegen die Mark-
substanz. Im oberen Drittel multilokulare Cyste mit Septcn, weisslieher Wand
und klarer oder bräunlicher Flüssigkeit. Darunter ein beweglicher, festweicher,
gelbliehweisser Körper. In der frakturierten Schaftmitte des rechten Femurs
5 Höhlen mit meist bräunlicher Flüssigkeit. Wandung vielfach rostfarben. In
der untersten Höhle dunkelbraunrote feste Massen. Die Fraktur im oberen
Drittel in knöcherner Heilung. In der Umgebung rostbraune und gelbliehweisse,
zum Teil knöcherne Spangen. Cortiealis sehr dünn. Knochenmark weich,
dunkelrot, in den Epiphysen Eettmark. Femurkopf weich, eindriiokbar, mit un-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
31
veränderter Knorpelfläche. Knicgelenksknorpelfläehe etwas usuriert. Tibia-
Cortiealis verdünnt, innen Fettmark, nur in der Diaphysenmitte dunkelbraune
und weisse Massen mit Frakturen. Fibula dünn mit bindegewebig geheilter
Fraktur. Periost vielfach rostbraun, überall leicht abziehbar. Schädeldach bis
11 mm dick, elastisch, zusammendriiekbar, Oberfläche uneben. Nähte ver¬
strichen. Dura adhärent, so dass beim Abziehen Knorhcnstiicke hängen bleiben.
Deut liehe Gefässfurchen.
Mikroskopisch: Fasermark zum Teil zell- und gefässarm, zum Teil
zell- und gefässreich. Starker lakunärer Knochenabbau durch Osteoklasten und
spongiöser Anbau, zum Teil mit deutlichen Osteoblasten, reichlich Pigment,
grössere Fasermarkbezirke ohne Knochenreste mit reichlich zum Teil pigment¬
haltigen Kiesenzellen. Fasermark hier besonders zell- und pigrnentreich (rieson-
zellensarkomartig). Höhlenwand aus sklerotischem Bindegewebe mit innerem
zell- und pigmentreichem Saum. Kiesenzellen zum Teil wie Deckzellen auf der
freien Innenfläche. Inhalt teilweise mit der Wand organisch verbunden, aus
körnig homogenen Massen, Fibrin, Erythrocyten, Hämosiderin in Schollen und
in Zellen, ln der Wand der grösseren Höhlen noch Spongiosabälkchen mit
starker lakunärer Resorption und Kiesenzellen. Befund von grampositiven
Streptokokken als Verunreinigung gedeutet.
Ein sonderbarerweise völlig vergessener Fall ist 1887 von ßra-
mann aus der v. Bergmann’schen Klinik als cystische Degenera¬
tion des Skeletts auf dem Chirurgen-Kongress demonstriert worden:
31. 34jährige Frau aus gesunder Familie. Seit 0 Jahren Magenkatarrh,
Caries und Ausfall aller Zähne innerhalb kurzer Zeit. Drei normale Partus.
Während der dritten Gravidität „rheumatische'* Schmerzen in den Beinen, be¬
sonders im rechten Oberschenkel, die mit Beendigung der normalen Geburt ver¬
schwinden. Während der vierten Gravidität (1SS4) heftige Schmerzen, die das
Gehen sehr erschweren. Frühgeburt im 7. Monat; im Gegensatz zu den früheren
Partus langwierig und schwer. Schweres Wochenbett, hochgradige Schwäche
und Unsicherheit in den Beinen. Ausser Schmerzen in Oberschenkeln und
Knien noch heftige Schmerzen im Kreuz. Januar lSSf>, 6 Wochen nach der
Frühgeburt, durch Ausgleiten im Zimmer sehr schmerzhafte, rechtsseitige, hoho
Obcrschenkelfraktur, die im Strcckverband mit erheblicher Verkürzung heilt.
Bein bleibt unbeweglich. Erneute heftige Schmerzen mit Fieber und Durch¬
fällen Januar 1 SStj in beiden Beinen, unter ziemlich erheblicher Schwellung.
Wenige Tage später auch schmerzhafte Schwellung über dem linken Handgelenk,
die nach spontaner Fraktur allmählich wieder schwindet. Beim stets schmerz¬
haften Umhetten Fraktur des linken Oberschenkels, danach geht vorübergehend
auch hier die Schwellung zurück. Am rechten Oberschenkel und beiden Tibien
nimmt sie zu, anscheinend ohne Fraktur, biegsam und federnd. Es folgt schmerz¬
hafte Schwellung des oberen Drittels des linken, später dos rechten Oberarmes,
die zu pathologischen Frakturen führt. In völlig hilflosem Zustand, unfähig
Beine und Arme zu bewegen, kam sic in die v. Bergmann'sche Klinik.
Klinischer Befund: Sehr elende abgemagerte Frau, „in sich zusammen¬
gesunken“ in halb sitzender Stellung im Bett. Kücken stark gekrümmt, Kopf
vornübergebeugt. Unterer Beckcnabsehnitt zusammengeschoben. Starkes Oedem
der Beine, besonders rechts. Oberschenkel in starker Adduktion, nach vorn
konvex gekrümmt. Der rechte Femurschaft stark verdickt, an zwei Stellen ab¬
norm beweglich, ohne Krepitation. Am linken, wenig aufgetriebenen Femur in
der Schaftmitte Pseudarthrose nach Fraktur. Beide Tibien in der oberen Hälfte
stark, besonders nach der Wade zu aufgetrieben, nach vorn konvex gekrümmt.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
\
32 F. Lotseli,
Knochen hier biegsam lind federnd. Linker Humerus im oberen Drittel ohne
Auftreibung abgeknirkt und abnorm beweglich. Am linken Radius im Beginn
des unteren Drittels Grube und Dislokation nach ulnar- und volarwiirts. Rechtes
oberes Humerusdrittel stark aufgetrieben, sehr sclnner/haft. Fraktur erst einige
Wochen später beim Lmbetten. Nach den Frakturen nahmen die Anschwel¬
lungen stets etwas ab. (Zystitis. I’mbetten wegen der starken Schmerzen nur
in Narkose möglich. Exitus unter Erscheinungen von schwerem Darmkatarrh
mit enormem Icterus.
Diagnose: Osteomalacie. Gegen Pagct’s <)stitis deformans wird ange-
führt die fehlende Hyperostose des Schädels und der langen Röhrenknochen,
vor allem die multiplen Spontanfrakturen, die in den 12 Fällen Paket s und
in dein V i re li o w‘s trotz der Cysten fehlten: gegen multiple bösartige Knoehen-
tumoren das Fehlen sonstiger Metastasen und der Rückgang der Knochcnauf-
treibung nach der Fraktur.
Scktionsbefund: Schädel o. H. Rippen. Wirbel uml Becken sein* weich,
sehneidbar, mit sehr dunklem, blutreichem Mark. Rechtes Femur in totu stark
verdickt und aufgetriehen. An beiden (irenzen des mittleren Drittels Pseudo¬
arthrosen. Auf dem Durchschnitt unter der schalenförmig aufgetriebenen, ver¬
dünnten Corticalis bzw. unter dem Periost festhaflende, weiblich bis dunkel¬
braune derbe Masse mit zahlreichen erbsen- bis walnussgrossen, glattwandigen
Cysten. Cystenwand nicht vom umgebenden Gewebe abziehbar. Inhalt gelb-
klare seröse Flüssigkeit, mit einigen Gerinnseln ohne (ieschwulstelemente. Das
linke Femur enthält auf dem Durchschnitt, fern von der Frakturstelle, eine
walnussirros.se Cyste neben mehreren kleinen an der Frakturstelle. Beide Humen
und linker Radius gänzlich osteoid umgebaut. In beiden oberen Humerusmeta-
physen und der Frakturstelle des Radiusschaftes mit frischem Bindegewebe er¬
füllte Hohlräume. Beide Tibien im oberen Drittel auf das doppelte Volumen
aufgetrieben. Corticalis vorn erhalten, hinten 2 ein breiter Spalt, aus dem sich
das cystenreiche Gewebe gegen die Wade zu vorwölbt und zum Teil zwischen
Corticalis und Periost liegt.
Mik rnskopisch: Weitmaschige, osteoide Spongiosa mit gefässroiehem
Fasermark, Blutungen und Pigment, sowie zahlreichen Riesenzellen. Die (Zysten¬
wand aus dichten, fast konzentrischen Bindegewebsfasern gebildet, die nach
aussen in das osteoide Gewebe übergehen. In der Knoehenschale weite Havers-
sehe Räume und lockerer Lamellenbau. Cystenbildung aus osteoidem Gewebe
oder aus Blutergüssen.
ßramanD bezog die kolossale Entwicklung des osteoiden Ge¬
webes auf den Reiz der Kontinuitätstrennung des osteomalaciseh
veränderten Knochens. In der Diskussion erwähnte v. Volkmann,
er habe einen ähnlichen Eall vor langen Jahren beobachtet.
Ich schliesse die Literaturübersicht der typischen Fälle mit
dem vielfach citierten merkwürdigen Fall Froriep’s aus dem Jahre
1840, bei dem die Cystenbildung das Krankheitsbild beherrscht:
32. Skelettpräparate einer Frau, r die mehrere .Jahre lang an unbedeutenden
rheumatisch erscheinenden Schmerzen gelitten hatte, nachher Gelenkauftreibungen
mit teilweiser Störung der Beweglichkeit, endlich durch einen Fehltritt auf einer
Treppe eine Fraktur der Tibia bekam und durch das nachfolgende Fieber in
wenigen Tagen hingerafft wurde**. Bei der Sektion fand sieh an den inneren
Organen keinerlei krankhafte Veränderung, dagegen das Knoehcnsystcm an den
verschiedensten Stellen mit Anschwellungen besetzt, deren verschiedene Natur
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
33
dennoch einen inneren Zusammenhang erkennen liess. „Es war eine über das
ganze Knochensystem verbreitete Hvdatidenbildung/
Froriep unterscheidet drei Stadien des Krankheitsprozesses:
1. Auflockerung und Rötung des Knochengewebes mit Sandkorn- bis
erbsengrossen Wasserbläschen, darin farbloser wasserklarer oder etwas
gelblicher, sehr eiweissreicher Inhalt.
2. Vergrösserung der Cysten auf Kosten des rarefizierten Knochens,
Konfluenz mit Leisten und Scheidewänden unter starkem Knochen¬
schwund, so dass zuweilen nur die feste, durch die vorangegangene
Reizung etwas verdickte Knochenhaut erhalten bleibt.
«5. Umwandlung der Cysten in kompakte Geschwülste durch Entwicklung
bimförmiger Zöttclien auf der zuerst völlig glatten Cystenwand.
Befallen waren Schädel, Tibia mit Fraktur, rechtes Femur, linker Humerus,
beide Ulnae (links kindskopfgrosse multiloeuläre Cyste), beide Darmbeine, Rippen.
Yirchow (Akademierede 187(>), der den Fall naelmntersuehte, teilt ergänzend
mit, dass auch der Unterkiefer eystisch erkrankt war, was er als besonders be¬
merkenswert bezeichnet, weil dadurch bewiesen wird, dass nicht alle Kiefer¬
cysten aus Zahnkeimen abzuleiten sind. Froriep erwähnt den völligen Um¬
bau des Knochens. Am Schädel fand er durchweg poröses Gefüge, keine Tabula
externa und interna mehr kenntlich, nur vereinzelte Stellen der Externa Messen
noch dichtes Gefüge erkennen. Periost und Dura rnater normal. Froriep er¬
wähnt ferner Sugillationen und Blutaustritte, die derbe und mürbe Beschaffen¬
heit des Knochenmarks in der Umgebung der Cysten infolge entzündlicher
Reizung, weissliehe fibröse und sarkomatüs rötliche Geschwulst teile, Schneid¬
barkeit der Tumoren, Pergamentknittern der dünnen Knochenschale. Auch
macht- er auf die an Osteomalacic erinnernden Beckenveränderungen aufmerksam.
Die Ausdehnung des Knochens durch die Cysten könne nicht die Folge des
mechanischen Druckes sein, weil sonst notwendigerweise die Knochenstruktur
an der Cystenperipherie nicht derart locker wäre. Mitteilenswert ist auch
folgende Stelle: „Ausserdem ist aber die Masse der spongiösen Knoehensubstanz
im Vergleich zu dem normalen Verhältnisse des Knochens so beträchtlich ver¬
mehrt, dass sich deutlich licraussteilt, wie unrichtig die gewöhnliche Ansicht
ist, wonach die Knochensubstanz durch die Entwicklung von llydatiden rein
mechanisch auseinander geschoben werden soll. -
Diesen Froriep‘sehen Fall hat Yirchow nachuntersucht und seine Be¬
funde für seine Theorie von der Entstehung der Knochencysten aus Enelion-
dromen mit verwertet. Es fiel ihm dabei auf, dass die Uysten zum Teil in der
Mitte der Diaphyse lagen, wo seines Wissens nie ein Enehondrom beobachtet
worden ist. Mikroskopisch fand sich das Knochengewebe in grosser Ausdehnung
in dichte, teils faserige, teils blättrige Massen umgewandelt, die «aus festen
dichten Geweben von faserknorpliger Beschaffenheit bestehen“. Hyaliner oder
eigentlicher Xetzknorpel fand sieh nirgends, nur Faserknorpel oder Bindegewebe,
ln der Umgebung dieser Herde sah Yirchow dichte Netze unverkalktor Spon-
giosabälkehen mit faserigem Mark. Die Aehnlichkeit mit dem Befunde an den
Wandausläufern der von ihm beschriebenen und berühmt gewordenen solitären
Humeruscyste erwähnt Yirchow ausdrücklich. Das Bindewebe der Uysten-
wände war «voll von grösseren Spindelzellen und an nicht wenigen Stellen so
erfüllt mit vielkernigen Riesenzellen, dass es den Habitus des Sarcoma giganto-
ccllulare erlangt“. Die reichlichen Blutgefässe, besonders die Kapillaren waren
weit und letzten 1 hatten eine verdickte Wand. Die Entstehung der Uysten
hütete Yirchow ab aus einer Erweichung der Wand, er fasst diese als Faser¬
knorpel auf, sagt aber weiter, dass die blättrige Beschaffenheit der faser-
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. 3
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
u
F. Lot sch,
Digitized by
knorpligen Lagen sich lange erhält und dadureh stellenweise eine an Echino¬
kokken erinnernde Streifung zeigt. Bost rum (Zur Pathogenese der Knochen¬
cysten. Festschrift d. Xaturfurseherversamml. IS So. S. 109) fand bei der Nach¬
untersuchung der im Erlanger pathologischen Museum befindlichen Tibia des
Froriep'sehen Falles trotz schlechter Kernfärbung osteoide Säume, vielleicht
auch V i rch ow'sehen Kaserknorpel.
Teilt* des Skeletts, besonders Becken. Lina und Kippen befinden sich im
hiesigen pathologischen Museum in Spiritus aufhewahrt (Präparat Nr. 1145
bzw. 5(16). Das Beckenpräparat hat sich makroskopisch besonders schön er¬
halten (s. Fig. 5) und zeigt oberhalb der rechten Hiiftgelenkspfanne eine grössere
niultilociiläre Cyste, deren Wand zum Teil noch deutlieh bräunlichrot gefärbt
ist. Die Oberfläche ist zumeist glatt, doch finden sich auch in der Abbildung
sichtbare feinste kreideartige Höcker, an einzelnen Stellen zu Konglomeraten
vereinigt. Auf der Sägefläehe durch das Acetabulum sicht man in der spon¬
giösen Substanz grössere unregelmässig begrenzte, weissliehe llerde. Der Knorpel¬
überzug der Pfanne ist nicht krankhaft verändert.
Ich habe zur mikroskopischen Nachuntersuchung Stücke aus dein Becken
entnommen. Sie wurden nach Entkalkung in lOproz. Salpetersäure in Celloidin
eingebettet und die Schnitte mit Hämalaun-Eosin gefärbt. Schon mit blossem
Auge sieht man im Centruin des Schnittes mehrere gefächerte, grössere und
kleinere llohlräume. in einiger Entfernung von der Wand feine dünne Knoehen-
bälkehen. Die Kernfärbung ist besonders nach Beizung mit Eisen-Hämatoxylin
nach Ben da noch ausreichend deutlich. Im ganzen Präparat findet sich kein
Fett- oder Lymphmark mehr. Das mikroskopische Bild wird durchaus be¬
herrscht von faserigem Bindegewebe, dessen Zell- und (iefässgehalt wechselt.
Dieses Fasergewebe füllt überall die vergrösserten Maschen der dünnen Spon-
giosabälkchen. die verschmälert und unregelmässig begrenzt, zum Teil nur als
Seherbehen übrig gebliehen sind. Die Begrenzung gegen das unveränderte
Periost bildet ein einziges schmales, parallel gestelltes Knochenbälkchen
(s. Fig. 6); an anderen Stellen slösst das Fasermark direkt an das Periost.
Hier finden sich herdweise in kernreichem Bindegewebe deutlich erkennbare
freie Kiesenzellen, vielfach liegen die letzteren in einem kleinen Hohlraum, der
aller Wahrscheinlichkeit nach ein Kunstprodukt und durch Schrumpfung ent¬
standen ist. An diesen Stellen hat das Gewebe durchaus den Charakter des
Kiesenzellcnsarkoms (s. auch den Befund Yirehow's). In dem cystentragenden
Centrum des Schnittes fehlen die Spongiosareste in grösseren Bezirken ganz.
Das faserige Bindegewebe wird hier in ziemlich unvermittelten Uebergängen
plötzlich kernarm. inaschig, die dünnen Fasern auseinander gedrängt, die
grösseren teils schmalen Zellen werden sternförmig. Dieses üdematüse Gewebe
hat durchaus myxomartigen Charakter (s. Fig. 7). Die grösseren derartigen
Flächen zeigen im Innern einen ziemlich scharf begrenzten Hohlraum, kleinere
sind noch durchweg mit dem myxomartigen Gewebe erfüllt; wieder andere
Stellen zeigen Hohlräume, die nach aussen direkt an derbfaseriges Bindegewebe
grenzen. Die Spongiosabälkchen halten sich meist in einiger Entfernung der
Cysten, nur vereinzelt bildet ein quergestelltes Bälkchen eine Strecke weit die
direkte Begrenzung des Hohlraumes. Ein anderer Schnitt zeigt besser erhaltene
Tinktionsfähigkeit. Er enthält die Wand eines grösseren Hohl raumes (s. Fig. S
u. 9). Die Wand besteht innen aus einer dicken Lage derbfaserigen Binde¬
gewebes, die dicken balkenartigen Fibrillen sind parallel angeordnet, enthalten
nur spärlich langgestreckte Kerne und sehr wenig Gefässe. Zwischen den
Fibrillen sieht man quere Verbindungsstücke. An einem Wandabschnitt zeigt
sieh zwischen der festgefügten streifigen Wand ein mittlerer etwas lockerer
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITY OF IOWA
Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
35
Streifen. Bei flüchtiger Betrachtung hat die Wand mit ihrer ausgesprochenen
Streifung entschiedene Aehnliehkeit mit einer Parasifenmembran (s. Virchow’s
Befund). Nach aussen folgt eine stellenweise mächtige Lage von Pigment, das
zum kleineren Teil in Schollen freiliegt, zum grösseren Teil als körniges braunes
Pigment in Zellen eingeschlossen ist. Dann folgt eine Zone faseriges, zum Teil
gefässreiches Bindegewebe, das sich auch in den Maschen des rarefizierten alten
Knochengewebes findet. In den erweiterten Havcrs'sohen Räumen sieht man
vereinzelt Osteoklastennester und zum Teil sehr weite Gefässlumina. deren Wand
aus einer einfachen Endothellage zu bestellen scheint. Osteoide Säume fehlen
fast gänzlich, desgl. Osteoblasten. An einer Stelle stösst das Fasermark direkt
au das unveränderte Periost. Das Fasermark enthält hier grosse pigmenthaltige
Zollen. die jedoch nicht mit Sicherheit als Riesenzellen zu erkennen sind. Auch
freies körniges Pigment ist vorhanden. Die benachdarten Knochenränder zeigen
ausgesprochene Resorptionsflächen mit Lakunen ohne Riesenzellen. Das Periost
ersrheint auch hier unverändert. Knorpel fand sich in keinem der Schnitte.
Nach diesem Befunde darf, wie schon v. Recklinghausen
in seiner letzten Arbeit will, der Fall Froriep’s als histologisch
sichergestellte Ostitis fibrosa bezeichnet werden.
Dem mitgeteilten Froriep’schen Fall ähnelt in vielen Punkten
die nunmehr aufzuführende eigene Beobachtung:
33. Fräulein Paulinc R. Ohne Reruf. 51 Jahre. Aufirennminen am
14. 7. 1913.
Anamnese: Vater an Altersschwäche mit f>2 Jahren, Mutter nach
5 jährigem Krankenlager im Alter von 49 Jahren an Unterleibskrebs gestorben.
Von 7 Geschwistern starben eine Schwester mit 3 Jahren an Diphtherie, eine
zweite mit 18 Jahren an Blutarmut und Herzschwäche, ein Bruder mit 28 Jahren
an Herzschlag. 4 Geschwister leben und sind angeblich gesund.
Von erblichen Krankheiten der Familie ist nichts bekannt. Pat. wurde
mit Muttermilch genährt und galt als kräftiges Kind. Sie lernte erst mit
l 1 2 daliren laufen, angeblich weil sie zu dick war. Englische Krankheit soll
nicht bestanden haben. Von Kinderkrankheiten blieb sie verschont und galt
bis zum 18. Lebensjahre als durchaus gesund. «War sehr fix auf den Beinen“.
Nach schwerem Heben soll im 19. Lebensjahre unter starken Schmerzen
mitten im Rücken ein «kleiner Buckel“ aufgetreten sein, der unter Massage und
Hitzeeinwirkung nach kurzer Zeit wieder verschwand.
Infolge bestehender Abneigung gegen Zwiebelgeschmack trat bald darauf
(1SS0) starkes Ekelgefühl bei einer Mahlzeit auf. Pat. erregte sich angeblich
sehr stark dabei, es schmeckte ihr seitdem alles bitter, schliesslich stellte sich
völlige Appetitlosigkeit ein. Im direkten Anschluss daran entstand eine schwere
Erkrankung an „Nervenfieber“, die sie 7—8 Wochen lang zur Bettruhe zwang.
Schüttelfröste wechselten mit hohem Fieber, zeitweise bestand angeblich sogar
Bewusstlosigkeit. In der Rekonvaleszenz fielen die Haare aus: die Zähne wurden
sehr schnell stockig und fielen gleichfalls fast sämtlich bis auf einen Backenzahn
aus. Die Beine blieben geschwollen, so dass sie nur unterstützt mühsam gehen
konnte. Die seit dem 15. Lebensjahre regelmässige Menstruation blieb 1 2 Jahr
lang aus. Die Schwellung der Beine und die Menstruationsstörung schwanden
unter Behandlung mit heissen Bädern nach V 2 Jahr. Pat. erholte sich nun¬
mehr gut, war auf dem Lande, nur blieb etwas Blutarmut bestehen, vor allem
aber hatte sie unter häufigen krampfartigen Magenschmerzen zu leiden, die sich
besonders in der kalten Jahreszeit steigerten. Sie musste zeitweise Diät ein-
halten, auch wurde die Magengegend elektrisiert. Anfang Dezember 1901 sti«*ss
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
36
F. Lotse h.
Digitized by
sic* mit dom rechten Ellbogen heftig gegen eine* Wand (sio war damals als
Köchin in Stellung), der rechte Arm fiel kraftlos herunter, Pat. wurde vor
Schmerzen ohnmächtig. Vom Arzt wurde eine Sehncnzerreissung diagnostiziert
und eine Operation vorgesehlagen. Nach vierwöchigem, mehrfach gewechseltem
Schienenverband in Streckstellung war der rechte Oberarm stark geschwollen
und schmerzhaft, das Ellbogengelenk steif und musste im Krankenhaus durch
gewaltsame Biegung, Bäder und Massage wieder beweglich gemacht werden.
Die liegend des rechten Oleeranon war nach der Abschwellung deutlich flacher
als links. Die Röntgendurchleuchtung liess nichts Krankhaftes erkennen. Gleich¬
zeitig wurde das Magenleiden erfolgreich mit Lichtbestrahlung, Duschen, Voll¬
bädern und Diät behandelt (7. Januar bis 29. März 1902). Bei der Entlassung
Ende März 1902 war der rechte Arm wieder wie früher gebrauchsfähig. Das
Magenleiden nach langjährigem Bestehen endgültig geheilt.
Die vorstehenden Angaben verdanke ich grösstenteils der uns giitigst in
Abschrift zur Verfügung gestellten Krankengeschichte des Krankenhauses Gross-
Lichterfelde.
Wegen „Influenza" wurde Pat. im Herbst 1902 wiederum mehrere Wochen
im gleichen Krankenhause behandelt. Sie hatte in der Zwischenzeit viel durch-
geinacht. Die lange Krankheit der Mutter, die nachteilig veränderten Ver¬
mögensverhältnisse, der Tod der IS jährigen Schwester und des 28 jährigen
Bruders hatten sie psychisch sehr mitgenommen.
In den Jahren 1902 —1907 bemerkte Patientin, dass ihre Kräfte allmählich
naehliessen. Sie litt bisweilen an „Reisson". Wegen der zunehmenden Schwäche
wurde sie von einem Arzt angeblich mit Einspritzungen in den Nacken be¬
handelt. Die Injektionen erfolgten jeden zweiten Tag. Nach der Einspritzung
fühlte sich die Patientin angeblich etwa 2 Stunden lang wie gelähmt.
Eine Besserung wurde nicht erzielt. Pat. ging deshalb im März 1907
auf Anraten ihres Arztes in das Charlottenburger Krankenhaus Westend.
Es bestanden starke Gebärmutterblutungen, die trotz Bettruhe nicht auf¬
hörten. Sie wurde deshalb während des Krankenhausaufenthaltes angeblich
zweimal im Laufe von 14 Tagen auf der chirurgischen Abteilung in Narkose
eurettiert. Sie war elend und lag Monate lang zu Bett. Das Blut wurde unter¬
sucht, angeblich eine starke Milzschwellung gefunden und die Diagnose „Anämie"
gestellt. Die Behandlung bestand in Magen- und Darmspülungen, Xührklystieren,
zeitweise in Einspritzungen. Nach lOmonatiger Behandlung wurde die Kranke
wesentlich gebessert entlassen.
Gleich nach der Entlassung (Anfang 1908) musste sie ziemlich angestrengt
arbeiten. Sie litt öfters stundenlang unter Schmerzen im linken Arm und musste
ihn zeitweise in der Binde tragen. Auch stellten sich Schmerzen in der linken
Hüfte ein, die auch beim Liegen nicht wesentlich naehliessen. Im folgenden
Jahre bemerkte die Kranke ebenso wie ihre Umgehung, dass sie allmählich
kleiner wurde besonders daran, dass die Taillen zu lang wurden. Gleichzeitig
begannen Anschwellungen an den Knochen, zuerst wurde der linkt* Unter¬
schenkel unter ständigen starken Schmerzen dicker. Die Kranke stellte selbst
fest, dass die Verdickung dem Knochen angehörte. Aehnliche schmerzhafte
Schwellungen traten an den Rippen auf. Die zunehmenden Schmerzen in allen
Knochen, besonders in beiden Beinen, den Hüften und Rippen machten die
Patientin seit Anfang Januar 1910 bettlägerig und zwangen sie am 20. 4. 1910
das städtische Rudolf Virchow-Krankenhaus aufzusuchen.
Nach dem uns in Abschrift giitigst zur Verfügung gestellten Krankenblatt
ist von der damals 48 jährigen Kranken als Beruf Schneiderin angegeben. Die
seit etwa l 1 2 Jahren bestehenden Schmerzen in den Knochen Hessen beim
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
l’eber generalisierte Ostitis fibrosa .mit Tumoren und Cysten.
37
ruhigen Liegen etwas nach, begannen aber bei der geringsten Bewegung in
unverminderter Heftigkeit von neuem. Potus und Infeetio negatur. Menses
früher regelmässig, alle 14 Tage, jetzt nur noch sehr spärlich.
Dem Status entnehme ich folgende Angaben: Ziemlich abgemagert, keim»
Oedeme und Drüsensehwellung. Lungen und Herz o. B. Milz und Leber nicht
palpabel. Nervensystem ohne Veränderung. Urin frei von Albuinen und
Saccharum. Bcnce-Jones'schcr Eiweisskörper nicht vorhanden.
Blutbefund: Hämoglobin 63 pCt., weisse Blutkörper 8200, rote 5600000,
im Präparat reichlich grosse mononueleärc Zellen, eine Mastzelle, sonst o. B.
Befund am Skelett: Hechte Oberarmmitte auf Druck und besonders
auf Drehbewegungen schmerzhaft. An der rechten Hand Schwellung des Ulnar¬
randes auf der Dorsalseite, desgleichen Schwellung und starke Berührungs¬
schmerzhaftigkeit des rechten 4. und besonders des 5. Fingers. Kleine schmerz¬
hafte -Exostose“ des Sternums, angeblich durch Fall vor 4 Jahren entstanden.
10. bis 12. (?) Kippe besonders hinten und in der Axillarlinie bei der leistcsten
Berührung schmerzhaft, dort diffuse Knochenauftreibungen fühlbar. Dornfortsätze
des 10. bis 12. Wirbels klopfcmpfindlich, ebenso das Kreuzbein. Linkes (?) Bein
frei, rechter Unterschenkel bei leisester Berührung sehr schmerzhaft. Rechte (?)
Tibia im unteren Drittel medianwärts diffus, spindelig aufgetrieben. Die Stelle
fühlt sich etwas weicher an als der umgebende Knochen.
Röntgenbefund vom 23. 4. 1910 (Lcvy-Dorn): Hühnereigrosse Aus¬
sparung der linken Tibia, so dass auf ihrer Innenseite eine entsprechend grosse
Mulde entsteht. Diese wird durch einen eigentümlichen Schatten eingenommen,
der zur Hälfte den Knochen überragt. Darunter befindet sich in der Tibia eine
pflaumengrosse Rarefaktion. 7. bis 10. rechte Rippe zeigen unregelmässige
Rarefaktioncn. Starke Einlagerungen im rechten Lungenhilus. — Die Röntgen¬
untersuchung beschränkte sich auf den linken Unterschenkel und den Brustkorb.
Die klinische Diagnose lautete: Osteosarkome, (multiple Myelome?).
Am 29. 8. 1910 wurde die Kranke bei subjektivem Wohlbefinden gebessert
entlassen.
Die Patientin macht ergänzend noch die nachfolgenden Angaben: Im
Yirohow-Krankenhaus sei ihr gesagt worden, sie sei „knoehenkrank“ und die
Natur müsse sich selbst helfen. Beim Eintritt sei sie in sehr elender Ver¬
fassung gewesen, sie habe zum „sterben* gelegen. Beim Aufrichten im Bett,
wobei ihr eine Wärterin half, sei der rechte Oberarm gebrochen. Er heilte in
4 Wochen unter Verbänden und war bei der Entlassung wieder in Ordnung.
März 1911 brach der rechte Oberarm zum zweitenmal, als sie einen ge¬
füllten Wassertopf festhalten wollte. Während der Heilung trat am 27. 3. 1911
im Bett bei Benutzung einer Bettschüssel ein Beckenbruch hinzu und veranlasst
am folgenden Tage die Aufnahme in die 1. chirurgische Abteilung des städtischen
K ra n k cn hauses M oabit.
Die folgenden Angaben über den damaligen Befund citiere
ich nach Schroth (s. Jacoby-Schroth, Mitteil. a. d. Grenzgeb.
d. Med. u. Chir., 1912, Bd.‘25, H. 2, S. 383).
Blasse Frau mit leidendem Gesiehtsausdruek, in massigem Ernährungs¬
zustand. Gesichts- und Srhädclknochen o. B. Zähne fehlen fast sämtlich.
Leichte Kyphose der Brustwirbelsäule. Becken o. B. Keine Verbiegung der
langen Röhrenknochen. Rechtsseitige Humerusfraktur zwischen oberem und
mittlerem Drittel nicht konsolidiert. Daseihst druckempfindlicher Tumor von
fester Konsistenz. In der linken Tibia, handbreit, über dem Fussgelenk, taubenei¬
grosser, schmerzhafter Tumor, der sich aus dem Knochen hervorwölbt und deut-
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
38
F. Lois.-h,
Digitized by
lieh mehreren* fluktuierende Kammern fühlen lässt. Weitere Kiioehentmnoren
nicht zu fühlen.
Diagnose: Ostitis fibrusa mit Spontanfrakturen.
Die systematische Rö n t ge n u n t ers u e h u n g (Dr. Max Cohn) zeigt aus¬
gedehnte Erkrankung des »ranzen Knoehenireriistes mit bläschenförmigen Auf¬
hellungen und gleichartigen 'rumoren, besonders Becken, rechter Humerus, linke
Tibia. Innere Organe n. B. Urin frei. Therapeutisch Jodkali, Calcium laetirum
(s. unten). — Rüntgenbostrahlung der Ovarien. — Hei der Entlassung nach zwei
Monaten am 2. 2. 1912 völlige Konsolidation des rechten Humerus. Pat. geht
an zwei Stöcken. Somatische und psychische Besserung. IS Pfund Gewichts-
zunahme. Röntgenologisch keine Veränderunit!
Nach den Angaben der Patientin erlitt sir während ihres Aufenthalts im
Moabiter Krankenhaus noch einen linksseitigen Sehliisselbeinbrueh. linkss<‘itiiren
Unterschenkelbruch und beiderseits, besonders links. Rippenbrüche.
Sie konnte in der Folgezeit etwa 14 Monate lang ohne fremde Hilfe leid¬
lich gehen. — Im März 1913 fiel sie auf der Strasse hin und zog sich einen
Bruch des linken l ntcrsehcnkels und des linken Schlüsselbeins zu. Nachdem
sie 15 Wochen ohne ärztliche Behandlung zu Hause gelegen hatte, wurde ärzt¬
licherseits die Ueberfiihrung in die chirurgische Universitätsklinik des Kgl. Charite-
Krankenhauses angeordnet. — Kein Partus, kein Abort.
Klinischer Aufnahmebefund: Ziemlich magere Patientin mit schlaffer
Muskulatur. Keine Oedeme. In beiden Unterkieferwinkeln geschwollene Drüsen,
sonst keine Drüsenschwellungen nachweisbar. Kürpergrosse, im Bett gemessen.
15(3 ein. Innere Organe o. B. Keine nachweisbare Atherosklerose. Keine fühl¬
bare Yergrüsscrung der Thyreoidea. Kein Fieber. Puls zwischen 80 und 90.
Appetit leidlich. Stuhlgang regelmässig.
Keine nachweisbaren krankhaften Störungen im Gebiete des Nerven¬
systems. Reflexe normal. Intellekt ungestört.
Der Gehirnschädel erscheint im Vergleich zum Gesichisschädel vergrüssert,
-besonders die Stirn ist hoch, breit, prominent. Fontanellen und Nähte sind
nicht palpabel. Der grösste Schädelumfang, über die spärlichen Haare ge¬
messen, beträgt: 59 cm. Gesichtsskelett palpatorisch frei, desgleichen die
atrophischen zahnlosen Kiefer, nur der linke dritte obere Molar ist erhalten.
Obere und untere Zahnprothese. Kiefergelenke frei. Nick- und Drehbewegungen
des Kopfes unbehindert. An der Wirbelsäule besteht- im Brustteil eine starke
Kyphose und geringe links-konvexe Skoliose, ausserdem kompensatorische Lordose
der Lendenwirbelsäule. Druckschmerzhaftigkeit der Dornfortsätze und Stauehungs-
sclimerz nicht nachweisbar.
Im unteren Teil des Corpus Storni findet sich eine flache, quergestolltc,
wulstige, nicht druckschmerzhafte Vorwölbung. Der Thorax wird nach unten
sein* weit, die Rippen sind in ihren seitlichen Abschnitten einwärts geknickt
und zeigen an der Knnrpelknochengrenzc eine mehr oder minder deutliche, nicht
druckempfindliche Verdickung.
Das Abdomen erscheint- verkürzt, die Distanz zwischen unteren Rippen
und Darmbein kämmen verringert, es prägt sich eine deutliche Querfalte am
Bauche aus. Haut ohne Striae. Baucheingeweide ohne nachweisbare Ver¬
änderungen.
An Schulterblättern und Schlüsselbeinen ist keine Veränderung zu fühlen.
Die Schultern fallen stark nach vorn, das linke Sehultcrgelenk ist frei beweg¬
lich, desgleichen Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke der rechten Seite. Knochen
anscheinend frei. Die Bewegungen des linken Armes sind auch aktiv nicht
behindert. Das rechte Schultergelenk zeigt eine Behinderung der extremen Be-
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit 'rumoren mul Cysten.
39
wegungen. Das rechte Ellbogengelenk ist in der Streckung gehemmt, es bleibt
(‘in Winkel von 25°, sonst ist es ebenso wie das Handgelenk unbehindert. Pro¬
und Supination frei, desgleichen die rechtsseitigen Fingergelenke, bis auf das
Metaearpophalangealgclenk des kleinen Fingers, das völlig unbeweglich ist.
Der rechte Humerus zeigt in ganzer Ausdehnung, besonders im oberen
Teil, eine starke Auftreibung, deren Oberfläche unregelmässig höckerig ist und
in der Konsistenz von Knochenhärte bis zu scheinbarer Fluktuation wechselt.
Deutliches Pergamentknittern ist nicht nachweisbar. Die Verdickung ist teil¬
weise riruckschincrzhaft, es besteht eine nach aussen konvexe, leichte Krümmung.
Die Muskulatur erscheint atrophisch, im übrigen sind Weichteile und Haut
unbeteiligt. Der recht«* Vorderarm lässt keine Veränderung naeliweisen. Der
rechte 2. und 5. Metacarpus sind verdickt, «1er letztere auch deutlich verkürzt.
Der 5. Finger stellt in seinem Mctararpalgelcnk in überstreckter Stellung sub-
luxiert. Das Gelenk ist schlottrig, der Finger aktiv gänzlich, passiv fast un¬
beweglich, bis auf seitliche Waekelbcwegungon.
Der linke Humerus zeigt keine Auftreibung, der linke Radius fühlt sich
dicker an als der rechte und scheint in der Mitte etwas aufgetrieben. Die
link«* Hand lässt keine Veränderungen naeliweisen. Die Xagelphalangcn stehen
leicht, volar gebeugt.
Umfangs masso «1 <*r A r m e:
Axillarfalten.
links
30 cm.
rechts 32
cm,
Schaftmitte des Humerus .
24 „
* 32,5
Untere Humerusepiphyse .
„
33 „
„ 25
„
Fllbogenumfang ....
„
23 „
24
„
Grösster Unterarmunifang .
n
21,5 „
21,5
■n
Handgelenk.
„
15,5 „
. 16
fl
Längenmasse des Humerus
32
27
Vorderarm.
„
26 I
26
„
Es besteht demnach eine Verkürzung des rechten, mehrfach früher frak-
turierten Humerus von 5 cm bei einer Dickenzunahme von S,5 cm. Pat. kann
ihren Arm in ausgedehntem Masse benutzen, vermag sieb selbst die Haan* zu
kämmen. Spontane Schmerzen bestehen zurzeit nicht.
Das Becken zeigt folgende Masse:
Distanz der Spinae sup. ant. 26,0 ein,
• „ Frist ae 31,0 „
„ „ Troehanteren 31,5 „
(’onjugatamass wird unterlassen, ebenso die innere Genitaluntersurhung w«*gen
der Frakturgefahr beim Umbetten. Bcekcnknoehcn palpatoriscb nicht verändert,
desgleichen beide Femora. Nur rechts bestellt eine geringe, nach aussen vorn
konvexe Krümmung. Die rechte Tibia ist besonders in ihrer Schaft mitte stark
verdickt, die höckerige Auftreibung ist nicht drueksehmerzliaft. zumeist knochen¬
hart, stellenweise weich. Kein deutliches Pergamentknittern. Die scharfe Tibia¬
kante fehlt an der aufgetriebenen Stelle. Die Muskulatur ist schlaff. Der Fuss
normal, der linke Unterschenkel zeigt eine nach aussen konvexe bogenförmige
Krümmung. Die linke Tibia ist besonders am Uebergang zum unteren Drittel
buckelartig aufgetrieben. Auch hier bestellt keine Druckschmerzhaftigkeit. Die
Oberfläche der Verdickung ist höckerig, stellenweise weich, kein deutliches
Pergamentknittern. Das linke Bein erscheint deutlich verkürzt inhdge der
Krümmung der linken Tibia. Fs entsteht dadurch links die Form eines O-Beines.
Am Kussskelctt palpatoriscb keine Veränderungen nachweisbar. Die grossen
Gelenke der Beine passiv fr«‘i beweglich, die aktive Beweglichkeit zögernd. Im
rechten Kniegelenk besteht ein geringer Erguss, die rechte Patella tanzt.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
40
F. Lot sch.
Digitized by
Umfangsmasse der Oberschenkel mitte rechts 47, links 45 cm, Längenmasse
von der Spina ant. sup. bis zum Malleolus internus rechts 87, links 85 cm.
Verkürzung des linken Beines durch die Krümmung der linken Tibia bedingt.
Wasscrmann’sche Reaktion einwandsfrei negativ.
Die Untersuchung des Blutes führte zu nachstehendem Ergebnis:
Hämoglobin Sit pUt.,
rote Blutkörperchen 3 892 000.
weisse „ 5 700,
davon 05 p('t. polynuoleäre Zellen.
2G r Lymphocyten.
4 r Mononucleäre und Febergangsformen.
5 r Eosinophile.
Der Blutdruck (Bestimmung nach Riva-Rocci) 150 mm Hg.
Die systematische Rönt gen Untersuchung ergab folgenden Befund:
Schädel (Fig. 10 und 11): Bei der seitlichen Aufnahme (Kontaktplatten)
fällt auf den ersten Blick die dicke Zeichnung des Hirnschädels im Gegensatz
zu den papierdünnen Knochen des Gesichtsschädels auf. Die Grenze dieser
beiden verschiedenen Strukturen hält sich genau an die Schädelbasis. Die Basis
ist durchweg gleichfalls schwammig verdickt und deutlich eleviert. Das Foramen
oecipitale magnum liegt fast in der Höhe der Verbindungslinie zwischen Nasen¬
wurzel und Frotuberantia uccipitalis externa. Die knöcherne Schädelkapsel hat
in toto eine unruhige, getüpfelte Zeichnung, an ein sehr grobes Folienkorn er¬
innernd. Die Dicke scheint, soweit eine Beurteilung möglich ist. erheblich ver¬
mehrt. In dieser fein-wabigen Struktur sind an zahlreichen Stellen gröbere
Unregelmässigkeiten bis zu rundlichen Aussparungen sichtbar, deren beide
grössten dem Stirnbein angeboren und 5- bzw. 10-Pfennigstüekgrösse erreichen.
Eine kleinere derartige rundliche Aussparung liegt im Scheitelbein, eine weitere
in der Occipitalsehuppe. Gegen den Scheitel hin ist die unregelmässige Waben¬
struktur besonders ausgeprägt. Die normalen lufthaltigen Räume, vor allein
Stirn-, Keilbeinhöhlen und Warzenfortsatzzellen sind räumlich von den ge¬
schilderten Knochendefekten deutlich getrennt.
Im Gesichtsschädel sind die bis auf einen Molaren im Oberkiefer zahn¬
losen und atrophischen Alveolarfortsätze erwähnenswert. Auch die Fronto-
oceipitalaufnahmc zeigt Verdickung der Schädelkapsel, wabige Struktur, deutliche,
grosse Stirnhöhlen; die Kiefer, besonders Unterkiefer erscheinen frei.
Thorax (Fig. 12): Innere Organe bis auf Verdichtungen im linken Lungen-
hiltis o. B. Thorax von den Seiten her eingedrückt, untere Apertur breit aus¬
ladend, kopfwärts sich kegelförmig verjüngend. Wirbel durch den Herzschatten
verdeckt. Rechtsseitige Skoliose der Brustwirbelsäulc. Rechtsseitig zeigen die
Rippen von der 5. abwärts im Gebiet des Angulus costarum hochgradige Ver¬
änderungen. Die 6., 9. und 11. tragen eine gut mandclgrosse Geschwulst von
wabiger Struktur, an der 9. sitzt sie mehr lateral, die 5., 7. und 8. sind mehr
spindelförmig aufgetrieben, auf eine grössere Strecke hin verdickt und alle rare-
fiziert. Die 9. und 10. stark verschmälert, atrophisch, sehr unregelmässig und
dünn konturiert. Aehnlich ist das Verhalten der linken Rippen. Hier tragen
die 7. und 9. je einen blasigen Tumor mit ziemlich deutlichen Scheidewand -
konturen, die 8. und 10. erscheinen besonders am oberen Rande wie angefressen,
die untersten Rippen tragen weiter lateral einen Tumor von der beschriebenen
Art und Grösse.
Le n d e n Wirbelsäule un d B e c k e n s k e 1 e 11 (Fig. 13) stark porotisrh.
Binde Darmbeinschaufeln, besonders links, durch deutlich mchrkammerige cystische
Bildungen aufgetrieben, die die obere Kontur des Darmbeinkammes nicht über-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Urber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
41
ragen, nach unten bis zur Pfannengegend sich erstrecken. Sitz- und Schambein
beiderseits bis auf Porose frei, nirgends periostale Wucherungen.
Obere Extremitäten, Schultergürtel (Fig. 14 u. 16): Rechte Clavicula
zeigt in der Mitte geringe Verdickung und Konturverschiebung, alte Fraktur?,
linke Clavicula in ihrer distalen Hälfte unscharf konturiert, sehr porotisch, be¬
sonders im Acromialdrittel, in der Mitte mit Verschiebung geheilte Fraktur, in
beiden Enden kirschkerngrosse Aufhellungen. Scapulae ohne nachweisbare Ver¬
änderungen.
Rechter Arm (Fig. 14 u. 15): Schultergelenk frei, der ganze Humerus
im höchsten Grade porotisch, Caput humeri dextri o. B. Der ganze Schaft, vom
Collum ehirurgicum bis etwa 3 Querfinger oberhalb der Trochlea, eingenommen
von einem seifenschaumartigen, grossblasigen, vielkammerigen cvstischen Ge¬
bilde, dessen Breitenausdehnung die dreifache normale Schaftdicke erreicht
(Fig. 18). Die spinnwebenfeinen Zwischenwände begrenzen unregelmässige Hohl¬
räume bis zu Pflaumengrösse, die knöcherne Begrenzung gegen die Weichteile
ist ebenso haardünn und an einigen Stellen gar nicht zu erkennen. Die Ab¬
grenzung gegen das normal gebliebene unterste Schäftende ist ziemlich scharf.
Die erhaltene Corticalis scheint in die untersten Hohlräume eingekeilt. Die
Schaftkontur ist noch eine kleine Strecke innerhalb des cvstischen Tumors zu
verfolgen. Periostale Auflagerungen fehlen völlig. Von früheren Frakturstellen
ist nichts mehr nachweisbar, die .Markhöhle im Tumor völlig geschwunden. Die
rechte Ulna (Fig. 15) zeigt am Oleeranon eine Rarefikation, ferner unterhalb
des Processus coronoides eine Gruppe von Hohlräumen, die einen dattelförmigen
Bezirk der Corticalis einnehmen und sie zum Teil überragen. In der Schaft¬
mitte zeigt die Corticalis eine linsen grosse Aussparung. Die untere Ulnaepi¬
physe weist einen undeutlichen erbsengrossen Hohlraum auf. Die Struktur¬
zeichnung ist bis auf einen Bezirk an der Grenze zwischen mittlerem und unterem
Drittel, der dichter erscheint, nicht wesentlich geschädigt. Der rechte Radius
zeigt inmitten seiner unteren Epiphyse zwei Aussparungen, sonst ausser Porose
keine wesentlichen Veränderungen. Von den Carpalknochen enthält, wie es
scheint, das rechte Hamatum eine centralgelegene erbsengrosse Höhle oder Aus¬
sparung (Enchondrom?). Der 2. bis 5. Metacarpus zeigen deutliche Verände¬
rungen, im zweiten sind die beiden distalen Schaftdrittel, mit Ausnahme des
Köpfchens, durch einen deutlichen, mehrkammerigen cvstischen Tumor spindel¬
förmig aufgebläht. Der 3. Metacarpus enthält dicht unterhalb des Capitulums
einen centralgelegenen, erbsengrossen ovalen Bezirk, der sich durch etwas dichtere
Strukturzeichnung deutlich von seiner Umgebung abhebt. Im ganzen erscheint
der Schaft ohne sichtbare Periostwucherung plump und dick. Der 4. Meta¬
carpus trägt im Inneren seines proximalen Drittels eine unregelmässige ovale
Aussparung, der 5. Metacarpus endlich ist merklich verkürzt, durch mehrere
gegeneinander, durch dünne Scpten unvollständig abgegrenzte Aussparungen ver¬
dickt und missgestaltet. Die Aussparungen füllen den erweiterten Innenraum
völlig aus und sind nur von einer sehr dünnen Corticalis umsäumt. Carpal-
wäris scheint sieh die Aussparung direkt in die erwähnte des Os hamatum fort-
zuseizcn (Enchondrom?). Phalangen frei, nirgends Periostwucherungen, überall
h (>c 1 1 gra< 1 ige Osteoporose.
Linker Arm (Fig. 16 u. 17): Schultergelonk frei, der linke Humerus im
ganzen stark porotisch, in der Höhe des Collum ehirurgicum an der Innenseite
unbedeutende, flache, oberflächliche Aussparung. Der übrige Schaft frei bis
auf die distale Metaphyse. Hier oberhalb der Fossa olecrani in Ausdehnung
von etwa 4 cm blasige Rarefikation mit Verschiebung der Kontur an der
Aussenseite. Alte Fraktur (?). Linke Ulna, Oleeranon, Gelenkfläche und Pro-
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
42
F. Lot sch,
Digitized by
ccssus coronoides frei, darunter im obersten Viertel blasige Aufhellung und
Auftreibung nach der Daumenseite. Dichtere Struktur der politischen Tina
oberhalb der distalen Epiphyse. Linker Radius und linkes Handskelett nur
stark politisch mit einziger Ausnahme der Mittrlphalange des 4. linken Finders.
Dieser Knochen zeigt trotz starker Pnrose deutlichere Linienführung als die
anderen Phalangen und trägt in seiner distalen Hälfte einen kleinen erbsen¬
grossen rundlichen Hohlraum (das Bild entspricht genau der Abbildung von
lirashey, Atlas ehirurg. pathol. Röntirenbilder, Taf. VII, Fig. 5, dort als Er¬
weichungsherd nach Fraktur bezeichnet).
Die unteren Extremitäten zeiiren durchweg atrophische Knochen¬
struktur.
Rechtes Bein (Fig. 11) u. *20): Hüftgelenk, Kopf, Hals und Trochanter
frei, in der Schaftmitte (Fig. 19) an der Innenseite Unterbrechung der sonst
scharfen Corticalissiruktur durch kleine längliche Aufhellung. Die distale
Kemurdiaphyse zeigt oberhalb der Fossa intercondvlica einige erbsengrosse un¬
deutliche Uarefikationen. Beeilter Tibiaschaft (Fig. 20) in Ausdehnung von
etwa 20 ein verdickt mit unregelmässigen, zum Teil sehr deutlichen Hohl räumen
durchsetzt. Einige liegen in den besonders fibulawärts hervorragenden unregel¬
mässigen Buckeln. Oberes und unteres Tibiaende frei, desgl. die rechte Fibula.
Rechtes Fussskelett (Fig. 21) zeigt hochgradigste Knoehenatrophie, Spinnweh-
Zeichnung, deutliclum Caleaneussporn. Metacarpus 1 plump, im distalen Ab¬
schnitt Strukturzeichnung verwaschen, ebenso im 2. bis 5., im 5. rundliche
Aufhellung im Schaft (Enchondrom ?).
Linkes Bein: Oberes Drittel (Fig. 19) frei Am Febergang zum unteren
Drittel (Fig. 19) an der Aussenscite länglicher Aufhellungsbezirk, untere Meta-
physe wie rechts, sonst o. B. ln der oberen Tibiametaphyse (Fig. 20) undeut¬
liche Strukturanomalie, Schaft frei bis zur Grenze von mittlerem zum unteren
Drittel; liier ist der Tibiaschaft medialwärts abgeknickt und durch einen deut¬
lich mehrkammerigen, grossblasigen, cystischen Tumor ersetzt, der sich bis zur
unteren Metaphyse erstreckt und sieb besonders nach medial stark vorbuchtot;
linke Fibula frei, linkes Fussskelett (Fig. 22) zeigt hochgradige Knoehenatropliie.
Spinnwebzeichnung. Caleaneussporn wie rechts. Metacarpus 1 bis 4 mit etwas
verwaschener Struktur, der 5. deutlich verdickt, missgestaltet und herdförmig
aufgehellt.
Krankheitsverlauf: Urin reich an Kalkphosphaten, kein Benee-Joncs-
schcr Körper.
18.7. Operation (Gehcimrat Hildebrand), ln Chloroformnarkose und
Blutleere werden durch Längsschnitt die beiden verdickten Stellen der Tilden
freigelegt. Durch das kaum veränderte Periost schimmern links stellenweise
dunkelbräunliche Massen durch. An diesen Stellen ist nunmehr deutliche
Fluktuation nachweisbar. Bei Einschneiden des Periosts winden an diesen
Stellen eystisehe Hohlräume eröffnet, aus denen sieh gelbliche Flüssigkeit
unter massigem Druck entleert. Das Periost wird nach beiden Seiten abge-
schohen, es haftet ziemlich fest an der meist papierdünnen Knochenschale.
Nach Entfernung dieser Knochenschale wird ein Konglomerat von Ilohlräumen,
deren Ausdehnung von Erbsen- bis Walmissgrüsse schwankt, und die durch
dünne meist weiche Zwischenwände unvollständig getrennt sind, eröffnet. Die
Auskleidung der Cystenwände ist membranartig, gelblich bis bräunlich, zum
Teil auch direkt weisslieh. Die Oberfläche ist glatt und spiegelnd. Sie löst
sich von dem umgebenden Knochengewebe stellenweise sehr leicht los. Der
Inhalt der Holilräumc besteht aus einer hellgelblieh bis bräunlich klaren
Flüssigkeit. ln dem benachbarten Knoehengcwehe finden sich ausserdem
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
IYIht generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
43
dunkelbraune Gebilde aus festerem Gewebe, di«' zum Teil direkt die Wand der
Cysten zu bilden seheinen. Die Grösse sehwankt von Punktform bis zu
Pflaumenkerngrösse (s. unten Besehreibung des Präparats). Die ganze Cysten¬
masse wird mit dem scharfen Löffel ausgeräumt und dadurch ein grosser zu¬
sammenhängender Hohlraum geschaffen, der nur noch von dünner Knoehen-
srhale begrenzt ist. Nach unten und oben stüsst man schliesslich auf an¬
scheinend normales Knochengewebe mit gelbem Fettmark. Primäre Naht des
Periosts und der Haut.
Auf der rechten Seite wird ebenfalls das Periost zu beiden Seiten in Aus¬
dehnung von 14,5 cm abgeschoben. Hier ist die bedeckende Knochenschale
etwas dicker und es lässt sich ein grösseres Stück in Zusammenhang mit dem
Meissei herausnehmen, so dass es als makroskopisches Präparat aufbewahrt
werden kann (s. unten). Trotzdem ist auch hier an einigen Stellen die Corti-
calis völlig geschwunden, tmd die darunter gelegenen cystischen Hohlräume
grenzen direkt an das anscheinend unveränderte Periost. Nach Wegnahme der
oberen Knochenschale bietet sieh das gleiche Bild wie links. Audi hier wird
alles krankhaft veränderte Gewebe exeochleiert, bis man ganz oben und unten
auf anscheinend gesunde Spongiosa mit Fett mark stüsst. Auch hier primäre
Naht. Glatte Heilung unter dem Blutschorf im Gipsverband.
14. 9. Leber der rechten Tibiakante eine strichförmige, längsverlaufende,
teilweise mit den unterliegenden Knochen verlötete Operalionsnarbe von 15 cm
Länge, darunter fühlt man eine weiche undeutlich fluktuierende Mulde in der
Tibia. Eine entsprechende Narbe von 14 cm Länge findet sich an der linken
Tibia, die beiden oberen Drittel liegen auf knochenharter, das untere Drittel
auf weicher Lnterlage auf. Die Unterschenkel sind völlig fest. Ein nachträg¬
lich aufgenommenes Rüntgenbild (s. Lig. 2.‘i) ergibt folgenden Befund: Man
sieht besonders rechts den grösseren durch die Operation gesetzten Defekt. Die
Strukturverschiebung erscheint deshalb einheitlicher. An der linken Tibia ist
die blasige Auftreibung und die Abknickung nach wie vor vorhanden. Eine
wesentliche Aenderung in der Knochendurchlässigkeit, bedingt durch grösseren
Kalkgehalt des Knochengewebes, ist nicht nachweisbar.
Die Patientin fühlt sich bei dauernder Bettlagc wohl, klagt keinerlei
Schmerzen, sie vermag sich selbst im Bett aufzusetzen und beim l’mbetten.
Umkleiden tätig mitzuwirken. Die Arme bewegt sie ziemlich frei und unge¬
hindert, sie vermag sich z. B. ohne Beschwerden die Haare zu machen. Zum
Verlassen des Bettes ist sie nicht zu bewegen, da sie, wie sie sagt, instinktiv
das Gefühl hat, dass ihr linkes Bein sie nicht zu tragen vermöge.
Iß. 10. Nach Anlegung eines Gipsstiefels am linken Unterschenkel bis
zum Knie geht die Patientin seit einigen Tagen an zwei Krücken im Kranken¬
saal umher. Der Gang ist überraschend sicher und behend, di«' Kleinheit des
Gesichts und das „In-sich-zusammengesunken-scin" ist im Stehen sehr deutlich.
Auch «Irr relativ grosse Schädel fällt auf (s. Fig. 24).
Die Dorsalkyphose ist noch sehr deutlich, dagegen ist die Skoliose nach
links beim Sitzen auf einem Stuhl und beim Gehen anscheinend geringer.
Beim Vornüberneigen gleicht sich die Skoliose völlig, die Kyphose grösstenteils
aus. Wir haben es also vornehmlich mit einer llaltungsanomalie zu tun, die
durch Muskelaktion zum grössten Teil noch ausgeglichen werden kann.
Beschreibung der bei der Operation gewonnenen Präparate
(s. Fig. 25): Das Präparat vom linken Bein stellt einen 7 : 2 cm grossen zu¬
sammenhängenden rechteckigen Teil der vorderen Tibiacorticalis dar. Die Dicke
ist bis zum Durchscheinen und Papierdiinnc \ermindert. An einer Stelle be¬
steht eine kleine unregelmässige Durchlöcherung. Es befinden sich imdi Reste
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
44
F. Lot sch.
Digitized by
festhaftenden Periosts an drr Aussenfläehe. Die innere Begrenzung ist rauh.
Wichtig erscheint vor allem ein unregelmässig gestalteter, bräunlich roter, ire-
schw ul st artiger Körper, der an seinen Schnitt flächen noch deutliche Sponginsa-
bälkchen fühlen lässt, und durch »ranz dünne häutchenartige Verwachsungen
lose und beweglich an der Uorticalis festgehalten wird. Die Oberfläche dieses
tumorartigen Körpers ist grösstenteils glatt und spiegelnd und bildet die Be¬
grenzung cYstischer Räume. An dem einen Ende setzt sich der Tumor in eine
gelblichweisse, lederartige, dünne Membran kontinuierlich fort. Die (irösse des
Tumors entspricht ungefähr einer Mandel. Auf dem Durchschnitt zeigen sich
braunlichrote, bis rostfarbene, rundliche, linsengrosse Nester, eingebettet in
heller gefärbtes, deutlich Knochenbälkdien enthaltendes Gewebe.
Das makroskopisch entnommene Stück der rechten Tibia hat eine Flächen¬
ausdehnung von G : Ö cm. Seine Oberfläche ist uneben und zeigt an dem einen
Ende zwei unregelmässige Defekte der Knochenschale, die den Einblick in einen
grösseren mehrkammerigen Hohlraum gestatten. Ebenso wie links haften noch
Periostreste an der Aussenfläehe; während die seitlichen Begrenzungen noch
zum Teil 0.4 ein dicke deutliche Compacta aufweisen, ist die Aussenfläehe an
mehreren Stellen federnd eindriiekbar, die Begrenzung der darunter gelegenen
Hohlräume scheint einer Knochenschale an dieser Stelle völlig zu entbehren.
Pergament knittern ist deshalb nicht sicher auslösbar. Die Innenfläche ist
rauh, trotzdem zum grössten Teil mit einer gleichmässig glänzenden Haut über¬
zogen, die einer grösseren Cyste zur teilweisen Begrenzung diente. Zwischen
Innen- und Aussenfläehe befinden sich mehrere durch unvollständige, meist
dünne und nicht knöcherne Scheidewände von einander getrennte Hob träume.
An einzelnen Stellen der Innenseite sieht man blutrote Flecken, auch an der
Aussenseite stellenweise dunklere Farbtöne durch die verdünnte Knoehensehale
d Lire lisch im me rn.
Zur mikroskopischen Untersuchung wurden verschiedene Stücke her-
ausgesehnitten. Einige Stücke Hessen sich ohne Entkalkung mit dem Gefrier¬
mikrotom gut schneiden; andere wurden nach Entkalkung mit lOproe. Salpeter¬
säure in der üblichen Weise in Celloidin und Paraffin eingebettet. Die Paraffin¬
blöcke dienten zu den später zu erwähnenden Serienschnitten. Als wesentliche
Färbung wurde Ilämalaun-Eosin bevorzugt.
Die verschiedenen Schnitte bieten ein zum Teil gänzlich verschiedenes
histologisches Bild. In manchen Präparaten sieht man diese verschiedenen
Gewcbsstrukturen dicht nebeneinander.
Eine kompakte Corticalis fehlt in den Präparaten vollständig. Es handelt
sieh lediglich um meist ziemlich weitmaschige spongiöse Knochen. Diese Spon-
giosabälkchen präsentieren sieh als dünne Gebilde von verschiedener Längen¬
ausdehnung und stehen stellenweise durch Querzüge miteinander in Verbindung.
Auf diese Weise entstehen maschigc Hohlräume. Die Knochenbälkchen sind
fast durchweg rein rosa gefärbt, nur vereinzelt trifft man im Centrum eine
schmale kalkhaltige Partie, die sich durch ihre Tinktion mit Hämalaun als solche
deutlich ausweist. In dem osteoiden Gewebe sieht man auf Abblendung des
durchfallenden Lichtes eine Streifung, die sich jedoch durch ihre Unregelmässig¬
keit und feinzackige Natur wesentlich von der normalen lamel lösen Struktur
unterscheidet. Die in den Spongiosabälkchen gelegenen wenigen zackigen
Knoelienhöhlcn sind spärlich und ihre Anordnung folgt keineswegs so regel¬
mässig den Lamellengrenzen wie beim normalen Knoehengewebc. Die in ihnen
gelegenen Zellen haben einen gut gefärbten Kern und füllen den Raum mit
Freilassung eines peripheren Saumes in der üblichen Weise aus. Zellfortsätze
und Kommunikationen der benachbarten Knodicnzcllen sind nicht deutlich zu
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Feber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
45
sehen. Die im Schnitt getroffenen Knorhcngewebsteilc sind demnach wohl
sämtlich als neugebildete anzusehen. Auch die makroskopisch starke Auftrei¬
bung des Knochens an der Entnahmestelle schliesst ein Erhaltensein von altem
Knochengewebe von vornherein aus.
Die Oberflächenkontur ist teilweise glatt, teilweise deutlich lakunär an¬
genagt. Im letzteren Falle sieht man in den typischen Howship’schen Lakunen
einwandsfreie Osteoklasten, während Osteoblasten ganz fehlen oder nur in
relativ glatt gebliebenen Strecken sich finden. Diese ausgezahnten Oberfläollen-
absehnitte stellen sich somit als sichere Resorptionsflächen dar und liegen den
Cysten und Tumoren meist zugekehrt. Die andere Seite des Bälkehens zeigt
dann meist im Gegensatz dazu eine glatte Kontur und einen vielfach lücken¬
losen öfters sogar mehrschichtigen Belag von Osteoblasten. Diese länglichen
/eilen erscheinen grösser als die gleich zu erwähnenden Bindegewebszellen.
Ihr Protoplasma ist fein gekörnt und mit Hämalaun leicht blau tingiert, der
rundliche Kern ist bläschenförmig, relativ gross, deutlich ahgegren/t gegen (las
Protoplasma und meist excentrisch gelegen. Fast stets ist ein deutliches Kern¬
körperehen sichtbar. Die Anordnung dieser Osteoblasten auf der Oberfläche
des Ostenidbälkehens erinnert an Epithelbelag, doch ist eine absolute Regel¬
mässigkeit nicht vorhanden, bald liegen die Zellen mit der Breitseite, bald,
und zwar öfters, mit der schmalen der Knochenoberfläehe an. Finden sich zwei
oder gar mehrere Lagen von Osteoblasten übereinander, so ist noch weniger
von einer geordneten Lagerung die Rede. Auch die Lagt* dos Kernes variiert.
Bald liegt er im unteren, bald im oberen Abschnitt der mit der Schmalseite
dem Knochen aufsitzenden Osteoblasten. Der Einschluss der Osteoblasten in
die osteoide Zwischensubstanz und ihre Fnnvandlung in Knochenzellen erscheint
an zahlreichen Stellen deutlich.
Perforierende Kanäle fohlen so gut wie ganz. Die Maschenräume der
Spongiosabälkchen sind von faserigem Bindegewebe erfüllt, dessen Reichtum an
Blutgefässen und \or allem an erweiterten, meist strotzend mit Blut gefüllten
t'apillaren auffällt. Auch erweiterte Lymphcapillaren mit homogenem Inhalt
sind sichtbar. Die spindeligen Zellelemente des Bindegewebes verflechten sieh
zum Teil bündelweise und sind mit einer wechselnden, aber stets relativ sehr
geringen Zahl von Rundzellen durchsetzt. Eine stärkere Zellenanhäufung oder
eine Wandveränderung ist an den Gefässen nicht zu finden. Der Zellgehalt
des Bindegewebes wechselt in weiten Grenzen und geht an den später zu be-
srhreibonden Herden von riesenzollreieliem Gewebe unmittelbar in zellreiehes,
sarkomartiges Gewebe über. Streckenweise sind die* Bindegewebsfasern durch
extravasierte Blutkörperchen auseinandergedrängt, das Gewebe infolge der Blutung
infarciert. Allerorten findet sich körniges, gelbbraunes Blutpigment, zum Teil
frei in dem Bindegewebe, zum Teil deutlieh in Zellen eingesrhlossen. Grössere
Bezirke dieses faserigen Bindegewebes enthalten nur noch Knoehenschcrbchcn
oder sind ganz frei von Spongiosarosten (s. Fig. 2<>). Ihr Gehalt an Riesen-
zellen ist wenigstens in den zellärmeren Abschnitten gering, ja auf weitere
Strecken fehlen sie ganz. Mehrfach erscheinen die Bindegewebsfibrillen durch
Flüssigkeit auscinamlergcdrängt, üdematös, bisweilen erhält das Aussehen des
Gewebes den Charakter von Myxomgewebe. Innerhalb der fibrösen Strecken
finden sieh unvermittelt kleinste und grössere Herde, die durchaus als riesen-
zellensarkomartige Bildungen sieh präsentieren. Die Spindelzellen sind grosser,
die Intercellularsubstanz geringer, zwischen den zahlreichen Spindelzellen als
integrierender Bestandteil reichlich Kiesenzellen vom myeloplaxen Typus ein¬
gelagert. Die Blutgefässe treten an diesen Stellen mehr in den Hintergrund.
Die Wand der grösseren Cysten besteht aus konzentrisch geschichtetem, faserigem,
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
46
F. Lotseh.
Digitized by
kernarmem Bindegewebe. Ein Epithelbelag fehlt völlig. Peripherisch von dieser
streifigen Bindegrwebslamclle liegen grössere Anhäufungen von Blutpigment.
Riesenzellen und Knoehenhiilkehen finden sich bei den grösseren Hohlräumen
erst in einiger Entfernung von der AVand.
Für die Entstehumr der evstisehen Hohlräume Hess das Studium der
kleinsten Cysten einen besseren Aufschluss erwarten. Zu diesem Zwecke habe
ich in Paraffin eingebettete Präparate in Seriensehnitte zerlegt. Mikroskopisch
kleine Hohlräume werden hier mehrfach von dem geschilderten ödematösen
Bindegewebe begrenzt, das sich wie ausgefranzt auch noch in die Hohlräume
erstreckt und die Entstehung der Cysten aus diesem myxomartigen Gewebe
nahe legt. An anderen Stellen wird die Cystenbegrenzung jedoch von einem
sehr zellreichen Gewebe gebildet, das sich als geflechtartiger Knochen darstellt,
immerhin jedoch eine grosse Aehnliehkeit mit Knorpelgewebe zeigt. Ich habe
vier zusammengehörige Stellen aus einer Serie in den Figuren 27—30 zusammen¬
gestellt. Auf dem ersten Bilde (Fig. 27) sieht man unten einen Hohlraum mit
homogenem Inhalt von fibrösem Gewebe begrenzt. Darüber einen grösseren
Bezirk sehr kernreichen Gewebes mit einer ganz kleinen centralen Erweichung-.
Der Unterschied dieses knorpelartigen Gewebes zu den eigentlichen Spongiosa-
bälkchen macht sich auch in der Abbildung im Vergleich zu den benachbart
liegenden Spongiosabälkchen deutlich bemerkbar. Auf der Fig. 28 erscheint die
Cyste grösser, ebenso <1 ie centrale Erweichung, das zellreiche Osteoid begrenzt
an einer Stelle direkt die Cystenwand. Fig. 29 zeigt den Durchbruch der die
beiden Hohlräume trennenden Schicht, Fig. 30 einen nunmehr gemeinsamen
Hohlraum, der in seinem unteren Abschnitt von faserigem Bindegewebe, in
seinem oberen direkt von dem zellreichen Osteoid begrenzt wird.
Ein Vergleich mit dem in der oft eitierton Koch‘sehen Arbeit abgebildeten
Präparat Benda's zeigt, dass der dort als Knorpel bczoiehncto Gewcbsabsehnitt
grosse Aehnliehkeit mit dem kornreichen Osteoid zeigt.
Die histologische Untersuchung hat demnach ergeben: Markfibrose mit
stark gesteigertem lakunären Knochenabbau auch des neugehildeten spongiösen
Knochens, riesenzellensarkomartige Bildungen, ausgedehnte Cysten, entstanden
durch Erweichung, ferner Blutungen und Pigment reichtu m.
Es sind demnach alle Forderungen für die Diagnose erfüllt,
die v. Recklinghausen für seine Ostitis fibrosa aufgestellt hat.
Die Untersuchung der Cystenflüssigkeit ist von Herrn Prof. Salkowski
ausgeführt worden. Seinem uns giitigst übermittelten Untersuchungsbefund ent¬
nehme ich folgendes:
Der Cysten in halt wird gebildet von einer goldgelben, alkalisch reagierenden
Flüssigkeit, die beim Erhitzen direkt zu einer durchscheinenden Masse gerinnt.
Als Bodensatz finden sieh in dem Reagenzglas Blutkörperchen. Murin ist nicht
vorhanden. Beim Erhitzen gibt die verdünnte angesäuerte Flüssigkeit reichlich
weisse Gerinnung. Der organische Trockenrückstand wurde zu 6,496 g für
100 ccm bestimmt, die überwiegend aus Chloriden, daneben aus Phosphaten Be¬
stehende alkalische Asche zu 0,646 g bestimmt. Es handelt sich danach um
eine seröse Flüssigkeit, die mit dem Blutserum in ihrer Konzentration sehr nahe
übereinstimmt.
Bei der Excoehleation entleerte sieh aus dem scheinbar gesunden Fett¬
mark reichlich ölige Flüssigkeit. Die Untersuchung dieser Flüssigkeit (Prof.
Salkowski) ergab, dass sie nur aus Fett besteht, die scheinbaren Knocben-
bälkehcn schmolzen bei gelindem Erwärmen, bestehen also aus Fett von hohem
Schmelzpunkt. Derartige Ausscheidungen sind im menschlichen Fett ganz ge¬
wöhn lieh.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
47
Der raitgeteilte Fall B. ist von einer gewissen prinzipiellen
Wichtigkeit. Er beweist als Parallelfall zu dem bis in die neueste
Zeit als nicht einwandsfrei zur Ostitis fibrosa gehörig betrachteten
Fall Froriep’s, dass bei sicherer Recklinghausen’scher Ostitis
fibrosa die Cystenbildung derart in den Vordergrund der Symptome
rücken kann, dass alle anderen Erscheinungen, wie Markfibrose,
Fibrome und riesenzellensarkomartige Tumoren, ganz zurücktreten.
Er verliert auch dadurch, wie ich glaube, nichts an Interesse,
dass die im Krankenhaus Moabit aufgenommenen Röntgenbilder von
Schroth in der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins am
8. Januar 1912 demonstriert und über die günstige Wirkung einer
mehrmonatigen Kalktherapie Mitteilung gemacht wurden.
Von dem genannten Autor ist in Gemeinschaft mit Jacoby
über die genaue Stoffwechselanalysc während der Kalkfütterung in
den Mitteil. a. d. Grenzgeb., 1912, Bd. 25, H. 2, besonders be¬
richtet (s. unten).
Ich füge zum Schluss noch einige nicht ganz eindeutige Fälle
an, die in der Literatur mehrfach bald zur Ostitis fibrosa, bald
mehr zur Osteomalacie gehörig erwähnt sind. Fall Meslay:
34. lojähriges Mädchen. Im 13. Lebensjahre bei freier Beweglichkeit
Schmerzen in beiden Knien, rachitischer Rosenkranz. Die vorhandenen, sehr
ausgesprochenen Genua valga werden durch subcondyliire Osteotomie der Tibicn
korrigiert. Nach der Heilung Bewegungsstörung der Arme, zunehmende Kypho¬
skoliose und Trommelschlegclfinger, Krümmung der Tilden. Muskelatrophie an
den Beinen. Keine Menstruation. Pathologische Fraktur des rechten. S Wochen
spater des linken Oberschenkels, rasch fortschreitende Deformierung der Beine
und Oberarme, sowie des Thorax. Starke Knochensehmerzen, besonders in den
Beinen, aber auch in Armen und L’nlerkiefer. Hochgradige Druckschmerzhaftig¬
keit, Oedeme, Verringerung der Kürperlänge um 30 cm. Im I rin reichlich
Phosphate. Kxitus.
Sektionsbefund: Alle untersuchten Knochen, auch das 0.5 ein dicke
Schädeldach, leicht sehneidbar. Vorderarmknnehcn sehr dünn, in Humerus- und
Feimirköpfen offenbar Knorpelreste. Diaphysen-Cortiealis verdünnt. In der
weiten Markhöhle dunkclbraunrotcs bewegliches Mark, rechtsseitige fibrös ge¬
heilte Humerusfraktur. Thyreoidea o. B.
Mikroskopisch: Vornehmlich feinfaseriges, gefässreiehes Bindegewebe
mit Knoehenbälkchen. Osteoblasten und Osteoklasten, hauptsächlich Abbau,
auch Osteoid.
Der Autor fasst das Krankheitsbild als jugendliche Osteo¬
malacie auf. Sicher scheint eine Rachitis Vorgelegen zu haben
(Rosenkranz, Genua valga).
Auf Grund des Befundes rechnet v. Recklinghausen den
Fall zur Ostitis fibrosa.
Im Jahre 1904 veröffentlichte Davidsohn folgenden Fall:
35, 58jährige Frau. Zwei Jahre zuvor Radiusfraktur, mehrfache patho¬
logische Frakturen beider Oberschenkel, nebenher starke Schmerzen, zuletzt
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
48
F. Lutsch,
Digitized by
Oedeme, Decubitus, allgemeine Schmerzen. Exitus in desolatem Zustande in
der Hoffa'sehen Urivatklinik.
Klinische Diagnose: Osteomalacie. Keine Albumusen im Urin. Alle
Therapie erfolglos.
Sektionsbefund: Die unförmigen Beine stark verkrümmt, Sternum bricht
ein, Spongiosa cystisch erweicht, flüssiges, himheerartiges Knochenmark auch
in d(‘n Kippen. Skoliose, Hxostose eines Brustwirbels.
S kel et t sek t inn auf die beiden Femura beschränkt. Diese in „weiche,
haltlose Gebilde verwandelt**, «lederscits drei unkunsolidierte (Juerbrüche. im
rechten nu(*h ein vierter winklig verheilter mit Gallus. Schenkelhalswinkel
beiderseits 90°. Knorpel intakt. Uompacta durch papierdünne Sponpiosaschale
ersetzt, mit dem Periost fest verbunden. Streckenweise besteht der Knochen
„aus weissem, derbem, fibrösem Gewebe“. Neben wenig Fett- und rotem Knochen¬
mark findet sich vornehmlich eine y.ementartige, weisse, dichte Masse in der
Nähe der Bruchlinien, „von rötlichen, cystenartigen Herden unterbrochen“, ln
beiden Metaphysen filiert artiges Mark, im fibrösen Gallus der umfangreichste
pflaumenL r rosse rote Herd suhperiostal gelegen. Blutige Massen von einer Art
Kapsel umschlossen. Kapsel deutlich beschichtet. Im linken Femur vier deut¬
liche Cysten, vornehmlich in der Nähe der Bruchlinie. Mark dazwischen „ weiss¬
markig und graurot fleckig“. Patella und Tibiakopf von weichen tumorartigen
Massen mit Spongiosabälkchcn erfüllt unter stark verdünnter Knochenschale.
Mikroskopisch spärliche Compactareste mit Anbau periostaler Spongiosa,
dazwischen Fasermark. Innere Spongiosa in starker lakunärer Resorption, reich¬
lich Osteoklasten. Volkmann’sche Kanäle und Havers'sche Räume. Weiterhin
befässreiche Markfibrose mit Nekrosen und viel Pigment. Osteoide Cysten mit
zum Teil syncytiumähnlichein Zellbelag. in geringer Entfernung von der Innen¬
fläche 8—4 Reihen von Riesenzellen. Spongiosa zum Teil mit den Nekrosen
im Zusammenhang, im Callus Knorpelbälkohen zum Teil verkalkt, auch Riesen¬
zellen.
Fall Feldmann:
36. Familicnaniimneso o. I!. Ausser Masmi, W’as.serpnrken und Koin-h-
husten keine Krankheiten. Wurde schneller müde als die anderen Kinder! Im
17. Lebensjahre rechtsseitiges Genu valgiim (Beruf Buchdrucker, Arbeit an Tiegel¬
druckpresse mit Fussbetrieb). Operative Korrektur im gleichen Jahre. Nach
7 Wochen Heilung in O-Beinstellung. Das rechte Bein bleibt schwach, geht
am Stock, wieder arbeitsfähig. Wegen der Schwäche des rechten Beines wechselt
er seinen Beruf und arbeitet sitzend in einer Klaviermechanikfabrik. Im 20. Lebens¬
jahre „Knochenwirbelcntzündung“ nach Fall auf der Strasse. Langsame Besse¬
rung bis zu zeitweiser beschränkter Arbeitsfähigkeit. Zunehmende Schwäche
beider Beine führt 1 Jahr später zu völliger Erwerbsunfähigkeit. Im 22. Lebens¬
jahre pathologische Frakturen beider Femura, das linke ist zwei, das rechte
gar dreimal gebrochen. Keine Konsolidation. Während des Liegens entsteht
eine Vorwölbung des Thorax. Im folgernden Jahre langdauernde Nierensohmerzen
bis zum Abgang von 14 erbsengrossen Steinen. Ferner pathologische Fraktur
unter dem rechtem Knie. Im 25. Lebensjahre zuerst langsam, später schnell
wachsender Tumor des Unterkiefers. Beginn an der Stelle eines 2 Jahr zuvor
extrahierten Zahnes. 1 Jahr später Schmerzen in der linken Schulter, im linken
Ellenbogen und linken Oberarm, die nach Ausbildung einer Geschwulst am
linken Oberarm samt der Bewegungsbeschränkung schwanden.
Befund im 2S. Lebensjahre: Kindskopfgmssc Geschwulst des Unter¬
kiefers, von der rechten Seite ausgehend, mit stark erweiterten Venen der be¬
deckenden Haut, Zähne des Unterkiefers erhalten, stark auseinandergedrängt.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
49
zum Teil ganz nach der linken Seite verschoben. Starke Verkürzungen. Ver¬
krümmungen und Verbiegungen aller Extremitäten. Thoraxdeformation, mehr¬
fache Wirbelsäulenskoliose. Spindelförmige Auftreibung des linken Humerus.
Im Urin etwas Eiweiss und Mucin. Fieberfrei. Nierensteinkoliken während der
Behandlung. Abgang von 7 Konkrementen. Schnell wachsende Oberkiefer¬
geschwulst während der Beobachtung. Kontrakturen der Gelenke.
Kein Röntgenbefund, keine histologische Untersuchung.
Schliesslich der Fall von Koehl-Hanau:
37. 48jährige Frau. Zwei Partus. Seit 2 Jahren Schwellungen beider
Beine und des linken Armes mit lebhaften intermittierenden Schmerzen. Vor
1V 2 Jahren Influenza; bettlägerig. Im Bett Doppelfraktur des linken Femurs,
später Fraktur des rechten dünnen Femurs in der Schaftmitte und des oberen
Drittels der linken Tibia. Sanduhrmagen. Exitus an Ileus.
Sektionsbefund: Grosse Brüchigkeit der Röhrenknochen. Femur und
Lendenwirbel leicht schneidbar, Brustwirbel und Rippenknochen der oberen Ex¬
tremität konsistenter.
Mikroskopisch (Hanau): Osteoide Säume mit Osteoblasten im Vorder¬
gründe, daneben lakunäre Resorption mit Osteoklasten, besonders im Darmbein.
Im Femur freie Riesenzellen und Fasermark mit Knochenscherbchen.
Obwohl nach diesem Befunde eigentliche Tumoren ebensowenig
wie cystische Hohlräume nachgewiesen wurden, nähert sich der
Fall nach Hanau’s Meinung der Ostitis fibrosa. Da sich die mikro¬
skopische Untersuchung nicht auf das gesamte Skelett erstreckte,
scheint der Einwand berechtigt, dass andere Stellen eine einwands¬
freie Diagnose auf Ostitis fibrosa zugelassen hätten.
Klinischer Teil.
Ueberblicken wir die, wie ich hoffe, ziemlich lückenlose Auf¬
zählung der in der Literatur verstreuten Fälle von generalisierter
Ostitis fibrosa v. Recklinghausen’s, so finden wir neben vielem Ge¬
meinsamen auch mancherlei Unterscheidendes. Wer sich auf den
extremen Standpunkt stellt und mit v. Recklinghausen be¬
hauptet: „Ein definitives Urteil über die Frage, ob wirklich fibröse
Ostitis-metaplastische Malacie vorliegt, lässt sich eigentlich erst
nach einer ausführlichen Sektion aussprechen“, wird manchem Fall
mit Misstrauen begegnen. Auch bei einigen zur Autopsie gelangten
Fällen kann von einer ausführlichen Sektion nicht gesprochen
werden.
Es ist andererseits ein besonders wesentliches Verdienst
v. Recklinghausen’s, dass er das Gemeinsame dieser Knochen¬
systemerkrankungen betont und versucht hat, die Ostitis fibrosa
„im Rahmen der malacischen Krankheiten zu erhalten“. Bei dem
rein morphologischen Einteilungsprinzip, auf das wir bei der völlig
dunklen Aetiologie vorläufig angewiesen sind, werden möglicher¬
weise genetisch völlig getrennte Krankheitsbilder zusammengeworfen.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. 4
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
50
F. L o t sch.
Digitized by
Trotz dieser Gefahr wird es bei tieferer Erkenntnis der Krank
heitsursache leichter sein, aus der zunächst vereinten Gruppe das
nicht Dazugehörige auszusondern, als unzählige Einzelkrankheiten
zu Einheiten zu ordnen. Vor allem ist dem Bedürfnis des Klinikers
mit der Zusammenfassung am besten gedient. Gewisse Mängel
und Irrtümer sind dabei unvermeidlich.
Das Krankheitsbild der fibrösen Ostitis nach v. Reckling¬
hausen, das in den ausgesprochenen Fällen als etwas durchaus
Besonderes, in sich Geschlossenes, gut Abgrenzbares erscheint, zeigt
bei näherer Betrachtung fliessende Uebergänge zu den verschiedenen
anderen chronischen Skeletterkrankungen; so bei den in frühester
Jugend auftretenden Erkrankungen mit der Rachitis (Werndorff,
Burchard), bei einigen im Anschluss an Gravidität bemerkten
bzw. sichtlich verschlimmerten Fällen (Engel, Schoenenberger,
v. Recklinghausen, Bramann) mit der puerperalen Malacie,
bei den Erkrankungen in höherem Alter mit der senilen Osteo¬
porose, vor allem auch mit der Paget’schen Osteitis deformans, die
v. Recklinghausen selbst als die hyperostotische Spielart der
metaplastischen Malacie bezeichnet. M. B. Schmidt fasst die
beiden Krankheitstypen noch enger zusammen.
Die Beschränkung meiner Arbeit auf die generalisierten Fälle
der v. Recklinghausen’schen Knochenkrankheit mag bei unseren
heutigen Anschauungen etwas willkürlich erscheinen. Denn histo¬
logisch-morphologisch ist nach unseren jetzigen Kenntnissen ein
Unterschied zwischen der generalisierten Form und der solitären
nicht vorhanden. Vor allem gibt cs reichlich Fälle, die einen
fliessenden Uebergang von der einen zur anderen Form bilden.
Zudem sind die aufgeführten Fälle keineswegs alle, ja im engsten
Sinne kein einziger auf das gesamte Knochensystem ausgebreitet.
Eine mathematische Grenze ist deshalb unmöglich. Es wäre
lächerlich, wollte man Fälle mit Erkrankung von zwei oder drei
verschiedenen Knochen der einen oder anderen Gruppe anreihen
und einen Gegensatz zwischen diesen Gruppen konstruieren.
Solcher Fälle, in denen die Krankheit auf einige wenige Knochen
beschränkt blieb, gibt es eine ganze Reihe. Ich nenne die Beob¬
achtungen von v. Mikulicz (beiderseits oberes Femurende, Radius
und Tibia), Hartmann Fall II (linkes Femur und beide Unter¬
schenkel), Bockenheimer (Femur und Tibia der gleichen Seite),
v. Brunn (beide rechte Unterschenkelknochen), Langenbeck-
Virchow (grosses cvstisches Riesenzellensarkora der oberen Ulna¬
hälfte und kleines Riesenzellensarkom des benachbarten Humerus¬
abschnittes), Pfeiffer (unteres Femurdrittel beiderseits), Körte,
v. Brunn (oberes Fcmurdrittel beiderseits).
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
IVber ironcTalisicrtc Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cvstcn.
51
Einen dieser Gruppe zugehörigen Fall kann ich aus unserer
Klinik hinzufügen:
Paul H.. 35jähriger Tischler, aufgenommen 6. 7. 1908. Kann seit Kind¬
heit schlecht gehen, wackelte in den Hüften. Später Schmerzen besonders nach
langem Stehen und Gehen in den Knie- und Hüftgelenken.
Befund: Massig kräftiger Mann. Beide Trochanteren zu mannsfaust-
grossen. harten Tumoren verwandelt, die sieh auf die Schenkelhälse fortsetzen.
Starke Beschränkung der Kxtcnsion. Abduktion und Aussenrotation. Adduktion
frei. Lordose der Lendenwirbelsäule. Hochgradiger WackcJgang.
Röntgenbefund: Trochanteren durch grossblasige, eystische, multilncu-
läre llohlräume aufgetrieben.
27. 7. ‘Operation (Geh. Rat Hildebrand): Tn Narkose Freilegung des
Tumors an der rechten oberen Femurmeia]>hyse, der den gleichfalls etwas
deformierten Kopf zunächst verdeckt. Die überstellenden Tumormassen werden
mit dem Meissei abgetragen, dabei unter verdünnter Knnchensrliale vielkammerige
Cysten mit weisslichcr glatter Wand und dünnen unvollständigen Septen er¬
öffnet. Der Inhalt besteht aus salziger, myxomatöser Masse. Fxeoelileation der
Cysten. Modellierung von Sehenkelkopf und Hals. Gipsverband. Glatt«* Wund-
heilung, erhebliche Besserung der Bewegungsfähigkeit.
15. 10. Gleiche Operation am linken Femur. Glatte Heilung.
Makroskopische Diagnose: Multihx-uläre Knochencysten in hei«h*n Tro-
rlianteren und Schenkelhälsen. Ostitis fibrosa. sekundäre Arthritis deformans eoxae.
Mikroskopische Diagnose: Ostitis fibrosa.
21. 11. Krhehliehe Besserung der Beweglichkeit in beiden Hüftgelenken.
Geheilt- aus der Klinik entlassen.
Nach meiner Ueberzeugung bilden die solitären Knochen-
alTektionen mit den generalisierten eine morphologisch durchaus
zusammengehörige Gruppe. Der Grund, warum ich mich besonders
der generalisierten Form zuwende, ist zum Teil rein äusserlich
durch die Art des von mir raitgeteilten Falles ausgesprochener
generalisierter Ostitis fibrosa gegeben, sodann sind jedoch die soli¬
tären Formen, besonders die Knochencysten, in den letzten Jahren
allzu oft zum Gegenstand zusammenfassender Darstellung gemacht
worden. Dass zwischen der solitären und der generalisierten Form
gewisse klinische und auch topische Unterschiede bestehen, soll
nicht verschwiegen noch verkannt werden. Immer wieder muss
betont werden, dass es sich um eine Einteilung nach rein morpho¬
logischen Gesichtspunkten, ja bei den meist behandelten Knochen¬
cysten um eine recht oberflächliche morphologische Zusammen¬
gehörigkeit handelt. Diese Aehnlichkeit oder Gleichheit ist eine
rein formale und ist kein Beweis für eine genetische Gleichheit
und Zusammengehörigkeit (Milner, Stumpf). Wir Aerzte gehen
von den uns wahrnehmbaren Wirkungen aus und verfallen zu leicht
in den Fehler, bei gleichen Wirkungen auf gleiche Ursachen zu
schliessen.
In den einzelnen Kapiteln wird sich bequeme Gelegenheit bieten,
die Fälle solitärer Ostitis fibrosa einzuflechten.
-I
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
52
F. Lot sch.
Digitized by
Viel schwerwiegender erscheint der Einwand, dass einige der
aufgeführten Fälle nicht völlig sichergestellt sind. Aber auch bei
Abzug dieser Beobachtungen bleibt eine, wie ich glaube, genügend
grosse Zahl übrig, um ein kritisches Bild dieser Krankheit zu
zeichnen. Auch muss es einen Zeitpunkt geben, von dem ab auch
ohne Sektion bzw. Exzision die Möglichkeit einer Diagnose, be¬
sonders mit Hilfe des Röntgenverfahrens aus den Erfahrungs¬
tatsachen geschaffen wird.
Das Wertvollste und Wichtigste an den klassischen Arbeiten
von v. Recklinghausen scheint mir die Erkenntnis, dass auch
in morphologischer Beziehung nicht nach ebenso augenfälligen wie
unwesentlichen Erscheinungsformen eine Einteilung erfolgen darf,
sondern nach den primären Gewebsveränderungen. Gerade beim
Knochensystem beherrschen die sekundären Symptome und die
Folgeerscheinungen derart das Krankheitsbild, dass dadurch die
Grundursache gänzlich verschleiert und verdeckt wird (Ver¬
krümmungen und pathologische Frakturen).
Wenn seinerzeit Virchow für das wichtigste Ergebnis seiner
Untersuchungen über die Bildung der Knochencysten den Nachweis
hielt, „dass in keinem Falle die Cystenbildung im Knochen das
Primäre und Wesentliche ist, dass vielmehr alle Fälle dieser Art
als Umbildungsprodukte früher solider Umbildungen anzusehen
sind“, so hat uns v. Recklinghausen auf diesem Wege weiter¬
geführt. uns von der irrtümlichen oder wenigstens irrtümlich ge¬
deuteten (Milner) Enchondromtheorie Virchow’s befreit und ebenso
wie die Cysten auch die Markfibrome und riesenzellensarkomartigen
Bildungen als sekundäre Produkte einer gemeinsamen Erkrankung
des Knochenmarks kennen gelehrt. Wir müssen heutzutage als er¬
wiesen fest halten, dass der morphologisch nachweisbare primär»
Vorgang bei der als Ostitis fibrosa bczeichneten Krankheit eine
proliferierende und destruierende Knochenmarkfibrose ist, d. h. das
normale Fett- bzw. hämatopoetische Mark wird verdrängt durch
eine Wucherung des bindegewebigen Stromas. Der Name Mark-
fibröse vermeidet eine Präjudiz, ob es sich bei diesem Vorgänge
um eine Entzündung handelt, w T ie die meisten Autoren annehmen
(v. Recklinghausen, Virchow u. a.). Alles andere sind mehr
oder minder typische und selbstverständliche, sekundäre Erschei¬
nungen, so der gesteigerte Knochenabbau, der beschränkte Anbau
von spongiösen, kalklosen oder doch kalkarmen Knochen, die Pro¬
liferation des Fasermarks zu zusammenhängenden, tumorartigen,
fibrösen Massen (Fibromen), die Bildung herdförmiger riesenzellcn-
sarkomartiger Gebilde bis zu grossen Tumoren, schliesslich die
häufigen regressiven Veränderungen in Gestalt von Erweichungs-
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
53
höhlen. Im Abschnitt über die pathologische Anatomie, den ich
absichtlich weiter hinten folgen lasse, komme ich auf diese Dinge
ausführlich zurück.
Die v. Recklinghausen’sche Ostitis fibrosa ist eine ausgesprochene
chronische Erkrankung. Die Betroffenen kommen meist erst dann
in ärztliche Behandlung, wenn die Krankheit bereits makroskopisch
sichtbare und sinnfällige Veränderungen verursacht hat. Vorher
ist auch eine Diagnose kaum möglich.
Auskunft über die ersten Erscheinungen und die Zeit des
Krankheitsbeginnes können wir deshalb lediglich aus den anamnesti¬
schen Angaben erwarten. Es nicht zu leugnen, dass die Anamnese
in vielen Fällen eine geradezu typische ist. Gewöhnlich sind
Schmerzen das erste Zeichen. Sie werden als dumpfe und reissende
Gliederschmerzen bezeichnet und gelten deshalb zunächst für
„rheumatisch“, am häufigsten beginnen sie in den Beinen und
werden bald so heftig, dass sie das Gehen erschweren oder ganz
unmöglich machen. Mehrfach tragen die Schmerzen deutlich inter¬
mittierenden, bisweilen auch remittierenden Charakter.
Der Sitz der Schmerzen muss wenigstens im Beginn nach
meiner Meinung in das erkrankte Knochenmark selbst verlegt
werden. Das Periost ist zunächst durch die Knochencompacta ge¬
schützt, aber auch auf der Höhe der Krankheit erfahrungsgemäss
so gut wie unbeteiligt.
Dass das Knochenmark reichlich sensible Nerven besitzt und
seine Verdrängung oder Entfernung starke Schmerzen verursacht,
lehrten mich meine Tierversuche. Trotzdem die Tiere in tiefer
Aethernarkose waren, von der Inzision der Weich teile und des
Periosts, ebenso von der Anbohrung des Knochens nichts spürten,
zuckten sie jedesmal heftig und klagten zum Teil laut 'bei der
Lockerung und Ausspritzung des Knochenmarkcylinders.
Kürzere oder längere Zeit nach dem Auftreten der Schmerzen
werden die Folgen der gewaltigen Veränderungen innerhalb der be¬
fallenen Knochen auch äusserlich sichtbar. Mehrfach wurde als¬
dann ein Nachlass oder Aufhören der Schmerzen beobachtet, das
Gleiche trat in einigen Fällen nach Fraktur bzw. nach operativer
Freilegung des Krankheitsherdes auf. Nehmen wir die in mehreren
Fällen gemachte Beobachtung hinzu, dass die Cystenflüssigkeit unter
einem gewissen Druck hervorquoll, so scheint die Ansicht gerecht¬
fertigt, dass es sich bei den Schmerzen um Druckwirkungen auf
die sensiblen Nervenfasern des Knochenmarks handelt. Es darf
in diesem Zusammenhänge besonders darauf hingewiesen werden,
dass jene wenigen Fälle, in denen das Fehlen von Schmerzen aus¬
drücklich betont wird, ausser dem ältesten, nämlich dem Fall
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
54 F. Lot so!».
Hart, bei dem sich die ersten Krankheitszeichen erst im 69. Lebens-
jahre gezeigt haben sollen, die drei jugendlichen Fälle betreffen
(Werndorff 9 Jahr, v. Haberer 13 Jahr, Burchard 4 Jahr).
Vielleicht erklärt sich diese auffällige Tatsache mit der grösseren
Anpassungsfähigkeit des jugendlichen und auch des altersporotischen
Knochens an Raumbeengungen in seinem Innern. Auch bei den
meist im jugendlichen Alter beginnenden solitären Erkrankungen
fehlen wenigstens zunächst Schmerzen häufig und treten erst später
nach pathologischen Frakturen und stärkeren Verkrümmungen auf.
Im weiteren Verlauf der Krankheit kommt es zu circum-
scripten oder mehr diffusen spindelförmigen Auftreibungen einer
Reihe von Röhrenknochen, die häufig starke Druckschmerzhaftig¬
keit, im vorgerückteren Stadium Pergamentknittern der verdünnten
Knochenschale oder gar deutliche Fluktuation aufweisen. Dabei
sind die bedeckenden Weichteile nicht in Mitleidenschaft gezogen,
vor allem ist die Haut frei von entzündlichen Veränderungen und
über der geschwollenen Partie glatt verschieblich, höchstens durch
mechanische Dehnung gespannt und glänzend. Durch diese Ver¬
änderungen in seinem Innern verliert der Knochen erklärlicherweise
seine Festigkeit und es kommt zu Verbiegungen des seines Kalk-
gehalts beraubten, biegsam gewordenen Knochens oder aber zu
pathologischen Frakturen.
Die Intensität und Ausbreitung dieser Veränderungen und
ihrer Folgen ist in den einzelnen Erkrankungsfällen sehr verschieden.
In einigen Fällen blieb eine Auftreibung des Knochens aus
(Heineke, Fujii, Davidsohn), so dass der Knochen äusserlich
seine Form bis auf Verkrümmungen und Verbiegungen bewahrte.
Die pathologischen Frakturen — ich ziehe diese Bezeichnung mit
Grunert der üblichen „Spontanfraktur“ vor — bilden im deut¬
lichen Gegensatz zur Paget’schen Form ein geradezu pathognomo-
nisches Symptom. In wenigen Fällen blieben sie aus (Wrede,
Burchard. Hartmann, Virchow), in vielen anderen traten sie
gehäuft auf. Da in fast allen Fällen ein „physiologisches“ Trauma
genügte, erweisen sie sich einwandsfrei als pathologische Frakturen.
Die Rolle des Traumas für die Entstehung und den Verlauf der
Krankheit muss im Kapitel über die Aetiologie ausführlich be¬
sprochen werden. Aus der Darstellung geht jedoch bereits hervor,
dass ich in Uebereinstimmung mit den meisten Autoren dem Trauma
eine sekundäre Rolle für das Zustandekommen der Krankheit,
sicherlich aber der Frakturen beimesse, das „physiologische“
Trauma trifft einen bereits kranken Knochen und führt deshalb zur
„pathologischen“ Fraktur. Die zeitliche Folge, in der Auf¬
treibungen, Verbiegungen und Frakturen in die Erscheinung treten,
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
55
ist verschieden und ermöglicht dem Krankheitsbild dadurch gewisse
Variationen. Ferner ist besonders zu betonen, dass relativ häufig
eine periodische Verschlimmerung und ein Stillstand beobachtet
wurde (z. B. Gaugele). Dieser schubweise Verlauf ist bis zu
einem gewissen Grade charakteristisch und verlangt bei der Be¬
urteilung vermeintlicher therapeutischer Erfolge besondere Berück¬
sichtigung (s. Schroth). Dass weder das Fehlen der Auftreibungen
(z. B. Fujii) noch der Frakturen (z. B. Virchow) oder sogar beider
die sichere Zugehörigkeit eines Krankheitsfalles zur v. Reckling-
hausen’schen Knochenkrankheit ausschliesst, bedarf vor allem im
Hinblick auf das später zu beschreibende histopathologische Sub¬
strat kaum der Erwähnung. Auch bei dem Knochenechinococcus
kann die nach v. Bergmann pathognomonische, pathologische
Fraktur fehlen (Ritter, Reich, Kaufmann).
Diese oft das klinische Bild so durchaus beherrschenden und
sinnfälligen Veränderungen sind trotzdem nur Folgeerscheinungen
und sekundäre Bildungen.
Das Gleiche gilt von den Gestaltveränderungen am übrigen
Skelett. Der erweichte raalacische Knochen gibt den auf ihn
wirkenden mechanischen Kräften nach. Es kommt zur fischwirbel¬
artigen Abplattung der Wirbelkörper, zur Kyphose der Brustwirbel¬
säule, zur kompensatorischen Lordose im Lendenteil, zur seitlichen
Kompression des Thorax und Zunahme seines sagittalen Durch¬
messers, zu Beckendeformitäten, zu Kartenherz- und ausgesprochener
Schnabelform. Der hyperostotisch verdickte und schwere Schädel
(s. später) sinkt vornüber, der Körper sinkt in sich zusammen und
die Körperlänge wird stark reduziert. Die Arme erscheinen zu
lang und reichen bis zu den Knien.
Kurz, in ausgesprochenen Fällen bildet sich das gleiche affen-
ähnlichc Aussehen heraus, das auch für die hochgradigen Fälle
von Paget’scher Erkrankung charakteristisch ist und zahlreiche
Analogien und Aehnlichkeiten bestehen mit der puerperalen Osteo-
malacie.
Die für die Ostitis fibrosa charakteristischen circumscripten
tumorartigen Auftreibungen haben ihren Sitz entweder in den Meta-
physen oder in der Schaftraitte der Röhrenknochen, während die
Epiphysen und vor allem die Gelenke gänzlich verschont zu bleiben
pflegen, v. Recklinghausen hat diese Lokalisation in geistvoller
Weise zu erklären versucht, indem er darauf hin weist, dass stets
die Stellen des betreffenden Knochens befallen seien, die mecha¬
nischen Beanspruchungen besonders ausgesetzt sind. In Fällen,
die sich dieser Theorie nicht fügten, wurde betont, dass durch
dauernde Bettruhe eine Aenderung der statischen Angriffspunkte
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
56
F. Lotseh,
Digitized by
mechanischer Kräfte bewirkt wurde. Für die kurzen und platten
Knochen, die zum Teil durch die genannte Hypothese nicht ge¬
troffen werden, machen v. Recklinghausen und M. ß. Schmidt
geltend, dass es sich um Skelettteile handelt, die sich durch ober¬
flächliche Lage auszeichnen, und die infolgedessen von aussen
wirkenden mechanischen und auch thermischen Einflüssen besonders
ausgesetzt sind (Schädeldach, Tibia, Acromion, Spina scapulae).
Ich bin auf Grund des Literaturstudiums überzeugt, dass die
mechanische Theorie v. Recklinghausen’s mehr als einen wahren
Kern enthält, nur darf von ihr nicht erwartet werden, dass sic alle
Fragen der Lokalisation der Krankheit restlos erklärt (s. später).
Die Bevorzugung der Metaphysen und der direkten Nachbarschaft
der Epiphysenknorpel bei jugendlichen Patienten findet sich bei der
generalisierten Form der Krankheit ebenso wie bei der solitären
und lässt ihre morphologische Zusammengehörigkeit recht klar er¬
kennen.
Die obere Femurmetaphyse ist bei der einen wie der anderen
Form weitaus am häufigsten befallen. In weitem Abstand folgen
die obere Humerus-, untere Femur- und obere Tibiametaphyse.
In ausgesprochenen Fällen generalisierter Erkrankung finden
sich so gut wie stets die Knochen des Thoraxskeletts (Wirbel,
Rippen, Sternum) befallen.
Auch bei der Altersporose finden wir die deutlichsten Ver¬
änderungen an diesen Stellen, so dass uns der Vergleich mit dieser
„physiologischen“ Malacie wertvolle Anhaltspunkte gibt. Der das
gesamte Skelett in gleicher Weise treffende, hypothetische Reiz
führt nur an gewissen Prädilektionsstellen Veränderungen oder doch
wenigstens erheblich hochgradigere Veränderungen herbei.
Diese Analogie ist in gewisser Weise auch auf das Schädel¬
dach auszudehnen. Bei ausgesprochener seniler Porose finden wir
die bekannten, oft erheblichen Abflachungen der Scheitelbeine. Die
Beteiligung der Schädelknochen gehört bei der generalisierten Form
der Ostitis fibrosa zu dem gewöhnlichen Befund. In einigen autoptisch
untersuchten Fällen fand sich der Schädel unverändert (Lissauer,
v. Bramann). Meist ist klinisch nur eine Asymmetrie, ein relatives
Ueberwiegen des Hirn- über den Gesichtschädel oder auch eine
Umfangszunahme (unser Fall) nachweisbar, ln anderen Fällen geht
die Dickenzunahme auch auf den Gesichtsschädel, vor allem auf
Orbita, Jochbogen und Ober- sowie Unterkieferknochen (Virchow)
über. Dadurch wird eine Aehnlichkeit, ja völlige Gleichheit mit
den früher erwähnten Befunden bei der Paget’schen Erkrankungs¬
form geschaffen, und ebenso eine Unterscheidung gegen die Fälle
totaler oder partieller sog. Leontiasis ossea (Virchow, Koch,
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
l'f'bcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
57
ßoekenheiraer, Boit u. a.) zur Unmöglichkeit. Die Schädel-
knochcn zeigen stets eine starke Dickenzunahme durch neugebildetes
spongiöses, häufig kalkarmes Knochengewebe. Tumoren und Cysten
finden sich selten. Ein besonderes Interesse beanspruchen die Ver¬
änderungen der Kieferknochen, vor allem die im Ober- und Unter¬
kiefer beobachteten Cysten (Froriep, Virchow, Engel, v. Reck¬
linghausen, v. Haberer, Katholicky, Meslay). Diese cystischen
Bildungen erweisen sich histologisch als einwandfreie fibrös-ostitischc
Prozesse und gaben schon Virchow (1876) Anlass zu der Fest¬
stellung, dass nicht alle Kicfercysten, wie man damals glaubte,
dentalen Ursprungs sind.
Die zunehmenden Verbiegungen und besonders die gehäuften
pathologischen Frakturen machen es verständlich, dass die Kranken
mit der v. Recklinghausen’schen Knochenkrankheit früher bett¬
lägerig und hilflos werden, als z. B. bei der Pagct’schen Form,
bei der Frakturen erfahrungsgemäss zu den grössten Seltenheiten
gehören.
Trotz der hochgradigen Strukturveränderung pflegen die Frak¬
turen bei der Ostitis fibrosa auffallend gut zu heilen, wenigstens
in der ersten Zeit. Die Erklärung für diese Tatsache ist in der
Intaktheit des Periosts gegeben, auch künstliche Frakturen (Osteo¬
tomie) heilen meist fest und knöchern. Oefters wird sogar eine
üppige Callusbildung (Hartmann) und die lange Persistenz des
Callus hervorgehoben.
Das Allgemeinbefinden leidet bei der Hilflosigkeit im vor¬
gerückten Krankheitsstadium erklärlicherweise. Die Kompression
des weichen Thoraxskeletts erschwert die Atmung und die Herz¬
tätigkeit. Bronchitiden (auch Pneumonie) und Kreislaufstörungen
(Oedeme) wurden bei den Sektionen öfters gefunden. Im übrigen
ist die Veränderung der inneren Organe meist eine sehr gering¬
fügige und kontrastiert auffallend mit den hochgradigen Verände¬
rungen des Skelettsystems.
Da es im Wesen der Krankheit begründet liegt, dass der
Kalkgehalt der Knochen stark abnimmt, so erscheint es erklärlich,
dass, wie bei den anderen osteomalacischen Prozessen, häufiger
eine gesteigerte Kalkausscheidung meist als Kalkphosphat im Urin
(Engel, Meslay u. a.) nachgewiesen wurde, und in einer Reihe
von Fällen wenigstens bei der Sektion Kalkkonkrementc in den
Harnwegen gefunden wurden, v. Recklinghausen hat diesen
Befunden in seinem posthumen Werk besondere Beachtung ge¬
schenkt. Die schubweise Verschlimmerung der Krankheit machte
sich gelegentlich in vermehrter Kalkausscheidung durch den Harn
deutlich.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
58
F. Lotseh.
Digitized by
In dem von uns mitgeteilten Fall haben Jakoby und Sehroth
eine Reihe die Kalkbilanz betreffender Stoffwechseluntersuchungen
angestellt. Aus früherer Zeit seien *or allem die diesbezüglichen
Untersuchungen Uangendorff’s und Moramsen’s (1877) erwähnt.
Von Jakoby wurde folgende Kalkbilanz (CaO pro die) ge-
funden:
Zufuhr
Ausfuhr
durch den Harn
Ausfuhr
durch den Darm
Bilanz
Yorperiodc .
. . 1,95
0,S479
0.(52
+ 0,4S21
Hauptperiode .
. . 3.65S
0,55(11
1,37
+ 1,7319
Nach periode
. . 1,95
0.5(589
0.(54
+ 0,7+11
Bezüglich der Methodik verweise ich auf die erwähnte Arbeit
von Jakoby und Sehroth.
Die Untersuchungen des Blutes haben nennenswerte Ver¬
änderungen nicht ergeben. In unserem Falle besteht eine Steigerung
des Blutdrucks.
ln den letalen Fällen führte zunehmender Marasmus mit
Anämie oder eine interkurrente Krankheit bisweilen ganz unvermutet
zum Exitus, der in den meisten Fällen für die Kranken geradezu
eine Erlösung von ihrem qualvollen Leiden bedeutete.
Der Zeitpunkt des Krankheitsbeginnes ist stets nur sehr ungenau
festzustellen. Nach den ersten in der Festschrift für Virchow 1891
mitgeteilten Fällen schien cs v. Recklinghausen, als handele es
sich um eine Erkrankung des späteren Alters, ähnlich der Paget-
schen Form, die weiteren Beobachtungen zeigten ihm jedoch, dass
es sich häufiger um Individuen im mittleren Alter handelt, und
der Beginn der Erkrankung mit grösster Wahrscheinlichkeit meist
bis in das zweite Lebensjahrzehnt zurückzuverlegcn ist.
Nach 28 verwertbaren Angaben der aufgeführten Fälle zeigten
sich die ersten Krankheitserscheinungen
in den Jahren 1—10 . . . in 5 l-'üllen
. „ „ 10-20 .... 7 .
. . „ 20-30 . . . „ 5 „
, „ „ 30—40 . . . „ 5 „
darüber .... 6 .
Doch ist bei diesen Zahlen zu bedenken, dass die ersten
klinisch merklichen Krankheitserscheinungen sicherlich erst geraume
Zeit, vielleicht oft Jahrzehnte nach dem Beginn des histologisch
nachweisbaren Krankheitsprozesses offenbar wurden.
Das Gleiche gilt für die folgenden Zahlen über die Krankheits¬
dauer. Ich verwerte nur die zum Exitus gekommenen 19 Fälle,
die eine Angabe über den Krankheitsbeginn aufweisen, und finde
abgesehen von den wenig wahrscheinlichen 5 Fällen von nur
2 jähriger Dauer:
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
59
in 2 Fällen
„ 1 Fall
„ 2 Fällen
» 1 Fall
„ 2 Fällen
„ 1 Fall
2 Fällen
„ 1 Fall (Münckeberg)
n 1 - (G äugele).
In 9 weiteren Fällen währte die Krankheit bis zur Beob¬
achtung der noch lebenden Befallenen
in 2 Fällen .... 4 Jahre,
in je einem Falle . . 7, 9, 10, 11, 13 Jahre,
in einem Falle. . . 20y 2 Jahre (Klcstadt),
in unserem gar . . 32 Jahre.
Es geht aus diesen Tabellen wenigstens soviel hervor, dass
es sich um ein eminent chronisches Leiden handelt, dessen Beginn
mit grösster Wahrscheinlichkeit bereits in die Wachstumsperiode,
wenn nicht gar in die ersten Lebensjahre zurückreicht. Begegnen
wir doch mehrfach der anamnestischen Angabe, dass der Kranke
von Jugend auf schwach auf den Beinen war, auch sei bereits an
dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich öfter die Ostitis fibrosa
an eine erschöpfende, mit Anämie einhergehende Krankheit an¬
schloss (Katholicky und in unserem Fall z. B. als „Nerven¬
fieber“ bezeichnet).
Das weibliche Geschlecht ist, soweit die generalisierte Form
in Betracht kommt, ungleich häufiger befallen, nämlich in den
37 Fällen 28 mal, das männliche Geschlecht nur 9 mal, das Ver¬
hältnis gestaltet sich demnach wie 3,1 : 1,0. Diese auffallende
Bevorzugung des weiblichen Geschlechts unterscheidet die v. Reck-
linghausen’sche Form sichtlich von der Paget’schen und rückt
sie auch in diesem Punkte näher an die eigentliche Osteomalacie.
Wie für alle Knochenerkrankungen, bildet auch für die Ostitis
fibrosa das Röntgenverfahren die diagnostisch souveräne Methode.
Darüber kann heutigen Tages nicht mehr diskutiert werden. In
allen Fällen, in denen äusserlich sichtbare Veränderungen an den
Knochen vorliegen, gibt uns das Röntgenbild immerhin noch ge¬
naueren Aufschluss über Art, Lagerung und Ausdehnung des
Krankheitsprozesses; vor allem aber setzt uns das Verfahren in
den Stand, ohne äusserlich sichtbare Veränderungen an Stellen,
die sich nicht einmal durch lokale Druckschmerzhaftigkeit als
erkrankt verraten, das Vorhandensein von krankhaften Struktur¬
verschiebungen, von Abbau und Umbau der Knochensubstanz, von
Entkalkung, von Schwund jeglichen Knochengewebes im Bereich
Eine Krankheitsdauer von 4 Jahren
(i
„ 11 „
„ 13 -
* 16 .
„ 24 bzw. 8 Jahren
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
60
F. Lot sch,
Digitized by
grösserer Strecken mit Sicherheit nachzuweisen. In 16 der auf¬
geführten generalisierten Fälle ist ein Röntgenbefund erhoben worden,
hinzukommen die zahlreichen Erfahrungen mit dem Röntgenverfahren
bei den solitären Erkrankungen, die in das Gebiet der Ostitis fibrosa
fallen. C. 13 eck hat wohl als erster den unentbehrlichen Wert der
Röntgenuntersuchung für die Diagnose der sogenannten solitären
Knochencyste hervorgehoben. Seine Ansicht stiess nur vorüber¬
gehend auf Widerspruch. Genauere Angaben über die Befunde
finden sich u. a. bei Gaugele, Eckstein, Rumpel.
Das Röntgenverfahren gestattet uns auch bereits beim Lebenden
eine genaue systematische Untersuchung des gesamten Skeletts in
einer Vollständigkeit und Genauigkeit, die nur selten bei Sektionen
möglich ist. Der Wert des Verfahrens auch für die pathologisch¬
anatomischen Institute tritt damit klar zutage. Wenn die Durch¬
leuchtung zwar die Aufnahme in keiner Weise zu ersetzen vermag,
so gestattet doch bereits die Durchleuchtung die Feststellung
gröberer Veränderungen im Knochensystem. Mit dem sogenannten
Trochosskop ist die systematische Durchleuchtung des gesamten
Skeletts in kürzester Zeit möglich.
Auffällig und zugleich im höchsten Grade typisch ist das
Unbeteiligtsein des Periosts bei dem noch so hochgradigen Krank¬
heitsprozess. Die Knochenstruktur in den spongiosierten Teilen
zeigt ein wabiges (v. Haberer), watteartiges (Leri und Legros)
Aussehen, indem die rarelizierte, poröse Längsstrichelung in den
Röhrenknochen durch kleine helle Inseln unterbrochen wird
(Grashey). Der Kalkgehalt ist derart verringert, die Knochen
dadurch derart durchlässig, dass sich in hochgradigen Fällen nur
mit weichsten Röhren leidlich scharfe Bilder erzielen lassen. Der
völlige Schwund der Compacta und ihr Ersatz durch kalkarme,
häufig bis auf wenige Millimeter verdünnte, streckenweise gänzlich
fehlende Spongiosa ist meist sehr deutlich. An diesen Stellen vor¬
geschrittener Erkrankung enthüllt das Röntgenbild oft mit ein¬
deutiger Klarheit rundliche, meist scharf begrenzte, bald einheitliche,
bald durch feinste Septen teilweise getrennte Aufhellungen, die sich
als völlig frei von Knochensubstanz offenkundig präsentieren. Ob
es sich im gegebenen Falle um ein Fibrom, Sarkom oder einen
flüssigkeitsgefüllten Hohlraum handelt, wird in manchen Fällen
durch die Abstufungen der Lichtdurchlässigkeit erkennbar sein.
Wichtiger erscheint die Differenzierung von anderen Rarefaktionen
des Knochens.
Die akut entzündlichen, ebenso wie die auf Tuberkulose, Syphilis,
Aktinomykose beruhenden und die seltenen durch Echinococcus be¬
dingten Höhlenbildungen zeigen eine meist ausgesprochene Mit-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
61
beteiligung des Periosts. Die Diaphysentuberkulose ist zudem vor
allem beim Erwachsenen sehr selten, vielfach wird auch ein
Sequester erkennbar sein. Bei der diffusen Knochensyphilis, die
sicherlich häufig zur Verwechselung mit sogenannter circuroscripter
Paget’scher Erkrankung (Czerny, Lannelongue, Katholicky)
Veranlassung gegeben hat, handelt es sich um eine ausgesprochene
Hyperostose durch periostale Knochenwucherung, oft ist unter
dieser spongiösen callusartigen Wucherungszone noch die alte
Compacta deutlich kenntlich.
Die wichtigste differentialdiagnostische Frage bleibt stets die
Abgrenzung der Ostitis fibrosa mit ihren Folgezuständen gegen
die Gruppe der centralen Tumoren, insonderheit der myelogenen
Sarkome. Ich verstehe hierunter nicht die riesenzellenartigen
Bildungen bei der Ostitis fibrosa, sondern die klinisch malignen
andersartigen Sarkomformen, die vom Knochenmarkinneren ihren
Ausgang nehmen. Die Schwierigkeit einer Differenzierung dieser
beiden Prozesse kommt eigentlich nur bei den Fällen circumscripter
Ostitis fibrosa in Frage. Beim Sarkom pflegt sich die verdünnte
Corticalis schliesslich an beiden Enden dachziegelartig abzubiegen
und nur eine Strecke weit den Tumor zu begrenzen, bei der
Ostitis fibrosa dagegen findet sich die noch so hochgradig ver¬
dünnte Corticalis meist als parallel konturierte Begrenzung erhalten.
In diesen Fällen sind Irrtümer nicht ganz ausgeschlossen, und es
muss auch bei der Röntgenuntersuchung dieser Fälle wieder nach-
drücklichst betont werden, dass nie auf das Röntgenbild allein die
Diagnose gestützt und gestellt werden sollte. Das gleiche gilt für
die Abgrenzung gegen das Chondrom, weniger für die corticale
Form als für die intraossale. Ausser an den Phalangen gehören
grössere Enchondrome der Röhrenknochen zu den grossen Selten¬
heiten. Sie führen zu Verkürzungen und rachitisähnlichen Ver¬
krümmungen. Vorzugsweise sind die Metaphysen befallen. Das
Periost ist unbeteiligt, die Corticalis verdünnt, die Spongiosa im
Bereich der Knorpelwucherung geschwunden. Der Bezirk erscheint
deshalb im Röntgenbild scharf gegen die umgebende Spongiosa ab¬
gegrenzt (Rumpel). Einige Befunde legen den Gedanken nahe,
dass bei generalisierter Ostitis fibrosa Enchondrome Vorkommen
(s. Hand- und Fussskelett unseres Falles).
Im Verein mit den anderen klinischen Untersuchungsergebnissen
werden mancherlei differentialdiagnostische Fragen sich von selbst
erledigen.
Die Krankheitsdauer macht in vielen Fällen ein myelogenes
Knochensarkom von vornherein unwahrscheinlich, die Multiplizität,
die Generalisation der Erkrankung bei der eigentlich v. Reckling-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
62
F. Lots eh,
Digitized by
hausen’schen Krankheit spricht des weiteren dagegen beim Fehlen
nachweisbarer innerer Metastasen. Ferner auch das in einigen
Fällen beobachtete spontane Verschwinden von Auftreibungen
(z. ß. v. Bramann).
Die Abgrenzung gegen die osteoplastische Carcinose kommt
nicht in Frage und ist überdies röntgenologisch nicht schwer.
Bei der Rachitis fehlen röntgenographisch grössere Hohlräume,
die Epiphysenlinien sind auch bei Erwachsenen oft noch deutlich
zackig und unregelmässig, während sie bei der Ostitis fibrosa
meist glatt erscheinen. Im Falle Burchard’s werden die Epi¬
physenlinien als zackig besonders hervorgehoben. Die Knochen¬
struktur ist trotz aller Deformitäten klar erhalten. Der Nachweis
wird durch die sonstigen bekannten klinischen Symptome wesentlich
unterstützt (Auftreten in den ersten Lebensjahren, spätes Laufen¬
lernen, Rosenkranz, Genua valga, Tete carree, Zähne usw.). Der
Nachweis ist weniger dilferentialdiagnostisch als für die Klarstellung
der Aetiologie von einer gewissen Wichtigkeit (s. später).
Schwieriger kann die reinliche Scheidung von der eigentlichen
Osteomalacie sein. Eine ganze Reihe von Autoren haben ihren
Fällen als Diagnose die Haupt- oder Nebenbezeichnung Osteo¬
malacie beigelegt. Die Erweichung des Skeletts ist dabei meist
eine ausgesprochenere, in hochgradigen Fällen die Verkrümmungen
und Verbiegungen viel hochgradiger und bizarrer. Eigentliche
Frakturen sind bei der gummiartig biegsamen Konsistenz der
Knochen seltener als Infraktionen. Das gilt auch für die als
Ostitis fracturosa bezeichnete Form der typischen Osteomalacie.
Die „rheumatischen“ Schmerzen sind gewöhnlich auf das Kreuz
und den Rücken beschränkt. Der Schädel ist unbeteiligt. Die
von Rindfleisch als Endausgang bzw. Heilung bei Osteomalacie
beschriebenen Cystenbildungen, deren Wand von gefässarmem Binde¬
gewebe und mit reichlich Pigment gebildet wird, sind nach meiner
Ansicht der Zugehörigkeit zur Ostitis fibrosa dringend verdächtig.
Eine wirkliche sogenannte cystische Entartung der Knochen als
Endausgang sicherer Osteomalacie ist sonst meines Wissens nirgends
beschrieben. Das Röntgenbild zeigt bei der Osteomalacie eine
rarefizierte, scharf konturierte Compacta, die Markhöhle bis auf
einzelne dichtere Streben gleichmässig begrenzt. Die Franzosen
vergleichen das Strukturbild treffend mit der Fächerzeichnung der
Schnittfläche einer Tomate.
v. Recklinghausen hat in seinem nachgelassenen Werke
den Nachweis versucht, dass die Ostitis fibrosa sich häufig einer
rachitisch-malacischen Knochenerkrankung gleichsam aufpfropfe.
Namentlich in der Anamnese der Fälle Engel, v. Bramann,
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Veber generalisierte Ostitis fil>rosa mit Tumoren und Cysten.
63
Schoenenberger wird der schädigende Einfluss der Gravidität
sehr deutlich. Ira Falle Davidsohn war die Aehnlichkeit mit
der Osteomalacie besonders gross. Nehmen wir hinzu die auf¬
fallende Bevorzugung des weiblichen Geschlechts, wenigstens bei
der generalisierten Form der Ostitis fibrosa, die später zu er¬
wähnenden, gleichzeitig beobachteten Störungen im Genitalapparat,
die mehrfach autoptisch erwiesenen Veränderungen der Ovarien,
so ist eine nahe und enge Beziehung zur Osteomalacie nicht von
der Hand zu weisen. Wir können und müssen in manchen Fällen
von Ostitis fibrosa von einer nachweisbaren, eventuell starken
osteomalacischen Komponente sprechen. Trotzdem ist die v. Reck-
linghausen’sche Hypothese für viele Fälle nicht zutreffend und,
wie ich glaube, auch unnötig. Die Betrachtungen über die Aetiologie
werden mir Gelegenheit geben, auf diesen Punkt ausführlich zurück¬
zukommen.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass auffallend zahl¬
reiche Beobachtungen gerade aus jenen Gegenden stammen, in
denen auch die wahre Osteomalacie heimisch ist. Abgesehen von
dem reichlichen Material v. Recklinghausen’s aus Strassburg,
erwähne ich die Fälle Rehn (Frankfurt), Engel (Mainz),
Langendorff- Mommsen (Freiburg), Fu jii (Basel), Lotsch
(Niederlande).
Die senile Osteomalacie ist nach C ursch mann ziemlich häufig.
Der Verlauf ist sehr chronisch. Ihre Symptome sind Schmerzen
und Kontrakturen, Lähmungen fehlen, vornehmlich sind Thorax¬
skelett und die Femora betroffen. Die Prognose ist gut. Fast
stets heilt die Krankheit auf Phosphormedikation (Reich, Cursch-
mann). Der Fall Hart weist einige Aehnlichkeit mit dieser
Krankheit auf. Hierher gehört wohl auch der Fall, den Latzko
in der Diskussion zu Katholicky und Kolisko erwähnt. Er
wurde durch Phosphor geheilt.
Es bleibt die senile Osteoporose. Sie ist eine ausgesprochene
Altersveränderung und kommt schon deshalb für die meisten Fälle
von Ostitis fibrosa nicht in Betracht. Auch bei ihr ist der Schädel
nie hyperostotisch, höchstens atrophisch (s. früher). Die oberen
Extremitäten sind meist unbeteiligt. In hochgradigen Fällen kommt
es zu Dorsalkyphose, Thoraxdeformität und Beinverkrümmung.
Die Erscheinung des Kranken erinnert dann gelegentlich an die
geschilderte anthropomorphe Affenhaltung bei Paget und v. Reck¬
linghausen. Man hat in solchen Fällen wohl von Pseudo-Paget
(Pierre Marie) gesprochen. Röntgenographisch fehlt stets die
Hyperostose, die Knochen erscheinen porosiert, kalkärmcr.
Die Erkrankung verläuft stets schmerzlos.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
64
F. Lotsvh,
Digitized by
Der tardive Riesenwuchs, die Osteogenesis imperfecta, die
Akromegalie werden in den Kreis differentialdiagnostischer Er¬
wägungen kaum hereingezogen werden.
Anders steht es mit der Paget’schen Form der Osteitis de-
formans und der sog. Leontiasis ossea. Gerade die letztgenannte
Erkrankung des Schädelskeletts hat sich histologisch als einwandfreie
Ostitis fibrosa erwiesen (Bockenheimer, M. Koch, Boit). Der alte
Virchow’sche Name sollte deshalb durch die Bezeichnung Ostitis
librosa hyperostotica cranii et faciei ersetzt werden. Die Hyperostose
des Schädels, besonders des Hirnschädels, ist ein typischer Befund
bei der Paget’schen Form der Ostitis deformans, aber auch bei den
meisten Fällen der v. Recklinghausen’schen Form wurden Schädel¬
hyperostosen beobachtet, während tumorartige fibröse und riesenzellen¬
haltige Bildungen ebenso wie Cysten relativ seltener gefunden werden.
Es scheint, dass der knöcherne Schädel in stets der gleichen
Weise Veränderungen erfährt. Unter Fasermarkbildung wird der
alte Knochen, vor allem die Tabula externa und interna, abgebaut
und durch spongiöses Gewebe im Uebermass ersetzt. Die drei
Schichten sind dann nicht mehr zu unterscheiden. Trotz der oft
enormen Verdickung bleibt wenigstens bei der v. Recklinghau¬
sen’schen Form der Innenraum der Schädelkapsel unbeteiligt, auch
die Hirnnerven werden an ihren Durchtrittsstellen nicht gedrosselt.
Diese gleichmässige Beteiligung des Hirnschädels zwingt mehr als
alles andere zu der Auffassung, dass es sich bei der Paget’schen
und v. Recklinghausen’schen Knochenkrankheit um die gleiche
Störung handelt, dass es sich nur um kleine Unterschiede in der
Krankheitsentwicklung und dem Effekt am Skelett handelt, dass
es lediglich zwei verschiedene Erscheinungsformen der gleichen
Störung sind. Diese Auffassung findet ihre notwendige Stütze in
der Histopathologie der beiden Formen. Indessen mag auch hier
wieder betont werden, dass es sich lediglich um unser vorläufiges
morphologisches Einteilungsprinzip handelt, keineswegs aus der
Formgleichheit und der Aehnlichkeit auf eine gleiche Genese ge¬
schlossen werden kann.
Die typischen Merkmale der Paget’schen Form habe ich ein¬
gangs genauer geschildert. In ausgesprochenen Fällen wird eine
Unterscheidung durch die im Vordergrund des klinischen Bildes
stehenden, sekundären Skelettveränderungen nicht schwer fallen.
In Grenzfällen wird eine reinliche Scheidung unmöglich sein. So
oberflächlich darf die Einteilung nach morphologischen Gesichts¬
punkten nicht erfolgen, dass alle Fälle, in denen eine Cyste ge¬
funden wurde, der v. Recklinghausen’schen, in denen eine Hyper¬
ostose neben Tumoren gefunden wurde, der Paget’schen Form
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
65
zugezählt werden. Am klarsten liegen diese Schwierigkeiten viel¬
leicht in dem von mir nachuntersuchten Skelett des Virchow-
schen Falles aus dem Jahre 1886 (Fall 26 ). Bei dieser schwanken¬
den Grenze müssen wir wohl oder übel nach dem Grundsatz
verfahren: A potiori fit denominatio. Ohne einen gewissen Zwang
geht die Einteilung nicht von statten.
Wissen wir aber, dass die beiden Krankheitsformen in ihrem
Wesen identisch sind, so wird eine absolute Scheidung nur noch
rein akademisches Interesse haben. Heber die Röntgenbefunde ist
eingangs das Nötige gesagt.
Wir kehren zu der generalisierten Ostitis fibrosa nach v. Reck¬
linghausen zurück. Ein bei der Seltenheit der Erkrankung
durchaus berechtigtes Mittel zur Sicherstellung ist endlich die
Probeexzision bzw. die Punktion von Flüssigkeit oder eines Ge-
webszylinders nach Durchbohrung der umhüllenden Knochenschale.
Analog den günstigen Erfahrungen bei der Hirnchirurgie lässt das
Punktionsverfahren auch bei den krankhaften Prozessen des
Knocheninneren vielfach ausreichende Aufschlüsse erhoffen. Die
gewonnene Flüssigkeit sollte ebenso wie das Gewebe vorläufig
jedesmal auch bakteriologisch, und zwar sowohl kulturell (anaerob
und aerob) als durch Tierversuch und auch im Dunkelfeld genau
untersucht werden. Eine bakterielle Genese ist nur durch mehr¬
fache Untersuchungen zu erweisen. So wenig wahrscheinlich sie
auch erscheinen mag, so verdient diese Anschauung doch eine
beweiskräftige Widerlegung. Auch Spirillen und Spirochäten müssen
in den Kreis der Untersuchung mit einbezogen werden.
Im übrigen bildet bei unserer heutigen Auffassung die histo¬
logische Untersuchung den sichersten Schlussstein für die Diagnose.
Die Probeexzisionen müssen derart gemacht werden, dass neben
dem erkrankten Teil noch das umgebende normale Gewebe mit
entnommen wird. Gerade die Uebergangsstellen sind für die histo¬
logische Diagnose wichtig. Probeexzisionen, die dieser Forderung
nicht entsprechen, können völlig wertlos sein (ßookenheimer),
ja zu völlig falschen Bildern und Schlussfolgerungen Anlass geben,
zum mindesten ist das Untersuchungsergebnis unvollständig und
ungenügend (Pfeiffer, Gaugele).
Der Verlauf ist ein durchaus chronischer, über Jahre und
Jahrzehnte ausgedehnter. Die Befallenen sterben nicht direkt an
ihrer Knochenaffektion, wohl aber erliegen sie den sekundären
Veränderungen. Trotz der eigentlichen Gutartigkeit ist das Leiden
doch prognostisch als infaust anzusehen.
Aehnlich wie die erwähnte Cystenbildung bei Osteomalacie
(Rindfleisch) ist sie auch für die Ostitis fibrosa als ein günstiger
Archir für kJ in. Chirurgie. Bei. 107. Heft 1. 5
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
66
F. Lot sch,
Digitized by
Ausgang, als eine Art Heilungsvorgang bezeichnet und betrachtet
worden (v. Recklinghausen). Der hier neu mitgeteilte Fall
Buick scheint diese Ansicht zu stützen, denn bei der hochgradigen
Cystenbildung ist der Krankheitsverlauf ein äusserst chronischer, nun¬
mehr bereits 32 Jahre bestehender. Dass es sich nur um eine relative
Heilung handelt, um den unter den gegebenen Verhältnissen günstig¬
sten Ausgang, beweist unser Fall gleichfalls, denn die Kranke ist bei
aller Besserung doch häufig ans Bett gefesselt und stark behindert.
Die Therapie ist im Grunde genommen machtlos. Die gün¬
stigen Resultate, die die operative Entfernung des erkrankten bzw.
veränderten Markgewebes bei den solitären Formen gezeitigt hat,
lassen sich nur unvollständig und bedingt auch bei der generali¬
sierten Form erhoffen. Trotz unserer Fortschritte in der plasti¬
schen Defektdeckung wird die Resektion des lokal erkrankten
Knochens nur selten in Frage kommen. Bleibt nach Eröffnung
der Knochenschale auf einer Seite nach Ausräumung des erkrankten
Markraumes eine noch einigermassen genügende Knochenschale er¬
halten, so pflegt in überraschend kurzer Zeit der Hohlraum knöchern
ausgefüllt zu sein und fest zu heilen. Ebenso wie bei der meist
erfolgenden knöchernen Heilung der pathologischen Frakturen
haben wir es bei der Ausfüllung des Hohlraumes mit der unge¬
schwächten Knochenbildungsfähigkeit des am Krankheitsprozess
unbeteiligten Periosts zu tun. v. Mikulicz hat sich in seinen
Fällen von solitären Knochencysten mehrfach mit anscheinend an¬
haltendem Erfolge auf Punktion und Jodoformglycerininjektion be¬
schränkt. Das Verfahren hat sich keine Anhänger erworben.
Gegenwärtig kommen nur die Excochleation oder die Kontinuitäts¬
resektion in Frage. Das eingreifendere, letztgenannte Verfahren
wird in manchen sehr vorgeschrittenen Fällen nicht zu umgehen
sein, und der Operateur kann sich vor die Notwendigkeit der Re¬
sektion gestellt sehen, nachdem sich die Excochleation als un¬
durchführbar erwiesen hat. Bei dem grösstenteils metaphysären
Sitz der Erkrankung in solitären Fällen ist die Schonung des Epi¬
physenknorpels und damit die Erhaltung des Längenwachstums
eine besonders erstrebenswerte Aufgabe. Ob es berechtigt ist, die
verschiedenen Produkte der Ostitis fibrosa als verschieden gefähr¬
lich und schädlich anzusehen und demgemäss verschieden radikal
zu behandeln, ist praktisch besehen eine ziemlich müssige Frage.
Ob es sich um Fibrome, um Riesenzellensarkorae oder um Cysten
handelt, stets wird eine exakte Excochleation das gegebene Ver¬
fahren sein. Die klinische Benignität aller dieser Bildungen ist
durch vielfältige Erfahrung erwiesen. (Näheres im Kapitel über
die pathologische Anatomie.)
Gck gle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
67
Mit dieser symptomatischen Therapie sind die Erfolge bei den
solitären Erkrankungen wohl deshalb so ausgezeichnete, weil die
krankheitserzeugende Ursache nicht weiter wirkt und mit der Ent¬
fernung des gesetzten Krankheitsherdes eine Heilung erklärlich ist.
Bei der generalisierten Form mit ihrer schubweisen, periodischen
Verschlimmerung wirkt indessen die krankheitserregende Ursache
fort und der Heilung eines Herdes folgt eine neue Erkrankung von
einem anderen Teile des Skeletts. In vielen Fällen sind die Krank¬
heitsherde schon allein durch ihre Zahl und ihren Sitz einer voll¬
ständigen operativen Inangriffnahme unzugänglich. Trotzdem können
in dem einen Falle hochgradige Schmerzen (Rehn), im anderen
die Lokalisation an besonders ungünstiger Stelle, die wie in unserem
Fall in der Schaftraitte beider Tibien die Gehfähigkeit schon früh¬
zeitig zu untergraben droht, zur Operation einiger Herde zwingen
oder doch auffordern. Die Heilung erfolgt meist ohne Störung
knöchern (s. unsern Fall). In manchen Fällen wird man damit
den berechtigten Zweck verbinden, Material zur histologischen
Sicherung der Diagnose zu gewinnen. Was abgesehen von dieser
rein symptomatischen Therapie versucht worden ist, hat wirklichen
Erfolg nicht gehabt. Das gilt von Phosphor und Arsen ebenso
wie von Kalksalzen.
Der Kalkfütterung kann ich bei der Ostitis fibrosa auch
theoretisch eine Berechtigung nicht zuerkennen. Bei der Rachitis
ist die Kalksubstitutionstherapie noch verständlich, weil es sich im
wesentlichen um Kalkarmut des neugebildeten Knochens handelt.
Bei den malacischen Prozessen des ausgewachsenen Skeletts han¬
delt es sich jedoch um eine Entkalkung des vorher kalkhaltigen
Gewebes und um eine Ausscheidung des gelösten im Blut kreisen¬
den Kalkes vornehmlich durch die Nieren. Eine Zufuhr von Kalk
mit der Nahrung wird entweder eine stärkere Kalksalzkoncentra-
tion des Blutes und ebenso des Urins bewirken oder unresorbiert
den Darm passieren; wie aber eine derartige alimentäre Kalkzufuhr
zu einem Stillstand des krankhaften Knochenentkalkungsprozesses
führen soll, wie der zugeführte Kalk zum Anbau kalkhaltigen
Knochengewebes führen soll, ist mir nicht verständlich. Jacoby
und Schroth haben bei ihren Stoffwechseluntersuchungen bei
unserer Kranken während und nach der Kalkfütterung eine nennens¬
werte Kalkretention feststellen können bei Herabminderung der
vorher abnorm gesteigerten Kalkausscheidung durch den Harn.
Die Kalkkoncentration des Blutes wurde nicht bestimmt. Die
Autoren erklären die geringere Durchlässigkeit der Nieren für Kalk
als Wirkung des gereichten Calcium lacticum in Analogie zu den
Arbeiten Chiari und Januschke’s, die durch Calcium lacticum-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
68
F. Lot sch,
Digitized by
Fütterung eine Verminderung der Gefässdurchlässigkeit, eine künst¬
liche Dichtung der Gefässwände erzeugten. Das Herabsinken der
mit dem Harn ausgeschiedenen Kalktagesmenge (CaO pro die) von
0,8 auf 0,5 ist sicherlich auffallend, nur steht der Beweis aus,
dass die Anreicherung des Kalkgehaltes im Blut tatsächlich dem
Knochenprozess zu gute kam.
Die klinische Beobachtung ergab eine ganz auffällige Besse¬
rung, die stellenweise fluktuierende Anschwellung der linken Tibia
wurde knochenhart, die rechtsseitige Humerusfraktur heilte endlich
unter Callusproduktion. Die seit langem bettlägerige Kranke lernte
wieder gehen.
Indessen liess sich röntgenographisch keine Aenderung in der
Strahlendurchlässigkeit nachweisen. Ausserdem wird die Beurtei¬
lung des Erfolges — worauf die Autoren selbst hinweisen — da¬
durch erschwert und beeinträchtigt, dass gleichzeitig eine Röntgen¬
bestrahlung der Ovarien angewendet wurde; dass geeignete Pflege,
geregelte Diät bei der an und für sich periodisch in ihrer Intensi¬
tät wechselnden Krankheit erhebliche Besserungen zu erzielen ver¬
mag, lehren mehrfache Beobachtungen (s. u. a. den von Schroth
und mir nacheinander beobachteten Fall), und auch dieser Faktor
ist bei der Beurteilung des Nutzens der Kalktherapie durchaus zu
berücksichtigen. Die späteren Ausführungen über die Aetiologie
werden noch einige Gesichtspunkte für die Therapie ergeben, die
ich, um Wiederholungen zu vermeiden, später erwähnen will.
Pathologisch-anatomischer Teil.
Die noch so aufdringlich sich dem Auge darbietenden viel¬
fach hochgradigen Veränderungen des Knochensystems durften nur
solange zur Grundlage einer morphologischen Einteilung dienen,
als die feineren, mikroskopisch nachweisbaren Veränderungen un¬
bekannt oder doch unerkannt waren.
Die wesentlichen Aufschlüsse waren auf histo-pathologischem
Gebiete zu erwarten. Das Bestreben, mikroskopisch alle Fragen
einer entscheidenden Lösung entgegenzuführen, hat eine den An¬
fänger und Studierenden verwirrende Fülle von Lehrmeinungen,
von Untersuchungsmethoden und als wesentlich und charakteristisch
gedeuteter Untersuchungsergebnisse gezeitigt. Die 'neueste For¬
schung hat sich ein besonderes Verdienst dadurch erworben, dass
sie viele von den vermeintlich wichtigsten mikroskopischen Ver¬
änderungen als Kunstprodukte oder als stets vorhandene Bildungen
nachwies. Die histologische Knochenpathologie kann eine Verein¬
fachung dringend gebrauchen. Die Halisterese, die Gitterfiguren
v. Recklinghausen’s, die mit solch unendlicher Mühe und be-
Go^ gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ucbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
6!)
wunderungswürdigem Scharfsinn als sichtbare Zustandsänderungen
bei der Kalkberaubung und beim Knochenabbau gesucht und ge¬
deutet wurden, haben sich als Trugbilder oder doch als Trug¬
schlüsse erwiesen. Auch die Bedeutung der echten perforierenden
Kanäle v. Volkmann’s für den Knochenabbau hat sich nicht auf¬
rechterhalten lassen. Die neueren Untersuchungen über diesen
Gegenstand verdanken wir vornehmlich Axhausen, der durch
seine Befunde manche alte Lehren Pommer’s wieder zu Ehren
brachte. Wie es scheint werden die Untersuchungsergebnisse Ax¬
hausen’s immer allgemeiner anerkannt, nach den Ausführungen
Fujii’s scheint auch Kaufmann-Göttingen sich von ihrer Richtig¬
keit überzeugt zu haben.
W T ir erkennen dadurch nur eine Art des Knochenabbaus durch
lakunäre Resorption an. Den in den Howship’schen Lakunen der
Resorptionsflächen zu findenden Knochenmarksriesenzellen muss
eine osteoklastische Fähigkeit zuerkannt werden. Sie passen sich
in ihrer Form genau der Lakune an, im Protoplasma wurden
Kalkeinschlüsse gefunden.
Die perforierenden Kanäle lassen zwei Formen unterscheiden:
Die gewöhnlichen perforierenden Kanäle — die falschen nach
Pommer, die Kanäle B nach Axhausen —, die schon lange als
lediglich gefässführende Kanäle anerkannt sind, und die sog. wahren
perforierenden Kanäle (Kanäle A nach Axhausen), die früher als
wichtige Bildungen beim Knochenabbau angesehen wurden, nach
den neueren Forschungen (Axhausen) auch lediglich gefäss¬
führende Kanäle sind. Histologisch unterscheiden sich die beiden
Formen sehr leicht. Die wahren perforierenden Kanäle durch¬
setzen die Knochenlamellen senkrecht und haben demzufolge eine
meist zackige Begrenzungslinie, während die falschen Kanäle von
zusammenhängender Knochenlamelle mit glatter Oberfläche begrenzt
sind, die beim Eintritt des Kanals in die Knochensubstanz umbiegt.
Die perforierenden Kanäle treten — wie das schon v. Reck¬
linghausen in der Festschrift für Virchow betonte — bei der
fibrösen Ostitis sehr in den Hintergrund.
Die Erweiterung Havers’scher Kanäle zu sog. Havers’schen
Räumen geschieht aller Wahrscheinlichkeit nach gleichfalls durch
die Tätigkeit von Osteoklasten, wenn wir auch zuweilen in unseren
Schnitten keine Riesenzellen mehr aufzufinden vermögen. Die
knöcherne Begrenzung der Havers’schen Räume hat häufig eine
ausgesprochen lakunäre Kontur und stellt sich als einwandfreie
Resorptionsfläche dar.
Dem Knochenabbau auf der einen Seite entspricht vielfach
ein Anbau auf der gegenüberliegenden. Der Anbau geschieht von
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
70
F. Lot sch,
Digitized by
dem Fasermark aus. In vielen Fällen — so namentlich auch in
den von mir untersuchten — findet man reichlich wohlausgebildete
Osteoblasten, die auf lange Strecken die Anbaufläche des Knochen¬
randes als lückenlosen Saum begrenzen. Auch mehrere, bis zu
3 Reihen von Osteoblasen habe ich beobachtet. Nach unseren
heutigen Kenntnissen sind die Osteoblasten nichts weiter als be¬
sonders differenzierte Zellen des Knochenmarkbindegewebes. In
Analogie zu der sog. Cambiumschicht des Periosts hat man recht
treffend diesen ßindegewebsmantel der inneren Knochenoberfläche
als Endost bezeichnet. Es ist das die von Ranvier als Atmo¬
sphäre osteogenen Marks bezeichnete Gewebsschicht. Sie trennt
gleichsam die Knocheninnenfläche vom eigentlichen Markraum, wenn
auch der Uebergang dieses Fasermantels in das bindegewebige
Stroma des Knochenmarks ein völlig fliessender ist.
Keineswegs überall finden sich wohlausgebildete Osteoblasten
und auch an Stellen, die einen überaus typischen Besatz von
diesen Knochenbildungszellen aufweisen, zeigt die Anordnung bei
genauerem Studium nicht eine solche Regel- und Gesetzmässigkeit,
wie die Betrachtung bei schwacher Vergrösserung vermuten lässt.
Die ovalen Zellen sind grösser und protoplasmareicher, saftiger
als die spindligen Zellen des anderen Bindegewebes. Ihr rund¬
licher, relativ grosser, bläschenförmiger Kern zeigt eine deutliche
fädige Struktur, auch das Protoplasma nimmt eine Hämatoxylin-
färbung an. Zuweilen sitzen diese Zellen mit der Schmalseite dem
Knochenrand auf, pallisadenartig nebeneinander geordnet erinnern
sie in ihrer Anordnung durchaus an einen Epithelbesatz. Der Kern
liegt bald mehr basal, bald mehr in der dem Knochen abgewandten
Hälfte. Neben und zwischen diesen mit der Schmalseite dem
Knochen anliegenden Zellen finden sich andere, die mit der Breit¬
seite oder ganz willkürlich den Knochen berühren. Bei mehr¬
zeiliger Lage dieser Zellen ist die Regellosigkeit der Anordnung
besonders gross.
Der von den. Osteoblasten umsäumte Knochen stellt sich
meist als typischer osteoider Saum, also als neugebildeter, noch
kalkloser Knochen dar. Nach den heutigen Anschauungen müssen
wir alle kalklosen Knochenabschnitte als neugebildet ansehen.
Dass auch Knochenbildung durch direkte Bindegewebsmeta-
plasie zustande kommt, wird durch viele histologische Bilder sehr
wahrscheinlich gemacht. Boit bildet erst neuerdings derartige
Stellen ab. Der Uebergang bzw. Zusammenhang der Bindegewebs¬
fasern und sog. Sharpey’schen Fasern, sowie der Reichtum des
neugebildeteu Knochengewebes an Sharpey’schen Fasern ist längst
bekannt. Dieser Uebergang der Fasern vom Bindegewebe zum
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
71
Knochengewebe ist übrigens in gleicher Weise auch bei der pe¬
riostalen Knochenbildung vorhanden. Sehr schöne derartige Bilder
erhielt ich bei Knochenbildung aus verlagertem Periost (sog. Myo¬
sitis ossificans).
Da die Osteoblasten nach unserer heutigen Kenntnis nur be¬
sonders differenzierte Zellen des Bindegewebes sind, so ist bei
überstürzter oder krankhaft gesteigerter Knochenproduktion eine
Knochenanbildung direkt aus dem Bindegewebe wohl denkbar.
Andererseits darf nicht vergessen werden, dass das Fehlen von
sichtbaren Osteoblasten im histologischen Präparat nicht beweist,
dass auch vordem keine eigentlichen Knochenbildungszellen vor¬
handen waren. Ein sichtbares neugebildetes Knochenbälkchen
kann, ohne dass wir mikroskopisch die besonders differenzierten
Knochenbildungszellen mehr nachzuweisen vermögen, durch deren
Tätigkeit entstanden sein. Es besteht hier das gleiche Verhältnis
wie mit den Osteoklasten, deren Lakunen wir häufig leer finden.
Wir sehen im Präparat stets ein Zustandsbild, eine bestimmte
Phase des Gewebslebens, alle Schlüsse über das Nacheinander,
über den Ablauf und die Gesetzmässigkeit dieses Gewebslebens
bedürfen besonderer Vorsicht.
Wenn indessen das Knochenmarkbindegewebe seine Haupt¬
tätigkeit, Knochengewebe zu produzieren, ausübt, wird auch das
Fehlen von Osteoblasten nicht Wunder nehmen. Kennen wir doch
die Bildung von Knochengewebe aus gewöhnlichem Bindegewebe in
der Media der Arterien z. B. bei Diabetes. Die Knochenentstehung
aus Muskelbindegewebe bei der sog. Myositis ossificans scheint mir
weniger einwandsfrei beweisbar. Dieser fraglos metaplastische
Knochen in der Media der Arterien beweist gleichzeitig die innere
Zusammengehörigkeit von Knochen- und Knochenmarkgewebe, denn
in den Maschen des spongiösen Knochens findet sich fern von allem
Mutterboden richtiges Knochenmark.
Der neugebildete Knochen zeigt häufig den sog. geflechtartigen
Bau. Die relativ grossen und zahlreichen Knochenkörperchen liegen
regellos in der meist unverkalkten Grundsubstanz. Mehrfach sind
die Knochenzellen noch sehr gross und Protoplasma sowie Kern
tinktoriell noch gut unterscheidbar, die Knochenhöhle entsprechend
gross, glattwandig, ohne nachweisbare Ausläufer und Zacken. Nimmt
man hinzu, dass die kapselartigen Knochenhöhlen stellenweise sehr
dicht liegen und sich fast berühren, so erhellt die grosse Aehn-
lichkeit mit Knorpelgewebe (Knochenknorpel, Knorpelknochen). Ich
glaube einige Unstimmigkeiten der in der Literatur niedergelegten
histologischen Befunde erklären sich aus dieser Aehnlichkeit. Aus
dem Gesagten geht hervor, dass das eigentliche Knochengewebe
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
72
F. Lot sch.
Digitized by
wie bei allen anderen physiologischen wie pathologischen Prozessen
eine absolut passive Rolle spielt. Es wird an- und abgebaut; so
sehr auch das makroskopische und vielleicht auch das mikro¬
skopische Bild von dem Zustand des eigentlichen Knochengewebes
beherrscht wird, stets ist es nur der Ausdruck der Tätigkeit des
aktiven Anteils des Knochengewebes, des osteogenen Gewebes, d. h.
des Periosts und des Knochenmarks. Trotz der anscheinend sehr
engen Beziehungen zwischen der Cambiumschicht des Periosts und
der osteogenen Schicht des Marks hat sich in allen untersuchten
Fällen von Ostitis fibrosa die seltsame Tatsache ergeben, dass das
Periost völlig oder doch so gut wie unbeteiligt ist. Auf dieser
Intaktheit und diesem Unbeteiligtsein des Periosts beruht nach¬
weislich zum weitaus grössten Teil die Möglichkeit einer Behand¬
lung, die zu Besserung oder gar Heilung führt. Wenn wir nach
Excochleation eines circumscripten fibrös-ostitischen Herdes den
Defekt mit Knochengewebe sich füllen und den betreffenden
Knochen wieder tragfähig werden sehen, so ist dieser Heilungs¬
vorgang wesentlich durch die produktive Tätigkeit des Periosts zu
erklären.
Als pathologisches Substrat für die Ostitis fibrosa und in gleicher
Weise für die ganze Gruppe der rachitisch-osteomalacischen Krank¬
heitsprozesse kommt deshalb vornehmlich das Knochenmark in Be¬
tracht. Das Studium der hier sicht- und nachweisbaren Verände¬
rungen versprach den bestmöglichen Aufschluss über das eigent¬
liche Wesen der Erkrankung.
Am Knochenmark lässt sich in Analogie zu anderen parenchy¬
matösen Organen ein bindegewebiges Stroma und als Parench\ T m
das eigentliche Knochenmark unterscheiden. Ich will diesen par¬
enchymatösen Anteil im folgenden als hämatopoetische Komponente
bezeichnen. Diese hämatopoetische Komponente des Knochenmarks
stellt entschieden die höchst differenzierte Zell form dar und lässt
darum den Vergleich mit dem Parenchym anderer Organe zu. Sie
besteht aus lose in den Maschen des Stromas gelegenen Zellen,
ich nenne vor allem die eigentlichen Markzellen-Myelocyten, die
fertigen weissen Blutelemente, die Vorstufen der roten Blut¬
körperchen, endlich die sog. Megakaryocyten. Die Knochenmarks¬
riesenzellen = Myeloplaxen nehmen eine Sonderstellung insofern ein,
als sie nach den Untersuchungen von Wright und Schridde als
die Bildungsstätten der Blutplättchen angesehen werden müssen,
zum anderen bei dem Knochenabbau die wesentlichste, wahrschein¬
lich sogar die alleinige Rolle spielen. Sie liegen meist zwischen
den Bindegewebsfasern des Stromas. Ein morphologischer Unter¬
schied besteht meines Wissens zwischen den Blutplättchen er-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
73
zeugenden Myeloplaxen und den sog. Osteoklasten nicht. Auf den
Bau dieser Riesenzellen komme ich später noch ausführlich zurück.
Im normalen Knochenmark tritt das Stroma stark in den
Hintergrund. Es bildet lediglich dünne Septen, in denen die zahl¬
reichen Gefässe und das ausgedehnte Capillarnetz verlaufen. Nur
in der nächsten Umgebung der Knochenspongiosa und in ihren
engen Maschen findet sich bereits normalerweise etwas reichlicheres
Bindegewebe. Da das Knochengewebe trotz aller scheinbaren Starr¬
heit ein lebendes Gewebe bleibt und auch unter physiologischen
Verhältnissen einem dauernden An- und Abbau, einem ständigen
Umbau unterliegt, so ist eine stärkere Anhäufung des osteogenen
Bindegewebes in seiner nächsten Umgebung durchaus erklärlich.
Die hämatopoetische Komponente des Knochenmarks wird in
dem Schaft der Röhrenknochen bei gesunden Erwachsenen nicht mehr
gefunden. Sie ist geschwunden und ihr Platz von Fettzellen als
ausgesprochenem Füllmaterial eingenommen. Ob diese Fettzellen
aus Stromazellen abzuleiten sind oder nicht, kann für unsere Dar¬
stellung ausser Betracht bleiben. Dass in Zuständen hochgradiger
Kachexie dieses Fettmark zu Gallertmark werden kann, dass dann
das Fett vom Körper benötigt und durch seröse Flüssigkeit ersetzt
wird, sei hier nur beiläufig erwähnt. Die innige Zusammengehörig¬
keit der hämatopoetischen Komponente und des osteogenen Binde¬
gewebes erhellt aus der Tatsache, dass bei Zuständen, die eine
stärkere Neubildung von Blutelementen erheischen, sich das Fett¬
mark wieder durch sog. hämatopoctisches Knochenmark ersetzt
findet.
Bei allen krankhaften Störungen des Knochenumbaues, vor
allem bei jenen, die mit einer gesteigerten Anbautätigkeit einher¬
gehen, werden wir mit Recht eine Vermehrung des osteogenen Ge¬
webes erwarten.
Tatsächlich besteht diese Erwartung zu Recht und die krank¬
haft gestörten Vorgänge des Knochenan- und Abbaus erhalten da¬
durch eine erstaunliche Gleichartigkeit. Stets handelt es sich um
eine Störung des Gewebsgleichgewichts, die letzten Endes ihren
morphologisch sichtbaren Ausgang von dem vermehrten osteogenen
Gewebe nimmt. Daher die Berechtigung, zusammenfassend von
einer rachitisch-raalacischen Erkrankung zu sprechen und die einzelnen
durch krankhaft gestörten Knochenumbau charakterisierten Krank¬
heitsbilder als verschiedene Arten dieser rachitisch-malacischen Er¬
krankung anzusehen. Es ist das die Konsequenz des rein morpho¬
logischen und zwar histopathologischen Einteilungsprinzips, das bei
der ungeklärten Aetiologie das einzig mögliche erscheint. Wird es
einst gelingen, diese Krankheiten des rachitisch-malacischen Formen-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
74
F. Lutsch,
Digitized by
kreises genetisch zu erklären, so tritt die Einteilung nach der
Aetiologie an die Stelle der Morphologie, und es kann geschehen,
dass sich genetisch durchaus heterogene Krankheiten hier vorläufig
vereinigt fanden.
Die grosse Verschiedenheit in der Intensität des krankhaft ge¬
störten Knochenumbaues, bei dem bald der Anbau, bald der Abbau
überwiegt, führt zu makroskopisch sehr differenten Veränderungen
der Knochen, zu Verdünnung und Erweichung mit bizarren Ver¬
biegungen (Osteomalacie), zu unförmigen Verdickungen (Ostitis
deformans Paget), zu mehr circumscripten Verdickungen und Er¬
weichungen mit Verbiegungen, Infraktionen. Frakturen (Rachitis,
Ostitis fibrosa v. Recklinghausen), auch zu gesteigertem Längen¬
wachstum.
Alle Bildungen, die in ihrer Vielgestaltigkeit dem histologischen
Bilde ein oft verwirrendes und fast rätselhaftes Aussehen verleihen,
stehen, wie wir in erweitertem Sinne mit Virchow’s Worten
(Akademierede) sagen können, „stets innerhalb der typischen Ge-
websformen, aus denen sich der Knochen entwickelt“. Das gilt
für die Bildung des lamellüsen und geflechtartigen Knochens, von
verkalktem und unverkalktem Knochengewebe, von wirklich neu¬
gebildetem Knorpel, von granulationsartigem und faserigem Mark¬
gewebe, von den tumorartigen Proliferationen des Fasermarks, den
Markfibromen, den riesenzellensarkomartigen Herden und Tumoren,
sowie endlich den regressiven Prozessen innerhalb der Tumoren,
den Erweichungscysten.
Der Zellgchalt des Fasermarks ist ein sehr wechselnder. Den
Stamm bilden Spindelzellen, bald schlank und schmal mit schmächtigem
Zelleinbau und Kern, bald grösser, saftiger, jugendlicher mit reich¬
licherem Protoplasma und mehr bläschenförmigem, ovalem Kern.
Während die letztere Zellart meist wenig oder gar keine Inter¬
cellularsubstanz und Fibrillen enthält und die dicht gedrängten
Zellen das histologische Bild des Spindelzelien-Sarkomgewebes dar¬
bieten, finden sich die kleineren Spindelzellen in zcllärmeren, oft
direkt fibrös und zellarmen Stellen und fassen feinere und dickere
Fibrillen zwischen sich. Bisweilen — besonders an den später zu
besprechenden Wänden grösserer und älterer Cysten — treten die
Zellen an Zahl und Grösse gegen die dicken balkenartigen, häufig
koncentrischen Lagen der Intercellularfibrillen gänzlich in den Hinter¬
grund. Stellenweise ist das Bindegewebe anscheinend durch seröse
Durchtränkung stark aufgelockert, die Fasern und Zellen durch an¬
scheinend leere Lücken und Maschen getrennt. Die spindeligen
Zellen erscheinen besonders klein, sternförmig, mit langen, feinen
Ausläufern. Das Gewebe erhält ganz den Charakter des Myxom-
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
75
gewebes. Neben diesen kleineren Maschen und Hohlräumen ver¬
leihen grössere Lücken dem Fasermark einen leicht alveolären
Bau. Das Gewebe erinnert in diesem Zustande, wie v. Reck¬
linghausen (Festschrift) betont, an die Struktur der Pia- und der
Arachnoidealzotten. Bei höheren Graden von Hohlraumbildung
schwinden die Balken des Fasermarks, werden ebenso wie die
Zellen undeutlicher, wahrscheinlich verflüssigt und es entstehen in¬
mitten des Bindegewebes cystische Hohlräume.
Die als normaler Bestandteil des Knochenmarks anzusehenden
Riesenzellen treten stellenweise gehäuft auf. Ueber ihre Herkunft
wissen wir nichts Sicheres. Vielfach sah ich sie, ebenso wie viele
andere Untersucher, in eigentümlich naher und häufiger räumlicher
Beziehung zu blutgefüllten Räumen, sei es erweiterten Capillaren
oder Extravasaten. Ich vermeide es, daraus bindende Schlüsse
über ihre Genese aus Capillarendothelien zu ziehen (s. Ritter).
Zuweilen sieht man die Riesenzellen zu ganzen Nestern vereint
gleichsam einen Stollen in das Knochengewebe treiben, an anderen
Stellen liegen sie einzeln oder dichter aneinandergereiht in den zu¬
gehörigen Lakunen einer Knochenresorptionsfläche. Doch gibt cs,
worauf bereits oben hingewiesen wurde, auch zahlreiche deutliche
Lakunen ohne sichtbare Riesenzellen. Während unter normalen
Verhältnissen die Osteoklasten nach Abschluss ihres Zerstörungs¬
werks wieder verschwinden, wobei es fraglich erscheint, ob sie zu¬
grunde gehen oder sich in andere Zellformen umwandeln, bleiben
sie bei der Ostitis fibrosa an einigen Stellen bestehen. Sie sind
hier ein durchaus integrierender Bestandteil des Gewebes, keines¬
wegs eine mehr zufällige Beimischung, wie Lubarsch sagt. Fast
stets sind es die spindelzellreichen Gewebsstrecken, in denen sie
oft in grossen Massen aufzufinden sind. Das Gewebe erhält da¬
durch durchaus das Gepräge des Riesenzellensarkoms. Alle Forscher,
darunter Virchow, v. Recklinghausen, haben eine histologische
Unterscheidung zwischen diesen Bildungen und Riesenzellensarkomen
nicht zu treffen vermocht.
Neuerdings hat Lubarsch gelegentlich der Untersuchung des
Gaugele’schen Falles (1906) histologische Unterscheidungsmerk¬
male mitgeteilt. Der alte Streit dreht sich bei diesen riesenzellen¬
sarkomartigen Bildungen im Verlauf einer Ostitis fibrosa um die
Frage, sind diese Gebilde richtige Tumoren oder tumorartige ent¬
zündliche Wucherungen. Für die letztere Auffassung war nament¬
lich Rehn (1904) auf Grund der Beobachtungsergebnisse seines
Falles eingetreten, die andere Ansicht, es handle sich um wahre
Riesenzellensarkome, vertrat namentlich v. Hab er er. „Nun könnte
man freilich einwenden — ich citiere Lubarsch’s eigene Worte —,
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
76
F. Lotseh,
Digitized by
dass es sich in gewisser Hinsicht hier nur um einen Streit um
Worte handelt; denn wodurch sich eigentlich ein echtes Blastom
von einer entzündlichen Neubildung dem Wesen nach unterscheidet,
vermöchte auch heute noch kein Mensch mit Sicherheit zu sagen.
In morphologischer Hinsicht handle cs sich eben um ein Riesen¬
zellensarkom und da gerade für diese Form der Sarkome weder
destruierendes Wachstum noch Metastasenbildung und Recidivierung
in biologischer Hinsicht charakteristisch wären, müsse man diese
Bildungen zum mindesten nach ihrem histologischen Charakter als
Sarkome bezeichnen. Aber auch das trifft nicht zu, denn es be¬
stehen selbst gegenüber dem Riesenzellensarkom, welches
das gutartigste aller ist und auch mit den hier in Rede stehenden
Bildungen die grösste histologische Aehnlichkeit hat, der Epulis
noch erhebliche histologische Unterschiede.“
Bevor ich auf die von Lu barsch genannten histologischen
Unterscheidungsmerkmale eingehe, müssen wir noch über die Ver¬
teilung der Blutgefässe und deren Verhalten bei der Markfibrose
sprechen, da die Neigung zu Blutungen und der daraus resultierende
Reichtum an Blutpigment den Gewebsbildungen der Markfibrose,
insonderheit den riesenzellensarkomartigen Bildungen ein charakte¬
ristisches Gepräge verleiht.
Schon das normale Knochenmark besitzt einen gewaltigen
Reichtum an Blutgefässen. Die Verteilung der intraossalen Blut¬
gefässe, deren Kenntnis wir vor allem den schönen Injektionsver¬
suchen Lexer’s verdanken, zeigt neben der Eintrittsstelle der
einzigen oder doppelten Art. nutritia in der Diaphysenmitte ein be¬
sonderes und reichliches Gefässnetz an der Epiphysengrenze wenigstens
beim jugendlichen Knochen.
Die Capillaren bilden ein dichtes Netz von relativ weitkalibrigen,
lediglich von Endothel begrenzten Blutleitern. Ebenso dünnwandig
sind die kleineren Venen des Knochenmarks, eine eigentliche Wand¬
struktur mit Muskel- und elastischen Fasern findet sich erst bei
grösseren Venenstämmen. Bei der relativen Enge der zuführenden
Arterien muss es innerhalb des Knochenmarks zu erheblicher Strom¬
verlangsamung im Gebiet der Capillaren und Venen kommen. Tat¬
sächlich findet man diese Gefässe meist strotzend mit Blut gefüllt,
bisweilen ist auch eine Randzone weisser Blutelemente als sicht¬
barer Ausdruck der Blutstromverlangsamung nachweisbar.
Auch bei der Markfibrose findet sich ein auffallender Reich¬
tum von Gefässen, namentlich vermehrte und erweiterte Capillaren.
sowie dünnwandigste Venen. Der Gefässgehalt wechselt zwar in
ziemlich erheblichen Grenzen. In den ganz fibrösen Stellen lällt
bisweilen geradezu eine Gefässarmut auf, das Gleiche gilt von den
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
l’ebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
77
myxomatös veränderten Stellen, doch haben wir es hier mit nach¬
weisbar sekundär veränderten, älteren Gewebsabschnitten zu tun.
Das junge Faserraark ist sehr gefässreich. Die nur von dünner
Endothelschicht begrenzten Capillaren finden in dem lockeren Ge¬
webe wenig Halt und alle Steigerungen des Blutdrucks werden
deshalb leicht zu Rupturen der Endothelschicht und zu Extra¬
vasaten Anlass geben. Ebenso wie im normalen Knochenmark
finden auch bei der jungen Markfibrose alle kongestiven Strom¬
änderungen in den durch die starre Knochenwand nach aussen ab¬
geschlossenen Gefässgebieten des Knocheninnern keinen Raum zu
schnellem Ausgleich. Tatsächlich sind Blutextravasate und Imbi¬
bitionen und Infarcierungen des fibrösen Markgewebes ein häufiger
und geradezu typischer Befund bei der Ostitis fibrosa. Als sicherer
Rest solcher Blutungen ist das Pigment anzusehen, das gleichfalls
ein ständiger und typischer Befund bei der Ostitis fibrosa ist.
Dieses Pigment erweist sich durch seinen nachweisbaren Gehalt an
Eisen (positive Eisenreaktion!) als sicherer Abkömmling des Blutes.
Es tritt in Gestalt von körnigen Massen oder von Schollen in Haufen
oder auch einzeln im Bindegewebe auf, zum Teil liegt es deutlich
innerhalb von meist grossen Zellen. In der Umgebung der cystischen
Hohlräume findet sich häufig eine äusserst pigraentreiche Zwischen¬
schicht in der Wand. Ferner sind die riesenzellensarkomartigen
Stellen auffallend reich an Pigment, so dass diese Stellen schon
makroskopisch einen braunroten, bisweilen rostbraunen Farbenton
erhalten. Die gleiche Färbung ist von den myelogenen Riesen¬
zellensarkomen der Knochen bekannt und hat diesen Bildungen den
Namen der braunen Tumoren eingebracht. Diese braunrote Färbung
ist für die Riesenzellensarkome der Knochen so charakteristisch,
dass wir Chirurgen schon aus diesem Aussehen bei der Operation
die sichere Diagnose auf Riesenzellensarkom zu stellen berechtigt
sind. Histologisch finden sich auch Pigmentkörner innerhalb der
Riesenzellen.
Bevor ich mich den cystischen und riesenzellensarkomartigen
Bildungen zuwende, muss noch einer Gewebsart gedacht werden,
die häufiger gefunden und besonders bewertet worden ist. Ich
meine das Knorpelgewebe. Der Lieblingssitz der metaplastisch-
malacischen Prozesse in den Metaphysen der Röhrenknochen be¬
dingt eine nahe räumliche Beziehung zu den Epiphysenknorpeln.
Krankhafte Störungen in der Nähe des Intermediärknorpels können
zu Unregelmässigkeiten, zapfen- und zungenförmigen Gebilden und
zu völligen Abschnürungen Anlass geben. Am besten bekannt
sind derartige Verschiebungen und Verlagerungen bei der Rachitis.
In diesem Zusammenhänge wird der Fall Zer'oni’s mehrfach in
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
78 F. Lots eh,
der Literatur erwähnt. Das abgeschnürte Knorpelstück bleibt an¬
scheinend häufig lange Zeit erhalten und kann infolge der vom
Mutterboden mitverpflanzten Wachsturasenergie Anlass zu tumor¬
artiger Proliferation, zu einem Enchondrora geben. Diese Gewächse
bestehen im wesentlichen aus hyalinem Knorpel, doch findet sich
in grösseren Enchondromen auch Faserknorpel. Darauf hat Virchow
in seiner Onkologie bereits hingewiesen. Da Knorpelgewebe be¬
kanntlich keine eigenen Gefässe besitzt, bezüglich der Ernährung-
also ganz auf die Umgebung angewiesen ist, so kann es nicht
wundernehmen, dass sich im Centrum grösserer Knorpelgeschwülste
regressive Prozesse, vor allem Kolliquations- und Erweichungs¬
cysten einstellen. Unter zunehmender Erweichung mag die centrale
Cyste sich noch so stark vergrössern, trotzdem wird zum Nachweis
der Genese des Hohlrauras aus einem Enchondrora der Befund von
Knorpelgewebe und zwar als direkte Wandbekleidung der Cyste
erforderlich sein. Die Entstehung des Enchondroms hat anscheinend
in den 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Interesse der
Pathologen und besonders Virchow r ’s in hohem Masse erregt. Aus
dem Dezember des Jahres 1875 stammt die berühmte Akademie¬
rede Virchow’s: Ueber die Entstehung des Enchondroms und
seine Beziehungen zu der Ecchondrosis und Exostosis cartilaginea.
Die in grösseren Enchondromen als sichere Erweichungshöhlen
nachgewiesenen cvstischen Bildungen versprachen die zu jener Zeit
sehr unklare Vorstellung von der Entstehung der Knochencysten
auf eine sichere Basis zu stellen. Abgesehen von den Kiefer¬
cysten, die nach Magi tot’s Untersuchungen aus den Jahren 1872
bis 1878 sämtlich als dentalen Ursprungs angesehen wurden, waren
Knochencysten nur sehr wenig bekannt.
Vor allem herrschte Cruveilhier’s Ansicht, der gelehrt hatte,
die Cysten entständen aus einer Entartung venöser Blutgefässe.
Ebenso galten erweiterte Lymphgefässe für den Ausgangspunkt
der Cysten. Diesen Lehren trat Virchow, der eingestandener-
massen früher selbst die eigentlichen Knochencysten für eine selb¬
ständige Bildung hielt, in seiner berühmten Akademierede „Ueber
die Bildung von Knochencysten“ im Juni 1876 entgegen und sah,
wie schon eingangs erwähnt, das wichtigste Ergebnis seiner Unter¬
suchungen in dem Nachweis, „dass in keinem Falle die Cvsten-
bildung im Knochen das Primäre und Wesentliche ist, dass viel¬
mehr alle Fälle dieser Art als Neubildungsprodukte früher solider Neu¬
bildungen anzusehen sind“. Er nannte die Hypothese Cruveilhier’s
„schwer verständlich“, die Lyraphgefässtheorie „nicht minder will¬
kürlich“. Die soliden Primärbildungen, aus denen sich die Kystome
entwickeln, stehen'nach Virchow wahrscheinlich „stets innerhalb
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
lieber generalisierte Ostitis fibrnsa mit Tumoren und Cysten.
79
der typischen Gewebsformen, aus denen sich der Knochen ent¬
wickelt, und sie schwanken daher hauptsächlich zwischen chondroma-
tösen und giganto-sarkomatösen Formen“. Virchow hat, wie aus
diesem Citat mit voller Deutlichkeit hervorgeht und wie Milner
in seiner dankenswerten kritischen Arbeit ausführlich zu beweisen
sucht, keineswegs alle Knochencysten als erweichte Enchondrome
hinstellen wollen. Die solitäre Humeruscyste, die den Ausgangs¬
punkt seiner Untersuchungen bildet, und auf die ich im folgenden
noch ausführlich zu sprechen komme, fasste er als ein Xeubildungs-
und ihren Inhalt als Schmelzungsprodukt chondromatöser Knoten
auf. Neben der primär vorhandenen Knorpelgeschwulst nimmt
Virchow noch eine Recartilaginescenz des umgebenden Knochen¬
gewebes an. Auch die Cysten und Tumoren des Froriep’schen
Falles glaubt Virchow den Faserknorpelgeschwülsten zurechnen
zu müssen.
Trotz der Einwände und Vorbehalte, die der Autor selbst
äusserte, galt für die Folgezeit die Cystenentstehung aus central
erweichten Enchondromen geradezu als einzige Entstehungsmöglich¬
keit, und diese Theorie wurde auf die Autorität Virchow’s ge¬
stützt. Die Ostitis fibrosa war noch unbekannt oder noch nicht
anerkantn. Man ging so weit, dass man selbst ohne Nachweis
irgendwelcher Knorpelreste, bei völlig bindegewebiger Wand, von
Enchondromcysten sprach. So fand Lexer in dem Resektions¬
präparat einer grossen, solitären Humeruscyste (14 jähriger Knabe)
histologisch kein Fasermark noch Osteoid, dagegen in der Meta-
physenspongiosa hyaline Knorpelinseln, und hielt die Cyste deshalb
für ein central erweichtes und cystisch degeneriertes Enchondrom.
Der Befund von Knorpel bei der Ostitis fibrosa ist uns heute
weniger wunderbar, seitdem wir die Bildung von Knorpelgewcbe
bei überstürzter Knochenneubildung, z. B. bei der Callusbildung
(v. Haberer), als häufigen Befund auch entfernt von dem Inter¬
mediärknorpel kennen, ln diesem übertragenen Sinne können wir
auch heute noch von einer Recartilaginescenz des Knochengewebes
sprechen. Stets handelt cs sich nicht um eine Umwandlung,
sondern zunächst erfolgt der Abbau des alten Knochengewebes,
sodann der Anbau von Knorpel oder Osteoid. Versprengte Herde
von hyalinem oder auch Netzknorpel in der Nähe des Epiphysen¬
knorpels werden für uns keine Erklärung für die Bildung einer
Knochencyste abgeben, deren Wand durchweg aus Bindegewebe
besteht (v. Recklinghausen). Für die Knorpelbefunde in der
Diaphysenmitte reicht die Versprengungstheorie ohnehin nicht aus.
Boström hält die Inseln von hyalinem Knorpel in der Umgebung
seiner grossen, multilokularen Bcckencyste für Reste der Ursprung-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
80
F. Lotseh,
Digitized by
lieh knorpeligen Anlage des Wirbels, nicht für abgesprengte Teile
der Zwischenwirbelscheibe. Nach seiner Meinung handelt es sich
nicht um einen grossen, später erweichten ehondromatösen Tumor,
sondern um Erweichungscysten, deren erste Entstehung in Knorpel¬
resten zu suchen ist. Seine Theorie hat, wie es scheint, keinen
Anhänger gefunden.
Die histologische Abgrenzung von Knorpel und gewissen
Formen von Knorpelknochen stösst gelegentlich auf Schwierig¬
keiten. Die Diagnose Faserknorpel ist erstlich für die Enchondrom-
genese so gut wie gar nicht beweisend, sodann scheint in früherer
Zeit diese Bezeichnung öfters fälschlicherweise für dickes fibrilläres
Bindegewebe gebraucht worden zu sein. Liest man Virchow’s
Schilderung mit besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit durch,
so fällt auf, wie vorsichtig sich der Autor ausdrückt. Kaum je
spricht er von Faserknorpel, stets nur von faserknorpeligem Aus¬
sehen, von einer Masse, die lebhaft an gewisse Faserknorpel er¬
innerte, von faserknorpeliger Beschaffenheit. Dass Virchow selbst
die Unmöglichkeit, eine grössere Zahl der glattwandigen Knochen¬
cysten auf Enchondrorae zurückzuführen, empfand, geht aus seinen
Worten mit absoluter Deutlichkeit hervor.
Die erste literarische Erwähnung der cystischen Knochentumoren
schreibt Froriep dem französischen Chirurgen Dupuytren zu.
Aus den Aufzeichnungen seiner Vorträge geht hervor, dass die
damalige Zeit unter der Benennung „Cyste“ alle Bildungen zu¬
sammenfasste, die durch eine Kapsel oder einen Balg gegen den
umgebenden Knochen abgegrenzt waren. Infolgedessen unterschied
Dupuytren Cysten mit festem und flüssigem Inhalt, auch Nclaton
legt diese Einteilung zugrunde. Dupuytren spricht in seiner Vor¬
lesung über Balggeschwülste in den Knochen unter anderen von
uterusfibromähnlichen, fibrös-zeiligen, myelogenen Tumoren, die sich
verflüssigen können.
Es geht aus den Aufzeichnungen mit Eindeutigkeit hervor,
dass Dupuytren centrale Fibrome, also solide Geschwülste meint,
die durch Entartung verflüssigt werden können. Die 7 aufgeführten
Krankengeschichten sowie 2 erwähnte Präparate betreffen sämtlich
Kiefercysten. Auch Nelaton sagt von den Cysten mit flüssigem
Inhalt, dass sie am häufigsten in den Kieferknochen beobachtet
wurden, zuweilen indessen auch im Schaft von Röhrenknochen. Er
unterscheidet uni- und multilokuläre Cysten und erinnert an die
von ihm 1844 beobachtete und in der Societe de Chirurgie demon¬
strierte multilokuläre Cyste des linken Oberschenkelknochens, die
sich von der Trochanterbasis bis fast zu den Condvlen erstreckte
und aus durchschnittlich walnussgrossen Cysten zusammensetzte.
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
UeDer generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
81
Die Innenwand der Hohlräume beschreibt Nelaton als glatt,
glänzend wie eine seröse Haut, so dass eine grosse Aehnlichkeit
zwischen den Cysten der Knochen und denen der Weichteile ent¬
stehe. Unter den „Cysten mit festem Inhalt“ erwähnt Nelaton
ebenso wie Dupuytren fibröse Tumoren der Knochen, deren weiss¬
glänzende, dichte und feste Fasern an die Uterusfibrome erinnerten.
Danach ist die sog. Knochenbalggeschwulst eine krankhafte Ent¬
wicklung eines fibrösen Gewebes im Knochen (Dupuytren). Meist
bestehen keinerlei Verwachsungen mit der Umgebung; sie sind
deshalb mühelos zu enucleieren (Nelaton). Durch sorgfältige
lokale Ausräumung, eventuell mit nachfolgender Kauterisation kann
das prognostisch nicht ungünstige Leiden radikal geheilt werden
(Dupuytren). Bestehen, was in seltenen Fällen Vorkommen soll,
stärkere Verwachsungen mit der Umgebung, so kann die radikale
operative Entfernung auf Schwierigkeiten stossen. Nach unvoll¬
ständiger Entfernung wurden schnelle Lokalrecidive beobachtet
(Dupuytren); die Möglichkeit einer sekundär krebsigen Entartung
dieser Tumoren, die Dupuytren noch erwähnt, lehnte bereits
Nölaton ab. Nelaton macht weiter darauf aufmerksam, dass
manche derartige Knochenfibrome ihren Hohlraum nicht völlig aus¬
füllen, sondern ihn mit einer verschieden grossen Flüssigkeitsmenge
teilen (Cystofibrome nach v. Recklinghausen). Derartige fibröse
Tumoren sind auch später, sowohl solitär besonders in den Kiefern,
als generalisiert z. B. schon in den ersten Fällen v. Reckling-
hausen’s (Festschrift für Virchow) beschrieben worden. Die
cystischen Hohlräume liegen stets innerhalb derart bindegewebiger
Markabschnitte. Eine Grenze zwischen Markfibrose und Markfibrom
gibt es erklärlicherweise nicht. Die nahe genetische Beziehung
zwischen dem myelogenen Knochenfibrom und den Cysten ver¬
anschaulicht der nachstehend aufgeführte Fall Nagel’s.
Im 3. Lebensjahre war durch Fall von einem Stuhl eine hohe rechtsseitige
Obersehenkelfraktur entstanden, die zunächst in 7 Wochen glatt heilte, später ohne
Schmerzen zu Verkrümmung und Verkürzung des rechten Oberschenkels führte.
Schlange berichtet aus dem Jahre 1892 folgenden Befund
bei dem damals 7 jährigen Mädchen:
Rechtes Femur unterhalb des Trochanters etwas aufgeirirben, stark nach
vorn und aussen abgeknickt, etwas druckempfindlich. Keine Crepitation noch
abnorme Beweglichkeit. Hüftgelenk frei. Bei der Operation wurde im oberen
Drittel des rechten Femurs eine derbe, weissgelbliehe, stellenweise ins Bläu¬
liche schimmernde Geschwulst mit fast walnussgrosser centraler Cyste voll
seröser Flüssigkeit gefunden und excochleiert. Infraktion zwecks Slcllungs-
korrcktur, Tamponade. Glatte knöcherne Heilung mit geringer Verkürzung. --
Mikroskopisch bestand die epithellosc Cystenwand aus streifigem, gcfässlosem
Bindegewebe mit reichlich Pigment. Das umgehende Gewebe war gefässreich,
von „fascrknorpeligem Bau" mit zahlreichen Knoehenbälkchcn.
Archiv ffir kl in. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. 0
Digitized by
Gck igle
Original frnrri
UMIVERSITY OF IOWA
82
F. Lot sch.
Digitized by
In den folgenden Jahren zunehmende Verkürzung des rechten Beins und
wachsende Schwellung der rechten Hiiftir»*irend. Seit dem 17. Jahre r rheuma-
tisehe“ Schmerzen und zunehmende Fnsiidierhrit im rechten Bein. Im 23. Jahre
pathologische Fraktur des rechten Ohrrsehenkels unterhall) einer grossen, deut¬
lich abtast hären, harten, leicht knolligen, unempfindlichen Geschwulst im obersten
Femurdrittel. Starke Atrophie des rechten Beins, IG cm Verkürzung am Femur.
In diesem Zustande wurde die Patientin in unsere Klinik aufgenommen. Ich
eitiere die Angaben nach Axhausen (Arbeiten aus dem Gebiete der Knochen¬
pathologie und Knochenchirurgie. Dieses Archiv. 1911. Bd. 94. S. 242:
s. a. Vcrhandl. d. Deutschen Ges. f. Chir. 1912. S. TG u. 77). Das Röntgen¬
bild (s. Axhausen, Fig. 1, S. 244) zeigt Hals, Trochanter und oberstes Sohaft-
viertel des rechten Femurs durch grossen, allseitig gut abgegrenzten Tumor
schalig aufgetrieben. Der Tumor wurde durch Herrn Geheimrat Hildebrand
reseziert, der Defekt mit bestem Frfolg durch ein freitransplantiertes Fibula-
stiiek von entsprechender Lange ersetzt. Glatte Heilung. Nach 4 Jahren (1913)
reeidivfrei, sehr gute Funktion. — Der resezierte Tumor erwies sich in Bestätigung
der klinischen Diagnose als derbes Fibrom mit scharfer Begrenzung, ohne Cyste
(vgl. Abbild, bei Axhausen. Taf. VII, Fig. 1). Histologisch besteht der Tumor
aus derbfaserigem, zell- und gefässarmem Bindegewebe. An der Grenze gegen
die umgebenden Spongiosareste grösserer Zellreichtum mit zahlreichen Riesen¬
zellen in Howship'srhen Lakunen, schmale osteoide Appositionssäumc in der
Peripherie (vgl. Abbild, bei Axhausen, Taf. VII, Fig. 2 u. 3).
In diesem besonders lehrreichen Fall ist ein früher cvsten-
haltiger fibröser und knorpelartiger Tumor 16 Jahre nach Excoch-
leation als solides Osteofibrom lokal recidiviert.
Die Flüssigkeit der Knochenhöhlen wird schon von Dupuy¬
tren und Nelaton bald dünnflüssig, bald gallertig (un liquide
filant) genannt, bald wasserklar, bald getrübt bis zu seröseitriger
Beschaffenheit, bald farblos, bald blutig gefärbt.
Durch diese myelogenen Prozesse wurde infolge des zunehmenden
Wachstumsdruckes der Cvsten bzw. der Fibrome nach Ansicht der
genannten Autoren (Dupuytren und Nelaton) der Knochen rein
mechanisch auseinander gedrängt und bis zu einer eindrückbaren
Lamelle verdünnt. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass
Froriep wohl als erster dieser irrtümlichen Anschauung entgegen¬
getreten ist und auf die Unmöglichkeit einer rein mechanischen Deh¬
nung des umgebenden Knochengewebes aufmerksam gemacht hat. Die
unklaren Vorstellungen, die zu Froriep’s Zeiten über die Knochen¬
cysten herrschten, gehen aus seiner Aufzählung der damals bekannten
Formen von „Knochenhydatiden“ hervor. Er unterscheidet:
1. Einfache Wasserbälge, aus einer einzigen innen glatten
Haut bestehend,
2. Acephalocystcn, bei denen in einer fibrösen Hülle eine
die Höhle ganz ausfüllende Wasserblase sich befindet, die
mit dem Balge, welchen sie vollkommen ausfüllt, nicht
in unmittelbarer Verbindung steht und daher als selb¬
ständig lebende Accphalocyste betrachtet wird,
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
l’pbor generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
83
3. Ilydatidengeschwülste mit Tochterblasen, von denen es
nach den vorliegenden Beobachtungen nicht klar ist,
ob sie als Acephalocysten oder Echinococci zu be¬
trachten sind.
Ira wesentlichen dachte man danach in jener Zeit (Ausgang
der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts) nur an parasitäre Cysten,
von den nicht parasitären hatte man erst ganz schüchterne und
ungeklärte Vorstellungen. Zwei englische Autoren (Stanley und
Holmes), die Virchow citiert, leugneten noch 1849 bzw. gar
1870 überhaupt die Existenz wirklicher Knochencysten und fassen
derartige Beobachtungen entweder als Echinokokken oder alte
Abscesse auf.
Von einer einheitlichen Genese der sog. Knochencysten kann
keine Rede sein. Wirkliche Cysten im strengen Sinne Waldeyer’s,
also epithel- oder endotheltragende Hohlräume, sind im Knochen
äusserst selten und beschränken sich auf einerseits teratoide und
metastatische Adenombildungen (Strumametastasen), bzw. Tumoren
aus verirrten Epithelkeimen, andererseits auf Gefässektasien, Häm-
und Lymphangiome. Die Cysten bleiben meist von mikroskopischer
Kleinheit und scheiden darum aus unserer Betrachtung von vorn¬
herein aus. Alle anderen Hohlraumbildungen sind im strengen
Wortsinn keine wahren, sondern sog. falsche Cysten. Lubarsch
und Gäugele haben vorgeschlagen, die Bezeichnung „Cysten“ für
diese Bildung abzuschaffen und dafür von Knochenhöhlen zu
sprechen. Der Name ist zu sehr eingebürgert, als dass derartige
Sprachreinigungsversuche auf Erfolg rechnen können. Wir wissen,
dass wir unter den Knochencysten fast durchweg falsche Cysten
zusammenfassen. Wir unterscheiden ferner parasitäre und nicht
parasitäre Cysten. Die parasitären Bildungen werden durch den
Echinococcus und in äusserst seltenen Fällen durch Cysticercus
cellulosae hervorgerufen. Der ganze ilüssigkeitsgefüllte Sack ist
eine körperfremde Bildung und nur die Aehnlichkeit der äusseren
Erscheinung bedingt die Erwähnung dieser parasitären Bildungen
unter den Knochencysten. Die mikroskopische Diagnose ist wohl
immer leicht und eindeutig.
Es bleiben die nicht parasitären falschen Cysten der Knochen.
Soweit wir über die Genese unterrichtet sind, dient sie als Ein¬
teilungsprinzip. Wir unterscheiden:
a) Erweichungscysten echter intraossaler Tumoren (pri¬
märer Enchondrome, Sarkome).
b) Höhlenbildung durch infektiöse Knocheneinschmel¬
zung — Knochenabscess — durch metastatische Osteomyelitis
(besonders häufig Staphylokokken, Streptokokken und Typhus-
o*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
84
F. Lol sch,
Digitized by
bacillen). Wir wissen aus Erfahrung, dass derartige Knochen-
abscesse Jahrzehnte lang latent bleiben können. Ich habe über
derartige Fälle aus unserer Klinik ganz neuerdings in den Charite-
Annalen 1913 berichtet. Bei derart langer Dauer und bei ent¬
sprechend geringer Virulenz der Eitererreger kann der Abscess-
inhalt seinen eitrigen Charakter einbüssen und zu einer eiweiss¬
reichen, fast klaren Flüssigkeit werden. Die Osteomyelitis
albuminosa wird heutzutage allgemein in diesem Sinne gedeutet
(Schlange, Kocher und Tavel). Die Wand dieser Knochen¬
höhlen kann aus derbem Bindegewebe bestehen und in der Um¬
gebung jegliche entzündliche Erscheinung fehlen.
c) Bildung von Höhlen bei Störungen des Gewebs-
gleichgewichts im Knochen. Hierzu rechne ich die Höhlen¬
bildungen bei Arthritis deformans (Ziegler), bei Rachitis (Beck),
bei Barlow’scher Krankheit (E. Fraenkel), bei Osteomalacie
(Rindfleisch), bei seniler Osteoporose (Braun), bei der sog.
Ostitis fibrosa (v. Recklinghausen), sowie im Callus (Frangen¬
heim).
Diese zahlreichen Entstehungsmöglichkeiten wirken auf den
ersten Blick verwirrend und zeigen gleichzeitig an, dass das
Knochengewebe bei Störungen seines Gewebsgleichgewichts sehr
zu Hohlraumbildungen neigt. Geht Knochen- bzw. Markgewebe
ohne Ersatz durch anderes Gewebe zu Grunde, so können infolge
der Starrheit des umgebenden Knochengewebes die Wandungen des
Defekts nicht kollabieren, er füllt sich deshalb mit seröser Flüssig¬
keit. Beneke hat in geistvoller Weise auf die Aehnlichkeit mit
den Hirncvsten aufmerksam gemacht und seine Theorie der
traumatischen Entstehung der Cysten (s. später) dadurch zu stützen
gesucht.
Bei der grossen Zahl der genetisch verschiedenen Hohlraum¬
bildungen betont Tietze mit Recht, es sei fast leichter zu sagen,
was eine sog. eigentliche, durch Ostitis fibrosa entstandene Knochen¬
cyste nicht ist, als eine prägnante Definition zu geben. Bei
näherer Betrachtung vereinfachen sich diese Schwierigkeiten recht
wesentlich.
Was zunächst die Höhlenbildungen bei Störungen des Gewebs¬
gleichgewichts im Knochen betrifft, so handelt es sich bei der
Rachitis, der Arthritis deformans, der senilen Osteoporose stets
um ganz kleine Hohlräume, das Gleiche gilt für die Calluscysten,
die ohnehin zu Verwechslungen kaum Veranlassung geben werden.
Die von Rindfleisch erwähnten ausgedehnten Cystenbildungen bei
Osteomalacie scheinen mir, wie ich bereits früher erwähnte, der
Zugehörigkeit zur Ostitis fibrosa dringend verdächtig. Die Cysten-
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
85
bildung bei der Möller-Barlow’schen Krankheit ist nach unseren
heutigen Kenntnissen eine grosse Seltenheit. Der Fall Fraenkel’s
ist darum nicht weniger interessant,-doch wird vorläufig die Möller-
Barlow’sche Krankheit nicht wesentlich bei der Differentialdiagnose
mitzusprechen haben.
Die unter a und b aufgeführten Hohlraumbildungen werden
im Sprachgebrauch kaum als Cysten bezeichnet, sollten es wenig¬
stens nicht. Die Erweichungshöhlen solider Tumoren haben meist
keine glatte Innenfläche und keine derbe, dicke, fast lederartige
Wand (Virchow). Einen besonders ausgeprägten Fall von Platten¬
epithelkrebs des Oesophagus mit grossen Erweichungshöhlen in den
multiplen Knochenraetastasen hat 1906 Tscherniakowsky unter
Kaufmann’s Leitung beschrieben. Die eiterhaltigen oder serös¬
gewordenen Knochenabscesse werden nicht oder nur in ganz be¬
stimmten Ausnahmefällen „Cysten“ genannt. Von den epithel¬
tragenden, wahren Sekretionscysten und den parasitären Bildungen
können wir absehen. Es bleiben demnach von den Erweichungs¬
cysten eigentlich lediglich die Bildungen der Ostitis fibrosa. Unser
Sprachgefühl sagt uns, dass es sich im strengen Sinne um falsche
Cysten handelt. Im übrigen liegen die tatsächlichen Verhältnisse
heute so, dass eine glattwandige Knochencyste, die die sogleich
zu erörternden strukturellen Bedingungen erfüllt, der Ostitis fibrosa
zuzurechnen ist. Der Beweis, dass sie einer anderen Art von
Hohlraumbildungen zugehört muss in jedem Falle besonders er¬
bracht werden. Der Name „Knochencyste“ erhält somit eine ge¬
wisse prägnante Bedeutung. Nach Fujii (Kaufmann) darf eine
Höhlenbildung im Knocheninnern mit der Benennung „Knochen-
evste“ nur belegt werden, wenn sie wenigstens folgende Be¬
dingungen erfüllt:
„1. Die Höhlenbildung im Knochen muss in ihrer Erscheinung
so imponierend sein, dass sie allein oder fast allein das
ganze Bild beherrscht.
2. Alan darf in der direkten Umgebung der Höhlenbildung
oder in dem Knochen selbst, worin die Cyste liegt, oder
in der Beschaffenheit der darin enthaltenen Flüssigkeit
keine sofort und klar erkennbaren Befunde auffinden,
welche es gestatten, die Höhlenbildung alsbald auf einen
bestimmten Krankheitsprozess zurückzuführen oder wenig¬
stens mit demselben in Zusammenhang zu bringen.“
Sonderlich glücklich kann ich diese Definition nicht nennen.
Vor allem bei der generalisierten Ostitis fibrosa gibt es z. B. Cysten,
die gegenüber dem Fibrom, in dem sie sich befinden, durchaus in
den Hintergrund treten, keineswegs das ganze Biid beherrschen
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
86 F. Lot sch,
und doch mit gutem Recht den Namen „Knochencyste“ verdienen.
Eine Beschränkung der Definition auf die solitären Cysten scheint
mir wenig angebracht.
v. Recklinghausen stellt für den Nachweis einer fibrös-
ostitischen Cyste folgende 3 histologischen Postulate auf:
1. massenhaft feinfibrilläres, meistens zellenarmes, nur kleine
Spindel- oder Sternzellen enthaltendes, durchschnittlich
gefässarmes Bindegewebe,
2. Osteoklasten oder Riesenzellen, womöglich zu Haufen und
Nestern angesammelt,
3. Knochenbälkchen, und zwar sowohl alte noch kalkhaltige,
eventuell schon in lakunärer Resorption begriffene, als
auch junge neu geschaffene, an ihrer Kalklosigkeit erkenn¬
bare Lagen eines richtigen Osteoids.
Einige makroskopische Besonderheiten kommen hinzu und
genügen vielfach zur vorläufigen Diagnose. Der Hohlraum muss
eine gewisse Grösse besitzen. Ein absolutes Mass ist natürlich
nicht anzugeben, grössere z. B. taubenei-, hühnereigrosse und
grössere Cysten werden den Verdacht einer anderen als der fibrös-
ostitischen Genese kaum nähren. Die Innenfläche der Wandung
muss glatt, serosaartig glänzend sein. Die Wandung selbst ist
häufig als besondere Membran erkennbar und erweist sich durch
ihre oft weissliche Farbe als faseriges Bindegewebe. Der Hohl¬
raum liegt in den langen Röhrenknochen meist in der Metaphyse.
Der Inhalt ist serös, selten gallertig, wasserklar oder durch Blut¬
beimischung rot gefärbt. In der Umgebung ist Markfibrose häufig
schon makroskopisch nachweisbar.
Wenn wir diese Art von Knochencysten, und zwar sowohl die
multiplen, generalisierten, als auch die solitären zur Ostitis fibrosa
rechnen, so müssen wir stets bedenken, dass es sich immer um
sekundäre Bildungen und Ausgänge einer proliferierenden Mark¬
fibrose, um Erweichungscysten handelt. Es mag dem klinischen
Bedürfnis entsprechen, diese Bildungen, die häufig als etwas
Fertiges, Selbständiges in die Erscheinung treten und nach Fujii’s
Forderung „allein das ganze Bild beherrschen“, als etwas Beson¬
deres zu bezeichnen. Am weitesten ist darin v. Mikulicz (1905)
gegangen, der die Knochencysten als eine eigenartige Störung in
der Entwicklung des im Wachstum befindlichen Knochens, also als
eine besondere Krankheit auffasst. Er nennt den Vorgang Osteo-
dystrophia juvenilis cystica und lehnt die Entstehung durch Er¬
weichung von Tumoren (Enchondromen) ab. Diese Ansicht von
v. Mikulicz ist auf grössere Gegnerschaft gestossen, als sie meines
Erachtens verdient. Sie bedeutet keineswegs eine Abkehrung von
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
87
der wichtigen Virchow’schen Lehre, dass die Knochencysten in
jedem Falle Umbildungsprodukte früher solider Bildungen sind.
Die Entstehung aus Tumoren wird heute so gut wie allseitig ab¬
gelehnt. Der Name Osteodystrophia ist sehr glücklich gewählt,
weil er nicht wie Ostitis fibrosa den Begriff der immerhin noch
nicht bewiesenen Entzündung enthält. Dass v. Mikulicz die
Osteodystrophie als einen degenerativen Vorgang ansieht, geht vor
allem auch aus der Ueberschrift seines Vortrages hervor, die:
„Ueber cystische Degeneration der Knochen“ lautet.
Trotzdem unterliegt es keinem Zweifel, dass die Auffassung
der Knochencysten als etwas Besonderes unseren heutigen Kennt¬
nissen nicht mehr entspricht und ihre Einordnung in die grosse
Gruppe der als fibröse Ostitis bezeichneten Knochcnmetaplasie eine
logische Forderung unseres histopathologischen Einteilungsprinzips
ist. Tatsächlich imponiert dem Kliniker und vor allem dem Chir¬
urgen die Ostitis fibrosa in ihrer solitären Form meist nur als Cyste,
und diesem klinischen Befunde entspricht die unverhältnismässig
grosse Literatur über solitäre Knochencysten. Es wäre gewiss
■wünschenswert, in allen solitären Fällen, in denen die v. Reck-
linghausen’schen Postulate (s. oben) erfüllt sind, nur von Ostitis
fibrosa mit Cystenbildung zu sprechen, doch wird sich in diesem
Sinne schwerlich eine Aenderung erzielen lassen. Die Cvstenbil-
dung darf als der häufigste Ausgang der Ostitis fibrosa angesehen
werden.
Stets ist der eigentliche Hohlraum von einer grösseren Menge
von Bindegewebe umgeben. Die fertige Cyste stellt sich als ein¬
heitlicher oder durch Konfluenz benachbarter Cysten mehrkamme-
riger Hohlraum im Knochen dar.
Wir müssen demnach uni- und multilokuläre Cysten unter¬
scheiden :
Ein sehr anschauliches Präparat eines Kystoma multiplex ossis
femoris utriusque (s. Fig. 31) besitzt das hiesige pathologische
Museum (Präparat Nr. 128, 1879). Es erinnert sehr an die be¬
kannte Abbildung des Nelaton’schen Falles, die sich mehrfach
reproduziert findet, so z. B. in der Deutschen Chirurgie, Lief. 28.
Die beiden oberen Femurdrittel werden von der weielien Geschwulst ein¬
genommen, die auf dem Durchschnitt zahlreiche glattwandige Hohlräume von
verschiedener Grösse und mit teilweiser Kommunikation aufweist (s. Fig. 31).
Ich hatte Gelegenheit, ein Stück von der Schnittfläche des Präparates
histologisch zu untersuchen. Trotz der fehlenden Kernfärbung lässt sich noch
jetzt folgender Befund mit Sicherheit feststellen:
Die Wandung der Cysten besteht aus derbem, faserigem Bindegewebe. In
Her Umgebung starker Knochenabbau, die Spongiosabalken stark verschmälert,
zum Teil nur noch Bruchstücke und Knochenscherbchen. An anderen Stellen
Digitized
bv Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
88
F. Lotseh,
Digitized by
osteoide Säume auf der einen, lakunäre Resorption an der anderen Seite des
Bälkchens. In den Spon^iosamasehen gefässreielies, faseriges Bindegewebe.
Pigment; nicht nachweisbar. Zellkerne nicht sichtbar.
Danach handelt es sich auch in diesen Fällen so gut wie sicher
um Bildungen einer fibrösen Ostitis. Virchow sah das multi-
lokuläre Cystoid als besondere Geschwulstform an, die er der Gruppe
der Kystome zuzählte (Onkologie, ßd. 2. S. 191, 328). Bei dem
multilokularen Cystoid erklärt nach Virchow’s Meinung die An¬
nahme der Höhlenbildung durch Erweichung die besondere Be¬
schaffenheit der Wand nicht, sie führe regelmässig und beständig
zur Bildung eigenartiger Hohlkörper. Mein Untersuchungsergebnis
berechtigt mich trotz einiger Lücken, wie ich glaube, zu der An¬
schauung, dass auch diese seltenen und auffälligen multilokularen
Knochenkystome histologisch der metaplastischen Malacie bzw. der
proliferierenden Markfibrose zuzurechnen sind.
Die Wand ist meist als besondere, häufig eigenartig feste,
derbe Membran von dem umgebenden Gewebe zu unterscheiden.
Je nach dem Gehalt an Blutpigment ist ihre Farbe rein weiss bis
braunrot. Die Innenfläche ist fast stets glatt und spiegelnd und
erinnert an eine seröse Haut.
Der Inhalt ist flüssig, selten fadenziehend oder gar gallertig.
Die Flüssigkeit ist auch in jungen Cysten meist farblos oder leicht
gelblich, öfters durch Blutbeimischung rot oder infolge früherer
Blutung durch Blutpigment braunrot, rostfarben. Bisweilen sind
die Blutkörperchen bzw. das Pigment abgesintert. Die Flüssigkeit
reagiert alkalisch, ist eiweissreich und zeigt sich in ihrer chemi¬
schen Zusammensetzung dem Blutserum sehr nahe verwandt bzw.
als reines Blutserum. (Vgl. vor allem das oben mitgeteilte Unter¬
suchungsergebnis der Cystenflüssigkeit in unserem Falle.) Die
Flüssigkeit steht anscheinend stets unter einem gewissen Druck,
der zwar in keinem Falle gemessen, aber durch das Hervorquellen
der Flüssigkeit aus der Punktionsnadel oder nach dem Einschnitt
mit Recht gefolgert'wurde. Woher dieser Druck stammt, ist mir
nicht so leicht verständlich wie anderen Autoren.
Wenn die Flüssigkeit lediglich Gewebsflüssigkeit d. h. Blut¬
serum oder Lymphe ist und die durch Gewebsschwund entstehenden
Hohlräume ex horrore vacui ausfüllt, so kann der Druck des
flüssigen Cysteninhalts den Gewebsdruck nicht überschreiten. Eine
Vergrösserung der Cyste durch Vermehrung der Flüssigkeit aus
sich heraus ist ausgeschlossen, da wir es nicht mit einer Sekretions¬
cyste zu tun haben. Greift die Gewebseinschmelzung weiter um
sich, so tritt in gleichem Masse neues Serum als Füllsel in die
entstandene Lücke. Durch Konfluenz benachbarter Hohlräume und
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
l T ebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
89
teilweisen oder vollständigen Schwund der trennenden Septen ist
gleichfalls eine Vergrösserung möglich. Der Druck innerhalb der
Cyste kann dadurch nicht gesteigert werden. Bei jungen Cysten
■wird sogar ein Druckausgleich durch Austritt von Cysteninhalt in
das umgebende ödematöse Bindegewebe möglich sein. Bei älteren
Cysten mit dicker, bindegewebiger, fibröser Wand ist eine Druck¬
steigerung nur durch Kompression von aussen denkbar. Ein Aus¬
weichen der Flüssigkeit in die Umgebung ist bei der allseitig ge¬
schlossenen, häufig sehr derben Wand nicht möglich; eine Kommuni¬
kation mit Gefässen fehlt nach den zahlreichen Untersuchungen
stets. Da die starre Knochenschale zunächst keine Dehnung zu¬
lässt, so wird durch Steigerung im Blutgefässsystem des Knochen¬
inneren ein stärkerer Druck auf die Cystenwand wirken. Diese
Drucksteigerung kann jedoch keine dauernde sein. Ich glaube
deshalb, dass die Kongestionstheorie (v. Recklinghausen) zur
Erklärung des gesteigerten Flüssigkeitsdrucks in den Knochen¬
cysten nicht ausreicht. Eine völlige Erklärung ist nur durch An¬
nahme eines gesteigerten Gewebsdrucks bei der proliferierenden
Markfibrose, gegeben. Dabei kommen die besonderen Verhältnisse
des Knochens durchaus in Betracht. Der durch die proliferierende
Markfibrose gesteigerte Druck im Knocheninnern kann sich infolge
der starken Corticaliswand nicht sofort nach aussen ausgleichen.
Die vorhandene starke Hyperämie der dünnwandigen Capillaren
und kleineren Venen muss dann als passive Stauung durch Ab¬
flussbehinderung aufgefasst werden. Für eine Verlangsamung der
Blutströmung im Knochenmark finden sich in der mehrfach beob¬
achteten Randstellung der weissen Blutelcmente gewisse Anhalts¬
punkte. Auch die häufig festgestellten, ja geradezu typisch zu
nennenden Blutextravasate und lnfarcierungen wären durch diese
venöse Stauung erklärlich.
Mehrfach ist klinisch und röntgenologisch das Wachstum der
später als cystische Hohlräume erwiesenen Bildungen beobachtet
worden (z. B. Heineke, Burchard). Sicherlich spielen Blutungen
bei der Vergrösserung eine wichtige Rolle, doch handelt es sich
hierbei meist w ; ohl um noch relativ junge Cysten. Die älteren
Cysten mit derber, bindegewebiger, gefässarmer Wand stellen sich
als etwas Fertiges, Abgeschlossenes dar. Eine Vergrösserung des
Hohlraumes durch Konfluenz benachbarter ist, wie oben erwähnt,
auch in diesem Stadium noch denkbar und durch unsere Befunde
direkt bewiesen. Bei dem Schwund der Septen mag auch eine
Blutung in den Cystenräumen möglich erscheinen. Im übrigen
macht dio Beschaffenheit der derbfibrillären, gefässarmen Wandung
eine Blutung bei alten Cysten recht unwahrscheinlich.
Digitized
bv Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
90 F. Lot sch.
Dass die Blutung bei der Cystenentstehung, zum mindesten
bei der Cystenvergrösserung in vielen Fällen eine wichtige Rolle
spielt, ist nach dem übereinstimmenden Urteil vieler Untersucher
nicht zweifelhaft. Dagegen ist die Behauptung, dass in jedem
Falle die Blutung das primäre genetische Moment der Cvstenbil-
dung sei, zum mindesten unbewiesen. Schon v. Recklinghausen
hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass in ganz jugendlichen
Cysten, ja bei eben in Bildung begriffenen Hohlräumen jede Blut¬
beimengung zum Cysteninhalt häufig fehlt. Auch Fujii hat in
seinen Serienschnitten beginnender Cysten keine Blutbeimengung
gefunden. Meine Untersuchungsergebnisse decken sich mit diesen
Befunden völlig. In diesem Zusammenhänge mag die Theorie der
traumatischen Cystengenese besprochen werden. Beneke und
Benda, in neuester Zeit noch Mauclaire und vor allem Felten
und Felizitas Stoltzenberg, haben der posttraumatischen Ent¬
stehung der Knochencysten, wenigstens der solitären, das Wort ge¬
redet. Die letztgenannten Autoren berichten über einen 14jährigen
Knaben, bei dem sich in der Patella um einen bei einer Explosion
eingedrungenen Fremdkörper eine kleine glattwandige Cyste bildete.
In der Literatur fanden sie bei 81 pCt. der solitären Knochen¬
cysten ein initiales Trauma.
In den anamnestischen Angaben der Fälle solitärer Knochen¬
cysten findet sich in der Tat auffallend häufig ein Trauma ange¬
führt, das gleiche gilt auch für eine grosse Zahl der Beobachtungen
von generalisierter Ostitis fibrosa. Der angeführte Fall, über den
Felten und Stoltzenberg berichten, ist sicherlich sehr wichtig.
Im allgemeinen darf jedoch gesagt werden, dass gerade beim
Trauma vor dem Grundsatz post hoc ergo propter hoc gewarnt
werden muss. Jeder Mensch erleidet Traumen und vergisst sie
vollständig, wenn sie keine Folgen zeitigen. Bei der unendlich
grossen Zahl der Traumen, die das Knochensystem treffen, müssten
die Knochencysten bzw. die fibröse Ostitis eine viel häufigere Er¬
scheinung sein. Die pathologischen Frakturen sind aus dem gleichen
Grunde, wie schon Lexer betont hat, sicherlich nicht die Ursache,
sondern die Folge der Knochenerkrankung. Damit soll nicht ge¬
leugnet werden, dass in Ausnahmefällen auch eine posttraumatische
Blutung im Knochenmark zur Entstehung eines cystischen Hohl¬
raumes Veranlassung geben kann. Stets muss zur Ausbildung der
histologischen Merkmale der fibrösen Ostitis noch etwas Besonderes
hinzukommen bzw. vor dem Trauma vorhanden gewesen sein (s. den
experimentellen Teil).
Die Wand der älteren Cysten besteht histologisch aus derbem,
fibrillärem Bindegewebe, selten grenzen Spongiosabalken direkt an
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
91
den Hohlraum. Dies Bindegewebe ist auffallend kern- und gefäss-
arm. Die dicken Fibrillen lassen meist eine konzentrische Anord¬
nung erkennen und hängen durch kurze Verbindungsstücke unter¬
einander zusammen. Eine Epithel- bzw. Endothelauskleidung fehlt
stets. Trotzdem ist die Innenfläche häufig spiegelnd glatt. Mitunter
wurde eine beginnende Organisation der sedimentierten und an der
Wand haftenden corpusculären Flüssigkeitsbestandteile beobachtet.
Stets liegen die Cysten inmitten fibrös veränderten Marks. Die
Beschaffenheit der konzentrisch geschichteten Fibrillenlagen erinnert
bisweilen durchaus an die Schichtung einer Parasitenmembran
(Virchow, Froriep, Lotsch). Andrerseits sind diese Gewebs-
strukturen von Virchow als faserknorpelähnlich, faserknorpelartig
bezeichnet worden.
Ich komme damit zu der Virchow’schen Enchondromtheorie,
die längere Zeit die herrschende war. Milner hat mit einem ge¬
wissen Recht darauf aufmerksam gemacht, dass Virchow keines¬
wegs derart einseitig über die Cystengenese gedacht hat. Indessen
spricht Virchow wenigstens die von ihm beobachtete Oberarmcyste
ausdrücklich als ein Neubildungs- und ihren Inhalt als Schmelzungs¬
produkt chondromatöser Knoten an, weil die „Cystenwand selbst
noch erkennbare cartilaginöse Eigenschaften besitzt“ und „im dich¬
testen Anschlüsse an sie bei einer 56jährigen Frau zerstreute
Knorpelinseln im Mark der Diaphyse, jedoch in nächster Nähe der
Epiphyse Vorkommen“.
Das Virchow'sehe Präparat hat eine derartige Berühmtheit
und Wichtigkeit erlangt, dass es geboten erscheint, ausführlich
darauf einzugehen. Das Präparat befindet sich noch in der Samm¬
lung des pathologischen Museums (Nr. 19d, 1876) und trägt von
Virchow’s eigener Hand die Signatur: Cystis et chondromata
miliaria capitis ossis humeri. Ich habe das in Spiritus aufbewahrte
Präparat nochmals photographiert (s. Fig. 32); zum Vergleich gebe
ich in Fig. 33 eine photographische Reproduktion der schönen,
klaren Zeichnung in der Virchow’schen Arbeit.
Ich bin in die glückliche Lage gekommen, einige Stückchen
der Cystenwand und des unteren Fortsatzes histologisch nachunter¬
suchen zu können. Ferner ist es mir geglückt, das Sektions¬
protokoll aufzufinden. Ich lasse zunächst das Protokoll folgen:
56jährige Arbeitersfrau Auguste W., gestorben nach Operation auf der
chirurgischen Klinik der Charite (v. Bardeleben) am 27. 5. 1876. Obduktion:
29. 5. 1876. Sektionsdiagnose: Sareoma gigantocellularc regionis colli dextri
nperatum et metastaticum lienis et hepatis et glandulae suprarenalis sinistrae.
Enrhondroma multiplex et Cystis humeri dextri. Ligatura carotidis communis
et int. et ext. et art. thyreoid. dextr. Bronehopneumonia purulenta pariialis
pulm. et Ocdema pulmonum. Hypoplasia uteri. Cicatrix rerti.
Digitized
bv Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
92
F. Lotseh,
Digitized by
Die Metastasen der Milz und Leber werden als kirsehkerngrosse, ziemlich
scharf umsehriebene Knoten von derber Konsistenz und aus grau-weisslichem
Gewebe bestehend beschrieben. Die Metastase im Mark der linken Nebenniere
war rund, fast hasclnussgross und von gleicher Hesehaffenheit.
„Im rechten Humeruskopf eine mehr lange als breite Cyste von doppelter
Haselnussgrösse. Die Cyste ist mit wässeriger, farbloser Flüssigkeit erfüllt.“
Die knöcherne Wand wird von einer «binnen, ziemlich kompakten Schicht
gebildet. Die Höhle derselben ist ausgekleidet von einer zarten, wie Schleim-
gcwebc aussehenden Gewebsmasse. welche sieh zum grössten Teile in eine dünne
einschichtige Membran ausbreitet. Neben dieser Cyste, ungefähr da wo früher
der Intermediärknorpel lag, sieht man mehrere hirsekorn- bis erbsengrosse, von
spongiöser Knoehensubstanz umgebene, wie Knorpel aussehende runde Gewebe.
Der übrige Teil des rechten Humerus und das rechte Femur intakt.
Yirchow hat dem Fall seine besondere Aufmerksamkeit zu¬
gewendet und folgende Präparate in die Sammlung übernommen:
19a) Sarc. gigantocell. gland. colli exstirp. v. Bardeleben.
b) Metastas. sarcom. suprarenalis.
c) Metastas. sarcom. pulmonis.
d) Cvstis et enchondromata miliaria capitis humeri dextri.
e) Metastas. lienis.
Metastas. hepatis.
f) Ligaturae Art. carotidis int. et ext. dextr. propter haemor-
rhagiam ex art. thvreoid.
g) Os femoris c. medulla gelatinosa.
Es handelt sich demnach um eine f>G jährige Frau, gestorben nach operativer
Entfernung von Riescnzellen-Sarkommetastascn der Halslymphdrüsen. Hei der
Autopsie* fanden sieh weitere Metastasen des Riesenzellensarkoms in Lungen,
Leber, Milz und linker Nebenniere. Den Primärtumor vermutete der Obduzent
im Knochensystem. Aus äusseren Gründen musste die Skelettsektion wahr¬
scheinlich auf den rechten Humerus und Femur beschränkt werden, die beide
äusserlich keine Formveränderungen, besonders keine Auftreibungen, nach weisen
Hessen. Im rechten Femur fand sieh Gallert mark, im rechten Humeruskopf als
Xebcnbefund eine klinisch nicht in die Erscheinung getretene dickwandige Cyste
mit miliaren Enchondromen in der Eingebung. In den Sarkommetastasen fand
sieh nirgends Höhlenbildung, bei der lluineruscyste keinerlei Zusammenhang
mit Kiesenzellensarkomen. Ein sicherer Primärtumor ist somit nicht gefunden
und der Fall keineswegs restlos aufgeklärt. Ein derart zahlreich metastasierendes
Riescnzellensarkom gehört wohl überhaupt zu den grössten Seltenheiten, doch
ist an der Richtigkeit der Geschwulstdiagnose ein Zweifel nicht berechtigt.
(S. Yi re ho w*s Akademierede: Feber die Entstehung von Knocheneysten, 1S7G.)
Die Cyste im Huineruskopf ist im Präparat (s. Fig. 32) gut erhalten.
Yirchow verglich ihre Form mit einer umgekehrten Flasche und erwähnt die
seitlichen Ausbuchtungen. Sie reicht kopfwärts bis dicht an die noch als
Grenzblatt aus Knochengewebe erkennbare Epiphysengrenze, gehört also der
Meta- und Diaphyse an. Die Cystenwand war in frischem Zustande 0,5 bis
0,8 mm dick, innen ziemlich glatt, im unteren Teil sass der Innenfläche an
mehreren Stellen ein«* gallertartige Masse lose auf, aus deren schwammigem
Gefüge sich klare, schwach gelbliche Flüssigkeit ausdriieken liess. Der übrige
beim Aufsägen ausgeflossene Inhalt wird von dem Obduzenten als wässerige,
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
93
farblose Flüssigkeit beschrieben. Die Cystenwand hatte nach Virchow's Be¬
schreibung ein faserknorpcliges Aussehen und liess mehrere bewegliche, glatte,
blattartige Fortsätze von ebenfalls faserknorpeligem Aussehen erkennen, die
sieh in das umgebende Fettmark nach mehreren Richtungen erstreckten. Ihrer
Anordnung nach erinnerten sie sehr an kalklose Spongiosablätter. An einzelnen
Stellen traten bis erbsengrosse, höckerige Körner hervor, deren Kern „aus wirk¬
licher Knochenspongiosa mit fettigem Mark“ von einer knorpeligen Schicht ein¬
gehüllt war. Nach unten zieht in der Achse des Iluinerussehaftes ein 40 nun
langer, oben röhrenförmiger, unten platter Fortsatz von der Cystenwand, der
durchweg ebenso wie die Cystenwand selbst ein dichtes faserknorpeliges Aus¬
sehen hatte. Am medialen Einfang der Cyste, in nächster Nähe der Epiphysen¬
linie fand sich eine Gruppe kleiner, hirse- bis hanfkorngrosser Knorpelstücke
lose im Fettmark (s. d. Reproduktion der V irchow 'sehen Zeichnung, Fig. 33).
Im gegenwärtigen Zustande ist das reichlich vorhandene Fett mark verseift
und erscheint als weisse, krümelig-schmierige Masse. Von den Knorpelherden
ist nichts mehr mit Sicherheit wahrzunehmen. Bei ihrer losen Befestigung im
Fett mark werden sie ausgeschwemmt sein. Auch die blät terigen Fortsätze der
Cystenwandung sind nicht mehr deutlich, nur der lange Fortsatz nach unten
ist noch erhalten und auch seine Röhrenform im oberen Teil noch nachweisbar.
Sein Lumen kommuniziert mit dem Cystenraum.
Nach dem mikroskopischen Befunde V irchow's bestanden die Knorpel¬
stückchen, die Enchondromata miliaria, sonderbarerweise nicht aus hyalinem,
sondern aus echtem Netzknorpcl, dessen Vorkommen in grossen Enehondromen
Virchow erwiesen hatte (Onkologie, S. 466), zum Teil hingen die Knorpel¬
stücke mit der Cystenwand zusammen. Die Cystenwand selbst besteht nach
Virchow aus sehr dichten, stellenweise fast homogenen und schwach glänzenden,
zumeist leicht streifigen, hier und da steifen, aber glatten Fasern, die bei Essig¬
säurezusatz erblassten, ohne gänzlich zu verschwinden. „Die Fasern hatten
weder in bezug auf Anordnung noeli in bezug auf Beschaffenheit Aehnliehkeit
mit den Fasern von Netzknorpel“. Zwischen den Fasern lagen spärliche Netz¬
zellen von massiger Grösse. Die ausstrahlenden Blätter zeigten osteoiden Gewebs-
tvpus. Fine Fpithelauskleidung fehlte. Die Gallertmassen an der Innenfläche
bestanden aus verfilzten, etwas steifen Fasern (kein Fibrinfilz). Nach Fssig-
säurezusatz erinnerte die zellenlose Masse lebhaft an gewisse Faserknorpel.
Auf Grund des vorstehenden Untersuehungscrgebnisscs kommt Virchow
zu folgendem Schluss: Die Cvste hat „den Habitus einer sog. Frweiehungscyste,
bei der als Inhalt die Schmelzungsproduktc früher fester Centralmassen auf¬
tret cn“. „Wenn demnach die Cysten wand selbst noch erkennbare cartilaginöse
Eigenschaften besitzt, und wenn im dichtesten Anschluss an sie bei einer
56 jährigen Frau zerstreute Knorpelinseln im Mark der Diaphyse, jedoch in
nächster Nähe der Epiphyse Vorkommen, so wird man kein Bedenken tragen
dürfen, die Cyste selbst als ein Neubildungs- und ihren Inhalt als Srhmclzungs-
produkt ehondromatüser Knotern anzusehen“.
Makroskopisch sah die Cystenwand und ihre Fortsätze in das umgebende
Fettmark faserknorpelig aus, histologisch fand sich dagegen streifig-fibrilläres
Bindegewebe und Osteoid. Die „noch erkennbaren cartilaginüsen Eigenschaften“
sind also histologisch nicht nachweisbar.
Ich habe Gelegenheit gehabt, ein kleines Stück der Cystenwand sowie
des röhrenförmigen unteren Fortsatzes nachuntersuchen zu können. Die winzigen
Stücke, die sich durch ihre derbere Konsistenz gegen das verseifte und weiche
Fettmark abhoben, wurden ohne Entkalkung in Paraffin eingebettet und die
Schnitte mit Hämalaun-Fosin gefärbt.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
94
F. L o t s c h,
Eine Kernfärbunir ist nicht mehr zu erzielen. Trotzdem ist auch heute
noch festzustellen, dass es sich um eine derbfibröse, bindegewebige, sehr gefäss-
arme Schicht handelt. An einigen Stellen sitzt der Innenfläche noch die filzige
Masse auf. An der Peripherie der bindegewebigen Cystenwand findet sich eine
«deutliche Anhäufung von scholligem Blutpigment. Die regellose Verteilung
amorpher Kalkmassen im Gewebe ist wohl auf Macerationsprozesse zurück¬
zuführen und für die Diagnose belanglos. Cartilaginüse Eigenschaften müssen
wir der Cystenwand nach dem Untersuchungsbefund Virchow’s und unserer
Nachuntersuchung absprechen und damit auch alle Schlüsse aus dieser Deutung
beanstanden. Die früher aufgeführten Postulate v. Keck li nghausen's für die
histologische Diagnose einer Ostitis fibrosa sind nicht mehr restlos zu erfüllen.
Vor allem aber kann als erwiesen gelten, dass diese Cyste nicht als Enchondrom-
cyste angesehen werden darf. Ich glaube, Yirehow wäre der erste, der seinen
Irrtum eingestehen würde.
Die miliaren Enehondromc aus Netzknorpel in der Umgebung der Cyste
sind für die Cystengenese nicht beweisend. Wir haben es hier mit den gleichen
Knorpelresten zu tun, wie sie Bostrüm in der Nähe seiner Beckencyste, ferner
Lexer u. a. gefunden haben.
Virchow hat schon damals auf mancherlei Verschiedenheiten
und Unstimmigkeiten des Befundes bei cystoid umgewandelten
Enchondroraen und der beschriebenen solitären Humeruscyste hin¬
gewiesen. Die Enchondrome pflegen sich aus hyalinem Knorpel
zu entwickeln und ihre centralen Erweichungscysten haben keine
so derbe, dicke, fast lederartige AVand und keine derartig glatte
Innenfläche. Die aus Osteoid bestehenden Fortsätze der Cysten¬
wand sah Virchow gleichfalls als knorpelige Bildungen an, jedoch
nicht für primär knorpelige Gebilde, wie die benachbarten Enchon¬
drome, sondern für recartilaginesciertes Knochengewebe.
Auch durch Vergleich mit dem von Virchow mitgeteilten
Befund des Froriep’schen generalisierten Falles (s. meine Unter¬
suchungsergebnisse) ergibt sich, dass zwischen Faserknorpel und
Bindegewebe in damaliger Zeit nicht scharf unterschieden wurde.
So sagt Virchow, dass die Cystenwände im Froriep’schen
Falle makroskopisch aus festen, dichten Geweben von faser¬
knorpeliger Beschaffenheit bestehen, sehr ähnlich den Fortsätzen
der Wand der Humeruscyste. Mikroskopisch fand sich Faser¬
knorpel oder Bindegewebe, nie Hyalin- oder eigentlicher Netz¬
knorpel. Die Cysten, meint Virchow, entstehen durchweg aus
faserknorpeligen Abschnitten durch Erweichung; an der Wand er¬
kält sich die blätterige Beschaffenheit der fascrknorpeligen Lagen,
wodurch stellenweise eine an Echinokokkenmembranen erinnernde
Streifung der Wand entsteht. Diese streifigen, konzentrisch ge¬
schichteten Lagen des dickfibrillären Bindegewebes der Wand habe
ich bei der Nach Untersuchung des Froriep’schen Falles ebenfalls
Nachweisen können (s. Figg. 8 und 9), auch die Aehnlichkeit mit
Echinokokkenmembranen ist erkennbar. Keinesfalls handelt es
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Ucbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
95
sich bei diesem Gewebe nach unseren heutigen Kenntnissen um
Faserknorpel.
Die Cysten entstehen, wie bereits erwähnt, stets innerhalb
des fibrös umgewandelten Markes, bisweilen auch innerhalb der
im nächsten Abschnitt zu besprechenden riesenzellensarkomartigen
Stellen. Mönckeberg glaubt auf Grund seiner Befunde einen
Unterschied zwischen den Fibrom- und den Riesenzellensarkom¬
cysten machen zu können, indem er die ersteren für gutartige
Rückbildungsprozesse, die letzteren für mehr progressive Bildungen
hält. Ich komme auf diesen Punkt noch zurück.
Die Genese der Cysten durch ödematöse Erweichung und
Schwund des fibrösen Markgewebes hat v. Recklinghausen
bereits behauptet. Die neueren Untersucher, besonders Fujii,
haben diese Ansicht durch ihre Befunde zum Teil an Serien¬
schnitten stützen können. Ich habe den gleichen Befund bei
meiner Nachuntersuchung des Falles Froriep’s und bei dem neu
mitgeteilten Fall generalisierter Ostitis fibrosa erheben können. In
dem letztgenannten Falle dehnte sich eine Cyste in einen knorpel¬
ähnlich gebauten Gewebsbezirk aus (s. Fig. 27—30).
Das ödematöse, myxomartige Gewebe, das die Vorstufe der
Hohlraumbildung zu sein scheint, erinnert in seinem Bau an die
Arachnoidea, wie Froriep bereits betont hat.
Die Anschauung, dass die meisten sog. Knochencysten auf
dem Boden einer fibrösen Ostitis nach v. Recklinghausen ent¬
stehen, ist gegenwärtig die herrschende. Ueber die v. Mikulicz’sche
Auffassung der Knochencysten als Krankheit sui generis, über die
Theorie der traumatischen Genese und über die Virchow’sche
Enchondromtheorie habe ich das Erforderliche bereits gesagt.
Die relative Häufigkeit der Cystenbildung bei der Ostitis
fibrosa rechtfertigte die ausführliche Behandlung dieser Gebilde,
doch sei am Schluss des Kapitels nochmals darauf hingewiesen,
dass die Cysten nicht das Wesentliche und Primäre, sondern stets
ein Ausgang der proliferierenden Markfibrose und etwas Sekun¬
däres sind.
Die Riesenzellensarkome des Knochensystems nehmen in der
Geschwulstlehre eine sehr eigenartige Stellung ein und sind eine
charakteristische Geschwulstforra des Knochengewebcs. Das Grund¬
gewebe wird, wie bereits erwähnt, meist von jungen, vollsaftigen,
dicht gedrängten Spindelzellen gebildet, die bisweilen Faserbildung
zwischen sich erkennen lassen und bei ausgesprochener Faser¬
bildung die Struktur des Fibrosarkoms zeigen. Seltener bilden
Rundzellen die Hauptmasse des Grundgewebes. Die Ricsenzellen
sind ein integrierender Bestandteil des Gewebes. Sie erweisen sich
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
96
F. Lotsch,
Digitized by
morphologisch als einwandfreie Myeloplaxen bzw. Osteoklasten
(Tumeurs ä myeloplaxes-Robin 1850). Die einzelnen Zellarten des
Gewebes finden sich sämtlich im normalen Knochenmark prä-
formiert, so dass also eine deutliche Anlehnung des Sarkomgewebes
an die normale Zusammensetzung des Mutterbodens besteht (Mye-
loidtumoren-Paget). Borst, dessen Geschwulstlehre ich diese An¬
gaben entnehme, spricht nur von einer „entfernten Anlehnung“.
Je nach dem Ursprung unterscheidet man periphere, periostale und
centrale myelogene Riesenzellensarkome. Innerhalb der Tumoren
findet sich zuweilen Neubildung von spongiösem Knochengewebe.
Klinisch haben die Riesenzellensarkome des Knochensystems und
vor allem die weitaus häufigeren myelogenen Riesenzellensarkome
die auffallende Eigentümlichkeit, dass sie trotz ihres histologischen
Sarkomcharakters meist durchaus benigne Tumoren sind und
bleiben. Ihr Wachstum ist vorwiegend ein expansives, exstruktives,
Lokalrecidive nach Excochleation beobachten wir Chirurgen zwar
öfters, doch bleiben auch diese meist auf ihren Entstehungsort
beschränkt. Die umgebenden Weichteile (Muskeln usw.) sind so
gut wie stets unbeteiligt. Die Riesenzellensarkome respektieren
die Grenze des Periosts, auch wenn sie zur Zerstörung der ganzen
Corticalis geführt haben. Infiltratives Wachstum und Metastasen
gehören zu den grössten Seltenheiten (vergl. den Fall Virchow:
Humeruscyste).
Zu diesen Riesenzellensarkomen gehören auch die sog. Epu-
liden. Klinisch handelt es sich um die gleiche benigne Tumorart,
die höchstens lokal recidivfähig ist. Diese durch die dauernde Er¬
fahrung gestützte Anschauung bildete für den jüngeren Nelaton
den Ausgangspunkt zu seiner These, dass die riesenzellenhaltigen
Osteosarkome der Extremitätenknochen den gleichen myelogenen
Ursprung und die gleiche Benignität hätten. Ueber die Herkunft
der Epuliden herrscht noch immer keine völlige Einigung. Ma¬
gitot sah in dem Periost der Alveole die Ursprungsstätte der
Epuliden. Virchow hatte sich dieser Ansicht angeschlossen und
gelehrt, dass auch periostale Zelleleraente Riesenzellen zu bilden
imstande sind. Es würde sich demnach nicht um wirkliche
Knochenmarksriesenzellen, sondern um Riesenzellen heteroplasti¬
scher Herkunft handeln. Auf Grund dieser Lehre ist man, so
schreibt Borst, über den periostalen Ursprung vieler Epuliden
nicht im Zweifel. E. Nelaton leitet die Myeloplaxen vom Mark¬
gewebe ab und sieht deshalb die Epuliden als myelogene Bildungen
an. Auch v. Recklinghausen stellt sich auf diesen Standpunkt,
den auch ich einzunehmen geneigt bin. Abgesehen von den sicher
„intraossös“ entstandenen Epuliden entstehen die von den
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
l’cbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
97
knöchernen Alveolarsepten ausgehenden „ebenfalls wohl myelogen,
aber nicht vom eigentlichen Periost her, wie man wegen der
oberflächlichen Lage oft angenommen hat“ (v. Recklinghausen).
Die myelogenen Riesenzellensarkome sollen nach Borst meist
weichere Konsistenz als die periostalen haben. Die Epuliden seien
meist derbe Tumoren. Auch behauptet der genannte Autor, es
sei morphologisch ein Unterschied zwischen den Riesenzellen der
einen und der andern Form vorhanden. In den periostalen
Tumoren sei das Protoplasma der Biesenzellen fester, oft nicht
körnig, eher leicht streifig, schärfer begrenzt, die Zellen lang¬
gestreckt und mit zahlreichen Ausläufern versehen, während sich
in den myelogenen Tumoren die Riesenzellen durch zartere Formen
auszeichnen. Andere Autoren haben diese Befunde meines Wissens
nicht bestätigt. Ich habe in den riesenzellenhaltigen Stellen der
Ostitis fibrosa Riesenzellen gefunden, die alle von Borst ange¬
führten Kriterien der periostalen Riesenzellen aufweisen und kann,
soweit meine histologischen Kenntnisse reichen, diese Unterschei¬
dungsmerkmale nicht anerkennen.
So ungeklärt die Herkunft der Myeloplaxen auch ist, immer
erscheint es verständlicher, sie als Bildungen ihres Mutterbodens,
des Knochenmarks anzusehen, dabei mag es nebensächlich er¬
scheinen, ob die von vielen Untersuchern beobachtete Lagebezie¬
hung der Riesenzellen zu Blutgefässendothelien zur Annahme be¬
rechtigt, dass sie endothelialen Ursprungs sind (Pommer, Bitter,
Borst). Ebenso beiläufig erwähne ich die Ansichten über die
Wandlungsfähigkeit der Myeloplaxen. Koelliker will die Um¬
wandlung von Osteoklasten in Osteoblasten nachgewiesen haben,
Pommer und Weyher Umwandlung in faserbildende Spindelzellen,
Rindfleisch den Uebergang von Knochenzellen in Riesenzellen.
Ich erwähne diese Befunde ohne sie durch eigene Untersuchungs¬
ergebnisse stützen oder widerlegen zu können. Unwahrscheinlich
scheinen sie mir in höchstem Masse. Die Riesenzellen der Mve-
loidtumoren erweisen sich als typische Bicsenzellen vom myelo¬
plaxen Typus. Das Protoplasma zeigt einen kernfreien Rand, die
oft sehr zahlreichen Kerne sind mehr nach dem Centrum zu an¬
einandergedrängt. Das Protoplasma zeigt je nach der sehr
variablen Grösse der Riesenzellen eine verschiedene Flächenaus¬
dehnung. Besonders die grösseren Exemplare lassen eine zackige
Begrenzung und zahlreiche Ausläufer gegen das umliegende Ge¬
webe erkennen. Auch Vacuolen (Ribbert) finden sich darin häufig
und, wenn auch seltener, Einschlüsse von körnigem Blutpigment,
sowie Kalkkrümel. Die Zellen stellen sich dadurch als phago-
evtäre Elemente dar.
Archiv für kiin. Chirurjrio. Bd. 107. Heft 1. 7
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
98 F. Lotsch,
Mitosen habe ich in Uebereinstimmung mit den meisten Autoren
niemals in Riesenzellcn gesehen. Mir sind bei meinen Unter¬
suchungen zwei wohl unterscheidbare Typen von Riesenzellen
nebeneinander vorkommend aufgefallen. Zu der einen Art gehören
die eben beschriebenen grossen Exemplare. Ihr Protoplasma
nimmt nur einen ganz schwach-blauen Farbenton bei Hämatoxylin-
färbung an. Die inmitten des Zellleibs aufgehäuften Kerne sind
rundlich, deutlich bläschenförmig und lassen neben zarter Kern¬
struktur je ein deutliches Kernkörperchen nachweisen. Die Kern¬
färbung ist licht und relativ zart. Bei dem anderen Typus, der
sich nur bei kleineren Exemplaren findet, ist das Protoplasma
dunkler bläulich gefärbt, zeigt straffere Formen und kaum Fort¬
sätze, auch Vacuolen und Protoplasmaeinschlüsse (Pigment) fehlen.
Die in der Mitte zusaramengedrängten Kerne sind schlank, fast
stäbchenförmig und tiefblau tingiert. Ein Kernkörperchen oder
irgend eine Kernstruktur sind nicht nachweisbar. Die beiden Zell¬
typen finden sich häufig dicht nebeneinander. Vielleicht handelt
es sich um verschiedene Entwicklungsstufen, doch möchte ich es
vermeiden, aus meinen Befunden irgend welche weitgehenden
Schlüsse in der einen oder anderen Richtung zu ziehen. Neben
dem Reichtum an Riesenzellen ist der grosse Blut- und Pigment¬
gehalt ein Charakteristikum der Myeloidtumoren. Das Gewebe
erhält dadurch jenen schon erwähnten braunroten bis braunen
Farbenton, der die Bezeichnung als „braune Tumoren“, als „pig¬
mentierte Sarkome“ bedingte. Die reichlichen Blutgefässe sind
dünnwandig, meist strotzend gefüllt. Auch in diesen Riesenzellen¬
sarkomen finden sich zahlreiche Blutextravasate und Gewebsinfar-
zierungen mit roten Blutkörperchen. Das reichliche Pigment ist
ein sicherer Beweis früherer Blutungen. Es liegt teils in körnigen
oder scholligen Massen einzeln oder zu Klumpen und Haufen ge¬
ballt frei im Gewebe, teils in Zellen zum Teil recht grossen For¬
mats eingeschlossen.
Neben den Blutgefässen sah ich mehrfach auch weite, prall¬
gefüllte Lymphgefässe bzw. Capillaren mit einschichtigem Endothel¬
belag als einziger Wandbekleidung, die geronnene homogene In-
haltsraasse hatte sich mit Eosin ganz schwach gefärbt.
Schliesslich kommen in und neben diesen riesenzellensarkom¬
artigen Gebilden regressive Veränderungen vor, die zu cystischen
llohlräumen führen. Nach meinen Befunden kann ich die Ansicht
v. Recklinghausen^ bestätigen, dass die Hohlräume meist von
fibrösem Gewebe umgeben sind und sich das riesenzellenhaltige
zellreiche Gewebe erst in einiger Entfernung anscldiesst. Enklaven
von fibrösem Gewebe finden sich häufig mitten in den riesenzellen-
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
l'cbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cvsten.
99
sarkomartigen Herden und sie bilden die Prädilektionsstellen für
die Erweichungshöhlen. Damit soll keineswegs in Abrede gestellt
werden, dass nicht auch mitten im sarkomartigen Gewebe Hohl¬
räume auftreten.
Münckeberg hat am schärfsten zwei Formen von Hohl¬
räumen unterschieden. Nach ihm sind die Fibromcysten reine Er¬
weichungscysten mit geringer Wachstumstendenz. Sie zeichnen
sich durch geringen oder fehlenden Pigmentgehalt und starken
Knochenanbau in der Umgebung aus, sind also besonders gutartige
Bildungen. Im Gegensatz dazu sind nach Mönckeberg die Riescn-
zellcnsarkomcysten reich an Pigment, entstehen durch Erweichung
und Blutungen, zeigen grosse Wachstumstendenz und starken
Knochenabbau in ihrer Umgebung, sind also weniger gutartig,
Nach dieser Anschauung spricht sich die grössere Proliferations¬
fähigkeit der Riesenzellensarkome im Vergleich zu den Fibromen,
auch in ihren regressiven Veränderungen, den Cysten aus. Andere
Autoren (Davidsohn) sahen syncytiumähnliche Riesenzellen als
direkte Begrenzung der Cysteninnenfläche, meist wurden die Ricsen-
zellen erst in einiger Entfernung von der Wand gefunden.
Als Unterscheidungsmerkmale zwischen wahren Riesenzellen¬
sarkomen und den riesenzellenhaltigen Bildungen bei der Ostitis
fibrosa führt Lubarsch folgende an: „Für die Differentialdiagnose
zwischen Sarkom und gewissen entzündlichen Neubildungen ist
allein massgebend die Polymorphie der Zellen und die mangel¬
hafte Ausreifung des ganzen Gewebes. Wo man auch noch s<>
viele Riesenzellen, die mit Pigmentschollen oder anderen Fremd¬
körpern beladen sind, sieht, und die Spindelzellen gleichmässig ge¬
formt sind, keine Abnormitäten in den Kernen darbieten und
zwischen sich faserige Intercellularsubstanz erkennen lassen, han¬
delt es sich nicht um ein Sarkom.“
Bei den entzündlichen Bildungen der Ostitis fibrosa besteht
eine sehr nahe Beziehung zwischen Riesenzcllen und Pigment.
„Fast alle Riesenzellen sind mehr oder weniger reichlich mit eisen¬
haltigem Pigment angefüllt.“ Bei der Epulis und den Riesen¬
zellensarkomen der langen Röhrenknochen lindet sich gleichfalls
reichlich Pigment, aber nie innerhalb der Riescnzellen.
Bei der Epulis sind die Riesenzellen annähernd gleichmässig
verteilt, bei den entzündlichen Bildungen der Ostitis fibrosa bilden
sie dichtgedrängte Haufen, an anderen Stellen fehlen sie.
In den Ricscnzellensarkomen des Femurs und der Tibia „findet
sieh stets eine erhebliche Polymorphie der Zellen“; niemals ver¬
misst man hyperchromatische Kerne, Verklumpungen, neben den
eigentlichen Riesenzellen zw T ei- oder dreikernige Zellen; auch
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
100
F. Lot sch,
Digitized by
werden Mitosen, die in unserem Falle (von Ostitis fibrosa) ganz
fehlen und auch in keinem der anderen Autoren erwähnt werden,
hier nie vermisst.
Bei der Ostitis fibrosa finden sich deutliche Uebergänge von
fibrösem Gewebe zu riesenzellenhaltigem.
Nach diesen Ausführungen besteht trotz mancher Aehnlich-
keiten ein ausgesprochener, histologisch mit Sicherheit nachweis¬
barer Unterschied zwischen den riesenzellenhaltigen Gewebsstruk-
turen der Ostitis fibrosa und den eigentlichen Riesenzellensarkomen
mit Einschluss der Epulis. „Die Hauptsache ist (nach Lubarsch),
dass man den Gedanken aufgibt, als hätten diese Gebilde (der Ostitis
fibrosa) irgend etwas mit blastomatösen Wucherungen zu tun.“
v. Recklinghausen hat in seinem nachgelassenen Werk
(1910) zu diesen Ausführungen Lubarsch’s (1906) leider nicht
Stellung genommen, v. Recklinghausen sah die Streitfrage unter
ähnlichem, aber doch auch gänzlich anderem Gesichtswinkel. Er
stellt die Epulis und die myelogenen Riesenzellensarkome der Meta-
physen der langen Röhrenknochen nicht als wahre Riesenzellen¬
sarkome den entzündlichen Bildungen der Ostitis fibrosa gegenüber,
sondern fasst sie sämtlich als Produkte der gleichen Erkrankung
des Knochenmarks, nämlich der Ostitis fibrosa auf. Trotzdem er
mit dieser Lehre wenig Anklang gefunden zu haben scheint, hatte
er doch sehr gewichtige Gründe für seine Anschauung.
Er folgt E. Nelaton und geht von den Epuliden aus, die er
für myelogene Bildungen hält. „In den richtigen Epuliden der
Kiefer hat man häufig genug Stellen mit fibröser Struktur, daneben
unbestreitbar neugebildetc Knochen- und Osteoidbälkchen angetrolTen,
ja sogar Cysten, welche weder mit der Oberkieferhöhle, noch mit
den Alveolen oder Zahnwurzeln zusammenhingen. Kurz, die Zu¬
sammensetzung, der ganze Aufbau, das langsame Wachstum, die
lokale Recidivfähigkeit, der Verlauf der Epuliden stimmt mit den
Eigentümlichkeiten der Tumoren, welche bei der fibrösen Ostitis in
den letzten beiden Jahrzehnten nachgewiesen wurden, so vollkommen
überein, dass beide Geschwulstarten als zusammengehörende, auch
genetisch gleichartige angesehen werden müssen. Höchstens sind
sie in quantitativer Beziehung verschieden. Denn die Epuliden sind
zur Zeit raschen Wachstums und im Zustand besonderer Reizung
übermässig reich an jungen spindelförmigen Zellen, so dass ihnen
alsdann auch die Bezeichnung sarkomatös oder Riesenzellensarkome
in Anbetracht ihres morphologischen Verhaltens gegeben werden
kann.“
Zunächst müssen wir versuchen, eine Einigung bezüglich der
Stellung der sog. Epuliden zu ermöglichen. Lubarsch hält sie
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 101
für sichere Riesenzeilensarkome, v. Recklinghausen (und ebenso
E. Nelaton) für entzündliche Bildungen bei Ostitis fibrosa. Eine
Tatsache ist sehr befremdlich, nämlich dass kein Pathologe vor
Lu barsch mit solcher erfreulichen Sicherheit und Bestimmtheit die
Möglichkeit einer Unterscheidung dieser Gebilde betont hat, ja man
kann sogar nachweisen, dass die meisten keine unterscheidenden
Merkmale entdeckt haben. Unter ihnen finden sich Namen wie
Virchow, v. Recklinghausen, Mönckeberg, Albrecht, Orth
(s. bei Kehr). Allzu naheliegend sind diese morphologischen Unter¬
schiede also sicherlich nicht. Wir werden in Zukunft den dankens¬
werten Anregungen Lubarsch’s besondere Aufmerksamkeit zu
schenken haben. Die Richtigkeit der Befunde eines Pathologen
vom Rufe Lubarsch’s wird niemand anfechten wollen. Indessen
stellt sich in späterer Zeit vielleicht auch hier heraus, dass wir die
morphologischen Befunde für die Deutung und Einteilung zu ein¬
seitig betont haben. Mehr noch gibt folgende Tatsache zu denken:
In 3 Fällen von generalisierter Ostitis librosa fanden sich neben
den typischen Bildungen der Erkrankung gleichzeitig Epuliden
(v. Recklinghausen [Fall Bleich], Mönckeberg, Wrede). Vor
allem der Fall Wrede ist sehr instruktiv. Die Krankheit begann
im 30. Lebensjahre mit Epulis am Unterkiefer, die operiert wurde.
Ausgebreitete, festgestellte Ostitis fibrosa mit den charakteristischen
Veränderungen und zahlreichen Cysten in fast allen Knochen, auch
im Schädel. Im 40. Jahre grosses Riesenzellensarkom des Ober¬
kiefers, Exstirpation.
Ein zufälliges gemeinsames Vorkommen der Ostitis fibrosa und
der als wahrer Tumor aufzufassenden Epulis kann wohl völlig aus¬
geschlossen werden. Dafür ist die Zahl von 3 Fällen bei der
relativen Seltenheit der Epulis doch zu gross. Eine Fehldiagnose
ist höchst unwahrscheinlich. Will man nicht annehmen, dass es
zweierlei Epuliden gibt, solche, die wahre Tumoren sind, und solche,
die bei Ostitis fibrosa als entzündliche Bildungen Vorkommen —
das wird selbst der begeistertste Verfechter der Tumornatur nicht
wollen —, so bleibt nichts übrig, als zuzugeben, dass die Epuliden
mit den riesenzellensarkomartigen Bildungen der Ostitis fibrosa
identisch sind. Damit besteht die Behauptung v. Recklinghausen’s
zu Recht, dass die Epuliden zur Kategorie der metaplastischen
Malacie, zur tumorbildenden fibrösen Ostitis gehören und die höchsten
Stufen fibrös-ostitischcr Neubildung darstellen. Diese Ansicht ver¬
tritt in neuester Zeit auch Stumpf.
Die „pigmentierten Sarkome u der langen Knochen sind durch
den gleichen grossen Blut- und Pigmentgehalt wie die Epuliden
ausgezeichnet.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
102
F. Lot soll.
Digitized by
Sie kommen beide in den ersten 3 Jahrzehnten des Lebens
zur Beobachtung. Ihre Entwicklung fällt in die Jugendjahre ebenso
wie diejenige der anderen solitären Bildungen der Ostitis fibrosa
iKnochencysten). Ihre Prädilektionsstelle sind die Metaphysen der
Röhrenknochen (Schlange, Virchow u. a.), also in den jugend¬
lichsten und am spätesten ausgewachsenen Knochenabschnitten.
Sie bauen sich auf aus den bekannten Repräsentanten der
bindegewebigen Formationen: Bindegewebe, Schleim — Osteoid¬
knochen —, ganz selten Knorpelgewebe, Lvmphraark und Fettmark.
Das umgebende Gewebe erfährt einen grossartigen Umbau, so
dass es sich um eine ausgesprochene metaplastische Malacie bei
dieser Art Tumorbildung handelt. Die häufig dünne, schalenförmige,
knöcherne Kapsel, die die Tumoren umgibt, besteht durchweg aus
neugebildetem feinporigem Knochengewebe. Das Gleiche gilt von
den Knochenbälkchen im Innern der Geschwulst. Auch der an¬
scheinend sehr seltene Befund von Knorpelgewebe erklärt sich
histogenetisch nach dem früher Gesagten ohne Schwierigkeit.
Die besondere Stellung dieser Riesenzellensarkome in der Ge¬
schwulstlehre und besonders in der klinischen Pathologie wurde
bereits betont. Die Tumoren mögen noch so riesige Dimensionen
annehmen, so gut wie stets wird das Periost und der Gelenk¬
knorpel als Grenze respektiert. Zum Unterschied gegen Fibrome
und Cysten macht die riesenzellensarkomartige Wucherung dagegen
nicht Halt vor der Epiphysenlinie und erweist sich auch dadurch
als die proliferationsfähigste Bildung der fibrösen Ostitis. Das häufig
hochgradig gedehnte Periost erleidet, wenn überhaupt, lediglich
durch Zerrung und mechanische Dehnung Lücken, aus denen die
Tumormassen durchbrechen, eine eigentliche Einschmelzung bzw.
Durchwucherung findet nicht statt. In jenen überaus seltenen
Fällen von späterem infiltrierenden Wachstum, also von malignen
Riesenzellensarkomen soll die Bösartigkeit stets mit dem Durch¬
bruch des schützenden Periosts erfolgen (Steward).
Noch auf eine weitere Eigentümlichkeit dieser solitären meta-
physären bzw. epiphysären Riesenzellensarkome hat v. Reckling¬
hausen hingewiesen, auf die in und an dem Tumorgewebe vor¬
handenen Cysten. Er citiert als Paradigma das von Schuchardt
in der Deutschen Chirurgie auf Tafel I farbig abgebildete schalige
Riesenzellensarkom des unteren Tibiaendes, das zwei haselnuss¬
grosse, ganz glattwandige Cysten enthält. Aehnliche Befunde in
Riesenzellensarkomen der Röhrenknochen erhoben E. Nelaton,
Delanglade-Cornil, Lebert (s. v. Recklinghausen).
Aus der Sammlung unserer Klinik kann ich ein hierherjjehörigcs Präparat
beschreiben, das ich mikroskopisch nachuntersucht habe, um mir ein eigenes
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 103
Urteil über diese Fragen zu bilden. Es handelt sieh um ein Kcscktionspräparat
aus Franz Königs Zeiten, Die Signatur lautet: Saivoma radii, Anna Sch.,
42 Jahre, Frauenstation 3.
Leider ist keine Jahreszahl vermerkt, so dass es mir leider nicht möglich
war, klinische Daten aufzufinden. Dieser bedauerliche Manuel fällt jedoch des¬
halb nicht allzuschwer ins Gewicht, weil ich lediglich histologische Scliliisse
aus der Untersuchung zu ziehen brauche. Derartige Kesektinnspräparatc werden
heutzutage trotz unserer Fortschritte in der plastischen Knochenehirurgic immer
seltener, weil wir uns heutzutage bei der erwiesenen Gutartigkeit dieser'rumoren
fast stets auf die Exchochleation beschränken. Dass es sich um einen Solitär-
tumor handelte oder wenigstens an den anderen Knochen keine Veränderungen
klinisch nachgewiesen werden konnten, treht aus der Art der Operation ohne
weiteres hervor. Der trotz der Auslaugung in der Konservierungsflüssigkeit
noch immer deutlich bräunlich gefärbte Tumor sitzt in der resezierten unteren
Radiusmeta- und epiphyse und hat zu einer kolbigen Auftreibung dieses
Knoehenabschnittes geführt. Ueberall ist die Geschwulst von einer wenn auch
dünnen knöchernen Schale umgehen, das Periost. ist nirgends durchbrochen, der
(iolenkknorpel intakt. Auf dem Durchschnitt- (s. Fig. 34) sieht man unten noch
ein Stück der normalen Diaphy.se, die beiden Uorticalispfeiler lassen sieh noch
eine Strecke weit in den Tumor hinein verfolgen, um dann zu verschwinden. Auf
der Daumenseite tritt dieses Verschwinden früher ein. Das Periost mit seiner
darunter gelegenen Schale von neugebildetem Knochengewebe ist hier besonders
stark vorgetrieben und eine kleine Strecke weit von der Diaphysencortiealis ab¬
gehoben. Auf diese Weise ist an dieser Stelle der Uorticalispfeiler beiderseits
vom Tumorgewebe umgeben und endet zugespitzt darin. In gleicher Höhe mit
der Periostabhebung verläuft die deutlich sichtbare Grenze der Geschwulst
gegen das normale Knochenmark innerhalb der Markhöhle. Der wichtigste l»e-
fund sind zahlreiche, glattwandige, bis etwa erbsengrosse, cystisehe llohlräume
mitten im Tumor, die zum Teil miteinander durch breitere oder enge Oeffrumgen
kommunizieren. Die grösseren zeigen unvollständige septenartige Leisten und
Vorsprünge der Wand. Zur mikroskopischen Untersuchung wurde der in der
Abbildung sichtbare keilförmige Teil der linken Hälfte entnommen. Das da¬
durch freigelegte Gewebe hat (‘inen erheblich dunkleren braunen Farbenton als
die stärker ausgelaugte alte Schnittfläche. Die Entnahme gelingt mit dem
Messer.
Histologisch zeigt das Gewebe in grösster Ausdehnung die Struktur der
Ricscnzdlensarkomc. ln der Umgebung des Gcsehwulstgewebes findet sieh
spongiöses Knochengewebe mit sehr deutlichem Osteoblastenbesatz und osteoiden
Säumen. Die Maschen bzw. .Markräume sind mit relativ zell- und gefässreiehem
Fasermark erfüllt. Die Spindelzellen lassen deutliche Intcreellularsubstanz in
Gestalt von Fibrillen erkennen und laufen bündelweise parallel den Knoehen-
rändern. Einige Stellen sind kern- bzw. zellärmer, auch der Gefässgehah tritt
in den Hintergrund, wir haben richtiges Fibromgewebc vor uns. Solche Herde
von mikroskopischer Kleinheit finden sieh auch inmitten der Geschwulst. Der
Uebergang des Fasermarks in das sehr zellreiehe Sarkomgewehe erfolgt ziem¬
lich unvermittelt (s. a. Fig. 35). Innerhalb des eigentlichen Tumorgewebes
herrscht- ein sehr kernreiehes Spindelzellengewehe durchaus vor. stellenweise ist
es mit ziemlich zahlreichen rundlichen Zellen durchschossen, die nur an wenigen
Orten an Zahl die Spindelzellen übertreffen. Die Zellkerne, auch die lang¬
gestreckten der Spindelzellen zeigen eine Kernstruktur. Sichere Mitosen habe
ich nicht finden können, auch keine Verklumpungen. Intcreellularsubstanz ist
nicht oder jedenfalls nur an wenigen Stellen nachweisbar. Der Gehalt an Hlut-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
104
E. Lotseh,
Digitized by
gefassen ist wechselnd. Auch Lymphgefässe mit homogener Füllung und teil¬
weise grossem Lumen sind sichtbar. Auch ausserhalb der dünnwandigen Blut¬
gefässe finden sieh mte Blutkörperchen zwischen den Zellen im Gewebe. Ausser¬
dem fällt der Reichtum an Pigment auf. Es ist zwar durch die Konservierungs¬
flüssigkeit ausgelaugt, doch immerhin noch mit Sicherheit nachzuweisen. Das
Pigment liegt zwischen und in den Tumorzellen. Als wichtiger und auffallender
Zellbestandteil sind endlich die Riesenzellen anzuführen. In grösseren Bezirken
des Tumorgewebes fehlen sie gänzlich, in anderen finden sie sich spärlich, meist
jedoch treten sie in derart erheblicher Zahl auf, dass sie dem histologischen
Bild durchaus das charakteristische Gepräge verleihen, ihre Form ist viel¬
gestaltig, die Ecken und Fortsätze des Protoplasmaleibes fügen sieh in ent¬
sprechende Lücken und Aussparungen des umgehenden Gewebes. Häufig hat
sieh das umliegende Gewebe infolge der Konservierung etwas von den Riesen¬
zellen zurückgezogen, so dass die Riesenzellen in einem besonderen Hohlraum
zu liegen scheinen. Ihre Grösse ist zum Teil recht beträchtlich. Die inmitten
des Zellleibs aufgehäuften Kerne sind meist rundlich, bläschenförmig und zeigen
ein deutliches Kernkörperehen, ln einigen Exemplaren ist auch die andere
Riesenzellenform vertreten. Ihr Protoplasma ist etwas stärker tingiert, die
Kerne sind schmaler, zeigen weniger runde Konturen, sind intensiv dunkel ge¬
färbt. Von Kernstruktur und Kernkörperehen ist nichts zu sehen. Mitosen
fand ich in den Riesenzellen nie, dagegen Vakuolen. Pigmenteinschlüsse waren
nicht mehr nachweisbar. Die Cysten werden zum Teil direkt von dem Sarkom-
gewehe begrenzt. Einige Riesenzellen finden sieh in nächster Nähe der Innen¬
fläche des Hohlraumes, im ganzen treten sie jedoch in der eigentlichen W and
an Zahl sehr zurück. Der Cysteninhalt besteht fast durchweg aus roten Blut¬
körperchen. Eine Epithel- oder Endothelauskleidung des Hohlraumes fehlt völlig.
Innerhalb des Tumors finden sieh ferner noch stellenweise Anhäufungen
von spongiösem Osteoid und zwar zum Teil so reichlich, dass das histologische
Bild dadurch beherrscht wird. In den engen Maschen liegt das zellreiche
.Sarkomgewebe. Mehrfach lässt siel) eine ziemlich deutlich differenzierte Osten-
blastcnsehieht wenigstens auf kleine Strecken nachweisen. Besonders inter¬
essant ist der histologische Befund des Tumors unter dem Gelenkknorpel des
Radius. Das zellreiehc Sarkomgewebe reicht stellenweise bis dicht an den un¬
versehrten Gelenkknorpel heran. Innerhalb des riesenzellcnreichen Tumor¬
gewebes finden sich noch reichlich Spongiosabälkehen, die ihrer Struktur nach
zum Teil alt. zum Teil neugebildet erscheinen, zum Teil liegen die Riesenzellen
in Lakunen oder doch dem Knochengewebe direkt an (Osteoklasten), daneben
ist streckenweise ein deutlicher Osteoblastenbesatz nachzuweisen. Osteoide
Appositionssäume sind nicht sichtbar. Im ganzen herrscht der Knochenabbau
vor. Tumorwärts, also in einer gewissen Entfernung vom Gelenkknorpel geht
das Sarkomgewebe fast unvermittelt in .Fibromgewebe über (Fig. 35), das auf¬
fallend gefässarm ist im Gegensatz zu dem stellenweise sehr gefässreiehen
R i esc n zell e n sark o mgewebe.
Nach diesem üntersuchungsergebnis muss ich mich der Ansicht
von v. Recklinghausen durchaus anschliessen, der eine volle
Uebereinstimmung der Gewebsstrukturen der beiden Tumorarten,
der Myeloide einerseits, der bei der fibrösen Ostitis vorkommenden
Fibrome und Riesenzellensarkome andererseits behauptet. Für die
Epuliden und eine grosse Reihe von myelogenen Riesenzellensarkomen
möchte ich das auf Grund meiner Befunde durchaus bestätigen. Ob
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
105
alle Riesenzellensarkome des Knochensystems darunter begriffen
werden dürfen, will ich, so wahrscheinlich es mich dünkt, nicht
behaupten, weil mir grössere eigene Erfahrungen über dieses Ge¬
biet fehlen.
Lubarsch macht besonders darauf aufmerksam, dass er bei
„echten Riesenzellensarkomen“ mit Fraktur die Sarkomstruktur
besonders deutlich ausgeprägt fand, die Zellwucherung war beson¬
ders üppig, reich an Mitosen und vielgestalteten Zell- und Kern¬
veränderungen; dagegen fanden sich ebensowenig, wie in den
Epuliden, nie ähnliche Beziehungen der Riesenzellen zum Blut¬
pigment (Phagocytose).
Den Anregungen Lubarsch’s folgend, werden wir mehr als
früher in jedem Falle von riesenzellensarkomartigem Geschwulst¬
gewebe auf die aufgeführten Merkmale des genannten Autors
achten, besonders auch auf das Verhalten des Gewebes in der
nächsten Geschwulstumgebung. Ob sich auf diese Weise rein
morphologisch-histologisch eine Unterscheidung zwischen den Bil¬
dungen der. Ostitis fibrosa und wirklicher Riesenzellensarkome wird
ermöglichen lassen, erscheint möglich, aber gleichzeitig sehr un¬
wahrscheinlich. Die Epuliden und zum mindesten ein grosser
Teil der metaphysären Riesenzellensarkome gehören zur Ostitis
fibrosa, das geht aus mehreren Beobachtungen zur Evidenz hervor.
Der Standpunkt, den v. Haberer einnimmt, erscheint durch¬
aus diskutabel. Man kann meines Erachtens sehr wohl die tumor¬
artigen Gebilde riesenzellensarkomartigen Gewebes bei der Ostitis
fibrosa als wahre Riesenzellensarkome auffassen und somit von
einer Kombination der Ostitis fibrosa mit Riesenzellensarkomen
sprechen. Dagegen heisst es doch den Tatsachen Zwang antun,
wenn man einige dieser Tumoren als entzündliche Bildungen auf¬
fasst und andere als wahre Tumoren ihnen gegenüberstellt, obwohl
beide Formen bei sicheren Fällen von generalisierter Ostitis fibrosa
nebeneinander Vorkommen. Vor dieser klinisch und autoptisch er¬
wiesenen Tatsache müssen alle anscheinend noch so exakten mor¬
phologischen Unterscheidungsmerkmale in den Hintergrund treten.
Ein allzu einseitiges Betonen gewisser histologischer Unterschiede
führt auch hier zu erweisbaren Fehlschlüssen.
Die solitären riesenzellensarkomartigen Bildungen verhalten
sich dann zur generalisierten Form genau wie die solitär auf¬
tretenden Fibrome und namentlich Cysten.
Ich möchte mit Lubarsch im Sinne v. Recklinghausen’s
behaupten, die braunen, riesenzellensarkomartigen Tumoren sind
sicher keine echten Tumoren, sondern eine besondere Art entzünd-
icher oder resorptiver Neubildungen. Das gilt nach meiner Mci-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
106
F. Lot sch.
Digitized by
nung sowohl für die Bildungen bei der generalisierten Form der
Ostitis fibrosa, als auch für die solitär auftretenden und deckt sich
durchaus mit der klinischen Erfahrung, die diesen Bildungen schon
lange eine Sonderstellung ein/.uräutnen zwang. Diese, seine Ein¬
heitstheorie, nennt v. Recklinghausen selbst mit Recht „wohl¬
begründet“. Danach sind Tumoren mit der Struktur der Myeloide
und der besonderen Neigung zur Pigment- und Cystenbildung, die
wohl an ihrem Standort reeidivieren, aber niemals Metastasen in
anderen Abschnitten des Skeletts oder gar in den weichen Or¬
ganen herbeiführen, als Bildungen ein und derselben Krankheits¬
form aufzufassen, d. h. nur Spielarten der metaplastischen Osteo-
malacie.
Das multiple Auftreten dieser riesenzellensarkomartigen Bil¬
dungen bei der generalisierten Form der Ostitis fibrosa sprach
von Anfang an gegen die Auffassung als wahre Sarkome (Rehn,
Gaugele u. a.). Gaugele hatte in seiner ersten Arbeit folgende
Tatsachen gegen diese letztgenannte Auffassung angeführt:
1. Muhiplizität der Knochenalfektion,
2. jahrelang ungestörtes Allgemeinbefinden,
3. nicht circumscripte, sondern diffuse Beteiligung beinahe
sämtlicher Skelettknochen oft ohne oder mit nur geringer
Auftreibung,
4. scharfe Abgrenzung gegen die umgebenden Weichteile,
5. Heilung der pathologischen Frakturen trotz der Tumoren.
Dass das multiple Auftreten der riesenzellensarkomartigen
Gebilde bei der generalisierten Form der Ostitis fibrosa nicht auf
Metastasierung beruhen kann, wird von allen Autoren anerkannt.
In sicheren Fällen dieser Erkrankung finden wir die Bildungen in
der verschiedensten Ausdehnung und Anordnung. Der tebergang
des fibrösen Markgewebes zu dem kernreichen und ricsenzellen-
haltigen Gewebe ist ein durchaus fliessender (s. Figg. 6 und 35).
Die allmählichen Uebergänge konnte ich auch in unserem Falle B.
sehr deutlich aufweisen, und ganz das gleiche Verhalten fand ich
auch in dem beschriebenen cystenhaltigen, solitären „Riesenzellen-
sarkom“ des unteren Radiusabschnittes. Hart beschreibt kleine
isolierte riesenzellensarkomähnliche Herde mitten im Fettmark.
Man mag mit Stumpf diese zelligen Neubildungen als etwas
Besonderes ansehen, das zur einfachen metaplastischen Malacie
hinzukommt, für die Fälle generalisierter Ostitis fibrosa bildet der
Befund dieser „Riesenzellensarkome“ einen so häufigen Befund,
dass man die Bildung als zum Krankheitsbild gehörig bezeichnen
muss. In den von mir aufgeführten 37 Fällen findet sich 17 mal
eine positive Angabe.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit 'rumoren und Cysten. 107
Den Beginn der histologischen Veränderungen bei der Ostitis
fibrosa sieht v. Recklinghausen auf Grund seiner Befunde in der
Bildung von Fasermark um die jüngsten Knochenbälkchen in der
Peripherie des Fettmarks. Die Fasern haften an den Spongiosa-
bälkchen fest (Fasermantcl-Askanazy) und dringen in sie ein
(Reichtum Sharpey’scher Fasern im Knochen). Das jugendliche
Fasermark ist stellenweise von Rundzellen durchsetzt und stellt
sich als offenbares Granulationsgewebe dar. Als Grenze gegen
das Fettmark sah v. Recklinghausen mehrfach eine Zone von
Lymphoidmark. Die bei der starken Knochenresorption notwendiger¬
weise auftretenden Riesenzellen verschwinden nicht — wie nor¬
malerweise — nach Abschluss ihrer osteoklastischen Tätigkeit,
sondern schliessen sich zusammen, vermehren sich wahrscheinlich
auf den Reiz der fortwährend stattlindenden Blutungen und beladen
sich als Phagocyten mit Pigment. So haben wir uns nach Lubarsch
in der Hauptsache die Bildung der riesenzellensarkomähnlichen
Teile zu denken, v. Recklinghausen macht ebenfalls darauf auf¬
merksam, dass die Nähe der pigmentreichen Fasermarkstellen und
der eigene Pigmentreichtum der Riesenzellensarkome auf ihre Ent¬
stehung aus oder unter abnormen Blutanhäufungen und kongestiven
Hyperämien hinweisen. Die Cystenbildung ist in jedem Falle auf
dem Wege der einfachen Atrophie und Rarefaktion durch Er¬
weichung zu erklären (v. Recklinghausen, Fujii, Verfasser).
Blutungen und Gewebsinfarzierungen spielen dabei eine fördernde
Rolle.
Anfänglich tritt die Erkrankung stets in circumscripten Herden
in den einzelnen Knochen auf. Durch Ausbreitung und Konfluenz
kommt es später zu diffus den ganzen Knochen durchsetzenden
Veränderungen. Das Freibleiben der Epiphysen (bis auf die Riesen¬
zellensarkome) und der Prädilektionssitz in den Metaphysen des
jugendlichen, der Schaftmitte des erwachsenen Knochens habe ich
bereits erwähnt. Durch den hochgradigen Umbau büsst der Knochen
seine Festigkeit ein, wird schneid- und biegsam, gibt dem Wachstums¬
druck der fibrösen Wucherungen nach, es kommt zu Verdickungen,
Auftreibungen, der in seiner Widerstandsfähigkeit geschädigte
Knochen erfährt Verbiegungen und Verkrümmungen, „physiologi¬
sche Traumen“ führen bereits zu Infraktionen und „pathologischen
Frakturen“. In Analogie zu den anderen zur Erweichung führenden
Erkrankungen des Knochensystems finden sich nicht alle Skelett¬
abschnitte gleichmässig beteiligt, sondern es bestehen typische Prä¬
dilektionsstellen. Wie bei der Osteomalacie, der senilen Porose
und besonders auch der Paget’schen Form der Ostitis sind zu¬
nächst die Hauptstützen des Körpers befallen: Wirbelsäule, Schädel-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
108
F. Lot soll.
Digitized by
basis, Becken mit oberem Femurdrittel; in zweiter Linie das
Thoraxskelett (Rippen, Brustbein); in dritter Liqie die langen
Röhrenknochen, und zwar ihre Diaphysen, die Schädelknochen und
der Schultergürtel.
Die Wirbel nehmen die sehr charakteristische bikonkave Form
an und erinnern an „Fischwirbel“. In ihrem Innern, besonders im
Körper wurden neben starker Porosierung Fibrome, Riesenzellen¬
sarkome und Cysten .nachgewiesen. Es kommt zu Kyphose eventl.
auch Skoliose, besonders im Brustteil, und entsprechender Lenden¬
wirbellordose. Die verdickte, porotische Schädelbasis wird in der
Gegend des Foramen occipitale durch den Gegendruck der Wirbel¬
säule in die Schädelhöhle vorgewölbt. Den Grund dazu bildet die
Nachgiebigkeit und Schwere des verdickten Schädels. Eine Ver¬
ringerung der Schädelkapazität resultiert aus dieser sog. Elevation
der Basis anscheinend nicht.
Das Becken wird meist schief, dabei kartenherzförmig, die
Darmbeine stellen sich senkrechter, so dass die Cristae sich nähern,
die Tubera ischii weiter auseinander rücken. In hochgradigen Fällen
kommt es sogar zu Schnabelform der Symphyse. Die Becken¬
schaufeln sind ein Lieblingssitz für Tumoren und Cysten, bei der
generalisierten und auch bei der solitären Form der Ostitis fibrosa
(ich erwähne u. a. Fall Froriep’s, Rehn’s, unseren Fall, von
dem solitären Froriep’s II. Fall, Bo ström).
Ein besonders charakteristischer Befund zeigt sich überaus
häufig an dem oberen Drittel des Femurs. Dieser Skelettabschnitt
bildet wohl die häufigst befallene Stelle, sowohl bei der solitären
wie bei der generalisierten Ostitis fibrosa (unser Fall B. bildet
eine bemerkenswerte Ausnahme). Die Erkrankung führt hier zu
allen der metaplastischen Malacie eigentümlichen Bildungen, zu
Fibromen, Riesenzellensarkomen und vor allem auch zu Cysten.
Die Veränderungen treten relativ häufig symmetrisch auf. Die
Bevorzugung der oberen Femurmetaphyse ist auch für metastatische
Bildungen bekannt, besonders maligne Schilddrüsen- und Neben¬
nierentumoren machen an dieser Stelle gern ihre oftmals solitären
Knochenmetastasen. Ob Besonderheiten der Gefässversorgung diese
auffällige Tatsache zu erklären imstande sind, mag vorläufig dahin¬
gestellt bleiben. Infolge Zerstörung der Trajektorien und Spongiosa¬
balkenzüge gibt dieser mechanisch besonders beanspruchte Skelett¬
teil nach und es kommt zu einer durchaus typischen, nach aussen
und vorn konvexen Krümmung, die derart hohe Grade erreichen
kann, dass der Scheitelpunkt der Krümmung höher liegt als der
Trochanter major (s. Fig. 1). Die Bezeichnung „hirtenstabförraige
Krümmung, die v. Recklinghausen eingeführt hat, ist so treffend,
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Ucbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 109
dass sie besser als alle Beschreibung den Zustand anschaulich
macht.
Zusammengenommen führen die bisher genannten Skelett¬
veränderungen zu einer oft hochgradigen Verkleinerung, zu einem
„Insichzusammensinken“.
Die Beteiligung der Rippen und des Brustbeins ist bei stärkeren
Graden der Generalisation gleichfalls durchaus gewöhnlich. Die
besondere Neigung der Knochen des Rumpfskeletts zu porotischen
Veränderungen ist von der senilen Knochenatrophie her bekannt,
auch sei an dieser Stelle an das multiple Myelom erinnert, das
zwar vornehmlich eine Erkrankung der hämatopoetischen Knochen¬
markskomponente zu sein scheint, das aber gleichfalls im Rumpf¬
skelett seine stärkste Entwicklung erreicht und durch Rarefaktion
der Tela ossea sekundär zu hochgradigster Knochenbrüchigkeit
führt. Ausser der häufig diffusen Erweichung zeigen die Rippen
bei der Ostitis fibrosa gewöhnlich umschriebene Auftreibungen, be¬
sonders bevorzugt scheint die Gegend des Angulus costarum. Die
Auftreibungen entstehen durch die üblichen Proliferationsbildungen
der Markfibrose, man findet Fibrome, Riesenzellensarkorae und
Cysten. Das Gleiche gilt vom Brustbein. Infolge der häufigen
Skoliose der oberen ßrustwirbelsäule kommt es zur Bildung eines
Rippenbuckels, durch den Druck der Arme gegen die seitlichen
erweichten Rippenabschnitte zu einer Einwärtsbiegung, so dass die
Humeri gleichsam in einer Rinne des Thorax liegen. Dieser
Verminderung des queren Thoraxdurchmessers entspricht häufig
eine Verlängerung des ventro-dorsalen bis zur Bildung eines aus¬
gesprochenen Pectus carinatum.
Die langen Röhrenknochen sind in wechselnder Zahl und
Ausdehnung befallen, bald ist der Hauptsitz der Erkrankung in
einer oder gar beiden Metaphysen gelegen, bald in der Mitte der
Diaphyse. Neben den Knochen der unteren Extremität sind auch
die der oberen häufig befallen. Bei der Paget’schcn Form wird
das Armskelett erfahrungsgemäss meist frei befunden. Das Gleiche
gilt von Scapula und Clavicula. Besonders das Schlüsselbein ist
relativ häufiger befallen und auch der Sitz solitärer fibröser Er¬
krankung. In diesem Zusammenhang seien die beiden von Franz
König mitgeteilten Fälle erwähnt, die nach unserer heutigen Auf¬
fassung als solitäre bzw. circumscripte Ostitis fibrosa der Clavicula
anzusehen sind. Die zunehmende Verdünnung der Corticalis führt
zu Verbiegungen. An der Tibia ist eine nach vorn aussen konvexe
Verkrümmung relativ typisch und erinnert an die gleiche Deformität
bei der Paget’schen Form und bei der an der Tibia relativ häufigen
diffusen Knochensyphilis. Die charakteristischen circumscripten
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
110
V. Lot sch.
Digitized by
Auftreibungen der Ostitis fibrosa finden sich auch an den Röhren¬
knochen oft. Sie sind wiederum durch Tumoren und Cysten be¬
dingt. Die Knochenschale ist häufig so dünn, dass deutliches
Pergamentknittern, ja bei stellenweise völligem Fehlen jeder
knöchernen Begrenzung sogar Fluktuation nachzuweisen ist. Sind
die bedeckenden und, wie erwähnt, unbeteiligten Weichteile dünn
wie an der vorderen Schienbeinkante, so schimmert gelegentlich
die dunkle, braunrote Geschwulstmasse durch.
Auch die Knochen des Hand- und Fussskeletts sind häufiger
befallen, als man zunächst glaubte. Auch bei den Sektionen muss
häufig eine Untersuchung dieser Skelettabschnitte unterbleiben. Wir
verdanken dem Röntgen verfahren sehr sichere Aufschlüsse, und in
allen Fällen von Ostitis fibrosa sollte eine systematische Röntgen¬
untersuchung des gesamten Skeletts vorgenommen werden. Von
den Fusswurzclknochen zeigten sich Talus und Calcaneus häufiger
beteiligt. Auch solitäre Erkrankung in diesen Knochen wurde
beobachtet (v. Recklinghausen, ßoström). Die Metakarpen
und Metatarsen zeigen neben Porose diffuse Verdickungen und
plumpe Formen (s. u. a. Virchow, unseren Fall), seltener finden
sich umschriebene Höhlenbildungen. Eine DifTerentialdiagnose gegen¬
über centralen Enchondromen ist hier besonders schwierig, meist
wohl überhaupt röntgenologisch unmöglich. Die Phalangen zeigen
die gleichen Veränderungen wie die Metakarpen und Metatarsen,
doch seltener und weniger ausgesprochen.
Ebenso wie die Schädelbasis sind auch die übrigen Schädel¬
knochen häufig befallen. Die Unterscheidung der äusseren und
inneren Tafel sowie der Diploe ist nicht mehr möglich. Die Nähte
sind verschwunden, die oft beträchtlich verdickte Schädelkapsel
zeigt auf dem Durchschnitt eine gleichmässige, spongiöse Struktur
mit hvperämischem Fasermark in den weiten Maschenräumen.
Eigentliche Tumoren und Cysten kommen ziemlich selten zur Beob¬
achtung. Neben den erweichten, kalkberaubten, schneidbaren,
federnden Abschnitten finden sich stellenweise festere, eburneierte.
Die Gefässfurchen sind meist sehr deutlich und vertieft.
Von den Gesichtsknochen sind in erster Linie die Kiefer¬
knochen, sowohl Unter- wie Oberkiefer befallen, sodann das
knöcherne Orbitalskelett im Verein mit dem Stirnbein. Besonders
in den Kiefern sind Tumoren und Cysten, beobachtet tvorden. Vor
allem verdient der einige Male beobachtete, frühzeitige Ausfall fast
sämtlicher Zähne in diesem Zusammenhänge Erwähnung (s. a. Fall
Bram an n und unser Fall B.), besonders deshalb, weil dies Symptom
auch einige Male bei der PageCschen Form beschrieben wurde.
Im ganzen herrscht die Hyperostose am Schädelskelett vor. Dass
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Uebcr srencralisiertc Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. in
es sich dabei um eine hochgradige Metaplasie handelt, erhellt aus
dem Gesagten. Der Innenraum der Schädelkapsel wird erfahrungs-
gemäss nicht verringert, auch die Löcher und Kanäle für Gefässe
und Nerven nicht verengert. Die Kopfform wird häufig etwas
flacher, die vortretenden Stirnhöcker und die hohe Stirn verleihen
dem Gesicht einen besonderen Ausdruck. Der infolge der Hyperostose
schwerer gewordene Schädel sinkt nach vorn, in stärkeren Graden
berührt das Kinn das Brustbein.
Die pathologisch-anatomische Gleichheit des Schädelskelett¬
befundes bei der v. Recklinghausen’schen und Paget’schen
Knochenkrankheit und bei der sog. Leontiasis ossea Virchow's
beweist die Zugehörigkeit aller dieser Krankheitsformen zu einer
morphologisch zusammengehörigen Gruppe.
Dass wir es bei den Deformitäten mit rein sekundären Er¬
scheinungen zu tun haben, die allein durch mechanische Wirkungen
eine völlig ausreichende Erklärung finden, ist mehrfach betont
worden. Deshalb ähneln die Deformitäten des Skeletts sich bei
allen zur Erweichung der Knochen führenden Krankheitsprozessen
in so starkem Masse.
Aetiologie.
Den Prozess der metaplastischen Malacie hatte bereits Paget
für seine hyperostotische Form als entzündlich aufgefasst und seiner
Krankheit den Namen Osteitis deformans gegeben. Auch v. Reck¬
linghausen und alle späteren Autoren teilen diese Auffassung,
und der Name Ostitis fibrosa bzw. deformans ist als zweck¬
entsprechend allgemein anerkannt.
Die Berechtigung zu dieser Auffassung ist in der Neubildung
des Markgewebes zu einem morphologisch eindeutigen Granulations¬
gewebe gegeben. Es handelt sich um eine produktive Entzündung
des Markstroraas, die in den chronisch interstitiellen Entzündungen
der parenchymatösen Organe ihr Analogon findet. Die Proliferation
des interstitiellen Markgewebes führt zu einem Schwund des
Knochenmarkparenchyms, der hämatopoetischen Komponente. Diese
Proliferation hat einen, wie v. Recklinghausen sagt, deutlich
irritativen Charakter, sie führt ausserdem zum Abbau des um¬
gebenden Knochengewebes. „Das besondere Merkmal der fibrösen
Ostitis, als Ganzes genommen, liegt in der Metaplasie des fertigen
Knochengewebes, daher hat dieselbe ihre eigentliche Zeit erst in
der späteren Jugend, im zweiten Lebensjahrzehnt oder im er¬
wachsenen Zustand“. Dieser Ausspruch v. Recklinghausen's
besteht nach den heutigen Erfahrungen nicht mehr so apodiktisch
zu Recht. Trotzdem der genannte Autor in seinem nachgelassenen
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
112
F. Lots eh,
Digitized by
Werk mit besonderer Sorgfalt alle Tatsachen hervorhebt, die eine
entzündliche Genese wahrscheinlich machen, rät er zum Schluss
doch, man möge diesen entzündlichen Charakter nicht zu stark
betonen, nicht eine etwaige Infektion, z. ß. eine syphilitische, als
den wahren kausalen Faktor betrachten.
Es bleibt deshalb immerhin die entzündliche Genese bis zu
einem gewissen Grade unbewiesen und zweifelhaft. Tatsächlich
würde es sich, genau gesprochen, nicht um eine Ostitis, sondern
um eine Osteomyelitis fibrosa interstitialis produetiva handeln, wie
schon v. Recklinghausen hervorgehoben hat. Von anderer Seite
ist der Name Endostitis bevorzugt worden. Ich glaubte mit der
Bezeichnung „proliferierende Markfibrose“ am wenigsten zu prä-
judizieren, auch die Benennung Endostose ist vorgeschlagen worden.
Alle diese Bezeichnungen sind ebensowenig wie die Benennung
„metaplastische Malacie“ imstande, den eingebürgerten Namen
Ostitis fibrosa zu verdrängen und zu ersetzen. Das Gleiche gilt,
wie oben auseinandergesetzt, von der Bezeichnung Knochencysten
und Riesenzellensarkomen. Die Vorstellungen, die wir mit diesen
Bezeichnungen im Zusammenhang mit der Ostitis fibrosa verbinden,
berichtigen die sprachlichen Ungenauigkeiten ohne Schwierigkeit,
und wir sollten deshalb von einer Namens Verbesserung Abstand
nehmen.
Wenn wir die Berechtigung einer morphologischen Zusammen¬
fassung aller mit Malacie einhergehenden Krankheiten des Knochen¬
systems anerkennen, so drängt sich immer wieder die Frage auf,
ob dieser morphologischen Gleichheit auch eine genetische Gleich¬
heit entspricht. Bei der Gefahr dieser Art von Schlussfolgerung,
nämlich von der gleichen Wirkung auf die gleiche Ursache, ist
besondere Vorsicht geboten und ohne tatsächliche Beweisführung
keine Stellungnahme möglich. Wenn aber bis zum heutigen Tage
die Aetiologie einer so häufigen Erkrankungsform wie der Rachitis
noch immer nicht geklärt ist, so .erscheinen die Aussichten für die
Klarstellung einer so seltenen Form wie der Ostitis fibrosa be¬
sonders schlecht.
Wenn wir uns der Frage nach der Krankheitsursache zu¬
wenden, so betreten wir den Boden der Hypothese. Die generalisierte
Form der Ostitis fibrosa ist eine Systemerkrankung des Skeletts.
Ernstlich können also lokale Reize als Entstehungsursache heutigen
Tags nicht mehr diskutiert werden.
Dass das Trauma, eine wie grosse Rolle es scheinbar in den
Anamnesen auch spielt, als primäre Entstehungsursache für die
generalisierte Ostitis fibrosa nicht in Betracht kommt, geht schon
daraus hervor, dass die Krankheit auch an Knochenteilen auftritt,
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. H3
die ein erweisliches Trauma nicht erlitten haben. Dass die Frakturen
nicht' die Ursache, sondern die Folge der Erkrankung sind, ist
heutzutage wohl allgemein anerkannt. Das gilt sowohl für die
generalisierte wie für die circumscripte Ostitis fibrosa. In unserer
Zeit, in der alle Frakturen, ja alle verdächtigen Kontusionen mit
dem Röntgenverfahren untersucht werden, müssten viel häufiger
Fälle von fibrösem Knochenumbau beobachtet werden. Der Häufig¬
keit der Frakturen steht die Seltenheit der Ostitis fibrosa gegenüber.
Es bleiben lediglich Schädlichkeiten, die auf dem Blutwege
das gesamte Knochensystem treffen.
Eine direkte bakterielle Ursache erscheint von vornherein sehr
unwahrscheinlich; die bakteriologischen Untersuchungen sind zudem
bisher stets erfolglos geblieben. Der Befund von Diplokokken im
Falle Gaugele-Lubarsch wird von den Autoren selbst als mög¬
liche nachträgliche Verunreinigung nicht allzu hoch bewertet. In
dem 1. Falle Gehring’s (Röpke) wurden in der solitären Humerus¬
cyste eines 14jährigen Mädchens vereinzelte Staphylokokkenkolonien
gefunden. Auch hier wird von dem Autor selbst die Möglichkeit
einer Beimischung erwogen, wenn auch andererseits Röpke, unter
dessen Leitung die Arbeit entstand, an eine schwache Infektion
denkt. Die Frage erheischt eine exakte Nachprüfung, für unseren
Fall hoffe ich diese bisher unterlassene bakteriologische Unter¬
suchung noch nachholen zu können.
Dass sich die Untersuchung stets auch auf Spirochäten und
Spirillen erstrecken sollte, habe ich früher bereits erwähnt. Neben
dem Kulturverfahren (aerob und anaerob) sollte stets auch die
Untersuchung im Dunkelfeld sowie der Tierversuch Verwendung
finden. Eine syphilitische, tuberkulöse und aktinomykotische
Knochenentzündung ist nach dem Verlauf und dem histologischen
Befund wohl mit Sicherheit auszuschliessen.
Wenn ich danach eine direkte bakterielle Entstehung von der
Hand weisen möchte, so steht es anders mit einer indirekten
Schädigung. Mehrfach findet sich in den Vorgeschichten die An¬
gabe, dass sich die Erkrankung an eine schwere Allgemeinkrank¬
heit anschloss. So in unserem Fall an schweres „Nervenfieber“.
Hochgradige Anämie ist in der Hälfte der Fälle besonders hervor¬
gehoben. Auch bei den Tierversuchen, die vor allem zwecks Er¬
zeugung rachitischer Erkrankung in grosser Zahl vorgenommen
wurden, ist zu bedenken, dass die Aenderung in der Lebensweise
während der langen Beobachtungszeit sehr wohl eine wesentliche
Rolle zu spielen vermag, v. Hansemann beschuldigt vor allem
die Gefangenschaft, die Beschränkung der Bewegung in freier Luft.
Mit einer sekundären Störung der Ernährung ist auch bei den Vcr-
Archir fSr klln. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. ,X
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
114
F. Lot sch,
Digitized by
suchen Morpurgo’s zu rechnen, dem es bei weissen Ratten durch
Impfung von Bakterienkulturen unter monatelanger Beobachtung
gelang, Knochenbrüchigkeit zu erzeugen. Derselbe Autor berichtet
im Jahre 1908, ihm sei es durch Zufall gelungen, bei einer Maus
eine Knochenbrüchigkeit durch fibröse Umwandlung des Knöchen-
gewebes, also eine Ostitis fibrosa, zu erzeugen. Es handelt sich
um einen Nebenbefund. Von zwei parabiotisch verbundenen Mäusen
wurde die eine nephrektomiert, und diese zeigte die Knochen¬
erkrankung.
Virchow hat in der Diskussion zu Morpurgo’s Vortrag 1900
seine Ansicht bezüglich der Genese dahin ausgesprochen, die Er¬
weichung des Knochengewebes der Tela ossea sei auf Reizung
(Entzündung), die Erweichung des Knochens im ganzen (als Organ)
auf einfache Ernährungsstörung (Atrophie) zu beziehen. ’
Damit wird der Kreis der in Betracht kommenden Ursachen
erheblich eingeschränkt, aber keineswegs klarer.
Die alte Lehre von der Dyskrasie feiert in der Lehre von der
inneren Sekretion ihre Auferstehung. Die Abhängigkeit des Knochen¬
systems von der Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion ist
durch sich stetig mehrende Beobachtungen nahegelegt worden. Die
Beziehungen der Hypophysis zur Akromegalie, der Schilddrüse zum
Zwergwuchs, der Ovarien zur puerperalen Form der Osteomalacie
(Fehling) sind allgemein bekannt. Osteomalacie als Komplikation
der ßasedow’schen Krankheit beobachtete u. a. v. Recklinghausen
(Festschrift). Die nachweisbaren Veränderungen der verschiedenen,
innersekretorischen Drüsen in der Gravidität: der Hypophyse,
der Thyreoidea, der Nebennieren, der Ovarien führten andere Autoren
zur Anschauung, dass die Osteomalacie nicht den Veränderungen
der Ovarien, sondern denen der Schilddrüse (Hoennicke), denen
der Nebennieren (Stöltzner) ihre Entstehung verdanke. Der typische
Befund des Schwangerschaftsosteophyts an der Innenfläche der
Schädelknochen weist auf einen Zusammenhang der Graviditäts¬
veränderungen der inneren Sekretion mit dem Knochensystem be¬
sonders hin.
Unter den Sektionsbefunden der Fälle von Ostitis fibrosa
generalisata finden sich einige makroskopisch auffällige Verände¬
rungen der Drüsen mit innerer Sekretion. Es handelt sich vor¬
nehmlich um Sklerosen, Wucherungen des interstitiellen Gewebes
auf Kosten des Parenchyms (u. a. v. Recklinghausen, Fu jii,
Davidsohn). In Schoenenberger’s Fall fand sich eine Struma
suprarenalis. So einleuchtend eine FunktionsVerminderung durch
Parenchymschwund scheint, so kann doch von einem erwiesenen
Zusammenhang zwischen diesem Befund und der Ostitis fibrosa
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Ucber generalisierte Ostitis fibrosa. mit Tumoren und Cysten. 115
vorläufig keine Rede sein. Unsere Kenntnisse über die Strüktur-
änderungen dieser Organe sind noch sehr lückenhaft, und viele
Fragen der inneren Sekretion werden sich, histo-pathologisch über¬
haupt nicht beantworten lassen, da der Drüsenfunktion sichtbare
morphologische Zustandsänderungen anscheinend nicht entsprechen.
In den letzten Jahren hat sich immer deutlicher der Zusammen¬
hang und die gegenseitige Abhängigkeit der sogenannten ßlutdrüsen
herausgcstellt. Die Drüsen des endokrinen Systems arbeiten im
Concern, und eine Störung an einer Stelle des Ringes löst gleich¬
zeitig auch Veränderungen in den anderen Centrcn aus. Die gleich¬
zeitige Funktionsuntüchtigkeit, das gleichzeitige Versagen mehrerer
ßlutdrüsen ist dadurch verständlich. Claude, und Gougerot
haben 1907 das Krankheitsbild der Insuffisance pluriglandulaire
aufgestellt. Ihren pathologisch-anatomischen Ausdruck findet die
Erkrankung, wie oben bereits erwähnt, in einer Proliferation des
interstitiellen Bindegewebes auf Kosten des Parenchyms. Falta
spricht deshalb von einer multiplen Blutdrüsensklerose, Wiesel
von einer Bindegewebsdiathese mehrerer Blutdrüsen. Die sklero-
sierende Veränderung der Organe kennen wir als physiologischen
Vorgang im Alter. Ich stelle mir diese histologische Aenderung
als eine Störung des Gewebsgleichgewichts vor. Die Annahme
Wiesel’s, es gäbe eine besondere Drüse zur Regulierung des Binde-
gewebswachstums, hat mancherlei für sich. Ob dabei an die
Thyreoidea zu denken ist, weil cirrhotische Prozesse bei Hyper-
thyreoidisraus stets fehlen, mag dahingestellt bleiben. Für das
Fettgewebe ist die regulative Wirksamkeit der Hypophyse ziemlich
sicher gestellt.
Die Annahme, dass auch das Knochengewebe, d. h. sowohl
Tela ossea wie Mark, der regulierenden Wirkung der inneren Se¬
kretion untersteht, findet einige wertvolle Stützen in den Beob¬
achtungstatsachen. Die Veränderungen im Blutbild bei der Base¬
dowschen Krankheit (Lymphocytose) beruhen zum grossen Teil auf
einer veränderten Wirkung auf die hämatopoetische Komponente
des Knochenmarks. Die Akromegalie ist als typischer Ausdruck
einer Hypophysenerkrankung sichergestellt. Des Schwangerschafts-
osteophyts der Schädelkapsel habe ich bereits gedacht. Die Zustands¬
änderung der Ovarien in der Gravidität gibt gleichzeitig ein be¬
sonders anschauliches Bild der gegenseitigen Abhängigkeit und Be¬
einflussung der Blutdrüsen. Neben der Veränderung der Ovarien
ist eine auch anatomisch nachweisbare Vergrüsserung der Thyreoidea
und der Hypophyse eine häufige Beobachtung während der Gravidität.
Die Ovarien scheinen einen grösseren bzw. leichter zu schädigenden
Einfluss auf das Knochensystem zu besitzen als die Testikel. Das
s*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
116
F. Lotsch,
Digitized by
gesteigerte Längenwachstum bei jugendlichen männlichen Kastraten,
die längere Persistenz der Epiphysen ist bekannt. Die Beziehungen
der Gravidität zur sog. puerperalen Osteomalacie sind nicht zu
leugnen; ob die Zustandsänderung der Ovarien das einzig aus¬
lösende Moment ist, bleibt allerdings fraglich. Das Gleiche gilt
von Hoennicke’s Hypothese einer Thyreoidose und der Stöltzner’s
einer Nebennierenerkrankung. Die Zusammenarbeit, der Concern
der Blutdrüsen ist gestört, dadurch erklärt sich auch die nur in
einigen Fällen prompt heilende Wirkung der Kastration bei Osteo¬
malacie. Auch als Komplikation der Basedow’schen Krankheit
wurde Osteomalacie beobachtet (s. den Fall v. Recklinghausen
in der Festschrift). In den klinischen Daten der Fälle von generali¬
sierter Ostitis fibrosa finden sich ferner einige stützende Anhalts¬
punkte. Die starke Bevorzugung des weiblichen Geschlechts, die
bereits erwähnt wurde, scheint auch für diese Erkrankungsform auf
eine besondere disponierende Schädigung der Ovarien hinzuweisen.
Meslay erwähnt bei seiner 15jährigen Patientin die fehlende
Menstruation besonders. In Burchard’s Falle hörte mit dem Be¬
ginn der Erkrankung im 33. Lebensjahre die Menstruation auf, in
unserem Falle schädigte die als „Nervenfieber“ bezeichnete schwere
Allgemeinkrankheit die Ovarien derart, dass die Menstruation für
1 / 2 Jahr cessierte, auch die späteren unregelmässigen Blutungen,
die zu zweimaliger Abrasio Veranlassung gaben, mögen bis zu
einem gewissen Grade in diesen Zusammenhang gehören. Alle
diese Schädigungen treffen nach meiner lleberzeugung das Knochen¬
system nicht direkt, sondern stets auf dem Umwege der Drüsen
mit innerer Sekretion. Dieser Ansicht bin ich auch bezüglich der
Rachitis, Das Fehlen morphologisch nachweisbarer Veränderungen
an den Blutdrüsen vermag diese Hypothese nicht zu widerlegen,
wie ich bereits oben in anderem Zusammenhänge betont habe.
Es erscheint durchaus naheliegend, dass es sich in vielen Fällen
um eine angeborene und bei der grossen Rolle der Heredität für
viele Erkrankungen, die wir heutzutage durch Störungen der inneren
Sekretion erklären, wahrscheinlich auch hereditäre Disposition des
endokrinen Systems handelt, um eine konstitutionelle Schwäche
(Wiesel). Die verschiedensten Schädlichkeiten, seien es chemische
oder bakterielle Gifte, Traumen oder dergleichen können die minder
widerstandsfähigen Organe zur krankheitserregenden Funktions¬
störung veranlassen. Dazu kommt, dass die Wachstumsperiode
und die Gravidität besonders grosse Anforderungen an die Blut¬
drüsen stellen, und gerade in diese beiden Lebensperioden fällt in
weitaus den meisten Fällen der Beginn oder bezüglich der Gravidität
wenigstens eine nachweisbare Verschlimmerung der Ostitis fibrosa.
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa. mit Tumoren und Cysten. H7
Für die Genese der generalisierten Ostitis fibrosa ist nach
meiner Ueberzeugung der Hypothese der Insufficicntia pluriglandu-
laris unzweifelhaft der Vorzug zu geben. Die Störung in der inneren
Sekretion führt zu einer Störung des Gewebsgleichgewichts im
Knochensystern, zu einer proliferierenden Markfibrose, während die
eigentliche Tela ossea sich dabei ganz passiv verhält. Dass sich
die Störung an gewisse Prädilektionsstellen hält, ist nicht ver¬
wunderlich. Die Bevorzugung der Metaphysen- und der Diaphysen-
mitte findet sowohl in der GefässVersorgung als auch in mechani¬
schen Momenten ihre Erklärung, für die flachen Knochen mögen
andere Gründe vorliegen (s. o.). Da die Wirkung der dem Blut
beigemischten Säfte der Blutdrüsen sicherlich an die Gefässver-
sorgung, den Reichtum der Gefässe gebunden ist, werden die den
Gefässeintrittsbezirken benachbarten Knochenabschnitte der störenden
Wirkung naturgeraäss besonders ausgesetzt sein. Den dauernd
wirksam mechanischen Kräften, den Schub- und Zugspannungen
v. Recklinghausen’s, darf gleichfalls eine wesentliche Mitwirkung
kaum abgesprochen werden, ln diesem Rahmen ist auch ein Trauma
als Gelegenheitsursache durchaus diskutabel. Eine besonders
schwierige Frage ist es, ob die solitäre Ostitis fibrosa den gleichen
innersekretorischen Störungen ihre Entstehung verdankt. Sicherlich
besteht bei den Aenderungen des Gewebsgleichgewichts ein Kampf
der schädigenden Einflüsse mit den vorhandenen reparatorischen
Kräften sowohl in den Blutdrüsen wie in dem Knochensystem.
Manche beginnende Ostitis fibrosa mag unter dem Einfluss dieser
reparatorischen Kräfte spontan heilen, in anderen Fällen erschöpft
sich die schädigende Wirkung bald und nur in einem besonders
geschädigten Knochenabschnitt kommt es zur Ausbildung eines
solitären Herdes von Markfibrose. Auf diese Weise erscheint auch
eine leidlich zwanglose Erklärung der solitären Formen der Ostitis
fibrosa, der Tumoren und Cysten möglich. Erdheim hatte als
erster auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Erkrankung
der Epithelkörperchen und der Osteomalacie hingewiesen. Todyo
fand in 6 von 7 Fällen von Osteomalacie hyperplastische Wuche¬
rungen, die von den randständigen Zellkomplexen ausgingen. Den
gleichen Befund erhob er in einem Fall von Ostitis fibrosa und in
8 von 11 Fällen seniler Osteoporose. 24 Kontrolluntersuchungen
von gesunden Individuen hatten ein stets negatives Ergebnis.
Diese Vorstellung von der Ursache der Ostitis fibrosa als Folge
gestörter innerer Sekretion gibt sich auch in einigen therapeuti¬
schen Bestrebungen zu erkennen. So wurde in einem Falle
v. Recklinghausen’s die operative Kastration (Ovariektoraic),
in unserem Falle die Röntgenkastration der Eierstöcke ausgefiihrt.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
118
F. Lot sch,
Digitized by
Einwandfreie günstige Beeinflussung der Krankheit wurde damit nicht
erzielt.
Es ist nach unserer Anschauung eben nicht nur die Erkrankung
einer Drüse des endokrinen Systems, z. B. Ovarien oder Thyreoidea
usw., die Ursache der Knochenerkrankung, sondern es handelt sich
um eine Störung der gesamten inneren Sekretion in bestimmter
Form und Stärke, die sich unserer Beurteilung und Messung zur¬
zeit völlig entziehen. Man könnte geradezu von einer „Reiz¬
mischung“ sprechen, ohne damit allerdings mehr als einen kurzen
prägnanten Wortbegriff zu schaffen.
Das Problem der Aetiologie der Knochensystemerkrankungen
ist durch die Annahme innersekretorischer Störung in keiner Weise
der Lösung näher. Wenn die Anschauung richtig ist, dass krank¬
hafte Veränderungen der Drüsen mit innerer Sekretion die als
Ostitis fibrosa bezeichnete Erkrankung des Knochensystems er¬
zeugen, so fragen wir, welcher Art sind diese Drüsenveränderungen?
Diese Fragestellung ist dadurch eher komplizierter geworden, denn
unsere Kenntnisse über die innere Sekretion sind noch sehr gering
und stehen ganz im Anfangsstadium.
Bei den Sektionen der Fälle von Ostitis fibrosa generalisata
wurden bald Vergrösserungen der betreffenden Drüsen, vornehmlich
jedoch sklerotische Prozesse gefunden. Die makroskopisch-ana¬
tomischen Veränderungen sind jedenfalls nicht beweisend und typisch,
das Gleiche gilt nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse von
den mikroskopisch-anatomischen Befunden.
Die Anschauung, es handele sich bei den Erkrankungen des
Knochensystems um eine Infektion, hat bis in die jüngste Zeit
ihre Anhänger behalten. Bei dem fieberlosen und durchaus chroni¬
schen Verlauf scheiden die akuten Infektionen von vornherein aus.
Von den chronischen Infektionskrankheiten war und ist es insonder¬
heit die Syphilis, die namentlich von französischen Autoren als
genetischer Faktor angesehen wird (Paget’sche Form). Dieser
Anschauung steht indessen erstlich der meist völlig negative Ob¬
duktionsbefund entgegen, sodann der negative Ausfall der Wasser-
mann’schen Reaktion bei den Fällen neuesten Datums. Ich nenne
die Fälle Klestadt’s und unseren.
Natürlich kann nebenhor Syphilis bestehen, ohne als ursäch¬
liches Moment der Ostitis fibrosa in Frage zu kommen. So in
einem Falle v. Recklinghausen’s.
Ebensowenig beweisende Befunde wie für die Syphilis sind für
die anderen chronischen Infektionskrankheiten, besonders für die
Tuberkulose durch die relativ zahlreichen Autopsien aufgedeckt
worden, so dass wir die Anschauung, es handle sich bei der
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
U(*bcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 119
Ostitis fibrosa um eine chronische Infektionskrankheit, als unbe¬
gründet abweisen müssen. Gewiss muss die Möglichkeit zu¬
gegeben werden, dass die chronischen Infektionskrankheiten neben
anderen Organen auch die Drüsen mit innerer Sekretion zu schä-
digen vermögen und auf diesem Umwege eine genetische Ursache
der Ostitis fibrosa abgeben können. Durch die Erfahrungstatsachen
wird diese Annahme jedoch nicht gestützt. Das Gleiche.gilt von
den akuten Infektionskrankheiten. Die Experimente Morpurgo’s,
der durch Impfung von Bakterienkulturen rachitische bzw. malaci-
sche Knochenerkrankungen bei weissen Ratten entstehen sah, sind
für eine infektiöse Genese dieser Knochensystemerkrankungen
keineswegs beweisend und wohl auch wieder derart zu deuten, dass
durch die Allgemeinerkrankung auch eine Beeinträchtigung der
inneren Sekretion und auf diesem Umwege schliesslich eine Er¬
krankung des Knochensystems erzeugt wurde.
Auffallend häufig, nämlich etwa in der Hälfte der Fälle findet
sich in der Vorgeschichte der Fälle von generalisierter Ostitis
fibrosa die Angabe einer überstandenen schweren Krankheit oder
wenigstens der besondere Hinweis auf eine hochgradigere Anämie.
Auch die Fütterungsversuche, die vornehmlich der experimentellen
Erzeugung der Rachitis galten, führten in fast allen Fällen zu einer
Schädigung des allgemeinen somatischen Befindens und im günstig¬
sten Falle nebenher, und zwar erst nach Wochen und Monaten,
zu der erhofften Erkrankung des Knochensystems.
Bei Versuchstieren mit lange bestehenden Fisteln der grossen
Verdauungsdrüsen (Gallengangs-, Pankreas- oder Darmfisteln)
wurde fast regelmässig im späteren Verlauf eine Knochenerwei¬
chung und auch Knochenbrüchigkeit festgestcllt (Pawlow, Fisch-
ler). die v. Recklinghausen auf Grund histologischer Unter¬
suchungen als porotische Malacie anspricht. Loos er hatte im
Gegensatz dazu nur eine einfache Knochenatrophie angenommen.
Jedenfalls ist in diesen Fällen die Ernährungsstörung infolge des
Säfteverlustes durch die Fistel als Ursache für die Störung der
inneren Sekretion und der sekundären Knochenerkrankung anzu¬
sehen.
Wir sind also wohl berechtigt von einer Abhängigkeit der
inneren Sekretion von dem Allgemeinbefinden zu sprechen.
Andere Ursachen für die Ostitis fibrosa kennen wir nicht.
Das Centralnervensystem kommt nach den klinischen und patho¬
logisch-anatomischen Befunden für die Genese der Ostitis fibrosa
nicht in Frage. Die peripherischen Nerven liessen gleichfalls
keinerlei Veränderungen, vor allem keine irgendwie regelmässigen
und typischen Veränderungen nachweisen; dasselbe gilt vom Sym-
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
120
F. Lotse h,
Digitized by
pathicus und seinen Verzweigungen. Eine Erkrankung des Gefäss-
apparates des Knochensystems im Sinne einer Endarteriitis, wie
sie Menetrier und Gaukler für die Paget’sche Form verant¬
wortlich machen wollen, ist bei der Ostitis fibrosa nicht gefunden
worden. Alle Kombinationen, die sich auf diesen Befund bezüg¬
lich einer syphilischen Erkrankung gründen, sind damit gleichfalls
hinfällig.
Das Trauma kommt, wie schon erwänt, nur als Gelegenheits¬
ursache, nicht als Grundursache in Frage (s. unten).
Experimenteller Teil.
Wenn die im Abschnitt über die Aetiologie der Knochen-
svstemerkrankungen insonderheit der Ostitis fibrosa vertretene An¬
schauung richtig ist, so sind die Aussichten für eine experimentelle
Erzeugung der Erkrankung recht gering. Unsere Kenntnisse über
die innersekretorischen Vorgänge sind noch sehr dürftig und alle
Experimente fussen auf gröbster Empirie.
Sehr anschaulich wird diese Tatsache durch das bereits oben
erwähnte experimentelle Zufallsergebnis Morpurgo’s. Von zwei
parabiotisch verbundenen Mäusen wurde die eine nephrektomiert
und zeigte als interessanten Nebenbefund eine krankhafte Knochen¬
brüchigkeit durch fibröse Umwandlung des Knochengewebes.
Die grössere vitale Widerstandsfähigkeit des bindegewebigen
Stromas im Knochenmark und seine Proliferationsfähigkeit wird
durch die Versuche Foot’s bewiesen. Bei Kulturen von Hühner¬
knochenmark in vitro nach der Methode von Carrel wuchsen nur
die Stromazellen.
Die Hoffnungen, die auf das Knochenmark als Mutterboden
für Organtransplantationen gesetzt wurden, haben sich gleichfalls
nicht erfüllt (Kocher und seine Schüler).
Besteht die Annahme zu Recht, dass eine Störung des Kon¬
zerns bzw. der Korrelation der innersekretorischen Drüsen, nicht
die Erkrankung einer Drüse allein, die Grundursache der Ostitis
fibrosa bildet, so ist der experimentellen Prüfung zurzeit jede
Möglichkeit genommen, um so mehr, wenn, wie wir vermuteten,
eine ganz bestimmte „Reizraischung“ in positivem, d. h. reizendem,
oder negativem, d. h. lähmendem Sinne für das Zustandekommen
der Ostitis fibrosa erforderlich ist.
Selbst für eine so häufige Erkrankung wie die Rachitis, die
der Ostitis fibrosa genetisch nicht allzu fern stehen mag, haben
die zahlreichen Versuche keine sicheren und eindeutigen Resultate
ergeben. Dabei kommen spontan der Rachitis ähnliche, ja histo¬
logisch gleiche Knochensystemerkrankungen bei Tieren (auch bei
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 121
.Versuchstieren!) vor, auch in einigen Experimenten gelang ihre Er¬
zeugung. Indessen war von einer Regel- und Gesetzmässigkeit
keine Rede. Die Entstehung von Rachitis bei den Tieren eines
Wurfs konnte ebenso durch Zufall bedingt sein.
Die Tierpathologie kennt ferner Tumoren des Knochensystems,
besonders Fibrome der Kiefer, die bereits Virchow in seiner On¬
kologie erwähnt. Hier ist auch die sogenannte Schnüffelkrankheit
der Schweine (s. E. R.ehn) zu nennen.
So interessant diese vergleichend anatomischen Studien sind,
so versage ich es mir im Rahmen der vorliegenden Arbeit darauf
näher einzugehen, vornehmlich weil mir eigene Erfahrungen und
entsprechendes Untersuchungsmaterial fehlen. Aetiologisch sind
diese Erkrankungen ebenfalls ungeklärt, ihre experimentelle Er¬
zeugung ist bisher gleichfalls nicht gelungen.
Bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse erscheint
die experimentelle Erzeugung . einer generalisierten Ostitis fibrosa
unmöglich. Scheidet damit die generalisierte Form der Ostitis fibrosa
aus, so bleibt die solitäre Erkrankungsform. Ob wir berechtigt sind
für beide Formen die gleiche Genese anzunehmen, muss dahin¬
gestellt bleiben. Von den verschiedenen Bildungen der solitären
Ostitis fibrosa, den Fibromen und Riesenzellensarkomen auf der
einen, den Cysten auf der anderen Seite, interessieren den Chir¬
urgen die letzteren sicherlich am meisten. Eine experimentelle
Erzeugung von proliferierenden Knochenmarkfibromen oder Riesen-
zellensarkoraen wäre ohnehin nicht möglich.
Für die Cysten ist lediglich die Möglichkeit der Prüfung ge¬
geben, ob traumatisch gesetzte Knochenraarkdefekte mit Bildung
von Cysten heilen. Im Grunde handelt es sich also lediglich um
die experimentelle Bestätigung oder Widerlegung der Theorie von
der traumatischen Entstehung der Knochencysten. Beneke hatte
die Ansicht vertreten, dass durch Trauma ein Bluterguss im
Knochen entstünde, dessen Wände wie im Gehirn nicht Zusammen¬
fällen können und zur Bildung einer Cyste führen. Benda hatte
sich dieser Ansicht angeschlossen, in letzer Zeit auch Felten und
Stoltzenberg. Hartmann sieht gleichfalls im Trauma das Pri¬
märe, in der Ostitis fibrosa das Sekundäre der Erkrankung.
Stumpf hält die Cystenbildung durch Verflüssigung eines trau¬
matisch entstandenen Blutergusses für möglich, auch v. Mikulicz
spricht von initialem Trauma. Besonders klar liegen die Verhält¬
nisse in folgendem Fall, den Glimm mitteilt:
25jähriger Mann, sonst gesund. Seit 3 Jahren nach Kall auf das rechte
Schienbein bleibende Verdickung, die sich allmählich vcrgrüssert. Operativ
wird unter dem etwas verdickten Periost und sehr dicker Knochenschale ein
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
)
Digitized by
122 F. Lotsch,
llolilraum mit Blut und zarliMi K n o«*I h * n I>äl k i* 1 u ‘n entfernt, Glatte Heilung.
Mikroskopisch wurden iiPugehiMcte Knurlienbälkrhen mit stcllcnweisem Abbau
und OstenidL r f‘Wid)e gefunden, dazwischen weile mit Blut «xcfiilltc Hulilräume.
Es soll nicht bestritten werden, dass es sich in dem mit¬
geteilten Fall um eine traumatisch entstandene Blutcyste handelt.
Welche Besonderheiten zu ihrer Bildung Veranlassung gaben, geht
aus der Beschreibung nicht hervor. Um eine eindeutige Ostitis
fibrosa handelte es sich anscheinend nicht. Auch für die Ostitis
fibrosa muss die Möglichkeit, dass ein Trauma die bereits vor¬
handene Disposition zur Erkrankung auslöst, durchaus zugegeben
werden (Tietze, v. Recklinghausen). Auch wurde eine Wachs¬
tumssteigerung nach dem Operationstrauma z. ß. bei der Leon-
tiasis ossea beschrieben (Bocken heim er).
Die Einwände, die Lexer bereits gegen die rein traumatische
Entstehung der Ostitis fibrosa bzw. der Knochencysten erhoben
hat, habe ich schon oben angeführt. Das seltene Vorkommen der
Erkrankung steht in unverständlichem Gegensatz zur Häufigkeit
der Traumen, die das Skelett treffen. Dass andererseits Blutungen
bei der Ostitis fibrosa und der Cystenbildung eine grosse Rolle
spielen, ist nach den histologischen Befunden, der häufigen Blut¬
beimischung zum Cysteninhalt, den Blutextravasaten und Gewebs-
infarzierungen, dem Pigmentreichtum nicht zu leugnen.
Aus diesen Gedankengängen heraus hat Lexer seine Versuche
angestellt. Wenn ein Trauma ohne sonstige Veränderung des
Knochens eine Cyste hervorbringen kann, so muss auch ihre ex¬
perimentelle Erzeugung gelingen, „wenn man innerhalb des
Knochens grössere Höhlen anlegt und durch Verhinderung des Ab¬
flusses des ergossenen Blutes nach aussen dafür sorgt, dass es im
Knochen liegen bleibt“.
Lexer legte bei 2 grossen Hunden die untere Femurmeta-
physe frei und bohrte von einem kleinen Bohrloch aus eine grössere
Höhle in der Metaphyse. Das kleine Loch wurde mit Wachs
plombiert und dadurch jegliche Blutung nach aussen verhindert.
Die Wunden heilten glatt. Nach 3 Monaten zeigten sich die
Knochenhöhlen durch engmaschige sehr feste Spongiosa völlig aus-
gefüllt.
Ferner legte der gleiche Autor bei einem grossen Kalb die
obere Humerusmetaphyse frei, meisselte ein kleines rechteckiges
Corticalisstück heraus, das im Zusammenhang mit dem Periost
blieb. Sodann wurde die ganze Spongiosa der Metaphyse und der
angrenzenden Markabschnitte mit Fraisen und Löffeln zerstört. In
die sich rasch mit Blut füllende Höhle wurden drei Knorpelstücke
(je 1:1,5:0,5 cm gross) eingelegt, darauf der Corticalislappen
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 123
zurückgeklappt, das Periost vernäht und ausserdem die Lücken
mit Wachs verstrichen, bis kein Blut mehr nach aussen sickerte.
Nach 3 Monaten war die Bluthöhle gleichfalls vollständig mit
harter dichter Spongiosa ausgefüllt. Die drei Knorpelstücke lagen
unverändert zwischen den neugebildeten Knochenbälkchen.
Diese 3 Tierversuche Lexer’s sprachen gegen die Beneke-
sche Theorie von der rein traumatischen Genese der Knochen¬
cysten.
Aehnlich habe ich meine nachstehend mitzuteilenden Tier¬
versuche angestellt. Es zeigt sich, dass es relativ leicht gelingt
auch bei kleineren Versuchstieren grosse Knochenhöhlen künstlich
zu erzeugen. Ich habe durchweg mit Kaninchen experimentiert
und war geradezu erstaunt über die Geräumigkeit der Markhöhle
und die Menge des darin enthaltenen Knochenmarks.- Die Tiere
wurden mit Aether narkotisiert, sodann bei den ersten Versuchen
die mediale Tibiafläche am llebergang vom oberen zum mittleren
Drittel durch Längs- oder Lappenschnitt freigelegt, das Periost
zur Seite geschoben oder als Lappen abgeklappt; es folgte die
Trepanation der Tibiacorticalis mit schmalem Bohrer (Handbohrer
nach Stille). Die Oeffnung wurde nach Bedarf nach oben oder
unten durch Wegbrechen einer Corticalisspange schlitzförmig er¬
weitert, um eine Punktionsnadel einführen und das Knochenmark
mit Kochsalzlösung und Spritze ausspritzen zu können. Oefters
habe ich das Knochenmark vorher mit einem Drahtstück zerstört
und zu Brei verrieben, um die Ausspritzung zu erleichtern.
Im Laufe der Experimente zeigte es sich, dass die-Trepana-
tion des inneren Tibiacondylus bzw. die Anbohrung der oberen
Tibiametaphyse von der medialen Seite her sich noch einfacher
gestaltet. Die dünne Corticalis lässt sich an dieser Stelle mit
einem kleinen scharfen Löffel — ich benutzte dazu einen knie¬
förmig abgebogenen Ohrlöffel — ohne Schwierigkeit perforieren.
Mit dem gleichen Instrument wurde die Spongiosa ausgeräumt,
zum Teil unter Mitwegnahme des Epiphysenknorpels. Meist wurde
auch in diesen Fällen das Mark in der vorherbeschricbenen Weise
ausgespritzt, oft gelang es, das Mark als mehr oder minder zu¬
sammenhängenden Zylinder herauszuschleudern.
Die stets erfolgende Blutung aus dem Trepanationsloch be¬
wies, dass sich der ganze geschaffene Hohlraum mit Blut füllte.
Das Bohrloch wurde sodann meist mit Gewebe (meist Muskel¬
gewebe) oder mit Wachs plombiert, darüber Periost und Weich¬
teile vernäht.
Auffällig war die anscheinend sehr grosse Schmerzhaftigkeit
der Markentfernung. Beim Einführen des Drahtes und beim Aus-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
124
F. Lotseh.
Digitized by
spülen zuckten die Tiere trotz der Narkose fast regelmässig stark
zusammen, einige begannen sogar zu klagen. Von Haut- und
Periostschnitt sowie der Knochenanbohrung merkten sie nichts. Es
beweist diese Beobachtung, dass das Knochenmark viel sensibler ist,
als man im allgemeinen glaubt. Die im Beginn der Ostitis fibrosa
geklagten dumpfen ziehenden und sog. rheumatischen Schmerzen
finden durch diese Beobachtung vielleicht eine einfache Erklärung.
Die Heilung verlief in fast allen Fällen ungestört. Die Tiere
hüpften sogar von Anfang an munter umher, als wäre nichts ge¬
schehen. Bei wenigen Tieren trat eine leichte kutane Infektion
auf, die jedoch in keinem Falle bis auf das Periost in die Tiefe
griff. Einige Kaninchen wurden gleichzeitig von mir zu anderen
Versuchen (Laparotomie) benutzt und starben infolgedessen zum
Teil früher.
Um die Arbeit zum Abschluss zu bringen, wurden sämtliche
überlebenden Tiere Mitte Oktober 1913 getötet. Der Zeitraum
zwischen Versuch und Sektion schwankt von 1 Tage bis zu 9 Wochen.
Ein Versuchstier starb in der Narkose unmittelbar nach Beendigung
des Versuchs. Das Präparat zeigt also den Zustand des Knochens
gleich nach dem Eingriff.
Die Tiere wurden sämtlich seziert, die Tibien ausgelöst, so¬
dann geröntgt und der Länge nach mit der Laubsäge aufgesägt.
Die Konservierung erfolgte nach dem Pick’schen Verfahren. Von
16 Tibien wurden Stücke zur mikroskopischen Untersuchung ent¬
nommen und nach Entkalkung in Celloidin eingebettet. Die Schnitte
wurden vorzugsweise mit Hämalaun-Eosin gefärbt.
Bei einigen Tieren fand sich an der Trepanationsstelle der
Tibia bzw. der Periostnahtstelle eine periostale Knochenneubildung,
die sich jedoch stets in sehr kleinen Grenzen hielt.
Die Absicht, durch fortlaufende Röntgenaufnahme in vivo den
Prozess im Knocheninnern zur Darstellung zu bringen, habe ich
uach einigen erfolglosen Versuchen aufgegeben. Ira übrigen bringen
die Röntgenaufnahmen die erzeugte Höhle in der Metaphyse mehr¬
fach sehr deutlich zur Anschauung.
Neben der einfachen Markausspülung durch physiologische
Kochsalzlösung suchte ich durch Einbringen von Fremdkörpern in
die Markhöhle einen dauernden Reiz zu setzen. Ausser flüssigen )
Stoffen (Jodtinktur, Phosphoröl, Adrenalin und Fibrolysin) habe ich
in einer Reihe von Fällen feste Fremdkörper eingeheilt, und zwar
organische: besonders Muskelstücke, und anorganische: Seidenfäden,
Drahtstücke aus Silber und Bronze-Aluminium. Ich hoffte dadurch
eine stärkere Proliferation des Markstromas anzuregen, gleichsam
eine aseptische Entzündung zu unterhalten.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 125
In allen Fällen füllte sich der im Knocheninnern gesetzte
Hohlraum sofort mit Blut und schwemmte auch, wenn nicht durch
eine Plombe der Rückfluss gehemmt wurde, jede fremde Flüssigkeit
wieder heraus. Als Gegenstück habe ich einige Höhlen mit flüssigem,
sterilem Wachs bzw. mit Agar-Agar ausgegossen.
Alles nähere geht aus den Versuchsprotokollen hervor, die
ich hier anfüge:
I. Kaninchen, Stall-Nr. 7.
13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, Injektion von offizinellcr Tinctura
jodi. Es gehen nur einige Tropfen in den Markraum, links spritzt dabei etwas
Mark heraus. Primäre Naht.
Kaninchen dauernd munter.
17. 10. (nach 9 Wochen) gelötet. Röntgenbefund o. B. Tibia aufgesägt,
Mark von normalem Aussehen, kein Hohlraum.
II. Kaninchen, Stall-Nr. 8.
13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links wird das Mark mit 95proz.
Alkohol ausgespritzt, die Höhle mit Alkohol gefüllt, rechts eine Parathyreoidea
des vorigen Kaninchens in die Markhöhle implantiert, die Trepanationsöffnung
mit Muskulatur plombiert.
Kaninchen dauernd munter.
17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Röntgenbild o. B. Die aufgesägten Tibien
zeigen unverändertes Mark, keinen Hohlraum.
III. Kaninchen, Stall-Nr. 9.
13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links Injektion von Tinc-t. jodi, rechts
Implantation von Muskulatur.
Tier munter.
17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Röntgenbild o. B. Die aufgesägten Tibien
zeigen im Mark keine wesentlichen Veränderungen. Kein Hohlraum.
IV. Kaninchen, Stall-Nr. 10.
13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links Einführung eines ca. 5—6 cm
langen, blutgetränkten Seidenfadens, Muskelplombe der Trepanationslücke, rechts
Einführung eines 5—6 cm langen, mit Jodtinktur getränkten Seidenfadens,
Muskel plombe.
Tier munter.
Ein am 9. 9. aufgenommenes Röntgenbild zeigt nichts Besonderes.
20. 9. Seit gestern krank, Schwellung der rechten Halsseite, heute morgen
tot (5 Wochen nach dem Versuch). Sofortige Sektion. Phlegmone der rechten
Halsseite, Magen leer, sonst keine Veränderungen. Tibien entnommen. Röntgeno¬
logisch verwaschene Innenstruktur. Die aufgesagten Tibien lassen zum Teil den
Seidenfaden erkennen, kein Hohlraum. Im oberen Drittel eine braunrote Masse
(Blutungsreste).
V. Kaninchen, Stall-Nr. 11.
13. S. 13. Trepanation beider Tibien, links der gesamte Markcylindcr mit
Kochsalzlösung ausgespritzt. Naht. Rechts Ausspritzung des Markcylinders wie
links, Einführung von 4 jodierten Seidenfäden nebeneinander, Muskelplombe.
Tier munter.
17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Röntgenbild: Verwaschene Innenstruktur,
sonst o. B. Die aufgesägten Tibien zeigen keinen Hohlraum, im oberen Drittel
eine zusammenhängende hellbraune Masse.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
126
F. Lotseh
Digitized by
VI. Kaninchen, Stall-Xr. 12.
13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links Mark mit Kochsalz ausge-
spritzt, 15 ein langer jodierter Scidenfaden cingcfiihrt, Muskelplombe, rechts
desgleichen.
Tier munter.
17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Höntgenbild: Etwas unscharfe Innen-
zcichnung, die aufgesägten Tibien lassen Seidenfäden erkennen, im oberen Drittel
eine braunrote, zum Teil etwas durchscheinende Masse. Kein llohlraum.
VII. Kaninchen, Stall-Xr. 1. (iewicht 1500 g.
16. 8. 13. Tier bereits zu anderen Zwecken laparotomiert, chronischer
Ileus, krank. Heute erneute Laparotomie usw. Gleichzeitig Trepanation beider
Tibien, unvollständige Ausspritzung des Marks mit Kochsalzlösung, sodann
beiderseits je 0,5 ccm Olivenöl mit 0,0002 Phosphor injiziert. Links fliesst das
Phosphoröl zum Teil wieder heraus, rechts wird die Oeffnung mit Muskelplombe
gedichtet.
18. 8. (nach 2 Tagen) morgens tot im Stall. Sektion: Hautwunde o. B.
Lokale Peritonitis als Todesursache. Auslösung beider Tibien, auf der Säge-
fläche Hämatom der Markhöhle im oberen Drittel.
VIII. Kaninchen, Stall-Xr. 67. (iewicht 1600 g.
16. 8. 13. Früher laparotomiert, Wunde eitrig belegt, Xalit gelockert,
darüber taubeneigrosser weicher Tumor, kein Abseess. Darunter Bisswunde.
Tier sehr wild und munter. Trepanation beider Tibien, energische Ausspritzung
des Marks, links Implantation eines grossen Muskelstüekes aus der Waden¬
muskulatur in die* Markhöhle, rechts kleines Muskelstück implantiert und durch
das Implantat hindurch Injektion von 0,5 ccm Olivenöl mit 0,0002 Phosphor.
Tier munter.
17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Höntgenbild zeigt geringe Aufhellung
im oberen Tibiadrittel, die aufgesägten Tibien lassen im oberen Drittel eine
braunrote Masse, jedoch keinen llohlraum erkennen.
IX. Kaninchen, Stall-Xr. 47. Gewicht 2400 g.
16. 8. 13. Frühere Laparotomie glatt vernarbt, Tier gesund und munter.
Trepanation beider Tibien. links mit Kochsalzlösung etwas Mark ausgespritzt
und ea. 8 cm langer, ziemlich starker Bronze-Aluminiumdraht eingeführt, rechts
Mark stark ausgespritzt, Draht wie links, unteres Ende ringförmig gebogen.
Tier dauernd munter.
Ein am 9. 9. aufgenommenes Höntgenbild zeigt die Drahtstiiokc in beiden
Tibien unverändert.
15. 9. Srit heilte krank, abends Exitus. Wunden vernarbt. Abdomen
aufgetrieben, lokale Peritonitis einer Dünndarmschlinge, Fibrinbeläge, sonst
o. B. Tibien ausgelöst, Wunden vernarbt, keine Eiterung. Die aufgesagten
Tibien zeigen den zum Teil durchsägten Draht. Das zur mikroskopischen Unter¬
suchung entnommene rechte obere Tibiadrittel zeigt eine geringe Vermehrung
des Markstromas, nirgends Hohlraumbildung, kein Knoehenabbau, keine wesent¬
liche Knoehenneubildung.
X. Kaninchen, Stall-Xr. 90. Gewicht 1400 g.
16. 8. 13. Frühere Laparotomie glatt vernarbt. Tier munter und gesund.
Trepanation beider Tibien, linkes Mark nicht ausgespritzt, ea. 10 ein langer,
ziemlich dicker Silberdraht eingeführt, Muskelplombe. rechts Mark ausgespritzt,
ca. 10 cm langer, dicker Silberdraht eingeführt.
Tier dauernd munter.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 127
9. 9. Büntgenbild: Beiderseits Draht unverändert in der Markhöhle
sichtbar.
17. 10. (nach 9 Wochen) getütet. Büntgenbild der ausgelösten Tibien
zeigt den Draht deutlich, etwas verwaschene Innenstruktur, sonst o. B. Trepa-
nationsliieken sind deutlich beiderseits zu sehen. Die aufgesägten Tibien zeigen
beiderseits den zum Teil durehsägten Draht, das obere Drittel der Markhühle
wird von einer scheckig braungelben Masse eingenommen. Kein Hohlraum.
XI. Kaninchen, Stall-Xr. 50. Gewicht 2550 g.
16. 8. 13. Frühere Laparotomie glatt verheilt. Tier munter und gesund.
Trepanation beider Tibien, links Mark nicht ausgespült, Injektion von 1 ccm
Fibrolvsin, Muskelplombe, rechts Mark ausgespritzt, grosse Muskelplombe, durch
die 1 ccm Fibrolvsin in die Markhöhle injiziert wird.
Tier in unter.
17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Büntgenbild: Verwaschene Innenstruktur,
geringe periostale Auflagerung, sonst o. B. Die aufgesägten Tibien zeigen einen
grossen Muskeleylinder in der Markhöhle mit Blutungsresten, in der Umgebung
kein Hohlraum. Mikroskopisch reichlich Fettmark, stellenweise neugebildetes
bindegewebiges Markgewebe. Epiphysenknorpel o. B. Der im Präparat sicht¬
bare implantierte quergestreifte Muskel lässt keine Kernfärbung mehr zu.
XII. Kaninchen, Stall-Xr. 18. Gewicht 1600 g.
28. 8. 13. Beide Tibien trepaniert, Mark ausgespritzt, besonders nach
oben zu.
17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Büntgenbild zeigt periostale Auflage¬
rung an der Trepanationsstelle, verwaschene Innenstruktur der oberen Meta-
physe, sonst o. B. Die aufgesägten Tibien sind im oberen Drittel ausgefüllt
mit ziemlich derber braunroter, zum Teil hellgelber Masse (Blutungsrest), kein
Hohlraum.
XIII. Kaninchen, Stall-Xr. 19, Gewicht 1300 g.
28. 8. 13. Beide Tibien trepaniert dicht unterhalb der Metaphysen-
knnrpel. Die Spongiosa bzw. Cortiealis der Metaphyse ist hier so weich, dass
der Bohrer sofort eindringt. Ausräumung mit scharfem Löffel, dadurch wird
beiderseits eine relativ grosse Höhle geschaffen. Ausspritzen des Marks mit
Kochsalzlösung.
Tier munter.
9. 9. Büntgenbild zeigt beiderseits einen unregelmässigen Hohlraum in der
oberen Tibiametaphyse.
17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Das Büntgenbild zeigt ausser geringer
periostaler Auflagerung an der Trepanationsstelle unregelmässige Zeichnung der
oberen Mctaphysen, die aufgesägten Tibien zeigen keinen Hohlraum, das obere
Drittel der Markhühle ist von fleckig braunroten, zum Teil gallertigen Massen
ausgefüllt.
XIV. Kaninchen, Stall-Xr. 20. Gewicht 2050 g.
28. 8. 13. Beide oberen Tibiamctaphysen eröffnet, Exeochleation. Koch¬
salzausspritzung des Marks, grosse geräumige Höhle. Primäre Periost naht.
17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Das Büntgenbild zeigt die verwaschene
Innenstruktur und Unregelmässigkeit beider Epiphysen. Die aufgesägten Tibien
lassen keine Hohlräume erkennen, im oberen Drittel der Markhöhle braunrote Masse.
XV. Kaninchen, Stall-Xr. 23. Gewicht 1300 g.
28. 8. 13. Beide oberen Tibiamctaphysen trepaniert. Exeochleation mit
scharfem Löffel, Ausspritzung des Marks mit Kochsalzlösung, beiderseits grosse
geräumige Höhle.
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
128
F. Lol sch,
Digitized by
18. 9. (3 Wochen nach dem Versuch) plötzlich Exitus. Bauch aufgetrieben,
Blutungen in der Wand einer JDiinndarinsehlingc, keine Peritonitis, rechtes Bein
glatt geheilt, links geringe subkutane Infektion.. Entnahme beider Tibien.
Röntgenbild: Periostale Auflagerungen an der Trepanationsstelle, Aussparung*
besonders links deutlich. Struklurunregelmässigkeiten in beiden oberen Dritteln.
Aufgesägt enthält das obere Drittel beider Tibien gallertige Massen, keinen
Hohlraum. Keine Infektion des Knochens. Mikroskopisch stellenweise erheb¬
liche Bindegewebsneubildungen, die in Zügen und Bündeln sich verflechten.
Der zum Teil zerstörte Epiphysenknorpel zeigt keine besonderen Regcnerations-
vorgängc. An anderen Stellen findet sich Fett mark mit strotzend gefüllten Ge-
fässen, die in den fibrösen Abschnitten in viel geringerem Grade sichtbar sind.
XVI. Kaninchen, Stall-Nr. 25. Gewicht 1G50 g.
2S. 8. 13. Beide Tibienmetaphvsen trepaniert, Excoehlcation, Ausspritzung*
des Marks, beiderseits geräumige Höhlen.
Tier munter.
17. 10. (nach 7 Woehen) getötet. Röntgenbild: Periostale Auflagerungen,
besonders links, Hohlraum in der oberen Metaphysc beiderseits sichtbar, unregel¬
mässige Innenstruktur. Die aufgesägten Tibien zeigen im oberen Drittel eine
derbe bräunliche Masse mit Blutresten, keinen Hohlraum.
XVII. Kaninchen, Stall-Nr. 21. Gewicht 1550 g.
28. 8. 13. Beide oberen Tibienmetaphyson trepaniert, Excoehlcation, Aus¬
spritzungen, beiderseits geräumige Höhlen.
19. 9. abends Exitus. Todesursache eiterige Pericardilis. Beide Tibien
entnommen. Röntgenbild: Starke periostale Auflagerungen links, Aussparungen
der oberen Metaphysc beiderseits, unregelmässige Innenstruktur. Aufgesägt
zeigt sieh das obere Drittel der Markhöhle beiderseits mit braunroter derber
Masse ausgefüllt, ein Hohlraum ist nirgends zu sehen.
XVIII. Kaninchen, Stall-Nr. 3. Gewicht 1400 g.
29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Anbohrung beider oberen Tibien¬
metaphysen, Excoehlcation, Ausspritzung des Marks. Exitus in Narkose, während
einer erneuten Laparotomie. Beide Tibien ausgelöst und aufgesägt, sind bis zur
Mitte mit Blut gefüllt, links reicht das Hämatom bis in den Epiphysenknorpel
hinein. Mikroskopisch zeigt sich die Markhöhle im oberen Drittel fast frei von
Fettmark. Der Epiphysenknorpel ist in grosser Ausdehnung zerstört, der ganze
Hohlraum ausgefüllt mit Blut, in dem einige Brockel und Reste von Epiphysen¬
knorpel und Spongiosa suspendiert sind.
XIX. Kaninchen, Stall-Nr. 2. Gewicht 1400 g.
29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Anbohrung beider oberen Tibien¬
metaphysen, Excoehlcation, Kochsalzausspritzung. Nach Lösung des Markcylinders
mit Drahtschlinge beiderseits geräumige Höhle, rechts Einlegen einer grossen
Muskelplombe von dem kurz vorher verstorbenen Kaninchen, Stall-Nr. 3, links
nihil. Ausserdem erneute Laparotomie.
24. 9. (4 Wochen nach dem Versuch) Exitus. Gewicht 1050 g. Ab-
gekapseltc Peritonealabsecsse und Verwachsungen. Rechte Tibiawunde suh-
cutan infiziert. Tibien entnommen. Röntgenbild zeigt Knochenaussparung der
beiden oberen Metaphysen und ui regelmässige Innenslruktur. Von den auf¬
gesägten Tibien zeigt die rechte einen grossen Muskelsequester mit umgebenden
Blutungsresten bis zur Sehaftmitte, links wird das obere Drittel der Markhöhle
von einer gallertig durchseheinenden, etwas bräunlichen Masse eingenommen.
Mikroskopisch herdweise Vermehrung des Markbindegewebes, besonders um einen
grösseren Herd von Rundzellen. Keine Hohlraumbildung.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 129
XX. Kaninchen, Stall-Xr. 4. Gewicht 1300 g.
29. 8. 13. Frühen? Laparotomie verheilt. Trepanation beider oberen
Tibienmetaphysen, Exeochleation, Ausspritzung des Marks. Hechts Implantation
von Muskel, dem soeben gestorbenen Kaninchen, Stall-Xr. 3 entnommen, links
nihil. Ausserdem erneute Laparotomie.
Tier munter.
17. 10. (nach 7 W ochen) getötet. Röntgenbild: Verwaschene Innenstruktur
und Aussparung in der oberen Metaphyse. Auf dem Sägeschnitt rechts Muskcl-
serjuester mit Blutungsresten, links braune weiche Masse bis zur Schaftmitte.
Mikroskopisch ist der Muskelsequester mit erwachsendem Markgewebe sichtbar,
keine Hohlraumbildung.
XXL Kaninchen. Stall-Xr. 5. Gewicht 1600 g.
29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Anbohrung beider oberen Tibien-
metaphysen, Fxeoehleation, Ausspritzung des Marks. Hechts Implantation einer
grossen Muskelplombe, von dem soeben gestorbenen Kaninchen, Stall-Xr. 3 ent¬
nommen. Ausserdem erneute Laparotomie.
Exitus am nächsten Tage (30. S.) an Peritonitis fibrinosa. Tibiawunden o. B.
Die aufgesägten Tibien zeigen die Markhöhlen erfüllt mit Blut, links reicht das
Hämatom bis hinunter zum unteren Drittel, rechts bis zum Ansatz vom mittleren
bis unteren Drittel. Mikroskopisch erfüllt das Hämatom alle Lücken der Mark¬
höhle, in ihm sind Reste von Markgewebe und Spongiosa und Epiphysenknorpel¬
reste suspendiert. Keine Hohlraumbildung.
XXII, Kaninchen, Stall-Xr. 6. Gewicht 1550 g.
29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Trepanation beider oberen Tibien¬
metaphysen, Fxeoehleation, Ausspritzung dos Marks, beiderseits geräumige Höhlen.
Rechts Implantation von quergestreiftem Muskel, dem soeben gestorbenen Kanin¬
chen, Stall-Xr. 3 entnommen, links nihil. Ausserdem erneute Laparotomie.
17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Röntgenbjld der Tilden zeigt ver¬
waschene Struktur der oberen Sehafthälfte mit Aussparungen auf der Säge-
fläehe. Beiderseits ist das oben 1 Drittel mit einer scheckig braunroten bis hell¬
braunen Masse erfüllt, kein Hohl raum.
XX11I. Kaninchen. Stall-Xr. 29. Gewicht 2100 g.
2. 9. 13. Beide oberen Tibienmetaphysen angebohrt, Fxeoehleation, Mark¬
ausspritzungen mit Kochsalz, geräumige Höhlen. Hechts Adrenalinfüllung der
Mark höhle, die mit Kochsalz wieder ausgespritzt wird, dann Waehsplomhe,
primäre Xaht; links Adrenalinfüllung, Waehsplomhe, primäre Xaht.
Tier munter.
Xaeh 6 1 2 Wochen am 17. 10. getötet. Röntgenhild zeigt deutliche Aus¬
sparungen der oberen Tibienmetaphysen, besonders links, verwaschene Innen¬
struktur, auf den Sägefläehcn ist. die Waehsplomhe sichtbar; das obere Drittel
der Markhöhle mit braunroten Massen erfüllt; kein Ilohlraum. Mikroskopisch:
Epiphysenknorpel teilweise zerstört, viel Fett mark, stellenweise Vermehrung des
bindegewebigen St rom as.
XXIV. Kaninchen, Stall-Xr. 2S. Gewicht 1S00 g.
2. 9. 13. Beide oberen Tibienmetaphysen trepaniert, Mark mit Kochsalz,
ausgespritzt, grosse Höhlen, rechts Füllung der Knoelienmarkshöhle mit flüssigem
Wachs, links mit flüssigem Agar-Agar.
Tier munter.
9. 9. Röntgenaufnahme: Links verwaschene Struktur/eielmiing des oberen
Drittels, relativ kleiner Ilohlraum dicht unter dem Epiph\senkimrpel, rechts
deutlicher Hohlraum der Metaphyse, verwaschene Struktur/eielmiing.
Archiv für klin. Chirurgie. B(l. 107. Heft 1. 9
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
130 F. Lotseh,
17. 10 (nach (\ l / 2 Wochen) getötet. Rnntgenbild zeigt in den oberen
Metaphysen beider Tibien Aussparungen und unregelmässige Strukturzeichnung.
Die Sägefläche zeigt links den in der Piek’sehcn Lösung zu einer weissliehen
Masse verwandelten Agar-Agar, der, von Markteilen unterbrochen, sieh bis in
die untere Mctaphvse erstreckt, rechts ist die Waehsfiillung sichtbar. Mikro¬
skopisch ist in der linken Tibia die homogene Agar-Agarmasse sichtbar, um¬
schlossen teils von zellreirhein Markgewebe, an einzelnen Stellen von ver¬
mehrtem Bindegewebe. Kein Knochenabbau, Epiphysenknorpel teilweise zerstört.
Das Markgewebe dringt stellenweise in die Agar-Agarmasse ein. keine Hohlraum¬
bildung.
XXV. Kaninchen. Stall-Xr. 2(>. Gewicht 1550 g.
2. 9. 15. Anbohrung beider oberen Tibienmetaphysen, Mark mit Koch¬
salz ausgespritzt, beiderseits grosse Höhlen. Rechts Füllung mit gelbem Wachs,
links Adrenalinfüllung, Wachsplombe, primäre Naht.
15. 9. (2 Wochen nach dem Versuch) Exitus. Todesursache ?. Trepanations¬
wunden vernarbt, keine Eiterungen. Gelenke frei. Die herausgenommenen
Tibien werden sogleich aufgesägt und zeigen auf der Sägefläche rechts das
obere Drittel der Markhöhle mit Wachs gefüllt, unten normales Mark, links
oben eine kleine Wachsplombe. in «ler Eingebung gallertig durchscheinende
Masse. Mikroskopisch zeigt sich in der Markhöhle der linken Tibia eine geringe
Vermehrung des bindegewebigen Markstromas, Epiphysenknorpel zum Teil defekt,
nirgends Hob Iran mbi Id ung.
XXVI. Kaninchen, Stall-Xr. 22. Gewicht 1550 g.
2. 9. 13. Heide oberen Tibien metaphysen angebohrt, Mark mit Kochsalz
ausgespritzt, beiderseits grosse Höhlen. Rechts Adrcnalinfiillung der Mark¬
höhle, links desgleichen, Wachsplombe, primäre Naht.
Am S. 9. fällt Verdickung des linken Unterschenkels und Kusses auf, hinkt.
Am 9. 9. Röntgenaufnahme. Ausser verwaschener Struktur links nichts
Besonderes, rechts kleiner Hohlraum dicht an der Kpiphysenlinie sichtbar.
10. 9. Exitus. Keine Phlegmone am linken Bein. Muskel o. B., wenig
Oedem, Knochen o. B., herdweise Atelektasen des rechten Lungenunterlappens,
die aufgesägten Tibien zeigen im oberen Drittel der Markhöhle eine braunrote
Masse, keinen Hohlraum. Mikroskopisch ist in der Mark höhle der rechten Tibia
die Wachsplombe sichtbar, Epiphysenknorpcl zum Teil defekt, sehr grob¬
maschiges, fettreiches Mark, nirgends Hohlraumbildung.
Die Versuche erstrecken sich demnach auf 52 Tibien von
26 Kaninchen.
Das Ergebnis der Experimente kann kurz dahin zusammen¬
gefasst werden, dass es in keinem Falle zur Bildung eines cysten¬
artigen Hohlraumes kam. In der Umgebung des Hämatoms, das
in allen Fällen den Hohlraum zunächst erfüllte, kommt es zu
einer Vermehrung des Bindegewebes, doch fehlt diesem Gewebe
jede grössere Proliferationsfähigkeit. Gleichzeitig mit der Organisation
des Hämatoms bzw. seiner Resorption regeneriert sich aus den
zurückgelassenen Resten die hämatopoetische Komponente des
Knochenmarks. Trotz zeitweise stärkerer Bindegewebsvermehrung
kam es nie zu irgendwie gesteigertem Knochenabbau oder Knochen¬
neubildung. Die künstlich gesetzten Defekte im Epiphysenknorpel
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 131
zeigten innerhalb der Beobachtung keine wesentlichen Heilungs¬
bestrebungen.
Es geht aus diesen Untersuchungen, wie ich glaube, mit
Sicherheit hervor, dass ein Hämatom der Markhöhle selbst nach
Entfernung des grössten Teils des Knochenmarks nicht zu cysten¬
artiger Hohlraumbildung führt.
In Uebereinstimmung mit den Yersuchsergebnissen Lexer’s
ist deshalb die Möglichkeit rein traumatischer Entstehung von
Knochencysten abzulehnen.
Literatur.
1. Albertin, Mitteilung über einen Fall von allgemeiner Osteomalaeie mit
multipler cystischcr Turaorbildung. Prov. medio. Lyon 1S90. No. 45. Kcf.
Centralbl. f. Chir. 1891. Nr. 27. S. 530; eit, auch bei Schuchard,
Deutsche Chir. Lief. 28.
2. Askanazv, Ueber Ostitis deformans ohne osteoides Gewebe. Arbeit, a. d.
pathol. Instit. z. Tübingen. 1903. Bd. 4.
3. Axhauscn, Arbeiten aus dem Gebiete ber Knoehcnpathologie und Knochen¬
chirurgie. Arch. f. klin. Chir. 1911. Bd. 94. — Vcrhandl. d. deutschen
Ges. f. Chir. 1912.
4. Axhauscn, Virchow’s Archiv. Bd. 194. II. 3.
5. Beck, Osseous cysts of the tibia. Amor, journ. of med. Science. 1901.
6. Beck, Ueber echte Cysten der langen Röhrenknochen. Arch. f. klin.
Chir. 1902. Bd. 70.
7. Benda, s. bei Koch und Diskussionsbemerkung zu Mönckebcrg. Ycr-
handl. d. deutschen pathol. Ges. 1904.
8. Benekc, Diskussionsbemerkung zu Mönckeberg. Vcrhandl. d. deutschen
pathol. Ges. 1904.
9. v. Bergmann, Ueber Echinokokken der langen Röhrenknochen. Berl.
klin. Woehenschr. 1887. Nr. 1 u. 2.
10. Bockenhcimer, Die Cysten der langen Röhrenknochen und die Ostitis
fibrosa usw. Arch. f. klin. Chir. 1901. Bd. 81.
11. Bockenhcimer, Ueber die diffusen Hyperostosen der Schädel- und Ge¬
sichtsknochen s. Ostitis deformans fibrosa (Virchnw's Leonliasis ossea).
Arch. f. klin. Chir. 1908. Bd. 85.
12. Borst, Die Lehre von den Geschwülsten. Wiesbaden 1902.
13. Boit, Ueber Leontiasis ossea und Ostitis fibrosa. Arch. f. klin. Chir.
Bd. 97. H. 3.
14. Boström, Zur Pathogenese der Knochcncysten. Fcstschr. z. Vers, deutscher
Naturforscher u. Aerzte. 1883.
15. Bram an n, Ein Fall von cystischcr Degeneration des Skeletts. Vcrhandl.
d. deutschen Ges. f. Chir. 16. Kongress. Berlin 1887.
16. Braun, Ueber Cysten in den langen Röhrenknochen usw. Beitr. z. klin.
Chir. 1907. Bd. 52.
17. v. Brunn, Coxa vara im Gefolge von Ostitis fibrosa. Beitr. z. klin. Chir.
1905. M. 45.
18. v. Brunn, Spontanfraktur als Frühsymptom der Ostitis fibrosa. Beitr. z.
klin. Chir. 1906. Bd. 50.
9 *
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
132
F. Lot sch.
Digitized by
19. Bureliard, Zur Diagnose der eliondromatöscn, fibrösen und ovstischen
Degeneration der Knochen. Fortschr. a. d. (ich. d. Köntgenstr. 1912.
Bd. 19. II. 2.
20. (/laude et Gougerot, Sur Linsuffisancc simultance de plusieurs gl and cs
a secretion interne, Compt. rend. sue. de. biol. 1907. T. 63. p. 785.
21. CI aude et Gougerot, Les syndromes d'insuffisanrc pluriglandulaire. Hev.
de möd. 190S. T. 2S. p. 86*1, 9.70.
22. Claude et Gougerot, Insuffisanee pluriglandulaire endoerinienne etc.
•lourn. de physiol. et de patliol. gen. 190S. T. 10. p. 404.
23. Cruveilhicrs, Anatomie patholngiijue du eorps liumain. Paris 1S29. p. 42.
24. C ursch man n, (hsteomalacia tarda. Med. Klin. 1911. Bd. 7. S. 41.
25. Czerny, Kine lokale Malaeie des Lnterseheiikels. Wiener med. Wochen¬
schrift. 1S73.
26. Davidsohn, Ccber Knochenerweichung im weiteren Sinne, Osteoporose
und Osteomyelitis fibrosa und Periostitis ossificans. Charite-Annalen.
1904. Jahrg. 2S.
27. Decken, Zur Kasuistik der Knochencysten bei Ostitis fibrosa. Inaug.-
Dissert. Giessen 1909.
2S. Delanglade, s. Cornil et Coudray. Du cal etc. Journ. de 1‘anat. et
de la physiol. 1904. T. 40. p. 160; citiert nach v. Kceklinghausen.
29. Duputren's klinisch chirurgische Vorträge im Hutel-Dieu-Paris, gesammelt
und herausgegeben von einem ärztlichen Verein, für Deutschland bearbeitet
von Bech und Lconhardi. Leipzig 1S34. Bd. 2. 1. Abteilung über
Balggeschwülste in den Knochen.
30. Kugel, Leber einen Fall von cystoider Entartung des gesamten Skeletts.
Inaug.-Diss. Giessen 1864.
31. Erd heim, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissenseh. Wien, mathem.-naturw.
Klasse. 3. Juni 1907. Bd. 116. Abt. 3.
32. Falta, Die Erkrankungen der Blutdrüsen. Berlin, Springer 1913.
33. Falta. Spiiteunuehoidismus und multiple Blutdriiscnsklerose. Berlin, klin.
Woehensehr. 1912. No. 49.
34. Feld mann, Fall von Osteomalaeie und Geschwulstbildung. Münch, med.
Woehensehr. 1901. Nr. 46.
35. Fehling, Leber Wesen und Behandlung der puerperalen Osteomalaeie.
Arch. f. (iynäkol. 1890. Bd. 39.
36. Fehling, Weitere Beiträge zur Lehre von der Osteomalaeie. Arcli. f
(iynäkol. 1S95. Bd. 38.
37. Fellen und Le 1 i c i t as-S t o 11 z e n b erg, Traumat isrlie solitäre Knoehcn-
cysten. Zeitsehr. f. orthopäd. Chir. 1912. Bd. 30. 11. 3 u. 4.
38. Fisch ler, Leber experimentell erzeugte Lebcreirrhuse. Naturhist. med.
Yer. Heidelberg. Sitzg. 12. Mai 1908. Münch, med. Wochensehr. 1908.
Nr. 26 u. Arch. f. klin. Med. 1908. Bd. 92.
39. Foot, Leber das Wachstum von Knochenmark in vitro. Experimenteller
Beitrag zur Entstehung des Fettgewebes. Beitr. z. patliol. Anat. u. z.
allgem. Patliol. 1912. Bd. 53.
40. Frankel, E., Diskussionsbemerkung zu Mönckeberg. Verhandl. d. deut¬
schen patlml. Ges. 1904.
41. Kränk el, E.. Die Möller-Barlow'sshe Krankheit. Erg.-Bd. 18, der Fortschr.
a. d. Geb. d. Köntgenstr. 1908.
42. Frangenheim. Leber Calluseysten. Deutsche Zeitsehr. f. Cliir. 1907. Bd. 90.
43. Froriep. Cliirurgische Kupfertafeln. Weimar 1838—42. Bd. 9. II. 87.
Tat. 438—440.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten.
133
44. Fujii, Zur Kenntnis der Pathogenese der solitären Knoeheneyste. Zeit¬
schrift f. Chir. 1912. Bd. 113.
45. Fujii, Bin Beitrag zur Kenntnis der Ostitis fibrosa mit ausgedehnter
Cystenbildung. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1912. Bd. 114. H. 1—3.
45. Gaugele, K., Ueber Ostitis fibrosa seu deformans (v. Recklinghausen'sche
Knochenkrankheit). Fortsohr. a. d. (Job. d. Röntgenstr. 1905/06. Bd. 9.
S. 319.
4G. Gaugele, K., Zur Frage der Knoehencysten und der Ostitis fibrosa v. Reek-
linghausen's. Arch. f. klin. Chir. 1907. Bd. 83. S. 935.
47. Geh ring (Rüpke), Die Cysten der langen Röhrenknochen. Inaug.-Diss.
Jena 1910.
4S. Glimm, Zur Aeliologie tumorverdächtiger Cysten der langen Röhren¬
knochen. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1905. Bd. SO.
49. Gott stein, Multiple Knochencysten. Demonstr. i. d. schlcs. Ges. f. vaterl.
Kultur i. Breslau am 12. Juli 1907.
50. Grashey, Atlas chirurg. pathol. Röntgenbilder. Lehmann’s med. Atlanten.
1908. lid. 6.
51. Grunert, Fe])er pathologische Frakturen (Spontanfrakturen). Deutsche
Zeitsehr. f. Chir. Bd. 76.
52. v. Haberer, Ein Fall von multiplen Knochentumoren. Ycrhandl. d. Ges.
deutscher Xaturf. u. Aerzte. 76. Vers. Breslau 1905.
53. v. Haberer, Zur Kasuistik der Knochencysten. Arch. f. klin. Chir. Bd. 76.
54. v. Haberer, Zur Frage der Knoehencysten und der Ostitis fibrosa v. Reck-
linghauscn's. Arch. f. klin. Chir. Bd. 76.
55. Hanau, Bericht über das Ergebnis der anatomischen Fntersuchung der
Knochen usw. (s. Kochl). Korr.-Bl. f. Schweizer Aerzte 1S92. Bd. 22.
56. v. Hanse mann, Feber die Rachitis der Affen. Yirchow’s Arch. 1903.
Bd. 172.
57. v. Hanse mann, Die Rachitis als Yolkskrankheit. Berl. klin. Wochen¬
schrift. 1906.
5S. Hart, Ein neuer Fall von Osteomalacie mit multiplen Riesenzellensarkomen
und Cystenbildung. Ziegler’s Beitr. 1904. Bd. 36.
59. Hartmann, Zur Kenntnis der Ostitis fibrosa (deformans). Beitr. z. klin.
Chir. 1911. Bd. 73.
60. Heineke, Ein Fall von multiplen Knoehencysten. Bruns' Beitr. z. klin.
Chir. 1903. Bd. 14.
61. Hildebrand, ()., Allgemeine Chirurgie. 2. Aufl. 1905.
62. Hoc nicke, Feber das Wesen der Osteomalacie usw. Halle 1905.
63. Holmes, A Systeme of surgery. London 1870. Yol. 3.
64. Hu et er. Die Erkrankungen der Knochen, Abt. 9, Knoehencysten, Ostitis
fibrosa. Hildebrand's Jahresbericht für 1912.
65. Jakoby und Schroth, Feber die Einwirkung von Calcium lacticum auf
(‘inen Fall von Ostitis fibrosa mit experimentell-therapeutischen Stoff-
wechscluntersuchungen. Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1912.
Bd. 25. H. 2.
66. Joachi mst hal, Feber Ostitis fibrosa im Kindesalter. Charite-Annalen.
Jahrg. 35.
67. Joachi mst hal, Cystisehc Erkrankungen des Skeletts. Ycrhandl. d. Ges.
d. Charite-Aerzte. 1911. Bd. 17; s. a. Berl. klin. Woehensehr. 1911.
6S. Katholicky, Demonstration von Präparaten eines seltenen Osteomalacie-
falles (Paget) in der Ges. d. Aerzte in Wien am 16. Xov. 1906. Wiener
klin. Wochenschr. 1906. Xr. 47.
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
134
F. Lotseh,
Digitized by
69. Kaufmann, Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie. 5. Aufl.
Berlin 1909.
70. Kehr, Ueber einen operativ behandelten Fall von Knoeheneystc des Ober¬
schenkels. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1S96. Bd. 43.
71. Klestadt, Ein Fall atypischer Ostitis defurmans. Ueber die klinischen
Formen der Ostitis chronica deformans fibrosa. Bruns* Beitr. z. klin. Chir.
1911. Bd. 75.
72. Koch, G., Ueber Knoehencysten in den langen Röhrenknochen. Aroh. f.
klin. Chir. 1902.
73. Koch, AL, Demonstration eines Schädels mit Ostitis deformans (Paget).
Yerhandl. d. deutschen pathol. (ies. 1909.
74. Kocher und Tavel, Chirurgische Infektionskrankheiten. 1895.
75. Koelil. Exquisite Spontanfrakturen bei Osteomalacie nach Influenza (s. a.
Hanau). Korr.-Bi. f. Schweizer Aerzte. 1S92. Bd. 22.
76. Kolisko, Diskussion zu Katholicky. Ges. d. Aerzte in Wien. 16. Xov.
1906. Wiener klin. Woehenschr. 1906. Xr. 47.
77. Köllicker, Die normale Resorption des Knochengewebes usw. Leipzig 1873.
78. Körte, Mitteil. a. d. chir. Abteil, d. Krankenhauses Bethanien zu Berlin.
2. Abschnitt: Zwei Fälle von Knochencysten im Oberschenkel. Deutsche
Zeitschr. f. Chir. 1880. Bd. 13.
79. Langendorff und Mommsen, Beiträge zur Kenntnis der Osteomalacie.
Yirchnw’s Arch. 1877. Bd. 69.
80. Lau nelongue, Syphilis osseuse hereditaire tardive, type Paget usw.
Annales de chir. et d'orthop. 1903. Xr. 4; s. a. Gazette des höp. 1903.
Xr. 27.
81. Latzko, Diskussinn zu Katholicky u. Kolisko, s. d.
82. Lebert, Traite d'anatomie pathologique Paris 1857—61.
83. Leri et Legros, Etüde radiographiqtie comparative de quelques affections
dystrophiantes des os. Rev. neurol. 1908. Iconogr. de la Salp. 1909. Xo. 1.
84. Leri et Leg ros, Osteopathie trauinatique anormale simulant la maladie
de Paget. Rev. neurol. April 1910. S. 537.
85. Lexer, Die Entstehung entzündlicher Knochenherde und ihre Beziehung
zu den Arterienverzweigungen der Knochen. Arch. f. klin. Chir. Bd. 71.
86. Lexer, Untersuchungen über Knochenarterien usw. Berlin 1904.
87. Lexer, Ueber die Cysten der langen Röhrenknochen. Yerhandl. d. Deut¬
schen Ges. f. Chir. 1906.
88. Lexer, Ueber die nicht parasitären Cysten der langen Röhrenknochen.
Arch. f. klin. Chir. 1906. Bd. 81.
89. Lissaucr, Ein Fall von Ostitis fibrosa. Monatsschr. f. Unfallhcilk. 1905.
Xr. 2.
90. Loos er, l’ebrr Knochenveränderungen bei chronischen Fisteln der grossen
Yerdauungsdriisen. Yerhandl. d. Deutschen pathol. Ges. 1907.
91. Lotseh, Ueber Plombierung von Knoehenabscesshöhlcn. Charite-Annalen.
1913.
92. Lübars eh, s. bei Gaugele.
93. Alagitot, Memoire sur les Kystcs des mäehoires. Arch. gen. de med.
1872—1873 et Gaz. hebd. d. med. et de chir. 1876. T. 13 et Bull, et
mein, de la soc. de Chir. de Paris. 1878. T. 4.
94. Marie, Pierre und Leri, Deutsch von Ch. Stcinthal, Die PageUsehe
Knochenkrankheit. ITandb. f. Xeurol. von Lcwandowskv. 1913. Bd. 4.
95. Mauelaire, A propos des osteitos vaeuolaircs metatraumatiques. Bull, et
mein. de la soc. de chir. 1912. Xr. 25.
Gck 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber generalisierte Ostitis fil)rosa mit Tumoren und Cysten. 135
96. Men et riet* et Gaukler, Deux eas de maladic osseuse de Paget avee.
exaraen anatomique. Soc. med. des hop. de Paris. 1903.
97. Meslav, Contribution ä lYtude anatomo-eliniquc de l’osteomalacie. These
de Paris. 1896.
98. Meslay, Osteomalaeic infantile. Her. mens, des malad, de Penf. 1897.
T. 15.
99. v. Mikulicz, Ueber cystische Degeneration der Knochen. Yerhandl. d.
Ges. deutscher Naturf. u. Aerztc. 76. Vcrhandl. 1905.
100. Mi ln er. Historisches und Kritisches über Knnehencysten, Chondrome,
fibröse Ostitis und ähnliche Leiden. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1908.
Hd. 93.
101. Mönck’eberg, Ueber Cystenbildung bei Ostitis fibrosa. Vcrhandl. d.
Deutschen pathol. Ges. Berlin 1904.
10*2. Morpurgo, Infektiöse Malaeie bei weissen Ratten. Zieglers Beitr. zur
pathol. Anatomie. 1900. Bd. 27.
103. Morpurgo, Sulla transmissione della osteomalaci umana ai topi bianchi.
Accad. de medic. di Torino. 17. Genuaio 1908. Ref. Central bl. f. Chir.
1908. Münch, med. Wochen sehr. 1908. Nr. 48.
104. Xölaton, A., Elements de pathologie chirurgicale. Paris 1847—1848.
Tome 2.
105. Ne laton, E., Memoire sur une nouvelle espeee de tumeurs benignes des
os ou tumeurs ä myeloplaxcs. These de Paris. 1860.
106. Orth, s. bei Kehr.
107. Orth, Pathologisch-anatomische Diagnostik. 6. Aufl. Berlin 1900.
108. Paget, On a form of chronic inflammation of bones (Ostitis deformans).
Transaetions of the royal medical and chir. soc. of London. 1877. Vol. 60.
109. Paget, Additional cases of osteitis deformans. Transactions of the royal
medical and chir. soc. of London. 1882. Vol. 62.
110. Pal tauf, Demonstration eines Skeletts von Ostitis fibrosa mit multiplen
Cysten und Tumoren. 85. Versamml. Deutscher Naturforscher u. Aerzte.
Wien 1913.
111. Pawlow, Verhandlungen der medizinischen Gesellschaft zu St. Petersburg.
1905. Cit. nach v. Reek 1 i n ghausen.
112. Pfeiffer, Ueber die Ostitis fibrosa und die Genese und Therapie der
Knochencysten. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir. Bd. 53.
113. Pommer, Untersuchungen über Osteomalaeic und Rachitis usw. Leipzig.
1885.
114. v. Recklinghausen, Demonstration von Knochen und tumorbildender
Ostitis deformans. Vcrhandl. d. Ges. deutscher Naturf. u. Aerzte. Heidel¬
berg 1889.
115. v. Recklinghausen, Ueber fibröse und deformierende Ostitis usw. Fest¬
schrift für Yirchow. Berlin 1891.
116. v. Recklinghausen, Untersuchungen über Rachitis und Osteomalaeic.
Jena 1910.
117. Rchn, Multiple Knochensarkome mit Ostitis deformans. Vcrhandl. der
Deutschen Ges. f. Chir. 1904.
118. Rchn, E., Die Schnüffelkrankheit des Schweines usw. Zieglers Beitr. z.
pathol. Anatomie. 1908. Bd. 44.
119. Reich, Echinokokken der langen Röhrenknochen. Bruns' Beitr. z. klin.
Chir. 1908. Bd. 59.
120. Reich, Ueber senile Osteomalaeic. Mitteil. a. d. Grenzgeb. 1912. Bd. 24.
121. Ribbert, Lehrbuch der pathol. Histologie. Bonn 1901.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
136
F. Lutsch,
Digitized by
122. Kind fleisch, Lehrbuch der pathologischen Gewebelehre. Leipzig 1SS6.
123. Kitter, Zur Diagnose der Knuclienccliinokokkcn. Deutsche Zeitsehr. f.
Chir. 1 DOS. Kd. 5Kl
124. Kitter, Die Epulis und ihre Kiesenzellen. Deutsche Zeitsehr. f. Chir.
1899. Kd. 54.
125. Kubin, Note sur les elemcnts anat. appeh ; s myeloplaxes. Journ. de
l'anat. et de la phys. 1864.
126. Köpke, Die solitären Cysten der langen Kohrenknochen. Areli. f. klin.
Chir. Kd. 92.
127. Kumpel, Ceber (ieschwiilste und entzündliche Erkrankungen der Knochen
irn Kontgenbilde. Hamburg 1908.
128. Saxinger, Ceber Knochencysten. Kruns' Keitr. z. klin. Chir. 1912.
Kd. 79.
129. Schirmer. Die PagcFsehe Knorhenerkrankung. Sammelreferat. Centralbl.
f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Fhir. 190S. Kd. 2.
130. Schlange, Ein Fall von Knochencyste in der Tibia. Arch. f. klin. Chir.
1SS7. Kd. 36.
131. Schlange. Zur Diagnose der solitären Cysten in den langen Röhrenknochen.
Verhandl. d. Deutschen Ges. f. Chir. 1S93.
132. Schlange, Keil rag zur Anatomie und klinischen Kenntnis der Cysten in
den langen Röhrenknochen. Festsuhr. f. Esmarch. Kiel u. Leipzig 1S93.
133. Schmieden, Beitrag zur Kenntnis der Osteomalacia chronica deformans
hyperlrophica (Paget). Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1903. Kd. 70.
134. Schmidt. M. K., Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie der
Knochen. Ergehn, d. allgem. Pathologie u. patliol. Anatomie v. Lubarseh
u. Oslertag. Jalirg. 4 u. 7. 1S97 u. 1900 01.
135. Schmorl, Diskussion zu Mönckebecg. Verhandl. d. Deutschen pathol.
Ges. 1904.
13G. Sehmorl, Die pathologische Anatomie der rachitischen Knochenerkrankung
mit besonderer Reriieksiehtigung ihrer Histologie und Pathogenese. Ergehn,
d. inneren Med. u. Kindcrheilk. 1909. Kd. 4.
137. Sehoenenberger, Feber Osicomalaeic mit multiplen Kiesenzellensarkomen
und multiplen Frakturen. Yirchow's Areli. 1901. Kd. 1G5.
138. Sch rot h, Kalktherapie und Köntgenkastration bei Knochenerweichung.
Sitzungsbericht der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins, 8. Januar
1912. Centralbl. f. Chir. 1912.
139. Schuchardt, Die Krankheiten der Knochen und Gelenke. Deutsche Chir.
1899. Lief. 28.
140. Stanley, A treatise on diseases of the bones. London 1849.
141. Steinl hal, Diskussionsbemerkungen. Verhandl. d. Deutschen Ges. f.
Chir. 1912.
142. Steward, The malignancy of the gigant cellcd sarenma. Surg., gynaeco]
and ohstetr. 1913. Kd. 17. Nr. 1. Kef. Centralbl. f. d. ges. Chir. u.
ihre Grenzgeh. 1913. Kd. 3. 1L 3.
143. Stöltzner, Rachitis in Pfaundler und Schlossmann's lfandl). d. Kinder¬
heilkunde. Leipzig 190G.
144. Stumpf, Ceber die isoliert auftretende eystisehc und eystisch fibröse
Fmwatidlung einzelner Knoclienabschnitte. Zeitsehr. f. Chir. 1912. Kd. 114.
145. Tietze, Die Knocheneysten. Ergehn, d. Chir. u. Orthop. 1911.
146. Todvo, Feber das Verhalten der Epithelkörperchen bei Osteomalacie und
Osteoporose (SchmoiTsehes Institut). Frankfurter Zeitschr. f. Pathol.
1912. Kd. 10.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 137
147. Tseherniakowsky, lieber eine ungewöhnliche Form multipler Knochen-
eysten (cystische Metastasen oines Plattenepithelkrebses des Oesophagus).
Inaug.-Disscrt. Basel 1906.
148. Virchow, Rud., Ueber die Entstehung des Enehondroma und seine Be¬
ziehungen zu der Ecchondrosis und Exostosis cartilaginea. Monatsbcr. d.
K. Akademie d. Wissen sch. zu Berlin. 6. Dez. 1875.
149. Virchow, Rud., Ueber die Bildung von Knochencysten. Monatsber. d.
K. Akademie d. Wissenseh. zu Berlin. 12. Juni 1876.
150. Virchow, Rud., Allgemeine Hyperostose des Skeletts mit Cystenbildung.
Demonstration. Tagebl. d. 59. Versarnml. Deutscher Naturf. u. Aerzte zu
Berlin 1886.
151. Virchow, Rud., Onkologie 1 u. 2.
152. v. Volkmann, Diskussionsbemerkungen zu Bramann, s. d.
153. Wern dort f, Zur Frage der multiplen Sarkomatosc des jugendlichen
Knochens und der Ostitis fibrosa-Recklinghausen. Zeitschr. f. orthop. Chir.
1908. Bd. 22.
154. Wiesel, Agenitalismus und Hypogenitalismus. Die Bindegewebsdiathesc
als Ursache multiglandulärer Störungen usw. Handb. d. Neuro!. v. Lewan-
dowsky. Berlin 1913. Bd. 4.
155. Wrede, Diskussionsbemerkungen. Verhandl. d. Deutschen Ges. f. Chir.
1912.
156. Zeroni, Beitrag zur Kenntnis der Entstehung und Entwicklung des En-
ekondroms der Knochen. Arbeiten a. d. pathol. Institut zu Güttingen.
Berlin 1893.
157. Ziegler, E., Feber die subchondralen Veränderungen der Knochen bei
Arthritis deformans und über Knochencysten. Virehow's Archiv. 1S77.
Bd. 70.
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
I
Digitized by
ii.
Verletzungen des Gehirns
und deren chirurgische Behandlung. 1 )
Von
Dr. W. B. Müller- Berlin, z. Z. Res.-Laz. Saargemünd.
(Hierzu Tafel VII und VIII.)
Während meiner Tätigkeit als Chirurg am Reservelazarett
Saargemünd sind rhir eine Reihe von Verletzungen des Gehirns in¬
folge Gewehrschuss, Granatschuss und Einwirkung stumpfer Gewalt
(Schlag) unter die Hand gekommen, über die ich im folgenden be¬
richten will. Die Verletzten stammten zum grössten Teile von den
Schlachtfeldern der Lothringerschlacht im August 1914 und kamen
nach verhältnismässig kurzer Zeit, ca. 24—36 Stunden nach der
Verletzung in unser Lazarett. Der Zustand, in welchem die Ver¬
letzten eingeliefert wurden, war ein den Kriegsverhältnissen ent¬
sprechender, ist ja doch jede Wunde von der Schlacht her als in¬
fiziert anzusehen, aber es war doch die Wundversorgung eine gute,
es fand sich bei allen Verwundeten ein gutsitzender und die W T unde
fest abschliessender Verband, so dass eine spätere Infektion auf
dem Transport nicht möglich war.
Die Schussverletzungen sind folgende Arten:
I. Tangentialschüsse, von denen wir solche unterscheiden, die
nur die Kopfschwarte durchsetzt haben, während der
Knochen unverletzt ist, und solche, bei denen der Knochen
zertrümmert ist.
II. Centralschüsse, von denen wir die Steckschüsse, bei denen
das Projektil im Schädel stecken geblieben ist, und die
transversalen, bei denen das Geschoss durch Schädel und
Gehirn hindurch gedrungen ist, unterscheiden.
1) Nach einem Vortrag, gehalten in der Märzsitzung der militärärztliehen
Gesellschaft in Saarbrücken.
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 139
Die übrigen Arten der Gehirnverletzungen sind die durch Ein¬
wirken einer stumpfen Gewalt, meist solcher infolge Schlag mit
Gewehrkolben oder dergleichen.
Was nun den allgemeinen Zustand anlangt, in welchem die
Gehirnverletzungen in Behandlung kommen, so ist es nicht immer
möglich, aus der allgemeinen Beschaffenheit der Wunde und aus
dem Befinden des Kranken ein sicheres Urteil über die Ausdehnung
der Verletzung zu gewinnen. Es ist mir ganz besonders aufgefallen,
dass oftmals leicht erscheinende Tangentialschüsse bei der Opera¬
tion ganz enorm ausgedehnte Verletzungen des Gehirns aufwiesen,
und dass sich eine Menge grosser Knochensplitter tief in der Ge¬
hirnmasse fanden. Ich habe daher von Anfang an jeden Schuss
am Schädel operativ behandelt, d. h. ich habe die Wunde erweitert,
waren zwei Wunden vorhanden, welche auf einen Tangentialschuss
schliessen Hessen, so habe ich die beiden Wunden durch einen
Schnitt vereinigt und breit den darunter liegenden Knochen frei¬
gelegt. Der Befund hat in allen Fällen die Operation gerecht¬
fertigt und es fand sich immer eine grössere Verletzung des
Knochens, als vorher anzunehmen war. Dies gilt für sämtliche
Verletzungen am Schädel, und ich habe daher sämtliche Gehirn-
und Schädelwunden in Narkose revidiert. Welche Gründe bei den
einzelnen Arten der Verletzung zum operativen Eingreifen vorhanden
sind, werde ich weiter unten noch erörtern.
Im allgemeinen möchte ich raten, alle diese Operationen in
Narkose vorzunehmen, und zwar aus folgenden Gründen: Die Nar¬
kose ermöglicht ein intensiveres Untersuchen der Wunde und zu¬
gleich ein ausgedehntes Operieren. Ich versuche gar nicht erst
einen Schädelschuss ohne Narkose zu untersuchen, falls nicht der
Verletzte vollkommen benommen ist. Nur in diesem letzteren
Falle kann man auf die Narkose verzichten. Die Narkose allein
setzt uns in den Stand, eine ganz genaue Untersuchung der Wunde
vorzunehmen und sofort operative Massnahmen anzuschliessen.
Als Narkoticum verwende ich bei allen meinen Operationen den
Aether sulfuricus und als Narkoseart die Tropfnarkose. Ich habe
mit dieser Narkose im allgemeinen ganz vorzügliche Erfolge auch
in der Kriegschirurgie erzielt. Allerdings kommt es vor, dass man
mit Aether allein nicht eine ganz tiefe Narkose erzielt, dann kom¬
biniere ich die Aethernarkose mit Chloroform, indem ich zeitweise
einige wenige Tropfen Chloroform an Stelle des Aethers geben
lasse, oder ich gebe dem Kranken vor der Operation Morphium-
Scopolamin. Bei allen Gehirnoperationen bin ich mit Aether allein
ausgekommen, und zwar meist mit sehr wenig Aether. Je ge¬
schickter der Narkotiseur ist, um so weniger Aether braucht er.
Digitized
bv Google
Original from
UNIVER.SITY OF IOWA
140
\Y. H. Müller,
Digitized by
Es ist nun bei allen Gehirnoperalionen Tatsache, dass man nur eine
vollkommene Betäubung einzuleiten braucht, und von dem Moment,
wo man am Gehirn selbst operiert, nur ganz geringe Mengen von
Narkoticum zur dauernden Unterhaltung der Narkose zu verwenden
nötig hat. Gerade darauf ist besonders zu achten, dass während
der Operation am Gehirn selbst wenig oder kein Narkoticum ver¬
abreicht wird, dann wird man auch nie irgend welche Komplika¬
tionen von seiten der Narkose erleben.
Weiter lege ich Wert darauf, dass die Operationen nach Mög¬
lichkeit beschleunigt werden; ein rasches, aber natürlich exaktes
Operieren ist von grösstem Vorteil für den Kranken.
Was nun den allgemeinen Verlauf der Heilung anlangt, so
sind die Erfolge hinsichtlich der Wundheilung ganz hervorragende.
Ich habe nur in einem Falle eine akute Meningitis direkt nach der
Operation beobachtet, während alle anderen Fälle frei von einer
Infektion der Meningen durch die Operationswunde blieben. Es ist
ja klar, dass alle diese Verletzungen infiziert sind, und man kann
auch aus der äusseren Beschaffenheit der Wunden stets auf In¬
fektion derselben schliessen. Aus welchen Gründen ist nun bei
der grössten Mehrzahl die Meningitis verhütet worden? Hierbei
spielen entschieden zwei Umstände die Hauptrolle. Erstens be¬
sitzen die Meningen die Eigenschaft, mit einer bestimmten Menge
von Bakterien bestimmter Art und Virulenz fertig zu werden und
die Fähigkeit, um die Wunde herum einen Schutzwall gegen das
weitere Vordringen der Bakterien zu bilden. Ich möchte diese
Schutzwirkung der Meningen mit der Schutzkraft des Peritoneums
vergleichen. Wir alle wissen, dass das Bauchfell eine gewisse
Menge Bakterien niederzuringen vermag, und dass es durch Ver¬
klebungen um die Infektionsherde herum die weitere Ausbreitung
der Infektion zu verhindern sucht. Genau so verhält es sich bei
den Meningen. Wäre nicht die schützende Wirkung der Meningen
vorhanden, so müsste uns jeder Gehirnschuss an Meningitis zu¬
grunde gehen. Der zweite Umstand, der bei der Verhinderung der
Meningitis eine Rolle spielt, ist die Zeit, welche vergangen ist, bis
der Verletzte zur Operation kam. Es konnten in der Zeit von
30 und mehr Stunden, bis zur Operation geschritten werden konnte,
in den Meningen Verklebungen entstehen, welche einen Schutzwall
gegen die eindringenden Bakterien bildeten. Von diesen Erwägungen
ausgehend habe ich nun bei der Operation darauf geachtet, in die
Meningen selbst nicht, weiter einzudringen, ich habe vermieden,
dieselben weit in die Umgebung der Wunde zu spalten. Dadurch
wurde der bestehende Schutzwall nicht zerstört. Es lässt sich
auch ohne Vergrösserung der Wunde der Dura mater genügend tief
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 141
in das Gehirn eindringen, um Splitter zu entfernen und nach diesen
zu suchen. Auf die Gehirnmasse selbst braucht man weniger
Rücksicht zu nehmen. Dieselbe ist gewöhnlich in der Umgebung
der Wunde stark zerstört und man kann dreist in dieselbe ein¬
dringen, um nach Splittern zu suchen. Dass man natürlich dabei
wichtige Centren nach Möglichkeit zu schonen sucht, ist selbst¬
verständlich. Diese Verhältnisse zeigen, dass man mit viel weniger
Fällen von Meningitis zu rechnen hat, als man vorher hätte an¬
nehmen sollen.
Was die Lähmungen anlangt, welche nach Verletzung wichtiger
Centren auftreten, so findet man nach einigen Monaten meist eine
wesentliche Besserung derselben. Natürlich hängt die Prognose
ganz von der Grösse der Zerstörung im Bereich der Centren ab.
Jedenfalls besteht aber die Möglichkeit, dass sich die Lähmungen
noch nach langer Zeit langsam bessern. Die Grenze ist ungefähr
4—5 Monate. Lähmungen, welche nach dieser Zeit nicht gebessert
sind, gehen nicht mehr zurück.
Eine weitere Komplikation, welche nach den Gehirnverletzungen
auftritt, sind die Erweichungsherde und Abscesse, die noch nach
langer Zeit auftreten können. Es gibt für dieselben zwei Ursachen,
erstens Projektile oder Knochensplitter, welche in der Gehirnraasse
zurückgeblieben sind, zweitens Blutergüsse, welche ohne direkte
Verletzung des Gehirns entstanden sind. Diese Erweichungsherde
treten oft erst nach mehreren Wochen nach der Verletzung zutage
und bilden eine Komplikation, welche die Prognose wesentlich
trübt. Um diese Erweichungsherde zu verhüten, gibt es nur ein
Mittel, das ist die sichere Beseitigung aller Splitter und Projektile
und Eröffnung etwa vorhandener subduraler oder intracerebraler
Blutergüsse. Die Erweichungsherde führten in allen unseren Fällen
nach einiger Zeit ad exitum und zwar entweder infolge Infektion
der Basilarmeningen oder infolge Durchbruchs in den Ventrikel.
Ich leugne nicht, dass die Eröffnung der Herde und Drainage zur
Ausheilung des Erweichungsherdes führen kann, halte aber trotz¬
dem die Aussicht auf Heilung für recht gering und das Auftreten
der Erweichungsherde für ein schlimmes Omen. Es ist bei einer
längeren offenen Behandlung eine Infektion des Erweichungsherdes,
falls er nicht schon vorher infiziert war, kaum oder nur sehr
schwer zu vermeiden, namentlich wenn die Ausheilung nicht rasch
vor sich geht. Ausserdem ist das Fortschreiten durch die weiche
Hirnmasse stark begünstigt.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen will ich in dem
Folgenden auf die einzelnen Arten der Verletzungen an der Hand
von Fällen etwas näher eingehen. Die für die chirurgische Be-
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
142
\Y. B. Müller,
Digitized by
handlung dankbarsten Verletzungen stellen die Tangentialschüsse
dar. Von diesen gibt es zwei Arten, die Tangentialschüsse ohne
Knochen- und Gehirnverletzung, also die reinen Weichteilschüsse,
und die Tangentialschüsse mit Knochen- und Gehirnverletzung.
Ich unterscheide absichtlich nur diese beiden Arten, weil ich hin¬
sichtlich der praktischen chirurgischen Behandlung und nach den
Erfahrungen einen Tangentialschuss mit Knochenverletzung ohne
Verletzung des Gehirns nicht anerkenne. Es könnte theoretisch
wohl möglich sein, dass ein Projektil den Knochen verletzt, ohne
das Gehirn mit zu verletzen. Erfahrungsgemäss kommen aber
solche Verletzungen nicht vor, wenigstens habe ich keine beob¬
achtet, und es ist auch nicht anzunehmen. Jedenfalls soll der
Chirurg nie, selbst bei der leisesten Verletzung des Schädel¬
knochens, sich verleiten lassen, eine Gehirnverletzung auszuschliessen.
Wir wissen schon aus der Friedenschirurgie, dass die Tabula interna
des Schädels viel stärker und ausgiebiger springt und zersplittert,
während die Tabula externa bisweilen nur einige kleine Risse auf¬
zuweisen hat. Dieselbe Erfahrung habe ich in jedem Falle ge¬
macht und war oft erstaunt, wie stark die Tabula interna zer¬
splittert war und diese Splitter tief in die Gehirnmasse einge¬
drungen waren, während der Schädelknochen von aussen nur eine
geringe Impression zeigte. Dieser Umstand gibt bei allen solchen
Verletzungen der Trepanation volle Berechtigung. Auf die ein-,
fachen Wcichteilschüsse brauche ich nur mit wenigen Worten näher
einzugehen. Sie fesseln unser Interesse nur in zwei Richtungen.
Es ist vor allem genau nachzuweisen, dass es sich um einen reinen
Weichteilschuss handelt. Dies kann man nur durch eine genaue
Untersuchung der Wunde feststellen, und zwar rate ich zu einer
Inspektion der Wunde in Narkose. Ist der Kranke narkotisiert,
so kann man die Wunde besser und intensiver revidieren und. das
ganze Wundbett freilegen. Ich habe aber diese Wunden nicht so
ohne weiteres mit Haken auseinandergezogen, sondern ich habe die
Wunde in ihrer ganzen Ausdehnung Umschnitten. Dies ist nun
zwar eine etwas grössere Operation, bietet aber in mehrfacher
Hinsicht Vorteile. Die Wunde zeigt stets stark zerquetschte Ränder
mit infizierten Hautfetzen. Dadurch dass ich die Wunde in einer
Entfernung von 1 / 2 —1 cm vom Wundrand umschneide, wird der
grösste Teil der infizierten gequetschten und zerfetzten Gewebe
entfernt und bei einiger Geschicklichkeit des Operateurs eine In¬
fektion der neugesetzten Wunde in vielen Fällen verhütet. So er¬
halte ich eine neue Wunde, welche auch eine genauere Uebersicht
gestattet. Wird die Wunde nicht Umschnitten, sondern in der
primären Wunde nach Knochenverletzungen gesucht, so verschleppt
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 143
man die in den gequetschten Massen befindlichen Bakterien noch
tiefer in die Gewebe, Lymphbahnen usw. hinein und beobachtet
dann schwere Infektion und Eiterung. Nach der Umschneidung
sieht man genau, wie weit die Einwirkung des Geschosses geht.
Findet man nun dennoch eine Verletzung des Knochens, so kann
man jetzt ohne Sorge die Trepanation anschliessen und Splitter
entfernen, es wird dann keine Infektion eintreten. Man wird näm¬
lich bei dieser Wundinspektion noch in vielen Fällen eine Ver¬
letzung des Knochens finden, die man vorher nicht glaubte an¬
nehmen zu müssen. Stellt sich die Wunde als reine Weichteil¬
wunde heraus, so habe ich nunmehr die ganze Wunde durch Naht
geschlossen und nur in die eine Ecke einen kleinen Gazestreifen
eingelegt, welcher bei reaktionslosem Verlaufe am zweiten Tage
entfernt wurde. Die so behandelten Wunden heilten zum aller¬
grössten Teile per priraam und es wurde eine wesentliche Abkürzung
der Heilungsdauer und eine strich förmige, den Kranken später nicht
behindernde Narbe erzielt. Umschneidet man die Wunde nicht, so
wird die Heilung wesentlich verzögert und es entsteht meist eine
breite, mit der Unterlage fest verwachsene Narbe. Die Wund¬
behandlung kann aber nur unter Narkose oder mit Lokalanästhesie
vorgenommen werden. Operiert man in einem grösseren Lazarett
und gutem Operationssaal, so ziehe ich die Lokalanästhesie vor,
wenn genügend Zeit vorhanden ist. Im anderen Falle verwandte
ich Aethernarkose. Bei dieser Behandlung habe ich nur in 4 pCt.
der Fälle Infektion der Wunde gesehen, welche aber, da ein
kleiner Tampon eingelegt wird, nie grössere Komplikationen ge¬
bildet hat.
Bei weitem interessanter sind die Tangentialschüsse mit
Knochenverletzung und Gehirnverletzung. Bei diesen ist eine sach-
gemässe chirurgische Behandlung von dem grössten Werte und für
den Kranken direkt lebensrettend. Die Verletzten kamen in teils
schwerkrankera, teils in ganz leichtkraukem Zustande in unser
Lazarett. Diejenigen Kranken, welche benommen aufgenommen
wurden, erheischten selbstredend sofort chirurgische Behandlung,
während man bei denjenigen, die nicht benommen waren, keine
Lähmungen aufwiesen und nur geringe Symptome einer Gehirn¬
verletzung zeigten, im Zweifel sein konnte, ob sofort operiert
werden sollte. Es war mein Grundsatz, jeden Fall operativ zu
behandeln, und es stellte sich dabei heraus, dass die benommenen
Kranken nicht immer schwerer verletzt waren, als die keine
schwereren Symptome darbietenden. Bei der Operation waren wir
im Gegenteil oftmals erstaunt, welch ausgedehnte Zertrümmerung
des Knochens und tiefgehende Verletzungen der Gehirnmasse sich
Digitized
bv Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
144
\Y. B. Müller
Digitized by
bei einem anscheinend leicht Verletzten vorfanden. Es stellte sich
bei allen unseren Fällen heraus, dass der Symptomenkomplex am
Patienten keinen Massstab in allen Fällen für die Ausdehnung der
Verletzung darbietet. Kommt es doch ganz darauf an, welche
Teile des Gehirns verletzt sind. Verletzungen des Hinterhaupts
oder Stirnlappens des Gehirns riefen meist weniger schwere Sym¬
ptome hervor, als die Verletzungen in den Gegenden der Central¬
windungen. Jedenfalls soll man die Tangentialschüsse, wenn der
Kranke auch einen leichtverletzten Eindruck macht, nicht unter¬
schätzen, ist doch die Wirkung des Geschosses auf den Knochen
eine so starke, dass grosse Splitter tief in die Gehirnmasse hinein¬
getrieben werden, und der Kranke schwebt in der grössten Gefahr,
wenn es nicht gelingt, alle Splitter in dem Gehirn zu finden oder
wenn man gar die Entfernung der Splitter unterlassen würde. Es
ist überhaupt nicht leicht, jeden Splitter zu finden und es ist ent¬
schieden Glück, wenn man alle findet, es kann aber, ohne dass
man dem Operateur einen Vorwurf machen kann, passieren, dass
ein Splitter nicht gefunden wird. Die Splitter, die Zurückbleiben,
rufen später immer Komplikationen schwerster Art hervor, es ist
daher anzuraten, bei der Operation intensiv nach Splittern zu suchen.
Wenn man dabei anscheinend in der Gehirnwunde noch grössere
Verheerungen anrichtet, so schadet dies nicht soviel, als wenn ein
Splitter übersehen wird. Man ist ja geneigt, das Gehirn als
empfindlicher anzusehen, als es in Wirklichkeit ist, braucht daher
nicht übermässig ängstlich zu sein, freilich soll nicht geleugnet
werden, dass man mit zarter Hand und entsprechender Vorsicht
zu Werke gehen muss. Vor allen Dingen muss man sich durch
eine genaue körperliche Untersuchung vor der Operation davon
überzeugen, welche Centren im Gehirn in Mitleidenschaft gezogen
sind. Danach wird man ausgerüstet mit den notwendigen Kennt¬
nissen über den Bau des. Gehirns wissen, wie weit man im Suchen
von Splittern gehen darf.
Ein weiter zu beachtender Umstand ist die Frage, wie weit
der Schusskanal im Knochen des Schädels erweitert werden darf.
Ich habe da nach Möglichkeit am Knochen gespart. Es wurden
die losgesprengten Knochenstücke entfernt, nur dann wurde noch
mehr von dem festen Schädelknochen mit der Knochenzange ent¬
fernt, wenn der Zugang nicht genügend gross war, um die Gehirn¬
wunde genau nach Splittern absuchen zu können. Man wird natür¬
lich so wenig wie möglich von Knochen entfernen, nur soll man
nicht auf Kosten der Uebersichtlichkeit an Knochen sparen. Der
Defekt im Schädel bietet weniger Gefahr, als das Uebersehen von
Knochensplittern im Gehirn. Ich habe bei Tangentialschüssen,
Go^ 'gle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
145
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung.
selbst wenn viel Knochen entfernt wurde, so dass Defekte von
Fünfmarkstückgrösse entstanden, nie Gehirnprolapse gesehen. Wenn
irgend möglich habe ich das Loch im Schädel soweit vergrössert,
dass ich mit einem Finger eindringen und die Gehirnwunde ab¬
tasten konnte. Den entstehenden Defekt des Schädels habe ich
zunächst nur mit der Kopfschwarte überdeckt. Die Gehirnwunde
wurde mit einem Gazestreifen tamponiert, welcher durch einen
Wundwinkel nach aussen geleitet wurde. Die Kopfschwarte, die
angefrischt war, wurde fest und peinlich vernäht und nur ein kleiner
Spalt für den schmalen Gazestreifen offen gelassen. Am 2. Tage
wurde stets der Tampon entfernt, Heilung erfolgte stets per primam,
bisweilen trat eine ganz geringe Absonderung aus der Tampon¬
öffnung auf. Fieber war nach diesen Operationen nie vorhanden.
Gerade darauf, dass die Kopfschwarte über der Wunde vernäht
wird, legte ich besonderen Wert, und zwar deshalb, w r eil dadurch
die Narbe selbst über einem grossen Knochendefekte schmal und
fest wird, während in den Fällen, wo die Wunde offen behandelt
wird, wie ich es bei einem nicht von mir operierten Falle sah,
eine enorm breite dünne Narbe entsteht. Dadurch aber, dass die
feste Galea über der Gehirnwunde verheilt, verhütet man soviel
wie möglich Gehirnprolapse und erleichtert eine spätere plastische
Operation zum Verschlicssen des Knochendefektes ganz wesent¬
lich. Der plastische Verschluss des Knochendefektes ist nicht in
allen Fällen nötig. In denen, wo eine schmale, 1— \ l j 2 cm breite
Knochenrinne durch das Geschoss und die Operation entstanden
ist, wird der Verschluss derselben operativ nicht notwendig werden,
da sich die Knochenwunde von selbst wesentlich verkleinert und
bei guter Heilung der Galea ein ausreichend fester bindegewebiger
Abschluss entsteht. Nur bei grösseren Defekten ist Knochen¬
deckung notwendig, die am besten aber erst mehrere Monate nach
der definitiven Heilung vorgenomracn wird.
Nach dieser Art sind 25 Tangentialschüsse mit Knochen- und
Gehirnverletzung behandelt worden, von denen 2 gestorben sind =
<s pCt. Von diesen ist 1 Fall an akuter Meningitis gestorben. Bei
demselben war die Infektion eine sehr schwere, schon vor der
Operation waren meningitische Zeichen vorhanden, mehrmals
Krämpfe. Es war da auch nach der Operation keine Besserung
eingetreten, und Pat. kam 12 Stunden später infolge der Meningitis
ad exitum.
Der zweite Todesfall war bedeutend interessanter.
Es betraf den Musketier E.. welelier am 25. S. verwundet worden war
und erst am 1. 9. in unser Lazarett eini^diefert wurde. Pat. ist nieht be¬
nommen, es finden sieh an Extremitäten und Faeialis keim* Lähmungen. Am
Archiv für klm. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. ]()
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
146
W. B. Müller,
Digitized by
Hinterkopf findet sieh in der Hübe der grossen Fontanelle eine Einsehussöffnun^
von rundlicher Form und G ein nach rechts die Ausselmssöffnung. Die Wunden
sind schmierig belegt, kein Fieber. Pat. hat heute 2mal Krämpfe gehabt.
Es wird zur Operation geschritten. Die Wunden werden Umschnitten
und durch einen Schnitt vereinigt. Danacli findet man eine quer in der Bichtumr
des Schusskanals verlaufende, 3 cm lange, 2 cm breite knochenwunde, aus
welcher (iehirnmasse hervorquillt. In der (iehirnmasse liefen tief drinnen
4 Knochensplitter von der Grosse von 3 X 2 cm. Dieselben werden tief aus der
Gehirnwunde entfernt. Daneben werden einzelne Blutgerinnsel und lose Hirn-
massen entfernt. Die Verletzuni: betraf den rechten Hinterhaupt lappen. Man
kann mit dem Finder tief in das Gehirn hineindringen, ohne noch weiter^
Knochensplitter zu finden. Die entfernten Splitter sind auf Taf. VII, Fig. 1 in der
zweiten Keihe mit abgebildct. In die Gehirnwunde wird locker ein Gazestreifen
eingelegt. welcher zum linken Wundwinkel herausgeleitet wird. Die Weichteile
werden durch Naht exakt geschlossen.
Die Temperatur war an den nächsten Tagen 37° und stieg am 3. Tai:e
nach der Operation einmal auf 3S° abends, um vom nächsten Tage an normal
zu bleiben. Der Tampon wurde am 2. Tage entfernt, die Wunde war reaktions-
los, Krämpfe sind nach der Operation nicht wieder aufgetreten. 3 Wochen nach
der Operation war das Befinden ganz gut, kein Kopfschmerz, keine Lähmungen,
kein Schwindel, keine Augenstörungen.
Am 10. 10. klagt Pat. über Schwindel, Kopfschmerzen und Flimmern vor
den Amten. Diese Beschwerden bestehen in wechselnder Intensität, zeitweise
auch ganz fehlend, Ins zum 30. 10. An diesem Tage klagt Pat. über stärkere
Kopfschmerzen, und es tritt abends ein typischer Krampfanfall auf. An den
folgenden Tagen wird tätlich ein Krampfanfall beobachtet, Pat. klagt über
starke Kopfschmerzen und Schwindel. Am 4. 11. sind mehrmals Krämpfe aul¬
getreten, welche stets in den linken Extremitäten beginnen und dann den
ganzen Körper befallen. Die Temperatur ist normal, der Puls stark ver¬
langsamt.
Nach diesen Symptomen wird ein Erweicbungsherd im rechten Hintrr-
liauptlappen angenommen und heute zur Operation geschritten. Die Narbe am
Hinterkopf wird in ihrer ganzen Ausdehnung incidiert und man gelangt in eine
ca. 3 ein lange, ca. 1 cm breite Knochenrinne. Die Dura mater wird vom
Knochen gelöst, die Knochenrinne wird etwas verbreitert. Im linken Winkel
der Narbe der Dura mater fühlt man deutlich eine harte »Stelle, an welcher
eine Ineision gemacht wird. Man gelangt sofort auf einen Knochensplitter v»*n
der Grösse von 2X1 cm, welcher etwa dreieckig und dünn ist und einen Teil
der Tabula interna repräsentiert. Um den Knochensplitter herum hat sieh ein
kleiner Erweichungsherd gebildet, die Erweichungsmasse quillt heraus. Der
Erweicbungsherd wird tamponiert und nach aussen drainiert. Die Kopfsehwarir
bis auf eine kleine Oeffnung für den Tampon geschlossen.
Schon am nächsten Tage völliges Wohlbefinden. Keine Krämpfe, kein
Kopfschmerz, kein Flimmern vor den Augen. Temperatur normal. Der Tampon
wird am dritten Tage entfernt, keine Eiterung.
In den nächsten Tagen fühlt sieh Pat. ganz wohl. Kein Kopfschmerz,
kein Schwindel.
Bis 4. 12. hat sieh Pat. ganz wohl gefühlt. Heute klagt er wieder über
Kopfschmerz und Schwindel. Diese Beschwerden hielten bei normaler Tempe¬
ratur mit wechselnder Intensität bis 12. 12. an. Es wird daher am 12. 12. di-'
Narbe am Hinterkopf nochmals geöffnet, und man findet nach Eröffnung ih-r
Dura mater einen dicht unter derselben in einem kleinen ErwcichungshenU
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 147
liegenden, ca. 2X1 cm grossen Knochensplitter. Derselbe wird entfernt, der
Erweichungsherd mit Gaze nach aussen drainiert. Die Wunde wird teilweise
vernäht. Nach dieser Operation trat keine wesentliche Besserung auf. Die
Temperatur war normal, doch besserten sich die Kopfschmerzen nicht. Da sich
neben diesen Beschwerden Schwindel, Flimmern vor den Augen und leichte Be¬
nommenheit einstellten, wird am 2. 1. 15 die Narbe nochmals .eröffnet und eine
Probepunktion vorgenommen. In einer Tiefe von ca. 3 cm gelangt man auf
einen Erweichungsherd. Derselbe wird eröffnet und cs entleeren sich ca. 100 ccm
gelber eitriger Flüssigkeit. In den Abscess wird ein Guinmidrain eingelegt und
die ganze Wunde offen gelassen. An den nächsten Tagen war das subjektive
Befinden gebessert, doch stieg die Temperatur bis 9. 1. auf 39° an. Danach
langsamer Abfall des Fiebers, am 13. 1. normale Temperatur, doch bestellen
wieder Kopfschmerzen. Bis 24. 1. war die Temperatur normal, zeitweise starker
Kopfschmerz, an diesem Tage abends wieder 3S Ü C, leichte Benommenheit und
viel Kopfschmerz. Die Temperatur steigt an den nächsten Tagen bis 39° C
an, Benommenheit vermehrt sich, mehrmals täglich Erbrechen, keine Krämpfe.
Am 2S. 1. früh erfolgt unter Anstieg der Temperatur auf 40° C Exitus letalis.
Bei der Autopsie findet, sieh eine eitrige Pachvineningitis. Im Üeeipital-
liirn findet sieh auf dem Querschnitt ein etwa walnussgrosser Eiterherd, in
dessen Eingebung reichliche Hämorrhagien. Der Abscess ist in den rechten
Seitenventrikel durchgebrochen, der Seitenventrikel ist mit Eiter angefüllt, er¬
weitert und bildet im Stirnhirn einen etwa haselnussgrossen Abscess (s. Taf. VII,
Fig. 2). Die photographische Aufnahme der Gchirnsehnitte vom Oreipitallappen
bis zum Frontallappen zeigt diese Verhältnisse deutlich.
Es war in diesem Falle durch das Zurückbleiben von zwei
Knochensplittern im Gehirn ein Erweichungsherd entstanden, der
dann einen Abscess bildete, der in den Seitenventrikel durchbrach
und eine Vereiterung desselben hervorrief, welcher der Patient
erlag. Dieser Fall ist ein Beispiel dafür, dass die im Gehirn
zurück bleibenden Knochensplitter zu ernsten Folgezuständen führen,
und dass man nach Möglichkeit jeden Splitter entfernen soll. Es
ist nicht anzunehmen, dass solche Knochensplitter reaktionslos ein¬
heilen, sondern es treten meist Erweichungsherde um solche Fremd¬
körper herum auf. Dass diese Erweichungsherde sehr gefährliche
Folgezustände darstellen, zeigt dieser Fall ebenfalls, die Gefährlich¬
keit erhellt auch aus den abgebildeten Gehirnschnitten.
Die übrigen Tangentialschüsse mit Gehirnverletzungcn sind
ohne diese Komplikation geheilt. Die Folgezustände, die sich ein¬
stellten, waren nur die aus der jeweiligen Verletzung der be¬
treffenden Gehirncentren entstehenden Lähmungen. Es ist aber
erstaunlich, wie diese Lähmungen, namentlich der Extremitäten, in
den meisten Fällen schon nach wenigen Wochen fast ganz zurück¬
gehen. Ich möchte hier nur zwei von meinen Fällen, die Patienten
H. und J., auf Taf. VII, Fig. 3 und Taf. VIII, Fig. 4 anführen, bei denen
schwere Verletzung in der Gegend der rechten Centralwindungen vor¬
lag, man sieht auf den Bildern noch die ausgedehnten Narben mit
Knochendefekt. In beiden Fällen gingen die anfänglichen Lähmungen
io*
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
148
IV. 13. Müller,
Digitized by
der Extremitäten vollkommen zurück, es blieb nur eine leichte
Facialisparese bestehen. Aus den beiden Abbildungen ist auch
deutlich zu sehen, wie dank der exakten Vereinigung der Weich¬
teile über dem Schädeldefekt durch Naht eine schmale und feste
Narbe entsteht. Wenn die Lähmungen allerdings nicht schon nach
6 Wochen wesentlich gebessert sind, so bleiben sie meist bestehen,
es ist dann eben eine vollkommene Zerstörung des betreffenden
Centrums vorhanden.
Was andere Beschwerden anlangt, so bestehen bei den meisten
Patienten zeitweise Kopfschmerzen, Flimmern vor den Augen und
eine allgemeine nervöse Schwäche, Symptome, welche mehr als
rein neurasthenische aufzufassen waren und sich mit der Zeit
wesentlich besserten. So habe ich 6 meiner Patienten, bei denen
schwere Verletzungen Vorlagen, nach 3—4 Monaten ohne Be¬
schwerden entlassen können, von denen einer sogar wieder beim
Ersatztruppenteil Dienst tut. Der Eintritt der Dienstfähigkeit wird
ja in den meisten Fällen weniger von den subjektiven Beschwerden
abhängig zu machen sein, als von dem objektiven Befunde der
Narbe und des Knochens. Es wird sich auch weniger darum han¬
deln, die Leute wieder dienstfähig zu machen, denn dafür werden
die meisten Verletzungen von Anfang an jede Aussicht aussehliessen,
als vielmehr die Verletzten für die Ausübung eines bürgerlichen
Berufes tauglich zu machen. Die Möglichkeit, militärischen Dienst
zu tun, wird nur in Ausnahmefällen vorhanden sein, immerhin kann
man auch dieselbe in Betracht ziehen.
Bei den übrigen 17 Verletzten waren teilweise Lähmungen
zurückgeblieben, so dass dieselben für jeden militärischen Dienst
ausfielen, trotzdem aber so weit wieder hergestellt waren, dass sie
einen bürgerlichen Beruf vollkommen ausfüllen konnten.
Was nun die geistigen Fähigkeiten der Patienten anlangt, so
war bei einem Teil eine geringe Verminderung, namentlich der
raschen Denkfähigkeit, des Gedächtnisses und der Urteilskraft an¬
zunehmen. Es ist dies um so schwerer zu beurteilen, als man
die betreffenden Leute vor ihrer Verletzung nicht gekannt hat.
Jedenfalls haben wir schwere geistige Störungen nicht beobachten
können. Die Jackson’sche Epilepsie ist auch nicht beobachtet
worden, dürfte auch so kurze Zeit nach der Verletzung nicht
auftreten. Dieselbe bietet für jeden unserer Patienten eine zu¬
künftige Gefahr. Es wird sich erst lange Zeit nach dem Kriege
entscheiden lassen, in wieviel Prozent der Fälle dieselbe auf-
tritt. Dass die Gehirn- und Duranarbe noch später die Jackson-
sche Epilepsie auslösen kann, ist natürlich in allen diesen Fällen
möglich.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 149
In allen Fällen zeigten sich bei meinen Patienten leichte
neurasthenische Beschwerden, die aber die sichere Tendenz wieder
zurückzugehen aufwiesen.
Aus diesen Ergebnissen ist der erfreuliche Schluss zu ziehen,
dass diese Verletzungen bei der beschriebenen Behandlung in den
meisten Fällen mit geringen Beschwerden heilen.
Bedeutend gefährlicher erwiesen sich die Centralschüsse. Es
ist anzunehmen, dass ein grosser Teil derselben bereits auf dem
Schlachtfelde oder kurz nach der Verletzung ad exitum kommt.
Deshalb ist auch die Zahl derselben, die in unsere Behandlung
kam, eine bedeutend kleinere. Von Steckschüssen, bei denen das
Geschoss im Innern des Schädels liegen geblieben ist, habe ich
nur 4 Fälle gesehen.
Der eine Fall betraf einen Schuss durch kleinen Granatsplitter in die
linke Stirnseite. Der kleine Granatsplitter war drei Querfinger oberhalb der
linken Augenbraue an der Stirn in der Gegend des linken Stirnhöckers cin-
gedrungen und war durch den Knochen in das linke Stirnhirn eingedrungen.
Der Granatsplitter fand sieh auf dem Röntgenbilde ungefähr in der linken
Schläfengegend im Stirnhirn. Beschwerden irgendwelcher Art waren 3 Monate
nach der Verletzung nicht mehr vorhanden, so dass Hat. dienstfähig entlassen
wurde. Die subjektiven Klagen direkt nach der Verletzung bestanden nur in
Kopfschmerzen, Schwindel und l-ebelscin. Leichte Sprachstörung bestand in
den ersten Wochen. Sämtliche Beschwerden waren zurückgegangen.
Ein wesentlich anderes Bild bot der zweite Fall:
Fs handelte sich um den Unteroffizier G., welcher am 22. 8. 1914 durch
einen Granatsplitter an der rechten Kopfseite verwundet wurde. Es fand sich
an der rechten Kopfseite, ungefähr 3 Querfinger rechts vom Wirbel eine kleine
rundliche, circa erbseugrosse Einschussöffnung. Die linken Extremitäten sind
vollkommen gelähmt, ebenso linker Facialis, Blase und Mastdarm. Fat. ist
benommen, reagiert nur sehr wenig auf Anrufen. Temperatur normal. In
diesem Zustande wird er am 25. S. hier eingeliefert. Am 2(>. 8. wird die
Operation vorgenommen. Umschneiden der Wunde. Im Knochen findet sich
ein circa erbsengrosses Loch. Dasselbe wird erweitert. Man gelangt in einen
Schusskanal im Gehirn. Die Sonde dringt 12 cm tief ein, ein Projektil wird
nicht gefunden. Die Gehirnwunde wird leicht tamponiert. An den nächsten
Tagen besteht normale Temperatur, die Benommenheit bessert sich, doch lie¬
st eben die Lähmungen weiter. Vom 10. Tage nach der Operation an bestehen
abends buchte Temperatursteigerungen, bis 38° U, zeitweise wieder normale
Temperatur. Das Bewusstsein ist wiedergekehrt, Pat. spricht und erzählt vom
Krieg, doch ist die Sprache sehr langsam. Das Befinden ist trotz der Lähmungen
bei geringen Temperatursteigerungen ein leidliches gewesen bis 4. 10. An
diesem Tage stieg die Temperatur bis 40° U an, Pat. wird wieder benommen,
klagt über starke Kopfsehmerzen. wenn man ihn anruft. Am 14. 10. erfolgt
Exitus letalis.
Die Sektion ergab folgenden Befund: Am Schädeldach, rechts von der
Mittellinie, in der Höhe der Fontanellengegend findet sich eine für (‘inen Finger
durchgängige Oeffnung, aus welcher zerfallene Gehirnmassen hervorragen. Die
Dura mater ist fest mit den Rändern der Oeffnung verwachsen. Nach Eröffnen
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
150
W. H. Müller,
Digitized by
des Schädels und der Dura mater »relan^t man in eine in der postecntralen
Windung gelegene Höhle, in welche man mit dem Finger eindringen kann. Das
Gehirn wird in toto lierausgenuminen und fixiert. An der Schädelbasis findet
man dicht neben dem Koramen ovale einen 1 X 0,5 ein grossen Granatsplitter
(s. Taf. VII, Fig. 1 unterhalb der Knochensplitter). Das fixierte Gehirn wird in
Scheiben geschnitten, und man findet einen das «ranze rechte Hirn durch¬
setzenden Erweiehungsherd, welcher von der Wunde ausgeht und an der
Gehirnbasis mit einer kleinen Ocffnung endet. In Taf. VIII, Fig. 5 sind diese
Zerstörungen im Gehirn deutlich zu sehen. Der Inhalt der Höhle setzte sich
nur aus Detritusmassen zusammen. Eiter war nicht vorhanden. Ebenso waren
die Meningen nicht eiterig entzündet, es fand sich nur eine leichte Trübung der
Pia mater. Der Tod war in diesem Fall infolge der starken Zerstörung im Ge¬
hirn. welche die motorischen Centren der rechten Hirnhälfte zerstörte, durch
infolge der Lähmungen entstandene Decubitusgeschwüre und daher resultierende
allgemeine Septikämie herbeigeführt worden, ohne dass eine eiterige Meningitis
entstanden war.
Aus diesem Fall ersieht man, dass die Steckschüsse zu den
schwersten Zerstörungen im Gehirn führen können, und dass man
die Prognose in solchen Fällen immer mit der grössten Vorsicht
stellen soll. Es war in diesem Fall die Anwesenheit des Granat¬
splitters bei dem weiteren Verlaufe vollkommen gleichgültig. Der¬
selbe hatte das Gehirn glatt durchschlagen und wäre in seiner Lage
neben dem Foramen ovale auf der Schädelbasis ohne jede Bedeutung
geblieben, wenn nicht in dem Schusskanal infolge der Blutung und
der starken Zertrümmerung der Gehirnmasse ein grosser Erweichungs¬
herd entstanden wäre. Es würde also für den Kranken nicht von
Nutzen gewesen sein, wenn man den Granatsplitter entfernt hätte.
Die Gefahr ist eben nicht der Fremdkörper an sich, sondern die
Zerstörung beim Eindringen desselben. Dass der Granatsplitter
ohne Bedeutung war, zeigt das vollkommene Fehlen einer Basilar-
meningitis und jeglicher Zeichen einer Reizung in der Umgebung
des Granatsplitters. Der Kanal vom Erweichungsherd nach der
Gehirnbasis war reaktionslos verklebt und wurde erst beim Heraus¬
nehmen des Gehirns aus dem Schädel wieder eröffnet. Dass es
nicht angebracht ist, ohne zwingenden Grund nach einem solchen
Fremdkörper zu suchen, zeigt auch der oben erwähnte Fall, wo
der Fremdkörper, ohne einen Erweichungsherd zu bilden, eingeheilt
war und keine Beschwerden mehr hervorrief. Es wird uns also
auch bei den Steckschüssen des Gehirns der in der Chirurgie sonst
massgebende Grundsatz leiten, nicht nach dem Geschoss zu suchen,
wenn dasselbe nicht leicht zu finden ist.
Wie kann man nun einem derartig verletzten Kranken doch
noch Hilfe zu bringen versuchen? Man muss dabei von dem Ge¬
sichtspunkte ausgehen, den man auch bei Abscessen verfolgt, näm¬
lich dem Erweichungsherde möglichst reichlich Gelegenheit zum
Abfluss zu geben, d. h. man wird den Zugang erweitern und den
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung.
151
Erweichungsherd ausgiebig drainieren. Bei der Drainage solcher
Herde ist zweierlei zu bedenken: 1. Bei Einschussöffnungen an
dem oberen Teile des runden Schädels wird der Abfluss aus der
Gehirnwundc bei der ausgiebigsten Erweiterung der Knochenwunde
ungenügend sein; 2. bei zu grosser Eröffnung des Schädels wird
man die Gefahr des Gehirnprolapses fürchten müssen. Es würde
sich dem nur abhelfen lassen, wenn es gelingen würde, den Schuss-
.kanal und aus ihm sich bildenden Erweichungsherd nach unten
seitlich, also entweder vor oder hinter der Felsenbeinpyramide
durch Anlegen einer Gegenöffnung zu drainieren. Dadurch würde
der Inhalt Abfluss, erhalten, und man könnte eine Ausheilung
erwarten. Freilich stösst dieses Vorgehen auf grosse Schwierig¬
keiten, denn die Richtung des Schusskanals wird sich im Gehirn
nicht so ohne weiteres bestimmen lassen, wenn nicht das Röntgen¬
bild durch Lokalisierung des Geschossstückes einigen Aufschluss
gibt, ausserdem muss man den Schusskanal immer als infiziert
ansehen und man läuft Gefahr, durch Anlegen der Gegenöffnung
die Meningen an der Gehirnbasis zu infizieren. Immerhin würde
ich bei der Behandlung solcher Steckschüsse diese Behandlung in
Betracht ziehen.
Ausser diesen beiden Patienten habe ich noch 2 Fälle von
Steckschüssen behandelt, welche infolge der enormen Verletzung
sehr bald nach der Einlieferung ad exitum kamen. Dieselben
waren Granatsplitterverletzungen.
Der eine Fall zeigte an der linken Sehläfengegend eine fünfmarkstüek-
grosse Einschussöffnung, welche kraterförmig entlang der Felsenbeinpyramide
in die Tiefe führte. Man gelangte in dem Trichter in zerfallene Gehirnmassen.
Der Kranke war vollkommen bewusstlos. Es wurde die Wunde gereinigt,
Knochensplitter wurden entfernt und die Wunde mit Gaze ausgestopft. Der
Patient kam nach 24 Stunden unter meningitischen Erscheinungen ad exitum.
Es fand sich bei der Sektion eine grosse Zerstörung des linken Stirnhirns
bis in die Gegend der postcentralen Windung.
Der andere Fall war ganz ähnlich; es fand sieh da dicht oberhalb des
rechten Ohres eine circa fünfmarkstückgrosse Einschussöffnung im Schädel,
welche oberhalb der Felscnbeinpyramide nach dem Innern des Gehirns führte.
Auch in diesem Fall war die Zerstörung des Gehirns eine so ausgedehnte, dass
eine Genesung ausgeschlossen war.
Diese 4 Fälle zeigeu, wie schwer diese Verletzungen sind
und wie schlecht die Prognose ist. Sind die Verletzungen nicht
von Anfang an tödlich, so muss man mit dem Entstehen eines
Erweichungsherdes rechnen, und nur in ganz wenigen Fällen kann
man Heilung erwarten. Es wird nur dann eine günstige Prognose
zu stellen sein, wenn es sich um einen kleinen Granatsplitter
handelt und derselbe von der Stirn oder den Seitenflächen des
Schädels eingedrungen ist, während das Eindringen von dem Dache
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
152
W. B. Müller,
Digitized by
des Schädels selbst bei kleinem Granatsplitter immer schlechtere
Prognose abgibt. Grosse Granatsplitter, wie sie in den beiden
letzten Fällen vorhanden waren, geben immer die schlechtesten
Aussichten.
Bedeutend günstigere Resultate geben die transversalen Schüsse,
bei denen das Geschoss quer durch das Gehirn hindurchgedrungen
ist. Ich habe von diesen Verletzungen drei behandelt, alle drei
haben ausser teilweisen Lähmungen keinerlei Schaden davongetragen.
Es ist natürlich nicht im geringsten zu behaupten, dass jeder Trans¬
versalschuss so günstig verläuft, es kommen vielmehr nur die
wenigsten solcher Verletzten überhaupt in Behandlung, da die
meisten direkt bei oder kurz nach der Verletzung auf dem Schlacht-
fclde sterben. Man muss also die Fälle mit so günstigem Ausgang
immerhin als Ausnahmen ansehen, trotzdem zieht man aber den
interessanten Schluss, dass die Möglichkeit der Heilung besteht.
Die 3 Fälle waren folgende:
1. Infanterist St., verwundet am 25. S. dureli Granatsplitter. Es fand
sich eine eirea erbsengrosse Einschussöffnung an der linken Schläfe, wenig
unterhalb des linken Augenwinkels, die Ausschussöffnung fand sieh an der
rechten Schläfengegend, - Querfinger vor und oberhalb des rechten äusseren
Gchörganges. Das »Sehvermögen war beiderseits herabgesetzt, beide Augen stark
blutunterlaufen. Pat. ist bei der Aufnahme benommen. Das Bewusstsein kehrt
nach einigen Tagen wieder, und der Zustand bessert sieh von Tag zu Tag. Es
bleibt nur eine Verminderung der Sehschärfe auf dem linken Auge bestehen.
2. Landwehrmann Sch., verwundet am 25. S., angeblich durch Granat¬
splitter. Die Einschussöffnung, erbsengross, findet sich dicht hinter dem rechten
Processus mastoideus, Ausschussöffnung an der linken Schläfe, 3,5 cm nach
hinten vom linken Augenwinkel entfernt. Sehvermögen links stark herabgesetzt,
linkes Auge stark blutunterlaufen, keine Störungen des Gehörs, keine Bewusst¬
losigkeit bei der Aufnahme am 27. S. Pat. klagt nur über Kopfschmerzen.
Keine Lähmungen der Extremitäten, keine Sprachlähmungen. An den folgenden
Tagen bessert sich der Zustand wesentlich, nur die Verminderung der Seh¬
schärfe des linken Auges besteht weiter. Sonst von seiten des Gehirns keine
Erscheinungen.
3. Infanterist Sch. Derselbe wird am IS. 9. eingeliefert. Er ist nicht
benommen, doch vermag er nicht zu sprechen. Es findet sieh eine kleine
rundliche Einschussöffnung an der linken Schläfe, 2 Querfinger oberhalb des
äusseren Gehörganges, ungefähr 1 cm vor der Ohrmuschel. Die Ausschuss-
üffnung findet sich in der Mitte der Stirn, 2 Querfinger oberhalb des Ansatzes
des Nasenbeines. Rechter Eaeialis erscheint gelähmt. Sonst keine Lähmungen.
Die Wunden werden erweitert, und die im Schusskanal befindlichen Knochen¬
splitter werden entfernt. Das linke Stirnhirn ist durchschossen und stark zer¬
stört. Der weitere Verlauf gestaltet sich günstig, es kehrt nach 14 Tagen das
Sprachvermögen etwas wieder. Keine Störungen des Gehörs und Sehvermögens.
Die Eacialisparese hat sich gebessert. Am 25. 1. 1915 wird Patient ent¬
lassen. Er zeigt bei der Entlassung keinerlei motorische Lähmungen, keinen
Schwindel, Romberg, Kopfschmerz. Die Narben sind ohne Besonderheiten, die
Defekte im Knochen fest mit Bindegewebe geschlossen. Es besteht aber noch
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und dtjren chirurgische Behandlung.
153
eine fast vollkommene Lähmung der Sprache. Pat. kann nur wenige Worte
lallend sprechen, das Erinnerungsvermögen ist zum Teil geschwunden. Die Ant¬
worten, dii* Pat. auf Fragen zu geben vermag, erfolgen langsam und undeutlich,
meist antwortet er nur mit ja. Es besteht neben der Zerstörung des Sprach¬
zentrums und der Lähmung der Sprache auch eine starke Verminderung der
geistigen Fähigkeiten. So vermag er die Worte, welche man ihm vorspricht,
nicht niederzuschreiben, vermag sich nicht an die Arbeiten in seinem Beruf als
Schreiner zu erinnern, an Daten seines Lebens usw.
Diese drei Fälle von Transversalschüssen betrafen in den beiden
ersten Fällen hauptsächlich die Region der Gehirnbasis und zeigten
da die geringsten dauernden Schädigungen, während der dritte in¬
folge der starken Zerstörung ira linken Stirnhirn schwere dauernde
Schädigung hervorrief. Immerhin finden sich bei den doch zweifellos
bestandenen starken Verletzungen der Gehirnmasse keine Er¬
weichungsherde. Es ist wohl anzunehmen, dass bei der immerhin
schrägen Richtung des Schusskanals im Gehirn die Möglichkeit des
Abflusses des Blutes aus dem Schusskanal bestand. Ich bin aber
weit entfernt, diese Transversalschüsse als besonders günstig zu
bezeichnen und führe diese drei gerade deshalb an, weil ich sie
für immerhin seltene Ausnahmen halte.
Ehe ich zu den anderen Verletzungen des Gehirns übergehe,
möchte ich noch auf das Auftreten von Erweichungsherden nach
Gehirnschüssen in ganz anderen, meist dem Orte der Verletzung
entgegengesetzt liegenden Teilen des Gehirnes aufmerksam
machen, welche durch Blutungen infolge des Contrecoup entstehen.
So stellte mir Herr Direktor Dingel einen Fall aus der Heil- und
Pflegeanstalt Steinbach zur Verfügung, wofür ich ihm hiermit
meinen verbindlichsten Dank ausspreche.
Es handelte sich da um einen Schuss in die rechte Schläfe und Ausschuss
an der linken Stirn. Die Verletzung des Stirnhirns gab zu einer ei triefen Menin¬
gitis Anlass, an welcher Patient nach 14 Tauen zugrunde ging. Bei der Sektion
fand sich ausser der Zerstörung im rechten Stirnhirn noch ein hämorrhagischer
Erweichungsherd in dem rechten Oecipitalhirn. Derselbe war als Bluterguss in
der Hirnrinde entstanden, vollkommen getrennt durch gesunde Hirnabschnitte
von der primären Verletzung im Stirnhirn und somit als Wirkung des durch
den Schuss erzeugten Druckes im Gehirn innerhalb des Schädels aiizuschen.
Diesen Vorgang bezeichnet man als Contrecoup, also den Stoss des Gehirns
selbst gegen den Schädelknoehen, der zu der Hämorrhagie und dem aus dieser
entstehenden Erweichungsherd Anlass gegeben hatte.
Dieser Fall zeigt, dass man auch weit abseits von dem Orte
der Verletzung einen Erweichungsherd infolge Contrecoup finden
kann, und dass man gegebenenfalls an einen solchen denken muss.
Dieser Umstand stellt einen weiteren Punkt dar, welcher die Ge¬
fahren der Gehirnschüsse vermehrt.
Nach diesen Erörterungen über die Schussverletzungen des
Gehirns möchte ich noch an der Hand von 2 interessanten, von
Digitized by Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
154
W. B. Müller,
Digitized by
mir behandelten Fällen auf die Verletzungen des Schädels und Ge¬
hirns durch stumpfe Gewalt eingehen. Diese Verletzungen, die
wohl in den meisten Fällen noch auf dem Schlachtfelde tödlich
verlaufen, sind auch hier nur in 2 Fällen vertreten gewesen, aber
auch diese beiden bieten Interessantes genug, um hier erwähnt zu
werden.
Dpi* eint' Fall betraf den Landwehrmann Johann Pr., welcher am 23. S.
durch Hufschlag eines Pferdes an der rechten Stirnseite schwer verletzt wurde.
Der Mann wurde mir nach einigen Taigen, mit Fieber bis 39° C abends, voll-
kuinmen benommen einireliefert. Es fand sich das rechte Auge vollkommen zu¬
geschwollen und von der rechten Stirnseite eine schrat: vom äusseren Augen-
winkel nach innen oben verlaufende 5 cm lange Wunde. Die Umgebung ist
stark geschwollen, aus der Wunde flicsst trübserose Flüssigkeit. Beim genauen
Abtasten fühlt man unter der Umgebung der Wunde freie Knochensplitter.
Ks wird zur genauen Untersuchung in Narkose geschritten. Die Wunde
wird zunächst erweitert und auf diesen Schnitt der Uebersichtlichkeit halber
ein senkrechter nach unten bis in die Augenbraue gesetzt. Es werden zunächst
2 lose Knochenstücke von der Grösse von 4x3 cm entfernt. Dabei tritt zer¬
trümmerte Gebirnmasse heraus. Beim Abtasten der (iehirnwunde fühlt man in
einer Tiefe von 3 cm einen Knochensplitter in der Gehirnmassc drin. Derselbe
wird unter grossen Schwierigkeiten entfernt und zeigt eine Grösse von 5 4 cm.
Diese drei Knochensplitter sind in der ersten Reihe auf Taf. VII, Fig. 1 abgebildet.
Ein viertes Knoelienstiiek von derselben Grösse wird noch aus dem Grunde der
Wunde entfernt und stellte das Dach der Orbita dar. Ausserdem wurde noch
eine Reihe kleinerer Knochens])!itter in der Gehirnwunde gefunden und heraus-
geholt. Der so entstandene Knochendefekt reicht nach links bis über die Mittel¬
linie der Stirn noch 1 cm hinaus, nach rechts bis an den Ansatz des Schläfen¬
beines, nach ölten bis zum Beginn des behaarten Kopfteiles, nach unten bis
zur Orbita. Die Zerstörung des rechten Stirnhirns war eine sehr ausgiebige,
und es wurde eine Menge zerfetzter Gehirnmasse mit der Schere abgetragen.
Die (iehirnwunde wurde leicht tamponiert, und die Haut darüber soweit wie
möglich fest vernäht. Der weitere Verlauf gestaltete sieh sehr gut, nach einigen
Tagen war die Temperatur zur Norm herabgefallen, aber der Kranke war noch
mehrere Tage vollkommen benommen und sehr unruhig. Beim Verbandwechsel
am zweiten Tagt? nach der Operation wurde der Tampon aus der Gehirn wunde
entfernt und nur ein kleiner Streifen wieder eingelegt. Es entleerte sieb kein
Eiter, nur eine blutig seröse, leicht getrübte Flüssigkeit. Die Wundränder
heilten bis auf die Tamponöffnung reaktionslos aneinander, die Schwellung des
Auges liess nach, und nach Wiederkehr des Bewusstseins wurde auch normale
Sehschärfe des rechten Auges festgestellt. Nach 6 Wochen war Patient so weit
wiederhergestellt, dass er herumgehen konnte; er klagte weder über Kopfschmerz
noch Schwindel, noch fanden sieh Lähmungen oder sonstige auf cerebrale
Läsionen deutende Symptome. Es bestand nur eine leichte Ptosis des rechten
Augenlides. Die Wunde war vollkommen verheilt, nur bestand der grosse Knochen-
defekt. Derselbe ist aus der Abbildung auf Taf. VIII, Fig. 6 deutlich zu erkennen.
Patient wurde am 12. 12. in seine Heimat Nürnberg entlassen. Er hat mir noch
nachträglich über sein dauerndes Wohlbefinden berichtet.
Dieser Fall zeigt, dass auch die ausgedehntesten Verletzungen
des Gehirns günstig verlaufen können. Es war ja in diesem Falle
besonders günstig, dass die Verletzung im rechten Stirnhirn sich
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Verletzungen <les (iehirns und ileren chirurgische Behandlung.
155
fand, und die motorischen Centren unverletzt geblieben wareD.
Immerhin gab der Zustand des Kranken bei der Einlieferung zu
den ernstesten Befürchtungen Anlass; es zeigte sich aber, dass
durch die Entfernung der Knochensplitter und Drainage eine Besse¬
rung zu erreichen war. Trotzdem habe ich auch in diesem Falle,
wie bei allen meinen Gehirnoperationen, die Weichteile über dem
Knochendefekt bis auf eine kleine Oeffnung für den Tampon fest
vernäht und dadurch eine recht feste Haut-Periostnarbe über dem
Knochendefekte erzielt. Ob man in diesem Falle später den ent¬
standenen Knochendefekt durch Knochen decken soll, wird sich
nach dem jeweiligen Zustande des Kranken richten. Da der Defekt
ein sehr grosser ist, wird man überlegen, ob man nicht durch eine
eingepasste Prothese auf der Stirn die Druckdifferenzen im Gehirn
beim Arbeiten des Kranken ausschalten kann. Bei leichten Arbeiten
im Lazarett und grösseren Spaziergängen klagte Patient über keiner¬
lei Beschwerden. Es ist aber immerhin möglich und anzunehmen,
dass bei starken körperlichen Anstrengungen Beschwerden sich ein¬
stellen.
Ein anderer Fall von schwerer Gehirnvcrletzung, der besonderes
Interesse bietet, ist folgender:
.losef St.. 22 Jahre* alt, wurde am 1. August 1914 dadurch verletzt, dass
ihm ein Stallbaum auf die rechte Seite des Schädels fiel. Er war kurze Zeit
besinnungslos, über dem rechten Scheitelbein fand sich eine 6 cm lange Wunde.
Patient wurde zunächst exspektat-iv behandelt, bis die Wunde geheilt war und
dann, da er über Schwindel und starke Kopfschmerzen klagte, am 14. 11. mir
zu geführt.
Bei der Aufnahme findet sich auf der rechten Kopfseilt' eine schräg ver¬
laufende, f> cm lange glatte Narbe. Eine Schädeldepression lässt sich mit Sicher¬
heit nicht nachweisen. Patient kann nicht aus dem Bett aufstehen, er klagt
dauernd über Kopfschmerzen, starkes Schwindelgefühl und Flimmern vor den
Augen. Das Sensorium ist frei, doch zeigt Patient deutliche Verlangsamung
der Denkfähigkeit; er antwortet geordnet, aber sehr langsam und ist etwas
apathisch, schläft viel. Lähmungen sind nicht vorhanden. Gehör und Sehver¬
mögen normal. Der Puls ist verlangsamt, (»0 Schläge in der Minute. Temperatur
0 Der Zustand besteht unverändert weiter, und es wird daher am IS. 11.
zur Operation geschritten, da die Diagnose auf Schädeldepression mit Blut¬
erguss unter die Dura gestellt wird.
An der rechten Sehädelseite wird durch einen handtellergrossen Haut¬
knochenlappen der Schädel eröffnet. Die Narbe befindet sieh in der Mitte dieses
Lappens. Nachdem der Knoehenlappen aufgeklappt ist, sieht man, dass unter
der Jlautnarbe eine deutliche Impression des Knochens vorhanden und nament¬
lich die Tabula interna gesprungen und etwa ^/ 4 cm tief eingedrückt ist. Die
Risse in der Tabula interna sind dreistrahlig sternförmig, die Ränder der Tabula
interna-Bruchstücke scharf vorspringend. Die Dura mater ist nicht verletzt und
nicht am Knochen in der Gegend der Depression adhärent. Die Dura mater
wird durch einen kleinen Schnitt eröffnet-, es entleert sich klare Cerebmspinal-
fliissigkeit. Am Gehirn selbst ist nichts Krankhaftes festzustellen. Die Wunde
der Dura wird durch Xaiit geschlossen, die vorspringenden Stellen der Tabula
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
156
W. B. Müller.
Digitized by
interna an den Knochenlappen werden tretrliittei, und der Lappen wieder in dir
Oeffnung iin Schädel eingelegt, die Haut wird darüber vernäht.
Der weitere Verlauf war durch leichte Temperatursteigerungen bis 3S°C
abends gestört. Die W unde heilt per primam. Das Befinden des Patienten
ist besser, Kopfschmerz und Schwindel haben wesentlich nachgelassen. Das
Befinden war ein gutes bis 3. 10. 1914. An diesem Tage trat plötzlich ein
Krampfanfall auf, der mit klonisch-tonischen Zuckungen in den linken Extremi¬
täten beginnt. Die Zuckungen verbreiten sich dann über den ganzen Körper.
Dauer 5 Minuten. Das Bewusstsein ist danach lauer* getrübt. Nach Wieder¬
eintritt des Bewusstseins zeigt sich eine* vollkommene Lähmung des linken
Armes und Beines. Patient klaut wieder über starke Kopfschmerzen. Am 4. 10.
wiederholen sich die Krämpfe 2 mal. Temperatur 37,4° C abends. Puls 56.
Es wird am 5. 10. früh die Wunde wieder eröffnt 1 ! und der Knochenlappen auf¬
geklappt, Die Dura mater zeigt in dm* (lebend der Depression eine etwa
zelmpfcnnigstückgrosse, bläulich verfärbte Stelle. Daselbst wird eine Inzision
gemacht, und es entleert sich etwa 10 ccm dickgelber Eiter. Man gelangt in
eine etwa walnussgrosse Holde im Gehirn. Dieselbe wird weiter eröffnet und
locker mit Gaze tamponiert. Im Knochenlappen wird eine für die Drainage
genügende Hoffnung angelegt und der Gazestreifen nach aussen geleitet. Die
Wunde wird an den übrigen Stellen geschlossen.
Am nächsten Tage war die Temperatur 36,7° C morgens und das Befinden
wesentlich besser. Kein Kopfschmerz und Schwindel mehr. Die Lähmung der
linken Extremitäten besteht weiter. Die Sekretion aus der Wunde war in den
nächsten Tagen reichlich. Temperatur normal. Befinden gut. Es zeigt sieh
aber schon am 10. 10.. dass der Knochenlappen sieh hebt und eine Geschwulst
aus der Wunde hervorwächst. Dieselbe hat am 14. 10. Faustgrösse erreicht,
ist weich, mit Granulationen bedeckt, die reichlich absondern. Fieber besteht
nicht. Befinden gut, keine Klagen über Kopfschmerz und Schwindel, Sensorium
vollkommen frei, Lähmungen bestehen weiter. Der Prolaps hat sich am S. 11.
bis auf Doppolfaustgrüsse vermehrt; ist mit sauberen Granulationen bedeckt.
Es besieht kein Fieber. Da die Geschwulst immer grösser wird, wird am 10. 11.
nochmals zur Operation geschritten. Die ganze Geschwulst wird vom Schädel¬
knochen stumpf losgelöst. Beim Einsehneiden auf der Höhe derselben erweist
sieh die äussere Schiebt als verdünnte, bindegewebig entartete Gehirnrinde.
Enter derselben fühlt man eine etwa gänseeigrosse, abgekapselte Geschwulst,
welche in das Gehirn tief hineinragt. Dieselbe lässt sieh stumpf heraussehälen
und entfernen. Sie enthält gelben Eiter. Nach Entfernen derselben wird die
veränderte Gehirnrinde circular um die Oeffnung im Knochen mit der Schere
entfernt. Das Bett der entfernten Geschwulst wird tamponiert, der Hautknochen¬
lappen aufgelegt. An den nächsten Tagen fühlt sieh Patient wohl, kein Fieber,
die Wunde sondert stark ab. Am 14. 11. zeigt sieh abermals 38° C Fieber,
der Hautknochen lappen hebt sieh wieder, und es entsteht ein neuer Prolaps.
Am 16. 11. hat derselbe wieder Faustgrösse erreicht. Befinden dauernd gut.
nur geringe Kopfschmerzen. Abends Fieber bis 3S°G. Am 23. 11. ist abends
Fieber bis 39.5 0 C aufgetreten. Patient ist somnolent, klagt über Kopfschmerzen
und Schwindel, Puls 76. Es wird am 24. 11. früh der Prolaps eröffnet und
ein grosser Eiterherd entleert. Drainage. Am Abend des 25. XL trat unter
Anstieg der Temperatur auf 40° C und vollkommener Bewusstlosigkeit Exitus
letalis ein.
Die Sektion ergab folgendes: Die Dura mater ist in der Umgebung der
Wunde am rechten Os parietale fest mit dem Knochen verwachsen. Nachdem
dieselbe gelöst ist, wird der Schädel eröffnet, die Hirnhäute der Gehirnober-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung.
157
t lä«*lie zeigen im übrigen nichts Besonderes. An der (iehirnhasis findet sieh die
Pia mater mit grünlich gelben Eitennassen bedeckt. An der rechten Hemisphäre
findet man in der (lebend der (Amt nil Windungen eine etwa fünfmarkst üekirrosse,
mit eitrigen zerfallenen Massen ausgefüllte Höhle, welche in das Gehirn ein¬
dringt. Die ganze rechte Hemisphäre wird in einzelne Scheiben geschnitten,
und cs ergibt sich eine etwa hühnereigrosse, mit zerfallenen Massen angefüllte,
die «ranze Marksubstanz einnehmende Abscesshöhle im Occipital- und Parietal¬
hirn. ln der Eingebung dieser Höhle zeigt die Gehirnmasse reichliche Blutungen
und thrnmbosierte Gefiisse. Dieser Abscess setzt sich in der Marksubstanz bis
in das Stirnhirn fort und bildet im Stirnhirn nochmals einen etwa haselnuss-
•rrossen, mit gelbem Eiter angefüllten Abscess. Der Seitenventrikel ist voll-
kommen von dem Abscess eingenommen und zerstört. Dieser Befund ist auf
Taf. VI11. Fig. 7 in photographischer Aufnahme der Schnitte dargestellt.
Es handelte sich in diesem Falle um eine schwere indirekte
Verletzung des Gehirns, welche mit einem Erweichungsherde, der
zweifellos aus einer infolge des Schlages gegen den Schädel und
die Depression desselben entstandenen Hämorrhagie in die Mark¬
substanz entstanden ist, begonnen hatte. Dieser Erweichungsherd
wurde eröffnet und drainiert. Da aber trotz ausgiebiger Eröffnung
die Drainage nicht genügte, entstand ein progredientes Fortschreiten
des Erweichungsherdes, der, da im Schädel nicht genug Raum vor¬
handen war, zu einem grossen Prolaps durch die Schädelöffnung
führte und so bei der langen Dauer sich infolge Infektion von
aussen in einen Abscess umwandeln musste. Die ausgiebigste
chirurgische Behandlung, die im Entfernen des ganzen Herdes mit
Kapsel bestand, konnte einem Fortschreiten und Durchbruch in
den Seitenventrikel nicht Einhalt gebieten, so dass ein Fortschreiten
bis in das Stirnhirn eintrat. Die eitrige Basilarmeningitis rief
dann ein rasches Ende hervor.
Aus diesen beiden geschilderten Gehirnverletzungen durch
stumpfe Gewalt und deren verschiedenem Verlauf ersieht man deut¬
lich, dass dabei wieder die allgemeinen für alle Abscesse in
anderen Körpergegenden gültigen chirurgischen Grundsätze auch
für die Erweichungsherdc und Abscesse im Gehirn Geltung be¬
halten, nämlich von Anfang der Verletzung oder Eröffnung des
Herdes an für einen leichten Abfluss des VVundsekretes zu sorgen.
Bei dem Falle P. war infolge der Verletzung von vornherein
eine genügende Drainage möglich, es Hess sich der tiefste Punkt
der Gehirnwunde so nach aussen drainieren, dass keine Ansamm¬
lung von Wundsekret möglich war. Deshalb heilte die Gehirn¬
wunde ohne Bildung eines Erweichungsherdes aus. Im Falle
St. war der Abfluss nicht genügend, weil die Trepanations-
Öffnung im Os parietale noch höher lag, als der tiefste Punkt des
Erweichungsherdes. Ich ziehe daraus den Schluss und werde
künftige Fälle so behandeln, dass man bei Erweichungsherden,
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
158 W. \>. M iil 1 er, Verletzungen des (ieliirns und deren Chirurg. Behandlung.
Digitized by
Abscessen oder frischen Zerstörungen im Gehirn eine Gegenöffnung
am Schädel anlegen soll, so dass der Abfluss leicht und von
selbst stattfinden kann. Es wäre dies ira Falle St. so mög¬
lich gewesen, dass man den Erweichungsherd vor oder hinter der
Felsenbeinpyramide durch die Gehirnbasis drainiert hätte. Da die
Prognose solcher Erweichungsherde und Abscesse von Anfang an
eine sehr schlechte ist, wird sich ein solches chirurgisches Ein¬
gehen rechtfertigen lassen. Dass Aussicht besteht, solche Kranke
noch zu retten, geht daraus hervor, dass der Verlauf der Erwei¬
chungsherde ein recht langsamer ist und die Gefahr der Meningitis
verhältnismässig gering ist. Es kam in unserem Falle erst nach
Durchbruch in den Seitenventrikel und Vereiterung desselben zur
tödlichen Meningitis, und so ist anzunehmen, dass durch Gegen¬
drainage eine Heilung zu erzielen ist.
Aus diesen hier angeführten Fällen und deren Verlauf erhellt,
dass die Verletzungen des Gehirns infolge Tangentialschusses die
besten Aussichten auf Heilung ergeben, und dass die Centralschüsse
bei weitem schlechtere Prognose bieten. Aus allen aber ist der
Schluss zu ziehen, dass eine weitgehende chirurgische Behandlung
in allen Fällen indiziert ist und nur durch dieselbe Aussicht vor¬
handen ist, die Gefahren der Gehirnverletzungen zu verringern.
Ein grosser oder vielmehr der grösste Teil der Gehirnschüsse und
Gehirnverletzungen durch stumpfe Gewalt wird schon auf dem
Schlachtfeld ad exitura kommen, die Fälle aber, die noch lebend
in unsere Lazarette kommen, werden durch eine chirurgische Be¬
handlung zum grossen Teil zu retten sein. Es soll bei der Be¬
handlung die Meningitis nicht gefürchtet und es soll vor allen)
durch Entfernung von Knochensplittern oder Projektiten der Bil¬
dung von Erweichungsherden vorgebeugt werden, und es soll dort,
wo Erweichungsherde oder Abscesse im Gehirn vorhanden sind,
durch frühzeitige Drainage nach obigen Gesichtspunkten der Aus¬
breitung der Erweichungsherde Einhalt getan werden.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
III.
lieber
Muskelüberpflanzungen am Schultergürtel.
Von
M. Gerulanos,
Professor der Chirurgie an der Universität Athen.
(Mit 14 Textfiguren und 2 Skizzen.)
Die bis jetzt bekannt gegebenen Fälle von Feberpflanzung
grosser Muskeln am Schuhcrgürtel zum Zweck des funktionellen
Ersatzes eines gelähmten, sind bisher sehr wenige, und alle da¬
tieren aus einer jüngeren Zeit. — Der erste, der den Ersatz des
gelähmten M. serratus anticus mit Erfolg ausgeführt hat, ist
Samter (Chirurgen-Kongress 1907). Er hat bei einem 13jährigen
.Mädchen, welches sich beim Fall auf die Schulter eine Lähmung
dieses Muskels zugezogen hatte, denselben durch die Sternalportion
des M. pectoralis major ersetzt, dessen Ansatz er vom Oberarm
subperiostal loslöste und denselben am unteren Rande der Scapula
befestigte. Der Erfolg war ein assgezeichneter. Auch Enderlen
(Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1909. Bd. 101) hat bei einem Manne,
welcher sich durch Heben eines schweren Korbes diese Lähmung
zugezogen hatte, dieselbe Operation mit sehr gutem Erfolg aus¬
geführt, während Katzenstein (Chirurgen-Kongress 1909) bei einem
Mädchen, bei dem bei einer Sarkomoperation der ganze Serratus
geopfert werden musste, eine kompliziertere Leberpflanzung aus¬
führte. Er hat bei einer ersten Operation den mittleren Teil des
M. eucullaris, sowie den Ursprung des M. rhomboidcus vom Dorn¬
fortsatz des 3. bis 10. Brustwirbels abgelöst, nach aussen und
nach unten umgeschlagen und an der 7., 8. und 9. Rippe be¬
festigt. Er hat somit diesen Muskeln die Richtung der oberen
Serratusportion gegeben, damit diese auch deren Funktion: das
Vorziehen und Festhalten der Scapula am Thorax, übernehme.
Durch eine zweite Operation hat er auch nach Samter die Sternal-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
160
M. G o r u 1 a n o s,
portion des M. pectoralis major am unteren Rande der Scapula
befestigt, um dadurch die Drehung der Scapula zu ermöglichen.
Ich hatte bisher in zwei Fällen dreimal Gelegenheit gehabt,
den gelähmten M. serratus durch L’eberpflanzung des M. pectoralis
major nach Samter auszuführen. — Im ersteren Falle handelte
es sich um eine traumatische Serratuslähmung, im anderen
um eine doppelseitige, kompliziertere Schultermuskel-
lähmung, bei der Fectoralisüberpllanzung zum Ersatz des M. ser¬
ratus zugleich mit einem Ersatz des M. cucullaris aus dem
M. sacrolumbalis beiderseits ausgeführt wurde.
Beim ersten unserer zwei Fälle, einer einfaehen traumatischen
Serratuslä Innung. handelte es sieh um einen 42jährigen Mann, welcher
beim Ausführen eines Purzelbaumes einen heftigen Schmerz in dm* Schulter-
Gegend verspürte und einige Tage darnach die verminderte (iebräuchsfähigkeit
seines Armes bemerkte. Die Untersuchung, t> Monate nach der Verletzung,
ergab hei dem sonst gesunden Menschen: ln der Ruhe ein leichtes Vorspringen
Fig. 1.
Fall 1. Lähmung des rechten M. serratus antieus major in der Ruhelage. Senkung
der Schulter, Abstand des inneren Sehultcrblattrandes vom Thorax.
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Leb er Muskclüberpflanzungen am Schul tcrgiirtei.
161
Fig. 2.
Fall 1. Lähmung des M. serratus antieus inajor. Abstand der Scapula vom
Thorax und verminderte Erhebung des Armes.
des unteren Seapulawinkels, welcher zugleich der Wirbelsäule etwas näher
stand, mit einer leichten Senkung der Schulter, welche nach aussen und vorn
neigte (Fig. 1). Hei den Bewegungen fällt zunächst die l T nmöglichkeit auf, den
Arm über die Horizontale zu heben, zugleich aber sehen wir den ganzen inneren
Itand der Scapula, speziell den unteren Winkel, sich hochgradig vom Thorax
abbeben und sich der Wirbelsäule nähern (Fig. 2).
Operation (3. 4. 1911). Durch einen Längsschnitt am Pectoralisrand
wird die Sternalportion desselben freigemacht, abpräpariert und stumpf vom
übrigen Muskel abgetrennt; der Muskelansatz am Oberarm mit Periost und
einer kleinen Knochenplatte abgetragen, und bis zum Eintritt der Gefässe und
Nerven in den Muskel, vom Thorax abpräpariert. Der Muskelansatz wird am
unteren Scapularand, nach Freilegung desselben mittels Silberdrahts, Knochen
an Knochen befestigt, darüber das Periost und die Muskeln aneinander vernäht.
Hautnaht. Der Arm wird in elevierlcr Stellung verbunden.
Der Erfolg der Operation, schon im Verband erkennbar, erwies sich nach
Abnahme desselben in jeder Beziehung als ausgezeichnet! Patient konnje bald
Gen Arm unbehindert hoch heben und jede Bewegung ausführen. Eine Revision
<> Monate und 2 Jahre später bestätigte den Dauererfolg (Fig. 3 u. 4).
Der M. serratus sowie alle anderen Schultergürtelmuskel sind in ihrem
Hau und deren Funktion nicht einheitlich, sondern bestehen aus verschiedenen
Teilen mit ganz verschiedenen und komplizierten Aufgaben (Mollier). Der
.M. serratus besteht zum mindesten aus zwei Portionen, einer oberen, aus den
Archiv für kl in. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. ]j
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
162
M. Gerulanos,
5 oberen Rippen, zum inneren Rande des Schulterblattes ziehend, wodurch die
Scapula nach vorne gezogen, von der Wirbelsäule entfernt, zugleich aber dieselbe
au den Thorax fest angepresst wird, und einer unteren Portion, aus den vier
folgenden Rippen, zum unteren Schulterblattwinkel, wodurch dieser nach vorne
gezogen und die Scapula gedreht wird, so dass die Schulter gehoben und die
Gelenkfläche derselben horizontal gestellt wird. Die Lähmung des Serratus bat
Kig. 3.
Fall 1. Revision am 5. 1. 1913, fast 2 Jahre nach der Operation. Senkrechte
Hebung der Arme, ln beiden Bildern (Fig. 3 u. 4) sieht man die Sternalportion des
M. pectoralis sich zusammenziehen und oberhalb der Mamilla die Haut vorwölben.
zur Folge, dass die Schulter tiefer steht und die Scapula gedreht wird, so dass
der untere Winkel näher der Wirbelsäule zu liegen kommt und zugleich etwas
nach hinten vorspringt. Bei jeder Armbewegung und besonders bei der Er¬
hebung desselben sehen wir den ganzen inneren Schulterblattrand sich flügel¬
förmig vom Thorax abheben, und zwar um so stärker, je mehr der Arm vertikal
nach vorn geführt wird. Ganz besonders jedoch fällt die Unmöglichkeit auf.
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
lieber Muskelüberpflanzungen am Schultergürtel.
163
den Arm über die Horizontale zu erheben (Fig. 2). Der flügelförmigc Abstand
verdankt seine Entstehung besonders dein Ausfall der oberen Portion des Mus¬
kels, die Unmöglichkeit der Erhebung der unteren Portion.
Katzenstein hat, um den ganzen Muskel funktionell ersetzen
zu können, zwei Operationen ausgeführt; zunächst die obere Por¬
tion durch einen Teil des Trapezius und den M. rhomboideus,
dann aber die untere, ähnlich wie Samter und Enderlen, durch
die Sternalportion des Pectoralis raaj. ersetzt. Der Gedanken-
Fig. 4.
Fall 1. Revision am 5. 1. 1913, fast 2 Jahre nach der Operation. Heben der
Arme zur Horizontalen.
gang Katzenstein’s ist entschieden richtig, die Praxis jedoch bei
den zwei oben erwähnten Fällen aus der Literatur und den drei
von mir operierten hat ergeben, dass, funktionell wenigstens, die
einfachere Operation von Samter vollkommen genügt, da der
kräftige Pectoralis maj. am unteren Winkel und zum Teil gegen
den Innenrand befestigt, auch das Festhalten der Scapula am
Thorax und bis zu einem gewissen Grade den Antagonismus zu
> der mittleren Trapeziusportion und zum M. rhomboideus über¬
nehmen kann.
11*
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
164
M. (»erulanos,
Ich glaube daher auf Grund dieser Erfahrungen, dass die
verhältnismässig einfache Operation von Samt er, besonders wenn
der Pectoralis in geeigneter Weise am Scapulamuskel selbst be¬
festigt wird, und auf diesen Punkt kommen wir später zurück, die
Operation der Wahl sein muss.
Wir kommen zu unserem zweiten Fall, einer ausgedehnten
Lähmung der Schultergürtelmuskulatur, speziell des M. trapezius.
M. serratus antic. maj., M. rhomboideus und oberen Teils
des M. latissimus, beiderseits infolge fortschreitender Muskel¬
atrophie jugendlicher Form (Typus Erb). In diesem Fall wurde
ausser der Samter’schen Operation zum Ersatz des M. serratus
antic. maj. auch eine Ucberpflanzung einiger Rippenzacken des
M. sacrolumbalis zum Ersatz des Trapezius ausgeführt.
Es handelte sich um ein 1!) jähriges, sonst gesundes, grosses, wohlgebautes
Mädchen. Sie hatte bis jetzt immer tüchtig Landarbeit verrichtet. Seit 5 Jahren
merkt sie jedoch eine, ganz langsam zunehmende, Schwäche beider Arme, s»>
dass sie jetzt nicht mehr imstande ist, dieselben hochzuheben. Hei der He-
Fig. 5.
Fall *2. Lähmung am Sehultergiirtel beiderseits, (ielähmte Muskeln: Cin*ullari>.
Serratus antieus major, Rhomboideus und oberer Latissimus. Beide Schultern
fallen nach aussen-vornc herab. Schräg- lind Hoelistellung des Schulterblattes.
Digitized by Google
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber Muskcliiberpflanzungen am Sehultergiirtel.
1B5
Fig. ß.
Kall 2. Hochgradiges Abspringen der Schulterblätter beim Versuch die Arme
zu heben. Sehr verminderte Armhebung.
trachtung von hinten fällt auf: der breite und stark gewölbte Kücken, infolge
des grossen Abstandes beider Schulterblätter von der Mittellinie und des
Herabhängens derselben nach aussen und vorn. — Die Schulter steht tief
nach aussen und vom gerichtet, der innere obere Winkel hoch, der untere der
Wirbelsäule nahe und springt nach hinten etwas hervor (Fig. 5). Von vorn
fällt die eingefallene Brust mit den stark vorspringenden Schlüsselbeinen auf;
die ganze Kumpfmuskulatur ist atrophisch, besonders die hintere, die Arme je¬
doch kräftig. — Die Bewegungen der Schultern sind sehr beeinträchtigt. Das
lb>chheben der Schulter geschieht in geringem Grade und mit äusserster An¬
strengung, wobei der freie Cueullarisrand am Halse bleistiftdiek vorspringt. Das
Zusammenziehen der Schulter nach hinten fehlt vollständig. Die Arme können
unter sichtbarer grosser Anstrengung der Patientin kaum um 75° gehoben
werden (F’ig. 6). Dabei erhebt sich die Scapula flügelförmig vom Kücken ab,
steigt nach oben und nimmt eine stark nach vorn und aussen abfallende Stel¬
lung ein, so dass ihr oberer Winkel über die Hals—Schulterlinie hervorsprimrt,
was, von vorn gesehen, besonders auffällt (Fig. 7). Fs handelt sich somit um
eine Lähmung des Trapezius, besonders der mittleren und inneren Portion, des
Rhomboideus. des Scrratus antieus und des oberen Teils des Latissimns,
während die Brust- und besonders die Armmuskeln und der grosse Küeken-
sireeker gesund erscheinen. Die elektrische Untersuchung bestätigt diesen
Hefund.
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Gou^le
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Fall 2. Nach der 1. Operation. Hebung der Arme zur Horizontallinie.
Kall 2. Nach der 1. Operation. Hebung des rechten Armes zum Kopfe. Die
Anheftung des Sacrolumbalis zum Schulterrand durch die Haut sichtbar.
168
M. (iorulanos,
Die Aufgabe wäre hier: M. cucullaris, rhoinboideus und serratus zu er¬
setzen. — Zunächst scheint es geboten, die Schulter am Thorax zu fixieren,
damit die Bewegrngen der Armniuskulatur wenigstens nacli Möglichkeit aus¬
führbar werden können.
Hier wäre also zu denken an eine feste, unbewegliche Fixation der
Schulter, wie von Eiseisberg (Dieses Archiv. Bd. 57) in einem Falle aus¬
führte, bei dem er beide Schulterblätter durch Knochennähte fest aneinander
anheftete; oder wie Bauen et (Bull, de la soc. de chir. de Baris. Tome 34),
welcher den inneren Scapularand an die oberen Kippen durch Drahtnähte un¬
beweglich und in richtiger Lage befestigte. — Mir schwebte jedoch eine aktiv-
Fig. 11.
Fall 2. Nach der 1. Operation. Der obere innere Schulterblattwinkel springt
nicht mehr vor (vergl. Fig. 7).
bewegliche Feststellung der-Scapula vor, die nur durch eine Muskcliiberpflan-
zung möglich gewesen wäre. Die Ueberlegung, dass die Scapula in aller¬
erster Linie nach abwärts und nach innen an gezogen werden sollte,
brachte mich auf Verwertung des M. erector trunci communis und so
wählte ich dessen laterale Bortion, den kräftigen und freieren
S a c ro 1 u m b a 1 i s, zu diesem Zweck aus.
Die Operation am rechten Schulterblatt wurde am 25. 4. 1910, am
linken am 11. 5. 1910 in genau der gleichen Weise ausgeführt. Durch einen
Haut schnitt von 15 cm Länge zwischen Mittellinie und innerem Scapularand,
durch die gelähmten und vollständig entartet aussehenden Muskeln, wurde der
gesund, rot und kräftig aussehende M. sacrolumbalis freigelegt. Dessen 4 An¬
sätze an der 3.—6. Kippe wurden mitsamt dem Beriost und einer 2 : 1 cm
grossen Knochen platte von einigen Millimeter Dicke ahgemeisselt, die
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber MuskeUiberpflanzungen am Schultergürtel.
169
M uskelpartie mobilisiert gegen den übrigen Muskel, ohne dass dessen Gebisse
und Nerven verletzt wurden. Darauf wurde der ganze Innenrand der Scapula
durch Abheben der Muskelansätze und des Periosts freigelegt, an vier ent¬
sprechenden Stellen durchbohrt und die vier Muskelansätze des Sacro-
lumbalis mittels Si Iberdraht naht an die nach innen und abwärts
«redrängte Scapula bei erhobenem Arm befestigt.
Periost-Muskel-Hautnaht. Verband in gehobener Armhaltung.
Nach je 14 Tagen wurde ein Verbandwechsel vorgenommen und nach er¬
reichter p. pr. Heilung der Arm allmählich heruntergelassen. Bei der Ent¬
lassung am 29. 5. 1910 konnte eine bedeutend bessere Haltung der Schultern
Fig. 12.
Fall 2. Nach der 1. Operation. Während vorher die Arme nur nach aufwärts
geschleudert und hinter dem Nacken gehalten werden konnten, kann Patientin
jetzt, beide Hände haltend, die Arme langsam und gut heben und hochhalten,
dabei sind die Zacken des überpflanzten M. sacrolumbalis sichtbar.
und ein Anheben der Arme bis über die Horizontallinie festgestellt werden.
Nach 10 Monaten (2. 4. 1911) kommt Patientin zur weiteren Behandlung. Sie
zeigt seit der Operation eine bedeutende Besserung' in der Gebrauchsfähigkeit
der Arme, so dass sie jetzt z. B. die Arme, um sich zu kämmen, bis zum Kopf
erheben kann. — Die Untersuchung ergab eine entschieden bessere Stellung der
Schultern, welche tiefer und der Wirbelsäule näher stehen (Fig. 8). — Der
Bücken ist gerade, die Arme können sowohl seitwärts wie auch nach vorn
über die Horizontale gehoben werden (Fig. 9 u. 10), ohne dass die Schulter
nach oben über die Hals-Schulterlinie wie früher ausweicht (Fig. 11), aber auch
ohne dass sie sich flügelartig vom Thorax erhobt. Vielmehr sieht man bei
diesen Bewegungen der Arme, wie der transplantierte Muskel deutlich unter
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
170
M. (ierulanos,
der Haut sieh abhebt (Fig. 9). Figg. S—11 zeigen das gute Resultat dieser
ersten Operation.
Nun wurde die ergänzende zweite Operation, die Feberpflanzung des
Thoraeieus major am unteren Seapulawinkel, und zwar auf jeder Seite aus¬
geführt. — Reehts am 3. 4. 1911. links am IS. 4. 1911, in genau derselben
Weise wie bei dem vorher beschriebenen Fall.
Fig. 13.
Fall 2. Revision am 30. 5. 1915. 5 Jahre nach der ersten, 4 Jahre nach der
zweiten Operation. Fast jede Bewegung, senkrechte Hebung der Arme frei aus¬
führbar. Vollkommene (icbrauchsfähigkcit der Arme.
Nach glatter Wundheilung wurde Patientin am 28. 5. entlassen. Ein
Jahr später konnte ein recht befriedigendes Resultat sowohl in der Haltung als
auch in der Funktion der Arme festgestellt werden, da beide Arme gehoben
werden konnten und eine genügende Kraft wiedererlangt hatten. Bei einer
zweiten Revision am 30. 5. 1915, also 4 resp. 5 Jahre nach der Operation,
konnte dies gute Resultat in vollem l'mfange bestätigt werden (s. Kranken¬
geschichte u. Fig. 13 u. 14).
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ueher Muskelüberpflanzungen am Sohultergürtel.
171
Wie bekannt, besteht der M. cucullaris aus drei Portionen,
einer oberen, welche zum Acromion zieht und den Kopf zu neigen
und die Schulter zu heben hat; einer mittleren, deren Verlauf
mehr oder weniger horizontal ist, zur Spina scapulae zieht und die
Aufgabe hat, das Schulterblatt der Wirbelsäule zu nähern, und
einer dritten, welche, von unten heraufsteigend, am unteren Rand
der Spina scapulae sich festsetzt, das Schulterblatt nach abwärts
ziehend und zugleich in dem Sinne, dass die Schulter gehoben
Fig. 14.
Fall 2. Revision am 30. 5. 1915. Freie Beweglichkeit der Arme. Hebung in
die Horizontale.
wird. — Bei der Lähmung dieses Muskels, wie wir oben gesehen
haben, entfernt sich das Schulterblatt von der Mittellinie und die
Schulter senkt sich und neigt stark nach vorn und auswärts. Das
Anheben der Schulter ist unmöglich, die Schulterblattdrehung und
damit die Hebung des Armes wird stark beeinträchtigt, besonders
jedoch jede Kraftäusserung des Armes, da die Schulter ihren Halt
verliert, sehr vermindert. — Der beim obigen Fall transplantierte
M. sacrolumbalis, an und für sich ein recht kräftiger Muskel,
von unten und innen an das Schulterblatt herantretend,
Digitized by Gougle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
172
M. (i vvu 1 aims.
Digitized by
kann das ganze Schulterblatt nach abwärts ziehen und
zugleich dasselbe so drehen, dass der äussere Winkel
gehoben wird. Er hat somit die Funktion der III. Cucul-
larisportion voll übernommen, jedoch auch nach der Mittel¬
linie ist er imstande, das Schulterblatt zu halten, wenn
auch nicht gerade dahin zu ziehen, und ersetzt er, zumeist wenig¬
stens, die mittlere Cucullarisportion. Der überpflanzte Muskel
erfüllt somit die Hauptaufgaben des Trapezius, aber auch
die des M. serratus, da durch ihn, wie wir gesehen haben, das
Schulterblatt am Thorax festgehalten wird und beim Hoch¬
heben des Armes ein flügelförmiges Ausweichen desselben nach
hinten vermieden wird. Aber auch die durch ihn erstrebte Drehung
der Scapula wirkt vollkommen im Sinne der unteren Serratus-
portion. Da dieselbe jedoch sehr gering ausfallen musste, wurde
nachträglich zur Unterstützung dieser, für die Hebung der Arme so
wichtigen Bewegung der Scapula, die Ucberpflanzung des M. pec-
toralis major vorgenommen.
Soweit mir bekannt, hat bis jetzt nur Katzenstein (Chirurgen-
Kongress 1911) eine Muskelüberpflanzung zum Ersatz des M. cucul-
laris vorgenoramen. Er hat bei einem Manne mit Cucullarislähmuug
nach Verletzung des N. accessorius bei einer Drüsenoperation am
Halse, denselben durch folgende dreifache Operation ersetzt: Den
oberen Teil durch den der entgegengesetzten, gesunden Seite, den
er auf die Scapula nähte; für den mittleren nahm er ebenfalls
einen Teil der mittleren Portion vom Cucullaris der anderen Seite,
und die untere Portion ersetzte er durch einen Teil des M. latissi-
mus, den er vom Arm abschnitt und an die Scapula befestigte.
Das funktionelle Resultat war ein sehr gutes. Die Verwendung
des M. latissimus zum Ersatz der unteren Portion, wo sie über¬
haupt angängig, ist sicherlich eine sehr vorteilhafte, dagegen ist
die Verwendung von Muskelteilen vom Cucullaris der entgegen¬
gesetzten Seite weniger vorteilhaft; einerseits, weil die geteilte
Kraft des einen Muskels auf keiner Seite genügend zur Geltung
kommen kann und dann, weil die überpflanzten Partien in ihrer
neuen Richtung zu sehr von ihrem normalen Verlauf abweichen, so
dass ihre Nerven leicht geschädigt werden können. Sie erfüllen
also nicht ganz die Bedingungen, die Katzenstein selbst als zu
beachten bei Vornahme einer Muskelüberpflanzung gestellt hat,
nämlich: Rücksicht auf geringste Abschwächung des Muskels, aus
dem das Material entnommen wird, Erhaltung der Nerven und Bei¬
behaltung der ursprünglichen Faserrichtung des zu transplantierenden
Muskels. Ausserdem erscheint mir seine Operationsmethode zu
kompliziert gegenüber der relativen Einfachheit der unsrigen.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
l'cber Musk«’lüli(Tpflan/.un^cn am Sclmltcrgürtel.
173
In vielen Fällen, wie in dem unseren, ist die obere Portion
des Latissimus mit erkrankt, so dass dieser Muskel nicht ver¬
wendet werden kann. Bei beiderseitiger Lähmung des Cucullaris
ist andererseits an eine Verwendung des Teils der anderen Seite
nicht zu denken, wie dies ebenfalls bei unserem Fall zutraf.
Rothschild (Deutsche med. Wochenschr. 1911. Kr. 2) hat
zum Ersatz des gelähmten M. cucullaris eine freie Fascientrans-
plantation ausgeführt, indem er ein etwa 20 cm langes und 6 crii
breites Stück der Fascia lata entnahm und dasselbe einerseits am
Becken und dem Lumbalteil der Wirbelsäule, andrerseits an die
Scapula anheftete, um sie damit beweglich nach innen und abwärts
zu ziehen. Da die Fascie mit der Zeit resorbiert wird, bleibt es
fraglich, ob ihre Wirkung dauernd sein kann. Aber auch dann
würden wir die Muskelverwendung, unter Erhaltung der Ernährung
und Innervation derselben, jeder anderen Methode vorziehen.
Soweit mir die Literatur vorliegt, ist seit Abfassung dieser
Arbeit (Sommer 1912) keine neue Veröffentlichung über ähnliche
Operationen erschienen.
Nun brachte uns der vorjährige Chirurgenkongress in Berlin
1914 eine hochwichtige Tatsache: die Experimente Heineke’s
und Erlacher’s über Muskelneurotisation durch direktes Ein-
pllanzen des Nerven in den Muskel. Die günstigen Resultate dieser
Experimente wurden klinisch sozusagen im voraus bestätigt durch
einen Fall, den v. Hacker im Jahre 1908 publiziert hatte (neuer¬
dings aus Veranlassung der Besprechungen im Chirurgen-Kongress
im Centralblatt f. Chirurgie. 1914. Nr. 21). Es handelte sich um
eine Lähmung des Trapezius und anderer angrenzender Muskeln
bei einem 27 Jahre alten Mädchen nach Drüsenexstirpation. Es
wurde in einer Sitzung der N. accessorius in den oberen Cucullaris
eingepflanzt, ein anderer in den Cucullaris eindringender Nerv in
einen Plexusstamm implantiert, ein Teil des M. levator quer durch¬
trennt und an einen ähnlich angefrischten Teil der mittleren Partie
des Cucullaris angenäht; in einer zweiten Operation wurde in ähn¬
licher Weise ein Teil des Cucullaris zum Deltoideus angenäht und
die mittlere Cucuilarispartie gerafft, damit das Schulterblatt besser
gehalten wurde. Der Erfolg war volle Wiederherstellung der
Funktion des Armes, welcher senkrecht gehoben werden konnte!
Diese Erfahrungen eröffnen uns ganz andere Perspektiven in
bezug auf die Wiedererlangung der verloren gegangenen Muskel¬
funktion durch die direkte Nerven-, jedoch auch die indirekte
Muskelneurotisation. Immerhin bleiben Fälle, bei denen es sich
nicht um eine einfache Nervenschädigung handelt, wie unser zweiter
Fall, nur der Muskelüberpflanzung zugänglich. Ausserdem, selbst
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
174
M. (irrulanos
wenn man die volle Innervation des Cucullaris durch die direkte
Nervenüberpflanzung erreichen könnte, was ja noch nicht absolut
feststeht, da beim Fall v. Hacker verschiedenartige Eingriffe vor¬
genommen werden mussten, so bleibt immer die Festhaltung der
Scapula am Thorax durch die Ueberpflanzung des Sacrolumbalis
eine ganz bedeutende Hilfe, selbst um das volle Resultat der
Nerveneinpflanzung durch Ausnutzung des funktionellen Reizes zu
erlangen!
Zum Schluss möchte ich die Methode der Anheftung des
Muskels an seinen neuen Bestimmungsort betonen. Ich habe
in allen drei Fällen den Sehnenansatz mit weiter Umschnei¬
dung des Periosts und Abmeisselung einer entsprechend
grossen Knochenplatte abgehoben und an seinem neuen Be-
Anheftung <1 es M. pect oral i s- Ansatzes am unteren Scapulawinkel.
M. pectoralis («), von dessen Ansatz am Oherann samt einem länglichen Knoehen-
stiiek ( b ) abgemcisselt. wurde am Scapulawinkel (r) mittels Silberdraht naht
angeheftet.
stimmungsort subperiostal auf den Knochen, event. mit An¬
frischung des letzteren, durch Silberdrahtnaht befestigt
(s. Skizze). Es wird dabei genügend Periost mittransplantiert, so
dass die Ernährung des flachen Knochens gewährleistet ist. — Ich
erachte diese Operationsmethode für sehr vorteilhaft, speziell bei
der Transplantation kräftiger Muskeln, bei denen ein Durchreissen
der Nähte zu befürchten wäre. Jedenfalls gestattet die von An¬
fang an sichere Befestigung des Knochens durch Drahtnähte eine
sehr frühzeitige Inanspruchnahme des transplantierten Muskels
schon innerhalb des Verbandes. Dadurch wird der Inaktivitäts¬
atrophie desselben wirksam entgegengearbeitet, aber auch der
funktionelle Reiz, dem bei jeder Transplantation eine grosse Be¬
deutung beizumessen ist, im hohen Grade ausgenutzt.
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber Muskelüberpflanzungen am Sehultergürtel.
175
Krankengeschichten.
1. (Nr. 232, 1911.) Aufgenommen 11. 3. 1911.
T. G., Mann, 42 Jahre alt. Keine Vorkrankheiten, kein Trinker. Vor
6 Monaten, beim Versuch, einen Purzelbaum zu schlagen, hat er einen ziem¬
lichen Schmerz in der rechten Schultergegend gespürt, welcher einige Tage
amlauert. Zugleich bemerkt er, dass er den rechten Arm nicht so leicht wie
früher heben konnte. Anfangs hat er trotzdem weitergearbeitct, im Verlauf
eines Monats wurden jedoch die Bewegungen schwieriger, der Arm konnte kaum
bis zur Horizontale gehoben werden, und das Schulterblatt flog bei jedem der¬
artigen Versuch nach hinten hinaus. Trotz sachgemässer elektrischer und mediko-
mechanischer Behandlung hat sich der Zustand seitdem nicht gebessert.
Status: Grosser, kräftiger Mann mit wohlgebildeter Muskulatur: die
Untersuchung der inneren Organe hat nichts Krankhaftes ergeben.
Untersuchung der Sehultcrgegend: Haltung: Bei der Untersuchung
in der Ruhelage und von hinten beobachten wir, dass die rechte Schulter etwas
schief steht, in dem Sinne, dass der innere Rand des Schulterblattes von unten
um! innen nach oben und aussen zieht. Der untere Winkel springt stärker vor,
während die Schulter etwas tiefer steht. Im ganzen ist das Schulterblatt der
Wirbelsäule näher, als auf der gesunden Seite. Die Schulterblattmuskeln scheinen
leicht atrophisch (Fig. 1).
Bewegungen: Beim Versuch des Patienten, die Arme von der Seite
horizontal zu heben, sehen wir das ganze rechte Schulterblatt stark nach hinten
vorspringen und sich vom Rückenniveau stark abheben, gleichzeitig sich der
Wirbelsäule nähern (Fig. 2). Beim Anheben der Arme von vorn bis zur
Horizontale hebt sich der innere Sehulterblattrand noch stärker vom Rücken
ab. so dass man mit der ganzen Hand zwischen Schulterblattrand und Rücken
eimlringen kann. Eine Annäherung desselben zu der Wirbelsäule findet nicht
statt (Fig. 2). Beim Versuch, die Arme senkrecht zu heben, sehen wir den
rechten Arm sich kaum bis 90—100° erheben, eine Hebung darüber hinaus ist
unmöglich. Das Schulterblatt kann dabei nicht gedreht werden, der Innen¬
rand bleibt nahezu parallel der Wirbelsäule, der untere Winkel kann sieh von
ihr nicht entfernen. Das Anheben der Schultern und die Annäherung beider
an die Wirbelsäule geschieht beiderseits gleich gut.
Die elektrische Untersuchung zeigt nirgends Entartungsreaktionen.
Die elektrische Kontraktur des Serratus ist rechts schwächer als links, im
geringen Grade auch der Supra- und Infraspinatus.
Diagnose: Traumatische Lähmungen des M. serratus anticus major.
Operation (3. 4. 1911) in Skopolamin-Morphium-Chloroform-Narkose.
Während der rechte Arm in Abduktion gehalten wird, wird der Schnitt vom Ansatz
des Deltnideus am Arm, entlang dem freien Rande des grossen Brustmuskels bis
zum 2. Intereostalraum und an der Mamillarlinic geführt. Präparation des
Muskels auf der oberen und unteren Fläche bis zum Eintritt der Gefässe und
Nerven; nach abwärts bis zum Ansatz am Oberarm. Wir trennen die Sterno-
custalportion von der clavicularen entlang der Faserrichtung. W ir ziehen die
Weichteile beiderseits vom Ansatz der Pectoralissehne am Oberarm stumpf ab
und umschneiden das Periost um die Sehne in einer Länge von 5 cm und
einer Breite von l 1 ■> — 2 cm und nun wird (‘in entsprechend grosses Knochen-
stiiek von etwa 3 -5 mm Dicke samt dem Ansatz der Sehne abgemeisselt.
Dann wird der Arm senkrecht gehoben und stark nach innen gedreht, so dass
der untere Schulterblattwinkel möglichst nach vorn kommt, auf diesem und
etwas hinter der vorderen Axillarlinie führen wir einen zweiten Hautschnitt
und präparieren den unteren Winkel und den vorderen Rand der Scapula in
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
176
M. (i«*rulanos,
Digitized by
einer Aus«l»*lmmu: von S em «inr»*h «lie Muskulatur mul das Periost bis zum
Knorlien. Der Knochen wird möglichst nahe am unteren Winkel und etwa
1 ein vom vorderen Hände an zwei Stellen, umrefiihr 2 ein voneinander ent¬
fernt, durchbohrt. Nun wird der zu transplantierende Muskel subfaseial unter
die Achsel und Brust haut geführt, so dass das vom Oberarm abizemeisselte
Knoehenstüek samt dem daran festsitzenden Muskel und dem umgebender;
Periost his zum unteren Seapulawinkel ^ebraeht werden kann. Die Befestiiruiu:
des Muskels geschieht in der Weise, dass der zu transplantierende Knochen
auf die Vorderfliiehe des S«*apularand«*s oelcirt wird und durch zwei Silberdraht-
nähte fixiert wird, welche durch die Bohrlöcher und die Muskelsehne geführt
und um das Knoehenstiiek und den Scapularund ireknotet werden (siehe
Skizze). Weiter wenhm dureh festes Catirut Periost zu Periost und Muskel zu
Muskel Lienaht. Die Weichteile und die Haut bei der Wunde werden voll¬
ständig vernäht. Verband in eloxierter Stellum: drs Armes, dureh Schiene
gehalten.
Der Wund verlauf war ungestört, keine Temperaturstürunjr. Heilung
per primain. Am 10. Tai: Kntfernunir der Nähte, der Arm wurde bis zur
Horizontalen herunierirelassen: am ln. Tai: der Arm herab«relassen; am 17. Tai:
hat der Patient das Krankenhaus verlassen.
Schon im Verband, nach «Inn 4. — ö. Tai:, versichert der Patient. da>>
er das Gefühl hätte, den Arm allein in die Höhe halten zu können. Auf die sichere
Befestigung dureh die Silberdrähte gestützt, redet«*!! wir ihm zu, diese Versuche
möglichst fleissip; auszufiihren, um rechtzeitig funktionell auf den transplantierten
Muskel einzuwirken. Nach Abnahme des Verban«h*s konnte tatsäehlirh eine
recht befriedigende Beweint m: des Armes festirestidlt werden, ohne dass » 11 *
Sehultor nach hinten ausweiehen konnte.
Ktwa 3 Monate nach der Operation, am 23.(5., schrieb er sehr bofriedii;;
über den freien und kräftigen (iebraueh seines Armes.
Hevision am 5. 1. 1313 erirab ein vollkommen sri'mstitres Hesultat: «Di
Arm ist in seiner <iebrauehsfähiirkeit \ollkommen normal. Der Brustiiiiisk'*’.
fühlt sieh bei je«l«*r Kontraktion kräftig und erhebt sieh sichtbar unter der
Haut (Tiir. 3 u. 4h
2. (Nr. 230, 1310.) Aufinmommen 31. 3. 1310.
M. N., Mädchen. 13 Jahre alt. Keine voraus^eiran irenen Krankheiten. Inn
immer tiichliir gearbeitet. Periode ri'iodmässisr. ohne Beschwerden. Seit 5 Jahren
merkt si<* eine iranz langsam und allmählich zunehmende Sehwäehe beider Arm«',
so «lass ihr die bisher io*wohnte Landarbeit immer schwerer wird. Mit Zunahme*
der Sehwäehe kann sie auch die Arme kaum heben. Diese Störungen von all-
mählieh fortschreitendem Charakter sind niemals von Fieber oder einer sonstiimi:
Frkrankun^ begleitet.
Status: (irosses und wohlgebautes Mädchen mit im alliremeinen kräftiimr
Muskulatur. Die l’ntersuehuni: d«*r inneren Organe ergibt nichts Abnonno.
ln der Hube und bei heruntcrhänirenden Armen und bei d«*r Betrachtung v.»: (
hinten sehen wir, «lass beide Schultern und besond«*rs d«*r untere Wink«*l luo-i.
hinten abstchen. Der sieh ahheb«*n«le Innenrand verläuft etwas sehi«*f. von o\vv
uu«l aussen nach unt«*n und innen. Beide Schulterblätter stehen ho«di. so «las*
«h*r ob«*re innere Winkel etwas iib«*r «lie llalssehulterlinie vorsprinirt. IVim*
S«*hultern stehen w«*iter v«m «l«*r Wirlmlsäulc ab (10 ein), s«» dass d»*r Baue
zwischen beiden S< , hulterblättorn un«l somit auch der «ranze Rüek«*n unoewühn-
li«-h breit. erscheint. Beide S«-hu 11<*rn hän*:i*n tleutlieh nach auss(»n und vorm
Dadurch ers«*heint «ler Hiieken oewöllü, da^e<ren von vorn beträchtet die Brus:
«‘iiiin'falh*!!, während die Sehliiss«*lhi*ine stark vorspriniren. Di«* Hiieken- um.
Gck 'gle
Original frnm
UMIVERSITY 0F IOWA
Veber Muskelüberpflanzungen ani Schultorgürtel.
177
Schulterblattmuskeln sind atrophisch, dagegen erscheinen die Arme kräftig (Fig. 5).
Heim Hochheben der Schultern sehen wir den freien Ciicullarisrand in etwa Blei¬
stiftdicke vorspringen (Fig. 7), ebenso den Levator scapulae mittätig. Die
Schultern können nur in geringem tirade und mit Anstrengung gehoben werden,
wobei das Schulterblatt in stark nach vom und aussen abfallende Stellung
gerät (Fig. (i). Das Zusammenziehen der Schultern nach hinten fehlt vollständig.
Beim Anheben der Arme gelingt dies nur bis zu einem Winkel von etwa 45°
unter sichtbarer grosser Anstrengung der Patientin (Fig. 6). Dabei arbeiten
alle Anmnuskeln kräftig, auch der obere Teil des Trapczius, welcher jedoch
keine? Kraft besitzt, um die Schultern festzuhalten. Dieselben heben sich viel¬
mehr stark fliigelförmig vom Rücken ab, nehmen eine sehr stark nach vorn und
aussen abfallende Stellung, wobei der untere Winkel sieh der Wirbelsäule
nähert (Fig. 6). Bei der Hebung der Anne von vorn gelingt dieselbe etwa bis
zu 75°, dabei aber heben sich die Schulterblätter noch mehr vom Rücken ab.
Bei der Betrachtung von vorn, beim Anheben der Arme sehen wir die Brust¬
muskeln sich beteiligen; es fällt aber das starke Yorspringon der Schlüsselbeine
auf. welche beide auf die Sternalebenc zu liegen kommen, sowie das Vorspringen
des inneren Scapulawinkels über die Halsschulterlinie hinweg (Fig. 7). Während
Patientin die Arme nicht einmal bis zur Horizontalen zu erh ehen vermag, kann
sic dieselben nach aufwärts schleudern und sie mit den Händen am Nacken
lV>t halten.
Die Arm- und Schulterblatt-Arminuskeln scheinen recht kräftig zu arbeiten,
wenn auch die Dicke der Arme auf einer Fettablagerung beruht. Die Brust¬
muskeln arbeiten kräftig; von beiden Cucullares scheint, wenn auch recht schwach.
d*-r obere Teil vorhanden zu sein, dagegen fehlt vollständig die mittlere und
untere* Partie, ebenso wie beide Rhomboidei. Der Levator scapulae ist vor¬
handen, dagegen fehlt wieder der M. serratus antieus major und der obere Teil
dos Latissinuis. Im allgemeinen erscheinen alle .Muskeln rechts schwächer
als links.
Die elektrische Untersuchung hat nur für die untere Hälfte des
Trapezius vollständige Entartungsreaktion ergeben, bei den anderen Muskeln war
(»ine solche nicht vorhanden. Dagegen war die elektrische Erregbarkeit des oberen
Cucullaris. der Rhomboidei, Serrati und der oberen Partien des Latissimus sehr
stark herabgesetzt. Besser war dieselbe bei beiden Brustmuskeln, Levator sea-
pulac und unterem Teil des Latissimus, wenn auch geringer als normal.
Diagnose: Dystrophia museiilorum progressiva juvenilis s. scapulo-
liumeralis (Typus Erb).
Operationsplan. Es handelte sich hier darum, die bei jedem Be-
wegungsversuch des Armes ausweichende Scapula nach hinten und zugleich
nach abwärts fcstzuhalten und zwar so, dass eine Drehung derselben zur Enter¬
st iitzung der Armhebung möglich sein könnte. Wir gedachten daher, einige An¬
sätze des M. sacrolumbalis an den Rippenbogen von dort abzuheben und am
inneren Scapularand zu befestigen.
1. Operation, rechts, (25. 4. 1Ü10) in Skopolamin-Morphium-Odoroform-
Xarkose. Hautschnitt in der Mitte zwischen innerem Rand der Scapula und
drr Mittellinie, parallel letzterer und von ungefähr 15 cm Länge. Durch die
Fascic und die fettig entartet aussclicnden Muskeln Trapczius und Hhomboidcus
gelangen wir zu der tieferen Muskulatur des grossen Riie'kenstrcckers, welche
rin ganz anderes, rotes, gesundes Aussehen hat. Wir präparieren die Ansätze
,p-s Sacmlumbalis am 5L, 4. und 5. Costahvinkel und heben dieselben von den
Hippen ah durch Abmeisscln einer jeden mit einem Stück Rippcnplatte, von
drr (irösse etwa von 2:1 cm. Nun präparieren wir den Innenrand der Scapula
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. jo
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
178
M. (i !' II I M II n>,
Digitized by
und lud»cn ditlarauf sitzenden Muskeln mul das Periost in der irimzcn As;--
«iohnuniz derselben ah. Wir duivhbohren d#*n Seapularand an drei St»* 1 i^• n.
ceradc da, wo jeder Muskelansatz des Saerolumbalis befestigt werden soll:-,
und uTci dien dies durch je eine Silherdrahtnaht. Dabei halten wir durV
I)nu*k auf die Schulter die Scapula m*•«rli<dist nach innen und abwärts. Dur-I.
einige Catiiutniihlc werden die Muskelansätze an das Periost und die Muskulrtt ir
der Scapula weiter befestigt. Naht der \\Viehteile, Verband mit IDd'estiiiuüL
der Schultern nach hinten und abwärts. Verlauf ohne Störurur, Hoi 1 um: i***r
priiuam.
2. O p e ra t i o n, links (11.5. 1910). Die Operation wird im grossen uri
L r an/.eti ähnlieli w ie rechts auscefiilirt: w ir benutzen nur 4 statt o Ansätze «;»-
Saerolumbalis an den Kippen und meissein ein noch grösseres Stück von •■'!»**
Pleura ab 2 1 ■» : 2 ein 1 . Verlauf unireslürt : am 10. 'Face nach jeder Opera?!":,
werden die Nähte entfernt. Wir führen täidieh einige Beweemumn aus. s.ir^t
aber sorgen w ir dafür, dass die Schultern durch irerinnete Verbämle nach hin:*::
und abwärts fcstcehallen werden. Schon vorder Ent lassuntr (29. 5. 1910) konr*-
fcsteestellt werden, dass die Schultern nicht mehr flüiodartii: abstehen. nä;.- r
der Wirbelsäule behalten werden, dass der obere innere Kami nicht mehr ii:.
die Halslinie vorsprinirt und die Arme leichter bis zur Horizontalen «odo:
werden können. Ks sind besondere l’ebunmm empfohlen, und Patientin wir
entlassen.
Nach 10 Monaten ;2. 4. 1911) stellt sieh die Patientin wieder vor und er¬
zählt. dass ihr Zustand sieh wesentlich gebessert hat. dass sie die Arme 1P
zum Kopf erheben kann, um sieh zu kämmen, und kleinere Pasten leicht-r
tragen kann; es besteht jedoch immer noch einige Schwäche und SehwimVk'
in drr Armhebuni:.
Status (2.4. 1911): Bei der Betracht um: des Kückens sehen wir di<
Schulterblätter in besserer Stellumr. da der lnneiiraml und untere Winkel ni-M:
mehr vorsprirumn und der Abstand des Innenrandes von der Mittellinie ne
Sem beträgt (Kiir. * s ). Die Bessermur wird deutlicher I »ei den Bewciruiuren dr
Anne, da die Hehumr beider Arme sowohl von der Seite wie auch von \
über die Horizontale hinaus vorcenommen werden kann (Kiir. 9. 10. 11). Dal
fehlt das flÜL r elartirre Ausweichen des Irmenrandes der Scapula, da dann
implantierte Muskel, unter der Haut vorsprinircnd. sichtbar wird (Fiir. 12). .leV •
Arm kann mit Beiehtiirkeit so gehoben werden, dass die Hand den Kopf
reielien kann (Fiir. 10). Sehliesslieh. während früher die Arme nur «iur--P
Schlcudcrbcwccunc hinter den Nacken geführt und dort «rehalten werden könnt»*:,
kann Patientin jetzt durch Krfassen beider Hände die Arme langsam ua»
fast senkrecht erheben (Fiir. 12). Von vorn betrachtet fällt auf, dass d-
Schultern nicht mehr Vorfällen und bei der Armhehuni: die oberen Wink-,
nicht mehr hcraussprimmn (Fi»r. 11).
Es ist ersichtlich, dass sowohl in der Halluni: wie auch in der Funkt: ■:
der Arme durch die bisherigen Operationen eine wesentliche Bessern in: »■inm’-
treten ist. Pm jedoch den Armen noch mehr Festigkeit zu verleihen und v-r
allem die Armhebuni: zu vervollständigen, entsehliessen wir uns zu einer er¬
gänzenden Operation: die lVberpflanzun»: der Sternalportion des M. pcetoraI>
major an den unteren Seajiularwinkel zum Ersatz des fehlenden Serratus: da
um so mehr aneespornt durch das eilte Resultat, welches wir kurz vorher :<
Eall 1, der isolierten Serratuslähmum:, erreicht halten.
o. Operation, rechts (o. 4. 1911). I eben rairimi: des rechten M. tboraei. e
Ion «jus und Befestinuni: am unteren Seapularw inkel. nenau w ie bei Fall 1 be¬
schrieben worden ist.
Gck 'gle
Original frnm
UMIVERSITY 0F IOWA
Feber Muskelüberpflanzun^en am Schulteririirtrl.
179
4. Operation, links (18.4. 1911). (icnau so wie oben. jedoch in beiden
Fallen, um den Antagonismus der Brustmuskeln möglichst zu vermindern, wurde
nicht allein die Sternalportion, sondern der iranze irrosse Brust rnuskcl
transplantiert.
Der Verlauf nach beiden Operationen war ungestört. Heilung der Wunde
per priniam. und Patientin konnte am 28. 5. 1911 entlassen werden.
Revision ein Jahr später eiyab ein recht befriedigendes Resultat sowohl
in der Haltung wie in der Funktion der Arme.
Schlussrevision (13.5.1915). Patientin hat inzwischen ireheiratet, hat
Kinder und steht ihrem eigenen Hauswesen vor. Sie tribt an. ihre volle Arbeit
in Haus und Feld verrichten zu ■ können. Nach hiesiger Sitte muss sie die
schwerste Feldarbeit verrichten, und sie kann dies ohne jede Beeinträchtiffuiii:
wie jede andere Frau. Von einer Schwache ihrer Arme wie früher merkt sic
dabei nichts. Sie kann auch ohne jede Behinderung die Anne nach jeder
Hiebtumr frei bewegen, selbst Lasten hoch- und herabheben und ist mit ihrem
Zustand vollkommen zufrieden.
Die r n t e rs uch u nt: ertrab: in der Ruhelage normales Verhalten, nur ist
der Abstand des inneren Seapularrandes von der Mittellinie etwas grösser als
irewühnlieh: die Schulter hänirt nicht abwärts wie früher. Die kräftige Arm-
imiskulatur «reirenüher der schwächeren an Schulter und Thorax fällt auf. Die
Arme werden leicht und kräftig irehoben bis zur Senkrechten (Fiir. 14). dabei
sind sowohl die Zacken des Sacrolumbalis ire^om den Schulterblattwinkel wie
besonders der vorgelagerte Pectoralis kräftii: sieh zusammenziehend erkennbar.
Das Schulterblatt steht in keiner Weise vom Thorax ab und wird bei seiner
DrebiiiiLT i:ut niederirehallen. (Oeeensatz der l r iir. 8. 9 zu 13, 14.) Nur bei der
Ifon'zonlalhaltuiu: des Armes (Fiir. 13), besonders wenn die Arme horizontal
nach vorne gerichtet gehalten werden, ist noch die Abhebung des Schulter¬
blattes vom Thorax in «rerimrem. nicht störendem (irade sichtbar. Das Resultat,
fünf Jahre nach der 1. Operation, ist somit äusserst befriedigend.
12 *
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
IV.
Digitized by
(Aus der II. chirurgischen Universitätsklinik in Wien. — Vorstand:
Hofrat Prof. v. Hochenegg.)
Nochmals zur Technik der Magenresektion.
Von
Dr. Hans Finsterer,
Privatdozent für Chirurgie. Assistent der Klinik.
(Mit 2 Textfiguren.)
Im 106. Band dieses Archivs erschien eine Arbeit v. Haberer’s
über Magenresektion, in der auf Grund unrichtiger Annahmen ein
derart vernichtendes Urteil über mein wissenschaftliches Arbeiten
gefällt wurde, dass ich unbedingt erwidern muss.
1. v. Haberer verteidigt vor allem die Priorität Krön lein’s
für die von mir mitgeteilte Methode, indem er, ohne die Literatur¬
quelle anzugeben, behauptet, die von mir geschilderte Art der Ope¬
ration sei bereits von Krönlein geübt worden.
Dem gegenüber muss festgestellt w'erden, dass aus den eigenen
Arbeiten der Krönlein’schen Klinik hervorgeht (Krönlein, Schön¬
holzer), dass Krönlein niemals diese Resektionsmethode bei Car¬
einom angewendet hat, sondern ausschliesslich Billroth I und II.
letztere Methode mit vollständigem Verschluss des Duodenums und
des Magenlumens und Anlegung einer Gastroenterostomie (Schön¬
holzer, S. 461). v. Haberer verteidigt also die Priorität Krön¬
lein’s für eine Methode, die vom Autor und seinen Schülern nie¬
mals methodisch ausgeführt worden war 1 ).
2. Die v. Mikulicz’sche Modifikation hat die gleichen Nach¬
teile wie die Methode Billroth II (Insuffizienz des Duodenalstumpfes,
1) v. Mikulicz und Kausch erwähnen in der 1. Auflage des Handbuchs
für Chirurgie (1900). dass Krönlein in einem Falle so vorgegangen sei. dass
er das Duodenum verschloss und die ganze, in diesem Falle kleine Magenwunde
in das Jejunum einnähte. Unter den 50 Carcinomrcsektionen ist dieser Fall
ni«*ht verzeichnet, eine Ijiteraturangabe fehlt. Vielleicht handelte es sich um
eine benigne Pylorusstenose oder ein Ulcus mit Resektion eines ganz kleinen
Magenahschnittes.
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Nochmals zur Technik der Magenresektion.
181
Unsicherheit der Magennaht); sie wurde deshalb an der Klinik v. Mi¬
kulicz allgemein wieder verlassen (Makkas: unter 81 Resektionen
7mal Duodenalinsuffizienz). Diese Nachteile lassen sich vermeiden:
1. Durch eine ganz kurze Jejunumschlinge, wodurch die Stau¬
ung im Duodenum wegfällt.
2. Durch die richtige Anlagerung der Schlinge, die es er¬
möglicht, den gefürchteten Winkel, wo die Anastomosen-
naht mit der Magcnverschlussnaht zusammentrifft, durch
Fixation der zuführenden Jejunumschlinge absolut zu sichern,
was bei der Anlagerung nach v. Mikulicz unmöglich ist,
da sonst infolge Hinaufnähens der abführenden Schlinge die
Füllungder zuführenden Schlinge noch mehr begünstigt würde.
Fig. 1.
Fig. 2.
Mrt In mIi* K rn n I r i n - v. M i k u 1 i r z
nach (Irr Abbildung von Kausch.
..Verbesserte Modifikation“ der Mairen-
resektinn.
/ Durch Xiilit verschlossenes Mairenlumrn.
2 Wind verschlossenes Duodenum. X Zu-
fiilirender .Jrjunumsrhrnkrl. 4 Anast«»-
mose. ;> Fixation des Mesoeolonsehlitzes
am Mairen.
Der Unterschied zwischen der ursprünglichen v. Mikulicz¬
sehen Methode und der von Hofmeister und mir geübten Modi¬
fikation wird durch die beigegebenen Schemen veranschaulicht.
Wenn eine Modifikation die Nachteile einer Methode sicher aus-
sehalten kann, so ist sie doch sicher wert, allgemein gekannt und
geübt zu werden, und kann nicht als „ganz geringfügige“ Ab¬
weichung bezeichnet werden.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
182
II. Finsterer,
Digitized by
3. v. llaberer behauptet, (lass ich auf der Naturforscher-
Versammlung die Methoden von Krönlein-v. Mikulicz, Reichel,
Polya verschwiegen hätte. Das entspricht nicht der Tatsache.
Bei der Kürze der Redezeit (7 Minuten) wurden die verschiedenen
Methoden, die übrigens sämtlich durch Skizzen erläutert waren,
nur ganz nebenbei erwähnt, und nur die Wilms'sche Methode ein¬
gehender mit dem von mir geübten Verfahren verglichen, da bei
einem genauen Eingehen auf sämtliche Methoden die Redezeit kaum
zur Schilderung der verschiedenen, in der Literatur rnitgeteilten
Methoden hingereicht hätte, so dass der Zweck des Vortrages, die
Schilderung der von mir geübten Methode, unmöglich hätte erreicht
werden können. Das Manuskript wurde unmittelbar nach dem Vor¬
trag dem Schriftführer abgeliefert, wie es ja auch Vorschrift ist.
Deshalb konnte auch auf die von v. Habe rer mir gemachte Ein¬
wendung keine Rücksicht genommen werden.
Es ist richtig, dass ich v. Haberer eine Antwort auf seine
Diskussionsbemerkung schuldig blieb, lediglich aus dem Grunde,
um Zeit zu ersparen, da durch eine spätere mündliche Anfrage,
wo denn die von Hofmeister geübte Methode publiziert sei, der
Name des Autors ebensogut zu erfahren war, was in der Tat auch
geschah. Es ist aber ganz und gar unrichtig, wenn v. Haberer
behauptet, dass er mich erst auf die Arbeit Polva’s aufmerksam
machen musste, welche Arbeit, im Centralblatt für Chirurgie er¬
schienen, mir selbstverständlich bekannt war.
4. Wenn v. Haberer mir den Vorwurf macht, dass ich in
meiner Arbeit seine Diskussionsbemerkung nicht richtig zitiert habe,
so kann ich dem nur gegenüberhalten, dass ich mich nur nach
dem Gesprochenen richten konnte, da mir die gedruckte Dis¬
kussionsbemerkung zur Zeit der Fertigstellung der ausführlichen
Arbeit noch nicht zur Verfügung stand.
5. Der Vorwurf der zur Zeit meines Vortrages erwiesenen Ln-
kenntnis der einschlägigen Literatur war einzig und allein damit be¬
gründet, dass mir die Arbeit Burk’s, in welcher das von v. Haberer
erwähnte Verfahren Hofmeisters genauer geschildert ist, nicht
bekannt war, so dass ich bis zu meinem Vortrage tatsächlich der
Ansicht war, dass die ganz gleiche Art der Resektion bisher über¬
haupt noch nicht beschrieben sei. Wenn man aber bedenkt, dass
die Arbeit Burk’s nicht das Carcinom, sondern nur gutartige
Magenerkrankungen behandelt, so mag es dahingestellt bleiben,
ob das Lebersehen einer Arbeit über gutartige Erkrankungen bei
der Frage der Resektionstechnik beim Carcinom wirklich dazu
berechtigt, mir Unkenntnis der einschlägigen Literatur vorzuwerfen.
Die prinzipielle Anwendung dieser ausgedehnten Resektion kann
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
X'M'hmals zur Technik ilcr Masjonrf'scktion.
183
doch nur für das Carcinora gelten, niemals aber für das Ulcus,
bei dem die Ausdehnung der Resektion in erster Linie vom Sit/,
des Ulcus abhängig sein wird. Man konnte daher doch unmöglich
verlangen, dass bei der Orientierung über die Frage der Technik
der Magenresektion beim Carcinom auch alle jene grossen stati¬
stischen Arbeiten berücksichtigt werden, die ausdrücklich, wie die
Arbeit Burk’s, nur gutartige Magenerkrankungen behandeln.
6. Wenn v. Hab er er meine Behauptung, dass derart ausge¬
dehnte Magenresektionen, wie sie von mir beim Carcinom prinzipiell
ausgeführt wurden, bei den gutartigen Erkrankungen nur in Aus-
nahraefällen Vorkommen, „kühn findet“, so kann ich mich über
diese Ansicht nur wundern, denn ich kann doch wohl kaum an¬
nehmen, dass es unter den prinzipiellen Anhängern der Resektion
des Ulcus auch nur einen Chirurgen gibt, der für die Resektion
des Ulcus genau dieselbe radikale Operationsmethode fordert wie
für das Carcinom, also bei Ulcus des Pylorus die Entfernung der
ganzen kleinen Kurvatur bis zum Oesophagus hinauf.
7. v. Haberer erhebt weiters gegen mich den Vorwurf, dass
ich den Autor, der die gleiche Methode früher mitgeteilt hat, ein¬
fach verschwiegen habe. Das ist wieder nicht richtig; denn ich
habe weder den Namen des Autors der Methode (Hofmeister),
noch den seines Assistenten (Burk) verschwiegen, sondern sie
wiederholt zitiert und auf S. 529 ausdrücklich erklärt: „Der von
mir geübte Vorgang bei der Magenresektion deckt sich im Prinzip
mit dem Verfahren von Hofmeister, nur ist die Reihenfolge der
einzelnen Akte etwas verschieden.“ Ich weiss daher nicht, wie so
v. Haberer mir den Vorwurf machen konnte, ich hätte den Autor
der gleichen Methode einfach verschwiegen.
8. Wenn v. Haberer schreibt, dass eine lange Arbeit wieder
eine neue Methode der Resektion nach Finsterer bringt, welche
ebenfalls absolut nichts anderes als das Kröulein-v. Mikulicz-
sche Prinzip verfolgt, und nur alle der modernen Technik selbst¬
verständlich entsprechenden Modifikationen aufgenommen hat, wie
sie schon von Reichel, Polya, Wilms, Hofmeister u. v. a. be¬
folgt wurden, so ist dem entgegenzuhalten, dass ich in der ganzen
Arbeit nicht ein einziges Mal den Ausdruck „neue“ Methode ge¬
braucht habe, dass ich nur von der von Hofmeister und mir
geübten Methode beim Vergleich mit anderen Modifikationen ge¬
sprochen habe.
Der Zweck meiner Publikation, der auf S. 528 ausdrücklich
angegeben ist, war nur der, die von Hofmeister und mir geübte
Modifikation auf Grund reicher Erfahrungen (in 2 Jahren 29 Carcinom-
resektionen) wegen ihrer grossen Vorteile gegenüber den bisherigen
Digitized by
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
184
II. Finsterer,
Digitized by
Methoden (Möglichkeit einer radikalen Operation mit Exstirpation
der ganzen kleinen Kurvatur, Sicherheit der Duodenal- und Magen¬
naht, Möglichkeit, auch Pankreasgewebe ausgedehnt zu resezieren,
ausserordentlich günstiger Verlauf nach der Operation) allgemein
bekannt zu machen und zur Nachahmung zu empfehlen.
Während in meiner schwer angeschuldigten Arbeit alle Autoren
zitiert sind, haben sowohl Wilms wie auch Kunika bei der Mit¬
teilung der Modifikation der Magenresektion, die ausdrücklich als
neue Methode bezeichnet wird, durch welche es gelungen ist, die
nachträgliche Nahtinsuffizienz zu vermeiden (S. 492), w r eder die
Autoren Krönlein und v. Mikulicz, noch auch Hofmeister und
Burk genannt, und dadurch eigentlich dieselbe sträfliche Literatur¬
unkenntnis bekundet, die v. Haberer mir zum Vorwurf gemacht
hat. Die Arbeit Kunika’s, die ich wiederholt zitiert habe, konnte
v. Haberer unmöglich entgangen sein.
Wenn v. Haberer gegen meine Arbeit, in der doch alles, was
in der Literatur Wichtiges mitgeteilt ist, angeführt ist, so schwere,
den Autor direkt kompromittierende Anschuldigungen erhebt, wäh¬
rend er die Arbeiten von Wilms und Kunika, die unter Nicht¬
erwähnung der Methode Krönlein-v. Mikulicz und Hofmeister
ausdrücklich von einer neuen Methode berichten, einfach übergeht,
so kann das wohl niemand als eine objektive, rein sachliche Kritik
bezeichnen.
Die Veranlassung für die ausführliche Mitteilung der Resektions¬
technik war für mich die Tatsache, dass namhafte Chirurgen die
in der Arbeit Burk’s ganz versteckt mitgeteilte Methode von
Hofmeister nicht kannten. Auch v. Haberer dürfte zu Ostern
1913 die bereits im Dezember 1911 erschienene Arbeit Burk s
noch nicht gekannt haben. Zu dieser Behauptung veranlasst mich
folgende feststehende Tatsache: Als ich gelegentlich des Chirurgen-
Kongresses 1913 im Privatgespräch Herrn v. Haberer in Gegen¬
wart mehrerer Kollegen auf seine Frage, was ich, zur Diskussion
über Magenresektion gemeldet, eigentlich bringen wollte, die von
mir seit zwei Jahren geübte Modifikation schilderte und die Vor¬
teile derselben gegenüber den anderen Methoden (v. Mikulicz.
Reichel, Polva, Wilms) ganz besonders für ein möglichst radi¬
kales Entfernen der ganzen kleinen Kurvatur und die Möglichkeit
ausgedehnter Pankreasresektionen hervorhob, da erwähnte v. Ha¬
berer mit keinem Wort, dass Hofmeister die gleiche Modifika¬
tion seit langer Zeit übe, dass sie in einer Arbeit Burk’s bereit?
mitgeteilt sei. Es ist doch nicht gut anzunehmen, dass er mich,
während ich doch damals von einer von mir für neu gehaltenen
Modifikation sprach, auf die Arbeit Burk’s nicht aufmerksam ge-
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Nochmals zur Technik der Mairenrcsektiim.
185
macht hätte, wenn sie ihm damals bekannt gewesen wäre. Die
eine Tatsache steht fest, dass v. Haberer erst nach dieser Unter¬
redung mit der Begründung der Vorteile die ähnliche Art der Re¬
sektion systematisch angewendet hat, statt der Methode Billroth II,
denn er sagt S. 544, dass er seit dem 30. April 1913, also circa
zwei Wochen nach dem Chirurgen-Kongress, bei jeder Magenresek¬
tion, die nach der II. ßillroth’schen Methode ausgeführt wird,
prinzipiell das genannte Prinzip (der lateralen Implantation) an¬
wendet, wobei er allerdings bestrebt ist, nach Polya womöglich
den ganzen Querschnitt des Magens zur Anastomose zu ver¬
wenden.
v. Haberer bezeichnet meine Publikation als eine ganz über¬
flüssige Belastung der Literatur, da ja diese Modifikationen ohne¬
dies alle bekannt seien. Das ist aber nicht richtig, denn die
wirklich beste Modifikation Hof meister’s, die identisch ist mit
dem von mir geübten Verfahren, findet sich nirgends zitiert, auch
nicht in der neuesten, 1913 erschienenen Auflage des Handbuches
der Chirurgie. Wäre sie hier von Kausch angeführt worden und
ihre Vorteile ausdrücklich hervorgehoben worden, so hätte ich
gewiss meine Mitteilung nicht erscheinen lassen.
v. Haberer hält weiter das von Polya geübte Prinzip, die
ganze Magenbreite zur Anastomose zu verwenden, für richtiger
und erklärt meine Bedenken wegen des hohen Hinaufziehens der
Jejunumschlinge bis zum Oesophagus nur für theoretisch begründet.
Dagegen ist zu erwidern, dass
1. bei der variablen Lage der Plica duodenojejunalis der
Abstand derselben vom Oesophagus bzw. vom Zwerchfell
15—20 cm betragen kann, wie Messungen gelegentlich
der Operation und bei Sektionen ergeben haben. Der
zuführende Jejunumschenkel und der zur Anastomose ver¬
wendete Schenkel verlaufen parallel zu einander, es muss
auch bei genügend langer Schlinge zu einer spitzwinkeligen
Abknickung am Oesophagus kommen, wenn die Opera¬
tion tatsächlich die ganze kleine Kurvatur betrifft;
2. die Operationsdauer wird statt verkürzt verlängert und
die Operation unnötig erschwert, da auf eine Distanz von
10—15 cm statt der einfachen Magenverschlussnaht eine
doppelte Naht der vorderen und hinteren Wand notwendig
wird, die hoch oben am Zwerchfell bei offenem Magen-
und Darmlumen unter Schwierigkeiten angelegt werden
muss.
Die Ausbildung einer Oesophagusfistel kann durch die Ver¬
wendung der ganzen Magenbreite zur Anastomose keineswegs ver-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
186
II. Finsterer,
Digitized by
hindert werden, denn nach Resektion der rechten Uesophaguswand
liegen die Verhältnisse ganz ähnlich wie bei der Totalresektion der
Cardia, es kommt der peritoneumlose Oesophagus mit dem von
Peritoneum bedeckten Jejunum in direkte Verbindung. Die Naht¬
sicherung am Oesophagus kann man nach Resektion der rechten
Wand desselben viel besser durch das manschettenförmige Herum¬
schlagen des Magenfundus erreichen, wie es in meiner Arbeit ab¬
gebildet und beschrieben ist.
Die Fixation des Mesocolonschlitzes am Magen, durch welche
die Anastomose in den freien ßauchraum versenkt wird, hält
v. Haberer für vollkommen belanglos, da ja die Drainage heute
allgemein aufgegeben ist. Dieser Ansicht kann ich mich durch¬
aus nicht ansehliessen. Glatte Falle von Magenresektionen drai-
niere ich selbstverständlich nicht. Muss aber wegen l'ebergreifens
des Carcinoms auch die rechte Oesophaguswand reseziert werden,
oder ist wegen Lebergreifens des Carcinoms auf das Pankreas auch
das Pankreasgewebe selbst zu entfernen, dann habe ich stets
drainiert, einerseits wegen der Unsicherheit der Oesophagusnaht,
andererseits um die Ausbildung der Fettnekrose und Peritonitis
sowie die Andauung der Magennaht durch das gestaute Pankreas¬
sekret zu verhindern. Bei weitgehender Indikationsstellung sind
Pankreasresektionen keine Seltenheit mehr. Während v. Haberer
in 10 Jahren nur in 9 Fällen carcinomatösc Lymphdrüsen aus dem
Pankreas ausschälte, wie er S. 563 selbst angibt, wobei ja Pan¬
kreasgewebe selbst nicht verletzt wird, und, nach den Kranken¬
geschichten zu urteilen, vielleicht in 4 Fällen eine teilweise Re¬
sektion des Pankreas vornahm, welche Fälle von ihm im Texte
zu den Drüsenausschälungen gerechnet werden, habe ich unter den
29 Fällen der Carcinomresektionen 11 mal grössere Anteile von
Pankreasgewebe reseziert. Auch unter den seither (Januar bis Juni
1914 und Mai 1915) ausgeführten weiteren 26 Carcinomresektionen
musste 12 mal wegen l’ebergreifens des Carcinoms Pankreasgewebe
entfernt werden. Es beträgt demnach die Frequenz der gleich¬
zeitigen Pankreasresektion, die bei v. Haberer kaum 6 pCt. be¬
trug, bei meinen 55 Carcinomresektionen 41,8 pCt.
Ich halte es jedenfalls für viel gewagter und gefährlicher,
nach Pankreasrasektionen, bei welchen die Naht des Peritoneal¬
überzuges über den Defekt nicht mehr möglich ist, auch nach
Deckung mit Netz usw. den Bauch vollkommen zu schliessen als
zu drainieren. Es ist durchaus nicht notwendig, dass die Drai¬
nagestreifen, die lediglich auf die ■wunden Pankreasstellen zu liegen
kommen, auch mit der Magenverschlussnaht oder mit dem Duo-
denalstumpf in Berührung kommen, da letzterer zumeist mit
Go^ 'gle
Original fro-m
UNIVERSIT7 OF IOWA
Nochmals zur Technik der Mayenresektion.
187
den Kesten des Ligamentum hepatocolicum überdeckt ist, die
Magennaht aber in den meisten Fällen durch ein breiteres Fassen
der hinteren Magenwand sich von selbst nach rückwärts dreht und
dem Peritoneum der hinteren Bauchwand anliegt. Jedenfalls kann
bei Verletzung eines Nebenastes des Ductus pancreaticus durch
die Drainage die Andauung des Magens und des Duodenums und
die fortschreitende Fettnekrose viel leichter verhindert werden. Die
Anastomosennaht selbst wird, weil vollständig unterhalb des Meso¬
colons liegend, auch bei starker Absonderung von Pankreassekret
auf keinen Fall geschädigt.
Es ist sicher ganz gleichgültig, nach wem brauchbare Ver¬
besserungen üblicher Operationsmethoden benannt werden. Die
Hauptsache ist, dass sie allgemein bekannt und geübt werden.
Wenn v. Haberer die Priorität von v. Mikulicz (Krönlein hat
ja die Modifikation niemals methodisch verwendet) unbedingt ge¬
wahrt wissen will, obwohl das v. Mikulicz’sche Verfahren noch
die gleichen Nachteile besitzt wie die Methode Billroth II., so
kannte man die geschilderte Methode als „Verbesserte Modifikation
der v. Mikulicz'schen Magenresektion nach dem Prinzip Bill¬
roth II. u oder einfacher „Verbesserte Methode Billroth II.“ be¬
nennen. Es ist aber unbedingt zu verlangen, dass diese
„Verbesserte Methode“ durch Aufnahme in die Lehrbücher
und chirurgischen Handbücher mit genauer Wiedergabe
des Wesens und der Vorteile der Verbesserung der Allge¬
meinheit bekannt werde, damit auch jüngere Kollegen
sowie Chirurgen, die wenig Fachjournale zur Verfügung
haben, sich in den Handbüchern über das Wichtigste
orientieren können, um diese „Verbesserte Methode Bill¬
roth II.“ zum Nutzen der Menschheit allgemein anzu¬
wenden.
Literatur.
1. Burk, Die chirurgische Behandlung gutartiger Magenerk ran kungen und ihm*
Fnlgezustämlc. Beitr. z. klin. Chir. 1911. Bd. 7h. 8. h3S.
2. Finsterer, Zur Technik der Magenresektion. Deutsche Zeitsehr. f. Chir.
1914. Bd. 12S. S. ul4.
B. v. Näherer, Meine Erfahrungen mit 1S3 Magenresektionen. Archiv f. klin.
Cliir. 1915. Bd. 10h. 8. 533.
4. Kauseh. Handbuch der praktischen Chirurgie. III. u. IV. Aull. Bd. 3.
Krün lein, Chirurgische Erfahrungen über das Mageneareinom. Bcitr. /..
klin. Chir. 189h. Bd. 15. S. 311.
H. Krön lein, Feber die bisherigen Erfahrungen bei der radikalen Operation
des Magencareinoms. Verband!, d. Deutschen Gesellschaft f. Chir. 1898
Teil II. S. 184.
Digitized by
Go«. igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
188 H. Finsterer, Nochmals zur Technik der Magenresektion.
7. Krön lein, L eber den Verlauf des Mageneareinoms bei operativer und nicht-
operativer Behandlung. Vortrag am Chirurgen-Kongress 1902. Archiv f.
klin. Chir. 1902. Bd. 67. S. 676.
8. Klinika, Statistische Mitteilungen über die Resultate des W i 1 m s ’sclien
Verfahrens zur Stumpfvcrsorgimg nach Magenresektionen. Deutsche Zeitsehr.
f. Chir. 1912. Bd. 118. S. 483.
9. Makkas, Beiträge zur Chirurgie des Magencareinoms. Mitteil. a. d. Grenz¬
gebieten d. Med. u. Chir. III. Suppl.-Bd. S. 9SS.
10. v. Mikulicz, Technik der Operation des Magencareinoms. Verhandl. der
Deutschen Ocsellschaft f. Chir. 1898. Teil 11. S. 252 und Archiv f. klin.
Chir. 1898. Bd. 57. S. 524.
11. v. Mikulicz und Kausch, Handbuch der praktischen Chirurgie. I. Ami.
1900. Bd. 111. 11.1. S. 204.
12. Polya, Zur Stumpfversorgung nach Magenresektion. Centralhl. f. Chir.
1911. Nr. 26. S. 892.
13. Reichel, Zur Stumpfversorgung nach Magenresektion. Centralhl. f. Chir.
1911. Nr. 42. S. 1401.
14. Schön ho Izer, Die Chirurgie des Magenkrebses an der Krön 1 e i n‘sehen
Klinik 1SS1 —1902. Beitr. z. klin. Chir 1903. Bd. 39. S. 442.
15. Stumpf, Beitrag zur Magenehirnrgie. Beitr. z. klin. Chir. 1908. Bd. 59.
8. 551.
16. Wilms, Zur Stumpfversorgung nach Magenresektion. Centralhl. f. Chir.
1911. Nr. 32. S. 1087.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Sachliche Berichtigung
zu vorstehenden Bemerkungen Finsterer’s.
Von
Prof. Dr. Hans v. Haberer (Innsbruck).
So sehr ich es bedaure, muss ich nochmals zur Feder greifen,,
um Herrn Dr. Finsterer neuerlich darauf aufmerksam zu machen,
dass man bei der Abfassung wissenschaftlicher Publikationen sich
strenge an Tatsachen halten muss.
ln vorstehender Publikation meint Herr Dr. Finsterer, dass
ich auf Grund unrichtiger Annahmen zu einem vernichtenden Urteil
über sein wissenschaftliches Arbeiten gekommen bin, und begründet
seine Meinung in mehreren Punkten. Finsterer sagt 1.: „v. Haberer
verteidigt also die Priorität Krön lein’s für eine Methode, die vom
Autor und seinen Schülern niemals methodisch ausgeführt worden
war.“ Das ist unrichtig. Richtig ist vielmehr, dass ich sowohl
in meiner Diskussionsberaerkung zu Finsterer’s Vortrag, als auch
in meiner im 106. Band des Archivs für Chirurgie erschienenen
Arbeit von einer Modifikation der Methode Billroth II durch Krön¬
lein und v. Mikulicz gesprochen habe, auf welcher die weiteren
Vorschläge von Reichel, Polya, Wilms basieren. Die Richtigkeit
dieser meiner Annahme bewies ich dadurch, dass Hofmeister,
der diese Methode in der durch die allgemeinen Errungenschaften
fortschreitender Technik veränderten Form seit Jahren verwendet,
durch seinen Schüler Burk das Verfahren eine Modifikation der
Krönlein-Mikulicz’schen Methode nennt.
Wie oft und ob methodisch Krönlein und v. Mikulicz ihr
Verfahren angewendet haben, darüber habe ich mich niemals aus¬
gesprochen.
Finsterer sagt 2.: „Die v. Mikulicz’sche Methode hat die
gleichen Nachteile wie die Methode Billroth II, welche sich ver¬
meiden lassen: erstens durch eine ganz kurze Jcjunumschlingc,
Digitized by
Goi igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
190
II. v. Hal.ercr.
Digitized by
zweitens durch die richtige Anlagerung dieser Schlinge.“ Darauf
habe ich zu bemerken: Wiewohl ich nie etwas anderes behauptet
habe, als dass alle in neuerer Zeit mit mehreren Namen verquickte
Modifikationen auf Gedanken und Vorschläge zurückzuführen sind,
welche schon von Krönlcin und v. Mikulicz ausgesprochen
wurden, die dem Fortschritte der Zeit gemäss Abänderungen er¬
fahren mussten, so geht ja gerade aus Finsterer’s eben ange¬
deuteter Bemerkung hervor, wie wenig originell die neueren Vor¬
schläge sind, denn die Art der Ausnutzung des Querschnittes des
Magens zur Anastomosc ist auf Krönlein und v. Mikulicz zuriiek-
zuführen, die Wahl der kurzen Jejunumsehliuge auf v. Hacker.
Die richtige Anlagerung dieser Schlinge ergibt sich, ohne dass
man viel Worte zu verlieren braucht, für den Chirurgen von selbst.
Finsterer sagt 3.: „v. Habcrer behauptet, dass ich auf der
Naturforscherversammlung die Methoden von Krönlein, w Mi¬
kulicz, Reichel, Polva verschwiegen hätte. Das entspricht nicht
der Tatsache.“ Darauf habe ich zu erwidern: Meine Ausführungen
in der Arbeit im 106. Band des Archivs für klinische Chirurgie
halte ich voll und ganz aufrecht, weil sie eben absolut der Tat¬
sache entsprechen, während Finsterer’s Entschuldigung den Tat¬
sachen nicht entspricht. Es interessiert mich dabei gar nicht, wann
Finsterer sein Manuskript abgeliefert hat, und wem er es abge¬
liefert hat. Dass die Namen jener Autoren, welche Finsterer in
den Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und
Aerzte 1914 nennt, bei seinem Vortrage in der Tat ungenannt
blieben, das weiss ich nicht nur sicher, sondern dafür spricht meine
ebendaselbst veröffentlichte Diskussionsbemerkung, die, wieFinstcrer
zugibt, unwidersprochen blieb, die aber keinen Sinn gehabt hätte
und auch von mir nicht gefallen wäre, wenn Finsterer die Literatur
entsprechend berücksichtigt hätte. Ich betone übrigens, das* in
eben citicrter Arbeit Finsterer’s in den Verhandlungen der Ge¬
sellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte der Name Hof-
meister’s nicht vorkommt. Wichtiger erscheint mir Finsterer's
Selbstbericht im Centralblatt für Chirurgie, 1913, S. 1999, in welchem
bloss der Name Wilms vorkommt, wie es ganz genau dem von
Finsterer gehaltenen Vortrage entspricht. Zu dieser Darstellung
im Centralblatte für Chirurgie stimmt denn auch meine Diskussions-
bemerkung ausgezeichnet.
Wenn Finsterer sagt, „es sei ganz und gar unrichtig, dass
ich ihn erst auf die Arbeit Polya’s aufmerksam machen musste,
welche Arbeit, im Centralblatt für Chirurgie erschienen, ihm selbst¬
verständlich bekannt war“, so habe ich darauf zu antworten, dass
ich ihn tatsächlich auf diese Arbeit erst aufmerksam machen musste.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
191
Sachliche 1 >r*ric-litiini ult /u vorstehenden Ijemerkun<:en Finsterer s.
von welcher er mir erklärte, sie sei ihm vollständig entgangen.
Wenn dies auch allerdings erst nach der Sitzung in einem Privat¬
gespräche geschah, so musste ich doch annehmen, dass Finsterer
in seiner Arbeit in der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie, in der
er sich in unvollkommener Weise auf meine Diskussionsbemerkung
bezogen hat, die durch mich erfolgte Aufklärung durch streng
kritische Verwertung der Literatur berücksichtigen würde.
Zu Punkt 4 der Bemerkungen Finsterer’s kann ich bloss
sagen, dass er mir jede Stellungnahme erspart hätte, wenn er
sich in seiner Arbeit wirklich „nach dem Gesprochenen** gerichtet
hätte.
Wenn in Punkt 5 Finsterer meint, dass ihm der Vorwurf
erwiesener Unkenntnis der einschlägigen Literatur einzig und allein
damit begründet erscheint, dass ihm die Arbeit Burk’s, in welcher
Hofmeister’s Verfahren genauer geschildert wird, nicht bekannt
war, so weise ich das unter vollständiger Aufrechterhaltung der in
meiner Arbeit gegebenen sachlichen Darstellung sowie mit Bezug
auf die eben gegebene Widerlegung der Punkte 1 — 3 Finsterer s
zurück.
Wenn Finsterer glaubt, dass es dahingestellt bleiben mag.
„ob das Uebersehen einer Arbeit über gutartige Erkrankungen bei
der Frage der Resektionstechnik beim Carcinom wirklich dazu be¬
rechtigt, ihm Unkenntnis der einschlägigen Literatur vorzuwerfen“,
so habe ich demgegenüber bloss die eine Tatsache festzustellen,
dass die in Frage kommende Arbeit Burk’s über 41 Resektionen
berichtet, wovon nicht weniger als 26! wegen Carcinom ausgefiihrr
waren. Im übrigen ist Finsterer darauf nicht eingegangen, dass
ich ihn in meiner Arbeit auch darauf aufmerksam machen musste,
dass schon Stumpf im 59. Bande der Bruns’schen Beiträge im
Aufträge Hofmeister’s über die in den Jahren 1904—1907 ope¬
rierten Fälle von Magencarcinom und von gutartigen Magenerkran¬
kungen berichtet hat, aus welcher Arbeit deutlich zu entnehmen
ist, dass Hofmeister schon damals die Krönlein-Mikulicz’sche
Methode in modilicierter Weise angewendet hat. Wenn Finsterer
wirklich, wie er meint, das Centralblatt für Chirurgie so genau
kennt, so muss ich darauf erwidern, dass es dann um so unbe¬
greiflicher erscheint, dass er nicht einmal aus dem Referate der
Stumpf’schen Arbeit im Centralblatt für Chirurgie, 1909, S. 281,
durch Reich darauf aufmerksam wurde, dass in der Hofmeister¬
sehen Klinik schon damals von 21 Resektionen bei Carcinom „15
nach Billroth II meist mit der Krönlein’schen Modifikation aus¬
geführt wurden, wonach das Jejunum in das untere Ende des Re-
sektionsschnittes eingepflanzt wird“.
Digitized
bv Google
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
192
11 . V. 11 Ilhorn-,
Digitized by
In Punkt 6 wundert sich Finsterer, dass ich seine Behaup¬
tung, nach welcher derart ausgedehnte Magenresektionen wie beim
Carcinom bei gutartigen Erkrankungen des Magens nur in Aus-
nahrnefällen Vorkommen, kühn finde. Ich lasse mich auf eine
weitere Debatte über diesen Punkt mit ihm nicht ein, da er das
Ulcus nicht prinzipiell reseciert, ich es aber prinzipiell reseciere.
Was aber übrig bleibt, als ein cardial gelegenes Ulcus callosum
ebenso zu behandeln wie ein Carcinom, vorausgesetzt, dass man
es radikal exstirpieren zu müssen glaubt, möchte ich gerne wissen.
Was man beim Carcinom der Radikalität wegen prinzipiell macht,
muss man bei einem solchen Ulcus der anatomischen Lage wegen
ebenfalls tun. Ich glaube nicht, dass dies auf die Frage der Technik
einen irgendwie entscheidenden Einfluss hat.
In Punkt 7 ist Finsterer im Irrtum begriffen. Ich habe nicht
den Vorwurf erhoben, dass er in seiner in der Deutschen Zeit¬
schrift für Chirurgie erschienenen Arbeit Hofmeister und Burk
verschwiegen hätte; das geht auch in einwandsfreier Weise aus den
entsprechenden Stellen meiner Arbeit im Archiv hervor. Ver¬
schwiegen hat er die Namen nur beim Vortrag sowie dessen Re¬
feraten, und dieses Verschweigen hat er in seiner Arbeit in einer
Weise zu rechtfertigen versucht, die meiner Auffassung nach ernster
wissenschaftlicher Arbeit widerspricht.
In Punkt 8 nimmt Finsterer dagegen Stellung, dass er in
seiner Arbeit den Ausdruck neue Methode nicht gebraucht hätte.
Ich habe seine Methode auch nie für neu gehalten. Die Art aber
wie er sie schildert, die Breite, mit welcher er sie darstellt, sollte
auch nur einer „neuen Methode“ Vorbehalten bleiben.
Ich muss übrigens Finsterer darauf aufmerksam machen,
dass er in seinem Selbstbericht im Centralblatt für Chirurgie, 1913,
sagt: „An der Klinik Hochenegg hat Finsterer in den letzten
2 Jahren bei 33 ausgedehnten Magenresektionen eine neue Modifi¬
kation angewendet.“ Bei dieser Gelegenheit kann ich es mir nicht
versagen, nochmals daraufhinzuweisen, dass Burk über26 Carcinoro-
resektionen, die von Hofmeister ausgeführt wurden, und Stumpf
früher auch schon über eine nennenswerte Anzahl berichtet hat.
Weiter muss ich Herrn Dr. Finsterer entgegenhalten, dass
ich die Arbeit von Wilms nicht einfach übergangen habe, wie er
meint. Ohne viel Worte zu verlieren, brauche ich ihn bloss auf
den Text des betreffenden Artikels in meiner Arbeit im Archiv
für klinische Chirurgie, S. 538 u. 539, aufmerksam zu machen, in
dem ich ausdrücklich hervorhebe, dass die im Hinblicke auf die
l’olva’sche Mitteilung veröffentlichte Technik der Magenresektion
von Wilms auf dem Verfahren von v. Mikulicz basiert.
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Sachliche Berichtigung zu vorstehenden Bemerkungen Finsterer». 193
Was nun Finsterer über die Folgen eines angeblichen Privat¬
gespräches, das ich zu Ostern 1913 auf dem Chirurgenkongresse
mit ihm gehabt habe, mutmasst, ist unrichtig. Zunächst erinnere
ich mich nicht an dieses Privatgespräch. Jedenfalls konnte ich
mich überzeugen, dass Finsterer damals in der Diskussion über¬
haupt nicht über Magenresektion gesprochen hat. Offenbar habe
ich seiner ganz privaten Mitteilung entweder nicht den von ihm
gewünschten Wert beigelegt oder im Momente des Gespräches nicht
genau percipiert, was er wollte, sonst hätte ich ihn ebenso, wie
am Naturforschertag in Wien, auf die Methodik Hofmeister’s ver¬
wiesen. Wenn Finsterer meint, dass die Tatsache feststehe, dass
ich erst nach dieser Unterredung die Methode von Polya und, wie
er ja selbst zugibt, nicht die von ihm beschriebene Methode Hof-
m eist er ’s systematisch angewendet habe, so möchte ich ihn doch
darauf aufmerksam machen, dass ich das erste Mal das Ver¬
fahren am 28. Mai 1910 in Anwendung gezogen habe, wie er aus
meiner Arbeit hätte ohne weiteres ersehen können. Wenn ich cs
seit dem 30. April 1913 systematisch anwende, so ist damit nicht
gesagt, dass ich in der Zwischenzeit die Methode nicht verwendet
habe.
Wenn Finsterer weiter findet, dass ich mit Unrecht seine
Publikation als eine überflüssige Belastung der Literatur bezeichnet
habe, weil die wirklich beste Modifikation Hofmeister’s, die mit
dem von ihm geübten Verfahren identisch ist, nirgends zitiert ist,
so kann ich diesem Standpunkt nicht beipflichten. Finsterer ist,
wie ich glaube, nunmehr genügend auscinandergesctzt zu haben,
selbst in den Fehler verfallen, Hofmeister nicht zu zitieren, bis
er nicht von mir darauf aufmerksam gemacht worden war. Wenn
er nun der Ansicht war, dass das ausgezeichnete Verfahren Hof-
m eist er’s zu wenig' bekannt ist, so hätte er meines Erachtens in
seiner so ausführlichen Publikation nicht die von Hofmeister und
ihm geübte Methode, sondern die von ihm geübte, Hofmeister-
sche Methodik, die nach den Anschauungen ihres Autors auf
Krönlein und v. Mikulicz zurückzuführen ist, entsprechend
würdigen sollen, wobei es ihm nicht benommen worden wäre, mit-
y.uteilen, in wie viel Fällen er mit Erfolg das Ilofmeister’schc
Verfahren angewendet hat. Wer diesen letzten Satz mit den Aus¬
führungen in meiner Arbeit im Archiv vergleichen will, kann kaum
missverstehen, wie ich über die Sache denke.
Was Finsterer mir dagegen erwidert, dass ich das von Polya
geübte Prinzip für richtiger halte, lasse ich deshalb unbeantwortet,
weil ich beide Methoden geübt habe, und es mithin nicht für nötig
halte, mich in theoretische Betrachtungen einzulassen. Meine An-
Archiv für klm. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
194
H. v. 11 abrrcr, Sachliche Borichtiiruni: usw.
Digitized by
sicht über die Fixation des Mesoeolonschlitzcs halte ich aufrecht,
sic wird durch die jeweiligen Verhältnisse diktiert.
Heber die Zahl der ausgeführten partiellen Pankreasresektionen
halte ich es für überflüssig, mich in eine Diskussion einzulasssen.
da in der Tat, wie speziell meine Uhusfälle beweisen, bei richtiger
Ausführung der Operation die Prognose durch diese Komplikation
nicht wesentlich beeinflusst wird. Ich kann nicht annehmen, dass
Finsterer die Pankreasresektion beim C’arcinom für so viel ge¬
fährlicher hält wie beim Ulcus, wiewohl er aus meiner Arbeit bloss
die Pankreasresektion beim ( arcinom heranzieht. Ich habe jeden¬
falls den Bauch dabei immer geschlossen und nicht drainiert, ohne
Schaden für meine Patienten. Wenn Finsterer die Drainage vor¬
zieht, so mag er das immerhin tun. Ich halte an dem modernen
Prinzipe fest, dass man die Drainage möglichst einengen soll. In
meiner Arbeit konnte ich zeigen, dass man diesem Postulat mit
Erfolg genügen kann.
Zum Schlüsse. Wenn es Finsterer gelungen ist, dem seit
Jahren von Hofmeister geübten Verfahren, welches auf der Me¬
thode von Krön lein und von v. Mikulicz basiert, welches sich
Reichel, Polya, Wilms, ihm, mir und wahrscheinlich noch vielen
anderen Chirurgen vortrelflich bewährt hat, zum gebührenden An¬
sehen zu verhelfen, so werde ich der letzte sein, der dieses Ver¬
dienst schmälert. Ich halte aber nach wie vor daran fest, dass
Finsterer bei seinem Vortrage, bei der Abfassung des Berichtes
für die Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher
und Aerzte, bei der Abfassung seines Selbstberichtes für das
Centralblatt für Chirurgie und bei der Abfassung seiner in der
Deutschen Zeitschrift für Chirurgie erschienenen ausführlichen Arbeit
die wahre geschichtliche Basis der in Rede stehenden Methode
nicht nur nicht genügend erörtert, sondern dass er sich bemüht,
seinem Vorgehen eine Originalität aufzuprägen, die demselben nicht
zukommt. Damit halte ich mein seinerzeit über seine Arbeit ge¬
fälltes Urteil voll und ganz aufrecht und halte in dieser Angelegen¬
heit eine weitere Diskussion mit Finsterer für ausgeschlossen.
Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4,
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
Google
Original fro-m
UNIVERS1IY OF iOWA
Digitized by
Gck gle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
rchiv f klin. Chirurgie. 107 . Bei.
Wiesenzellen
fßrkomartiges
[ Gewebe
Corticalisrest
Perlost und
Muskelfasern
Abb. 6 (mittl. Vergrösserung).
o
Tafel 11
Spongiosa
Cystischer Hohlraum
Bindegewebige
Cystenwand
Abb. 8
(Lupenvergrösserung),
Abb. 9
(mittl. Vergrösserung).
Abb. 10
Abb. 11
Lichtdruck Melnert-Rennig Btrlin 5.42.
UNIVERSITT OF IOWA
Digitized by Google
Original from
UNIVERS1IY OF IOWA
Tafel III.
Abb. 19.
Abb. 20. Abb. 23.
Abb. 21 u. 22.
from
Lichtdruck Neinert-fiennig, Berlin S. 42,
Digitized by
Go», gle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
f-
rchiv /. klin. Chirurgie 107 Bd.
Abb. 24b.
Abb. 24a.
Go gle
Tafel IV.
Abb. 25.
Abb. 26.
Markfibrosa
Gefasst
Spongiosabälkchen
Lichtdruck Neintrt-Hennlg, Berlin 5. 42.
uimi v croi i i ur iuvvm
Digitized by
Gck gle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
klin. Chirurgie. 107. Bd.
Abb. 27.
Abb. 28.
Abb. 29.
Abb. 30.
Go gle
Tafel V.
Lichtdruck Neinert-fiennig, Berlin 5- 42 >
Digitized by
Gck gle
Original from
UNIVERSIIY OF IOWA
iföv { kl in. Chirurgie. 107, Bd. Tafel VI.
fHH Fibröses Gewebe
Riesenzellen
sarkomartiges
Gewebe
Spongiosabälkc/ien
Lichtdruck tfeinert-fiennig, Berlin S. 42.
NIVtKbllT Uh IUWA
Digitized by Gougle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Archiv f. Min. Chirurgie. 107 . Bd.
Fig. 1.
Digitized b)
Go sie
Digitized by Gougle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by Gougle
Original frnm
UNIVERSITY OF IOWA
VI.
Kasuistisches und Technisches aus der
Dickdarmchirurgie.
Von
Dr. J. Schoemaker (Haag).
(Mit 4 Textfiguren*.)
A. Akute partielle Colondilatatiou.
Im November 1907 wurde ieh zu einem alten Herrn von 7!) Jahren gerufen.
d»T das komplette Mild eines Obturalionsi lens zeigte. ln den letzten Monaten
hatte er mit leichteren Anfällen von llerzsehwiielie zu tun und vor 14 Tagen
machte er einen Anfall von Angina pectoris durch.
Seit drei Tagen nun klagte er über Schmerzen im Manch und Obstipation.
Mit Atropininjektionen und Darmspülungen war noch ein wenig Stuhl gekommen,
aber am Morgen der l’ntersuehung liess sich die Sache ernster ansehen: Patient
hatte erbrochen und der Leib war sehr aufgetrieben.
Ich fand einen mageren alten Herrn mit /eichen von Arteriosklerose, aber
einem ziemlich guten regelmässigen Puls von 110. Mrustorgane normal, Herz¬
töne rein.
Das Abdomen war aufgetrieben und gespannt, aber wenig schmerzhaft.
<i i»* i* durch den Leib war eine sehr ausgedehnte Darmschlinge deutlich zu pal-
Ideren. 15ei der Perkussion überall voller tympanitischer Ton, keine Flüssigkeit
nachweisbar. Nirgends etwas von einem Tumor oder umschriebenem Widerstand
zu fühlen. Die Palpation per rectum ergab einen leeren Mastdarm, der aber
nicht ausgedehnt war. Douglasfalte nicht schmerzhaft. Prostatahypertrophie.
Aufnahme in das Krankenhaus.
Nach einem Salzwassereinlauf wird ein wenig Stuhl entleert, auch gehen
• in paar Winde ah. Darum wird vorläufig versucht, was mit Darmspiilungen.
elektrischen Klysmen und Atropininjeklionen zu erreichen ist.
Am nächsten Tage hatte die Spannung des Leibes zugenommen. Stuhl und
Winde waren nicht mehr abgegangen.
Die Diagnose wird auf Obturationsileus. wahrscheinlich durch Catvimmi
«Io-» t’olou descendens gestellt.
Fs wurde darum in Narkose »‘ine Laparotomie in der Medianlinie ge¬
macht. Hierbei stellte sich heraus, dass die ausgedehnte Darmsehlingc das Dohm
lraiiNversurn war. Fs wurde darum »Im* Dickdann ahpalpiert, beim Ibvtum an¬
fangend. hinaufgebend bis zur Flexura lienalis. Ieh meinte dabei am Fcbcrgang
vom Colon descendens auf die Flexur eine kleine Anschwellung zu fühlen. Der
Südmitt in der Medianlinie wurde mit einer Ktagemwdu zugenäht und ein Anu>
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft ‘2. 14
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
196
.1. Sc Ihm* in a k e r.
Digitized by
praeternaturalis am Colon deseendens angelegt, um ziem lieh weit von der Stelle
entfernt zu sein, wo nachher eventuell eine zweite Operation zu machen sei.
Das (jieeuni und Colon aseendens waren auffallend weniger
ausgedehnt als das Colon t rans vors u in.
l > alient erholte sieh nach diesem Eingriff. Es entleerten sieh grosse Mengen
flüssiirer Kot und der Leih wurde wieder flach und weich. Der Allgemeinzustand
besserte sieh zusehends, und der Patient hat mich nach drei Wochen, ihn vor.
seinem widernatürlichen After zu befreien, da das Lehen für ihn so keinen
Wert hätte.
Es wurde nun wieder in Narkose «die Lokalanästhesie wurde zu der Zeit
noch nicht soviel geübt; eine Laparot om io in der linken Seite gemacht. Der
unterste 'Peil des Colon deseendens wurde eventriert. um nach der Gesellwul>(
zu suchen. Zu meinem Erstaunen wurde sie aber nicht erfunden. Ich habe
dann den Schnitt nach beiden Seiten erweitert und das Rectum pelvinum. die
Flexura sigmoidea, das Colon deseendens, die Flexura Iienalis und das Coh.n
transversum lamm und fleissig abgesiirht. um die Crsache der Obstipation zu
entdecken. Ich habe aber nichts finden können: Keinen Tumor, keine
Verwachsungen, keine Knickung. und am Ende wusste ich weiter nichts
zu um, als die Bauchhöhle zu sehliessen.
Der Eingriff hatte aber zu lange gedauert: er war für den alten Patienten
mit seinem debilen Herzen zu viel gewesen. In der Nacht kollabierte er trotz
aller dagegen angewandten Mittel und am nächsten Tage trat der Exitus le¬
talis ein.
Wegen religiöser Beschwerden konnte die Sektion nicht gemacht werden.
Der zweite Patient war ebenfalls ein aller Herr von TU Jahren. Als ich
ihn am 19. September 1912 sah, war er seit einem Monat krank. Er fühlte
sieh schlecht, und er war sowohl für sich selbst, als wie für seine Umgebung
nicht derjenige, der er sonst war. Sein Appetit, der sonst so gut war. war
fast gänzlich verschwunden, und sein Stuhlgang, worüber er sonst auch nie zu
klagen batte, war angehalten. Dabei hatte er dann und wann Schmerzen im
Leibe. Die Temperatur war erhöht, wobei manchmal abends 39° erreicht
wurden. Es waren aber einige Rhomdii gehört worden und das Fieber damit in
Zusammenhang gebracht.
In den letzten 'Pagen klagte Patient über Spannung und Aufget riebensein
des Leibes speziell in der oberen Hälfte. Auf Lin laufe und Laxantien war
aber immer Stuhl gekommen. Am vorigen Abend war Patient plötzlich sehr
unwohl geworden, er kollabierte fast und erbrach grosse Mengen. Der Arzt
konstatierte .dabei eine fühlbare Auftreibung in der Gegend des Colon trans¬
versum. In der Nacht wurden Einspritzungen mit Atropin gemacht und
Klvsmata appliziert, aber ohne Erfolg. Am Morgen war das Bild eines Ileus
komplett.
Ich fand einen grossen, feiten Herrn mit ziemlich weichem, kleinem,
frequentem Puls. Das Gesicht war etwas blass-eyanotisch und hatte mehr oder
weniger den Ausdruck der Facies Hippoeratiea.
Der Bauch war aufgetrieben und gespannt. Ls war aber deutlich zu
fühlen, dass die Spannung in der Gegend oberhalb des Nabels intensiver war.
als oberhalb der Symphyse und in der rechten Bauchhälfte, speziell in der
Ileocoecalgegend stärker als in der linken Seite. Die Bauchdecken waren sehr
fett, die Därme darum nicht leicht durehzufiihlon, aber es machte mir doch den
Eindruck, dass ich eine sehr ausgedehnte Schlinge palpieren konnte. Es waren
keine Darmbewegungen oder Darmgeräusche wahrzunchmen, kein Tumor oder
Widerstand zu fühlen. Der Perknssionssehall war überall laut und voll-tvm-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kasuistisches und Technisches aus der Diekdarmehirurgie. 197
panitisch: Loberdämpfung normal. Keine Dämpfung in den Seiten oder über
der Symphyse. Per rectum nichts zu fühlen.
Patient wurde in das Krankenhaus übergeführt.
liier wurde versucht., mit elektrischen Kinhäufen Stuhl zu hekommen, aber
Krfolg wurde damit nicht erzielt, im (icgenteil, es machte den Patienten übel,
und er erbrach braune Massen, die aber nicht deutlich fäkal waren.
Da in der Nacht schon ziemlich viel Medikamente appliziert waren, wurde
beschlossen, nicht viel Zeit mehr zu vergeuden, da doch die Diagnose Ob-
turationsileus wahrscheinlich durch Carcinnm des Colon descendens oder der
Flexur ziemlich sicher war.
Im Chloraethylrausch wurde darum eine Laparotomie gemacht am Aussen-
rande des rechten Keeius. Ks wurde dabei feslgestelIt. dass das Coeeum. das
Cnlon a>eemlens und transversum ad •maximum ausgedehnt waren, während
die eingeführte Hand das Cohm descendens nur teilweise erreichen konnte; was
aber gefühlt wurde, schien nicht aufgetrieben zu sein.
Das vermutliche Careinom wurde nicht gefunden, aber das war
bei dem grossen Kcltrciclitum des Hauches nichts Verwunderliches. Der All¬
gemeinzustand verbot aber zu lange Knchcircsen, weshalb am Colon ascendens
eine Fistel angelegt wurde.
Der Patient erholte sich rasch von diesem Kingriff, die Fistel funktionierte
gut, so dass die Spannung des Leibes verschwand.
Während der Rekonvaleszenz kam auch dann und wann Stuhl auf natür¬
lichem Wege: nach ejnem Kinlauf sogar in ziemlich grossen Massen. Fs kam
dann die Frage auf, was nun zu machen sei. um den Patienten radikal zu heilen,
lind da mir die Aehnliehkeit dieses Falles mit dem von 1907 sehr gross schien,
fand ich es nicht angezeigt, nach dein vielleicht nicht einmal bestehenden
( areinom zu suchen. Wir beschlossen die Darmfistel zu srhliessen. um dann
abzuwarten, was weiter geschehen würde. Wäre eine Obiuralion wirklich vor¬
handen. dann würde sieh das in der gestörten Darmfunktion wohl bald zeigen.
Am 29. Oktober 1912 wurde dann die Darmöffnung geschlossen. Dieses
batte auf die Darmentleerung keinen nachteiligen Finfluss, sie geschah regel¬
mässig per \ias naturales, und das geschieht lös jetzt noch immer.
Leider ist die Darmoffnung nicht ganz geschlossen; es hat sieh in der
Wundecke eine kleine Fistel gebildet, woraus dann und wann etwas Darminhalt
zum Vorschein kommt, aber das hat so wenig zu bedeuten, dass der Patient cs
nicht der Mühe wert findet, daran etwas machen zu lassen.
Kr fühlt sieh ganz wohl, ist wieder der Alte von früher und ist trotz
seiner S2 Jahre sehr munter und lebensfroh.
Der dritte Fall betrifft eine Dame von 7t> Jahren, die seit 1901 an
Herzbeschwerden litt: sonst war sie nicht krank, speziell von seiten des Magen-
tlarinkanals war nichts Abnormes zu bemerken.
Ich sah sie am 1. Dezember 191.‘5.
In der letzten Woche war der Magen nicht in Ordnung gewesen, Patientin
batte keinen richtigen Appetit, und was sie zu sich nahm, gab ihr das Dcfiihl
von Vollsein. Der Stuhl war regelmässig.
Am Tage vor meiner I ntersuchung hatte sie über Hauchschmcr/cn zu
klagen und erbrach. In der Nacht bekam sic heftige Krampte, die sich wehen¬
artig durch den Hauch zogen. Sic versuchte den Darm zu entleeren, auch
mit Hilfe einer (Hyzerinspritze. alter ohne Krfolg. Der Hausarzt gab eine
Atropininjektion und applizierte ein Seifenwasserlavement, aber weder Stuhl
ii'ich Winde gingen ah. Die Krämpfe kamen mit regelmäßigen Intervallen
zurück und waren sehr schmerzhaft.
14*
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY 0F IOWA
198
J. Schocmakcr,
Digitized by
Ich wurde in der Nacht, zur Konsultation gerufen. Es handelte sich um
eine Dame, die auch für ihre 7Ü Jahre sehr alt aussah. Sie war sehr matt
und müde und fühlte sich sehr angegriffen.
Der Puls war regelmässig, aber sehr weich, 9(5. Die Herzdämpfung nach
rechts verbreitert. An allen Oslicn war ein sehr scharfes, systolisches Geräusch
zu hören.
Der Hauch war ein wenig aufgetrieben, ln der linken Hälfte war er
weich, in der rechten deutlich gespannt. Hier war eine stark ausgedehnte
Darmschlinge, durch die dünnen Bauchdecken leicht zu fühlen und zu sehen,
nach der Lage wahrscheinlich das Coecum lind Colon ascendens.
Während der Untersuchung bekam Patientin einen Krampfanfall, während
dessen eine Darmschlinge unterhalb des Nabels sichtbare Bewegungen machte.
Das Rectum war leer; per vaginam war nichts zu fühlen.
Da die Diagnose Obturationsilcus festst and, wurde Patientin ins Kranken¬
haus gebracht.
Hier wurde sofort zur Operation geschritten. Im Chloräthylrausch wurde
eine Inzision am Rande des rechten M. rectus gemacht. Das Coecum war ad
maximum ausgedehnt, das Colon ascendens etwas weniger, das transversum
nicht. An der Flexura hepatica coli wurde eine kleine Adhäsion mit dem
Peritoneum parietale gefunden, die durchschnitten wurde, wobei aber festgestellt
wurde, dass sic keine Knickung verursachte, und auch keinen Einfluss auf dir
Darmfunktion ausüben könnte. Mit der eingeführten Hand wurde schnell das
Colon verfolgt, aber kein Tumor, keine Stenose gefunden.^
Es wurde darum angenommen, dass wir es mit einem Fall von akuter Abmie
zu tun hatten. Darum wurde keine Darmfistel angelegt, die später wieder ge¬
schlossen werden müsste, aber es wurde ein kleinfingerdickes Drainrohr ein¬
geführt, und die Sorosa nach der Art der Witzel’sehen Schrägfistel darüber
vernäht.
Als die das Drainrohr verschliessende Artcrienklemme abgenommen war,
kamen viele Gase und dünne fäkale Flüssigkeit aus dem Drain, das ungefähr
50 cm lang war, so dass der Inhalt in eine Flasche aufgefangen werden
konnte. Das Coecum fiel jetzt als ein schlaffer Sack zusammen. Es wurde
rings um den Drain an das Peritoneum parietale fixiert und die Wunde in
Etagen vernäht.
Den ganzen Tag über kam noch viel flüssiger Kot aus dem Drainrohr, die
Ucbolkeit, der Schmerz und die Spannung des Leibes waren verschwunden.
Patientin fühlte sich viel besser.
Am dritten Tage kam Stuhl per vias naturales. Am vierten Tage wurde
das Rohr probeweise mit einer Klemme verschlossen gehalten; es traten keine
Beschwerden auf. Nach einem Einlauf gingen wieder Winde und etwas Stuhl
per vias naturales ah. Da die Dickdarmfunklion wieder hcrgestellt schien,
wurde am achten Tage das Drainrohr entfernt. Der Fistelkanal blieb trocken.
Der Stuhlgang w ar von jetzt an regelmässig mit geringen Dosen Laxantien
zu erzielen.
Die kleine Wunde schloss sieh sehr schnell und Patientin hätte wohl
2 Wochen nach der Operation entlassen werden können. Wegen äusserer Um¬
stände (Umzug), die Ermüdung des Herzens mit sieh bringen könnten, ist sic
noch bis 15. Januar 1914 im Krankenhaus geblieben, w r as aber nichts zur
Sache tut.*
Jetzt, also IS Monate nach der Operation, ist die Funktion des Darmes
noch immer normal, so dass Patientin in dieser Beziehung als ganz hergesicllt
betrachtet werden kann.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
199
kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmehirurgic.
Resümieren wir, dann können wir sagen, dass wir es zu tun
hatten mit drei Patienten, die alle das 75. Lebensjahr schon über¬
schritten hatten, und die mehr oder weniger akut die Erscheinungen
eines Obturationsileus darboten, während bei der Operation von
einem Hindernis nichts gefunden wurde.
Bei zwei hat der weitere Verlauf bewiesen, dass die Funktion
wieder ganz normal sein konnte.
Da nun bei allen drei ein Teil des Colon ad maximum aus¬
gedehnt war, nicht durch Kotmassen, die als mechanisches Hin¬
dernis hätten wirken können, sondern durch Gas und Hüssigen
Kot, muss der Ileus als ein dynamischer aufgefasst werden.
Sieht man nun die deutsche Literatur auf diesem Gebiete
nach, dann findet man wenig, was auf diese Fälle passt.
Im Handbuch der Praktischen Chirurgie wird der Ileus ein-
«reteilt in einen dynamischen und einen mechanischen Ileus. In
dem Kapitel über die Pathologie findet man dann Folgendes:
„1. Der dynamische Ileus. Hier handelt es sich stets
um die Lähmung einer Darmstrecke von kleinerem oder grösserem
Umfang. Nicht alle wirklichen oder scheinbaren Darmlähmungen
führen zum Ileus, zumal sie dann oft nur einen schnell vorüber¬
gehenden Zustand darstellen. Die reflektorische, durch die Bahnen
des N. splanchnicus vermittelte Darmlähmung, wie sie z. B. nach
Einklemraungen eines Hodens im Leistenkanal, nach Kontusionen
des Hodens oder des Abdomens, nach Operationen von Hämor¬
rhoidalknoten Vorkommen kann, braucht deshalb hier nicht berück¬
sichtigt zu werden. Auch das Bild des Darmverschlusses infolge
von Paralyse im Verlaufe der Hysterie gehört nicht zum Kapitel
des dynamischen Ileus und ist leicht von diesem zu unterscheiden.
Mitunter wird dagegen Ileus hervorgerufen durch Circulations-
störungen, wie sie z. ß. nach ausgedehnten Operationen am Me¬
senterium nach Reposition eingeklemmter Hernien, namentlich
grosser Leistenhernien, vereinzelt auch nach Embolie der Arteria
mesaraica beobachtet wurden. Noch viel seltener sind die Fälle,
wo nach anatomischen Erkrankungen des Centralnervensystems
durch Lähmung der Bauchpresse die Defäkation so weit erschwert
wurde, dass durch zunehmende Kotstauung im Colon Hyperexten¬
sion und Lähmung derselben hervorgerufen wurde, die zum Ileus
führte. Nach Nothnagel kann ferner eine Paralyse des Darmes
Vorkommen infolge von Ueberdehnung, wie sie bei übermässiger
Gasanhäufung möglich ist. Auch scheint es eine Darmparalyse
zu geben, welche als Folge von bakteriellen Giften aufgefasst
werden muss, ohne dass anatomische Zeichen einer Peritonitis auf-
treten.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
200
J. Scline in ak er.
Digitized by
Weitaus die wichtigste Holle spielt die Peritonitis, und zwar
im akuten Stadium usw.“
In dem Kapitel über die Therapie wird nur die Behandlung
des Ileus bei Peritonitis sowohl der diffusen als der circumscripten
besprochen, von den übrigen Formen des dynamischen Ileus heisst
es nur: „Wo ileusähnliche Erscheinungen im Verlauf der Hysterie,
Koprostase, Rückenmarkserkrankungen usw. auftreten, wird die
Diagnose selten grosse Schwierigkeiten bereiten. Die Therapie
dieser Fälle gehört ganz in das Gebiet der internen
Medizin.“
De Quervain behandelt in den Ergebnissen der Chirurgie
und Orthopädie, Bd. 4, unter dem Titel: „Die operative Behand¬
lung chronisch entzündlicher Veränderungen und schwerer Funk¬
tionsstörungen des Dickdarmes“ nur die chronisch verlaufen¬
den Fälle. Die unter dem Bilde eines schweren Ileus auftretenden
akuten Funktionsstörungen werden nicht berücksichtigt.
Auch Crämer, der 1906 eine Monographie über „Darm-
atonie“ publiziert hat, nennt die perakuten nicht.
Dasselbe ist der Fall mit Hedem (Ueber partielle Darm-
atonie, Wiener med. Wochenschr., 1904), Fischler (Die Tvphlatonie
— Dilatatio coeci — als selbständiges Krankheitsbild, Mitteil. a.
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1904, Bd. 20) und Hofm eister
(Feber Typhlektasie, chron. Perityphlitis, Coecum mobile, Beitr. z.
klin. Chir., Bd. 71, H. 3).
Auch in der englischen oder amerikanischen Literatur konnte
ich nichts auffinden.
In Mummery (Diseases of the colon, Bristol 1910) oder
Lynch (Diseases of the rectum and colon, Philadelphia and New
York 1914) werden diese Zustände nicht erwähnt.
Ganz anders bei den Franzosen: Wie Hartmann mir persön¬
lich mitteilte, wurde ein akuter atonischer Ileus in Frankreich als
etwas so ganz Gewöhnliches betrachtet, dass man darüber nicht
mehr schrieb. Trotzdem konnte ich im Handbuch von Le Dentu
und Del bet nur diesen Satz darüber auffinden: „In dieser Klasse
(namentlich der pseudoetranglements) muss man auch den para¬
lytischen Ileus der alten Leute unterbringen, eine wahre Trägheit
des Darmes, die jede Entleerung der Sterkoralmassen unmöglich
macht.“
Lejars behandelt sie in seinem Traite de Chirurgie d urgence
unter dem Namen Pseudoocclusions (S. 453).
Er beschreibt drei Fälle.
Der erste betrifft einen Mann von 39 .Jahren, der in einem elenden Zu¬
stand in dir Klinik gebracht wurde. Seit 4N Stunden war kein Stuhl gekommen
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kasuistisches und Technisches aus der Diekdarmchimrgie.
201
und waren auch keine Winde mehr abgegangen, er erbrach fdtide, schwarze
Massen, der Hauch war sehr aufgetrieben, speziell oberhalb des Nabels, die
Schmerzen waren sehr lieftig, das Gesicht eingefallen, der Puls frequent und
sehr klein: also alle Zeichen einer sehr ernsten akuten Darmokklusion. So war
auch Lejars' Diagnose. Es wurde erst noch ein elektrischer Einlauf appliziert.
Dadurch kam es zu einigen schmerzhaften Kontraktionen des Darmes, weiter
nichts. Es war also keine Zeit mehr zu verlieren: der Bauch wurde oberhalb
des Xabels geöffnet, da hier der Meteorismus am deutlichsten war und sofort
drängte sich aus der Wunde ein Colon transversum von monströsem Volumen.
Es wurde mit einer Kompresse beiseite gehalten, um Platz zu haben die
Bauchhöhle zu explorieren. Das Colon descendens und die Flcxur waren eben¬
falls aufgetrieben. Es fand sich aber nirgends eine Spur von einem Strang
oder Tumor oder Abknickung oder sonstigem Hindernis, der Dickdarm diktiert
und atoniseh über seine ganze Länge.
Was war zu machen? Den Bauch einfach zumachen, wäre unvorsichtig
gewesen. Lejars machte darum eine kleine Entcrostomie auf das Colon trans-
u*rsum. Sobald der Darm an die Bauchhöhle fixiert und incidiert war, strömte
eine gewaltige Menge (las mit dünnen gelben Fäkalmassen aus der Oeffnung
hervor.
Nach einigen Tagen ging der Stuhl per vias naturales ab: der Kranke
gmias und zwei Monate später wurde die kleine Darmöffnung geschlossen.
Der zweite Fall war eine Frau von 40 .Jahren, die von der internen
Abteilung geschickt wurde mit fäkalem Erbrechen, gleiehmässig aufgetriebenem
Leih, kleinem Puls und augenscheinlich vorgeschrittener Intoxikation. Sofort
wird die Laparotomie gemacht. Lejars fand den Darm ein wenig gerötet,
etwas seröse Flüssigkeit im Bauch, aber auch diesmal wieder keine Spur von
mechanischem Verschluss. Eine Darmschlinge wird vor die Wunde gezogen,
und bleibt aussen liegen, gehalten durch eine Sonde, die durch das Mesenterium
geführt war: also der erste Akt des Anus nach May dl. Wenn später die be¬
drohlichen Erscheinungen nicht aufhörten, wollte man sic zu Ende führen. Am
seihen Abend aber kam der Stuhl spontan: es war eine richtige Explosion von
flüssigen Massen, ohne Brockel, ohne festere Teile, so wie man das findet nach
uirklichen Obstruktionen.
Der dritte Fall scheint mir nicht ganz einwandfrei. Nach
der Beschreibung, die Lejars von dem Bauchinhalt gibt, macht es
mir den Eindruck, dass man auch mit einer Pankretitis zu tun
haben könnte.
Wie dem aber sei, der akute atonische Ileus ist ein Zustand,
mit dem man zu rechnen hat. Ich glaube, dass es in der Lite¬
ratur nicht genügend geschieht, denn die praktische Bedeutung ist
gross genug.
Ich habe mit meinen Fällen Lehrgeld bezahlen müssen. Wäre
mir beim ersten Fall die akute Colondilatation besser bekannt
gewesen, dann hätte ich bei der zweiten Operation nicht immer
weiter gesucht nach einem Hindernis, das nicht zu finden war,
weil es nicht bestand. Es hätte bei einer kleinen Explorariv-
operatioo bleiben können, die meinen Patienten wahrscheinlich nicht
geschadet hätte.
Digitized by Google
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
202
«I. Sehoemaker,
Digitized by
Bei dem zweiten Fall war ich schon belehrt und bei dem
dritten habe ich die richtige Therapie angewandt, nämlich die
Drainage des dilatierten Colons mit einem ziemlich dünnen Drain.
Da der Inhalt nur aus Gas und dünnflüssigem Kot besteht,
kann man mit einem Nelaton-Katheter von etwa Nr. 24
Charriere eine genügende Drainage erreichen, und nötigenfalls den
Darm wie einen dilatierten Magen oder eine Harnblase spülen.
Wird der Darminhalt wieder fester, dann ist auch der Ileus vor¬
bei und umgekehrt, und hat das Drainsohr seine Pflicht erfüllt.
Man kann es dann aus Vorsicht noch ein paar Tage liegen
lassen um eventueller Gasspannung vorzubeugen, wenn aber der
Stuhl regelmässig per vias naturales abgeht, kann man es heraus¬
ziehen und die Fistel schliesst sich von selbst.
Man könnte nun einwenden, dass eine Operation nicht einmal
notwendig sei, da es jetzt nicht an Mitteln mangelte um die
Darmfunktion wieder in Gang zu setzen. Das ist richtig. Wenn
man mit dem akuten atonischen Ileus rechnet, muss man an¬
fangen mit Darmspülungen, elektrischen Klysmata, Injektionen von
Physostigmin Atropin, Hormonal, Peristaltin, Sennatin, usw., aber
es wäre Unsinn die richtige Zeit für eine Laparotomie damit Vor¬
beigehen zu lassen, denn eine wirkliche Diagnose kann man nie
stellen.
Wenn ich mit dieser Mitteilung bewirken könnte, dass ein
Patient mit einem echten Obturationsileus länger als wünschens¬
wert war mit internen Mitteln behandelt würde, dann wäre es
besser, dass sie nicht geschrieben wäre.
Die Sache steht so: wir halten daran fest, dass bei dem
Symptomen eines Obturationsileus auch in 99 pCt. der Fälle eine
Obturation besteht, aber dass wir bei der Laparotomie, die zu
gleicher Zeit dazu dienen muss, um eine Darmfistel anzulegen und
den Sitz der Obturation festzustellen, auch an diese akute ato-
nische Zustände denken müssen um danach unser Handeln so
zweckmässig als möglich zu gestalten.
B. lieber zwei Fülle von Perforation einer Appendix epiploiea.
So ausgedrückt ist diese Ueberschrift natürlich Unsinn, denn
da eine Appendix epiploica kein Lumen hat, kann sie auch nicht
perforieren. In den Fällen, die ich beobachtet habe, war aber in
der Appendix ein mit Darmschleimhaut bekleidetes Lumen ent¬
standen, es handelte sich also um eine Divertikelbildung in die
Appendix.
Der erste Fall betrifft einen Herrn von 52 .1 ähren. Kr hatte nie an be¬
sonderen Beschwerden seitens seiner Baurhnrgane gelitten, ln der Nacht vom
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgie.
203
15. Juli 1908 erwachte er mit Schmerzen im Bauch, die allmählich Zunahmen.
Am Morgen waren sie sehr heftig. Patient erbrach. Da der Allgemeinzustand
ein sehr bedrohlicher war, liess der Hausarzt den Patient sofort in das Kranken¬
haus überführen.
Ich fand einen grossen, sehr fetten Herrn mit einer typischen Facies
Hippocratiea. Der Puls war sehr weich und frequent, Temperatur 38,7°.
Patient fühlte sieh übel und gespannt und hatte das (iefiihl, dass es ihm wohl
tun würde, wenn er etwas entleeren könnte, aber weder Winde noch Stuhl
konnten gelassen werden. Der Bauch war sehr aufgetrieben, aber nach Mit¬
teilung des Patienten war er immer ziemlich gross. Bei Betastung war er
überall etwas schmerzhaft, aber besonders in dem linken unteren Quadranten.
Hier in der Gegend zwischen Nabel und linkem Ligamentum Poupartii war
der Schmerz ausgesprochen viel heftiger als über den übrigen Teilen des
Bauches, sowohl beim Eindringen in die Tiefe als beim plötzlichen Zurück¬
ziehen der Hand. Der linke M. rectus war vielleicht etwas mein* gespannt als
der rechte, aber deutlich war der Unterschied nicht, da die Bauchdeeken alle
mehr oder weniger gespannt waren, ln der llcoeocealgegend war bestimmt
wenig Schmerzhaftigkeit zu konstatieren.
Objektiv war weiter nichts Abnormes zu finden, aber es wäre auch nicht
leicht gewesen etwas durch die dicke, fette, dazu noch gespannte Bauchhaut zu
fühlen.
Bei der Perkussion überall gedämpft-tympanitiseher Ton. Leberdämpfung
normal. Keine Flüssigkeit nachzuweisen.
Fig. 1.
Per rectum: leerer offenstehender Darm: die Pliea Douglasii ausserordent¬
lich schmerzhaft bei Berührung, sie wölbte sich aber nicht vor. Die Diagnose
wurde gestellt auf umschriebene Peritonitis, wahrscheinlich nach der Perfora¬
tion einer abnorm nach links liegenden Appendix vermicularis. Narkose,
Schnitt in der Medianlinie vom Nabel bis zur Symphyse. Die vorliegenden
Dünndarmschlingen waren sehr rot. Beim Zurückschieben kam aus dem kleinen
Becken grauer stinkender dünner Eiter. Er wurde mit Mullstücken ausgetupft.
Uoecum und Appendix, die an normaler Stellung lagen, wurden vorgezogen.
Die Appendix war absolut normal und beteiligte sich nicht an der Entzün¬
dung. Die tastende Hand fand aber in dem kleinen Becken sofort die Ursache
der Peritonitis. Den Dickdarm von der Elexur in der Richtung des Becken¬
bodens verfolgend, kam man nämlich an eine Stelle, wo etwas Hartes, Tumor-
artiges zu fühlen war. ohne dass es sofort festzustellen war, wie es mit dem Darm
zusammenhing. Nachdem nun die Flcxur beweglicher gemacht war, konnte sie
an die Wunde gebracht werden und es zeigte sich, dass der Tumor durch das
Loslösen kleiner geworden war, wie das so oft mit: Entzündungsturnoren der Fall
ist. und dass sie nunmehr noch aus drei zusammengeklebten Appendiers epi-
ploicae bestand. Sie waren alle drei im Zustande der Entzündung, aber eine
fiel auf durch ihre besondere Röte. Beim genaueren Nachsehen ergab sich,
dass ungefähr 2 em von ihrer Basis eine feine Oeffnung zu finden war, die sich
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
204
.1. Schoemaker.
Digitized by
sondieren licss. Die Sonde kam dabei in das Lumen des Darmes. Die Basis
der Appendix wurde Umschnitten und die Appendix amputiert.
Im Cent rum der kleinen Wunde war die geöffnete Darmsehleimhaut zu
sehen. Doppelte Darmnaht. Dickes Drain in Douglas über der Symphyse nach
aussen geleitet. Bauchnaht. Unerwartete schnelle Heilung.
Bei der Untersuchung ergibt es sieh, dass durch eine Appendix epiploiea
ein mit Darmsehleimhaut bekleideter Kanal läuft, so dass die Verhältnisse in
situ wie in vorstehender Abbildung (Big. 1) gewesen sein müssen.
Der zwei t e Patient betrifft ebenfalls einen älteren Herrn von 59 Jahren.
Kr hatte nie über Beschwerden seitens seiner Bauehnrgane geklagt.
Am Mittag des 12. März 1914 bekam er auf einem Spaziergang plötzlich
heftige Schmerzen im Leib, die ihn zwangen nach Hause zu gehen. Er fühlte
sieh so angegriffen, dass er sich zu Bette legen musste. Sein Arzt, der ihn
zwei Stunden später sah. konnte keine bestimmte Diagnose machen, dachte an
einen Appendiritisanfall. fand aber dafür in der Ileocoekalgegend keine An¬
zeichen. Als er l l o Stunden später zurückkam, machte der Allgemeinzustand
ihm einen sehr ernste» Eindruck, weshalb er mich bat den Patienten mit ihm
zu sehen. Patient hatte inzwischen gebrochen. — Ich sali ihn Abends 10 Uhr.
ungefähr sieben Stunden nach dem Einsetzen der Krankheit. Ganz genau war
diese Zeit nicht anzugeben, da der Schmerz nicht wie bei einer Magenperfo-
ralion urplötzlich aufgetreten war. sondern mehr allmählich, so dass er inner¬
halb 1 bis 1 1 2 Stunden sein Maximum erreicht hatte.
Der Sehmerz war anfangs über den ganzen Leib verbreitet gewesen, bei
der Untersuchung fühlte Patient ihn hauptsächlich links unten. Patient war
»lässig cyanotiseh. Der Gesichtsausdruck nicht typisch für ein akutes Bauch-
leiden.
Der Puls war ziemlich weich und klein. 110. Der Thorax war kurz und
breit, es bestanden Zeichen von Emphysema pulmonum und chronischer Bron¬
chitis. Der Bauch war aufgetrieben, die Bauehdccken waren etwas gespannt,
es bestand aber keine typische «Defense museulairc". Bei Betastung war der
ganze Bauch mehr oder weniger schmerzhaft ; trotzdem konnte die Hand überall
noch etwas eindringen. ausgenommen oberhalb des linken Poupartschen
Bandes, ln dieser Gegend wurde der Druck der Finger, nach Angabe des
Patienten, viel schmerzhafter empfunden als über den anderen Teilen. Auch
rief das plötzliche Zuriiekziehen der Hand nur hier sehr deutliche Schmerzen hervor.
Die Perkussion ergab nichts Abnormes. Die Leberdämpfung war normal
gross und an normaler Stelle: über den übrigen Teilen des Leibes voller tym-
panitiseher Schall. . Oberhalb des linken Ligamentum Poupartii könnte man
darüber im Zweifel sein, ob da nicht eine undeutliche Dämpfung zu perkutieren
wäre, aber das könnte durch etwas vermehrte Spannung der Muskeln hervor¬
gerufen sein.
Bei der Untersuchung des lleetums wurde der Darm leer gefunden und
etwas offen stehend und die Plica Douglasii war sehr schmerzhaft bei Be¬
rührung.
Alles in allem fanden wir die Zeichen einer umschriebenen Peritonitis in
der unteren Bauehhälfte, wahrscheinlich verursacht durch die Perforation einer
weit nach links liegenden Appendix oder der Flexur.
Patient wurde in das Städtische Krankenhaus gebracht und sofort operiert.
Laparotomie in der Mittellinie zwischen Nabel und Symphyse. Bei der
Eröffnung des Peritoneums strömte trübe, gelbe Flüssigkeit heraus, beim Zurück¬
drängen der geröteten Darmsehlingen kam dünner Eiter aus dem kleinen
Becken. Die Appendix war ganz normal, sie konnte gewiss die Ursache der
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
205
Kasuistisches und Technisches aus der Diekdarmehirurgie.
Eiterung nicht sein. An der Flcxur befanden sicli zahhvidie Apjiendiees epi-
ploieae. Viele waren mehr oder weniger gerötet, eine aber fiel durch ihre be¬
sondere Röte auf und fühlte sieh auch etwas gespannt und geschwollen an.
Eine Perforation war nicht sofort zu sehen, aber mit einer dünnen Sonde wurde
nicht weit von der Spitze eine feine Oeffnung entdeckt. Die Sonde liess sich
liier einführen und konnte bis in den Darm vorgeschoben werden. Damit war
der Perforationskanal angczeigl.
Die Appendix epiploiea wurde an der Basis Umschnitten und reseziert,
dabei kam die Darmschleimhaut zu Gesicht. Es war aber nur eine kleine
Oeffnung. Zweireihige Naht. Das Cavum Douglasii wurde ausgetupfi. Dicker
Drain oberhalb der Symphyse. Bauchnaht in Etagen (Entgilt).
Der Verlauf war durch drohende Lungenkomplikationen etwas erschwert,
v<*n Seiten der Bauchorgane sehr glatt.
Patient konnte 4 Wochen nach der Operation geheilt entlassen werden.
Wir hatten es also zu tun mit zwei Fällen von Divertikel¬
perforation durch eine Appendix epiploiea, die verhältnismässig
selten ist, mit deren Auftreten man aber rechnen muss, will man
von seiner Operation einen Erfolg erwarten.
Kurz gefasst verliefen beide Fälle so: Es entwickelte sich
ziemlich rasch das Symptomenbild einer umschriebenen Peritonitis,
die zweifelsohne als die Folge einer Appendicitis betrachtet worden
wäre, wenn die Erscheinungen sich an der rechten Seite des Bauchs
gezeigt hätten. Alles aber, was wir bei der Appendicitis in der
Gegend des Mc Burney ? schen Punktes antreffen, fanden wir hier
am äusseren Rande des linken M. reetus abdominis.
Eine sichere Diagnose wurde nicht gestellt, aber die Indi¬
kation zur Operation war durch die Zeichen der Peritonitis
gegeben.
Bei der ersten Operation kam der Gedanke an eine Diver-
likelperforation erst auf, als die zusammengelötete, ziemlich feste
.Masse von drei entzündeten Appendices epiploicae gefühlt wurde,
bei der zweiten wurde die Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer Diver¬
tikelperforation schon von Anfang an mit in den Gesichtskreis ge¬
zogen. Das hat die Operation sehr vereinfacht, denn nachdem
festgestellt war, dass die Peritonitis nur die untere Hälfte des
Bauches einnahm, die Appendix vermiformis gesund war und
am Dickdarm sich keine Divertikel zeigten, wurden die Appendices
epiploicae systematisch und dadurch rasch nachgesehen. Da nun
an einer deutliche Zeichen von heftiger Entzündung bestanden,
wurde als fest angenommen, dass diese einen Perforationskanal
beherbergen musste, und dieser wurde dann auch mittels einer
feinen Sonde gefunden.
Wäre ich durch die erste Operation nicht so gut belehrt ge¬
wesen, dann hätte ich bei diesem Eingriff die wahre Ursache der
Periionitis gewiss nicht so rasch, vielleicht gar nicht entdeckt.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
206
J. Sohoemaker,
Digitized by
Ich meine also, dass es Zweck hat auf diese Ursache der
Perforationsperitonitis hinzuweisen.
Die Prognose der Divertikelperforation scheint eine sehr
schlechte zu sein. Eisenberg (Beitr. z. klin. Chirurgie, Bd. 83, H. 3)
fand in der Literatur 17 Perforationen in die freie Bauchhöhle
verzeichnet. „Die in solcher Weise entstandenen Peritonitiden
sind sämtlich tödlich verlaufen.“
Ich fand noch drei weitere Fälle, von denen einer geheilt ist.
Taylor und Lakin (Perforative peritonitis originating in
pouches of the large intestine. Lancet 1910. S. 495) beschreiben
2 Fälle:
1. TOjiiiu*. Mann. Plötzliches Auftreten von Leihschmerzen, Stuhlver-
hallung. Erbrechen. Spitalaufnahme erst S Tajo* nach Beginn der Erkrankung:
hochgradige Peritonitis. Opcralinnshcfund: Peritonitis, in der Eingebung des
Colon ascendens und Cöcums dicker Eiter. S Komanum mit Divertikeln besetzt.
Resektion des Proe. vermiformis. Drainage. Exitus. Autopsie ergab zahlreiche
Divertikel in der ganzen Länge des Dicktiarms. Speziell im Bereich der Flexur.
Sie standen in Konnex mit den Appendieejs epiploieae. Ein Diver¬
tikel im Colon asc. o 1 2 Zoll oherhalh des Cöcums war perforiert.
2. 57jähr. Mann. Plötzlicher Beginn, hochgradige Druckempfindlielikeil in
der linken Seitr. Leberdämpfung normal. Operation: lm Bereich Oos S Ivoma-
num ein perforiertes Divertikel in Verbindung mit einer Appendix epi-
plniea. Entfernung des Divertikels. Weitere Divertikel, die entlang einer
Tänie sassen. wurden im Colon descemlens und eines im Colon ascendens ge¬
funden: sie hatten Beziehungen zu den Appendiecs epiploieae. Drainage.
II e i I u n li .
Bauer und Spovale (Ein Fall von perforierter Diverticulitis
der Flexura sigmoidea. Hygiea 1911. S. 1000) behandelten einen
Mann von 52 Jahren, der ohne vorhergehende Digestionsstörungen an akuten
Baurhsymptomen erkrankte. Operation am folgenden Tag (mit Verdacht auf
Blinddarmentzündung) ergab nur, dass es sich um eine wesentlich um die
Elexura sigmoidea herum angesammelte Eitermenge handelte. Cöeostomie. Tod
nach einem Tagt». Bei der Sektion fand man ganze Bedien von falschen Diver¬
tikeln. Ein Divertikel enthielt kleine feste Fäkalmassen und /.einte deutliche
entzündliche Erscheinungen; am meisten peripher fand sieh eine kleine Per¬
foration nach der Bauchhöhle. Keine andere Crsache für die Peritonitis war zu
finden.
Wie meine Fälle und auch der Fall 2 von Taylor und
Lakin zu beweisen scheinen, ist die Perforation durch eine Appen¬
dix epiploica weniger gefährlich. Wahrscheinlich ist dabei der
Weg länger und schmäler und passiert dadurch der Dickdarm¬
inhalt viel schwieriger. Trotzdem ist ein Patient von Eisen¬
draht (Journal of the American Med. Assoc. 1908, S. 545) aus der
Statistik von Eisenberg an diffuser Peritonitis in Folge von Per¬
foration eines Divertikels in eine Appendix epiploica zu Grunde
gegangen.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgic.
207
Eine Gefahr liegt darin, dass gerade wegen der Feinheit des
Kanals, dieses nicht gefunden und damit die Ursache der Peritoni¬
tis nicht entdeckt wird. Es ist dann von praktischer Bedeutung
bei den Zeichen einer Perforationsperitonitis, die sich hauptsäch¬
lich in der linken Bauchhälfte manifestieren, auch an eine Diver¬
tikelperforation zu denken, und während der Laparotomie auch
die Appendices epiploicae nachzusehen.
C. Zur Technik der Dickdarmresektion.
Die Operationen am Dickdarm stehen in einem schlechteren
Ruf als die am Dünndarm oder am Magen. Und das mit Recht.
Während der Dünndarm meistens von selbst schon leer ist, und
wir den Magen leer machen können, ist das mit dem Dickdarm
nicht der Fall. Wir können süplen und laxieren so viel wir
wollen, wenn wir nachher den Darm aufmachen, finden wir in den
Falten immer noch Kotreste. Bei einer Resektion hat es seine
Schwierigkeiten die Umgebung oder unsere Hände und Instrumente
vor Beschmutzung damit zu schützen, und eine ungeschickte Be¬
wegung mit einem Tupfer kann die Gefahr einer Peritonitis mit
sich bringen. Auch wenn wir mehrzeitig operieren, was in
Fällen von akutem Ileus wohl ein Jeder tut, bleibt die Gefahr be¬
stehen.
Ich glaube darum, dass man der Idee von Lanz (Beitr. z. klin.
Chiurgie, Bd. 30, H. 3) und Rostovvzew (dieses Archiv ßd. 82),
den Dickdarm zu resezieren ohne dass man bei offenem
Lumen arbeitet, beipflichten muss. Trotzdem nun Moszkowicz
idieses Archiv Bd. 91) die Technik entwickelt hat, scheint sie mir
doch kein Allgemeingut der Chirurgen geworden zu sein. Das hat,
glaube ich, zwei Ursachen. Erstens gebraucht Moszkowicz noch
ein spezielles, wenn auch sehr vereinfachtes Instrumentarium, und
zweitens ist es bei seiner Methode nicht möglich bei der inneren
Naht die Mucosa, die Muscularis und die Serosa alle drei sichtbar
mit der Nadel zu fassen. Wenigstens das waren für mich die
Gründe, um seiner Methode nicht zu folgen.
Ich gehe auf etwas andere Weise vor.
Wenn ich mit einem Obttirationsileus zu tun habe, mache ich
unter Lokalanästhesie eine Laparotomie. Ist der Bauch geöffnet,
dann wird ein Chloraethylrausch, wenn nötig Chloraethylnarkose
eingeleitet und ich untersuche mit der eingeführten Hand (wenn
der Gummihandschuh mit etwas Seifenspiritus befeuchtet wird,
dann gleitet man durch eine verhältnismässig kleine Oeffnung
hinein) den Bauchinhalt, um den Sitz des Tumors festzustellen.
Ist das geschehen, dann wird eine Fistula stercoralis angelegt
Digitized
bv Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Schocmaker
meistens am Colon aseendens. Dann folgt in einer zweiten Sitzun
die eigentliche Resektion.
Habe ich dazu den Tumor genügend frei gemacht, so dass er
die Wunde gebracht werden kann, dann wird an der Stelle,
der Darm oberhalb des Tumors durchschnitten werden soll.
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgie. 209
das Mesocolon unterbunden und perforiert. Nun wird hier der
Darm ein geschnitten bis auf die Submucosa, und die
Muscularis-Serosa mit dem Messer zurückgeschoben, bis
wir einen Mucosaschlauch von ungefähr 1 cm haben.
Hierauf werden nun zwei schlanke Klemmen gesetzt (siehe
Big. 2) und zwischen beide der Darm durchtrennt. Das Durch-
Kig. 3.
schneiden wird aber so gemacht, dass das Messer mit seiner
Schneide fest gegen die proximale Klemme gedrückt wird, und da¬
durch die Mucose so hart an der Klemme durchschnitten wird,
dass an der Klemme keine Spur von Mucosa hängen bleibt. Man
kann diesen Akt auch mit dem Thermokauter machen.
Digitized by Gougle
Original frum
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
210 J. Schoemakcr,
Nun wird das Mesocolon unterbunden bis man an die Stelle
gelangt ist, wo der Darm zum zweiten Male durchschnitten werden
Fig. 4.
muss. Auch hier wird der Darm wieder eingeschnitten bis auf
die Submucosa und die Muscularis-Serosa zurückgeschoben. Zwei
Klemmen werden wieder auf den Mucosaschlauch gesetzt (siehe
Go igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmehirunric.
211
Fig. 3) und die Mucosa wird hart an der einen durchschnitten,
aber jetzt natürlich an der distalen, so dass auch hier wieder keine
Mueosafetzen an der Klemme hängen bleiben.
Der Darm ist nun reseziert, es folgt die Naht. Dazu werden
die beiden Klemmen, welche die Darmenden verschliessen, an
einander gelegt, wie das auf Fig. 4 zu sehen ist.
Auf diesem Bilde liegen schon zwei Fäden der vorderen Naht,
dabei muss man sich vorstellen, dass die hintere Naht schon fertig
war. Es war aber sehr schwierig sie zu zeichnen, sie anzulegen ist
viel einfacher. Man dreht dazu die Klemmen, welche nebeneinander
liegen, um ihre eigene Achse, diejenige, welche man in die rechte
Hand nimmt, nach rechts (in der Richtung des Uhrzeigers), die
andere in der umgekehrten Richtung. Dadurch präsentiert sich
die hintere Fläche des Darmes. Man kann nun hier eine doppel¬
reihige Kopfnaht anlegen: erst Serosa-Serosanaht und dann Mucosa-
Muscularis-Serosanaht oder nur die letztere, die innere Naht legen
um die Serosanaht für den allerletzten Akt zu bewahren. Es
wird dann in die Submucosa, die man neben der Klemme sehen
kann, eingestochen und die Nadel durch Mucosa Muscularis und
Serosa geführt; an der anderen Seite auch durch die drei Schichten,
aber natürlich in umgekehrter Reihenfolge. Der Faden wird ge¬
knotet und ganz kurz abgeschnitten.
Hat man so viele Fäden gelegt, dass die hintere Naht fertig
gestellt ist, dann dreht man die beiden Klemmen zurück, so dass
sie zu liegen kommen wie das auf Fig. 4 zu sehen ist. Nun wird
die vordere Naht angelegt, bei den Spitzen der Klemmen anfangend,
und in der Richtung der Schlösser weitergehend, bis die Klemmen
ganz eingeschlossen sind. Der letzte Faden wird über den Klemmen
lose geknotet und während nun der Assistent die Klemmen löst und
abnimmt, schnürt der Operateur den Knoten zu und die innere
Naht ist ringsum fertig, ohne dass man die Muscosa zu Gesicht
bekommen hat. Es folgt natürlich dann noch die Serosanaht, tvelche
man ringsum als fortlaufende Naht anlegen kann.
Auf diese Art und Weise ist die Darmnaht angelegt worden,
ohne dass während des Anlegens dieser Naht das Lumen geöffnet
war, und die drei Schichten des Darmes konnten vor dem Auge
sichtbar mit der Nadel durchstochen werden.
Die Technik ist leicht. Das Einschneiden bis auf die Sub¬
mucosa ist viel leichter als man sich das vielleicht vorstellt und
das Instrumentarium ist das denkbar einfachste.
Meine ersten Versuche habe ich mit schlanken Kocher’schen
Arterienpincetten gemacht, aber leider ging das nicht. Die Pin-
cettcn hielten nicht auf dem Mucosaschlauch, als ich die Mucosa
Archiv für klin. Chirurg!e. Bd. 107. Hoft '2 ir
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
212
.1. Sclioeinaker, Aus der Dickdarmchiruririe.
Digitized by
hart an der Pincette abrasierte. Sie glitten dann regelmässig ab.
Anfangs dachte ich, dass ich die Mueosa durchquetschte. Ich liess
dann einen kleinen Halt machen, so dass beim Verschliessen der
Klemme zwischen den Branchen immer noch Raum für ein Papier¬
blatt übrig blieb. Das half aber nicht. Andere Formen gaben
auch kein Erfolg. Die Pincette glitt ab, wenn ich die Mueosa
ganz wegschnitt. Sie wollte nun hängen bleiben, und dann sogar
ziemlich fest, wenn ich einen Streifen Mueosa vor der Klemme
sitzen liess. Damit war aber das Prinzip der Asepsis verloren
gegangen und ich war deshalb wohl genötigt doch eine spezielle
Klemme bauen zu lassen, wenn ich es auch lieber mit einem bei
jeder Operation vorhandenen Instrumente gemacht hätte. Viel Be¬
sonderes hat aber meine Darmklemrae nicht. Sie ist etwas länger
und schwerer wie eine Kocher'sche Arterienpincette und hat in
seiner Branche eine ziemlich tiefe Rinne, die den Mucosastreifen
aufnehmen kann, an welcher das Instrument hängen bleibt.
Einen Nachteil hat der Gebrauch meiner Klemmen, auf den
ich hinweisen muss: Wenn man sie mit roher Hand anfasst und
daran ruckweise zieht, dann läuft man Gefahr, dass man die
Mueosa durchreisst und dadurch die ganze Methode zu nichte macht.
Und nicht nur der Chirurg selber, auch sein Assistent muss zart¬
händig sein.
Auch sorge man dafür, dass man den Mucosasehlauch nicht
zu dünn macht, und lasse lieber etwas von der Muscularis stehen,
als dass man die Submucosa einschneidet.
Das Instrument ist zu haben bei der Firma M. Schaerer
in Bern.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
VII.
Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor
Operierten, nebst kasuistischen Beiträgen
aus den Hamburger Krankenhäusern.
Von
Richard Paschen (Hamburg).
Die Bezeichnung dieser, von Grawitz zuerst beschriebenen,
Gesehwülste hat sich im Laufe der Jahre verschiedentlich ge¬
ändert. Grawitz selbst nannte sie „Strumae suprarenales aber-
ratae renis“ infolge seiner Anschauung, dass sie den vonVirchow
so genannten Strumen der Nebenniere entsprächen. Einige Zeit
später wurde von Birch-Hirschfcld der Name Hypernephrom
geprägt, in dem sich auch deutlich die Anschauung offenbart, dass
diese Geschwülste aus Nebennierengewebe bestehen oder entstanden
sind. Ueberhaupt seitdem Grawitz im Jahre 1883 auf diese Ge¬
schwülste aufmerksam machte und ihre Entstehung aus abge¬
sprengten Nebennierenkeimen erklärte, ist seine Ansicht von der
Entstehung dieser Tumoren von der grossen Mehrheit der Patho¬
logen geteilt worden. 10 Jahre später griff Sud eck in seiner
Arbeit „Ueber die Struktur der Nierenadenome. Ihre Stellung
zu den Strumae suprarenales aberratae (Grawitz)“ diese An¬
schauung an und vertrat die ältere Meinung, nämlich dass den
betr. Geschwülsten die Niere als Matrix diene. Von Lu barsch
heftig bekämpft, blieb er mit seiner Ansicht vorläufig allein.
Lange Zeit blieb die Grawitz’sche Theorie nun unangefochten.
Erst im Jahre 1908 unternahm Stoerk und 1910 Zehbe einen
Angriff, der, wie Stoerk sich ausdrückt, nunmehr fast ketzerisch
erscheint. Stoerk wendet sich in seiner Arbeit nacheinander
gegen die einzelnen Punkte der Grawitz’schen Beweisführung.
Er bestreitet eine topische Uebereinstimraung zwischen den Fund¬
stellen der versprengten Nebennierenkeime und der Grawitz’schen
Tumoren.
Die grossen hellen Zellen der Grawitz’schen Tumoren er¬
klärt er durch eine hydropische Protoplasmaquellung im Gegen¬
satz zu Grawitz, der sie durch den Fettgehalt dieser Zellen
erklärt. Die doppeltbrechende Substanz, die sowohl in Neben-
15 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
214
R. Pasrhcn,
Digitized by
nierenrindenzellen als auch in den Zellen der Grawitz’sehen
Tumoren vorkommt, hält Stoerk für verschiedenartig. Sein
Hauptargument gegen die Grawitz’sche Theorie ist aber das
unleugbare Vorkommen von Lumenbildung in diesen Geschwülsten,
während sich weder bei der gesunden Nebenniere noch bei Tu¬
moren derselben jemals einwandfrei festgestellte Lumina ergeben
haben.
Ebenso kommt Zehbe auf Grund eines grossen Untersuchungs¬
materials zu dem Schlüsse, dass die Grawitz’schen Geschwülste
nephrogenen Ursprungs sind. Er hebt dabei hervor, dass eine
Aehnlichkeit mit Nebennierengewebe eigentlich nur hinsichtlich der
Stützsubstanz bestehe, die aus sehr feinen Kapillaren gebildet wird.
Die „Hypernephromzellen“ hätten gar keine Aehnlichkeit mit
Nebennierenzellen.
Wenn die Anschauung dieser beiden Autoren allgemein ge¬
worden wäre, bestände der Ausdruck „Hypernephrom“ heute nicht
mehr zu Recht. Da ich selbst zu wenig pathologisch-anatomische
Erfahrung besitze, um mich für eine der beiden Theorien ent¬
scheiden zu können, soll im folgenden die Bezeichnung „Grawitz-
Tumor“ angewandt werden, die sicher immer zu Recht bestehen
bleiben wird, da Grawitz immer das Verdienst behalten wird,
der erste gewesen zu sein, der auf diese eigenartigen Geschwülste
aufmerksam gemacht hat.
Es ist verschiedentlich versucht worden, aus pathologisch¬
anatomischen Besonderheiten, die man während der Operation oder
nachher am Präparat feststellte, Schlüsse zu ziehen in Bezug auf
die Heilungsaussichten des betr. Patienten.
Stoerk kommt dabei zu folgenden Schlüssen: Jene Tumoren,
welche klinische Symptome machen, sind fast immer schon maligne
Geschwülste. Andrerseits findet man häufig auch bei sehr alten
Leuten bei der Obduktion als accidentellen Befund kleine und
auch grössere, abgekapselte Geschwülste, welche durchaus als gut¬
artige aufzufassen sind. Die Grösse des Tumors spielt hinsicht¬
lich der Benignität oder Malignität keine Rolle. Es kommt ledig¬
lich darauf an, ob der Tumor allseitig von einer bindegewebigen
Kapsel umgeben ist; in solchen Fällen ist der Tumor noch gut¬
artig. Sind irgendwo, auch nur mikroskopisch erkennbare Gc-
schwulstpartikel in oder durch die Kapsel eingebrochen, so ist
der Tumor fast immer, jedenfalls im pathologischen Sinne, als
malign anzusehen. Es sind Fälle berichtet, bei denen kindskopf-
und noch grössere Tumoren exstirpiert wurden und später niemals
Metastasen im Gefolge hatten; auf der anderen Seite machten
Tumoren, die vor der Operation weder durch Palpation noch durch
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Das Schicksal der wegen (irawilz-Tumor Operierten.
215
das Böntgenbild festzustellen waren, und die erst während der
Operation gefunden wurden, sehr bald nachher Metastasen. Die
Propagationsmöglichkeit besteht nach zwei Seiten, nach dem
Nierenbecken zu und nach der Nierenoberfläche, resp. ihrer Um¬
gebung. Erreicht der Tumor das Nierenbecken, so tritt klinisch
fast ausnahmslos eine Hämaturie in Erscheinung. Letztere kommt,
allerdings sehr selten, auch bei völligem Intaktsein des Pelvis-
epithels vor.
Gelangt der Tumor an die Nierenoberfläche, so werden
sehr häufig die Lymphgefässe ergriffen, von denen aus eine
Metastasierung nicht nur möglich, sondern sehr häufig ist.
Eine dritte Möglichkeit der Propagation besteht bei einem Ein¬
bruch in eine Vene. Es bilden sich zartere oder gröbere Ge-
schwulstthromben, die man bei der Unterbindung des Nierenhilus
in die Vena renalis und auch in die Vena cava hineinragen
sieht. Auf diesem Wege ist natürlich auch eine Metastasierung
möglich.
Hinsichtlich der Metastasen bei Grawitz-Tumoren zeigt es
sich, dass bei ihnen in mancher Richtung ein Unterschied gegen¬
über den Metastasen der Carcinome und Sarkome etc. besteht; und
zwar sind diese Unterschiede für die Prognose teils als gute, teils
als schlechte anzusehen. Man findet nämlich sehr häufig, dass
Metastasen eines Grawitz-Tumors sich nur an einer Stelle lokali¬
sieren, resp. ein örtliches Recidiv darstellen, wodurch ihre Ent¬
fernung und die Aussicht auf dauernden Erfolg sehr erhöht wird.
Albrecht (Wien) teilt einen Fall mit, wo 4 Jahre p. nephrect. eine
Metastase in der linken Scapula auftritt. Die Scapula wird ex-
stirpiert und die Pat. ist 9 Jahre p. exstirp. scapulae noch völlig
gesund. Aehnliche Fälle sind häufig beschrieben worden. Während
so trotz Metastasen die Prognose noch relativ günstig sein kann,
ist auf der anderen Seite auch nach jahrelanger Abwesenheit von
Metastasen die Prognose nicht absolut günstig. Das machen die
Fälle von sogenannten Spätraetastasen. So berichtet wieder
Albrecht (Wien) über einen Patienten, der 7 Jahre p. op. gesund
war, dann Metastasen im dritten Brustwirbel bekam und daran zu¬
grunde ging.
B. Fischer referiert in der Münchener med. Wochenschrift über
einen Patienten, der nach der Nephrektomie 6 1 /., Jahre gesund war
und dann an Metastasen starb.
Eine schlechte Prognose ist sehr häufig mit Recht dann ge¬
stellt worden, wenn sich bereits Tumormassen in der Vena renalis
oder gar schon in der Vena cava befanden; ferner in den Fällen,
wo die regionären Lyraphdrüsen verdickt waren oder eine Varico-
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
*216
li. I’a selten,
celc bestand. Es sind jedoch einzelne Fälle bekannt, wo bereits
ein Tumorstück in die Nierenvene hineinragte, die trotzdem
gerettet wurden. So berichtet derselbe Al brecht über einen
Fall, bei dem sich während der Operation ein 2 cm langer Ge¬
schwulstthrombus in der Vena renalis fand. Die Patientin war
1913, 11 Jahre p. operat., noch gesund. Man muss allerdings
sagen, dass ein solcher Erfolg zu den Ausnahmen gehört: die
meisten derartigen Fälle führen früher oder später zu Meta¬
stasen und zum Exitus letalis. Am häufigsten sind die Meta¬
stasen kurz nach der Operation noch während der Behandlung bis
zum Zeitraum von 2—3 Jahren p. op. Ganz besonders schlechte
Resultate in dieser Hinsicht verzeichnet Berg in den Mount Sinai¬
hospital reports. Von 1898 bis Jauuar 1907 wurden im Hospital
21 Fälle von Hypernephroma renis behandelt. Die Resultate
sind: 2 Jahre p. op. frei von Recidiv oder Metastasen lebte noch
ein Patient, vier starben unmittelbar p. op., die anderen sehr
bald oder doch relativ kurze Zeit nachher an Recidiven oder
Metastasen.
Diejenigen, bei denen 3 Jahre p. op. keinerlei Symptome
irgendwelcher Metastasen aufgetreten sind, bei denen ferner wäh¬
rend der Operation weder Lymphdrüsenmetastasen noch Einbruch
in die Blutbahn beobachtet wurde, können mit grosser Wahrschein¬
lichkeit für geheilt angesehen werden. Vor diesem Zeitpunkt ist
man sicher nicht berechtigt, von einer dauernden Heilung zu
sprechen.
Eine andere Gefahr, die nicht speziell bei Grawitz-Turaoren,
sopdern überhaupt bei jeder Nierenexstirpation einerlei aus welcher
Ursache besteht, nämlich die Gefahr eines unmittelbaren Versagens
der anderen Niere und ihre Folgezustände, wie Urämie, sind
seit der Einführung der Cystoskopie und besonders der Ureteren-
sondierung, Bestimmung des Blutgefrierpunktes usw. fast gänzlich
geschwunden.
Ueber das quantitative Verhältnis der Grawitz-Tumoren zu
den anderen Nierentumoren schwanken die Angaben ganz erheb¬
lich. So erhält Israel bei seinen Operationen bis zum Jahre 1901
für Grawitz-Tumoren einen Wert von 39,53 pCt. aller Nieren¬
geschwülste; Schmieden in seiner Statistik (1902) von 329
bis zu diesem Jahre wegen Nierengeschwülsten Operierten nur
8,51 pCt.
Nach den mir zur Verfügung stehenden Krankengeschichten
des Eppendorfer Krankenhauses betrug der Prozentsatz 57,35.
Bei den mir in der Literatur zugänglichen Fällen von ope¬
rierten Grawitz-Tumoren mit Hinzurechnung der mir von Herrn
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Das Schicksal der weiten lirawitz-Tuinor Operierten.
217
Geheimrat Kümmell und Prof. Sick vom Eppcndorfer Kranken¬
haus sowie von Herrn Prof. Wiesinger und Sud eck vom
St. Georger Krankenhaus gütigst zur Verfügung gestellten Fällen
war das Endergebnis folgendes.
Von 268 an Grawitz-Tumor Operierten starben im Anschluss
an die Operation: 51 = 19,03 pCt.; an Recidiven und Metastasen
starben: 77 — 28,73 pCt.; an anderen Krankheiten innerhalb
3 Jahren p. op. starben: 23 = 8,58 pCt.; Geheilt ohne Recidiv
oder Metastasen bis 1 Jahr p. op. waren: 15 = 5,60 pCt.; 1 bis
2 Jahre geheilt waren: 13 = 4,85 pCt.; 2—3 Jahre geheilt:
16 = 5,97 pCt.; über 3 Jahre geheilt waren 46 = 17,17 pCt.
Fernresultate waren nicht zu erlangen bei: 22 = 8,21 pCt.: noch
am Leben mit manifesten Metastasen: 5 = 1,86 pCt.
Aus den von mir im folgenden mitgeteilten Fällen ergibt
sich folgendes Resultat: Von 54 an Grawitz-Tumor Operierten
starben im Anschluss an die Operation: 6— 11,11 pCt., an Re-
eidiven und Metastasen starben: 17 = 31,48 pCt.: an anderen
Todesursachen: 6 = 11,11 pCt.; nach der Operation waren am
Leiten ohne Recidiv oder Metastasen bis zu 1 Jahr: 2 = 3,70 pCt.:
1—2 Jahre: 1 = 1,85 pCt.; 2—3 Jahre: 2 = 3,70 pCt.; über
3 Jahre: 19 = 35,19 pCt. Bei einem war kein Fernresultat zu
erhalten. Demnach ergibt sich, dass unsere Fernresultate recht
günstig zu nennen sind; denn mehr als ein Drittel sämtlicher ope¬
rierter Fälle war über 3 Jahre gesund. Es hat sich dabei heraus-
gestellt, dass diejenigen, die möglichst frühzeitig operiert wurden,
das beste Resultat abgaben. Es ist daher zu empfehlen, schon nach
einmaliger Hämaturie, wenn auch weder durch Palpation noch durch
Röntgenstrahlen ein Tumor mit Sicherheit festzustellen ist, anderer¬
seits eine andere Ursache, wie Stein, hämorrhagische Nephritis usw.
ausgeschlossen werden kann, eine Probeincision zu machen, der ge¬
gebenenfalls die Radikaloperation angeschlossen werden kann.
Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, den Altersklassen,
bei meinem sowie bei sämtlichen Fällen w r ar folgendes:
Es wurden hier 40 Männer und 14 Frauen operiert: im
ganzen 146 Männer und 69 Frauen (bei den übrigen Fällen war
keine genaue Angabe über das Geschlecht vorhanden).
Hier wurden operiert:
im
Alter
von
15—30
Jahren
2,
davon
1 gesund, 1 gestorben
n
71
30—40
n
2,
V
1
„ 1
71
71
75
71
40—50
71
16,
yl
8
8
71
71
n
50—60
71
21,
71
9
* 12
71
71
71
71
60—70
71
11,
71
2
„ »
71
71
71
71
über 70
71
0
^7
71
2
* o
71
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
•218
K. Pas eben.
Digitized by
Im ganzen wurden operiert:
im Alter
von
1
— 15 Jahren
1
i n
71
15-
-30
7)
11
r> i
71
ao
-40
TI
13
r> n
V
40-
— 50
71
74
n "i
7)
50
-60
71
81
n v
V
60
-70
71
30
n Ti
7)
70
-80
>1
3
Krankengeschichten.
1. (L, Mann, 4S .lahm alt. Aufg. 3. 11. 1S98.
Irn wesentlichen früher gesund. Vor Jahren Gonorrhoe. Seit 1 ; 2 Jahr in
periodischen Zwischenräumen dunkler, blutiger Urin. Keine Seinnerzen.
Stal us praesens: Kräftiger Mann. Kochte Nierengegend druckempfindlich.
Urin fast klar, enthält kein Blut, etwas Eiter.
Cystoskopie: Beeilte Uretenniindung dureli Blutgerinnsel verstopft: links
klarer, gut konzentrierter Urin.
Operation (J\ ü m in e 11): Freilegung der reehten Niere, die eystiseh sein-
entartet ist und nach Ineision einen eitrig-schmutzigen Inhalt entleert. Exstir¬
pation. Heilung.
Die exstirpierte Niere lässt auf dem Sehnitt makroskopisch kein Nicren-
gew<‘he mehr erkennen und zeigt ein grosses Kavernensystem, deren einzelne
llohlräume in das Nierenbecken münden. Am oberen Pol findet sieh ein Tumor
von Pflaumengrösse, der als Grawitz-Tumor gedeutet wird.
1912. 14 Jahre p. op. gesund.
2. A:. Mann, ü() Jahre alt. Aufg. 11. 4. 1S99.
Früher stets gesund. Seit 4 Jahren vorübergehend blutiger Urin, seit
1 Jahr trüber Urin, andauernde Stuhl Verstopfung, starke Abmagerung.
Status praesens: Kachektiseh aussehender, abgemagerter Mann. Unter¬
halb des reehten Kippenbogens ein von der Leber und dem Colon abgrenzbarer.
derber Tumor, der bis zur Bockcnsehaufel reicht. Nach ölten ist das Zwerchfell
hoehgedrängt. Urin stark bluthaltig.
Exstirpation des (j Pfund schweren Nierentumors (Kümmel 1).
Unter zunehmender Kachexie* 13 Tage p. op. Exitus letalis.
Aus dem Sektionsprotokoll: Zahlreiche Metastasen in Pleura. Peri¬
toneum, Lymphdriisen usw.
3. Joh. E.. Mann. 54 Jahre alt. Aufg. 24. S. 1S99.
Früher angeblich gesund. Vor 3 Jahren vorübergehende Sehmerzanfälle
in der linken Nierengegend mit Blutharnen. In letzter Zeit wieder dumpfe
Schmerzen in der linken Seite, hartnäckige Stuhlverstopfung. Abmagerung.
Status praesens: Seniler, aber noch rüstiger Mann. Unter dem linken
Kippenbogen ist ein faustgrosser, hüekriger, etwas verschieblicher Tumor zu fühlen.
Exstirpation des Nieren!umors (Kümmel!).
Zunehmende Kachexie. 3 Tage p. op. Exitus letalis.
4. Frau 1L, 50 Jahre alt. Aufg. 15. 1. 1901.
Früher gesund. Seit einiger Zeit leichte Hämaturie mit linksseitigen
Schmerzen. Bei der korpulenten Dame ist kein palpabler Befund zu erheben.
Urin klar, Spuren von Albuinen, vereinzelte rote und weisse Blutkörperchen.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten.
219
Operation (lvümmell): Freilegung der linken Niere. Dieselbe ist in
einen über faustgrossen, höekrigen Tumor verwandelt.
Exstirpation. Glatte Heilung.
Fat. ist nach 2 Jahren gesund und beschwerdefrei.
5. Frau 11., 53 Jahre alt. Aufg. 18. 1. 1902,
Hat Blutungen im Frin gehabt mit langen Zwischenpausen, keine Sehmerzen.
Status praesens: Innere Organe o. B. Links spärliche Lcukocyten
und Blutschat len.
Operat ion (Kinn mell): Exstirpation des apfelgrossen Tumors und der
linken Niere. Geheilt entlassen.
Ende November 1909, 7 :l /4 Jahre p. op. gesund.
6. Frau K.. 49 Jahre alt. Aufg. 21. 11. 1902, entl. 25. 12. 1902.
Fat. leidet seit 1 l i 2 Jahren an einem Prolapsus Uteri et reeti. Vor
4 Tagen naehts plötzlieli erkrankt mit heftigen Schmerzen in der rechten
Seite, kein Erbrechen. Stuhlgang nicht gestört. In letzter Zeit Gewichts¬
abnahme.
Status praesens: ln der rechten Abdominalgegcnd findet sich ein
kindsknpfgrosser Tumor, der vcrsehieblieh und wenig druckempfindlich ist.
Uterus retrovertiert und fixiert. Sonst an den Adnexen keine Veränderungen.
Auf dem Röntgenbild kein Schatten. Urin sauer, enthält wenig Blut und
Spuren von Eiweiss. keine Cylinder, vereinzelte grossen 1 fettkörnrhenhallige
Zellen.
Uystoskopie: Blase o. B. Der linke Ureier entleert durch die Sonde
einen klaren Urin, der keinerlei krankhafte Bestandteile enthält. Blul-
gefrierpunkt: 0,57.
Operation (Kinn m eil): Freilegung der rechten Niere, die vergrössert
ist und deren einer Pol in einen Tumor verwandelt ist. Die Niere wird
exstirpiert. Normaler Wundverlauf. Geheilt entlassen.
1911. 9 Jahre p. op.. noch gesund.
7. K.. Mann, 45 Jahre alt. Aufg. 25. 2. 1903. Entl. 25. 3. 1903.
Seit 2 Jahren öfters Kolikanfälle: Blut im Urin, das sieli teilweise in
Klumpen entleert. Vor 3 Monaten plötzliche Urinverhaltung, die 3 Tage an¬
hielt. Seit der Zeit etwa 2mal wöchentlich Blut im Urin bemerkt.
Status praesens: Sonst gesunder, kräftiger Mann. Im linken Hypo-
chondrium fühlt mail einen doppelfaustgrosscn Tumor, der anscheinend der
Niere angehört. Im Urin zahlreiche rote Blutkörperchen. Blutgcfrierpimkt: 0.56.
Operation (lvümmell): Flankenschnitt links. Die Niere ist an ihrem
oberen Pol von einem grossen Tumor eingenommen, der mit dem Zwerchfell
fest verwachsen ist. Exstirpation der Niere. Ziemlich glatter Wundverlauf.
Gute Urinsekretion. Geheilt entlassen. 1 Jahr p. op. Metastasen und Kecidiv.
Exkochleation des liecidivs.
Tod 1 Jahr 1 Monat p. op. an Metastasen.
8. K.. Mann. 60 Jahre alt. Aufg. 13. 9. 1903.
Kommt wegen starker Blutungen.
Status praesens: Kräftiger Mann. In der rechten Xicrcngegend ist ein
Tumor zu palpioren. Bei Sondierung der linken Niere entleert sieh kein Urin,
nur Spuren eitrigen Sekrets; rechts blutiger Urin. Dei 1 negative Ureterenkathe-
terismus blieb unbeachtet, da öfters klarer Urin entleert wurde, dieser als links¬
seitiger gedeutet wurde. Blulgefrierpiinkt: 0,57.
Operation (Kumme 11): Exstirpation der vergrösserten rechten Niere.
Tod an Anurie.
Digitized by
Gck 'gle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
'220
R. Paschen.
Digitized by
I>«‘i der Sektion zeigt sich, dass dir linke Niere vollständig atrophisch
ist. etwa die Grösse (*ines Fünfmarkst iieks hat und Spuren von Kiter iin Nieren¬
becken enthüll.
9. S., Mann, 4:) Jahre all. Aufg. 25. 11. 190:3. Kntl. 5. 1*2. 1903.
Vor () Monaten ohne erkennbare Trsaehen plöt/lieh heftige Blutungen
beim Wasserlassen, dabei Druekgefühl i n der linken Xicrengegend. Die Blu¬
tungen haben sieh seitdem alle 3-4 Wochen wiederholt. Letzte Blutung vor
1 Woehe. Starke Gewichtsabnahme.
Status praesens: Sonst gesunder Mann, ln der linken Xicrengegend
undeutlich palpalder Tumor, der nicht druckempfindlich ist. Der Irin ist
leicht trübe und enthält weisse und wenig rote Blutkörperchen. Der rechte
Treter wird sondiert, der I rin der linken Xiere indirekt aufgefangen. Blut-
gelrierpunkt: 0,57.
Das Röntgenbild zeigt einen knolligen Schatten der linken Xiere.
Operation (Kümmell): Freilegung der linken Xiere durch Lurabal-
selmilt. Auf der Rückseite findet sieh eine wal 1 nussgrosse Geschwulst Von
gelber Farbe. Auf dem Durchschnitt z^iizt sieh, dass der Tumor in das Becken
durehirehroehen ist und zum Teil in dieses hineinhängt. In den nächsten Tairen
sinkt der Blut Gefrierpunkt auf 0.fj35.
Exitus letalis an Trämie.
10 . M.. Mann. 47 Jahre alt. Auf«:. 10. 2. 1904, entl. 24. 3. 1904.
Früher angeblich Gesund. Seit 1 2 Jahr Kräfteverfall. Zu gleicher Zeit
Blutung im I rin ohne Schmerzen. Seitdem häufiger Blutverlust. Es sollen
Treterausgüsse im I rin gewesen sein.
Status praesens: Reduzierter Ernährungszustand. Innere Organe o. B.
Rechte Xierengegend druckempfindlich. Im I rin viel Blut.
Tvsloskopie: Normale Blasenverliältnisse. Aus dem rechten Treter
hängt ein wurstförmiges Coagulum heraus. Der linkt* Sondenurin enthält keine
Formbestandteile. Blutgefrierpunkt: 0,55.
< > pe rat io n (K ii m m el 1): Freilegung der reeliten Xiere durch Flanken-
schnitt. Die* Xiere ist sehr fest verwachsen und zeigt an ihrem oberen Bol
einen faustgrossen, sehr blutreichen Tumor. Die Xiere wird exstirpiert. Glatter
Wundverlauf. Die Wunde ist ziemlich verheilt. Bat. hat (> Pfund zugenornmen.
Die Xierenfunktion ist ausreichend.
23. 12. 1904 Tod an Metastasen.
11. J., Mann. 59 Jahre alt. Aufg. IS. S. 1904. Kntl. 2S. 10. 1904.
Bat. bemerkte seit 3 Jahren das Auftreten von Blut im I rin. Gleich¬
zeitig hatte er immer kolikartige Schmerzen in der linken Xierengegend.
Status praesens: Mässigcr Ernährungszustand. Abdomen weich, keine
abnorme Pruekcmpfindliehkeit. Trin sauer, enthält Spuren von Albuinen und
mikroskopisch rote Blutkörperchen.
Die Röntgenaufnahme gibt keinen Anhaltspunkt für Stein.
Cyst os kopier Normale Blasenverliältnisse. Blutgefrierpunkt: 0,5(>.
Erneute Cysioskopie: Aus der linken Treterrniindung kommt deutlich
blutiger I rin.
Operation (Kümmell): Die linke Xiere wird von einem Flankensehnitt
aus freigelegt, ist sehr klein. Am oberen Bol findet sieh ein wallnussgrosser,
blutreicher Tumor. Die Niere wird exstirpiert. Tnkomplizierter Wundverlauf.
Geheilt, entlassen.
Die exstirpierte Niere ist hydronephmtiseh geschrumpft.
Nachricht vom 20. 7. 1915, 11 Jahre p. op.: Völliges Wohlbefinden.
Gck 'gle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal der wegen (irawit/-Tumor Operierten.
221
12 . S., Mann, 54 Jahre alt. Aufg. 30. 8. 1904, entl. 10. 9. 1904.
Früher gesund. Vor 4 Wochen starker Blutverlust im Urin, der etwa
4 Tage anhielt. Der Urin war wechselnd bald triibe, bald klar, ln letzter
Zeit oft Atemnot und Schwäche.
Status praesens: Reduzierter Ernährungszustand, keine Driisen-
schwellungen. Innere Organe o. B. Rechte Nierengegend ausserordentlich
druckempfindlich, wegen starker Schmerzen nicht palpabel. Urin leicht trübe,
sauer, enthält Albumen. wenig weisse und rote Blutkörperchen, keine Oylinder.
Blutgefrierpunkt: 0,57.
Oysti»skopie wegen hochgradiger Striktur nicht möglich.
Röntgenaufnahme zeigt in der rechten Xicrengegend nur einen diffusen
Si-hatten, keinen Stein.
Operat ion (Kümmel I): Freilegung der rechten Xicrengegend. Die
Xiere ist sehr stark verwachsen und zeigt an ihrem Pol einen knolligen Tumor.
Exstirpation der Niere.
Abends tritt, nachdem der bisherige Verlauf unkompliziert war, plötzlicher
Exitus ein. Die Sektion ergibt: Schwere Veränderungen des Herzens, parenchy¬
matöse Entzündung der rechten Xiere.
13 . M., Mann, öS Jahre alt. Aufg. 22. 2. 1905, entl. 3. 9. 1905.
Pat. kommt wegen Blutungen im Urin.
Status praesens: Leichte Abmagerung. Die linke Xiere ist palpabel.
Rechte Xiere ist gesund, im Urin der linken Niere finden sieh Blutschatten :
der Harnstnffgelialt ist gegen rechts herabgesetzt.
Operation (Kümmel 1): Exstirpation der linken Xiere. Glatter 'Wund¬
verlauf. Normale Urinentleerung. Nach l ; 2 Jahr Darmeareinom. Resektion des
Darmes. Tod.
14 . Frau 11., 53 Jahre alt. Aufg. 6. 3. 1905.
Kommt wegen Blutungen im Urin, hat keine Schmerzen.
Status praesens: Gut genährte Frau. Die rechte Niere ist eben zu
pal pieren.
Oystoskopie ergibt links normalen Befund; rechts finden sieh Blut-
sohatten und Zellen. Der Harnstoff ist gegen rechts herabgesetzt. Blut¬
gefrierpunkt: 0,57.
Operation (Kümmel I:) Exstirpation der rechten Niere. Glatte Heilung.
1908, 3 Jahre p. op. noch gesund.
15 . M., Mann, 62 Jahre alt. Aufg. 29. 8. 1906, entl. 14. 10. 1906.
Früher gesund. In den 20er Jahren Gonorrhoe. Seit 7 Monaten
Mattigkeit. Appetitlosigkeit und gelbe Gesichtsfarbe. Dann plötzlich Blutung
aus der Harnröhre. Urin blutig, mit Fetzen vermischt. Keine Beschwerden.
Medikamentöse Behandlung. Später wiederholt Blutungen, die immer stärker
werden. Geringe Schmerzen, dagegen im letzten halben Jahr Gewichtsabnahme von
30 Pfund.
Operation (Kümmel 1): Exstirpation der rechten Niere, die in einen
Tumor verwandelt ist. Geheilt entlassen.
Tod 6. 1. 1907 an Metastasen.
16 . H., Mann, 66 Jahre alt. Aufg. 16. 9. 1906, entl. 21. 9. 1906.
Früher gesund. Vor 3 Wochen im Anschluss an ein Ausrutsehen auf
riner Treppe zuerst Blut im Urin. Vor 14 Tagen mehrere Blutungen, die bald
wieder aufhörten. Der Urin wurde für einige Tage klar, dann wieder stark
bluthaltig, mit stetigem Wechsel.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
222
R. l’aschrn,
Digitized by
Status pracst-ns: Innere Organe o. B. ln der rechten Nierengegend
fühlt man bei dem sehr dicken Mann einen undeutlichen, nicht druckempfind¬
lichen Tumor. Der Urin ist zur Zeit klar. Der mit der Sonde aufgefangene
Urin der linken Niere ist ebenfalls klar und sauer und enthält 23,8 Harnstoff,
eine leichte Spur Eiwciss. Blutgefrierpunkt: 0,5b.
Operation (Kümmell): Freilegung der rechten Niere, die stark ver¬
wachsen ist; der Tumor ist ausserordentlich brüchig. Kxstirpation der Niere,
wobei ein sehr starker Blutverlust durch Kinreissen des Tumors eintritt.
4 Tage p. op. Tod an Lungenembolie.
17 . BL. Mann. 53 Jahre alt. Aufg. IS. S. 1907, entl. 30, 11. 1907.
Vor 2 Monaten wegen Nierenblutung behandelt. Neue Blutung vor
t> Tagen. Urin enthält zeitweilig wurmförmige Gerinnsel. die dann die Harn¬
röhre verstopfen, zeitweise vollkommen klar.
Uystoskopie: Blase enthält blutigen Urin, sodass die Sondierung des
rechten Ureters schwer gelingt. Der Urin der linken Niere wird daher indirekt
aufgefangen; Blut links mehr als rechts; rechts Leukocvten und grosse Zellen.
Blutgefrierpunkt: 0,59.
Wegen der lebensgefährlichen Blutungen wird trotz des nicht einwand¬
freien Gefrierpunktes die Operation vorgeschlagen.
Operation (Kümmell): Lumbalsehnitt. Kntwieklung der Niere nur
nach (Querschnitt möglich. Die Niere zeigt (‘inen fast kindskopfgrossen, höekrigen
J,umor von gelblicher Farbe, der nur an der Hinterfläche und dem oberen
Fol normales Nierengewebe übrig lä>st. Kxstirpation der Niere. Zuerst völlige
Anurie. Nach 48 Stunden erst kommt die Urinsekretion in Gang. Urin ist
frei. Der Verlauf ist etwas verzögert, da die Wunde bei dem grossem Fett¬
polster nicht primär heilte. Geheilt entlassen.
Tod am 8. 3. 1912, 4 ! / 2 Jahre p. op. Woran?
18 . Ul.. Mann. 49 Jahre alt. Aufg. 13. 5. 1908, entl. 30. 5. 1908.
Seit 1 Jahr häufig profuse Blutungen mit dem Urin. Ausserhalb wurde
Sectio alta vorgenommen ohne Erfolg. Die Blutungen wurden immer häufiger,
so dass Fat. dadurch sehr heruntergekommen ist.
Status praesens: Aeusserst elender Mann mit wachsbleicher Hautfarbe.
Starke Oedeme an beiden Unterschenkeln. Schwache, unregelmässige Herz¬
tätigkeit. Diffuse katarrhalische Bronchitis.
Abdomen: Rechts vermehrte Bauchdeckenspannung und Empfindlichkeit
der Nierengegend. Undeutliche Resistenz am unteren Nierenpol. Urin: Albuinen
und Blut
Uystoskopie: Rechts: 3,4pM. Harnstoff, massenhaft Tumorzellen und
Erythrocyten. Links: 25,2 pM. Harnstoff, kein Blut oder Albuinen. Blut¬
gefrierpunkt: 0.57.
Operation (Kümmel 1): Freilegung der rechten Niere, die stark ver¬
wachsen ist. Frofuse Blutungen während der Lösung der Adhäsionen.
5 Klammern bleiben liegen. Teilweise Naht. Tamponade. Funktion der
linken Niere gut: aber grosse allgemeine Schwäche. Die Wunde zeigt nicht
dir geringste Tendenz zur Heilung.
15 Tage p. op. Tod an Herzschwäche.
19 . 1L, Mann, 59 Jahre alt. Aufg. 4. (>. 1908, entl. 27. 7. 1908.
Seit 3 Jahren dumpfes Druckgefühl in der linken Seite. Zunehmende
Schwäche. Seit 5 Jahren 47 Pfund abgrnommen. Vor 3 Tagen stellte der
Arzt einen Tumor am linken Rippenbogen fest.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY 0F IOWA
Das Schicksal der weiten Grawitz-Tumor Operierten.
223
Status praesens: Elend aussehender, anämischer Mann, innere Organe
<i. B. Enter dem linken Rippenbogen grosser Tumor, der bis an die Beeken-
sHiaufel reicht und bei der Atmung verschieblich ist.
Cystoskopie: Leichte Cystitis, beide Ureterennuindungen frei. Rechter
Irin normal: linker Urin enthält hyaline Cylinder, rote und weisse Blut¬
körperchen. Blutgefrierpunkt: 0.5t).
Operation (Kümmell): Freilegung der linken Niere. Der gut kindskopf¬
grosse Tumor wird mit der Niere exstirpiert. Naht. Verband. Verlauf nahe¬
zu reaktionslos. Die Wunde heilt glatt. Geheilt entlassen.
Tod am 27. 11. 190S an Metastasen.
20. 11., Mann. 51 .Jahre alt. Aufg. 8 . 10. 1908. entl. 11. 11 . 1908. AVieder-
aufg. 20. 9. 1910. Tod 19. 10 . 1910.
Seit 1 ? Jahr kolikartige Schmerzen in der linken Nierengegend, dabei oft
starker Blutverlust mit dem Drin.
Status praesens: Unter dem linken Rippenbogen fühlt man eine
Resistenz ohne deutliche Grenzen. Urin stark bluthaltig.
Cystoskopie: Beiderseits Spuren von Eiweiss: wenig Leukocyten : massen¬
haft Erythroeyten: rechts reichlich, links wenig Epithelien; links granulierte,
rechts hyaline Cylinder. Blutgefrierpunkt: 0,57. Das Röntgenbild zeigt einen
«leutlieh vergib ss ertrn Nierenschatten links. Die Indigo-carminreaktion war
reelits nach 15. links nach 30 Minuten deutlich.
Operation (Kümmell): Freilegung der linken Niere, die einen grossen
Tum*>r aufweist, und Exstirpation der Niere.
Der Wundverlauf war normal. Geheilt- entlassen.
Wiederaufnahme: Mehrfaches Reeidiv. Kommt jetzt wieder mit druck¬
empfindlichem grossen Tumor. Die Tumormassen werden ausgeräumt. Tod am
19. 10. 1910.
Sektion: Pneumonia crouposa lobi sup. dextr. Zahlreiche Metastasen
in den Lungen und den Mesenterialdrüsen. Rechtsseitige Nephritis parenchy-
inatosa.
21. Krau K.. 50 .lahre alt. Aufg. 20. 11. 1908, entl. 29. 3. 1909.
Seit 4 Jahren heftige Schmerzen in der rechten Nierengegend. Sie wurden
bisher, da ihre Beschwerden auf eine Retroflexio uteri zurückgeführt wurden,
dementsprechend behandelt.
Status praesens: Sehr abgemagerte Frau. In der rechten Nierengegend
fühlt man eine druckempfindliche, grosse, harte Geschwulst. Auch das Röntgen-
bild zeigt einen grossen Nierenschatten.
Cystoskopie: Im Urin rechts massenhaft Blut, Spuren von Albuinen:
links kaum Blut. Blutgefrierpunkt: 0,57.
Operation (Kümmell): Exstirpation der rechtem Niere, die wenig ver¬
wachsen ist und in ihrem oberen Pol einen knolligen Tumor enthält. Der
Wundverlauf war durch eine Bronchopneumonie gestört. Ausserdem trat eine
eigenartig!* Neigung zu Blutungen unter der Haut zu Tage, die 3 Wochen p. op.
scorhutartig auftraten und eine Woche etwa andauerten. Geheilt entlassen.
Nachricht vom 17. 7. 1915. 6*2 Jahre p. op., Wohlbefinden.
22. Frau M.. 25 Jahre alt. Aufg. 9. 12. 1908, entl. 27. 1. 1909.
Früher stets gesund. Vor 4 Wochen bemerkte Pat. plötzlich Blut im
Urin. Die Blutungen haben seitdem nur selten aufgehört. Mehrmals kolik-
artige Anfälle in der rechten Nierengegend.
Status praesens: Blasse junge Frau. Rechte Nierengegend etwas druck¬
empfindlich: ein Tumor ist nicht zu fühlen. I rin enthält massenhaft Blut.
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
224
R. Pasehen,
Digitized by
Cystoskopie: n. B. Blutgefrierpunkt: 0.55.
Operation (Kiimmell): Flankeiisehnitl. Die Niere zeigt in ihrem oberen
Pol eine tumorartige Verdiekung, wird exstirpiert. Wundverlauf ziemlich un¬
gestört, anfangs mehrmals Kollapserseheinungen, Urinsekretion gut. Mit fast
geheilter Wunde entlassen.
1912, 3 * 2 Jahre p. op.. gesund.
23. M., Mann. 45 Jahre alt. Aufg. 1. 5. 1909.
Starke Blutungen iin Urin und vorübergehende Sehmerzen.
Status praesens: Hochgradig anämischer, karhektiseh aussehender Mann.
Linke Niere ist gesund. Im Urin der rechten Niere Blut, der Harnstoff ist gegen
rechts herabgesetzt.
Operation (Kiimmell): Exstirpation der rechten Niere und des kinds-
kopfgrossen Tumors. (Hatte Heilung und starke Gewichtszunahme. Geheilt
entlassen.
20. 11. 1909, 1 •> Jahr p. op., noch gesund.
24. K., Mann. 73 Jahre alt. Aufg. 4. 5. 1909.
Pal. kommt wegen Schmerzen in der linken Nierengegend. Da die
Koliken mit Blutungen auftreten, wird Stein angenommen.
Status praesens: Alter, magerer, sehniger Mann. Im Röntgenbild ist
kein Stein zu finden. Rechte Niere ist gesund: im Urin der linken Niere finden
sieh Blutsehatten, der Harnstoff ist gegen rechts herabgesetzt. Blut¬
gefrierpunkt: 0.55.
Operation (Kiimmell): Exstirpation Hier linken Niere. Rekonvaleseenz
durch Singultus gestört, glatter Wundverlauf. Geheilt entl. Volles Wohl¬
befinden, Gewichtszunahme. Ende 1909 gesund.
25. Frau Kn.. 51 Jahre alt. Aufg. 29. 9. 1909, entl. 2. 12. 1909.
Seit 1 Jahr Schmerzen in der rechten Stute und Blut im Urin.
Status praesens: Anämische blasse Frau in schlechtem Ernährungs¬
zustand. Grosser fester Tumor der rechten Niere palpabel.
Cystoskopie: Rechts stark blutiger Urin; ca. 5pM Harnstoff; links
viel hyaline und granulierte Cvlinder, einzelne Letikoeyten, kein Blut. Harn¬
stoff über 25 pM. Blutgefrierpunkt: 0,5S5.
Operation (Kiimmell): Freilegung der rechten Niere. Exstirpation des
weit über kindskopfgrossen Tumors mit der Niere. Guter Heilverlauf. Mit ge¬
ringer Fistel fast geheilt entlassen.
Ende 1914, 5 Jahre p. op., gesund.
26. H. Mann, 50 Jahre alt. Aufg. 29. 3. 1910, entl. 1. 6. 1910.
Seit 3—4 Monaten Riiekenschmerzen. Vor drei Tagen zuerst Blut im
Urin, das am nächsten Tage verschwunden war. Dann erfolgte neue Blutung
mit starkem Harndrang und schmerzhafter Miktion.
Status praesens: Sehr dicker Mann mit deutlich fühlbarem, etwas
druckempfindlichem Tumor der linken Nierengegend. Der Urin ist trübe und
enthält grosse, lange Gerinnsel.
Uy stosköpie: Balkenblase. Beide Uretermündungen etwas gerötet.
Blutgefrierpunkt: 0,56. Das Röntgenbild ergibt rechts einen scharfen normalen
Nierenschatten, links einen grossen, undeutlich begrenzten Schatten, keine Steine.
Operation (Kümmel 1): Freilegung der linken Niere, die in einen
grossen Grawitz-Tumor verwandelt ist. Die Niere wird exstirpiert; der Tumor
sitzt kappenartig am oberen Pol. Wundtamponade. Geheilt entlassen.
Tod 1911. Woran?
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten.
225
27. F., Mann, 54 .fahre alt. Aufg. S. 4. 1 10. cntl. 13.5. 1910.
Vor 3 Jahren Harnverhaltung, bedingt durch Blutgerinnsel. Die Blutungen
hielten etwa 3 Wochen an. 1909 Influenza. Im Anschluss daran wieder
Blutungen mit Fieber und Schüttelfrösten. Im Scpt. 1909 wieder Blutungen,
ebenso im .lanuar 1910.
Status praesens: Leidlich ernährter, etwas blasser Mann. In der
Nierengegend kein Palpationsbefund. Prostata nicht vergrössert.
Cyst oskopie: Geringe (Zystitis. Im Irin beiMerscils wenig Blut: rechts
viel Leukocyten und Epithelien, links wenig. Bluigefrierpunkt: 0,50. Küntgen-
bild: Links scharfer kleiner Nierenschatten, rechts grosser unregelmässiger
Schatten.
Operation Kiimmell): Ks wird, da die linke Niere gut funktioniert,
die rechte Niere freigelegt und ein grosser Tumor gefunden. Der Tumor lässt
sich wegen starker Yerwaehsungen nur sehr schwer auslösen. Exstirpation der
Niere. Der Tumor sitzt dem oberen Pol der Niere auf und stellt einen Grawitz-
Tumor dar. Die Wunde wird tamponiert, (ilatter Verlauf. Heilung.
Tod Nov. 1914. 4 l 2 •fahre p. op. infolge einer Lymphdriisenetuziindung.
28. Sch., Mann, 00 .fahre alt. Aufg. 11. 5. 1910. Tod 2<>. 5. 1910.
Anamnese unbekannt.
Status praesens: ln der linken Nierengegcnd fühlt man einen grossen
Tumor. Im I rin grosse Mengen von Blut.
Sofortige Operation (Kümmellj: Freilegung der linken Niere.
Sie ist von einem grossen Tumor eingenommen, der in den Gelassen
weitergewuehert ist; auch innerhalb des Peritoneums sind einige Knoten zu
fühlen. Die Niere wird entfernt und die "Wunde tamponiert. F.s tritt bald stark
zunehmender Ascites auf.
15 Tage p. op. Tod an Herzschwäche.
Sektion: Zahlreiche Metastasen im Peritonealraum und in der Pleura.
Ascites. Arteriosklerose.
29. Frau N\, 4« Jahre alt. Aufg. 2S. (5. 1910. cntl. IS. 7. 1910.
Seit 7 S Jahren hat Pat. einen grossen Tumor in der rechten Bauchseite
bemerkt. Blutungen im Urin sind nie bemerkt worden. Keine Schmerzen.
Status praesens: Kräftig gebaute Frau von gutem Ernährungszustand.
Der l’rin ist frei von Blut und anderen krankhaften Bestandteilen. Auch die
Gystoskopie ergibf beiderseits normalen Drin. Der Harnstoffgehalt ist beider¬
seits annähernd gleich. Ks wurde daher die Diagnose auf Ovarialtumor gestellt
und die Laparotomie vorgenommen. Erst jetzt zeigte es sieh, dass es sieh um
einen retroperiloneal gelegenen, der Niere angchörigen, Tumor handelte, der
\om Flankensehnitt aus entfernt wurde (Kiimmell). Fs war ein grosser
Grawitz-Tumor, der in etwa Zweifaustgrösst' dem oberen Nierenpol aufsass.
Der Wundverlauf war glatt und fieberfrei, sodass die Kranke nach fast
4 Wochen geheilt entlassen werden konnte.
Heute. 5 Jahre p. op. ist Pat. gesund.
30. M.. Mann, 54 Jahre alt. Aufg. 23. S. 1910, cntl. 11. 10. 1910.
Vor kurzem erfolgte Blutung, von kolikartigen Schmerzen begleitet.
W’egen "Wiederholung dieser Koliken und Blutungen Aufnahme. Augenblicklich
keine Beschwerden.
Status praesens: Gut genährter Mann. Ein Tumor der Nierengegend
ist nicht palpabel; das Böntgenbild ergibt keine deutliche Yergrüsserung der
Nierenschatten.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY 0F IOWA
1L Paschen.
Digitized by
226
C yst oskopic: Irin rechts normal: links wenig Blut, vereinzelte Epithelien.
Blutgefrierpunkt: 0,55. Nach 8 Tagen fanden sich links Cylinder und Fott-
körnelienzellen.
Operation (Kümmell): Exstirpation < 1 ri* linken Niere. Im Centrum der
Niere findet >ieh ein (irawitz-Tumor. Der Wundverlauf war glatt und ungestört.
4 \\ iM'lien p. op. geheilt entlassen.
1 2 dalir p. op. Tod an Reeidiv.
31. Seh.. Mann. öS Jahre alt. Aufg. ‘28. 10. 1010, entl. 11. 12. 1010.
llypernephroma ren. sin. Nephrektomie. Heilung.
Vor r 2 dahr zuerst Blut und Flocken im I rin bemerkt. Schmerzen ini
Kreuz, keine eigentliche Kolik, auch kein Brennen beim Wasserlassen. Vor
der Aufnahme schwere erneute Blutungen.
Status praesens: Blasser Mann, massiger Ernährungszustand. Irin
dunkelrot fast schwarz. Linke Nierengegend druckempfindlich. Milz nicht ver-
grössert. Man fühlt in der linken Nierengegend einen derben, etwas druck¬
empfindlichen, etwa faustgrossen Tumor, der sich nach unten gut allgrenzen
lässt, l’rin sauer, blutig: im Sediment frische und ausgelaugte rote Blut¬
körperchen.
Oystoskopie: Vergrösserung der Prostata und in der Blase grosse
Mengen von Blut, welche eine Sondierung der Nieren unmöglich machen.
Blutgefrierpunkt O.öO.
Operation (Kümmell): Flankenschnitt. Pie Niere ist in einen knolli¬
gen. kindskopfgrossen Tumor verwandelt. Da der Tumor scheinbar auch auf
das Peritoneum übergegriffen hat. wird ein Stück reseeiert. Die exstirpierte
Niere zeigt einen grossen Tumor von (irawitz'sehcm Typus.
8 'Page nach der Operation traten leichte urämische Erscheinungen mit
verminderter Harnsekretion auf. die jedoch sehr rasch wieder verschwanden.
Der Blutgefrierpunkt nahm an Wert zu und betrug 14 Tage p. op. 0.54. Von
da ab war der Wundverlauf ein glatter. Oelieilt ent lassem.
Tod am 21. 10. 1014. 4 Jahre p. op. Woran?
32. W., Mann. (>2 Jahre alt. Aufg. 0. 3. 1011. entl. 24. 4. 1011.
llypernephroma ren. sin. Nephrektomie. Heilung.
Vor 8 'Tagen erste Blutung ohne erhebliche Beschwerden, ln den nächsten
'Tagen verschiedentlich teils blutiger, teils klarer I rin und Schmerzen in der
linken Nierengegend.
Status praesens: (lut gcnährtei Mann. Leber nicht palpabel. ln
der linken Nierengegend ein faustgrosser, beweglicher Tumor, der auf Druck
schmerzhaft ist. Im I rin finden sieh keim* pathologischen Bestandteile, zur
Zeit auch kein Blut.
Cystoskopie: Mässige Vergrösserung der Prostata. Die linke Niere
sondert auch 20 Minuten nach der Injektion keinen blau-gefärbten Urin ab.
Während in beiden Sondennrinon minimalste Spuren von Kiweiss sind, finden
sieh links vereinzelte Cylindcr und Leukoeytcn. rechts nichts Pathologisches.
Die Magen- und Darmaufnahmen ergaben eine gute Funktion.
Die Röntgenaufnahme der linken Nierengegend zeigte einen undeutlichen
vergrüsserten Schatten.
Operation (Kümmel): Freilegung der linken Niere, auf der ein grosser,
im Centruin verfallener, <irawitz’seher Tumor aufsitzt. Die Niere wird exstir-
piert. die Wunde tamponiert.
Mit ganz geringer Fistel geheilt entlassen.
Tod am 13. 3. 1013 an Metastasen.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal clor wegen Grawitz-Tumor Operierten.
227
33. Fii. AI., 18 Jahre alt. Aufg. 24. 4. 1911, entJ. 29. 6. 1911.
Vor 1 Jahre plötzlich einsetzende Schmerzen in der linken Seite, die alle
3 Wochen wiederkehrten, später in noch kürzeren Intervallen. Auch Blutungen
sind zeitweise aufgetreten.
Status praesens: Kräftiges junges Mädchen in sehr gutem Allgemein¬
zustand. ln der Gegend der linken Niere ist eine schmerzhafte Resistenz zu
palpieren. Das Röntgenbild zeigt einen grossen Tumorschatten der linken Niere.
Cystoskopie: Beiderseits wenig Blut und vereinzelte Epithelicn. Blut¬
gefrierpunkt: 0,55. Durch Collargulinjektion wurde auf dem Röntgenbild nach¬
gewiesen, dass der Ureter links in den Tumorschatten führte.
Operation (Kümmell): Freilegung der linken Niere, an deren oberem
Pol ein Grawitz-Tumor sitzt, der mit dem Zwerchfell fest verwachsen ist.
Exstirpation der Niere. Die Wunde heilt glatt, doch treten bald intensive
Schmerzen in der ganzen linken Seite auf. Geheilt entlassen.
Tod 5 Monate p. op. an Kecidiv.
34. AL. Mann, 62 Jahre alt. Aufg. 29. 5. 1911, entl. 16. 8. 1911.
Anfang 1910 Blasenblutung, weshalb ausserhalb Sectio alia gemacht
wurde, ohne Steine zu finden. Dann sollen mehrere Steine abgegangen sein.
Dann noch mehrere Blutungen.
Status praesens: Blasser Mann in leidlichem Ernährungszustand.
Cystoskopie: Rechts triibgclber Urin, wenig Albuinen, einzelne Cylinder
und Epithelicn; links entleert sieh ein Blutgerinnsel; aus der eingelegten Sonde
fliesst kein Urin. Blutgefrierpunkt: 0,58.
Operation (Kümmell): Exstirpation der linken Niere, die in eine grosse
Tumormasse verwandelt und mit der Umgebung fest verwachsen ist. Sie rcisst
bei der Lösung ein und wird mit dem Löffel noch vollkommen entfernt. Lang¬
same, aber glatte Heilung.
Nachricht vom 14. Juli 1915, 4 Jahre p. op., völliges Wohlbefinden.
35. Frau; 44 Jahre alt. Aufg. 26. 9. 1912, entl. 7. 2. 1913.
Hyperncphroma ren. dextr. Nephrektomie. Tod.
Seit mehreren Wochen Schmerzen im Rücken, hauptsächlich in der linken
Nierengegend. Im Urin soll Blut gewesen sein.
Status praesens: Blasse, in ihrem Ernährungszustand etwas reduzierte
Pat. Innere Organe o. B. Die Nierengegend ist beiderseits druckempfindlich;
ein Tumor ist nicht zu fühlen.
Cystoskopie: Normale Blasenverhältnisse. Die Uretcrcnsondierung er¬
gibt beiderseits nahezu gleichen Befund; deutliche Trübung, viel frisches Blut,
wenig Blutschatten, vereinzelte Leukocyten.
Das Röntgenbild Lässt einen Stein möglich erscheinen.
Operation (Kümmell): Nephrotomie. Normale Verhältnisse, Dekap-
sulation. Nach der Operation erholt sich Pat. etwas, aber die Beschwerden
bleiben dieselben. 8 Tage p. op. finden sich beim Ureterenkatheterismus rechts
mit Wahrscheinlichkeit Tumorzcllen. Funktion der linken Niere nicht so gut.
Blutgefrierpunkt 0,57.
Operation: Freilegung der rechten Niere, die am oberen Pol in eine
grosse Geschwulst verwandelt und mit dem Zwerchfell verwachsen ist. Bei der
Lösung reisst der Tumor ein; er kann nur stückweise entfernt werden. Exstir¬
pation der Niere, Tamponade. Die Wunde schliesst sieh relativ schnell. 5 Wochen
p. sec. op. hat Pat. Schmerzen im Rücken und rechten Bein, ausserdem lässt
sich ein Reeidiv des Tumors konstatieren.
3 Monate p. sec. op. Exitus letalis unter Erscheinungen der Niereninsuffi¬
zienz. Wahrscheinlich Metastasen in der Wirbelsäule und lieber.
Archiv für kl in. Chirurgie. Bd. 107. lieft ' 2 . ic
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
228
R. Pa soll cn
Digitized by
36. V., Mann. 48 Jahre alt. Aufg. 23. 10. 1918, entl. 29. 11. 1918.
Seit 2 Monaten 1>lut im l rin. Keine Schmerzen.
Status praesens: Kräftiger, leieht aniimiselier Mann.
Uystoskopie: Reelits blnthaltiger l'rin, der Eiweiss und rote und weisse
Blutkörperchen enllüilt: links klarer l'rin.
Operation (Kümmell): Freilegung der rechten Niere, an der ein
grosser Tumor sichtbar wird. Exstirpation der Xiere. Heilung durch Fasoien-
nekrose gestört. Pat. wird mit gut granulierender Wunde in Ambulanz
entlassen.
Nachricht vom 12. Juli 1915, l 1 2 Jahre p. op.. völliges Wohlbefinden.
87. Er. Mann, 59 Jahre alt. Aufg. 22. 7. 1SS9, entl. 5. 10. 1SS9.
Seit 1 Jahre Blutungen irr Urin mit unregelmässigen Intervallen. Seit
1 4 Jahr bemerkte Pat. in der rechten Bauchseite einen sich allmählich ver-
grössernden Tumor.
Status praesens: Leicht abgemagerter Mann. In der rechten Lumbar-
gegend findet sich ein holmenförmiger Tumor, der nicht mit dem Darm im
Zusammenhang steht. Urin ist klar, normal.
Operation (Siek): Exstirpation der stark vergrösserten und dislocierten
Niere. Tamponade der grossen Wundhöhle. Verband. Guter Heilungsverlauf.
Pat. wird mit gut granulierender, kleiner Fistel in ambulante Behandlung entlassen.
Tod am 81. 8. 1S91, 1 :, / 4 Jahr p. op., woran?
3S. J.. Mann, (14 Jahre alt. Aufg. 7. 11. 1889, entl. 22. 12. 1889.
Früher stets gesund. Seit 8 Jahren Schmerzen in der rechten Nieren¬
gegend und Blut im Urin. Starke Abmagerung; vor 1 Jahr bemerkte Pat.
einen Tumor in der rechten Xierengegend.
Status praesens: Stark abgemagerter Mann. In der Gegend der Niere
fühlt man einen fast kindskopfgrossen, unebenen, sehr beweglichen Tumor, der
auf Druck schmerzhaft ist. Der Tumor wird vom Darm überlagert, verschiebt
sich bei tiefer Inspiration und lässt sich deutlich von der Leber abgrenzen.
Urin stark blutig gefärbt.
Operation (Sic 10: Exstirpation der rechten Niere und grosser Tumor¬
massen. die teilweise mit der Vena cava verwachsen sind. Teilweise Naht und
Tamponade. Langsamer, aber glatter Heilungsverlauf. Pat. wird 6 Wochen
p. op. in ambulante Behandlung entlassen. (1 Wochen später ist die Winde
völlig vernarbt. Pat. hat seit seiner Entlassung 18 Pfund zugenommen. Tod
am 20. 1. 1898, 3 Jahre p. op. woran?
39. Frau Br.. 61 Jahre alt. Aufg. 2. 2. 1894, entl. 9. 4. 1894.
Früher gesund. Seit 7 -8 Wochen starke Blutungen im Urin. Keine
Schmerzen.
Status praesens: In der rechten Nierengegend ein kindskopfgrosser
'rumor, teils fest, teils fluktuierend. Der Urin enthält Blut und wenig Epithelien.
Ausserdem ist links vom Uterus ein etwa faustgrosser Tumor zu fühlen.
Operation (Siek): Lumbarschnitt. Die Tumormassen können ohne Ver¬
letzung des Peritoneums nicht entfernt werden: es entsteht eine profuse
Blutung, die Uava ist nicht verletzt. Blutstillung, teilweise Naht und Tamponade.
Anfangs normaler Heilungsverlauf, dann wird der Urin trübe und Pat. muss
katheterisiert werden. Bald darauf wird Pat. benommen. .Schliesslich Exitus.
Aus dem Sek t ionsprotnkoll: Auf der Oberfläche der linken Niere
finden sich zahlreiche Abseesse, welche sieh in grosser Menge auf dem Durch¬
schnitt wieder finden und hier namentlich einzelne Markhügel in ihrer ganzen
Ausdehnung ausfüllen. Die Rinde, soweit nicht von Herden durchsetzt, ist
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal der wegen Grawilz-Tumor Operierten.
229
trübe, und lässt keine Einzelheiten erkennen. Ausserdem finden sieh in beiden
Lungen einzelne Abseesse. An Stelle des linkeu Ovarium findet sich eine
eitrige Dermoid ey s t e.
40. Ft., Mann, 4S Jahre alt. Aufg. 23. S. 1894, entl. 28. 8. 1894.
Seit 3 Jahren Hämaturie und Schwellung der rechten Nierengegend.
Zeitweise war der Urin klar. Keine Schmerzen.
Status praesens: Anämischer Mann von reduziertem Kräftezustand.
Abdomen rechts aufgetrieben durch einen dicht hinter den Bauchdecken
liegenden, über kindskopfgrossen Tumor, der von derber Konsistenz und wenig
verschieblich ist. Der Urin ist trübe, enthält Gewebsfetzen neben spärlichem
Blutgerinnsel, mikroskopisch massenhaft weisse, wenig rote Blutkörperchen.
Operation (Siek): Laparotomiesclmitt rechts vom Nabel. Sehr
schwierige Auslösung des Tumors, profuse Blutungen. Die Vena eava rcisst
an der Einmündungsstelle der V. rcnalis ein, wird vernäht. Tamponade der
ungeheuren Wunde. Situationsnähte. Ahends plötzlicher Kollaps; bald darauf
Exitus letalis.
41. D.. Manu, 75 Jahre alt. Aufg. 12. (>. 1898, entl. 3. 11. 1898.
Seit l / 2 Jahr elend und bettlägerig; keine bestimmte Schmerzen. In den
letzten 5 Wochen entwickelte sich unter dem linken Hippenbogen ein schnell
wachsender Tumor. Hochgradige Abmagerung.
Status praesens: Sehr elender, fast moribunder Mann. Zustand
höchster Abmagerung. Eingesunkene Wange; matte Augen und Sprache.
Unter dem linken Rippenbogen fühlt man einem kindskopfgrossen Tumor. Bei
der Palpation kenne Schmerzen.
Operation (Sick): Lumbarschnit-t links. Exstirpation der linken Niere.
Boi der Lösung platzt der Tumor, starke Blutung. Tamponade. Kissenverband.
Die Heilung wird durch eine diffuse Bronchitis verzögert. Die Wunde schliesst
sich nur sehr langsam, wird mit Arg. nitr. geätzt. Geheilt entlassen.
Pat. lebte noch eine Reihe von Jahren gesund und munter und starb
über SO Jahre all.
42. J., Mann, 52 Jahre alt. Aufg. 27. 9. 1900, entl. 15. 12. 1900.
Früher stets gesund. Vor 3 Jahren, angeblich 3 Wochen lang, soll Blut
im Urin gewesen sein.
Status praesens: Kaehektiseher Mann. Im linken llypochondrium
grosser, harter, etwas verschieblicher Tumor. Urin sauer, frei von Eiweiss usw.
Bei der l’reterencystoskopie kann aus dem linken Ureter kein Urin gewonnen
werden.
Operation (Sick): Freilegung der linken Niere; hei ihrer Exstirpation
rcisst das Peritoneum ein, Naht desselben, geringe Blutung. In der Nierenvene
scheinen grössere Gesehwulstmassen zu sein. Tamponade. Situationsnähte.
Verband.
Gute Heilung. Pat. verlässt gegen ärztlichen Rat mit granulierender
Fistel «las Krankenhaus.
Tod am 23. 2. 1901. 4 Monate p. op., an Metastasen.
43. Frau M.. 50 Jahre alt. Aufg. 17. 8. 1908, entl. 4. 12. 1908.
Vor 20 Jahren Nierenblutung, vor 2[l 2 Jahren wiederum, mit Schmerzen
in der rechten Seite. Seitdem etwa alle 2 Monate Wiederholung der Blutungen
mit kolikartigen Schmerzen. Schon vor 0 Jahren wurde eine Geschwulst in der
rechten Seite bemerkt.
Status praesens: Gut genährte Frau. In der rechten Nierengegend ist
ein höekriger Tumor deutlich zu fühlen.
10*
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
230 K. Raschen,
Uystoskopie: Links klarer I rin, wenig Leukoovten. Hart. coli. Rechts
eitriger I rin und Hart. roli. Blutgefrierpunkt: 0,57.
Operation (Sick): I)rr Tumor wird freigelcgt: er ist ausgedehnt und
auf das Peritoneum übergegangen. Die Niere und die Tumormassen werden
entfernt. Der Heilverlauf war glatt. (ieheilt entlassen.
Nachricht vom 1. Juli 1915. 7 Jahre p. op.. Allgemeinbefinden gut.
44. 1L, Mann, 49 Jahre alt. Aufg. 19. S. 1912, entl. 20. 10. 1912.
Seit (> Jahren öfters Xierensteinkoliken: die Steine gingen von seihst ab.
Keine Schmerzen heim Wasserlassen.
Status praesens: Kräftiger Mann in entern Ernährungszustand. in der
linken Nierengegend keine Schmerzen. Drin fast nur Hlut. Zeitweise werden
Ureterausgüsse unter Schmerzen ausgepresst.
Uystoskopie lt<‘ 1 inirt erst nach mehrmaligem Versuch: Links sehr viele
Leukocvten, wenig Erylhrocyten, Hact. coli comin. Linke Niere im Röntgen-
bild etwas vergrössert, Diagnose nicht sicher zu stellen. Wegen der starken
Blutungen wird trotzdem operiert.
Operation (Sick): Freilegung und Exstirpation der vergrössert en.
matschen, dunkelblauroten linken Niere, an deren vorderer Fläche unten ein
kleiner Tumor sichtbar ist. Heim Durchschneiden findet sich 1. ein hühnerei¬
grosser, massig derber, mit Blutgerinnseln überzogener Tumor, der dem unteren
Teil der Niere aufsitzt und mit massig dickem Stiel in das Nierenbecken hin¬
eingewachsen ist; 2. ein haselnussgrosser wie eine Metastase aussehender Tumor
von gallertiger Konsistenz, der die Oberfläche um Fingerbreite überragt; 8. ein
spitzer, wie ein Infarkt aussehender, lM-Stück grosser Tumor an der Oberfläche:
4. im oberen Teil des Nierenbeckens ein mandelförmiger, harter Stein, der in
der Mitte aus allem Blutgerinnsel zu bestehen scheint.
(iuter Heilungsverlauf. Mit geringer Fistel in privatärztliehe Behandlung
entlassen.
1915, 2 4 Jahn* p. op.. völliges Wohlbefinden.
45. M., Mann, 42 Jahre alt. Aufg. 11. (>. 1914, entl. 29. 6. 1914.
Im Oktober 1918 wegen Nieren bl Utens operiert. Entfernung der linken
Niere. Seit 2 Monaten bemerkt er, angeblich infolge eines Unfalls, wieder
Knoten in der (»egend der Narbe* und Schmerzen im Leih.
Status praesens: Zwischen 12. Hippe und Beckenkamm im Narbenbereicli
sind knollige Tumoren palpabel; Drurkcmpfindlichkeit der Nierengegend.
Diagnose: Reeidiv eines (irawitz-Tumors.
Operation (Sick)' Längsschnitt über der alten Narbe, Ausschälung der
Tumormassen, dabei wird infolge von Verwachsungen das Bauchfell eröffnet.
18 Tage später in Ambulanz entlassen.
Wiederaufnahme S W ochen später. In der linken Seite, entsprechend den
2 alten Operationsnarben sind mehrere grosse Tumoren zu fühlen; sie werden
mit Arsen und Röntgenstrahlen behandelt. 2 kleine oberflächliche Metastasen
in der linken Nierengegend und am linken Oberarm werden im Uhloräthyl-
rausch exstirpiert. 11. 12. in Ambulanz entlassen.
Wiederaufnahme 81.8. 1915.
Elend aussehender Mann. In der alten Nephrektomienarbe links hühnerei-
grosse Tumoren. Rasch zunehmender Marasmus.
1. 5. 1915. Exitus letalis an Metastasen.
4(L M ann, 55 Jahre alt. Reichlich V 2 Jahr vor der Operation einmalige
Blutung aus der Blase, (’vstoskopisch in der Blase nichts zu finden. Nieren
nicht vergrößert. Wiederholte Urinuntersuchung ergab völlig normale Ver-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Das Schicksal der weiten Grawitz-Tumor Operierion.
231
hältnisse. kommt erst nach 1V 2 Jahren wieder mit der Angabe, in den letzten
Monaten mehrfach Blut entleert zu haben, abgemagert zu sein und eine An¬
schwellung in der rechten Seite zu haben.
Befund: Mannskopfgrosser Tumor der rechten Nierengegend.
Operation (Siek): Flankensehnitt, der bis zur Mittellinie verlängert
werden muss. Exstirpation der rechten Niere, die in einen kopfgrossen Tumor
verwandelt ist. Das Peritoneum muss bei der Exstirpation eröffnet werden.
Einige Drüsen an der V. cava, die vergrössert sind, werden entfernt. Naht des
Peritoneums. Teilweiser Verschluss der enormen Wunde. Tamponade. Geheilt
entlassen.
Pat. bekommt V 4 Jahr p. op. Gehirnerscheinungen und geht bei einem
Tobsuchtsanfall zu Grunde. Metastasen im Gehirn?
47 . Mann, 45 Jahre alt. Einmal Blutverlust beim I rinlassen.
Bei der rntersuehung findet sich eine, etwa ums doppelte vergrösserte.
linke Niere.
Operation (Sick): Exstirpation der linken Niere, die im unteren Pol
einen faustgrossen Grawitz-Tumor enthält, der an einer Stelle in das Nieren¬
becken perforiert ist. Wunde wird völlig geschlossen. Geheilt entlassen.
Pat. befindet sich heute noch, 3 Jahre p. op. völlig wohl.
48 . Frau, 68 Jahre alt. Erkrankt mit starker Darmblutung.
Man fühlt in der rechten Bauchseite einen apfelsinengrossen, beweglichen
Tumor, der sich vom Rippenbogen aus bis zum Nabel verschieben lässt. Keine
Darmstörungen, ausser gelegentlicher Obstipation. Urin völlig normal.
Diagnose: Tumor des Colon transversum in der Gegend der Flexura
hepatica.
Operation (Siek): Laparotomie. Der Tumor erweist sieh als die herab¬
gesunkene rechte Niere, die an ihrem unteren Pol einen etwa eitronengrossen
Tumor enthält. Freilegen der Niere. Da der Tumor kugelig auf dem unteren
Nierenpol aufsitzt, wird der untere Nicrcnpol keilförmig mit dem Tumor exeidiert,
das Nierenbecken anscheinend nicht eröffnet und die Wunde der Niere durch
eine Anzahl Knopfnähte geschlossen. Herausleitung eines Tampons nach hinten,
sonst Schluss der Wunde. Geheilt entlassen. Die Darmblutung blieb unauf¬
geklärt. Niemals mehr Blutabgang. Tod der Pal. an Marasmus senilis etwa
10 Jahre p. op.
49 . Mann, 48 Jahre alt. Seit einiger Zeit Unterleibsbesehwerden und
geringer Blutabgang mit dem Urin. Vom Nervenarzt als Hystericus behandelt.
Befund: Vergrösserte, palpable rechte Niere. Wegen starker Krümmung
der Urethra Cvstoskopie nicht möglich. Im Röntgenbild nur vergrösserter
Nierenschatten. Jm Urin Blut, kein Cvlinder, keine Geschwulstelcmente. Zur
Radikaloperation kommt Pat. erst l 1 /«» Monate später.
Operation (Siek): Exstirpation der rechten Niere, die fast auf das
Dreifache vergrössert ist. Die Drüsen an der V. renalis sind geschwollen und
werden entfernt. Partielle Naht und Tampon der Wunde. Langsame Heilung.
1 .fahr p. op. Tod an Darmblutungen.
50. S.. Mann, 42 Jahre alt. Aufg. 2. 1. 1913, entl. 1. 2. 1913.
Seit 2 Jahren bemerkt Pat. eine allmählich anwaehsende, mit der Körper¬
lage sehr bewegliche Geschwulst unter dem linken Rippenbogen. Im Urin hat
Pat. nichts bemerkt.
Status praesens: In der linken Bauchseite ein grosser, grobhöckriger,
harter, frei beweglicher Tumor ohne Sehmerzempfindliehkeit. Das Uolon desc.
verläuft vor dem Tumor.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
232
R. Paschen,
Digitized by
Cystoskopie: Rechter Ureter funktioniert normal, linker überhaupt
nicht, dann Hlui 11 nir.
Operation (Sudeck): Kxstirpation der linken Niere, an deren unterem
Pol sich ein gewaltiger Tumor befindet, der sich nur schwer aus seiner Höhle
lösen lässt. Die radikale Ausräumung der bereits metastatisch infiltrierten
regionären Drüsen ist nicht möglich. Drainage, teilweise Naht. Geheilt ent¬
lassen. Heber das spätere Schicksal ist nichts zu erfahren.
51. Frau S., 58 Jahre alt. Aufg. IG. 7. 1911, entl. 21. 8. 1911.
Seit 13 Jahren bemerkte Pat. Blut im I rin; seit mehreren Jahren
Schmerzen in der rechten Seite.
Status praesens: Aeltere Frau in gutem Ernährungszustand. In der
rechten Nierengegend ein Tumor in der Tiefe fühlbar, etwas empfindlich.
Cystoskopie: Linker Ureter funktioniert in kräftigem, regelmässigem
Strahl. Rechter Ureter funktioniert gar nicht. Blutgefrierpunkt: 0,60.
Operation (Wiesinger): Lumbarschnitt. Exstirpation der rechten Niere,
an deren unterem Pol ein apfelgrosser Tumor sitzt; dabei wird das Peritoneum
verletzt. Tamponade, teilweise Naht. Verband. Fast geheilt entlassen.
14. 7. 1915, 4 Jahre p. op., völliges Wohlbefinden.
52. Frau Gr., 32 Jahre alt. Aufg. 30. 1. 1897, entl. 13. G. 1897.
Früher stets gesund. Seit \ l l2 Jahren bemerkte Pat. eine Anschwellung
des Leibes. Keine Schmerzen.
Status praesens: Derber Tumor von glatter Oberfläche im linken
Hypochondrium, nicht druck empfindlich.
Operation: Laparotomieschnitt links. Exstirpation der linken Niere, die
in einen eyslisehen Tumor verwandelt ist von etwa Mannskopfgrösse. Von der
Niere ist nur ein kleiner Rest sichtbar. Die Geschwulst erweist sich als Grawitz-
Tumor. Tamponade und teilweise Naht. Sehr langsame Heilung. Hämoglobin-
gehalt: 54pUt. Mastkur und Massage, wird mit GSpCt. Hämoglobin entlassen.
Nach 7 Wochen kommt Pat. wieder wegen Schmerzen in der Narbe. Auf
Ineision entleert sich eine Menge Eiter, in ambulante Behandlumg entlassen.
Nachricht vom 15. 7. 1915, 1S V 2 Jahre p. op., Befinden sehr gut.
53. F., Mann, 32 Jahre alt. Aufg. 17. 6. 1898, entlassen 26. 9. 1898.
Seit Anfang des Jahres Husten und Blutspucken. Früher Spondylitis.
Status praesens: Die linke Bauehhälfte wird ausgefüllt von einem
mannskopfgrossen, nicht druckempfindlichen Tumor, der mit der Atmung nicht
verschieblich ist.
Operation. Laparotomieschnitt links. Exstirpation des grossen Tumors,
der der linken Niere angehört und sich als Grawitz-Tumor erweist. Tampo¬
nade. Verband. Es bildet sieh nach etwa 14 Tagen eine Kotfistel, ausserdem
secerniert die Wunde Eiter.
Zunehmender Verfall, Ileus, Herzschwäche. Schliesslich Tod.
Sektion: Metastasen am Peritoneum, Lungen, rechter Niere, rechtem Stirn¬
lappen. Abschnürung des Dünndarms durch verwachsene Darmschlingen.
Thrombose der Mesenterialvenen. Meteorismus.
54. v. L., Mann, 50 Jahre alt.
Pat. kommt mit Blutung und kindskopfgrossem fühlbarem Tumor der
rechten Niere.
Operation (Sudeok): Lumbale Freilegung der rechten Niere und Exstir¬
pation derselben. Geheilt entlassen.
1915, 4 Jahre p. op., gesund.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten.
233
Tabellarische Uebersicht.
A ii t o r
Ge¬
schlecht
1 Alter
Jahre
' Initial-
| Symptom
Operation >)
1
1 Fernrcsultat
1
A 1 brecht.
männl.
! 36
1
Schmerzen
L; rechts
Tod 24 St. p. op.
weibl.
1 44
Hämaturie
L: links
* 7 J. p. op. gesund, dann Metast. Tod.
i 51
Schmerzen
L; links
Tod 2 J. p. op. an The. pulm.
1 53
1 Hämaturie
L P; links
4 J. p. op. Metast. Tod an Pneumonie.
männl.
42
rt
T; rechts
7 Mon. p. op. Tod an Reeidiv.
weibl:
i 35
Schmerzen
L; rechts
9 Mon. p. op. Tod.
männl.
45
Hämaturie
Ti; links
; 7 Mon. p. op. Tod an Metastasen.
—
43
„
L; links
1 2 l / 4 J. p. op. Tod an Reeidiv.
34
Schmerzen
T: links
' Tod im Anschluss an Operation.
i 47
Tumor
L: links
1 Tod im Anschluss an Operation.
1 66
Schmerzen
T; links
i 8 Mon. p. op. Tod an Metastasen.
47
L; rechts
Tod 8 Tg. p. op. an Metastasen.
_
40
y»
L: links
1 4 Mon. p. op. gesund. Tod d. Suicid.
weibl.
54
r
L; rechts
8 Tg. ]>. op. Tod an Prämie.
57
..
L; rechts
Tod im Anschluss an Operation.
männl.
45
L; links
Tod im Anschluss an Operation.
weibl.
. 28
T; links
j 12 1 0 J- p. op. gesund.
_
männl.
44
L; links
i Tod 4 J. p. op. an Reeidiv.
weibl.
58
Hämaturie
L;.links
12 J. p. op. gesund.
_
männl.
53
Tumor
T; rechis
1 3 Tg. p. op. Tod an Herzschwäche.
_
weibl.
5S
Ij; links
11 .1. p. op. gesund.
_
43
„
L: links
; 2 J. p. op. gesund.
r
männl.
36
Hämaturie
L: links
; 13 Mon. p. op. gesund.
„
54
1 L; rechts
1 1 2 J. P- op. Tod an Reeidiv.
K. Br a atz.
weibl.
49
n
| L; rechts
1 1 .1. p. op. Tod an Metastasen.
44
Schmerzen
L; links
3 V 2 J. p. op. gesund.
V. Calien.
53
Tumor
, T L: links
i Tod im Anschluss an Operation.
P. Clairmnnl.
58
**
T; links
1 Tod im Anschluss an Operation.
..
! 27
1 T: links
Tod im Anschluss an Operation.
1 52
Sch merzen
Tj; links
| Tod 2 Mon. p. op. ?
„
männl.
1 1V 4
Tumor
L P: rechts
Tod an Urämie.
..
i 40
Hämaturie
L P; rechts
| Tod 3 J. p. op. an Urämie.
weibl.
39
Tumor
L P; rechts
1 3 */ 2 J. p. op. gesund.
männl.
59
Schmerzen j
L P; links
1 Tod im Anschluss an Operation.
m
weibl.
1 40
! Tumor j
T: rechts
Tod im Anschluss an Operation.
männl.
1 48
Schmerzen j
L; rechts
Tod 17 Mon. p. op. an Phthisis.
54
r
L P: rechts
1 Tod im Anschluss an Operation.
_
54
Hämaturie
L P: rechts
Tod 9 Mon. p. op. an Metastasen.
*
weibl.
1 42
Tumor
L P; links
18 Mon. p. op. gesund.
m
1 47
«
L P; links
1 5 Mon. p. op. gesund.
• Pelgcskamp.
männl.
53
V
L; links
1 Tod 1 .1. p. op. an Reeidiv.
! 63
Tumor
L; rechts
8 1 2 .). p. op. gesund.
„
weibl.
l 40 1
?* 1
L; rechts
3 .1. p. op. gesund.
männl.
63 1
1
L: rechts
I Tod 3 Mon. p. op. an Reeidiv.
y.
55
L; links
Tod 6 Mon. p. op. an Reeidiv.
weibl.
43
1
L: links
1 4 Mon. p. op. gesund.
_
männl.
47 1
- 1
L; links
1 5 J. p. op. gesund.
weibl.
1 431
T; links
8 Mon. p. op. Metastasen.
ff
, 46 I
r 1
L: rechts
1 J. p. op. gesund.
1) Lumbale Nephrektomie = L; mit Verletzung des Peritoneums — L P:
transperitoneale Nephrektomie = T.
Digitized by
Gck 'gle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
234
K. Paschen
A u i o r
Ge- |
schlecht
Alter i
Jahre;
Initial- 1
Symptom i
Operation
Fernresultat
(i. Delgeskamp.
männl. 1
48
Tumor
L; rechts
6 Mon. p. op. gesund.
- 1
61
L; rechts
Tod im Anschluss an Operation.
I. Fabricius.
weibl.
62
„
L; rechts
Tod 10 Mon. p. op. an Metastase.
•»
„
48
Schmerzen
L; rechts
Tod 9 Mon. p. op. an Metasta^
46
Spontanfrakt.
d. 1. 10 . Kippe
L; rechts
Tod 8 Mon. p. op. an Metastabil
männl.
55
Schmerzen
Res.; links
4 J. p. op. gesund.
6 l / 2 J. p. op. Tod an Metastasen.
1>. Fischer.
49
Hämaturie
L; links
B. Grobe.
89
„
T; links
Tod 4 Tg. p. op.
46
V
T; links
Tod 4 Tg. p. op.
..
w ei 1 ) 1 .
44
Schmerzen
T; rechts
Tod 3 Mon. p. op. an Nephritis
r>
49
Tumor
T; rechts
2 J. p. op. Tod an Metastasen.
*
männl.
7)6
Schmerzen
T; rechts
l U J- gesund.
weibl.
45
Tumor
T; links
2 V 2 J. p op. Tod ?
männl.
45
Hämaturie
L: rechts
11 Mon. gesund.
1 \ Grosheintz.
43
L P; links
Tod im Anschluss an Operation.
wcibl.
65
—
L
Tod an Metast. im Anschi, an ü|-
Hartung.
männl.
46
Hämaturie
T; links
Tod im Anschluss an Operation.
..
48
L; links
3 Mon. p. op. gesund.
weibl.
48
T: links
Geheilt entlassen.
..
62
Gewichtsabn.
L; links
Tod 2V 2 Mon. p. op. an Meta*
II. Heid 1 er.
25
Seil merzen
L; rechts
5 ,J. p. op. gesund.
Hein lein.
28
T; rechts
3 J. p. op. gesund.
«
männl.
58
Hämaturie
L; rechts
14 Mon. p. op. gesund.
K. Hoffman n.
n |
47
Tumor
L; links
47-, J. p. op. Tod an Tneumon
59
„
L; links
1 V 2 J. p. o]). Tod an Metast.
„
29
L; rechts
Tod im Anschluss an Operation.
56
Res.; links
Tod im Anschluss an Operation.
.1. Israel.
weibl.
48
Druckgefühl
L; links
9 .T. 7 Mon. gesund.
männl.
61
Hämaturie
L; links
1 53/4 d. p. op. Tod an Herzleider.
n
1 58
Koliken
L; links
2 V 4 J. p. op. Tod an Reeidiv.
weibl.
1 52
Gewichtsabn.
L
6 Mon. p. op. Tod an Metast.
männl.
58
Koliken
L; links
j Tod im Anschluss an Operation
67
Hämaturie
L
, 1 J. p. op. gesund.
2 J. p. op. Tod an Nephritis.
*»
26
L; links
„
—
L P; rechts
Tod im Anschluss an Operation.
,r, T
„
L; links
1 V, J. p. op. Tod an Metast.
n
1 48
Koliken
L; links
11 Tg. p. op. Tod an Metast.
weibl.
58
Hämaturie
L P; rechts
; 5 J. 10 Mon. p. op. gesund.
männl.
i 55
L; rechts
Tod im Anschluss an Operation
^ *
59
L; links
Geheilt entlassen.
1 56
Koliken
L P; rechts
i Geheilt entlassen.
v>
48
Hämaturie
L P; rechts
i Geheilt entlassen.
f-.;52
Tumor
T; links
3 Mon. p. op. Tod an Metast.
_
64
Hämaturie
L; rechts
: 2 J. p. op. gesund.
K apsHinmcr.
V
27
L; rechts
1 Geheilt entlassen.
„
1 42
Sch merzen
L; rechts
3 J. p. op. gesund.
„
■ 45
Hämaturie
L; links
1 J. 8 Mon. p. op. gesund.
„
weibl.
47
Schmerzen
L P; links
! Geheilt entlassen.
männl.
41
Hämaturie
L P; rechts
Geheilt entlassen. 1
r»
| 65
L: rechts
• Geheilt entlassen.
„
weibl.
41
Schmerzen
L P; rechts
i Geheilt entlassen mit Metast.
-
männl.
42
Hämaturie
| L; rechts
i Geheilt entlassen mit Metast.
Digitized by
Gck 'gle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten.
235
Autor
Ge¬
schlecht
Alter
.Jahre
Initial¬
symptom
Operation
Fernresultat
Kapsam in er.
weibl.
54 i
Hämaturie
L; links
Geheilt entlassen.
männl.
66
L P; rechts
4 Tg. p. op. Tod an Gasphlegmone.
weibl.
54
L; links
27 8t. p. op. Tod an Anurie.
männl.
65
„
L; rechts
12 Tg. p. op. Tod an Herzschwäche.
15 l /2 Mon. P- op. Tod an Roeidiv.
K rö n 1 e i n.
39
—
L; rechts
59
-
L: rechts
7 Mon. p. op. Tod an Recidiv.
59
—
L; rechts
13 Mon. p. op. Tod an Recidiv.
-
-
50
—•
L; links
11 J. p. op. gesund, dann Recidiv
und 1 .). p. sec. op. Tod.
_
47
—
L; rechts
3 .1, p. op. gesund.
weibl.
53
—
L; links
2 V 2 J. p. op. gesund.
männl.
55
-
L; rechts
Wenige Mon. p. op. Tod an Recidiv.
49
—
L; links
16 Mon. p. op. Tod an Recidiv.
51
—
L; links
4 Mon. p. op. gesund.
K. Küste r.
56
Hämaturie
L P; links
9 Mon. p. op. Tod an Mctast.
P. Kuzmik.
57
_
L; links
5 J. p. op. gesund.
weibl.
54
Tj ; rechts
1 , / 2 J. p. op. Tod an Urämie.
männl.
56
Tumor
L; links
26 Tg. p. op. Tod an Mctast.
Loli nstei n.
„
27
Hämaturie
L; rechts
3 J. p. op. gesund.
G. Lot heissen.
20
Tumor
T; rechts
2 1 / 2 J. p. op. gesund.
weibl.
56
Schmerzen
L; rechts
V 2 4. p. op. Tod an Recidiv.
M. Martens.
männl.
54
L; links
Geheilt entlassen.
•t
48
L; links
Geheilt entlassen.
M. Neu.
weibl.
76
Gewichtsabn.
T; rechts
5 Mon. ]). op. gesund.
G p f e r.
männl.
52
Hämaturie
L; rechts
1 J. p. op. gesund.
G. Pirsch ner.
54
Schmerzen
L; links
! 5 ,J. 2 Mon. p. op. gesund.
weibl.
40
L 1*: links
1 Mon. p. op. Recidiv.
männl.
, 60
Hämaturie
L
1 J. p. op. Tod an Urämie.
m
59
„
L; rechts
1 J. p. 0 ]). Tod an Recidiv.
1 47
Schmerzen
L P; rechts
1 Mon. p. op. Tod an Herzschwäche.
m
weibl.
1 32
i w
. L; links
2 V 2 4* P- op. viel Recidive.
männl.
• 40
Hämaturie
L; rechts
3 V 2 J. p. op. gesund.
i 51
Schmerzen
L; links
2 3 / 4 J. p. op. gesund.
! 48
Hämaturie
LP; rechte
Tod im Anschluss an Operation.
57
r
LP; rechts
2 J. p. op. gesund.
55
Schmerzen
LP; rechts
Tod im Anschluss an Operation.
64
Hämaturie
1 L: links
3 Tg. p. op. Tod an Peritonitis.
weibl.
54
j L; rechts
Tod im Anschluss an Operation.
m !
männl.
; 59
Schmerzen
j L P; rechts
10 Mon. p. op. Tod an Metast.
•9
42
f L P ; links
Geheilt entlassen.
weibl.
51
Tumor
T; rechts
6 Mon. ]>. op. Tod an Metast.
männl.
58
Hämaturie
L; links
5 Mon. p. op. gesund.
weibl.
35
Schmerzen
1 L ; rechts
4 Mon. p. op. gesund.
männl.
61
Hämaturie
LP; links
2 Mon. p. op. gesund.
V. Schmieden.
„
1 42
S L; links
9 J. p. op. gesund.
„
99
45
—
t L.
8 J. p. op. gesund.
\V. Svkow.
r
i 63
Schmerzen
i LP; links
1 J. p. op. gesund.
D. Wallace.
weibl.
30
Hämaturie
| L ; rechts
4 V 2 J. ]>. 0 [). gesund.
„
männl.
!' ,52
1 L; links
2 1 2 *L P- op. gesund.
Weil.
56
L
■ Geheilt entlassen.
Refer. Jeimke.
48
Schmerzen
T: links
| Geheilt entlassen.
Uefer. ITom 1)or«r.
i 57
Tumor
L
1 Geheilt- entlassen.
Kefer. Perin au.
-
—
Schmerzen
L
1 Geheilt entlassen, später gesund.
Digitized by
Gck 'gle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
23 ^
K. Pasidien,
Autor
(ie-
sehlei-ht
Alter
Jahre
Initial-
sv mptom
Operation
•
Fernrcsu ltat
Kc»f#*r. Perin au.
iniinnl.
Schmerz«*!)
L
(««•heilt entlassen, später gesun«l.
Hofer. W. Wendel.
55
Hämaturie
L:
re«
hts
7 Mnn. p. op. Tod an Metast.
Refer. Kiese.
Weild.
29
Tumor
T:
reehts
6 Wochen p. op. gesund.
Kefor. F. Peuekert.
41
I.
3 : V 4 ,1. p. op. Tod an Metast.
_
iniinnl.
4S
—
L
2 J. p. «> p. gas und.
..
50
—
L
2 .1. p. op. gesund.
Kefer. Tedenat.
w ei hl.
57
Hämaturie
L
links
7 V 2 J. p. op. gesund.
iniinnl.
46
L
2 .1. p. op. Tod an Metast.
K. Pa sehen.
43
L:
re»
hts
14 .1. p. op. gesund.
60
„
L:
re«
hts
1 1 -2 Mon. p. op. Tod an Metast.
54
Schmerzen
L
lii
ks
T«»d im Anschluss an Operation.
_
\\eihl.
50
Hämaturie
L
lii
ks
2 .1. p. op. gesund.
53
L
lii
ks
7 1 2 J- p- op. gesuml.
49
Sehmerzen
L;
re«
Ins
9 ,1. p. op. gesund.
iniinnl.
45
L
lii
ks
1 .1. p. op. Tod an Metast.
60
Hämaturie
L:
re«
hts
Tod an Anurie.
45
L
lii
ks
Tod an Prämie.
47
L:
re«
hts
10 M«m. p. op. Tod an Metast.
59
L
lir
ks
11 .1. p. op. gesund.
..
54
L;
re«
hts
Tod im Anschluss an Operation.
6S
L
lit
ks
*/, .1. p. op. Tod an Darnu-aroiim:
weihl.
53
L ;
re«
hts
3 .1. p. op. gesund.
iniinnl.
62
_
L:
re«
hts
4 Mon. p. «>p. Tod.
66
I.;
re«
hts
Tod kurz p. op. an Lungenemh«»l -
53
L:
re«
hts
4 l o ,1. p. op. gesund, dann Tod an:
1 49
L:
re«
hts
Tod im Anschluss an Operation.
..
1 59
, 1 >ru«*kgofiihl
L
lii
ks
Mon. p. op. Tod an Metast.
, 51
Seh merzen
1.
lii
ks
2 ,1. ]). op. Tod an Metast.
weihl.
50
1 L:
r<*<
hts
7 ,1. p. op. g«‘sund.
25
Hämaturie
: L:
re«
hts
3 J. p. oj). gesund.
•
iniinnl.
45
: L:
re«
hts
1 2 *1- p. op. gesund.
73
Sehmerzen
1 L:
lii
ks
1 2 J. p. op. gesund.
weihl.
51
L:
re«
hts
5 .1. p. op. gesund.
miinn 1.
50
L:
lii
ks
1 1 .1. p. op. Tod an Metast.
1 54
Hämaturie
L:
re«
hts
4 1 * 2 d. p. op. Tod an LymphadeniiS
60
Tumor
1 T -
lii
ks
15 Tg. ]>. op. Tod an llerzsehwä«#
weihl.
46
j —
L:
r« 1 «
hts
5 J. p. op. gesund.
mim itl.
54
Hämaturie
L
: lii
ks
1 2 T p. op. Tod an Reeidiv.
weihl.
IS
Seh merzen
L
; lii
ks
5 Mon. p. op. Tod an Ke«*idiv.
iniinnl.
62
Hämaturie
L
; lii
ks
4 J. p. op. gesund.
! 43
h;
re«
hts
1 :{ / 4 J. |>. op. gesund.
! 59
L:
re«
hts
1 :1 4 J. p. op. Tod.
64
Sehmerzen
L:
re«
hts
3 */ 4 .1. p. o]>. To«l.
weihl.
61
Hämaturie
h P
: n
ehts
2 Mon. ]). op. Tod an Pyonephmv
iniinnl.
43
••
1 T ?
re«
hts
Tod im Anschluss an Operation.
..
75
Kräfte verfall
L;
; lii
ks
5 .1. p. op. gesund, dann To«l :e
Marasmus.
..
52
1 liimaturie
L 1
: links
4 Mon. j). op. Tod.
Weihl.
56
i
L;
re«
hts
7 J. p. op. gi'sund.
iniinnl.
49
1 ^
lit
iks
3 J. p. op. gesund.
_
42
L:
lii
ks
1 l / 2 J. ]). op. Tod.
55
L:
re«
hts
V 4 .1. p. op. Tod an Metast.
-
45
! L:
re«
hts
3 ,1. i«. op. gesund.
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten.
237
A utnr
Ge¬
schlecht
Alter j
Jahre
Initial¬
symptom
1 Operation
Fernresultat
Paschen.
weibl.
68
Tumor
Res.; rechts
i 10 J. p. op. gesund, dann Tod an
Marasmus.
..
männl.
48
llämat urie
L: rechts
1 J. p. op. Tod an Darmblutungen.
weibl.
58 !
L P; rechts
4 J. p. op. gesund.
_
„
31
Tumor
T; links
i 18 Co J. p. op. gesund.
m
männl.
32
T; links
4 Mon. ]>. op. Tod an Metast.
42
V
L; links
, Geheilt entlassen.
50
Hämaturie
L; rechts
4 J. p. op. gesund.
58
L; links
4 J. p. op. Tod.
62 i
L; links
2 J. p. op. Tod an Metast.
-
weibl.
44
i
Schmerzen
L: rechts
3 Mon. p. op. Tod an Niereninsuf¬
fizienz.
Kefer. Baradulin berichtet über 8 Fülle von Grawitz-Tumor, von denen
4 im Anschluss an die Operation starben.
Refcr. Berg berichtet über 21 Fälle von Grawitz-Tumor, von denen 2 Jahre
p. op. nur noch einer am Leben war; 4 Patienten starben im Anschluss an die
Operation, die anderen sehr bald darauf.
II ly es berichtet über 21 Grawitz-Tumoren. von denen an den Folgen der
Operation 4 starben. Später starben noch S. Geheilt sind: 1 = t 2 -Jahr: 3 — 1
bis 2 Jahre; 2 — 2—3 Jahre; 3 = 4—5 Jahre.
Literatur.
Albreeht. Beiträge zur Klinik und pathologischen Anatomie der malignen
Ifvpernephrome. Arch. f. klin. Chir. 1899. Bd. 77. S. 1073.
E. Braatz, Zur Nicrenexstirpation. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1898. Bd. 48.
S. 36.
F. Cahen, Tumor der linken Niere und Nebenniere. Münch, med. Woehenschr.
1905. Nr. 16. S. 776.
P. Clairmont, Beiträge zur Nierenchirurgie. Arch. f. klin. Chir. 1906. Bd. 79.
S. 667.
G. Delgeskamp. Beiträge zur Nierenchirurgie. Beitr. z. klin. Chir. 1904.
Bd. 44. S. 1.
I. Fabricius. Sollen wir die Hypernephrome zu den gut-oder bösartigen Neu¬
bildungen rechnen? Verhandl. d. Deutschen Gesellschaft f. Urol. 1911.
S. 140.
B. Fischer, Multiple Hypernephrominetastasen 6 C 2 Jahr nach Exstirpation
eines malignen Nierentumors. Münchener med. Woehenschr. 1910. Nr. 1.
S. 101.
Grawitz, Die sogenannten Lipome der Niere. Yirchow's Arch. 1883. Bd. 93.
— Die Entstehung von Nierentumoren aus Nebennierengewebe. Arch. f.
klin. Chir. 1884. Bd. 30. S. 824.
B. Grobe, Unsere Nierentumoren in therapeutischer, klinischer und pathologi¬
scher Beleuchtung. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1901. Bd. 60. S. 1.
P. Grosheintz, Die Hypernephrome der Niere. Zeitschr. f. Und. 1907. Bd. 1.
S. 545.
Hartung, Ueber Hypernephrome der Niere. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1913.
Bd. 121. S. 560.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
238 R- Paschen, Das Schicksal clor wegen Grawitz-Tumor Operierten.
Digitized by
H. lleidler, Beiträge zur Xierenehirurgie. Prager med. Wochensehr. 1913.
Nr. 37.
Hein lein, Zwei Fälle von Hypernephrom. Ref. Münchener med. Wochensehr.
1910. Nr. 2.
E. Hof mann, Zur Kasuistik der Xierentumoren. Beitr. z. klin. Chir. 1914.
Bd. 89. S. 250.
G. v. 11 ly es, Erfahrungen über Xierenehirurgie. Fol. urol. 1914. Bd. 8.
J. Israel, Chirurgische Klinik der Xierenkrankheiten. Berlin 1901.
Kapsammer, Xiercndiagnostik und Xierenehirurgie. 1907. Bd. 2.
Krön lein, Ueber Nierengeschwülste. Korr.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1905.
E. Küster, Die Chirurgie der Nieren usw. Stuttgart 1896—1902.
P. Kuzmik, Hypernephroma renis. Beitr. z. klin. Chir. 1905. Bd. 45. S. 185.
Lohn stein, Verhandl. d. Deutsch. Gcsellsch. f. Urol. 1911. S. 144. (Diskuss.)
G. Lot heissen, Ein Beitrag zur Chirurgie der Nieren. Arch. f. klin. Chir.
1896. Bd. 52.
Martens, Beiträge zur Nierenchirurgie, v. Lcuthold-Gedenksehr. 1906. Bd. 2.
M. Neu. Zur Klinik und pathologischen Anatomie der malignen Hypernephrome.
Zeitschr. f. gynäkol. Urol. 1910. Bd. 6. H. 6.
Opfer, Fall von Nierentumor. Deutsche med. Wochensehr. 1908. Nr. 14. S. 617.
11. G. Pies ebner, Beiträge zur Klinik und pathologischen Anatomie der ma¬
lignen Hypernephrome. Zeitschr. f. urol. Chir. 1913. Bd. 1. S. 309.
V. Schmieden, Die Erfolge der Nierenchirurgie. Deutsche Zeitschr. f. Chir.
1902. Bd. 62.
O. Stoerk, Zur Histogenese der Grawitz’schcn Nierengeschwülste. • Zieglers
Beitr. 1908. Bd. 43. S. 393.
P. Sud eck, Ueber die Struktur der Xierenadennme. Ihre Stellung zu den
Strumae suprarcnales aberratae (Grawiiz). Virchow's Arch. 1893. Bd. 133.
S. 405.
W. Sykow, Ueber einen Fall von Struma aberrans renis. Arch. f. klin. Chir.
‘ 1899. Bd. 58.
D. Wallace, Notes upon five cases of renal neoplasm. The Lanc-ct. 1906. Yol. 2.
Weil, Concerning a distinctype hypernephroma of the kidney, which simulatcs
various cystic conditions of that organ. Annals of surg. 1907. Sept.
M. Zehbe, Untersuchungen über Nierengeschwülste. Virchow’s Arch. 1910.
Bd. 201.
Referate im Centralbl. f. Chir. 1893, 1900, 1903. 1904, 1905, 1908.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
VIII.
(Aus der I. Chirurg. Klinik [Prof. Dr. John Berg] und dem Röntgen¬
institut [Dr. G. Forssell] des Kgl. Seraphimerlazaretts in Stockholm.)
Ein Beitrag zur Gastroptosefrage,
speziell unter radiologischem Gesichtspunkt.
Von
Dozent Dr. Abraham Troell.
(Hierzu Tafel IX und X.)
Die Frage von der Klinik der Gastroptose ist in neuerer Zeit
Gegenstand eines recht lebhaften Interesses in der nordischen me¬
dizinischen Literatur gewesen. Keiner hat in höherem Grade hierzu
Anlass gegeben als Rovsing 1 ), und keiner hat mit mehr Konsequenz
und Eifer eine bestimmte Meinung sowohl über das Wesen, als
die Therapie der Gastroptose verfochten als er. Für seinen Stand¬
punkt bezeichnend ist eine Aeusserung, die er bei einer Diskussion
vor dem Nordischen Chirurgenkongress in Stockholm 1911, nach
einem von ihm gehaltenen Vortrag über „Die Indikationen und
Resultate der Gastropexie“ machte. Die Frage — so fielen hier
seine Worte — gelte nunmehr nicht, ob er „das Recht habe diese
Operation auszuführen“, sondern müsse nun in der Weise formuliert
werden: „Mit welchem Recht vorenthaltet Ihr den auf andere
Art nicht zu helfenden Ptosepatienten die Chance voller Genesung
durch eine so wirksame und so wenig gefährliche Operation, wie
es die Gastropexie ist?“ Der in dieser Frage liegende Vorwurf
basierte auf einer sehr grossen klinischen Erfahrung. Dass er
nicht ungehört verklungen, ist bekannt. Rovsing 2 ) selbst hat in
seinem grossen, 1913 erschienenen Gastroptosewerk mit „grosser
Befriedigung“ in Erinnerung bringen können, dass Perm an in 5
Fällen die Gastropexie mit gutem Resultat gemacht hat. Er deutet
dies dahin, „dass man nun sogar in Stockholm.endlich
auf die Krankheit aufmerksam geworden ist.“
1 ) Rovsing, Verhandl. der 9. Vers. d. Nord. diir. Gesellschaft. 1911. S. 145.
2) Rovsing, Gastrocoloptoscns patologiske Betydning. 1913. S. 99.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
240
A. T v oeil,
Digitized by
Es unterliegt gewiss keinem Zweifel, dass man sich auch
anderswo berechtigt gefunden hat praktisch zu erproben, was mit
der von Rovsing so enthusiastisch befürworteten chirurgischen
Therapie zu gewinnen ist bei einer Gruppe von Krankheitsfällen,
die dieser viel zahlreicher gefunden zu haben scheint, als die
meisten anderen Kliniker. In der chirurgischen Klinik I des
Seraphimerlazaretts zu Stockholm sind im Jahre 1913 7 derartige
Patienten zur Operation gekommen. Von dem Direktor der Klinik,
Prof. J. Berg, ist dazu während desselben Jahres ein ähnlicher
Fall im Sophienheim operiert worden. Bei diesen sämtlichen Pa¬
tienten — ausgenommen Fall 8 in nachstehender Kasuistik —
bin ich als Assistent oder Operateur an der Operation beteiligt
gewesen. Zudem hatte ich Gelegenheit, die 7 Fälle des Seraphimer¬
lazaretts wochenlang täglich zu beobachten und zu untersuchen.
Ich habe Röntgenuntersuchungen von denselben bewerkstelligen
lassen, der Regel nach sowohl vor wie nach der Operation, und
ich habe Nachforschungen über ihr späteres Befinden veranstaltet.
Da folglich eine gewisse Einheitlichkeit in der Beobachtung dieser
Patienten da ist und exakte x\ngaben darüber vorliegen, in welchem
Masse der mit der Operation bezweckte Effekt erzielt wurde, war
ich der Meinung, dass eine Mitteilung der betreffenden Krankenge¬
schichten ihre Berechtigung haben möchte. Die Erfahrung, welche
sie repräsentieren, ist freilich nicht gross, sie dürfte aber doch
einigermassen ein Gebiet beleuchten, auf welchem die diagnostischen
und vor allem die therapeutischen Gesichtspunkte noch bei weitem
nicht geeinigt sind. Die Krankengeschichten für die 8 Fälle sind
folgende (mit Dankbarkeit habe ich von der mir von Prof. Berg
bereitwillig erteilten Erlaubnis Gebrauch gemacht, auch den von
ihm im Sophienheim operierten Fall [Nr. 2 in der Kasuistik] mit-
aufzunehmen).
1 ')• (Tat. IX. Fig. 1.) l'nverhoiratetc Krau, 35 Jahre. Ist immer schwäeh-
lieh gewesen. Blinddarmentzündung wurde vor 4 Jahren diagnostiziert. Die
gegenwärtigen Magenbesehwerdrn begannen vor 10 Jahren und wurden damals
als rieus aufgefasst. Seitdem hat das Essen stets mehr oder weniger ein un¬
angenehmes Gefühl in der Herzgrube verursacht, die Pat. ist „schnell satt ge¬
worden" 1 und hat stets einen nagenden Schmerz empfunden. Ausserdem hat
sie in Perioden von l 1 /*—3 Mon. gleich nach dem Essen intensive Schmerzen,
lebelkeiL saures Aufstossen. Blutbrechen bekommen. Der Stuhl ist träge ge¬
wesen. der Appetit schlecht.
Stal, praes. 15. 1. 1913. Schlanke, magere Pat. mit schmalem, lang¬
gestrecktem Brustkorb. Costa X sin. libera. Die Loherdämpfung reicht weit
1) Die Krankengeschichten werden hier der Kürze halber nur zusammen¬
gezogen wiedergegeben, unter Auslassung einiger Einzelheiten, die später im
Text erwähnt werden. Sie finden sich in ausführlicher Form in einem Aufsatz
des Yerf. auf schwedisch im Nord. med. Arkiv. 1014. Bd. 2. Xr. 20.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kin Beitrag zur Gastroptosefrage.
241
hinunter. Lebhafte Druekeuipfindlichkeit an einem Punkt 2 cm links vom
Nabel. Friktionsauskultation ergibt die untere Magengrenze 2 Finger breit unter¬
halb des Nabels.
ProbefriihstürkUntersuchung: Keine Retention, keine Salzsäure,
Totalacidität. 35. Weber in den Fäees negativ.
Röntgenuntersuchung (Dr. G. Forsscll): Sehr grosser und weiter
Magen. Die Speise sammelte sieh nur im horizontalen Teil des Magens,
während der vertikale ganz leer von Speise war. Sehr verstärkte Peristaltik
mit grossen Ringwellen, am Corpus parallell auftretend, und je zwei und zwei
gegen den Pylorus hin vorgehend. Der Pylorus markierte sieh bei Durch¬
leuchtung gut in aufrechter Stellung in gleicher Höhe mit dem Nabel. Kein
in das Lumen sieh vnrbuchtender Tumor sichtbar.
Operation 20. 1. (Prof. Berg): Medianschnitt im Epigastrium. Der
Magen gross, wird mit Leichtigkeit vorgezogen. Keine Anzeichen von entzünd¬
lichen Veränderungen hier, am Duodenum oder an der Gallenblase. Der
Pylorus weit, seine Wand nicht verdickt. Das Duodenum auffallend weit.
Das Ligamentum hepatogastrieum sehr schwach, besteht zum grössten Teil aus
einer dünnen Haut mit eingesprengten Fettgewebsinseln. Es wird mit Seiden¬
nähten in die Längsrichtung des Körpers gerafft, so dass der Magen deutlich
höher zu liegen kommt, als zuvor. Vor der Raffung lag der Magen so tief,
dass die ganze Querfläche des Pankreas oberhalb der Curvatura ininor lag.
Bauchnaht. — Nachträglich wird ein Me Bumevs - Schnitt gelegt. Das
Coeriim ist sehr gross und beweglich, wird mit Leichtigkeit vorgrzogen, wobei
die Appendix mitfolgt. Diese ist 6—7 cm lang, sieht völlig normal aus:
wird exstirpiert. Das Coeeum wird mit 3 Seidennähten am Peritoneum pariet. im
lateralen Teil der Eossa idiaea dextra fixiert. Bauohsutur. Mikroskopisch war
die Appendix völlig normal. - Die Pat. durfte am 7. 2. aufstehen. Sie wurde
am 13. 2. entlassen, befand sich dann wohl, hatte keinerlei Schmerzen oder
Beschwerden vom Essen. Geheilt p. pr.
In einem Brief vom 2b. 5. KL teilte die Pat. mit. dass sie ..ziemlich
wohl gewesen sei und mit Appetit gegessen habe“, bis sie vor einigem Tagen
akut erkrankte mit Fieber. Kopfschmerzen etc. Sie war jedoch nun schon besser.
Nach der Operation hatte sie beständig ein unangenehmes Gefühl im Magen,
das sie von der Wunde, wo sie möglicherweise eine ,,innere Eiterbildung“ be¬
fürchtete. herzurühren meinte.
Auf Anfrage erklärte die Pat. in einem Brief von» 15. 4. 14, dass sie
kräftiger und etwas fetter geworden sei und ihre frühere Tätigkeit verrichten
könne. Es gehe ihr jetzt besser als vor der Operation. Der Stuhl sei träge. Nach
dem Essen — und auch sonst gelegentlich — bekomme sie „stechende Schmerzen
unter der Brust etwas nach links". Erbrechen oder Aufstossen kämen nicht
vor. wohl aber Uebelkeit im und ohne Zusammenhang mit den Mahlzeiten. Der
Appetit sei schlecht. Die im vorhergehenden Brief erwähnte Unpässlichkeit
dauerte 3 Wochen an. Dann war sie eine längere Zeit ziemlich gesund, wollte
gerne essen und bekam keine Beschwerden vom Essen. Im Spätherbst verlor
sie indessen den Appetit, bekam Schmerzen im Magen und Erbrechen. Ein
konsultierter Arzt verordnete Medizin und Diät. Sie «musste eine Zeitlang
nahezu hungern und dann vorwiegend Milchspeisen gemessen, jedes Mal äusserst
wenig aber häufig. Das Erbrechen, das ungefähr einen Monat angehalten hatte,
hörte auf/" Die Pat. schliesst ihren Brief wie folgt: „Geheilt bin ich nicht und
werde wohl nie meine Gesundheit wiederbekommen. Wird der Appetit weiter
abnehmen und die Schwierigkeit, Speise zu gemessen, zitnehmen, dann weiss ich
nicht, wie es werden soll."
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
242
A. Troell.
Digitized by
2. (Taf. IX, Fiirg. -• n - 3.) (In der medizinischen Klinik I — Prof. .1.
Holmgren — des Seraphimerlazaretts während gut 2 Mon. vom 19. 2. 1914
gepflegt.) Verheiratete Frau. 37 Jahre. Sehr starke nervöse Abstammung.
III para. Etwas zart gebaut, äusserst mager und mit schmalem, langge¬
strecktem Brustkorb. „Schlechter Magen" bereits im Alter von 18 Jahren.
3—4 Jahre später wurde gelindes Fleus vermutet. Behandelt mit Diät und
Ruhekuren von in- und ausländischen Magenspezialisten. Von I)r. v. Aldor
in Karlsbad wurde das beiden im Sommer 1911 als „Enteroptose bei einem
sehr nervösen Individuum aufgefasst.** Im Herbst desselben Jahres wurde auf
Wunsch dieses Arztes eine geschrumpfte Appendix entfernt (Dozent (i. Xy ström);
im kleinen Hecken wurden Adhärenzen angetroffen. Später wurde sie im Salts-
jöbadcn-Sanatorium gepflegt; vereinzelt wurde dann Blut in den Fäees nach¬
gewiesen (Dr. O. Sand borg).
Bei Rön t ge n u n t e rsu ch u n g am 19.12.1912 wurde notiert (Dr. Fo rsse 11):
Die Pat. wurde beim (ienuss von 400 g Aktinophorbrei untersucht. Die ersten
Esslöffel desselben sanken in normaler Weise bis an den unteren Magenpol.
der sich etwa 5 cm unterhalb der Xabelebene befand. Der Magen kontrahierte
sich gut um die Speise. Wenn die Pat. den Bauch cinzog, zog sich der untere
Magenpol ungefähr 3 cm nach oben. (*ule Beweglichkeit auch bei Druck von
unten auf den Bauch. Verstärkte Canalisperistaltik mit grossen Wellen auf
den Pylorus zu gehend. Der Magenwinkel ziemlich klein. Keine Anzeichen
von Sanduhrmagen. Kein in das Lumen sich vorbuchtender Tumor sichtbar. Die
Speise passierte durch den Pylorus in das Duodenum hinaus, wo sie längere
Zeit verblich als gewöhnlich, dasselbe ausspannend. Ein hei Palpation des
Bauches schmerzender Punkt wurde mit Indikator markiert und 2 ein oberhalb
der Pars horizontales duodeni liegend befunden. Nach 5 Stunden hatte die
Speise den Magensack völlig verlassen.
Da diese Untersuchung für den Verdacht auf irgend eine Abnormität
(Knickung, möglicherweise Ulcus) am Duodenum eine Stütze zu gewähren schien,
wurde im Jan. 1913 Kelaparo tonne im Epigastrium gemacht (Prof. Berg).
Ein organisches Leiden wurde indessen hierbei nicht entdeckt. Nur ein paar
Adhärenzen zwischen der Pylorusgegend und der Gallenblase wurden gelöst
und das dünne big. hepato-gastrieum wurde mit einigen Seidennähten in der
Richtung von oben nach unten gerafft. Normale Heilung folgte, aber nach
Meinung der Pat., keine Verbesserung.
Da „alle die alten Symptome“ fortbestanden, und sie „schreckliches Sod¬
brennen“ hatte, konsultierte sie im Febr. 1914 Prof. Holmgren. Ihre der¬
zeitigen Angaben gehen darauf hinaus, dass sie sich nicht „einen einzigen Tag
gesund“ fühlt. Sie hat eine Empfindung als wäre der Magensack beständig ge¬
füllt; der Schlaf ist sehr schlecht, Uebclkeit. Angst stellen sich nachts ein.
Sie kann kaum etwas essen, ohne Schmerzen zu bekommen. Wenn sie „be¬
sonders elend ist, ist blutiger Schleim aussen am Stuhl zu sehen.“. Sie „be¬
kommt schwere Schmerzen sowohl von Klysma als gewöhnlicher Temperatur¬
messung.“ Zeitweilig hat sie Verstopfung, zeitweilig nicht. Sie bekommt
niemals spontanen Stuhl jeden Tag. „Die erste Portion des Stuhles ist immer
hart, nachher kommt lockere Materie“ (in Karlsbad wurde mittels Rektoskops
Proctitis und Sigmoiditis konstatiert).
Eine erneute Röntgenuntersuchung (Dr. Forscll) am 5.2. 1914 liess
erkennen, dass der Magen bedeutend breiter als gewöhnlich war. der t^uer
magen breiter und mehr quci-gestcllt als es der Fall zu sein pflegt, so dass
der Magenwinkel in aufrechter Stellung nahezu mehr als 90° war. Der untere
Pol des Magens in aufrechter Stellung in der Xabelebene. in Bauchlage ,V/ 2 ,
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Ein Beitrag zur Gastroptosefrage.
243
in Rückenlage S , ;2 cm oberhalb der Nabelebene. Der Magen gut vers(‘hiebbar.
Die Pylorusscheibo schien breiter und höher als gewöhnlich, die Pars superior
dnodeni von Speise» ausgefüllt, aber nicht nennenswert ausgespannt. Keine auf
Ulcus deutende Ausbuchtung, und kein auf Tumor deutender Defekt sichtbar.
Nach 4 Stunden vollständige Entleerung des Magens und normale Entleerung
des Dünndarmes. Eine am 18. 3. wiederholte Röntgenuntersuchung ergab das¬
selbe Resultat (Dr. A. Akerlund). Ueber die Pat.. die sehr intelligent ist.
bei der Untersuchung coneis antwortet und nicht gar zu gewaltig übertreibt,
ist ausserdem in der medizinischen Klinik Folgendes ermittelt worden :
Der Harn ist normal, die Fäces bei zahlreichen We her'sehen Proben blutfrei
und mikroskopisch ohne Besonderheit nach Sch midt-St ras bürge r schwach
alkalisch. Auf nüchternen Magen sind mehr als 25 ccm reinen, wasserhellen
Magensaft mit der Sonde auszuhebern, stark sauer von HCl (am 11.2.). Probe¬
frühst ückuntersuehung am 20. 2. zeigt keine Retention nach 12 Stunden, das
Spülwasser ist schwach sauer, klar, das Volumen des Magens 1000 ccm ; der
ausgeheberte Mageninhalt ist ziemlich gut digeriert, Totalacidität So, freie
HCl 02. Riegel's Probemahlzeit: 30 ccm Retention nach 6 Stunden, gute
Digestion. Totalaeidität 39, freie HCl 27. Gewöhnliches Frühstück, ausgehebert
na<-h 2 Stunden (am 5.3.): Volumen 500 ccm. schlechte Digestion. Totalaci¬
dität 88, freie HCl 27. Frühstück, bestehend aus Eiern,. Butterbrot und Milch
und ausgehebert nach 2 Stunden (am 16. 3.): Volumen 400 cem. Totalaeidität 5S.
Vom Abendessen, heraufgeholt nach l :i / A Stunden, waren 500 ccm übrig. Früh¬
stück, ausgehebert nach 4 Stunden (am 17. 3.): Volumen 100 ccm, ziemlich
gute Digestion, Totalaeidität 75. freie HCl 56.
Am 23. 4. 1914 ist notiert. (Prof. Holmgren): Die Patientin ist
psychisch, suggestiv, diätetisch, in äusserst geringem Masse medikamentös be¬
handelt worden. Sie hat für jeden Tag genaue Vorschriften über die Be¬
schaffenheit und Menge der Kost erhalten und ist dazu angehalten worden,
dieselben pünktlich zu befolgen. Anfänglich wurde eine massig strenge Ulcus-
diät verordnet, die später nach und nach erweitert worden ist ; die Pat. hat
jedoch noch kein Fleisch erhalten. Die Nahrung ist reichlich und nahrhaft
gewesen (Mastkur). Der Stuhl ist reguliert worden, anfänglich mit lösenden
Mitteln (Agarase) und zuweilen Klysma, aber niemals Laxicrmitteln. Die Pat.
ist dazu angehalten worden, täglich auf eine bestimmte Zeit das Klosett zu
benutzen. Schlafmittel (Bromural) hat sie nur 2 mal erhalten. Mit dieser Be¬
handlung ist ihr Zustand wesentlich gebessert worden. Das Körpergewicht hat
zugenommen. Sie ist täglich auf und befindet sieh relativ wohl. Sic hat nicht
mehr das frühere Gefühl, dass der Magen beständig gefüllt ist, klagt selten über
Schmerzen (es dauerte jedoch lange bis es ihr gelang sieh von der Vorstellung
schwerer Schmerzen frei zu machen.) Sie schläft gut. hat täglichen und spon¬
tanen Stuhl. Sie liegt noch in der medizinischen Abteilung.
3. (Taf. IN, Figg. 4—7.) Unverheiratete Frau, 46 Jahre. Dyspepsie und
unbestimmte Magenbeschwerden seit 1913, von lästigerer Art seit 1909. In
diesem Jahre eine Zeitlang in der med. Klinik des Seraphimcrlazaretts wegen
„Gastritis ehron.“ behandelt, worauf sie 2 Jahre cinigermaasscn gesund war.
Dann von neuem hin und wieder Beschwerden. Träger Stuhl.
Stal, praes. am 5. 2. 1913: Kleine, magere Pat. Gewicht 41,2 kg. Appetit
schlecht. Die rechte Niere palpabel, die Leber nicht palpabel. Probefrühstück:
geringe Retention, freie Salzsäure 24, Totalaeidität 40. Röntgenuntersuchung
am 12. 1. (Dr. E. Saul): Die ersten Löffel der 400 g Aktinophorbreies passierten
in normaler Weise in den Magen hinunter: die untere Magengrenze lag sehr
tief (ungefähr eine Handbreit unterhalb der Nabelebene). Der Magen sehr »Tross
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2, 17
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
244
A. Troeil,
Digitized by
uml platt. Vorstärkte Peristaltik. In der Biegungsstellc an der Curvatura
major war während der ganzen Durchleuchtung eine Einziehung und oberhalb
davon ein herabhängender Sack zu sehen. Die Beweglichkeit des Gielgens sehr
gut. Wenn die Pat. den Bauch einzog. wurde die Curvatura inajor 10 ein höher
als vorher gesehen und der Rönlgenbrei verteilte und breitete sieh nach <ien
Seiten hin aus. Der Pylorus markierte sieh gut in aufrechter Stellung. Bei
Druck auf den Magen sah man (‘inen Teil des Breies auch das Duodenum aus-
fii 1 len. Keine Retention.
Operation am 7. 2. 191.‘5 (Prof. Berg): Mediansehnilt im Epigastrium.
Keim* Perigastritis. Der Magen wird mit Leichtigkeit vorgezogen, scheint klein
und kontrahiert, aber nicht gesenkt. I leus oder Tumor ist nicht zu fühlen. An
der Gallenblase nichts Abnormes. Das Colon transv. sehr gesenkt. Mit Rück¬
sicht auf die radiologiseh naehgewiesene Ptose wie auch auf die Symptome und
den Habitus der Patientin wird Gastropexie nach Rovsing gemaelit: drei
mässig dünne Seidennähtc werden <|uer durch Falten der oberfläehliehen
Schichten der Magenwand in einer Ausdehnung von ca. 5 ein geführt. Bauch¬
naht in Etagen in gewohnter Weise, wobei die erwähnten Seidennähte über
einer wattiertim Glasplatte vor der Bauehwundo geknotet werden.
Heilung p. pr. Drei Wochen nach der Opercation wurden die Nähte weg¬
genommen, und am 1'. 3. durfte die Pat. aufstehen. Bei der Entlassung am
S. d. war das Allgemeinbefinden gut; die Pat. wog 41,7 kg, hatte keine
Schmerzen und kein Cnwohlsein nach dem Essen, der Appetit war gut. Drei
Tage vor der Entlassung w urde eine neue R ö n t ge n u n t ersu e h u n g vorgenomnien
(Dr. Forssellj: Die untere Magengrenze befand sieh ungefähr 1.5 cm oberhalb
der Xabelehene bei beginnender Füllung des Magens und in der Xahelebene
bei 400 g Füllung. Wenn die Pat. den Bauch einzog, stand der untere Pol
desselben t> ein höher. Die Art und Weise des Magens sieh zu füllen hat sieh
nach der Gastropexie dahin geändert, dass die Speise sieh nun im ganzen Corpus
bis in den Fornix hinauf sammelt. Der ijuerlaufende Teil des Magens füllt sieh
dahingegen unvollständig. Erst bei Druck auf den Magen füllt er sieh ganz
bis zum Pylorus hinaus. Fortlaufende kleine Wellen sind an der Curvatura
major. vom unteren Teil des Corpus pyloruswärts zu sehen. Wenn diese Wellen
bis zur Biegungsstelle vorgeschritten sind, entsteht eine ringförmige Kontraktion,
welche stehen bleibt. Von der Stelle dieser Kontraktion aus schreiten flache
und unregelmässige Wellen gegen den Pylorus vor. Am (pierlaufenden Teil
der Curvatura minor ist keine Peristaltik wahrzunelimen. An der eigentlichen
Biegungsstelle der Curvatura min. ist hin und wieder eine Einziehung zu sehen.
W enn die Pat. den Bauch einzieht, erfolgt eine starke winklige Biegung des
Magens, und der Duermagen — die Curvat. maj. sowohl wie die Curvat. min. —
hebt sieh bis ganz an den Brustkorbrand hinauf. Gleichzeitig nimmt die Breite
von Corpus und Fornix zu. Bei Bauchlage senkt sieb der untere Teil des l)i-
gestionssaekes. während der Canalis auf seiner früheren Höhe verbleibt. Bei
Rückenlage befindet sieb der (piergehende Teil des Magens ungefähr inmitten
zwischen dem Nabel und dem unteren Rippenrande (markiert mit Bleimarke).
Deutliche Retention ist nach 4 Stunden vorhanden.
Nachuntersuchung am 11. 3. 1914: Nach der Entlassung aus dem
Krankenliause fing die Pat. sogleich mit leichterer Arbeit an. Durch Ceher-
anstrengung ein paar Monate später übernahm sie sieh und musste dann zwei
Wochen zu Bett liegen. Seitdem hat sie sieh völlig gesund gefühlt, nur ver¬
einzelt Aufstnssen gehabt. Sie verträgt das Essen gut. Der Stuhl ist etwas
träge. R ö n t ge n u n t e r s u e h u n g am 12. o. (Dr. E. Svensson): Die Röntgen¬
mahlzeit sammelte sieh zuerst im Längsmagen, der gut um den Inhalt kontrahiert
Gck igle
Original from
UMIVERSITY 0F IOWA
Kill Beitrag zur Gastroplosefragc.
245
war, und im linken Teil des Quermagens. Erst bei einer Füllung von 400 g
füllte sich der Magen bis ganz an den Pylorus heran, und nun trat eine leb¬
hafte Peristaltik am Anfang des Canalis auf mit typischem Verlauf. Während
• ler ganzen Durchleuchtung war der Quermagen unvollständiger gefüllt als ge¬
wöhnlich, indem er niemals grösser wurde als ein nur fingerdicker rjuorlaufender
Schatten. Der untere Pol des Magens befand sieh in aufrechter Stellung und
bei einer Füllung von 200 g 4 cm unter der Xabelebenc, bei 400 g Füllung
auf gleicher Höhe. Der Magen sehr gut verschiebbar. Nach 4 Stunden keine
Retention.
4. (Taf. LN, Figg. S u. 9: Taf. X, Fig. 10.) Unverheiratete Frau, 47 Jahre.
0-para. Bis zu ihrem 15. Jahre hatte sie häufig Nasenbluten. Hat immer viel
Arbeit im Stillsitzen gehabt. Im Alter von 21 Jahren nach einem Trauma wegen
Retroflexio Uteri lange Zeit hindurch behandelt. Zu ungefähr derselben Zeit
begannen dyspeptische und verschiedenerlei Magenbesehwerden (laut ärztlicher
Aussagt 4 r Ansatz zu Magengeschwür“). Mit 30 Jahren hörten sie auf und die
Pat. fühlte sich gesund lös zu ihrem 42. Jahre. Lag dann krank an Blasen¬
katarrh während 7 Woehen. Ilat darauf jährlich Perioden von Magenbeschwerden
gehabt, u. a. Schmerzen, die jedoch niemals irgendwelchen Zusammenhang mit
oder Beeinflussung durch Aufnahme der Nahrung gezeigt haben. Sie sind meistens
vormittags aufgetreten. Der Stuhl ist nicht träge gewesen. Gefühl von Mattig¬
keit, Herzklopfen und Schlaflosigkeit sind vorgekommen.
Stal, praes. am 14. 4. 1913: Gewöhnlich gebaut, mager. Gewicht 50,5 kg.
Kehler Geruch aus dein Munde. Ein massig druckempfindlicher, konstanter
Punkt befindet sieh 5 cm oberhalb des Nabels 1 ein rechts von der Mittellinie.
Probefrüh stück: keine Retention. Totalacidität 12, l’ffelmann positiv.
Weber negativ. BourgeKs Pro hem ah lz eit gibt einen Rest von GO g naeii
5 Stunden. Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Die Pat. erhielt 400 g
Wismutbrei. Die ersten Löffel desselben sanken in normaler Weise in den
Magensack hinunter. Der Magen kontrahierte sieh gut um die Speise. Ver¬
stärkte Peristaltik mit grossen Ringwellen, weit hinauf am Corpus einsetzend
und auf den Pylorus zu fortschreitend. Ziemlich gute. Verschieblichkeit des
Magens, sowohl wenn die Pat. den Bauch einzog als auch wenn man von unten
her Druck auf denselben ausiibte. Kein Defekt, sichtbar im Wismutschatten.
Die Peristaltik war typische Stenoseperistaltik. Nach 4 Stunden befand sieh
ein grosser Teil der Speise immer noch im Magensack.
Operation am 28. 4. (Dozent B. Floderus): - Medianschnitt im Epi¬
gast rium. Der Pylorus weit, wie auch — und in sehr hohem Grade — der
zugängliche Teil des Duodenums. Das Ligamentum hep.-gastr. dünn und
schwach. Alle Viseera des Bauches gesenkt. Die rechte Niere wird gesenkt
und beweglich gefühlt. Das C’oecum weit, beweglich. Die Appendix wird
»•xstirpiert; sie ist 11 cm lang, schmal, enthält Fäees. sieht aber nicht krank
aus. Der Bauch wird geschlossen,
Heilung p. pr. Die Pat. durfte am 10. 5. aufstehen. Sie fühlte sich dann
wohl, auch wenn sie auf war. Am 13. 5.: Die Pat. fühlt zurzeit keine Schmerzen
in (b*r Herzgrube, nur ein unbedeutendes Brennen in der Narbe und rechts
davon, unabhängig vom Essen. Sie isst Speise aller Art ohne Beschwerden
davon zu bekommen. Der Bauch ist weich, nicht druckempfindlich. Gewicht
47.5 kg.
Röntgenuntersuchung am 14. 5. (Dr. Saul): Die ersten Löffel des
400 g Aktinophorbreies sanken unmittelbar nach dem unteren Magenpol, der
ungefähr 10 cm unterhalb der Nabelebene gelegen war. Der Magen sehr gross
und weit. In aufrechter Stellung war keine Peristaltik zu entdecken. Wenn
17 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
246
A. Troell,
Digitized by
die Pat. den Magen einzog, war die Verschieblichkeit gering: wenn man Druck
von unten her auf denselben ausübte, war sie recht gut. Der Magen in tote mehr
nach links gelegen als normal. Sehr scharfer Magenwinkel. Auf der Photographie
erwies sich der Quermagen von vermehrter Breite. Länge des Magens 26 cm.
Die Konturen der (Tirvatura maj. und min. überall scharf und eben. Nach
f) Stunden befand sich ein grosser Teil der Speise immer noch im Magen. Hier
liegt also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Hindernis fiir die normale Ent-
leerung des Magens vor.
Laut Brief vom 2S. 3. 1914 ist das spätere Befinden der Pat. recht
gut gewesen. Sie hat 4 kg an Gewicht zugenommen. Uebelkcit und Erbrechen
kommen nicht vor, ebenso wenig Schmerzen nach dem Essen. Dahingegen hat
sie ungefähr dasselbe Herzklopfen wie früher, der Schlaf ist nicht immer be¬
friedigend. Weitere Arbeit ist sie nicht im Stande auszuführen wegen seil
langem fortdauernder reichlicher Unterleibsblutungen (Klimakterium).
5. (Taf. X. Figg. 11 —12.) Unverheiratete Frau, 46 .Jahre. Hat im
Alter von 20 .Jahren einen normalen Partus durchgemacht (worauf Prolaps¬
besehwerden Vorgelegen haben). Im Frühjahr 1912 Blasenkatarrh während
einiger Wochen. Magenbeschwerden seit 2 Jahren, ohne Zusammenhang mit
den Mahlzeiten. Hat Blähungen nach salzigem und kräftigem Essen bekommen.
Die Anwendung einer Leibbinde während des Tages hat die Beschwerden ge¬
lindert. Der Stuhl o. B. — Die Pat. vom Arzt eingeliefert mit dem Verdacht
auf Cancer.
Stat. praes. vom 5. 3. 1913: Die Pat. scheint etwas nervös, aber recht
munter. Gewöhnliche Körperfülle. Zarter Körperbau. Der untere Teil des Brust¬
korbes schmal. Die Leber unbedeutend gesenkt; die Nieren sehr beweglich,
die rechte kann ganz hinunter in das kleine Becken geschoben werden. Weber
positiv (2 Untersuchungen). Probefrühstück: keine Retention, keine Salz¬
säure, Totalacidität 9.
Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Der Aktinophorbrei passierte in
normaler Weise in den Magensack hinunter, dessen unterer Pol bei einer Füllung
von 400 g und aufrechter Stellung 10 cm unter der Nabelebene belegen war.
Der Magen sehr lang, aber gut um die Speise kontrahiert. Lebhafte Peristaltik
mit grossen Ringwellen, hoch oben am Corpus beginnend. Gute Beweglichkeit,
sowohl wenn die Pat. den Magen einzog als wenn man von unten her einen
Druck auf denselben ausübte. Der Canalis und der Pylorus markierten sich
gut bei Durchleuchtung* wie auf der Photographie. Das Duodenum stand die
ganze Zeit über mehr ausgespannt als normal. Während der Durchleuchtung
konnten deutliche regurgitierende Bewegungen im Duodenum beobachtet werden.
Nach 4 Stunden war der Magensack völlig geleert.
Bei der Magenspülung, die am Morgen des Operationstages — wie cs
stets vor Magenoperationen zu geschehen pflegt -- vorgenommen wurde, wurde
das Spülwasser schwach rot gefärbt von frischem Blut (dasselbe geschah auch
einige Tage früher).
Operation am S. 5. (Troell): Medianschnitt im Epigastrium. Der Magen
ohne palpablc Veränderungen, aber bedeutend gesenkt und schlaff, kann voll¬
ständig aus der Bauch-wunde vorgezogen werden. Das Ligam. hep.-gastr. dünn,
häutchenartig, hier und da mit Fettgewebseinsprcngungen wie im Omentum
maj. Das Ligament wird mit 3 in der Längsrichtung des Rumpfes gelegten
Seidennähten gerafft. Das Duodenum ist nicht ausgesprochen weit. Die Gallen¬
blase scheint normal. Die rechte Niere wird stark gesenkt und beweglich
palpicrt. Die Appendix ist nicht zu finden. Der Bauch wird in gewohnter
X\ eise geschlossen.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kin Beitrag zur Gastroptoscfrage.
247
Heilung p. pr. Am 29. 5. durfte die Fat. aufstehen. Der Gesamtzustand
war dann gut. Irgendwelche Beschwerden vom Magen empfand die Pal. nicht.
Gewielit 50 kg.
Röntgenuntersuchung am 30.5. (I)r. Forssell): Die ersten 3 Löffel
der Röntgenmahlzeit verblieben im Fornix und obersten Teil des Corpus (un¬
gefähr bis zur Mitte desselben) in einem langgestreckten, keilförmigen Schatten.
Nach Verzehren von 400 g stand der Digestionssack vertikal in Röhrenform
kontrahiert. Der am weitesten nach links gelegene Teil des Canalis war voll¬
ständig gefüllt. Bei Druck auf den Digestionssack konnte man einen kleineren
Teil in den Canalis hineinpressen, der sich sonst die ganze Zeit über kon¬
trahiert befand. An der Grenze nach dem Sinus stand die ganze Zeit über
eine Einziehung und an der linken Wand des Corpus fanden sieh beständig tiefe,
sowohl längs- wie «juerlaufende Schleimhautfalten. Kontraktionen am Corpus
waren jetzt nicht sichtbar, dagegen sah man zu wiederholten Malen Kontraktionen
über den Sinus an der Curv. major passieren. Am Eingang zum Canalis zeigte
sich dann und wann eine ringförmige Kontraktion, die indessen nicht fort schritt.
l>ci Untersuchung in Rückenlage befand sich der ganze Inhalt in Corpus und
Fornix, welche vertikal und stark kontrahiert standen. Auch jetzt traten
grosse Schleiinhautfalton an der Curv. major hervor. Bei Bauchlage drang die
Speise ungefähr ebenso weit hinauf wie in aufrechter Stellung: auch jetzt füllte
sich der Canalis nicht. Auf der Photographie tritt in allen Stellungen die bei
der Durchleuchtung beschriebene Einziehung abwärts im Schatten des Canalis
hervor, wie auch die oben beschriebene Faltung der Schleimhaut. Die untere
Grenze steht nun höher als vor der Operation, ungefähr in gleicher Höhe mit
den Hüftbeinkämmen und ungefähr 5 cm unter der Nabelebene. Der Pylorus
war an keiner Stelle während der Durchleuchtung sichtbar, aber kleine Mengen
der Speise sah man in die Dünndärme hinauspassieren. Nach 5 Stunden voll¬
ständige Entleerung.
Nachuntersuchung vom 14.3. 1914: Die Fat. arbeitet seil 2 Wochen
nach der Entlassung und kann nun ihren anstrengenden Dienst (Köchin) voll¬
kommen besorgen. Gewicht vor einem Monat 55,7 kg. Sie befindet sich wohl,
sieht gesund aus. verträgt das Essen, hat nur zwischendurch ein „wundiges"
Gefühl zwischen Bauch und Brust; es ist. als ob es „stocken" wollte, vergeht
aber bald. Stuhl o. B. Zuweilen kommt Herzklopfen vor. Falpatorisch kann
im Bauche nichts Abnormes konstatiert werden.
6 . (Taf. X, Figg. 13—14.) Unverheiratete Frau, 29 Jahre. Magenbeschwerden
zum ersten Male im Jahre 1905, Schwindelanfälle und in gewissem Grade uleus-
artige Symptome; sie vertrug den engen Sitz der Kleider nicht. 1900 und 1912
Perioden von ähnlichen Beschwerden. Der Stuhl oft diarrhöiseh.
Stat. praes. 5.5. 13: Langer, schmaler Brustkorb. Sehr mager. Weber
negativ. Probefrühst üek: keine Retention, Congo positiv, Totalacidität 26.
Rönt gen Untersuchung (Dr. Saul): Der Aktinotorbrei passierte in normaler
Weise in den Magen hinunter, dessen unterer Fol bei einer Füllung von 400 g
S cm unterhalb der Nabelebene gelegen war. Der Mägensack gut verschieblich,
sowohl wenn die Fat. den Bauch einzog als auch wenn man von unten her
einen Druck auf denselben ausübte. Verstärkte Peristaltik mit grossen Ring-
wellen. ganz oben am Corpus einsetzend. Canalis und Pylorus markierten sich
gut sowohl bei der Durchleuchtung als auch bei der Photographie. Der ganze
Magen schien etwas mehr nach rechts hinüber gezogen als normal. Sowohl
bei Durch leuch tung als bei der Photographie schien der Anfang des Duo¬
denums mehr ausgefüllt als normal. Nach 4 Stunden befand sich alle Speise
im Darm.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
248 A. Troeil,
Operation am S. 5. 18 (Trncll): Mmlianselmitt im Epigastriurn. Im
MciirtMi kann nichts Abnormes palpiert worden. Vom Pylorus und dom Anfang
des Duodenums gehen einige Bindcgewehsstreifen nach rechts: sic worden
durehgcschnittcn. Das Duodenum weit. Das Ligam. hcp.-gastr. ausgesprochen
papierdünn, häutehenartig, hie und da mit Fettgewobsei»Sprengungen wie im
Omont. maj. Es wird mit 8 Seidennähten in der Richtung von obon nach unten
gerafft. Dio Gallenblase sohlaff. mit tief nach unten herahhängendem Fundus.
Die Appendix. 7 ern lang. makroskopisch normal, wird cxstirpiert (mikroskopisch:
ehronisehe Entzündung in Mueosa und Submueosa). Bauehnaht.
Heilumr p. ]>r. Am *29. 5. durfte dio Fat. aufstehen. Sie befand sich
fortdauernd wohl, abgesehen von Stiehgefiihl in der linken Seite am 81.5. Der
Appetit ist leidlich. Der (iesamtzustand sehr gut. Die Stühle ein paar
Tage diarrhoiseh. Gewicht 52.2 kg am 80. 5. Röntgenuntersuchung am
80.5. (Dr. Forssell): Der erste Löffel der Röntgenmahlzeit verblieb oben im
Fornix, wo er einige Minuten in einem keilförmigen, sehnig nach links gerich¬
teten Schatten stand. Bei Füllung mit 200 g, ebenso wie bei 400 g, bildete
der Magen einen oberen, nahezu 11 cm breiten Behälter und einen unteren
rohrförmigen Teil, etwa wie unter gewöhnlichen Verhältnissen hei Rückenlage.
Auffallend war die grosse Breite des Fornix. die ungefähr doppelt so gross war
wie gewöhnlich bei aufrechter Stellung. Man konnte lebhafte Peristaltik auf
dem Ganalisgebiet und sogleich eine Entleerung nach dem Darm beobachten.
Hohe Lage der unteren Magengrenze. Bei Rückenlage sammelte sieh der Inhalt
in einem mehr langgestreckten Behälter mit stärkerer Kontraktion fies Sinus
und des Canalis. Sonst ungefähr dasselbe Bild wie bei aufrechter Stellung.
Nach 4 Stunden befindet sieh noch immer ein kleiner Teil der Speise irn Magen.
Nachuntersuchung am 11.8. 14. (Brief): Das Befinden «ist wohl seit
10 Jahren nicht so gut gewesen." Die Fat. verrichtet ihre gewöhnliche Arbeit,
verträgt aber keine Anstrengungen. Sie fühlt sieh «wie ein ganz anderer
.Mensch“, „ist nicht sonderlich nervös“. «Die Stimmung ist viel besser.“ Ge¬
wicht 60,4 kg brutto. «Die rechte Lunge, welche verdickt gewesen — es war
keine Luft hinunter gegangen —, ist nach der Operation beinahe gilt geworden.“
Gelinder Schwindel kommt zwischendurch vor: es stellt sich unbedeutende
Uebclkeii ein, wenn sie erschreckt oder aufgeregt wird. Keine Schmerzen im
Magen nach dem Essen. Aber, wenn sie geht nachdem sie sich satt gegessen,
fühlt sie an der linken Seite des Magens, als oh irgend etwas zu kurz wäre:
sie bekommt eine Art Stechen und es fällt ihr schwer, gerade zu gehen. Sie
isst jede beliebige Art Speise, ausser sehwerverdaulicben und fetten Sachen.
Obst. Kaffe und Tee. Der Stuhl ist regelmässig.
7. (Taf. X, Figg. 15 —16.) Verheiratete Frau, 68 Jahre. Magenbeschwerden
seit dem Alter von 20 Jahren, periodisch auftretend. Mitunter Schmerzen im
Bauche, meistens nach links: die Schmerzen wurden gelinder, wenn sie die
Kleider löste. Vor 2 1 2 Jahren ein Anfall von ulcusartigen Symptomen. Stuhl
in der Regel träge.
Stat. praes. 80. 5. 18: Mager: Druekempfindliehkeit links im Epigastrium.
'Weber negativ. Probefrühst iiek: keine Retention. Congo positiv, Totalaci¬
dität 50. Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Der Aktinophorbrci passierte
in normaler Weise nach dem unteren Magenpol, der bei 400 g Füllung unge¬
fähr 10 cm unter der Xabclebene gelegen war. Gute Verschieblichkeit dc>
Magens, sowohl wenn die Fat. den Bauch einzog als auch lud Ausübung von
Druck auf denselben. Sein* verstärkte Peristaltik, grosse, tiefe Ringwellen von
ganz oben am Corpus. Bei der Durchleuchtung und auf der Photographie sali
man eine scharfe Einziehung die ganze Zeit über auf der (Tirvatura major stehen
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ein Beitrag zur Gastroploscfragr.
241)
ungefähr in gleicher Höhe mit dom Brustkorbrandc. Diese Einziehung wurde
in allen Lagen der Pat. beobaehtet und liess sieh durch keinerlei Druckein-
wirkung verwischen. Normale Entleerung des Magcnsaekes. Aller Wahrschein¬
lichkeit nach liegt hier ein Ficus ventrieuli vor.
Operation am 31. 5. (Troell): Medianschnitt im Epigastriuin. Der
Magen bietet sieh sogleich in der Wunde dar und wird in seinem ganzen Ein¬
fang mit Leichtigkeit aus der Bauchwunde hervor emporgeholt. Weder in
seiner Wand noch in der des Duodenums können irgendwelche Veränderungen
palpiert werden, nicht einmal nach Eröffnung der Bursa omcntalis mit in die¬
selbe eingeführtem Finger. Das Lig. hcp.-gastr. in seinem pvlorisehen Teil papier-
diinn, häuteheuartig, in seinem eardialen Teil etwas dicker. Das Duodenum
ist nicht auffallend weit. Gallenblase und Appendix sehen normal aus. Das
Colon ist sehr beweglich. Der Bauch wird geschlossen.
Heilung p. pr. Die Pat. durfte am 10.3. aufstehen. Pmbefriihstiick-
un t ers uchung am 13.3.: Keine Retention: das erste Spülwasser nahezu klar,
neutral. Das Probcfriihstück gut. digeriert, unbedeutend schleimhaltig, für
Lackmus sauer; Congo und Giinzburg negativ. Totalacidität 30. Weber
negativ. Die Pat. fühlt bisweilen bei Bewegungen ein -Ziehen in der Gegend
der Narbe.“ Der Stuhl ist träge. Das Gewicht der Pat. 41).7 kg. Die Pat.
Dt offenbar sehr neurotisch (hat -kaltes Rieseln“ etc.)
Nachuntersuchung am 30. 3. 1914: Die Pat. fühlt sich unverhältnis¬
mässig besser als vor der Operation, verträgt aber keine harte Arbeit. Sie hat
keine Eebelkeil, kein Erbrochen und auch keine Schmerzen. Aufstossen und
dergl., sofern sie einigermaassen vorsichtig ist mit dem Essen. Sie sieht gesund
aus und hat etwas an Gewicht zugenommen. Rü n t gen u n t e rs uc h u n g
(Pr. Akerlund): Der Magen hat gewöhnliche Form und Grösse, zeigt keine
spastische Kontraktion oder verstärkte Peristaltik wie sie .in dem früheren
Rönlgengutachten erwähnt wurde. Der Magen besitzt gute Verschieblichkeit.
<h-r untere Pol befindet sieh in aufrechter Stellung S, in Rückenlage 3, in Bauch¬
lage 4 cm unterhalb des Nabels. Die Magenkontur überall scharf und eben.
S. (Taf. X, Figg. 17 —19.) Verheiratete Frau, 34 .fahre. X-Para. Vor
*20 -30 .fahren -.Magenentzündung". Vor 15 Jahren laut ärztlicher Aussage
Magenkatarrh. Hat die letzten Jahre Schmerzen gehabt und Gefühl von Auf-
sioNsen und Blähungen im Magen nach dem Essen. Der Stuhl träge.
Stal, praes. 5. S. 1913. Mager. Sehr dünne und schlaffe Bauchwand.
Begrenzte Druekempfindliehkeit etwas über dem Nabel. P robef rü hst iiek:
Rauminhalt des Magens 1400 ccm, keine Retention, keine Säure. Rü nt gen -
Untersuchung (Pr. Saul): Der Radiotorbrei passierte in normaler Weise in
den Magen hinunter, dessen unterer Pol bei 400 g Füllung in aufrechter Stel¬
lung 10 cm unterhalb der Nabelebene belegen war. Der Magen war gut ver¬
schiebbar, wenn man Druck auf denselben ausübte, dagegen minimal, wenn die
Pat. selbst den Magern einzog. In jeder Stellung der Pat. war während der
Durchleuchtung an der Curvatura major gleich unterhalb des Rippenrandes eine
scharfe Einziehung zu sehen, die sich nicht durch Druck verwischen licss.
Verstärkte Peristaltik. Das Duodenum mehr gefüllt als normal. Enbedeutcnde
Retention nach 4 Stunden. Wahrscheinlich liegt ein l’lcus vor.
Operation am 23. S. 1913 (Dr. O. Aleman): Medianschnilt im Epi-
gastrium. Der Magert bedeutend gesenkt, wird mit Leichtigkeit vor der Bauch-
wunde herausgeholt. Keine sichtbaren oder palpablen Veränderungen in der
Wand desselben, abgesehen von einem kaum haselnussgros>en, verschiebbaren,
gestielten Tumor, den man von der Innenwand ausgehend fühlt und der sich
<li>tal bis zum Pylorus und proximal 3—4 cm verschieben lässt. Die Wand
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
250
A. Trocll,
Digitized by
wird inzidirrt, der Tumor exstirpiYrt (mikroskopisch: chronisches (iranulations-
»rcwebe mit reichlichen Mengen eosinophiler Leukoeyten); die Wunde wird zu-
sammengeniilit. Ks wird (iastropexie nach Rovsing gemacht mit 3 Seiden¬
nähten in Serosa und Muscularis auf 1 ein Abstand von einander.
Die Rai. durfte am 9. 9. aufstehen. Die Fäden wurden am 1(3. 9. weg¬
genommen. Heilung p. pr. Am 23. 9: Die Pat. fühlt sich sehr viel besser.
Das Allgemeinbefinden ist gut, der Appetit ebenso, der Stuhl normal. Der
Bauch weich und unempfindlich. Doch bekommt sie schneidende Schmerzen
im Magen, nachdem sie gegessen hat. Sie fühlt sich ausserdem gebläht
und gespannt, welches Gefühl gleichwohl bald verschwindet, wenn sie eine
Weile umhergegangen ist. Zeitweilig fühlt sie bittern Geschmack im Munde.
Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Der Radiotorbrei sank unmittelbar nach
dem unteren Magenpol, der ungefähr 8 cm unterhalb der Xabelebene belegen
war. Der Magen äusserst wenig verschieblich. Es war keine Peristaltik während
der Durchleuchtung zu entdecken. Nach 4 Stunden Retention von ungefähr der
halben Speisemenge.
N ac h u n t e rs u c h u n g am b. 4. 1914 (Brief): Die Pat. hat sich nicht
wohl gefühlt nach der Operation. Nur die Tage vor Weihnachten hat sie etwas
leichtere Arbeit verrichten können. Sie hat „Schmerzen im Magen und Rücken"*,
fühlt Schmerzen nach dem K^en, hat aber kein Aufstosscn, l'ebelkeit oder
Erbrechen. Sie hat zweimal einen Arzt konsultiert und Medizin erhalten.
Eine epikritische Durchmusterung der hier mitgeteilten Krank¬
heitsfälle gewährt in rein klinischer Hinsicht nur geringe Klarheit.
In meinem zuvor erwähnten, auf schwedisch erschienenen Aufsatz
habe ich versucht, durch eine genaue Analyse der Kranken¬
geschichten das Bild eines Magenleidens herauszubekommen, das
klinisch und pathologisch-anatomisch einigermaassen typisch wäre;
jedoch vergebens. Das Ganze beschränkt sich darauf, dass
ich bei diesen Frauen — mit in der Regel gracilero
schmächtigem Körperbau, labilem Nervensystem und oft
einer nachweisbaren tiefen Lage eines oder mehrerer
Bauchorgane, einem retroflektierten Uterus oder dergl.,
einer „Asthenia universalis“, wenn man will — ein lang¬
wieriges, von den Patientinnen selbst zumeist als ernst
aufgefasstes Leiden, im wesentlichen von gastralgischer
Art und oft mit einem intermittenten Charakter, kon¬
statiert habe; objektiv ist eine sekretorische Verschlech¬
terung der Magenschleimhaut nachgewiesen worden, aber
nur ausnahmsweise etwas weiteres.
Die Patientinnen waren zumeist zart gebaut und hatten wenig entwickelte
Körperfülle:. mit Ausnahme von l'all 5 und K waren es sehr magere Individuen.
Die Fälle 1, 2 und t> waren hochgradig neurotisch, 4, 5 und 7 in geringerem
Masse, die Fälle .'1 und S schienen über ein einigermaassen stabiles Nerven¬
system zu verfügen. Keineswegs handelte es sieh vorwiegend um Frauen, die
den Kindruek machten, ihre Symptome stark zu übertreiben. Die Fälle 1, t>
und 7 gehörten eher dem Typus .stilles Gedulden“ an, der in der Gewissheit,
ein sehr schweres Leiden zu tragen, wenig Hoffnung liegt, jemals volle Gesund-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Ein Beit nur zur G ast rop tos ef rage.
251
lu*it wicderzuerlangen. Im übrigen dürften unter den Amraben der Kranken¬
geschichten besonders folgende Daten verdienen, hervorgehohen zu werden:
Uosta deeima flurtuans sin.bei Fall 1
sehmaler, langgestreckter Brustkorb ..... . 1. 2, 4 u. 6
selnnaler unterer Brustkorbteil.„ .5
gesenkte, bzvv. gesenkte und bewegliche Leber. . . 1, 5 u. S
gesenkte und hewegliehe Niere auf der einen
oder beiden Seiten.. .*>, 4. 5 u. 8
weites und bewegliches Coeeum.. .. 1 u. 4 \ o } -Befund
bewegliches, gesenktes Colon.. 3 u. 7 /
retreflektierter Uterus.« .4
Prolapsbesehwerden (nach einem Partus vor
26 Jahren).. . ö
Proetitis u. Sigmoiitis (jedoch nicht hochgradig) „ . 2.
Die subjektiven Symptome — die in einer Abwechslung und Mannig¬
faltigkeit vorkamen, welche an diejenigen bei Hetroflexio uteri erinnern —
deuteten in zwei Fällen (Nr. 1 und S) recht stark auf Ulcus, das sieh je¬
doch nicht objektiv naehweisen Hess. Sämtliche Patientinnen klagten mehr
oder weniger über Schmerzen, Aufstossen, Uebelkeit, Erbrechen usw.: Beklem¬
mungen. Herzklopfen, Schlaflosigkeit und dergl. waren keine ungewöhnliche Er¬
scheinungen.
Die Schmerzen wurden meistens nach der Herzgrube verlegt oder
ausserdem nach der linken oder rechten Seite des Bauches oder nach dem
Rücken zu. Bald wurden sie Tag und Nacht empfunden (Fall 3). bald ge¬
wöhnlich nur vormittags (Fall 4) oder am Tage, wenn die Patientin sieh be¬
wegte (Fall 7). Aber mit wenigen Ausnahmen wurden sie weder hervorgerufen
noch beeinflusst durch die Aufnahme von Speise. Bei den Fällen 2 und 8
stellten sie sieh gleich nach dem Essen ein, bei Pat. 7 kamen sie zuweilen
1—2 Stunden nach der Mahlzeit. Letztere Pat. war nebst Fall 3 die einzige,
welche die Schmerzen durch Aufnahme von Speise gelindert fühlte. Verbesserung
derselben durch Anwendung einer Leibbinde (Fall 5) oder durch Lockerung der
Kleider um die Taille (1. 6 und 7) wurde von einigen Patientinnen erwähnt.
Mehrere der Fälle bekundeten eine distinkt begrenzte Druckempfindliehkeit, in
der Regel einige Uentimeier oberhall) des Nabels und gleich links (Fall 1 und 7)
oder rechts (Fall 4) von der Mittellinie; hei Fall 2 wurde bei Röntgendurchleuchtung
konstatiert, dass der Sehmerzpunkt 2 em oberhalb der Pars horizontalis duodeni
lag (= Stelle des Ganglion solare?).
Das Erbrechen war niemals ein besonders hervortretendes Symptom.
Es wurde nicht als voluminös oder als Ketentionserbrechen beschrieben.
Ucberliaupt bestand es weniger aus Speiseresten als aus Schleim und Galle.
Wirkliches Blutbreelien sollte zu wiederholten Malen vorgekommen sein hei
Pat. 1, zweimal bei Pat. 7. Pat. 4 glaubte einmal in dem Erbrochenen «hell¬
rote. schlecht untermengte Streifen“ gesehen zu haben. Und bei Pat. 5 wurde
schwache Blutuntermengung im Spülwasser hei den beiden Magenspülungen be¬
obachtet. die im Krankenhause an den Tagen kurz vor der Operation vorge¬
nommen wurden.
Die Beschaffenheit des Stuhles war träge bei 5 Patientinnen, nor¬
mal bei 2 (Fall 4 und 5), häufig diarrhoiseh bei 1 (Fall 6j. Weber's Probe
fiel negativ aus bei jeder Untersuchung bei f> Patientinnen, war positiv den
dritten Tag des Krankenhausaufenthaltes bei Fall 3, dann aber negativ. Bei
Pat. 5 war sie bei zwei Gelegenheiten gleichfalls positiv, aber die diagnostische
Digitized by Gougle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
252
A. Trnrll,
Digitized by
B«*<l«*utunL r davon wird ja vollkommen aufgehoben durch di«* soeben mitir<‘teilte
Angabe von trelindcr Blutuntersuclium; bei Maironspülmu:*)•
Die objektiv«* F n t c rsuo h uns; der motorischen und s«‘krotorischeii Yer-
liiiltnisse des Mriimnsaekes erirab, dass der Mairen sieh normal entleerte ausser
in den Fällen o und 4. wo ein«* Andeutung von Retention vorlas;. Der Mairen-
saft wurde bei irewdlmlieher Pndiefrühst ii<*kmUersu«*hiini: uiurel'ähr normal bei
Ü Patientinnen (M, 0 und 7) gefunden. b(*i 4 (1. 4. 5 und S) entbehrte er Salz¬
säure: bei 2 (1 und 4} Iatr Milehsäurereaktiuii vor. Pat. »4 hatte .*> Jahre früher
vollkommen anariden Magensaft imliabt.
Von grossem Interesse sind die Befunde bei den Röntgen¬
untersuchungen, und zwar um so mehr, als sic — nebst dem.
was später bei den Laparotomien konstatiert wurde — die einzigen
Momente sind, die dazu berechtigen, wie es hier geschehen, die
Krankengeschichten zu einer einheitlichen (iruppe zusammenzustellen.
Die radiologischen Erscheinungen können beurteilt werden
teils aus den Angaben in dem bei der Röntgenuntersuchung ge¬
führten Protokoll, teils aus in einigen Fällen hergestellten Ortho-
Tabelle 1.
Dir Fair«* des unt«*ren Mairenpols im Verhältnis zum Nabel bei
Rüntireinlurohleu
eilt uni; (400 <; F
Ü 1 l ll 11 L r ).
ln
aufrechter Stelluni;
ln liegender .Stellunt:
bei
Nachuntersuchung
vor kurz nach
der Operation
bri Nach¬
untersuchung j
2
5 cm unt«*rlialb
«ler Xabelebene.
-
In «ler Xabel-
«* 1)0 ne.
Bei Rücken]atro 8,5 cm ober¬
halb der Xabeleben«*; l*»*i
Bauchlai;e 5,5 cm oberhalb
der Nabelebene.
Fine Handbreit
unterhalb der
Nabeleb«‘in*.
In der Xabel-
eb«*ne.
4 ein unterhalb
der Nabelebene.
4
10 cm unterhalb
«ler Xahelebcne.
-
5
10 ein unterhalb
der Nabel eb«*m*.
5 cm unterhalb
d«*r Xab«*lebem*.
-
<>
S cm unterhalb
der Nabelebene.
„ 1 loch L r el«*iren.“
-—
7
10 cm unterhalb
der Xabtdrbene.
S ein unterhalb
der Xabelebene.
Bei Rückenlage ö cm unter¬
halb der Nabelebene: bei
Bauchlaire 4 cm unterhalt'
der Nabelebene.
s
10 «*in unterhalb
«ler Xabeb*b<*n«\
S <*m unterhalb
«l«*r Xabelebene.
1) B«*i Fall 2 sollte im Lauf des Jahres vor der Operation bei einzelnen
(ieleirenhntrii Blut in «len Fäees naelnrewiesen sein.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Ein Beitrag zur Gastroptosefrage.
253
Tabelle II.
Magentopugrapbische Masse nach Orthodiagrammen in aufrechter
Stellung.
Fall
Lage des
Nabels im
Verhältnis zur 1
Lage der Curvatura major
im Verhältnis zur Höhe
der Crista il.
Länge des
Digestionssackes
Höhe der j
Crista il.
.bei 200 g
Füllung
bei 400 g
Füllung
bei 200 g
Füllung
bei 400 g
Füllung
2
(vor der Op.)
|
in der Höhe
der Crista il.
5 cm unter¬
halb
22,5 cm
(vor der Op.)
1 ein ober¬
halb
—
0.5 cm unter¬
halb
—
16,5 cm
3
(1 Jahr nach
der Op.)
2,5 cm ober¬
halb
1 cni unter¬
halb
1 ein unter¬
halb
20,5 cm
5
(vor der Op.)
— 1
1 cm unter¬
hall»
17,5 cm
6
(vor der Op.)
1,5 cm ober- i
halb
3 3 / 4 cm ober¬
halb
15 cm
diagraniraen, teils nacli den Originalröntgenogranmien. Ueber diese
sämtlichen Befunde habe ich tabellarische Aufstellungen gemacht
(s. Tabb. I—III). Die Werte in Tab. III (s. hinten) sind zwar nicht
absolut exakt in anatomischem Sinne, können aber als relative Masse
angewendet werden. Sie sind alle unter gleichwertigen Verhältnissen
erhalten worden und müssen demnach — unter Berücksichtigung
dass Fehlerquellen nicht gänzlich ausgeschlossen sind — unter¬
einander innerhalb gewisser Grenzen *) gut vergleichbar sein. Man
darf indessen nicht vergessen, dass die anatomische Lage des
Pylorus — hart an der hinteren Bauch wand und den Rücken¬
wirbeln — und der Curvatura major — näher der vorderen Bauch¬
wand und weiter hinunter im Bauche — bewirkt, dass die Pro¬
jektion des ersteren im Verhältnis zu angegebenen Orientierungs¬
punkten auf dem Röntgenbild sich weit mehr der wirklichen Lage
1) Die photographische Aufnahme ist — wie ich von Dr. Forssell er¬
fahren — in einem Antikathodenplattenabstand von ungefähr 60 ein erfolgt.
Die Ccntrierung ist, wie eine Durchmusterung der Röntge nogram me zeigt, durch¬
weg annähernd dieselbe gewesen. Man hat genau nach der Platte abgeblendet
und inmitten des Gesichtsfeldes centriert. Da es sieh stets um magere Individuen
gehandelt hat, kann der Abstand zwischen der Platte und dem Magen der be¬
treffenden Patientin nicht besonders stark gewechselt haben in den einzelnen
Fällen; er dürfte in der Regel etwa 5cm betragen haben. Mit Kenntnis hier¬
von erfolgt leicht die Ausrechnung der annähernd richtigen Masse für die Länge
des Digestionssackes, die ich in Tab. III nach der Formel: — = ausgeführt
a 60
habe: a bezeichnet hier das auf dem Radiogramm erhaltene Mass.
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
254
A. Troeil.
Digitized by
nähert, als die der letzteren 1 ). Der Wismutsehatten der Curvatura
major ist auf allen diesen Röntgenogrammen (s. Tab. III) tiefer
projiziert worden, als sie sich bei der Röntgenuntersuchung tat¬
sächlich befand. Wie tief sie in einem bestimmten Augenblick
während der Röntgendurchleuchtung realiter stand, darüber ge¬
währen die Orthodiagramme den exaktesten Aufschluss. Wünschens¬
wert wäre es gewesen, in allen Fällen • die Lage der Magenteile
im Verhältnis zu fixen Skelettteilen angeben zu können. Dies
würde einen offenbaren Vorzug bedingen vor Berechnungen, die
auf einen bei verschiedenem Ernährungszustand oder verschiedener
Gasfüllung in den Därmen so verschieden belegenen und bei
wechselnden Körperstellungen so veränderlichen Punkt, wie ihn der
Nabel darstellt, zurückzuführen sind. Ein Beispiel hierfür gewähren
die in Tab. II für Fall 3 angegebenen Masse von der Lage des
Nabels im Verhältnis zu dem höchsten Punkt der Hüftbeinkämme
vor und ein Jahr nach der Operation (1 resp. 2,5 cm oberhalb des¬
selben). Ich habe daher nach Möglichkeit gesucht, bestimmte
Skelettteile als Ausgangspunkt für meine Messungen anzuwenden,
um Ausgangswerte zu erhalten, die als Vergleichsmaterial für das¬
selbe oder, unter gewissen Umständen, auch für verschiedene In¬
dividuen verwendbar sein könnten.
Ueber die Grösse des Magens gibt der rein klinische Teil der
Krankengeschichten sehr wenig Aufschluss (beispielsweise, dass der
Rauminhalt bei Magenspülung in Fall 8 1400 ccm betrug). Die
Röntgenprotokolle sprechen von einem grossen und weiten Magen
für die Fälle 1, 3, 4 und 5; für Fall 4 wird die Länge auf 26 cm
berechnet. Eine an den Orthodiagrammen vorgenommene Messung
der grössten Länge des Digestionssackes in der Frontalebene —
von der Mitte der höchsten Wölbung des Fornix bis zum unteren
Pol 2 ) des Sinus — ergibt nach Tab. II als absolute Masse
1) Da der Pylorus und der benaehharte Teil der Wirbelsäule auf ungefähr
demselben Allst and sowohl von der Lieht quelle (der Kontoren rühre) als auch der
photographischen Platte liefen, wird dieser letzteren annähernd dieselbe Ver¬
schiebung durch die Projizierung der Strahlen zu teil sowohl für den Pylorus
als für die daneben liegenden Wirbel.
2) leb folge hier der von Forsscll vorgcschlagenen Terminologie, nach
welcher der Magensack in Fornix, Corpus, Sinus und Canalis aufgeteilt wird
und die drei ersten dieser Unterabteilungen zu einem „Digestionssack* zu¬
sammengefasst werden, zum Unterschiede von der vierten Abteilung, dem „Ent-
lecrungskanal.“ Hierüber siehe seine Arbeit : lädier die Beziehung der Rönigen-
bilder des menschlichen Magens zu seinem anatomischen Bau (Fortsehr. a. d. (ich.
d. Köntgenstrahlen. Erg.-Bd. 80. 19115). Den Unterschied zwischen einem oberen
„Reservoir* und Digestionsraume“ und einem unteren, wesentlich motorischen
Teil des Magensackes macht auch Moritz (.Studien über die motorische Tätigkeit
des Magens. — Zcitschr. f. Biologie, Bd. M2, Nr. 7, 14, 1895; Ueber die Funk¬
tionen des Magens. — Münch, med. Woeli. 1895, Nr. 48. Cit. .lahresk. für arztl.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ein I>ritrair zur (iastroptosefrage.
255
14,5—22,5 cm. Grösser sind natürlich die von den Röntgenogrammen
stammenden mehr relativen Masse (Tab. III). Von Interesse ist es,
an diesen letzteren die recht grosse Differenz zwischen den Werten
in aufrechter und liegender Stellung zu beachten. Bei der ersteren
Körperlage wurde für die Patientinnen 1, 2, 5 und 6 eine Länge
von resp. 25, 27, 27,5 und 27 cm, bei der letzteren Lage für die
Fälle 3, 4, 5, 6 und 8 resp. 14,6, 23,9, 20,6, 16,5 und 20,1 cm kon¬
statiert. In den Fällen 5 und 6 konnte der Unterschied in der
Länge des Wismutschattens bei den in Rede stehenden beiden Lagen
berechnet werden; sie betrug 6,9 resp. 10,5 cm.
Der untere Magenpol, d. h. der tiefste Punkt der Curvatura
major bei aufrechter Körperstellung, wurde durchgehends tief be¬
legen befunden. Bei der Röntgendurchleuchtung wurde er in der
Regel 5—10 cm unterhalb des Nabels 1 ) (Tab. I) gesehen und an
den Orthodiagrammen zumeist mehr oder weniger tief unterhalb der
höchsten Ebene der Hüftbeinkämrae (Tab. II, 4 Fälle); die Original¬
en tgenogram me zeigen die untere Begrenzung des Wismutschattens
tief hinunter in den Bauch projiziert (2 l / 4 —9 J / 4 cm unterhalb des
Niveaus der Hüftbein kämme, Tab. III). Ueber die Lage des Pylorus
lässt die Durchleuchtung für Fall 1 erkennen, dass sic in gleicher
Höhe mit dem Nabel war. Nach den Radiogrammen (Tab. III)
wurde der Mittelpunkt des Pylorus bei einer Patientin (Nr. 4)
unterhalb der Verbindungslinie zwischen den Cristae iliacac ge¬
funden, bei den übrigen sieben l 1 /,— 11 1 / 2 cm oberhalb derselben,
alles in aufrechter Stellung. Im Verhältnis zur Mittellinie des
Körpers wurde er in den Fällen 1, 3, 5 und 6 1—5 cm nach
rechts, in den Fällen 2, 4 und 8 2—3,5 cm nach links gesehen.
Er verschob sich, wenn die Patientin aus aufrechter in liegende
Stellung überging, 2—10 1 / 2 cm aufwärts (Fall 4, 5, 6, 8) und
2*/*—3y 2 cm nach rechts (Fall 5, 6, 8). — Der Magensack war
im Fall 8 gut verschiebbar bei Druck auf denselben von unten her,
dagegen minimal, wenn die Patientin selbst ihn cinzog. In
den übrigen sieben Fällen war die Beweglichkeit des Magensackes
bei diesen beiden Lageveränderungen gut. — Verstärkte Peristaltik
wurde bei allen Patientinnen konstatiert, bei fünf (Nr. 1, 4, 5, 6,7 >
Fortl>. 1^10, H. 3, S. 20). Siehe auch Schocmaker: Die motorische Funktion
des Malens. Centralbl. f. Chir. 1910. Xr. 31, S. 95.
1) Trotz der Einwände, die, wie ich vorstehend angedeutet, gegen die An¬
gabe von photographischen Massen im Verhältnis zum Nabel gemacht werden
können, habe ich mitunter mich derselben bedienen müssen. End zwar wesent¬
lich teils, weil sie für so gut w T ie alle Patienten vorhanden sein, teils, weil in
der einschlägigen Literatur der Nabel allgemein als Ausgangspunkt für die He-
stimmungen angegeben wird, um welche es sieh hier handelt. Bei mageren
Patienten — wie in meiner Kasuistik — wird ausserdem die radiographisehe
Verschiebung des Nabels unter verschiedenen Verhältnissen nicht so gross.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
256
A. Troell
Digitized by
wurden grosse Ringwellen beobachtet, beginnend ganz oben am
Corpus und auf den Pylorus zu gehend. Bei Fall 5 — einem
sehr langen Magen, der sich doch gut um die Speise kontrahierte —
traten während der Durchleuchtung deutliche regurgitierende Be¬
wegungen in der Duodenalwand auf. Die Patientinnen 3, 7 und 8
zeigten in allen Körperlagen eine während der ganzen Durch¬
leuchtung fortbestehende Einziehung an der Curvatura major, die
im ersten Falle an der Umbiegungsstellc zwischen, dem Längs- und
Quermagen und in den beiden letzten höher hinauf am Corpus be¬
legen war; diese Einziehung Hess sich durch keinerlei Druckein¬
wirkung verwischen. — Hochgradige motorische Insufficienz wurde
in keinem Fall nachgewiesen. Bei zwei Patientinnen (Nr. 4 und 8)
wurde jedoch 4 Stunden nach Verzehren der Röntgenmahlzeit ein
geringer Teil derselben noch im Magensack vorgefunden.
Von der vor der Operation gestellten Diagnose sei einiges hervorge-
liohen. Pat. 1 war besonders wegen der seit vielen Jahren und zuletzt vor 5
Monaten wiederholten Magenblutungen im Verdacht eines Ulcus ventriculi, und
zwar trotz der Achylia und obgleich das Röntgenbild nicht die Zeichen zeigte,
dir man bei einem chronischen I leus erwarten sollte. Nach der Operation hat
man vielleicht keine bessere Deutungsmöglichkeit für den Fall, als dass die
Angaben der Patientin von starkem Blutbrechen unrichtig sind 0: es wäre ja
eigentümlich, wenn ein Magoivuleus mit so ernsten Symptomen so lange be¬
stehen könnte, ohne irgendwelche bei der Autopsie zu entdeckende Anzeichen von
Peritonealreizung abzugeben. In Fall 2 wurde eine schwache Vermutung ge¬
hegt. dass ein I leus duodeni vorliegen könnte. Die Fälle 3, 7 und 8 wurden
als l’lcus aufgefasst, hauptsächlich wegen des bereits erwähnten röntgenolo¬
gischen Nachweises einer bei der Durchleuchtung nicht zu verwischenden Ein¬
ziehung an der Curvatura major. Und eine ähnliche Deutung schien für Fall
4, 5 und b berechtigt, in welchen, .gerade wie hoi Pat. 1 und 7, während der
Röntgenuntersuchung grosse Ringwellen bis ganz hinauf auf das Corpus auf¬
traten. Verdacht auf Cancer war nicht ganz ausgeschlossen in drei Fällen,
teils infolge des Alters der Patientinnen (4b—47 Jahre), teils weil sieh in zwei
derselben (Fall 3 und 4) eine geringe motorische Insufficienz zu erkennen gab
und bei einem (Fall 5) während der Magenspülung etwas frisches Blut herauf-
kam. Die Anacidität (Fall 1. 4. 5, 8) resp. der normale Säuregehalt (Fall 3, b. 7)
des Magensaftes gewährte nicht viel Stütze für eine Ficusdiagnose 1 2 ). Für
1) Ich habe versucht, von dem Lazarett in Falköping, wo Pat. während
ihrer ersten Ficusattacke vor 10 Jahren behandelt zu sein behauptet. Auskünfte
über ihren damaligen Zustand zu erhalten. 'Protz sorgfältigen Suehens in den
dortigen Krankenjournalen während mehrerer Jahre sowohl vor als nach dem
von der Pat. angegebenen Jahre (1903) hat indessen der betreffende Arzt —
Dr. A. Hern er sie dort nicht als Patientin aufgenommen finden können.
2) Es sei - als eine Illustration für den Wert von den Resultaten der
üblichen Magensaftuntersuchungen — bemerkt, dass bei Pat. 7 vor der Operation
die Totalacidität 50 und die Menge freier Salzsäure 15 konstatiert wurde, aber
zwei Wochen nach der Probelaparotomie die entsprechenden Zahlen 30 resp. 0
wurden. Pat. 3. die kurz vor der Operation die Aciditätswerte 40 und 24
halle, war drei Jahre zuvor im Krankenhause im Besitz vollständig säurefreien
Magensaftes befunden worden.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kill Beitrag zur (iastroptosefrage.
257
mehrere Fälle (z. B. 2, G, 7) wurde der Gesichtspunkt bestimmend, dass ihr
langjähriges Leiden und der eigene Wunsch nach Gewissheit betreffs der Art
der Krankheit zu einer Laparotomie mit explnrativem Zweck zu berechtigen
schien, da eine sichere Diagnose nicht vor dem Eingriff gestellt werden konnte.
Zur Beleuchtung der diagnostischen Unklarheit der Fälle sei schliesslich er¬
wähnt. dass mehrere derselben früher wegen anderer Bauehleiden ärztlich be¬
handelt waren, deren Diagnose offenbar nicht allzu exakt gewesen war. Fall 1
hatte z. B. vor 4 Jahren .Blinddarmentzündung" und hatte seitdem beständig
Sensationen davon verspürt. Bei Fat. 2 wurde im Jahre 1911 eine geschrumpfte
Appendix entfernt. l’nil Fall 3 und S wurden vor 4 resp. 15 Jahren wegen
Magenkatarrh behandelt.
Was die differentialdiagnostische Bedeutung der klini¬
schen und röntgenologischen Einzelheiten anbelangt, so ist von den
ersteren nicht viel zu sagen.
Die schwache Beimengung von Blut zum Spülwasser
bei Magenspülung, die in Fall 5 vorkam, kann nicht viel zu be¬
deuten haben. Fleiner 1 ) erklärt eine solche als die Folge von
frischen Schlcimhautläsionen durch die Magensonde und nur „unter
Umständen“ als von Ulcus oder Cancer herstammend. — Wie das
bei einigen Patientinnen (Nr. 1, 7 und 4?) erwähnte Blutbre<;hen
beurteilt werden soll, ist schwer zu entscheiden. Sonst müsste
seine dilTerentialdiagnostische Wichtigkeit gross sein, da es natür¬
lich einen weit höheren objektiven Wert hat, als z. B. schwer zu
kontrollierende Angaben über Schmerzen. Nach Rovsing 2 ) sind
Hämatemesen keineswegs selten bei Gastroptose.
Und sie sind, fügt er hinzu, „nicht ganz selten hei solchen Gastroptosen,
wo bei der Operation keine Uleera nachgewiesen werden konnten. Solche liä-
mateniesen beruhen wahrscheinlich auf Stasc und Schwellung der Schleimhaut
an den Stellen, wo die Magenwand eingebuchtet ist. Es sei in Erinnerung ge¬
bracht, dass die grossen Gefässe an der kleinen Kurvatur durch die Faltung
gleichsam geknickt und komprimiert werden, wodurch speziell der Abfluss des
Vonenblutcs erschwert wird. Und es ist begreiflich, dass leicht Blutung ent¬
steht an der venös-hyperämischen, geschwollenen Schleimhaut, die den durch
die Faltung gebildeten Vorsprung im Magen bekleidet, namentlich bei Durch¬
gang und Digestion festerer Speiseteile. Aber ich habe ferner in einer Reihe
von Fällen naehweisen können, dass solche Kleinläsionen zuweilen zu l leera
werden, die stark vom Ulcus rolundum-Typus abweichen, indem sie nicht
kraterfonnig sind, meistens nur Substanzverluste in der Schleimhaut bilden,
und endlich dadurch charakterisiert sind, dass sie stets an dieser vorspringen¬
den, fixierten Falte, in den typischen Knickstellen sitzen : in der kleinen Kur¬
vatur, am Uebcrgang zwisehem dem Cardiatcil und dom Corpus ventrieuli, und
jenseits des Pylorus am medialen Rand des Ligamentum hepatieoduodenale."
Diese Auffassung mag richtig sein, völlig befriedigende Gründe für dieselbe
scheinen mir noch nicht vorgebracht zu sein, ln der Gastroptosekasuistik
Rovsing's — 163 Fälle - - habe ich 22 Fälle ausfindig machen können, wo
1) Fleiner, Morphologie und Physiologie des Magens. Jahresk. f. ärztl.
Fortbildung. 1910. fl. 3. S. 32.
2) S. 49 und 54 nebst den Tabellen in Rovsing*s Arbeit vom .fahre 1913.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
258
A. Troel 1.
Digitized by
die Anamnese von einem oder mehreren, zuweilen unbedeutenden Blutbreehen
spricht 1 )- Da diese Frage nicht ohne Interesse ist, gebe ich aus Rovsings
Tabellen die sämtlichen von ihm mitgeteilten diesbezüglichen Details wieder.
Fall 2. Mehrmals Blutbrechen. Bei der Operation keine Flcuszeichoii
(Hosp.-tid. 1899. S. 8*55).
Fall 7: Hämatemese vor 6, 3 und 1 Jahre. Bei der Operation keine
Zeichen von Ficus, aber bedeutende Pyloroptose. Vorübergehende Besserung.
Nach gut 2 Jahren eine neue Hämatemese. Bei erneuter Operation wurde ein
Ficus am Pylorus gefunden.
Fall 14. Blutbrechen vor 35 und 8 Jahren. Bei der Operation „eine
Narbe auf den Cardiateil zu.“
Fall 25. „Hämatemese und Meläna.“ Freie HCl 33, Totalacidität GS.
„Verdickung an der Curv. min. Ficus zweifelhaft.“
Fall 28. 37jährige Frau, die vor 14 Jahren kleine Hämatcmesen gehabt
hatte. „Pylorus hart, sehr fibrös.“
Fall 4G. 29jährige Frau. Zwei Hämatcmesen. Bei der Operation kein
Zeichen von Ficus.
Fall 51. Zwei Hämatcmesen. HCl 10—G2, Ta 28--81. Bei der Operation
kein Zeichen von Ficus.
Fall 59. Vor 5 Jahren plötzliches Blutbrechen. 1IC1 18, Ta GO. „Es
scheint der Anfang eines Sanduhrmagens zu sein. Am Boden der Falte wird
eine kPfennig grosse, infiltrierte, harte Partie gefühlt (Narben nach Ficus?).“
Fall G8. 21jährige Frau mit Blutbreehen vor ca. 4 Jahren. HCl 25—45,
Ta 25—75. Kein Zeichen von Ficus bei der Operation.
Fall 84. 2Gjährige Frau. Blutbrechen 2 mal. HCl 0, Ta 18. Bei der
Operation kein Zeichen von Ficus. Fortschreitende Lungentuberkulose.
Fall 89. „Eine Hämatemese vor 4 Jahren: sonst nie. 4 * HCl 20, Ta 00.
Adhärenzen nebst „einem markstückgrossen Ficus nahe dem Pylorus und eines
an der Mitte der Curv. min.“
Fall 90. 53jährige Frau. Einmal Blut brechen vor einem Jahre. HCl 41.
Ta 73. Sanduhrmagen, kein Zeichen von Ficus, der Pylorus durchgängig.
Fall 91. 31jährige Frau mit Hämatcmesen vor 9, 7 und 2 Jahren.
HCl 54, Ta 90. „Die Curv. min. ist ungefähr in der Mitte gefaltet, auch ist hier
eine beginnende Zusammenwachsung der Serosaflächen vorhanden (beginnender
Sanduhrmagen). Kein Zeichen von Flceration.“
Fall 94. „Hämatemese und Meläna einmal.“ HCl 20, Ta 40. Adhärenzen
zwischen Pylorus und Duodenum auf der einen, Leber und Gal len blase auf der
anderen Seite.
Fall 109. „Mit vielen Jahren Zwischenraum einzelne Hämatcmesen.“
HCl 23, Ta 0G. Ficus wird nicht nachgewiesen. Bei Gastroskopie normale
Schleimhaut. „Starker Faltungsknick mit fibröser Veränderung des Peritoneums
am Febergang des cardialen Teiles zu dem Corpus.“ Zwei Jahre nach der
Operation ist notiert, dass Patient besser ist, aber einmal Blutbreehen gehabt
hat „(Ficus?)“.
Fall 114. 51 jähriger Mann mit „leichter llämatemcsis“ vor 10 Jahren.
HCl 15. Ta G5. Operation: „ - — — der Magen ist etwas lose — —
Der Pylorus ist durchgängig. Kein Ficus im Magen oder Duodenum nach-
1) In einer kleineren Anzahl anderer Fälle berichteten die Operations-
Protokolle über Ficus, oberflächlichen Substanzverlust in der Magenschleimhaut
oder dcrgl.. entbehrten aber einer Angabe über vorhergehendes Blutbreehen.
Diese Fälle hier wiederzugeben, schien mir nicht angebracht.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ein Beitrag zur Gasiroptosefrage.
259
weisbar.“ Tod nach 10 Taigen. Sektion: „Ule. rotund. vontriculi ad curv. min.
Cicatrix curv. min. l'lcus rotund. duodeni.“
Fall 115. 36 jährige Frau. * Ein einzelnes Mal unbedeutende Hämaiemesis;
niemals Meläna." HCl 38, Ta SO. Kein Zeichen von L'lcus.
Fall 123. 36jährige Frau mit einem Blutbrechen vor 16 Jahren. I1CI 30,
Ta 69. Der Pylorustcil hat verdicktes, fibröses Peritoneum, gewährt zwischen
den palpierenden Fingern den Eindruck von Infiltration; der Zeigefinger kann
nicht durch den Pvlorus passieren. Bei Gastroskopie ist kein l'lcus zu sehen.
Fall 134. 28jährige Frau. Wiederholte Hämatemesen. Kein Zeichen von
l’lcus. Möglicherweise etwas Hypaeidität.
Fall 136. 30jährige Frau mit einem einzigen grossen Blutbrechen vor
ca. 11 .fahren. Freie HCl, Ta 85. Auf dem Febcrgang zwischen dem Cardiateil
und dem Corpus eine talergrosse Wunde, adhärent an Leber und Pankreas;
wird exeidiert.
Fall 147. .Eine einzelne Hämatemesis.“ HCl 9. Ta 40. „Im Fundusteil
findet sich eine 5 pfenniggrosse Narbe, am Febergang zwischen der Pars eard.
und der kleinen Kurvatur ein typisches Gastroptoseulcus“ (Resektion und Pexie
wird gemacht).
Fall 159. 22jährige Frau. Hämalemcse im Alter von 7 Jahren. HCl 52,
Ta 71. im Operations-Bericht ist nichts über l’leera oder Narben erwähnt.
Eine Zusammenstellung dieser Angaben zeigt, dass man bei 9 der Patienten
bei der Operation deutliche l'lcera oder solche Veränderungen in der Magenwand
fand, dass l'lcus — meines Erachtens - nicht sicher ausgeschlossen werden
kann. Von den übrigen zeigten 4 folgende anatomischen Veränderungen: Sand¬
uhrmagen (Fall 90, 91), Peritonealadhärenzen (Fall 94) und „starken Faltungs¬
knick mit fibröser Veränderung des Peritoneums am l'ebergang zwischen dem
cardialen Teil und dem Corpus“ [Fall 109 0]. Noch 4 andere Patienten hatten
hohen Säure-, resp. Salzsäuregehalt im Magensaft. End bei einem endlich, bei
dem operativ ein nicht fixierter Magensack ohne Ficus oder Pvlorusvercngerung
konstatiert war, wurde bei der Autopsie post mortem 10 Tage später ein Ficus
rotund um sowohl im Magen als im Duodenum und eine Narbe in der
Curvatura minor vorgefunden. Ein einziger solcher Fall erfordert die allergrösste
Beachtung, wenn es gilt, die Zuverlässigkeit eines in Bezug auf l'lcus negativen
Operatiousfundes zu beurteilen — und zwar nicht nur gegenüber dieser hier
diskutierten Frage, sondern auch als ein starkes Plus für die röntgenologische
Flcusdiagnostik: ich kann nicht umhin, dieses hervorzuheben, da ich auch aus
eigener Erfahrung weiss. wie geneigt der Chirurg ist, auf Grund eines für
Inspektion und Palpation negativen Operationsbefundes das Vorkommen einer
Magenwunde kategorisch auszusehHessen, das der Röntgenologe zuvor wegen z. B.
einer spastischen Kontraktion diagnostiziert hatte. Mit dem. was ich im übrigen
ange/.ogen habe, glaube ich gezeigt zu haben, dass es notwendig ist. nur mit
Vorsicht Blutbrechen bei Gastroptosepatienten generell als von „Stasc und
Schwellung in der Sehleimhaut“ althängig zu deuten. Es wäre wünschenswert.,
dass wenigstens eine positive anatomische Beobachtung als Stütze dafür angeführt
werden könnte. Aber, soweit ich gefunden, fehlt es noch an einer solchen.
Rovsing erwähnt keine, obgleich er im Anschluss an die Operation verschiedener
Gastropexiefälle Gastroskopie gemacht hat. Einmal (Fall 126 in seinen Tabellen)
fand er „die Duodenalschleimhaut dem Pvlorus zunächst etwas injiziert, aber
ohne l’lcus", das ist sein diesbezüglicher positivster Befund, sonst wird die
1) Von dieser Patientin wurde 2 Jahre nach der Operation ermittelt,
dass sie zwar gebessert war, aber dass sie von neuem ein Blut brechen gehabt
hatte, das den Verdacht auf Ficus veranlasst hatte.
Archiv für kliu- Chirurgie. Bei. 107. Heft‘J.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
260
A. Troeli,
Digitized by
Schleimhaut als normal, ohne Anmerkung oder derirl. beschrieben. — Bei der
vorstehend wiedenroirebcnen Aeusscrung Rovsings von der Neigung zur Ent¬
stehung charakteristischer l'lcera an gewissen Stellen in ptotisehen Mägen, habe
ich hier keine Veranlassung länger zu verweilen. Eine detailliertere Ausführung
von der Theorie als die oben zitierte Meinung habe ich in seiner Arbeit nicht
gefunden.
Ich komme zurück auf die Diskussion über die Röntgen¬
befunde in meinen Fällen. Meine nächste Aufgabe wird dann
ein Versuch des Auseinandersetzens sein, was in den einzelnen
Fällen in das Gebiet der normalen Variationen gehört und was
eventuell als pathologisch anzusehen ist. Hierbei zwingt die Natur
der Fälle in erster Linie dazu, die Topographie des Magensackes
ins Auge zu fassen. Was diese anbelangt, so gewährt — ich finde
es ganz klar dargelegt — die Röntgenuntersuchung die besten und
zuverlässigsten Aufschlüsse. Ein Studium der Literatur ist keines¬
wegs geeignet die Ueberzeugung zu geben, dass andere vorge¬
schlagene Methoden besser sein sollten, im Gegenteil; neben Luft¬
einblasung und Friktionsauskultation erwähne ich hier nebenbei
elektrische Durchleuchtung des Magensackes, Gastrodiaphanie, Fluoro-
skopie, Bestimmung der Form des Leichenmagens nach vorher¬
gehender Füllung mit Gips durch den Oesophagus 1 )- Denen gegen¬
über, die nicht geneigt sind, die auf dem Röntgenbilde hervortretende
Magenform als mit der bei der Aufnahme gewöhnlicher Speise vor¬
handenen übereinstimmend aufzufassen, will ich nur folgende Worte
von Sahli 2 ) anführen: „Dagegen ist die percussorische Bestimmung
der Magengrenzen bei Wasser- und Nahrungsfüllung in Parallele
mit dem Wismutröntgenbilde zu setzen und gibt demgemäss, wie
ich mich überzeugt habe, in geeigneten Fällen auch entsprechende
Resultate.“ Diese Worte von einem Nicht-Röntgenologen können
schwerlich als a priori parteinehmend zu Gunsten der radiologischen
Untersuchungsmethode ausgelegt werden und doch stellen sie diese
den anderen klinischen Untersuchungsmethoden eher voran als nach.
Die Behauptung, dass die Radiographie und die Radioskopie, dank
einer toxischen Einwirkung des Metallsalzes in der Röntgcnmahl-
zeit auf die Magenwand, das Bild eines Kunstproduktes abgeben
sollte, muss als widerlegt angesehen werden. Es ist — u. a. von
Kuhn Faber 3 ) — gezeigt, dass jeder für die Röntgenstrahlen
1) Ewald, Magen Verlagerungen (Eulenburg's Realencvklopädie. 1910.
Bd. 9. S. 3S, mit Literaturangaben); Burekhardt, Splanehnoptose (Ergehn, d.
Chir. u. Orthop. von Payr u. Küitner. 1912. Bd. 4. S. 335, mit Literatur-
angaben): Kovsinir, (iastro-rolopto.se (1913), und Batujew, Die Varietäten der
Form des mensehlichen Malens (Kusski Wratsch. 1913. Nr. 27, 2S; ref. Centralbl.
f. C hir. 1913. Nr. 40. S. 1571).
2) Sahli, Klinische Untersucliungsmethoden. 1913. S. 552.
3) Kulm Faber, Küntgenundersiigelser af Ventrikeln. — Nord. Tidsskr.
f. Ter. 1911-1912. Bd. 10. S. 203.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ein Beitrag zur (iastroji tose frage.
261
undurchdringliche Stoff, der einer Mahlzeit beigemischt werden kann,
sogar Milch allein (Grödel) oder andere gewöhnliche Getränke
[Kästle 1 )], denselben Kontraktionszustand des Magens herbeiführt;
und dieser Zustand stimmt, was sowohl den Tonus als die Peristaltik
anbelangt, genau mit den Beobachtungen bei zahlreichen Tier¬
versuchen überein. Forssell hat bei wiederholten Gelegenheiten
mit Nachdruck denselben Standpunkt geltend gemacht. Ich ver¬
weise betreffs früherer und späterer diesbezüglicher Untersuchungen
auf seine Arbeiten 2 ).
Die in meinen Fällen ausgeführten Röntgenuntersuchungen
geben Aufschluss über Grösse und Lage des Magensackes in ver¬
schiedenen Körperstellungen, seine Beweglichkeit und seine Motilität.
Was zunächst die absolute Länge des Digestionssackes
— orthodiographisch auf zwischen 14,5 und 22,5 cm in aufrechter
Stellung in einigen Fällen gemessen — anbelangt, so kann diese
keineswegs besonders hoch genannt werden. Die orthodiagraphischen
Messungen Forssell’s 3 ) an fünf gesunden Frauen ergaben als
Mittelwert 25 cm, Grödel’s 4 ) Durchschnittsresultat war 22 cm
(sein niedrigstes und höchstes Mass 17 resp. 29 cm). Höher sind
meine entsprechenden, mehr relativen Masse: 25—27,5 cm in auf¬
rechter Stellung für einige Fälle und 14,6—23,9 cm in liegender
Stellung für einige. Die 6,9 resp. 10,5 cm grössere Länge des
Wismutschattens in aufrechter als in liegender Körperstellung bei
zwei Patienten ist auch recht beträchtlich. Eine der gesunden
Frauen Forssell’s 5 ) zeigte eine Längendifferenz von 8 cm in den
Massen der aufrechten und der liegenden Körperstellung, eine andere
nur 1,5 cm. Auf die Erklärung dieser Verlängerung des Magen¬
sackes komme ich weiter unten zurück. Bei der Beurteilung der
Lage und Beweglichkeit des Magens gehe ich von der Lage des
unteren Magenpols und des Pylorus in verschiedenen Körper¬
stellungen aus. Der untere Magenpol befand sich in der Regel
so tief wie 5—10 cm unterhalb der Nabelebcne in aufrechter
Stellung, nach einem Orthodiagramm 5 cm unterhalb des höchsten
1) Kästle. Münchener med. Wochenschr. 1910. 8. 1837.
2) Vcrhandl. der 9. Sitzung des Nord. chir. Vereins in Stockholm. 1911.
8. 162. Yentrikelrörclserna hos människan (Nord. med. Ark. 1911. Festschrift
für J. Berg. Nr. 36. S. 11; Ueber die Beziehungen usw. 1913. 8. 99, 121 ff.).
Betreffs sowohl der anatomischen Untersuchungen Erik Müllers, «Tonnesco's-
u. a., als auch der radiologischen GrödeTs u. a. vor Forssell wie auch
sonstiger einschlägiger Literatur wird auf die jüngste Arbeit dieses letzteren
verwiesen.
3) Forssell, Die Beziehungen usw. 1913. 8. 234, 102.
4) Grödel. Deutsches Areh. f. klin. Med. 1907. Bd. 90. 8. 441. (CiL
Forssell. 1913. 8.234.
5) Forssell, Die Beziehungen usw. 1913. S. 234, 102.
IS*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
A. T r o Hl.
Digitized by
262
Punktes der Crista iliaca. Diese — ebenso wie die von den
Röntgeno^rammen stammenden mehr approximativen — Werte
erscheinen jedoch vor der röntgenologischen Erfahrung weniger
frappant. Nach Forssell 1 2 * 4 ) sieht man „unaufhörlich . . . Personen
mit weiter ßrustapertur, deren Magen keineswegs hoch steht.“
Als Beispiel führt er einen jungen, gesunden Gymnasien an mit
S>6 cm weitem Brustkorb, dessen unterer Magenpol sich in auf¬
rechter Stellung 6,5 cm unterhalb der Cristae oss. ilei befand:
durchgehends fand er die Lage des unteren Magenpols bei mageren
Individuen relativ tief im Verhältnis zur Lage desselben bei wohl¬
genährten Personen. Von der Lage und den Lagevariationen
des Pylorus gilt im Prinzip dasselbe. In Fall 1 sah man den
Pylorus bei der Durchleuchtung gerade vor dem Nabel. Nach den
Radiogrammen — siehe die Reproduktionen — lag er im allge¬
meinen gerade vor dem III., IV. oder sogar V. Lendenwirbel, aus¬
nahmsweise so hoch wie bei II. Ebenso oft lag er einen oder ein
paar Centimeter rechts oder links von der Mittellinie des Körpers. Er
verschob sich recht bedeutend, wenn der Patient aus aufrechter in
liegende Stellung überging (2— 10 l j 2 cm in der Richtung aufwärts
in einigen Fällen und *2 l / 4 —3’/ 2 cm in der Richtung nach rechts
in einigen). Sowohl anatomische als röntgenologische Untersuchungen
haben indessen gezeigt, dass der Pylorus physiologisch eine recht
bedeutende Beweglichkeit sowohl in vertikaler als in horizontaler
Richtung besitzt. Die Gegend gerade vor dem I. Lendenwirbel wird
meistens als die typische Lage des Pylorus bei horizontaler Körper¬
stellung angegeben. Braune-), His :! ) n. a. haben gezeigt, dass
der Pylorus, bei leerem Magen eine Lage in der Mittellinie des
Körpers — in liegender Stellung — einnehmend, sich bei gefülltem
Magen sogar bis zu 7 cm nach rechts verschiebt. Forssell'sL
Beobachtungen licssen schliessen, dass der Pylorus bei normal ge¬
bauten, gesunden Menschen bei l’ebergang aus Rückenlage in auf¬
rechte Stellung 4—8 cm sinken kann. Bei Personen mit geringer
Entwicklung des Mesenterialfettes ist diese Beobachtung Regel
— so in meinen sämtlichen Fällen —, bei reichlicher Adipositas
ist die Verschieblichkeit weit geringer. Die Ursache liegt ira we¬
sentlichen in einer röntgenologisch wahrnehmbaren Senkung der
Leber bei der gedachten Veränderung der Körperstellung (Fors¬
sell), die anatomische Bedingung liegt in dem muskulären Auf-
1) FnrssHl. IYImt dir l>rzirhim«;rn rtr. 191#. S. 242.
2) B r n, u n r. Aivli. f. Hrilk. 1S74. ( i(. FnrssHl. 191#. S. 230.
# II i s, Arrli. f. Anal. u. IMivs. Anat. Aid. 190#. S. #4j. (Zit. ForssrlL
191#. S. 2#0.
4) FnrssHl. I>i«* Br/.irhunirm rtr. 191#. S. 2##.
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
Ein Beitrag zur (iastropiospfrairc.
263
hängungsapparat des Duodenums (durch Dissektionen ermittelt von
Treitz 1 )]-
Alles dies — die Länge des Digestionssackes bei verschiedenen
Körperlagen, die Lage der Curvatura major und die des Pylorus
bei aufrechter Stellung und in horizontaler Lage — ist nicht ohne
weiteres als pathologisch aufzufassen, sondern muss u. a. von der
Tatsache aus beurteilt werden, dass der Magen, wie es Forssell 2 }
ausdrückt, „durch eine Serie anatomischer Vorrichtungen seine
cranio-caudale Höhe zu vergrössern vermag und dass diese Yer-
grösserung hauptsächlich nicht durch eine Dehnung der relaxierten
Wand, sondern durch eine Stellungsveränderung der Magenteile ge¬
schieht“. Es lässt sich röntgenologisch feststellen, dass die Ver¬
längerung desMagens bei Veränderung derKörperstellungvon liegender
in aufrechte teils von einer eintretenden Vertikalstellung der Pars
superior duodeni, teils von einer Verschiebung des Pylorus nach
links (= einer Verkleinerung des Magenwinkels) herrührt, wodurch
sowohl der Digestionssack als auch der Entleerungskanal eine mehr
vertikale Richtung erhält [Forssell 2 )]. Die Forschung hat mehr
und mehr das Irrige darin dargelegt den Magensack als ein in
Ligamenten aufgehängtes, hohles, sackförmiges Organ von bestimmter
Form und Grösse aufzufassen. Man ist — mit voller Berechtigung,
soweit ich finden kann — dazu übergegangen, nur in dem Sinne
den Ligamenten eine mechanische Bedeutung beizumessen, als sie
regulierend wirken, wie Zügel [Quincke, Schwerdt, Meltzing 3 )],
welche nach Bedarf „den Magen .... an den Platz erinnern, der
ihm in der Bauchhöhle zugewiesen ist“. „Eine Grösse des Magens
gibt es sozusagen nicht; sie ist eine Funktion der Füllung“
[Holzknecht 4 5 )]. Die Form unterliegt bedeutenden physiologischen
Schwankungen, gerechnet sowohl unter verschiedenen Individuen
als auch in bezug auf verschiedene Funktionszustände bei einem und
demselben Individuum 3 ). Sowohl Form als Lage variieren bei den
1) Treitz, l ? ebor einen neuen Muskel am Duodenum des Mensehen. —
Vierteljahrssehr. f. d. prakt. Hcilk. 1853. Bd. I. Cit. Forssell. 1913. S. 232.
2) Forssell, Uehcr die Beziehungen etc. 1913. S. 240, 238.
3) Quincke, Th er. d. Gegenw. 1905. N. F. V. 7,3-10. Schwerdt,
Deutsch, med. Woch. 1896. S. 53, 73 u. 87. Meltzing, Areh. f. Yerdauungskr.
1S9S. 4, 181 (eit. Burckhardt: Splanchnoptose. — Payr und Küttner's
Ergehn, d. Chir. und Orthop. 1912. Bd. 4. S. 305).
4) Holzknecht, Der gegenwärtige Stand der Röntgenuntersuchungen des
Magens etc. W iener med. W ochensehr. 1913. S. 1966.
5) Vergl. Simmonds, lieber Form und Lage des Magens unter normalen
und abnormen Bedingungen. 1907; Froriep, Verhandl. d. Gesellseh. deutscher
Naturforscher u. Aerzte. Med. Abteilungen. 1907. T. II., H. II. (Fit. Forssell,
Yentrikelrörelserna hos människan. Nord. med. Ark. 1911. 1. Nr. 36. S. 7);
De la Camp, Münchener med. AV’oehenschr. 1910. S. 1913: Forssell. Feber
die Beziehungen usw. 1913.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
264 A. Trocll,
verschiedenen Kontraktionszuständen des Magens und unter dem
Einfluss des Füllungsgrades und der Volumenverhältnisse benach¬
barter Organe. Und das Vorkommen von Individuen mit tief unten
im Bauche liegender unterer Magengrenze, aber ohne irgendwelche
Beschwerden von den Bauchorganen schliesst jede Berechtigung
aus, eine Senkung des Magens oder nur des Pylorusteiles desselben
generell als pathologisch zu bezeichnen. Es kann kein Sinn darin
liegen, ohne zwingende Gründe solche pathologisch-anatomische
Begriffe zu lancieren, nach welchen 3 / i von allen Mägen abnorm
sein würden [Forssell 1 )]; man muss das Unwahrscheinliche in
Hypothesen sehen, die zu einer solchen Aeusserung führen wie die¬
jenige Grödel’s: „Ueberhaupt dürften höchstens 50 pCt. der raagen¬
gesunden Frauen einen ganz normalen Magen besitzen“ 2 ).
Diese Gesichtspunkte mögen in grösserem oder geringerem
Masse zuvor betont sein, sie verdienen nichtsdestoweniger von
neuem hervorgehoben zu werden. Und berechtigt ist es auch
hinzuzufügen, dass nicht einmal diejenigen, die mit der Gastroptose
als einem klinischen Krankheitsbegriff rechnen, bisher eine auch
nur annähernd übereinstimmende Definition für dieselbe haben ab¬
geben können. De Quervain 3 ) fordert, um die Diagnose Ptosc
stellen zu können, dass die Curvatura minor bei leichter Aufblasung
„abnorm tief“ stehen soll. Rovsing 4 ) betont an einer Stelle in
seiner Monographie die Lage der kleinen Kurvatur als von ent¬
scheidender Bedeutung für die Diagnose, äussert sich aber nirgendwo
in derselben — soweit ich habe finden können — darüber, wie tief
die Lage sein soll um pathologisch genannt zu werden. Und
Knud Faber 5 ), der klinisch und röntgenologisch das Thema ein¬
gehend studiert hat, betrachtet die Mägen als „sicher abnorm ....
gelagert“, deren kleine Kurvatur bis einen oder mehrere Centimeter
unterhalb des Nabels reicht. Unsere diesbezüglichen Kenntnisse
sind offenbar noch sehr unvollkommen. Sie berechtigen uns nicht
zu weitergehenden gemeingültigen Aeusserungen als was z. ß.
Flciner 0 ) so formuliert: ein pathologischer Zustand des Magen¬
sackes beginnt erst mit einer Funktionsstörung.
1) Forsscll. Leber die Beziehungen usw. 1913. S. 226: VIII. nord. Komrr.
f. inv. Med. Lund 1913.
2) Cit. Forssell, lieber die Beziehungen usw. 1913. S. 245.
3) De Quervain, Chirurgische Diagnostik. 1911. S. 299.
4) Rovsing. Gastro-coloplose. 1913. S. 20. Siehe auch Arch. f. klin. Chir.
1900. S. 812.
5) Knud Faber, Vcntrikelns normale Leje og Gastroptosen. Bibi. f. Läger.
1908. S. 243. Siehe auch Nord. Tidsskr. f. Ter. 1913. S. 2(u und VIII. nord.
Kongr. f. inv. Med. Lund 1913.
(j) Kleiner, Morphologie und Physiologie des Magens. Jahresk. f. ärztl.
Forti). 1910. III. S. 29.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ein Beitrag zur Gastroptoscfragc.
265
Hiermit bin ich bei der Frage von der Motilität des Magen¬
sackes und der Auffassung davon angelangt, die die Röntgenunter¬
suchung in meinen Fällen ergeben hat. Ich habe bereits bei der
Besprechung der Probemahlzeituntersuchungen erwähnt, dass ein
paar Patienten zwar eine etwas verspätete Entleerung 1 ) des Magens
darboten, dass aber bei keinem von solchen motorischen Stö¬
rungen die Rede war, welche die Diagnose organisches Leiden ver¬
anlassen konnten.
Eine Schwächung der Peristaltik — eventuell ein Zeichen von
atonischer Dilatation 2 ) — war bei keinem Patienten röntgenologisch
zu konstatieren. Im Gegenteil war es bemerkenswert, in wie ge¬
ringem Grade auch die Fälle mit grossem Magen (Ektasie) Zeichen
von Herabsetzung im Muskeltonus des Organs (Atonie) zeigten.
Diese letztere wurde als gleichbedeutend mit einer Verschlechterung
der „peristolischen Funktion“ [Stiller 3 )] aufgefasst, womit gemeint
ist die Fähigkeit des Magensackes, sich um seinen Inhalt zusammen¬
zuziehen, sein Volumen stets dem Rauminhalt dieses letzteren an¬
zupassen. Von einer derartigen „peristolischen Funktion“ zu reden
mag berechtigt sein oder nicht; von einer Schwächung derselben war
bei meinen Patienten kaum etwas zu verspüren. Für die Fälle 2,
4 und 5 heben die Röntgenprotokolle ausdrücklich hervor, dass der
Magensack sich bei der Durchleuchtung gut um die Speise kontra¬
hierte — der mittlere dieser Fälle hatte gleichwohl eine etwas
verspätete Entleerungsfähigkeit —, und meine Rüntgenograrame
geben Bilder, die in dieser Hinsicht nicht von dem abweichen,
was Röntgenogramme von unzweifelhaft normalen Mägen aufweisen.
— In Fall 1 wurde eine Beobachtung gemacht, die von Interesse
ist gegenüber Grödel’s 4 ) Ueberlegung betreffs der Magenatonie.
Er fasst die Mägen, die sich nur in ihrem caudalen Teil füllen und
erweitern, während die Pars media (Corpus) leer und kollabiert
1) Normale Entlcerungsfähigkcit schreibe ich dem Magen zu, welcher
5 Stunden nach Einnehmen einer Bourge Cschen Probemahlzeit nicht mehr als
einen Rest von 50 ccm enthält oder welcher ganz leer ist 4 Stunden nach Ver¬
zehren einer ForsselTschcn röntgenologischen Wismuthmahlzeit. Siehe Forssell
(Ueber die Beziehungen usw. 1913. S. 99 und Münch, med. Wochenseh. 1913.
S. 2200), wie auch Payr und Küttner, Ergebnisse der Chir. u. Orthop. 1912.
Bd. 4. S. 337 usw.
2) Holzkneeht und Jonas. Die Röntgenuntersuchung des Magens und
ihre diagnostischen Ergebnisse. Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderheilk. von F. Kraus
u. a. 1909. Bd. 4. S. 471.
3) Burckhardt in Ergehn, d. Chirurg, u. Orthop. 1912. Bd. 4. S. 333
(Literatur). Siehe auch E. Maylard, Dilatation of the Stomach. Glasgow med.
joum. 1913. Nov. Cit. Zentralbl. f. Chir. 1914. S. f>92.
4) Grüdel, Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderheilk. von F. Kraus u. a. 1909.
Bd. 4. S. 409 (Literatur).
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
2(56 A. Tr o e 11.
bleibt 1 ), als muskelsehwach, atonisch im Sinne Stiller’s, auf. Aber
in meinem hier besprochenen Fall — ein grosser und weiter
Magensack — sah man die Speise sich im Quermagen sammeln,
während der Längsmagen völlig leer war, und während, bei der¬
selben Durchleuchtung, eine sehr verstärkte Peristaltik mit grossen
Ringwellen oben am Corpus beobachtet wurde; von Atonie war
demnach keine Rede. Eine lebhafte Peristaltik, wurde übrigens in
allen Fällen 2 ) beobachtet, bei fünf derselben traten während der
Durchleuchtung tiefe circulare Kontraktionen oben am Corpus auf,
hinunter auf den Pylorus zu fortschreitend. Von der Bedeutung
dieser Erscheinung gilt indessen die alte Regel, dass selten ein
einziges Symptom eine Diagnose entscheidet, es muss ira Zu¬
sammenhang mit den übrigen in dem einzelnen Falle ermittelten
Details gesehen werden. Ich begnüge mich damit hier die folgende
Aeusserung wiederzugeben, welche sicherlich eine allgemeine rönt¬
genologische Erfahrung zum Ausdruck bringt: „Die naheliegende
Annahme, dass eine stark vermehrte Peristaltik (erhöhte Frequenz,
auffallend hoher Beginn und einschneidende Tiefe der Wellen) für
Pylorusstenose spreche, muss aufgegeben werden, da wiederholt
auffallend stark vermehrte Peristaltik gefunden wurde, ohne dass
sich sonst klinische oder radiologische Zeichen von Pylorusstenose
auffinden Hessen“ [Holzknecht und Jonas 3 )]. — Die keineswegs
aufgeklärte Frage von der diagnostischen Tragweite der Einziehungen
an der Curvatura major, die während der ganzen Röntgendurch¬
leuchtung unverändert und ohne sich beeinflussen zu lassen be¬
stehen bleiben, übergehe ich an dieser Stelle gänzlich. — Der
Nachweis von regurgitierenden Bewegungen in der Wand des
Duodenums in Fall 5 ist von Interesse mit Rücksicht auf den nega¬
tiven Operationsbefund und das Wohlbefinden des Patienten lange
Zeit nach der Operation. Antiperistaltik ist bisher als ein stets
schweres Symptom aufgefasst worden, auf schwere anatomische
Veränderungen deutend, wie Stenose, Ulcus, Cancer [Jonas,
Haudek 4 )]. Kürzlich hat Th. Kocher 5 ) einen Fall von Volvulus
1) Auf einen entgegengesetzten Typus für die Art und Weise des Magen¬
sackes, sieh zu füllen (= «bis in die Pars cardiaca"), machen auch Grüdel
und Faulhaber aufmerksam (s. Anm. 4 auf voriger Seite).
2) Nur bei einem Patienten, Fall 8, ausser dem erwähnten Fall 4. wurde
noch 4 Stunden naeli dem Verzehren der Röntgenmahlzeit ein Rest im Magen-
saek vorgefunden.
li) Holz kn echt und Jonas, Die Röntgenuntersuchung des Magens und
ihre diagnostisehen Ergebnisse. Ergebnisse der inneren Med. und Kinderheilk.
von F. Kraus u. a. 1909. Bd. 4. S. 471.
4) Jonas, Haudek, Jahresk. für ärztl. Fortbild. 1911. YI1E S. 100.
(H o 1 z k n e<• h t. Röntgendiagnostik des Magens.)
f>) Th. Kocher, Deutsche Zeitsehr. f. Cliir. 1914. Bd. 127. S. 591.
Gck igle
Original frnrri
UMIVERSITY OF IOWA
Ein Hritnur zur (iastrojnoscfrap*. 2()7
eines Sanduhrmagens veröffentlicht, wo man während des Kranken¬
hausaufenthaltes des Patienten, fünf Wochen nachdem der Volvulus
operativ korrigiert worden war, bei einer neuen starken Füllung
des Magensackes antiperistaltische Bewegungen beobachtete, die
vom Antrum pvloricum auf den Fundus zu fortschritten. —
Wollte ich nun versuchen — im Anschluss an das, was oben
schon betreffs der klinischen Verhältnisse der Krankheitsfälle re¬
sümiert ist, — die radiologischen Befunde zu resümieren,
so ergeben dieselben in der Tat nichts anderes für alle Fälle
Charakteristisches als eine an den distalen Teilen des
Magensackes vorhandene hochgradige Senkung und Be¬
weglichkeit, deren pathologische Bedeutung sich nicht
zuverlässig beurteilen lässt. Es ist nicht einmal möglich,
festzustellen, dass eine ausgesprochenere Senkung oder
Beweglichkeit des Magensackes gleichzeitig mit schwere¬
ren klinischen Beschwerden vorzukommen pflegt oder
umgekehrt. Zusammen mit den sicher physiologischen,
sehr bedeutenden Variationen, welche die moderne ana¬
tomische und radiologische Forschung über diese Verhält¬
nisse nachgewiesen hat, gesehen, ist es daher — wie ich
denke — am richtigsten, die Lage und Beweglichkeit des
Magens in meinen Fällen als anatomische Anomalien auf¬
zufassen, als eine Entwicklungsvarietät, die an und für
sich nichts Pathologisches bedeutet oder irgendwelche
subjektive Symptome verursacht.
Mit dieser Leberlegung ist jedoch die Ptosefrage keineswegs
aufgeklärt, am allerwenigsten gegenüber dem Einwande, dass man
nicht die klinische Erfahrung verneinen kann, dass es Menschen
gibt, die wirklich von einer vorhandenen Enteroptose (hierin dann
Gastroptose einbegriffen) Beschwerden zu haben scheinen. Aber
für eine exakte Beurteilung hierüber fehlen uns noch die nötigen
Kenntnisse. Wir sind auf fortgesetzte Studien angewiesen und
dabei auch auf die Schlussfolgerungen, die wir ex juvantibus aus
unserer therapeutischen Erfahrung entnehmen können. Lässt es
sich beweisen, dass eine gewisse Behandlungsmethode — intern
oder operativ — ein zuverlässiges Mittel bildet, um dem Gesund¬
heitszustand der hier in Frage kommenden Menschen wesentlich
oder vollständig aufzuhelfen, so ist damit ein grosser Fortschritt
gemacht. Dann nicht nur hat diese Methode ihre Berechtigung
bewiesen — selbst wenn das Verständnis für die Wirkungsweise
derselben bis auf weiteres unvollkommen sein sollte —, sondern es
ist uns vielleicht auch eine Andeutung davon gegeben worden, wo
das ätiologisch und genetisch Wesentliche in der reichen Svmptoma-
Digitized
bv Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
268
A. Troell,
Digitized by
tologie in diesen Krankengeschichten liegt. Die kritischen An¬
forderungen müssen indessen für jede Schlussfolgerung in jener
Richtung stark sein. Inzwischen mag es berechtigt sein, ver¬
schiedene therapeutische Wege zu prüfen — innerhalb welcher
Grenzen, das wird im wesentlichen von dem Standpunkt des ein¬
zelnen Arztes abhängen.
Ich glaube das Richtige getroffen zu haben, wenn ich behaupte,
dass es unter dem Eindruck eines derartigen Gedankenganges ge¬
schah, wenn wir im Seraphimcrlazarett an den Fällen meiner Ka¬
suistik Operation vorgenommen haben. Wir sind zur Laparotomie
geschritten mit mehr oder weniger starkem Verdacht auf Ulcus
oder Cancer, haben aber bei derselben keine Zeichen von solchen
Veränderungen finden können. Die Kenntnis von einer laut Röntgen¬
untersuchung tief belegenen unteren Magengrenze oder anderen
gleichwertigen Umständen schien dann in gewissen Fällen zu einer
Massnahme zu berechtigen, wodurch der Magensack höher hinauf
in der Bauchhöhle zu liegen kommen würde als zuvor. Bevor ich
diese Operationen bespreche, sei zur weiteren Beurteilung der In¬
dikationsstellung angeführt, dass in demselben Jahre wo diese Ein¬
griffe vorgenommen wurden — 7 in der chirurgischen Klinik I
des Seraphimerlazaretts — 29 Fälle von Ulcus ventriculi s. duo-
deni daselbst operiert wurden und 41 Fälle von Cancer ventriculi.
Wie aus den Krankengeschichten und der Tab. III ersichtlich,
bestanden die Eingriffe 1 ) in meinen Fällen
2 mal in nur Laparotomia explorativa (Fall 4, 7),
4 „ „ Raffung des Lig. hepato-gastricum 2 ) (Fall 1, 2, 5, 6),
2 „ „ Gastropexie nach Rovsing’s Methode (Fall 3, 8).
Was den Magensack anbelangt, so wurde bei der Operation
gefunden, dass er mit Leichtigkeit ausserhalb von der Bauchwunde
vorgezogen werden konnte in 5 Fällen (Nr. 1, 3, 5, 7, 8). Er lag
in Fall 1 so tief, dass das Pankreas oberhalb der Curvatura minor
blossgelegt gesehen wurde. In Fall 3, der bei einer Probefrüh¬
stückuntersuchung etwas Retention dargeboten hatte und dessen
Curvatura major bei der Röntgenuntersuchung unterhalb der Ebene
der Crista iliaca gelegen hatte, konnte zwar der Magensack bei
1) Die Entfernung einer oder der anderen harmlosen Appendix lasse ich
hier ausser acht, ebenso auch die Coeeopexie in Fall 1.
2) Diese Methode würde insofern eine ideale Gastropexie sein, als sie
dem Magensack eine hohe Lage gewährt, ohne für ihn die Möglichkeit zu be¬
schränken, sich gegen benachbarte Organe zu verschieben. Die Technik ist in
unbedeutend abweichenden Variationen angegeben von Stengel, Bier und
B c y e a (siehe Hurck h ardt, Pay r und Kii11ner's Ergebnisse 1D12. Bd. 4,
8.348). Bier's frühester Fall ist publiziert von Blocher, Beitr. z. chir. Be-
handl. der Enteroptose (Deutsche Zeitsohr. f. Chir. Bd. 56, S. 374)
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Kin Beitrag zur Gastroptosofragr.
269
der Operation leicht ausserhalb der Bauchwunde vorgezogen werden,
schien aber im ganzen klein und gut kontrahiert zu sein — eine
neue Illustration dafür, wie schwierig es ist, Atonie und Muskel¬
schwäche bei diesem Organ zu diagnostizieren. In Fall 8 wurde
ein haselnussgrosser Schleimhautpolyp mit chronischen entzünd¬
lichen Veränderungen gefunden. Der proximale Teil des Duode¬
nums war auffallend weit nicht nur in Fall 6, wo schon die
Röntgenuntersuchung Anlass gegeben hatte, dies zu vermuten,
sondern auch bei den Patienten 1 und 4, wo kein entsprechender
Röntgenbefund gemacht war 1 ). Einige spärliche Bindegewebsstränge
um den Pylorus herum in den Fällen 2 und 6 waren die einzigen
wahrnehmbaren Zeichen von Peritonealreiz. Von grösserem In¬
teresse war eine andere Veränderung eines Teiles des Peritoneums,
nämlich die dünne, häutchenartige Beschaffenheit des Ligamentum
hepatogastricum, die bei allen Patienten ausser den Fällen 3 und
8 beobachtet wurde und die in guter Uebereinstimmung steht mit
der bedeutenden Beweglichkeit dieser Mägen [Kuhn Faber 2 ) er¬
wähnt das Vorkommen von fettarmem Mesenterium und Omentum
majus als sehr gewöhnlich bei Individuen mit der Konstitutions¬
anomalie, die Stiller Asthenia universalis nennt.]
Ueber den nächsten postoperativen Verlauf ist nichts besonderes
zu bemerken. Die Operierten durften nach 2—3 Wochen das
Bett verlassen und konnten bald darauf bei relativem Wohlbefinden
entlassen werden. Von grossem Interesse war dagegen der Befund
bei den Röntgenuntersuchungen zu diesem Zeitpunkt, sowohl
was die Abweichungen von als auch was die Aehnlichkeiten mit
dem Bilde vor der Operation anbelangt. Die Fälle 3—6 und 8
wurden kurz nach der Operation röntgenuntersucht. Eine Be¬
sprechung dessen, was dabei konstatiert wurde, dürfte um so
mehr berechtigt sein, als man bisher, nach der Literatur zu ur¬
teilen, diesen Verhältnissen keine eingehende Aufmerksamkeit ge¬
schenkt hat 3 ).
Einerder Patienten, welcher Pro belaparotoraie durchgemacht
hatten, wurde kurz nach der Operation röntgenuntersucht (Fall 4). Das
Bild war nicht völlig dasselbe wie vor derselben. Der untere
Magenpol lag bedeutend tief und die Entleerungsfähigkeit des
Organs war nach wie vor etwas herabgesetzt. Aber die bei der
1) Ein mehr als gewöhnlich ausgespanntes Duodenum war ausserdem
röntgenologisch konstatiert worden bei den Fällen 2, 5 und S.
2) 1. o.
o) Von neueren die Gastroptose behandelnden Arbeiten erwähne ieh nebst
Perman's Publikation in der Hvgiea (1913) die Aufsätze folgender Verfasser:
Siek (Med. Klin. 1912, S. 735), Disrjuc (Med. Klin. 1913, S. 175), Schmieden
u. a. m. (Mitteil. a. d. Grenzireb. d. Med. u. Chir. 1914. S. 479).
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
*270
A. Trncll,
Digitized by
vorigen Durchleuchtung konstatierte Nichtübereinstimmung zwischen
der motorischen Funktion und der sichtbaren Motilität war geschwun¬
den. Statt dessen war nun, wie bei einem atonischen Magen zu er¬
warten war, keine Peristaltik zu entdecken, und die Verschieb¬
lichkeit des Magens war beschränkt, vor allem wenn der Patient
den Bauch einzog. Der Quermagen hatte eine vermehrte Breite.
Die Veränderungen sind möglicherweise durch die Annahme zu er¬
klären. dass sich nach der Handhabung des Magensackes bei der
Operation Verwachsungen ringsum das Organ gebildet hatten, vor
allem mit der vorderen Bauchwand.
Die Wirkung der Raffung des Ligamentum hepatogastri-
cura konnte in zw’ei Fällen (5 und 6) kontrolliert werden. Beide
Male war eine deutliche Hebung des unteren Magenpols zu¬
stande gekommen. Gleichzeitig war die vertikale Achse des
Magensackes verkürzt worden und die Form des Organs wie
auch seine Art und Weise sich zu füllen hatte sich verändert. Die
Form in aufrechter Stellung war in Aehnlichkeit mit der
eines normalen Magens bei liegender Stellung übergegangen.
Der Fornix war bedeutend breit geworden, der Quermagen
mehr zusammengezogen und dazu — Fall 5 — unfähig ge¬
worden, spontan Speise aufzunehmen; erst bei Druck von
aussen her konnte eine kleinere Menge des Wisrautbreies in den¬
selben hinaus gepresst werden. Abnorm starke Peristaltik wurde
nicht beobachtet, dagegen wurden in Fall 5 teils tiefe längs- und
nuerlaufende Schlcimhautfalten, teils eine fort und fort unveränder¬
liche, tiefe Einziehung der Curvatura major an der Grenze zwischen
Sinus und Canalis gesehen. In Fall 6 war die Entleerungs¬
fähigkeit des Magens etwas herabgesetzt.
Prinzipiell derselbe Effekt wurde nach der ersten (Fall 3) der
beiden Gastropexien nach Rovsing beobachtet. Der untere
Magenpol hatte eine beträchtlich höhere Lage. Der Fornix
war breit. Die verschluckte Speise sammelte sich in diesem und
dem Corpus, während der Quermagen sich nur unvollständig
füllte und erst bei Druck von aussen her Speise bis an den Pylorus
heran einliess. Bei Einziehung der vorderen Bauchwand sah man
den Quermagen mitfolgen, d. h. sich heben, bei Bauchlage des
Patienten verblieb er in seiner früheren Höhe, obgleich der untere
Magenpol sich dann senkte — offenbar ein Zeichen davon, dass
eine Fixation zwischen der vorderen Bauchwand und dem horizon¬
talen Teil des Magensackes vorhanden war. Die Beweglichkeit
des Organs war gut, der untere Pol hob sich 6 cm, wenn der
Patient den Bauch einzog. Die vor der Operation beobachtete
Verstärkung der Peristaltik war geschwunden. Die Motilität nahm
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ein Dcitrag zur <ia.stm|>tnsi'fratri.‘.
•271
sich im Gegenteil deutlich geschwächt aus. der Magen hatte sich
4 Stunden nach Einnahme der Mahlzeit noch nicht vollständig ge¬
leert. — Eine ähnliche Verschlechterung der Motilität wurde bei
Pat. 8 konstatiert, teils in einer gesteigerten motorischen Insuffi-
cienz, teils in dem Nichtvorhandensein sichtbarer Peristaltik sich
äussernd. Ausserdem war die Verschiebbarkeit des Magensackes
stark beschränkt. Eine augenscheinliche Veränderung in der Höhen¬
lage des unteren Magenpols und — wohl damit zusammenhängend —
die Art und Weise des Magensackes sich zu füllen, war da¬
gegen nicht nachzuweisen (diese Patientin hatte, abweichend von
den ürigen Fällen, wo am Magen selbst etwas vorgenommen war,
nicht drei, sondern schon zwei Wochen nach der Operation auf¬
stehen dürfen).
Bevor ich eingehender bei der Frage von den Resultaten der
Behandlung verweile, dürfte zweckmässig ein Bericht gegeben werden
über den radiologischen Befund bei dreien der Patientinnen im Zu¬
sammenhang mit den Nachuntersuchungen. Leider ist es mir
nicht gelungen, mehr Fälle zur Röntgenuntersuchung zu erhalten,
im wesentlichen darauf beruhend, dass der Wohnort der Patien¬
tinnen soweit von Stockholm entfernt ist. Von den radiulogisch
Nachuntersuchten war eine (Fall 3) in gleicher Weise bereits ein
Mal vorher nach der Operation untersucht, die beiden übrigen
(Fall 2 und 7) dagegen nicht. Ich berichte über die drei Fälle in
derselben Reihenfolge mit Rücksicht auf die Operationen wie zuvor.
Die Frau, welche Probelaparotomie durchgemacht hatte
(Fall 7), bot ungefähr dieselbe Lage des unteren Magenpols dar
wie vor der Operation — er lag nur 2 cm höher, gerade wie bei
Pat. 8 vor resp. kurz nach der Gastropexie. Die Verschieblichkeit
des Magensackes war gut. Die zuvor beobachtete Verstärkung der
Peristaltik war nicht mehr vorhanden, auch nicht die spastische
Einziehung der Curvatura major.
Fall 2, bei welchem Raffung des Ligamentum hepato-
gastricum gemacht war, stimmte insofern mit den eben be¬
sprochenen in gleicher Weise behandelten Fällen überein, als der
untere Teil des Magens nun in der Nabelebene stand, 5 cm höher
als zuvor. Der Magen war auch bedeutend breiter, aber dies galt
auch vom Quermagen und vom Pvlorus; die starke Kontraktion
des Canalis fehlte somit hier. Die Beweglichkeit des Organs war
sehr gut.
Besonderes Interesse bietet Fall 3, da er eine Möglichkeit ge¬
währt zu beurteilen, ob Gastropexie nach Rovsing einen
dauernden Einfluss auf die Lage und Funktion des Magens be¬
wirken kann. Tatsächlich scheint dies im grossen ganzen der
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
272
A. Trocll,
Digitized by
Fall zu sein. Zwar lag nun der untere Magenpol 4 cm tiefer als
gleich nach der Operation (doch etwas höher als vor derselben),
aber die Art und Weise des Magens sich zu füllen war nach wie
vor eigentümlich. Die Speise hatte eine gewisse Schwierig¬
keit den Quermagen bis ganz an den Pylorus hinaus aus-
zufüllen und der Canalis präsentierte sich die ganze Zeit hin¬
durch als ein gut fingerdicker Schatten. Der Magen war sehr wohl
verschiebbar und zeigte nun keine Zeichen von verspäteter Ent¬
leerung.
Betreifend sonstige Abweichungen in dem radiologischen Aus¬
sehen des Magensackes vor und nach der Operation verweise ich
auf die Tabellen. Vor allem der Umstand, dass es nicht gelungen
ist, exakte Angaben über alle Einzelheiten und für sämtliche Fälle
zu erhalten, beschränkt den Wert der Untersuchung in diesem Teil
recht erheblich. Ich begnüge mich daher damit über diese Be¬
funde zu resümieren, dass die Fälle nach der Operation in der
Regel eine Hebung (Fall 3, 4, 5, 6) und eine Verschiebung nach
rechts (Fall 2, 5) des Pylorus und eine Verkürzung des Digestions¬
sackes (Fall 4, 5, 6) aufwiesen. Bei Fall 2 sah man den Pylorus
in gleicher Höhe wie zuvor, obgleich die Curvatura major gehoben
war, und bei Fall 3 und 6 war gleichzeitig mit der Hebung des
unteren Magenpols der Pylorus nach links verschoben worden.
Wenn auch diese Verschiebung ganz unbedeutend war, war sie be¬
sonders für Fall 3, wie gleichfalls und vor allem die hier vor¬
kommende Verlängerung des Digestionssackes, sehr bemerkenswert.
Alle übrigen hier erwähnten Veränderungen waren nämlich von
derselben Art wie sie unter völlig normalen Verhältnissen ein-
treten, sobald der untere Magen pol, z. B. bei Uebergang aus auf¬
rechter in liegende Stellung, sich hebt, indem dann gleichzeitig
der Pylorus nach rechts geschoben und der Digestionssack ver¬
kürzt wird.
Voller das spätere Befinden der Patienten ist im übrigen Folgendes er¬
mittelt worden:
Fall 1 ist l 1 /.» Jahre naeh der Operation besser. Die ersten Monate
naeh der Heimkehr aus dem Krankenhause war sie frei von ihren früheren Be¬
sehwerden (ulcusartige Erseheinungen). Aber naeh etwa */ 4 Jahren stellten sieh
Appetit mangei, Schmerzen und Erbrechen ein, welches alles sich besserte nach
diätetischer Behandlung. Nun klagt sic freilich über Appetitmangel. Vebelkeit
und trägen Stuhl, aber die Hoffnungslosigkeit, die sie betreffs der Zukunft
äussert, scheint kaum so berechtigt zu sein, da sie nichtsdestoweniger zugibt,
bessere Körperfülle und Kräfte erhalten zu haben und ihre früheren Arbeiten
verrichten könne.
Veber Fall 2 wird ein Jahr nach der Operation die Auskunft erteilt,
dass keine Besserung eingetreten ist. Die Patientin fühlt sieh r nieht
einen einzigen Tag gesund“, alle die früheren Symptome sind noch vorhanden.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Ein Beitrag zur Gast rop tose frage.
273
Der Magensack fühlt sieh beständig voll an. Ucbelkcit und Beklemmung kommen
des Nachts, der Schlaf ist schlecht. Alles lassen verursacht Schmerzen. Die
Patientin bekommt niemals spontanen täglichen Stuhl. Objektiv wird fcstge-
stellt. dass die Entlecrungsfähigkeit des Magens etwas herabgesetzt ist, und
dass die Acidität des Magensaftes gesteigert ist; der Bauminhalt des Organs
ist 1000 cm.
Im Vergleich mit dieser ausgebliebenen Genesung nach der
Operation ist die erhebliche Besserung von grossem Interesse,
welche später auf während einiger Zeit wohl erwogene und sorg¬
fältig durchgeführte interne Behandlung folgte. Die Patientin kam in
weniger als zwei Monaten so weit, dass sie beständig auf sein konnte, so gut
wie ganz ohne Schmerzen. Im übrigen hatte sie auch keine Beschwerden vom
Magen. Sie nahm an Gewicht zu, hatte täglichen und spontanen Stuhl
und guten Schlaf.
Pat. 3 ist 13 Mon. nach der Gastropexie als gesund zu bezeichnen. Sie
besitzt volle Arbeitsfähigkeit und leidet nur an trägem Stuhl und vereinzeltem
Aufstossen.
Der Gesundheitszustand bei Fall 4 ist 11 Mon. nach der Probelaparo¬
tomie gleichfalls gut. Vom Magen hat die Patientin keinerlei Beschwerden. Sie
hat 4 kg an Gewicht zugenommen. Ihr früheres Herzklopfen und zeitweilig
auf tretende Schlaflosigkeit bestehen dahingegen fort.
Pat. f) ist 10 Mon. nach der Operation gesund. Sie hat nur zwischen¬
durch ein Gefühl, als wenn es im Magen „sich aufstauen* wollte; „Brennen“ und
Herzklopfen kommt vor. Der Stuhl ist normal (wie vor der Operation). Das
Gewicht hat um mehr als 5 kg zugenommen.
Fall 6 ist wohl auch als gebessert aufzufassen. Sie hat 10 Mon. nach
der Operation gegen 8 kg an Gewicht zugenommen. Der Stuhl ist normal (vor
der Operation kam häufig Diarrhoe vor). Die Beschreibung, welche die Pat.
von ihrem Zustand gibt, bestätigt im übrigen kräftig, dass alle ihre Beschwerden
im Wesentlichen mehr psychischer als physischer Art sind und über¬
haupt nicht der Auffassung von der gefährlichen Beschaffenheit derselben,
die sie nun wie auch vor der Operation von denselben hegt. Beachtung ver¬
dient vielleicht — der gemachten Operation gegenüber — ihre Bemerkung, dass
es, nachdem sie sich satt gegessen, in der linken Seite des Magens sich anfühlt,
als ob etwas zu kurz wäre; sie bekommt gleichsam Seitenstechen und es fällt
ihr schwer gerade zu gehen.
Pat. 7 ist 10 Mon. nach der Probelaparotomie gebessert und hat etwas
an Gewicht zugenommen. Sie muss gleichwohl eine gewisse Vorsicht beim Essen
üben und kann nicht hart arbeiten.
Pat. tS hält sich, 8 Mon. nach der Gastropexie, für ganz un gebessert.
Etwas Typisches ist in den Beschwerden, worüber sie klagt, nicht ausfindig zu
machen.
Werden die Angaben über den Gesundheitszustand nach den
vorgenommenen operativen Massnahmen zusammengestellt, so geht
daraus hervor, dass
auf die Probelaparotomien subjektive Besserung, aber
keine objektive Verschlimmerung erfolgt ist;
nach der Raffung des Ligamentum hepatogastricum
subjektive Besserung eingetreten ist in 3, aber ausgcblieben ist
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
274
A. Tn.eil.
Digitized by
in 1 Fall: eine noch ein Jahr später fortbestehendc erschwerte
Entleerung des Magensackes war bei einer der Patientinnen
(möglicherweise auch bei den beiden anderen) vorhanden;
auf Gastropexie nach Rovsing subjektive Verbesserung
in einem Fall folgte, aus blieb in einem: in beiden wurde kurz
nach der Operation eine Verschlechterung der motorischen Funk¬
tion des Magensackes festgestellt, aber bei derjenigen dieser
beiden Patientinnen, die in dieser Hinsicht Gegenstand für Kon¬
trolle während längerer Zeit nach der Operation wurde, war
diese Motilitätsstörung gehoben.
Diesem sei die Bemerkung betreffs der beiden ungebesserlen
Patientinnen hinzuzufügeu, dass die erste derselben (Fall 2, Ligament-
ralTung!, welche hochgradig neuropathisch war, durch später ein-
geleitete interne Behandlung wesentlich gebessert wurde, und dass
die zweite derselben (Fall 8, Gastropexie) eine der zwei Ausnahmen
in der Kasuistik bildete, die nicht augenscheinlich neurotisch
schienen. Ich führe dies solchen Einwänden gegenüber an, die
sonst denkbar sind und die in der Tat bereits gemacht worden
sind in Bezug auf dieses Moment in der Gastroptosefrage.
Rovsing 1 2 ) betont nämlich in Bezug auf sein Material, dass die
Gruppe seiner Operationslalle, die nicht gebessert wurden, zum
grossen Teil aus neurotischen (hysterischen) Individuen besteht.
Mein Fall 8 konnte nicht unter den hysterischen geführt werden,
aber eine Gastropexie brachte ihr keine Genesung. Dieses letztere
ist kaum ohne weiteres als davon abhängig zu erklären, dass der
Magen nicht genügend hoch bei ihr fixiert worden war — in
meinem zweiten, in gleicher Weise behandelten Fall (Nr. 3) lag
der Magensack ein Jahr nach der Gastropexie unbedeutend höher
als vor derselben, aber Patientin fühlte sich trotzdem bedeutend
besser.
Wo liegt die Ursache dieser Besserung, die in der Mehrzahl
meiner Fälle nach der einen oder der anderen Operation eingetreten
ist? In einer Replik an Rovsing hat Berg 1 ) unter Betonung,
dass die günstige Einwirkung der Gastropexie in manchen Fällen
von Gastroptose nicht als Beweis für die Richtigkeit der mechani¬
schen Ptosetheoric aufgefasst werden darf, bei einer Gelegenheit
gesagt: „Es lässt sich doch wohl denken, dass die durch die
Operation gesetzten Adhärenzen für die Arbeit der abnorm reiz¬
baren und überangestrengten Magenmuskulatur bessere Bedingungen
1) Kovsiiur. Yerliandl. der 9. Sit/.uni: des Nord, cliir. Yen-ins. Sto(‘k!n*1 m-
1911. S. 149.
2) I*(* rü, Vor)),*111(11. der 9. Sitzung dos Nord, cliir. Vereins. Stockholm.
1911. s. k;t.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ein lieitnu: zur (iastroptnsefriiirc.
275
gewähren und so indirekt eine bessere Wirkung ausüben können.“
Ich unterlasse es im Anschluss an diese Hypothese des weiteren über
die Ursache der Verbesserung des Gesundheitszustandes nach z. B.
meinen beiden Probelaparotomien zu diskutieren. Ueberhaupt muss
ich meine Unfähigkeit eiugestehen, die von mir gestellte Frage
direkt zu beantworten. Eine Kasuistik von nur 8 Fällen ist allzu
unzureichend, um generelle Aeusserungen zu gestatten. Die Ver¬
öffentlichung derselben hatte auch nicht den Zweck, solche dar¬
zulegen. Aber die Art der Therapie und die Art und Weise, in
der der eventuelle Effekt derselben kontrolliert wurde, möge gleich¬
wohl. meines Erachtens, einen plausiblen Grund bilden, dieselben
bekannt zu machen. Die Frage der Ptose ist von solcher Wichtig¬
keit, dass sie Beleuchtung und Diskussion erfordert. Und da
scheint es mir undisputabel, dass ein kleines, gut verfolgtes
klinisches Material seine Berechtigung haben kann auch an der
Seite eines grossen solchen. Das letztere kann eine wesentlich
begrenzte Bedeutung erhalten für die Verwertung einer Operation,
z. B. Gastropexie, wenn — wie es bei u. a. den damit behandelten
Ptosefällen Rovsing’s 1 ) der Fall ist — viele derselben bei der¬
selben Laparotomie Gegenstand einer Magenresektion, Gastro¬
enterostomie, Cholecystektomie, Nephropexie oder dergl. geworden
sind 2 ). Das Unrichtige, bei einer Zusammenstellung über das
bleibende Operationsresultat hierauf keine Rücksicht zii nehmen,
liegt ohne weiteres auf der Hand. In demselben .Masse als der¬
artige Momente ausser acht gelassen werden, in demselben Masse
wird die Möglichkeit reduziert, Schlussfolgerungen aus dem Material
zu ziehen.
1) Rovsing, Gast roeoloptose. 1918.
2; IHi habe bei der Durehmusterun«: der Tabellen in Rovsinir's Mono¬
graphie (1918) gefunden, dass von seinen 1(>8 mit Gastropexie behandelten
Patienten die folgenden 88 in einer und derselben Sitzmur oder 4 mal -
höchstens 2 Mon. vor oder nach derselben Gegenstand anderer Operationen ge¬
worden sind:
11 Patienten Nephropexie.
1(> r Gastroenterostomie (eventuell mit Knteroanastomo.se),
2 - Cholecystektomie,
8 r Maiien resektion.
1 « Lienopexie.
Dazu kam Ilepatopexie, Colopexie, Appendektomie etc. in einigen Füllen.
Bei einem Patienten wurde 8 Jahre nach der ersten Operation die Gallenblase
exstirpiert. Kin Fall — Nr. 184. schon zuvor von mir erwähnt erlangte
die Gesundheit- nicht wieder weder nach Gastropexie noch nach einer drei-
viertel Jahre später ausHefiihrten Appendektomie. Erst nachdem noch nach
1 Jahre Hysteropexia abdominalis iremacht war, trat rasche Bessern tu: und Ge¬
wichtszunahme ein!
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2 .
19
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
276 A. T r o c 11,
Meine Untersuchung ging in erster Linie darauf hinaus, auf
der Basis einiger einheitlich verfolgter Krankheitsfälle, zu suchen,
ein Skelett von pathologisch-anatomischen und klinischen Einzel¬
heiten herauszubekommen, die sich gegenseitig so entsprachen und
erklärten, dass sie die Definition eines Krankheitsbegriffes abgaben.
In zweiter Linie habe ich danach getrachtet, einen Beitrag zur
Indikationsstellung und Therapie für diese Gruppe von Fällen zu
bringen. Was den ersten Gesichtspunkt anbelangt, so ist es mir
nicht gelungen zu zeigen, dass eine Veränderung der Lage und
Beweglichkeit des Magensackes an sich irgendwelche Krankheits¬
symptome verursacht, oder dass ein gewisser Grad einer derartigen
Veränderung innerhalb des pathologischen Gebietes liegt. Schon
hieraus geht es hervor, dass ich auch keine Anhaltspunkte dafür
habe vorlegen können, wann die Individuen, um die es sich hier
handelt, Gegenstand operativer Behandlung werden sollen. Meine
Darlegung ist als das Gegenteil einer Bestätigung des Optimismus
anzusehen, für welchen Rovsing in seiner am Anfang dieser Arbeit
angeführten Aesserung eine Lanze gebrochen hat. Ich kann seiner
Ansicht nicht beipflichten, dass wir den hier fraglichen Patienten
durch eine „so wirksame und so gefahrlose Operation, wie es die
Gastropexie ist“ volle Genesung in Aussicht stellen können. Ich
kann es um so weniger nach dem Nachweis von nicht ganz gleich¬
gültigen Mägensackveränderungen (verminderte Länge und vermehrte
Breite des Digestionssackes nebst verschlechterter Entleerungs-
fühigkeit) nach Operationen dieser Art. Das demnach zum wesent¬
lichen Teil Negative in dem Resultat einer mühsamen Untersuchung
darf doch von einer Fortführuug der Arbeit nicht abschrecken.
Besonders die Kategorie von kranken Menschen, die in das Grenz¬
gebiet zwischen Medizin und Chirurgie fällt, läuft grosse Gefahr,
ungeholfen zu bleiben, wenn ihr irrtümlich der Stempel Neurose
aufgedrückt wird. Und bei einer unnötigerweise ausgeführten
Operation an solchen Patienten zeigt sich nicht allzu selten als
Folge, dass das Uebel von dem Kranken nur nach einer anderen
Stelle lokalisiert wird. Im Nachweis der Aetiologie und Genese
der krankhaften Symptome liegt der rationellste Fingerzeig für
die Therapie.
Für Bauchchirurgen gilt freilich, dass es nur ihre Kunst ist,
welche die radikale Abhülfe der wichtigeren abdominalen organischen
Krankheiten und mechanischen Funktionsstörungen gewähren kann.
Die Chirurgie repräsentiert hier — ich citiere nochmals Fleinerl)
1 > Klpiiwr, IYIht das Knu|«Tlir|io und Srrdisclie in der Diagnose und
lVliamiliin^. .Jaluvsk. f. ar/tl. Knrtluld. 1912. II. »S. 19.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Ein Beitrag zur (iastroptosefrage.
277
— die potissima rationura medicinae. Sie tut es aber nur so lange,
wie sie mit exakten Indikationen arbeitet, und büsst ihre hohe
Stellung ein in demselben Masse als sie die Ansprüche auf diese
aufgibt. Alles Operieren auf Bestellung, jeder Eingriff auf aus¬
schliesslich subjektive Symptome ist nicht zu verteidigen, zumal
da sogar eine Laparotomie nur zu explorativem Zweck ihr Risiko
bedingt. Die Schwierigkeiten, die uns hier in manchen Fällen
entgegentreten, müssen wir hoffen, mit der Zeit zu überwinden.
Der Weg zu diesem Ziel führt durch eine sorgfältige Ausnutzung
der diagnostischen Hilfsmittel und eine genaue Kontrolle des
Effektes jeglicher Therapie. Die Bedeutung, welche die Röntgeno¬
logie hierbei besitzt, kann von keinem bestritten und darf nicht
vergessen werden.
Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX und X.
Wo nicht anders bemerkt, stammen die Radiogramme von l'ntersuehnngen
in aufrechter Körperstellung.
Auf den Bildern ist der linke Rippenbogen durch einen Bleistreifen mar¬
kiert. der Nabel durch eine viereckige Bleimarke und eine Crista iliaea durch
einen kleinen nach aufwärts konvexen Querbogen. Die Bilder sind nach den
Originalröntgenogrammen in einem Massstal) von Vs natürlicher Crosse re-
pmduziert.
Fig. 1. Fall 1. Vor der Operation. Grosser, weiter Magensack mit tief¬
liegendem unteren Pol; der Pylorus rechts und gerade vor dem Nabel.
Figg. 2 - 3. Fall 2. Auf ersterer Fig. — vor der Operation — gibt das
Kreuz oberhalb des Nabels den schmerzenden Punkt 2 cni oberhalb der Pars
horiz. duodeni an. Fig. 3 stammt von der Untersuchung 1 Jahr nach der Ope¬
ration (Raffung des big. hep.-gastr.). Der untere Pol des Magensackes liegt
höher. Das ganze Organ, sowohl Längs- und Quermagen als auch Pylorus,
hat vermehrte Breite.
Figg. 4—7. Fall 3. Fig. 4, vor der Operation, zeigt Ptose: fort-
bestehende Einziehung der Curv. rnaj. Fig. f>, kurz nach der Operation (Ga-
stropexie nach Rovsing), zeigt eine Hebung des unteren Poles des Magens
und eine gegen früher vermehrte Breite des Längsmagens; die schmale Be¬
schaffenheit des Quermagens tritt in Fig. 6 (liegende Kürperstellung) hervor.
Fig. 7 stammt von der Nachuntersuchung: der untere Magenpol hat sich wieder
etwas gesenkt, der Quermagen ist nach wie vor schmal.
Figg. 8 10. Fall 4. Fig. 8, vor der Operation, zeigt Ptose und Zeichen
von verstärkter Peristaltik. Figg. 9—10, kurz nach der Operation (Lap. expl.):
auf der letzten Figur (liegende Stellung) tritt der scharfe Magenwinkel deutlich
ln*rvur.
Figg. 11 —12. Fall 5. Fig. 11, vor der Operation, langer Magen mit
verstärkter Peristaltik. Fig. 12, kurz nach der Operation (Raffung des Lig.
hep.-gastr.); erhöhter unterer Pol, breiter Längsmagen, tiefe Schleimhautfalten.
Figg. 13- 14. Fall b. Fig. 13, vor der Operation, grosser Magen, etwas
mehr nach rechts gezogen als gewöhnlich. Fig. 14 (kurz nach der Operation
19 *
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
278
A. Troell, Ein Beitrag zur Oaslroptosefragc.
Digitized by
Raffung «1«*s Liir. hep.-gastr.): stark gehobener unterer Pol, sehr breiter
Längsmagcn. besonders was den Furnix anbelangt.
Figg. l.“>— 1 (>. Fall 7. Erstere Figur zeigt Zeichen von starker Pe¬
ristaltik und eine dauernd fort bestehende Einziehung der Curv. rnaj. in gleicher
Höhe mit dem Brustkorbrande, ln Fi«:, lb, ein Jahr nach der Operation (Lap.
•expl.). ist keine spastische Kontraktion an der Curv. maj. mehr zu sehen.
Figg. 17 — 19. Fall S. Vor der Operation tritt eine bedeutende Pl«»e
des unteren Poies (Fig. 17) und eine scharfe, fort bestehende Einziehung an der
Curv. maj. hervor, letztere am besten in Fig. IS (liegende Stellung). In Fig. 1U
(kurz nach der Operation. (iastropexie narb Rovsing) ist der untere Pol un-
.bedeutend erhöht.
Gck igle
Original ftom
UMIVERSITY OF IOWA
Zu A. Troeil, Gastroptosefrage.
Tabelle III.
Variationen in der Lage der verschiedenen Magenteile in verschiedenen Körperstellungeii sowie vor und nach verschiedenen chirurgischen Eingriffen: die Masse entnommen von Originalröntgenogrammen
(Antikathodenplattenabstand ca. 60 cm).
Art der
Operation
Lago der Curvatura major
(des unteren Magenpols)
im Verhältnis zur Ebene der
Crista il. in aufrechter Stellung
Unterschied
in der Lage
des unteren
Magenpols
vor und
nach der
Operation
(resp. bei der
Nachunter¬
suchung)
Lage der
Verhältnis ;
Der Pylorus
Mitte desselben im , Unterschied Lage der Mitte desselben im Verhältnis
sur Ebene der Crista il. 1 j n d cr j jai r ( . j zur Mittellinie des Körpers
<lor Mi Ho 1
'■ i n g 2 ):
Unterschied
in der Lage
der Mitte
desselben
bei der ersten
und der
letzten Radio-
I graphierung
Richtung
Des D i g e s ti
onssackes 3 ):
Breite
Länge in Längen-
Länge in
Längen¬
unter¬
schied
auf¬
1 schied
liegender | . ß dißsen
beiden
lung ; Lagen
Lf dem Radiogramm
lommene Masse
rechter Ue S ender
Stellung
mathematisch redu;
nähernd exakte
Fall
1 kurz
vor nach der , bei der
Nach-
unter-
Operation suchung
kurz
vor nach der
Operation
desselben ] curz
bei der bei der ersten vor nach der 1 bei der
Nach- und der 1_ 1 Nach¬
unter- letzten Radio- j Unter¬
suchung 1 graphierung Operation suchung
kurz
1 nach der
Operation
1 bei der
Nach¬
unter¬
suchung
vor
1
Ope.
kurz
nach der
•ation
, bei der
Nach¬
unter¬
suchung
rechter
Stel
direkt ai;
ontn
in diesen,
beiden
Lagen
derte, an-
Masse
1
Raffung des
6 cm u. i)
2 cm o.
4 cm rechts.
Quer.
27 cm
25 cm
Lig.hep.-gastr.
7 (?) o.
C—
2
do.
3 cm u. j In gleicher
3 cm höher
4 3 / 4 cm o.
5 cm 0 . Keiner. ; 3,5 cm links. ; 0,5 cm r.
| 4 cm nacli r.
Quer.
s. ab. n. r.
3 1/2 cm
5 3 / 4 cm
29,5 cm
27 cm
i Höhe
bei
12 .. 0 . - 6 „ r.
(n. quer)
damit.
der N.-u.')
10.5 „ 0 . I - 5V 4 -
s.a.n.r. (?)
s. ab. n. r.
4 cm
17,5 cm
| 16 cm
3
Gastropoxie
g cm u 2 cm o >) 5 cm u
3 cm höher
2,5 cm o.
S(?) cm...
4,5 cm 0 . | 2 cm höher J 5 cm r. 4 (?) cm l. j 4 cm r.
i 1 cm nach 1.
Quer.
s. a.n.r.*|
i Vertik.
4V 2 (?) cm
2(?) cm
1 3 /4 cm
16 cm
14,6 cm
nach
bei
11(?) » 0 .
bei der i — | 5 (?) „ r.
—
18 cm
19 „ | 1 cm ;
16,5 cm 17,4 „
1 cm
Rovsing.
dor N.-u.
8(?) „ 0 .
N-u. - 1 3 V 4 (?) » 1.
s. ab. n. r. 3 )
2(?) ein
24 „
22 ..
4
Lap. expl.
9 l U cm u. 8'/, cm u.
a / 4 cm höher
1 V 4 cm u.
Etwas über
S 3 / 4 ein. Etwas über
Quer.
2 1/2 cm
26 cm
i 23,9 cm
kurz nach
3/ 4 n 0.
7,5 cm 0 .
höher kurz 2,5 cm 1.
Quer (?).
—
2 y*<? ..
23 ,,
'21 „
der Op.
4(?) „ 0.
nach , 4,5 (?) ., r.
Quer.
Quer.
4
der Op. 2 (?) .. r. 1 2,5 cm 1.
5
Raffung des
6 3 / 4 cm u. 2 cm u.
4 ‘, .4 cm höher
11/4 cm 0 .
Etwas über
Etwas über 1 cm r. , Etwas über |
Etwas über
n. 6 ) quer
s. ab. n. r.
21/2 cm
30 ein
22,5 cm 7,5 cm
27,5 cm ; 20,6 cm
6,9 cm
Lig.hep.-gastr.
kurz nach
11 3/4 - 0 .
3 V 2 cm 0 .
21/4 cm höher 3 3 / 4 .. r. 3 cm r.
2 cm nach r.
(s. a. n. r.)
3
25,5 L
— —
23,4 „
der Op.
6 3 / 4 ,. 0 .
kurz nach 4' 2 >, r.
s. ab. n. r.
vertik.
31/2 ••
! 8(P) cm 0 .
der Op. 4 (?) cm r.
n. quer
.(s. a. n. r.)
t;
do.
7,5 cm u. 5,5 cm o.
13 cm höher
3,5 cm 0 .
11 cm 0 . 1
7,5 cm 3 cm r. 2 cm r.
1 cm nach 1.
n. quer
s. ab. n. r.
3 V 2 cm
3 1/2 cm
29,5 cm
18 cm 11,5 cm
27 cm 16,5 cm
10,5 cm
kurz nach
höher kurz 5 3 / 4 „ r.
(s. a. n. r.)
—
2 3 / 4 „
21,5 „
— —
19,7 .,
der Op.
8,5 cm 0 .
nach 6 ,, r.
Quer.
4 1/4 _
— ~
der Op.
s. a. n. r.
Lap. expl.
2*/ 4 cm u. 6,5 cm u.
4 1/ 4 cm tiefer
11,5 cm 0 .
7 cm 0 . Etwas über ; 4 l U ein 1.
2(?)cmnachl.
Quer.
Quer.
2 cm
bei
2 (?) cm 1.
26 cm
23,9 cm
der N.-u.
8
liastropexie
9 cm u. 9 cm u.
Kein Unter¬
2 5 cm 0
Der
1 2 cm 1. Der Pylorus
s. ab. n. r.
3 cm
22 cm
20,1 cm
nacli
schied kurz
Pylorus
ist nicht zu |
—
—
—
Rovsing.
nach der Op.
I ist nicht j
V 2 cm r. sehen.
s. ab. n. r.
2 cm
zu sehen.
1) ii. — unterhalb, o. = oberhalb, N.-u. = Nachuntersuchung. 2) Die liier unten für jeden einzelnen Krankheitsfall angegebenen Ziffern bezeichnen die Masse bei resp. aufrechter Stellung, Rückenlage und Bauchlage, in der Richtung von oben nach unten gerechnet. • 3) Die hier für
|,,,lon ei "* ( 'lnen Krankheitsfall angegebenen Ziffern bezeichnen die Masse resp. vor der Operation, kurz nach derselben und bei der Nachuntersuchung (von oben nach unten). — 4) Schräg aufwärts nach rechts. — 5) Schräg abwärts nach rechts. — 6) n. = nahezu.
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Go igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
(Aus der Königl. Chirurg. Universitätsklinik zu Berlin. — Direktor:
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier.)
Ueber Blaufärbung der Sklera und abnorme
Knochenbrüchigkeit.
Von
Dr. Willy Hofniann,
Assistent der Klinik.
Der amerikanische Arzt Eddowes machte zuerst im Jahre
1900 auf einen Symptomenkomplex aufmerksam, der in einer ab¬
normen Knochenbrüchigkeit, verbunden mit einer eigentümlichen
Blaufärbung der Sklera besteht 1 ). Er beobachtete eine Patientin
mit tiefblauen Augen, die mehrere Knochenbrüche aufwies, eben¬
so litt ihr Vater an häufigen Knochenbrüchen. In einem zweiten
Falle hatte sich ein Kind mit blauer Verfärbung der Sklera in
zwei Jahren neunmal an verschiedenen Körperstellen Brüche von
Knochen zugezogen. Seit jener ersten Mitteilung Eddowes’ sind
namentlich in der englischen und amerikanischen Literatur eine
Reihe von Veröffentlichungen erschienen, die seine Beobachtung
bestätigen. Vor allem wurde auch festgestellt, dass die Anomalie
vererblich ist. N. BishopHarman 2 ) berichtet von einem Stamm¬
baum von fünf Generationen mit blauer Lederhaut. Sie wurde bei
31 Individuen dieser 5 Geschlechter gefunden, und zwar bei 13
männlichen und 18 weiblichen. Harm an fand ferner, dass die
Vererbung durch die weiblichen Mitglieder erfolgt. Freilich hatte
in seinen Fällen nur ein männliches Mitglied der Familie geheiratet,
in diesem Zweig kam die Anomalie nicht vor. Er erwähnt übrigens
nichts von abnormer Knochenbrüchigkeit, gibt aber an, dass es sich
meist um Individuen von kleinerem Körperbau handelte. Auch bei
Peters 3 ) findet sich keine Besonderheit des Skelettsystems. Dieser
1: Eddowes. Dark sclerotics and fragilitas ossium. British medical Journal.
1900. Yol. II. p. 222.
2) X. Bishop Barman, A pedigree of five generations of blue sclerotics.
The ophthalmoscope. August 1910.
o) A. Peters, Blaufärbung des Augapfels durch Verdünnung der Sklera
als angeborene und erbliche Anomalie. KIin. Monatsbl. f. Augenheilk. Februar
190 S. - Die angeborenen Fehler und Erkrankungen des Auges. Bonn 1909. S. SO.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
280
\Y. Hof mann
Digitized by
führt nur die Geschichte eines Knaben an, bei dem sich in vier
Generationen Blaufärbung der Sklera nachweisen liess. Seine
Arbeit ist übrigens, wie ich feststellen konnte, in der deutschen
Literatur die einzige, die sich bisher mit der in Rede stehenden
Anomalie befasst hat. Stephenson 1 ) fand unter 32 Personen,
die 4 Generationen angehörten, 21 mit blauen Skleren. Der Patient,
den er behandelte, war ein Knabe, dessen Mutter ebenfalls blaue
Lederhäute hatte. Sie war zweimal verheiratet, und es ist sehr
interessant, dass sie die Anomalie auf die Kinder aus beiden Ehen
übertrug. Bei Rolleston 2 ) handelte es sich um ein 9 Monate
altes Kind mit Blaufärbung beider Skleren. Auch die Mutter hatte
blaue Skleren, ebenso deren junge Schwester und die Grossmutter
des Kindes, die Mutter beider. Die beiden Brüder der Mutter
zeigten dagegen nichts Besonderes an den Augen. Vater und
Mutter des Kindes waren beide an Lues erkrankt. Mit drei Wochen
verlor das Kind die Kraft im linken Arme, erlangte sie aber ohne
spezifische Behandlung in einem Monat wieder. Es bildete sich
darauf eine Periostitis der linken Ulna, ferner eine Schwellung am
linken Humerus und eine Spontanfraktur. Es liess sich deutlich
Krepitation nachweisen. Das Kind hatte ausserdem noch Erosionen
am After und eine Paronychie am rechten 4. Finger. Nunmehr
wurde eine energische Hg-Behandlung eingeleitet, worauf sich auch
die Fraktur bedeutend besserte. Rolleston ist daher der Ansicht,
dass hier die abnorme Knochenbrüchigkeit und die blauen Skleren
als Zeichen von kongenitaler Syphilis aufzufassen sind. Wir werden
hierauf noch später zurückkommen.
Sehr instruktiv sind zwei Arbeiten über unseren Gegenstand,
auf die wir nunmehr noch einzugehen haben. Zunächst bringt
II. Burrows 2 ) einen Stammbaum von 4 Generationen, in denen
sich mit einer Ausnahme keine Unterbrechung der ßlauäugigkeit
lindet. Die Individuen mit weissen Skleren hatten wieder Kinder
mit weissen Skleren und wiesen auch nicht einen einzigen Knochen¬
bruch auf. Dagegen litten die Angehörigen mit blauen Skleren
an häufigen Knochenbrüchen, ausserdem waren diese zum Teil
durch ganz geringfügige Ursachen bedingt. Im ganzen hatten von
1) 8. S t e]i li ii son, A peculiar appearenoe of the eyes affeeting twenty
one mernbers beloniriiur to four genrrations of a fainilv. The ophthalmnseopc.
Mai 1910.
2) J. S. Rolleston. Inheritcd svpliilis and blue sclcrolics. Proecedimrs
of t)ie Royal Society of Medicine 1910/11. Seetion for ehildmi. p. %.
The American .Journal of Ophthalmologe. .Juli 1911. —- The Ophthalmoseope,
Mai 1911.
«•{) li. Ibirrows. IHuc selerotirs and brittle hones. Rritish medical journal.
1911. J u ly 1.
Gck 'gle
Original frem '
UMIVERSITY OF IOWA
l'ebcr Blaufärbung der Sklera und abnorme Knochenbrüchigkeit. 281
*29 Individuen 13 blaue Lederhäut,e, davon hatten 8 Knochenbrüche,
7 von diesen hatten mehrere Brüche erlitten. Nachstehend der
Stammbaum dieser Familie:
# K.B. $ jK.B. tK.B. • K.B. • K.B. • K.B.
3 2 ? S ■$ 3 5 2 2 i * ; m 2 # K.B. o
_I_ _I_
$ s 3 ;k.b. s
K.B. = Kn tielienbriiche. Die Individuen mit weissen Skleren sind weiss. die
mit blauen schwarz bezeichnet.
A. Dighton 1 ) bringt gleichfalls einen Stammbaum von 4 Ge-
nerationen mit blauen Skleren und abnormer Knochenbrüchigkeit.
Die meisten Patienten hatten mehrere Frakturen aufzuweisen. Ein
14jähriger Knabe hatte früher eine Operation wegen Genu valgum
durchgemacht. Er hatte sich einmal das rechte Schlüsselbein,
zweimal den rechten und einmal den linken Arm gebrochen. Sein
Vater hatte als Kind beide Beine gebrochen, dann beim Schwimmen
das rechte Olecranon.
Stammbaum:
_ 1 c Q
# ILB. $
•lv.B. 2 • K.B. ^ 1 K.B. # r # K.B. # 2
i
Bezeichnung wie oben.
Von 14 Individuen hatten somit 9 blaue Skleren, 5 von diesen
litten an Knochenbrüchen.
Im folgenden seien zunächst als weiterer Beitrag zu unserem
Thema die Krankengeschichten von 3 Fällen angeführt, in denen
ebenfalls die Kombination von blauer Sklera und abnormer Knochen¬
brüchigkeit beobachtet wurde.
1. \V. X., lOjähripor Knabe, für sein Aller normal "ross. Körperbau
etwas schmächtig. Deutliche Blaufärbung beider Skleren. Mit b Jahren erlitt
Patient (‘inen Bruch des rechten rntorschenkels: mit 12 Jahren Bruch des
linken Schlüsselbeins: mit 13 Jahren Bruch des rechten Mittclfusscs. der dadurch
zustande kam, dass ihm ein Kamerad beim Spielen heftig auf den Kuss trat.
1) A. Dighton, Four generations of blue selorotics. The nplithalmnscnpr.
April 1912.
Digitized by
Gck 'gle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
282
\Y. Hof mann.
Digitized by
.)etzt sucht Patient die Poliklinik auf, da ihm wieder jemand beim Spielen mit
der Faust einen Schlag auf den rechten Arm versetzt hat. Die Röntgenaufnahme
ergibt einen (Juerbrueh der rechten Ulna. Heilverlauf normal. Somit hat der
14 jährige Knabe \ier Knoehenbri'ndie an den verschiedensten Extremitäten auf¬
zuweisen.
2. R. K.. ein 24 jähriger Schneider, sucht. <1 io Klinik wegen eines Bruches
der rechten Kniescheibe auf. Er wollte einen grossen Stuhl fortschieben und
fiel dabei aufs Knie. Patient, ziemlich klein, zeigt tiefe blaue Verfärbung
beider Skleren. Mit einem Jahre Bruch des linken Unterschenkels. Seine Mutter
hat gleichfalls blaue Augen, seine Schwestern dagegen nicht.
3. F. R.. 31 jähriger Schmied mit intensiv blaugrauen Skleren. Als ein¬
jähriges Kind erlitt er durch Fall einen Bruch des rechten Ellbogens. 1913
durch Fall Bruch des linken kleinen Fingers, ferner erlitt er kurz darauf gleich¬
falls nach einem Fall einen Bruch des rechten 4. Fingers. Aus der Familien¬
anamnese ist hier hervorzuheben, dass Patient einen Bruder hat, der auch blaue
Skleren hat. Dieser hat den linken Unterschenkel 7 mal, den rechten 3 mal
gebrochen.
Wir befassen uns nunmehr mit der pathologischen Ana¬
tomie der Erkrankung. Zunächst ist die Frage zu beantworten,
wodurch ist die Blaufärbung der Skleren bedingt? Schon Ammon 1 )
beschreibt 1836 einen Fall von angeborener Blindheit durch Augen¬
wassersucht, bei dem die Sklera tiefblau erscheint. Er führte
diese Erscheinung auf eine abnorme Verdünnung der Skleren zu¬
rück, die durch den erhöhten Druck bedingt ist. v. Ammon bemerkt
auch, dass dieses Aussehen der Skleren an den Zustand der Fötal¬
zeit im 4. bis 5. Monat erinnert. Die Blaufärbung ist also dadurch zu
erklären, dass die Aderhaut, die unter der Sklera liegt, durch diese
hindurchscheint. Es sind jedoch noch genauere Befunde erhoben
worden. Buch an an 2 ) berichtet über ein neunjähriges Kind, dem
nach einer Verletzung das linke Auge entfernt werden musste. Die
Untersuchung des Präparates ergab, dass Cornea und Sklera auffallend
dünn waren. Histologisch zeigte sich, dass die Stützfasern dieser
beiden Augenhäute in abnorm geringer Zahl vorhanden waren.
Das rechte Auge des betreffenden Kindes, das noch erhalten war,
zeigte eine tiefe Blaufärbung der Lederhaut. In ähnlicher Weise
sah J. Percival Hay 3 ) bei einem neugeborenen Kinde mit Hydro-
cephalus auf beiden Augen eine dreieckige, mit der Basis der
Hornhaut aufsitzende, tiefdunkle Zone. Die anatomische Unter¬
suchung ergab auch hier eine abnorme Verdünnung der Sklera
und Durchscheinen des Pigments der Uvea. Wir kommen somit
zu dem Schluss, dass die Blaufärbung der Sklera in unseren Fällen
1) v. Ammon. Klinische Darstellung der Krankheilen und Bildunsrsfehler
der Augen. T. 111. Tafel XV, Xr. 2.
2; Buchau an, Fase of congenital maldevelopmcnt of the eornea and
sclerotie. Transactiuns of the Ophthalmological Society. 1913.
3) Cit. nach d. Ventralhl. f. Augenheilk. Jahrg. 31. S. 343.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Ucbrr Blaufärbung der Sklera und abnorme Knoelienbriicliijtrkeit. *283
auf einer abnormen Verdünnung beruht, die ihrerseits wieder durch
einen Mangel an Stützfasern bedingt ist. Infolgedessen scheint
die sehr gefässreiche Aderhaut durch die weissc Lederhaut hin¬
durch und verleiht dieser einen blauen Farbenton.
Weiterhin ist zu fragen, in welchem Zusammenhänge steht
die abnorme Brüchigkeit der Knochen mit der Blaufärbung der
Sklera? IJm dies zu verstehen, müssen wir auf die Entwicklungs¬
geschichte dieser Organe zurückgehen. Sowohl die Sklera, wie
das Knochensystem bilden sich aus dem sogen. Mesenchym.
Diesem Gewebe fällt vorzüglich die Aufgabe zu, das Stützgewebe
im Embryo zu bilden. Die Mesenchymzellen sind grösstenteils
ausgewanderte Zellen des mittleren Keimblattes. Die Sklera ent¬
wickelt sich aus dem Mesenchym, das zwischen die Linse und
das sie umgebende Ektoderm eindringt. Demselben Gewebe ent¬
stammt auch das gesamte Knochensystem. Auch physiologisch
haben Sklera und Knochen dieselbe Aufgabe zu erfüllen: die Sklera
bildet das Skelett des Augapfels. Uebrigens belehrt uns die ver¬
gleichende Anatomie, dass bei vielen Tierarten die Sklera in
Knochen oder Knorpel umgewandclt ist. Die Sklera der Fische
ist gewöhnlich zum grossen Teil verknorpelt; nicht selten besteht
sie sogar aus Kalkknorpel oder aus Knochen. Ebenso ist die
Sklera der Saurier (Eidechsen, Schildkröten, Krokodile) in ihrem
hinteren Abschnitt knorpelig, bei den Sauriern weist sie einen
Ring von zierlichen Knochenplättchen auf. Vollkommen ausgebildet
ist dieser sogen. Skleralring dann bei allen Vögeln. Der Zu¬
sammenhang einer gleichzeitigen Alfektion von Sklera und Knochen-
systera ist somit aus ihrer Entwicklungsgeschichte durchaus er¬
klärlich. Es handelt sich offenbar um eine angeborene und, wie
die Stammbäume zeigen, auch vererbliche Minderwertigkeit des
Mesenchymgewebes, also wohl auch um eine Degenerations¬
erscheinung.
Was die eigentliche Ursache der Anomalie ist, darüber kann
man nur schwer etwas sagen. In dem oben erwähnten Falle von
Rolleston spricht dieser die Lues als ätiologischen Faktor an.
ln einem der von uns selbst beobachteten Fälle wurde die
Wassermann’sche Reaktion ausgeführt, ihr Ergebnis war aber
negativ. In einem ebenfalls in unserer Klinik beobachteten Fall
handelte es sich um eine schwere Osteomalacie, hei der die
Patientin ebenfalls blaue Skleren aufwies. Auch ihre Mutter hatte
blaue Skleren, über die übrigen Familienmitglieder konnten nähere
Angaben nicht gemacht werden. Hier war eine Störung der
inneren Sekretion vorhanden, die Patientin hatte eine kleine, kaum
fühlbare Schilddrüse und war ausserdem abnorm fett. Experimentell
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
284
W. Hof mann,
Digitized by
wurde von Soli 1 ) festgestellt, dass bei Kaninchen, die man der
Thymus beraubt hat, Störungen des Knochenwachstums auftretcn.
Die Knochen werden kürzer, dünner, zerbrechlich und weniger
reich an Kalksalzen. Sie zeigen Neigung zur Porosc, Fehlen von
osteoidem Gewebe und Knorpelläsionen. Alle diese Erscheinungen
sind jedoch nur von vorübergehender Natur. Ob es sich bei
unseren übrigen Fällen um eine Störung der inneren Sekretion
handelt, möchten wir dahingestellt sein lassen, sehr wahrscheinlich
will uns dies nicht bedünken. Wir denken vielmehr an eine
primäre Schwäche des Mesenchyms, die vererbbar ist und, wie
schon erwähnt, als Degenerationserscheinung aufgefasst werden
kann. Sie kann den bekannten Fällen von „angeborener Organ¬
minderwertigkeit“ an die Seite gestellt werden. So gibt es ja
Familien, in denen Erkrankungen des Herzens erblich sind, andere,
in denen besonders Nierenerkrankungen etc. Vorkommen.
Interessant wäre nun die Feststellung, ob bei den Individuen
mit blauer Sklera und abnormer Knochenbrüchigkeit auch das
zweite Organsystem, das aus dem Mesenchym hervorgeht, nämlich
der Circulationsapparat, irgendwo Veränderungen zeigt, die auf
eine angeborene Minderwertigkeit hindeuten. In meinen Fällen
konnte ich nichts derartiges finden, und es Messe sich ja auch
annehmen, dass allein das Stützgewebe eine Schwäche aufweist.
Bemerkt sei ferner, dass in den von uns besprochenen Fällen
von den verschiedenen Frakturen selbstredend auch Röntgenbilder
verfertigt wurden. Diese Messen jedoch durchaus nichts erkennen,
was irgendwie auf eine pathologische Knochenstruktur, etwa im
Sinne einer Rareficierung, hindeutete. Untersuchungen solcher
Knochen am Sektionstisch sind bisher noch nicht gemacht w'orden.
Eine eigentliche Therapie kommt kaum in Frage. Da es sich
oft um schwächliche Individuen handelt, so könnte man an die
üblichen allgemeinen Kräftigungsmittel denken. Da wir es mit
einer Schwäche der organischen Knochensubstanz zu tun haben,
kommen auch die anorganischen Salze, wie wir sie z. B. bei der
Rachitis anwenden, nicht in Betracht. Prophylaktisch ist es wohl
empfehlenswert, die Patienten auf das Bestehen einer Schwäche
des Knochensystems hinzuweisen und sie zu ermahnen, sich auch
vor geringfügigen Gewalteinwirkungen auf die Knochen, wie leich¬
terem Schlag oder Stoss, in acht zu nehmen.
Endlich sei noch auf zwei praktische Fälle hingewiesen, in
denen die besprochene Anomalie berücksichtigt werden könnte.
Einmal könnte sie eine Rolle spielen in der Unfallbegutachtung.
1) 1'. Soli, lnflurny.il fiel limo sullo sviluppo sehelelriro. Aivli. «1 i ortnp.
1910. [>. 1. (Cit. nach Yirclinw-Hirseh's .laliresberirht.)
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
IVImt Blaufärbung der Sklera und abnorme Knoehcnbriichigkeit. 2^5
zum andern in der gerichtlichen Medizin. So könnte man sich
vorstellen, dass einem solchen Individuum mit blauer Sklera eine
Körperverletzung beigebracht wurde, bei der sich infolge eines
geringfügigen Anlasses ein Knochenbruch ergeben hat, mithin also
eine schwere Körperverletzung. Trotzdem kommen hierbei auf
Grund der angeborenen Schwäche des Stützgewebes mildernde
Umstände in Betracht.
Wir fassen zum Schlüsse das Ergebnis unserer Darlegungen
kurz in folgenden Sätzen zusammen:
1. Es gibt eine angeborene und vererbbare Anomalie,
die in einer Blaufärbung der Sklera und abnormer
Knochenbrüchigkeit besteht. Die Vererbung geschieht
meist durch die weiblichen Familienangehörigen.
2. Die Symptome der erwähnten Anomalie bestehen
in der eigentümlichen bleigrauen Färbung der Sklera
und darin, dass auch schon bei geringfügigen Ver¬
letzungen Knochenbrüche entstehen.
3. Die Anomalie beruht auf einer angeborenen
Minderwertigkeit des Mesenchymgewebes. Histologisch
findet sich in der Sklera eine Verminderung der Stütz¬
fasern, infolge der Verdünnung der Skleren scheint die
Aderhaut durch diese hindurch.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
X.
Digitized by
(Aus der orthopädischen Heilanstalt des San.-Rats Dr. A. Schanz
in Dresden.)
Objektive Symptome der Insufficientia
vertebrae.
Von
A. Schanz (Dresden).
(Hierzu Tafel XI—XV.)
Als ich auf die Fälle aufmerksam wurde, welche ich unter der
Bezeichnung Insufficientia vertebrae beschrieben habe, da er¬
schien es mir als ein gemeinsames charakteristisches Merkmal, dass
ich zu den immer wiederkehrenden subjektiven Sympto¬
men objektive Krankheitserscheinungen nicht nachweisen
konnte. Ich fand subjektive Beschwerden, wie sie bei tuberkulösen
und anderen Wirbclsäulenentzündungen auftreten, ohne dass ich
eine tuberkulöse oder eine andersartige entzündliche Erkrankung
der Wirbelsäule dazu fand. Ich sah, dass der charakteristische
Komplex subjektiver Symptome immer auftrat, wenn an die Wirbel¬
säule abnorm hoh e Tragansprüche herantraten, oder wenn die
Tragkraft der Wirbelsäule Schädigungen erlitt, also wenn
das Belastungsgleichgewicht an der Wirbelsäule gestört wurde. Ich
beobachtete, dass ich die Krankheitserscheinungen lindern und be¬
seitigen konnte, wenn ich die Belastung minderte und die Trag¬
fähigkeit steigerte, wenn ich das Belastungsgleichgewicht wieder
herstellte. Ich schloss daraus, dass mein Symptomenkomplex erzeugt
wurde durch eine Störung des Belastungsgleichgewichts an
der Wirbelsäule. Ich nannte das Krankheitsbild Insufficientia
vertebrae nach Analogie des von mir für denselben Krankheits¬
zustand am Fuss geprägten Ausdrucks Insufficientia pedis. Ich
sagte, diese Insufficienzerkrankungen sind physiologische Krank¬
heitsbilder. Von anatomischen Krankheitsbildern unterscheiden
sie sich dadurch, dass ihnen charakteristische anatomische
Veränderungen nicht zu gründe liegen.
Wir sind rein pathologisch-anatomisch geschult, ganz be¬
sonders soweit wir chirurgisch ausgebildet sind. Es fällt uns sehr
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSUM OF IOWA
Objektive Symptome der Insufficientia vertebrae.
287
schwer, an Krankheitszustände zu glauben, die uns nicht auf dem
Sektionstisch oder zu mindestens unter dem Mikroskop demonstriert
werden können. Das Achselzucken, das der Chirurg den Diagnosen
der Hysterie, der funktionellen Erkrankungen und ähnlichem ent¬
gegenbringt, begriisste zu meinem Bedauern, aber unter diesen Be¬
dingungen notwendigerweise meine Insufficientia vertebrae: „Erzählen
kann jeder alles. Lassen Sie mich etwas sehen, etwas fühlen.“
Diese Forderung brachte mich in eine gewisse Verlegenheit,
bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. So charakteristisch
wie die subjektiven Erscheinungen der Insuffizienz-Er¬
krankungen der Wirbelsäule, so charakteristisch finden
sich auch objektive. Ich hatte sie nur nicht gesehen. Warum?
Vielleicht entschuldigt mich die Vielgestaltigkeit der objektiven Er¬
scheinungen. Ich musste grosse Mengen von Krankheitsfällen sehen,
ehe ich erkannte, dass Erscheinungen, die am einzelnen Fall zu¬
fällig und nebensächlich erschienen, immer und immer wiederkehrten,
und ich musste grosse Mengen nebeneinander beobachten, um zu
erkennen, dass diese Erscheinungen zwar unendlich vielgestaltig auf-
treten, dass sie aber immer nur Variationen einzelner weniger
Themata sind.
Auf dem Orthopädenkongress 1914 hatte ich eine Sammlung
von Rückenphotographien demonstriert, welche als objektives
Symptom bei Insufficientia vertebrae spastische Spannungen
der langen Rückenmnskeln zeigten.
Daran anschliessend habe ich weiter gesucht nach anderen
bildlich darzustellenden Symptomen. Der Krieg störte mich
und der Krieg half mir. Ich hatte eine recht schöne Sammlung
zusammen, als der Krieg ausbrach, aber als ich aus dem Feld
zurückkehrte, fand ich unter den Kriegsverletzten ein so grosses
und interessantes Material von lnsuffizienzfällen, dass ich in kurzer
Frist eine Sammlung von photographischen Aufnahmen zusammen¬
brachte, wie ich sie im Frieden wohl nie erhalten hätte.
Ich will aus dieser Sammlung eine Auswahl hier vorlegen.
Ich verfolge damit 2 Ziele. Ich möchte wieder und an neuem
Material auf die Insuffizienzerkrankungen der Wirbelsäule hin weisen
und zweitens möchte ich ganz besonders auf die Häufigkeit
dieses Krankheitsbildes unter unseren Kriegsverletzten die
Aufmerksamkeit lenken.
Ich will zunächst noch einmal die subjektiven Störungen,
welche für die Insufficientia vertebrae charakteristisch sind, nennen.
Es sind Schmerzstellen an der Wirbelsäule und von diesen
ausgehende Reizungen des Nervensystems; und diese sub¬
jektiven Erscheinungen treten in äusserster Variabilität auf.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
288
A. Sch an/.,
Digitized by
Objektiv — mit Gesicht und Gefühl — nachweisbare
Erscheinungen finden sich ein, sowie die Erkrankung
einigermassen höhere Grade erreicht. Es sind Erscheinungen,
welche verraten, dass eben eine schmerzhafte Reizstelle in der
Wirbelsäule vorhanden ist, es sind weiter Erscheinungen, w’elche
zeigen, dass die Tragkraft der "Wirbelsäule gelitten hat.
Es treten zuerst auf, was ich auch zuerst beobachtet und
beschrieben habe, krankhafte Spannungen der langen Riicken-
muskeln. Es folgen rasch ganz dieselben Kontrakturen auch an
anderen Muskeln der Wirbelsäule. Es werden Störungen der
Beweglichkeit sichtbar. Es ist ein Stiitzbednrfnis der Wirbel¬
säule zu erkennen. Es kommen endlich Deformhaltungen zur
Entwicklung. Das Uebergreifen der Reizzustände auf das Rücken¬
mark hat auch zum Teil objektiv in Erscheinung tretende Folgen:
Reflexsteigerungen, Paresen, Lähmungen. Diese Erscheinungen lassen
sich im photographischenßild nicht oder nur unvollkommen darstellen.
Ich werde sie deshalb hier nur nebensächlich behandeln.
Ehe ich an einzelnen Bildern die photographisch darzustellenden
objektiven Erscheinungen der Insufficientia vertebrae vorführe,
möchte ich den einzelnen Symptomengruppen noch ein paar Worte
widmen.
Die krampfhaften Spannungen der langen Rücken¬
muskeln zeigen sich vor allem als zwei neben den Dornfortsätzen
der Lendenwirbel vorspringende Längswülste. Sie sind von einer
etwa besonders gut entwickelten normalen Rückenmuskulatur durch
das Gesicht schon recht deutlich zu unterscheiden. Ein Blick auf
die entsprechenden Bilder zeigt das. Noch auffälliger aber ist der
Gefühlsunterschied. Auf normale Muskeln greift man wie auf ein
elastisches Polster, diese Stränge fühlen sich wie harte Seile an.
Der Grad der Spannung dieser Muskeln ist sehr verschieden.
Die besonders charakteristischen Fälle zeigen zwei gleichmässig
scharf vorspringende Wülste. Dann finden wir Fälle, wo der Strang
auf einer Seite wesentlich deutlicher ist als auf der anderen. End¬
lich kommen die Fälle, wo zunächst bei der Betrachtung und Be-
fühlung des Rückens von den Strängen nichts zu sehen ist, wo
sie aber auftreten, sowie der Patient in Rumpfvorwärtsbeugung
übergeht. Dabei machen wir die Beobachtung, dass in der Lenden¬
partie bei der Rumpfbeugung die Lordose bestehen bleibt.
Diese Beobachtung gibt auch die Erklärung für die Bedeutung
unseres Symptomes. Diese Muskelspasmen haben den Zweck die
Druckbelastung der Lendenwirbelkörper zu verhindern. Sie sind
also eine reflektorische Abwehr gegenüber einer Be¬
lastung der kranken, nicht tragkräftigen Wirbelkörper.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Objcktivi’ Symptome der Insuffieientia vertebrae.
289
Ein kleiner Kunstgriff, diese Spasmen deutlich zu machen, sei
noch erwähnt: Reizen der kranken Stellen. Bei der ersten Be¬
trachtung des Rückens ist zuweilen keine Muskelspannung zu be¬
merken, sie tritt auch bei aktiven Bewegungen nicht hervor. Klopft
man aber die Dornfortsatzlinie ab, drückt man auf die Lendenwirbel¬
körper, man macht ein paar scharfe passive Rumpfbewegungen, so
sind sehr häufig die harten Muskelstränge in der Lendenlordose auf
einmal vorhanden.
Zu den Spasmen der langen Rückenmuskeln treten weitere
Muskelkontrakturen regelmässig hinzu, wenn der Fall eine
genügende Schwere erreicht.
Verhältnismässig frühzeitig beobachtet man besonders bei
Fällen mit Ischiassymptomen Kontrakturen der Gesässmusku-
latur. Wenn man diese Leute von rückwärts betrachtet, so er¬
scheinen die Gesässbacken auffällig schmal, hinter den Trochanteren
sieht man grosse Konkavitäten. Die Muskulatur in den Gesäss¬
backen ist fest kontrahiert. Ein Stoss gegen die Ischiadicuswurzeln
ist bei diesen Fällen, die fast immer unter der Firma Ischias
laufen, stets schmerzhaft.
Weiter sehen wir Kontrakturen der Bauchmuskulatur
auftreten. Man sieht scharfe Falten über den Bauch ziehen und
man fühlt bei Betastung die hart gespannten Muskeln.
In solchen Fällen finden sich auch die übrigen Rücken-
muskeln in abnormer Spannung. Man sieht die Konturen des
Cucullaris, des Serratus auffällig scharf. Auch die Halsmuskeln
treten ganz auffällig heraus. Schliesslich in excessiven Fällen sieht
man diese Erscheinung sogar an der Extremitätenmuskulatur.
Die Bedeutung dieser Kontrakturen ist eine ähnliche, wie die
der Kontraktur der langen Rückenmuskeln über der Lendenlordose.
Die Wirbelsäule wird durch muskuläre Fixation vor
schmerzhaften Bewegungen geschützt. Wo wir nur die
Lendenstränge haben, handelt es sich nur um die Abwehr schmer¬
zender Belastungen von den Lendenwirbelkörpern. Wo weitere
Spasmen auftreten, da sind nicht nur Belastungen, sondern alle
Bewegungen der Wirbelsäule schmerzhaft und der Körper wehrt
sie durch Anspannung der Wirbelsäulenmuskeln ab. Wir erhalten
eine Fixation der Wirbelsäule durch Muskelspannung genau so, wie
bei einem spastisch-entzündlichen Plattfuss durch Muskelspannung
die Gelenke des Fusses fixiert werden.
Die altbekannte Muskelspannung am spastisch fixierten Platt¬
fuss und die hier von mir beschriebene spastische Spannung der
Wirbelsäulenmuskulatur — der eigenen wie der Hilfsmuskulatur —
sind natürlich ganz parallele Erscheinungen.
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
A. Srh.'inz.
Digitized by
290
Dass wir diese Erscheinung hier wie da auftreten sehen, ist
ganz selbstverständlich, denn der sogenannte entzündliche Plattfuss
— die Insuflicientia pedis — ist eben am Fuss genau die Erkran¬
kung, welche die Insuflicientia vertebrae an der Wirbelsäule ist.
Als sichtbares Symptom der Insuflicientia vertebrae habe ich
an zweiter Stelle genannt: Störungen der Beweglichkeit der
W i r b e I s ä u I e.
Zum Teil sind solche Störungen schon genannt und beschrieben,
nämlich soweit sie von den Muskelkontrakturen bedingt werden oder
direkt mit diesen in Zusammenhang stehen. Von diesen zu unter¬
scheiden sind die Störungen der grossen Körperbewegungen.
Diese Störungen werden sichtbar, ohne dass man den Patienten
ausziehen lassen muss. Man sieht sie, wenn er sich niedersetzt.
Man sieht sie. wenn der Kranke sich legt, wenn er sich im 1 liegen
aus der Kücken- in die Bauchlage und zurück dreht, wenn er sich
aus der Rückenlage erhebt. Man sieht sie, wenn er etwas vom
Boden aufhebt, wenn er sich aus- und ankleidet.
Bei allen diesen Bewegungen fällt an dem Patienten mit einer
höher entwickelten Insuffizienz eine ganz eigene Unbeholfenheit
auf. Und diese findet, wenn wir genau Zusehen, ihre Erklärung
darin, dass der Kranke bei allen diesen grossen Körperbewegungen
Bewegungen der Wirbelsäule möglichst meidet.
Während der Gesunde beim Aufstehen vom Sitz und beim
Niedergehen zum Sitzen eine weiche Beugebewegung der Wirbel¬
säule macht, heben sich unsere Kranken mit steif gehaltener Wirbel¬
säule durch eine kräftige Knie- und Hüftstreckbewegung, und ebenso
gehen sie umgekehrt zum Sitz nieder.
Der Gesunde, der bequem auf dem Stuhl sitzt, lässt den
Rumpf mit einer Wirbelsäulenbeugung leicht zusammensinken. Unsere
Patienten bleiben stocksteif gerade sitzen, wie wenn sie ein Lineal
im Rücken hätten.
Ganz in dem Typus, wie sich diese Kranken setzen, legen sie
sich hin. Sie brauchen auffällig lange, bis sie glücklich auf dem
Untersuchungstisch liegen. Sie gebrauchen Arme und Beine, wenn
sie sich vom Rücken auf den Bauch drehen sollen und ebenso bei
der Rückdrehung. Und immer wieder erkennt man, dass die Ur¬
sache dieser Unbeholfenheit eben darin liegt, dass Wirbelsäulen¬
bewegungen soviel wie möglich vermieden werden.
Diese Störungen der grossen Körperbewegungen sind so
charakteristisch, dass man sehr häufig die Diagnose machen kann,
wenn man den Patienten das erste Mal im Wartezimmer vom
Stuhl aufstelien sieht. Man muss nur gelernt haben, diese Be¬
wegungsstörungen überhaupt zu sehen und zu beachten.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Objektive Symptome der Insuffii-irntia vertebrae.
291
Auch mit dem nächsten Symptome, dem Stützbedürfnis
der Wirbelsäule verhält es sich so. Dass einer von unseren
Kranken sagt: „meine Wirbelsäule trägt nicht oder ich habe das
Bedürfnis, meine Wirbelsäule zu stützen“ — das kommt so gut
wie niemals vor. Selbst wenn man direkt darnach fragt, wird die
Frage fast stets verneint.
Aber wenn man den Patienten beobachtet, dann sieht man ihn
immer wieder Handlungen ausführen, denen das instinktive Bestreben
zu Grunde liegt, der Wirbelsäule Last abzunchmen, sie zu stützen.
Der Kranke, der sich zu mir setzte, und mir seine Klagen
über, wer weiss welche Beschwerden vorträgt, legt die Hände auf
die Kniee und streckt die Ellbogen — bald mehr bald weniger.
Er setzt die Hände beiderseits auf den Sitz und stemmt die straff
gestreckten Arme auf. Er sucht einen Stuhl mit Armlehnen, setzt
sich steif hinein und presst die Ellbogen auf die Armlehnen. Er
sucht Ellbogenauflage auf einem Tisch. Er stützt den Kopf in die
Hand. Er wechselt diese Haltungen, sodass eine ganz eigene
Unruhe in Erscheinung tritt. Wenn wir den Patienten bei einer
Untersuchung verlassen, finden wir ihn bei der Wiederkehr nach
kurzer Zeit sehr oft liegend wieder, oder er ist wenigstens vom
Stuhl aufgestanden. Im Stehen kann er die Wirbelsäule leichter
lordosieren als im Sitzen, die schmerzhaften Wirbelkörper können
besser entlastet werden.
Schwerere Formen des Stützbedürfnisses erkennt man auch im
Gehen, — auf der Strasse. Sehr gern legt der Patient z. B.
die Hände auf den Rücken, ins Kreuz. Er bringt damit die
Last der Arme hinter die Schwerlinie des Rumpfes. Vor derselben
drückt sie auf die Wirbelkörper, hinter derselben trägt die Dorn¬
fortsatzreihe diese Last.
Bei weiterer Steigerung des Stützbedürfnisses greift der
Patient zum Stock, auf den er sich schwer aufstützt. Nimmt
er nur einen Stock, so stützt er die zweite Hand gewöhnlich auf
die Hüfte. Hat ein solcher Patient schwere Beinschmerzen (Ischias)
und hinkt er, so ist dieses Einstützen der Hand auf die Hüfte ein
wichtiges differential-diagnostisches Symptom. Es zeigt, dass die
schlecht tragende Stelle oberhalb des Beckens liegt. Auch zum
Gebrauch zweier Stöcke, zum Gebrauch von Krücken gehen unsere
Patienten über, wenn die genannten Stützmittel nicht mehr genügen.
Gelegentlich führt das Stützbedürfnis der Wirbelsäule zu ganz
eigenartigen Handlungen. So trifft man z. B. Patienten, die ihre
Wirbelsäule auf die Bauchblase stützen. Die mit den Eingeweiden
gefüllte Bauchhöhle ähnelt einer nicht prall gefüllten, allseits ab¬
geschlossenen Blase. Presst man eine solche Blase zusammen, so
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft *2. 9()
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
A. Srlianz,
Digitized by
>92
gerät ihre Wandung unterSpannung und die Blase erhält die Fähig¬
keit, Belastung zu tragen. Spannt sich die Bauchblase zum festen
Stand, so kann sie Teile der Rumpflast übernehmen und die Wirbel¬
säule entsprechend erleichtern.
So lindet sich die Erklärung für die recht häufige Beobachtung,
dass Frauen, die an Spondylitis leiden, in der Gravidität sich ver¬
hältnismässig wohl finden. Dieselbe Erscheinung und dieselbe Er¬
klärung dafür geben Fälle von Insufficienz.
Andere Patienten stellen die Spannung der Bauchblase künst¬
lich durch gürtelförmige Zusammenschnürung her. Sie
schnüren sich den Bauch durch Leibriemen, Gürtel und ähnliches
zusammen, und erzählen, dass sie sich dadurch wohler fühlen.
Typische Beispiele werde ich abbilden.
Ich komme nun noch zu den Deformhaltungen.
Ich schreibe nicht Deformitäten. Es entstehen zwar aus
Leberlastungen der Wirbelsäule, wenn sie nur lange genug dauern,
nicht nur die lnsuffizienzsymptome, sondern auch Ueberlastungs-
deformitäten als Skoliosen und Kyphosen. Diese Fälle habe ich hier
aber nicht im Auge, sondern die Deformhaltungen, bei denen nor¬
mal geformte Knochen in pathologische Zwangsstellungen zueinander
gestellt werden. Ich will das, was ich meine, wieder durch Verweis
auf analoge, allgemein bekannte Erscheinungen am Fuss illustrieren.
Wir haben am Fuss als Produkt langandauernder Ueberlastung
den echten Plattfuss, bei dem die Knochen des Fusses ihre typischen
Veränderungen gewonnen haben. Zu diesem Krankheitsbild gehört
nicht die Fixation durch Muskelspannung. Sie kann vorhanden
sein, aber sie muss es nicht.
Dagegen haben wir Fälle, wo die Fussknochen noch keine
oder wenigstens keine wesentlichen Aenderungen erfahren haben,
wo uns aber scharfe Muskelkontrakturen den Fuss in der Stellung
eines Pes valgus straff fixiert halten.
ln diesen Fällen von entzündlichem Plattfuss oder richtiger
gesagt, in diesem spastischen Stadium der Insufficienz des Fusses
haben wir nicht eine Deformität, sondern eine Deformhaltung.
So ist es auch an der Wirbelsäule: neben den Leberlastungs-
deformitäten gibt es Deformhaltungen auch hier bedingt durch
M uskelkontrakturen.
Nachdem wir schon die Muskelkontraktur als Symptom der
Insufficienzerkrankung genannt haben, ist es unmöglich eine scharfe
Grenzlinie zu ziehen zwischen den dort eingcreihten und den hierher
zu bringenden Fällen.
Eine Kontraktur der langen Rückenmuskeln in der Lenden¬
partie erzeugt eine Lordose oder verhindert wenigstens deren Ver-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Objektive Symptome der Insufficientia vcrtebrac.
293
schwinden beim Rumpfbeugeversuch. So haben wir also die Ver¬
bindung des Spasmus mit der Deformhaltung.
Im einzelnen Fall tritt die eine oder die andere Erscheinung aber
doch deutlicher vor das Auge und wir werden das eine Mal von der
Muskelkontraktur, das andere Mal von der Deformhaltung sprechen.
Die bei Insufficienzcrkrankungen auftretenden Deformhaltungen
sind sehr wechselreich. Sie lassen sich aber in zwei Gruppen
trennen: Deformhaltungen der Wirbelsäule selbst und De-
forrahaltungen ausserhalb der Wirbelsäule.
An der Wirbelsäule selber sehen wir zunächst recht häufig
abnorm starke Lordosierung. Die Patienten gehen mit „hohlem
Kreuz.“ Das sind besonders die Fälle, wo die Kontraktur der
Lendenmuskeln sehr auffällig ist. Dann ist eine charakteristische
ebenfalls häufige Deformhaltung die Einstellung der Wirbelsäule
in eine ganz gerade Linie. Es verschwinden also die normalen
anteroposterioren Krümmungen.
Eine Steigerung dieser Deformhaltung ist es, wenn an Stelle
der Lendenlordose eine Kyphose, und an die Stelle der Brust¬
kyphose die Andeutung einer Lordose tritt.
Und als eine noch höhere Steigerung ist anzusehen, wenn die
ganze Wirbelsäule sich in eine schwere Beugekontraktur zu¬
sammenzieht.
Die Deformhaltungen, die sich mit ihrer Ausschlagsrichtung in
anteroposterioren Krümmungen bewegen, sind die häufigeren, es gibt
aber auch recht viele mit seitlichem Ausschlag. Wir wissen, dass be¬
ginnende Spondylitisfälle sich zuweilen in Form skoliotischerHaltungen
ankündigen. Genau solche Haltungen sehen wir bei Insuffizienzen:
schnell auftretende, schwere skoliotische Haltungen ohne knöcherne
Veränderungen. Die sogenannten hysterischen Skoliosen, über die
zeitweise lebhaft debattiert worden ist, sind solche Insuffizienzfälle.
Die Deformhaltungen der Wirbelsäule mit seitlichem Ausschlag
sind meistens verbunden mit ausserhalb der Wirbelsäule gelegenen
Deformhaltungen, ganz besonders oft mit Hüftkontrakturen. An
diesen Fällen fällt uns zunächst das seitliche Ueberhängen des
Rumpfes auf; ausserdem Hinken des Patienten.
Nimmt man den Patienten in einen Suspensionsrahmen, so ist
die W r irbelsäulenfalschhaltung durch Extension zu beseitigen, wenn
man dem Patienten erlaubt, das Bein, auf dem er hinkt, nach dem
Bauch anzuziehen. So sieht man, dass eine pathologische Hüft-
stellung der Grund der ganzen Deformhaltung ist.
Die Hüftkontraktur hat ihre Ursache in einer Kontraktur
des Psoas, verursacht durch Reizungen, welche von der erkrankten
Wirbelsäule auf die Psoasursprünge übergehen.
•20’
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
294
A. Schanz.
□ igitized by
Alle diese Fälle verlaufen mit schweren Schmerzen im Ischia-
dicusgebiet. Sie gehen fast ausnahmslos unter der Firma Ischias, und
die Deformitäten sind, wie das Hinken ein typisches Ischiashinken ist,
typische Ischiasdeformitäten: Scoliosis ischiadiea, Ischias scoliotica.
Diese Deformhaltungen sind als ischiadischc Deformitäten lange
bekannt. Der Irrtum ist nur der, dass man eben in der Ischias
das Primäre gesehen hat. Tatsächlich sind es Wirbelsäulen¬
erkrankungen, — Insuffizienzen, bei denen ausstrahlende Schmerzen
im Ischiadicusgebict uuftreten, weil die Reizstellen der Wirbelsäule
besonders im Ursprungsgebiet des Isehiadicus liegen.
Auf den Zusammenhang von Ischias und Insufficientia vertebrae
will ich nicht weiter eingehen. Als Stützen für meine Erklärung
will ich nur den therapeutischen Erfolg anführen.
Alle jene Fälle von „Ischias“ und „Ischiasdeformitäten“, auf
welche ich meine Anschauung stütze, sind Ischiaskuren unterworfen
gewesen, — ohne jeden Erfolg. Auf die Insufficienzbehandlung
ist die ganz unberücksichtigte „Ischias“ ein wie das andere Mal
prompt geheilt.
Ich gebe nun eine Auswahl charakteristischer Bilder, mit denen
ich am Einzelfall zeigen will, was ich im vorstehenden be¬
schrieben habe.
1. Spasmi'ii der langen lt iickeninu.skel n < Fit:. 1 u. 1 a. Taf. XI'.
Priderscits der Pornfortsatzlinie ziehen über die Lcndenlordose zwei si*liruf
heraussprin^pnde Muskelwiilste, di«' sich hart wie straff«' Seih* - anfii 1 1 l«*n.
Ks han« 1<* 11 sich um einen im Fehl an -Ischias’* erkrankten Soldaten.
Es fand sich 1 )ru«*k <* n 11 » fin« 11 i«*hkeit der Lcndenwirbelkörper. Klopfschmerzen an
den Dornfurtsiitzrn der Lendenpartie. St«»ss irciren die linke Isehiadieuswur/el
schmerzhaft. Leichtes Fsehiashinken. Patient war vom Xeuroloiren erfolg!..>
behandelt, ln Insiiffizienzkur rasche 1 >(*s«*itiiriuiir der -Ischias“.
2. Spasmen der langen \l ü e k e n m u s k e 1 n (Fier. 2 u. 2a. Taf. XI.
Der Fall ähnelt dem Fall 1 so. dass ich mich selbst besonders überzeugen
musste, ob nicht etwa derselbe Mann zweimal photoirraphiert wurde. Di**
Muskelstrlinue ii 1»er der Lendenlordose treten iranz typisch hervor.
I)i(* Erkrankung seldoss sieh an eine (iranalverletzung an. Pat. ist v*>n
Steinen und Sprengstiicken iretroffen worden, ohne blutende Wunde.
Subj.: Klagen besonders über Seliwiiehe im linken Arm und lsehiassehmerzen
im linken Pein.
Pefund: Starker Klopfsrhmerz in der Dornfortsatzlinie vom oberen PruM-
abselmitt bis aufs Kreuzbein. Druck ueuen Lcndenwirbelkörper wird vor den n
Frreirlumu unter Schmerzäusserunu ab^ewehrt. Stuss ge^en linkt* lsehiadi»-us-
wurzeln stark schmerzhaft. Insuffizienzkur erzielt prompten Erfolg.
An «lern Fall ist interessant die Entstehung t*iner echten traumatisch« n
Skoliose. Patient beobaelilet, dass seim* linke St*ite -dicker wird“. Der be¬
ginnende Pippeidmekel ist auf der c<*rade von hinten angenommenen Ph"t>i-
L r ra.phic schon zu erkennen.
3. Spasmen der langen P ii c k e n in u s k e 1 n fFiir. 3. Taf. XD. Wie in
Fall 1 u. 2 sehen wir hier die Muskelwiilste bridersi*its «ler Leiidend«»rnforl>:it/.e.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Objektive Symptome Oer Insuffieientia vertebrae.
295
Wir sollen aber aueli <lic Konturen der breiten Rüekenmuskeln auffällig -
abnorm - scharf hervor!roten.
Die Aufnahme, ist von einem meiner Schüler. Dr. Sachs, im Fehle
herzest el lt.
Der Patient ist mehrere Wochen vor der Aufnahme von einem Pferd an
die W and gequetscht worden. Kr suchte ärztliche Behandlung weiten Magen-
beseliwerden und Stechen in der Brust: sehr häufige Klagen bei Insuff, vertebr.
An der Wirbelsäule der übliche Schmerzbefund: Klopfsehmerz an der
Dornfortsatzlinie vom oberen Brustteil bis zum Kreuzbein. Druckschmerz der
hendenkörper.
4. Spasmen der langen R ii e k e n m us k e ln und Kontraktur der
(i esässmusku latur (Fit:. 4. Taf. XI). Wir sehen wieder die beiden Muskel¬
wülste beiderseits der Lendendornfortsätze. Dazu tritt deutlich eine Kontraktur
der (ilutäalmuskulatur: die (iesässhaeken sind schmal, hinter den Trochanteren
sehen wir lt rosse Konkavitäten.
Der l > atient hat vor Jahren einen schweren Reitunfall erlitten. Hs soll
ein Beekenbrueh bestanden haben. Kr irlaubte, von diesem l’nfall v«'»lIiir ge¬
nesen zu sein, suchte meine Hilfe wegen Schmerzen in beiden Knien.
Ks fand sieh dm* typische Insuffizienzbefund an der Wirbelsäule: Klopf-
.vhmerz in der Dornfortsatzlinie. Druckschmerz der Lendenkürper. Stoss auf die
Ischiadieuswurzeln beiderseits stark sehmerzliaft. Patient hatte schon wieder-
liolt Isehiaskuren durehgemaeht.
Kine Insuffizienzkur führte zum prompten Erfolg.
5. Spasmen der 1 an gen R iickenm uskeI n und Kontraktur der
(i esässmusk ulat ur (Fit:. f>, Taf. XI). Ich setze den Fall zum vorigen um
zu zeigen, wie leicht die (lesässkontraktur dem Auge verd 'ekt werden kann.
Im vorigen Fall deutlich zu sehen, wird die Kontraktur hier fast völlig dadurch
verdeckt, dass Patient durch Spreizung der Beine die Hosen hält.
Im übrigen an der Wirbelsäule der typische Insuffizienzbefund.
ü. Die Kontraktur der B auch muskulatur (Fiir. b, Taf. XI) zeigt
sieh durch die Längsfurche an der Seite des Muse, reetus abdominis und durch
die (^uerfurehe in der Hühe des Nabels. Auch die Kontraktur der (iesä>s-
muskulatur ist zu erkennen an der Vertiefung hinter dem Trochanter.
Charakteristisch an dem Bilde ist im übrigen die Winkelstellung des
Kumpfes zu den Hüften und das Kinstemmen der rechten Hand auf den Hüft-
kamiii: Deformhaltung und Stützbedürfnis!
An der Wirbelsäule der typische Insuffizienzbefund: Klopfsehmerzen in
der Dornfortsatzlinie, Druck gegen Lendenkörper stark schmerzhaft, ebenso Stoss
gegen die Ischiadieuswurzeln. Schwere Isehiassehmer/.en, Isehiasliinken.
Ursache: Stauchung der Wirbelsäule. Feldverletzung.
Insuffizienzbehandiung führte zum prompten Erfolg.
7. Die Kontraktur der Bauchmuskeln (Fig. 7. Taf. XI) verrät sieh
auf dem Bilde durch die quer über den Bauch ziehende tiefe Furche.
Auch hier ist. wie im vorigen Fall, die Kontraktur der (iesässmuskeln
zu erkennen.
Die Winkelstellung zwischen Rumpf und Oberschenkel genau wie im
vorigen Fall.
Besonders aufmerksam zu machen ist auf die eigentümliche Starre in Kopf¬
haltung und (resiehtsausdruek. Auch dies ist typisch für Insuffizienzerkrankungen,
bei denen die oberen Partien der Wirbelsäule besonders betroffen sind.
Wir haben an der Wirbelsäule im übrigen den typischen Insuffi/ien/.-
brfuiid: l\ lupfschmerzen in der ganzem Dornfortsalzlinie, Druck gegen die Lendcn-
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
296 A. Schanz.
körper und gegen die Ischiadicuswur/eln stark schmerzhaft. Patellareflex«*
gesteigert.
Die Erkrankung geht zurück auf (‘ine im übrigen glatt geheilte Granat*
splitten erwundung. Die Narbe sitzt im Kücken üher der Mitte der Lenden¬
wirbels, : iule.
Insuffizienzbchandlung hat zu promptem Erfolg geführt. Patient wieder
fclddicnst fällig.
8. Die Kontraktur der Hau c h in u s k ti 1 at u r (Fig. 8, Taf. XI) zeigt sieh
im Sitzen durch die scharfe Querfalte oberhalb des Nabels.
Ks handelt sich um denselben Patienten, den Abbildung 4 von rückwärts zeigt.
Ich mache aufmerksam auf das Aufstützen beider Hände auf die Sitz¬
fläche. Wir werden an späteren Abbildungen sehen, dass dies ein charak¬
teristisches Symptom der Insuffizienzerkrankung - ein Ausdruck des Stützbe¬
dürfnisses der Wirbelsäule ist.
1). Störungen in der Beweglichkeit der Wirbelsäule. Abnorme
Steifhaltung (Fig. 9 u. 9a, Taf. XI). Patient hält seine Wirbelsäule stock-
gerade. „Wie wenn er einen Ladestock verschluckt hätte.“
Auch bei längerem Sitzen sinkt der Kumpf nicht in eine bequeme Kuhc-
haltung zusammen. Ganz besonders auffällig ist diese Steifhaltung, wenn der
Patient sich vom Sitz erhebt. Die zweite Aufnahme ist gemacht, während er
aufsteht. Sie zeigt, dass das Erheben nur durch Beinbewegungen geschieht,
und dass die stocksteife Kumpfhallung dabei beibehalten wird.
Es handelt sich um einen Fall aus meiner Zivilpraxis. Nach Sturz auf
einer Treppe hat sich das typische Insuffizienzbild mit Klopf- und Druck¬
schmerz. Muskelspasmen und ausstrahlendcn nervösen Beschwerden in Form von
Interkostalneuralgien entwickelt.
Ich bilde den Fall später noch einmal ab zur Demonstration des Stiitz-
bedürfnisses der Wirbelsäule (Fig. 25, Taf. XIII).
10. Bewc glichkeitssl ö r u n g d e r \V i r b e 1 s ä ule. A b n o r m e Steif-
haltung (Fig. 10 u. 10a, Taf. XII). Um zu zeigen, wie typisch die beiden
Bilder sind, setze ich hinter dieselben diese beiden vorigen.
Es erübrigt sich jede Erklärung.
Es handelt sich um einen Patienten der Zivilpraxis mit dem typischen
Insuffizienzbefund, dessen Kennzeichen ich nun nicht mehr jedesmal wiederhole.
Besondere Klagen in diesem Fall: Ischias und Intercnstalneuralgien.
In der Anamnese kein Trauma nachzuweisen.
11. B e w e g 1 i c h k e i t s s t ü r u n g d e r W i r b e I s ii u I e. A b n o r m e S t e i t -
halt ung (Fig. 11 u. 11a, Taf. XII). Auch diese Patientin zeigt dieselbe Störung
wie die Figuren 9 u. 9a, sowie 10 u. 10a.
Ich gebe die beiden Bilder, um zu zeigen, wie diese Störung verschleiert
werden kann.
Die Patientin ist ein Jahr vor Aufnahme der Photographie eine Treppe
herabgestürzt. Seitdem allgemein »nervöse“ Störungen und besonders Schmerzen
im Fnterlcib und Mastdarm. An der Wirbelsäule der typische Insuffizienz-
Befund. Die Steifhaltung der Wirbelsäule erkennt man erst, wenn man über
die Deformität des hohlrunden Kückens hinwegblickt. Die Patientin, ein* 1
Bauernfrau, hat den ihren Jahren entsprechenden Bauernrücken. In dessen
Form hält sic ihre Wirbelsäule im Sitzen und im Aufstehen vom Sitz steif.
Man muss also lernen, an einer deformen Wirbelsäule eine Bewegungs¬
störung zu sehen, die nicht von der Deformität bedingt ist.
12. Beweglichkeitsstörung der W irbelsäule. Abnorme Sieif-
haltung (Fig. 12. Taf. XI1). Ich gebe hier ein typisches Sprechstundenbild.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Objektive Symptome der Insuffieientia vertebrae.
2D7
Der Patient ist photographiert, während er sich die Stiefel auszieht. Der im
Hiicken normal bewegliche biegt sich dabei mit einer W ir!><• ls;iulenbeutrii mlt tief
herunter. Der Wirbelsäulenkranke hebt den Fuss hoch herauf und streckt die
Arme so lang als möglich herunter. Eine Wirbelsäulenbeugung wird tun liehst
'vermieden.
Es handelt sieh um einen Fall mit typischem Insuffi/icnzbefund. Ursache
Autounfall im Feld. Hauptklage: Schmerzen unter den Schulterblättern, Be¬
hinderung der Kumpfbewegungen. bei Versuch, länger mitzumarschieren, Zittern
am ganzen Körper.
Insuffizienzkur hat, wie in allen hier vorgeführten Fällen zu promptem
Erfolg geführt.
IS. Bcwegliehkcitsstörung der Wirbelsäule. Abnorme Steif-
hallung (Fig. IS, Taf. XII). Auueh diese Aufnahme zeigt ein charakteristisches
Sjirechstundenbild.
Patient ist photographiert, während er das Hemd anzieht. Der Wirbcl-
säulengesunde kriecht in das Hemd, indem er Kopf und Kumpf nach vorn beugt.
Di eser Wirbelsäulenkranke hebt das Hemd über den Kopf und hält dabei den
Kücken steif gerade und den Kopf steif erhoben.
Patient ist im Feld von durchgehenden Pferden Hingerissen worden.
Darnach Kiickensehmerzen, allgemeine nervöse Störungen, Schlaflosigkeit,
Ischias. An der Wirbelsäule typischer Insuffizienzbefund.
Insuffizienzkur hatte prompten Erfolg.
14. B e w e g 1 i c h k e i t s s t ö r u n g der Wirbelsäule. I> e1 1 i n< 1 er u iur der
Kopfdrehung (Fi". 14. Taf. XII). Patient ist aufgefordert. nach dem ihm
links über sein Ohr gehaltenen Gegenstand zu blicken. Der Wirbelsäulen-
iresnnde dreht in diesem Fall den Kopf scharf nach der Seite. Dieser Patient
behält das Gesicht gerade nach vorn gewendet und sucht durch eine exeessive
Augenbewegung den Gegenstand in den Blick zu bekommen. Würde der Mann
stehen, so würde er den ganzen Körper nach links herumdrehen.
Es handelt sich um einen Fall aus meiner Zivilpraxis. Nach einem Sturz
auf den Kopf klagt Patient über Kopfschmerzen, Parästhesien im Hinterkopf,
nervöse Störungen. Es finden sieh die typischen Insuffizienzsymptome im
oberen "Feil der Wirbelsäule.
15. Bewegungsstörungen der Wirbelsäule. Behinderung beim
Biieken (Fig. lf), Taf. XII). Alle unsere Lehrbücher schildern in Wort und
Bild die Behinderung im Bücken beim Spondylitiskranken.
Diese Erscheinungen sind so bekannt, dass ich mich begnüge, durch eine
einzelne Darstellung zu zeigen, dass beim Insuffizienzkranken genau dieselbe
Störung auftritt.
Patient ist aufgefordert, das rechts seitlich von ihm auf dom Fussboden
liegende Hemd aufzuheben. Er hält sieh mit der linken Band am Operations¬
tisch fest, streckt das linke Bein nach rückwärts und biegt das rechte Bein in
Knie- und Hüftgelenk. Mit einer Seitenbewegung des Kumpfes greift er nun zu
dem Hemd herunter. Wie schwer ihm diese Seitenbiegung wird, und wie sieh
der Körper gegen dieselbe sträubt, zeigt der scharfe Muskelwulst, welcher durch
Anspannung der Längsmuskeln links neben der Dornfortsatzlinie hervortritt.
Es handelt sieh um einen Insuffizienzfall aus dem Felde mit dem typi¬
schen Wirbelsäuleubefund und typischen Behandlungserfolg. Ursache: Flieger-
bombenverlctzung, bei der das Becken getroffen wurde.
16. Bewegungsstörung der Wirbe 1 säulc (Fig. 1 (i, Taf. XII). Patient
ist im Liegen, während er von der Rückenlage in Bauchlage übergeht, photo¬
graphiert. Der Wirbelsäulengesunde dreht sieh rasch und leicht um, ohne sieh von
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
*298
\. Schanz,
Digitized by
der Lagerfläche zu erheben. Fnsere Patienten wälzen sich mühsam unter Hilfe von
Armen und P>einen und unter Aidieben des Rumpfes von der Lagerfläche herum.
Es handelt sich um einen Fall schwerer Insuffizienzerkrankung nach
Sehützengrabenverschüttung. Spasmen der Kückenstrecker, Kontraktur der Ge-
sässniuskeln. schwere Klopf- und Druekompfindlichkeit in der unteren Hälfte
der Säule. Zittern an Armen und Keinen. Kopfschmerz, Ohrensausen, Sehlaf-
losigheit. schwere Isehias.
Auf Insuffizicnzhrhandlunir prompter Erfolg.
17. St iit z I)ed iir! nis der Wirbelsäule (Fig. 17, Taf. XU ). Ein sehr
häufiges und charakteristisches Sprechstundenbild.
Während der Patient seine Leidensgeschichte erzählt, legt er die Hände
auf die Knie. Der Kumpf ist leicht nach vorn gebeugt, die Arme sind massig
belastet. Der Patient liebt ohne Schwierigkeit eine oder auch beide Hände von
den Knien ab, aber er bringt sie immer wieder auf die Knie zurück. Es sei
denn, dass er Gelegenheit findet, etwa durch Aufstemmen des Ellbogens auf eine
Tischplatte oder auf ähnliche Weise eine andere Entlastungsgelegenheit zu erhalten.
Alle diese Stützungen führt der Patient völlig instinktiv aus. Wenn man ihn
fragt, warum er die Hände immer wieder auf die Knie legt, ist er ganz erstaunt,
und erklärt die Handlung für Zufall oder für eine Gewohnheit. Ieh mache bei
dieser Photographie noch besonders auf die trübselige Miene des Patienten auf¬
merksam. Man sieht sie bei Insuffizienzpatienten oftmals als Ausdruek der so
häufig mit der Insuffieientia vertebrae auftretenden psychischen Depression.
Es handelt sieh um einen Fall aus meinerZivilpraxis. Typische Insuffizienzsym¬
ptome besonders im Hals- und am oberen Brusttoil nach Heben einer schweren Last.
IS. S t ü t z bed ü r f n i s der Wi rbe 1 siiu 1 e (Eig. 1S, Taf. XII). Wie der
Patient auf dem vorigen Hihi benutzt dieser die Arme zur Entlastung der
Wirbelsäule. Der höheren Entwicklung der Erkrankung entsprechend stützt er
sich aber viel energischer auf. Er setzt die Hände auf die Sitzfläche und stellt
die Ellbogen in volle Streckung. Einem solchen Patienten ist die Hilfe, welche
ihm das Aufstemmen der Arme verschafft, bewusst.
Es handelt sich um einen Fall aus der Zivilpraxis mit schweren lnsuf-
fizienzsymptomen, ohne dass in der Anamnese ein Trauma naehzuweisen ist.
19 . Stützbed ii rfnis der Wirbelsäule (Fig. 19, Taf. XII). Ein Gegen¬
stück zum vorigen Bild. Ich gebe es. weil die Hand zeigt, wie kräftig sieh der
Mann auf dieselbe stützt.
Das Bild zeigt auch die Kontraktur der langen Kückenmuskeln und
wiederum den trübseligen Gesichtsausdruck des Deprimierten.
Es handelt sich um einen Fall aus der Zivilpraxis. Dem Patienten ist
eine schwere Last auf den Kopf gestürzt. Er klagt über gürtelförmige Schmerzen
im Bauch. Ist in einer Enfallklinik als schwerer Simulant begutachtet.
An der Wirbelsäule finden sich hochgradige typische Insuffizienzsymptome.
Behandlung hat nicht stattgefunden.
20. S t ii t z I) cd ii rfnis d e r Wi r be 1 s ä u 1 e (Fig. 20, Taf. XIII). Wieder (‘in
häufiges Sprechstunden- oder Wartezimmerbild. Patient setzt sich, wo irgend
Gelegenheit, in einen Stuhl mit Armauflage. Er stützt sich den Kücken durch
festes Aufstemmen der Ellbogen.
Es handelt sich um einen verhältnismässig frischen Fall. Ein Sehrapnell-
stiiek hat dem in der Schützenlinie liegenden Patienten in den Kücken ge¬
schlagen. ohne eine Wunde zu erzeugen. Sehwäehegefiihl im rechten Bein,
Schmerzen im Kücken machten ihn dienstunfähig. Er wird unter der Diagnose
„Xervcnzernittung" heimgesehickt. Am Kücken der typische, schwere Insuffi-
zienzbefund. lnsuffizimizkur führt zu prompten Erfolg.
Gck igle
Original frnm
UNIV RSITY OF IOWA
Objektive Symptome der Insufficientia vertebrao.
299
21. Stüi zbediirf nis der Wirbe 1 siin 1 o (Fiir- 20a. Taf. XIII). Der
vorige Patient mich einmal. Er ist aufgcslandcn. Den Stuck, den er auf dem
vorigen Bild zwischen den Knien licken hat, benutzt er jetzt, um sieh stark
darauf zu stützen. Er leert den Griff des Stuckes an dem Becken an und
stemmt den rechten Arm scharf auf. Die linke Hand stützt er in die Hüfte.
Auch mit dem linken Arm entlastet er dadurch die Wirbelsäule.
Charakteristisch an dem Bild ist auch die ganze „stocksteife“ Eumpfhallung.
22. Stützbedürfnis der Wirbelsäule (Fig 21—21a, Taf. XIIL). Wie
charakteristisch die Benutzung von Stock und Hüftstütze auf dem vorigen Bild
ist. zeige ich durch einen Patienten, der dieselbe Entlastung seiner Wirbelsäule
benutzt. Die Vorwärtsneigung des Rumpfes erzwi igt eine Variation im Ge¬
brauch des Stockes: derselbe wird vorgesetzt.
Auch die Gesiehtsziige dieses Patienten lassen wieder einmal die nervöse
Depression erkennen.
Es handelt sieh um eine typische Insuff, verleb, anschliessend an einen
schweren Sturz bei einem Schützenanlauf.
Ich setze eine zweite Photographie zu dem Fall (Fig. 21a), die aufge-
nummeji wurde, als die klinische Behandlung beendet war. Sie zeigt die freie,
ungezwungene Körperhaltung, die mit der Abdämpfung der Insuffizienzsymptome
zurück kehrte.
23. Stütz!) e d ii rf n i s d e r Wi r b e I s ä u 1 e (Fig. 22, Taf. X111) b e f r i e d i g t
durch Gebrauch zweier Stöcke, die Patient beim Gehen abwechselnd vor¬
setzt. Auf den feststehenden Stock wird wechselweise durch den straff ge¬
streckten Arm ein grosser Teil der Rumpflast übertragen.
Es handelt sieh um einen verhältnismässig frischen Fall. Patient ist von
einem Baum gestürzt. Typischer Insuffizienzbefund. Gewohnter Erfolg der
Behandlung.
24. S t ii t z b e d ii rf n i s d e r Wirbels ä u 1 e (Fig. 23, Taf. X111). Von < ler
Benutzung zweier Stücke zur Benutzung zweier Krücken ist ein Schritt, den
unsere Patienten auch gelegentlich machen.
Hier handelt es sieh um eine schwere Insuffizienz nach einer SVhiitzen-
grabenversehiittung. Die gespannten Kiickenstrecker und die kontrahierten
Gesässrnuskeln zeigen die Erkrankung der Wirbelsäule. Im übrigen hochgradige
Klopf- und Druckempfindlichkeit der Säule von Mitte des Brustteils nach ab¬
wärts. Zittern an Armen und Beinen, Ischiasschmerzen. Kopfschmerz, Ohren¬
sausen. Schlaflosigkeit.
lnsuffizienzhehandlung führt zu üblichen Erfolg.
25. Stützbedürfnis der Wirbelsäule (Fig. 24, Taf. XIII). Der
Patient legt sieh instinktiv die zusammengefalteten Hände auf das Kreuz. Er
bringt dadurch einen Teil der Armlast hinter die Schwerlinie des Körpers und
er entlastet um so viel die Wirbelkörper. Die hier dargesteilte Haltung
sieht man von Leuten mit insuffizienter Wirbelsäule unterwegs auf der Strasse
sehr gerne entnehmen. Sind sie imstande die Lendenwirbelsäule zu lordosieren
und den Rumpf richtig aufzurichten, so legen sie gern den mehr als auf diesem
Bild gebeugten Arm in die Lendenhöhlung,
Den Patienten dieses Bildes habe ich schon in Fig. 7 dargestellt zur
Demonstrierung der Spannung der Bauchmuskulatur. Ich mache darauf auf¬
merksam, wie haarscharf genau in den beiden Aufnahmen dieselbe Rumpf¬
haltung und derselbe* Gesicht.sausdruck wiederkehrt. Wie* wenn man eine Holz-
figur zweimal photographiert hätte! Die starre ITibewcgliehkrit des Patienten,
nicht etwa eine Absicht des Photeigraphen, ist dafür die Erklärung.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
300
A. Sr Im nz.
Digitized by
29. Si iit zbe»l iirfn is <lr r Wi rh»* 1 sä u I »* (Fiir. ' 2 '). Taf. XIII'). Es ist <!**r
Patimit. <l»*n wir schon in Ein. 9 darirrstrllt haben. Wie dort, sitzt er auch
auf diesem Hihi „stoeksbüf“ und mit auf die Sitzfläeh»* eestiitzien Armen.
Hier ist er aber darL r estellt mit einem iranz merkwürdigen (»»‘bilde. Ks ist
ein breiter (iiirtel. den er um den Hauch träitt - das Rudiment eines
(ii|»>kor>ettes -. durch »l»*sM*n Anlegen Patient bedeutend»* Erleiehterum: gewinnt.
I)i»»s«*r (iiirtel ist natürlich nicht imstamle. direkt eine nennenswerte Stiitz-
wirkuiur auszuüben. Dieselbe kommt aber indirekt durch Spann uni: der
Bauch b I ase zustande.
Die Bauchhöhle ist eine durch ihren Inhalt nicht straff gespannte Blase.
Presst man die Blase durch einen (iiirtel zusammen, so gewinnt sie Spannung
und presst nach oben und unten. So erhält sie die Fähigkeit, eine St ützwirkum:
für den Kumpf zu enthalten.
27. St ii t z hed iirf n i s der Wirbelsäule befriedigt durch eine Binden-
wiekeluiiL r um den Bauch (Fiir. 29, Taf. XIII). Kin Scitonstiiek zum vorigen
Fall. Währ»*ml <h*r Pati<‘nt d<»rt durch ärztliche Verordnung eines (iipskorsetts
zu einem tiiirtel gekommen ist, hat tli».*ser »lie wohltätii:»* Wirkung der Spannung
der Bauehblasc durch di»* Bauehbind«* alh*in gefuinlcn.
Es handelt sich im übrigen um eim*n typis»*hen Insuffizienzfall nach einer
Fehl Verletzung.
2S. St iitzbed ii rf n is der Wirbe lsäu le (Fiir. 27, Taf. XIII). Auch <li»‘s»*n
Fall ulaube ich wi»* di»* v»iriir»*n beiden erklären zu können. Es handelt sich um
einen typisclum I nsuffizmnzbefuml na»-h eim*r Feldverletzuni:.
D»*r Patient z«*iirt »*in»* schlaff zusammenircsunkene Kumpflialtumr: »*in bei
lnsuffici»*ntia v«*rt»*b. s«dl»'ni*r<*s Bild. Mir scheint, dass es entsteht, indem »ler
Patient mit dem niedersinkenden Thorax Stütze auf der Bauehblas»* sticht.
Dass die hier darg»*stellte Haltung für »len Patienten pathologisch ist.
zeiire ich »lmvh Beisetzung einer zw»*it»*n Photographie (Fiir. 27 a\ <li<‘ aufge-
nommen wimle. mudidem Patient infolge »ler eingel<*iteten Insuffizienzkur wieder
garnisomlienstfähig gewonlen ist.
29. St iitz.bed iirfnis d»*r Wirbelsäule (Fig. 2S, Taf. XIV). Ein s»*hr
seliw»*rer Fall. Der Patient stützt sieh mit beiden Händen mit äuss»*rster Kraft
auf »lie Stuhllehne. Er braucht aber noch weitere Stützung: eine Person stützt ihn
von »len Aehs»dhohh*n aus. eine zweite hält und »Iriiekt den Kopf nach oben.
Patient ist kopfüber in »len Fnt»*rstand bestürzt. Es haben sieh Insuf-
fizienz»*rsclicinunL r »*n in schmier Schwere entwiek»dt. Besonders behi*rrs»*hen
nervös»* Störungen das Bild. Die Steiirt*runir »ler Kefh*x«*. die man m»*ist nur an
den Knies«‘hnenrefb*xen zur Anschauung bekommt, ist so hochgradig. dass eine
einfach»' Berühruni: Zitt»*rkrämpf»* »h*s ganzen Körp»*rs auslöst. S»*hon lautes
Spre»*h»*n in <h*r Nähe des Patienten, eine leise Beriihrum: der Bottde»*ko lässt
eine Zitterwelle über »len Krank»*n lauf»*n.
B»*son»l»*rs hervorzuheb»»n sind no»*h Sehstörungen. «Es ist. als ob ein
Gitter vor m»*in»‘n Augen s»*i." Ohivnsausen.
D»*r ämrstlieh starre, maskenhafte(icsiehlsausdruck g»*hörtzum Krank heit sbihl.
Fm zu zeig»*n. wi»* sieh »las Aussehen des Mannes unter der lnsuffizienz-
behandlung gcämlert hat. gebe ich ein zw»*ites Bild (Fiir. 2Sa\ Wir haben zu¬
erst in »*in»*m (ii{)sb»*tt die akutesten Erscheinungen zum Abkling»*n gebracht,
«lann einen Kumpfgipsverban»! angelegt. In di»*sem geht er zur Zeit »ler Auf-
nahme »b*s 2. Bihb's unter Benutzumr zweier Stöcke lu'rum. Ib'flexsteLoTiing
an »l»*n Patellarreflexen und in Form von Fusselonus n»»eh nachweisbar. S»*h-
stürungen, Ohrensausen vers»*hwundcn. Schläft gut. Die Aenderung »les (iesiVhts-
ausdruckes ist ein eharakteristiselu's Symptom der allir«*m»dnen Besserung.
Gck 'gle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Objektive Symptome' der Insuffieientia vr*rtel>rae.
301
30. $t iitzbedürf nis der Wirbe I sä ule (Fig. ‘29. Taf. XIV). leb bringe
den vorigen Patienten noch einmal, um eine weitere Variante der Befriedigung
des Stützbedürfnisses zu zeigen.
Der Patient, dem im Stehen eine zweite Person den Kopf stützen muss, stützt
sieh im Liegen den Kopf selbst mit beiden Händen. Es wäre vielleicht richtiger zu
sagen, der Patient hält den Kopf, mn Bewegungen der Wirbelsäule zu vermeiden.
31. Stützbedürfnis der Wirbelsäule (Fig. 30, Taf. XIV). Das
Bild ist ein Gegenstück zu dem vorigen. Der Patient - ich zeige ihn später
noch in Nr. 3G — ist nicht imstande, auf der harten Fläche in Kückenlage zu
gehen, ln der von ihm eingenommenen Seitenlage kann er den Kopf nicht auf
die Tischplatte legen. Er stützt ihn deshalb mit der untergelegten Hand.
Auch hier ist vielleicht, wie im vorigen Fall, massgebend mehr die Absicht,
eine schmerzbercitende Bewegung der Wirbelsäule zu vermeiden, als zu entlasten.
32. I)eformhalt ung der Wirbe 1 säu 1 e (Fig. 31 u. 31 a, Taf. XlV.)
Patient, der auch im Bett in Lordosierung liegt, bäumt sich aufgerichtet in
grossem Bogen nach hintenüber. Nur unter starker Stützung ist er imstande
in aufrechte Körperhaltung zu kommen. Die harten Sträng«* der gespannten
Kiiekenmuskeln sind auf dem Bild zu erkennen.
Wie bei dem Patienten von Fig. 28 bestand auch hier eine so hochgradige
Reflexsteigerung, dass Zitterkrämpfe durch die geringsten Reize ausgelöst
wurden. Die Photographie ist deshalb kurze Momentaufnahme.
Im übrigen der typische schwere Insuffizienzbefund. Subjektive Klagen:
Schmerzen im Fnterleib. Kopfschmerzen, Sehstürungcn, Schlaflosigkeit, Krämpfe.
Die Erkrankung hat sich angeschlosscn an eine Verschüttung im Schützen¬
graben durch eine einschlagende Granate.
Ich gebe ein zweites Bild von dem Fall (Fig. 31 a), welches zeigen soll, wie
sich das schwere Krankheitsbild unter der Insuffizienzbehamllung verändert hat.
Als Ergänzung zu den beiden vorstehenden Bildern bringe ich von dem¬
selben Fall noch eine Aufnahme (Fig. 32, Taf. XIV).
Der Patient liegt auf seinem Bett. Die Aufnahme ist von oben — aus
der Vogelperspektive — gemacht. Sie soll die eigenartige Beinhaltung zeigen.
Der Patient schlingt die beiden Beine ineinander. Er hält je das eine Bein mit
dem anderen fest und schützt sich dadurch gegen die Zitterkrämpfe, welche
durch die excessive Steigerung der Reflexe immer wieder ausgelöst werden. Diese
Beinverschlingung ist typisch, die Patienten von Photographie 28. 30. 37 u. 40
lagen im entsprechenden Stadium der Krankheit genau so.
Eine Variante der Beinhaltung, welche gern eingenommen wird, wenn die
Steigerung der Reflexe sieh mindert, besteht in dem Anstemmen der Küsse an
das Kussbrett des Bettes.
33. Deformhaltung der Wirbelsäule (Fig. 33, Taf. XIV). Die ab¬
norme Lordosierung ist sichtbar gemacht durch das Auflegen des Patienten
auf einen Operationstisch. Der Patient ist nicht imstande, den Kücken in
ganzer Länge mit der Tischplatte in Berührung zu bringen. Er liegt nur mit
dem oberen Brust teil und dem Gesäss auf. Das vom Fenster herkommende,
sich auf dem Tisch spiegelnde Licht zeigt, wie weit der Kücken sich zwischen
diesen beiden Stützpunkten von der Tischplatte abhebt.
Fasst man unter den Rücken, so fühlt man die kontrahierten Längs-
muskeln wie ein paar mächtige, hart gespannte Taue.
Patient ist im Feld eine Treppe heruntergestür/t. Es findet sich an der
Wirbelsäule der typische Befund der schweren lnsuffizienzcrkrankung. Subjek¬
tive Klage in erster Linie schwere „Ischiasschmerzen*.
Der Patient kehrt wieder in Fig. 40 u. 40a.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
302
A. Schanz.
Digitized by
34. Deform ha 11 u ng «1 «m* Wirbelsäule. Aufhebung der antero-
posterioren K rii m m u n ge n (Fig. 34 u. 34 a, Taf. XIV). Abnorme (ierad-
haltung der Wirbelsäule zeigen sehen die Fälle 9 und 10, auch Fall 13.
An der hier wiedergegebenen Aufnahme ist die Lendenlordose ausgeglichen,
die Brust kyphos«» verschwunden. Die auf diese Weise linealgerade gestellte
Wirbelsäule >iehl in IVugestellung zu den unteren Extremitäten.
Der Patient zeigt «leutlieh das Stiitzbediirfnis der Wirbelsäule durch Ein-
sl«*mm<*n der linken Hand auf den Dannbeinkamm und durch Benutzung des
Stockes.
Muskelkontrakturen sind deutlich am (iesäss un«l am Hals (Kopfnicken,
aber amdi das Relief der abnorm vorspringenden Kiiekenmuskulatur ist zu
erkennen.
bin zu demonstrieren, wi«* sieh di«* Leute unter der Behandlung ändern,
und um eines der wichtigsten Behandlungsmittel (das Korsett) vnrzufiihren.
gebe ich eine zweite Aufnahme «los Patient«»!! (Fig. 34a).
35. Deform hal t urig der Wirbelsäule, l'mkehrung der antero-
posterioren Krümmungen (Fig. 35. Taf. XV). Der Fall gibt dasselbe Bild
wie der vorige, nur in einer Steigerung. Während dort die Letulenl«»rdose nur
eben aufg«‘hob«‘n war, ist hier an deren Stelle eine Kyphose getreten, zu der
im oberen Brust teil eine fla«*he Lordose tritt.
Recht schön siml auch hier wieder die Spannung der (lesässmuskulatur
und die dicken Wülste der kontrahierten langen Kiiekcnmuskeln zu sehen.
Fs handelt sieh um den unter 6 schon abgebildeten Patienten.
36. D e f«) r m h a 11 u n g d «* r W i r 1) e I s ii u 1 e. K y p h os e n h a 11 u n g. R u m p f-
beug urig (Fig. 30 u. 36 a. Taf. XV). Wohin die weitere Steigerung der in «len
vorigen beiden Fällen gezeigten Deformhaltung führt, zeigen diese beiden Auf¬
nahmen.
Die Lomhmkyphose. die in Fall 32 schon weiter hinaufgreift als in Fall 31,
geht hier bis an die Halslordose heran. Der kyphotiseh gebeugte Rumpf ist
in eine annähernd rechtwinklig!* Beugestellung zu den Oberschenkeln getreten.
Die Hüftgelenke sind in dieser Stellung muskulär fixiert. Patient kann deshalb
nur mit kleinen Schritten aus den Knien gehen. Die erste Aufnahme zeigt ihn
im Moment des Vursehreitens.
Das schwere Stützbedürfnis zwingt «len Patienten beide Hände auf die
Knie zu stemmen.
Im Sitzen ändert sieh die Körperhaltung nur an den Hüftgelenken, «lie
bis zum spitzen Winkel weiter gebeugt werden. Das Stützbedürfnis wird j«*tzt
befriedigt durch Aufstemmen der Ellbogen auf die Oberschenkel. Zum Beispiel,
bis in wel«*he Einzelheiten diese Bilder typisch sind, bitte ich die Handhabung
des Sitzenden zu beachten und mit 37 zu vergleichen.
Es handelt sieh um eine schwere Insuffizienzerkrankung nach einem
Sturz v«m einer Treppe. Schwere Isehiassehmerzen, Brustschmerzen, Stuhlver¬
stopfung, allgemeine nervöse Beschwerden.
Di«* schwere Deformhaltung ermöglichte ein recht deutlich si«*htbares Be¬
handlungsresultat. Die 3. Aufnahme (Fig. 36 b) zeigt den Kranken nach etwa
örnonatiger Behandlung. Ich mache auf die absolut freie und ungezwungene
Kumpfhaltung aufmerksam. Der Aenderung «ler Körperhaltung entspricht «las
Behan«llungsr«‘sultat in allen amlcrn Krankheitserschcinungen.
37. Deformha 1 tu ng der W irbe Isäu 1 e. Ky phosen h a 11 ung, R u mpf-
brugung (Fig. 37 u. 37a, Taf. XV). Eine Steigerung «ler D**formhaltung,
welche «l«*r vorig«* Fall «larstellte. Der höchste firad, den ich bisher gesehen
habe.
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Objektive Symptome der Insufficientia vertebrac.
303
Sehr deutlich zeigen die Bilder die krampfhafte Spannung der ganzen
Rumpfmuskulatur. Charakteristiseli der starre, leidende Gesichlsausdruck.
Besonders mache ich auf das Zusammenfällen der Hände aufmerksam,
welches im Sitzen dieser wie der vorige Patient ganz gleiehmässig ausfiihn.
Patient ist im Feld über eine Schranke gestürzt. Darnach Schmerzen in Brust
und Bauch, die aber bald besser wurden. Kam wieder zur Truppe. Nun trat
erst das Zusammensinken des Rumpfes auf. An der Wirbelsäule der typische,
schwere Insuffizienzbefund. Zittern an Armem und Beinen, das sich bis zu
allgemeinen Zitterkrämpfen steigert. Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Sehstürung,
Schmerzen in Rumpf und Beinen.
Insuffizienzbehandlung, prompter Frfolg.
38. D e für m h a 11 u n g eines B eines als Zeichen e i n e r t i e f s i l z e n d e n
Wirbelsäulenerkrankung (Fig. 38, Taf. XV). Patient stellt das rechte
Bein im Hüftgelenk in Beugung und Abduktion. Beim (ielien bewegt er das¬
selbe von dieser Haltung aus nur in der Richtung der Flexion. Es kommt
dadurch ein typisches Hinken zustande. Stellt der Patient die Beine parallel,
so stellt sich das Becken schief und es entsteht eine skoliotische Einstellung
der Wirbelsäule: das Bild der Ischias seoliotica. Patient ist nach einem Sturz
mit dem Pferd an „Ischias“ erkrankt. Die üblichen Behandlungen haben die
Ischias in 1 2 Jahr nicht gebessert. Mit Ruhekur. Gipsbett. Korsett. Beschwerde¬
freiheit in 2 Wochen erzielt. An der Wirbelsäule die untersten Lendenwirbel
druck- und klopfempfindlich.
39. D e f o r m h a 11 u n g d e s R u in p f c s u n d d c r B e i n c (Fig. 39 u. 39 a,
Taf. XV). Der Rumpf wird durch straffe Muskelspannung (s. Falten über den
Bauch) in Beugestellung und Neigung nach rechts gehalten. Beide Hüften
werden in Bcugcstellung muskulär fixiert, ln den Hüften werden Bewegungen
nur im Sinne der Beugung ausgeführt. Gang erfolgt mit kleinen Schritten aus
den Knien. Starke Glutäenspannung. Patient klagt über ausserordentlich
schwere Ischiasschmerzen, kommt mit der Diagnose „doppelseitige Ischias“
in Behandlung. An der Wirbelsäule der typische schwere Insuffizienzhcfund.
In der Anamnese (Zivilpraxis) kein Trauma. I nter starken Morphiumdosen
wird die Wirbelsäule gestreckt und ein Rumpfgipsverband angelegt. Nach
24 Stunden ist die „Ischias“ verschwunden. Fortführung der Kur mit Korsett
und Gijjsbett. Patient ist seit über Jahresfrist beschwerdefrei geblieben.
40. Deform h alt ung der Wirbelsäule und einer Hüfte (Fig. 40 u.
40a. Taf. XV). Die beiden Aufnahmen sollen durch ihre Xebcneinanderstcllung
zeigen, wie die Deformhaltung des Rückens verdeckt werden kann.
Auf dem ersten Bild steht der Patient ziemlich gerade. Fr stützt sich
auf das rechte Bein. Das linke Bein ist in der Hüfte leicht gebeugt und
abduziert. Der Rücken zeigt eine mässige Neigung nach rechts.
Auf der zweiten Aufnahme ist die Figur wiedergegeben, die Patient durch
die Aufforderung gewinnt, beide Heine parallel nebeneinander zu sied len. Fr
neigt den Rumpf nach vorn, lordosiert in der Lendenpartie sehr stark und
hängt scharf nach rechts über. Die Erklärung für diese Armierung: Die Wirbel¬
säulenhaltung auf der ersten Aufnahme zeigt die pathologische Eigenhaltung
der Säule und die durch Muskelspannung gegebene 1 liiftstelhing. Nehme ich
der Hiiftstcllung die Möglichkeit, sieh durch Kniebeugung und Spiizfuss
auszuglciehcn, so muss der Ausgleich im Rumpf erfolgen und ich erhalte
zu der pathologischen ’Wirbelsäulenhaltung noch eine sekundäre Ausgleichs-
Stellung hinzu.
Fs handelt sich um den Fall, der schon in Figur 33 dargestellt ist.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
A. Sr luili/,
Digitized by
304
Kritik und Schlusswort.
Es ist eine recht stattliche Sammlung von Bildern und Fällen,
die ich hier vorgefiihrt habe.
Beweist sie, was sie beweisen soll? -— Sind das objektive
Symptome der Insufficientia vertebrae?
Zu Beantwortung dieser Fragen wird man kommen können
über die Beantwortung der Vorfragen: 1. Zeigen die Photographien
überhaupt krankhafte Erscheinungen? 2. Zeigen sie eine Gruppe
wesensverwandter Krankheitserscheinungen? 3. Sind cs Wirbel¬
säulensymptome?
Die erste dieser Vorfragen darf wohl kurzerhand bejaht werden.
Es können vielleicht Zweifel an der pathologischen Bedeutung der
Kontraktur der langen Rückenmuskeln bestehen. Sie verschwinden,
wenn man einmal die eigene Härte dieser Stränge gefühlt hat und
wenn man damit vergleicht, wie sich eine normale, stark ent¬
wickelte und normal kontrahierte Rückenmuskulatur anfühlt.
Ks wird vielleicht auch die pathologische Deutung gewisser
Aeusserungcn des Stützbedürfnisses nicht jedem sofort klar sein.
Derartiges muss man eben sehen lernen. Am einzelnen Fall geht
man vorüber. Erst die regelmässige Wiederkehr weckt unsere Auf¬
merksamkeit und die regelmässige Verbindung mit anderen Er¬
scheinungen ermöglicht die Deutung.
Damit komme ich an die Beantwortung meiner zweiten Vor¬
frage. Habe ich hier eine Gruppe wesensverwandter Krank¬
heitserscheinungen abgebildet, oder habe ich ein Sammelsurium von
Bildern zusammengestellt, die sich innerlich nichts angehen?
Wenn man meine Sammlung in ihrer Reihenfolge durchgeht,
so wird man die gruppenweise Anordnung und das gruppenweise
Zusammenpassen der Fälle zunächst sicherlich anerkennen. Wir
haben eine Gruppe mit der Kontraktur der langen Rücken¬
muskeln mit der Steigerung zur Kontraktur aller Rückgrats¬
muskeln. Wir haben eine Gruppe mit Störungen der Wirbel¬
säulenbeweglichkeit. Wir haben weiter die Gruppe, welche
das Stützbedürfnis der Wirbelsäule erkennen lässt, und die
Gruppe der Deformhaltungen.
Nun die Frage: Gehören nicht nur die Fälle innerhalb der
der Gruppen, sondern auch die einzelnen Gruppen unterein¬
ander zusammen?
Auch diese Frage ist zu bejahen.
Eine ganze Reihe von Fällen wird in mehreren Gruppen an¬
geführt. Ich benutze denselben Patienten um die Kontraktur der
langen Rückenmuskeln und das Slürzbcdürfnis zu demonstrieren.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
305
Objektive Symptome der Insufficientia vertebnie.
z. B. 4 und 8, 5 und 10 zeigen an demselben Kranken die Kon¬
traktur der Rückenmuskeln und die Deformhaltung und die Be¬
weglichkeitsstörungen der Wirbelsäule.
Im übrigen reihen sich die Fälle wie Stein an Stein. Das
Symptom, welches an dem einen eben zu erkennen ist, tritt beim
nächsten wuchtig hervor. Es tritt im dritten Fall wieder zurück,
aber nicht weil es nicht vorhanden, sondern weil es durch ein neues
mächtigeres in den Hintergrund geschoben wird. Glied an Glied
geht durch meine Sammlung eine fortlaufende Kette hindurch. Es
ist Wesens verwandtes, was zur Darstellung gebracht wird.
Eingehender muss die Frage beantwortet werden: Zeigt meine
Sammlung Wirbelsäu 1 ensv m pto m e?
Wer gelernt hat, eine Spondylitis nicht erst aus dem Gibbus
zu diagnostizieren, der wird als wirbelsäulenkrank sofort die Fälle
anerkennen, welche das Stützbedürfnis und die ßewegungsbehinde-
rung der Wirbelsäule demonstrieren. Alle unsere Lehrbücher er¬
zählen, dass an Spondylitis erkrankende Kinder, ehe der Gibbus
heraustritt, sehr oft über Bauchschmerzen und ähnliches klagen,
dass sie nach Halt und Stütze für die Wirbelsäule suchen
und dass sie Bewegungen der erkrankten Partie ver¬
meiden.
Dass auch Deformhaltungen der Wirbelsäule das erste auf¬
fällige Symptom einer Spondylitis sein können, ist weniger bekannt.
Welcher Orthopäd hat aber noch nicht eine Spondylitis in die Hand
bekommen, die zuerst als Skoliose mit Turnen behandelt worden
ist? Die Ursache dieser Fehlgriffe liegt darin, dass die beginnende
Spondylitis eben nicht selten Deformhaltungen erzeugt, die einer
Skoliose ersten Grades gleichen, wie ein Ei dem anderen.
Dass Veränderungen der normalen antero-posterioren Krüm¬
mungen, also abnorme Streckhaltungen, abnorme Lordosen und
Kyphosenstellungen bei Wirbelsäulencrkrankungen auftreten können
und dass ihr Bestehen in erster Linie auf Wirbelsäulenerkrankungen
hindeutet, braucht nicht bewiesen zu werden.
Auch die Zwangshaltungcn im Hüftgelenk, wie sie z. B. Fig. 38
zur Darstellung bringt, wären bei einer Spondylitis lumbalis nichts
Auffälliges.
Unbekannt als Wirbelsäulensymptom ist von alledem, was
ich abgebildet habe, bisher eigentlich nur die Kontraktur der
langen Rückenmuskeln.
Wenigstens habe ich sie nirgends beschrieben gefunden. Ab¬
gebildet ist sie überall.
Man suche unsere Lehrbücher durch. Man wird erstaunt sein,
wie oft auf Abbildungen, welche Spondylitisfälle zeigen, die Stränge
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
30(5 A. Scli ;i n
zu linden sind, welche die ersten Bilder meiner Sammlung zur
Darstellung bringen.
Ganz besonders finden wir diese Kontrakturen auch auf Bildern,
welche traumatische Spondylitis darstellen. Die beiden Patienten,
welche Hoffa in der 6. Auflage seiner Orthopädie im Kapitel
Spondylitis traumatica nach Heidenhain wiedergibt, könnte ich
ohne weiteres in meine erste Gruppe einreihen. Die Abbildungen
sind übrigens im Original — .Monatsschrift f. Unfallheilkunde 97.
Nr. 2 — wesentlich besser. Wir kommen also auch zur Bejahung
der Frage, ob die vorgeführten Symptome Wirbelsäulen¬
symptome sind.
Sind sie aber richtig gedeutet als Insuffizienzsymptome?
Ich berufe mich bei dem Beweis, dass es sich um Wirbel¬
säulensymptome handelt, darauf, dass wir diese Erscheinungen bei
Spondylitis sehen. Habe ich damit nicht meinen Fällen schon ihre
Einordnung in unser pathologisches System gegeben? Sind meine
Fälle nicht eben Spondylitis fälle? Es brauchen ja nicht tuber¬
kulöse Entzündungen zu sein. Wir kennen ja rheumatische und
ähnliche, und wir kennen auch eine traumatische Spondylitis.
Diese Schlussfolgerung liegt nahe, aber sie ist falsch.
Die von mir vorgeführten Symptome entwickeln sich bei einer
tuberkulösen oder andersartigen Spondylitis. Ich sehe sie als Spät¬
folgen von allerlei Wirbelsäulentraumen. Ich sehe sie sich aber
auch unmittelbar an solche anschliessen. Das Trauma kann eine
Fraktur erzeugt haben: braucht es aber nicht.
Ich sehe meinen Symptomenkomplex bei einer osteomalaeischen
Erkrankung der Wirbelsäule. Ich sehe ihn auch, wo kein Anatom
mir einen krankhaften Befund an der Wirbelsäule nachweisen kann.
In allen diesen anatomisch einander so fremden Zuständen
sehe ich dasselbe scharf umrissene Krankheitsbild.
Ich kann daneben aber auch Fälle stellen, wo die anatomischen
Läsionen der Wirbelsäule, die ich genannt habe, das Bild nicht
erzeugen. Ich verweise nur auf die Wirbelsäulenbrüche. Wo das
Röntgenbild einen alten Bruch zeigt, braucht von unseren subjek¬
tiven und objektiven Symptomen nicht die Spur vorhanden zu sein.
Wenn ich den Verweis auf das Vorkommen der von mir dar¬
gestellten Symptome bei der Spondylitis benutze, um diese Symptome
als Wirbelsäulensymptome zu kennzeichnen, so war dies richtig.
Ich hätte ebenso den Beweis führen können, indem ich auf
ihr Vorkommen bei Wirbelsäulen brächen verwies. Nur ist das
Symptomenbild der Wirbelsäulenbrüche weniger allgemein bekannt.
Falsch wäre aber der weitere Schluss, dass jene Symptome
Spondylitis- oder Wirbel bruchsymptome sind: denn unser
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Objektive Symptome der Insufficientia vertebrae.
307
Symptomenkomplex ist zwar in diesen Fällen meist vorhanden,
aber nicht unbedingt.
Wir müssen die Erklärung finden, warum unser Symptomen¬
komplex bei so verschiedenen Erkrankungen wie Spondylitis und
Wirbelbruch auftritt, warum er aber nicht in jedem dieser Fälle
da ist, warum er bei soundsoviel anderen pathologisch-anatomischen
Zuständen der Wirbelsäule vorkommt, warum aber auch, wo ana¬
tomisch nichts nachweisbar ist.
Die einzig durchschlagende Erklärung gibt die Lehre von der
statischen Insuffizienz.
Eine entzündliche Erkrankung, ein Trauma mit oder ohne
Erzeugung einer Fraktur, eine Osteomalacie ist imstande, die sta¬
tische Leistungsfähigkeit der Wirbelsäule herabzusetzen. Es kann
die Wirbelsäule aber auch ohne sichtbare Veränderungen statisch
minderwertig sein oder werden. Es können die normale Tragkraft
weit übersteigende Tragansprüche an sie herantreten. In allen
diesen Fällen erhalte ich eine Störung des Belastungs¬
gleichgewichtes. Eine solche Störung ist ein krankhafter
Zustand, der an der Wirbelsäule so gut wie am Fuss oder einem
anderen Teil des Traggerüstes unseres Körpers seine Erscheinungen
machen muss und macht.
Gleiche Ursachen, gleiche Folgen! W T ir müssen überall, wo
das Belastungsgleichgewicht gestört wird, das für diese Störung
charakteristische Krankheitsbild erhalten.
Der von mir unter der Bezeichnung Insufficientia vertebrae
beschriebene Symptomenkomplex ist das typische Bild,
unter dem die Störung des Belastungsglcichgewichtes an
der Wirbelsäule in Erscheinung tritt.
Dieser Symptomenkomplex muss auftreten und tritt auf, wo das
Belastungsgleichgewicht an der Wirbelsäule aus der Balance kommt.
Alle Erkrankungen der Wirbelsäule, alle Schädigungen, die
geeignet sind, ihr Belastungsgleichgewicht zu stören, müssen den
Symptomenkomplex der Insuffizienzerkrankung auslösen, sowie sie
den Wagbalken schief stellen.
Dieselben Erkrankungen und dieselben Schädlichkeiten werden
spielen und werden nachzuweisen sein ohne die Insuffizienz¬
erscheinungen, solange sie die Wage nicht verschoben haben, oder
sobald deren Balken aus irgend einem Grund wieder ins Gleich¬
gewicht zurückgekehrt ist.
Hier ist die Erklärung für die auffällige Erscheinung, dass der
Symptomenkomplex def Insuffizienzerkrankung bei so vielerlei im
pathologisch-anatomischen System so fern von einander stehenden
Zuständen auftritt, dass er bei denselben pathologisch-anatomischen
Archiv für kliu. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2. 21
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
308 A. Schanz, Objektive* Symptome der Insuffioicntia vertebrae.
Digitized by
Veränderungen in so wechselnder Stärke erscheint, ja dass er bei
demselben anatomischen Befund in höchster Entwicklung vorhanden
sein aber auch völlig fehlen kann.
Hier haben wir vor allem auch Wegweiser und Massstab
für die Behandlung.
Wo das Krankheitsbild von den Iftsuffizienzerscheinungen be¬
herrscht wird, da bildet die Insuffizienzerkrankung, da bildet
die Störung des Belastungsgleichgewichtes den Angriffspunkt für
unsere Therapie. Die Aufgabe der Therapie heisst Herstellung
des Belastungsgleichgewichtes.
Ob unsere Massnahmen richtig oder falsch sind, das lesen wir
ab von der Linderung oder Steigerung der Insuffizienzsymptome.
Es ist wunderbar, wie scharf diese Reaktionen sind.
Wenn man diese InsufGzienzerkrankungen der Wirbelsäule zu
diagnostizieren gelernt hat, wenn man ihre Indikationen zu stellen
weiss, wenn man die therapeutischen Mittel zu deren Erfüllung
beherrscht, so sind diese Fälle, die sonst eine so üble Prognose
bieten, ein Material von seltener Dankbarkeit.
Literatur.
A. Sclian/.. Ein Typus von Schmerzen an der Wirbelsäule. Yerhandl. d.
(>. Kongr. d. Deutsch, orthop. Gesellschaft. — Eine typische Erkrankung
der Wirbelsäule (lnsufficientia vertebrae). Berl. klin. Wochensehr. 1907.
Nr. 31. — lnsufficientia vertebrae und Skoliose. Berl. klin. Wochenschr.
1909. Xr. 43. — Geber lnsufficientia vertebrae. Die Heilkunde. 1909.
Heft 11. — Kann Gymnastik in der Skoliosenbehandlung schädlich
wirken? Areli. f. klin. Chir. Bd. 88. Heft 4. — Geber Skoliosen¬
behandlung. Arrh. f. klin. Chir. Bd. 102. Heft 3. — Physiologische
Krankheitsbilder in der Orthopädie. Yerhandl. d. 9. Kongr. d. Deutsch,
orthop. Gesellschaft. - Zur Diagnostik der Wirbclsäulenerkrankungen.
Ccntralbl. f. Chir. 1914. Nr. 8; und Yerhandl. d. 13. Kongr. d. Deutsch,
orthop. Gesc 1 lschaft.
Zuclzer, Geber lnsufficientia vcrtebrae-Schanz. Med. Klin. 1910.
Chevalier, Contribution ä Tetude de Tinsuffisance vertebrale. These de Paris.
191L
Denuce, I/insuffisance vertebrale. Revue d’orthopedie. 1910.
May et, Societe des chirurgiens de Paris. Presse mcd. 1910.
Bardon. Contribution ä Tetude de Tinsuffisance vertebrale. Bordeaux 1911.
De nur e. Chirurgie et orthopedie du rrane, du rachis etc. Maladics des c-nfants.
Paris. J.-B. Baillirre & Fils, 1913.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
XI.
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
Von
Dr. 0. Schönbeck.
Die von Quincke (1) ira Jahre 1891 angegebene Lumbal¬
punktion war ursprünglich eine rein therapeutische zur Behandlung
des Hydrocephalus. Nachdem der Zusammenhang der Subarach-
noidealräumc des Rückenmarkes sowohl mit denen des Hirns, als
auch mit den Hirnventrikeln durch eine frühere Arbeit Quincke’s (2)
und durch die berühmten Untersuchungen von Key und Retzius (3>
erwiesen war, lag der Gedanke nahe, die überschüssigen Liquor¬
mengen am tiefsten Punkte des zusammenhängenden cerebrospinalen
Liquorsackes durch Einstich einer Kanüle gleichsam abzuzapfen.
Dass dies ohne Verletzung des Rückenmarkes geschehen kann, liegt
in der anatomischen Eigentümlichkeit begründet, dass schon in der
Höhe des 1. Lendenwirbels das eigentliche Rückenmark im Conus
medullaris aufhört. Weiter abwärts erstreckt sich nur ein rudimen¬
tärer, funktionsuntüchtigerTeil des Rückenmarks, dasFilum terminale,
und seitlich davon liegen die Nervenfasern der Cauda equina, zu
zwei seitlichen Strängen angeordnet. So bleibt in der Mitte zwischen
ihnen im Cavum subarachnoideale ein Raum frei, in den die Nadel
durch die Jnterarkualräume hindurch ohne Verletzung der Nerven
eindringen kann. Diese topographischen Verhältnisse sind gleich¬
falls von Key und Retzius beschrieben und abgebildet worden.
Mit dem Ablassen des überschüssigen Liquors wurde zugleich
eine Verminderung des Hirndrucks angestrebt. Allmählich wurden
die therapeutischen Indikationen der Lumbalpunktion weiter aus¬
gedehnt. Bekannt sind die Resultate Lenhartz’s (4) bei Chlorose.
Selbst die bis dahin für unbedingt tödlich gehaltene Meningitis
tuberculosa wurde therapeutisch in Angriff genommen, nachdem
ein erster Fall von Freyhan(5) mit Ausgang in Heilung bekannt
geworden war. Seitdem sind mindestens 20 ähnliche Fälle in der
Literatur mitgeteilt. Glänzende Erfolge zeigte die Lumbalpunktion
bei der Meningitis serosa (Quincke), die sogar erst mit Hilfe der
Lumbalpunktion entdeckt wurde. Aber die therapeutisch günstige
21 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
310
O. Srhünberk,
Digitized by
Wirkung der Lumbalpunktion war nicht unbestritten, v. Leyden (6;
nahm von der Lumbalpunktion bei Chlorose Abstand, weil er keinen
Erfolg sah, und ihm die Berechtigung dieser Punktionen nicht ganz
zweifellos war. Viel umstritten war auch der Erfolg der Lumbal¬
punktion bei Hirntumoren, hier als druckentlastende Operation ge¬
dacht. Fürbringer (7), Kieken (8), Fleischmann (9), Stadel¬
mann (10), Benischek (11) berichten über ungünstige Erfahrungen,
während Lenhartz (12), Quincke (13) und Siemerling (14)
guten Erfolg sahen. Ferner wurde die Lumbalpunktion bei trau¬
matischen und nichttraumatischen Blutungen von Hirn und Rücken¬
mark mit ähnlich widerstreitenden therapeutischen Erfahrungen an¬
gewandt. Neuerdings empfiehlt Klapp (15) häufige und grosse
Lumbalpunktionen kombiniert mit Bier’scher Stauung am Halse
bei Meningitis nach Laminektomie wegen Schussverletzung des
Rückenmarks. Steinebach (16) sah Erfolg bei Delirium pota-
torura und Schemensky (17) berichtet über günstige Resultate
bei Typhus.
Es würde zu weit führen, im Rahmen dieser Arbeit auf die
therapeutische Bedeutung der Lumbalpunktion näher einzugehen,
zumal die Meinungen über ihre Wirksamkeit oder Unwirksamkeit
teilweise noch weit auseinandergehen.
Wenn die Lumbalpunktion heute ein ungemein häufig aus-
geführtcr, ganz alltäglicher Eingriff ist, so verdankt sie das weniger
ihrer therapeutischen Bedeutung als vielmehr ihrer hohen Wert¬
schätzung als diagnostisches Hilfsmittel ersten Ranges. Es soll
hier nur auf die Bedeutung des Lumbalpunktats für die Diagnose
<ler epidemischen Cerebrospinalmeningitis, die Erkennung von Hirn-
und subkutanen Schädelverletzungen bei Bewusstlosen, die Unter¬
scheidung von Unfallneurose und posttraumatischer Meningitis serosa
mit ihrer diametral entgegengesetzten Therapie hingewiesen werden.
Geradezu ausschlaggebend kann der Ausfall der Liquoruntersuchung
für Tabes und Paralyse sein. Die Literatur über die diagnostische
Lumbalpunktion hat sich enorm ausgebreitet. Die besonders in
Frankreich gepflegte sog. Cvtodiagnostik ist ein eigenes Spezial¬
gebiet geworden und umfasst doch wieder nur einen Teil der durch
Lumbalpunktion gewonnenen diagnostischen Ergebnisse.
Eine weitere wichtige Anwendung hat die Lumbalpunktion als
Mittel zum Zweck der zuerst von dem Amerikaner Corning,
später von Bier (18) inaugurierten Lumbalanästhesie erfahren.
So wird es verständlich, dass die Lumbalpunktion einen ganz
alltäglichen Eingriff darstellt. Unter solchen Umständen könnte
die Frage nach den Gefahren der Lumbalpunktion fast seltsam
berühren, und doch bestehen sie unzweifelhaft, wenn sie auch dem
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
311
Praktiker bei der Alltäglichkeit des Eingriffs nicht immer im Be¬
wusstsein sind.
Im Folgenden soll nun untersucht werden, welche Belege für
die behauptete Gefährlichkeit der Lumbalpunktion in der Literatur
niedergelegt sind, worin die Gefahren begründet sind und wodurch
ihnen zu begegnen und vielleicht vorzubeugen wäre.
Die Technik der Lumbalpunktion ist allgemein bekannt.
(Quincke (1) hat bei seiner ersten Mitteilung auf dem Kongress
für innere Medizin, 1891, und in späteren Veröffentlichungen
[Quincke (19) und (20)] die genauesten Anweisungen gegeben.
Die bei der Lumbalpunktion in Betracht kommenden topo¬
graphisch-anatomischen Verhältnisse sind von Juvara (21) und von
Krönig und Gauss (22) eingehend beschrieben worden. Häckel
und Bardeleben (23) bringen eine besonders deutliche Abbildung
in dieser Beziehung.
Die genaue Kenntnis der Topographie ist wichtig, weil sie
ein Vermeiden gewisser Schwierigkeiten bei der Lumbalpunktion
gestattet.
Stadelmann (24) gibt an, dass bei ungebärdigen Kranken
die Orientierung über die Einstichstelle wegen der Unmög¬
lichkeit, die Dornfortsätze deutlich abzuzählen, sehr misslich sein
kann. Eine gute Hilfe bietet da die Regel, dass eine Verbindungs¬
linie der Dornbeinkämme den Darmfortsatz des 4. Lendenwirbels
schneidet. Juvara (21) hat das Markieren des Zwischenwirbel¬
rauraes durch festes Andrücken einer Pinzette nützlich gefunden.
Schwierigkeiten, in den Lumbalkanal einzudringen, sah Grunert(25)
bei sehr fettreichen Individuen und bei Kyphose, Nissl (26) bei
Lordose und Kyphose und Grober (27) infolge reichlichen Narben¬
gewebes, das von häufig ausgeführten Punktionen herrührte.
Braunstein (28) fand die gebräuchlichen, 10 cm langen Nadeln
des Quincke’schen Bestecks zu kurz. Er benutzt deshalb solche
von 13 cm Länge. Fürbringer (7) ist zweimal in das an der
Aussenfläche der Dura gelegene Bindegewebe geraten, Rieken (8)
und Stadelmann (24) sind wiederholt auf Knochen gestossen.
Gumprecht (29) gibt als gewöhnliche Erscheinung an, dass man
anfangs durch den Lumbalsack hindurch in die Wirbelkörper fährt
und das richtige Abschätzen der Verhältnisse erst allmählich
erlernt. Er befürwortet allerdings ein Einstossen der Kanüle mit
erheblicher Kraftentfaltung. Das dürfte sich namentlich bei
Kindern im Hinblick auf die von Fürbringer (7) betonte Möglich¬
keit eines Durchstechens der Zwischenwirbelknorpel mit eventueller
Aorten Verletzung nicht empfehlen. Juvara (21) vergleicht das
Gefühl beim Durchstechen der Dura mit dem, welches man beim
Digitized by
Gck igle
Original fmm
UNIVERSUM OF IOWA
312
0 . S <■ liö n 1 ) eck ,
Digitized by
Stich durch Pergament hat. Für solche feineren Tastempfindungen
ist aber langsameres Vorgehen notwendig. Das oben erwähnte
Aufstossen auf Knochen beruht auf der besonderen Gestaltung der
Interarkualräume. Die Dornfortsätze zeigen ein individuell ver¬
schiedenes Verhalten. Mitunter sind sie mehr schräg abwärts ge¬
richtet, häufig stehen sie mehr gerade, haben aber an ihrem unteren
Rand einen Vorsprung nach unten. Dadurch kann der Einstich in
der Medianlinie, der bei Kindern wegen der geringen Grösse der
Dornfortsätze stets möglich ist, bei Erwachsenen unmöglich werden.
Quincke (19) gibt über diese anatomischen Verhältnisse Abbil¬
dungen, und Braun (30), der die Quincke’sche Darstellung be¬
mängelt, gibt von Merkel gezeichnete etwas modifizierte Figuren,
die den tatsächlichen Verhältnissen am besten entsprechen. Am
zweckmässigsten ist Einstich l / 2 —1 cm seitlich der Medianlinie mit
Richtung rein horizontal nach der Medianebene zu. Nimmt man
zugleich die Richtung etwas aufwärts, so kann man bei mehr ge¬
rade gestellten Dornfortsätzen schon auf den Bogen des Wirbels
stossen. Man kann übrigens in der Tiefe die Richtung der Nadel
noch ändern.
Wenn nun glücklich die Punktionskanüle den Dural-Arach-
noidealsack durchdrungen hat, so kann trotzdem der erwartete
Liquorabfluss ausbleiben. Dieses Ereignis nennt man Punctio sicca.
Sie wird von zahlreichen Autoren erwähnt. Grunert(31) sah als
Grund der Punctio sicca sulziges Gewebe im Spinalkanal und Oedera
der weissen Substanz des Rückenmarks, während Quincke (32)
sie für einen technischen Fehler hielt. Stadclmann (10) führt
folgende Gründe für die Punctio sicca an: 1. Verengerung, Ver¬
legung, Verstopfung der Kommunikationsöffnungen zwischen dem
Subarachnoidealraum des Rückenmarks und den Hirn Ventrikeln,
bedingt durch Tumoren oder Entzündungsprozesse. 2. Der Subarach¬
noidealraum ist gleichsam obliteriert, Arachnoidea und Pia sind
zu einer sulzigen Masse verbacken. 3. Eiterflocken füllen den
Subarachnoidealraum aus und lassen keine Flüssigkeit in die
Kanüle gelangen. 4. Man gelangt überhaupt nicht in den Subarach¬
noidealraum, sondern in den Subduralraum. Stadelmann hat
diesen Befund bei Meningitis tuberculosa wiederholt durch Sektion
erhoben. Der normal nur kapilläre Subduralraum war ausgedehnt
und enthielt Eiteransammlung. Der letztere Grund für die Punctio
sicca ist vielfach angezweifelt worden. Fürbringer (33) sah in
einem Fall von Meningitis tuberculosa die ganze Hirnbasis von
einer sulzig-ödematösen Masse eingehüllt und fand darin die Er¬
klärung für 14, selbst bei Aspiration ergebnislose Punktionen,
denen am nächsten Tage H weitere, bis auf wenige Tropfen Blut
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
313
negative Punktionen folgten. Die Sektion zeigte, dass im Spinal¬
sack keine Flüssigkeit vorhanden war, trotzdem die Ventrikel reich¬
liche Mengen klaren Liquors enthielten. Landon (34) sah bei
Punctio sicca gelatinöse Flüssigkeit im 4. Ventrikel, Naunyn(35)
dicken Eiter im Spinalsack und Krönig (36) alte meningitische
Schwarten und frische fibrinöse Ausschwitzung. Letzterer betont
das besonders häufige Vorkommen der Punctio sicca bei Potatoren
und schuldigt hierbei eine schleichend verlaufende Meningitis an.
Schlesinger (37) führt als Ursache für Punctio sicca bei Me¬
ningitis tuberculosa der Kinder ventilartigen Verschluss des Hinter¬
hauptloches an, entstanden durch hochgradige Dilatation der Hinter¬
hörner infolge von Hydrocephalus internus. Braun (30) erlebte
bei Meningitis nach Sinusthrombose an einem Tag dreimalige
Punctio sicca, während am nächsten Tag 32 ccm unter hohem
Druck ausflossen, und Lenhartz (12) erwähnt die Punctio sicca
zweimal bei schwerer Meningitis cerebrospinalis. Einen besonders
interessanten Fall von Punctio sicca teilt Newmark (38) mit, wo
ein extramedulläres Psammom in der Höhe des Dorsalmarks den
Wirbelkanal verlegt hatte. Krönig (39) konnte durch Einspritzung
von 6 ccm steriler Kochsalzlösung einen die Kanüle obturierenden
Eiterpfropf wegspülen und so doch noch zu einem positiven Er¬
gebnis kommen. Den peinlichen Eindruck einer Punctio sicca in
der Privatpraxis hebt Fleischmann (9) besonders hervor, der
sonst dem Vorgang, der auch ihm mehrmals begegnete, nicht all¬
zugrosse Bedeutung beimisst. Wenn wir bedenken, dass als Ur¬
sache der Punctio sicca auch Kommunikationsverlegung am Foramen
magnum gefunden wurde, dürfte diese Ansicht doch etwas be¬
denklich erscheinen, wie weiter unten noch ausführlicher dargelegt
werden soll. Auch im Falle Newmark, wo die Kommunikations¬
verlegung erst weiter unten im Dorsalmark sass, hatten sich im
Anschluss an die Punctio sicca jedenfalls bedenkliche Lähmungs¬
symptome eingestellt. Auch davon soll in einem späteren Ab¬
schnitt näher berichtet werden.
Handelt es sich bei den bisher geschilderten Zufällen mehr
um Unannehmlichkeiten, so bietet das wiederholt beschriebene Ab¬
brechen der Kanüle eine wirkliche Gefahr. Wenn bei noch
liegender Nadel eine plötzliche Lageveränderung, Aufrichten, Strecken
der Wirbelsäule oder kräftige Anspannung der Rückenmuskulatur
stattfindet, so kann die Nadel über dem Wirbelkörper als Hypo-
mochlion abgebrochen werden. Diese Erklärung gibt Gumprecht
(40), der einen solchen Fall erlebte. Lenhartz (12) sah 2 Fälle,
herbeigeführt durch unzweckmässige Behandlung der Punktions¬
nadeln in Karbollösungen, wodurch die Nadeln innen arrodiert
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
314
O. Schön heck,
Digitized by
waren. Sehönborn (41) berichtet über wiederholtes Abbrechen
von Stahlnadeln, und ähnliche Erfahrungen scheint Caille (42) ge¬
macht zu haben, denn er warnt dringend vor Lageveränderungen
während der Punktion. Stadelmann (24) hat zweimal die Nadel¬
spitze abgebrochen, die im Knochen sitzen blieb. Torkel (43)
musste in seinem Falle, wo der Kranke sich aufgerichtet hatte,
den Processus spinosus des 4. Lendenwirbels abmeisseln, ehe er
die abgebrochene Kanüle entfernen konnte. Das Bruchstück lag
unter dem Processus spinosus, 2 cm unter der Haut. Es war
durch den sich abwärts und vorwärts bewegenden Processus spinosus
in den Zwischenwirbelknorpel eingepresst worden. Einen weiteren
Fall von Abbrechen der Kanüle berichtet Anders (44), wo bei
einem Kind plötzlich spastische Lordose eintrat und die Nadel ab¬
brach. Anders resezierte die beiden benachbarten Dornfortsätze
und Wirbelbogen und eröffnete die Dura, ohne das Bruchstück
wieder zu finden. Das Kind ging später an Scharlach zugrunde.
Anders hatte in der Mittellinie punktiert, und Schmitz (45; rät
daraufhin, die Lumbalpunktion etwas seitlich der Medianlinie zu
machen, um bei plötzlichem Aufrichten ein Abzwicken der Nadel
zwischen den Dornfortsätzen zu vermeiden. Eine gründliche Ab¬
hilfe stellen die Platiniridiumnadeln dar, wie Schönborn (41) an¬
gibt. Diese Nadeln brechen niemals ab, sondern sie verbiegen sich
nur. Ihr einziger Nachteil ist ihr hoher Preis.
Eine weitere Gefahr ergibt sich aus der Möglichkeit, mit
der Punktionsnadel eines der zahlreichen venösen Blutgefässe zu
verletzen, welche den Wirbelkanal in reichlichen Anastomosen
auskleiden. Grössere Blutuugen sind verhältnismässig selten, aber
immerhin in einer gewissen Zahl und von schwerwiegender Art
beobachtet, ln den beiden Fällen von Henneberg (46) fanden
sich umfangreiche Blutungen zwischen den Strängen der Cauda
equina, die von einer Verletzung der das Filum terminale be¬
gleitenden Vene herrührten. Im ersten Falle (Meningitis tuber-
culosa) fanden sich leichte meningitische Verklebungen, welche das
Filum fixierten. Die Lumbalpunktion war im Hiatus Waldeyeri
gemacht worden. Im zweiten Fall (Hirnabscess) fand sich an der
Punktionsstelle Verwachsung einiger Nervenbündel mit der Dura,
und die Nervenbündel selbst zeigten narbige Veränderungen. Üb,
wie Henneberg meint, die Punktion im Hiatus wegen der ge¬
ringeren Entfernung der hinteren Fläche des Wirbelkörpers aus¬
schlaggebend gewesen ist, muss dahingestellt bleiben. Im zweiten
Fall ist jedenfalls zwischen 3. und 4. Lendenwirbel punktiert worden.
Auch Grunert(31) hat mehrmals Verletzung stärkerer Blutgefässe
gesehen. Einmal fand er grössere Mengen geronnenen Blutes ira
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die (iefahren der Lumbalpunktion.
315
Lendenteil des Wirbelkanals. Minkowski’s (47) Fall zeigte eine
bis zum Halsmark hinaufreichende Blutung, ohne dass das Ereignis
hätte aufgeklärt werden können. In dem Falle von Schultz (48)
fand sich eine ziemlich abundante, bis in die Gegend des Hals¬
marks reichende Subduralblutung. Dieser Fall hatte aber schon
vor der Lumbalpunktion Zeichen hämorrhagischer Diathese gezeigt.
Bogdanovici (49) führte seinen Todesfall nach Lumbalanästhesie
auf die Lumbalpunktion zurück. Eine Entscheidung darüber ist
schwer zu treffen. Was hier interessiert, ist, dass der ganze
Wirbelkanal zwischen Pia und Arachnoidea mit Blutgerinnseln er¬
füllt war. Von den beiden, kurz aufeinander folgenden Punktionen
hatte die erste Blut, die zweite klare Flüssigkeit ergeben. Hier¬
her gehört auch ein sehr bemerkenswerter Fall, den Quincke (50)
in seiner bedeutsamen Arbeit: Zur Pathologie der Meningen
mitteilt. Die Punktion hatte nur 2 ccm Blut ergeben und war
wegen Auftretens von Schmerzen im linken Bein nicht zu Ende
geführt worden. Als der Mann nach 3 Wochen entlassen werden
sollte, stellten sich Lumbalschmerzen ein, die nach einem Spazier¬
gang noch heftiger wurden. Der Patient hielt dabei den Rücken
vollkommen steif. Die Schmerzen besserten sich ganz allmählich
im Laufe von 6 Wochen. Quincke erklärte den ungewöhnlichen
Spätfall durch leichte Verletzung eines Blutgefässes bei der Punktion.
Am Entlassungstage ist bei ausgiebiger Bewegung ein neuer Ein¬
riss an der noch etwas schadhaften Stelle aufgetreten. In einigen
durch Sektion festgestellten Fällen sah übrigens Quincke (20)
kleine fadenförmige Blutgerinnsel längs der Nervenwurzeln, die gar
keine klinischen Erscheinungen gemacht hatten. Wenn in Für-
bringer’s (33) schon erwähntem F'all nach 14 ergebnislosen Lumbal¬
punktionen, denen am nächsten Tage noch 6 weitere mit nur
wenigen Tropfen Blut folgten, sich Blutgerinnsel bis zum Halsraark
hinauf fanden, so ist ein solcher Befund eigentlich nicht ver¬
wunderlich.
Wenn auch die Nervenwurzeln dank ihrer seitlichen Lage
und der Möglichkeit, vor der punktierenden Nadel auszuweichen,
meistens unbehelligt bleiben, so kann doch mitunter eine Zerrung,
Anspiessung oder auch wohl Quetschung zwischen Nadel und
Hinterwand des Wirbelkörpers stattfinden. Gewöhnlich kommt es
dann zu einem blitzartigen, stechenden Schmerz oder schmerz¬
haftem Strecken der unteren Extremitäten, auch Gefühl des Ein¬
geschlafenseins kann auftreten. Solche Fälle sind von Nissl (26),
Fürbringer (51), Maystre (52), Quincke (53 u. 20), Mvgind
(54), Stadelmann (10) und von Bier (18) (an sich selber) beob¬
achtet. In einem Falle Fürbringer’s (7) haben ziemlich heftige
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
316 0. Schön heck,
Schmerzen und Taubsein in einem Bein 2 Tage hindurch ange¬
halten. Aber auch schwerere Symptome können die Folge sein.
Quincke (2) und Ossipow (55) sahen, allerdings nur in Tierver¬
suchen, erst im Laufe von Wochen vorübergehende Schwäche in
den hinteren Extremitäten, Allard (56) berichtet über Ataxie und
Schwindelgefühl bei einem Tabiker mit vorher nur unsicheren
Initialsymptomen, die über 2 Wochen hindurch anhielten. Immer¬
hin sind durch diese Zwischenfälle keine dauernden Schädigungen
eingetreten.
Viel gewichtiger ist dagegen eine andere Kategorie von Para-
paresen und Paresen, die durch Affektionen des Rücken¬
marks selbst zustande kommen. Durch Tumoren des Rücken¬
marks bedingte Störungen können durch die Lumbalpunktion enorm
zunehmen. Oppenheim (57) sah bei einem extraduralen Fibrom
des oberen Dorsalmarks nach der Lumbalpunktion aus einer
spastischen Paraparese eine Paraplegic mit völliger Gehunfähigkeit
und nunmehr vollständigem Verlust der-Kontrolle über Blase und
Mastdarm entstehen. Newmark (38) erlebte einen ähnlichen Fall.
Hier hatte nur eine ganz leichte Störung des Ganges und geringer
Schmerz in der Leistengegend bestanden. Weil der Blutwasser¬
mann verschieden ausliel, sollte der Wassermann des Lurabal-
punktats gemacht werden. Verschiedene Punktionen blieben er¬
gebnislos, aber am nächsten Tage traten Kopfschmerzen und
Schwäche der Beine auf, und in 3 Tagen hatte sich fast voll¬
ständige Lähmung der linken und ausgesprochene Parese der rechten
unteren Extremität herausgebildet. Beiderseits Babinski und Patellar-
klonus, leichte Blasenstörung. Newmark stellte in Erinnerung an
einen später mitzuteilenden Fall von Raven die Diagnose auf
Kompression des Rückenmarks durch Tumor. Operation brachte
Heilung. Zwischen Dura und Dorsalraark fand sich eine das Mark
bis weit nach vorn umgreifende Geschwulst und oberhalb derselben
w r ar der Duralsack mit Liquor gefüllt. In einem anderen Falle
von Oppenheim (57) entstand bei einer schon fieberfreien Polio¬
myelitis acuta anterior im Anschluss an Lumbalpunktion innerhalb
24 Stunden eine totale Lähmung des linken Beines und schlaffe
Parese des rechten. Vorher hatte nur unvollkommene Lähmung
des linken Beines bestanden. Nach 6 bis 8 Wochen war eine ge¬
ringe, aber nicht erhebliche Besserung eingetreten. Die hier her¬
vortretende Gefährlichkeit der Lumbalpunktion bei entzündlichen
Affektionen des Rückenmarks soll weiter unten noch näher be¬
trachtet werden. Nicht recht aufgeklärt ist der Fall von Wolff
(58). Hier ergab die Lumbalpunktion anscheinend reines Blut in
rascher Tropfenfolge. Die beabsichtigte Lumbalanästhesie unter-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Geiahren der Lumbalpunktion.
317
blieb deshalb, und es wurde Chloroformnarkose angewandt. Nach
einigen Stunden traten heftige Rückenschmerzen auf, die krampf¬
artig ausstrahlten. Am 2. Tage kamen starke Kopf- und Nacken-
schraerzen hinzu. Am 5. Tage trat plötzlich rechtsseitige Abdu-
censlähmung auf, die langsam in 8 Wochen verschwand. Viel¬
leicht muss hier die Blutung beschuldigt werden, die aus dem
Hämatom dann Reizstoffe frei werden liess. Endlich kann nach
Lumbalpunktion auch eine zerebrale Lähmung auftreten, wie dies
Marinesco (59) beschreibt. Nach einer Punktion bei Hirntumor,
die 12 ccm entleerte, trat gleich nachher tiefe Somnolenz ein, die
bis zum nächsten Morgen andauerte. Nach dem Erwachen zeigte
sich eine Hemiplegie links, bald darauf auch eine paretische
Störung rechts. Als Grund zeigte die spätere Sektion einen rechts¬
seitigen hämorrhagischen Herd im Stirnhirn. Es handelte sich hier
also um eine Lähmung, die eigentlich in ein späteres Kapitel
(Blutung ex vacuo) gehört.
Bei den bisher erörterten unangenehmen Folgen der Lumbal¬
punktion handelte es sich meist um leichtverständliche, grob¬
mechanische Wirkungen. Wir müssen jetzt ein viel grösseres Ge¬
biet von Schädigungen näher betrachten, bei denen der genauere
Mechanismus noch nicht ganz aufgeklärt und Gegenstand der ver¬
schiedensten Auffassungen seitens der Autoren ist. Es handelt
sich hier um jene Erscheinungen, die man unter dem Namen des
Meningismus zusammengefasst hat. Einige Autoren wie Nissl (26),
Frankhauser (60), Kutner (61) verglichen den Zustand sehr
treffend mit der Seekrankheit. Die Beschwerden bestehen in Kopf¬
schmerzen, Uebelkeit, Erbrechen, Schwindel. Beim Liegen-befinden
sich die Patienten verhältnismässig wohl, alle Beschwerden steigern
sich jedoch bei der geringsten Bewegung und namentlich beim
Aufrichten. Gewöhnlich treten die angeführten Erscheinungen erst
5 —6—8 Stunden nach der Punktion ein und halten mehrere Tage
bis zu 14 Tagen an. Sehr interessant sind die Versuche Nissl’s (26 >
an Aerzten. Es traten hier die typischen Beschwerden auf, bei
dem einen erst nach der 2. Punktion, bei einem andern, der
14 Tage arbeitsunfähig war, zeigte sich zugleich eine auffallende
Charakterveränderung. Nissl (26) und Schönborn (41) geben
an, dciss die Erscheinungen um so heftiger waren, je weniger ver¬
ändert sich der Liquor erwies. Bier (18), der nach einem miss¬
lungenen Versuch zur Lumbalanästhesie an sich selbst die Folgen
der Lumbalpunktion am Gesunden in typischer Weise spürte, hatte
einen ziemlich bedeutenden Liquorverlust gehabt und schrieb der
grösseren abgelassenen Menge die grösseren Beschwerden zu.
Eine solche Beziehung scheint nach Schönborn (41) nicht zu be-
Digitized
bv Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
318
0. Scli n n b r c k ,
Digitized by
stehen, denn dieser Autor sah die heftigsten Erscheinungen bei
Entnahme von nur 5 ccm und ein zweites Mal war gar kein
Liquor entnommen worden. Am wenigsten reagieren solche
Individuen, welche schon eine schwere Affektion des Ccrebrums
besitzen, z. ß. die verschiedenen Formen von Meningitis, Basis¬
brüche, Paralytiker und Tabiker. Bei letzteren nimmt Milian (63>
Analgesie als Grund dafür an. Andererseits reagieren nach dem¬
selben Autor Hysterische besonders stark, und Chotzen (63)
meint, dass alle Fälle, wo die Beschwerden heftiger und länger
dauernd sind, zur Hysterie und Epilepsie gehören. Quincke (64)
hebt hervor, dass sich bei Unfallpatienten, namentlich älteren, sehr
viel häufiger Nachwehen zeigen, die er auf grössere Reizbarkeit
der Meningen solcher Leute zurückführt. Die Angaben über die
Häufigkeit des sog. Meningismus schwanken. Frankhauser (60)
gibt 5—10 pCt., Schönborn (41) 10 pCt., Chotzen (63) 1 / i bis
Vs der Fälle und Dreyfuss (65) 13 pCt. an. Nach Milian (62)
ruft die Lumbalpunktion fast stets Beschwerden hervor.
Mitunter kommen zu dem beschriebenen Bild des Meningismus
noch Nackensteifigkeit, Schmerzen längs der Wirbelsäule, Kernig
hinzu, das heisst, der Zustand nähert sich mehr der eigentlichen
Meningitis. Quincke (20) sah in seltenen Fällen Temperatur-
Steigerung, und andere Autoren führen Veränderungen der Herz¬
tätigkeit (Arhythmie, Abschwächung, Verlangsamung) an, so
Chotzen (63), Braunstein (28) und v. Ziemssen (66). In
manchen Fällen traten Erscheinungen der beschriebenen Art,
namentlich die Kopfschmerzen schon unmittelbar nach der Punktion
oder gar während derselben ein, oder aber die einzelnen Sym¬
ptome, besonders wiederum die Kopfschmerzen, erreichten eine ganz
exorbitante Höhe. Es traten Kollaps und Synkope auf, und da¬
mit nahm der ganze Zustand einen bedrohlichen Charakter an.
Lichtheim (67) beschreibt den Fall eines 17jährigen Mädchens,
das vorher eine Reihe Hirnzufälle gehabt hatte. Durch die Punk¬
tion wurden ca. 55 ccm entleert, wobei der Anfangsdruck 25 mm
Hg, der Enddruck 0 betrug. Unmittelbar nach der Punktion trat
heftiger Kopfschmerz, Brustschmerz, Schmerz in den Oberschenkeln,
sehr heftiges Erbrechen, Pulsverlangsamung ein. Alle Beschwerden
bildeten sich ira Verlauf von 1—2 Tagen zurück. Einen Parallel¬
fall dazu gibt Milian (62). Hier traten die Hauptbeschwerden
erst am nächsten Tage ein, waren aber so heftig, dass man die
Kranke verloren glaubte. Dabei waren hier nur 6—7 ccm entleert
worden. Auch diese Frau wurde wieder hergestellt, allerdings erst
nach einer Woche. In einem Fall von Oppenheim (57) traten
unmittelbar nach Entleerung von angeblich nur 2 ccm Liquor (die
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die (irfahivn der Lumbalpunktion. 319
Punktion wurde andernorts ausgeführt) heftiger Kopfschmerz, Er¬
brechen, wachsende Benommenheit und völlige Amaurose auf,
während das Sehvermögen vorher nicht wesentlich beeinträchtigt
war. Der Fall wurde operativ zur Heilung gebracht, es handelte
sich um Meningitis serosa circumscripta cystica unter dem rechten
Kleinhirn. Die durch Opticusatrophie eingetretene Sehstörung
bildete sich nur unvollkommen zurück. Rispal et Pujol (68)
sahen bei einem 20jährigen Mädchen mit schwerer Intelligenz¬
störung nach jeder Lumbalpunktion Anfälle von Kopfschmerz und
Erbrechen, bei der letzten trat sogar lebensbedrohendes Delirium
auf. In einem Tumor cercbri-Fall von Förster (69) traten im
Anschluss an die Entleerung von 4 ccm Liquor Zeichen schweren
Hirndrucks, die früher nicht in dem Masse bestanden, und eine,
allerdings schon früher einmal vorhanden gewesene Sprachstörung
auf. Welchen hohen Grad die Schmerzen nach Lumbalpunktion
annehmen können, illustriert gut ein Fall von Gumprecht (40),
wo nach Ablassen von 15 ccm Liquor bei einem Paralytiker dieser
einige Stunden nach der Punktion eine heftige Schmerzattacke
durchmachte und dabei laut schrie, er müsse sterben. Am nächsten
Tag zeigte sich Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule und taumelnder
Gang. Der ganze Zustand verschwand wieder allmählich.
Die zuletzt angeführten Fälle sind gewissermassen eine Ver-
grösserung der schon früher erwähnten, welche dadurch herbei¬
geführt wird, dass sich die Schädigungen der Lumbalpunktion auf
einem pathologisch besonders vorbereiteten Boden abspielen. Beide
konkurrierenden Kräfte sind einer gradweisen Abstufung fähig.
Es muss schliesslich zu einem Punkte kommen, w’O die Schädigung
einen solchen Grad annimmt, dass der Fortbestand des Lebens da¬
mit nicht mehr vereinbar ist.
In der Tat sind Todesfälle nach Lumbalpunktion vorge¬
kommen. Eine vergleichende Untersuchung dieser Fälle wird
vielleicht erkennen lassen, welche Rolle die Schädigung durch die
Punktion gespielt hat, und welche Bedeutung dem pathologisch
veränderten Boden zukommt. Man darf sich allerdings nicht der
Täuschung hingeben, dass alle Todesfälle nach Lumbalpunktion
wirklich veröffentlicht worden sind. Klose (70) meint, so mancher
Todesfall lurabalpunktierter Kinder sei mit dem Mantel christlicher
Nächstenliebe zugedeckt worden und Fürbringer (71) sagt in
dieser Hinsicht: „Wir wissen, wie es mit der Neigung der Aerzte,
aus ihrer Praxis tragische Ereignisse im Anschluss an ihre Mass¬
nahmen zii publizieren, bestellt ist.“ Reichmann (72) vertritt
sogar die Ansicht, dass von 10 Todesfällen nach Lumbalpunktion
vielleicht nur einer veröffentlicht worden sei. Ob der Prozentsatz
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
320
0. Schön heck.
Digitized by
wirklich ein so hoher ist, müssen wir dahingestellt sein lassen.
Vollständigkeit wird sich ohnehin nicht erreichen lassen, da die
einzelnen Fälle sehr ungleich genau beobachtet und beschrieben
sind. Der Grund dafür dürfte zum Teil an der Plötzlichkeit des
Vorganges an sich liegen, andrerseits wird der Arzt in einem so
kritischen Augenblick in erster Linie von therapeutischen Mass¬
nahmen in Anspruch genommen. Eine rein äusserliche Schwierig¬
keit bietet die teilweise schwierige Zugänglichkeit einzelner Ver¬
öffentlichungen, die dann nur als Referat vorliegen.
Vielleicht bietet aber auch schon die vorhandene Anzahl von
Todesfällen nach Lumbalpunktion, wie unvollständig sie auch im
Einzelfall sein mögen, durch Vergleichung aller zusammen die
Möglichkeit, den Anteil der Lumbalpunktion an diesen beklagens¬
werten Ereignissen aufzudecken und damit vielleicht auch Mittel
und Wege zu ihrer Bekämpfung und Verhütung für die Zukunft
zu finden.
Es sollen nun im Folgenden die einzelnen Fälle von Exitus
nach Lumbalpunktion in chronologischer Reihenfolge zusammen¬
gestellt werden.
1. Für 1)ri rurer (7 und 71), 1895. 18 jähriger Jüngling. Am Stirn-
Schädel lokalisierter Kopfschmerz, Stauungspapille, motorische Aphasie, centrale
Fazialisparese, opileptiformc Anfälle, abgrenzbarer Perkussionsschmerz des
Schädels. Linkes Stirnhirn wird mit Bestimmtheit als Sitz des Tumors ange¬
nommen. Während der Punktion, die 22 ccm entleert, Aeehzen und Stöhnen.
Darauf für einige Stunden Schlaf. Nach Erwachen Befinden entschieden besser,
der Kranke ist munterer und blickt klarer. Puls vor der Punktion 48—G2,
nachher 92. Keine Aenderung im Augenspiegelbefund. Etwa 30 Stunden
nach der Punktion ganz auffallende Verschlimmerung. Die Hirndruck¬
ersrhein ungen treten wieder mit aller Macht hervor. Enorme Kopfschmerzen,
der Puls sinkt auf 52. Apathie. Sopor, mehrfaches Aufstossen und Erbrechen.
Zu den früheren Herdsymptomen tritt rechtsseitige Ptosis. Pupillenreaktion
rechts fast ganz aufgehoben, links sehr träge. Temperatur zwischen 3G.0 0 und
37,0°. Noch am selben Tage plöt zl ieher Tod unter Respirat ions-
1 ä h m u n L r .
Sektion: Der apfelgrosse, teils fibrinöse, teils gelatinöse Tumor
(Durasarkom) entspricht den hinteren Abschnitten der mittleren und
unteren Stirnwindung, wird somit nach unten von der oberen Sehläfen-
windung begrenzt. Die Gehirnsubstanz fühlt sieh nach Herausnahme des Tumors
in dessen Bereich teilweise etwas weich an, Seiten Ventrikel massig er-
w e i t e r t, mit k 1 a r e r Flüssigkeit gefii 1 It.
Der Tumor hätte ungewöhnlich günstige Chancen für Operation geboten.
2. Fürbringer (7), 1S95. Ein Fall von Hirntumor, bei dem vor 1 .Jahr
durch Trepanation eine an Heilung grenzende Besserung erzielt war. Während
eines Rezidivs mit quälenden Kopfschmerzen Lumbalpunktion. Während der
Entleerung von 50 ccm klarer Flüssigkeit; ungebührliche Steigerung der
Schmerzen im Schädel. Darnach Besserung. 24 Stunden später plötz¬
lich er Tod.
Sektion: (»(‘schwülst am B o d c n der R au t e n g r u b c.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
321
3. Fiirbringer (7), 1895. l’rämiker. Es werden 90 com entleert, Sopor
unverändert. Nach 1 Stunde Krämpfe mit unmittelbarem tödlichem
Ausiran g.
Sektion: Chronische diffuse Nephritis, grosse weisse Niere.
4. Fürbringer (7) 1895. Främiker. Durch Lumbalpunktion werden
50 ccm entleert. Sopor unverändert. Tod nach 5 Stunden.
Sektion: Chronische diffuse Nephritis, grosse weisse Niere.
5. Licht heim (67) 1895. 37 jährige Frau. Vor mehr als 2 Jahren im
Wochenbett ohne Fieber mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Ohnmaehtsanfällen und
angeblich mit Anschwellung der Lider erkrankt. Nach 6 Wochen Verschwinden
der Krankheitserseheinungen. 1 Jahr gesund; dann Anfälle von Kopfschmerzen,
Erbrechen, später plötzliche Schwindelanfälle, bei denen die Kranke hinstürzte.
Kasch vorübergehende Verdunklungen des (iesichtsfeldos. Seit l'/j Jahren all¬
mähliche Verschlechterung des Sehvermögens. Rechts Blindheit, links hoch¬
gradige Sehschwache. ln der letzten Zeit Anfälle von Kopfschmerzen und Er¬
brechen häufiger, erstere so heftig, dass Fat. laut aufsehrie. Zeitweise während
der Anfälle bewusstlos und konvulsivische Erscheinungen in den Gliedmassen.
Anfälle von sehr heftigen Kopfschmerzen, in welchen die sehr hinfällige Kranke
teilnahmslos daliegt. Doppelseitige, in Atrophie ausgehende Stauungspapille.
Puls etwas beschleunigt, klein, weich, änderte sich während der Schmerzanfälle
nicht. Durch Lumbalpunktion werden bei einem Anfangs druck von 40 mm Hg
25 ccm klarer, hellgelber Flüssigkeit entleert. Der Enddruck beträgt
5 mm Hg. Unmittelbar nach der Funktion sehr heftige Kopfschmerzen, die
sich im Laufe des Tages so steigerten, dass Fat. völlig benommen erschien.
Die Kopfschmerzen verminderten sit*h nachts, um am Morgen mit erneuter
Heftigkeit einzusetzen. Die Benommenheit steigerte sieh im Laufe des Tages
zu totaler Bewusstlosigkeit. Die Respiration wurde unregelmässig bei
u n v e rä nd erd e m Puls. Letzterer blich unverändert, bis unter p 1 ö tz 1 i c h e m
Herzstillstand der Tod ein trat.
Sektion: Neben dem linken Rand des Fons und der Medulla oblongata
wölbt sieh an der Basis ein walnussgrosses, von der Tonsille der linken
J\ lei n hirnhemisphäre ausgehendes Rundzellensarkom vor. Facialis und
Aeusticus gehen über die Geschwulst hinweg, ihre Nervenfasern zeigen keine
Veränderung. Sehr erweiterte Ventrikel mit Inhalt von 55 ecm klarer
F 1 ii s s i g k e i t.
6. Fürbringer (71), 1896. 29jähriger Mann, ln den letzten Jahren
Kojdsehmeiv.cn sehr schwankender Intensität, öfters Erbrechen, unsicherer Gang.
Seit einigen Tagen unerträgliche Zunahme der Kopfschmerzen, besonders im
Hinterhaupt: Kräftiger Mann, leicht erhöhte, später normale und subnormale
Temperatur. 80—90 unverdächtige Pulse. Keine motorische Störung. Trotz
Jodkali werden die Schmerzanfälle im Laufe der nächsten 3 Wochen immer
heftiger, beim Aufrichten häufiger Schwindelgefühl, später auch Erbrechen.
Leichte inkonstante Pupillendifferenz, rechts weiter. Neigung nach hinten und
rechts zu taumeln. Lumbalpunktion geht leicht und glatt: unter fortdauernder,
ja gesteigerter Sehmerzäusserung werden 50 cem klarer F1 iissigk eit entleert.
Puls, welcher zuletzt zwischen 7G und 108 geschwankt hatte, bleibt zunächst
unverändert. Die Klagen über Kopfschmerzen verstummen, der Kranke liegt
ruhig und apathisch da. Nach G Stunden Tod durch Respirationsläh¬
mung. Puls kurz zuvor nur 5G.
Sektion: Intaktes Herz, sehr blutreiche Lungen. Fast die ganze rechte
K lein hi rn hem isphäre von einem, die ursprüngliche Grösse desselben iiber-
si’hrcitenden weichen Tumor eingenommen, welcher die erhaltene llirnsuh-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
322
O. Schön bock.
Digitized by
stanz auf eine schmale Zone verdrängt hat. Die Xeubildungsmasse greift auch
auf die linke Hemisphäre über, die indes der Hauptsache nach erhalten ist.
(iehirnnberfläche stark abgeplattet. Furchen fast völlig verstrichen. Ilirn-
vent rikel enorm erweitert, reich liehe Mengen klarer Flüssigkeit
enthaltend. Im subduralen Kaum des Rückenmarks nur sehr wenig
F 1 ü s s i g k e i t.
7. Bull (73). 1 S9f>. Ein Fal 1 v<>n M e n i n g i t i s t u b e r c u 1 o s a. Es
werden b— S ccm abgelasson. 4 Stunde nach der Punktion plötz-
1 i eher Tod.
8. Len hart z (12 u. 4). lS9b. Der Kranke hat während der Punktion,
die 75 mn entleert, heftige Kopfschmerzen. Tod nach 7 Stunden.
Sektion: Mächtiger, den grössten Teil der Grosshirnrinde ein-
neh mender Tu mor.
9. Krönig (74). 1S96. Patient mit Durchbruch eines apopiekti-
sehen Herdes in d i e V e n t r i k e 1. Bei der Punktion liess man ablaufen
soviel als wollte, im ganzen 75 ccm einer gleich massig hämorrhagischen
Flüssigkeit. 3 Minuten hinterher Tod.
Der Patient war vor der Punktion absolut nicht in Agone, der letale Aus¬
gang erst in 2—3 Tagen zu erwarten.
10. Krönig (74). lS9b. Junges Mädchen mit schweren psychischen Er¬
scheinungen. Rechte Papille stark gerötet, Venen geschlängelt. Temperatur
39,0°. Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Tumor. Zur Differentialdiagnose gegen Me¬
ningitis Lumbalpunktion. 15 ccm einer gleiehmässig hämorrhagischen
Flüssigkeit werden abgelassen. Nach 3 Minuten überzog sich der Ober¬
körper mit einer flammenden Röte, die Pupillen erweiterten sich, kurz darauf
Apnoe unter Fortsetzung der Herztätigkeit. I 1 _> Stunden künstliche Atmung.
X a e h 2 S t und e n E x i t u s.
S c k t i o n: G e p 1 a t z t e s A n e u r y s m a ei nes kleinen Astes der A r t e r i a
fossae Sylvii. Ein ausgebreiteter Blutherd in der Gegend des rechten
Thalamus und im Corpus striaium. Die ganze Umgebung blutig infiltriert.
Blut hatte sieh einen Weg in die Ventrikel gebahnt und diese ausgiebig bis
in den Spinalkanal hinein erfüllt.
11. Kiek en (S), 1S9G. 2bjähriger Mann erkrankt vor 1 Monat mit plötz¬
lichen Kopfschmerzen, später Schwindel. Ohreiterung rechts. Mit 5 Jahren
nach Otitis media Gehirnhautentzündung mit Krämpfen. Seitdem Taubheit
rechts und Blindheit. Jetzt mehrfaches Erbrechen. Pulsverlangsamung trotz
Temperaturanstieg. Durch Punktion werden in 3 Minuten nur 3 ccm entleert,
trotzdem der Anfangsdruck 120—150 mm ILO beträgt. Enddruck 100 mm
H,0. Keine Aendcrung des Zustandes. Nach 3 Tagen plötzlicher Tod
durch neue umschriebene Meningitis mit lokalem Druck auf die Medulla ob-
longata.
Sektion: Alter ab gekapselt er Kleinhirn ab s c e s s rechts m i t
Durchbruch in die Schädel höh Ic. Hydrocephalus chronicus von
200 ccm. Flüssigkeit klar. Zwischen Tcntnrium und Ccrebel lum 20 bis
30 ccm Eiter. Hirnwindungen fast verstrichen. Balken stark nach oben ge¬
drängt und verdünnt.
12. Kernig (75). lS9b. Fall von Fobris recurrens, klinisch als Meningitis
gekennzeichnet. Urin reichlich Albumen. Punktion entleert 50 ccm klarer
Flüssigkeit mit vereinzelten Leukoeyten und roten Blutkörperchen. Nach der
Punktion allgemeine Besserung, weniger Kopfweh, freieres Scnsnrium. 2 Tage
nachher in ganz plötzlicher, unvorhergesehener Weise Exitus letalis.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Die (iofahrcn der Lumbalpunktion.
323
Sektion: Pia des Hirns, durchsetzt von zahlreichen grossen und
kleinen Hl u taust ritten, zeigt nur geringe exsudative Erscheinungen (als
Leptomeningitis acuta haemorrhagica bezeichnet). Aehniiehe Veränderungen in
der Pia des Rückenmarks. Hämorrhagien in der Capsula interna des
Gehirns mit Durchbruch in die Ventrikel. Blutungen unter das
Periost des Wirbelkanals. Endocarditis acuta ulcerativa. Recurrensrnilz
mit Milzinfarkt, akute parenchymatöse Nephritis.
13. Fleischmann (9), 1S97. 42 jähriger Mann mit Tumor cerebri.
Lumbalpunktion: Anfangsdruck 3 mm Hg. Wenige Tropfen werden ab¬
gelassen. Bald nach der Punktion Tod.
S e k t i o n: G 1 i o s a r k o m des linken S <■ h 1 ä f c n 1 a j j p e n s: k e i n H y d r o -
cepba lu s.
14. Fleischmann (9), IS97. 30jährige Frau in Koma. Tumor
cerebri. Durch Punktion bei Anfangsdruck von 11 mm Hg 3 ccm durch
Blut etwas verunreinigter Flüssigkeit abgelassen. Tod 1 Stunde nach
der Punktion.
15. Fleisch mann (9), 1S97. 19jährige weibliche Person. Tumor
cerebri. Durch Punktion 30 ccm entleert. Anfangs druck GO mm Hg,
Enddruck 0. Tod nach G Stunden unter Zeichen der Kespirat ions-
1 ä h m u n g.
16. Fleischmann (9). 1897. 14jährigcr Knabe. Durch Lumbalpunktion
20 ccm klarer, wasserheller Flüssigkeit entleert. Druck . Tod am Tage
nach der Punktion.
Sektion: T u ni o r e e r e b e 11 i (M y x os a r k o in).
17. Xölkc (76), 1897. 51jährige Frau. Differentialdiagnose: Hirntumor
oder Meningitis serosa chronica. Seit mehreren Jahren krank, Kopfschmerzen.
Erbrechen, Amblyopie. Zuletzt Sopor. Keine Stauungspapille. Lumbalpunktion.
Anfangsdruck 200 mm H 2 0, bei der Inspiration sinkend auf 140—90 mm ILO.
Flüssigkeit tropft sehr langsam ab, auch bei Senken der Abfluss¬
öffnung auf das Niveau der Punktionsstelle. Nach Entleerung von 5 ccm
ist der Druck auf 10—40 mm 1I 2 0 gefallen. Die Punktion wird wegen des
starken Sinkens des Druckes abgebrochen. Gleich darnach Stocken der
A t m u n g. die vorübergehend durch Hautreize und k ii n s 11 i c h c A t m u n g
wieder in Gang kommt. Nach 1 2 Stunde Exitus.
Sektion: Kleinhühnereigrosse Geschwulst am T iirk ensat t el.
An Stelle der Hypophyse weiche, graurote, zerfliessende Geschwulstmasse, die
in die Nasenhöhlen und das linke Antrum llighniori eingedrungen ist. Der
Aquaedukt ist von unten nach oben zusain menge presst. Sehr starker
chronischer II y d r o e e p h a 1 u s (80 ccm).
IS. Xölkc (76), 1897. 25jähriger Knecht. Seit 1 Jahre Schwindcl¬
anfälle, in letzter Zeit Erbrechen, andauernd heftige Kopfschmerzen. Seh¬
störungen. Ensicherer Gang. Schwäche der Extremitäten, geringe Steifigkeit
des Nackens. Leicht auftretende Schwankungen der Pulsfrequenz. Stauungs¬
papille beiderseits, links beginnende Atrophie. Vor 2 Tagen je (‘in Anfall von
Schwindel und Bewusstlosigkeit. Der letzte mit klonischen Zuckungen in Armen
und Beinen. Nach einigen Minuten kam Pat. wieder zu sieh. Diagnose: Tumor
oder Meningitis serosa subacuta. Die Lumbalpunktion zeigte A n fangsdrin- k
von 440 mm ILO, rasches Absinken bei langsamem Ab tropfen bis
auf 150 mm ILO. Es wurden dabei 15 rem klarer Flüssigkeit entleert.
Wegen plötzlich eintretender stärkerer Kopfschmerzen Punktion abgebrochen.
Die Kopfschmerzen hielten weiter an bis zu dem am nächsten Tage mittags
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2. 'J'J
Digitized by
Gck igle
Original frurn
UMIVERSITY OF IOWA
324
0. Schönbcck
Digitized by
eintretenden plötzlichen Tode. 3 4 Stunde post mortem ergab Punktion des
linken Ventrikels unter Zuhilfenahme von Aspiration 80 ccm klarer Flüssigkeit.
Sektion: Sehr starker Hydrocephalus. Erweiterung aller 4 Ven¬
trikel, Inhalt mindestens SO ecrn. Sehr starke zapfenartige Ei npressung
des Kleinhirns in das Fora men magnum.
19 . Wil ms (77), 1S97. *25jähriger Pat., starke Stauungspapille, Ataxie.
Schwindel, Erbrechen, starke Kopfschmerzen, links Abduzens- und Fazialis-
lähmumr. Trotz, klinischer Zeichen stark erhöhten intrakraniellen Drucks ergab
die Lumbalpunktion einen A n fangsd ruck von 140 mm H 2 0. Nach lang¬
samem Abläufen von 18 ccm Liquor ist der Druck fast 0. Befinden gleich
nach der Punktion etwas gebessert. Nach 5 Stunden plötzlicher Exitus.
Se k t io n : Sark n m i m rechten Kleinhirn, st arko Di 1 at at i on der
Se i t en ve n t ri k e 1. enorme Abflachung der Gyn.
20. Fiirbri ngor (7S), 1897. Rachitisches, nicht sterbendes Kind
mit Pneumonie. Tod wenige Stunden nach Lumbalpunktion unter
allen Kaut eien.
21 . F ii rbr i n ge r (78), 1897. Mann mit (iliom im linken Mark-
1 ager. T od w e n i ir e S t u n d c n n ac h L u m b a 1 p u n k t io n unter allen Kautelen.
Der Zusammenhang zwischen Lumbalpunktion und Exitus war in beiden
Fällen nicht auszuschliessen.
22. Krünig (79), 1897. 1 Todesfall ganz unerwartet 2 Stunden
nach Lumbalpunktion bei einem Urämischen.
23. Braun (30), 1897. Ein urämisches Kind kam 5 Minuten nach
L u m 1)a 1 ]>u n k t i o n ad e x i t u m. trotzdem k ei n e F111 ssigk ei t e n 11 eert wurde.
Ein so rascher Ausgang war nicht zu erwarten gewesen.
24. Stadel mann (10), 1897. ISjähriger Schneider. Starke Kopf¬
schmerzen in Stirn- und Augengegend, auch Nackenschmerzen. Diagnose: Tumor
cerebelli. Nach einer ersten Lumbalpunktion vor 10 Tagen haben sieh die Be¬
schwerden gesteigert. Der Anfangsdruek betrug damals 320 mm ILO.
2. Punktion: Bei dem ersten Einstich ist die Flüssigkeit stark sanguinolent.
2. Einstich einen Interarkualraum höher ergibt vollkommen klare Flüssigkeit
unter ganz geringem Druck. Klagen über plötzlich auftretende starke
Schmerzen im linken Bein. Deshalb 3. Einstich einen Interarkualraum
tiefer. Flüssigkeit nur spurweise sanguinolent. Druck steigt auf 130
bis 140 mm ILO. Es wird keine Flüssigkeit abgelassen. Im ganzen nur
etwa 5 ccm Liquor entleert. Die Schmerzen im Bein verschwinden bald
nach der Punktion vollkommen. Im übrigen sind die Klagen unverändert, ln
der Nacht, ungefähr 12 Stunden nach der Punktion, wird der Pat. auf
der Erde gefunden: er ist nach Aussage der anderen Kranken aus dem Bett
gefallen. Nach wenigen Minuten Tod.
Sektion: Subduralraum des Rückenmarks frei, im Subarachnoidealraum
geringe Menge leicht hämorrhagischer Flüssigkeit. Enorme Füllung der
Su barac h n o i d ea I rä u m e des Gehirns. Die Araehnoidea am Trigonum
intererurale durch Ansammlung von Flüssigkeit prall gespannt, ebenso ist .sie
am Boden der Fossa Sylvii fast blasig abgehoben. Sei ton Ventrikel und
mittlerer Ventrikel stark ausgedehnt, prall mit klarer, heller
Flüssigkeit angefüllt. Aquaeductus Sylvii und 4. Ventrikel enorm
ausgedehnt, von einer dicken, wulstigen Membran ausgekleidet, ln
ihr h ase 1 n u ssgrusse Uv st ieereusblase. Die Membran ist direkt in das
Foramen Magendii und die Aperturae laterales hineingewachsen. ln der
rechten Apertur sitzt der Stiel der Parasiten blase fest.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Die (icfahren der Lumbalpunktion.
325
25. Stadelmann (10), 1897. 41 jährige Frau. Seit mehreren Jahren
Schwäche der linksseitigen Extremitäten, zunehmender geistiger Verfall, hoch¬
gradige Demenz, stuporöscr Zustand. 1. Lumbalpunktion erschwert durch lordo-
lische Krümmung der Lendonwirbelsäule. Es tropft zuerst nichts ab. Nach
schwachem Ansaugen tropfen ausserordentlich langsam 7—8 ccm klarer Flüssig¬
keit heraus. Druck nicht messbar. Punktion ohne Einfluss auf das Befinden.
7 Tage später 2. Lumbalpunktion. Es strömt gleich ziemlich reichliche
Flüssigkeit ab. Druck 210—220 mm H 2 0. Nach Abtrupfen von etwa
15 ccm beträgt der Druck 80—90 mm ILO. Starke Unruhe, Klagen über
starken Kopfschmerz, Wimmern. Punktion wird abgebrochen. Der soporöse
Zustand nimmt noch weiter zu. 40 Stunden nach der Punktion plötz-
1 icher Tod. Diagnose war auf Tumor der rechten Grosshirnhemisphäre gestellt.
Sektion: Suharachnoidealräume leer. G än se ei grosse r Tu mor, von
Dura ausgehend, den medialen Teil der beiden rechtsseitigen
C en t ral Windungen und den Pra-ecuneus einnehmend. Ausserdem noch
zerstreute kleine Tumoren der Dura. Fi brosarkom. Ventrikel etwas
ausgedehnt.
26. Stadelmann (10), 1897. 50jährige Frau. Nephritis, Arteriosklerose.
Her/verbrcitcrung. Vor 3 Tagen Schwäche der rechten Körperseite, die plötzlich
zunahm. Alle Arterien hart und geschlängelt. Hechts Parese des mittleren und
unteren Fazialisastes. Reflexe an den unteren Extremitäten fehlen. Sensibilität
normal. Subconjunctivale Netzhautblutungen, Papillen verwaschen. Sensorium
und Sprache frei. Urin reichlich Albuinen und Cylinder. In den nächsten
Tagen nahmen die Paresen noch zu. Am 3. Tag tiefes Koma. Totale Lähmung
der rechten Extremitäten. Die Lumbalpunktion ergibt eine stark sanguino¬
lent e F Lässigkeit bei einem Druck von nur 50 — 60 m m 1LO. Nach A b -
lassen von 5 ccm wird die Punktion einen Interarkualraum tiefer wiederholt.
Dort zeigt die Flüssigkeit denselben sanguinolenten Charakter. Der Druck
ausserordentlich hoch. 400 -j- x mm ll 2 0. Nach Abläufen von 20 ccm
Druck noch über 300 min 1I 2 0, Nach Ablauf weiterer 15 rcm beträgt
der Druck 250 —260 mm ILO. Da fällt die Flüssigkeitssäule plötz¬
lich, Pat. wird livido, röchelt, die Atmung zessiert. Nach kurzer Zeit hört
auch der Puls auf, Pat. ist tot. Im ganzen sind 40 ccm abgelaufen. Die
Flüssigkeit enthält massige Mengen Blut.
Sektion: Apoplexia cercbri, Nephritis chronica, Aneurysma arteriae
fossac Sylvii, Haemorrhagia intrameningealis, Haematoma venlrieuli lateralis si-
nistri. Haemorrhagia ventriculi IV. Im 4. Ventrikel geplatztes kl (‘ines
< i c f a s s.
27. Krönig (36). 1899. Fall L. Klinische Diagnose Tumor cerebelli
(Kopfschmerz, Schwindel) sollte durch Lumbalpunktion bestätigt werden. An¬
fangsdruck 240 mm ILO, Pulsationsschwankungen durchaus normale Höhe.
Nach Ablassen von 5 ccm werden die Pulsationsscbwankungen entschieden
geringer. Daher Punktion bei Enddruck von 110 mm ILO abgebrochen. Un¬
mittelbar nachher keine Veränderung, Kopfschmerz. Schwindel wie vorher. Nach
5 S t un den geringes Erbrechen, p 1 öt z 1 icher A t inungsst i 11 stand u nd
Exitus.
Sektion: Cysticercus cellulosae ventriculi 1V und H y d rocephal us
p e r m a g n u s.
28. Hochhaus (80), 1899. 63jährige Krau. Vor 14 Tagen reissende
Sehmerzen in Armen und Beinen. Beine etwas schwächer als früher. Urin¬
lassen beschwerlich. Menge gering. Vor 5 'Pagen wurde Pat. beim Urinhissen
schwindlig, fiel zu Boden. Seitdem versagen die Beim' völlig. In den letzten
22 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
326
O. Scliönherk,
Digitized by
Tagen Urin nur durch Katheter. Bis vor 14 Tagen arbeitsfähig. Sensorium
frei, Pupillen nnrmal. Beide Beine gelähmt, Sensibilität hochgradig herabgesetzt.
Patcllarreflcxc beiderseits nur ganz schwach. Urin klar. Nach 3 Tagen ziem¬
lich benommen. Vermutung einer cerebralen Komplikation. Lumbalpunktion.
Anfangsdruck 150 mm H 2 G, nach Entleerung von 25 ccm Enddruck
= 0. Nach der Punktion Bat. etwas freier, gibt wieder auf Fragen Antwort.
Klagen über heftige Sehmerzen im Hin! er köpf. Am nächsten Tage
wieder benommen, Harn ammoniakaliseh und trübe. Im Laufe der nächsten
Woche leichte Fieberbewegungen. die Lähmung der Beine wird komplett, auch
der linke Arm wird schlaffer als der rechte, die ganze linke Körperhälfte kälter.
Nach 11 Tagen vollkommene Lähmung des linken Armes und beider Beine.
Sensorium benommen, Fieber wird stärker. Am 13. Tage nach der Punk¬
tion zunehmende Schwäche, Puls kaum fühlbar. Temperatur 37,0°. Nach¬
mittags Exitus.
Sektion: An der Innenfläche der Dura über Mittel- und Hinterhirn eine
zarte, \on vielen (iefässen durchzogene und mit vielen Blutpunkten besetzte
Membran. Hirnwindungen abgeplattet, Hirnsubstanz weich, weisse Substanz etwas
gerötet. In den Ventrikeln wenig klare Flüssigkeit. Im Brustmark myeliti¬
sein* r Herd. Hämorrhagische Uystitis. Ureteritis, Pyelitis, Abscesse und trübe
Schwellung in beiden Nieren. Thrombose von Aesten der Pulmonalarterie.
Mikroskopisch über dem gesamten (Zentralnervensystem ausge-
1)rei t et e starke Hy perämie d er lief ässe mit Entzündung der W ände.
Die weichen Rückenmarks h ä u t e zeigen diffuse Entzündung und Ibe¬
sonder* starke Alteration der (iefässe, die aber merkwürdigerweise die
Arterien ganz frei lässt, dagegen die kleinsten (iefässe und Venen sehr
stark ergriffen hat. Aelmliche Erscheinungen an den Meningen des He¬
ll im s. wo an einzelnen Stellen Hyperämie und Entzündung auf
frischere Vorgänge sch Messen lässt.
29. (iumprecht (40), 1900. 20jährige Wärteifti. Vor l 4 Jahr Sehwindel-
anfälle mit Bewusstlosigkeit. Vor 2 Monaten plötzlich Nackensteifigkeit, beson¬
ders morgens. Bald darauf Schielen des linken Auges und Auftreten von
Doppelbildern. Etwas später heftige Kopfschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen. Kopf
wird stark nach rückwärts gebeugt gehalten, die Kranke wird bettlägerig, spricht
nicht mehr, Kopf wird in die Kissen gebohrt. Pal. liegt apathisch da, kann
sich nur mit Unterstützung aufrichten. Tenip. 35,0°. Puls 90. Ataxie bei Arm¬
bewegungen, Beine ohne Ataxie. Gang leicht nach links fallend. Beiderseits
Stauungspapille. In den letzten Tagen leichte Benommenheit. Erbrechen,
Fazialisparese rechts. Bei der Lumbalpunktion nach Ausspritzen des ersten
Strahles der Anfangs druck ISO mm II 2 0. Es werden im ganzen 5 ccm
leicht getrübter Flüssigkeit entleert. Während der Punktion ausser¬
ordentliche Steigerung der Kopfschmerzen, lautes Schreien, Puls unregelmässig
und klein. Die Punktion wird sofort abgebrochen. Die Schmerzen dauern tin-
gemindert fort. In den nächsten Stunden Amnesie, Erregung, heftiges Sprechen.
Puls etwas unregelmässig, bis 112. Abends 9 1 * Uhr (11 1 / 4 Stunden nach
der Punktion) plötzlich Uv an ose. Puls und Respiration setzen zunächst
gleichzeitig aus. Puls kehrt aber bald wieder. 1 Stunde lang künstliche
Atmung, Herz schlägt während dieser Zeit deutlich weiter. 1 P/o Uhr abends
(13 \ 2 S t und e ri nach d e r P u n k t i o n) Exitus.
Sektion: Tu m o r (Gliom) d es rechten T h ala m us opticus wölbt sich
von der medialen unteren Fläche her gegen die Kammer vor. 4. Kammer
massig weit, Ependym völlig glatt. Sei teil kam me r deutlich erweitert,
Unterhörner stark erweitert mit Ausnahme des oblitcrierten untersten Endo.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
327
Centralkanal im Rückenmark nirgends erweitert. Lumbalstielikanal reaktions¬
los, an der 4. und 5. Cervikalwurzel Blutgerinnsel. In den Maschen der Kiieken-
markshäute weniger Flüssigkeit als normal.
30. Gum p re eilt (40), 1900. 29 jähriger Maler. Seit 9 Monaten krank.
Taumel beim Gehen. Erbrechen. Zuletzt teilnahmslos, spricht spontan garnicht,
schwer besinnlich. Deutlicher Bleisaum. Glieder schlaff, aber ohne Lähmung.
Gesiehtsbeweirungen intakt, rechter Augenfazialis eine Spur schwächer. Durch
Lumbalpunktion werden 10 ccm klarer, farbloser Flüssigkeit entleert.
Anfangsdruck 210 mm ILO, Enddruck 120 mm 11 2 0. Zunächst bleibt der
Zustand unverändert, 2 ,; 4 Stunden später nach plötzlichem Kotwerden
des Gesichts starke Cyan ose, Atem beweg ungen hören fast augen¬
blicklich auf. Puls wird klein und langsam. 2' 2 Stunden nach der
Punktion Exitus.
Sek tion: Kleinapfelgrosser IIirnt untor. der die hintcren 2 / ;t der
Sehhügel, den Balkenwulst und die Yierhügel einnimmt. Seiten¬
ventrikel sehr erweitert, ebenso das Unterhorn beiderseits. 4. Ven¬
trikel eng.
31. M i ngazzi ni (81), 1901. 20jähriger Bauer. Vor 4 Monaten anfänglich
geringe Kopfschmerzen, die sich bald bis zur Unerträglichkeit steigerten. Schmerz¬
anfälle stets in der linken Schädelhälfte. In letzter Zeit Schmerzen andauernd,
auch rechts. Vor 3 Monaten Schatten vor dem linken Auge, Pat. bemerkte, dass
dies Auge sich manchmal nach aussen drehte. Seit einiger Zeit Ohrensausen,
Schwindelanfälle, die mit Exacerbationen der Schmerzen zusammenfielen. Bei
der Aufnahme äusserst bedenklicher Zustand. Linkes Auge dreht sich von Zeit
zu Zeit nach aussen, Patcllarreflexe schwach, Pupillen mittelweit, linke reagiert
weniger auf Licht. Schädelperkussion links massig schmerzhaft. Sehr heftige
Schmerzen auf der linken Seite des Schädels, die sich nach dem Nacken hin¬
ziehen. lassen den Kranken laut heulen und schreien. Stauungspapille beider¬
seits. links stärker. Bei der Augenuntersuchung wird der Pat. bewusstlos. Am
nächsten Tage ein Anfall ungewöhnlich heftiger Kopfschmerzen, das Gesicht ist
links heisser und röter als rechts. Nach 4 Minuten Aufhören des Anfalls. Der
Kranke verfällt in soporösen Zustand, aus dem er durch Anruf leicht zu wecken
ist. Die Anfälle wiederholen sieh in kürzeren oder längeren Pausen bis zum
Morgen. Am Abend hat man die Lumbalpunktion gemacht. Die apo-
plektiformen Anfälle sind mit der Lumbalpunktion immer heftiger
geworden, der Kranke ist in plötzlichen Kollaps verfallen und am nächsten
Morgen trotz künstlicher Respiration gestorben.
Sektion: Dura zeigt merkliche Spannung. Linke Hemisphäre in der
hinteren Hälfte vergrössert, Windungen des linken Scheitellappens sehr abge¬
flacht. Die 2. und 3. Hinterhauptswindung und die Pariotooccipitalwindungcn
links sind durch Cystemvand ersetzt. In der Cyste von der Grösse eines Puten-
eics befindet sich klare Flüssigkeit. An der Innenwand 2 invaginierte Skolices.
Echinokokkus des Oeeipitallappens. Das Horn des entsprechenden
Seiten Ventrikels war nach vorne verdrängt.
32. Braunstein (28), 1902. 48jähriger Mann, früher stets ohrgesund.
Erkrankt vor V* Jahr angeblich an Influenza. Hechtes Ohr beginnt zu laufen.
Mitunter Kopfschmerzen, Beschwerden nahmen zu, so dass Pat. sich legen musste.
Vor 8 Tagen fast bewusstlos, soll seine Angehörigen nicht erkannt haben, da¬
bei auch Krämpfe. In den letzten Tagen Befinden etwas besser. Temp. 39°.
Puls 79. Atmung beschleunigt. Leichter Sopor. Harnverhaltung, Meteorismus.
Schmerzen in der Wirbelsäule bei Aufrichten. Geringe Druckempfindliehkcit
über dem rechten Warzenfortsatz. Rechte hintere Gehörgangswand geschwollen.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
328
O. Schön bock,
Digitized by
Trommelfell laicht gerötet, al»ireflacht. Diagnose: Akute Meningitis, zweifel¬
haft. ob vom Ohr ausgehend. Ks war Herpes labialis aufgetreten. Durch
Lumbalpunktion werden etwa 40- 50 rem leicht getrübter Flüssigkeit
im Strahl entleert. Dann tropfenweise* Xaehsiekern. Alsdann wird
mit Pravazsprit ze aspiriert. Xaeli der ersten Spritze wird die Punktion
abgebrochen, da der Hat. unruhig und die Atmung auffallend tief und
aussetzend wird. In Rückenlage wird die Atmung zunächst ruhiger, aber
nach wenigen Minuten tritt C liey n e - S t o k e s * s e h es Atmen ein. Pat. wird
Mau und höchstens lf> Minuten nach Beendigung der Punktion tritt
Exitus ein.
Sektion: Dura sehr blutreich. Pia stark injiziert. Ventrikel erweitert.
Inhalt vermehrt, etwas trübe. Kpendym der Ventrikel glatt. Ausgedehnte Eite¬
rung im rechten Warzenfortsatz. Eitrige Meningitis, besonders der rechten
(irosshirnhomisphäre. ausgehend von einem kleinen Thrombus an der
l’mbiogungsstelle des Sinus transversus in den Sinus sigmoideus. Lungen¬
ödem.
33. Braunstein (2S). 1902. 23jährige Frau. Heftige Schmerzen in der
linken Kopfseite. Pat. wimmert laut, wird vor Schmerz mehrfach ohnmächtig.
Xaekenschmerzen. Temp. 3S,7°. Puls Sl. Kräftige Frau mit Otitis media si-
nistra. Man denkt an intrakranielle Komplikation. Da Meningitis vorhanden
sein könnte, Lumbalpunktion. Es werden 13 ccm klaren Liquors ohne
Leukozyten und .Mikroorganismen entleert. Wenige Sekunden nachher
(es waren bis dahin 2A ee m (’h 1 oroform verbraucht) setzt plötzlich d i ••
Atmung aus, hochgradige Cyanose des Gesichts tritt ein. Puls gut. Xaeli
etwa 20 Minuten künstlicher Atmung ging der Anfall vorüber.
Während der nächsten halben Stunde wieder bei Bewusstsein, keim*
Klagen über Schmerzen. Plötzlich wird die Atmung wieder oberflächlich*
hochgradige Cyanose. trotz künstlicher Atmung Exitus (etwa 1 Stunde
nach der P unkt ion).
Sektion: Anämie des Gehirns, Lungenödem, massige Verfettung des
Herzens, Verhütung der Leber, Milztumor, alte und frische Herde im Oberlappen
der rechten Lunge.
34. Müller (S2), 1902. 2G j äh riger Mann. Seit längerer Zeit häufige Kopf¬
schmerzen. Erkrankte vor 3 Wochen ganz akut an Appetitlosigkeit, Sehwindel¬
anfällen, Erbrechen, heftigen Kopfschmerzen, »letzt besteht ausgesprochene Puls-
verlangsamting (G0), taumelnder Gang, Blieklähmung nach oben und beiderseitige
Stauungspapille. Diagnose schwankt zwischen eneephalitischem Prozess des Klein¬
hirns und Tumor der hinteren Sehädelgrube. Diagnostische Lumbalpunk¬
tion: Man liess die unter einem Druck von 200 mm ILO stehende, im
Steigrohr befindliche klare Flüssigkeit ab. Danach zunächst keim*
Armierung. Am nächsten Morgen starke Kopfschmerzen in der rechten
Parietalgegend und am Hinterkopf, fortwährend Brechreiz, stöhnt anhaltend, er¬
bricht öfters. Puls bald sehr frequent (140) und klein. Beschwerden steigern
sich immer mehr, nach etwa 1 l 2 Stunden unter Chey ne-Stok es'seheiu
Atmen Exitus (etwa 10 Stunden nach der Punktion).
Sektion: Windungen des Grosshirns abgeplattet. Bei Herausnahme de-
Hirns quillt reichlich blutig-seröse Flüssigkeit vor. Venen der Pia ziemlich stark
gefü 11t. Se i t e n ve n tri k e I d u reh b 1 u t i g-seröse F1 iissigk ei t st ar k aus¬
gedehnt. Am hinteren Teil der rechten Seitenwand des Ventrieulii'
medius, im Bereich der Pars anterior thalami optici bis gegen den Linsenkeru
hin. sitzt walnussgrosses B1 u t k oagu 1 u m . dessen Eingebung aus weichem,
g ra u rö t I i <• h c m Tumorgewebe besteht. Die Tumormasse ragt in den
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
329
mittleren Ventrikel frei hinein. Im Subarachnoidealraum des Rücken¬
marks blutig-seröse Flüssigkeit.
Mikroskopisch: (i ef äss reiches Spindel zellen sarkom mit zahl¬
reichen frischen Hämorrhagicn innerhalb und ausserhalb seiner Grenzen.
Auch in ziemlich weitem Umkreis von der Geschwulst sind die kleinen Gefässe
strotzend mit Blut gefüllt.
35. Müller (82). 1902. 13jähriger Knabe. Vor 2 Jahren zuweilen An¬
fälle von -Absences“, dann Dämmerzustände in Gestalt automatischer Hand¬
lungen. Seit etwa S Monaten eigentliche Anfälle mit Konvulsionen, ab und zu
Enuresis, auch Zungenbiss. Seit mehreren Wochen Kopfweh und Erbrechen, in
letzter Zeit in verstärktem Masse. Bei der Aufnahme zunächst ganz beschwerde¬
frei. Keine Klopfempfindlichkeit des Schädels, beiderseits deutliche Stauungs¬
papille mit wcisslichen Herden in der Umgebung. Beiderseitige Abduzens-
paresc, Gang etwas unsicher. In den letzten Tagen einmal vorübergehend sehr
heftige Kopfschmerzen, doch am nächsten Tage wieder ganz munter und fast
beschwerdefrei. Tn dieser günstigen Periode Lumbalpunktion. Unter Druck
von 200 mm H 2 D entleert sieh klarer Liquor. Während der Punktion keine
Beschwerden, auch die nächsten 40 Minuten ganz wohl. Dann plötzlich
furchtbares Stöhnen und Jammern über „schlimmere Kopfschmerzen, denn
je", heftiges Erbrechen. Pat. wurde leichenblass, Puls kaum zu fühlen. Nach
einigen Minuten unvermittelt der Tod (etwa 3 / 4 Stunde nach der
Punktion).
Sektion: Starke agonalc Stauung in allen inneren Organen. — An der
Basis des Gehirns einige alte, feine meningitisehc Stränge. Rechte Hemisphäre,
deren Windungen abgeflacht, stark aufgetrieben im Schläfen- und Hinterhaupts¬
lappen, zeigt deutliche Fluktuation. Rechts im Mark 1 ager neben dem Corpus
eallosum ein etwa walnussgrosser, grauröt lieb er Tumor von weicher
Beschaffenheit, der das Dach des rechten SeitenVentrikels herabge-
drückt hat. Lei zterer lateral bedeutend e r w e i t e r t. von frischen B 1 u t -
gerinnsein erfüllt. Eine augenscheinlich ganz frische Blutung erstreckt
sich in die nächste Umgebung des Tumors, wo sic die Xervensubstanz
grösstenteils zerstört hat. Der Tumor ist ein Zollamtes, doch sehr gefäss-
reiches Gliom mit zahlreichen Psammomkörnern. Die Gliagefässe grössten¬
teils prall mit roten Blutkörperchen erfüllt, teilweise auch massig dilatiert.
36. Gay et (83), 1903. 30jährigcs kräftiges Mädchen. Vor etwa 2 Monaten
fast vollständige Blindheit. Fixieren der Lichtquelle, geringe Divergenz beider
Augen, Pupillcnerwciterung. Patellarreflexe abgeschwäeht. Beiderseits Stauungs¬
papille. Sehr heftige Kopfschmerzen. Diagnose: Tumor, wahrscheinlich der
hinteren Schädelgrube.
Bei der Lumbalpunktion stürzte vollkommen klare Flüssigkeit in
mindestens 250 mm Höhe hervor. Es werden 20 ccm abgelassen. Tn
den nächsten Tagen Zustand unverändert. Nach 5 Tagen Erbrechen, das nie¬
mals vorher dagewesen. Der zuerst etwas geminderte Kopfschmerz wird wieder
heftiger. Die Kranke bleibt im Bett, was sie sonst nicht getan hatte. 7 Tage
nach der Lumbalpunktion verfiel die Pat. in Koma und erlag nach
einigen Stunden.
Sektion: Hn rechten Occipit a Happen Tumor von der Grösse
einer halben Orange, die ganze weisse Substanz ersetzend, die Rinde mit
Ausnahme einer kleinen Stelle hinten aussen frei lassend. Der Tumor reicht
nach vorn bis zum Fuss des Parietaliappens, nach oben bis zur Fissura intcr-
parietalis. An der Oberfläche des Tumors zahlreiche kl (‘ine Krwrielmngshorde
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
330
0. Schön heck.
Digitized by
von schmutzig-gelblichem Aussehen. Der trut abgrenzbare Tumor ist auf dem
Sohnitt dunkelrot und zeigt alveolären Hau.
37. .Mayst re (52). 1903. 45 jährige Frau. Vor :2 Jahren Kopfsehrnerz,
körperliche und geistige Schwerfälligkeit, Krämpfe, auf den linken Arm be¬
schränkt. Diagnose: Meningitis syphilitica, da auch sonst unzweifelhafte
/eichen von Lues. Allmählich nehmen die Krämpfe zu. Alle Reflexe gesteigert,
Pupillen reagieren normal. In letzten Tagen stärker ermüdet, schleppt das
linke Hein nach. Andeutung von apoplektischem Insult, Sprachstörung (Kleben¬
bleiben und Stammeln), Intelligenzdefckt, Stupor. Inkohärenz. Zur Diffcrential-
diagnose zwis<*hen Meningitis syphilitica und Paralysis progressiva Lumbal¬
punktion. Spannung deutlich erhöht. 20 ccm klarer Flüssigkeit,
nicht sanguinolent, entleert. Punktion ohne Zwischenfall. Am Abend des¬
selben Tages Frbreehen, geringe Kopfschmerzen. Am nächsten Morgen Kopf¬
schmerzen leicht verstärkt, Pat. ist niedergeschlagen. Temp. 37,0°. Int 4 Uhr
nachmittags = 30 Stunden nach der Punktion tritt plötzlich Koma
ein. Die Wärterin hat in diesem Augenblick einige Bewegungen der (iesiehts-
muskcln gesehen. Am nächsten Tage kommt die Pat. etwas zu sich, kann
einige Worte hervorbringen, dann wieder Verschlechterung und am darauf¬
folgenden Morgen 3 1 2 I hr bei einer Temperatur von 41,3° Exitus (1V 2 Tag
nach Fintritt des Komas, 2* 2 Tag nach der Punktion).
Sektion: In der S c h ä d e 1 h ö li 1 e reichlich Blut, fliesst auch aus
dem Hinterhauptsloeli hervor. Dura rechts besonders blutreich. Im vorderen
Teil der rechten Hemisphäre haftet Dura dem Hirn fest an. Kon¬
gestion dort exzessiv, za hl reiche d Datierte (ie fasse, welche hier und
d a ei ngerissen sind.
I m rechten Stirn lappen sehr gef ässrei eh es Angiosarkom von
grauvioletter Farbe und dem Volumen einer Orange. Der Tumor lässt sich
leicht aus der Hirnsubstanz herausschälen. Er hat die Seitenventrikel fast
ganz ztisam men gepresst. Im Niveau der Prot uberantia oceipitalis
2 frische hämorrhagische Herde.
38. Masing (S4), 1904. 22jährige Bäuerin. Früher stets gesund. Vor
1 Jahre nach Sturz von einer Schaukel 1 Stunde lang bewusstlos, erholte sich
wieder vollständig. Vor , )2 Jahr Leibsehmerzen und zeitweiliges Erbrechen.
Seit 4 Monaten Kopfschmerzen, allmählich an Intensität zunehmend. Seit
(I Wochen Herabsetzung des Sehvermögens, vor knapp 2 Wochen plötzlich fast
völlige Erblindung. Apathie, heftige Kopfschmerzen, besonders in der rechten
Stirnhälfte. Doppelseitige ausgesprochene Stauungspapille. Pupillen weit, licht-
starr. auf Konvergenz reagierend. Die ganze linke Körperhälfte, besonders die
linke (iesichtshälfte leicht paretiseh. Patellarreflexc fehlen. Puls TS. regel¬
mässig. Diagnose: Tumor cerebri mit vermutlichem Sitz im Stirnlappen. Durch
Lumbalpunktion worden ohne Aspiration 30 ccm einer klaren, schwach
opaleszierenden Flüssigkeit entleert. Anfangsdruck 100--150 mm H 2 0,
zum Schluss gar kein Druck vorhanden, die Fliissigkeil tropft langsam
aus dem herabhängenden Sch lau eh.
Schon während der */ 4 Stunde dauernden Punktion treten Uebelkeit und
starke Kopfschmerzen auf, so dass die Pat. vor Schmerz laut schreit. In den
nächsten Stunden mehrfaches Erbrechen, grosse Unruhe, mehrere An¬
fälle von allgemeinen Krämpfen, kleiner, fadenförmiger Puls von 50 p. in.
Nach einiger Zeit somnol ent er Zustand, in dem die Kranke 15 Stu n d on
nach der Punktion stirbt.
Sektion: Im rechten Tein porallappen über h üb nerei grosser
hämorrhagischer ller«l. der nach innen bis fast an das Corpus Striatum
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
331
reicht und mit einer grossen Oeffnung in das rechte Unterhorn dureh-
irebrochen ist. Inhalt des Herdes: schwarzrote, anscheinend noch ziemlich
frische Blutgerinnsel. Wandungen des Herdes fetzig zerrissen, bräunlich tingiert.
Makroskopisch kein Tumor zu erkennen. Mikroskopische Untersuchung der
II erd Wandungen ergibt ein rund zei liges, ziemlich stark pigmentiertes Sarkom,
wahrscheinlich aus Gliazellen hervorgegangen. Subaraohnoidcalräunie und die
nicht dilatierten Ventrikel enthalten geringe Menge blutig gefärbten, aber noch
durchsichtigen Liquors. Subaraeh noidealräume der Basis, besonders
an Med ul la ob longa ta und Pons mit rotem, anscheinend frischem
Blut gefüllt. Diese Blutung erstreckt sich, das Rückenmark vorn und
hinten umhüllend und allmählich schwächer werdend, bis zum Beginn der
L e n d e n a n s e h w e 11 u n g.
39. Nonne (S5). 190'). 40jährige Frau mit Symptomen eines Tumors
der rechten Grosshirnhemisphäre. Diagnostische Lumbalpunktion entleert 15
bis 20 ecm Liquor. Der Exitus erfolgte unter äusserst heftigen Kopf-
schmerzen in fast unmittelbarem Anschluss an die Punktion.
Sektion: Sehr gefäss- und zellreiches R undzel len sarkom im
rechten Thalamus, mit einem kleinen Anteil frei in den rechten Seiten-
Ventrikel hinein ragend. Profuse frische Blutung in den rechten
S e i t e n v e n t r i k e 1.
40. Ponnfick (SO), 1905. Demonstration eines Präparates von einem
Kind mit llydrocephalus. bei welchem im Anschluss an eine sehr aus¬
giebige L u in b a 1 p u n k t i o n (50 ccm) eine tödliche i n t r ad u r a 1 e B1 u t u n g
zustande gekommen war. Als Ursache der Blutung nimmt Ponnfick die
plötzliche, sehr starke Herabsetzung des Hirndrucks im Vergleich zu dem Ge-
fässdruek an.
41. Gross (ST), 1905. 27jähriger Gärtner. Vor 5 Monaten angeblich
im Anschluss an Influenza unter schweren Hirndrucksymptomen erkrankt. Es
bestehen in schwankender Intensität: Kopfschmerz, Erbrechen, Pulsverlang-
samung, Stauungspapille, Exophthalmus. Sehr auffällige Beeinflussung des
Pulses und Steigerung der Hirndrucksymptome durch Lagcweehsol. Beim Bücken
Puls unregelmässig, bei starkem Hintenüberneigen des Kopfes Schmerzen in der
Xarkengogend und Schwindel, Puls 96 statt vorher 52. Vorübergehende rechts¬
seitige Abduzens-, später auch Trochlearisparcse; angeblich auch rechtsseitige
Ptosis. leichter Nystagmus, schnellschlägiger Tremor in Armen und Beinen,
links stärker. Herdsymptome fehlen dauernd.
Die Diagnose schwankt zwisehern idiopathischem llydrocephalus chronicus
und Tumor bzw. Tumor mit llydrocephalus.
Wegen bedrohlicher Zunahme der Ilirndrueksymptome wird die Lumbal¬
punktion gemacht. 15 ccm Liquor fliessen klar und unter ziemlich
hohem Druck ab. Während der Punktion bekommt der Pat. heftige
Kopfschmerzen, so dass die Punktion abgebrochen wird. Am 2. und
3. Tag darauf ist der Kranke vollständig benommen. Puls 50, Pupillen
weit und rcaktionslos. Exophthalmus rechts sehr deutlich. Beiderseits Ptosis.
Am 4. und 5. Tage nach der Punktion geringe Besserung, Pat. reagiert ab und
zu auf Anruf, Puls 80—100, dauernd unregelmässig, Cyanose des Gesichts,
Rasselgeräusche auf den Lungen, grosse motorische Unruhe. Am 6. Tag nach
der Lumbalpunktion wegen des offenbar gesteigerten Hirndrucks Yentrikel-
punktion rechts in Chloroformnarkose. Etwa 10 ccm klaren Liquors fliessen
unter erst massigem, dann hohem Druck ab. 2 Tage nach der Ventrikel¬
punktion. S Tage nach der Lumbalpunktion ist Pat. vollständig be-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
332
O. Soli (inbock.
Digitized by
nommon, linke Pupille stark erweitert, starke Cyan ose und Dyspnoe,
röchelnde Atrium«:. Puls 140, Exitus letalis.
Sektion: Massig erweiterte Ventrikel, (ieliirn ungewöhnlich gross.
Sulci verstrichen, Gyri abgeflacht. An der Basis des linken Sehläfen-
lappens, entsprechend dem Gyrus lingualis, fusiformis und Hippocampi, etwa
w a l n u ss g ross e (i e s e h willst, an ihrer basalen Fläche mit Dura verwachsen.
Ein hinterer Ausläufer der Geschwulst liegt dem Kleinhirn unmittelbar
auf. Die Geschwulst liegt in einer Aushöhlung an der Basis des Sehläfen-
lappens wie in ei nein Nest, doch setzt sich das G e s e h w u 1 s t g e w e b e durch
die Hirnsubstanz bis in die medio basale Wand des Seiten Ventrikels
fort und zieht diesen stark transversal aus, so dass das stark erweiterte
Fnterhorn mit seinem grössten Durchmesser frontal gestellt direkt über der
Geschwulst liegt. Der Tumor ist ein gefässreiehes Eibrosarkom, von
z a h 1 r e i c h e n H ä m o r r h a g i e n d u r e h setzt.
42. Schönborn (41), 1906. Aelterer Paralytiker mit ausge-
s proc h e n e r p e ri p h ere r Art e ri os k ler ose. Punktion im Sitzen. Dru c k
hoch, keine sichtbaren Druckschwan kungen. Es werden 6 ccm ab ge¬
lassen. Sofort nach der Punktion dauernde Kückeulage. 6 Stunden nach
der Punktion Kopf- und Nackenschmerzen, nach 2 Tagen leichte
Fiebers teigem ng, allmählich zunehmendes Koma, keine ausgesprochen
meningitisohen, aber auch keine Herdsymptome. Nach 7 Tagen Exitus.
Sektion verweigert. Wahrscheinliche Todesursache: hirn-
a r t e r i o s k 1 e r o t i s c h e Blut u n g.
43. Breton. Mi net. Trambli n (SS), 1906. Bei dem Manne entstanden
nacheinander im Laufe von 2 Jahren Externusparalyse rechts. Jackson'sche An¬
fälle links, die sich ausbreiteten, mehrmals ununterbrochener 16tägiger Schlaf.
Zuletzt vollständige Amaurose.
Nach einer 1. Lumbalpunklion während eines Schlafanfalls hatten sich bis
auf die Amaurose alle Symptome gebessert.
2. diagnostische L u m b a lp u n k t i o n zur Feststellung des Zuckergehalts
im Liquor: Es wurden 25 ccm einer unter Druck stehenden Flüssigkeit
entleert. Klagen über lebhafte Kopfschmerzen während der Punktion.
Nach 1 Stunde waren die Kopfschmerzen verschwunden. Der Kranke behauptete,
die vor ihm stehenden Personen zu sehen. Bald darauf verfiel der Kranke in
Halbschlaf, aus dem er nachmittags nur 2- oder 3mal erwachte, um sich
über Kopfschmerzen zu beklagen. Die Nacht verging ebenso. Am folgenden
Morgen (20 Stilnden nach der Punktion) starb der Kranke plötzlich,
nachdem er kurz zuvor die Wärterin angeredet hatte.
Sektion: Das Gehirn wiegt ungefähr 2 kg. Die ganze rechte Hemi¬
sphäre, deren Volumen vermehrt ist, ist von einem gefässh alt igeu Tumor
durchwachsen, der gleich massig in das gesunde Nachbargewebe übergeht und
sich vom untersten Teil des Stirnlappens bis zur Fissura calcarina ausdehnt.
2 untere Fortsätze erreichen die Schädelbasis im Niveau des Tractus opticus.
Der Tumor ist ein Gliom.
44. Huber (89). 1907. Auf Drängen des Pat., der unerträgliche Kopf¬
schmerzen hatte. Lumbalpunktion. Darnach S Tage beschwerdefrei. Dann
wieder Beschwerden genau wie vorher. 2. L umbalpun k t ion. Nach einigen
Stunden Exitus.
Sektion: Basaltumor am Pons, vorn unter dem Aquaeductus
Sylvii. Der Tumor hatte die ganze Gegend komprimiert, so dass der 3. Ven¬
trikel b 1 ase n f ö r in i g vorgetrieben war.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
333
45. De Lapersonnc et Ccrise (90), 1907. 24jähriger Mann stellt sich
wegen Sehstürung vor. Stauungspapille beiderseits, rechts stärker. Zahlreiche
hetinalhämorrhagien. Pupillen stark erweitert, links Lichtreaktion fast erloschen.
Geringe Muskelsteifigkeit. Reflexe normal. Ausgesprochene Neigung, nach
rechts zu fallen. Vor l / 4 Jahr gastrische Krisen, Kopfschmerzen, vollkommene
Arbeitsunfähigkeit. Die Kopfschmerzen steigerten sich noch in den beiden letzten
Monaten, sassen rechts und verschlimmerten sich besonders bei Anstrengung.
Dann trat Erbrechen ohne Nausea hinzu. Zuletzt schienen sieh alle Symptome
zu bessern, aber jetzt traten die Sehstürungen auf.
Obwohl die Diagnose Hirntumor ziemlich feststand, diagnostische
Lumbalpunktion im Sitzen. Nadel dringt leicht ein, Liquor erscheint
in der Kanüle, fliesst aber nicht ab. Deshalb Ansaugen der ersten
Tropfen mit Spritze. Darauf fhessen 100—120 Tropfen pro Minute ab,
im ganzen kaum 9 ccm. Der Kranke wird horizontal gelegt, gibt leichte*
Kopfschmerzen an. Nach 24 Stunden sind die Kopfschmerzen allmählich
heftiger geworden. Leichte Somnolenz. Puls ein wenig langsamer. Der Zu¬
stand verschlimmert sieh, Puls 50. Am nächsten Morgen (48 Stunden nach
der Punktion) Puls 40, Respiration unregelmässig. Temperatur 30,4°.
Keine Nackensteifigkeit, geringe Kontraktur in den Beinen, vollständige
Somnolenz, Floekonlesen. Der Kranke hat am Tag 2 asphy ktischc An¬
fälle mit Cyanosc, welche einige Minuten dauern. Abends Exit u s in Synkope
(00 S t unden naeh der P unktion).
Sektion: Im unteren Teil des rechten Frontal lappe ns Tumor
von der Grösse eines kleinen Hühnereies. Der hintere Teil des Tumors
weicher, der übrige Tumor härter als das Hirn. Der Tumor entspricht dem
Supraorbitallappen, dessen Windungen abgeplattet und medianwärts verdrängt
sind, er überragt ein wenig das Niveau des Gehirns. Keine Hämorrhagien.
auch nicht mikroskopisch.
46 . Klose (70). 1908. 13jähriger Knabe. Vor 2 Jahren stiess ein Lehrer
den Kopf des Knaben mit dem eines anderen zusammen. Seitdem Klagen über
allmählich sich verschlimmernde Kopfschmerzen. Später trat Erbrechen hinzu,
das sich täglich wiederholte. Dann traten Anfälle von Benommenheit mit Er¬
brechen und Stuhl Verstopfung ein. die sich alle 6 8 Wochen wiederholten.
Zuletzt traten die Anfälle alle 8 Tage auf, die Kopfschmerzen wurden stärker.
Im letzten Vierteljahr krampfartige Verzerrung der rechten Gesichtshälfte, täg¬
lich 4 — 5 mal. Vor 4 Monaten vorübergehende Lähmung des rechten Armes.
In der letzten Zeit mittags stärkere Benommenheit, Stöhnen und andauerndes
Erbrechen. Boi der Aufnahme Sensorium benommen, Anruf wird mit schmerz¬
haftem Stöhnen beantwortet, geringer Nystagmus bei Oeffnen der Augen. Schädel
auffallend stark entwickelt, kleine Stelle des linken Scheitelbeins neben der
Sagittalnaht als empfindlichste angegeben. Beiderseits Sehnervenatrophie auf
der Basis durehgemachter Stauungspapille, Temperatur mitunter 38,0°, Puls
regelmässig.
Lumbalpunktion an dem noch somnolcnten Knaben. Druck 410 mm
ILO. 40 ccm des völlig klaren Liquors abgelassen. Benommenheit
schwindet. Knabe steht am Nachmittag auf, Gang unsicher, mit Neigung
nach links zu fallen. 6 Tage ganz wohl. Er verlangt wieder punktiert zu
werden, «damit ihm wieder leichter werde“. Seitdem wird alle 3 4 Tage
punktiert. Die geistigen Fähigkeiten heben sieh auffallend.
Eines Tages reisst der Knabe eine Glühlampe herunter und zieht sieh
dabei eine bis auf den Knochen reichende Seh ni 11 w unde am rechten llinlcr-
k<>pf zu. Kurz darauf Klagen über Kopfsehmerzen. l 2 Stunde später klonisch-
Digitized by
Gck igle
Original ffom
UNIVERSUM OF IOWA
334
O. Schönbeek,
Digitized by
ionische Krämpfe im rechten Fazialisgebiet und mehrfaches Erbrechen. Starke
K npfsch m erzen und zunehmende Somnolenz. 1 Stunde nach dem
l T n f a 11 Lumbalpunktion. E n t1 e e r u n g von *25 ccm k 1 ar e r F 1 ii s s i g k e i t
bei Druck von 800 mm ILO. Puls dabei kräftig, regelmässig, normal. Während
der Punktion kommt der Knabe wieder zu sich, meint, dass es ihm nun
wieder besser gehe. Plötzlich sinkt er tot zurück. Klinische Diagnose:
Tumor cerebelli? sin ist ri ?
Sektion: Dura gespannt. Nach Eröffnung fliesst geringe Menge klaren
Li<|itors ab. llirnoherfläehe trocken glänzend. Windungen stark abgeplattet.
Hei Herausnahme des Hirns reissen die Ventrikel ein. es strömt
eine mächtige Flüssigkeils menge ab. Infundibulum hypo p Lysis
springt als mit Flüssigkeit gefüllte Heere vor. Beide Sei ton ven t rikel
stark erweitert. In der Tiefe des 3. Ventrikels unter der dünnen
mittleren Kommissur wölbt sich ein kirschgrosses Gebilde gallertweicher
Konsistenz vor mit einigen Blutungen an der Oberfläche. Plexus ehorioideus
blass, nicht besonders gross, (’erebellum ist äusserst weich, der untere
Wurm wölbt sich ziemlich stark vor. Beim Einschneiden erscheint er
ziemlich flach, bis 1 cm breit. Darnach quillt eine weisse Masse mit spie¬
gelnd glänzender Oberfläche vor. die den stark erweiterten 4. Ventrikel
fast vollständig ein nimmt. Am Kopf des Xucleus caudatus auf der linken
Seite 3 linsengrosse, sich flach vorwülbende Flecke; rechts ähnliche kleine Ver¬
wölbungen, alle weisslieh aussehend. Oedem des extraduralen Bindegewebes.
Frische circumscripte Blutung von Kirschgrösse im ITuorhautZellgewebe am
3. Lumbalwirbel. An der Lurnbalansehwellung linsengrosser prominenter Herd,
dicht darunter stecknadelkopfgrosser. Pathologisch-anatomische Dia¬
gnose: Wal nussgrosses, 4. Ventrikel grösstenteils ausfüllendes
w e i c h e s E p e n d y in u g 1 i o m. t e i 1 w e i s e c y s t i s e h e s G 1 i o m a m Boden des
3. Ven t ri kes. Kleinere Ependymome des Xucleus caudatus und des Rücken¬
marks.
47 . Los ne et Rov (91). 190S. 7 jähriges Mädchen. Typischer Fall von
Kleinhirntumor. Kurz nach der Lumbalpunktion Exitus.
Sektion: Gliom des Kleinhirns mit einer grossen, flockige Flüssigkeit
enthaltenden Cyste.
48 . Serge nt et Greuel (92), 1908. 24jähriger Architekt. Erkrankt
vor 4 Wochen plötzlich mit Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, heftigen
Schmerzen im Genick. Verliert dabei das Bewusstsein. Puls 52. Dieser Zu¬
stand dauerte 5 Tage. Darnach mehrere Tage Gedächtnisstörung. Puls bleibt
S Tage verlangsamt. Nach scheinbar vollständiger Erholung (nur der Nacken
war noch etwas steif) nach längerem Klavierspielen ein neuer, dem ersten ähn¬
licher Anfall, aber ohne Bewusstseinsverlust. Später noch ein paar kleinere
Anfälle mit Nackensteifigkeit, Spasmus glottidis und Rotation der Bulbi nach
oben. Nach einem neuen grösseren Anfall Eintritt in das Krankenhaus. Der
Kranke ist niedergeschlagen, spricht langsam, klagt über heftige Schmerzen im
Hinterkopf und beständiges Schlucken. Wirbelsäule wie versteift. Alle Be¬
wegungen schmerzhaft. Kernig ungleiche, springende Pupillen. Temperatur
87.5°. Lumbalpunktion in Seitenlage fordert unter offenbar erhöhtem Druck
gleich massig hämorrhagische Flüssigkeit heraus. Zustand bleibt unverändert.
Nach einigen Tagen neue Lumbalpunktion mit demselben Resultat. In den
folgenden 8 Tagen fortschreitende Besserung, besonders die Kopfschmerzen haben
beträchtlich nachgelassen.
Neue Lumbalpunktion in Seitenlage. Flüssigkeit fliesst leicht ah,
aber Tropfen auf Tropfen, ohne Aspiration. Nur noch leicht gelbliche
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
335
Färbung der Flüssigkeit. Xaeh Abfluss von kaum 5 ec in klagt der Pal.
plötzlich über heftige Kopfschmerzen, stösst einen Schrei aus und ver¬
liert das Bewusstsein. Puls, einen Augenblick schwach, hebt sich bald wieder
und bleibt voll und regelmässig. Die Respiration lässt zunehmend nach,
•die einzelnen Intervalle werden immer grösser, Pat. wird cy anotisch, Pupillen
erweitern sieh. Künstliche Atmung. Ungefähr 1 / 4 Stunde lang scheint
Besserung einzutreten, die Pupillen werden normal, einige spontane Atem¬
bewegungen erfolgen. Bald sistiert die Atmung von neuem, der bis dahin gute
Puls wird schwach, Pat. stirbt 2 Stunden nach der Punktion, ohne das
Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
Sektion: Hirnwindungen abgeplattet. Seit en von t rikel und 4. Ven¬
trikel mit Blut gefüllt. In den Seitenventrikeln Blutgerinnsel. An der
Unterseite des Orebcllmns links der Medianlinie ein Aneurysma am Stamm
der Artcria eercbelli inferior von der Grösse einer Murmel, welches die
Medulla oblongaia komprimiert. An der Unterseite des Aneurysma in
dessen ganzer Ausdehnung ein Längsriss. Die Höhlung ist mit Blutgerinnseln
ausgefüllt. Weiter nach oben, unmitteldar darüber, eine zweite ancurysmatisehe
Anschwellung, welche nicht geborsten ist. Herz in Systole, vollkommen blutleer.
49 . M inet etEtienne Verhaeglic (93), 1908. 36jähriger Mann. Schon
vor 1 Jahr 6wöchiger Krankenhausaufenthalt. Damals Klagen über tiefsitzenden
Kopfschmerz, Schwindel. Taumel, der bis zum Umfallen ging. Seitdem Seh¬
störungon. Zuletzt stellte sich Wechsel von Somnolenz und Aufregung ein.
Allgemeine Muskelsteifigkeit, komplette Amaurose, Pupillen ungleich. Kopf¬
schmerzen anhaltend und heftig, Antworten unzusammenhängend.
Diagnostische Lumbalpunktion. 25 ccm entleeren sieh in einigen
Sekunden unter starker Spannung. Nadel zurückgezogen, als die Spannung
noch ziemlich stark war. Horizontale Rückenlage. Xaeh V 2 st findiger Ex-
citalion schlief der Patient ruhig ein. Er wurde einmal von der Schwester
geweckt, die über den tiefen Schlaf erstaunt war und ihm zu trinken bot. Kr
weigerte sieb. 6 Stunden narb der Punktion fand man den Patienten tot
im Bett.
Sektion: Voluminöses Gehirn. Venöse Stase und stellenweise punktförmige
Blutungen. A n der Innenseite u n d i m un t e re n Teil d es Fron t a I -
lappens ein Tumor (kleinzelliges Rundzellensarkom) von der Grösse
einer Mandarine, welcher in beide Hemisphären und das Corpus eallosum
cingedrungen ist. Die Grenzen des Tumors sind ziemlich scharf, das Gewebe
morsch und von hämorrhagischen Inseln durchsetzt. Lh|uor war
reichlich vorhanden, besonders in den Seitenventrikeln.
50. Ilennig (94), 1908. 16jähriges Dienstmädchen. Seit 3 Monaten
Kopfschmerzen, seit 2 Monaten Schwindelanfälle, zuweilen taumelnder Gang.
In den letzten 4 Wochen Apathie, Kopfschmerzen, Gang immer unsicherer. Pat.
fiel oft hin. In letzter Zeit häufig Erbrechen, Abnahme 1 des Sehvermögens,
links mehr als rechts. Beiderseitige Stauungspapille. Pupillen weit, links weiter
als rechts, reagieren träge. Ptosis beiderseits. Weiterhin häufiges Erbrechen,
stärkere Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Anfälle von Bewusstlosigkeit mit
Zuckungen in den Armen.
Durch Lumbalpunktion in Seitenlage werden bei Anfangsdruck von
345 m m I1 2 0 15 ccm klarer Fliis s i g k c i t e n 11 c e r t, Enddruck 160 mm 1 Id>.
Nach der Punktion Unruhe und Klagen über sehr heftigen
Kopfschmerz, der sich zunächst bessert, bald aber wieder heftiger wird.
Während der Nacht zunehmende Verschlechterung, Pat. wird sehr unruhig,
allmählich benommen. Ausgesprochener Druckpuls. Am nächsten Morgen,
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
336
<>. Schönbeek,
Digitized by
11 ) 1 ,2 Stunden nach der Punktion. Exitus im Koma unter plötzlichem
A t m u ngss ti11 st a nd. Nach Aufhören der Atmung Herztätigkeit noch mehrere
Minuten erhalten. Klinische Diagnose: Tumor ecrebri ohne Lokalisation.
Sektion: ln der oberen Wand d es A q u aed u et us S y 1 v i i höckeriger,
harter, etwa hoh nen nrnss er Tumor. In der Höhe desselben war die Kom¬
munikation zwischen den vord e re n Yen t ri k e ln und dem 4. Ventrikel
vollkommen verlegt, trotzdem bei genauer Untersuchung ein Lumen noch
vorhanden war. Man konnte jedoch mit feinster Sonde vom 4. Ventrikel aus
über die verlegte Stelle nicht hinauskommen.
51. llennig (94), 1908. 38jährigor Mann, wurde vor 1*2 Wochen ohne
Vorboten von heftigen klonischen Krämpfen des ganzen Körpers befallen. Dabei
völlige Bewusstlosigkeit und Zungenbiss. Nach dem Erwachen keine Lähmungen,
Temperatur über 38,0°. Es soll stets Eiweiss im Harn gewesen sein. Nach
4 Wochen wieder genesen. Vor 20 Tagen ziemlich plötzlich heftige Kopf¬
schmerzen, die nun Tag und Nacht anhielten. Häufiger Singultus, Gähnen und
einige Male Erbrechen, keine Krämpfe mehr. Seit mehreren Jahren Lichtscheu.
PapiIlitis, rechts stärker als links. Eine gewisse Schwäche des rechten Facialis.
Vor 2 Tagen plötzlicher Kollaps. Zunahme der Kopfschmerzen, die vom Patienten
nach rechts verlegt werden. Schwäche des linken Abduzens und gleichnamige
Doppelbilder. Hirndruckpuls (50—A4—48). Wegen der unerträglichen Kopf¬
schmerzen und des Pulses Lu ml>a 1 p u n k t i on zwischen 2. und 3. Lendenwirbel.
Anfangsdruek 320 mm H 2 D. nach Entleerung von etwa 10 ccm leicht
gelblich gefärbter Flüssigkeit sinkt der Druck auf ldO—180 mm H_»D.
Nach der Punktion Zustand unverändert. Kopfschmerzen von unvermin¬
derter Heftigkeit, grosse Unruhe, Pat. gibt auf Fragen keine Antwort. In der
Nacht kein Schlaf (trotz Morphium gegen die Kopfschmerzen). Am nächsten
Morgen ist Pat. wohl lud Bewusstsein, aller völlig teilnahmslos. Neu aufgetreten
ist eine starke Miosis des linken Auges, während die rechte Pupille mittelweit
ist. Nach mit tags 2 1 2 Uhr plötzlicher Atmungsstillstand bei gutem
Puls, der noch eine Zeit lang fühlbar bleibt. Dann Exitus. 23 V 2 Stunden
nach der Punktion. Klinische Diagnose: Tumor ecrebri. wahrscheinlich in
der rechten Hemisphäre, nicht lokalisierhar.
S e k t i o n: S e li r w e i e lies Sarkom. < I as sieh v o n d e r r e e h t e n u n l e r e n
Stirn Windung nach hinten wachsend bis unter die G ross hi rngangl ie n
erstreckt und etwas jenseits der Uorpora quadrigemina endet. Der ganze
vordere Teil der Geschwulst ist von einer frischen Blutung einge¬
nommen. In ihrer Umgebung zeigt die Hirnsubstanz die Erscheinungen der
akuten Encephalitis.
52. Bevor (95). 1909. 31 jähriger Bauernsohn. Wegen Gtitis media mit
Uehergang auf das Antrmn mastoidcum Eröffnung des Antrmns. Defekt im
Antrum, Dura erscheint unverändert.
In den nächsten 'Pagen starke Schmerzen in der rechten Kopfseite, die
Temperatur geht allmählich auf 38.9. Puls um SO. Pat. wird somnolent. Da
Verdacht auf Hirnabscess bestellt, 4 Punktionen in Aethernarkuse
durch die freigelegte Dura mit grosser Pravaz' scher Spritze.
Es mit leert sich lediglich etwas blutig gefärbter Liquor. Unmittelbar nach der
Operation rmeli in Narkose Lumbalpunktion wegen Verdachts auf Menin¬
gitis. Unter deutlich erhöhtem Druck werden etwa 30 ccm leicht
blutig gefärbten, ziemlich getrübten Liquors entleert. Der Puls ist
während der Punktion nach kurzdauernder Besehleunigunggleich-
iiiiissig gut geblieben. Etwa 20 Minuten nach der Operation atmet der
Pat. plötzlich ziemlich schwach, es tritt rasch hochgradige Uyanose
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
337
ein, der Puls wird klein und frequent. Trotz Verziehens der Zunge und künst¬
licher Atmung innerhalb 5 Minuten Exitus.
Sektion: An der rechten Hemisphäre hochgradige hämorrhagische
Durehiränkiing der weichen Häute, besonders stark auf der l'nterseitc des
recht en Stirn Lappens, zum Teil auch des Occipital Lappens. Kirschkerngrosser
Abscess, von hämorrhagischem Erweichungsherd umgeben. In der Umgebung
desselben mehrere punktförmige Blutungen, von den Probepunktionen her-
riihrend. Der Stichkanal der 4. Punktion endet in der mit Cruor-
massen dicht gefüllten Fossa Svlvii. Zweifellos hat durch diesen Ein¬
stich eine Verletzung eines die Fossa Svlvii durchziehenden Gefässes (kleiner
Ast oder Vene) stattgefunden.
Die Lumbalpunktion musste geradezu aspirierend auf das verletzte Gefäss
gewirkt haben.
53. Breton et Gachlinger (9G), 1909. Frau von 30 Jahren mit der
Diagnose Meningitis tuberculosa aufgenommen. Seit 2 Jahren Husten, seit
einigen Monaten stark abgemagert. Keine Hämoptyse. Seit 8—10 Tagen
Klagen über intensiven ununterbrochenen Stirnkopfschmerz. Seit 3 Tagen er¬
bricht die Frau alles, was sie zu sieh nimmt. Zeichen von Phthise der
rechten Spitze.
Stirnkopfsehmerzen unverändert heftig und beständig, Nacken eingezogen,
passive Bewegung des Kopfes .schmerzhaft. Geringe Lichtscheu, Kernig,
Trousseau'schcr Streifen. Leichtes Delirium, etwas Floekenlesen. Der Kopf¬
schmerz nimmt zu, ist therapeutisch unbceinflussbar.
Durch Lumbalpunktion werden 15 ccm klarer, unter Druck
stehender Flüssigkeit entleert. Viele Lymphocyten, keine Leukoeyten.
Nach der Punktion keine Erleichterung, die Kranke klagt fortgesetzt
über Kopfschmerzen. Kein Schwindel.
Xach einer St.unde findet die Wärterin die Kranke tot im Bett.
Sektion: Geringe Zeichen einer wenig fortgeschrittenen Meningitis tuber¬
culosa. Keine Veränderung, die als Ursache für den plötzlichen Tod angesehen
werden könnte.
54. Haussen (97), 1910. 40jährige Frau. Diagnose: Vitium org.
cerebri. Pat. hat sieh immer wohl gefühlt, abgesehen von Kopfschmerzen, die
seit mehreren Jahren bestehen. Seit 3—4 Monaten Zunahme der Kopfschmerzen,
Schwindel, Ohnmacht, Gedächtnis lässt nach. Seit 2 Monaten haben die Sym¬
ptome ständig zugenommen. In der letzten Zeit nahm das Gehör ab.
Jetzt bestehen starke Kopfschmerzen und Schwindel. Puls 72, unregel¬
mässig. Temperatur 36,0°. Die Pat. ist mitunter unruhig, schreit laut;
Strabismus, Pupillen ungleich, Wassermann im Blut positiv. Lumbalpunktion
in Seiten läge. Anfall gsdruck 300 mm H>0 sinkt nach Ablassen von
12 ecm unter 100 mm H 2 0. Punktion abgebrochen.
Nach der Punktion war Pat. unruhiger, schrie und jammerte über
Kopfschmerzen. Nach 5 Stunden bekam sie einen Krampfanfall, der
Kopf streckte sich hintenüber und die Frau rollte von einer Seite im Bett nach
der anderen. Unmittelbar darnach wurde der Puls schlecht, die
Respiration hörte auf. das Gesicht wurde leichenblass. Das Bewusstsein
war vollkommen aufgehoben. Pupillen stark erweitert, reaktionslos. Patellar-
refb'xe aufgehoben. Puls und Ilerzaktion 50—G0. U n t e r k ii n s 11 i ch e r
Atmung wird der Puls etwas besser. Da der Zustand mittlerweile als
hoffnungslos aufgefasst wurde, sah man von weiterer künstlicher Atmung ab
und ea. 20 Minuten nach dem Respirationsstillstand hörte unmerk-
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
338
O. Sehönbcck,
Digitized by
lieh die Herzak t ion auf. (Exitus 5 1 ' 2 Stunden nach der Lumbal¬
punktion). Icmperatur unmittelbar nach dem Tod 36,S.
Sektion: Zapfenförmige Verlängerung des (’erebelluins (Photographie.)
Ausirebreitete gummöse Periostitis des Schädels. Grosshirn zeigt breite flache
Gyri, schmale Sulci. Oberfläche des Hirns trocken, an die Dura angepresst.
Medulla oblongata in ihrem obersten Teil ganz flach und breit,
gleichsam in das Kleinhirn hineingepresst, dessen Tonsillen ziemlich
stark an der Seite der Medulla oblongata vorspringen.
Im Lohns temp. sup. sin. ein 7:5:3 cm grosses gummöses Infiltrat, ferner
ein flaches Oberflächeninfiltrat in der linken C'erebeliarhälfte.
Seiten ven t rikcl und Hinterhorn etwas erweitert, enthalten aber
nicht besonders reichliche Flüssigkeit. Aquaeductus Sylvii etwas weit.
Im 4. Ventrikel keine Hlutung oder Erweichung.
55. (’ursch mann (98), 1910. 58jährige Frau. Depression. Kein
Fieber, keine meni ngitischen Symptome. Zur Differentialdiagnose gegen
Paralysis progressiva Lumbalpunktion unter allen aseptischen Kaut eien.
Befund der Punktion normal. 3—4 Tage darnach typische meningitische
Symptome und Fieber, Opisthotonus. Kiiokenstarrc, heftige Kopfschmerzen,
Kernig, zunehmende Somnolenz und Schluckbeschwerden. 8 Tage nach der
erstem 1 * u in b a 1 p u n k t i o n ergi bl ei ne zweite eitrig e n L i q u o r.
Pat. kam ad exitum.
Sektion: Hochgradige, Konvexität und Basis gleich massig um¬
fassende Meningitis. Im Abstrich sehr spärlich kurze Streptokokken. Keine
Entzündung an der Einstichstelle in Muskulatur, Weichteilen und Rückenmarks¬
häuten. Eiterherde, als deren Metastase die Meningitis aufgefasst werden
könnte, waren nicht vorhanden.
56. Curschmann (98), 1910. 37jähriger Mann. Seit 2 Jahren Husten.
Auswurf, Xaclitschwcis.se, bisweilen buchte Hämoptysen. Vor 7 Monaten
Schmerzen in Hinterkopf-Xackengegend, bisweilen Gefühl von Nackensteifig¬
keit. Damals auch nach Aussage der Frau Wackeln der Augen beim Blick
nach rechts.
Hauptbeschwerden: enormer Schwindel. Unsicherheit beim Gehen, anfalls¬
weise sich steigernd. Pat. begann beim Gehen zu stürzen (nach beiden Seiten).
Seit 3 Monaten bettlägerig. Zunahme der Kopfschmerzen, die sich zu heftigen
Paroxvsmen steigerten, rascher Verfall.
Grosser abgemagerter Mann, vor Schmerzen laut stöhnend. Puls 136 -140.
Lungentuberkulose. Geringe Nackensteifigkeit, massiger Schwindel beim Auf¬
richten, Neigung nach rechts zu fallen, Gehen völlig unmöglich. Schädel auf
Druck und Beklopfen besonders in der rechten Üecipital- und Stirngegcnd
ziemlich schmerzhaft. Bald nach der ersten Untersuchung ungemein heftiger
Schmerzanfall: Sehweiss, Gesichtsröte. Erbrochen. Sehstörungen und hochgradiger
Druckpuls (40 pro Minute gegen 140 bei der Aufnahme).
Lumbalpunktion in Seitenlago. Druck 400 mm IU,U. Liquor klar. hell,
nach Entleerung von 20 ccm ist der Enddruck 120 mm H 2 0. Sofort nach
der Punktion sehr erhebliche Besserung aller Bosch werden. Die
Besserung hielt einige Tage an, so dass Morphium ausgesetzt werden konnte.
Nach etwa einer Woche beginnen die Schmerzanfälle von neuem. Neue
Punktion: Pat. in leidlich gutem Zustand, afebril. Puls 130. Punktion hei
tiefgelagertem Kopf in linker Seitenlage. Aufangsdruck 360 nun H 2 n -
langsames Ablassen von ea. 15 ccm klaren Liquors. Da entstehen
plötzlich bei Druck von 180 nun ll 2 0 rasche Druckscli wank u ngen und
rapides Absinken des Druckes. Punktion wird sofort abgebrochen.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
339
Schon im Moment des Eintritts der Druekschwankiini; klagt Pat. über
Atemnot und entleert schaumiges Sputum. Der Puls 1P2. leidlich gespannt.
Die A t mu n g wi rd in den nächsten Minuten i m m er s c h l ec h t e r, lange Atem¬
pausen treten auf, schliesslich Apnoe. Trotz künstlicher Atmung, Kampfer,
Aether. bleibt die Atmung aus, während das Herz S Minuten nach Aussetzen
der Atmung noch weiter schlägt. Etwa 12—14 Minuten nach der Punktion
E x i t u s.
Sektion: Vorgeschrittene uleeröse Lungentuberkulose. — Ki rsehgrosses,
verkästes Tuberkulom des Verniis cerebelli, das in den 4. Ventrikel
hi nein ragt und auf dessen Boden auf liegt. Dabei hochgradiger Hydro¬
zephalus internus, Erweiterung des Seiten Ventrikels und be¬
sonders hochgradig des 3. Ventrikels. Keine Beteiligung der Meningen.
57. Marinesco (59), 1910. 40jähriger Mann. Vor 25 Tagen Parästhc-
sien in der rechten Schläfengegend. Pehelkeit, Schwindel, Schwächegefühl. Auch
vorher gelegentlich Schwindelerscheinungen seit 2 Jahren. In den letzten
10 Tagen hatte sieh das Gehen verschlechtert, Neigung nach links zu fallen.
Status praesens: Tcmp. 37.0°, Puls 58—60. Kopf ist nach links ge¬
neigt. Gcsichtsfalten links verstrichen, Anisokorie. rechte Pupille weiter, linke
Lidspalte weiter als rechts, leichter Enophthalmus links. - Perkussion der
rechten Parietooccipitalgegend empfindlich. Leichte Paresen der linken Extre¬
mitäten. Cerebellarschwindel, leichte Deviation des linken Bulbus nach innen,
glcichsehtägiger Nystagmus, Diplopie. Hemianästhesie links aller Gefühls¬
qualitäten, Schmerzempfindung etwas weniger geschädigt. Astereognosie. Der
Kranke erscheint deprimiert, während der Nacht aufgeregt, lvoprolalie. Babinski
links. I > atellarreflex links herabgesetzt, Cremaster- und Hauchreflex aufgehoben.
Lumbalpunktion im Sitzen. 10 ccm einer klaren Flüssigkeit
werden abgelassen. Der Druck wird dabei erhöht gefunden. Ausser Stei¬
gerung der Kopfschmerzen und des Schwindels keine Armierung. Am
nächsten Morgen verschlimmert, sich der Zustand des Kranken, er lässt I rin
unter sich, ist somnolent, halluziniert. Es tritt Erbrechen ein, die Temperatur
■steigt auf 38.7°. Am 3. Tag nach der Punktion Exitus letalis bei Tem¬
peratur von 39,3 °.
Sektion: Tumor im rechten Peduneulus und in der Nähe des
Tuberculum anterius corporis quadrigemini, der den rechten oberen Peduneulus
und die Substantia reticularis zerstört hatte. Der Tumor von earei no matöser
Beschaffenheit ist von einem Kranz starker frischer Hä inorrhagien
umgeben.
58. M arinesco (59), 1910. 19 jähriger junger Mann. Vor 2 Monaten
Kopfschmerzen, gefolgt von Hemiparese links, Schwindel und Parästhesien in
den linken Extremitäten.
Status praesens: Auf der linken Seite ziemlich deutliche Hemiparese,
Seusibilitätsstürungen, Steigerung der Sehnenreflexe, Aufhebung der llautreflexc.
Klagen über Schwindel und heftige Kopfschmerzen. Durch Lumbalpunktion
werden ca. 10 ccm Cerebrospinalfliissigkecil entleert. Der Zustand des Kranken
verschlimmert sich und 3 Tage darnach stirbt er unter Zeichen eines apoplek-
tisehen Insults.
Sektion: Hirntumor mit starken frischen Hämorrhagien im Innern, der
sich als Gliom erwies und beinahe die ganze rechte innere Kapsel einnahm.
59. Marinesco (59), 1910. Ein Fall von Tumor cerebri. Es wurden
12 ccm durch Lumbalpunktion entleert. 30 Stunden nachher Exitus.
Keine Autopsie.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107, Hoft 2 .>•»
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
340 G. Schönbeek,
60. Spiller (99), 1911. Musketier R. .Seit gestern heftige Kopf¬
schmerzen. Temperatur 37,8 °. Puls 02. Puls und Arterien nichts Auffallendes,
keine Zeichen von Arteriosklerose. Kopf im Nacken versteift, nach hinten ge¬
bogen. Passive Bewegung des Ko]>ft*s nach vorn unmöglich, nach der Seite nur
unvollkommen. Temperatur steift auf 3S.2 °. Wegen Verdachts auf epidemische
Genickstarre Aus wischen des Nasenrachenraums mit Wattetampon.
Nächsten Tag wird um Lumhalpunktat und erneuten Abstrich seitens des hyirie-
nischen Instituts ersucht. Subjektives Befinden hatte sieh inzwischen etwas
gebessert.
Lumbalpunktion in linker Seiten läge zwischen 5L und 4. Lenden¬
wirbel ging glatt \onstatten. Die L e re b ms p i n a 1 f 1 üssi g k ei t träufelt so
langsam wie gewöhnlich, stand also wohl nicht unter abnorm hohem Druck-
Das Austräufeln beirann sofort nach Ilerausziehen des Mandrins. Die Flüssig-
keit ist ircl bl ich. wie heller Priu. ranz leicht getrübt. Insgesamt wurden
0,5 ccm abgelassen. Nach der Punktion Aus wischen des Nasen¬
rachenraums mit Waltetampon. Hierbei eine Würgbewegung, aber nicht
gerade auffallend stark. Gleich darauf richtete sich der Patient, der bis
dahin still gelegen hatte, etwas auf. bekam mit dem Aufschrei „Mein Kopf’*
einen kurzen St reck kram pf und wollte rückwärts aus dem Bett fallen. Be¬
wusstsein war geschwunden, die Atmung stockte, der Puls begann zu
seliwinden. Bis zu diesem Moment waren seit der Punktion etwa 5 Minuten
vergangen. Sofortige Wiederbelebungsversuche brachten die Atmung nicht
mehr in Gang. Aethor und Suprarenin regten die llerzkraft vorübergehend
an. Nach 2 1 2 Stundrn war die llerzkraft erloschen. Lumhalpunktat keine
Bakterien, die Färbung rührte von Krythrocyten her.
Sektion: ln den abhängigen Schädelgruben ziemlich beträchtliche Mengen
dunkelflüssigen Blutes und reichlich Blutgerinnsel, mit der aus dem Wirbelkanal
nachflicssendcn Flüssigkeit mindestens 250 ccm. Die Ventrikel mit Aus¬
nahme des linken II i n t erb o rn es, wo ein kleines Blutgerinnsel ange-
troffen wurde, leer. Als Frsaehe der Blutung eine Sch 1 agadergesehw u 1 st
von Kirschgrösse gefunden, der rechten Vertebralarterie angehörend, an
der Grenze zwischen Brücke und verlängertem Mark sitzend. Die
Finrissstelie lag am unteren Pol und war ungefähr 1 cm lang, lrn W’irbelkarial
war die Blutung bis zur Lauda equina gedrungen. Mikroskopisch handelte cs
sich um (‘in echtes sackartiges Aneurysma. Die W andung an der Einriss-
stelle enthielt gar keine elastischen Fasern mehr, sie bestand fast nur
aus der innen mit Epithel bekleideten Advcntitia, welche an einigen Stellen
durch zum Teil organisiertes geronnenes Blut verdickt wurde, das schon bis in
ihre äussersten Faserschichten vorgedrungen war.
61. van Li er (100), 1912. Bei einem fiel) er losen Kranken mit
schweren spinalen Frseheinungcn sollt«' die Lumbalpunktion gemacht
werden. Die Wirbelsäule war durch C'hnndrodystrophie verbildet, so dass
die Punktion schwierig war. Am Abend desselben Tages stieg di* 1
Temperatur auf 40°. Der Kranke erlag in einigen W'ochen einer
P y ä m i e.
Sektion: Abgesackte eitrig«' Meningitis, längs der Lymphsehriden «I*t
N erven fortgeschrittene F.iterung. die bilaterale Psoasabseesse erzeugt hatte.
Metastatische eitrige Periearditis, Lungenabscess. kurz Pyätnie. Keine allge¬
meine eitrige Meningitis.
62. Reich manu (72), 1912. 42jährige Frau. Vor 2 .Jahren heftige
Kopfschmerzen, zeitweise zum Rasendwerden. Seit 7 Monaten Abnahme des
Sehvermögens.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY 0F IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
341
Status praesens: Sensorium frei, Kopf- und Hirnnerven völlig intakt,
hochgradige Stauungspapille rechts, links weniger ausgesprochen, keine Sensibili¬
tät sstörungen
Die Lumbalpunktion zeigt bei einem Anfangs druck von 350 mm
ILO ausserordentlich hohe pulsatorische Schwankungen von über 40 mm ll 2 0
Während der Punktion sinkt der Druck langsam unter Nachlass der Schwan¬
kungen bis auf 230 mm H 2 0. Um das Verhalten dieser Schwankungen in anderer
Lage zu beobachten, wird die Kranke vorsichtig aufgesetzt. Die Puls-
Schwankungen sistieren momentan, nicht aber die Atmungsschwankungen,
die vorher nur verdeckt waren. Druck im Sitzen nur 120 mm 1I 2 0. Die
Kranke wird vorsichtig wieder in Horizontal läge gebracht. Dabei steigt
der Druck wieder etwas und die Pulsschwankungen kehren wieder,
jetzt aber nur 3—4 mm hoch. Die im Steigrohr befindliehen 3,8 eem enthalten
weder Eiweiss noch Zellvermehrung.
Noch am selben Abend Klagen über heftigste Kopfschmerzen,
«ler Kopf kann garnicht bewegt werden. In den nächsten beiden Tagen wieder¬
holtes Erbrechen. Am 3. Tage nach der Punktion wird die Kranke benommen,
lässt Harn und Kot unter sich. Kein Fieber, keine Nackensteifigkeit, Gesicht
maskenhaft, Strabismus divergens.
Neue Punktion im Liegen ergab Anfangsdruck von 230 mm ILO, End-
drurk 120 bei einer abgelassenen Lhjuormcnge von 9 ccm. Geringe Pulsations-
tind Kespirationsschwankungen. Nonne sehr stark positiv. Am selben Abend,
da die Pat. immer mehr verfiel, nochmals Punktion, die sehr stark ge¬
trübte Flüssigkeit zutage fördert. Darauf Ventrikel punktion an zwei
Stellen des rechten Schläfenbeins. Bei Einstich in den rechten Ventrikel dringen
unter geringem Druck einige Kubikzentimeter hervor, deutliche, aber nicht sehr
starke Schwankungen im Steigrohr. Nach 3 Stunden (3 Tage nach der ersten
Pu nk tion) Exit us.
Sektion: "Walnuss gross es endotheliales Sarkom des vorderen Pols
des rechten Sch lüfenlappens, von Dura ausgehend. Abplattung der Hirn¬
windungen, Hydroeephalus internus, besonders des linken Seitenventrikcls
und Einpressung der Kleinhirntonsillen in das Koramen magnum.
Hochgradiges kollalerales Oedem des ganzen rechten Hinterhauptslappcns und
Schläfenlappens mit Erweichung im Hinterhauptslappen. — Chronische
verruköse Endocarditis mitralis.
63. Raven (101). 1912. 50jähriger Mann. Seit 1 1 •> Jahren anfallsweise
Schmerzen in der rechten Schulter. Seit 7 Monaten langsam zunehmende
Schwäche im rechten Arm und Sensibilitätsstörungen im linken Bein. Später
Schwäche in der linken Schulter und schliesslich im rechten Bein.
Status praesens: Steife Kopfhaltung, bei Bewegung des Kopfes heftige
Schmerzen. Wirbelsäule 2 cm rechts des Processus spinosus des 7. Cervikal-
wirbels umschrieben druckempfindlich. Rechte Pupille eine Spur enger. Reflexe
in den Armen lebhaft, Bauchdecken-, Cremasterreflexe fehlen, Sohlen-, Patellar-,
Achillessehnenreflex lebhaft, Andeutung von Fussklonus. Babinski beiderseits.
Motilitätsstörungen im rechten Bein und beiden Armen. Temperatur- und
Schmcrzenipfindung links von der 3. Rippe abwärts herabgesetzt. Berühmngs-
empfindimg verringert am rechten Vorderarm und Unterschenkel.
Die Lumbalpunktion ergibt bei einem Druck von 260 mm ILO
klaren, w ass e r he 11 en L i rj uor. Am n äch s l en Abend plötzlich schlaffe
Lähmung aller 4 Extremitäten, doppelseitige totale Anästhesie bis zur
3. Rippe und im oberen Drittel des Oberarms. Stuhl- und Urinverhaltung.
Patellar- und Achillessehnenreflexe jetzt negativ, Babinski erloschen. Plantar-
23 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
342
O. Schön heck.
Digitized by
rcflexe beiderseits noch schwach positiv. Röntgenbild der 'Wirbelsäule völlig
normal. Dauernde Schmerzattacken. Anstieg der Tein|ierat-ur und Pulsfrequenz.
Deshalb Operation: Pia im Geniel des 5.—7. Processus spinosus eervicalis
ötleinatös, reichlicher Liquorabfluss. Nach Entfernung des 4. Wirbelbogens
rechts der Me du 11a weicher, glasiger. bläulich schimmernder Tumor
von Eichelgrösse, der sich wurstförmig nach oben fortsetzt. Er wird leicht
en uk leiert.
Trotz komplikationslosen Verlaufs der Operation Exitus am nächsten
T age.
Sektion: Leichte Kompression am Rückenmark in der Höhe des
Tumors, der sich als gefässreiches Myxom erwies.
64. W einländer (1025, 19DL 12jähriger Knabe. Vor 14 Tagen fieber-
hafte Erkrankung mit Schnupfen, leichter Angina und beidei*seitiirer ITiterkiefer-
dnüscnschwellung. Nach S Tagen Kopfschmerzen, mehrmaliges Erbrechen, hohes
Fieber. Benommenheit, lautes Aufschreien, Schmerzhaftigkeit des Kopfes, moturi-
sclie Unruhe, Zähneknirschen, Urin sehr spärlich.
Status praesens: Der Knabe ist sehr anämisch, linker Hirnschädel ver¬
kleinert. Oxyeephalie mit auffallend niedriger Stirn. Geringe Bronchitis. Leises
systolisches Geräusch an der Herzbasis, 2. Pulmonalton aecentuiert. Puls 9t».
ausgesprochener Kernig und Xackenstarre. keine Dermoirraphie. Urin enthält
reichlich Albuinen. Erythrozyten. Xierenepithelien. hyaline Uvlinder. In d»n
nächstem Tagen Pupillendifferenz. 5 mal kurzdauernde tonisch-klonische Krämpfe
sämtlicher Extremitäten.
Diagnostische und therapeutische Lumbalpunktion. Es wurden
15 e c m, d u r c h frische B1 u t u n g stark ge t r ii b t e n Liquors entleert.
Der Druck wurde nicht gemessen. er war anscheinend etwas erhölit.
Mikroskopisch nur Blutelemente.
45 Minuten nach der Lumbalpunktion allgemeine schwere tonische
Krämpfe von 5 Minuten Dauer. Pupillen weit, ungleich, entrundet. voll¬
ständig reaktionslos. Nach 5 Minuten liegt das Kind in moribundem Zu¬
stande ohne Atmung mit kaum tastbarem, sehr frequentem Puls. Es
handelte* sich zweifellos um apoplektischen Insult. Sofort künstliche
Atmung, wegen der fortdauernden Herztätigkeit 17 Stunden lang: dann
Exitus (IS Stunden nach der Punktion).
Sektion: Frische Hämorrhagie in die Hirn Ventrikel, wahrschein¬
lich von der Wand des linken Unterhorns ausgehend. Hämorrhagie der
Leptomeninx. Akute hämorrhagische Xephritis. Verkäsende Tuberkulose der
rechtsseitigen bronchialen Lymphdriison und des rechten Unterlappens. Miliar¬
tuberkulose fast aller inneren Organe. Synostose der linken Frontalnaht. Im¬
pression an der Innenfläche des Stirnbeins.
65. Bensch (Km), 1915. 5()jiihrige Frau. Seit etwa S Wochen stark»-
Kopfschmerzen. Erbrechen. Harn 4 6 pM. Albuinen, Cylinder. Menge an¬
nähernd normal. Cor hypertrophisch. Oedeme fehlen. Blutdruck 250 mm Hg.
Reflexe sehr lebhaft, Augenhintergrund beiderseits retinitische Herde.
Xacli 4wöchiger Behandlung bedeutend gebessert. Sensorium völlig frei,
nur noch immer starke Kopfschmerzen.
Deswegen Lumbalpunktion. A n f angsd ruck 190 mm 1I L .0 nach
Entleerung von 15 ccm Liquor Enddruck 110 mm IDO. Die Ent¬
nahme erfolgte ganz langsam, tropfenweise. Xacli der Punktion keinerlei
Unbehagen, Kopfschmerzen etwas gebessert. Abends (16 Stunden nach d»*r
Punktion) im Bett plötzlicher Exitus. 1 2 Stunde vorher hatte Pat. das
Klosett aufgesucht und dann wieder über etwas stärkere Kopfschmerzen geklagt.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
343
Sektion: K lein apfcl grosse frisehe Blutung in der linken
Capsula interna. Ein blutendes Gefäss wurde nicht gefunden. Makro¬
skopische Gefässveränderungen fehlten. — Am Cor starke Hypertrophie des
linken Ventrikels. Beiderseits grosse weisse Niere.
66. Barth (104), 1914. Seliad clbrueh mit Blutung in die Ven¬
trikel und Hirnhäute.
Lumbalpunktion im Sitzen. Unmittelbar nach Abfluss von
25 ccm blutigen Liquors unter h o h e rn 1) r u c k E x i t u s.
67. Barth (104), 1914. 15jähriger Junge, der sieh eine subkutane
Schädelverletzung beim Rodeln zugezogen hatte.
Seit 3 Tagen fieberhafte Meningitis ohne Aufhebung des Bewusstseins.
L u in b a l p u n k t i o n i m Sitzen. U n t e r h o hem 1) r u c k wären e t w a
30 ccm trüben, eiterhaltigen Hirnwassers abgeflossen, als der Knabe
plötzlich bewusstlos wurde und Atemlähmung auftrat. Durch künst¬
liche Atmung wurde das Leben 2 Stunden erhalten, dann versagte sie
und der Exitus trat ein.
Sektion: Diffuse c e r e b r o s p i n a 1 e P n e u m o k o k k e n m e n i n g i t i s.
6S. Rispal et Pujol (öS), 1914. 34jähriger Mann mit sehr heftigen
Kopfschmerzen, Motilitätsstörungen in den Beinen: keine Augenbindegewebsver¬
änderungen. Wegen Verdachts auf Hirntumor L u in b a lpu n k t i on. Nach Ab¬
lassen von 4 ccm Flüssigkeit 3 Stunden später Kollaps und Exitus.
S e k t i o n : K l e i n h i r n c y s t e von der Grosse ei ner Walnuss i m W u r m.
Keine Blutung.
69. Rispal et Pujol (68), 1914. 48jähriger Mann mit seit mehreren
Monaten bestehenden schweren Motilitäts- und Intelligenzstörungen.
Lumbalpunktion ergibt sehr eiweissreiehe Flüssigkeit. Es werden
5 ccm abgelassen. Bald nachher Kollaps. 12 Stunden später Exitus.
Sektion: Gliom des rechten Stirn lappe ns.
70. Fonzo (105), 1914. 8 Monate altes Kind. Keine erbliche Belastung.
Mit 7 Monaten Störungen seitens der Verdauungsorgane, Erbrechen. Diarrhöen.
Die jetzige Krankheit brach vor 5 Tagen plötzlich ohne Vorboten aus.
Fieber massigen Grades, unregelmässig remittierend, welches allmählich immer
höher stieg. 1 Tag nach Beginn des Fiebers sah die Mutter tonisch-klonische
Zuckungen im Gesicht, an Armen, Beinen und am Stamm. Die Krämpfe
dauerten wenige Minuten. Seit Aufnahme in die Klinik keine Krämpfe mehr,
kein Erbrechen, keine Diarrhöen.
Status praesens: Das Kind hält den Kopf stark gestreckt. Ober- und
Unterextremitäten in forcierter Flexion, Augen in konjugierter Deviation, links
leichte Ptosis, linke Nasolabialfalte leicht verstrichen. Abdomen stark eingezogen.
Von Zeit zu Zeit tonisch-klonische Krämpfe in den Armen. Intensiver Opistho¬
tonus. Muskelrigidität. Steigerung der Patcllarroflexe, Absehwäehung der llaiit-
und Sehnenreflexe, Babinski negativ. Kernig negativ. Pupillen reagieren träge
auf Licbteinfall, ab und zu Anisokorie. Inspiratorische Dyspnoe. Schal lvcr-
kiirzung und rauhes Atmen an verschiedenen Stellen der Lunge. Puls klein,
frequent (122), irregulär, »rhythmisch. Die Temperatur fiel allmählich bis zur
.Norm (von 39,5° im Anfang).
Lumbalpunktion war 3 mal mit negativem Erfolg versucht worden.
Der Opisthotonus war hinderlich. Vcntrikelpu nktion gleichfalls negativ.
2 Tage später neue Lumbalpunktion mit positivem Erfolg. Unter
sehr geringem Druck kamen ei n ige Tropfen Liquor heraus, welche sieb
bald mit Blut mischten. Keine Bakterien. Um den Abfluss zu begünstigen,
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
344
0. Sohönbock.
Digitized by
iril>t man dom Kind eine forcierte Flexion des Rumpfes. Naeh diesem
Manöver wird das Kind augenblick 1 ich eyanotiseh und stirbt unter Kon¬
vulsionen.
.Sektion: Dura gespannt. Hirn bas is von bet rächtl ielier M e n g o
rahmigen Fitcrs umspült. Keine besonderen Mikroortranismen. Keine tuber¬
kulöse Affektion der (iefässe der Fossa Sylvii. An der ersten Frontahvinduni:
links eitrige Infiltration der Meningen. An der Innenseite des Lobul. para-
eentralis hämorrhagische Infiltration. Corpus eallosum erweicht. 3. Ventrikel
und beide Sei teil ve n t ri k e l mit eitriger Flüssigkeit an gefüllt. Iba
dos Rüokenmarks mit diekrahmiger Fitersehicht bedeckt.
Fathologiseli-anatomiselie Diagnose: Meningitis e er ob ros pi n a 1 i s.
71 . Ginrgi (101), 1914. 45 jähriges Individuum mit schweren und deut¬
lichen Symptomen eines Schädelbasisbruchs nach Sturz auf die Erde. Am
nächsten Morgen war das Bewusstsein noch nicht wiedergekehrt. Es bestand
Strabismus. Fazialisparese links, Ekchymosen am rechten Processus mastoidcus.
stertoröse Atmung, gespannter irregulärer Puls, 100 j>ro Minute. Keine Kon¬
vulsionen und Lähmungen.
L u m b a 1 p u n k t i n n liess etwa 5 c c m einer intensiv blutigen F lässig-
keit unter niedrigem Druck abfliessen. Fast augenblicklich nahm
d ie s t e r t o r ö s e A t m u n g zu. der P u 1 s wn rde s ehr f r c q u ent, f a d e n -
förmig, es traten schnelle und flüchtige tonisch-klonische Konvulsionen ein.
von der linken oberen Extremität ausgehend. Exitus naeh 30 Minuten.
Sektion: 1 grosse Fraktur mit unregelmässigem Verlauf durch Oeci-
pitale. Parietale und Temporale rechts und eine 2., weniger ausgedehnte
Fraktur vom Frontale nach der rechten vorderen Schädelgrube laufend. Be¬
deutendes epidurales Hämatom rechts, Zerreissung der Dura und
subdurales Hämatom. Zahlreiche Blutkoagula haften der Hirnmasse be¬
sonders in den unteren Partien an.
A n h a n gs w e i s e soll noch erwähnt werden, dass F ors t e r ((59) bei Hirn¬
tumor eine Blutung in die Geschwulst als Ursache des Exitus letalis nach
Lumbalpunktion sah. Die Blutung sei sicher auf die Druckschwankung zurück¬
zuführen gewesen, da der Exitus ganz kurz nach der Punktion eintrat. Des¬
gleichen erwähnt Eich eiberg (107) einen Todesfall bei Tumor der hinteren
Fchädelgrube, der wohl mit der Lumbalpunktion in Zusammenhang gebracht
werden müsste. Sehlesi nger (10S) berichtet in der Diskussion zu Mari-
nesco's Fällen, dass er 3mal nach Lumbalpunktion plötzlichen Exitus gesehen
habe, und Klose (70) erwähnt eine andernorts ausgeführte Lumbalpunktion,
die tödliche Streptokokkeninfektion der Meningen zur Folge hatte. Torkel (43.
berichtet, dass er in einer Klinik rnitangesehen habe, wie ein Kranker bei Aus¬
führung der Lumbalpunktion so lebhaft presste, dass der Liquor im Strahl ans
der Kanüle schoss. Der Pat. sei noch am selben Tag gestorben und die Sektion
habe eine auffallende Trockenheit der Hirn- und Rückenmarksubstanz ergeben.
Alle diese Angaben sind nicht nachzuprüfen, insbesondere ist nicht fest¬
zustellen, ob nicht am Ende anderweit erwähnte Fälle, bei dene die genanntem!
Autoren nur Zuschauer waren, vorliegen können. 2 verdächtige Fälle finden
sieh noch bei Bull und Wilms. Bull's (73) Fall betrifft eine Meningitis
tuberciilosa, wo nach ziemlich rascher Abzapfung von 4 ccm die Punktion
unterbrochen werden musste, da der Pat. unruhig und eyanotiseh wurde: nach
baldiger Erholung trat am nächsten Tage der Exitus ein. Wilms (77) lässi
für seinen Fall die Frage nach der ursächlichen Bedeutung der Lumbalpunktion
offen. Hier trat bei einem typischen Fall von Meningitis cerebrospinalis der
plötzliche Exitus 2 Stunden nach der Punktion ein.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
345
Wenn wir von den im Anhang erwähnten Fällen absehen, so
liegen hier also 71 Fälle vor, in denen nach der Lumbalpunktion
kürzere oder längere Zeit darauf der Exitus letalis eintrat.
Bei diesen Fällen handelt es sich 37 mal um intrakranielle
Tumoren, 2 mal um Cysticercus und lmal um Echinokokkus, ins¬
gesamt also um 40 raumbeschränkende Prozesse im Schädelinnern.
Dazu kommen 13 Blutungen, 4 Urämien, 7 Meningitiden, 2 mal
zapfenförmige Verlängerung des Cerebellums und Einpressung in
das Foramen magnum. Die restlichen 5 Fälle verteilen sich auf
1 akute Myelitis, 1 Kleinhirnabscess mit Durchbruch in die Schädel¬
höhle und neuer circumscripter Meningitis, 1 rachitisches Kind
mit Pneumonie, 1 Kompression des Halsraarks durch Tumor, 1 Fall
Anämie des Gehirns und Lungenödem, als Chloroformtod gedeutet.
Es zeigt sich also die Erfahrung bestätigt, dass Hirntumoren
und verwandte Prozesse durch Lumbalpunktion besonders ge¬
fährdet sind.
Von den Tumoren entfallen 7 auf das Kleinhirn (darunter
2 Affektionen des Vermis, 1 der Tonsille), 6 auf den Frontal¬
lappen, 4 auf den Temporallappen, 1 auf den Occipitallappen,
1 auf Frontal-Parietallappen. 2 Tumoren sassen im Marklager,
je einer in Pons, Hypophyse und Capsula interna, 3 im Ventrikel¬
system, und zwar 1 am Boden der Rautengrube, 1 im Aquädukt,
schliesslich 2 gleichzeitig im 3. und 4. Ventrikel. Dazu kommen
5 mit unbestimmter Angabe, nämlich 1 Tumor der Grosshirnrinde,
3 mal Tumor cerebri, 1 Tumor der Hemisphäre. Die 2 Cysticerken
sassen im 4. Ventrikel bzw. im 4. Ventrikel und Aquädukt, der
Echinokokkus im Occipitallappen.
Die zapfenförmige Einpressung des Kleinhirns in das Foramen
magnum fand sich 1 mal mit hochgradigem Hydrocephalus ver¬
gesellschaftet, das andere Mal war nur massige Erweiterung der
Seitenventrikel vorhanden. Ausserdem fand sich noch einmal Ein¬
pressung der Kleinhirntonsiilen in das Foramen magnum in Fall 63
bei einem Tumor des Temporallappens. 9 mal fand sich bei den
Tumoren Blutung in das Turaorgewebe, 1 mal ferner Blutung in
der Nähe des Tumors und an zwei weit entfernt gelegenen Stellen.
Die 13 Blutungen umfassen 3 geplatzte Aneurysmen, 1 Durch¬
bruch eines apoplektischen Herdes in den Ventrikel, 1 Apoplexie
mit frischer Blutung eines geplatzten Gefässes im 4. Ventrikel,
3 frische Apoplexien (1 Febris recurrens, 2 bei Nephritis), 1 intra¬
durale Blutung bei Hydrocephalus, 1 Blutung nach vorangegangener
Hirnpunktion mit Verletzung eines Gefässes der Fossa Sylvii,
2 Schädelbrüche und schliesslich eine nur klinisch als hirnarterio¬
sklerotisch gedeutete Blutung ohne Sektionsbefund.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
346
O. Schönbrck,
Digitized by
Von Meningitiden fanden sich 2 tuberkulöse, 1 purulenta von
Sinusthrombose ausgehend, 1 cerebrospinalis, 1 cerebrospinale
Pneumokokkenmeningitis und 2 mal Meningitis purulenta factitia.
Was nun die Zeit anlangt, die zwischen der Punktion
und dem Exitus liegt, so trat der Tod während der Punktion
oder in unmittelbarem Anschluss an dieselbe 7 mal auf, 2 mal
nach 3—5 Minuten, 2 mal bis 15 Minuten nach der Punktion,
10 mal nach 15 Minuten bis zu 1 Stunde, 17 mal nach 2 bis
6 Stunden, 2 mal nach 12 Stunden, 13 mal am nächsten Tag.
4 mal nach 2 Tagen, 7 mal nach 3 Tagen, 2 mal nach 7 Tagen,
je einmal nach 8 und 13 Tagen.
Von Interesse ist auch eine Vergleichung der abgelassenen
Elüssigkeitsmengen. Ist doch vielfach der Tod nach Lumbal¬
punktion auf Ablassen zu reichlicher Mengen zurückgeführt worden.
Man hat dies auch häufig so ausgedrückt, dass die therapeutische
Lumbalpunktion zwar gewisse Gefahren habe, dass hingegen die
diagnostische Punktion, wo man sich mit kleinen Mengen, 3— 5 ccm,
begnügen könne, ganz ungefährlich sei.
In den 61 Fällen, wo auf die abgelassene Menge geachtet
wurde, ist 1 mal gar keine Flüssigkeit, 2 mal wenige Tropfen,
12 mal 3—5 ccm, 8 mal 6—10 ccm, 17 mal 11—20 ccm, 11 mal
21—30 ccm, 1 mal 40 ccm, 6 mal 41—50 ccm, 2 mal 75 ccm
und 1 mal 90 ccm entleert worden. Es sind also 15 mal nur
bis zu 5 ccm entnommen worden, das heisst, die Menge, die
gewöhnlich zur diagnostischen Lumbalpunktion für nötig erachtet
wird. Bei dieser Berechnung ist die Angabe von Fall 34 „die
im Steigrohr befindliche Menge“ für die Druckhöhe von 260 mm
ILO auf etwa 5 ccm geschätzt worden und die im Fall 62 von
Reichmann gemachte Angabe, dass die im Steigrohr befindlichen
3,8 ccm abgelassen wurden, so aufgefasst worden, dass vorher
keine Flüssigkeit abgeflossen ist. Diese Annahme ist aber be¬
gründet, da Reichraann (109) prinzipiell die Forderung erhebt,
bei der ersten Punktion von Hirntumoren nur die im Steigrohr
befindliche Flüssigkeit abzulassen. Es ist also in etwa 1 j i der
F'älle, in denen überhaupt genaue Angaben vorliegen, die von den
meisten Autoren geforderte Grenze für die diagnostische Lumbal¬
punktion nicht überschritten worden. Damit dürfte die Behauptung,
die diagnostische Lumbalpunktion sei jedenfalls ungefährlich, nicht
mehr aufrecht zu erhalten sein.
Ebenso wichtig, ja in mancher Beziehung noch wichtiger als
die Menge der abgelassenen Flüssigkeit, ist der Druck, unter
dem sie vor und nach der Punktion stand und der Druck¬
abfall in Beziehung gesetzt zu den abgeflossenen Mengen. Leider
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
347
sind die Angaben in dieser Beziehung wenig genau. Der Druck
ist häufig nur abgeschätzt, oder es ist nur der Anfangsdruck an¬
gegeben. Völlig unvergleichbar sind die Druckangaben endlich,
wenn, wie in mehreren der citierten Fälle, im Sitzen punktiert
wurde. Auffallend ist zunächst, dass der Anfangsdruck nicht
immer so bedeutend erhöht ist, wie bei den meist bestehenden
klinischen Zeichen von Hirndruck anzunehmen war. Der Druck
bleibt in den meisten Fällen unter 300, häufig auch unter 200 mm
HoO. Nur 2 mal sind wirklich bedeutende Steigerungen von 40 und
sogar 60 mm Hg da; 2 mal war der Anfangsdruck auch abnorm
niedrig.
Die Druckherabsetzung durch die Lumbalpunktion betrug
am häufigsten zwischen 100 und 150 mm H 2 0, einige Male
unter 100, einige Male zwischen 150—200 mm H,0. Ungewöhnlich
grosse Druckherabsetzung fand sich in 2 Fällen, nämlich von
40—5 mm Hg und sogar von 60—0 mm Hg.
Am auffallendsten und bedeutungsvollsten ist es jedoch, dass
starke Druckherabsetzung bei verhältnismässig kleinen Ausfluss¬
mengen eintrat, so im extremsten Fall um 60 mm Hg bei Ablass
von nur 30 ccm Liquor. Gleichfalls- wichtig und im heutigen Sinne
mangelhaft ist die viermal erfolgte Herabsetzung des Druckes selbst
von hohen Werten auf 0. — 3 Punktionen sind ferner im Sitzen
ausgeführt, 1 mal ist zwischendurch aufgesetzt worden. Im Fall 32
wurde bei so hohem Anfangsdruck, dass der Liquor im Strahl
hervorkam, nach vollkommenem Auslaufenlassen noch eine Pravaz-
Spritzc voll aspiriert. Im Fall 45 wurden die ersten Tropfen
aspiriert, eine Methode, die auch Quincke (19) für erlaubt erklärt
hat. Im Fall 17 wurde durch Senken des Schlauches leicht aspiriert,
was gleichfalls von Quincke (53) gebilligt wird.
Es muss nach dem Gesagten zugegeben werden, dass in
manchen von den angeführten Fällen technische Fehler begangen
worden sind. Der Druck ist entweder gar nicht beobachtet oder
er ist zu brüsk und zu weit herabgesetzt worden. Ob sich aber
bei vorsichtiger Anwendung der Lumbalpunktion die üblen Folgen
hätten vermeiden lassen, ist nicht so leicht zu sagen. Es sind
jedenfalls auch Todesfälle vorgekommen, wo in technischer Hin¬
sicht keine Unterlassungen Vorlagen.
Zur Erklärung der Todesfälle ist es notwendig, sich kurz die
Aenderung der Druckverhältnisse durch die Lumbal¬
punktion vor Augen zu führen.
Hirn und Rückenmark sind in ihren Hüllen allseits vom Liquor
cerebrospinalis umgeben, der die vielkammerigen Maschen des Sub-
arachnoidealraums ausfüllt. Henle (110) vergleicht die Lage des
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
348
O. Schünbcrk.
Digitized by
Gehirns in diesem gewissermassen physiologisch wassersüchtigen
Gewebe mit einer Art Schwimmen. Als Hauptbildungsstätten des
Liquors werden die Plexus chorioidei der Ventrikel, daneben in
geringerem Masse das Ventrikelependym betrachtet. Der Abfluss
des Liquors erfolgt zum grössten Teil durch die Arachnoidealzottcn
in die venösen Sinus, wie dies schon von Key und Retzius fest¬
gestellt wurde. Ein kleiner Teil fliesst längs der Nervenscheiden
in die Lymphbahnen ab. Die Ventrikel kommunizieren durch das
Foramen Magendii und die Foramina lateralia mit den Sub-
arachnoidealrüumen des Hirns, die sich in der Umgebung des
Hirnstammes zu grösseren Cysternen ausweiten, einerseits und
andererseits am Hinterhauptsloch mit den Subarachnoidealräumen
des Rückenmarks. Diese Lehre von Magendi, Quincke, Key
und Retzius ist immer wieder bestätigt worden, so in den letzten
Jahren von Gold mann (111).
Ueber die Druckverhältnisse herrschen noch einige Unklar¬
heiten. Es muss dabei der hydrostatische, auch an der Leiche
vorhandene, Druck und der von Quincke sogenannte Elastizitäts¬
druck unterschieden werden. Beide wirken einander entgegen. Der
Elastizitätsdruck wird zu 130 mm H 2 0 angenommen. Der hydro¬
statische Druck hat nach dem Grashey’schen (112) Schema seinen
Nullpunkt am Foramen occipitale magnum, da hier der Atmosphären¬
druck einwirkt. Im Schädel wird er von da aus zunehmend negativ,
bei einer Schädelhöhe von 13 cm müsste er am Scheitel also
— 130 mm H 2 0 betragen. Umgekehrt nimmt der hydrostatische
Druck nach abwärts vom Foramen magnum aus im positiven Sinne
zu. Bei einem durchschnittlichen Abstand der gewöhnlichen Punktions¬
stelle vom Hinterhauptsloch um ca. 50 cm muss der hydrostatische
Druck dort mithin 500 mm H 2 0 betragen. Der aus der Differenz
von hydrostatischem und Elastizitätsdruck Testierende Druck wäre
am Scheitel also + 130 — 130 mm H 2 0 = 0 und an der
Punktionsstelle + 500 — 130 = 370 mm H 2 0. Damit würden
die im Sitzen an der Punktionsstelle gefundenen Druckwerte gut
übereinstimmen. Propping (113) wirft dem Grashey’sehen Schema
den Fehler vor, dass der epidurale Raum nicht ein starrwandiges
Gefäss ist, wie Grashev’s Schema voraussetzt, sondern dass er
zum Teil dehnungsfähige Wandungen besitzt, so die Membrana
obturatoria und die Ligamenta flava. Die Venenplexus, welche
gewissermassen die Flüssigkeit des Grashey’schen Schemas dar¬
stellen, in die das innere Gefäss des Liquorsackes eintaucht,
füllen den epiduralen Raum nicht allseitig aus, gerade die Foramina
intervertebralia sind durch ein sehr dehnungsfähiges Fettgewebe ver¬
schlossen. So lässt sich der Epiduralraum nach Propping mit
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
349
einer Kombination von Reagenzröhrchen = Schädelhöhle und Gummi¬
schlauch = Wirbelkanal vergleichen. In einem solchen System liegt
der Nullpunkt etwas unterhalb der Oeffnung des Reagenzrohres im
Schlauchteil des Systems, wobei die Oeffnung des Reagenzrohres
dem Foramen raagnum entsprechen würde. Walter (114) hat die
Versuche Propping’s nachgeprüft und im allgemeinen bestätigt.
Dem entspricht, dass der Nullpunkt bei Leichenversuchen häufig
im oberen Brustmark gefunden wurde und nicht am Hinterhauptsioch.
Reich mann (72) spricht den Leichenversuchen allerdings die Be¬
weiskraft ab, da infolge postmortaler Blutsenkung und mit ihr
Schritt haltend der Nullpunkt immer weiter abwärts rückt.
Ob durch Vermittelung der Membrana obturatoria und unter
Mitwirkung der von Key und Retzius beschriebenen klappen¬
artigen Bildung der 2. Zacke des Ligamentum denticulatum eine
Liquorströmung im Subarachnoidealraum des Rückenmarks zu¬
stande kommt, wie Propping annimmt, ist noch nicht entschieden.
Bei der Inspiration kollabieren die Venen des Wlrbelkanals,
Flüssigkeit aus der Schädclhöhle wird angesaugt, bei der Exspiration
dagegen schwellen die Venen wieder an, der Liquor kann aber im
vorderen Spatium an der horizontalen Klappe nicht vorbei, kann
also nur im hinteren Spatium des Subarachnoidealraums des
Rückenmarks aufsteigen. Es fände sich demnach im hinteren
Spatium ein aufsteigender, im vorderen Spatium ein absteigender
Liquorstrom vor. Einen solchen aufsteigenden Strom scheint auch
die bei der Lumbalanästhesie beobachtete rasche Ausbreitung des
Anästhetikums zu beweisen. W'alter (114) hat allerdings die
Kev-Retzius’sche Klappe nicht in allen Fällen vorgefunden. Er
sah häufig ganz rudimentäre Entwickelung derselben, die zu einer
Klappenfunktion keineswegs ausreichend war.
Es ergibt sich also aus dem Dargelegten, dass sowohl die
Druckverhältnisse wie auch die Strömungsbedingungen des Liquors
noch nicht geklärt sind. Somit lässt sich auch nichts Absolutes
über die Druckänderungen, die im ganzen System nach Lumbal¬
punktion Platz greifen können, sagen. Wir müssen uns einstweilen
mit der allgemeinen Tatsache begnügen, dass Flüssigkeitsentnahme
durch Lumbalpunktion natürlich eine Druckverminderung bedeuten
muss. Diese Druckverminderung muss nach dem Gesagten in der
Schädelhöhle, wo schon an sich die geringsten Druckwerte, gleichviel
welcher absoluten Höhe, bestehen, am ehesten üble Folgen haben
können. Es muss zu einer Art Vakuum kommen können, das der
Organismus schnell auszugleichen trachten wird. Dabei könnte,
einem allgemeinen Gesetz entsprechend, die Reaktion über das
notwendige Mass hinausgehen, und der Zustand ärger werden als
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
350
O. Srh ii n beo-k ,
Digitized by
zuvor. In der Tat hat eine zweite Lumbalpunktion wiederholt er¬
höhten Druck ergeben, wo die erstmalige Lumbalpunktion normalen
Druckwert zeigte. Besonders Maystre (52) weist bei seinen Tier¬
versuchen auf diesen Umstand hin.
Das Vakuum kann aber auch in andererWeise störend wirken.
Ks kann Hyperämie und sogar Blutung hervorrufen, namentlich
dann, wenn die Gcfässe schon alteriert sind. Ossipow’s (56)
Versuche scheinen darauf hinzudeuten. Er sah bei seinen Experi¬
menten an Hunden Hyperämie und Blutungen in die Meningen,
die Ventrikel und in die Rückenmarkssubstanz. Zum Teil war
allerdings aspiriert worden. Maystre (52) fand ähnliche Befunde
bei seinen Experimenten an Kaninchen. Wenn nun gar die Blut¬
gefässe pathologisch verändert sind, und durch akute Entzündung
schon Hyperämie besteht, so liegt eine Vergrösserung der Gefahr auf
der Hand, namentlich, wenn dann auch noch der Blutdruck erhöht
ist. So erklären sich die Blutungen bei Arteriosklerose, Aneurysma,
Myelitis, Nephritis, so auch die Blutungen in dem morschen Gewebe,
namentlich schnell wachsender Tumoren, die erfahrungsgemäss häu¬
fig mit mangelhaft entwickelten Gefässon ausgestattet sind.
Aber auch in ganz anderer Weise kann die Druckherabsetzung
durch die Lumbalpunktion schädlich wirken. Wenn durch irgend¬
einen Prozess, sei es durch fibrinös-eiterige Membran- und Schwarten¬
bildung, sei es durch die bei Hydrocephalus weit ausgedehnten
Hinterhörner der Seitenventrikel oder ferner durch membranöse
Vorwölbung des 3. Ventrikels, endlich durch Tumorgewebe oder
sonstwie die Kommunikation zwischen Schädelhöhle und Wirbel¬
kanal verringert oder gar aufgehoben ist, so muss sich die Druck¬
herabsetzung geradezu in einem Ansaugen der vorliegenden
Teile geltend machen. Welche Folgen dadurch entstehen können,
wird weiter unten geschildert werden. — Da der Flüssigkeits¬
ausgleich in dem Maschenwerk der Arachnoidealräume nur all¬
mählich von statten geht, wird somit einer zu plötzlichen Ver¬
schiebung des Liquors etwas vorgebeugt und manch üble Folge
vermieden werden. Es ist während des allmählichen Ausgleichs
Zeit vorhanden, dass selbst durch verengerte Kommunikations-
Öffnung etwas nachsickern kann, statt dass sich bei brüsker Ent¬
leerung und sofortigem Eintritt eines Vakuums unterhalb des Foramen
magnum die vorliegenden Hirnteile einfach wie ein Ventil vor das
Hinterhauptsloch legen würden. Dieser allmähliche Ausgleich be¬
wirkt es auch, dass sich bei Unterbrechung der Punktion der Druck
immer wieder etwas hebt. — Wenn nun gar in der Schädelhöhle
ein pathologisch erhöhter Druck besteht, so kann um so leichter
bei teilweiser Kommunikationsverlegung der Abschluss durch die
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Dip Befahren der Lumbalpunktion.
351
Druckverminderung bei der Lumbalpunktion vollständig gemacht
werden. In diesem Falle müsste das Hineinpressen der vor¬
liegenden Teile in das Vakuum mit Ueberdruck von oben her vor
sich gehen.
Nach diesen allgemeinen Erörterungen über die Wirkung der
Druckverminderung durch die Lumbalpunktion soll nun im folgenden
diese Wirkung bei den einzelnen Krankheitsprozessen unter Berück¬
sichtigung der zusammengestellten Fälle erfolgen.
Zunächst soll hier noch der Einwand erwähnt werden, dass
von manchen Autoren ein zufälliges Zusammentreffen von
Lumbalpunktion und Exitus angenommen wird. Der Tod sei
demnach nur nach Lumbalpunktion, aber nicht durch Lumbal¬
punktion eingetreten. Diese Ansicht ist verschiedentlich zurück¬
gewiesen worden. Fürbringer, der in seinen Fällen auch zu¬
nächst an zufälliges Zusammentreffen dachte, hat diese Ansicht
sehr bald aufgegeben, und Minet (115), Hennig (94) und Müller (82)
weisen sie gleichfalls zurück. Es wäre ja auch ein höchst sonder¬
barer Zufall, dass nach Lumbalpunktion so relativ häufig der Exitus
letalis eintrat. Zu dieser Ansicht konnte es auch wohl nur kommen,
weil die meisten Todesfälle nach Lumbalpunktion in der Tat Krank¬
heitsfälle betrafen, bei denen plötzliche Todesfälle auch sonst an
der Tagesordnung sind.
Betrachtet man die beschriebenen Fälle im Hinblick auf etwa
gemeinsame Züge, so zeigt sich eine auffallende Erscheinung.
Entweder tritt Verschlechterung des Zustandes sofort ein, oder
aber sie lässt mehrere Stunden auf sich warten, nachdem oft sogar
eine Periode der Besserung vorangegangen ist. Der Tod erfolgt
häufig durch Respirationsparalyse, d. h. die Atmung cessiert
bei noch gutem Puls. Durch künstliche Atmung kann dann das
Leben noch längere Zeit (z. B. im Fall 64 sogar 17 Stunden)
erhalten werden. In mehr oder weniger ausgesprochener Weise
war diese Beeinträchtigung des Atemcentrums 25 mal vorhanden.
In dem hier mitgezählten Fall 33 (Braunstein) war die
Lumbalpunktion allerdings in Chloroformnarkose gemacht worden.
Zwischen der Punktion und dem Eintritt der Respirationslähmung
waren nur einige Sekunden. Der ganze Vorgang ist so ähnlich
den nach Lumbalpunktion beobachteten Fällen, dass man vielleicht
doch eher die Punktion beschuldigen muss. Es waren nur 25 ccm
Chloroform verbraucht worden, ausserdem hatte die Narkose bis
dahin anscheinend keinerlei Störung gezeigt. Um die sog. Reflex¬
asphyxie kann es sich nicht gehandelt haben, es käme nur der
Atemstillstand durch Ueberdosierung in Betracht. Der Puls ist
.aber unverändert gut geblieben. Der Autor gibt selbst zu, dass
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
352
O. Srliön bock,
Digitized by
die Sektion die Todesursache nicht sicher aufgedeckt hat. Eine
massige Herzverfettung, die aber schliesslich auch aus anderen
Gründen vorhanden sein könnte, scheint ihm auf Chloroformtod zu
deuten. Man kann den Fall nach seinem ganzen Verlauf wohl mit
ebensoviel Recht als Tod nach Lumbalpunktion bezeichnen.
Diejenigen Fälle, in denen die Beschwerden erst nach 6 bis
8 Stunden eintraten, erinnern wieder an das früher über Menin¬
gismus Gesagte, ln beiden Fällen müssen ähnliche Umstände ob¬
walten. Die alte Anschauung, dass das Ablassen des Liquors
selbst und das Unvermögen des Hirns, ihn genügend rasch zu
ersetzen, die Ursache für die nach 6—8 Stunden auftretenden Be¬
schwerden sei, ist wohl nicht zutrelfend. Man sollte dann eher
sofortige Störungen erwarten.
Förster (69) hebt richtig hervor, dass gerade im Gegenteil
die durch den Stich gereizten Meningen zuviel Liquor produzieren.
Quincke (20) und Reichmann (116) führen die Kopfschmerzen
auf passive Hyperämie zurück, Quincke meint auch, dass die
Kopfschmerzen und das Bild des sog. Meningismus in seltenen
Fällen durch Kommunikationsverlegung bedingt sein möchten, und
an anderer Stelle [Quincke (117)] spricht er von „vasomotorischen
Stürmen“, gibt aber auch eine wirkliche leichte Meningitis zu.
v. Beck (118) glaubt, dass durch den Reiz des Einstiches eine
arterielle Fluxion in den Meningen zustande komme, die sich bis
in das Gehirn hinein fortsetzen und dort vermehrte Liquorproduktion
erzeugen könne. Durch diese Theorie würden auch die üblen Er¬
scheinungen nach der ergebnislosen Lumbalpunktion erklärt werden
können. Bei Kommunikationsverlegung müsste ein solcher Vorgang
geradezu deletär wirken können. Auch psychische Einflüsse (ein
Fall von Angst vor einer Operation wird angeführt) sollen nach
diesem Autor Hypersekretion des Liquors veranlassen können.
Wenden wir uns nun einer näheren Betrachtung der
einzelnen Krankheitsgruppen zu, so sind von den 7 Menin¬
gitiden die beiden durch künstliche Infektion erzeugten (Fall 55
und 61) wahrscheinlich durch verunreinigte Instrumente bedingt
worden. Die Lumbalpunktion muss natürlich absolut aseptisch aus¬
geführt werden. Curschmann vermutet in seinem Fall un¬
genügende Sterilisation der Punktionsnadel als Ursache für den
üblen Ausgang der im übrigen vollkommen aseptisch ausgeführten
Lumbalpunktion. Andererseits zeigt dieBeobachtung van Lier’sflOOi,
dass bei der Punktion eingeschleppte Keime nicht unbedingt Menin¬
gitis zu erzeugen brauchen. Dieser Autor sah trotz wiederholter
Punktion durch einen versteckten Abscess im Musculus sacrospinalis
hindurch keine üblen Folgen eintreten. Er hat allerdings stets den
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
353
Trokar erst nach Eindringen in den Spinalsack herausgezogen und
vor Herausziehen der Punktionsnadel nach erfolgter Punktion
jedesmal den Trokar erst wieder eingeführt. Dank dieser Vorsichts-
massregel ist der Liquor trotz Punktion durch den Abscess hin¬
durch nur wenig verunreinigt worden. — Bei der Meningitis purulenta
von Braunstein (Fall 32) ist wohl die Aspiration mit der Pravaz-
schen Spritze, die von Quincke als druckentlastende Operation
stets verworfen wurde, auch nach der Meinung des Autors an¬
zuschuldigen. — Fall 53 (Meningitis purulenta) ist nicht recht auf¬
geklärt. Es fand sich nur der erste Beginn einer Meningitis tuber-
culosa. — Im Fall 67 (Meningitis cerebrospinalis pneumoniea)
beschuldigt der Autor die Punktion im Sitzen. Besonders inter¬
essant ist der Fall von Fonzo (Fall 70). Unter sehr geringem
Druck wurden nur wenige Tropfen Lumbalflüssigkeit entleert,
nachdem einige Tage vorher dreimalige Punctio sicca Kommuni¬
kationsverlegung nahegelegt hatte. Der Autor erklärt den augen¬
blicklichen Tod dadurch, dass bei dem Vornüberbeugen des Kopfes
die vorhandenen Eitermassen nach der Stirn zu stürzten und bei der
Kommunikationsverlegung eine Hyperämie ex vacuo in der Medulla
entstand. Somit hätte ja eigentlich die brüske Flexion des Kopfes
den Tod verschuldet, und die Lumbalpunktion wäre nur die Veran¬
lassung zu dieser Flexion gewesen. Aber man kann auch annehmen,
dass die Lumbalpunktion die Kommunikaüonsverlegung erst vollstän¬
dig gemacht hat, denn einige Tropfen waren vorher noch abgeflossen.
Die theoretische Befürchtung, dass aus einer circumscriptcn
Meningitis durch den lebhaften Flüssigkeitsstrom bei der Lumbal¬
punktion eine generalisierte entstehen könne [Grossmann (119)
und Stadelmann (10)], scheint sich nicht bestätigt zu haben.
Wiederholt ist von der üblen Wirkung der Kommunikations¬
verlegung am Foramen magnum die Bede gewesen. Aber auch
weiter abwärts, im Bereich der Wirbelsäule, kann eine
Kommunikationsverlegung verhängnisvoll werden, wie der
Fall von Raven (Fall 63) beweist. Hier ist die Liquorstauung
oberhalb des im Halsmark sitzenden Tumors, vielleicht infolge
Verschiebung des letzteren, durch die Lumbalpunktion so ge¬
stiegen, dass der Tod herbeigeführt wurde. Der Fall Raven ist
ein Parallelfall zu dem früher mitgeteilten von Newmark. Der
tödliche Ausgang im Falle Raven erklärt sich wahrscheinlich
durch den Sitz des Tumors im Halsmark, von wo aus die Medulla
oblongata leichter in Mitleidenschaft gezogen werden konnte.
Der mechanische Vorgang bei den Blutungen nach Lumbal¬
punktion ist nach den voraufgegangenen Erörterungen über die
mit jeder Punktion verbundenen Druckschwankungen ohne Weiteres
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
354
0. Schönbock,
Digitized by
verständlich. Die besondere Rolle, welche pathologisch veränderte
Blutgefässe, erhöhter Blutdruck und verminderter Liquordruck
spielen, ist schon früher erwähnt worden. Im Fall 26 (Stadel¬
mann) hat die Apoplexie vor der Punktion bestanden, neu ist
aber nach Meinung des Autors eine tödliche Blutung im 4. Ven¬
trikel infolge Zerreissung eines kleinen Gefässes durch die Druck¬
erniedrigung seitens der Lumbalpunktion entstanden. —
Im Falle 60 (Spiller) ist ein Auswischen des Nasenrachen¬
raums dem Exitus unmittelbar voraufgegangen, im Fall 65 (Rensch)
hat die Frau (Nephritis) 1 j 2 Stunde vor dem Tod das Klosett auf¬
gesucht. In beiden Fällen können die angeführten Umstände kon¬
kurrierend mitgewirkt haben, dass sie aber in erster Linie, nicht
die Lumbalpunktion, den Tod herbeiführten, ist wohl nicht nach¬
gewiesen. Der Einwand Spiller’s, die Flüssigkeit könne bei der
geringen abgelassenen Menge von 5,5 ccm noch garnicht aus der
Schädelhöhle stammen, trifft den Kern der Sache nicht, denn es
kommt nicht so sehr auf die abgelassene Menge, als auf die Druck¬
erniedrigung an. — Krönig nimmt in seinen beiden Fällen (Fall 9
und 10) direkten Zusammenhang zwischen Lumbalpunktion und
Tod an. In dem einen Fall war der Durchbruch eines apoplek-
tischen Herdes in die Ventrikel während der Punktion erfolgt, im
2. Fall sei das Aneurysma wohl vorher geplatzt gewesen, die
Lumbalpunktion habe aber die Rupturstelle vergrössert. — Im
Fall 52 (Bever) war durch Probepunktion des Gehirns ein Gefäss
der F'ossa Sylvii verletzt worden. Die nachfolgende Lumbalpunktion
musste in diesem Fall besonders verderblich wirken. Ob die
Probepunktion mit Anstechen des Gefässes allein die tödliche
Blutung herbeigeführt hätte, muss dahingestellt bleiben.
Fall 64 und 55 betreffen 2 Nephritiker. Weinländer meint,
dass in seinem Fall die Lumbalpunktion die Blutung überhaupt
erst herbeiführte oder jedenfalls verschlechterte. Disponierende
Momente müssten hinzukommen, wie Konstitutionsanomalien, und
angeborene Schwäche des Gefässsystems. In seinem Falle sei die
Herzkraft des Kindes für sein Gefässsystem gewissermassen zu
gross gewesen. — Rensch (Fall 65) stellt die Hypothese auf.
dass die Arterienwand durch die Spannung der sie umgebenden
Lymphscheiden eine gewisse Verstärkung erfahre. Durch Lumbal¬
punktion wird wegen des Zusammenhangs der Subarachnoideal-
räume mit den perivaskulären Lymphgefässen der Druck in den
letzteren verringert, so dass die Gefässe bei hohem Blutdruck
reissen können. Er schliesst daran den beachtenswerten Vorschlag
an, bei Urämie nur Liquor abzulassen, wenn hoher Liquordruck
bei geringem oder massigem Blutdruck bestehe.
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
355
Fall 66 und 71 sind üble Ausgänge nach Lumbalpunktion
bei posttraumatischen Blutungen. Im Fall 66 (Barth) wird die
Punktion im Sitzen angeschuldigt. — Wiederholt ist vor dem Ab¬
lassen von Blutergüssen ira Centralnervensystem gewarnt worden,
so von Quincke (20), Lenhartz (120) und Stadelmann (10),
der auf Fürbringer’s (78) Einwand, die Chirurgen räumten die
Blutergüsse auch prinzipiell aus, mit Recht erwidert, dass die
■Chirurgen dies nicht im Dunkeln täten. — Der Fall 12 (Kernig,
Febris recurrens) lehrt, dass bei hoch fieberhaften Krankheiten die
Lumbalpunktion nur mit Vorsicht zu verwenden ist. Dieser Fall
wird beleuchtet durch die Befunde, die Krannhals (121) bei einer
schweren Influenzaepidemie machte. Es fanden sich hier kleine
Blutungen über das ganze Centralnervensystem zerstreut. Hier
würde also die Lumbalpunktion einen sehr gefährlichen Boden vor-
.gefunden haben.
Wodurch die 4 Todesfälle bei Urämie entstanden sind, ist
nicht aufgeklärt. Fürbringer denkt für seine beiden Fälle (Fall 4
und 5) an zufälliges Zusammentreffen, und Gumprecht (40) hat
deshalb die Fürbringer’sehen Fälle in seiner Zusammenstellung
der damals bekannten Todesfälle nicht berücksichtigt. Krönig
dagegen glaubt seinen Fall (Fall 22) nicht als Zufall betrachten
zu dürfen und beschuldigt die aspirierende Wirkung des Schlauch¬
verfahrens. Braun endlich bemerkt zu seinem Urämiefall (Fall 23),
dass die mit der Lumbalpunktion verbundene Umbettung und die
sonstigen Manipulationen dabei ungünstig einwirken könnten. —
Beachtenswert ist, dass bei den Urämien der Tod durchweg in
wenigen Stunden eingetreten ist, dass der erwartete hohe Druck
meist nicht vorhanden und die BTüssigkeitsmcnge oft sogar gering war.
Eine Erklärung für diese Tatsache bietet die Lehre Quincke’s (50),
dass bei Urämie die Exsudation nicht ventrikulär, sondern über¬
wiegend kortikal und parenchymatös ist. Dann kann auch die
Druckentlastung durch Lumbalpunktion keinen Erfolg haben, im
Gegenteil könnte womöglich die durch Reizung der Meningen oder
als Hypersekretion ex vacuo cintretende Liquorvermehrung eine
deletäre Drucksteigerung herbeiführen, indem nun auch noch ein
ventrikulärer Druck hinzukäme.
In Bezug auf Hirnabscesse ist von verschiedenen Autoren
die Befürchtung ausgesprochen worden, sie könnten durch die Lumbal¬
punktion zum Durchbruch gebracht werden [Reichmann (122).
Oppenheim (123), Borchard (124), Quincke (117)J. Im Fall 11
(Rieken) lässt sich schwer entscheiden, ob der Durchbruch des
alten Abscesses auf die Lumbalpunktion zurückzuführen ist. Das
Befinden war nach der Punktion unverändert, erst 3 Tage hinterher
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2. .>4
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
356 0. Schön bock,
erfolgte der plötzliche Tod. Als eigentliche Todesursache wird
frische circumscripte Meningitis mit lokalem Druck auf die Me-
dulla angegeben. Der ganze Fall bleibt aber verdächtig genug.
Das Hauptkontingent der Todesfälle nach Lumbalpunktion
liefern aber die Tumoren des Hirns und verwandte Prozesse.
Die genaueren Zahlenverhältnisse dieser Zusammenstellung sind
schon angegeben. Die meisten Theorien, die sich mit den plötz¬
lichen Todesfällen nach Lumbalpunktion beschäftigen, sind ganz
und gar auf die Tumoren berechnet. Dass schnell wachsende
Tumoren mit reichlicher und überstürzter Gefässbildung leicht
Blutungen bei den Druckveränderungen durch Lumbalpunktion er¬
leiden, liegt auf der Hand. Wenn gar die Tumoren an einen Ven¬
trikel heranreichen, wie die Fälle 34 und 35 von Müller, so wäre
es geradezu verwunderlich, wenn eine Katastrophe ausbliebe. Fälle
von Blutung in Tumoren liegen 9 und noch ein 10. mit Blutung
in unmittelbarer Nähe des Tumors und zugleich an entfernter Stelle
vor. Zur Erklärung dieser Fälle braucht dem schon Gesagten
nichts mehr hinzugefügt zu werden. Beachtenswert erscheint, dass
von den Tumoren (wobei hier Echinokokkus, Cysticercus usw. mit¬
gerechnet sind, da sie mechanisch einen Tumor repräsentieren)
7 im Kleinhirn, 1 im Occipitallappen, 14 in Hirnstaram, Ventrikel¬
system oder Hirnbasis sassen, also 22 Prozesse an einem Ort sich
fanden, von wo aus sie die Medulla oblongata besonders leicht
affizieren konnten.
Gemeinsam mit den Tumoren sollen die Fälle von zapfen¬
artiger Einpressung des Kleinhirns und der Medulla
oblongata in das Foramen magnum erwähnt werden. Dieser
interessante Befund ist 3 mal vertreten. Im Fall 18 (Nölke) ist
hochgradiger Hydrocephalus damit kombiniert, im Fall Hanssen
(Fall 54), der sich durch eine sehr anschauliche photographische
Darstellung auszeichnet, war Hydrocephalus mässigen Grades vor¬
handen. Hanssen glaubt, dass dieselbe Hypersekretion, die nach
Lumbalpunktion so oft Kopfschmerzen und Meningismus macht,
in diesem Fall, wo Kommunikationsverlegung bestand, die Ein-
pressung von Medulla und Kleinhirn in das Foramen magnum zu¬
stande brachte, der das Respirationscentrurn bald erlag. Der 3. Fall
von zapfenförmiger Einpressung in das Hinterhauptsloch (Fall 62
von Reichmann) zeigte sich bei einem Temporaltumor mit Hydro¬
cephalus internus und Erweichung des rechten Hinterhauptslappens.
Reichmann sieht diese Erweichung als Ursache der zapfenför¬
migen Einpressung an und nicht die Lumbalpunktion. Man ist
aber wohl zu der Annahme berechtigt, dass die Erweichung des
Hinterhauptslappens die zapfenförmige Einpressung allerdings be-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
357
günstigt, aber wohl kaum allein verschuldet habe. Als eigentliche
Ursache wird man auch hier die Lumbalpunktion ansehen dürfen,
solange nicht ein Fall von zapfenförmiger Einpressung eines er¬
weichten Gehirns ohne vorausgegangene Lumbalpunktion be¬
schrieben ist.
Zur Erklärung der Todesfälle nach Lumbalpunktion speziell
bei Hirntumoren und verwandten Prozessen sind zahlreiche Hypo¬
thesen aufgestellt worden. Der erste, der an eine Erklärung ging r
war Stadelraann (24). Seine Anschauungen über die Kommuni¬
kationsunterbrechung sind gelegentlich der Punctio sicca schon
erwähnt. Er nahm an, dass in einem solchen Falle durch die
Lumbalpunktion eine Anpressung des Gehirns an die Schädelkapsel
und damit eine Ernährungsstörung des Gehirns stattfinde. Für¬
bringer (71) stimmt Stadelmann bei und fügt noch hinzu, dass
speziell zur Erklärung des plötzlichen Todes bei Hirntumoren durch
Ablassen der Oerebrospinalflüssigkeit eine Anpressung der Gebilde
der hinteren Schädelgrube gegen das Foramen magnum und eine
dadurch bedingte Ernährungsstörung der dort liegenden lebens¬
wichtigen Centren angenommen werden müsse. Die durch die Nach¬
barschaft krankhafter Prozesse ohnehin in labilem Zustand befind¬
lichen Centren vermögen sich von dieser neuen Schädigung nicht
wieder zu erholen und damit tritt nach kurzer Zeit der Tod ein.
Zugleich wies Fürbringer auf den grossen Gegensatz der Flüssig¬
keitsmenge in der Schädelhöhle und im Wirbelkanal bei solchen
Fällen hin. 3 Fälle, in denen dieser Vorgang der Einpressung der
Kleinhirnsubstanz in das Hinterhauptsloch offensichtlich vorlag, sind
schon oben angeführt worden.
Dass zur Herbeiführung eines üblen Ausganges nach Lumbal¬
punktion der Sitz der Kommunikationsverlegung am Foramen
magnum mechanisch besonders geeignet ist, ist schon oben er¬
wähnt worden. Es sind aber auch Fälle vorhanden, wo die
Komraunikationsverlegung höher hinauf, im Aquädukt, ge¬
sessen hat. Beispiele dafür sind die Fälle 17 (Nölke), 44 (Huber),
50 (Hennig). Dabei kommt es zu -einer Erweiterung und Vor¬
treibung des 3. Ventrikels, der im Fall 44 (Huber) geradezu
„blasenförmig vorgetrieben“ genannt wird. Als Folgeerscheinung
stellt sich eine Senkung von Vierhügel-Ponsgegend ein, die bei
plötzlicher Entfernung des Liquors aus den abwärts gelegenen
Teilen durch Lumbalpunktion wohl zu einem Druck auf Medulla
oblongata bzw. zu einem Anpressen der Medulla an das Foramen
magnum führen kann.
Endlich wird von Bönninghaus (125) ein akuter auto¬
matischer Abschluss des 3. und 4. Ventrikels bei der Meningitis
24*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
358
0. Sehönbeck.
Digitized by
serosa angenommen. An der Leiche sind freilich die Verhältnisse
oft nicht mehr deutlich, da die durch Flüssigkeitsspannung hervor¬
gerufenen Verengerungen nach Durchschneiden des Tentorium cere-
belli bei der Sektion verschwinden. Auch diese Art des Abschlusses
kann die Lumbalpunktion durch konsekutive Hypersekretion viel¬
leicht herbeiführen.
Grobraechanisch erklärten sich Tuffier (126) und Ray¬
mond (127) den plötzlichen Tod nach Lumbalpunktion. Tuffier
meint, dass die plötzliche Entleerung des vorher prall gefüllten
4. Ventrikels das Kleinhirn auf den Boden des 4. Ventrikels fallen
lassen und so durch einfache Kompression oder auch durch arterielle
Störung zur Synkope führen könne. Raymond stellte auf Grund
eines mit Potherat zusammen gesehenen Falles die Hypothese auf,
dass nach Abfluss des Liquors ein Tumor durch direkten Kontakt
mit dem Boden des 4. Ventrikels Hyperthermie und Tod herbei¬
führen könne. Eine Illustration zu dieser Theorie bietet der Fall 56
(Curschmann). Curschmann fasst hier den Exitus als „reinen
Atmungstod durch direkte Kompression des Atemcentrums“ auf.
Hier hatte das auf den Boden der Rautengrube herabfallende
Vermistuberkulom den tödlichen „Hammerschlag“ ausgeführt.
Martin (128) dagegen schiebt die Hauptschuld an dem plötz¬
lichen Tod sowohl nach Lumbalpunktion als auch bei Hirnaflcktionen
ira allgemeinen auf einen bulbaren Shock. Ist das Central¬
nervensystem intakt, so überwindet das Individuum den Bulbär-
shock, anderenfalls erliegt es demselben. Deshalb hält Martin
die Lumbalpunktion für gefährlich bei organischen Affektionen von
Hirn und Rückenmark. Dieser Meinung schliessen sich auch
Minet (116) und Lavoix (129) an.
Bei zusammenfassender Betrachtung der aufgeführten Fälle
von Hirntumoren und verwandten Prozessen drängt sich die An¬
sicht auf, dass die Lumbalpunktion, sofern sie nicht eine Blutung
in die Tumoren veranlasste, dadurch verderblich wirkte, dass sie
eine schon drohende Kommunikationsverlegung am Foramen tnagnum
oder auch höher hinauf komplett machte oder auch erst selbständig
herbeiführte. Bei dieser Gelegenheit kam es dann in der schon ge¬
schilderten Weise zu einem Druck auf die wichtigen Centren der Me-
dulla oblongata mit nachfolgender Ernährungsstörung. Das Atmungs¬
centrum, als das empfindlichste Organ der Medulla, stellte zuerst
seine Tätigkeit ein und damit trat der Exitus in der typischen
Form der Respirationslähmung ein. Die überwiegende Mehrzahl
der Fälle dürfte so zwanglos ihre Erklärung finden. Für die wenigen
übrig bleibenden Fälle kann man die Hypothesen von Tuffier-
Raymond und Martin’s Lehre vom ßulbärshock heranziehen.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
355>
Aus den zusammengestellten Fällen und den bisherigen Er¬
örterungen gehen die vielfachen Gefahren der Lumbal¬
punktion zur Genüge hervor, und es kann Seiffer (130) nicht
zugestimmt werden, wenn er 1908 aussprach, dass nachgerade die
Gerüchte über die Gefährlichkeit der Lumbalpunktion verstummen
sollten und dass nur immer wieder die alten Tatsachen angeführt
würden, die offenbar aus den Jugendjahren der Lumbalpunktion
stammten. Jetzt werden es 25 Jahre, dass die Lumbalpunktion
durch Quincke zum erstenmal ausgeführt wurde, und auch in
letzter Zeit haben ‘sich Todesfälle ereignet, auch bei vorsichtigster
Anwendung.
Die Ansichten der Autoren über die Gefährlichkeit
der Lumbalpunktion gehen immer noch ziemlich auseinander,
aber fast alle betonen, dass gewisse Vorsichtsmassregeln notwendig
seien. Hoizmann (131) vertritt in einer zusaramenfassenden Arbeit
aus dem Jahre 1914 den Standpunkt, dass bei Innehaltung der
notwendigen Vorsichtsmassregeln ernstere Zufälle nicht zu befürchten
seien. Andererseits verlangt er, dass mehr als bisher die Lumbal¬
punktion nur bei strikten Indikationen ausgeführt werden sollte.
Welche Vorsichtsmassregeln werden nun von den Autoren
gefordert? Die wichtigste Forderung ist die Beobachtung der
Druckverhältnisse vor und während der Punktion. Quincke (117)
rät 1914, dass man bei normalem Anfangsdruck nicht unter 100 mm
HoO gehen solle, bei höherem Anfangsdruck solle man die Ent¬
leerung nur so weit treiben, dass noch 40—60 pCt. des Anfangs¬
druckes bestehen bleiben. Stintzing (132) berichtet in der letzten
Auflage seines Handbuches der Therapie, dass er keine üblen Zu¬
fälle mehr gesehen habe, seit er sich streng daran halte, nicht unter
125 mm H 2 0 herabzugehen. — Besonders wichtig ist die Beachtung
der von Krönig besonders hervorgehobenen Druckschwankungen
im Steigrohr. Das Aufhören der Schwankungen zeigt eine Kommuni¬
kationsunterbrechung zwischen Schädel- und Wirbelhöhle an und
erfordert sofortiges Abbrechen der Punktion. Diese Forderung hat
weitgehende Anerkennung gefunden. — Von Seiffer (133) und
Schönborn (41) wird darauf hingewiesen, dass Nadeln mit engem
Lumen die Gefahr vermindern, weil ein langsamer Ausfluss stattfindet.
Was die abzulassende Menge anbetrifft, so lassen sich
genaue Vorschriften nicht gut geben. Die meisten Autoren wollen
sich zur diagnostischen Lumbalpunktion mit einer Menge von
3—5 ccm begnügen. Wenn zu therapeutischen Zwecken grössere
Mengen entnommen werden sollen, so ist es nach Lenhartz (12),
Braunstein (28) und Seiffer (133) empfehlenswert, nach kleinen
Mengen von je 5 ccm etwa zu unterbrechen und jedesmal den
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
360
0. Schönbeck,
Digitized by
Druck abzulesen. Wie lange so fortgefahren werden kann, wird
von dem jedesmal abgelesenen Druck abhängen. Nach der
Punktion wird von Quincke (117) 24 Stunden Bettruhe in hori¬
zontaler Lage, Enthaltung von Alkohol und geistiger Anstrengung
und allmählicher Uebergang in eine andere Körperstellung ge¬
fordert. Ihm schliessen sich fast alle Autoren an. Die ambulante
Lumbalpunktion wird allgemein verworfen.
Bei Hirntumoren sind die Vorsichtsmassregeln noch
schärfer zu beachten. Sicard (134) verlangt 24 Stunden vorher
Bettruhe, Ausführung der Punktion in einer Art' Trendelenburg-
schen Lage mit leicht abhängigem Kopf und 48 Stunden Bettruhe
nach der Punktion, davon die ersten 12—24 Stunden in der be¬
schriebenen Lage mit leicht tiefliegendem Kopf. Tumorkranke, bei
denen die Beschwerden in horizontaler Lage stärker werden, sollen
nach diesem Autor ganz von der Punktion ausgeschlossen sein.
Reichmann (116) will bei Hirntumoren höchstens 2 ccm auf
einmal bei Seitenlage entleeren und Neisser (135) will sich
schliesslich bei Hirntumoren mit der Druckmessung begnügen und
auf Ablassen der Flüssigkeit ganz verzichten.
Gegen den einmal eingetretenen Abschluss am Foramen
magnum und die Respirationslähmung dürfte es kein Mittel
geben. Quincke (50) schlug vor, den steril aufgefangenen Liquor
durch Heben des Schlauches und des zu diesem Zweck besonders
weiten Abflussrohres wieder zurückfliessen zu lassen. Hatzfeld (136>
empfiehlt theoretisch in gleicher Absicht Einspritzung einer sterilen
Kochsalzlösung durch die Punktionskanüle. Die von Gumprecht (40;
geforderte nachträgliche Ventrikelpunktion ist in den Fällen 41 und 62
ohne Erfolg gemacht worden, allerdings in beiden Fällen viel zu
spät, erst nach 3 bzw. 6 Tagen. Aber auch die sofort ausgeführte
Ventrikelpunktion wie auch die von Gumprecht (40) befürwortete
Trepanation dürften in allen den Fällen zu spät kommen, wo die
Bulbusschädigung bereits irreparabel geworden ist. Es ist aber
mehr als fraglich, ob dazu so viel Zeit gehört, wie zur Vorbereitung
einer aseptischen Operation erforderlich ist. — Dass durch
Meltzer’s (137) bequemes Verfahren der pharyngealen Insufflation
ein Rückgang der Respirationslähmung eintreten könnte, ist nach
dem Gesagten auch nicht recht zu erwarten, und die künstliche
Atmung ist denn auch stets ohne Erfolg gewesen, trotzdem sie im
Fall 64 17 Stunden lang fortgesetzt wurde. Uebrigens ist die
künstliche Atmung wohl nur im Fall 54 als aussichtslos bereits
vor dem Tode aufgegeben worden.
Als Resultat dieser Arbeit wird hiermit der Satz auf¬
gestellt, dass die Lumbalpunktion einen nicht ungefähr-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
361
liehen Eingriff darstellt, so zwar, dass sie einen voll¬
kommen Gesunden nur vorübergehend zu schädigen
vermag, unter pathologischen Umständen aber direkte
Ursache des Exitus letalis werden kann.
Absolute Kontraindikationen sind nicht aufzustellen.
Man unterlässt die Lumbalpunktion am besten ganz
bei Blutungen in der Schädel-Rückgratshöhle und bei
intrakraniellen, raumbeschränkenden Prozessen, nament¬
lich bei Tumoren der hinteren Schädelgrube.
Grosse Vorsicht ist geboten bei Tumoren innerhalb des
Wirbelkanals, bei Urämie, entzündlichen Affektionen des
Cent ralner vensvstems,Hi rnabscessen,Arteriosklerose und
auch bei Meningitis purulenta.
Will man bei intrakraniellen, raum beschränkenden
Prozessen trotzdem punktieren, so muss man strenge Vor-
sichtsmassregeln anwenden. Als solche kommen in Betracht:
1. vorherige 24 stündige Bettruhe,
2. Punktion bei tiefer liegendem Kopf in Seitenlage,
3. genaueste Beobachtung der Druckhöhe und der Druck¬
schwankungen, permanent oder nach Abfluss von je 2 ccm,
4. 24—48 Stunden Bettruhe nach der Punktion, die ersten
12—24 Stunden mit tiefer liegendem Kopf,
5. Vermeidung von Alkohol und geistiger Aufregung nach
der Punktion,
6. allmählicher Uebergang aus der liegenden in andere
Stellungen.
Diese Vorsichtsmassregeln gelten auch allgemein für Punktionen,
nur kann die Tieflagerung des Kopfes fortbleiben.
Man muss sich aber stets bewusst bleiben, dass auch die
strengste Innehaltung aller dieser Vorschriften keine
Gewähr bietet, Todesfälle mit Sicherheit zu vermeiden.
Vollkommen zu verwerfen ist jede Aspiration und
die ambulante Lumbalpunktion.
Die Gefährlichkeit der Lumbalpunktion wird in erster
Linie durch die mit ihr verbundene Druckerniedrigung
bedingt, die wiederum sekundär zu verschiedenartigen
unheilvollen Mechanismen Veranlassung geben kann. Die
praktisch wichtigsten üblen Folgen der Lumbalpunktion
sind Blutungen ex vacuo und Kommunikationsverlegung.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
362
0. Schonbeek,
Digitized by
Literatur.
1. Quincke, Yerhaiull. d. Kongr. f. innere Med. 1891.
2. Quincke, Zur Physiologie der Cerebrospinalflüssigkeit. Areli. f. Anat.
u. Physiol. von Reichert u. Dubois. 1872.
3. Key und Retzius, Studien in der Anatomie des Nervensystems und des
Bindegewebes I. 1875.
4. Lenhartz, Ueber den diagnostischen und therapeutischen Wert der Lumbal¬
punktion. Yerhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1896.
5. Freyhan, Ein Fall von Meningitis tuberculosa mit Ausgang in Heilung.
Deutsche med. Wochenschr. 1894. Nr. 36.
6. v. Leyden, Diskussion zu dem Yortrag von Stadel mann, Klinische Er¬
fahrungen mit der Lumbalpunktion. Deutsche med. Wochenschr. 1897.
Yereinsbeil. 32.
7. Fürbringer, Zur klinischen Bedeutung der spinalen Punktion. Berl.
klin. Wochenschr. Nr. 13.
8. Ricken, Ueber Lumbalpunktion. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1896.
Bd. 56. H. 1 u. 2.
9. Fl ei sch mann, Die Ergebnisse der Lumbalpunktion. Deutsche Zeitschr.
f. Nervenheilk. 1897. Bd. 10.
10. Stadel mann, Klinische Erfahrungen mit der Lumbalpunktion. Mitteil,
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1897. Bd. 2.
11. Benisehek, Ueber 31 Fälle von Lumbalpunktion aus der Erlanger medi¬
zinischen Klinik. Disscrt. 1906.
12. Len hart z, Ueber den diagnostischen und therapeutischen Wert der Lumbal¬
punktion. Münch, med. Wochenschr. 1896. Nr. 8 u. 9.
13. Quincke, Die diagnostische und therapeutische Bedeutung der Lumbal¬
punktion. Deutsche med. Wochenschr. 1905. Nr. 46 u. 47.
14. Sicmerling, Zur Symptomatologie und Therapie der Kleinhimtumoren.
Berl. klin. Wochenschr. 1908. Nr. 13 u. 14.
15. Klapp, Ueber Rückenmarkssehüssc und Behandlung der im Gefolge der
Laminektomic auftretenden Meningitis. Münch, med. Wochenschr. 1915. Nr. 5.
16. Steinebach, Ueber die Cerebrospinalflüssigkeit und über die Wirkung
der Lumbalpunktion beim Delirium potatorum. Deutsche med. Wochenschr.
1915. Nr. 13.
17. Schemensky, Lumbalpunktion bei Typhus. Deutsche med. Wochenschr.
1915. Nr. 23.
18. Bier, Versuche über Cocainisierung des Rückenmarks. Deutsche Zeitschr.
f. Chir. 1899. Bd. 51.
19. Quincke, Die Technik der Lumbalpunktion. 1902.
20. Quincke, Ueber Lumbalpunktion. Deutsche Klinik. 1906. Bd. 6. I. Abteil.
21. Juvara, Topographie de la region lombaire en vue de la poncthm du
canal rachidien. La seinaine med. 1907. Nr. 9.
22. Krönig und Gauss, Anatomische und physiologische Beobachtungen beim
ersten Tausend Lumbalanästhesien. Münch, med. Wochenschr. 1907.
Nr. 40 u. 41.
23. v. Bardelcben, Haeckel und Frohse, Atlas der topographischen Ana¬
tomie. 4. Aufl.
24. Stadelmann, Beitrag zur diagnostischen Bedeutung der Lnmbalpunktion.
Berl. klin. Wochenschr. 1895. Nr. 27.
25. Grunert, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Ohrenheilkunde.
Med. Klinik. 1905. Nr. 24.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
363
i
i
26. Nissl, Zur Bedeutung der Lumbalpunktion für die Psychiatrie. Ccntralbl.
f. Xervenheilk. u. Psych. 1904. Bd. 27.
27. Grober, Ueber die Wirksamkeit der Spinalpunktion und das Verhalten
der Spinalflüssigkeit bei chronischem Hydrocephalus. Münch, med. Wochen¬
schrift. 1900. Nr. 8.
2S. Braunstein, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Diagnose intra¬
kranieller Komplikationen der Otitis. Areh. f. Ohrenheilk. 1902. Bd. 54.
H. 1 u. 2.
29. Gumprecht, Therapeutische Technik in Mering's Lehrbuch der inneren
Medizin. 1913. 8. Aufl.
30. Braun, Ueber Lumbalpunktion. Arch. f. klin. Chir. 1897. Bd. 54.
31. Grunert, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Ohrenheilkunde.
Münch, med. Wochenschr. 1905. Nr. 25.
32. Quincke, Ueber Lumbalpunktion. Deutsche med. Wochenschr. 1895.
Yereinsbeil. 25.
33. Fürbringer, Zur Frage der ergebnislosen Lumbalpunktion. Deutsche med.
Wochenschr. 1895. Nr. 45.
34. Landon, Lumbar puncturc in meningitis and allied conditions. Lancet.
1910. 1,2. p. 1056.
35. Naunyn, Diskussion zu v. Ziemsscn: Ueber den diagnostischen und thera¬
peutischen Wert der Punktion des Wirbelkanals. Verhandl. d. Ivongr. f.
innere Med. 1893.
36. Krönig, Histologische und physikalische Lumbalpunktionsbefunde und ihre
Deutung. Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1899.
37. Schlesinger, Therapeutischer und symptomatischer Wert der Lumbal¬
punktion bei der tuberkulösen Meningitis der Kinder. Berl. klin. Wochen¬
schrift. 1906. Nr. 25.
38. Newmark, Ueber iin Anschluss an die Lumbalpunktion eintretende Zu¬
nahme der Kompressionserscheinungen bei extramedullären Bückenmarks¬
tumoren. Berl. klin. Wochenschr. 1914. Nr. 43.
39. Krönig, Zur Lumbalpunktionsbehandlung eitriger meningealer Exsudate.
Deutsche med. Wochenschr. 1902. Vereinsbeil. 7.
40. Gumprecht, Die Gefahren der Lumbalpunktion, plötzliche Todesfälle dar¬
nach. Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 24.
41. Schönborn, Bericht über Lumbalpunktionen an 230 Nervenkranken mit
besonderer Berücksichtigung der Cytodiagnose. Med. Klinik. 1906.
Nr. 23.
42. Caille, Tapping the vertebral canal. New York med. journ. 1895. June.
43. Torkel, Abbrechen der Kanüle bei Lumbalpunktion. Deutsche med.
Wochenschr. 1907. Nr. 49.
44. Anders, Diskussion zu Lunin: Spinalpunktion. St. Petersburger med.
Wochenschr. 1896. Jahrg. 21. Neue Folge. Bd. 13. S. 241.
45. Schmitz, Diskussion zu Lunin: Spinalpunktion. St. Petersburger med.
Wochenschr. 1896. Jahrg. 21. Neue Folge. Bd. 13. 8. 241.
46. Henneberg, Ueber Verletzungen der Cauda cquina durch Lumbalpunktion.
Berl. klin. Wochenschr. 1900. Nr. 13.
47. Minkowski, zitiert in Allard: Die Lumbalpunktion. Ergeb. d. inneren
Med. u. Kinderheilk. 1909. Bd. 3. S. 100.
48. Schultz, Ueber das Hydrocephalusstadium der epidemischen Genickstarre.
Deutsches Arch. f. klin. Med. 1907. Bd. 89.
49) Bogdanovici, zitiert beiMaystrc: Les aceidents de la ponetion lombaire.
These de Montpellier. 1903.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
364
(). S eh (1 n bcc k.
Digitized by
50. Quincke, Zur Pathologie der Meningen. Deutsche Zeitsehr. f. Nerven-
heilk. Bd. 30 u. 40.
51. Fiirbringer, Zur klinischen Bedeutung der lumbalen Spinalpunktion.
Deutsche med. Woeliensehr. 1 SO5. Vereinsbeil. 10.
52. May st re. Les aeeidents de la ponetion lombairc. These de Montpell. 1903.
53. Quincke. l'eber Lumbalpunktion. Berl. klin. Wuehensehr. 1905. Xr.41.
54. Mygirid, Die otogene Meningitis mit besonderer Biieksieht auf die opera¬
tive Behandlumr derselben. Areh. f. klin. Chir. 1910. Bd. 93.
55. Ossipow, L'eber die pathologischen Veränderuiuren, welche in dem Central¬
nervensystem von Tieren durch die Lumbal]>unktion hervorgerufen werden.
Deutsche Zeitsehr. f. Xervenheilk. Bd. 19.
50. Allard, Die Lumbalpunktion. Ergeh. <1. inneren Med. u. Kinderheilk.
1909. Bd. 3. S. 100.
57. Oppenheim, Zum ^Nil nucere“ in der Neurologie. Berl. klin. Wochen-
sehrift. 1910. Nr. 5.
5S. Wulff, Zur Frage der Abducensliihmung nach Lumbalanästhesie. Berl.
klin. Woeliensehr. 1907. Nr. 41.
59) Marineseo. Sur la noeivitc de la ponetion lombairc dans certains eas
de tumeurs cerebrales. Neund. Centralbl. 1910. Bd. 29.
G0. Frank hauser. Erfahrungen über Lumbalpunktion hei Geisteskrankheiten.
Korr.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1907. .lahrg. 37. Nr. 2.
Gl. Kutner. Die Lumbalpunktion in der Diagnostik der Nerven- und Geistes¬
krankheiten und ihre Bedeutung für die allgemeine Praxis. Med. Klinik.
1905. Nr. 30.
62. Milian. Les aeeidents de la ponetion lombairc et les moyens de les eviter.
La semaine und. 1902. Nr. 25.
G3. Chotzen, Die Lumbalpunktion in der psychiatrischen Diagnostik. Med.
Klinik. 190S. Nr. 32 u. 33.
G4. Quincke, Kopltrauma und Spinaldruck. Monatsschr. f. rnfallheilk. u.
Invalidenwesen. 1910. Nr. 10 u. 11.
G5. Dreyfuss, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Diagnostik und
Therapie. Berl. klin. Woeliensehr. 1914. S. 1S5.
0G. v. Zicmssen, Leber den diagnostischen und therapeutischen Wert der
Punktion des Wirbelkanals. Verband!, d. Kongr. f. innere Med. 1893.
67. Lieht heim. Zur Diagnose der Meningitis. Berl. klin. Wochensehr. 1895.
Nr. 13.
OS. Bispal et Pujol. La mort rapide apres la ponetion lombairc. Bef. aus
Toulouse med.. Annee 10. Nr. 10 u. 11 in der Zeitsehr. f. d. ges. Chir.
u. ihre Grcn/.geb. 1914. Bd. 0. H. 4.
09. Förster, Differentialdiagnose zwischen llydrocephalus internus und Tumor
eerebri. Berl. klin. Woeliensehr. 1907. Nr. 35.
70. Klose, Zur radiologischen Topik intrakranieller Tumoren im Kindesalter.
Areh. f. Kinderheilk. 1908. Bd. 48.
71. Fiirbringer, Plötzliche Todesfälle nach Lumbalpunktion. Centralbl. f.
innere Med. 1890. Nr. 1.
72. Beichmann. Der Wert und die Gefahren der Lumbalpunktion. Zeitsehr.
f. d. ges. Xeurol. u. Psyeh. 1912. Bd. 11.
73. Bull. Lumbalpunktion. Bef. Xeurol. Centralbl. 1890. S. 759.
74. Krönig, Diskussion zuLcnhartz (1. e. 4). Verhandl. d. Kongr. f. innere
Med. 1S90.
75. Kernig. Diskussion zu Lunin: Spinaljmnktion. St. Petersburger med.
Woeliensehr. 1890. S. *241.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
365
7P>. Nölke. Beobachtungen zur Pathologie des Hirndrucks. Deutsche med.
Wochcnsehr. 1897. Nr. 39.
77. Wilms, Diagnostischer und therapeutischer Wert der Lumbalpunktion.
Druckbestimmung mit Quecksilbermanometcr. Münch, med. Wochensehr.
1897. Nr. 3.
78. Fürbringer, Zur Klinik der Lumbalpunktion. Yerhandl. d. Kongr. f.
innere Med. 1897. S. 331.
79. Krönig, Diskussion zu Fürbringer, Zur Klinik der Lumbalpunktion.
Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1897.
80. Hochhaus, Uchcr Myelitis acuta. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk.
1899. Bd. 15. 8. 395.
81. Mingazzini, Klinische und pathologisch-anatomische Beiträge zur Dia¬
gnose und Therapie der (lehirngesehwülsle. Deutsche Zeitschr. f. Xerven-
lieilk. 1901. Bd. 19.
82. Leo Müller, 2 Fcälle von tödlicher Blutung aus einem Hirntumor im An¬
schluss an Lumbalpunktion. Jahrbücher d. Hamburgischen Staatskranken¬
anstalten. Jahrg. 1901/1902. Bd. 8.
83. Gay et, Observation d'une tumeur cerebrale avcc essav de decompression
par unc ponction rachidienne. Lyon med. 1903. p. 62.
84. Masing, Zur Anwendung der Lumbalpunktion bei Hirntumoren. St. Peters¬
burg. med. Wochcnsehr. 1904. Xr. 1.
85. Nonne, 29. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen und
Irrenärzte. Areh. f. Psych. 1905. Bd. 39.
86. Pnnnfick, Sitzungsber. der med. Sektion der sehlesisehen Gesellschaft für
vaterländische Kultur. Bcrl. klin. Wochensehr. 1905. Nr. 25. S. 793.
87. Gross, Kasuistischer Beitrag zur Differentialdiagnose des Tumor eerebri
und des chronischen Hydroecphalus. Deutsche Zeitsehr. f. Nervenheilk.
1905. Bd. 29. S. 456.*
88. Breton, Mi net, Train blin. zitiert bei Lavoix, La mort suite de la
ponction lombairc. These. Lille 1909.
89. Hu her, Diskussion zu Förster. Differentialdiagnose zwischen Hydro-
cephalus internus und Tumor eerebri. Herl. klin. Wochcnsehr. 1907. Nr. 35.
90. De Lapersone et Cerise, zitiert bei Lavoix, La mort suite de la
ponction lombairc. These. Lille 1909.
91. Lesne et Roy. Gliome kysthjue du cervelet. lief, im Centralbl. f. Neurol.
1909. S. 93.
92. Sergent et Grenet. zitiert bei Lavoix, La mort suite de la ponction
lombaire. These. Lille 1909.
93. Minet et Etienne Verhaeghc, zitiert bei Lavoix. La mort suite de la
ponction lombaire. These. Lille 1909.
94. Hennig. Die Lumbalpunktion bei Hirntumoren. Inaug.-Dissert. Greifs¬
wald 1908.
95. Bever, Plötzlicher Exitus letalis nach Hirnpunktion und Lumbalpunktion
bei einem Fall von otogenem Hirnabscess. Zeitsehr. f. Ohrcnheilk. 1909.
Bd. 57. H. 4.
96. Breton et Gaehlinger, zitiert bei Lavoix, La mort suite de la ponction
lombaire. These. Lille 1909.
97. Haussen. Om dodsmaaden ved pludseligc dodsfald efter lumbalpunktion
med kasuistiske bidrag til den letale rcspiratioiisparalvse. Norsk Magazin
for Laegevidenskaben. 1910. No. 9.
98. C ursch mann, Einige Indikationen und Kontraindikationen der Lumbal¬
punktion. Deutsche med. Wochensehr. 1910. Nr. 39.
Digitized by
Gck igle
Original frurn
UNIVERSUM OF IOWA
366
<>. Schön bock,
Digitized by
99. Spill er, Ein plötzlicher Todesfall nach Lumbalpunktion durch Gehirn¬
blutung. Deutsche militärärztl. Zeitschr. 1911. Bd. 40. S. 164.
100. van Li er, Zur Frage der Sticheiterung nach Lumbalpunktion. Mitteil. a.
d. Grenzgebieten d. Med. u. Chir. 1912/1913. Bd. 25. S. 132.
101. Raven, Die Bedeutung der isolierten Ei Weissvermehrung und der Xante -
ehromie des Liquor cerebrospinalis für die Diagnose von Kompression des
Rückenmarks. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1912. Bd. 44. S. 3S0.
102. Wein 1 and er, Apoplexie mit letalem Ausgang bei Urämie. Wiener klin.
Wochensehr. 1913. Xr. 48.
103. Rcnsch, Ein Fall von Exitus nach Lumbalpunktion. Med. Klinik. 1913.
Xr. 26.
104. Barth. Chirurgische Behandlung der eitrigen Meningitis. Areh. f. klin.
Chir. 1914. Bd. 105. S. 651.
105. Fon zu, Caso di morte in seguito a puntura loinbare in un bambino affetto
da meningite cerebro-spinale. La Pediatria. 1914. Fase. 4.
106. Giorgi, Pericoli della puntura lurnbare nelle fratture della base del cranio.
Rivista ospedaliera. 1914. Yol. 4. No. 1.
107. Eichelberg, Die Bedeutung der Untersuchung der Spinalflüssigkeit.
Med. Klinik. 1912. Nr. 29.
108. Schlesinger, Diskussion zu Marinesco (1. c. 59).
109. Reichmann, Zur Technik der Lumbalpunktion und der Untersuchung des
Liquor cerebrospinalis. Münch, med. Woehenschr. 1912. Nr. 9.
110. Henle, Handbuch der Nervenlehre des Menschen. 1871. Bd. 1.
111. Goldmann, Experimentelle Untersuchungen über die Funktion der Plexus
chorioidei und der Hirnhäute. Arch. f. klin. Chir. 1913. Bd. 101. S. 735.
112. Grashey, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Blutcirculation in
der Schädel-Rückgratshühle. München 1892. Festschrift f. Büchner.
113. Propping, Die Mechanik des Liquor cerebrospinalis und ihre Anwendung
auf die Lumbalanästhesie. Mitteil. a. d. Grenzgebieten d. Med. u. Chir.
Bd. 19. H. 3.
114. Walter, Studien über den Liquor cerebrospinalis. Monatssohr. f. Psvch.
u. Neurol. 1910.
115. Minet, La mort subito de la ponction lombaire. Journ. de med. de Paris.
1914. No. 16. p. 312.
116. Reich mann, Ist die Lumbalpunktion für den Menschen gefährlich?
Sitzungsbericht d. naturwissenschaftlich-medizinischen Gesellschaft zu Jena.
Ref. Münch, med. Woehenschr. 1912. Nr. 30.
117. Quincke, Ueber die therapeutischen Leistungen der Lumbalpunktion.
Therapeut. Monatshefte. 1914. Juli.
118. v. Beck, Ueber Punktion der Gehirnscitenventrikel. Mitteil. a. d. Grenz¬
gebieten d. Med. u. Chir. 1896. Bd. 1. S. 247.
119. Gross mann, Kasuistisches zur Lumbalpunktion und zur circumskripten
Meningitis. Arch. f. Ohrenheilk. 1904. Bd. 64. H. 1.
120. Lenhartz, Diskussion zu Fürbringer, Zur Klinik der Lumbalpunktion.
Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1897.
121. Krannhals, Zur Kasuistik meningitisähnlicher Krankheitsbilder ohne ent¬
sprechenden anatomischen Befund. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 54.
122. Reichmann, Die Prognose und Therapie der Meningitis. Münch, med.
Woehenschr. 1913. Nr. 25.
123. Oppenheim, Encephalitis und Hirnabeess. 1897.
124. Borehardt, Akute progrediente Encephalitis, akute cireumskripte Meningitis
und Meningocnccphalitis Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1914. Bd. 127. S. 417.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gefahren der Lumbalpunktion.
367
125. Bönninghaus, Die Meningitis serosa aeuta. Wiebaden 1897.
126. Tuffier, Diskussion /.r Putherat, Fraeture de la base et ponction lom-
baire. Soc. de chir. 8. Nov. Bull, de la soe. de chir. de Paris. 1905.
T. 31.
127. Keymond, zitiert von Pothcrat in der Diskussion zu Potherat, Fraeture
de la base et ponction lombaire. Soc. de chir. 8. Nov. Bull, de la soc.
de chir. de Paris. 1905. T. 31.
128. Martin, De la ponction lombaire; les dangers qu'elle peut presenter dans
les affections organiques des centres nerveux. Lyon med. 1898.
129. Lavoix, La mort suite de la ponction lombaire. These. Lille 1909.
130. Sei ff er, Die Lumbalpunktion bei Geistes- und Nervenkrankheiten. Med.
Klinik. 1908. Nr. 5.
131. Holz mann, Diagnostische und therapeutische Lumbalpunktion. Allge¬
meine Chirurgie der Gehirnkrankheiten von F. Krause. 2. Teil. (Neue
deutsche Chirurgie. Bd. 12.)
132. Stintzing, Handbuch der gesamten Therapie von Penzoldt und
Stintzing. 5. Auflage.
133. Sei ff er, Diskussion zu Förster (zit. 69).
134. Sicard, La ponction lombaire aux tumeurs cerebrales. Presse med. 1908.
p. 704.
135. Neisser, Lumbalpunktion und Hirnpunktion. Handbuch der Neurologie
von Lcwandovrsky. 1910. Allgemeine Neurologie. 2. Teil.
136. Hatzfeld, zitiert bei Curschmann (zit. 98).
137. Meitzer, Pharyngeale Insufflation. Berl. klin. Woehenschr. 1915. Nr. 17.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
XII.
Zar Frage der Hernia pectinea.
von
Dr. Friedrich Kempf (ßraunsehweig).
Von Callisen im Jahre 1777 zuerst beobachtet, durch
Cloquet 1817 genauer beschrieben und in ihrer Eigenart gewürdigt,
darf die Hernia pectinea selbst in unserer operations- und schreib¬
frohen Zeit noch als pathologische Seltenheit gelten, lässt sich
doch nach den letzten einschlägigen Arbeiten berechnen, dass seit
Callisen’s Tagen nicht mehr als 19 Fälle von Cloquet’scher
Hernia bekannt geworden sind. In einem gewissen Verhältnis zur
Dürftigkeit dieser Zahl, steht die Summe dessen, was die Erfor¬
schung dieser Bruchform zum gesicherten Besitz ärztlichen Wissens
gemacht hat. Noch immer harren Fragen der Diagnostik und vor
allem der Pathogenese der Hernia pectinea ihrer erschöpfenden
Lösung. Ihnen näher zu treten, gab mir ein kürzlich im Helm-
stedter Krankenhaus St. Marienberg in Vertretung des erkrankten
Chefarztes Herrn Dr. Denecke behandelter Fall Gelegenheit, der
folgendermassen verlief:
Sch, M., 51jährige Ehefrau aus U., aufgen. am 4. 3. 1915, leidet seit acht
Tagen an Stuhlverhaltung und Erbrechen. In den letzten Tagen war das Er¬
brochene sehr übelriechend. Früher ist die Frau stets gesund gewesen, hat
insbesondere keine Blinddarm- oder Gallenblasenerkrankungen durehgemaeht,
ist auch in letzter Zeit nicht wesentlich abgemagert. Der behandelnde Arzt
schickt sie mit der Diagnose: Ileus.
Befund: Frau in gutem Ernährungszustände, leidet an Aufslossen uml
zeitweiligem Erbrechen kotig riechender, gelbbrauner Flüssigkeit. Bauch im
ganzen aufgetrieben, Leber nach oben verschoben. Durch die Bauchdecken
die gesteiften Dannschlingen fühlbar, sonst nirgends eine deutliche Resistenz.
Feber dem ganzen Abdomen tvmpanitischer Schall, überall Darmgeräusche von
metallischem Beiklang hörbar. Blinddarm- und Gallenblasengegend nicht druck¬
empfindlich. ln der Gegend des rechten Sehcnkclkanals eine kleiuapfelgrosse,
bewegliche Geschwulst, die schon lange bestehen soll, sieh auf Druck nicht
verkleinert, vollständig schmerzlos ist und den Eindruck eines Drüsentuinors
macht. Die übrigen Bruchpforten leer. Per rectum nichts Abnormes zu fühlen,
durch Klysma weder Stuhlgang noch Abgang von Blähungen zu erzielen. Die
"Magenspülung ergibt fäkulenten Inhalt.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Frage der Hernia pectinea.
369
Operation: In Narkose wird ein Längsschnitt über den erwähnten Tumor
geführt und eine aus entzündlich verlöteten Lymphdrüsen und Fettgewebe
bestehende über walnussgrosse Geschwulst isoliert, die auf dem M. pectineus
vor dem Schenkelkanal liegt. Da diese Geschwulst keinen Bruchsaek enthält,
auch keinen Fortsatz in den Schenkelkanal entsendet, wird sie exstirpiert.
Darunter erscheint jetzt die normal aussehende Faszie des Al. pectineus leicht
voriretrieben. Nach ihrer Spaltung findet man im Muskelfleisch des Pectineus
einen bläulich durchscheinenden etwa 5 cm langen Bruchsack, der oben mit
einem kleinfingerdicken Stiel in den Schenkelkanal mündet. Im Bruchsack
kein Bruchwasser, aber eine dunkelrot gefärbte Dünndarmschlinge, die sich erst
nach Einkerbung des Lig. Gimbernati vorziehen Lässt. Alan bemerkt nun
oberhalb des einen Schnürrings am zuführenden blaurot: verfärbten Darmschcnkel
eine stecknadelkopfgrosse Porforationsstelle, aus der sieh dünnflüssiger Kot
entleert. Daher sofort Resektion einer etwa 20 cm langen, hämorrhagisch in-
farciertcn Diinndarmschlingc und Reposition des circular genähten Darms. Das
Peritoneum bleibt offen und wird durch die Wunde locker tamponiert.
Verlauf: Am 5. 3. Puls 80, regelmässig, voll. Temperatur normal.
Kein Erbrechen mehr. Allgemeinbefinden gut. Daringeräusche hörbar, aber
kein Abgang von Stuhl oder Blähungen. 7. 3. Bauch bei sonst leidlichem
Befinden und gutem Puls noch immer aufgetrieben. Einläufe und Physostigmin-
injektionen gegen die Stuhlverhaltung wirkungslos. 8. 3. Puls frequenter.
Alle Massnahmen zur Darrnentleerung ohne Erfolg. Beim Verbandwechsel be¬
merkt man im Tampon etwas flüssigen Kot. Daher Entfernung desselben, Ein¬
führung eines dünnen Glasrohrs in die offenbar an der Resektionsstelle ent¬
standene Darmfistel und Versuch einer Darmspülung. Es werden dadurch nur
ganz geringe Mengen Darminhalt entleert. Danach zunehmender Verfall und
Tud der Frau am 9 3. Sektion nicht vorgenommeu.
Den Praktiker interessiert die Hernia pectinea vor allem von
der diagnostischen Seite. Man würde aber in Verlegenheit kommen,
wenn man aach nur ein einziges Symptom angeben sollte, das mit
einigermassen hoher Wahrscheinlichkeit das Vorliegen dieses
Bruches verriete. Für die Palpation sind die Brüche meistens zu
klein und zu wenig gegen die Umgebung abgegrenzt, denn sie
liegen unter einer glatten Faszie und unterscheiden sich in der
Konsistenz kaum von der sie umschliessenden Muskulatur. Die
Inspektion versagt unter solchen Umständen gänzlich. Druck-
erapfmdlichkeit fehlt nach den in der Literatur niedergclegten Auf¬
zeichnungen auffallenderweise so gut wie immer. Es ist also kein
Wunder, wenn man die Hernia pectinea vor der Operation eigent¬
lich noch nie sicher festgestcllt hat und bestenfalls zu einer
Wahrscheinlichkeitsdiagnose gekommen ist. In meinem Falle habe
ich diese Erfahrungen nur bestätigen können. Mangels irgend¬
welcher anamnestischer Angaben über früher durehgemachte ent¬
zündliche Abdominalerkrankungen und bei dem negativen Ausfall
der ersten flüchtigen Untersuchung war ich geneigt, einen Obturations-
ileus durch einen malignen Tumor anzunehmen, wenn mich nicht
das plötzliche Einsetzen der schweren Okklusionserscheinungen
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
370
F. Kempf.
Digitized by
stutzig gemacht und zu einer nochmaligen Revision der Bruch¬
pforten veranlasst hätte. Dabei fand ich den erwähnten Tumor
in der rechten Schenkelbeuge. Zwar konnte ich mich nicht ent-
schliessen, diesen Tumor selbst als Herniengeschwulst anzusehen,
denn ein so deutlich fühlbarer Bruch hätte nach seiner Einklemmung
druckempfindlicher sein müssen, er hätte auch mit einem dünneren
oder dickeren Stiel dem Schenkelkanal fest aufsitzen müssen, statt
sich relativ gut über der Unterlage verschieben zu lassen. Auf
den Gedanken einer Hernia pectinea bin ich auch nicht gekommen,
weil ich erstens nur sehr unbestimmte Vorstellungen von dieser
seltenen Hernienart hatte und tiefer Druck, den ich angewandt
habe, um die mir bekanntere-obturatorisehe Hernie auszuschliessen,
ganz schmerzlos war. Eine Untersuchung in starker Flexions- und
Adduktionsstellung des Oberschenkels, wie sie Axhausen empfiehlt,
habe ich allerdings nicht vorgenommen, vielleicht hätte sie die
Diagnose nicht wesentlich gefördert, da mein Fall ungünstiger lag,
als der Axhausen’s, bei dem man von vornherein die erkrankte
Schenkelregion eine Spur voller als die der anderen Seite und
unmittelbar unter dem Pou part’schen Bande eine Verdichtung des
Gewebes fand. Aber so irreführend das Ergebnis meiner genauen
Untersuchung sein konnte, so konnte es mich doch nicht verleiten,
die einmal aufgenomraene Spur zu verlassen und den erhobenen
Befund als gleichgültig für die Deutung des Krankheitsbildes an¬
zusehen. Mein Gedankengang war folgender: Im klinischen Bild
spricht vieles für eine eingeklemmte Hernie. Der Untersuchung
bietet sich als das einzig Abnorme das Drüsenpaket am rechten
Schenkelkanal. Es liegt also immerhin nahe, zwischen dieser
scheinbar harmlosen Anomalie und den schweren Ileussymptomen
doch einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen. In dieser
Erwägung führte ich statt der anfangs geplanten Enterostomie die
typische Herniotomie aus, und die Operation lehrte mich die dia¬
gnostische Bedeutung des Drüsentumors, indem sie mir seine Be¬
deutung für die Entstehung der Hernia pectinea enthüllte.
Die Frage, wie entsteht die Hernia pectinea, hat schon
manches Kopfzerbrechen verursacht. Körte nimmt für das Zu¬
standekommen der Hernie eine abnorme Insertion der Fascia
pectinea am oberen Rande des Schenkelkanals an. Diese Erklärung
mag für manche Fälle zutreffen, ihre Allgemeingültigkeit darf man
bezweifeln, weil die Krankengeschichten auch der genauer be¬
schriebenen Fälle von Cloquet’scher Hernie den Beweis für das
häufigere Vorkommen dieser Anomalie vermissen lassen. Aehnlich
der Körte’sehen und doch in wesentlicher Beziehung von ihr ver¬
schieden ist die Anschauung, die sich Harzbecker auf Grund
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Krage <ler Hernia jiretinea.
371
eines operierten Falles und nach Leichenuntersuchungen von der
Entwicklung unserer Hernie gebildet hat. Harzbecker glaubt
festgestelit zu haben, dass sich die Fascia pectinea in ihrem
medialsten Abschnitt vom Muskel abhebt und am Lig. Poup. an-
setzt, nimmt also für einen Teil der Faszie ein Verhalten als
normal an, das Körte für die ganze Fascie als Ausnahmefall be¬
trachtet. Nach Harzbecker kommt dann die Flernia pectinea
dadurch zustande, dass der ßruchsack das Lig. Gimb. durchdringt,
wofür die häufig in diesem Ligament anzutreffenden Gefässlücken
besonders günstige Bedingungen schaffen sollen. In der Forderung
des Durchtritts durch das Lig. Gimb. liegt die Schwäche der
Harzbecker’schen Theorie, denn mit dieser Annahme bleibt eine
grosse Zahl oder besser gesagt die Mehrzahl der Cloquet’sehen
Hernien unerklärt. Es mag sein, dass eine sieh vergrössernde
Hernia Ligamenti Gimbernati, wie der von Harzbecker als
Vorstufe der Hernia pectinea geforderte Bruch meist genannt wird,
stets unter die Fascia pectinea gelangt. Darauf kommt es aber
nicht an; was wir wissen müssen, ist, warum sich die gewöhnliche
Kruralhernie in eine Cloquet’sche Hernie verwandelt, denn man
braucht nur die einschlägige Literatur aufmerksam durchzusehen,
— ich empfehle zur Lektüre ausser den wenigen neueren Arbeiten
besonders die Zusammenstellung von Dege — um zu erkennen,
dass letzteres die Regel, die Entwicklung aus der erst genannten
Hernie dagegen die Ausnahme bildet.
Einfacher stellen sich andere Autoren wie Linhart und
Tillmanns die Entwicklung der Hernia pectinea vor. Sie sehen
in Spaltbildungen, besonders in Gefässlücken, die die Faszie des
M. pectineus durchsetzen, das ursächliche Moment für das Auf¬
treten dieses seltenen Bruches. Die präformierten Faszienlöcher
sollen durch den sich vordrängenden Peritonealkegel allmählich so
stark ausgeweitet werden, dass der Bruchsack hindurchzutreten
und sich subfaszial in der nachgiebigen Muskulatur auszudehnen
vermag. Ich will die Bedeutung dieser Gefässlücken nicht gering
einschätzen, aber unverständlich bleibt mir doch, warum sich der
Bruchsack der langwierigen und mühsamen Arbeit der Dilatation
eines engen Faszienloches unterziehen sollte, wo es viel leichter
für ihn ist, sich oberhalb der Faszie in dem lockeren Bindegewebe
des Schenkelkanals zu vergrössern. Auch physikalische Erwägungen
sprechen dagegen. Dege hat mit vollem Recht darauf aufmerksam
gemacht, dass der vorwärts schreitende Bruchsack, um subfaszial
zu gelangen, eine vollständige Aenderung seiner ursprünglichen
Richtung vornehmen muss. Die den Schenkelbruch vortreibende
Kraft wirkt nämlich beim aufrecht stehenden Menschen senkrecht
Archiv für klin. Chirurgie* B<1. 107. lieft *J. 2f)
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
F. KlMHpf.
Digitized by
372
nach unten bzw. parallel zur Pectineusfaszie. Für die Umwandlung
der Schenkelhernie in die Hernia pectinea ist demnach eine neue
Kraftkomponente erforderlich, die zur Faszie des Pectin6us senk¬
recht gerichtet ist. Dege will also den besagten Faszienlücken
nur eine prädisponierende Bedeutung zuerkennen. Seine physika¬
lischen Ueberlegungen zwingen ihn zu der Annahme, dass die
Hernia pectinea nur bei stark gebückter Körperstellung auftreten
könne, und in konsequenter Weiterentwicklung dieser Theorie meint
er, dass das Leiden hauptsächlich Frauen der unteren Bevölkerungs-
schichten beträfe, die beim Scheuern und anderen häuslichen Ver¬
richtungen zu dieser ungünstigen Haltung gezwungen seien. Ich
kann mich mit der Degc’sehen Erklärung der Entstehung unserer
Hernie nicht befreunden. Nach den Literaturangaben scheinen
zwar Frauen in der überwiegenden Mehrheit von der Hernia pectinea
befallen zu werden, was natürlich damit zusammenhängt, dass
Frauen auch häufiger als Männer an Schenkelbrüchen leiden: ob
es sich aber immer um schwer arbeitende, ihre Tätigkeit vorzugs¬
weise in gebückter Stellung verrichtende Frauen gehandelt hat.
vermag ich nicht mit Sicherheit festzuslellen. So viel darf man
aber wohl behaupten, dass, wenn die Dege'sehe Erklärung zu¬
träfe, die Hernia pectinea viel häufiger sein müsste, als sie es tat¬
sächlich ist. Ihr Vorkommen könnte sich auch nicht nur auf die
arbeitenden Klassen beschränken. Man mache sich doch klar, dass
dieselben physikalischen Bedingungen, die bei gebückter Kumpf¬
haltung eintreten, auch durch Bewegungen der unteren Gliedmassen
hergestellt werden können. Jede stärkere ßeugehaltung des Beines
im Hüftgelenk, wie sie z. B. beim Sitzen unvermeidlich ist, müsste
den Träger eines Schenkelbruchs in Gefahr bringen, eine Hernia
pectinea zu erwerben, und so müsste dieser Bruch dem Arzt eine
fast alltägliche Erscheinung sein.
Mich dünkt also, dass die Dege’sche Anschauung mit den
Tatsachen schwer in Einklang zu bringen ist. Es wundert mich
überhaupt, dass Dege für die Erklärung der Hernia pectinea gerade
diesen Weg gegangen ist, während er eine andere mit den physi¬
kalischen Gesetzen gleichfalls gut in Einklang zu bringende Idee,
die er auch in den Kreis seiner Betrachtung zieht, sofort wieder
fallen lässt. Dege gibt zu, dass theoretisch die Ausbildung
der Cloquersehen Hernie auch auf das Auftreten eines erheb¬
lichen Widerstandes im Schenkelkanal zurückgeführt werden könne,
findet aber für ein solches Moment, „das man z. B. in einer durch
entzündliche Prozesse hervorgerufenen Umwandlung des lockeren,
den Raum zwischen Faseia lata und Fascia pectinea ausfüllenden
Zellgewebes und der dadurch bedingten narbigen Verwachsung der
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Krau«' < 1 <■ r Hem in iicrtinca.
373
beiden Faszienblätter sehen könnte“, in den Operations- und Ob¬
duktionsbefunden der publizierten Fälle keinerlei Anhalt.
Ich bin entschieden anderer Ansicht als De ge. Den erwähnten
entzündlichen Vorgängen lege ich nicht bloss eine theoretische Be¬
deutung bei, sondern erblicke darin die wahre Ursache der Ilerniu
pcctinea in meinem sowohl wie in dem Dege’schen Falle. Beim
Durchlesen der von Doge ausführlich wiedergegebenen Kranken¬
geschichte muss doch sofort auffallen, dass das Zellgewebe des
Schenkelkanals keineswegs normales Verhalten zeigte. Um an die
Bruchgeschwulst heranzukommen, musste der Operateur einen aus
Drüsen und dicken Lvmphsträngen bestehenden Tumor von der
Fossa ovalis abpräparieren. Ist damit nicht der Dege’schen
Forderung nach einer durch entzündliche Prozesse hervorgerufenen
Xellgewebsumwandlung vollauf Genüge geschehen? Und ist nicht
solch’ ein ausgesprochen pathologischer Nebenbefund eher geeignet,
eine seltene ßruchanomalie zu erklären, als eine durchaus im
Rahmen des Physiologischen liegende Körperhaltung? Genau das¬
selbe abnorme Verhalten des Bindegewebes konnte ich nun bei der
von mir operierten Kranken feststellen. Auch hier fanden sich die
Uvmphdrüsen der Fossa ovalis zu einer geschwulstartigen Masse
verbacken und fest verlötet mit der von der Fascia lata bzw.
eribrosa nicht mehr zu trennenden Faszie des M. pectineus. Noch
unter dem frischen Eindrücke dieses Befundes und ohne damals
die bisherigen Anschauungen über die Genese der Hernia pcctinea
zu kennen, legte ich mir die Beziehungen zwischen Drüsenpaket
und Hernie in folgender Weise zurecht: Die Frau hatte früher eine
wegen ihrer Geringfügigkeit nicht beachtete Infektion im Quell¬
gebiet der inneren Inguinaldrüsen durchgemacht, die genügt hatte,
eine dauernde Schwellung dieser Drüsengruppe mit Fixation an die
entzündlich verklebten und allmählich narbig veränderten Faszien
der Fossa ovalis zu bewirken. In der Folge war ein typischer
Schenkelbruch aufgetreten, der zunächst den üblichen Weg durch
den inneren Schenkelring nahm, nachdem er aber den Schambein¬
kamm passiert hatte, beim Versuche sich weiter abwärts auszu¬
dehnen; auf den mit der Unterlage verklebten Drüsentumor stiess.
S<> war der Weg nach unten verlegt, und ebenso verhinderte die
entzündlich verdickte straffe Oberschenkelfaszie ein Ausweichen der
Hernie nach vorn oder um das Big. Poup. herum nach oben. Als
einzige Möglichkeit, sich zu vergrössern, blieb dem Bruchsack nur
der Ausweg nach hinten gegen die schwache Faszie des Pectineus.
Diese zarte Membran konnte dem Druck des wachsenden Bruches
nicht standhaltcn. Sic gab nach, wurde an einer vielleicht durch
eine Gefässliicke prädisponierten Stelle perforiert, und nun wühlte
J.'i -
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
374
K. Kumpf,
Digitized by
sich der Bruch ein Lager zwischen den weichen Schichten der
Muskulatur.
Also die Entzündung subinguinaler Lvmphdrüsen, vorzugsweise
der medialen Gruppe, der oberflächlichen sowohl wie besonders
der tieferen und Verwachsungen des Drüsenpakets mit der Faseia
peetinca mache ich in dem von mir beobachteten Falle für die
Ausbildung der Hernia pcctinea verantwortlich. Dabei muss vor¬
ausgesetzt werden, dass die Verklebung des Drüsentumors mit der
Unterlage nicht die ganze Faszie betrifft, sondern dass der obere,
dem Pecten pubis angrenzende Abschnitt von stärkeren entzünd¬
lichen Veränderungen frei bleibt. Bei einer festen Verhütung der
derben Drüsenmasse mit den obersten Faszienpartien würde ja
weder ein Schenkelbruch noch eine Hernia pectinea auftreten
können. Dass diese Voraussetzung in meinem Falle gegeben war.
brauche ich nicht noch besonders hervorzuheben.
Wenn ich nun annehme, dass die besprochenen Umstände in
meinem Falle die Cloquct'sche Hernie bedangt haben, so sasre
ich damit nicht, dass derartige pathologische Veränderungen immer
die Ursache solcher abnormen Hernicnbildung sein müssen. Ich
linde bei einer grossen Zahl der publizierten Fälle keine Notiz in
der Krankengeschichte, die mir erlaubte, meiner Erklärung Allge¬
meingiltigkeit zuzusprechen. Aber muss denn die Hernia pectinea
immer auf dieselbe Weise Zustandekommen? Ich vermute, man
darf von ihr dasselbe behaupten, wie von nicht wenigen anderen
pathologischen Erscheinungen. Je mehr man sich mit den Pro¬
blemen ihrer Entstehung beschäftigt, desto mehr gewinnt man die
Ueberzeugung, dass man den Tatsachen Gewalt antun würde, wenn
man ihre gewiss mannigfachen Entwicklungsmöglichkeiten in das
Prokrustesbett einer kurzen Formel zwängt. Immerhin möchte ich
feststellen, dass der von mir erhobene Befund nicht beispiellos in
der Literatur dasteht, und dass so, wie ich mir die Entstehung der
Hernia pectinea denke, sehr wohl auch andere bekannt gewordenen
Fälle gedeutet werden können. In diesem Sinne habe ich weiter
oben schon den Fall von Dege besprochen. Auch an die älteste
Beobachtung einer Hernia pectinea, die von Calliscn, möchte ich
in diesem Zusammenhang erinnern. In der Beschreibung seine.'
klassischen Falles lesen wir, dass Calliscn bei der Untersuchuni.'
der Patientin einen kleinen, gut beweglichen, wenig druckempfind¬
lichen Tumor der Schenkelgegend fand. Bei der Operation erwies
sich diese Geschwulst aber nicht als Hernie, sondern als sub¬
kutanes Drüsenpaket. Calliscn wollte nun die Diagnose Schenkel-
liernie aufgeben und einen Ileus aus anderer Ursache annehmen.
Do'-h die bestimmten anamnestischen Angaben der Kranken veran-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Frair' 1 der llcrnia |K“rtim , ;i.
375
lassten ihn, weiter in die Tiefe vorzudringen, worauf er nach müh¬
samem (wohl durch die entzündlichen Veränderungen bedingtem!
Präparieren den in der Muskulatur gelegenen Bruchsack freilegte.
Ich denke, das ist genau das Bild, das ich bei meiner Patientin
gefunden habe, und ich sehe nicht ein, warum Dege in dem
Callisen'schen Falle eine Stütze seiner Theorie erblickt. Wie
Calliseu berichtet, traten zwar bei seiner Kranken die zur Ope¬
ration führenden Beschwerden nach einer Schmauserei beim Be¬
steigen eines Wagens auf, und Dege sehliesst daraus, dass an der
Entstehung des Bruches der Austritt der Eingeweide bei gebeugtem
Oberschenkel schuld gewesen sei. Nach meinem Dafürhalten kann
das Besteigen des Wagens höchstens für die Einklemmung des
Bruchinhalts verantwortlich gemacht werden, für die Entstehung
des Bruches dagegen bzw. die Einbettung des Bruchsackes in den
M. pectineus konnte dies Moment schon deshalb keine Bedeutung
haben, weil cs sich nach der Krankengeschichte um ein altes Leiden
gehandelt hat, das bereits mehrfach zu Inkarzerationen Anlass ge¬
geben hatte. Ich halte cs auch in dem Callisen’schen Falle für
viel wahrscheinlicher, dass das Drüsenpaket das Hindernis abge¬
geben hat, das den ursprünglichen Schenkelbruch vcranlasstc, seine
Richtung zu ändern und sich in eine Hernia pectinea umzuwandeln.
In dem Bericht über einen anderen Fall von Cloquet’.scher
Hernie, den John Adams im Jahre 1856 beobachtete, fiel mir
gleichfalls auf, dass die Anwesenheit einiger beweglicher, etwas
vergrössertcr Lymphdrüsen hervorgehoben wird. Mangels präziser
Angaben über den Operationsverlauf möchte ich es aber dahin¬
gestellt sein lassen, ob der von mir angenommene Mechanismus
auch hier bei der Ausbildung der Hernie wirksam gewesen ist.
Dasselbe gilt von den Beschreibungen anderer Autoren, die auf die
Schilderung der anatomischen Befunde zu geringes Gewicht gelegt
haben. Wenn aber ein Teil der Fälle von Hernia pectinea auf die
angegebene Weise am besten erklärt wird, so wird man die ge¬
schilderten Verhältnisse bei der Untersuchung und Beurteilung ver¬
dächtiger Fälle nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Auf die
Schwierigkeiten der Diagnose und den Mangel jeglicher charakte¬
ristischer Symptome der Oloquet/schen Hernie habe ich schon
hingewiesen. In gewissem Sinne wird der dem Bruch vorgelagerte
Drüsentumor diese Schwierigkeiten noch vermehren. Er kann sie
aber auch wiederum erleichtern, wenn man sich in Fällen unklarer
Darmokklusion erinnert, dass ein Paket entzündlich verbackener
Drüsen eine der Ursachen darstellen kann, die zu solch abnormer
Bruchbildung führen. So wird eine bessere Einsicht in das Wesen
und die Bedingungen der Hernia pectinea auch unseren Kranken
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
376
F. K cnipf. Zu r Franc der ITernia peetinea.
Digitized by
zuiruti* kommen und dazu beitragen, die erschreckend hohe Morta¬
lität der Einklemmung dieses Bruches durch eine frühzeitige Dia¬
gnose zu verringern.
Die Literatur iiFer Hrmia periinea i>t Fis zum Jahn* 1907 lud De^e. Ilt*rn:a
eruralis peciinen sivr Chupieti. Herl. klin. Woelienselir. 1907. >. Uol
vnllsilimlin zusainmt‘ui:»‘slc||t. Von nnn'mi Arl»eilen nenne ifli:
O. II a r/ I»ee k er. Fetter die Kntstehunn der llernia peetinea. Deutsche m«*«i
Wnclieiisrlir. 191.'». \r. Id. S. 744.
Manlelli. t’andido. Kieerelie anatomielie a proposito dell* ernia pettima.
(iaz. drnü nsp. i.* delle elin. 1913. Vul. 34. p. 133. (Kef. im (VntralC.
f. d. n»‘>- Cliir. u. ihn* tiren/nel». 1913. I>d. 1. S. *221. - Dell' eniia
pettinea. Folielinien. 1913. Amu» 20. No. 5. p. 203. (IM. im Cenirail'I.
f. d. nes. Cliir. u. ihre (irenznel». 1913. I3d. 2. S. 232.)
K. \. liedwilz. heiter einen Falt vun llernia peetinea. Ileitr. /.. klin. Cliir.
1914. IM. SS. S. 725.
Gch igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
XIII.
Erwiderung auf Kempf’s Veröffentlichung
„Zur Frage der Herma pectinea“.
Von
0. Harzbeeker (Berlin).
I. Was zunächst die in der Kein pUschen Arbeit erwähnte •
Verschiedenheit der Anschauungen Körte’s und der raeinigen an-
betrilTt, möchte ich folgendes zur Richtigstellung entgegnen:
Körte nahm an, dass bei dem Bestehen einer Hernia pectinea
eine anormale Insertion der Fascia. pectinea vorliegt, und zwar der¬
art, dass die Fascia pectinea, die normalerweise am Beeten ossis
pabis ansetzt, im Ausnahmefall, also beim Vorhandensein der in
Frage stehenden Hernie, ihre Insertion am Poupart’schen Bande hat.
Durch Leichenuntersuchungen habe ich nachgewiesen, dass der
vor Körte als anormal angenommene Befund für den medialen
Teil der Fascia pectinea die Norm ist, d. h., die Fascia pectinea
verlässt tatsächlich in ihrem medialen Teil den Musculus pectineus
schon an der vorderen Kante des horizontalen Schambeinastes und
heftet sich am Ligamentum Pouparti, im spitzen Winkel zum Li¬
gamentum Gimbernati an.
Demnach besteht also keine Verschiedenheit zwischen der
Körte'schen und meiner Erklärung der Hernia pectinea; denn so¬
wohl Körte wie ich sind der Ansicht, dass ein Bruchsack nur
dann unter die Fascia pectinea gelangen kann, wenn diese Faszie
am Ligamentum Pouparti inseriert.
II. Nach dem Obduktionsbefund des von mir veröffentlichten
Falles von Hernia pectinea im 16. Heft der Deutschen medizinischen
Wochenschrift 1913 und nach meinen Untersuchungen an der Leiche
liegt die Bruchpforte der Hernia pectinea garnicht im Annulus cru-
ralis, sondern median davon im Ligamentum Gimbernati. Die Hernia
pectinea ist also nicht, wie Kempf in seiner Arbeit noch anzu¬
nehmen scheint, eine verwandelte Kruralhernie, sondern eine Hernie
sui generis. Ein von der Bauchhöhle aus durch das Gimbernat'sehe
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
378 0. Ha r/.brrlx <m\ Krwblmmi: aut Kampfs ViTüflVntlirlmnir usw.
Digitized by
Band gestossenes stumpfes Instrument kommt nicht oberhalb, son¬
dern unterhalb der Fascia pcctinea heraus und dringt lief in die
Fasern des Musculus pectineus ein.
Im Urban-Krankenhause wurden bisher 5 Fälle von Ilernia
pcctinea operiert, bei denen niemals eine Beeinflussung des vom
Bruehsackc eingcsehlagenen Weges durch entzündliche Verwachsun¬
gen auf der Fascia pcctinea oder durch vorgelagerte Drüsenpakete
nachgewiesen werden konnte. Diese fünf Hernien blieben nach der
Kempf'schen Theorie in ihrer Entstehung unaufgeklärt. Sie lassen
sich aber durch meine Untersuchungen, die sowohl von Körte be¬
stätigt, als auch von Waldeyer auf Grund von Nachprüfungen
für richtig befunden wurden, leicht erklären.
Die Theorie von Kcmpf, nach der ein zarter Bruchsack eine
derbe Faszie durchbohrt, ist eine unbewiesene Annahme, da bisher
noch niemand die Lücke oder den Spalt in der Fascia pectinea
gefunden hat, durch welchen der Bruchsack sich in die Muskulatur
des Musculus pectineus einbohrt. Die von mir gegebene Erklärung
beruht nicht auf Spekulationen, sondern auf anatomischen Tatsachen,
die von autoritativer Seite (Waldeyer, Körte) als richtig befunden
worden sind.
Druck von I,. SrhumMrlirr in Berlin N. 4.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
" «rfC a I
Tafel IX.
Digitized by
Original from
UNIVERSIIY OF IOWA
Digitized by
Google
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by Google
Fig.5
Fig.9
Fig. 9a
Lichtdruck Neinert-hennig, Berlin S. 42.
Original from
UNIVERSIIY OF IOWA
Digitized by
|
i
(
i
Gck 'gle
Original frnm
UNIVERS1TY OF IOWA
Fig. 10a
Fig. 12
Fig. 14
Fig. 11a
Digitized by Google
Tafel XU.
Fig. 13
Fig. 15
Fig. 17
Fig. 18
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Original from
UNIVERSIIY OF IOWA
Digitized by
Gch igle
'
UMIVERSITY OF IOWA
. vy
Fig. 21
Fig. 21a
Fig. 24
Digitized by Google
Tafel XIII.
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Go igle
Original from [
UNIVERSITY OF IOW/|
Digitized by
Gougle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Fig. 38
Fig. 39
Fig. 40
Fig. 37
Fig. 39a
Tafel XV.
Fig. 37a
Archiv für klin. Chirurgie 107. Bd.
Fig. 35
Fig. 36
Fig. 36a
Fig. 36b
Digitized by Google
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
XIV.
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der
Anfalloperation. 1 )
Von •
Prof. Dr. Sprengel (Braunschweig).
(Hierzu Tafel XVI—XIX.)
M. H.! Trotz der Unzahl von Arbeiten, welche im Laufe der
letzten beiden Jahrzehnte das Gebiet der Gallensteinkrankheiten
kritisch und kasuistisch beleuchtet haben, harren auch heute noch
eine Reihe fundamentaler Fragen der definitiven Erledigung. Ins¬
besondere werden die pathogenetischen Vorgänge, welche den ein¬
zelnen Phasen des klinischen Krankheitsbildes zugrunde liegen, von
den Autoren so verschieden oder so unklar beantwortet, dass es
bis auf den heutigen Tag kaum möglich ist, zu einheitlichen und
folgerichtig entwickelten Anschauungen zu gelangen.
Ein Fortschritt freilich ist unverkennbar. Vergleicht man z. B.
die älteren Arbeiten des auf dem Gebiet der Gallensteinkrankheiten
fruchtbarsten Schriftstellers Kehr mit seinem neuesten und ohne
Zweifel besten Werk in der „Neuen Deutschen Chirurgie“, so kann
man auch seinen pathogenetischen Betrachtungen die höchste An¬
erkennung darüber nicht versagen, dass er zu einer immer kon¬
sequenter durchgeführten Bearbeitung dieses schwierigen Gegen¬
standes durchgedrungen ist. Ja, ich muss bekennen, dass ich nach
Lektüre des einschlägigen Kapitels mit dem ihm zugrunde liegenden
immensen Material beinahe schwankend geworden bin, ob ich mit
meinen Untersuchungen vor eine so gewählte Versammlung treten
und es wagen dürfte, die Kritik meiner kritischen Betrachtungen
herauszufordern.
Indessen die Ueberlegung, dass meine, in geduldiger Arbeit
durchgeführten Studien in manche Einzelheiten Klarheit bringen und
im ganzen das Problem der Krankheit in ein einfacheres System
1) Vorstehende Arbeit war vom Verfasser dazu bestimmt, auf der Xatur-
forseherversammlung in Hannover, Herbst 1914, vorgetragen zu werden.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Hell 3. 2G
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
380
Sprengel,
Digitized by
zu gliedern helfen können, veranlasst mich doch, meinen Entschluss
auszuführen.
Ich habe das meiner Darstellung zugrunde liegende Material
in der Weise gewonnen, dass ich seit mehr als zwei Jahren über
jeden operativen Fall von Gallensteinkrankheit nicht bloss die
übliche Krankengeschichte habe anfertigen lassen, sondern mich
bemüht habe, durch objektive kritische Betrachtung unmittelbar
nach der Operation das anatomische Bild pathogenetisch zu kon¬
struieren und auf die Frage zu prüfen, ob sich der Einzelfall in
bestimmte, allmählich sich herausarbeitende Gruppen einreihen lässt,
nach welchen verbindenden oder trennenden Momenten man eine solche
Gruppierung vorzunehmen hat, und inwieweit die heute üblichen Ein¬
teilungen unserer eigenen Beobachtung entsprechen oder widersprechen.
Dabei habe ich mit besonderer Sorgfalt die akuten Fälle
studiert. Nicht bloss, weil sie unter der dem Praktiker hand¬
gerechtesten Diagnose der akuten Appendicitis in relativ grosser
Zahl an uns gelangten, sondern weil ich mich überzeugte, dass wir
über den eigentlichen Charakter des Gallensteinleidens — wie über
den des Menschen — die zuverlässigste Aufklärung erhalten, wenn
wir ihn im Zustand der Erregung beobachten.
Es wird bei der Cholecystitis kaum anders sein, als bei dem
Studium der Appendicitis, bei dem wir auch erst dadurch die Kette
der Erkenntnis schliessen konnten, dass wir von der unsicheren
und trügerischen Untersuchung des chronisch veränderten Wurm¬
fortsatzes zu der autoptischen Beobachtung des Organs in den
einzelnen Phasen des Reizzustandes übergingen.
Aber nicht bloss nach diesem allgemeinen Gesichtspunkt
lassen sich die anatomischen und pathologischen Verhältnisse von
Gallenblase und Wurmfortsatz vergleichen. Die Parallele ist nicht
neu; trotzdem ist es von Interesse, sie in einigen Einzelheiten zu
verfolgen, wie ich es schon vor Jahren in mehreren in Braun-
scliwcig und in Hannover gehaltenen Vorträgen versucht habe.
Gallenblase und Wurmfortsatz sind mit dem Darm zusammen¬
hängende, schlauchförmig gestaltete, blind endigende Hohlorgane
mit engem Ausführungsgang.
Beide Organe sind auf ihrer Innenseite mit Schleimhaut aus¬
gekleidet, w'elche drüsige, sezernierende Elemente enthält.
Beide Organe sind in ihrer Wandung mit glatter Muskulatur
versehen, welche ihnen unter normalen Verhältnissen die Fähigkeit
verleiht, ihren Inhalt in den Darm zu entleeren.
Beide Organe sind in ganzer Ausdehnung von Serosa um¬
kleidet, gehören im eigentlichsten Sinne zu den intraperitonealen,
tief in den Bauchfellsack eingesenkten Organen.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Die Gallcnsteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 381
Beide Organe gehören funktionell oder entwicklungsgeschicht¬
lich zu den umstrittenen Einrichtungen des Körpers, beide sind
entbehrlich.
Und weiter nach pathologischen Gesichtspunkten.
Wurmfortsatz wie Gallenblase sind nicht selten Träger von
mehr oder weniger festen Konkrementen — Kotstein, Gallenstein —,
welche, wenn auch für beide der Entstehungsmechanismus nicht in
jedem Punkt geklärt ist, doch in beiden Organen aus dem normalen
oder veränderten Inhalt abgesintert werden, solitär oder multipel
Vorkommen und unter der modellierenden Einwirkung der musku¬
lären Wandung stehen.
Am Wurmfortsatz wie an der Gallenblase kommt es
periodisch zu akut einsetzenden und verlaufenden An¬
fällen, welche entweder nach kurzem Bestehen unter Nach¬
lass sämtlicher Erscheinungen wieder abklingen oder bei
ausbleibender Resolution mehr oder weniger schwere
Destruktion des Organs zur Folge haben.
Der Widerhall der Erkrankungen beider Organe auf das Peri¬
toneum gestaltet sich unter völlig übereinstimmenden Erscheinungen.
Entweder in der Form umschriebener Entzündung mit Ausschwitzung
eines fibrinhaltigen, die Agglutination der benachbarten Organe —
Netz, Därme — begünstigenden, im weiteren Verlauf lokal in Eite¬
rung übergehenden Exsudats, oder es erfolgt — mit oder ohne
offenen Durchbruch der Wandung — eine diffuse Miterkrankung
des Peritoneums unter den anatomischen und klinischen Erschei¬
nungen der Peritonitis.
Neben diesen akut verlaufenden Attacken gibt es langsam,
unter unklaren, vieldeutigen Symptomen verlaufende Erkrankungen
des Wurmfortsatzes und der Gallenblase, welche, ohne jemals
schwere klinische Symptome hervorzurufen, allmählich wichtige
organische Veränderungen herbeiführen und ebenso langsam, wie
sie entstanden und verlaufen sind, ins Quiescenzstadium übergehen
(subakute, relabierende, rekrudeszierende Formen).
Dieses Quiescenzstadium ist die dritte Klasse der Ver¬
änderungen, in denen man den Wurmfortsatz wie die Gallenblase
vorfinden kann. Es ist selbstverständlich, dass die Veränderungen
in diesem Stadium an beiden Organen erheblich sein können. Ob
es aber deshalb berechtigt ist — bei der Gallenblase wie beim Wurm¬
fortsatz —, von einer chronischen Entzündung zu sprechen,
steht dahin. Es handelt sich vielmehr um reparatorische Vorgänge
oder um Residuen abgelaufener Entzündung. Höchstens könnte es
in dem Aschoff’schen Sinne geschehen, dass man chronisch ver¬
laufende, entzündliche Vorgänge in den schlauchförmigen Gebilden
26 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
382
Sprengel,
Digitized by
der Wandung beider Organe (Krypten des Wurmfortsatzes und
Luschka’schen Drüsen der Gallenblase) annimmt. Ob sie aber
klinisch erkennbar sind, steht stark zu bezweifeln.
Selbstverständlich lässt sich der eben angezogene Vergleich
nicht in jedem Punkte durchführen. Schon anatomisch nicht. Der
Wurmfortsatz entspringt direkt von einem tief gelegenen Abschnitt
des Darms, die Gallenblase hängt nur indirekt mit ihm zusammen
und ist, genau genommen, nur ein Anhängsel an den Ausführungs¬
gang eines grossen, drüsigen Organs ohne stärkere, selbständige,
sekretorische Tätigkeit, während der Wurmfortsatz — den man
nach den neuesten Untersuchungen von Muthmann (1913) ver¬
mutlich nicht als blosse rudimentäre Bildung, sondern als anato¬
misch differenzierte Coecaltonsille aufzufassen hat — wahrschein¬
lich eine keineswegs belanglose sekretorische Funktion erfüllt.
Das schränkt die Bedeutung des Vergleichs um etwas ein,
aber nicht so weit, dass man nicht den Versuch machen sollte,
manches von dem, was wir durch mühevolle Forschung über die
Pathogenese der Wurmfortsatzerkrankungen gefunden haben, auf
die analogen oder mindestens ähnlichen Verhältnisse der Gallen¬
blase zu übertragen oder doch als Wegweiser zu benützen, in der
Art, dass man Paralleluntersuchungen im klinischen und patho¬
genetischen Sinne durchführt.
Im übrigen ist das, was ich im nachstehenden bringe, im
wesentlichen auf die Gallenblase beschränkt, wenn auch ein ge¬
legentlicher Hinweis auf die weiteren Wege des Gallenstroms nicht
prinzipiell vermieden wird.
Ich habe eine grössere Reihe der von mir bei der Operation
gewonnenen Präparate von einer geübten Zeichnerin in Wasser¬
farben abbilden lassen; bei den besonders charakteristischen Fällen
erst von aussen und dann nach breiter Eröffnung von innen her.
Dazu war es notwendig, das Präparat möglichst intakt zu gewinnen,
was ohne Schwierigkeit in der Weise gelingt, dass man die Excision
der Gallenblase nicht, wie gewöhnlich, vom Fundus aus, sondern
am Ende des Ductus cysticus beginnt (wie es heute wohl viele
Operateure machen; cf. Haist-Hoffmeister, 1909) und die Gallen¬
blase nach Abbindung des letzteren unter Nachhilfe von seichten
Messerzügen und sanftem Zuge aus ihrem Leberbett ablöst. Die
sobald wie möglich nach der Operation hergestellten Bilder werden
der folgenden Besprechung zur Unterlage und Erläuterung dienen.
Es ist meine Absicht, im Folgenden demjenigen mechanischen
Moment im Ablauf der Entzündung grössere und allgemeinere
Geltung zu verschaffen, das, soweit meine persönlichen Beobach¬
tungen reichen, in allererster Linie ihren Weg und ihren Ausgang
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallenstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
383
bestimmt und in der Lehre von den Gallensteinerkrankungen wie
auch sonst bei weitem nicht genügend berücksichtigt wird, dem
Moment der Retention.
Ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich den Satz aus¬
spreche, dass sich unter angemessener Bewertung dieses mechani¬
schen Faktors fast alle Erscheinungen im klinischen und anatomi¬
schen Bilde der Gallensteinerkrankung ungezwungener erklären
lassen, als es nach den heute üblichen Deduktionen möglich ist.
Der einfache Hinweis, dass bei bestehender Retention sich von
vornherein drei verschiedene pathogenetisch wirksame Möglichkeiten
ergeben, je nachdem die Retention sich zurückbildet oder nicht
zurückbildet oder unvollkommen zurückbildet, und dass diese sieh
vervielfachen, je nachdem sich diese Modalitäten an einem viru¬
lenten oder nicht virulenten oder schwach virulenten Gallenblasen¬
inhalt vollziehen, eröffnet eine fast unbegrenzte Anpassungsfähigkeit
an die mannigfach wechselnden Krankheitsbilder des Gallenstein¬
leidens.
Bevor ich im einzelnen darauf eingehe, seien mir einige, zum
Teil kritische Bemerkungen über den Begriff der Retention im all¬
gemeinen und seine bisherige Berücksichtigung auf dem uns be¬
schäftigenden Gebiet gestattet.
In seiner bekannten Arbeit „Zur Pathogenese und Diagnose
des Gallensteinkolikanfalls“ (1898) hat Riedel unter Aufwendung
von viel Mühe und Scharfsinn den Versuch gemacht, den Begriff
der „Perialienitis“, d. h. der sich akut um die in der Gallenblase
liegenden Steine entwickelnden „Fremdkörperentzündung“ nicht bloss
„zum Kardinalpunkt der ganzen Gallensteinfrage“, sondern auch
für die gesamte Pathologie als ungemein wichtig herauszuarbeiten.
Die Arbeit liegt 16 Jahre zurück, und ich weiss nicht, ob Riedel
selbst den damals vertretenen Standpunkt heute noch einnimmt.
Ich persönlich teile ihn nicht und glaube, dass die meisten der
von Riedel geführten Argumente sich widerlegen lassen. Der Ver¬
such, es zu tun, würde zu weit führen. Auf einen Punkt aber
möchte ich eingehen, weil er unter allen von Riedel zum Vergleich
herangezogenen pathologischen Vorgängen das prägnanteste und an
und für sich am meisten berechtigte punctum comparationis dar¬
stellt und weil sich an ihm das Gegensätzliche unserer Auffassung
gut illustrieren lässt.
Riedel vergleicht die Verhältnisse der steinhaltigen Gallen¬
blase mit infizierten Herden, welche „mittels Fisteln, Kanälen usw.
entweder direkt mit der Körperoberfläche oder mit Hohlorganen des
Körpers kommunizieren“, und weist auf die in denselben sich ab¬
spielenden, „unter den bekannten Erscheinungen akuter Exacerbation
Digitized by
Goi igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
384
Sprengel,
Digitized by
verlaufenden entzündlichen Schübe“ hin. Er will Dicht, wie ge¬
wöhnlich geschieht und auch nach seiner Meinung für eine Reihe
von Fällen zutrifft, zur Erklärung einfach die Retention heran¬
ziehen, sondern glaubt, dass das Primäre in diesen Fällen — ebenso
wie bei den plötzlich in geschlossenen Herden aufflammenden
Entzündungen — die „Perialienitis“, die plötzliche Vermehrung des
Sekrets um einen in der Höhle liegenden Fremdkörper sei.
Selbst wenn ich davon absehe, dass diese Erklärung im gün¬
stigen Falle nichts weiter ist als eine Umschreibung, weil man
weiter fragen muss, auf welchem tieferen kausalen Moment denn
die „Perialienitis“ ihrerseits beruht, erscheint sie mir als eine
recht gezwungene Deutung einer im Grunde sehr einfachen Tat¬
sache.
Erwägen wir, dass die „akuten Schübe“ niemals entstehen, so¬
lange die Höhlen nicht durch einen engen Gang mit der Körper¬
oberfläche kommunizieren, sondern weit nach aussen klaffen, dass
sie — wie Riedel selbst (etwas willkürlich) für die Anhäufung
von „serösem Sekret“ zugibt, für die Fälle mit „eitrigem Sekret“
bestreitet — gewöhnlich schon durch einfache Drainage, mit voll¬
kommener Sicherheit aber durch breite Freilegung der Höhle in
allen ihren Buchten beseitigt werden kann, dass dieser Vorgang
sich unter Umständen in durchaus typischer Weise mehrfach an
demselben Falle wiederholt, so muss man dem mechanischen
Moment der Retention als solchem zweifellos die ausschlaggebende
Bedeutung beimessen. Und wollte man theoretisch dem Gedanken¬
gang Riedel’s folgen und annehmen, dass in der offenen Höhle
ebenso wie in der geschlossenen das unklare Moment der Peri¬
alienitis den Entzündungsprozess anfachen könnte, so wäre das
höchstens theoretisch von Interesse, praktisch und pathogenetisch
käme es doch immer darauf hinaus, dass der entzündliche Vorgang
nur deshalb deletär wirkt und unter schweren klinischen Erschei¬
nungen verläuft, weil die Höhle sich dauernd oder vorübergehend
schliesst und ihren Inhalt nicht entleeren kann. Die Retention als
solche ist also auch bei dieser Annahme das ausschlaggebende
pathogenetische Moment.
Die letztere Eventualität ist aber nur bedingungsweise gesetzt.
De facto liegt meines Erachtens kein zwingender Grund vor, nach
einem besonderen unbekannten Moment zu suchen, solange die in
ihren Wirkungen bekannten genügen, um die Erscheinungen zu er¬
klären.
Riedel — er muss es sich als vielfach anregender Verfechter
neuer Hypothesen schon gefallen lassen, dass die weitere Forschung
sich an seinen Namen hängt — hat an derselben Stelle die Be-
Gck gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallenstein krank heit im Lichte der Anfalloperation.
385
deutung der „Perialienitis“ für die vielumstrittenen Vorgänge an
einer Reihe anderer röhrenförmig angelegter Organe zu verwerten
gesucht (Speicheldrüsen, Nierensteine), insonderheit für die Ent¬
stehung des Appendicitisanfalls.
Wenn er sagt, dass in vielen Fällen „die Attacke dadurch zu¬
stande kommt, dass der (erkrankte und deshalb empfindliche?)
Wurmfortsatz durch zufällig eindringende Kotbröckel gereizt wird“,
so gebe ich ihm die Tatsache dieser Reizung, von der ich mich
vielfach überzeugt habe, und auch die Möglichkeit zu, dass sie
eine mittelbare ätiologische Bedeutung auch für die Attacke hat.
Ich fasse diese Bedeutung aber nicht in dem Sinne auf, dass die
eindringenden Kotbröckel eine „Perialienitis serosa“ hervorrufen
und dass, wie Riedel will, auf dieser die Attacke beruht. Das
ist erweislich unrichtig; denn wir treffen oft genug Kotbröckel in
kranken oder im übrigen gesunden Wurmfortsätzen an, ohne dass
etwas anderes auf ihr Vorhandensein im Wurmfortsatz erfolgt, als
eine massige Hyperämie der Schleimhaut. Oft fehlt auch diese.
Und wenn auch zugegeben werden soll, dass die Hyperämie ge¬
legentlich eine mässige seröse Ausschwitzung in das Lumen des
Wurmfortsatzes (ebenso wie in seine Wandung) zur Folge hat —
was soll denn Besonderes erfolgen, solange der Ausgang frei ist
und das sich bildende Sekret sich unbehindert ins Coecum ent¬
leeren kann?!
Darin liegt der springende Punkt. Ist dieser Abfluss behindert,
tritt, mit anderen Worten, eine Retention ein, so verändert sich
das Bild und führt zu den deletären anatomischen Vorgängen, die
uns in ihrer weiteren Entwicklung so wohlbekannt sind.
Dass es — am Wurmfortsatz — so ist, wenigstens in vielen
Fällen so ist, lässt sich heute mit ziemlicher Sicherheit, min¬
destens mit einer der Gewissheit nahekommenden Wahrscheinlich¬
keit erweisen. An der Hand von Präparaten, deren Abbildung ich
gebe, und auf Grund der inzwischen erfolgten experimentellen
Forschung.
Auf Taf. XVI, Fig. 1 (Sch., operiert Juni 1913) ist ein Wurm¬
fortsatz abgebildet, an dessen Endteil man sehr deutlich die Rei¬
zung erkennt, welche von den eingelagerten Kotpartikeln auf die
Schleimhaut ausgeübt wird. Es bestand trotzdem kein eigent¬
lich akuter Anfall, aber der Kranke befand sich auch nicht
vollkommen wohl, hatte vielmehr in den letzten 6 Wochen dauernd,
auch während der Nacht, Beschwerden in der Blinddarmgegend.
Er stand offenbar unter dem Einfluss einer unvollkommenen Re¬
tention, wie ich sie oft unter ähnlichen anatomischen Bedingungen
beobachtet habe, so oft, dass ich nicht selten aus den unbestimmten,
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
386
Sprengel,
Digitized by
nie zur Ruhe kommenden Empfindungen in der rechten Darmbein¬
grube, die nicht selten mit Störungen des Allgemeinbefindens, des
Appetits u. s. w. einhergehen — ohne dass ein eigentlicher Anfall
zustande zu kommen braucht —, diese „Unauslässigkeit“ des
Wurmfortsatzes (wie v. Hansemann ähnliche Zustände bezeichnet
hat) diagnostiziert und durch die Operation bestätigt habe.
Vergleicht man mit dieser Abbildung den Typus vollkommener
Retention des späteren Stadiums im Endteil eines Wurmfortsatzes
(Taf. XVI, Fig. 2), den ich meiner Monographie über Appendicitis
(Taf. IV, Fig. 3b) entnehme, so gehört nicht viel Phantasie dazu,
um sich die pathogenetische Entwicklung zu erklären. Man kann
sie aus den beiden Figuren geradezu ablesen. Es kann gar nicht
anders sein, als dass es in irgend einem Augenblick zu einem Ver¬
schluss gekommen ist, um aus dem Zustand A — unvollkommener
Verschluss — in den Zustand B — vollkommener Verschluss —
überzuführen. Wann dieser Verschluss eintritt und warum gerade
in einem ganz bestimmten Augenblick, das wird man nicht in
jedem Falle klarstellen können. Aber einiges können wir doch
auch hierüber sagen.
Einmal ist es sehr wohl möglich, dass die langsam verlaufenden
Veränderungen, welche sich nach den Untersuchungen von Aschoff
in den Einbuchtungen des Wurmfortsatzes abspielen und zu kleinen
intramuralen, nur histologisch erkennbaren Veränderungen der Wan¬
dung führen, allmählich, wie jedes sich zurückbildende Infiltrat, zu
umschriebenen Verengerungen des Wurmfortsatzes führen könnten,
wie wir sie oft genug, ohne dass ernsthafte Anfälle vorangegangen
zu sein brauchen, antreffen. Des Weiteren kennt jeder mit Appen-
dicitisoperationen beschäftigte Chirurg die Fälle, in denen sich der
Wurmfortsatz von aussen her durch einen zarten Narbenstrang an
umschriebener Stelle fixiert, oder verzogen, oder abgeknickt vor¬
findet (cf. Sprengel, Appendicitis und Sprengel, Operationslehre
von Bier, Braun, Kümmell). Entsteht in diesen Fällen durch
Koteintritt eine Schleimhautreizung, so ist nicht bloss die „Unaus-
lässigkeit“, sondern nicht selten auch die absolute Retention ge¬
geben. Operiert man solche Fälle, so sieht man, dass der proxi¬
male Teil des Wurmfortsatzes vollkommen gesund ist, in dem
winkelig abgeknickten Teile aber eine Wurmfortsatzentzündung sich
etabliert hat, die genau bis zur Abknickungsstelle reicht und hier
in scharfer 'Linie abbricht. Endlich kann auch der Kotstein selbst
durch sein weiteres Wachstum oder dadurch, dass er durch die
Peristaltik des Organs aus einem weiteren in einen engeren Teil
des Organs gedrängt wird, plötzlich zu einem vollkommenen Ab¬
schluss des Wurmfortsatzes mit seinen bekannten deletären Folgen
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankbeit im Lichte der Anfalloperation.
387
führen. Auch dieses Vorkommnis hat wohl jeder beobachtet; ich
kannte es längst, habe mich aber im Laufe der Zeit überzeugt,
dass es viel häufiger ist, als ich selbst früher annahm. Ein cha¬
rakteristisches Beispiel habe ich auf Taf. XVI, Fig. 3 (Ka.) ab¬
bilden lassen.
Es illustriert an sich mit voller Deutlichkeit die durch den
Kotstein bedingte Retention, hinter welcher sich alle charakteristi¬
schen Veränderungen der destruierenden Appendicitis entwickelt
hatten, während der Eingang des Wurmfortsatzes vollkommen nor¬
mal war. Am frischen Präparat konnte man sich von der Tat¬
sache, dass wirklich der Stein selbst und nicht etwa die proximal¬
wärts von ihm liegende Schleimhaut das blockierende mechanische
Moment darstellte, durch ein einfaches Experiment überzeugen.
Uebte man zunächst auf den Endteil des prall gefüllten Sackes
einen Druck aus, so konnte man, auch bei beliebiger Steigerung
des Drucks, die im Wurmfortsatz befindlichen Detritusmassen nicht
ausdrücken; kein Tropfen floss neben dem Stein vorbei. Lüftete
man ihn aber durch Einführen einer Sonde in das Wurmfortsatz¬
lumen, so liess sich der Wurmfortsatz mit Leichtigkeit leer
drücken. Man kann diese Tatsache in geeigneten Fällen, die
nicht so ganz selten sind und das Vorkommen des blockierenden
Ventilsteins in allen Teilen des Wurmfortsatzes beweisen, ad oculos
demonstrieren.
Dass bei den pathogenetischen Vorgängen im Wurmfortsatz
sehr gewöhnlich und vielleicht der Regel nach nicht der Kotstein
selbst, sondern die das Lumen okkludierende akute Verschwellung
das ausschlaggebende Moment ist, brauche ich nicht zu betonen.
Ich habe meine Ansicht über diese Frage in meiner Monographie
ausführlich erörtert und sie seither nicht wesentlich geändert,
ausser dass ich nach weiterer Erfahrung heute geneigt bin, dem
mechanischen Einfluss des Kotsteins selbst einen — numerisch be¬
trachtet — etwas weitergehenden Einfluss zuzuschreiben, als ich
früher tat.
Im übrigen ist das von untergeordneter Bedeutung; worauf es
mir ankoramt, ist lediglich die Feststellung der Tatsache, dass
auch für die pathogenetischen Vorgänge am Wurmfortsatz der
Mechanismus der Okklusion und Retention die allergrösste Bedeu¬
tung hat. Will man ihn, wie Riedel und viele andere tun, für die
vielfach analogen Vorgänge in der Gallenblase gegenüber dem in¬
fektiösen Moment (Perialienitis, oder wie es man sonst nennen
will) zurücktreten oder verschwinden lassen, so darf man diese
Anschauung wenigstens nicht auf die anatomischen Beobachtungen
am Wurmfortsatz begründen.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
388
Sprengel,
Digitized by
Mindestens steht obige Annahme nach denjenigen anatomischen
Bildern der akuten Appendicitis als einwandsfrei fest, welche nicht
in den allerersten Stunden des Anfalls, sondern etwa am zweiten
Tage im Stadium voller und fertiger Entwicklung gewonnen wurden.
In den ersten Stunden mag es sich ja gelegentlich auch um eine
mehr diffuse Schleimhautentzündung handeln. Gewöhnt man sich,
im Einzelfall auf die mechanischen Vorgänge zu achten, so wird
man auch bei ihnen recht häufig die Tatsache der Okklusion und
Retention mit aller Deutlichkeit ablesen können; z. B. sind die be¬
kannten Fälle, in denen der Wurmfortsatz wie erigiert vorspringt,
kaum durch eine andere Möglichkeit zu erklären; aber auch bei
Abknickungen des Organs an umschriebener Stelle, bei strich¬
förmiger Stenosierung des Lumens kann man die scharfe Grenze,
in welcher sich die gesunde Schleimhaut von der kranken an der
Stelle der mechanischen Okklusion absetzt, oft genug mit eklatanter
Deutlichkeit ablesen.
Ausnahmsweise hat man Gelegenheit, den relativen Wert
beider Momente, des mechanischen und des entzündlichen, an dem¬
selben Präparat gegeneinander abzuwägen. Taf. XVI, Fig. 4a u. b (Si.)
stellt das Präparat eines im akuten Anfall entfernten Wurmfort¬
satzes dar, der im Beginn der Spitzendestruktion stand. Offenbar
war dieselbe bedingt durch eine Retention, welche hinter einer
nahe der Spitze gelegenen Stenose (ein nicht seltenes und gut ver¬
ständliches Moment) einsetzte. Daneben erkennt man in der Mitte
des Organs zwei mittelgrosse Kotkonkremente, welche in einer
flachen, frei nach dem Ausgang geöffneten Höhle liegen. Obwohl
also, wie man ablesen kann, in der Mitte massenhafte infektiöse
Stoffe, gegen das Ende deren wenige vorhanden waren, setzte die
Entzündung jenseits der Kotkonkremente, aber vor der Spitze ein.
Warum? Weil hier plötzlich ein vollkommener Abschluss zustande
gekommen war. Es folgt, dass die Okklusion das eigentlich ent¬
scheidende Moment ist; kommt sie vor einem auch nur mässig viru¬
lenten Infektionsherd zustande, so sind die deletären Folgen unaus¬
bleiblich; die offene Infektion ist für das Organ von geringem Belang.
Was ich im vorstehenden über die Bedeutung der Okklusion
— im Gegensatz zu Riedel und anderen Vertretern der vorwie¬
genden oder reinen Infektionstheorie — zusammengefasst und in
seinem Wert auch für die frische Entzündung schärfer hervorgehoben
habe, ist nach Untersuchungen am frischen Präparat schon früher
von Talamon, dann von Dieulafov in seiner vielgenannten Lehre
von der Cavitö close behauptet und von mir in meinem Buch aus¬
führlich erörtert, anatomisch erhärtet und in gewissen Einzelheiten
spezialisiert worden.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die (iallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
389
Der experimentelle Beweis für die Zuverlässigkeit dieser An¬
nahmen stand noch aus. Er ist neuerdings (1910) in verdienst¬
voller Weise durch Heile erbracht worden. Heile hat in dem
Blinddarmanhang des Hundes ein Organ gefunden, das dem Wurm¬
fortsatz des Menschen ähnlich genug ist, um zur experimentellen
Erzeugung der Wurmfortsatzentzündung mit Aussicht auf Erfolg
benutzt werden zu können.
Die Resultate, zu denen Heile gelangt ist, und die er unter
ausdrücklichem Hinweis auf die von mir auf klinisch-anatomischem
Wege gewonnene Deutung der pathogenetischen Vorgänge bei der
Appendicitis zusammenstellt, halte ich für so wichtig, dass ich sie
in ihren wesentlichen Sätzen hier folgen lassen möchte.
1. Einfache Abschnürung des Blinddarmanhanges des Hundes
führt gewöhnlich zur Wiederherstellung des unterbrochenen Blind¬
darmrohres nach eitriger Durchschneidung der Wand und Ab-
stossung des abschnürenden Seidenfadens.
2. Setzt man peripher von dem unterbindenden Seidenfaden
einen Paraffinpfropf in das Blinddarmlumen, so bleibt das peripher
abgeschnürte ßlinddarmende dauernd abgeschlossen; es kommt nicht
zur Wiederherstellung des Schleimhautkanals.
3. Diese dauernde Abschnürung von Blinddarmteilen ist für
das Tier ohne allgemeinen Schaden, sie führt nie zu Peritonitis
oder Tod, sondern nur zu umschriebenen entzündlichen Vorgängen
an der Abbindungs- bzw. Einspritzungsstelle, die nach Wochen nur
noch als V erwachsungen des Netzes oder anliegender Darmschlingen
mit dem betreffenden Teile des Blinddarmanhanges nachzuweisen
sind. Der abgeschnürte Blinddarmanhang ist dann mehr oder
weniger erweitert und mit einem oft mehr, oft weniger leukozyten¬
reichen Inhalt gefüllt (Hydrops oder Empyem), meistens mit zahl¬
reichen Bakterien, die aber zu keiner fortschreitenden Entzündung
führen. Die Wandung ist wenig verändert.
4. Wird ein Blinddarmteil, in dem normale Kotreste enthalten
sind, mit Seidenfaden und Paraffinpfropf abgeschlossen, so kommt
es, von dem normalen Kotinhalt ausgehend, zu einer bakteriell¬
chemischen Infektion der Wandteile, die unter ganz ähnlichen
Bildern wie bei der Entzündung des pienschlichen Blinddarm¬
anhangs zu destruierenden Zerstörungen der Wand mit peritoniti-
schen Folgeerscheinungen führt.
Diese letztere Form ist ausgezeichnet durch breite Nekroti¬
sierung zuerst der Mucosa, dann fortschreitend der übrigen Wand¬
teile bis zum Durchbruch in die Bauchhöhle.
Zweierlei betont Heile bei wiederholter Gelegenheit; einmal,
dass destruierende Wurmfortsatzentzündung im Experiment nur
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
390
Sprengel,
Digitized by
dann zu erzielen ist, wenn ausser Bakterien auch Kotreste zurück¬
gehalten werden und Eiweissfäulnis entsteht; ferner und vor allem,
dass „der Abschluss für alle Entzündungen der Appendix
die erste Vorbedingung ist“.
Also auch nach diesen, wie mir scheint, einwandfreien Experi¬
menten ist die Bedeutung der Okklusion und Retention für den
Wurmfortsatz festgcstellt, ein Anlass mehr, nur diese oder wenig¬
stens ganz vorwiegend diese Momente heranzuziehen, wenn man
nach Analogieschlüssen von den Erkrankungen des Wurmfortsatzes
aus die analogen Vorgänge an der Gallenblase beurteilen oder er¬
klären will.
Im Anschluss an die Heile’schen Experimente möchte ich die
neuerdings von Harttung auf Anregung von Tietze ausgeführten
Untersuchungen erwähnen, die ältere, schon bei Schede erwähnte
Untersuchungen bestätigend, sich mit dem Einfluss der „Harn¬
stauung auf die pyogene Niereninfektion“ beschäftigen.
Harttung hat an Kaninchennieren experimentiert und seine
Untersuchungen auf die dreifache Infektionsraöglichkeit des ascen-
dierenden, hämatogenen und lvmphogenen Modus ausgedehnt.
In einer ersten Versuchsreihe wurde ein Ureter unterbunden,
nach einiger Zeit eine bestimmte Bakterienart intravenös injiziert
und wiederum nach einiger Zeit das Tier getötet. Es gelang be¬
sonders mit Staphylokokken in der gestauten Niere schwerste Ver¬
änderungen im Sinne einer eitrigen Pyelonephritis auf hämatogenem
Wege zu erzielen. Die andere Niere erwies sich fast immer als
normal.
In der zweiten Versuchsreihe wurde den Tieren wiederum ein
Ureter unterbunden und in derselben Sitzung in das centrale Ende
eine gewisse Menge einer Bakterienaufschwemmung injiziert. Es
gelang mit allen Bakterienarten, schwere eitrige Pyelonephritiden
zu erzeugen. Das Nierenbecken war bei diesen ascendierenden Formen
der Infektion viel mehr beteiligt wie bei den descendierenden.
In einer dritten Versuchsreihe beschränkte man sich auf die
blosse Unterbindung eines Ureters, um eine sogenannte aseptische
Hydronephrose zu erzeugen. Es liess sich makroskopisch ein er¬
weitertes Nierenbecken, .mikroskopisch Auflockerung des Epithels
nachweisen. Verfasser betrachtet letztere Veränderung als einen die
Disposition zur Infektion begünstigenden Umstand, bzw. als eine
Erklärung dafür, warum die Stauung eine so hervorragende Rolle
bei der Infektion einer Niere spielt.
Von besonderer Bedeutung scheint mir für unsere, auf die
Gallenblase gerichtete Besprechung die zweite Versuchsreihe zu
sein. Denn wenn auch die anatomischen Verhältnisse von Gallen-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
391
blase und Nierenbecken insofern erheblich differieren, als auf der
ersteren nicht so unmittelbar der Sekretionsdruck des zugehörigen
parenchymatösen Organs ruht, ganz unabhängig ist sie doch sicher¬
lich nicht von ihm, und in dem wesentlichen Punkte ist sie dem
Nierenbecken ähnlich, dass es sich bei beiden um einen elastischen,
von glatter Muskulatur umgebenen Sack handelt, der durch einen
relativ engen Kanal seinen Inhalt entleert, und dass diese Ent¬
leerung bei beiden durch in dem Sack befindliche Konkremente
eine Störung erfahren kann.
Auch hier stimmen Experiment und klinische Erfahrung gut
überein, wie ich nicht auszuführen brauche. Beide beweisen, dass
Okklusion und Retention, je nachdem sie vollkommen oder unvoll¬
kommen, vorübergehend oder dauernd sind, mit oder ohne Infek¬
tion verlaufen, das anatomische und klinische Bild beherrschen,
und dass demnach auf der Berücksichtigung dieses mechanischen
Moments jeder Erfolg versprechende Erklärungsversuch beruhen
muss. Der Schluss ist berechtigt, dass bei allen kanalförmig an¬
gelegten Organen des Körpers die analogen Vorgänge sich nach
demselben Gesetz vollziehen. —
Es ist nun beinahe selbstverständlich, dass das überaus cha¬
rakteristische Bild des im Gallenblasenhals steckenden, die Gallen¬
blase stöpselartig verschliessenden Gallensteins der Aufmerksam¬
keit der Chirurgen nicht entgehen konnte, namentlich sobald sie
vor der Operation im akuten Stadium nicht mehr zurückschreckten.
Der Hinweis auf diese eigenartige Erscheinung findet sich
oft genug.
Auch Riedel, der als einer der ersten die Scheu vor der
Anfallsoperation überwand, hält den Stein im Gallenblasenhals
nicht für gleichgültig (L c. S. 262); aber er betrachtet den durch
ihn bewirkten (unvollkommenen) Abschluss gewissermassen nur als
ein vorbereitendes Moment, durch dessen allmählich und langsam
wirkenden Einfluss der Inhalt der Gallenblase wässriger (hydro-
pisch), die Wand derselben verändert und damit der akut entzünd¬
liche Anfall, die „Perialienitis acuta“ vorbereitet wird. Warum
aber dieser Boden für das Einsetzen der Perialienitis „besser prä¬
pariert“ ist, als die gewöhnliche Gallenblasenwand und der gewöhn¬
liche Gallenblaseninhalt, warum andererseits die bekannten typi¬
schen Fälle von Hydrops der Gallenblase einen so stabilen, un¬
schuldigen Charakter haben und offenbar zur Entwicklung neuer
entzündlicher Prozesse in keiner Weise prädisponieren — das er¬
klärt Riedel nicht. Lediglich die von ihm supponierte Perialienitis
mit ihren unerklärt verschiedenen Graden ist das treibende Moment
im Bilde der Gallensteinerkrankung. Ich vermag nicht zu erkennen,
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
392
Sprengel,
Digitized by
wie man auf diesem Wege im günstigsten Falle mehr erreichen
will, als allenfalls eine Beschreibung des anatomischen Bildes, zu
einer Erklärung ihres wechselvollen Ausdrucks reicht es unmög¬
lich aus.
Ungleich höher wird das Ereignis des Cysticusverschlusses von
Körte (1905) bewertet. Die Betrachtungen, die er darüber in dem
Kapitel von der „Cholecystitis acuta infectiosa“ seiner Monographie
anstellt, sind meines Erachtens in den modernen Arbeiten über die
Gallensteinkrankheit kaum genügend gewürdigt und mögen deshalb
hier eine Stelle finden. Körte schreibt: „Von besonderer Wichtig¬
keit für das Zustandekommen der akuten Gallenblasenentzündung
ist der Cysticusverschluss — in der Regel durch Steine bewirkt,
welche in den Anfangsteil des Cysticus eingekeilt sind. Oft findet
man dort einen Solitärstein, der wie ein Zapfen im Spundloch den
Abfluss des Gallenblaseninhalts verhindert. Der unterste Teil der
Gallenblase zeigt schon normalerweise da, wo er in den Cysticus
übergeht, eine posthornartige Krümmung. Gerade dort im Halse
der Gallenblase liegen häufig Gallensteine, durch diese und durch
periodische Steigerung des Innendrucks wird die Krümmung noch
vermehrt, es entsteht dann eine Aussackung, ein Divertikel. Wenn
dieses durch Steine oder durch flüssigen Blaseninhalt (Galle, Schleim,
Eiter) unter hohem Druck ausgedehnt wird, so komprimiert es
ventilartig den Abfluss aus der Blase. Durch die Behinderung des
Abflusses wird der Innendruck in der Gallenblase immer mehr ge¬
steigert. Wenn auch keine Galle mehr hineingelangt, so wird doch
von der entzündeten Schleimhaut fortgesetzt Schleim bzw. Eiter
abgesondert und die Spannung der Blasenwand wächst beständig.“
„Ferner können sich in dem gestauten Inhalt die Keime, von.denen
die Entzündung ausging, schrankenlos vermehren und nach Analogie
mit dem gestauten Darminhalt eine gesteigerte Virulenz erlangen.
Die Galle besitzt zwar, wie wir jetzt wissen, keine nennenswerten
baktericiden Eigenschaften, es kommen in ihr pathogene Keime,
besonders die Darmbazillen, aber auch Eiterkokken ganz gut fort.
Solange aber der Gallenabfluss offen ist, besteht die Möglichkeit,
dass die Keime mit der Galle fortgeschwemmt werden und dadurch
die Vermehrung der Keime gehindert wird. Die Behinderung des
Abflusses ist also die eine Hauptbedingung für das Zustandekommen
der akuten Cholecystitis — das Hineingelangen pathogener Infek¬
tionskeime in die Gallenblase die zweite. In der Mehrzahl der Fälle
sind Steine vorhanden und bilden das Hindernis, in einer Minder¬
zahl von Fällen fehlen sie. Bei letzteren muss man annehmen,
dass Schleimhautschwellungen oder Knickungen den Verschluss des
Ausführungsganges bewirken.“
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensleinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
393
Die Veränderungen der Gallenblasenwand, die flüssige und
fibrinöse Ausschwitzung ins Peritoneum beruhen — wie schon
Körte von derselben Ideenverbindung aus mit Recht hervorhebt —
auf Durchlässigwerden der Gallenblasenwand. Für die Verände¬
rungen auf der Schleimhaut nimmt Körte zum Teil, namentlich im
Gallenblasenhals, Druckusur seitens der Steine an, welche „eine
der Ursachen für die Entstehung von Schleimhautgeschwüren, je¬
doch nicht die ausschliessliche ist“. Nekrotischer Zerfall der
Schleimhaut und geschwüriger Zerfall, punktförmige hämorrhagische
Infiltrate kommen ursächlich daneben in Betracht.
Auch den Hydrops der Gallenblase betrachtet Körte als eine
durch Cysticusverschluss bedingte, an sich ziemlich harmlose Re¬
tentionsgeschwulst, die aber durch hinzutretende enterogene oder
hämatogene Infektion in den gefährlichen Zustand akuter Entzün¬
dung übergehen kann.
Das Empyem hält Körte für einen von der akuten infektiösen
Cholecystitis nicht prinzipiell verschiedenen Zustand. Ich kann
ihm in diesem Punkt, wie weiter unten auszuführen sein wird,
nicht beistimmen.
Auch darin kann ich Körte nicht folgen, dass er — ebenso
wie Naunyn — zwischen regulärem und irregulärem Kolik¬
anfall unterscheiden will, in dem prinzipiell bedeutungsvollen
Sinne, dass im ersteren wesentlich der Reiz des Fremdkörpers die
Gallenblase zu schmerzhaft empfundenen, eventuell mit Steinabgang
verbundenen Kontraktionen anregt, „ohne dass eine infektiöse Ent¬
zündung dabei ist“, während die irreguläre Kolik durch Hinzu¬
treten einer Infektion bedingt ist. Der Verlauf der letzteren
ist dementsprechend schwer, .die Gallenblase bleibt auch nach dem
Abklingen der Koliken schmerzhaft. Sie „tritt auf in der Form
der akuten oder chronischen Eiterung“, kann im akuten Anfall zu
den allerschwersten, phlegmonösen Entzündungen der Gallenblasen¬
wand führen oder aber nach Abklingen der Anfälle und vorüber¬
gehendem Latentwerden in das chronische Stadium der Chole¬
cystitis chronica ulcerosa übergehen, welche einem dauernden
Reizzustand mit Schrumpfprozessen der Gallenblase entspricht.
Das Wichtigste und für den Verlauf Ausschlaggebende bleibt
also auch für Körte die fehlende oder vorhandene, graduell sich
steigernde Entzündung. Das mechanische Moment der Okklusion
und Retention lässt er für die eben erwähnten Ausnahmefällc gelten,
eine durchgreifende prinzipielle Bedeutung will er ihm augenschein¬
lich nicht beimessen.
In einem anderen Sinne als Körte, mehr dem Standpunkt
Ricdel’s sich nähernd, erwähnt Walzberg (1905) die Okklusion
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
394
Sprengel,
Digitized by
des Gallenblasenausgangs durch Stein oder Verschwellung; aber er
zieht sie nur zur Erklärung für die im Anfall eintretende Ueber-
dehnung der Gallenblase heran und betrachtet auch seinerseits als
das Primäre die spontan einsetzende Entzündung mit der akuten
Hypersekretion der Schleimhaut, den akuten Hydrops Riedel’s.
Auch er verwechselt, wie ich glaube, ebenso wie Riedel, Ursache
und Wirkung, und es ist von seinem Standpunkt (der Entzündungs¬
theorie) aus folgerichtig, wenn auch meines Erachtens unzutreffend,
dass er auch die schwereren Veränderungen der Gallenblasenwand
einschliesslich der Perforation als die allmähliche Folge immer
neuer entzündlicher Anfälle und dadurch bedingter ulzerativer Vor¬
gänge auf der Schleimhaut betrachtet.
Aus neuester Zeit möchte ich an dieser Stelle noch die Arbeit
von Makai erwähnen, weil Makai die Verschwellung am Blasen¬
hals, also die Okklusion und dadurch bedingte Retention mit der
nachfolgenden Vermehrung der Virulenz des Gallenblaseninhalts und
allmählichen Erhöhung des Innendrucks als wesentliches Moment
für die Veränderungen der Gallenblasen wand, insbesondere ihrer
zunehmenden Durchlässigkeit nach dem Peritoneum hin anspricht.
Ich möchte ihm, und komme später darauf zurück, durchaus zu¬
stimmen. ln ähnlichem Sinne ist der mehrfach erwähnte Fall von
Solieri (1911) zu verwerten, in welchem sich nach Typhuserkran¬
kung bei einem 20jährigen Mädchen Ulzerationen der Gallenblasen-
schleirahaut mit Blutungen in die Gallenblase und typische Koliken
einstellten, welche Solieri gewiss mit Recht „durch die Dehnung
der entzündeten Gallenblasenwand und deren Kontraktionen zur
Austreibung des dicken kruorösen Inhalts“, einfacher gesagt, als
Okklusion und Retention erklären will.
In den Arbeiten Aschoff’s, dessen pathogenetische Betrach¬
tungen ebenso, wie in der Appendicitisfrage, so bei der Cholecystitis
weitgehende Bedeutung gewonnen und mehrere Autoren, so Grube
und Graff, und in wesentlichen Punkten auch Kehr, zu unein¬
geschränkter Anerkennung veranlasst haben, spielt der Begriff der
Okklusion in dem Sinne eines wirklichen Abschlusses der Gallen¬
blase von den Gallenwegen nicht die Rolle, welche man nach der
Einleitung zu seiner bekannten Arbeit aus dem Jahre 1909 er¬
warten sollte.
Aschoff setzt in dieser Einleitung die Tendenz seines Werkes
mit folgenden Worten auseinander: „Der Cholesterinstein ist die
Folge der einfachen Gallenstauung und bildet die Grundlage des
an und für sich harmlosen, der Prophylaxe und inneren Therapie
zugänglichen, nicht entzündlichen oder einfachen Gallensteinleidens,
wenn überhaupt hier schon von einem Leiden die Rede sein kann.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
395
Dadurch aber, dass der Cholesterinstein nicht selten zum Ver¬
schluss- oder Ventilstein wird und damit die bakterielle Infektion
der plötzlich geschlossenen Gallenblase erleichtert, wird er Ursache
der Gallenblasenentzündung und der multiplen Pigmentkalkstein¬
bildung, leitet also zum entzündlichen Gallensteinlciden über,
welches für den Träger so verhängnisvoll, oft nur noch der chirur¬
gischen Therapie zugewiesen werden kann.“
Soweit ich mich auf meine eigenen, zum guten Teil durch
unser pathologisches Institut kontrollierten Beobachtungen verlassen
kann, möchte ich glauben, dass Aschoff die Bedeutung des
radiären Cholesterinsteins, schon numerisch betrachtet, überschätzt.
Nach unseren Erfahrungen ist sein Vorkommen bei den operativen
Fällen, die doch für die Beurteilung der Pathogenese einen ganz
besonderen Wert haben, eine Seltenheit. Aber selbst, wenn cs all¬
gemein zutreffen sollte, dass, wie Aschoff meint, „über die Hälfte
der von ihm untersuchten Gallenblasen mit entzündlicher Stein¬
bildung offen oder versteckt einen radiären Cholesterinstein be¬
herbergten“, so blieben doch immerhin recht viele, vielleicht die
meisten Fälle übrig, in denen sich die „entzündlichen“ Steine
allein in der Gallenblase finden; es blieben ferner die Fälle als
schwer erklärlich übrig, in denen der solitäre Cholesterinstein als
belangloser Fremdkörper am Lebenden und an der Leiche gefunden
wird und offenbar sehr lange in der Gallenblase gelegen hat, ohne
dass er zu „entzündlicher Steinbildung“ Veranlassung gegeben hätte;
es wäre endlich nicht ohne weiteres klar, wie bei völligem Ver¬
schluss der keimfreien Gallenblase durch einen nicht entzündlichen
Stein die Infektion der Gallenblase mindestens auf enterogenem
Wege erfolgen sollte.
Es braucht also, allgemein gesprochen, nicht notwendig oder
doch nur ausnahmsweise so zu sein, wie Aschoff annimmt.
Will aber Aschoff der Okklusion'und Retention schon unter
relativ harmlosen Bedingungen eine so weitgehende Bedeutung bei¬
messen — was dem Prinzip nach meiner eigenen Auffassung ent¬
gegen käme —, dann ist es schwer verständlich, warum er dem
gleichen mechanischen Moment in den späteren Stadien der Krank¬
heit einen verhältnismässig viel bescheideneren Platz einräumt.
Mindestens hat er sich über die Art, wie weit und in welcher
Form die Wirkung des Steinverschlusses bei den weiteren patho¬
genetischen Vorgängen zustande kommt, nicht deutlich ausgesprochen.
Nur für den von ihm sogenannten „primären entzündlichen Hydrops“,
auf den ich weiter unten zu sprechen komme, präzisiert er seine
Ansicht dahin, dass er sich im Anschluss an den „primären ent¬
zündlichen Anfall“, nach Sperrung durch einen Cholesterinstein
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. 27
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
396
Sprengel,
Digitized by
entwickelt; für das unter recidivierenden Attacken verlaufende
„chronisch entzündliche Gallensteinleiden“ (Aschoff), zu welchem
„in der Mehrzahl der Fälle der primär entzündliche Anfall über¬
leiten“ soll, lässt er den Mechanismus der Okklusion und Retention
im einzelnen ungeklärt.
Aschoff stellt sich vor, dass in allen Fällen, wo „die durch
den radiären Cholesterinstein begünstigte bakterielle Entzündung
der Gallenblase nach einer oder nach wiederholten Attacken ent¬
weder zur Vergrösserung des radiären Cholesterinsteins durch An¬
lagerung kalkhaltiger Mäntel oder zur Bildung multipler kalkhaltiger
Cholesterinpigmentsteine führt“, oder wo die Bildung der multiplen
Pigmentkalksteine als Folge einer posttyphösen oder ähnlichen
Gallenblasenentzündung anzuschen ist, — eine Raumbeengung
der Gallenblasenlichtung eintritt. Diese Raumbeengung ist
nach Aschoff das wesentliche ätiologische Moment für das Auf¬
treten der „recidivierenden Cholecystitis“, weil sich in der mehr
stagnierenden Galle die Erreger für längere Zeit halten, um unter
dem Einfluss von Traumen, Diätfehlern und anderweitigen Erkran¬
kungen des Organismus zu frischer Virulenz zu gelangen.
Neben diesem Vorgang wird die Möglichkeit, dass auch
„durch Einklemmung der Steine eine neue ascendierende und
descendierende Infektion herbeigeführt wird“, ausdrücklich zuge¬
geben.
Demnach ist meine Auffassung, die ich im Nachstehenden ent¬
wickeln werde und die darauf ausgeht, das mechanische Moment
der Okklusion durch Stein oder Verschwellung als das primum
agens zu erweisen, von der Aschoff’s, wenn ich ihn recht ver¬
standen habe, vielleicht nicht prinzipiell verschieden. Insofern be¬
steht allerdings ein immerhin wesentlicher Unterschied zwischen
Aschoff’s Auffassung und der meinigen, als ich nach meinen Be¬
obachtungen die Entzündüng bei offenem Ausführungsgang der
Gallenblase nicht hoch anschlage, besser gesagt, ihr für die patho¬
genetischen Veränderungen des Organs bei weitem nicht den Wert
beimesse, wie Aschoff es augenscheinlich tun will. Ich habe bei
der oft wiederholten Lektüre seiner Arbeit und einem Vergleich
mit seiner bekannten Schrift über die histologischen Vorgänge bei
der Appendicitis immer wieder den Eindruck bekommen, als ob er
sie zu ausschliesslich vom Standpunkt der Histologie betrachtet
und das grob anatomische Bild, wie es sich dem Chirurgen un¬
mittelbar nach der Operation oder während der Operation bietet,
nicht hinlänglich berücksichtigt. Das ist kein Vorwurf, sondern
eigentlich selbstverständlich. Insofern ich bemüht gewesen bin, im
wesentlichen das grob anatomische Bild, und zwar vorwiegend seine
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die (rallonsteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation.
397
mechanischen Züge auf mich wirken zu lassen, mögen meine Aus¬
führungen keine ganz wertlose Ergänzung der Aschoffschcn, mehr
histologisch-deskriptiv gehaltenen Darstellung sein. Ich halte cs
nicht für ausgeschlossen, dass wir uns auf mittlerer Linie be¬
gegnen können und damit vor allem dem Kliniker einen Dienst
erweisen.
Kehr hat in seiner eben erschienenen, für die „Neue Deutsche
Chirurgie“ (1914) gearbeiteten „Chirurgie der Gallenwege“ den
gegenwärtig von ihm vertretenen Standpunkt dargclegt. Er schliesst
auch seinerseits das Moment der Stauung für die pathogenetischen
Vorgänge in der Gallenblase — ähnlich wie Asehoff, aber doch,
w T ie ich glaube, in einem etwas anderen Sinne — keineswegs aus.
Wenn er z. B. (S. 291) bei der Schilderung der Vorgänge, wie
sie sich beim Uebergang des „latenten“ in das „manifeste“ Gallen-
steinleidcn (des nicht entzündlichen in das entzündliche nach
Asehoff) abspielen sollen, sagt: „Da plötzlich kommt ein Anfall,
der dadurch bedingt ist, dass eine Infektion im Gallenblaseninnern
eingetreten ist, und dass der Stein in Verbindung mit der Schleim¬
hautschwellung den Abfluss des infektiösen Gallenblasensekrets
hemmt“ — so muss man annehmen, dass er der Okklusion und
Retention einen wesentlichen Einfluss auf die klinischen und ana¬
tomischen Vorgänge in der Gallenblase zuschreibt.
Aehnlich S. 294: „Schmerzen kommen jedenfalls beim latenten
Stadium nicht vor. Ja, ich möchte annehmen, dass das latente
Stadium überhaupt keine Beschwerden macht, immer vorausgesetzt,
dass der Ductus cysticus offen bleibt.
Nun ist es sehr wohl denkbar, dass bei weiterem Wachstum
des Cholesterinsteins im Halse der Gallenblase oder im Anfangs¬
teil des Ductus cysticus eine plötzliche Verlegung des Gallen¬
blasenausgangs zustande kommt. Diese plötzliche Verlegung
bewirkt eine akute Dehnung der Gallenblase und eine Zerrung an
den im Lig. hepato-duodenale verlaufenden Nerven: der Gallenstein¬
träger bekommt eine Kolik.“
Oder S. 295: „Es kann auch eine Verschwellung des Gallen¬
blasenausgangs einen Schmerz hervorrufen, den wir nicht von der
Gallensteinkolik unterscheiden können“.
Man wird aber zweifelhaft an seiner Auffassung, wenn man
Sätze wie die folgenden liest (S. 283): „Der sogenannte Gallenstein¬
kolikanfall ist möglicherweise in allen Fällen infektiösen Ursprungs;
aber es wird dabei auf die Zahl und Art der Bakterien ankommen,
ob die Cholecystitis als ganz milde — seröse — Form oder als
schwere — gangränöse — Form verlaufen wird; ob sie wie ein
Strohfeuer aufflackert, das bald erlischt, oder ob sie wie eine
27 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
398 Sprengel,
Feuersbrunst die ganze Gallenblase in Brand steckt. Der Sitz
und die Grösse der Steine spielen hierbei eine unter¬
geordnete Rolle“.
Oder S. 284: „Ich glaube deshalb, dass die mechanische Ver¬
legung des Ductus cvsticus überhaupt keine Schmerzen macht oder
wenigstens nur sehr geringe, während die entzündliche immer,
manchmal mehr, manchmal weniger schmerzhaft empfunden wird“.
Oder S. 284 bei Darstellung der Entwicklung des Hydrops der
Gallenblase: „Der Vorgang ist gewöhnlich der: ein Cholesterinstein
hatte im Verein mit Bakterien eine akute, serös-eitrige Cholecystitis
hervorgerufen. Das entzündliche Exsudat hat den Stein in den Hals
der Gallenblase hineingetrieben, so dass er nunmehr fest wie ein
Pfropfen im Flaschenhals sitzt“.
OderS. 294: „Also kann doch das nicht entzündliche Gallen¬
steinleiden Schmerzen machen? Das habe ich nie bestritten, ich
habe immer nur behauptet, dass dazu eine Verlegung des Ductus
cvsticus nötig sei, und dass diese Verlegung viel häufiger entzünd¬
licher als mechanischer Natur ist“.
Nach solchen Sätzen muss man annehmen — ich kann nicht
anders schliessen—, dass Kehr das mechanische Moment des Ver¬
schlusses hinter den Faktor der Entzündung zurücksetzt, mindestens
den letzteren für das primum agens erklären will.
Dafür spricht auch der Umstand, dass er mit der chronischen
Entzündung, für welche er die Aschoff’sche Einteilung in die
Cholecystitis phlegmonosa simplex, die Ch. ulcerosa, die Ch. com¬
plicata, die Ch. phlegmonosa gravis, die Ch. ulcerosa gravis und
die Ch. cicatricans übernommen hat, als mit einem selbständigen
Begriff in dem Sinne operiert, dass es auf den verschiedenen
Grad der chronisch verlaufenden Entzündung ankommt, um die
verschiedenen Bilder derselben hervorzurufen. Kehr setzt zwar
auch — wie Asch off — den Ausdruck „recurrens“ den verschie¬
denen Formen voran. Das könnte darauf hindeuten, dass er nicht
den Vorgang der anatomischen Veränderung als einen chronischen
Prozess betrachtet, sondern nur die Tatsache des Rekurrierenden,
des Recidivs, als etwas in gewissem Sinne Chronisches ansehen
will, dagegen die Veränderungen als solche auf den relativ kurzen
Akt des sich immer wiederholenden Anfalls bezieht. Das wäre
möglich, und dann hätte ich ihn trotz aller Bemühung miss¬
verstanden; für wahrscheinlich kann ich aber nach der ganzen Art,
wie er die „chronische Cholecystitis“ beschrieben, einen solchen
Irrtum meinerseits nicht halten.
Auch nach der Lektüre der Kehr’schen Arbeit im „Handbuch
der praktischen Chirurgie“ (1913) habe ich den Eindruck, dass
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
399
Kehr für die pathologischen Veränderungen in der Gallenblase in
gleichem Masse akute und chronische Entzündungsprozessc ver¬
antwortlich macht, und dass er dem mechanischen Akt des Stein¬
verschlusses nur die Bedeutung einer Gelegenheitsursache oder eines
verschlimmernden Momentes beimessen will, dass aber die Ent¬
zündung als solche unabhängig vom Steinvcrschluss einsetzen, be¬
stehen und sich verschlimmern, ebenso so selbständig aber auch
wieder zurückgehen kann.
Mir scheint, die Auffassung über die vielleicht wichtigste Frage
in der Lehre von den Gallensteinkrankhciten, nämlich über die
Deutung der Gallensteinkolik, ist zum guten Teil Sache der rich¬
tigen Fragestellung. Wenn Kehr sagt: „Der Streit, ob die Kolik
auf rein mechanische oder entzündliche Vorgänge zurückgeführt
werden muss, ist eigentlich ein Streit um des Kaisers Bart“, so
trifft er damit den Kernpunkt der Sache nur insofern, als wohl
Einigkeit darüber besteht, dass beide Momente eine Rolle spieleu.
Aber die Fragen, unter welchen Bedingungen sic ihre Wirksamkeit
entfalten, welches das erste, welches das nachfolgende im Bilde
der pathogenetischen Vorgänge ist, ob und unter welchen Voraus¬
setzungen es Verschluss gibt ohne Koliken und Koliken ohne Ver¬
schluss, ob und welche anatomischen Veränderungen auf den Akt
des Verschlusses zu beziehen sind oder der chronischen Ent¬
wicklung zufallen, — alle diese Fragen sind doch von wesent¬
licher Bedeutung und können nur durch logische Verwertung und
sachgemässe Gruppierung der Einzelbeobachtungen beantwortet
werden.
Es ist der Zweck dieser Arbeit, auf dem eben bezeichncten
Wege dieser Aufgabe einen Schritt näher zu kommen.
Der nachstehenden Zusammenstellung sind 104 Fälle zugrunde
gelegt, die vom Januar 1912 bis Ende Juni 1914 zur Operation
kamen. Von ihnen sind als wertlos für unsere Untersuchungen
bei Seite zu lassen 14 Fälle, weil es sich bei ihnen ganz vor¬
wiegend um Erkrankungen der Gallenwege oder um alte peri-
cholecystitische Vorgänge handelte, während die Veränderungen an
der Gallenblase im Krankheitsbilde zurücktraten. Es bleiben also
90 Fälle übrig, von denen sich 43 im Zustand florider Erkran¬
kung befanden. Mit diesen in erster Linie möchte ich mich be¬
schäftigen.
I. Teil.
Veränderungen der Gallenblase im akuten Anfall.
Ich stelle in die erste Reihe die am meisten charakteristische
und in meinem Material am häufigsten vertretene Form:
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
400
Sprengel,
Digitized by
A. Cholecystitis destructiva, d. h. unlösbarer Steinverschluss
der Gallenblase bei virulentem Inhalt. (27 Fälle.)
Zwei besonders charakteristische Präparate seien hier an der
Hand der gut gelungenen Abbildungen zunächst beschrieben.
Der erste Fall (Taf. XVI, Fig. 5 a, b, Kö.) betrifft eine 49jährige Frau,
die am 26. 6. 1914 mit Fieber von 38,2° lind Puls von 96 ins Krankenhaus
aufgenommen und am 27. 7. entlassen wurde. Sie hatte vor 2 und 1 Jahr an
Gallensteinkoliken gelitten und jetzt seit 3 Wochen gehäufte Anfälle mit typi¬
schen .Schmerzen, die sieh aber immer wieder zurüekgebildet hatten, bis vor
2 X 24 Stunden ein Anfall einsetzte, der nicht wieder zurückging.
Die Untersuchung der im übrigen gesunden Frau ergab einen deutlich
fühlbaren, sehr empfindlichen Tumor der Gallenblasengegend.
Diagnose: Akuter Steinverschluss der Gallenblase- mit Destruktion.
Die von mir sofort ausgeführte Operation bestätigte die Diagnose und
verschaffte uns das auf Taf. XVI, Fig. 5a in etwa 3 4 der natürlichen Grösse
abge b i kle t e P rä p arat.
Die Gallenblase stellt sieh als ein 14 cm langer, 6 cm breiter Körper dar,
hochrot gefärbt; auf der Oberfläche durehseheinend mehrere graugrün gefärbte
Stellen, besonders ausgeprägt an einer Stelle vorn über der Mitte, wo sieh ein
grüner Fleck befindet. Wandung der Gallenblase sulzig verdickt, auf dem
Durchschnitt ödematös.
Die Gallenblase ist umhüllt von agglutiniertem Netz, das etwa dem Lig.
gastro-colicum entspricht, ebenfalls ödematös und entzündlich verändert ist und
sich der Kuppe der Gallenblase, ihrer Form entsprechend, wie eine flach ge¬
formte Schiissel ansehliesst, aus welcher die Gallenblase durch ein paar rotierende
Bewegungen mit dem Zeigefinger leicht herausgehoben werden kann. Im freien
Peritoneum der Umgebung hellgelbes klares Frühexsudat.
Inhalt der Gallenblase: Ueber 20 facettierte Pigmentkalksteine, in einer
trüben, graugrünen, jaucheähnlichen Flüssigkeit schwimmend; ein etwas grösserer
Stein steckt hinter einer Querfalte am Eingang des Ductus cysticus.
Die Innenwand der Gallenblase zeigt über einer unebenen roten Fläche
landkartenähniieh verstreut graugrüne Flecken, die sieh scharf von der roten
Fläche abheben und das charakteristische Bild der Flächengangrän darbieten;
an der vorgenannten Stelle, neben welche ich die Inzision gelegt habe, greift
die Gangrän an die Aussenflüehe der Gallenblase durch, die Serosa mit¬
beteiligend.
Der Ductus cysticus erscheint jenseits von dem festgeklemmten Stein blass
und völlig frei von jeder Entzündung.
Ein Analogon zu dem vorstehenden ist der folgende Fall,
dessen Präparat ich ebenfalls in 3 / 4 der natürlichen Grösse habe
abbilden lassen:
Es handelte sich um eine 42jährige Frau Mö. (Taf. XVI, Fig. 6), die am
28. 3. 1914 von der medizinischen auf die chirurgische Abteilung verlegt
wurde; entlassen am 28.4. Sie hat seit 1 Vo Jahren alle 3 Monate an Gallen¬
steinkoliken gelitten, niemals Ikterus gehabt, kam aber nicht aus diesem
Grunde, sondern wegen der um jene Zeit hier umgehenden Impetigo contagiosa
ins Krankenhaus.
Auf der medizinischen Abteilung, wo sie bei der Aufnahme methodisch
durchuntersucht war und sicher keinen abdominalen Tumor gehabt hatte, er-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallcnstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
401
krankte sie vor 2 Tagen mit den typischen Erscheinungen einer Gallenstcinkolik,
die sicli nicht zurückbildeten.
Bei der Aufnahme auf die chirurgische Abteilung hatte die Kranke Tem¬
peratur von 38,6°, Puls 90 und einen enormen, bis unter den Nabel reichenden,
sehr empfindlichen (iallenblasentumor.
Diagnose: Akuter Steinverschluss der Gallenblase mit Destruktion. Die
sofort von mir ausgeführte Operation bestätigte die Diagnose.
Die Gallenblase war 15 cm lang, etwa S cm breit und bot im übrigen das
auf Tat. XVI. Fig. 6 dargestellte groteske Bild, das in allen Punkten dem ersten,
gtenau beschriebenen gleicht, nur dass es sich um einen kolossalen Solitärstein
handelt, der in einem oberen Rceessus der Gallenblase, diesem genau ausfüllend,
festgekeilt ist.
Scheimhaut destilliert, graugrün verfärbt, Wand stark ödematüs, kolossal
verdickt.
Ductus cysticus (auf der Allbildung schwer erkennbar) eng, aber durch¬
gängig , nicht e n t z ii n d e t, mit nur m a ler, d ii n n e r W a n düng v e r s e h e n.
Die im pathologischen Institut (Prof. Dr. W. H. Sch ult ze) ausgeführte
Untersuchung ergab folgenden Befund: „Im Gallenblaseninhalt grampositive un¬
bewegliche Stäbchen, nicht näher zu klassifizieren. Wand auffallend dick.
Schleimhaut, abgesehen vom Hals, nicht mehr vorhanden. Auf der dünnen
Muskelschicht liegt reichlich Eiter und Fibrin, Subserosa stark ödematüs: zeigt
überall frische Entzündungen. Im Halsteil selbst ist die Schleimhaut, erhalten
(also hinter dem Stein), die Luschka’schen Gänge tief, frei von Entzün¬
dungen. Im Halse ein taubeneigrosser Jvombinationsstcin“ (A sc ho ff); radiärer
Cholesterinstein mit Kalkmantel.“
Pat hol.-anat. Diagnose (W. H. Schnitze): „Frische, hämorrhagische,
eitrig-fibrinöse Entzündung bei Stcinverschluss, früheres, nicht entzündliches
Gallcnsteinleiden."
Ich brauche nicht zu sagen, dass die grob-anatomische Dia¬
gnose nach meiner Auffassung lauten musste: Cholecystitis de-
structiva bei unlösbarem Steinvcrschluss und virulentem Gallen¬
blaseninhalt. Die Begründung soll weiter unten im Zusammenhang
gegeben werden.
Als besonders charakteristisch will ich noch den auf Taf. XVI,
Fig. 7 abgebildeten Fall beschreiben:
L. L., 4S Jahre, Ehefrau, aufgen. 22. 11., cntl. 19. 12. 1918. Früher angeb¬
lich gesund; nur gelegentlich Druck in der Magengegend. Seit 2 Tagen mit
rasch zunehmenden allgemeinen Leibsehmerzen erkrankt, die dann rechts oben
sich lokalisierten. Temperatur 88,7°, Puls 96. Kein Ikterus.
Bei Hippenrandperkussion deutlich Dämpfung rechts oben. Gallenblase
bewegt sich bei der Atmung.
Operation sofort. Schrägschnitt mit komplementärem Medianschnitt.
Im Peritoneum wenig klare Flüssigkeit. Oedein des Ketroperitoneums.
Gallenblase am Hals leicht verlötet; enthält 4 grosse facettierte Steine; der
eine steckt fest im oberen Reecssus hinter einer queren Schleimhautfalte, lässt
sich aber zurück drängen, worauf die Gallenblase sich ausdriieken lässt.
Die bakteriologische Untersuchung des Inhalts ergab Colibazillen in
Reinkultur.
Gallenblasonwand hochgradig ödematüs, grünlich verfärbt; Schleimhaut tief
dunkelrot mit eingestreuten grünen Flecken. Ductus cysticus von normaler Be¬
schaffenheit.
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
402
S j) r (* n lt o 1,
Digitized by
M ik rnskoj)isclu*r He f und (Prüf. Dr. W. H. Sch ult ze): „Die (lalLenbla.se
zeiirt mikroskopisch stark verdickte Wand, Schleimhaut teilweise nekrotisch; in
der Wand mehrere gallehaltige Abscesse. Schleimhaut stark ödematüs.
1. Fundus: Epithel auf der Höhe der Falten fehlt, in der Tiefe
irrüsst c n t e i ls erhalten. Schleimhaut und Muskulatur ziemlich frei von Ent¬
zündung. Suhscrosa stark ddematös. enthält reichlich Fibrin, an einzelnen
Stellen stärken? Leuknzytenanhäufunir, eine Art intrainuraler Abseess.
2. Hals: Intramuraler Abseess nach aussen von der Musctilaris in die
Subsernsa. Enthält neben Leukozyten und Fibrin cnsinirefärbte Kuireln. viel¬
leicht <lureh Eindringen von Galle in den Abseess entstanden (Druek<:eschwür
vom Verschlussstein aus? Schnitze).“
Die drei eben beschriebenen und abgebildeten Fälle stellen
besonders charakteristische Typen für das anatomische Bild der
Cholecystitis destructiva dar, wie sie sich in allen von uns beob¬
achteten Fällen, wenn auch nicht immer mit gleicher Deutlichkeit,
erkennen lassen.
Als das besonders charakteristische und in erster Linie
imponierende Merkmal der Cholecystitis destructiva betrachte ich
den obturierenden oder blockierenden Gallenstein im Blasenhals;
unter meinen 26 Fällen liess er sich nicht weniger als 21 mal mit
aller Deutlichkeit feststellen; in 2 Fällen war ich zweifelhaft, ob
die vorhandenen Steine tatsächlich obturierten oder sich nur in der
Nähe des Blasenhalses aufhielten; in 3 Fällen bestand zwar sicher
ein Verschluss am Eingang in den Cysticus, er war aber nicht
durch Stein bedingt und wird besonders zu betrachten sein.
Die Stellung, welche der Stein im Blasenhals bzw. im Cysticus-
eingang einnimmt, ist im allgemeinen überaus typisch. Man kann
fast immer — cf. z. B. Taf. XVI, Fig. 5 — erkennen, dass der
Stein in einer Art Nische festsitzt, welche von einer querverlaufenden
Falte gebildet wird und den Stein selbst in der aufgeschnittenen
Gallenblase noch festhält, und aus welcher er bei geschlossener
Gallenblase und bei der Operation oft nur unter Schwierigkeit,
zuweilen überhaupt nicht, luxiert werden kann. Auch bei grösseren
Steinen — Taf. XVI, Fig. 7 — ist die Ouerfurche angedeutet, bei
ganz grossen erscheint sie verwaschen, während sich der wachsende
Stein neben dem Ductus cysticus einen nach oben ragenden Recessus
bildet. Der letztere Zustand kommt in Taf. XVI, Fig. 6 deutlich
zur Erscheinung, während man zugleich neben dem Recessus den
unveränderten, mit enger Lichtung in das Cavum der Gallenblase
einmündenden Ductus erkennt.
Für diese ganz grossen Steine mag es dahingestellt bleiben,
durch welche Kraft sie im Gallenblasenhals festgehalten werden.
Es wäre denkbar, dass die Austreibungskraft der Gallenblasen¬
muskulatur sie allmählich gegen den Ductus hindrängt, dass dabei
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Die (iallonsteinkrankheii im Lichte der Anfalloperation.
403
nach und nach sich ein oberer Recessus bildet und die Steine, der
Wandung desselben sich genau adaptierend, in ihm wie in einem
Lager festgehalten werden.
Für die kleineren und mittelgrossen Steine liegt die Annahme
näher, dass sie hinter einer Barriere verankert sind, und dass die
Barriere ein präformiertes Gebilde darstellt. Ich bekenne mich
mit aller Bestimmtheit zu der Annahme, dass es sich bei dieser
Barriere um die unterste oder eine der untersten Klappen des
Ductus handelt; nicht bloss wegen ihrer charakteristischen Lage
und Anordnung, sondern weil man in anderen Stadien der Krank¬
heit (cf. unten) die Einlagerung eines oder mehrerer Steine hinter
diesen Klappensegeln völlig einwandfrei ablesen kann. Betrachtet
man einige der weiter unten zu besprechenden Abbildungen —
z. B. Taf. XVII, Fig. 10 — so wird kaum jemand im Zweifel
darüber sein können, dass die Steine sich hinter den Klappen
gefangen haben und durch die vorspringenden Ränder derselben
am Zurücksinken in das Cavum der Gallenblase verhindert sind.
Der Rückschluss ist gestattet, dass cs bei den destruktiven Formen
nicht anders ist.
Als zweites nicht weniger wichtiges Merkmal der destruierenden
Cholecystitis ist die Eigenart des flüssigen Gallenblaseninhalts zu
bezeichnen.
In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind ihm die Eigen- •
schäften der Galle völlig verloren gegangen, manchmal noch an¬
deutungsweise erhalten; der Regel nach ist aus der Galle eine
ausgesprochen trübe, braunrot gefärbte, jauchige Brühe geworden,
nicht selten von deutlich brandigem Geruch. Es ist auffallend,
dass selbst neuere Schriftsteller diese charakteristischen Eigen¬
schaften des Gallenblaseninhalts bei den destruierenden Formen
nicht erwähnen, noch weniger prinzipiell von dem eitrigen Inhalt
bei Empyem unterscheiden (Grube und Graff u. a.). Körte,
dem wir die weitaus genaueste Schilderung dieser Form verdanken,
spricht allerdings von „missfarbiger Galle“ und erwähnt auch den
mehrfach beobachteten „üblen Geruch“, will aber die Beimischung
von Eiter und Schleim für etwas Gewöhnliches halten und über¬
haupt das Empyem nicht prinzipiell von den destruierenden Formen
trennen.
Man kann ja wohl verschiedener Ansicht darüber sein. Ich
für meine Person möchte glauben, dass wir zu grösserer Klarheit
gelangen, wenn wir das Empyem im eigentlichen Sinne von der
Cholecystitis destructiva abtrennen. Schon die anatomischen Bilder
sind doch sehr deutlich verschieden, wie weiter unten auseinander¬
gesetzt werden soll, und wenn wirklich Uebergänge Vorkommen
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
404
S p r c n g c. 1,
Digitized by
sollten, so könnte es höchstens in dem Sinne sein, dass beim
Empyem, für dessen Entstehung ich nicht einen dauernden, unlös¬
baren, sondern einen wechselnden Verschluss supponiere, gelegent¬
lich der Verschluss plötzlich ein unlösbarer werden kann. Dann
müsste aus dem Empyem eine Cholecystitis destructiva acuta
werden, und es wäre verständlich, wenn von dem eitrigen Inhalt
etwas zurückgeblieben und der sich nunmehr akut bildenden Jauche
beigemischt wäre. Aber daran ist nach meiner Auffassung der
Vorgänge festzuhalten, dass zu dem Bilde des akuten unlösbaren
Steinverschlusses mit anschliessender Destruktion allein das trübe,
jauchige Resultat als wesentlich gehört.
Es ist genau dasselbe, wie bei der analogen Erkrankung des
Wurmfortsatzes. Auch hier besteht bei den Autoren bis heute
kein klares Verständnis dafür, dass das Empyem etwas prinzipiell
anderes ist, als der unlösbare Verschluss des Wurmfortsatzlumens
mit dadurch bedingter akuter Destruktion und Bildung einer
jauchigen Brühe. Sonnenburg bespricht noch in seiner neuesten
Darstellung der Appendicitislehre im „Handbuch der praktischen
Chirurgie“ (1913) beide Affektionen in einem so bunten Durch¬
einander, dass der Lernende, für den das „Handbuch“ doch be¬
rechnet ist, schwerlich zu der Anschauung durchdringen wird,
dass cs sich um pathologisch und genetisch verschiedene Dinge
handelt.
Und doch muss es so sein. Die Jauche in dem akut und
unlösbar verschlossenen Wurmfortsatz — und ebenso in der akut
und unlösbar verschlossenen Gallenblase — ist weiter nichts als
die akut zerfallene und verflüssigte Schleimhaut, der Eiter beim
Empyem dagegen wird von der chronisch entzündeten, teilweise
des Epithels beraubten Schleimhaut sezerniert. Es ist derselbe
Unterschied, um an einem nicht ganz analogen, auch weniger
alltäglichen, aber mehr einleuchtenden Beispiel zu zeigen, was ich
meine, als wenn es bei schweren Auktionen der Harnblase in dem
einen Fall zu purulentem Blasenkatarrh, in dem anderen zum
gangränösen, fetzigen Zerfall der Blasenschleimhaut kommt. Ich
komme bei Besprechung des Empyems an der Hand von charak¬
teristischen Abbildungen darauf zurück.
Entsprechend diesem jauchigen, aus der destruierten und ver¬
flüssigten Scheimhaut gebildeten Gallenblaseninhalt muss das Bild
der Innenfläche der Gallenblase — und das betrachte ich als das
dritte Charakteristikum der Cholecystitis destructiva — in typischer
Weise verändert sein.
Die eben gebrachten Abbildungen geben eine gute Vorstellung
davon. Namentlich illustrieren sie nach Wunsch, wie sich fleck-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Liehtc der Anfalloperation.
405
weise von dem Dunkelrot der hämorrhagischen Schleimhaut die
grauen bis graugrünen Flecken der eigentlich brandigen Partien
abheben.
In der Mehrzahl der Fälle bleibt der nekrotische Zerfall auf
die eigentliche Schleimhaut beschränkt, bisweilen — cf. z.B. Taf. XVI,
Fig. 5 — kommt es zu tiefergreifender Nekrose, welche auch
Muskularis und Serosa beteiligt und auf der Aussenfläehe der
Gallenblase als grüner Fleck sichtbar wird.
Für alle diese nekrotischen Flecken ist die Unregelmässigkeit
der Gestalt typisch. Sie entsprechen bis ins Einzelne den unregel¬
mässigen Nekrosenfiguren, wie sic sich beim Wurmfortsatzverschluss
— cf. Taf. XVI, Fig. 3 — ergeben und auch dort bald auf die
Schleimhaut beschränkt bleiben, bald, alle Schichten der Wand
beteiligend, auf der Aussenfläehe der Serosa zu Tage treten.
Anatomisch und histologisch handelt es sich — an Gallcnblasen-
wand und Wurmfortsatz — um denselben Vorgang, der sich überall
im Körper abspielt, sobald innerhalb seiner Gewebe die Retention
septischer Substanzen stattfindet, d. h. um Einschmelzung distal-
wärts von dem septischen Herd. Ich glaube mich, sowohl bei
mikroskopischen Präparaten vom Wurmfortsatz, wie bei solchen
von der Gallenblase, hinlänglich oft davon überzeugt zu haben,
dass die Infiltration und Mortifikation schichtweise von innen nach
aussen fortschreitet, und dass die Zeichen der Erkrankung allmäh¬
lich von innen nach aussen abnehmen.
Davon, dass die Luschka’schen Gänge — bei diesen akuten
Prozessen — in besonderem Masse beteiligt sein sollen, habe ich
mich ebenso wenig überzeugen können, wie am Wurmfortsatz von
der besonders intensiven Erkrankung der Wurmfortsatzkrypten.
Damit will ich die Aschoff’schen Angaben selbstverständlich nicht
in Zweifel stellen; cs kann mir nicht einfallen, mit einem so er¬
fahrenen Histologen in eine Kontroverse über feinere histologische
Vorgänge treten zu wollen. Nur das wird mir zu bemerken
gestattet sein, dass die von Aschoff beschriebenen Vorgänge in
der Umgebung der Luschka’schen Gänge einem anderen, d. h.
früheren Stadium der Veränderungen in der Gallenblasen wand an¬
gehören dürften, als den akut destruierenden Vorgängen, von denen
ich spreche. Für diese sind sic meines Erachtens bedeutungslos.
Es entzieht sich meinem Studium und meinem Urteil, ob in langsam
chronischem Fortschreiten die auf der Gallenblasenschleimhaut sich
abspielenden entzündlichen Veränderungen gelegentlich die Krypten
in Mitleidenschaft ziehen, vielleicht auch in dem Sinne, dass in
diesen feinen Gängen Sekretretentionen mit kleinen intramuralen
Infiltrationen und Abscesschen der Wandung auftreten; dass aber
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
406
S p r o n IT c 1
Digitized by
die*e Veränderungen in schweren destruierenden, das ganze Organ
betreffenden Vorgängen zum Ausdruck kommen sollten, kann ich
nach dem, was ich gesehen habe, nicht glauben. Diese letzteren
sind nur unter der Vorbedingung der Organ-Okklusion und Retention
möglich.
Die Fälle von scharf demarkierter, ringförmiger Nekrose,
Taf. XVI, Fig. 8, die ich in meiner Monographie über Appendieitis
beschrieben und abgebildet habe (cf. Taf. IV, Fig. 16), habe ich
bei den destruktiven Prozessen der Gallenblase nie beobachtet.
Ich möchte sogar behaupten, dass sie hier gar nicht Vorkommen
können. Sie beruhen offenbar auf thrombotischen Vorgängen,
die sich, im Anschluss an den entzündlichen Vorgang auf der
Schleimhaut, in den Gefässen abspielen (cf. Sprengel, Appendieitis,
S. 166). Im Wurmfortsatz ist die Blutgefässverteilung eine seg¬
mentär gegliederte, ganz ebenso wie in jedem anderen Darm-
abschnitt; kommt es zu einer schweren Zirkulationsstörung, so
muss die Nekrose des zugehörigen Wurmfortsatzabschnittes die
unweigerliche Folge sein und in genau demarkierter Form erfolgen.
An der Gallenblase ist die Blutgefässverteilung bekanntlich eine
prinzipiell andere; sie erfolgt nicht nach der Art der Endartcrien
(wie Czerny, nach Körte citiert, vermutet hat) und unter segmen¬
tärer Anordnung der Gefässe, sondern wird in regelloser Form
von den Verzweigungen der A. cystica besorgt. Wenn es richtig
ist, dass die eigenartigen, regelmässigen, scharf abgegrenzten Nekrose-
liguren., wie man sie im Wurmfortsatz bei einiger Aufmerksamkeit
keineswegs selten beobachten kann, mit Gefässthrombosen Zusammen¬
hängen, so wird man ihnen in der Gallenblase, selbst bei schwer
destruktiven Vorgängen, unmöglich begegnen können.
Es ist selbstverständlich, dass in allen Fällen, in denen die
Nekrose zu einer alle Schichten der Gallenblasenwand durch¬
greifenden geworden ist, die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit der
tatsächlichen Perforation gegeben ist. Wenn wir mit ihr nicht als
mit etwas Typischem rechnen, so bestimmt dazu der gleiche Um¬
stand, wie bei dem analogen Vorkommnis beim Wurmfortsatz, dass
nämlich die gefährdete Wandpartie der Gallenblase von dem agglu-
tinierten Colon transversum und namentlich von Teilen des Lig.
gastro-colicum gegen die freie Bauchhphle fest abgeschlossen wird.
Noch häufiger als beim Wurmfortsatz dürfte diese Schutzvorrichtung
mit vollkommenem Erfolg deshalb funktionieren, weil die Virulenz
des abgeschlossenen Gallenblaseninhalts weniger hochgradig ist als
die des kothaltigen Wurmfortsatzes, und weil die Gallenblase halb
von der Leber gedeckt und in einer Nische hinter dem Colon
transversum liegend, von vornherein besser gegen die freie Bauch-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die frallensteinkrankheit ira Lichte der Anfalloperation.
407
höhle abgeschlossen ist, als der Wurmfortsatz, der keineswegs
selten nach unten, nach hinten oder fast quer durch die Bauchhöhle
nach links hinüber verlaufend, mitten zwischen die Dünndarm¬
schlingen hineinragt.
Dagegen lässt sich die „Durchlässigkeit“ der Gallenblasenwand
gegen Bakterientoxine und gegen Bakterien in allen Fällen an dem
im Frühstadium der Destruktion rein serösen, später sich trübenden
Exsudat in der freien Bauchhöhle erkennen, dem man ziemlich
regelmässig begegnet. Die peritonealen Veränderungen spielen sich
offenbar genau so ab, wie wir cs durch unsere operativen Er¬
fahrungen im Frühstadium der Appendicitis kennen gelernt haben,
d. h. es folgt auf die entzündliche Hyperämie in allen Wandschichten
der Gallenblase der vermehrte Austritt von seröser Flüssigkeit in
die Wandung (Gewebsödem) und ins freie Peritoneum (seröses
Frühexsudat), und aus dieser fibrinreichen Flüssigkeit wird das
Fibrin ausgeschieden, wodurch die jedem Chirurgen bekannten
Agglutinationsvorgängc zwischen Gallenblase und den benachbarten
Organen in die Wege geleitet werden. Für alle weiteren Stadien
ist das Auftreten getrübter oder rein eitriger Flüssigkeit, um¬
schrieben oder diffus, charakteristisch und zweifellos durch dieselben
bakteriellen Einflüsse bedingt, wie bei allen analogen entzündlichen
Vorgängen der intraperitoneal gelegenen Organe. Es würde den
Rahmen unserer Arbeit überschreiten, auch einigermassen über¬
flüssig sein, ausführlicher auf diese Dinge einzugehen.
Worauf es mir an dieser Stelle ankomrat, ist die Feststellung
der für die destruktiven Vorgänge typischen Veränderungen, und
diese lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Destruktion
der Gallenblasenwand in von innen nach aussen abnehmender
Intensität, Verflüssigung der destruierten Schleimhaut zu einer die
Gallenblase füllenden trüb-jauchigen Flüssigkeit, entsprechende
pericystitische, peritoneale Veränderungen und Steinverschluss des
Cysticus durch einen blockierenden Gallenstein.
Es entsteht die Frage — und entsprechend dem in erster
Linie auf die Pathogenese der Gallensteinkrankheit gerichteten
Zweck meiner Arbeit möchte ich sie etwas eingehender besprechen
— wie sich die vorstehend beschriebenen anatomischen Verände¬
rungen genetisch erklären, und ob dem Stein eine für die Krank¬
heitsentwicklung besondere Bedeutung beizumessen ist.
Zweierlei wäre möglich.
Entweder es könnte unter dem Einfluss einer spontan, d. h.
durch ascendiercnd oder descendierend erfolgendes Eindringen von
Mikroorganismen bedingten Gallenblasenentzündung eine schwere
(phlegmonöse) Entzündung der Gallenblasenwand einsetzen, unter
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
408
Sprengel,
Digitized by
ihrem Einfluss ein stärkerer Erguss in die Gallenblase mit ent¬
sprechender Steigerung des Innendrucks erfolgen und dadurch ein
Stein im Gallenblasenhals bis zu völligem Abschluss festgeküemrat
werden. Manche Autoren wollen die Tatsache so oder ähnlich
erklären. Oder aber das Primäre ist die Verankerung des Steins
hinter einem Klappensegel des Ductus cysticus und erst, wenn der
Stein eine genügende Grösse erlangt hat, oder wenn unter seinem
die Schleimhaut reizenden Einfluss aus der Beengung des Abflusses
eine völlige Behinderung bewirkt wird, erfolgt das Einsetzen der
schweren Erscheinungen.
Im ersten Fall würde man das Moment der Entzündung in
den Vordergrund stellen, dem eventuell durch „einen Wechsel in
der Lage des Steins“ (Kehr) eine Schwenkung nach der ungünstigen
Seite aufgeprägt wird; im zweiten Fall würde man zwar auch eine
Entzündung der Gallenblase als bestehend voraussetzen, aber das
Accidens des vollkommenen Abschlusses als das wesentliche und
primäre, mit anderen Worten als dasjenige mechanische Moment
ansehen, welches die Okklusion und Retention und damit die
Steigerung der Virulenz bedingt.
Nach dem, was ich oben gesagt habe, brauche ich nicht zu
betonen, dass ich durchaus Anhänger der letzteren Theorie bin,
der ich durch meine Beobachtungen einige weiteren Stützen geben
möchte.
Meine Gründe für diese letztere Annahme lassen sich in
Folgendem zusammenfassen:
1. Die grosse Regelmässigkeit, mit der sich der Steinverschluss
bei den destruktiven Formen der Gallenblasenerkrankung im Blasen¬
hals vorfindet, spricht für die ätiologische Bedeutung dieser Er¬
scheinung. Wenn nicht der Stein Verschluss, sondern lediglich die
aus beliebigem anderen Grunde erfolgende Steigerung der Virulenz
die Ursache für die Destruktion wäre, so liesse sich nicht einsehen,
warum mit solcher Regelmässigkeit die Einklemmung erfolgen
sollte. Das entzündliche Sekret, als welches man bei dieser Auf¬
fassung den Gallenblaseninhalt ansehen müsste, könnte sich nach
Eintritt der Entzündung ebensogut wie vor demselben zwischen den
Steinen durchdrängen und den Ausgang in den Ductus cysticus
gewinnen. Es ist aber auch nicht anzunehmen, dass die schwer
entzündlich veränderte Gallenblasenwand überhaupt imstande sein
sollte, einen starken Druck auf ihren Inhalt auszuüben und einen
Stein im Gallenblasenhals festzukeilen. Die Erfahrung an anderen
mit Schleimhaut ausgekleideten Organen, insonderheit am Darm,
spricht dagegen. Die Peristaltik des Darms funktioniert nur. so
lange die Darmwandung gesund ist. Wird die Schleimhaut erheb-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkranklieit im Lichte der Anfalloperation.
409
lieh verändert, die Wandung ödematös uud durchlässig, so erlischt
die Funktion der Muscularis; es entsteht das Bild, wie wir es in
allen späteren Stadien der Peritonitis und bei den Endstadien der
Okklusion und Inkarzeration sehen. Diese Endstadien bedeuten
eben nichts anderes, als die passive Dehnung der funktionell un¬
tüchtig gewordenen Darmwand. Bei der Gallenblase wird es
schwerlich anders sein. Dass eine gesunde Gallenblasenmuscularis
einen Stein in den Cysticus drängen kann, ist dagegen selbst¬
verständlich und entspricht lediglich ihrer alltäglichen austreibenden
Kraft; die Arbeitsleistung der kranken Gallenblasenwand muss
naturgemäss erlöschen. Schon daraus folgt, wie mir scheint, mit
Notwendigkeit, dass die Einkeilung des Steins das Primäre, die
Veränderung und Ansammlung des Gallenblaseninhalts das Sekundäre
sein muss.
2. Den zweiten Grund für meine Auffassung möchte ich der
Analogie mit dem — mechanisch betrachtet — sehr ähnlichen
Bilde des Gallenblasenhydrops entnehmen. Ich werde seine Be¬
deutung weiter unten im Zusammenhang besprechen. Aber das
Uebereinstimraende im Bilde des Steinverschlusses — um zunächst
»
nur dies zu erwähnen — muss doch Jedem auffallen, der die eben
beschriebenen Bilder mit den z. ß. auf Taf. XVIII, Fig. 17 u. 19
dargestellten vergleicht. Der Mechanismus der Steinokklusion ist
offenbar ganz der gleiche, und wenn die Wirkung eine verschiedene
ist, so muss das besondere Ursachen haben. Wenn aber heute —
und zwar gewiss mit Recht — der Hydrops der Gallenblase
ziemlich allgemein als „eine relativ harmlose Retentionsgeschwulst“
(Körte) aufgefasst wird, bedingt eben durch die Steinokklusion am
ßlasenhals, so liegt kein Grund vor, die gleiche Erscheinung bei
der destruktiven Form anders zu beurteilen; denn auch beim
Hydrops muss das Primäre der Steinverschluss, das Sekundäre
die wässrige Ansammlung in der Gallenblase sein, weil die atro¬
phische Muscularis des Hydrops der Gallenblase unmöglich die
Kraft besitzt, den Stein im Gallenblasenhals festzukeilen.
3. Noch einen weiteren Analogieschluss möchte ich anführen,
und zwar im Hinblick auf die einschlägigen Fälle bei der destruk¬
tiven Appendicitis. Man kann nämlich dasselbe Experiment, das
ich oben (S. 387) für den durch Kotstein blockierten Wurmfortsatz
beschrieben habe — Entleeren des Wurmfortsatzes nach Lüften
des Steins — auch in den Fällen von Steinverschluss bei destruk¬
tiver Cholecystitis nicht selten ausführen. Uebt man bei der
Operation, nachdem man den Gallenblasenhals freigelegt und den
Stein in ihm festgestellt hat, einen kräftigen Druck auf den Fundus
aus, so gelingt es der Regel nach nicht, auch nur eine Spur des
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
410
S p r e m: e 1,
Digitized by
Inhalts in den Cysticus hineinzudrängen; schiebt man dann den
Stein zurück, so gelingt es gewöhnlich ohne Schwierigkeit, die
Gallenblase zu entleeren. Man kann danach schwerlich etwas
anderes als einen mechanischen Verschluss durch Stein annehmen.
4. In dem gleichen Sinne lässt sich die Tatsache verwerten,
dass man die mit Steinverschluss einhergehenden und nach meiner
Auffassung durch ihn hervorgernfenen und unterhaltenen Fälle von
Cholecystitis destructiva durch Beseitigung der Retention, d. h.
durch einfache Cholecyslostomie heilen kann. Handelte es sich
bei diesen Vorgängen lediglich um besonders heftige, unabhängig
vom Steinverschluss verlaufende Entzündungen, so wäre das nicht
verständlich. Beseitigt aber die Inzision der Gallenblase das Fort¬
schreiten der Destruktion mit derselben Sicherheit, wie die Inzision
eines gespannten Abscesses die begleitenden entzündlichen Er¬
scheinungen. so wird man in dem mechanischen Moment der
Okklusion und Retention die Erklärung für das Entstehen und
Fortbestehen der entzündlichen Vorgänge suchen dürfen.
5. An letzter Stelle möchte ich eine Beobachtung verwerten,
welche man mit voller Deutlichkeit dann machen kann, wenn man
die Exzision der Gallenblase in’toto mit der Freilegung und Durch¬
trennung des Ductus cysticus dicht am Choledochus beginnt und
das Organ mit dem im Anfangsteil des Ductus cysticus fest-
sitzenden Stein herausnimmt. Schneidet man nun auf, so ist es
geradezu frappierend, wie die entzündlichen Veränderungen der
Gallenblase genau am Sitz des Steins abschneiden, d. h. den
Ductus cysticus absolut intakt lassen. Ich habe diese Erscheinung
in mehreren meiner Abbildungen (Taf. XVI, Fig. 5 und t») zur
Darstellung bringen lassen; bei Betrachtung des frisch aufge¬
schnittenen Präparats ist sie noch frappanter und genau der
scharfen Demarkation entsprechend, mit welcher beim okkludierten
Wurmfortsatz die normale Schleimhaut des gesunden proximalen
Abschnitts vom abgeschlossenen distalen Ende des Organs ab¬
schneidet.
Auch anderen Autoren ist diese eigenartige und meines Er¬
achtens bedeutungsvolle Erscheinung aufgefallen; so Kehr, der
diese Tatsache erwähnt, um aus ihr Riedel gegenüber die Un:
müglichkeit zu beweisen, dass die Entzündung der Gallenblase sich
auf die tiefen Gänge fortleitet, und dass die Schleimhautschwcllung
der Gallenblase sich auf den Choledochus fortsetzt.
Eine Täuschung auf meiner Seite ist demnach ausgeschlossen;
die Tatsache steht fest, dass in den Fällen von destruktiver Chole¬
cystitis die Entzündung erst jenseits des okkludierenden Steins
beginnt. Sie kann also gar nichts anderes bedeuten, als dass die
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
411
okkludierende Wirkung des Steins die Entzündung der Gallenblasen¬
schleimhaut bedingt.
Und das ist — aus allen diesen Gründen — allerdings die
Meinung, die ich, in voller Uebereinstimmung mit Körte, der
sich meines Wissens zuerst klar über diesen Punkt ausgesprochen
hat, vertrete. Die destruktiven Vorgänge in der Gallenblase, unter
denen ich das im Vorstehenden geschilderte, sehr charakteristische,
von dem eigentlichen Empyem prinzipiell zu sondernde Bild ver¬
stehe, beruht auf dem unlösbaren Verschluss im distalen Teil des
Cvsticus. Seine Wirkung ist die Retention des virulenten Gallen¬
blaseninhalts mit der unvermeidlichen destruierenden Einwirkung
auf die ihn umschliessenden Bestandteile der Gallenblasenwand.
Körte nimmt an, dass „vor dem Einsetzen der akuten Ent¬
zündung in vielen Fällen ein chronischer Hydrops der Gallenblase
bestanden hat; denn es fand sich häufig nur Eiter und missfarbiger
Schleim, keine Galle in der Blase“. Er meint, „dass der Zufluss
der Galle schon vor der akuten Erkrankung durch einen Ventilstein
abgesperrt gewesen sei, dass aber, wenn auch keine Galle mehr
durchdringe, doch die Mikroorganismen noch eindringen können
und dann in dem gestauten Inhalt der Blase einen sehr geeigneten
Nährboden finden“.
Nach meiner Auflassung muss das Hineinziehen des chroni¬
schen Hydrops die Frage komplizieren, und zwar, wie ich glaube,
unnötiger Weise. Ich habe schon oben erwähnt, dass auch ich
Fälle gesehen habe, in denen sich als Inhalt der in Destruktion
begriffenen Gallenblase neben der mehrfach erwähnten trüben,
jauchigen Flüssigkeit Eiterreste vorfanden. Ich nehme an, dass
in diesen Fällen aus einem chronischen Empyem — cf. weiter
unten — durch plötzlichen Steinverschluss eine Cholecystitis
destructiva hervorgegangen ist. Dass das Gleiche, wie Körte
will, auch beim Hydrops geschehe, halte ich nicht für wahrschein¬
lich. Mindestens fehlt für -diese Annahme der strikte Beweis.
Ich betrachte den Hydrops — cf. unten — als das Endprodukt
des dauernden Steinverschlusses der Gallenblase bei avirulentem
oder avirulent gewordenem Gallenblaseninhalt und kann mir keinen
Grund denken — wenn wir nicht auf den schwer definierbaren
Begriff der descendierenden Infektion zukommen wollen — weshalb
in die abgeschlossene Gallenblase vom Darm her virulente Keime
von Neuem eindringen sollten.
Aber, wie gesagt, dieser Umweg ist zur Erklärung auch min¬
destens nicht nötig. Wenn auch die Frage des sozusagen physiolo¬
gischen Keimgehaltes der Gallenblase vielleicht heute noch nicht
als definitiv beantwortet gelten kann, so sind wir allmählich doch
Archiv Air kl in. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. 9<^
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
412
Sprengel
Digitized by
zu grösserer Klarheit gelangt und wissen, dass „bei Gegenwart
von Konkrementen im Gallengangsystem die Galle stets infiziert
und infektiös ist.“ Mivake, dessen aus dem Jahr 1913 stam-
inender Arbeit ich diesen Satz entnehme, hatte Gelegenheit, in
38 operativen Fällen den Gallenblasen- und Choledochusinhalt.
sowohl mikroskopisch als kulturell zu untersuchen. Er fand ihn
dabei nur einmal mikroskopisch und kulturell steril, zweimal
mikroskopisch bakterienhaltig und kulturell steril, in allen übrigen
35 Fällen war er infiziert und zwar wurden mit einer einzigen
Ausnahme immer Colibazillcn allein oder mit anderen Bakterien¬
arten gemischt angetroffen.
Nach den Untersuchungen von Aschoff und Bacmeister
muss man zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen. Be¬
kanntlich haben die letztgenannten Autoren im Gegensatz zu der
früher allgemein anerkannten Lehre Naunyn’s vom infektiösen
„steinbildenden Katarrh“ der Gallenblasenschleimhaut auf Grund
ihrer Studien über Morphologie und Zusammensetzung der Steine
den Satz aufgestcllt, dass Entzündung für gewisse Steinformen.
nicht für alle Vorbedingung ihrer Entstehung ist, dass vielmehr
schon die einfache Stauung in der Gallenblase genügt, um den
von ihnen sogenannten radiären Cholesterinstein auskrvstallisieren
zu lassen.
Ist aber einmal der Cholesterinstein da, so führt er — sei es
durch Motilitätsstörungen der Gallenblase oder durch wirklichen
Verschluss — zur bakteriellen Entzündung der Gallenblase unter
Umwandlung des Cholesterinsteins zum Kombinationsstein oder
unter Bildung multipler kalkhaltiger Cholesterinpigmentsteine. „Das
Gleiche trifft zu, wo wir ohne primären radiären Cholesterinstein
eine Entzündung der Gallenblase (im Anschluss an Typhus usw.
annehmen müssen, wo die multiple Pigmentkalksteinbildung als
Folge dieser Entzündung anzusehen ist.“
Also auch nach der Aschoff’schen Theorie dürfen wir —
wenn wir von dem radiären Cholesterinstein absehen — überall da
auf bakterienhalligen Gallenblaseninhalt rechnen, wo wir die „ent¬
zündlichen“ Kombinations- oder Pigmentkalksteine antreffen.
Wenn es demnach richtig ist, dass die Galle bei Anwesenheit
von „entzündlichen“ Konkrementen als infiziert gelten kann, so
bedürfen wir für die Entstehung eines akuten Anfalls nicht der
Annahme einer Neuinfektion vom Darm oder vom Blut aus; wir
brauchen aber auch nicht anzunehmen, wie Miyake sich aus¬
drückt, dass „die vorhandenen Bakterien durch Erlangung ihrer
Virulenz krankheitserregend wirken“, sondern die Virulenz als
solche ist vorhanden, und es bedarf lediglich eines mechanischer.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfallopcration.
413
Moments, um sie auf die einhüllende Gallenblasenwand destruierend
wirken zu lassen — und dieses-Moment ist der Verschluss des
Ductus cysticus.
Was ich im Vorstehenden auf Grund meiner Untersuchungen
am frischen Präparat niedergelegt habe, ist, wie schon oben an¬
gedeutet, im Wesentlichen eine Uebertragung meiner Beobachtungen
am dauernd abgeschlossenen und destruierten Wurmfortsatz und
eine Anwendung der seiner Zeit namentlich von Dieulafoy in
seiner Lehre von der Cavite close aufgestellten Theorie, die in
ihren allgemeinen Zügen auf den Experimenten von Klecki be¬
ruht, neuerdings in den oben erwähnten Experimenten von Heile
eine, wie ich glaube, einwandfreie Begründung erfahren hat.
Ob es nötig ist, eine Steigerung der Virulenz des abgeschlossenen
Wurmfortsatz- und Gallenblaseninhalts anzunehmen, oder ob es sich
lediglich um eine Anhäufung der Bakterien und Bakterienprodukte
handelt, vermag ich nicht zu entscheiden. Einen auch in meiner
Monographie über Appendicitis angeführten Versuch Dieulafoy’s
— cf. Sprengel, Appendicitis S. 155 — möchte ich nochmals
bringen. Der genannte Autor impfte von zwei Bouillonröhrchen
das eine mit einem Partikelchen aus dem freien, das andere mit
einem Partikelchen aus dem verschlossenen Teil des Wurmfort¬
satzes. Es entwickelten sich in beiden reichliche Massen von
Colibazillen. Darauf wurden je 6 Meerschweinchen mit den beiden
Kulturen durch Einspritzen von 15 Tropfen unter die ßauchhaut
geimpft und zwar so, dass nicht alle Meerschweinchen gleichzeitig,
sondern jeden Tag zwei von jeder Sorte geimpft wurden. Wah¬
rend nun die Meerschweinchen der ersten Serie gesund blieben
bis auf ein kleines hartes Knötchen an der Impfstelle, kam es bei
denen der zweiten Serie zu gangränösen Abscessen, und alle Tiere
gingen zu Grunde. Das würde ceteris paribus für eine Steigerung
der Virulenz in der abgeschlossenen Höhle sprechen, ebenso wie
die Experimente von Klecki, der schon im Jahr 1895 den Be¬
weis zu erbringen suchte, dass in einer abgeschnürten Darmschlinge
die Mikroben wuchern, und flass im Besonderen die Colibazillen
im Innern der Darmschlingen virulenter werden, bevor sie durch
die Darmwand wandern. Da es festzustchen scheint, dass bei den
einschlägigen Prozessen der Gallenblase gerade die Colibazillen
eine bedeutungsvolle Rolle spielen (Miyake), so scheinen mir die
experimentellen Untersuchungen für die Annahme einer Virulenz¬
steigerung einigermassen wertvoll zu sein. Auch die Untersuchungen
von Heile sprechen, soviel ich sehen kann, nicht dagegen.
Indessen erlaube ich mir über diese bakteriologische Frage
kein Urteil. Es kommt mir lediglich darauf an, festzustellen,
28 *
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
414
Sprengel,
Digitized by
dass meine epikritischen Untersuchungen am frisch herausgenom¬
menen Präparat mit grosser Sicherheit für die Annahme sprechen,
dass für die akut destruierenden Prozesse an der Gallenblase das
mechanische Moment des unlösbaren Steinverschlusses als das
Primum agens anzusehen ist, und dass sich nur unter dieser ur¬
sächlichen Vorbedingung die akut entzündlichen Prozesse im Galien-
blaseninhalt und in der Gallen blasen wand vollziehen.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Steineinklem¬
mung erfolgt, möchte ich weiter unten im Zusammenhang besprechen,
sie lässt sich nur vermutungsweise beantworten.
An dieser Stelle muss ich, um vollständig zu sein, noch kurz
derjenigen Fälle gedenken, bei denen es sich nicht um Steinver-
schluss im eigentlichen Sinne handelte, sei es, dass überhaupt kein
Stein vorhanden war, sei es, dass er nicht fest eingekeilt im Ductus
cysticus sich yorfand, während doch der Verschluss der Gallen¬
blase als solcher über allem Zweifel feststand.
Wir haben diesen Verschluss einesteils gefolgert, indem wir
aus der gleichen Wirkung — den destruktiven Vorgängen an der
Gallcnblasenwand — auf die gleiche Ursache schlossen; wir glauben
uns aber auch durch direkte Beobachtung überzeugt zu haben,
dass es sich nicht in allen Fällen von destruktiver Cholecystitis
um Steinverschluss im eigentlichen Sinne zu handeln braucht,
sondern dass entweder der am Gallenblasenhals der Schleimhaut
anliegende Stein eine Verschwellung derselben hervorruft, welche
schliesslich den Ausgang versperrt, oder dass — ausnahmsweise
— auch spontan eine absperrende Verschwellung am Gallen¬
blasenhals eintreten kann, ohne dass überhaupt ein Stein in der
Gallenblase vorliegt.
Als Beispiel möchten wir den Fall eines 67jährigen, am 27. 2. 1913 ope-
vierten, am 6. 3. gestorbenen Mannes mitteilen, dessen Gallenblase auf Taf. XVII,
Fig. 9 (Fi.) abgebildet ist.
Er war, früher stets gesund, 8 Tage vor der Aufnahme mit allgemeinem
Uebelbefinden und unbestimmten Untcrleibssymptomen erkrankt, die sich erst
am Tage vor der Aufnahme zu heftigen, konstanten, nicht kolikartigen Schmerzen
der rechten Oberbauchgegend steigerten. Temp. 38,6°, Puls 112. Kein Ikterus.
Kein Erbrechen. Diffuse Bronchitis.
Es fand sich unter der normal stehenden Leber die Gallenblase als grosser
Tumor fühlbar, fast bis zum Nabel herabreichend.
Bei der sofort vorgenommenen Operation fand sich die Gallenblase mit
Netz agglutiniert; sie enthielt über 300 ccm braunrote, stark getrübte, nicht
gallige Flüssigkeit und 15—20 erbsen- bis bohnengrosse, ziemlich weiche 8teine,
von denen keiner im Gallenblasenhals fixiert- war.
Gallcnblasensehleimhaut in fleckweiser Destruktion (s. Abb.).
Die mikroskopische Untersuchung im pathologischen Institut ergab:
Schleimhaut vollkommen destruiert, keine Epithelien mehr nachweisbar, stellen¬
weise Granulationsgewebe mit Fibrinauflagerung. Muscularis nur in Spuren
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation.
415
vorhanden. Scrosa: starkes Ocdem. In allen Schichten starke Entzündung; mehr¬
fach intramurale Abscesse, von der Innenfläche zur Serosa reichend. Makrosko¬
pisch als gelbliche, durchscheinende Flecke auf der Serosaseito erkennbar.
Was nun dem Falle für die Beurteilung der mechanischen Ver¬
hältnisse eine grosse Bedeutung gibt, ist der Umstand, den ich in
analogen Fällen auch sonst mehrfach beobachtet habe, dass sich
die Gallenblase in situ, obwohl der Hals sicherlich frei von Steinen
war, nicht ausdrücken liess. Es muss also der Abfluss durch ein
anderes Hindernis gehemmt gewesen sein.
Dass als Abflusshemmung nur eine akute Schwellung der
Schleimhaut in Frage kommen kann, beweist ausser dem Aspectus
des hochroten, ödematösen Eingangs der aufgeschnittenen Gallen¬
blase noch eine weitere Beobachtung, die man an den Fällen
machen kann, in denen man unter sonst gleichen Umständen die
Operation auf die Drainage der Gallenblase beschränkt. Wir
glauben uns wiederholt mit aller Sicherheit überzeugt zu haben,
allerdings in einer etwas zurückliegenden Zeit, wo wir lediglich
die Drainage der Gallenblase vorzunehmen pflegten, dass die Galle
erst nach einigen Tagen anfing, durch den Schlauch abzulaufen.
Offenbar geschah es erst, nachdem die Verschwellung am Eingang
in den Ductus cysticus rückgängig geworden war.
Uebrigens kann auch in diesem Punkte die Analogie mit den
übereinstimmenden Verhältnissen des Wurmfortsatzes herangezogen
werden. Ich habe an einschlägiger Stelle durch zahlreiche Prä¬
parate den Beweis erbracht und schon oben darauf verwiesen,
dass keineswegs immer der Kotstein durch Blockade des Wurm¬
fortsatzlumens die Okklusion herbeiführt, sondern nicht selten
durch Anregung einer Schleimhautverschwellung bzw. im Verein
iftit einer solchen das Lumen abschliesst. Es ist nur folgerichtig,
dass an den sehr übereinstimmenden Verhältnissen am Gallenblasen¬
hals ähnliche Erscheinungen sich abspielen.
Fasse ich das in diesem ersten Abschnitt Gesagte zusammen,
so könnte es in folgendem Satze geschehen:
Die akut destruktiven Vorgänge in der Gallenblase
werden bedingt durch den akuten unlösbaren Stein¬
verschluss der mit virulentem Inhalt gefüllten Gallen¬
blase; in relativ seltenen Ausnahmefällen kann der me¬
chanische Verschluss auch durch Schleimhautverschwel¬
lung am Gallenblasenhals — unter dem irritierenden
Einfluss eines Steins oder ohne einen solchen — erfolgen.
Wie ich den Vorgang der Perforation der Gallenblasen¬
wand erkläre, bedarf nach dem Gesagten keiner ausführ¬
lichen Deduktion.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
416
Sprengel,
Digitized by
B. Cholecystitis Simplex, d. h. lösbarer, vorübergehender Stein-
verschluss bei virulentem Inhalt; typische Gallensteinkolik
(16 Fälle).
Um gleich eingangs dieses Abschnitts prägnant auszusprechen,
was ich meine, so geht meine Ansicht dahin, dass es sich auch
bei dem typischen Gallensteinkolikanfall lediglich um einen Stein¬
verschluss am Eingang in den Ductus cysticus handelt, der zu
einer Retention in der mit virulentem Inhalt gefüllten Gallenblase
führt. Während aber bei der unter A. beschriebenen Form der
Verschluss ein unlösbarer, dauernder war und eben deshalb mit
Notwendigkeit zur Destruktion der Gallenblasenwand führte, kommt
es in den Fällen vorübergehenden Verschlusses zur Lösung der
Okklusion und zu relativ schnellem und vollständigem Rückgang
aller Symptome.
Die Gründe, w r elche mich zu dieser Auffassung bestimmen,
denke ich an der Hand von instruktiven Abbildungen darzulegen.
Vorher möchte ich einige der gangbarsten Anschauungen der Au¬
toren über die Erklärung des typischen Kolikanfalls wiedergeben,
bzw. versuchen, es zu tun. Es ist mir trotz eifrigen Bemühens
keineswegs leicht geworden, die eigentliche Meinung der Autoren
festzustellen, ein Missverständnis auf meiner Seite ist somit nicht
ausgeschlossen.
Um wieder mit Riedel zu beginnen, so habe ich dessen An¬
schauungen über „Perialienitis“ schon oben besprochen. Ich füge
hinzu, dass er — wenn ich ihn recht verstehe — den im Blasen¬
hals steckenden Gallenstein zwar auch nicht als etwas völlig Be¬
langloses betrachtet; aber die Bedeutung eines akut okkludicrenden
Momentes schreibt er ihm offenbar nicht zu. Der Stein begünstigt
oder bewirkt nur die langsame Entwicklung eines Hydrops in der
Gallenblase. Der „Kolikanfall ist stets eine akute Entzündung um
einen Fremdkörper herum, eine Perialienitis, gleichgültig, ob der
Stein in der Gallenblase, oder im Ductus cysticus, oder im Ductus
choledochus steckt“. Diese „Entzündung“ ist das primum agens:
sie „führt zur Vermehrung der in der Gallenblase befindlichen
hydropischen Flüssigkeit, und der vermehrte Flüssigkeitsdruck
treibt den Stein, wenn er klein ist, in den Ductus cysticus“. Je
nach der relativen Grösse des Steins und den Druckverhältnissen
in der Gallenblase kann der Stein durch Ductus cysticus und
choledochus „geworfen“ werden — Riedel nimmt an, dass Steine
bis zu 1 cm Durchmesser glatt die grossen Wege und die Papille
passieren können (!) — oder der Stein bleibt ruhig im Blasenhals
stecken, während sich die Entzündung ebenso selbständig und
Go^ gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation.
417
spontan, wie sie entstanden ist, unter Rückgang der Koliksymptome
wieder zurückbildet. Die bei den akuten serösen Ergüssen meist
fehlenden (?), bei den späteren Anfällen mit serös-eitrigen oder
rein eitrigen Ergüssen gewöhnlich vorhandenen Mikroorganismen
betrachtet Riedel als ein ätiologisch unwichtiges Accidens.
Ich habe schon oben die Gründe angegeben, warum ich den
Begriff der „Perialienitis“ nicht anerkennen kann und auch durch
Riedel’s Analogieschlüsse nicht für erwiesen ansehe. Folgendes
möchte ich hinzufügen. Wenn die Steine, was nicht zu bezweifeln
ist, in vielen Fällen symptomlos ein halbes Menschenleben in der
Blase liegen können, um schliesslich als zufälliger Befund in der
kaum veränderten Gallenblase angetroffen zu werden, so können
sie nicht an sich und auch nicht im Sinne Riedel’s den eigentlichen
Anlass für den „akuten Anfall“ abgeben. Im Gegenteil, die Tat¬
sache des symptomlosen Verweilens .müsste a priori gegen 'die
Wirkung des corpus alienum, gegen die Annahme einer Perialienitis
sprechen. Wenn andererseits feststeht, dass so ziemlich in allen
Fällen, wo Konkremente in der Gallenblase liegen, auch das Vor¬
handensein von Mikroorganismen vorausgesetzt werden darf, so ist
die einfache Annahme einer potenzierten Entzündung unmöglich
als eine ausreichende Erklärung für die Entstehung des Kolikanfalls
anzusehen. Denn immer wird man weiter fragen müssen und nur
dann zu klarerer Anschauung gelangen können, wenn man die
Frage beantworten kann, durch welches Moment denn die plötz¬
liche, blitzartig einsetzende Steigerung der Entzündung ausgelöst
wird. Mit der vagen Unterstellung des Trauma oder einer vom
Darm oder vom Blut her eingeleiteten Virulenzsteigerung ist nichts
gewonnen. Die Forschung nach dem Trauma lässt in der Anamnese
der Gallensteinkolik genau ebenso im Stich wie bei der Appendicitis,
und in der Untersuchung der Virulenzsteigerung sind wir lediglich
auf Vermutungen angewiesen.
Auch das ist mindestens nicht allgemein richtig, dass der
Kolikschraerz sich durch die Tatsache der Entzündung erklärt.
Wenn Riedel den Satz aufstellt, „wo Schmerz ist, da ist Ent¬
zündung“, so kann er damit zwar anscheinend auf einem der alten
Kardinalsätze über den Entzündungsbegriff fussen; trotzdem frägt
es sich, wie weit der Satz haltbar ist. Wenn man sich gegenwärtig
hält, wie die offenen Enzündungen in weiten Körperkanälen, also
z. B. bei typhösen Erkrankungen des Darms oder bei schweren
katarrhalischen oder dysenterischen Prozessen fast ohne nennens¬
werte Schmerzen sich abspielen, wenn man daran denkt, dass wir
heute die allerschwersten entzündlichen Prozesse, z. B. bei der
Peritonitis, verlaufen sehen, ohne dass die Schmerzempfindung das
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
418
S p r c n g e i,
Digitized by
Krankheitsbild zu beherrschen braucht, so wird man an der Zu¬
verlässigkeit des Axioms zweifelhaft. Und wenn man andererseits
einen akuten Strangulationsileus in den ersten Stadien mit seinen
wüsten Schmerzparoxysmen beobachtet hat, so möchte man mit
grösserer Ueberzeugung sagen, dass nicht die Entzündung den
Schmerz verursacht, sondern die Okklusion und Retention. Schliess¬
lich beweist ja jeder Stirnkopfschmerz beim gemeinen Schnupfen,
der nachlässt, sobald der Abfluss aus den Nebenhöhlen der Nase
sich herstellt, jede Eiterverhaltung hinter dem gespannten Trommel- .
feil und die Erlösung nach der Paracentese, dass nicht die offene,
sondern die abgeschlossene Entzündung, d. h. das Moment der
Retention den Schmerz hervorruft. Ich kann es nicht beweisen,
habe aber oft genug die Vermutung gehabt, und glaube damit
fremde Beobachtungen bestätigen zu können, dass auch bei der
Appendicitis der meist sehr heftige Anfangsschmerz so lange
besteht, als der okkludierte Wurmfortsatz seinen Inhalt fest um¬
schlossen hält. Kommt es zur Perforation, vorausgesetzt, dass sie
nicht ganz frei in die ungeschützte Bauchhöhle erfolgt, so pflegt
der.Schmerz zunächst nachzulassen; die von Dieulafoy sogen,
accalmie traitresse, d. h. ein spontaner Nachlass der Schmerzen
am 2. oder 3. Tage der Appendicitis, den wir Chirurgen heute im
Zeitalter der Frühoperation nur noch aus der Erinnerung kennen,
ist vielleicht nichts weiter als die durch spontane Perforation des
Wurmfortsatzes sich lösende Retention. Wenn ich den Satz auf¬
stellen wollte — und ich bin sehr geneigt, es zu tun — wo Schmerz
ist, da ist Retention, so glaube ich damit der Wahrheit näher zu
kommen, als es der Riedel’sche Ausspruch tut, und auf den
„akuten Anfall“ im Gallensteinleiden angewendet, würde er sehr
wohl geeignet sein, unsere Anschauungen von dem unbestimmten
Begriff der spontanen Virulenzsteigerung auf das sehr exakte
mechanische Moment der Retention hinüberzuleiten.
Die Riedel’schen Deduktionen, die ich trotz meiner ab¬
lehnenden Haltung doch als anregend und wertvoll betrachte,
haben bei den Chirurgen keine sehr eingehende Diskussion hervor¬
gerufen; von den Internisten hat Strümpell sie in seinem be¬
kannten Lehrbuch zum guten Teil acceptiert. Die „Perialienitis^
will er allerdings nicht voll anerkennen, aber doch den langsam
sich entwickelnden Hydrops im Riedel’schen Sinne mit dem auf i
ihm sich auf bauenden akut entzündlichen Anfall, wobei er nicht 1
die „Perialienitis“, sondern das vom Darm her erfolgende Ein¬
dringen und die pathogene Wirksamkeit gewisser Bakterien suppo- ,
niert. Ebenso hat er die Riedel’sche Lehre von dem erfolglosen '
und erfolgreichen Anfall, sowie den Riedel’schen „Einklemraungs-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallensteinkrankhcit im Liebte der Anfalloperation.
419
schmerz“, der sich dem Entzündungsschmerz zugesellen soll, an¬
genommen. Ich habe mehrfach betont, dass ich darin ebenso
wenig eine Aufklärung der pathogenetischen Vorgänge erkennen
kann.
Andere Internisten haben sich weniger bedingungslos auf die
Riedel’schen Anschauungen eingestellt.
Ewald (Erkrankungen der Gallenblase und Gallengänge)
wendet sich ausdrücklich gegen die „entzündlichen Sekretions¬
koliken“, wie er sie nennt. „Eine entzündliche Schwellung“, —
die Riedel übrigens weniger ira Sinne haben dürfte, als das akut
entzündliche Exsudat der Gallenblase mit Dehnung der Wand —
„wenn sie auch noch so stark ist, kann nur dauernde Schmerzen,
aber nicht Koliken machen, deren Charakteristikum das plötzliche
Ansteigen und Zurückgehen der Schmerzen ist“. Auch der sofortige
Nachlass, bzw. das dauernde Fehlen derselben nach Abgang eines
Steins, bzw. bei einem nicht erfolgreichen Anfall nach Rückfall
des Steins in die Blase, spricht gegen die Auffassung der Koliken
als eines rein entzündlichen Vorganges. Man kann unmöglich an¬
nehmen, dass mit dem Moment des Steinabganges auch die Ent¬
zündung der Blasenwand aufhört. Die Entzündung'der Blase wird
zunächst nicht geändert, wäre sie aber die Ursache der Kolik, so
könnte letztere nicht so plötzlich nachlassen, wie sie es in Wahr¬
heit bekanntermassen tut.“ Ewald meint, dass Koliken im eigent¬
lichen Sinne nur dadurch entstehen können, dass die Muskulatur
durch erfolgreiche oder erfolglose Kontraktionen gegen ein Hindernis
anzukämpfen sucht. Dass „dieses Hindernis indirekt durch die
Entzündung der Blase oder der Gänge eingeleitet wird“, will Ewald
nicht bestreiten.
Die Ewald’schen Einwendungen scheinen mir durchaus be¬
achtenswert und sind mir aus dem Grunde besonders sympathisch,
weil er zur Erklärung des Kolikanfalls das mechanische Moment
in den Vordergrund drängt. Dass ich seine Beweisführung nicht
für ausreichend halten kann, ist nach dem Gesagten einleuchtend.
Naunyn unterscheidet, wie ich der Arbeit Körte’s entnehme,
zwischen regulärer und irregulärer Cholelithiasis und versteht unter
der ersteren die ohne wesentliche Entzündung verlaufende, unter
der zweiten die durch den Hinzutritt von Entzündung komplizierte
Form der Krankheit. Er hat sich, wie Kehr (1899) ausführt, zur
Erklärung des Kolikanfalls mehr und mehr der Entzündungstheorie
zugewandt und gegen die ältere Erklärung ausgesprochen, wonach
die mit der Wanderung der Steine verbundenen physiologischen
und physikalischen Vorgänge die Symptome der Gallensteinkolik
ausmachen, und die Schmerzen der Ausdruck der Reizung und des
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
420
Sprengel,
Digitized by
Zwanges sein sollten, welche die Wand des Ductus cysticus oder
choledochus durch den eingeklemmten Stein erleidet.
Körte, dessen Anschauungen über die destruktiven Formen
der Cholecystitis ich oben eingehend gewürdigt habe, neigt für die
Erklärung des akuten vorübergehenden Kolikanfalls zu einer prin¬
zipiell anderen Erklärung, als bei den oben geschilderten Formen.
Er meint, „dass beim normalen oder regulären Gallensteinkolik¬
anfall, welcher mit Abgang von Steinen endet, und nach dessen
Beendigung sich die Patienten sehr schnell, oft unmittelbar nach
Aufhören der Schmerzen wieder wohl fühlen, wesentlich der Reiz
des Fremdkörpers die Gallenwege zu schmerzhaft empfundenen
Kontraktionen anregt, ohne dass eine infektiöse Entzündung dabei
ist. Nach dem Abklingen eines solchen Anfalls wird die vorher
kaum zu berührende Gallenblasengegend sofort schmerzfrei. Den¬
selben Vorgang sehen wir bei den Nierensteinen, solange der Urin
aseptisch ist. Tritt eine Infektion hinzu, oder bestand schon vor¬
her eine Infektion in den Gallenwegen, dann ist der Verlauf ein
viel schwererer, die Gallenblasengegend bleibt dann auch nach
dem Abklingen der Koliken schmerzhaft.“
Die letztere Unterscheidung, auf die Körte mit Recht beson¬
deres Gewicht legt, ist gewiss bedeutungsvoll; seiner Erklärung
kann ich mich aber nicht anschliessen. Wenn der „Reiz des
Fremdkörpers“ in den Gallenwegen als solcher die schmerzhaften
Kontraktionen hervorriefe, so wären die nachweislich nicht so
seltenen Fälle unerklärlich, in denen man kleine und selbst
grössere Steine im Ductus cysticus findet, die, offenbar aus der
Gallenblase in ihn einwandernd, hinter den Klappensegeln stecken
bleiben, ohne dass im Moment der Operation ein Anfall bestände.
Ich werde weiter unten solche Fälle abbilden und verweise auf die
Taf. XVII, Fig*. 11 und 12. Der „Reiz des Fremdkörpers“ allein
kann es nicht machen, sonst müssten Kranke mit so gelagerten
Steinen nicht aus den Anfällen herauskomraen.
Und ferner: bei den infektiösen Formen, die Körte — ent¬
gegen meiner Anschauung — prinzipiell von den Gallenstein¬
koliken im engeren Sinne scheiden will, wandelt sich allerdings
das Bild der Kolik im Laufe der klinischen Entwicklung um. Aus
der Kolik mit den schmerzhaften, wehenartigen Kontraktionen der
Gallenblasenwand wird das Bild des intraperitonealen Exsudats;
aber nicht, weil eine Infektion hinzutritt — eine solche entwickelt
sich immer, und zwar mit dem Moment der Okklusion der mit
virulentem Inhalt gefüllten Gallenblase, mit anderen Worten , so¬
bald aus der „offenen“ Entzündung eine „geschlossene“ wird —,
sondern weil die Gallenblasenwand, sobald die Lösung der Okklu-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallcnsteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
421
sion und Retention ausbleibt, ödematös und entzündlich infiltriert
wird und damit ihre Kontraktionsfähigkeit verliert.
Den Vergleich mit dem aseptischen Nierenstein möchte ich
allgemein nicht für zutreffend halten, soweit es sich um die von
der Gallenblase ausgehende Kolik handelt. Nach meinem Dafür¬
halten könnte man höchstens den Verschluss durch den nicht ent¬
zündlichen Gallenstein (den radiären Cholesterinstein Aschoff’s)
bei aseptischem Gallenblaseninhalt in Analogie setzen, zumal auch
bei seiner dauernden Einklemmung — ebenso wie beim dauernden
Verschluss durch aseptischen Nierenstein — eine hydropische An¬
schwellung des Organs zustande kommt. Wir kommen bei Be¬
sprechung des Hydrops darauf zurück. Im übrigen scheint die
Meinung der Autoren dahin zu gehen, dass auch für die Harn¬
leitersteine nicht sowohl der „Reiz des Fremdkörpers“, sondern
die Okklusion und Retention das schmerzauslösende Moment ist,
oder, wie Küster sagt, dass „die Ursache der Schmerzen in den
sehr kraftvollen peristaltischen Bewegungen des Harnleiters zu
suchen ist, welche reflektorisch ausgelöst werden, um das Hinder¬
nis für den Urinabfluss zu beseitigen“.
Grube und Graff wollen für manche Fälle die Riedel’sche
Theorie von der Fremdkörperentzündung zulassen, betrachten sie
aber nicht als das einzige ätiologische Moment. Neben ihm soll
die mechanische Reizung, welche „die Durchpassierung eines oder
mehrerer Konkremente aus der Gallenblase nach dem Darm“ her¬
vorruft, zur Entstehung der Kolikschmerzen beitragen. „Bei den
grossen Kolikanfällen summieren sich eine ganze Anzahl von Mo¬
menten, um die Wirkung hervorzubringen: Entzündung, Dehnung
der entzündeten Gallenblase durch das entzündliche Exsudat, Ein¬
tritt von Konkrementen in den Gallengang und Durchtritt derselben
in den Darm oder Zurückgleiten aus dem Ductus cysticus in die
Gallenblase. Nicht alle Momente spielen bei jeder Kolik eine
Rolle.“
Zum Beweis, dass mechanische Reizung allein heftige Schmerz¬
anfälle hervorrufen kann, führen die Verfasser eine Mitteilung von
Bertelsmann an, der bei Choledochusverschluss durch Tumor
(ohne Stein) typische Kolikanfälle beobachtet haben will, sowie
einen Fall von Blutung in die Gallenblase bei Typhus (Solieri),
in welchem die Austreibung der Blutgerinnsel aus der Gallenblase
unter schmerzhaften Kontraktionen erfolgt sein soll.
Die Ansichten Kehr’s über die Erklärung des Kolikanfalls
habe ich schon oben unter den allgemeinen Vorbemerkungen skizziert.
Wenn man — ähnlich wie es bei der Theorie des appendicitischen
Anfalls zulässig ist — die Autoren in zwei Gruppen teilen kann,
Digitized by
Go», igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
422
Sprengel,
Digitized by
je nachdem sie sich mit der Annahme einer Infektion begnügen,
oder sie mindestens ganz vorwiegend in Betracht ziehen, während
die zweiten ein mechanisches Moment als einleitend oder ver¬
stärkend oder konkoraitierend heranziehen wollen, so darf man ihn,
wie ich glaube, der ersteren Gruppe zurechnen. Auch die Ein¬
teilung Kehr’s der akuten Gallenblasenentzündungen in seröse,
serös-eitrige, phlegmonös-gangränöse Cholecystitis spricht für diese
Beurteilung der von ihm vertretenen Anschauung.
Aehnliches dürfte von Aschoff gelten, der sich übrigens
gerade dieser Frage nicht eingehend angenommen hat.
Interessant war mir, was vor kurzem Schultze (Posen) in
der Vereinigung der südostdeutschen Chirurgen über die „Aetiolo-
gie der akuten Cholecystitis“ ausgeführt hat. Er nennt sie „keine
einheitliche“. „In einem Falle sind die Steine bzw. die durch sie
hervorgerufene Stauung das Primäre, dem dann die Infektion des
Blaseninhalts folgt; im anderen Falle tritt, unabhängig vom Vor¬
handensein von Steinen als Metastase entfernter Entzündungsherde
eine Phlegmone der Blasenwand zuerst auf. Dazwischen viele
Mischfälle.“ Ich nehme an, da Schultze für seine Fälle die
„Frühoperation“ vorschlägt in demselben Sinne, wie bei der ana¬
logen Behandlung der Appendicitis, dass er nur die schwer de¬
struktiven Fälle in Betracht ziehen, die Fälle von typischer Gallen¬
steinkolik beiseite lassen will. Aber auch mit dieser Einschränkung
kann ich ihm nicht zustimmen. Ich habe trotz ziemlich reicher
Erfahrung keinen einzigen Fall gesehen, in dem ich die Erkran¬
kung der Gallenblasenwand als „Metastase eines entfernten Ent¬
zündungsherdes“ hätte vermuten können. Immer hatte ich den
Eindruck, dass das schwere Krankheitsbild primär und ausschliess¬
lich durch die Erkrankung der Gallenblase bedingt war. Für diese
Auffassung spricht im übrigen auch der geradezu koupierende Ein¬
fluss der sofortigen Operation. Die Frage scheint mir ähnlich zu
liegen, wie bezüglich der Bedeutung der Angina tonsillaris als In¬
fektionsquelle der Appendicitis; die Analogie ist freilich keine
vollständige, da die Möglichkeit der Uebertragung von virulentem
Bakterien material durch Verschlucktwerden (Kretz) selbstverständ¬
lich ausfällt,, aber auch die hämatogenetische Uebertragung einer
schweren Infektion auf die Gallen blasen Wandung müsste mindestens
durch Einzelfälle näher gerückt werden, wenn man sie anerkennen
sollte. Bis auf weiteres wird man für die allenfalls in Betracht
kommenden seltenen Ausnahmen wohl nur eine Zufälligkeit an¬
nehmen dürfen.
Gehe ich nach dieser Besprechung einiger von den neueren
Autoren vertretenen Anschauungen auf eine Darlegung dessen über,
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lielite der Anfalloperation.
423
was ich bei den von mir operierten einschlägigen Fällen von
akutem, vorübergehendem Steinverschluss der Gallenblase gesehen
habe, so muss ich von vornherein bemerken, dass das Material
wesentlich hinter den Fällen der ersten Gruppe zurücksteht. Aus
einem sehr einfachen Grunde. Der Anfall geht meist vorüber, bevor
die Kranken sich zur Operation entschliessen. Sie haben nach ihren
eigenen Erfahrungen ja schliesslich recht, wenn sie darauf bauen,
dass der schwere Zustand ebenso plötzlich, wie er gekommen ist,
abklingt. Das geschieht, wie jeder und namentlich jeder Kranke
weiss, nach einer oder mehreren Stunden, in ungünstigen Fällen
nach einem halben oder ganzen Tage, und erst, wenn nach dieser
Zeit die Beschwerden nicht nachlassen, wenn Fieber einsetzt, und
in der Oberbauchgegend ein typisches Exsudat unter der Leber
sich bildet, mit anderen Worten, wenn aus dem vorübergehenden
Steinverschluss eine unlösbare Okklusion und Retention mit den
deletären Folgen für die Gallenblasenwand wird, entschliesst man
sich zur Operation. Es würde auch dann noch nicht geschehen,
wenn nicht in der Ueberzahl der Fälle die falsche Diagnose Appen-
dicitis ausgesprochen oder vermutet würde, deren schroffere Indi¬
kation im Laufe des letzten Jahrzehnts in das Bewusstsein der
Aerzte und des Publikums eingedrungen ist. Wir glauben es auch
für die Fälle der zweiten Gruppe mehrfach dieser Fehldiagnose zu
verdanken zu haben, dass charakteristische Fälle von Cholecystitis
siniplex (vorübergehender Steinverschluss) im Anfall oder se früh
nach demselben zur Operation kamen, dass wir die typischen ana¬
tomischen Veränderungen studieren konnten. Es kommen im ganzen
16 in Betracht. Versuchen wir an der Hand einiger besonders in¬
struktiver Abbildungen das anatomische Bild zu zeichnen.
Als typisch betrachte ich den auf Taf. XVII, Fig. 10 abge¬
bildeten Fall, der zugleich recht gut illustriert, dass zwischen der
im ersten Kapitel beschriebenen destruktiven Form und dem unter
dem Bilde der oberflächlichen Gewebserkrankung verlaufenden lös¬
baren Steinverschlusse kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller
Unterschied besteht.
Die Kranke, E. KL, 40 Jahre alt (amgen. 16. G., entl. 7. 7. 1914), leidet
seit 15 Jahren an typischen Anfällen von Gallenslcinkolik, die meist * 2 bis
1 Stunde, ausnahmsweise länger — bis zu 2 Tagen — dauerten. Einmal be¬
stand ein Ruhezustand von 5 Jahren, worauf die Anfälle erneut in der alten
\Y eise einsetzten. In den letzten 4 Wochen gehäuft, wöchentlich etwa 6 mal,
1 / 2— 3 4 »Stunde. Jetzt trat 2 Tage vor der Aufnahme ein besonders heftiger
Anfall auf, der nach Morphium an Intensität abnahin und bei der Aufnahme
augenscheinlich im Abklingen begriffen war.
Status: Temp. 38,2°, Puls 100. Sehweisshedcoktes (iesieht. Gallenblase
spontan und auf Druck empfindlich, resistent, in Narkose deutlicher Tumor, der
bis Nabelhöhe herabreieht.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
424
Sprengel,
Digitized by
Operation am nächsten Tage, wo die Erscheinungen in noch deutlicherem
Abklingen sind. Schrägschnitt durch den rechten Rectus. Gallenblase mit der
Leber leicht vorzuwälzen, enthält viele, deutlich facettierte Steine. Der flüssige
Inhalt gallig gefärbt, etwas trübe, reichliche Fibrinausscheidung, von der auch
die Schleimhaut bedeckt ist (cf. Abb.). Auf der untersten Falte des Ductus
cystieus steckt ein facettierter Stein; von ihm ab nach der Gallenblase zu ist
die Gallenblase hochrot verfärbt, cysticuswärts blass und ohne entzündliche
Erscheinungen. In der Gallenblasenwand der Halsgegend mehrere deutlich ge¬
schwollene Drüsen. Wandung der Gallenblase üdematös, ziemlich stark ver¬
dickt, im übrigen nicht nennenswert verändert, nirgends Destruktion.
Der nächste Fall -- L. B., 28 Jahre alt, aufgen. 1. 4., entl. 14. 4. 1914 —
lässt schon aus der Abbildung (Taf. XVII, Fig. 11) des Präparats ein weniger
schweres Krankheitsbild erkennen. Patient war vor 2 Jahren unter ähnlichen
Beschwerden erkrankt und stand jetzt wieder seit 3 Tagen unter dem Zeichen
eines deutlichen, aber nicht sehr schweren, nicht fieberhaften Anfalls. S Stunden
vor der Aufnahme sollen die Beschwerden sich gesteigert haben. Als Appendi-
eitis geschickt.
Stat us: Terap. 37,6°, Puls 75—SO. Kein Ikterus. Resistenz in der Gallen¬
blasengegend. stark empfindlich. Dämpfung bei Rippenrandperkussion.
Operation: Schrägschnitt. Umgebung der Gallenblase nicht verändert.
Gallenblase vergrüssort; lässt sich »ausdrücken. Im Innern eine grössere Zahl
maulbeerförmige, schrotkorngrossc Pigmentkalksteine, von denen der oberste
hinter einer Falte des Ductus cystieus sitzt. Galle olivenfarbig; kein seröses
Exsudat. Wandung deutlich üdematös und ziemlich stark verdickt, nicht
destruiert.
Die Untersuchung im pathologischen Institut ergab im Fundus wie im
Hals gut erhaltene Schleimhaut; es handelte sich also sicher nicht um destruk¬
tive Vorgänge.
Die folgende Abbildung (Bi., Taf. XVII, Fig. 12a, b) steht der
des eben beschriebenen Präparats nahe, unterscheidet sich aber
von ihr durch die etwas geringere Markierung der pathogenetischen
Vorgänge.
Die 54jährige Frau (aufgen. 4. 12. 1913, entl. 2. 1. 1914) hat seit einem
Jahr (> Anfälle von Gallensteinkolik durchgcmaclu; kurzdauernd, mit typischen
Rippenrandschmerzen rechts, nach dem Rücken ausstrahlend. Im Intervall
Wohlbefinden. Jetzt bestehen seit 2 Tagen wieder Sehmerzen, die durch Mor¬
phium bekämpft werden müssen.
Status: Temperatur und Puls normal. Kein Ikterus. Gallenblasengegend
spontan und auf Druck empfindlich; resistent. Kein deutlicher Tumor; Dämpfung
unbestimmt.
Operation 0. 12.: Schrägschnitt. Gallenblase massig gross, dünnwandig,
nicht verwachsen. Enthält grünbraune Galle und massenhaft kleine und mittel-
grosse, zum Teil facettierte Steine. Inhalt schwer ausdrüekbar. Schleimhaut
etwas üdematös, stellenweise gallig verfärbt, nicht destruiert.
Die Untersuchung im pathologischen Institut ergibt das Fehlen schwererer
E n t z ü n d un g s v o rgä n ge.
Von den Abbildungen lässt die erste die Rötung und Schwellung der
Schleimhaut erkennen; die zweite zeigt das Festsitzen der kleinen, facettierten
Steine in den Haustra des Ductus cystieus. Die Veränderungen sind denen
der vorhergehenden Abbildungen analog, namentlich bezüglich der Rötung und
üdematösen Schwellung der Schleimhaut, aber weniger ausgesprochen.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfallopcration.
425
Die eben dargestellten Fälle und Präparate mögen genügen,
um meine eingangs dieses Kapitels ausgesprochene Ansicht zu illu¬
strieren, dass es sich auch bei dem kurzdauernden typischen Gallen¬
steinkolikanfall anatomisch um Steinokklusion mit vorübergehender
Retention eines virulenten Gallenblaseninhalts handelt. Sie zeigen
ein sehr übereinstimmendes Bild. Einen oder mehrere, und zwar
meist kleinere Steine hinter den untersten Falten des Ductus
cysticus, die Gallenblase gefüllt mit veränderter, manchmal leicht
getrübter Galle, oft mit entzündlichem, fibrinhaltigem Exsudat, dem
unter Umständen (cf. Taf. XVII, Fig. 10) Fibrinflocken oder grössere
Fibrinklumpen beigemischt sind. Die Wandung ist entweder in
allen Schichten oder nur die Schleimhaut ödematös und dadurch
verdickt, zeigt aber keine makro- oder mikroskopischen Zeichen
von Destruktion, und das Peritoneum der Nachbarschaft lässt
keine Spuren von Durchlässigkeit der Gallenblase — flüssiges
Frühexsudat, Agglutination mit der Umgebung — erkennen. Der
Ductus cysticus nach oben vom Gallenblasenhals ist intakt. Nach
welchen Gesichtspunkten sind diese und gewisse klinische Beob¬
achtungen im Sinne der oben vertretenen Erklärung zu verwerten?
Halten wir uns an das anatomische Bild, um an ihm die
Reihenfolge der pathogenetischen Vorgänge zu studieren, so ist das
Vorhandensein einer akuten, bzw. im Abklingen begriffenen Ent¬
zündung nicht zu bezweifeln; ebenso erscheint es nicht zweifelhaft,
dass das Festsitzen eines oder mehrerer Steine oder Steinchen im
Anfangsteil des Ductus cysticus keine Zufälligkeit sein kann. Ein
Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen ist wahrscheinlich.
Welches ist der primäre?
Ich habe schon oben die Gründe angegeben, welche mich
a priori gegen die Supposition einer Perialienitis im Riedel’schen
Sinne einnehmen,* unter deren Einfluss die in der Gallenblase sich
bildende hydropische Flüssigkeit den Stein durch den Cysticus und
eventuell auch sofort durch den Choledochus in den Darm treiben
soll. Auch die unbefangene Betrachtung der Präparate spricht da¬
gegen. Vor allem der Umstand, dass der entzündliche Prozess
genau an dem Sitz der im Anfang des Cysticus sitzenden Steine
abschneidet und den Cysticus selbst vollkommen unbeteiligt lässt.
Und doch sollte man genau das Gegenteil erwarten. Denn woher
sollte die akut einsetzende Infektion anders kommen, als vom Darm
und Choledochus, und wo sollte sie intensiver einsetzen, als um
den eng von den Cysticuswänden eingcschlossenen Stein? Wenn
das nicht der Fall ist — wie ich mich, seit ich darauf achte, mit
aller Sicherheit überzeugt habe (cf. Taf. XVII, Fig. 10), und wie es
auch anderen Beobachtern (Kehr) aufgefallen ist —, so hat man
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
426
Sprengel,
Digitized by
nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten; entweder man entscheidet
sich für die Annahme einer aus unbekannter Ursache einsetzenden
entzündlichen Affektion der Gallenblasenschleimhaut mit ihren
Folgen, wie Riedel u. a. wollen, oder man hält sich an das hand¬
greiflich erkennbare mechanische Moment, das in dem Abschluss
des Cysticuseingangs gegeben ist und in der Retention des viru¬
lenten Gallenblaseninhalts die Ursache der entzündlichen Schleim¬
hautveränderungen sieht.
Aber man kann noch weiter folgern.
Wenn es für die im ersten Abschnitt besprochenen schwer
destruktiven Formen — nach der Augenscheinlichkeit des Befundes
und nach der Ansicht sehr massgebender Autoren — kaum mehr
zweifelhaft sein kann, dass die Steinokklusion für das Zustande¬
kommen der Erscheinungen die mechanische Ursache abgibt, wenn
jede unbefangene Betrachtung unserer Abbildungen und ihr Ver¬
gleich mit der ersten Gruppe zu dem Schluss gelangen muss, dass
es sich um überaus ähnliche, nur graduell verschiedene Verände¬
rungen handelt, so liegt es nahe, auch ätiologisch an überein¬
stimmende Vorgänge zu denken. Wie sollte es zugehen, dass in
der einen Gruppe von Fällen der im Cysticusanfang vor der ober¬
flächlich entzündeten Gallenblase steckende Stein etwas prinzipiell
anderes bedeutete, als in der anderen, bloss weil hier die Ent¬
zündungserscheinungen ausgeprägter und tiefer greifend sind?
Dazu kommen aber, um die Beweisführung eindringlicher zu
machen, noch einige andere UeberlegUDgen, die sich zum Teil aus
der Eigenart der klinischen Bilder herleiten.
Schon Ewald weist darauf hin, dass sich das plötzliche An¬
steigen und Zurückgehen der Schmerzen, die man mit gutem Recht
als wehenartig charakterisieren kann, nur durch die an- und ab¬
schwellenden Muskelkontraktionen erklärt. Das ist gewiss zu¬
treffend und findet sein Analogon in den gleichartigen Vorgängen,
z. B. bei Verschluss eines Ureters und ganz besonders in den be¬
kannten wehenartigen Kontraktionen der gegen ein Hindernis an¬
kämpfenden Darmmuskulatur. Auch bei den Gallensteinkoliken
kann man in besonders typischen Fällen die wechselnden Stei¬
fungen der unter den Bauchdecken palpablen Gallenblase nicht
selten deutlich wahrnehmen. Ein Rückschluss auf gleichartige
anatomische Vorbedingungen erscheint schon aus diesem Grunde
berechtigt.
Es ist aber auch weiter zutreffend, wenn derselbe Autor das
plötzliche Auftreten und Verschwinden des ganzen Anfalls als
gegen einen einfachen entzündlichen Vorgang sprechend hervor¬
hebt. Mag man sich diesen, in klassischen Fällen geradezu über-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Uallcnsteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation.
427
raschenden Wechsel mechanisch erklären, oder wie man will, zu
dem, was man unter dem Bilde einer Entzündung zu begreifen
pflegt, passt er in keiner Weise; dagegen begreift er sich sehr
einfach nach der Vorstellung, dass ein Hindernis plötzlich eintritt
und beseitigt wird.
In einer ähnlichen Ideenverbindung könnte man die Wirkung
der Morphiuminjektion im akuten Kolikanfall verwerten. Sie reicht
nach meiner Ansicht über die Bedeutung eines symptomatisch den
Schmerz bekämpfenden Mittels hinaus und hat nicht selten einen
geradezu koupierenden Einfluss. Wie erklärt sich das? Wer den
Kolikanfall als akut einsetzenden Entzündungsprozess auffasst,
dürfte wegen der Deutung einigermassen in Verlegenheit kommen;
denn wie soll die Wirkung auch des kräftigsten Narkotikums die
Entzündung beeinflussen?!
Verständlicher könnte es erscheinen, dass der „Reiz des
Fremdkörpers“, den manche Auroren für die schmerzhaft empfun¬
denen Kontraktionen der Gallenwege verantwortlich machen wollen,
durch das Morphium günstig beeinflusst würde. Aber auch das
scheint mir angesichts der beigegebenen Abbildungen unwahrschein¬
lich, aus denen doch geschlossen werden muss, dass der blosse
Aufenthalt von kleinen Konkrementen im Ductus cysticus ohne
ernsthafte Symptome vertragen wird. Auch ist es aus den früheren
Beobachtungen bekannt, die uns heute, in der Zeit der im allge¬
meinen früher einsetzenden Operation seltener zu Gesicht kommen,
dass der Stein lange Zeit im Cysticus liegen und wachsen kann,
ohne erkennbare klinische Erscheinungen, insbesondereReizsymptome,
von seiten der Cysticuswand hervorzurufen.
Noch plausibler und zugleich eine Stütze für unsere Anschau¬
ung von dem Wesen des Kolikanfalls wäre die Annahme, dass das
Morphium durch Lähmung der Gallenblasenmuskulatur wirkt.
Um klar zu machen, wie ich mir das vorstelle, möchte ich
auf den physiologischen Vorgang hinweisen, wie er sich bei der
periodischen Füllung der Gallenblase abspielen muss. Leichtcn-
stern hat ihn, wie ich der Monographie von Kehr entnehme, in
überzeugender Weise dargestellt; jeder, der über diese Dinge nach¬
denkt, muss fast notwendig auf dieselbe Ideenverbindung kommen.
Leichtenstern weist darauf hin, dass die physiologische Füllung
der Gallenblase nur unter der Voraussetzung eines zeitweise phy¬
siologisch gesteigerten Kontraktionszustandes des anatomisch nach¬
gewiesenen Sphincters am Choledochusausgange denkbar ist. Die
Galle wird, abhängig von gewissen Stadien der Verdauung, im
Ueberfluss produziert und in den Darm ergossen. Hört der Be¬
darf — so darf man sich vorstellen — auf, so schliesst sich der
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. .m
Digitized by
Go», igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
428
S p r c n g c 1,
Digitized by
Sphinctcr choledochi, und die nachsickernde Galle würde in den
Choledochus und die feineren Galienwege zurückdrängen, wenn
sich nicht der Ductus cysticus unter dem Einfluss dieses Druckes
erweiterte und den Eingang in die Gallenblase freimachte.
Dass die Sache so ähnlich, wie Leichtenstern zuerst dar¬
gestellt hat, liegen muss, kann ich an drei Beobachtungen dem
Verständnis näher bringen, die ich hier mit den recht charakte¬
ristischen Abbildungen einschalten möchte.
1. L. H., 43 Jahre alt. Witwe, aufgen. 4. 2., entl. 5. 3. 1914.
Anamnese: Vor 3 Jahren erster akuter Anfall mit Ikterus. Vor 2 Jahren
sollen o Steine ab lt<‘lt ariden sein. Letzter Anfall am 1. 2. 1914, etwa 4 Stunden
dauernd. Kein Ikterus.
Status: Temperatur und Puls normal. Kein Ikterus. Undeutliche druek-
empfindlirhe Resistenz in der Gallenblasengcirend.
Operation am 7.2.: Winkelsrhnitt. Gallenblase ziemlich gross. schwer
ausdriickbar; enthält goldgelbe Galle und mehrere facettierte, kleinhasclmiss-
grossc Steine. (Taf. XVII, Fig. 13.)
Ein Stein steckt fest am Eingang des Cysticus; der letztere ist rhole-
dochuswärts sehlaurhartig erweitert. Im Choledochus, der darmähnlieh erweitert
erscheint, finden sieh nach Inzision 5 ziemlich grosse Steine, von denen mehrere
nur mit grosser Mühe aus dem unteren Recessus extrahiert werden. Chole¬
cystektomie von rückwärts. Hcpaticusdrainagc. Galle läuft sofort. Verlauf glatt.
Epikrise. Es handelte sich im Augenblick der Operation um
einen Ruhezustand, obgleich die Möglichkeit vollkommener Okklu¬
sion sowohl am Cysticuseingang wie an der Papille nahelag und
augenscheinlich mehrfach bestanden hatte. Im Moment der Opera¬
tion bestand Abflusshemmung an der Gallenblase, worauf die
schwere Ausdrückbarkeit derselben hinwies, und Abflusshemraung
im Choledochus, was die Erweiterung des letzteren selbst und des
Cvsticusausgangs bis zu dem im Eingang des letzteren steckenden
Stein beweist.
2. 0. T., G2 Jahre alt, Rentner, aufgen. 15. 1., gest. März 1914.
Anamnese: Seit 20 Jahren gallenslcinleidcnd. Typische, sehr heftige
Koliken von langer Dauer mit freien Intervallen bis zu einem Jahr. Jetzt seit
3 Wochen fast ununterbrochen Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen.
Status: Temperatur normal, Puls langsam. Ikterus angedeutet. Gallen-
blasengegend druckempfindlich. Urin frei.
Operation am 17. 1.: Winkelsehnilt. Gallenblase geschrumpft, kaum
erreichbar; rcisst beim Freimachen ein, wobei sich normale Galle entleert. Im
Ductus cysticus (cf. Taf. XVII. Fig. 14) bei + ein Stein hinter einer Querfalte
nahe der Gallenblase. Beim Einschneiden auf denselben fliesst reichlich Galle
vom Choledochus her. In letzterem mehrere Steine, von denen der letzte nach
langem, vergeblichem Bemühen nur durch die transduodcnale Choledoehotomie
entfernt werden kann. Abtragung der Gallenblase von rückwärts. Ductus
cysticus vom Stein ab stark dilatiert.
Verlauf langsam schlechter werdend. Exitus 2 Monate p. op. unter lang¬
samem Verfall.
A u t op s i e: Pankreasabseess.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
429
3. A. 1L, 31 Jahre alt, Ehefrau, aufgen. 11. 7., entl. 4. 8. 1914.
Anamnese: Vor 10 Jahren im Wochenbett Anfall mit schwerem Ikterus.
Seitdem jedes Jahr heftige Anfälle: jetzt fast täglich heftigste kolikartige Be¬
sch werden.
Status: Auch während zweitägiger Beobachtung mehrfach kurzdauernde
Anfälle. Abends 40°. Leichter Ikterus. Objektiver Befund —.
Operation am 13. 7.: Winkelschnitt. Gallenblase klein, geschrumpft;
hat nur etwas schleimigen Inhalt; Exzision samt dem Ductus eystieus. Auf der
Abbildung (Taf. XVII, Fig. 15) erkennt man am Eingang in den Ductus eystieus
hinter einer Querfalte festsitzend einen bohnengrossen Stein. Jenseits desselben
Ductus eystieus stark ddatiert bis zum Choledochuseingang. Der Stein Hess
sich nicht in den Choledoehus eindrängen.
Epikrise. Der Fall ist nicht völlig aufgeklärt. Ein Stein in
oder neben der Papille fand sich trotz allen Suchens nicht, Pan¬
kreaskopf auffallend hart. Ein Hindernis muss bestanden haben.
Choledoehus anscheinend erweitert.
Den drei vorstehenden Fällen gemeinsam ist die Erweiterung
des choledochuswärts gelegenen Cysticusabschnitts bei festsitzendem
Stein im Anfangsteil des letzteren. Gleichzeitig fand sich der Chole-
dochus erweitert, einmal mit Papillarstein, einmal mit Steinen im
unteren Recessus, einmal mit einem zweifellosen, aber nicht deut¬
lich definierbaren Hindernis.
Ich halte diese Erweiterung des Ductus eystieus für typisch
und, wenn ausgesprochen und dauernd, für einen Beweis, dass eine
Einengung an der Papille bei gleichzeitigem Abschluss nach der
Gallenblase hin besteht. Wenn das zutrifft, so muss auch der vor¬
übergehende Sphincterverschluss eine vorübergehende Rückstauung
nach der Gallenblase hin hervorrufen. Das würde für die Berechti¬
gung der Leichtenstern’schen Erklärung der Gallenblasenfülluug
sprechen, und aus diesem Grunde hielt ich mich berechtigt, die
Fälle hier einzuschalten. Andere haben vielleicht Aehnliches ge¬
sehen; an instruktiven Abbildungen fehlt es, soweit ich urteilen
kann.
Geht man diesen Gedanken verallgemeinernd nach, so wird
man zu der Vorstellung gelangen müssen, dass eine Art Widerspiel
der Kräfte besteht zwischen dem Sphincterverschluss einerseits und
dem Sekretionsdruck der Leber Kontraktionskraft der Gallen-
blasenmuscularis andererseits. Die letzteren beiden treten in Aktion,
d. h. sie entleeren den Inhalt der Gallenwege und der Gallenblase
in den Darm, sobald der Sphincterverschluss am Choledochusende
nach lässt.
Und weiter. Wenn ein Kolikanfall eintritt, wenn also — nach
unserer Vorstellung — nach Verschluss des Cvsticuseingangs die
Gallenblasenmuscularis mit gesteigerter Kraft sich bemüht, gegen
ias Hindernis anzuarbeiten und ihren virulenten Inhalt zu entleeren,
29*
Digitized by
Go», igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
430
Sprengel,
Digitized by
so wäre die Lösung der Kolik nur auf zwei Wegen zu erwarten:
entweder es gelingt der Kraft der Gallenblase, den Stein durch
den Ductus cysticus durchzutreiben — was manche Autoren (nach .
meiner Ueberzeugung mit Unrecht) für ein sehr gewöhnliches Er¬
eignis halten — oder der Stein wird unter Rückfluten des Gallen¬
stroms in die Gallenblase zurückgedrängt, bzw. in seiner Lage so
verändert, dass der virulente Gallenblaseninhalt sich wieder ent¬
leeren kann. Und dazu, meine ich, könnte die Morphiuminjektion
beitragen, sobald man sich vorstellt, dass sie die Gallenblasen*
museularis lähmt. Denn geschieht das, so wird, den fortbestehen-
den periodischen Verschluss des Sphincter choledochi vorausgesetzt,
der Sekretionsdruck in den Gallenwegen gross genug sein, um
einen Teil der sezernierten Galle durch den Cysticus abfluten zu
lassen und den Verschluss am Eingang desselben aufzuheben.
So denke ich mir den Vorgang, der die Lösung der Kolik¬
anfälle herbeiführen kann. Er hat als schwachen Punkt die Voraus- I
Setzung, dass da^ Morphium nur auf die Gallenblasenmusculari>
wirken soll, während es doch gleichzeitig auch den Sphincter
lähmen könnte. Trotzdem kann man, wie ich glaube, mit dieser
Hypothese eine gesundere Vorstellung über die Morphiumwirkung
verbinden, als mit der Annahme, dass die Kraft der Gallenblasen¬
wand die Steine durch den Cysticus hindurch triebe, womit dann
der Anfall „erfolgreich“ würde, d. h. erlöschen soll. Denn bei
dieser Annahme müsste die Morphiuminjektion, die doch auf alle
Fälle den objektiv nachweisbaren Effekt hat, die krampfhaften
Kontraktionen der Gallenblase aufzuheben, einen geradezu nach¬
teiligen Einfluss ausüben. (
Für unsere Auffassung von der mechanisch bedingten Ent- i
Stellung der Gallensteinkolik mit nachfolgender Retention des viru¬
lenten Gallenblaseninhalts würde endlich noch die Beobachtung
sprechen, dass die Cholecvstostomie die Gallensteinkolik mit
grosser Promptheit beseitigt. Fälle, wie den folgenden, die nicht
allzu selten sind, betrachte ich in dieser Beziehung als beachtens¬
wert :
Paula L., Ehefrau, '22 Jahre alt. aufiren. 4. 3., cntl. im April 1913.
Anamnese: Seit 3 Monaten, kurz nach der ersten Entbindung. Schmer;» 1 '',
unter dem rechten Rippenbogen, um die Taille verlaufend. Mehrmals t i i u 1; * - ■.
kurzdauernde akute Kulikanfiille. die die Kranke kaum zur .Ruhe komn:' 1 :
lassen.
Status: Gallenblase auf Druck empfindlieh, keine Resistenz. Kein Ikterus.
Puls und Temperatur normal.
Operation: Winkelschnitt. Gallenblase ziemlich tiefliegend, prall ir»'-
fiillt. Durch Punktion werden 75 ccm gelbe, nicht getrübte Galle entleert. In¬
zision. 15 halberhsenirrossp Steine, zum Teil im Gallenblasenhals steckend.
Tiefe Wege frei. Schleimhaut nicht destruiert, gerötet, sammetartig.
Gck igle
Original ffom
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallenstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
431
Durch typische Drainage der Gallenblase werden alle Beschwerden prompt
und dauernd beseitigt.
Aus der Nachbehandlung ist von Interesse, dass die Galle erst vom
dritten Tage an und auch dann nur kurze Zeit ablief; der Schlauch konnte
schnell entfernt werden, worauf die Schlauchstellc sich in kürzester Zeit de¬
finitiv schloss.
Solche Fälle, die nach meiner Erfahrung eine Art Typus für
die schnell verlaufenden, häufigen Koliken bilden, können doch nur
so erklärt werden, dass der periodisch behinderte Abfluss die Be¬
schwerden hervorruft, und diese Behinderung 'wiederum kann nur
auf dem Andrängen der kleinen, offenbar jungen Steine gegen den
Cysticus und momentanen Verschluss desselben beruhen; denn das
Durchtreten der unveränderten Galle kann unmöglich von Belang
sein. Entfernt man die Steine, ohne sonst irgend etwas an der
Schleimhaut der Gallenblase vorzunchmen — Spülungen der Gallen¬
wege nehme ich niemals vor —, so hören alle Erscheinungen auf.
Ich bin überzeugt, dass man sich auf die Entfernung der Steine
mit sofortigem Verschluss der Gallenblase beschränken könnte, wie
die von sehr beachtenswerter Seite gerühmten Resultate der Chole-
cystendysc beweisen. Also auch die Adjuvantia, mögen sie nun
in chirurgischen oder in gewissen, zweifellos nicht bloss symptoma¬
tisch, sondern kupierend wirkenden internen Mitteln bestehen,
sprechen für die Berechtigung unserer Auffassung.
Wenn ich somit bemüht gewesen bin, für diese mechanische
Theorie eine ganze Reihe von Gründen anzuführen, so bin ich mir
doch bewusst, dass sie alle nicht vollkommen schlüssig sind und
gewisse Einwände zulassen.
Schon die Frage, durch welche mechanische Aktion die Steine
in den Cysticuseingang gelangen und sich hier festsetzen, oder
anders ausgedrückt, warum es ungezählte Fälle von sog. latenter
Gallensteinerkrankung gibt, in denen die Steine überhaupt keine
oder nur selten und unter langen Ruhepausen' Okklusionserschei¬
nungen machen, ist höchstens vermutungsweise zu beantworten.
Nach diesem Gesichtspunkt, so könnte es scheinen, wäre die An¬
nahme einer Infektion, die unter gewissen, nicht bekannten Um¬
ständen vom Darm oder vom Blut her die Gallenblasenschleimhaut
befällt, das Näherliegende. Nach dem oben Gesagten kann ich das
nicht zugeben; ich sehe aber auch nicht ein, warum die Vorstellung,
dass ein Gallenstein sich nur relativ selten hinter einer Falte des
Ductus cysticus festsetzt, resp. zu Verschlusserscheinungen Anlass
gibt, befremdlicher sein soll, als dass z. B. eine Darmschlinge, die
bei einem invariablen Bruch vielleicht Jahre lang in den Leisten¬
oder Schenkelkanal gleitet, sich doch nur in einem ganz bestimmten
Augenblick inkarzeriert; oder warum ein kleiner Choledochusstein sich
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
432
Sprengel,
Digitized by
nur ganz ausnahmsweise in der Papille festsetzt, während er wahr¬
scheinlich Monate und Jahre lang in ihrer Nähe hin- und hergleitet.
Es handelt sich eben wahrscheinlich nicht um einen einzigen mechani¬
schen Faktor, sondern um das Zusammentreffen mehrerer, und diese
zu fordernde Koinzidenz kommt nur ganz ausnahmsweise zustande.
Gewisse „erschwerende Umstände“ sind uns im übrigen bekannt:
wir wissen — und etwas Aehnliches gilt auch für den Choledochus¬
stein —, dass sich neben dem Eingang in den Ductus cvsticus und
meist nach oben von ihm nicht selten ein Recessus bildet, der
offenbar durch die beständige Arbeit der Gallenblasenwand all¬
mählich ausgeweitet wird. Der Druck der letzteren muss erheblich
sein, wie schon die Facettierung der Gallensteine beweist, die doch
nur durch das beständige Gegeneinanderkneten der Gallensteine
erklärt werden kann. Wird die Masse der Steine durch den kon¬
zentrischen Druck der Gallenblasenmuscularis gegen die Stelle des
geringsten Widerstandes, d. h. nach dem Ausgang zugedrängt, so
ist cs an sich begreiflich, dass nur selten ein Stein genau in den
Ductus cvsticus passt, sich in ihm festsetzt und hinter der ersten
oder zweiten Querfalte eingeklemmt wird. Jedenfalls ist es durch¬
aus verständlich, dass, wenn ein solcher Recessus neben dem
Gallcnblasenausgang erst einmal gebildet ist, die Steine immer
wieder in ihn hinein, statt in den Ductus cysticus gelangen. Im
übrigen braucht man sich hierüber wohl kaum den Kopf zu zer¬
brechen; die Tatsache, dass die Steine sich gelegentlich, aber doch
nur ausnahmsweise am Eingang festsetzen können, wird kaum
bestritten.
An zweiter Stelle könnte es gegen die im vorstehenden ver¬
tretene Auffassung einnehmen, dass die Steine am Cysticuscingang
nicht selten so klein sind, dass man sie kaum als ausreichend für
den hermetischen Abschluss desselben betrachten möchte. Diese
Schätzung ist nun freilich von relativer Bedeutung. Wer der An¬
sicht ist, dass durch den Cysticus Steine bis zu 1 cm Durchmesser
oder bis zu Haselnussgrösse (Grube und Graff) getrieben werden
können, wird den Steinen vom Durchmesser einer Erbse oder
weniger kaum eine erhebliche mechanische Bedeutung beimessen
wollen. Ich kann einer solchen Annahme nicht zustimmen. Wäre
sie richtig, so müsste man im Anfall oder gleich nach demselben
häufiger diesen grösseren Steinen im Cysticus begegnen, und man
müsste weniger häufig ganz kleine Steine im Cysticus stecken
bleiben sehen, als es tatsächlich der Fall ist. Ich habe den be¬
stimmten Eindruck, ohne es freilich statistisch beweisen zu können,
dass die Steine, welche die kurzdauernden häufigen Anfälle be¬
dingen, im allgemeinen kleiner sind als die, welche der unlösbaren
Gck 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallcnsteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation.
433
Okklusion mit nachfolgender destruktiver Cholecystitis das charakte¬
ristische Gepräge aufdrücken; es wäre demnach verständlich, dass
jene leichter durch den zurückflutenden Gallenstrom in die Blase
zurücksinken, als die letzteren. Ich möchte aber auch weiter
glauben, dass wir diese ganz grossen Steine im Cysdcus heute
überhaupt nicht mehr so häufig sehen wie früher, w'eil die Leute
sich heutzutage früher operieren lassen, als bis die Steine eine
erhebliche Grösse erreicht haben; diese grossen Steine wachsen
erst im Cysdcus und zwar, wie ich annehme, namentlich in jenen
Fällen, in denen die kleine geschrumpfte Gallenblase ihre Aus¬
treibungskraft eingebüsst hat, aber immer noch die aus dem
Choledochus in den Cysdcus zurückstauende Galle das Material
für die Vergrösserung des Steines darbietet.
Endlich aber darf jenem Hinweis entgegnet werden, dass nicht
der Stein für sich allein den Verschluss herbeizuführen braucht.
Ebenso wie es ganz zweifellos feststeht, dass es absolute dauernde
Verschlüsse ohne Stein gibt — ich habe oben solche Fälle an¬
geführt und werde weiter unten bei Besprechung des Hydrops eine
weitere einschlägige Beobachtung abbilden —, ebenso kann man
sich, und zwar- mit noch grösserer Zuversicht, vorstellen, dass ein
kleiner Stein, der in einer Falte des Cysdcus hin- und hergewälzt
wird, hier eine Schwellung hervorruft, welche den mechanischen
Verschluss vollenden hilft. Wir können auch hier auf die von uns
wiederholt urgierte Verschwellungsfalte im Wurmfortsatz rekurrieren,
welche entweder für sich allein oder im Verein mit einem Kotstein
den Wurmfortsatzverschluss zustande bringt. In der Gallenblase
lassen sich die Verhältnisse allerdings weniger übersichtlich dar¬
legen.
Mit der alten Aunahme freilich, dass gleich nach dem Anfall
Gallensteine im Stuhlgang gefunden werden, dass diese Steine aus
der Gallenblase stammen und glatt durch Cysdcus, Choledochus
und Papille geworfen werden sollten, kann ich meine Auffassung
nicht in Einklang bringen. Indessen nach allem, was ich bei
meinen Operationen unter bewusster epikritischer Würdiguug dieser
Möglichkeit gesehen habe, ist mir der Glaube an diesen Vorgang
allmählich geschwunden, abgesehen von ganz minimalen Partikelchen,
die allenfalls mit diesem beschleunigten Verfahren entleert werden.
Diese Anschauung ist nicht so revolutionär, wie sie manchem er¬
scheinen mag. Kehr urteilt sehr ähnlich, wenn er in seiner
neuesten Monographie sagt: „Was die Auswanderung der Steine
anlangt, so stehe ich ganz auf dem Standpunkt Langenbuch’s,
dass grössere Steine nur auf dem Wege der Fistelbildung abgehen,
und dass mit dem sog. „Gallengries“ und den verseiften Oelklumpcn
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
434
Sprengel,
Digitized by
ein grosser Unfug getrieben wird.“ Viel eher, als dass die im Stuhl
gefundenen grösseren Steine aus der Gallenblase durch die Gallen-
wege auswandern sollten, möchte ich glauben, dass gelegentlich
eine grössere Zahl von Steinen aus dem Choledochus auswandert.
Ich habe gelegentlich den Choledochus mit 20—30 mittelgrossen
Steinen gefüllt gesehen und könnte mir allenfalls vorstellen, dass
der lange zurückgchaltene Gallenstrom schliesslich die Papille
sprengt oder langsam erweitert, ähnlich wie die Portio uteri inter
partum von dem vordringenden Kopf allmählich aufgebraucht wird.
Am Cysticus glaube ich nur einmal eine Art „Aufbrauchen“, d. h.
eine schlauchartige Erweiterung des ganzen Cysticus bei kleinen
Steinen gesehen zu haben.
Es handelte sich um die ,‘M) jährige Ehefrau C., aufiren. 0. l. ; entl. 2o. 1. 1914,
die seit über 1 2 Jahr an (iallensteinkoliken litt, welche 1—5 Stunden anhi' , lt-:i,
Intervalle von 1—5 Wochen machten und seit fi Wochen gehäuft auftraten.
Status: Puls und Temperatur normal. Kein Ikterus. GalhMiblaseriLo^nd
leicht resistent und etwas empfindlich: Dämpfung bei Kippeni\andperkussi"ii.
Operation am 7. 1.: Winkelsehnitt. (iallcnhlasc (cf. Taf. XVII. Ei«:. P* :
gross und lantr. sehlauehartig. zartwandig. Cysticus sozusagen atifgebraucht: er
wurde dicht am Choleduchus durchtrennt, ist also auf der Abbildung kaum a:>
besonderes Oruan erkennbar.
In der (iallenblase klare, gelbbraune Halle und 10—12 linsemrrosse rin*
incntkalksteine.
Man könnte allenfalls denken, dass in Fällen frischer Stein¬
bildung in sozusagen jungfräulichen Gallenblasen der Ductus cysticus
sich relativ schnell unter dem austreibenden Druck der Gallenblasen-
muskulatur „schlauchförmig“ erweiterte und gewissermassen „auf¬
gebraucht“ würde. Ein okkludierender Stein des Cysticus nahe dem
Choledochus wäre Vorbedingung.
Indessen habe ich diese Beobachtung nur dies eine Mal —
und zwar bei nicht floriden klinischen Symptomen — gemacht und
möchte keine verallgemeinernden Schlüsse daraus ziehen.
Der vorstehende zweite Abschnitt ist etwas umfänglicher aus¬
gefallen, als dem Verständnis dienlich sein mag; ich halte es nicht
für überflüssig, seinen Inhalt in einem kurzen Satze zusammen¬
zufassen: Zur Erklärung des akuten vorübergehenden Kolik¬
anfalls ist die Annahme spontan auftretender Entzündungs¬
vorgänge nicht ausreichend. Es handelt sich vielmehr
auch hier um Steinokklusion, aber um eine solche, kom¬
biniert mit Schleimhautverschwellung am Blasenausgang
und dadurch bedingte Retention des virulenten Gallen¬
blaseninhalts mit der Folgeerscheinung einer Oberflächen¬
entzündung der Schleimhaut. Kommt es nicht zur Lösung,
so muss die Destruktion mit Notwendigkeit folgen.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 435
Was geschieht, wenn Abschluss bei avirulentem oder schwach
virulentem Inhalt erfolgt, soll im folgenden Abschnitt besprochen
werden.
C. Der Hydrops der Gallenblase: Verschluss der Gallenblase
bei avirulentem Inhalt.
Ich möchte meine Ausführungen an die beigegebenen Abbil¬
dungen knüpfen, welche nach drei, in letzter Zeit von mir operierten
typischen Fällen hergestellt sind. Niemand wird ihre Auffassung
als Hydrops der Gallenblase bestreiten (Taf. XVIII, Fig. 17 a, b,
18, 19a, b). Von ihnen sehen sich in Fig. 18 und 19 die Gallen¬
blasen von aussen so ähnlich, dass sie kaum zu unterscheiden
wären, während Fig. 17 zwar nach dem blassen, absolut reizlosen
Verhalten der Gallenblase von aussen und innen, dem Fehlen aller
Verwachsungen usw. auch unzweifelhaft dem Hydrops zugerechnet,
bzw. als ihm sehr nahestehend betrachtet werden muss, aber doch
nach seinem Inhalt insofern differierte, als derselbe nicht rein wässrig,
mehr schleimig und nicht ganz frei von eitriger Beimischung war.
Allen drei Fällen gemeinsam ist der Umstand, dass ein voll¬
kommener Abschluss des Ductus cysticus besteht — das Aus¬
drücken des Gallenblaseninhalts war selbst bei Anwendung kräftiger
Gewalt nur nach Lüften des Verschlusses möglich —; aber dieser
Verschluss war in jedem der drei Fälle durch eine verschiedene
Ursache bedingt. In Fig. 19 hatte sich einer von den die Gallen¬
blase füllenden facettierten Cholesterinpigmentkalksteinen hinter
einer Querfalte des Ductus cysticus festgesetzt und zum völligen
Verschluss des Ganges geführt. In Fig. 18 fand sich überhaupt
kein Stein, sondern der Abschluss der Gallenblase war ganz offen¬
bar durch Abknickung des sehr langen Ductus cysticus und An¬
lötung desselben an die Gallenblasen wand bedingt; er war an sich,
sobald man ihn ablöste und in die Länge zog, durchgängig. In
Fig. 17 endlich fanden sich zwei grosse Steine von dem Charakter
der Cholesterinkalksteine (pathol. Institut), von denen der eine sich
hinter der untersten Querfalte des Ductus cysticus festgesetzt und
den Ductus cysticus so fest verschlossen hatte, dass ein gewalt¬
sames Ausdrücken der Gallenblase erst nach Luxation des Steins
aus seinem Lager möglich war.
Der Inhalt der Gallenblasen von Fig. 17 und 19 wurde bak¬
teriologisch untersucht (pathol. Institut) und keimfrei befunden: in
Fig. 18 war die bakteriologische Untersuchung versehentlich unter¬
blieben, es dürfte aber nach sonstigen Erfahrungen gerade bei
diesem besonders reinen Fall von Hydrops ein Zweifel an der
Keimfreiheit nicht erhoben werden.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
436
Sprengel,
Digitized by
Auch die histologische Untersuchung der Gallenblasenwand
steht mir durch die gefl. Bemühung von Herrn Prof. Dr. Schultze
von allen drei Fällen zur Verfügung.
Sie ergab für Fig. 19: Gallenblasenwand dünnwandig, aus¬
gekleidet mit ganz flachem Cylinderepithel; Falten der Drüsen nicht
mehr vorhanden, nur am Halse noch leichte Einsenkungen. Ent¬
zündungserscheinungen fehlen vollkommen. Muskulatur, namentlich
im Fundus, stark verdünnt.
Fig. 18: Die vergrösserte Gallenblase zeigt eine vollkommen
glatte Innenfläche. Die Schleimhaut ist ganz glatt; überall findet
sich flaches, einschichtiges Epithel, keine typischen Luschka’schen
Gänge, keine Zeichen von Entzündung. Muskulatur sehr kräftig.
(? nach dem makroskopischen Befund scheint diese Schätzung schwer
verständlich. S.)
Fig. 17: Gallenblasenhals: Oberhalb des Steins Epithel gut er¬
halten, Luschka’sche Gänge deutlich und tief, auch in der Tiefe
das Epithel intakt. Muskulatur kräftig. Am Ort des Steins fehlt
das Epithel. Fundus: Epithel fehlt; an Stelle der Schleimhaut
findet sich derbes, faseriges Bindegewebe, das dicht auf der Mus¬
kulatur aufliegt. Muskulatur erhalten, aber schwach. Die Gefässe
zeigen reichlich obliterierende Endarteriitis.
Also auch in diesem Falle bestätigt die histologische Unter¬
suchung, dass das Präparat, obwohl nicht ganz so rein, doch dem
Hydrops zuzurechnen ist.
Vergleicht man diese unter sich sehr übereinstimmenden Be¬
funde mit denen der Gruppe A, so stimmen sie mit ihnen in dem
Punkte, dass ein relativ grosser Stein sich hinter einer Querfalte
des Ductus cvsticus unlösbar festgesetzt hat, vollkommen überein;
sie stimmen auch in dem Punkte überein, dass die Gallenblase ge¬
spannt und erheblich vergrössert, ihr Inhalt vermehrt ist. Dagegen
besteht eine sehr deutliche und sofort in die Augen fallende Diffe¬
renz bezüglich des Inhalts und der Wandveränderungen. In Gruppe A
bestehen alle Zeichen der Destruktion mit den oben geschilderten
Folgen, in Gruppe C fehlen sie vollkommen.
Der Grund dieser Differenz scheint mir einleuchtend. Wenn
bei demselben Organ derselbe mechanische Vorgang einen so fun¬
damental verschiedenen Effekt hat, so muss in dem einen Falle ein
Faktor hinzukommen, der in dem anderen fehlt, und dieser Faktor
kann nach dem Augenschein und dem Resultat sachverständiger
Untersuchung nur der entzündliche sein.
Wir können aber noch weiter schliessen. Wenn in Gruppe A
der entzündliche Prozess nachweislich in scharfer Linie von dem
eingeklemmten Stein an beginnt, choledochuswärts von demselben
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallcnsteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
437
aufhört, so müssen in der Gallenblase selbst die ursächlichen Fak¬
toren für das Aufflammen der Entzündung gesucht werden, sic
können nicht vom Darm her in sie eingedrungen sein. Anders aus¬
gedrückt: Die Okklusion macht die Retention, die in beiden Gruppen
in die Augen springt, die Retention führt aber nur dann zu ent¬
zündlichen Veränderungen der Gallenblase, wenn die letztere mit
virulentem Inhalt gefüllt ist, die Entzündung bleibt aus, wenn der
Inhalt keimfrei ist.
Die Vorgänge der Gruppe B sind schwerer zu deuten, prin¬
zipiell lassen sie sich, wie ich ausführlich dargelegt habe, durch¬
aus unter dieselben Grundsätze subsumieren.
Die Deutung des Hydrops der Gallenblase als ein mit
dem Stein Verschluss zusammenhängender Vorgang ist, soviel ich
sehe, von einer Reihe Autoren akzeptiert. Im einzelnen gehen die
Meinungen auseinander.
Körte (1. c.) betrachtet den Hydrops vesicae felleae als eine
durch Cysticusverschluss bedingte, in vielen Fällen unschädliche
Retentionsgeschwulst, aus der aber durch hinzutretende Keime ein
gefährlicher Zustand hervorgehen kann (S. 56).
Courvoisier: „Bei Obstruktion des Cysticus findet eine all¬
mähliche Umwandlung der zuerst noch in der Blase vorhandenen
Galle in wässerigen, farblosen Liquor statt.“ Kugel ventilsteine ge¬
statten noch den Eintritt, hindern aber den Austritt der Galle
(eine ähnliche Ueberlegung, wie die oben nach Leichtenstern
zitierte).
Walzberg unterscheidet mit Riedel den akuten Hydrops, d. h.
die verstärkte Sekretion der Schleimhaut infolge von Entzündung
und den chronischen Hydrops infolge von Einklemmung eines Steins
im Cysticus. Riedel legt auf diesen akuten „entzündlichen“
Hydrops der Gallenblase das Hauptgewicht „in der Pathogenese
der Gallensteinkolik“ und spricht das Verdikt aus, dass, „wer die
kardinale Bedeutung des Hydrops vesicae felleae leugnet, noch
wenig Verständnis vom Gallensteinleiden hat“. Trotz dieses Ana-
thems kann ich ihm in der Deutung der akut entzündlichen Er¬
scheinungen beim akuten Anfall nicht beistimmen. Nach dem oben
Gesagten bedarf das keiner weiteren Ausführung. Ich bestreite
nicht die Tatsache, bin aber der Ansicht, dass er Ursache und
Wirkung verwechselt.
Grube und Graff halten es für unwahrscheinlich, dass „der
Hydrops allein auf rein mechanischem Wege durch Steinverschluss
entstehen kann“, und wollen für seine Entwicklung „ausser der
Stauung noch eine Entzündung in der Gallenblase mit vermehrtem
Exsudat, das sich nicht entleeren kann“, annehmen. Darüber lässt
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
438
Sprengel,
Digitized by
sich reden. Sie sagen dann weiter: „Bleibt der Zustand längere
Zeit bestehen, und vermindert sich der Inhalt durch Aufsaugung,
sodass die Spannung geringer wird, so hypertrophiert die Mtis-
cularis infolge der anhaltenden fruchtlosen Versuche und Kon¬
traktionen, das Hindernis aus dem Wege zu räumen. Die Wand
wird dadurch verdickt, die Schleimhaut noch stärker ödematüs.
und mikroskopisch findet man sie mit Leukocyten und geringen
frischen Blutungen durchsetzt.“ Wenn die Verfasser, was man
nach dem Zusammenhang annehmen muss, nicht von dem Hydrops
im Riederschen Sinne, sondern von dem chronischen Hydrops der
Gallenblase in der sonst üblichen Bedeutung sprechen, so kann ich
den letzteren Ausführungen in keinem Punkt beistimmen. Beim
chronischen Hydrops ist von Oedem der Gallenblasenwand nicht
die Rede, es ist charakteristisch für ihn, dass entzündliche Ver¬
änderungen in der Wand fehlen, es liegt kein greifbarer Anlass zu
frischen Blutungen vor, und es würde den physiologischen An¬
schauungen über das Zustandekommen der Muskelhypertrophie au
anderen Organen widersprechen, wenn eine atrophische Muscularis
bloss deshalb ihre Kraft nicht wiedergewänne, sondern sogar hyper-
trophierte, weil die Spannung durch Resorption des Inhalts etwas
nachlässt. Ein Muskel kann nur dann hypertrophieren, wenn er
zwar gegen einen Widerstand, aber einen nicht völlig unüberwind¬
lichen arbeitet; anderenfalls erlischt seine Kraft ziemlich schnell,
und der Muskel wird atrophisch. So sehen wir die Darmmusku¬
latur hypertrophieren hinter einer Stenose des Darms, die Blasen¬
muskulatur hinter einer Stenose der Urethra, aber Darm- wie
Blasenmuskulatur werden unter dem Einfluss der Wanddehnung
arbeitsunfähig und atrophisch, sobald aus der Stenose eine absolute
Okklusion wird. Verfasser verwechseln, wie ich glaube, die Beob¬
achtungen an der Muskulatur an der hydropischen Gallenblase mit
denen beim Empyem. Bei letzterem, wenn man es, wie ich es
weiter unten zu tun gedenke, als unvollkommenen Verschluss bei
virulentem Inhalt definiert, muss es allerdings zu einer Hyper¬
trophie der Muscularis kommen, und kommt es tatsächlich dazu.
Gerade in diesem, wie ich glaube, konstanten Unterschied in der
Wandung der empvematösen und hydropischen Gallenblase darf
ich meinen Widerspruch gegen Grube und Graff begründet sehen.
Ein Analogon könnte ich im Hydrops und Empyem des Wurm¬
fortsatzes anführen. Ich komme bei Besprechung des letzteren
darauf zurück.
Sehr eingehend hat sich Asch off mit der Pathogenese des
Gallenblasenhydrops beschäftigt. Ich muss etwas ausführlicher dar-
legcn, aus welchen Gründen ich ihm nicht völlig beistimmen kann.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation.
439
Aschoff will mit grosser Bestimmtheit, obwohl anscheinend
lediglich auf hypothetischer Basis (S. 43) einen primär entzünd¬
lichen Anfall unterscheiden, der, vorzugsweise unter dem bewegungs¬
hemmenden Einfluss des radiären Cholesterinsteins dann entstehen
soll, wenn pathogene Keime in die Gallenblase gelangen.
Dieser primäre entzündliche Anfall kann entweder ausheilen
oder zum chronisch entzündlichen Gallensteinleiden überführen, oder
den Hydrops der Gallenblase zur Folge haben. Das letztere, so¬
bald sich — unter dem Einfluss plötzlicher Kontraktionen der
Gallenblase oder ähnlichem — der (nicht solitäre) Stein im Gallen¬
blasenhals einklemmt.
Die von vielen angenommene abakterielle Entstehung des Hy¬
drops will Aschoff nicht zugeben, vornehmlich auf Grund der
experimentellen Tatsache, dass — ähnlich wie bei anderen sezernie-
renden Organen (Nieren) — die Unterbindung des Ductus cysticus
keinen Hydrops hervorzurufen pflegt. Er hält deshalb daran fest,
dass in allen Fällen von Hydrops eine Entzündung der Gallen¬
blasenwand die Ursache desselben gewesen sein muss, wobei „unter
dem Einfluss des entzündlichen Exsudats und der in ihm vorhandenen
Bakterien oder Toxine eine mehr seröse Exsudation unterhalten
wird und unter allmählicher Klärung die hydropische Flüssigkeit
entsteht“.
Die Möglichkeit, dass hydropische Veränderungen sich „auch
in späteren Stadien des Gallensteinleidens, wenn sich bereits mul¬
tiple Pigmentkalksteine gebildet haben“, einstellen können, will
Aschoff nicht bestreiten, nimmt aber an, dass sich in diesen
letzteren Fällen „ein Unterschied gegenüber dem Hydrops beim
Cholesterinstein ergibt“, darin bestehend, dass „stärkere, durch das
chronische Gallensteinleiden bedingte Veränderungen der Wand be¬
stehen, und dass andere (d. h. spätere „entzündliche“) Steinformen,
Cholesterinkalksteine usw. vorhanden sind.
Aschoff geht so weit, auf diese theoretischen Erwägungen
hin einen „primär entzündlichen“ und einen „sekundär entzünd¬
lichen“ Hydrops unterscheiden zu wollen.
Aus den vorstehenden Aschoff’schen Deduktionen gebe ich
das eine Moment als bedeutungsvoll zu, dass es bisher nicht ge¬
lungen ist, mittels einfacher Unterbindung an der tierischen Gallen¬
blase das Bild des Hydrops experimentell zu erzeugen, und dass
hiernach eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die entzündliche Genese
oder wenigstens für die Mitwirkung eines entzündlichen Moments
zu supponieren sein könnte. Üb das ausreicht, allen übrigen
beim Hydrops des Menschen beobachteten Tatsachen die Beweis¬
kraft abzusprechen, lasse ich dahingestellt sein.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
440
Sprengel,
Digitized by
Diese Tatsachen — das darf behauptet werden — sprechen,
an sich und objektiv betrachtet, gegen die entzündliche Genese,
mindestens gegen die prinzipielle Bedeutung einer solchen in dem
Asch off’sehen Sinne.
Es spricht gegen eine solche das nach unseren Erfahrungen
völlig regelmässige Fehlen entzündlicher Substrate in der Gallen-
blasenwand;
es spricht dagegen die regelmässige Keimfreiheit des hydro-
pischen Gallenblaseninhalts;
cs spricht dagegen das Zurücktreten aller ernsthaften klinischen
Erscheinungen im Krankheitsbilde ;
es sprechen dagegen Fälle, wie der in Taf. XVIII, Fig. 18
dargestellte, in welchem überhaupt kein Stein vorhanden und keine
Spur von Entzündung nachweisbar war und trotzdem unter klinisch
minimalen Unbequemlichkeiten (der Fall wurde als Wanderniere
eingeliefert) ein grosser hydropischer Tumor zur Entwicklung kam.
Es sprechen endlich dagegen — wiederum rein objektiv be¬
trachtet —, dass das anatomisch völlig übereinstimmende Bild des
Hydrops entstehen kann bei jeder beliebigen Steiiiformation. Wenn
Aschoff aus diesem Umstand den entgegengesetzten Schluss zieht
und, je nachdem es sich um einen radiären Cholesterinstein oder
um einen „entzündlichen“ Stein handelt, einen „primär entzünd¬
lichen“ und einen „sekundär entzündlichen“ Hydrops konstruieren
will, so macht er diese Unterscheidung — abgesehen davon, dass
sie keineswegs leicht verständlich ist, seiner Theorie zu Liebe, die
vorläufig mehr interessant, als strikt bewiesen ist.
Aus allen Tatsachen kann ich für meine Person schliessen,
dass für die Genese des Gallenblasenhydrops die entzündlichen
Momente, wenn sie überhaupt in Betracht zu ziehen sind, im
klinischen und anatomischen Krankheitsbild gegenüber allen übrigen
Phasen der Gallensteinkrankheit zurücktreten, dass dagegen als
das immerwiederkehrende, als präpotent zu betrachtende genetische
Moment der vollkommene Verschluss des Ductus cysticus zu be¬
trachten ist.
Der Hydrops ist der Verschluss der mit sterilem
Inhalt gefüllten Gallenblase.
Will man Fällen wie dem in Taf. XVIII Fig. 17 abgebildeten
— Beimischung von etwas schleimigem Eiter — eine prinzipielle
Bedeutung beilegen, so kann man sagen: Hydrops ist der Ver¬
schluss der mit sterilem oder steril gewordenem Inhalt ge¬
füllten Gallenblase. Man erkennt damit an, dass bei der Ent¬
wicklung des Hydrops in irgend einem Sinne die Entzündung eine
Rolle spielen, resp. eine Entzündung voraufgegangen sein kann,
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallenstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
441
dass aber der fertige Hydrops das Fehlen oder das volle Ab¬
gelaufensein der Entzündung voraussetzt.
Der Hydrops ist nach meiner Ansicht das Gegenteil der Ent¬
zündung, der Verschluss der Gallenblase ist das Wesentliche. Und
gerade weil der Verschluss bei Fortbestehen der Entzündung
die Möglichkeit eines Hydrops ausschliesst, sollte der Ausdruck
„entzündlicher Hydrops“ oder gar, wie Asch off will, „primär
und sekundär entzündlicher Hydrops“ vermieden werden.
Die letzten Sätze geben zugleich die Erklärung, warum ich
den Hydrops der Gallenblase in der ersten Gruppe der Gallen¬
blasenerkrankungen unterbringe, obwohl er zu den schwereren Er¬
scheinungen der destruktiven und akut entzündlichen Cholecystitis
bei unlösbarem und vorübergehendem Verschluss in auffälligem
Gegensatz steht. Ich gebe zu, dass man im Zweifel sein kann.
Will man nach den Folgeerscheinungen einteilen, so könnte es
richtig erscheinen, den Hydrops unter die Endausgänge im III. Teil
zu versetzen. Hält man es, wie ich es durchzuführen versucht
habe, für richtiger, die Einteilung nach dem wichtigsten patho¬
genetischen Moment zu treffen, so musste der Hydrops in Teil I
seine Stelle haben. Denn kaum irgendwo tritt die Tatsache des
absoluten Verschlusses mit gleicher Deutlichkeit hervor, wie bei
ihm, nur dass er beim Hydrops nicht einen virulenten, sondern
einen keimfreien oder keimfrei gewordenen Gallenblaseninhalt hinter
sich hat.
II. Teil.
Veränderungen der Gallenblase imStadinm chronischer Erkrankung.
Unvollkommener Verschluss: Empyem.
Einleitende Bemerkung.
Ich habe der vorstehenden Arbeit den Titel vorangesetzt:
„Die Gallensteinkrankheit im Licht der Anfalloperation.“ Mit
gutem Bedacht. Was ich an selbständigen Anschauungen über die
pathogenetischen Vorgänge an der Gallenblase gewonnen habe, be¬
ruht ganz vorwiegend auf der epikritischen Betrachtung des im
Anfall erlangten anatomischen Präparats. Aber meine Arbeit
würde unvollständig sein, w r enn ich nicht darzulegen versuchte, ob
und inwieweit diese Anschauungen sich mit jenen gleichfalls nicht
seltenen Befunden in Einklang bringen lassen, welche ich ausser¬
halb des akuten Krankheitsstadiuras erhoben habe.
Ich fasse meine Betrachtungen in den nachfolgenden beiden
Abschnitten zusammen, von denen Teil II die Veränderungen der
Gallenblase im Stadium chronisch entzündlicher Erkrankung, Teil III
die Residuen abgelaufener Erkrankungen in sich begreifen wird.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
442
Sprengel,
Digitized by
Indem ich in Teil II nur das Empyem unterbringe, das bis
heute im allgemeinen zu den akuten Erkrankungen gerechnet zu
werden pflegt, dagegen unter den Residuen abgelaufener Erkrankung
(Teil III) diejenigen Prozesse aufzähle, welche, gemeinhin als
chronisch entzündlich bezeichnet, in den Darstellungen mehrerer
neuerer Autoren — namentlich bei Aschoff — einen grossen
und wichtigen Platz einnehmen, setze ich mich in Widerspruch zu
der herrschenden Anschauung. Zur Rechtfertigung meiner Auf¬
fassung möchte ich folgendes hervorheben.
Der Begriff der chronischen Entzündung ist in der Pathologie
der höhlenförmig gestalteten Organe bis auf den heutigen Tag un¬
klar und schwankend. Ich habe schon in meiner Monographie
über Appendicitis hervorgehoben, dass in der Gruppe der chro¬
nischen Appendicitis manches untergebracht wird, was mit grösserem
Recht als Residuen abgelaufener Entzündungen, als reparatorische
Vorgänge nach denselben aufgefasst werden sollte. Seither ist es
nicht viel anders geworden. Wenn ich sehe, was Sonnen bürg
in seiner neuesten Bearbeitung des Gegenstandes ira Handbuch der
praktischen Chirurgie alles in der kurzen Pathologie der chronischen
Appendicitis — von den Oxyuren des Wurmfortsatzes bis zur
Typhlocolitis — eingefügt hat, so muss ich annehmen, dass wir
von einer bewussten kritischen Gliederung der pathologischen Grenz¬
gebiete auch heute noch weit entfernt sind.
Bei der literarischen Beschäftigung mit der Frage der chro¬
nischen Cholecystitis habe ich so ziemlich denselben Eindruck ge¬
wonnen.
Manche Autoren (Kehr) sprechen sich ausdrücklich dahin aus,
dass — ebenso wie bei der Appendicitis — „meist dem akuten
Stadium der Infektion ein chronisches vorangehe, das mit gar
keinen oder keinen merkbaren Symptomen einhergeht“, involvieren
aber für die „chronische Cholecystitis“ die Entwicklung der aller¬
schwersten Veränderungen; andere lassen die Abgrenzung der
chronischen Cholecystitis völlig im Unklaren.
Aschoff, dessen Gruppierung Kehr in seiner neuesten Mono¬
graphie (Neue Deutsche Chirurgie, 8. Bd.) angenommen hat, lässt
das „chronisch entzündliche Gallensteinleiden“ (ebenso wie den
Hydrops der Gallenblase) aus den von ihm mehr theoretisch kon¬
struierten als tatsächlich fundierten „primären entzündlichen Anfall“
hervorgehen, der seinerseits wieder aus der gestauten Gallenblase
oder bei Verschluss derselben durch den nicht entzündlichen radiären
Cholesterinstein entstehen soll.
Das Wesentliche ira Bilde des „chronisch entzündlichen
Gallenstcinleidens“ ist nach Aschoff das Moment des Reeidi-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte *der Anfallopcration.
443
vierens. Unter seinem Einfluss kommt es zu mannigfachen Ver¬
änderungen der Gallenblasenwand, die Aschoff als Cholecystitis
phlegmonosa simplex, ulcerosa, complicata, phlegmonosa gravis,
ulcerosa gravis unterscheiden will.
Da Aschoff neben diesen ausdrücklich als rekurrierend
bezeichneten Formen die zwar nicht prinzipiell, aber doch tatsäch¬
lich verschiedenen recenten Cholecystiden in etwa eben so viele
Gruppen sondern will, so ergibt sich eine Summe von Subtilitäten,
die man allenfalls dem ständig am Mikroskop arbeitenden patho¬
logischen Anatomen, unmöglich aber dem Praktiker auf bürden
kann. Ich glaube, es gibt nicht zwei Chirurgen in Deutschland,
welche die Aschoff’sche Einteilung sinngemäss beherrschen.
Indessen dieser Einwand, obwohl ich ihn als schwerwiegend
betrachte, ist nicht der Grund, weshalb ich gerade an dieser Stelle
die Aschoff’sche Einteilung bemängele, sondern das Bedenken,
dass Aschoff die recidivierende Cholecystitis als „chronisch ent¬
zündliches Gallensteinleiden“ bezeichnet. Das muss fast mit Not¬
wendigkeit zu Unklarheiten führen. Was Aschoff, wenn ich ihn
recht verstehe, beschreiben will, jedenfalls tatsächlich an seinen
Präparaten beschreibt, ist doch die Wirkung des Recidivs, d. h. die
Wirkung eines umschriebenen, akut destruierenden Vorgangs, und
das müsste, denke ich, auch in der Bezeichnung der histologischen
Bilder hervorgehoben werden, wenn man nicht die Vermutung ge¬
winnen soll, dass Aschoff die schweren anatomischen Verände¬
rungen als Folge unablässig wirkender, also im eigentlichen Sinne
chronisch entzündlicher Vorgänge auffassen will. Soviel ich seinen
Ausführungen entnehmen kann, ist das tatsächlich seine Ansicht,
w r as ich freilich nicht unterschreiben könnte.
Es scheint mir des Weiteren nicht folgerichtig, wenn Aschoff
in demselben Kapitel, in welchem er die histologischen Bilder des
Recidivs, also, wie ich wiederhole, die Wirkungen eines akuten
Stadiums schildert, unvermittelt eine Cholecystitis cicatricans unter¬
bringt. Die Cholecystitis ist im akuten Stadium niemals, im repa-
ratorischen immer eine cicatricans, und schon deshalb kann dieser
Name nichts Unterscheidendes haben; sie muss aber auch deshalb
von den übrigen Formen grundsätzlich getrennt werden, weil der
Begriff des reparatorischen sich von dem des inflammatorischen mit
aller Schärfe — zeitlich und histologisch — abhebt.
Nach dem, was ich an meinen Präparaten abgelesen und durch
Reflexion weiter entwickelt habe, sollte man in der Pathogenese
der Appendicitis und Cholecystitis diejenigen Bilder, welche nur
auf dem Wege akuter, mechanisch bedingter Störungen entstehen
können, mit aller Bestimmtheit — dem Namen und dem Wesen
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. *jq
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
444
Sprengel,
Digitized by
nach — von denjenigen absondern, welche langsam, durch ununter¬
brochene, also im eigentlichen Sinne chronische Vorgänge sich ent¬
wickeln. Die letzteren sind ganz offenbar von untergeordneter
Bedeutung und entsprechen damit dem pathologischen Gesetz, das
man in der Pathologie aller grösseren röhrenförmigen Organe im
Gegensatz zu den Erkrankungen parenchymatöser Organe bestätigt
findet, dass nämlich in dem komplizierten anatomischen Gefüge
der letzteren jede Störung mechanischer oder entzündlicher Natur
ungleich schwerer ihren Ausgleich findet, als bei den ersteren.
Auch für diesen Unterschied ist, wie ich überzeugt bin, die Re¬
tention das im letzten Ende ausschlaggebende Moment. Es ist
begreiflich, um ein Beispiel zu nennen, dass jedes infizierende
Agens, das die Niere passiert, in dem zarten Maschenwerk der
Glomeruli und Nierenkanälchen einen leichten Haftpunkt findet,
während diese Wahrscheinlichkeit um so geringer wird, je weiter
sich dieses Agens den terminalen Anhängseln der Niere nähert.
Dem entsprechend gehören die parenchymatösen Entzündungen der
Niere zu den alltäglichen Erscheinungen, während wir mit selb¬
ständigen, chronisch entzündlichen Erkrankungen der Ureteren
und der Harnblase, wenn wir von gewissen, völlig anders zu be¬
wertenden Erkrankungen (Tuberkulose usw.) absehen, kaum zu
rechnen pflegen.
Das Gleiche gilt vom Darm; wir wissen (cf. die neuesten
Untersuchungen von Katzen st ein), dass für die Lokalisation des
wichtigsten chronisch entzündlichen Prozesses im Darmkanal, das
Magenulcus, die besonderen mechanischen Verhältnisse am Pylorus
mitbestimmend sind, und auch für die Erkrankungen des Wurm¬
fortsatzes ist in seiner Enge und sackförmigen Formation ganz
zweifellos die Ursache zu suchen, weshalb er bei im wesentlichen
gleicher anatomischer Gestaltung so unendlich viel häufiger er¬
krankt, als die benachbarten Darmabschnitte.
In demselben Masse, wie sich für die Deutung der klinischen
Symptome, insonderheit für die Erklärung des Fiebers, die neuesten
Anschauungen mehr und mehr dahin entwickeln, dass der Begriff
des „Resorptionsfiebers“ (cf. Hamm) zugunsten des „Retentions¬
fiebers“ aufgegeben wird, in demselben Masse wird man den Ein¬
fluss der offenen Entzündung gegen die geschlossene, den Begriff
der „reinen“ Entzündung gegenüber dem mechanischen Moment der
Retention mit ihren Konsequenzen zurücktreten lassen müssen. So¬
viel ich sehe, ist das auch bei Asch off nicht mit überzeugender
Klarheit geschehen.
Indem ich die vorstehenden Bemerkungen niederschreibe, bin
ich mir des Wagnisses bewusst, mit dem ich an einer Reihe ein-
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
445
gewurzelter Vorstellungen Kritik übe. Es mag sein, dass ich
manches, was die Autoren sagen wollen, nicht richtig aufgefasst
habe. In diesem Falle hat es an meinem guten Willen nicht -ge¬
fehlt; ich bin der Belehrung zugänglich, darf aber meinerseits be¬
haupten, dass wir in den Kapiteln der Cholecystitis und auch der
Appendicitis zu grösserer Klarheit und Uebereinstimraung gelangen
müssen, als auf beiden Gebieten in der einschlägigen Literatur bis
heute herrscht.
Ich habe bereits bemerkt, dass ich in Teil II meiner Darstellung
nur das Empyem unterbringe, weil es nach meiner Auffassung unter
allen Phasen des Gallensteinleidens allein dem Begriff der chroni¬
schen Erkrankung entspricht. Als Beleg meiner Auffassung will
ich zunächst wiederum einige charakteristische Präparate beschreiben
und zum Teil abbilden. Ich bemerke im Voraus, dass reine Fälle
von Empyem nicht eben häufig sind. Uebergänge nach der ein¬
fachen und destruktiven Form der Cholecystitis (vorübergehender
oder dauernder vollkommener Verschluss) verwischen nicht selten
das anatomische Bild.
1. S. Wa., 61 Jahre, aufgen. 19. 8., entl. 19. 9. 1914.
Anamnese: Seit etwa 5 Monaten häufig kurz und länger dauernde An¬
fälle. Jetzt seit einer Woche fast ständig Sehmerzen.
Status: Puls und Temperatur normal. Kein Ikterus. Gallenblasengegend
empfindlich. Kein Tumor.
Operation am 20. 8.: Winkelsehnitt. Gallenblase klein, stark verwachsen.
Zahlreiche kleine facettierte Steine; nicht eingeklemmt. Galle gelb, mit Eiter
gemischt. Wand verdickt. Schleimhaut ausgesprochen granulierend, welche Be¬
schaffenheit sich auch auf den Ductus eysticiis fortsetzt.
2. M. Th., 56 Jahre, Ehefrau, aufgen. 4. 7., entl. 31. 7. 1912.
Anamnese: Seit 20 Jahren leichte Anfälle von Gallensteinkolik, die
während der letzten drei Schwangerschaften zuerst einsetzten.
Status: Puls und Temperatur normal. Kein Ikterus. Unter der nicht
nachweislich veränderten Leber ein mit der Atmung beweglicher Tumor.
Operation am 6.7.: Gallenblase mit trüb-eitriger Flüssigkeit gefüllt,
enthält 50 erbsen- bis haselnussgrosse gelbbraune Steine, von denen einer aus
dem Blasenhals herausgedrückt wird. Drainage der Gallenblase. Die Galle
läuft sofort. Die Wandungen der Gallenblase erscheinen ausserordentlich
verdickt.
3. M. Mo., 49 Jahre, Ehefrau, aufgen. 7. 2., entl. 26. 2. 1913.
Anamnese: Seit wenigen Monaten etwa 20 kurzdauernde Kolikanfälle;
zwischen den Anfällen dumpfe Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen.
Status: Gallenblascngcgend druckempfindlich, undeutlich resistent.
Operation am 8. 2.: Gallenblase enthält ungefähr 100 cem mit Eiter
vermischte Galle, daneben kleine, offenbar nicht blockierende Steine. Schleim¬
haut zeigt stellenweise etwas tiefergreifende Veränderungen. Auch beweist
leichte Verleitung mit der Nachbarschaft, dass die Wandung nicht mehr völlig
undurchlässig war.
30*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
446
Sprengel,
Digitized by
4. L. Sa., 40 Jahre, Witwe, anfgen. 11. 7., entl. 4. 8. 1914.
Anamnese: Bis zum 20. Lebensjahre mitunter Gallenbrechen; dann an¬
geblich nie mehr Beschwerden (?), bis sie vor etwa 5 Tagen mit Schmerzen
rechts oben und nach dem Rücken zu und Erbrechen erkrankte.
Status: Puls und Temperatur normal. Gallenblase als Tumor deutlich
fühlbar.
Operation: Winkelschnitt. Keine Verwachsungen oder akuten Erschei¬
nungen in der Umgebung. Massenhaft kleine und grössere facettierte Steine.
Schleimhaut bis zu dem im Ductus steckenden facettierten Stein stark ge¬
rötet, wie granulierend aussehend. Inhalt: Reichlich alter Eiter, etwas Galle
und frisches seröses Exsudat. Museularis stark verdickt (Taf. XVIII, Fig. 20).
Ich betrachte als den klinischen Ausdruck des Gallenblasen-
empyems jene Fälle, in denen die Krankheit niemals vollständig
zur Ruhe kommt. Die Kranken klagen über dumpfe, nach dem
Rücken ausstrahlende Schmerzen unter dem Rippenbogen, die für
gewöhnlich nicht den Charakter der typischen Kolikanfälle haben,
obwohl solche als Zwischenerscheinung nicht ausgeschlossen sind.
Aus dem letzteren Grunde sind die reinen Fälle selten; unter
unseren Bildern ist kein typischer Fall abgebildet. Eine relativ gute
Vorstellung gibt Fig. 20 auf Taf. XVIII.
In den eigentlich typischen Fällen, wie z. B. die Kranken¬
geschichte Wa. darstellt, trifft man die Gallenblase mit Eiter oder
schleimigem Eiter gefüllt, die Schleimhaut sammetartig, gegen den
Ductus cysticus in der Farbe nicht scharf abgegrenzt; meist er¬
scheint auch die Schleimhaut des letzteren wie eine granulierende
Wundfläche. Auffallend und als charakteristisch zu betrachten ist
die starke Verdickung der Museularis, die auf der Schnittfläche
der Wandung, ohne ödematös zu sein, bisweilen förmlich vor¬
quillt.
Die Gegend des Gallenblasenhalses ist meist etwas ver-
schwollen, beherbergt auch wohl einen kleineren oder grösseren,
nicht eigentlich festgeklemmten Stein.
Die Umgebung der Gallenblase zeigt keine frischen Verände¬
rungen, keine frische Agglutination mit der Nachbarschaft, kein
seröses peritoneales Exsudat.
Ich erkläre mir das anatomische Bild durch die Annahme
eines unvollkommenen Verschlusses, eines Hindernisses am
Gallenblasenhals, das zwar die normale Entleerung des Gallen¬
blaseninhalts erschwert, aber nicht völlig aufhebt. Es muss also
eine Stagnation in der Gallenblase eintreten, die weder für die
Schleimhaut noch für die Museularis gleichgültig ist. Die erstere
versetzt sie in einen chronischen Reizzustand, durch den sie eine
eigentümlich sukkulente, sammetartige Beschaffenheit bekommt, und
die letztere muss wie jede gegen ein Hindernis arbeitende Muscu-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinbranklieit im Lichte der Anfalloperation.
447
laris mit der Zeit einen ausgesprochen hypertrophischen Charakter
bekommen.
Das Bild ist den typischen Fällen von Wurrnfortsatzempyera
überaus ähnlich. Auf Taf. XVIII, Fig. 21 bilde ich ein vor kurzem
durch Operation gewonnenes Präparat ab, welches alle typischen
Eigentümlichkeiten eines Wurmfortsatzempyems in besonders charak¬
teristischer Weise wiedergibt. Man sieht die leichte Stenose am
"Wurmfortsatzeingang, den eitrigen Inhalt, die sammetartige Schleim¬
hautoberfläche und die enorm verdickte Muscularis.
Das klinische Bild des Falles war folgendes:
Frl. B., operiert am 1. 7., entl. 14. 7. 1914.
Schon mehrmals leichte Anfälle in den letzten Wochen; eigentlich dauernde
Beschwerden. Seit gestern abend krank mit heftigen Schmerzen.
Puls und Temperatur normal. Druckempfindlichkeit rechts unten.
Auch insofern ist die Analogie des Wurmfortsatzempyems mit
dem der Gallenblase eine vollständige, als seine Definition, wie ich
schon in meiner Monographie der Appendicitis ausgeführt habe, bei
den Autoren offenbar schwankend ist. Die einen wollen es als etwas
relativ Häufiges, die anderen als eine Seltenheit betrachten; die
einen vergleichen es mit einer geladenen Bombe, deren Platzen
todbringend sein kann, während es von anderen als eine relativ
harmlose Abnormität betrachtet wird, „auf deren Boden es keine
schweren Attacken gibt“. Ich gehe also nicht zu weit, wenn ich
folgere, dass die Autoren unter dem Namen Empyem etwas dem
Wesen nach Verschiedenes verstehen.
Eine Verwechslung — und das gilt zugleich von dem Empyem
der Gallenblase, wie denn überhaupt bei so gleichartig gebauten
und funktionierenden Organen auch in diesem Punkte von den Er¬
krankungen des einen auf die des anderen geschlossen werden
darf — ist nach zwei Richtungen möglich.
Einmal würde man zu weit gehen, wenn man jede minimale
eitrige Beimischung zum Inhalt mit dem Namen Empyem be¬
zeichnen wollte. Es ist gar nicht zu bezweifeln, dass auch bei der
einfachen, schnell nachlassenden Wurmfortsatzentzündung mit vor¬
übergehender Retention auf der geschwollenen und geröteten Schleim¬
haut die Bestandteile des Eiters nachgewiesen werden können, und
dasselbe möchte ich von so ziemlich allen Phasen in dem wechsel¬
vollen Bilde der Gallenblasenerkrankungen behaupten. Das Charak¬
teristikum ist aber neben dem Eiter, und zwar dem Eiter in
grösserer Ansammlung die dauernde Erschwerung des Abflusses
mit den charakteristischen Veränderungen für Schleimhaut und Mus¬
cularis, und unter dieser Voraussetzung darf das Empyem an beiden
Organen allerdings als etwas Seltenes betrachtet werden.
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
448
Sprengel,
Digitized by
Vielleicht noch häufiger wird das Empyem — auch das gilt
gleicherraassen von beiden Organen — mit den akut destruktiven
Vorgängen konfundiert. Und doch ist die Unterscheidung, wenn
man sich gewöhnt, auf gewisse bestimmte Merkmale zu achten
und die prinzipielle Verschiedenheit in der Pathogenese beider Er¬
krankungen in Betracht zu ziehen, relativ einfach. Bei der de¬
struktiven Cholecystitis (unlösbarer, vollständiger Verschluss bei
virulentem Gallenblaseninhalt) ist der flüssige Inhalt — ich ver¬
weise auf das oben in Teil I Gesagte — ausgesprochen jauchig,
meist von deutlich brandigem Geruch, dünnflüssig, nicht eitrig, die
Schleimhaut zerstört und verflüssigt; bei dem Empyem (unvoll¬
ständiger Verschluss bei virulentem Inhalt) ist die Schleimhaut
zwar auch verändert, teilweise ihres Epithels beraubt, aber in einen
der granulierenden Wundfläche nahestehenden Zustand versetzt und
deshalb imstande, reinen Eiter abzusondern. Ich meine, wenn man
das im Auge behält, dann in etwas das klinische Gesamtbild be¬
rücksichtigt, so muss man mindestens die typischen Krankheits¬
bilder auch im Präparat differenzieren können.
Nun gibt es freilich genug Uebergangsformen. Gerade für die
Vorbedingung des Empyems, d. h. für den unvollständigen Stein¬
verschluss ist es nicht bloss verständlich, sondern sogar recht nahe¬
liegend, dass aus dem unvollständigen Verschluss ein vollständiger
wird, dass der Stein, der vielleicht längere Zeit locker im Gallen¬
blasenhals oder Anfangsteil des Ductus cysticus sass und unter
dem langsam arbeitenden Druck der Muscularis den Gallenblasen¬
inhalt passieren liess, sich fester einkeilt und so in einem ge¬
gebenen Moment die Passage vollkommen aufhebt. Je nachdem
dieser vollkommene Verschluss sich schnell wieder löst, oder zu
einem unlöslichen wird, müssen, im ersten Fall die charakteristi¬
schen Erscheinungen der Cholecystitis simplex, im zweiten die der
Cholecystitis destructiva eintreten.
Ich glaube mich überzeugt zu haben, dass diese Ueberlegung
nicht bloss theoretisch konstruiert ist, sondern durch die tatsäch¬
liche Erfahrung bestätigt wird.
Als Beispiel kann der Fall Sa. dienen. Er war insofern nicht
rein, als sich in der Gallenblase neben dem Eiter auch etwas
seröses Exsudat vorfand. Wie soll man es deuten? Zweierlei ist
möglich. Entweder ein ursprünglich seröses Exsudat der Gallen¬
blase hat sich allmählich in Eiter umgesetzt, bzw. es hat sich
neben dem serösen Erguss zugleich ein eitriger gebildet, oder aber
der eitrige Erguss hat bereits längere Zeit bestanden und unter
dem Einfluss einer akuten Okklusion mit nachfolgender Retention
eines virulenten Gallenblaseninhalts ist dem eitrigen Inhalt ein
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Die Gallenstcinkrankheü im Lirlitc der Anfallopcration.
449
akuter seröser Erguss sozusagen aufgesetzt. Wenn ich die Abbil¬
dung Sa. auf Taf. XVIII, Fig. 20 mit dem vorher abgebildeten
Präparat Kl. (Taf. XVII, Fig. 10) vergleiche, so muss ich selbst
die Berechtigung eines Zweifels in der Auffassung zugeben; denn
die Bilder gleichen sich tatsächlich sehr. Aber weil sie in wesent¬
lichen Punkten — Vergrösserung der Gallenblase, seröser Erguss
in dieselbe, okkludierender Stein im Ductus cysticus — überein¬
stimmen, muss man, um zur Klarheit zu gelangen, auf die Differenz¬
punkte ganz besonderes Gewicht legen. Diese sehe ich an zwei
Stellen. Einmal besteht in dem Fall Kl. (Taf. XVII, Fig. 10) —
den ich als frische, kurzdauernde Okklusion bei virulentem Inhalt
auflasse — sehr ausgeprägtes Oedem aller Wandschichten und
Agglutination mit der Umgebung, was beides in dem Präparat Sa.
{Taf. XVIII, Fig. 20) fehlt, und andererseits enthält das letztere
Eiter im Innern, der beim ersten fehlt. Für meine Ueberzeugung
liegt da die Folgerung nahe, dass der Eiter im Fall Sa. schon
längere Zeit vorhanden war, und dass das seröse Exsudat sich als
Folge des akuten vollständigen Verschlusses schnell hinzubildete;
denn hätte sich der Eiter gleichzeitig gebildet, so würde das eine
besonders starke Virulenz des gestauten Inhalts beweisen, und be¬
stand eine solche, so hätte die Gallenblasenwand im Fall Sa. ebenso
gut durchlässig werden müssen wie im Fall Kl. Da das erweislich
nicht der Fall ist, so muss man eine verschiedene Pathogenese,
nach meiner Auffassung ein frisches, seröses Exsudat bei länger
bestehender Eiterung annehmen.
Eine weitere Ueberlegung kommt hinzu. Ich habe eben die
Möglichkeit angedeutet, dass sich auch die destruktive Form der
Gral len blasenerkrankung auf einem Empyem aufbauen kann, sobald
sich aus dem unvollkommenen Verschluss, der das Empyem be¬
dingt, der unlösliche, vollkommene Verschluss entwickelt. Die Fig. 22
auf Taf. XIX stellt einen Fall dar, den ich in diesem Sinne
auffasse.
0. Ba., 47 Jahre, Ehefrau, auf gen. 2G. G., entl. 17. 7. 191#.
Anamnese: Die Kranke litt seit mehr als 10 Jahren an Gallenstcin-
koliken, mit freien Intervallen bis zu 1 Jahre. Mehrmals Ikterus. Schmerzen
im Anfall sehr heftig, sonst mehr dumpfes Schmerzgefühl. Jetzt seit 5 Tagen
krank.
Status: Tcmp. 37,6°, Puls 110. Rechte Bauchseite sehr empfindlich und
deutlich gespannt. Gallenblase ragt weit unter der tiefstehenden Leber als prall
elastischer Tumor vor.
Operation sofort. Winkelschnitt. Im Peritoneum etwas klares Exsudat.
Gallenblase sehr gross; enthält etwa 200 ccm Eiter -f- wässriges Exsudat. Stein
im Gallenblasenhals hinter einer Querfalte des Ductus cysticus; lässt sich nicht
ausdrücken. Gallenblase mit der Umgebung nicht verwachsen.
Digitized by
Gck gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
450
Sprengel,
Digitized by
Die Steine, von denen sieh mehrere frei im Inhalt fanden, hatten den
Charakter der Kombinationssteine.
Die Untersuehumr ergab starke Wandverdickung, bis zu 8 mm, starkes
Gedern der Serosa und Subserosa und ausgesprochen hämorrhagische BesehaiDTi-
heit der Schleimhaut. Dabei deutlicher Epithelverlust.
Auch in diesem Falle ist der zugleich eitrige - und seröse Er¬
guss für die Deutung entscheidend. Hätte sich das anatomische Bild
in der gleichen Weise entwickelt, wie es oben die typischen Bilder
der destruktiven Erkrankung darstellen, so würde der Inhalt nicht
aus Eiter und entzündlichem, serösem Exsudat, sondern aus dem
Produkt der verflüssigten, brandig gewordenen Wandschichten, d. h.
aus brandiger Jauche bestehen. Der vorhandene Eiter beweist,
dass sich die Wandung eine Zeit lang in einem der Granulations¬
fläche ähnlichen Zustand befunden hat, und das entzündliche Ex¬
sudat ist nach den Erscheinungen bei den Fällen von kurzdauerndem
vollständigen Verschluss als ein frisch hinzugekommenes entzünd¬
liches Produkt aufzufassen. Da die Wandung nicht mehr intakt,
sondern hämorrhagisch verändert und, wie das frische Exsudat in
der Umgebung beweist, nicht mehr undurchlässig war, so nehme
ich beginnende Destruktion an.
Ich habe den Eindruck, dass die Fälle von Empyem, in denen
aus dem unvollkommenen Verschluss ein vollkommener wird, einen
langsameren Verlauf haben, dass mit anderen Worten die Wan¬
dungen der Gallenblase der destruierenden Wirkung des zurück¬
gehaltenen virulenten Inhalts einen stärkeren Widerstand entgegen¬
setzen, als wenn in einer bis dahin nicht empyematösen Gallen¬
blase mit unveränderter Wandung sich ein unlösbarer Verschluss
entwickelt. In den Fällen Sa. und Ba. bestanden die schweren
klinischen Erscheinungen bereits 5 Tage; sie mussten nach dem
anatomischen Bilde zweifellos als Verschlusserschcinungen aufgefasst
werden, trotzdem waren die Veränderungen der Gallenblasen wand
vergleichsweise unbedeutend.
Natürlich kann man mit demselben Recht auch eine geringere
Virulenz des Inhalts für den langsameren Verlauf verantwortlich
machen; ich habe nichts dagegen, glaube aber, dass wir damit
nicht viel weiter kommen.
Nach der vorstehenden Darlegung erhellt es ohne weiteres,
dass ich die auf der Basis eines Empyems langsam sich ent¬
wickelnden Veränderungen der Gallenblasenwand als nicht sehr
hochgradig betrachte. Verdickung der Gallenblasenwand durch
Hypertrophie der Muscularis und infiltrative Entzündungsprozesse,
die sich von der Schleimhautoberfläche nach der Tiefe zu aus-
breiten, sind ihre wesentlichen Komponenten. Der Endausgang
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 451
dieser Wandveränderungen wird uns im nächsten Teil beschäftigen.
Die interessante Frage, ob die Veränderungen, wie sie sich beim
Empyem in langsamer Entwicklung vollziehen, einer Rückbildung
zum normalen Verhalten der Gallenblasenwand zugänglich sind,
vermag ich nicht zu entscheiden. Wenn die Auffassung richtig
ist, dass der Grund der empyematösen Erkrankung auf unvoll¬
kommenem, periodisch wechselndem Abschluss des virulenten
Gallenblaseninhalts beruht, so wäre dieser günstige Ausgang, wenn
auch nicht gerade wahrscheinlich, so doch theoretisch denkbar.
Strikte Beweise werden sich schwerlich dafür erbringen lassen.
III. Teil.
Residuen abgelanfener Erkrankung. — Reparatorische Vorgänge.
Stadium der Quiescenz.
Wer dem im Vorstehenden entwickelten Gedankengang gefolgt
ist, wird es selbstverständlich finden, dass der letzte Teil meiner
Ausführungen einen sehr bescheidenen Umfang einnimrat. Aus dem
einfachen Grunde, weil ich — im Gegensatz zu den meisten Be¬
arbeitern der Gallensteinfrage — der Ansicht bin, dass die Ver¬
änderungen, welche sich an der Gallenblase im Stadium der Ruhe
vollziehen, ganz vorwiegend reparatorischen Charakters sind, und
dass alle wichtigen Zerstörungen des Organs als Folgen eines vor¬
übergehenden, oder unlösbaren, akut einsetzenden Verschlusses auf¬
gefasst werden-müssen. Im übrigen kann es mir nicht beifallen,
in diesem Punkt die eingehenden histologischen Untersuchungen,
welche Aschoff über die Ausheilungserscheinungen nach den ver¬
schiedenen Formen der recidivierenden Cholecystitis angewendet
hat, ergänzen zu wollen.
Nur einige allgemeine Bemerkungen zu demselben Gegenstand
seien mir gestattet.
Ich betrachte es — gerade nach dem von mir vertretenen
Standpunkt — als selbstverständlich, dass die reparatorischen Vor¬
gänge, wie sie sich an der Gallenblase nach Rückgang der akuten
(Verschluss-) Erscheinungen im langsamen Abklingen gestalten,
nach Intensität, Dauer und Ausdehnung der vorangegangenen akuten
Erkrankung sehr verschieden ausfallen werden.
Eine Restitutio ad integrum halte ich nach kurzdauernden An¬
fällen von Steinverschluss mit den entsprechenden vorübergehenden
entzündlichen Folgeerscheinungen für wahrscheinlich; selbst in
höherem Grade wahrscheinlich, als für die analogen Vorgänge am
Wurmfortsatz. Aus mehreren Gründen.
Einmal bietet der ungleich grössere Rauminhalt der Gallenblase
an sich eine grössere Gewähr für den Ausgleich entzündlicher Pro-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
452
Sprengel,
Digitized by
zesse. Ferner kann man annehmen, dass die Retention der infi¬
zierten Galle im allgemeinen von weniger deletärer Bedeutung für
die Wandung des Organs ist, als der Abschluss des kothaltigen
Wurmfortsatzinhalts; es ist gewiss kein Zufall, dass die Entwick¬
lung eines Hydrops — also Retention eines avirulenten oder aviru-
lent gewordenen Inhalts — an der Gallenblase zu den ziemlich
häufigen, am Wurmfortsatz zu den seltensten Vorkommnissen zählt.
Und endlich lehrt die Beobachtung bei Gallenblasenoperationen,
dass die entzündlichen Erscheinungen schon kurz nach heftigen,
aber kurzdauernden Kolikanfällen einem fast normalen Vorhalten
Platz machen. Vielleicht hat die schnell wieder einsetzende Uebcr-
flutung der Gallenblasenwand mit der wieder zuströmenden nor¬
malen Galle ihren Teil an diesem schnellen Ausgleich, für welchen
es dem Wurmfortsatz an entsprechenden Hilfsmitteln fehlt.
Für alle tiefergreifenden akuten Prozesse ist die Narbenbildung
der charakteristische Spätbefund. Die Gestalt der Narben ist über¬
aus verschieden, je nachdem es sich um einen flachen, aber relativ
weitgreifenden Defekt der Mucosa, oder um eine tiefe Destruktion
der Wandschichten gehandelt hat, wie wir oben nach unseren Prä¬
paraten haben darstellen lassen. Im ersteren Fall sieht man sie
als hellere Flecken, bisweilen von exquisit strahligem Charakter,
von der Gallenblasenwand sich abheben, im zweiten dürfte nicht
selten jene eigentümlich strangartige Form resultieren, bei der die
Gallenblasenwand von scharf vorspringenden, das Organ schräg
oder quer verlaufenden Leisten durchzogen wird. Sie sind das Ana¬
logon der Strikturen des Wurmfortsatzes; letzteren auch in ihren
Folgeerscheinungen insofern nicht unähnlich, als sie mitunter die
Gallenblase in mehrere beutelartige Divertikel abteilen, in denen
die Steine wie in einem Netz abgeschlossen liegen. Die Abbildun¬
gen Sch. (Taf. XIX, Fig. 23) und Bu. (Taf. XIX, Fig. 24) geben
charakteristische Beispiele wieder; auf der ersteren lässt sich auch
die Kombination beider Narbenformen nebeneinander erkennen.
Als die Vorstufe jeder Narbe und zweifellos als der wichtigste
Teil aller reparatorischen Vorgänge überhaupt ist die Granulations¬
bildung zu betrachten. Jeder oberflächliche oder tiefe Substanz¬
verlust kann nur auf dem Wege der Granulationsbildung ausgefüllt
und von den gesund gebliebenen Partien der Nachbarschaft her
mit Epithel überwachsen werden. Auch ist hierfür die Analogie
mit anderen, kanalförmig angelegten Organen, ganz besonders
wiederum mit dem Wurmfortsatz, einleuchtend. Gewisse Besonder¬
heiten in diesen Ausheilungsvorgängen hat Asch off in seiner be¬
kannten Arbeit in dem Abschnitt „Cicatrices ex cholecystitidc“
instruktiv beschrieben.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
453
Sind durch den destruktiven Prozess sämtliche Schichten der
Gallenblasenwand, einschliesslich der Serosa, in Mitleidenschaft ge¬
zogen, so muss das Resultat — virtuell betrachtet — die Per¬
foration der Gallenblase sein. Tatsächlich kommt es bekanntlich
in der Ueberzahl der Fälle trotzdem nicht zur Perforation,
wenigstens nicht in dem Sinne, dass der Gallenblaseninhalt sich
frei nach aussen entleerte, weil in demselben Masse, als die Wan¬
dung defekt wird, die Nachbarschaft sich durch Verklebung an¬
lagert und die Lücke schliesst. Es ist anzunehmen, dass selbst
grosse Defekte, vielleicht des gesamten Gallenblasenfundus, durch
diesen reparatorischen Vorgang fast latent ausgeglichen werden,
und dass es sich bei den minimalen Resten der Gallenblase, denen
man bei Operationen im Stadium der Quiescenz mitunter begegnet,
nicht immer um einen einfachen Prozess der Schrumpfung, obwohl
diese wohl immer eine Rolle spielt, sondern um eine Art Neu¬
formation der Gallenblase handelt, in der Weise, dass der Fundus
durch den destruktiven Prozess eingeschmolzen und allmählich
aufgesogen wird, während sich aus den gesund gebliebenen, dem
Gallenblasenhals naheliegenden Resten unter dem reparatorischen
Einfluss der Granulation und Vernarbung eine Art Miniaturgallen¬
blase neu formiert. Auch in diesem Punkt wird der Vorgang sehr
ähnlich sein, wie bei der Appendicitis destructiva, nach welcher
bekanntlich keineswegs selten ein normaler Abschluss des Wurm¬
fortsatzes zustande kommt.
Nach dem, was ich oben über die Cholecystitis destructiva
gesagt habe, brauche ich nicht zu betonen, dass nach meiner Auf¬
fassung die Perforation der Gallenblase als solcher im Stadium
der Quiescenz keinen Platz findet. Ich halte es ebenso wenig für
die Gallenblase für denkbar, dass ein in ihr befindlicher Stein
durch langsame Verschwärung, Drucknekrose, oder wie man es
sonst nennen will, ausgestossen wird, wie ich es für die analogen
Verhältnisse am Wurmfortsatz annehme.
Für letzteren glaube ich bewiesen und auch wohl in weiteren
Kreisen zur Anerkennung gebracht zu haben, dass es lediglich auf
falscher Auslegung des anatomischen Krankheitsbildes beruht, wenn
man das Loch im Wurmfortsatz, in welchem ein Kotstein frei zu
Tage liegt, als durch den Druck des Steins bedingt, auffasst. Der
Kotstein usuriert nicht die Wand, sondern die infolge der Retention
geplatzte Wand legt sich auf den Stein. Schon nach der Analogie
mit dem Wurmfortsatz dürfte für die Verhältnisse der Gallenblase
die gleiche Annahme zutreffen. Sie wird es in um so höherem
Grade, als die ungleich weiteren Raumverhältnisse der letzteren,
die Umspülung mit Galle und die Tatsache, dass wir in der Gallen-
Digitized by
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSUM OF IOWA
454
Sprengel,
Digitizer! by
blase so überaus gewöhnlich die Steine als zufälligen, offenbar
vielfach belanglosen Befund erheben, a priori gegen die „Druck-
usur“ sprechen müssen.
Trotzdem begegnen wir der Vorstellung, dass durch den Druck
der Steine ein „Dekubitalgeschwür“ gebildet wird, „bei dem durch
den Druck des Steines zuerst die Schleimhaut, dann die Muscularis,
schliesslich auch die Serosa zerstört wird“, selbst in den neuesten
Spezialwerken der Gallensteinchirurgie; so bei Grube und Graff,
deren Werk die letzten Worte entnommen sind.
Aschoff spricht iu dem Kapitel der Cholecystitis ulcerosa
gravis zwar einerseits von einer schnell fortschreitenden „Nekro¬
tisierung oder eitrigen Einschmelzung“, bezeichnet sie aber zugleich
als Ursache der „breiten oder ulcerösen Perforation, durch welche
ganze Steine austreten können“, braucht also die Ausdrücke
Nekrotisierung und Ulceration offenbar in gleichem Sinne, so
dass ich auch aus diesem Abschnitt seiner Darstellung nicht
klar zu erkennen vermag, ob er die entzündlichen Vorgänge an
der Gallenblase als einen akuten oder chronischen Prozess auf¬
fassen will.
Meines Erachtens sollte man eine bestimmte Anschauung über
diese Dinge auch in der Bezeichnung zur Geltung bringen, was
keineswegs auf blosse Wortklauberei hinausläuft, sondern ganz
vorwiegend der begrifflichen Klarheit zugute kommt. Wenn es
dem allgemeinen Gebrauch entspricht, dass wir mit dem Begriff
der Ulceration das Merkmal des langsamen, molekularen, oft auf
der Basis einer septischen Infektion geschehenden Gewebszerfalls,
mit Nekrose und Gangrän den unter akuten Erscheinungen er¬
folgenden Tod grösserer Gewebspartien bezeichnen, so sollte man,
möchte ich glauben, beide Ausdrücke nicht promiscue gebrauchen.
Jedenfalls wäre es ein Gewinn, wenn in einer Arbeit von der Be¬
deutung der Aschoff’schen jede Möglichkeit einer irrtümlichen
Auffassung (auch in der Bezeichnung) ausgeschlossen wäre.
Ich muss bekennen, dass es mir nicht gelungen ist, trotz
eifriger Bemühung darüber klar zu werden, ob Aschoff die Per¬
foration der Gallenblase als einen akuten oder chronischen Vorgang
aufgefasst haben will. Für mich ist es, wie gesagt, nicht zweifel¬
haft, dass eine langsame Durchschwärung des Organs nicht vor¬
kommt. Höchstens könnte man in dem besonderen Sinne die
Perforation als einen reparatorischen Vorgang bezeichnen, als sie
den Ausgleich einer bestehenden Retention darstellt, dass
sie also, so deletär sie auch in ihren Folgen sein kann, doch
einen Heilungsmodus bedeutet, durch welchen das Organ von seinem
Inhalt befreit wird. Aber daran wird man festhalten müssen, dass
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. .455
die Perforation ein akut nekrotisierender, nicht ein chronisch ulce-
rativer Prozess ist.
Etwas Aehnliches gilt von den Vorgängen, durch welche
schliesslich eine Kommunikation der Gallenblasenlichtung mit be¬
nachbarten Organen, am gewöhnlichsten mit dem Darm, zustande
kommt. Auch hier wird in erster Linie die Vorstellung zu Recht
bestehen müssen, dass die Wandung der okkludierten und ge¬
spannten Gallenblase an umschriebener Stelle akut perforiert wird,
während gleichzeitig die benachbarten Organe sich wie ein
schützender Wall um die geschädigte Stelle herumlegen. Nach
welchen Gesetzen aber die nach und mit der Perforation alsbald
einsetzenden reparatorischen Vorgänge sich vollziehen, aus welchem
Grunde gerade der jeweilig vorliegende und nicht ein beliebig
anderer Weg dem putriden Gallenblaseninhalt vorgeschrieben wird,
ist bis heute nicht geklärt. Dass Differenzen im Gewebsdruck
eine Holle spielen müssen, scheint mir klar, und deshalb sind die¬
jenigen, übrigens seltenen Fälle am leichtesten verständlich, in
denen die perforierte Gallenblase mit der retroparietalen Serosa
verwächst, letztere durchbrochen wird und nun der Eiter im lockeren
Zellgewebe des Retroperitoneums weiterwandert. Wann im Einzel¬
fall das Duodenum oder der Dickdarm für die Perforation bevor¬
zugt wird, hängt bis zum gewissen Grade von der Apposition
dieser Organe an die Gallenblase ab; warum aber der Eiter nach
Perforation der Gallenblase in einer bestimmten Richtung weiter¬
wandert, während man doch annehmen sollte, dass nach Per¬
foration der Gallenblasenwandung und dadurch beseitigter Re¬
tentionsspannung der in der Abscesshöhle herrschende Innendruck
nach allen Seiten gleichmässig wirkt, ist schwer erklärlich. Man
•wird sich bis auf weiteres mit der Vorstellung einer verschie¬
denen Widerstandsfähigkeit der anliegenden Wandungen begnügen
müssen.
Ob neben dem eben geschilderten Modus für gewisse
besondere Fälle die festliegenden Steine in Nachbarorgane
langsam „durchschwären“ können, muss vorläufig dahingestellt
bleiben.
Riedel hat sich mit dieser Frage in einer Arbeit über „partielle
oder totale Zerstörung von Ductus cysticus und Choledochus durch
Stein“ vor kurzem damit beschäftigt. Er nimmt mehrere, unter
sich sehr verschiedene Möglichkeiten für die Fortbewegung
dieser fixierten Steine an. Insbesondere soll der Cysticusstein
sowohl durch „Arrosion“ der Cysticus- und Choledochuswand in
den letzteren Gang gelangen, als auch durch eine Attacke im
Riedel’schen Sinne, welche „in der Gallenblase und im Ductus
Digitized by
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
456
Sprengel,
Digitized by
cvsticus“ einsetzt, in den Ductus choledochus geworfen werden
können. Endlich wird auch ein Fall beschrieben, in welchem „ein
Abscess an die Stelle des Ductus cysticus getreten war“ und „in
diesem Abscess setzte die entzündliche Attacke ein, durch welche
innerhalb 24 Stunden mehrere sehr grosse Steine in den Ductus
choledochus geworfen wurden“.
Ich möchte glauben, dass Riedel bei dieser letzteren Auf¬
fassung selbst für diejenigen zu weit geht, welche an sich geneigt
sind, seine Theorie von der um die Gallensteine sich entwickelnden
akut entzündlichen Attacke anerkennen wollen, und kann schlechter¬
dings nicht verstehen, wie — wohlgemerkt nach Zerstörung des
Ganges — der gleiche Mechanismus, der, so lange der Gang be¬
steht, mechanisch allenfalls verständlich ist, noch fortwirken und
die grossen Steine akut in einen präformierten Ausführungsgang
vorwärtstreiben sollte.
Viel eher scheinen die Riedel’schen Fälle dafür zu sprechen,
dass unter der Mitwirkung einer langsam sich entwickelnden Eite¬
rung der Fremdkörper, welcher sich einen Ausweg sucht, in ein
benachbartes Organ Übertritt. Wenn irgendwo, so konnte die
Riedel’sche Lehre von der „Perialientis“ hier auf Verständnis
rechnen, wenn sie auch freilich eiue wirkliche Erklärung niemals
bringen kann. Es wird also — auch nach den Riedel’schen
Fällen — bei der Perforation die Annahme einer „Durchschwürung“,
d. h. eines reparatorischen Vorgangs im Sinne einer arrodierenden
und schliesslich perforierenden LJlceration, gegenüber der Wahr¬
scheinlichkeit eines mindestens subakuten Entzündungsprozesses
zurücktreten müssen.
Wölfler und Lieblein wollen die Lehre von der sog. direkten
Fistelbildung, d. h. auf dem Wege langsamer ulcerativer Vorgänge
aufrecht erhalten.
Die Frage gehört vielleicht zu denjenigen, die nicht mehr
aufgeklärt werden können. Man hat sozusagen die Zeit verpasst,
wo man den Prozessen an den Gallenwegen beliebig lange untätig
zusah und Gelegenheit gehabt hätte, sich über manche Einzelheiten
im Mechanismus ihres Ablaufs zu instruieren.
Als reinstes Beispiel für die langsam sich vollziehenden repa¬
ratorischen Vorgänge in der Gallenblasenwand darf man wohl die
Endausgängc des Empyems in dem von mir vertretenen Sinne
eines unvollkommenen Gallenblasenverschlusses bei virulentem Inhalt
betrachten. Von ihnen bis zu den schwer destruktiven, alle Schichten
der Gallenblasenwand beteiligenden, aber weniger gleichmässig ver¬
laufenden Prozessen werden alle möglichen Uebergänge Vorkommen
müssen. Der Endausgang ist immer die Narbe oder, sobald sie
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die (iallensteinkrankheit im Lichte der Anfallopcration.
457
sich, wie beim Empyem, gleichmässig über die ganze Dicke des
Organs verteilt, die Schrumpfung der Gallenblasenwand. Zu
einer vollkommenen Obliteration, die am Wurmfortsatz in der Ueber-
zahl der nicht operativ behandelten Fälle den Endausgang der
Okklusions- und Entzündungsprozesse und zugleich den definitiven
Heilungsprozess darstellt, kommt es an der Gallenblase un¬
gleich seltener als am Wurmfortsatz. Aber augenscheinlich genügt
die Schrumpfung in sehr vielen Fällen, um die Heilung anzu¬
bahnen.
Stellt man sich auf den von mir vertretenen Standpunkt, so
kann man sich vorstellen, dass mit der fortschreitenden Schrumpfung
des Organs auch der Anlass zu neuem Steinverschluss eingeschränkt
werden muss, weil es der Gallenblasenlichtung sozusagen an Raum
zu einer Retention putriden Inhalts und ihrer Wandung an funktions¬
fähigen muskulären Elementen fehlt, welche den Stein im Gallen¬
blasenhals fixieren und dadurch die Okklusion herbeiführen könnten.
Was entsprechend der zunehmenden Wandschrumpfung und Ver¬
kleinerung des Organs übrig bleibt, ist ein festes, nicht ver¬
schlossenes, mit Steinen gefülltes, die Bewegung der Steine aus-
schliessendes Gebilde, das den Untergang der Funktion der
Gallenblase, aber auch den Untergang der verhängnisvollen Neben¬
wirkung dieser Funktion — der Okklusion und Retention — be¬
deutet.
Einem Einwurf muss ich am Schluss dieser pathogenetischen
Betrachtungen begegnen.
Wenn ich dem Einfluss der offenen oder, wenn man lieber
will, chronischen Entzündung einen untergeordneten Platz einräume,
wie es auf diesen Blättern geschieht, so begebe ich mich damit
anscheinend in Widerspruch gegen gewisse Erfahrungen der kli¬
nischen und operativen Beobachtung. Denn ebenso wie es am
Wurmfortsatz auffällt, dass wir in einem anscheinend ersten Anfall
bisweilen schwereren Veränderungen begegnen, die unbedingt den
Eindruck des Inveterierten, des nicht frisch Entstehenden machen,
ebenso treffen wir bei Gallenblasenkranken, die wegen „chronischer“
Beschwerden zur Operation kommen und angeblich niemals einem
akuten Insult unterlegen sind, bisweilen auf recht beträchtliche
Verärfderungen. Auch das will ich durchaus nicht leugnen, dass
man, wie Kehr sagt, gelegentlich einen ganz frischen Fall mit
allen Erscheinungen akuter Erkrankung vor sich zu haben glaubt,
während die mikroskopische Untersuchung der Gallenblase das
Vorhandensein alter Veränderungen aufdeckt. Denn dass gewisse
Veränderungen an den Luschka’schen Gängen und ihrer Umgebung
in langsamer Entwicklung sich abspielen mögen, habe ich ebenso
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
458
Sprengel,
Digitized by
wenig Anlass zu bestreiten, wie ich die chronischen Veränderun¬
gen im Sinne der empyematösen Gallenblasenerkrankung in Ab¬
rede stelle.
Wenn aber Kehr weiter die Meinung ausspricht — wobei er
sich zweifellos vielseitiger Zustimmung erfreut —, dass auch tiefe
Ulcerationen auf dem Wege „chronischer Entzündung“ ohne klinisch
erkennbare Symptome sich entwickeln könnten, so möchte ich das
mindestens nicht für erwiesen halten oder, besser gesagt, von der
Vorfrage abhängig machen, ob man nicht den Begriff der chronischen
Entzündung auch klinisch etwas vorsichtiger anwenden sollte, als
bis heute geschieht.
Ich erkläre mir den scheinbaren Widerspruch des Vorhanden¬
seins alter Veränderungen und Fehlen prägnanter klinischer Sym¬
ptome durch folgende Ueberlegung.
Einmal sind die anamnestischen Angaben gerade der Gallen¬
steinkranken unzuverlässig. Es hat lange gedauert, bis man den
vielgenannten „Magenkrampf“ durch die richtige Bezeichnung Gallen¬
steinkolik ersetzte, und noch heute suchen viele Patienten durch
jenen gutartiger klingenden Ausdruck ihr Leiden zu verschleiern.
Ebenso ist es begreiflich, dass bei einem Leiden, das sich in
einzelnen Attacken meist über eine ganze Reihe von Jahren, nicht
selten durch ein halbes Menschenleben hinzieht, die einzelnen Phasen
der Erkrankung in der Erinnerung verblassen. Gewöhnt man sieh,
die Anamnese genauer aufzunehmen, so findet man doch nicht
selten sehr bemerkenswerte klinische Daten, welche mitunter ein
bei der Operation gefundenes anatomisches Bild nachträglich scharf
beleuchten. So ist es zwar bekannt und auch meiner persönlichen
Erfahrung entsprechend, dass der Gallenblasenhydrops unter gering¬
fügigen Erscheinungen sich entwickelt; findet man aber auf der
Schleimhaut der hydropischen Gallenblase alte Narben und sonstige
Zeichen einer überstandenen tieferen Destruktion, so hat man allen
Anlass, die Anamnese nochmals eingehender aufzunehmen, und
wird nicht so selten umschriebene Attacken als Ursache jener
Veränderungen nachweisen können. Nebenbei bemerkt, eine weitere
Begründung der auch von mir geteilten Ansicht, dass es sich beim
Hydrops nicht bloss um den dauernden Verschluss bei avirulentcm,
sondern auch bei avirulent gewordenem Inhalt handelt. * Aber
selbst wenn in einem Fall die in der eben angedeuteten Richtung
angestellte Anamnese tatsächlich versagen sollte, so würde ich
mich deshalb noch nicht zu einer Aenderung meiner Anschauung
entschliessen. Und zwar weil ich glaube, dass unter Umständen
selbst ziemlich schwere und zweifellos akut, d. h. anatomisch ge¬
sprochen akut sich vollziehende Prozesse in der Bauchhöhle klinisch
Go^ 'gle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Die (iailensteinkranklieit im Lichte der Anfalloperation.
459
unter wenig prägnanten Symptomen verlaufen können. Wenn man
erlebt hat, dass der Wurmfortsatz bis auf einen kleinen Bürzel
destruktiv aufgezehrt ist, ohne dass in der Anamnese eine An¬
deutung von Appendicitis nachzuweisen wäre, wenn in der Um¬
gebung des Wurmfortsatzes bei der gleichen negativen Anamnese
schwere Verwachsungen und sonstige Spuren akut entzündlicher
Prozesse sich vorfinden, so kann man nach unseren ganzen Vor¬
stellungen doch nicht zweifeln, dass die Wandungen des Organs,
in dessen Umgebung sich diese Veränderungen finden, zu irgend
einer Zeit durchlässig geworden und nicht imstande gewesen sind,
die hinter ihnen sich abspielenden entzündlichen Vorgänge gegen
die Bauchhöhle abzuschliessen. Man muss also eine im anatomischen
Sinne akute frühere Erkrankung annehmen. Mit der Gallenblase
wird es insofern nicht anders sein, als sie, in der Lebernische
versteckt und dem Netz und Lig. gastro-colicum unmittelbar an¬
liegend, sich durch Agglutination mit der Nachbarschaft leicht
von der freien Bauchhöhle abschliessen kann und es, wie die all¬
täglichste Erfahrung beweist, so regelmässig und so sicher tut,
dass die Perforation der Gallenblase in die freie Bauchhöhle zu
den seltensten Ereignissen gehört, während die allerschwersten
destruktiven Prozesse hinter den sehr dichten Verklebungen einen
rein lokalen Charakter behalten. Unter der Voraussetzung, dass
der akute Vorgang vom parietalen Bauchfell abgesondert bleibt,
ist die geringe Schmerzhaftigkeit begreiflich, und es versteht sich
auch für die Gallenblase, dass destruktive Prozesse, welche —
nach unserer Auffassung — immer als Folge von Okklusion und
Retention eines virulenten Inhalts aufzufassen sind, gelegentlich
unter wenig prägnanten Symptomen verlaufen, und dass ein Schmerz¬
anfall von wenigen Stunden, oder eine länger dauernde stärkere
Unbequemlichkeit in der Oberbauchgegend der klinische Ausdruck
eines tiefer greifenden Zerstörungsprozesses sein kann. Aber —
daran allerdings möchte ich festhalten — ohne jeden Schmerz
kann es nicht abgegangen sein, sobald die Spuren ernsthafter
Destruktion in Gestalt von Narben usw\ nachweisbar sind. Nur
der unkomplizierte Hydrops, d. h. die einfache Retention eines
von Anfang an avirulenten Gallenblaseninhalts mag wohl ohne
nennenswerte Empfindungen verlaufen. Je virulenter der Inhalt
eines verschlossenen Organs, um so intensiver der Spannungs¬
schmerz, um so eindringlicher die entzündliche Reaktion auf die
Nachbarschaft.
Noch eine weitere Reflexion führt zu demselben Resultat.
Wenn es schon schwer ist, sich vorzustellen, aus welchem Grunde
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft B. ‘{]
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
460
S p r e n g e 1,
Digitized by
ein Hohlorgan mit offenem Ausführungsgang plötzlich und ohne
den Hintergrund einer spezifischen Diathese einem chronisch ent¬
zündlichen, von Vielen geradezu als ulcerativ bezeichneten Prozess
verfallen sollte, so fehlt erst recht jede Erklärung dafür, aus
welchem Grunde und in welchem Augenblick der entzündliche
Prozess sein Ende finden und in den reparativen übergehen sollte,
anders ausgedrückt, durch welchen Vorgang sich nach geschehener
Destruktion eine glatte weissliche Narbe auf der sonst gesunden
Gallenblasenschleimhaut entwickelt. Nehme ich dagegen an. dass
die Destruktion nur dann entsteht, wenn bei eintretendem und
länger bestehendem Verschluss Abschluss eines virulenten Inhalt>
erfolgt, so ist die Antwort leicht. Die Reparation beginnt, sobald
die Okklusion aufhört oder ausgeglichen wird. Es ist derselbe
Grund, aus welchem ein Abscess vernarbt, d. h. reparativ aus¬
geglichen wird, sobald man ihn incidiert. Recht alltägliche patho¬
logische Vorgänge dürften somit für die von uns dargelegte Auf¬
fassung sprechen.
Indem ich sie vertrete, muss ich den Einwurf zulassen, dass
auf ihrer Basis die klinische Abgrenzung der akuten Vorgänge
von den chronischen nicht immer durchführbar sein wird. Das
mag sein. Ich behaupte nicht, dass das anatomische Bild immer
in dem klinischen Verhalten seinen schablonenmässigen Ausdruck
finden muss. Trotzdem werden wir nur an bestimmten und zweifels¬
frei erklärten anatomischen Bildern unsere klinische Auffassung
weiter entwickeln können. Und wenn es mir gelungen sein sollte,
festzustellen, dass die Okklusion und Retention in einer erheblichen
Zahl von Fällen das anatomische Bild der Destruktion tatsächlich
bringt, und dass die Bilder von vorübergehendem und von unvoll¬
kommenem Verschluss auf dem Untergründe einer ähnlichen Ent¬
wicklung sich darstellen, so wäre dieses Resultat immerhin auch
nach klinischen Gesichtspunkten fruchtbar.
Literatur.
A sclioff. Die Wurmfnrtsatzentziindung. Jena, Fischer. IDOS.
Asehoff und Haemeister, Die Cholelithiasis. Jena, Fischer, 1909.
Aschoff. Wie entstehen die reinen Cholesterinsteine? Münchener med. Winden -
schrift. 1918. Nr. 8*2.
Daniele hon, Erfahrungen über Cholecystektomie und Chnleevsteniernstimilc.
.Jena, Fischer, 190h.
Barsen, Feber die Struktur und die Pathogenese der Gallensteine. Berlin.
Karner, 1909.
v. Brunn, Was wissen wir von der Actiolngie der Appendieitis und den I r-
Sachen ihres gehäuften Auftretens? Ergehn, d. Chir. u. Orthnp. Bd.
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
461
Co u rvuisi er, Kasuistisch-statistische Beiträge zur Pathologie und Chirurgie
der Gallenwege. Leipzig, Vogel. 1890.
Ewald, Erkrankungen der Gallenblase und Gallengänge. Moderne ärztl. Bild.
Berlin. Simion, 1904.
Ehrhardt, Beiträge zur pathologischen Anatomie und Klinik des Gallenstein¬
leidens. Areh. f. klin. Chir. Bd. S9.
Grube und Graff, Die Gallensteinkrankheil und ihre Behandlung vom Stand¬
punkt des inneren Mediziners und Chirurgen. Jena, Fischer, 1912.
Hurtig, Beiträge zur Perforation und Nekrose der Gallenblase. Bruns* Beitr.
Bd. 68.
Hai st. Erfahrungen über Cholecystitisoperationen und Leberchirurgie. Bruns*
Beitr. Bd. 63.
Hamm, Resorptionsfieber oder Retentionsfieber? Münchener med. Wochenschr.
1914.
Harttung, Der Einfluss der Harnstauung auf die Entstehung der pyogenen
Niereninfektion. Bruns* Beitr. Bd. 93.
Heile, Zur Klärung der Pathogenese der Wurmfortsatzentzündung auf Grund
experimenteller und bakteriologischer Untersuchungen. Mitteil, aus den
Grenzgeb. Bd. 22.
Käppis, Beiträge zur Frage der Sensibilität der Bauchhöhle. Mitteil, aus den
Grenzgeb. Bd. 26.
Katzenstein, Beitrag zur Entstehung des Magengeschwürs. Arch. f. klin.
Chir. Bd. 100, 101.
Kehr, Die chirurgische Behandlung der Gallensteinkrankheit. Berlin 1896. -
Anleitung zur Erlernung der Diagnostik der einzelnen Formen der Gallen¬
steinkrankheit. Berlin 1899. — Die Praxis der Gallemvege-Chirurgie in
Wort und Bild. München, Lehmann, 1913. — Chirurgie der Gallenwege.
Neue Deutsche Chirurgie.
Klecki, Recherehes sur la pathogenie de la peritonite d'origirie intestinale;
etude de la virulence du eolihacille. Ann. de Einst. Pasteur. 1895. T. 9.
Kürte, Beiträge zur Chirurgie der Gallenwege und der Leber. Berlin, Hirsch¬
wald, 1905. -- Weitere Erfahrungen über Operationen an den Gallen¬
wegen. Arch. f. klin. Chir. Bd. 89.
Kretz, Untersuchungen über die Aetiologie der Appcndieitis. Mitteil, aus den
Grenzgeb. Bd. 17.
Küster, Chirurgie der Nieren. Deutsche Chirurgie.
Lieblein und Hilgenreincr, Die Geschwüre und die erworbenen’Fisteln des
Magen-Darmkanals. Deutsche Chirurgie. 1905.
Makai. Uehor Frühoperationen bei Gallenblasenentzündungen. Yirrhow s Areh.
Bd. 213.
Miyake, Studien zur Aetiologie der Gallensteine. Archiv f. klin. Chirurgie.
Bd. 101.
Muthmann, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Blinddarms und der
lyinphoiden Organe bei Säugetieren und Vögeln. Anat. Hefte. Bd. 48.
Wiesbaden, Bergmann, 1913.
Riedel, Zur Pathogenese und Diagnose des Gallensteinkolikanfalls. Mitteil,
a. d. Grenzgeb. 1898. Bd. 3. — Partielle oder totale Zerstörung von
Ductus eysticus und choledochus durch Stein. Münchener med. Wochen¬
schrift. 1912. — Wodurch entsteht vorwiegend der reell litlmgene Ikterus?
Deutsche med. Wochenschr. 1914.
Srhullzc, Zur Chirurgie der akuten Cholecystitis. Ccniralbl. f. Chir. 1914.
Sick, Gallcnblasenpcritonitis. Centralbl. f. Chir. 1914.
31*
Digitized by
Gck igle
Original frurn
UMIVERSITY OF IOWA
462 Spr(*nirel. Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation.
Digitized by
Solieri, lieber ein pathogenetisches Moment der Gallensteinkolik bei einigen
Formen der Cholecystitis ohne Stein. Deutsche med. Woehenschriit.
1911.
Sprengel, Appendicitis. Deutsche Chirurgie. 1906. — Operative Behandlung
der Appendicitis und Peritonitis. Operationslehre von Bier, Braun un i
K ii rn me 11.
Toi da, Zur Frage von der Sterilität der Galle unter normalen Verhältuis>en
und über ihre bakterieide Wirkung auf pathogene Bakterien. Aivli. 1.
klin. Chir. Bd. 103.
Walzberg. Die Gallensteinkrankheit und ihre Behandlung. Minden i. W..
.Bruns* Verlag, 1905.
Berichtigung.
Auf S. MST lies: Tab XVI, Fig. 3a und h.
Auf S. 3SS lies: Taf. XVI, Fig. 4.
Gck 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
XV.
Eine bisher unbekannte Gesehlechtsteil-
missbildung beim Mann,
Von
Dr. Felix Danziger,
Chirurg in Berlin.
(Mit 2 Textfiguren.)
Am 15. September 1914 beobachtete ich bei einem russischen
Verwundeten in Sosnow nahe der Weichsel eine Missbildung am
Geschlechtsteil.
Es handelte sich um einen sonst völlig normal gebauten, sehr kräftigen
;->.■>jährigen Mann. Derselbe trug unter dem Penis genau in der Mittellinie zwei
voll ausgebildete Praeputia, von denen das erste der (iWisse nach für den dar¬
über liegenden Penis gepasst hätte, das zweite reichlich gross gewesen wäre.
Zwischen Penis lind erstem Praeputium sowie dem ersten und zweiten Prae-
putium bestanden gut ausgebildete, derbe Frermla. Der Penis seihst besass
keine Vorhaut, sondern war von einer wenig verschieblichen, zarten Haut
bedeckt, die Aehnliehkeit mit dem inneren Platt eines Praepiitiums hatte.
Die Praeputia waren leer. Die Innenwand, die sieh nur wenig auskrempeln
liess. erschien - soweit sichtbar — von der gleichen kutanen Beschaffenheit
wie die Aussenseite. Beide Praeputia hatten unterhalb der Peniswurzel ein ge¬
meinsames Ursprun gsge b io t.
Die eingeführte Sonde konnte von dem einen nicht in das ändert 1 Prae¬
putium geführt werden. Andererseits bestand offenbar keine Kommunikation
mit der Prethra des Penis: es befanden sich keine Ekzeme an den Hoffnungen
der Gebilde, die von sickerndem Urin hätten herriihren können. Die Vorhäute
konnten im ganzen völlig frei vom Penis abgehoben werden, ohne dass an
irgend einem Teil eine Fixierung an den Penis ersichtlich gewesen wäre. Die
leeren Praeputialliiil len stellten also Blindsäcke dar.
Der Penis selbst war normal und keinerlei Andeutung einer Urethramiss¬
bildung vorhanden; Sehwellkörper kräftig und beiderseits gleich; die Glans
kräftig. Dagegen bestand — wie schon erwähnt Aplasie des Praeputiums
an gewöhnlicher Stelle. Das Serotum war gleichfalls regelrecht gebildet, die
Raphe in der Mitte, Hoden beiderseits von normaler Grösse, Sehamhaar kräftig
entwickelt, am Damm keine Besonderheit.
Der Mann gab durch Dolmetscher an, dass er die Missbildung von Geburt
an habe, er sei verheiratet, habe 5 Kinder: bei keinem derselben sei eine Miss¬
bildung vorhanden. Angaben über Missbildungen in der Aseendenz konnte er
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kino bisher unbekannte Gesehlechtsteilniissbildun^ beim Mann. 465
den Befund schematisiert einigormassen anschaulich wieder. Der Mann, der
durch einen Streifschuss an der Glans verwundet worden war, kam uns bei dem
Rückmarsch unseres Heeres von der Weichsel bald aus den Augen.
Aus der Literatur ist ein ähnlicher oder gleicher Fall nicht
ersichtlich. Es handelt sich — um kurz zu wiederholen —
um die Bildung zweier leerer Praeputia unterhalb des
normalen aber vorhautlosen Penis genau in der Mittel¬
linie, die untereinander und mit dem Penis durch Frenula
verbunden sind, blind endigen und ein gemeinsames Ur¬
sprungsgebiet unter dem Penis haben.
Zwei Praeputien um zwei vorhandene Pencs sind allerdings be¬
kannt. Küttner erwähnt bei seinem Fall von Penis duplex, dass
„das Praeputium beiderseits gut entwickelt“ war. Bei Küttner
handelte es sich um eine Missbildung, bei der aus einer gemein¬
samen Peniswurzel sich zwei nebeneinander verlaufende Penisschäfte
entwickelt hatten. Beide Penisschäfte besassen je eine Glans und
je eine Urethra. Lange spricht bei Beschreibung seines Falles
von kompleter Verdopplung des Penis zwar nicht direkt von dem
Bestehen zweier Praeputia; doch lässt seine Angabe, dass „zwei
völlig normale Penes“ Vorlagen, darauf schliessen. Albrecht’s
besonders interessanter Fall, bei welchem neben dem an normaler
Stelle sitzenden Penis noch ein perinealer, kleinerer Penis hinzukam,
wies auch an diesem ein Praeputium auf.
Fälle doppelter Praeputiumbildung sind also mehrfach be¬
schrieben. Aber hierbei handelte es sich stets um eine Verdopp¬
lung des Penis, wobei das Vorhandensein des Praeputiums als
sekundär und nebensächlich in den Hintergrund trat..
Eine kurze Uebersicht über die bisher bekannten Anomalien
des Praeputiums dürfte hier am Platze sein. Roth hat eine aus¬
führliche und mit zahlreicher Literatur belegte Arbeit hierüber ver¬
öffentlicht. Danach gibt es Aplasie, Hypo- und Hyperplasie des
Praeputiums bei sonst normalem Penis vielfach und bei allen
Völkern. Atresie des Praeputiums kommt selten vor.
Eine Missbildung, an der auch das Praeputium beteiligt ist,
beschreibt Kirmisson als Virga palmata, eine Anomalie, die darin
besteht, dass „der abnorm gekrümmte Penis durch eine drei¬
eckige, fixierte Hautfalte an das Scrotum in dieser Lage gehalten
wird“.
Ein in bezug auf ihre entwicklungsgeschichtliche Herkunft
noch ungeklärtes Kapitel in der Pathologie des Praeputiums stellen
die Praeputialgänge dar, die Stieda ausführlich beschrieben hat.
Stieda sieht in diesen, gestützt auf die Arbeit von Jadassohn,
abnorme Gebilde, Missbildungen. Jadassohn spricht diese Gänge
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
466 K. Danzijjcr,
als verlagerte Tysson’sehe Drüsen an. Rona 1 ) hat folgende
Einteilung dieser Gebilde vorgenommen: 1. praeputiale Para¬
urethralgänge, 2. praeputiale Hautgänge, die an der Innenseite des
Praeputiums ausraünden, 3. Paraurethralgänge im Frenularkörper
selbst.
Einen sehr interessanten Bildungsfehler des Praeputiums hat
Ellenbogen veröffentlicht. Es handelte sich um einen 27jährigen
Mann; diesem „fehlte die Dorsalpartie des Praeputiums vollständig,
während sich die untere Partie wie eine Tischplatte ausziehen liess.
Im Inneren ist die Spalte leucht, rötlich und mit Schleimhaut be¬
deckt, ihre Ränder berühren sich im allgemeinen, der Sulcus
glandis ist normal, doch wird er von der Rinne gekreuzt, die sich
bald in einen blind an der Schambeinsymphyse endigenden Kanal
fortsetzt. Auf Druck tritt aus diesem Gang eine weissliche Flüssig¬
keit aus, die unter dem Mikroskop Fettklümpchen und Epithel¬
zellen zeigt. Urin hat sich niemals aus ihm entleert! Ellen¬
bogen selbst fasst den Fall als Epispadie auf, zumal an der Glans
dorsal eine Einkerbung vorhanden war, den Kanal als Folge einer
Hemmungsmissbildung der Corpora cavernosa. Wahrscheinlicher
ist die Bezeichnung des Ellenbogen’schen Falles als eben einen
dieser praeputialen Gänge im Sinne Jadassohn’s.
Wenn man auch diesen praeputialen Gangbildungen eine ge¬
wisse Aehnlichkeit mit meinem Fall zusprechen kann, so darf man
andererseits doch feststellen, dass derselbe in der Art der Bildung
zweier völlig ausgebildeter Praeputia ein Novum darstellt.
Es entsteht nunmehr die Frage allgemein nach der entwick¬
lungsgeschichtlichen Herkunft des Praeputiums, speziell seiner Ent¬
stehung aus einer paarigen oder unpaarigen Anlage. Hertwig
schildert die Entwicklung des Praeputiums folgendermassen. „Wie
die Clitoris besitzt auch der Penis eine vordere knopfartige An¬
schwellung, die Eichel, welche von einer Hautfalte, dem Prae-
putium, umfasst wird.“ Und weiter: „eine zweite Verwachsung
gehen beim Manne die Geschlechtswülste ein. Sie legen sich um
die Wurzel des Penis herum und verwachsen dabei in der Median¬
ebene, an welcher die Vereinigungsstelle auch später noch durch
die sogenannte Raphe scroti angedeutet wird.“ Nach Orth erhebt
sich das Praeputium in der ersten Hälfte des dritten Monats als
kleine Falte — Praeputialfalte — am hinteren Rand der Glans
und wächst allmählich immer weiter nach vorn, indem zugleich
eine epitheliale Verklebung der einander zugekehrten Flächen der
Glans und der Praeputialfalte eintritt.
1) (’itiiTl nach JS t i cd n.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Eine bisher unbekannte (ieselileelusteilinissbildung beim Mann. 467
Ausführlich wird die Frage der Entstehung des Praeputiums
von Felix in Keibels Handbuch der Entwicklungsgeschichte er¬
örtert. Die Entwicklung des Praeputiums erfolgt aus dem soge¬
nannten Praeputialfeld. Dieses entsteht aus drei Teilen: „den
Grossteilen des analen, des linken und des rechten Phallusabfalls.“
Danach aber wird die Entstehung des Praeputiums der Clitoris und
die des Penis scharf auseinander gehalten. „Das Praeputium penis
lässt sich nicht ohne weiteres mit dem Praeputium clitoridis homo-
logenisieren.“ „Dem Praeputium penis entspricht nur das kleine
mittlere, ringförmige echte Praeputium clitoridis.“ Das Praeputium
des Mannes entwickelt sich nach dem gleichen Autor aus der so¬
genannten Glandarlamelle, welche als ein vom Epithel der
ausseren Oberfläche in die Glans eindringender epithelialer Cylinder
einwächst und allmählich ein Lumen annimmt. Das Praeputium
clitoridis wird aus drei solcher Lamellen angelegt. Folgende Er¬
örterung von Felix scheint uns nun für die Erklärung des vor¬
liegenden Falles von besonderem Interesse zu sein. „Ob die beiden
seitlichen Lamellen, wie die mittlere,-wirklich als Lamellen angelegt
werden und erst dann sich aushöhlen, oder ob sie von Anbeginn
an als Furchen auftreten, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.“
Wenn die Entstehung des männlichen Praeputiums aus einer
Lamelle sichergestellt ist, so scheint mir der Schluss wahrschein¬
lich, dass bei unserem Falle der Entwicklungstyp des weiblichen
Praeputiums gegeben ist, der hier besonders ausgeprägt zur Aus¬
bildung gelangt ist.
Andererseits ist die Frage angezeigt, ob es hier zur Bildung
eines unpaaren Praeputialfeld es überhaupt gekommen ist, und ob
nicht rechter und linker „Phallusabfall“ gesondert ihre Entwick¬
lung zu einem Praeputium durchgemacht haben.
Ganz lösen würden freilich beide Hypothesen das Rätsel des
vorliegenden Falles nicht. Denn sie würden ein Wachstum beider
Praeputien nebeneinander leichter verständlich machen als das
hier gegebene untereinander.
Die derbe Beschaffenheit des Frenulums zwischen erstem und
zweitem Praeputium und das Uebergehen der Raphe scroti in die
Mittellinie des zweiten Praeputiums lassen erwägen, ob nicht in
den Geschlechtswülsten bzw. Scrotalwülsten die abnorme Keim¬
anlage für eines oder beide Praeputia sich befunden habe. Diese
Möglichkeit lässt sich angesichts des Lange’schen Falles, nicht
von der Hand weisen: denn dort lagen zwei ausgebildete Scrota
mit je einer Raphe vor.
Diese Annahme von selbständigen Keimen in Ektodcrmteilcn
widerspricht einer Theorie, die Robert Meyer aufgestellt hat, der
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
468 F. Dan ziger, Unbekannte (icschlechtsteilmissbildung beim Mann.
Digitized by
Theorie des „formbildendcn Einflusses des tieferen Mesenchvms“
einerseits und „der sekundären und abhängigen Differenzierüng
der Haut an der Stelle, an welcher das kavernöse Gewebe mit dem
Ektoderm zusammentrifft“ andererseits. Albrecht, dessen schon
erwähnter Fall diese These wirksam unterstützt, drückt den gleichen
Gedanken folgendermassen aus: von besonderer Bedeutung dabei ist
der für die endliche Form entscheidende Einfluss des Mesenchvms.
dessen selbständig mögliche Differenzierung und die korrelative
abhängige Differencierung des Ektoderms zusammen mit oberfläch¬
lichem Mesenchym zu Praeputium und Eichelüberzug an beliebigen
Stellen der Körperoberfläche.
Diese leicht fassliche These erscheint uns durch die neue be¬
schriebene Anomalie in ihrer Allgemeingültigkeit sehr gefährdet.
Entgegen jener Anschauung haben sich hier zwei Praeputia ohne
Bestehen zweier Penes oder einer sonstigen Andeutung kavernösen
Gewebes gebildet, überdies beide, ohne den „formbildenden“ vor¬
handenen Penis benutzt zu haben. Gleichermassen sprechen auch
die Fälle von Aplasie des Praeputiums gegen die genannte Theorie.
Literatur.
1. Köl liker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere.
II. Aufl. Leipzig 1879.
2. Hertwig, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere. 189S.
3. K ei bei und Mall, Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen.
1911.
4. Orth, Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie. 1893. Bd. II.
5. Kaufmann, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. 1911. G. Aufl.
G. Albrecht, Frankfurter Zeitsehr. f. Pathologie. 1910.
7. H. Meyer, Patholog. (L 1909. XIII.
8. Langt 1 , Ziegler's Beitr. 1898. Bd. 24.
9. Chiari, Prager mcd. Wochensehr. 1889.
10. llosehler, Prager Yierteljahresschr. f. prakt. Heilk. 1859. Bd. 63.
11. Ellenbogen, Wiener med. Presse. 1888. Nr. 51.
12. Küttner. Beitr. z. klin. Chirurgie. 1S9G.
13. Steck motz, a. Bruns* Beitr. 1896.
14. A. Stieda, Archiv f. klin. Chirurgie. 1905. Bd. 77.
15. Roth. Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1898.
IG. Kammstedt, Handbuch der prakt. Chirurgie. 1914. Bd. IV.
17. Kirmisson. Lehrbuch der chirurgischen Krankheiten angeborenen Ur¬
sprungs. 1S99.
Go^ 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
XVI.
(Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Zürich. — Vorstand:
Prof. Dr. F. Sauerbruch.)
Entstehung eines grossen Hautwassersackes
nach subkutaner Ascitesdrainage.
Von
Prof. Dr. K. Henschen,
Oberarzt der Klinik.
(Mit 4 TextGguren.)
Das Problem der operativen Behandlung des Ascites steckt
noch mitten in der Ausprüfung. Von den physiologisch denkbaren
und zulässigen Lösungsraöglichkeiten, welche der Erfindersinn der
Chirurgen bis heute bot, Omentopexie, Hepatopexie, Cholecysto-
pexie, Splenopexie, Anastomose zwischen Vena mesenterica und Vena
ovarica (Villard und Tavernier), direkte Cava-Portaanastomose
(Eck’sche Fistel), Ableitung in die Vena saphena nach Ruotte und
subkutane Drainage, haben letztere und die Talma’sche Operation
noch am ehesten auch im klinischen Erfolg standgehalten.
Die Vielheit der technischen Vorschläge zur bestmöglichen
Verwirklichung einer Dauerableitung des Ascites in das Unterhaut¬
gewebe zeugt, dass die Unvollkommenheit der Wirkung haupt¬
sächlich in einer Unvollkommenheit der Technik gesucht wurde.
Die Frage, ob nicht am Ende der Aufsaugung des unter die Haut
geleiteten Ascites anatomisch-physiologische Grenzen gesteckt seien,-
ist meines Wissens bisher nicht gestellt worden. Klinische Dauer¬
erfahrungen lagen darüber bislang nicht vor. Erst Schepelmann
berichtete vor kurzem über eine durch 3 1 /, Monate anhaltende
Wirkungsdauer: „es stellte sich gewissermassen ein Gleichgewichts¬
zustand zwischen Ausscheidung und Absaugung des Ascites ein.“
Aus einer kritischen Zusammenstellung der Wirksamkeit der ver¬
schiedenen Verfahren schloss Schepelmann 1 ), dass die Glas- und
1) E. Schepelmann, Klinische Erfahrungen mit meiner Methode der
plastischen Ascitesdrainage. Archiv f. kiin. Chir. Bd. 106. II. 4. S. 663—687.
— Experimente zur plastischen Ascitesdrainage, zugleich ein Beitrag zur Histo¬
logie implantierter Formolgefässe. Virchow's Areh. Bd. 214. S. 279.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
470
K. Ile ns dien,
Digitized by
Gumrnidrainagc nach Paterson, Tavcl und Mauclaire sowie der
Silberdrahtbügel Franke’s am besten zu funktionieren’ schienen.
Da die Kranken aber sämtlich bald starben, lasse sich die Dauer¬
wirkung nicht absehen; es sei sehr wohl denkbar, dass diese zum
Teil recht grossen Fremdkörper einen Reiz ausüben, der zu ihrer
Einkapselung und damit zum wasserdichten Verschluss der Peri¬
tonealöffnung führe; auch spätere Ausstossung sei keineswegs aus-
zuschliessen. Letzteres Ereignis ist übrigens von Mauclaire 1 !
gesehen worden.
Der Zufall hatte vor zwei Jahren eine der von Tavel nach
seiner Methode operierten Kranken in die Züricher chirurgische
Klinik gebracht. Die Untersuchung ergab dabei ein ebenso inter¬
essantes wie für die praktische Seite des Problems wichtiges Er¬
gebnis des Eingriffes. Ich bringe zunächst die Beschreibung des
Falles, wie sie Tavel 2 ) in seiner Mitteilung im Korrespondenzblatt
für Schweizer Aerzte (1911) niedergelegt hat.
Dir 14 jährige A. T. war von der inneren Abteilung wegen „Ascites prae¬
menstrualis** auf die TaveLsehe Abteilung verlegt worden. Operation am
2H. 7. 1910: Da beabsichtigt war, wegen Verdaelits auf Peritonitis uiberoulusa
eine Auswasehung des Peritoneums vorzunehmen, wurde in Allgemeinnarkose
operiert. Da von tuberkulösen Veränderungen im Peritoneum keine Spur zu
finden war. wurde in der Mittellinie eine subkutane Drainage mit der Tav»d-
sehen (ilasspule ausgeführt. deren einer Rand in die Bauchhöhle, deren anderer
in eine im subkutanen Gewebe geschaffene Hohle zu liegen kam; der zwischen
den beiden Endplatten gelegene Röhrenteil der Spule wurde im Gewebe der
Linea alba dicht eingenaht. Die Wunde heilte glatt. Die Kranke wurde am
2S. S. 1910 wieder auf die innere Abteilung zurüekverlegt. April 1911 war d«*r
Ascites entschieden geringer: «Die Haut in der Eingebung der Spule ist ödematös;
also funktioniert offenbar die Spule ganz gut. Man kann jedoch in diesem Fall»-
nicht von einem vollständigen Erfolg sprechen. Möglicherweise ist die Hoffnung
nicht genügend frei geblieben. Es kann sehr leicht Vorkommen, dass ein Stin k
Netz in dir Hoffnung eindringt und auf diese Weise einen störenden Zapfen
bildet. Es wird also jedenfalls angezeigt sein, in jedem derartigen Falle si<h
zu überzeugen, ob das Netz eindringen kann und in diesem Falle dasselbe zu
verlagern“.
• Die Kranke kam drei Jahre nach der Operation, am 14. 6. 1913, zur Auf¬
nahme in die Züricher chirurgische Klinik. Aus der Vorgeschichte sei hervor¬
gehoben, dass der Vater der Kranken an Magenkrebs, die Mutter an Lung**n-
und Hirntuberkulose verstorben waren; eine Schwester der Kranken war im Alt<*r
von IG Jahren fiir kurze Zeit an ..Bauchwassersucht“ erkrankt, doch verschwand
dieses Leiden dann mit dem Eintreten der ersten Periode wieder spontan. Die
nunmehr 17 jährige Kranke war noch nie menstruiert. Zu Ende des Jahres 1909
trat eine mit periodonweisen Sehmerzanfällen verknüpfte Lmfangszunahme do>
Leibes ein, so dass die Kranke schliesslich beim Bücken kaum mehr atmen
1) Mauclaire, Essai de drainage de Faseitc dans le tissu cellulaire sous-
eutane. Auch, göner. de ohir. 1911.
2) E. Tavel, Leber die subkutane Drainage des Ascites. Korresp.-Bl. f.
Schweizer Aerzte. 1911. S. SOG—Slö.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Entstehung eines grossen Hautwassersackes usw. 471
konnte. Im Januar 1910 wurde durch ärztliche Untersuchung Ascites fest-
gestellt und durch mehrfache Punktionen in der Folgezeit eine grosse Menge
klarer gelber Flüssigkeit abgelassen. Nach der Entlassung aus dem Berner
Spital fiel der Kranken auf, dass, während der Leib vordem gleichmässig rund-
Fig. 1.
TaveFsche Ascitesdrainage 3 Jahre nach der Operation.
lieh aufgetrieben war, sich nunmehr mehrere grosse, an Umfang verschiedentlich
wechselnde „Beulen“ oder „Knoten“ in der Bauchwand bildeten. Bis Juni 1913
musste in wechselnden Zwischenzeiten etwa 20 mal der immer aufs neue bedroh¬
lich aufgesammelte Ascites punktiert werden: das Punktat soll klar, grünlich
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
472
K. IIensollen,
Digitized by
schimmernd und stets blutfrei gewesen sein. Appetit, Allgemeinzustand, Schlaf
und Arbeitsfähigkeit waren durch die Schwankungen des Ascites beeinflusst,
der Stuhl meist diarrhoiseh; in den letzten Jahren bestand gelegentliches Oedcrn
beider Heine. Die klinische. Untersuchung im Juli 1913 ergab eine mächtige
l’mfangszunahme des Leibes (Hauchumfang 10 cm oberhalb des Nabels 91 cm}
und einen hochgradigen freien Ascites. Unterhalb des Nabels fanden sich un¬
mittelbar unter der Haut durch kerbenartige Einziehungen kammerartig abge¬
lebte, schwappende mächtige Flüssigkeitssäcke. Alle Kammern dieses Sackes
waren zwar durch ein System halbmondförmig einspringender Zwischenwände
gegeneinander etwas abgesetzl. jedoch unter sich in weit offenem Zusammen¬
hang, da Flüssigkeitswellen das ganze Sacksystem durchliefen. Dieser mächtige
extraabdominelle Wassersack überdeckte beiderseits symmetrisch die seitlichen
Hauehfelder und hing, einem mehrkammerigen Hängebauch ähnlich, abwärts weit
über den Mons pubis bis vor die Vulva und über die beiden Leistenbeugen bis
gegen die Oberschenkel herab. Durch ein siebartiges System mehrerer, fast
kreisrunder und annähernd gleich grosser Lücken in der muskulär-fibrösen
Hauchwand, deren scharfe harte Ränder deutlich durehzufiihlcn waren, stand
der subkutane Wassersack durch diesen durchlöcherten „Boden“ hindurch mit der
Hauchhöhle in mehrfacher breit offener Verbindung. Sein dünnflüssiger Inhalt
liess sich im Liegen zu einem Teil in das Hauchinncre ausdrücken, während sich beim
Stellen der Saek mächtig anfüllte und prall wurde. In einer der seitlichen Kam¬
mern war die TaveUsclie Glasspule als freibeweglicher Fremdkörper durchzufühlen.
Die weitere Untersuchung erwies ausser einem Hochstand der unteren Luiuren-
ränder und einer deutlichen Hölierdrängung des Herzens bei dem mittelgroßen
und sonst ausserordentlich kräftig aussehenden Mädchen nichts krankhaftes, ins¬
besondere nicht am Herzen und seitens des Urins. Puls 76 -96, Körpertempe¬
ratur normal. Die durch Punktion gewonnene grünlich schimmernde und klare
Ascitesflüssigkeit hatte chemisch folgende Zusammensetzung:
Spezifisches
Gewicht 1020
Reaktion
. . . alkalisch
Albumin
. 4,90 pCt.
Globulin
. . . 1.05 pUt.
Harnstoff .
. . . 0,33 pCt.
Harnsäure .
. . . positiv
Chloride
. . . 0,56 pUt.
Ein Tierversuch blieb hinsichtlich einer Tuberkulose negativ (intraperi¬
toneale Impfung eines Meerschweinchens mit 4 ccm; spontaner Tod des Tieres
5 l / 2 Wochen nach der Impfung).
Trotz mehrfacher Punktionen, methodischer elastischer Einwicklung des
Leibes, Diuretin- und Kalomclmedikation sammelte sieh der Ascites immer wieder’
aufs neue. Im Anschluss an die erste Punktion hatte sich während zweier Tilge
eine „Aseitesfistel“ gebildet, wonach die Bauchhöhle vorübergehend klinisch
ascitcsfrei wurde und der Hautsack schlaff und leer in Falten zusamnicnfiel.
Kurz nach der Aufnahme erkrankte die Patientin an Diphtherie; davon genesen,
wünschte sie Entlassung nach Hause.
N ach u n tcrsu ch u n g am 6. 12. 1915: Seit August 1913 wurde, wie mir
der behandelnde Arzt Herr Dr. Bieri mitteilte, die anfänglich allmonatliche
Punktionsentlcerung des Ascites schliesslich nurmehr alle 3--4 Monate not¬
wendig. Anfangs September 1915 trat zum ersten und bisher einzigen Male
eine allerdings nur spärliche Menstrualblutung auf, wonach spontan ein erheb¬
licher Rückgang des Ascites und eine bedeutende subjektive Hesserung folgte.
Das jetzt bald 2üjährige Mädehen ist inzwischen gross und stark herangewachsen :
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Entstehung eines grossen Haut wassersack es usw.
473
Gesicht und Hände zeigen eine deutliche Cyan ose. Der beschriebene subkutane
Wassersack ist eher etwas kleiner, fast wie etwas narbig geschrumpft; durch
drei tiefere Einkerbungen ist er in zwei symmetrische untere, inguinale und
einen dritten median dicht unter dem Nabel gelegenen, etwas flacheren Sack
Fig. 3.
Fig. 4.
TaveFschc Ascitesdrainage 5 Jahre nach der Operation.
kleeblatt-förmig abgeteilt. Alle drei Hauptkammern stehen untereinander in
breiter Verbindung. Bei der Durchtastung dieser drei Säcke fühlt man im
rechtsseitigen inguinalen Sack die freibewegliche TaveFschc (ilasspule, an den
Einkerbungsstellen kulissenartig einspringende, halbmondförmige Septen, am
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
474
K. Ilensdicn,
Digitized by
„Boden“ des Sackes neben mehreren harten fibrösen Höckern die früher geschil¬
derten rundlichen Kommunikationslücken in der Bauchwand. Dünndarmselilingcn
oder Netz sind in den Sack nicht mit ausgetreten. Der Bauchumfang beinurt
über dem Nabel TS. über den beiden Leistensäeken 72 cm. In der Bauchhöhle
bestellt ein freier Ascites mittlerer Menge. Heim Stellen füllt sich der äussen-
Sack zu einem prallen, ballonartigen Gebilde von Aussehen und Form eine>
übergrossen Lipoms: beim Liegen lässt sich der grösste Teil seines Inhalts in
die Bauchhöhle zurückdrücken. An den Unterschenkeln besteht ein geringe
Gedern. Während die Mammae auffallend stark entwickelt sind, ist die Entwick¬
lung der Genitalorgane noch sehr rückständig, die Behaarung der äusseren
Genitalien eine nur spärliche: der Uterus ist vom Mastdarm aus als kleines
hypoplastisches Gebilde eben zu tasten. Wassermann'sehe Reaktion negativ. -
Da aus einer fortschreitenden Nachreifung der Genitalorgane schliesslich eine
endgültige Heilung mit völligem Verschwinden des Ascites zu erwarten ist, riet
ich der Kranken, diese spontane Heilung abzuwarten und erst nach Eintritt der
Heilung eine operative Beseitigung des Hautsackes und einen Verschluss der
Bauchwandlücken vornehmen zu lassen.
Diese Beobachtung scheint jede Möglichkeit einer dauernd
wirksamen Aufsaugung der in die Unterhaut abgeleiteten Ascites¬
flüssigkeit zu verneinen. Jedenfalls zeigt sie, dass ein gegenseitiger
Ausgleich und ein geradliniges Verhältnis zwischen ascitischer Ab¬
sonderung und subkutaner Aufsaugung, wie es wohl erhofft wurde,
durch diese indirekte Ableitung kaum erreicht wird. Wohl fast
alle Chirurgen gingen so vor, dass nach Herstellung des trans¬
parietalen Ableitungskanales durch Ablösung der Haut um die
äussere Auslauföffnung eine sackartige Sammeltasche gebildet
wurde, welche die weitere ödematöse Durchtränkung der Unter¬
haut der weiteren Umgebung vorbereiten und begünstigen sollte.
Es folgt denn auch regelmässig der Operation ein zuweilen recht
erhebliches Oedern der Unterhaut zunächst nahe dem Auslauf.
Erst weich und leicht wegdrück bar, wird es späterhin derber und
praller. Die weitere Ausbreitung dieses künstlichen Oedems wird
durch die Eigenart des anatomischen Gefüges des Unterhautgewebes
in bestimmte anatomische Bahnen festgelegt. Nach Untersuchungen
von Spalteholz 1 ) ist die Fettschicht der Haut durch starke
Scheidewände in einzelne Fächer und Kämmerchen geteilt. Diese
der Hauptsache nach aus elastischen Fasern gebildeten Wände
sind senkrecht zur Cutis und meist auch zur Fascie gestellt, ln
der Mitte der Fettschicht oder etwas tiefer sind sie durch quer
verlaufende Wände miteinander verbunden, wodurch eine fortlaufende
Membran entsteht, welche zuweilen ganz eben und genau der Ober¬
fläche parallel, meistens aber in leichten Zickzacklinien verläuft.
Bei spärlicher Fettschicht kann sie teilweise fehlen, bei dicker
1) W. Spalt (‘bolz, Die Verteil uni; der Blutgefässe in der Haut. Aivh.
f. Anal. ii. Fhysiol. Anat. Abteil. Sonderabdruek S. 22. Leipzig lSÜÖ.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
475
Entstehung eines grossen Hautwassersaekes usw.
Fcttlage doppelt und dreifach vorhanden sein. In ihr fliessen die
von Coriura und Fascie kommenden senkrecht gestellten Scheide¬
wände zusammen, welche über dieser Spalteholz’schen Membran,
also unter dem Corium, regelmässig viel enger stehen als in der
zwischen dieser Membran und der Fascie gelegenen Unterschicht.
Es ergibt sich daraus eine leichtere und stärkere Quellbarkeit und
Durchtränkungsfähigkeit dieser gröberfächerigen Unterschicht. Die
oberflächliche kutane Fettschicht wird nach Spalteholz anschei¬
nend fast ausschliesslich von Gefässen versorgt, welche aus dem
kutanen Netz wieder fascienwärts, also rückläufig herabsteigen:
die Unterschicht, das eigentlich subkutane Fett, wird direkt aus
den gerade oder mehr schräg durch das subkutane Gewebe auf¬
steigenden Gefässen versorgt. Beide Netze anastomosieren teil¬
weise miteinander. Die Anordnung der Venennetze geht derjenigen
der arteriellen ungefähr parallel. Die Abgrenzung des Subkutan¬
fettes gegen die Unterlage geschieht durch eine der Spalteholz¬
sehen gleiche Membran, welche über dem Sehnenteil des M. obliques
externus etwas ansehnlicher ist als über dem muskulösen Abschnitt
dieses Muskels [Merkel 1 )].
Die Spalteholz ? sche Zwischenlamelle nähert sich gegen das
untere Ende der Bauchwand immer mehr der Unterlage, sodass
sie schliesslich an den Darmbeinkämmen und den Leistenbändern
mit dem sogenannten tiefen Blatt der oberflächlichen Bauchfascie
zusamraenfliesst und sich hier mit ihm gemeinsam, fest der Unter¬
lage verwoben, anheftet. Nur die oberflächliche unter dem Corium
gelegene Fettgewebslage kann sich demnach über diese Grenzlinien
hinweg in die entsprechende Schicht der Schcnkelhaut fortsetzen.
Auch in der Mittellinie zwischen Nabel und Symphyse ist das
Unterhautgewebe durch Einwebung fester Bindegewebszüge, der
Luschka ? schen „Retinacula cutis“, plattenartig verdichtet und mit
den unterliegenden Gewebsschichten verwachsen. Zwischen Sym¬
physe und Schambeinhöcker bleibt in diesem Grenzzaun
eine Lücke, durch welche beispielsweise eine aus dem Scrotum
aufsteigende Urininfiltration zwar in die Bauch- und Brustwand
gelangen kann, während ihr die erwähnte Anheftung der Fascie
an den Leistenbändern den Weg nach den Oberschenkeln sperrt.
„Ergüsse, welche unter der Zwischenlamelle liegen, machen Halt
am Beckenrand und am Ligamentum inguinale; die über ihr ge¬
legenen können sich über diese Grenzmarken hin ausbreiten“
(Merkel). Aehnlich verhalten sich Hämatome und Emphysem¬
infiltrationen der ßauchwand.
1) Merkel. Topographische Anatomie.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft .‘L
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
476
K. II en sehen
Digitized by
Ein ascitischcs Drainageödem bleibt darum, wenn nur eine
seitliche Auslauföffnung geschaffen worden war, zunächst halbseitig
und feldartig begrenzt; späterhin senkt es sich, namentlich wenn
der Kranke herumgeht, tief gegen den Unterbauch, das Scrotum
oder die Vulva, wohin ihm ja durch die Lücke im Grenzzaun der
oberflächlichen Fascic der Weg offen ist, und gelangt nach der
anderen Seite entweder unter allmählicher Ueberwindung des Wider¬
standes der Luschka’schcn Hauthaften der Mittellinie oder indirekt
durch Wiederaufsteigen des ins Scrotum oder die Vulva gesenkten
Oedems nach der Gegenseite. Bei median gelegenem hypogastri¬
schen Auslauf kommt es zur symmetrischen Quellung des ganzen
unterhalb der Nabelquerlinic gelegenen Unterhautfeldes. Dieses
eigenartige Gefüge des Unterhautgewebes und insbesondere der
oberflächlichen Bauchfascie erklärt uns zur Genüge, warum cs im
vorliegenden Fall zur Bildung eines leistenwärts beiderseits so
scharf begrenzten hypogastrischen Hautwassersackes kam.
Die Quellbarkeit und die Fähigkeit passiver Oedematisierung
ist demnach auch für die verschiedenen Schichten wie auch für die
verschiedenen hypogastrischen Felder der Unterhaut der Bauch¬
wand keine gleichmässige. Im Laufe dieser künstlichen Durch¬
tränkung der Unterhaut weichen die zelligen, die kollagencn und
elastischen Elemente des Gewebes nicht nur unter Bildung von
Sprenglücken auseinander, sondern sie quellen dabei selbst hydro-
pisch auf. In einem lamellar spaltbaren Gewebe erweitern sich
solche Sprenglücken zu eigentlichen Höhlen und grösseren Fliissig-
keitskammern, deren Bildung und Fortbestehen teils durch de gene¬
rative Veränderungen der Zellen, teils durch eine Wucherung und
kapselartigc Verdichtung des auseinandergedrängten Bindegewebes
begünstigt wird. Bei längerem Bestände eines Oedems kommt es
nach Untersuchungen von Klcmensiewicz 1 ) zu mikro-chemischen
Veränderungen der kollagencn und elastischen Fasern, zum Ein¬
gehen von Zellen unter dem Bilde hydropischer und fettiger De¬
generation, zu Wucherungen des Bindegewebes und endlich einer
bedeutenden Störung im Chemismus des Gewebes. Die daraus
folgende Abkapselung und anatomische Abdichtung solcher Ab¬
lösungshöhlen wird die Aufsaugung des flüssigen Höhleninhalts mit
der Zeit immer ungünstiger gestalten müssen. Der für einen asci-
tischen Erguss recht hohe Eiweissgchalt und das infolgedessen
hohe spezifische Gewicht (1020) sind im vorliegenden Falle der
chemisch-physikalische Ausdruck der fortschreitenden Resorptions¬
erschwerung.
1 "> K 1 1 * in c n s i e w i <• z. Zioirlcr's Boitr. B<1. d*2.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Kntstehung eines "rossen llautwassersarkes usw.
477
Die Aufsaugung interstitiell in die Gewebe gepresster und hier
fcstgesperrter Ergüsse ist nicht nur von der biologischen Unver¬
sehrtheit des Gewebes selbst, in welchem die Aufsaugung sich ab¬
zuspielen hat, und von den besonderen anatomischen Verhältnissen
und der physiologischen Funktion der Umgebungsgewebe abhängig,
vielmehr steht in erster Linie die Frage, ob eine Rücktranssudation
in die Blutbahn überhaupt noch möglich ist und wirksam werden
kann. Der bekannte Cohnheim'schc') Versuch, wonach eine selbst
totale Sperre der gesamten Lymphbahn eines einzelnen Körperteils
nie Oedem zur Folge hat, solange die Lymphabschcidung normal
und die Venenbahn frei ist, ist ja der klassische Beweis für die
Rolle der Blutbahn bei der Resorption. Je ungehemmter der Venen¬
strom, je grösser das Druckgefälle zwischen Gewebe- und venösem
Blutdruck, je niedriger der intraabdominale Druck und je unver¬
sehrter die Blutbahn im engeren und weiteren Resorptionsbezirk,
um so günstiger sind die Bedingungen dieser Rücktranssudation.
Die anatomische Beschränkung des Drainageödems auf die Untcr-
nabelgcgend, namentlich die Ocdemsperre an den beiden Leisten, der
hohe intraabdominelle Druck des Ascitesbauches, die Druckbelastung
gerade der Bauchwandvenen von aussen durch das Drainageödem,
von innen durch den erhöhten intraabdorainellen Druck, die örtliche
und allgemeine Schwäche des Gefässap parat es von Ascitesträgern
überhaupt sind in ihrer Zusammenwirkung Ursachen genug der im
ganzen schlechten und ungenügenden Aufsaugefähigkeit der Unter¬
baut gerade des Bauches. Ob eine transparietale Drainageableitung
des Ascites statt in die Unterhaut des Hypogastriums in diejenige
der beiden Oberschenkel, welche ja mit gleicher Technik leicht
ausführbar wäre, bessere Resorptionsbedingungen schüfe und an¬
träfe, wäre immerhin weiterer Versuche wert.
Handlev-) hat eine solche peritoneo-femorale Drainage in der
Weise ausgeführt, dass von einem kleinen Laparotomieschnitt einige
Uentimeter über der Symphyse mit einer Kornzange die Gegend
des Schenkelringes nach aussen hin am Oberschenkel vorgetrieben
und auf die Kornzange von einem Bogenschnitt eingegangen wurde;
der Peritonealtrichter wurde subkutan eingenäht, llandley waren
damit unter fünf Operierten zwei Erfolge beschieden, wovon der
eine 2 J / 2 Jahre hindurch gehalten haben soll. Technisch einfacher
ist es wohl, beiderseits von grösseren Lappenschnitten aus den
Scheukelring freizulegen, das Peritoneum zu öffnen und eine forma-
linisierte Kalbsaorta als Drainröhre einzulegen, welche innen l 1 ^
bis 2 cm weit in die Bauchhöhle hineinzuragen hätte und deren
1) Cu hn he im. AI l^emrine Pathulo&iir.
2 ) Händler, Semaine medieale. 11)10. p.
:\2 ♦
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF 10UVA
Digitized by
478 K- II en sc hon . Kntstchum: eines grossen Hautwassersaekes usw.
äusseres Ende subkutan einzunähen wäre. Schcpelraann hat ja
im Experiment und am Menschen diese formalinisierten hetero¬
plastischen Arterienrohre anatomisch ausgezeichnet und klinisch
wirksam einheilen sehen.
Aus denselben Ueberlegungen hatte ich schon früher eine
lumbale Drainage in das retroperitoneale Gewebe vorgeschlagen 1 ).
In jüngster Zeit hat Axel Blad 2 ) gleichfalls die lumbale Drainage
des Ascites empfohlen, welche er aus colloid-chemischen Gründen
am besten am Muskel ausgeführt sehen will.
Auf jeden Fall gelangen interstitielle und namentlich höhlen¬
artig abgekapselte Gewebsergüsse bei hohem Gewebsdruck kaum
oder nur schwer zur Aufsaugung, da bei überhohem, extravasku¬
lärem Druck die Rücktranssudation nach der Blutbahn •wohl nicht
mehr wirksam werden kann.
1) II e ii sc h ni . Dauerd radiale stagnierender Ascitescrgüsse in da.s miI>-
kutane oder retroperitoneale Zellgewebe mit Hilfe von Gummi- oder Kischblasen-
eondoins. Central bl. f. Chir. 1913. Xr. 2.
2) Axel Hl ad, Ascites und seine chirurgische ttchanrilunir. l’izoskrift :'i»r
L.äirer. 1915. Xr. 2S u. 29.
Gch igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
XVII.
(Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald. —
Direktor: Prof. Pels-Leusden.)
Neue Experimente zur Frage der homo¬
plastischen Transplantationsfähigkeit des
Epiphysenknorpels und des Gelenkknorpels. 1}
Von
Privatdozent Dr. Fr. H. von Tappeiner,
Assistenzarzt der Klinik.
(Mit 7 Textfiguren.)
Im 1. Band der Zeitschrift für die gesamte experimentelle
Medizin habe ich die Resultate einer Arbeit veröffentlicht, deren
Zweck das Studium des Verhaltens autoplastisch und homoplastisch
transplantierter halber Gelenke war, mit besonderer Berücksichti¬
gung des Epiphysen- und Gelenkknorpels. Die Versuche waren
an den Metatarsalknochen von Hunden angestellt worden. Bei
der Autoplastik konnte ich hinsichtlich des Verhaltens des Ge¬
lenkknorpels damals feststellen, dass ein grosser Teil der Knorpel¬
zellen am Leben geblieben und eine erhebliche Gelenkveränderung
im Sinne der Arthritis deformans nicht eingetreten war. Auch die
Zellen des Epiphysenknorpels hatten grösstenteils ihre Vitalität
behalten und das Längenwachstum des Knochens war nicht nach¬
weisbar beeinträchtigt. Bei der Homoplastik ergaben sich wesent¬
lich andere Verhältnisse. Vom Gelenkknorpel waren die Zellen
der tieferen Schichten abgestorben und wurden von den am Leben
gebliebenen Gelenkknorpelzellen aus ersetzt. Je jünger das Tier
war, desto weniger war zugrunde gegangen. Arthritische Verände¬
rungen traten nur in relativ geringem Masse ein. Vom Intermediär¬
knorpel war stets ein grosser Teil verloren gegangen und nur kleine
Teile hatten sich mit stellenweise regelmässiger Zellanordnung er-
1) Die Drucklegung dieser Arbeit, die schon vor Ausbruch des Krieges
fast ferliggestcllt war, verzögerte sich durch meine Einberufung in den ersten
.Mobilmachungstagen. Ein lleimatsurlaub setzte mich jetzt in die Lage, die
Arbeit zu vollenden.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
480
Kr. H. von Tappe inor.
Digitized by
halten. Die Knochenapposition an diesen Teilen war eine ganz
geringe geblieben und spielte für das Längenwachstum des Knochens
kaum eine Rolle. Zusammenfassend musste ich deshalb
damals sagen, dass eine klinisch brauchbare Transplan¬
tationsfähigkeit des homoplastisch überpflanzten Epi-
ph ysenknorpels nicht besteht.
Meine Resultate stimmten mit den von Helferich (Enderlen),
Borst und Axhausen gewonnenen gut überein, die auch nur ein
teilweises Erhaltenbleiben des verpflanzten Epiphysenknorpels und
eine geringe von diesen Resten ausgehende Knochenneubildung be¬
obachten konnten.
Rehn dagegen berichtete über ganz erheblich bessere Resul¬
tate. Bei seinen homoplastisch transplantierten halben Gelenk¬
abschnitten blieb, wenn nur die Stellung des Transplantates eine
anatomisch gute und richtige war, auch der ganze Epiphysenknorpel
anatomisch und physiologisch erhalten. An dem Gelenkknorpel
der transplantierten Stücke dagegen sah er, wenn er im allgemeinen *
auch gut erhalten blieb, häufig arthritische Veränderungen mehr
oder minder hohen Grades.
Günstige Resultate hatte auch Pucci bei seinen Gelenkknorpel¬
transplantationen. Er ging so vor, dass er bei zwei Kaninchen
typische Gelenkresektionen des Ellbogengelenks ausführte und die
resecierten Teile zwischen den. Tieren austauschte. In 18 Fällen
unter 20 Versuchen fand er die transplantierten Gelenkenden gut
eingeheilt mit tadelloser Funktion des Gelenkes. Ebenso günstige
Resultate erzielte er sogar bei einer Versuchsanordnung, bei der
eine vorherige achttägige Konservierung der resecierten Stücke auf
Eis stattgefunden hatte.
Seit der Publikation meiner ersten Versuchsreihe halber Ge¬
lenktransplantationen sind meines Wissens weitere experimentelle
Arbeiten ausser von Giani nur noch von Heller erschienen.
Giani fand bei seinen autoplastischen und homoplastischen
Transplantationen immer Degenerationserscheinungen des lnter-
mediärknorpels und betont, dass der überpflanzte Knorpel in keiner
Weise zum Wachsen des betreffenden Knochens beitrug.
Heller hatte schon auf dem Chirurgenkongress 1912 über
die Ergebnisse einer Serie von 19 auto- und homoplastischeu
halben Gelenktransplantationen berichtet. Seine Resultate waren
besonders hinsichtlich des Längenwachstums der operierten Knochen
wenig ermutigend. Diese erste Serie hat Heller dann durch eine
zweite Versuchsreihe (im ganzen nun 49 Versuche) ergänzt. Dabei
wurde, um genaue Anhaltspunkte für ein eventuelles Längenwachs¬
tum von der transplantierten Epiphyse aus zu gewinnen, bei einem
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Fnuu* der linmoplastischen Transplantationsfähiirki'it usw. 481
Teil der Versuche eine Drahtmarke an der Diaphvse, 5 mm proxi¬
mal entfernt von der Durchsägungsstelle, angebracht. Aus der
veränderten Entfernung der Drahtmarke vom Gelenkspalt — die
Länge des Transplantates in jedem einzelnen Fall war ja bekannt —
konnte nun genau eine eventuelle Zunahme des Längenwachstums
von der transplantierten Epiphyse aus verfolgt werden. Bei ein¬
fachen Reimplantationen von halben Kaninchengelenken konnte
Heller auch ein geringes Längenwachstum von der verpflanzten
Epiphyse aus beobachten, während bei der Homoplastik jedes
Längenwachstum ausblieb, ja meistens sogar eine mehr oder minder
hochgradige Resorption des Transplantates eintrat. Noch schlechtere
Resultate bekam Heller bei Verwendung von grösseren Objekten
als Kaninchengelenken. Bei vier Versuchen an Ziegen fand auch
bei einfachen, sofortigen Reimplantationen kein Wachstum in die
Länge mehr statt, und bei der Homoplastik wurde auch hier das
Transplantat stellenweise bis vollständig resorbiert gefunden. Und
so kommt Heller auf Grund seiner ausgedehnten Versuche zu
demselben Schluss, zu dem ich auch kam, dass eben die
homoplastische Transplantation des Intermediärknorpels zu thera¬
peutischen Zwecken nicht verwertbar ist. Auch hinsichtlich des
<.Telenkknorpels sind die Resultate seiner Versuche wenig er¬
freulich, denn er fand fast immer sehr weitgehende degenerative
Veränderungen in ihm. Genauere Angaben fehlen jedoch, da die
Arbeit sich itn wesentlichen nur mit dem Iotermediärknorpel be¬
schäftigt.
Noch bevor ich von der zweiten Versuchsreihe Hell er’s
Kenntnis hatte, habe ich selbst zur Vervollständigung meiner ersten
Arbeit neue Versuche gemacht, deren Mitteilung in Kürze erfolgen
soll. Die Anstellung weiterer Versuche schien mir um so not¬
wendiger, als die so sehr von einander abweichenden Resultate
Rehn’s von denen der anderen Untersucher noch der Er¬
klärung bedürfen. Als Objekte dienten mir vier Wurfe junger
Kaninchen, und zwar habe ich ausschliesslich homoplastisch trans¬
plantiert. Die W’ürfe stammten aus ganz verschiedenen Quellen,
sodass eine Verwandtschaft so gut wie ausgeschlossen war. Der
erste Wurf umfasste 5, der zweite 3, der dritte und vierte je
4 Tiere.
Zur Transplantation gelangte immer die proximale Radius¬
epiphyse in Form einer halben Gelenkverpflanzung. Sechs von
den 16 Versuchen waren Verwandtentransplantationen, und zwar
bei vier Tieren des ersten und zwei Tieren des zweiten Wurfes,
bei den übrigen Versuchen wurde zwischen Tieren verschiedener
Würfe ausgetauscht.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
482
Fr. II. von Tappeiner,
Digitized by
Die Technik war im wesentlichen dieselbe, wie sie Rehn be¬
schrieben hat. Nach sorgfältigem Rasieren und Desinfektion mit
fünfprozentigem Thymolalkohol wurde das Ellbogengelenk zweier
Tiere am gleichnamigen Vorderlauf mit einem kurzen, bogenförmi¬
gen Schnitt auf der radialen Seite freigelegt, der so geführt wurde,
dass nach der Naht die Hautwunde nicht direkt über das implan¬
tierte Stück zu liegen kam. Nach der Durchtrennung der Kapsel
und der feinen Bänder gelang es immer leicht, das Radiusköpfchen
aus dem Gelenk so weit zu luxieren, dass eine feine Drahtsäge
dahinter durchgezogen werden konnte, mit der die Durchtrennung
des Radius immer so weit distal von der Epiphysenlinie ausgeführt
wurde, dass das Transplantat eine Länge von 1 cm bekam. Die
Durchtrennung mit der Säge gelingt bei den leicht splitternden
Knochen der Kaninchen viel leichter und schonender als mit dem
Meissei oder einer Knochenzange. Nach Austausch der Trans¬
plantate genügten zur Fixation stets einige Kapsel- und Muskel¬
nähte. Selbstverständlich wurde dabei jedes unnötige Berühren
des Transplantates mit scharfen Pincetten usw. besonders an der
Epiphysenlinie vermieden. Die Haut wurde exakt fortlaufend ver¬
näht. Als Verband bewährte sich mir immer am besten etwas
Mull mit Heftpflaster; von Schienung habe ich stets abgesehen.
Von grosser Wichtigkeit ist es, dass die ausgetauschten Trans¬
plantate von genau gleicher Länge sind und dass auch die Epi¬
physen gleich gross sind, damit der Gelenkabschnitt des Spenders
gut in das Gelenk des Empfängers hineinpasst. Für die Funktion
und für das Auftreten bzw. Ausbleiben von arthritischen Erschei¬
nungen spielt dieser Punkt eine sehr wesentliche Rolle. Ebenso
wichtig ist es, dass das Transplantat die ihm bei der Operation ge¬
gebene Stelle unverrückbar beibehält, da zweifellos nur bei wirklich
guter Stellung die späteren Ergebnisse Schlüsse hinsichtlich der
Transplantationsfähigkeit zulassen. Es wird darauf bei der Be¬
schreibung der einzelnen Versuche noch besonders hingewiesen:
in den Fällen, in denen die Stellung des Transplantats nicht als
ideal bezeichnet werden konnte, oder das Implantat nicht so recht
ins Gelenk passte, wurden stets schwere Veränderungen des Ge¬
lenkes konstatiert.
Wenn es auch unzweifelhaft ist, dass die Operationsteehnik
entschieden von allergrösster Bedeutung für das Gelingen jeder
Transplantation ist, so kamen mir doch auch eine Reihe von Fällen
vor, bei denen ich das mehr oder minder schlechte Resultat nicht
auf Kosten der Technik schieben konnte; denn die von Zeit zu
Zeit vorgenommenen Röntgendurchleuchtungen ergaben manchmal
kurze Zeit nach der Operation ein tadelloses Resultat, und einige
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Kraire <k*r hnmuplastisHim Transplantationsfälii^rki'it usw. 483
Wochen später waren dann trotz der gut gebliebenen Stellung des
Transplantates deutliche Veränderungen an Epiphyse und Gelenk
zu sehen, die dann später bei der Untersuchung des Präparates
bestätigt wurden. In anderen Fällen, die ganz genau so operiert
waren, blieben dagegen solche Veränderungen aus, und bei der
späteren Untersuchung konnte man kaum die operierte Extremität
von der gesunden unterscheiden, so unverändert sahen Gelenk und
Epiphyse aus.
Eine Erklärung für dieses ganz auffallend verschiedene Er¬
gebnis meiner einzelnen homoplastischen Operationen kann ich nicht
geben; es gelingt eben einmal eine Homoplastik gut, das andere
Mal,, und das ist meistens der Fall, versagt sie mehr oder minder
völlig. Im ganzen kann ich sagen, dass ich bei meinen Kaninchen-
Gelenktransplantationen in bezug auf den Epiphysenknorpel nur in
ein paar Fällen günstigere Resultate erhalten habe als bei meinen
Hundeversuchen, indem unter den 16 Versuchen doch einige sind,
bei denen der Knorpel erhalten geblieben war und durch die Trans¬
plantation auch das Längenwachstum des Transplantates keine
nennenswerte Einbusse erlitten hatte.
Besser wie am Epiphysenknorpel waren die Resultate immer
am Gelenkknorpel, der in fast allen Fällen grösstenteils unver¬
ändert am Leben blieb und auch seine normale Funktion weiter
ausübte. Sicher ist, dass bei allen Transplantationen die Grösse
der zu transplantierenden Objekte eine gewisse Rolle spielt, indem
kleinere Stücke sehr viel bessere Aussichten geben als grössere;
wie ich dies auch schon in meiner ersten Arbeit betont habe.
Auch das Alter der Versuchtiere ist ein sehr wesentlicher Faktor;
denn je jünger die Tiere sind, desto besser gelingen, wie alle
Transplantationen, so auch die Gelenktransplantationen.
Die Operationsresultate wurden durch kurze Röntgendurch¬
leuchtungen kontrolliert; häufigere Durchleuchtungen oder Auf¬
nahmen wurden absichtlich vermieden, um durch die Strahlen
keine Schädigungen der Transplantate, insbesondere der wachsenden
Epiphysenknorpel eintreten zu lassen. Alle Tiere — sie kamen
alle im Alter von fünf Wochen zur Operation — überstanden den
Eingriff gut, und von den 16 Versuchen heilten 14 primär, wäh¬
rend es bei zweien zu einer Fistelbildung kam, aus der sich all¬
mählich das Transplantat ausstiess, sodass zur Verwertung nur
14 Experimente dienen konnten.
Nach Ablauf von 2—4 Monaten wurden die Tiere durch
Nackenschlag getötet und beide Vorderextremitäten nach Entfernung
der Haut und der hauptsächlichsten Weichteile in Formol gehärtet,
entkalkt, in Celloidin eingebettet und die Gelenkabschnitte im
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
484
Fr. H. von Tappei iu'r,
Digitized by
ganzen in Serien geschnitten. Gefärbt wurde mit Hämatoxvlin-
Eosin und nach van Gieson. Die operierte Extremität wurde
immer mit der entsprechenden gesunden verglichen. Die Angaben
über den mikroskopischen Befund beruhen auf der Durchsicht
einer grossen Anzahl von Schnitten.
* Versuchsprotokolle.
1. Homoplastik bei Blutsverwandten.
6 Versuche.
Versuch 1. Austausch zwischen Kaninchen 1 und 2 vom ersten Wurf.
Kaninchen 1. Versuchsdauer 87 Tage.
Operation am 1. 4. 1913. Das Transplantat heilte reaktionslos ein. Die
ersten 10 Tage schonte das Tier sein Bein, nach Ablauf dieser Zeit aber sprang
es munter umher und an seinen Vorderextremitäten war irgend welcher Unter¬
schied in der Funktion nicht mehr zu bemerken. Die Callusbildung an der
Vereinigungsstelle beider Knochenteile war am Ende der zweiten Woche deut¬
lich fühlbar und nahm bis Anfang der vierten Woche dauernd zu. Von da ab
blieb sie gleich und nahm später eher wieder etwas ab. Am 30. 4. (4 Wochen
nach der Operation) wurde eine Röntgendurchleuchtung gemacht, die eine tadel¬
lose Stellung des Transplantats erkennen Hess. Die Epiphysenlinie war genau
so schmal gezeichnet wie am anderen Lauf.
Am 2G. G. wurde das Tier getötet (87 Tage nach der Operation). Das
Gelenk war normal beweglich, und nach Ablösen von Haut und Wcichteilen an
beiden Vorderextremitäten ergab sich ein Resultat, über das ich selbst über¬
rascht war. Es zeigte sich, dass die Länge des Radius auf beiden Seiten voll¬
kommen gleich war, dass die Knochenenden genau End zu-End standen und
dass die Verdickung an der Berührungsstelle durch Callus nur gering und ganz
gleichmässig war. Das Periost: überzog in glatter Lage Radiusdiaphyse und
Transplantat ganz gleich massig. An den Gelenkflächen von Radius und Ulna
des operierten Beines konnte irgend eine Verschiedenheit im Vergleich mit der
anderen Seite nicht wahrgenommen werden. Der Knorpel war überall glatt und
glänzend, ohne Auflagerung oder irgend eine Unregelmässigkeit. Nirgends fanden
sieh irgend welche Zeichen einer Arthritis (Jeformans. Die Gelenkkapsel letzte
fest und an richtiger Stelle an dem Transplantat an. Die Intermediärknorpel¬
scheiben waren auf beiden Seiten gleich deutlieh zu erkennen. An der Operations¬
stelle bestand zwischen Radius und Ulna eine geringe Synostose. Eine abnorm»*
Krümmung des Radius war nicht vorhanden.
Die operierte und zum Vergleich auch die nicht operierte vordere Extremität
wurde in frischem Zustand gezeichnet *), und auf dem Bilde (Eig. 1) ist gut zu
sehen, dass nur durch die geringe (’allusverdiekung die operierte Extremität von
der nicht operierten unterschieden werden kann.
Auf dem nach Fixation und Entkalkung läugsdurehschnittenen Präparat
findet sich die Markhöhle des Implantats an der Berührungsstelle mit der Radius¬
diaphyse des Empfängers teilweise durch Callus, der im übrigen nur eine geringe
Ausdehnung hat, verschlossen.
Mikroskopischer Befund: Das Periost ist im Bereich des Transplan¬
tats et Weis dicker als an der Radiusdiaphyse. zeigt aber überall normale Struktur.
1) Alle Zeichnungen sind von dem Universitätszeichner, Herrn Häger in
Greifswahl, hergestellt worden.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw.
485
Die ursprüngliche Markhöhle des Transplantats ist grösstenteils mit spongiösem
Knoehengewebe ausgefüllt, nur an einzelnen Stellen finden sich kleine Inseln
normalen Markes. An der Grenze des Transplantats und der Radiusdiaphyse ist
die Markhöhle durch Callus vollständig abgeschlossen, nur von einzelnen Strängen
gefässreichen Bindegewebes durchzogen, in denen stellenweise kleine Partien
Knochenmarkes liegen. Der Epiphysenknorpel ist grösstenteils in normaler Weise
erhalten und zeigt regelmässige Struktur. Die Zellkerne sind gut gefärbt und
nur im Centrum findet sieh eine Partie, die offenbar nekrotisch geworden war
Fig. 1
a b
Kaninchen 1. Versuchsdauer 87 Tage. Die operierte Extremität a ist von der
nicht operierten b nur an der geringen Verdickung durch den Callus zu erkennen.
Man sieht deutlich, dass die Gelenk flächen glatt und ohne jegliche Inregel-
mässigkeiten sind, t Transplantat.
und stellenweise schon von jungem Bindegewebe durchzogen ist. Man sieht
hier noch die schwach gefärbte Knorpelgrundsubstanz, aber nur wenige ge¬
schrumpfte Kerne mit intensiver Färbung. Die Höhe des erhaltenen Epiphysen-
knorpels ist im wesentlichen dieselbe wie auf der gesunden Seite, an diesen
Partien ist überall neugebildeter Knochen angesetzt. An den Rändern ist es
stellenweise zu geringer unregelmässiger Knochenwucherung gekommen. Der
alte Knochen ist teilweise schon durch jungen ersetzt, überall ziehen, nament-
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
F r. H. vo n T appe i n c r,
Digitized by
48G
lieh vom Periost aus, in ihn neue, junge Knoehenhiilkehen hinein, die v-n
Osteoblasten regelmässig umsäumt sind. Die Zellen des junsren Knochengewebcs
sind bedeutend grösser als die alten und ihre Kerne heller gefärbt. Der alte
Knochen zeigt nirgends mehr normale Knochenzellen, sondern seine Höhlen sinn
grösstenteils leer, nur in manchen sieht man noch Kerntrümmer liegen. Der
Gelenkknorpel ist vollständig erhalten. Nur ganz wenige Zellen in der Tiefe
zeigen Kernveränderungen, die sieh durch unregelmässige Konturen und tiefere
Färbung äussern. Die Knorpeloberfläehe ist vollkommen glatt und nirgends
finden sieh L'suren. Die Gelenkkapsel setzt an normaler Stelle an und an keiner
Stelle geht von ihr Bindegewebe auf den Knorpel über.
Versuch 2. Kaninchen 2 bekam das Radiusköpfchen von Tier 1 implan¬
tiert. Versuehsdauer 123 Tage.
Operation am 1. 4. 1913. Die Heilung verlief ohne Störung: na«*h
S Tagen konnte das Tier die operierte Extremität ebenso gut ansetzen wie die
andere. Bei einer nach 3 Woehen vorgenommenen Röntgendurchleuchtung fand
sich das Transplantat in guter Stellung und irgend etwas Besonderes oder Ab¬
weichendes von der anderen Extremität wurde nicht bemerkt. Mehrere Wochen
später fiel auf, dass das Tierchen auf der operierten Extremität etwas hinkte
und sie nicht so frei gebrauchte. Bei der Untersuchung wurde ein leichtes
Schlottergelenk konstatiert. Bei der zweiten Röntgendurchleuchtung, (> Wochen
später, ergab sieh nun ein ganz anderes Bild wie bei der ersten. Das Trans¬
plantat stand noch in guter Stellung, zeigte aber Unregelmässigkeiten an der
Gelenkfläche, die Kpiphysenlinie war kaum mehr zu sehen und das ganze Trans¬
plantat erschien verkürzt und atrophisch.
Am 1. S. wurde das Tier getötet (123 Tage nach der Operation). Bei der
Präparation der operierten Extremität fand sich, dass das Transplantat voll¬
kommen zugrunde gegangen und durch Bindegewebe ersetzt war: vorn Radius
aus war es zu einer geringen Knochenwueherung gekommen, die aber lange
nicht ausreichte, um den Defekt knöchern zu decken, der etwas über 1 * cm
betrug und von Bindegewebe ausgefüllt war, in dem sich vereinzelte Knochen¬
inseln fanden.
Auch bei der mikroskopischen Untersuchung konnten in dem Binde¬
gewebe nur einzelne alte, abgestorbene Knoehenstüekc nachgewiesen werden, in
die von allen Seiten das junge Bindegewebe hineinwucherte. An den Rändern
war es von dem erhaltenen Periost aus zu Knochenneubildungen gekommen. dU
in unregelmässiger, zackiger Form gegen das Gelenk zu wucherten. Vom Epi-
i»ii ysen- und vom Gelenkknorpel waren nur am Rande einzelne Partien erhalten
mit lebhafter, aber vollkommen unregelmässiger Zellwueherung. Dieses weit¬
gehende Absterben des Implantats und sein Ersatz durch unregelmässigen
jungen Knochen und Bindegewebe war naturgemäss auch nicht ohne Einfluss
auf das Ellbogengelenk geblieben. Die Gclcnkfläche der Ulna und des Humerus
wiesen erhebliche Veränderungen auf. Das Bindegewebe war an vielen Stellen
auch auf ihren Gelenkknorpel übergewuchert, der Knorpel war usuriert und
seine Oberfläche, wo sie noch erhalten war, aufgelockert und nicht so glänzend
und glatt wie normal. An den Rändern fanden sich Knochen- und Krmrpel-
wucherungen mit ausgesprochener Usteophytenbildung. Die Gelenkkapsel war
ebenfalls gewuchert und verdickt. Das ganze Gelenk zeigte das typische Aus¬
sehen einer schweren Arthritis deformans.
Irgend welche Anhaltspunkte für eine stattgefundene Infektion konnten
nicht nachgewiesen werden. Dagegen sprach ja auch die vollkommen aseptische
Einheilung des Transplantats und die anfangs gute Funktion des Gelenks, die
klinisch festgestellt und durch die Röntgendurchleuchtung kontrolliert war.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITY OF IOWA
Zur Knurr der honu>iilastisehen Transplantationsfähigkcit usw.
487
Für das schlechte Ausfallen dieses Versuchs kann ich keinen
anderen Grund angeben, als eben die homoplastische Transplanta¬
tion. Das Transplantat verfiel in diesem Falle der Resorption,
trotzdem es sich um eine Verwandten-Transplantation gehandelt
hatte. Dieser Versuch illustriert, mit dem vorhergehenden zu¬
sammen, gut, wie verschieden das Endresultat beim Organaustausch
sogar unter Geschwistern sein kann; da in einem Falle das Trans¬
plantat in voller Funktion erhalten blieb, im anderen Falle voll¬
kommen verloren ging trotz guter Einheilung.
Versuch 3. Austausch des Radiusköpfehens zwischen Kaninchen 3 und 4
vom ersten Wurf.
Kaninchen 3. Versuchsdauer 122 Tage.
Operation am 1. 4. 1913. Das Transplantat heilte sehr gut ein. Die
Nähte, die am <5. Tage entfernt wurden, waren vollkommen trocken. Hei der an
diesem Tage ausgeführten Röntgendurchleuchtung zeigte sieh, dass das Trans¬
plantat in guter Stellung stand. Nach S Wochen wurde zum zweiten Mal eine
Durchleuchtung vorgenommen, die bewies, dass das Transplantat nach wie vor
gut stand und sich nicht sichtbar verändert batte. Die Epiphysenlinie war
ebenso gut zu erkennen wie am anderen Hein. Die Callusbildung an der Ver¬
einigungsstelle war gut zu sehen, war auch an einer geringen Verdickung noch
deutlich zu fühlen. Von der 3. Woche an, nach der Operation, war die operierte
Extremität wieder vollkommen gebrauchsfähig.
Am 30. 7. wurde das Tier getötet (122 Tage nach der Operation). Nach
Abpräparieren der Weichteile zeigt sieh, dass die Vereinigungsstelle des Radius
mit dem Transplantat kaum mehr zu erkennen ist: an der Uebergangsstelle
fand sieh eine kleine Knoehenspange, die den Radius mit der l'lna verbindet.
Die Länge des operierten Radius war genau so gross wie die des Radius der
anderen Extremität. Das Transplantat mass 12 nun Länge (bei der Operation
betrug es 10 mm), es war also eine geringe Verlängerung, jedenfalls aber keine
Verkürzung eingetreten. Von der Epiphysenlinie war äusserlieh nichts mehr zu
erkennen (ebenso auch nicht mehr am nicht transplantierten Radiusköpfehen
der anderen Extremität). Eine abnorme Krümmung der Knochen an der ope¬
rierten Gliedmasse war nicht vorhanden. Die Gelenkkapsel inserierte ganz
gbdehmässig an der Knorpelknoehcngrenze, das Periost zeigte am Transplantat
keine F n rege lniässigk eit und keine Verdickung. Das Ellbogengelenk des ope¬
rierten Heines unterschied sieh in keiner Weise von dem der anderen Seite. Die
Golenkflächen waren überall glatt und regelmässig, der Knorpel spiegelnd, von
normaler Farbe; nirgends fanden sieh irgend welche Auflagerungen.
An dem längshalbierten Radius sah man. dass sieh die Markhöhle fast
vollkommen wieder hergestellt hatte und dass sie nur noch durch ganz geringen,
überschüssigen Callus etwas eingeengt wurde. Die Verbindung der Markhöhle
des Transplantats mit der der Diaphyse ist fast völlig frei; von der Epiphysen-
1 inir sind eben noch Reste zu erkennen.
Das Präparat wurde in frischem Zustande zusammen mit der Kontroll-
extremität gezeichnet (Fig. 2). Man erkennt auf der Zeichnung gut die Yer-
einigungsstelle des Implantats und siebt vor allem, dass das Gelenk in keiner
Weise geschädigt ist.
M i k ros k o p i se h er Befund: Das Periost überzieht gleiehmässig das ganze
Präparat, ist aber im Hereich des Implantats etwas dicker. Der alte Knochen
ist fast völlig durch jungen ersetzt; man sieht nurmehr ganz wenige, haupt-
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
488
Fr. H. von Tappei ner.
Digitized by
sächlich in der Cortiealis gelegene, schmale Kiioehcnbälkchen mit leeren Knorhcn-
höhlen. Von dem Kpiphysenknorpel ist nichts mehr zu erkennen, seine ur¬
sprüngliche Lage wird nur noch dureli Reste intensiv gefärbter (irandsubMan z
gekennzeichnet; auch auf der nicht operierten Seite ist der Epiphysenknorp»-!
schon fast vollständig verschwunden. Der (ielenkknorpel ist fast überall als
vollständig normal zu bezeichnen. Weder in bezug auf Grösse und Form seiner
Zellen und deren Kerne, noch hinsichtlich ihrer Färbbarkeit findet sieh irgend
eine Verschiedenheit gegenüber dem Kontrollpräparat. Nirgends bestehen Auf*
Fig. 2.
Kaninchen Ö. Versuelisdauer 122 Tage. Die operierte Kxtremität b ist von der
nicht operierten a kaum zu unterscheiden. Fs ist gut zu erkennen, dass die
operierten Fllbogengclenke keinerlei art-britische Veränderungen aufweisen.
t Transplantat.
lagerungen von Bindegewebe und die oberflächlichen Zellen liegen lückeni«*
glatt aneinander. Auch an den Rändern sind keinerlei Wucherungen oder l'n-
regelmässigkeiten wahrzunehmen. Nur an einer kleinen Stelle, ungefähr in der
Mitte der Gelenkfläche, ist eine ganz kleine Knorpelnekrose entstanden, und
man erkennt deutlich an der lebhaften Zellteilung der darunter liegenden
Knorpelzcllen das Bestreben der lebenden Zellen, das tote Knorpelstückchen zu
regenerieren. Die Zellen liegen hier auch in grösseren Abständen voneinander.
Gck igle
Original ffom
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Frage der homopl&stisehen Transplanlationsfiihigkcit usvv. 489
als in den übrigen Teilen des Knorpels. In Kpiphyse und Diaphysc finden
sieh zahlreiche Inseln normalen Markgewebes (Fig. 3).
Das Ergebnis dieses Transplantationsversuchs ist als ein durch¬
aus befriedigendes zu bezeichnen. Jedenfalls hat sich das Trans¬
plantat vollständig erhalten, bzw. haben sich seine Elemente aus
Fig. 3.
KaX Knorpelnekrose, darunter Knorpelzellen in lebhafter Wucherung. MJ Mark¬
insel. RvG Reste verkalkter (irundsubstanz. atKn alter toter Knochen. IhKh
lebender neuer Knochen. (Vergrösserung 91 fach, Zeiss Oc. 4, Obj. aa.)
den erhaltenen Teilen zur alten Form regeneriert. Es scheint auch
in diesem Falle ein Weiterfunktionieren des Epiphysenknorpels statt¬
gefunden zu haben; denn die Länge des Transplantats hat sicher
gegen die, die es bei der Operation hatte, zugenommen. Ob die
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
490
F r. U. v o n T a p p e i n e r.
Digitized by
Leistung des Knorpels eine normale oder eine verminderte gewesen,
ist dadurch natürlich nicht bewiesen, da nicht bekannt ist, wieviel
Knochen in derselben Zeit die entsprechende Epiphyse der Gegen¬
seite gebildet hat.
Versuch 4. Kaninchen 4 bekam das Radiusköpfchen von Tier im¬
plantiert. Yersuchsdauer 97 Tage.
Operation am 1.4. 191 ft. Heilung ohne Komplikation. Nach 14 Tagen
war die normale Gebrauehsfähigkeit der operierte» Kxtremität wieder vorhanden.
Die in der dritten Woche vor^nonimcne Rüntgendurehleuehtung ergab eine ein¬
wandsfreie Stelluni: des Transplantats, und an der Epiphysenlinie und am Ge-
lenk keine sichtbaren Veränderungen. Hei der zweiten Durchleuchtung, 10 Wochen
nach der Operation, fanden sich dagegen deutliche Enterschiede. Die Epiphysen-
linie des transplantierten Radiusköpfchens war nicht mehr so scharf konturiert
wie die der gesunden Seite und die Knoehenstruktur des ganzen Transplantats
sah wie verwischt aus. Die Markhöhle war nur undeutlich zu erkennen.
Am 25. 7. wurde das Tier getötet (97 Tage nach der Operation). Nach
Eröffnung des Ellbogengelenks der operierten Extremität sieht man, dass das
Radiusköpfchen nicht bis zum Capitulum humeri heranreicht und bei Bewegungen
nicht artikuliert. Offenbar ist das Transplantat in seinem Längenwachstum zu¬
rückgeblieben und die Elna hat sich an ihm etwas vorbeigeschoben. Der Gelenk¬
knorpel selbst ist gut erhalten, glatt und glänzend, nur an einer Stelle hat er
eine bindegewebige Auflagerung. An den Gelenkflachen von Ulna und Humerus
ist nichts Abnormes zu erkennen. Die Länge des operierten Radius betragt
1 ho mm weniger als die der gesunden Seite; die Länge des Transplantats selbst
9 mm, also etwas weniger als bei der Verpflanzung. Von der Epiphysenlinie ist
nichts mehr zu sehen, während sie am anderen Radius noch vorhanden ist. Die
Vereinigung des Transplantats mit dem lladiusschaft ist fest knöchern: das
Periost. etwas verdickt. Auf dem längshalbierten Präparat sieht man die Mark¬
höhle abgeschlossen und grösstenteils mit einem ziemlich derben Gewebe au>-
gefiillt. Die Diaphyse ist nicht so schmal und glatt wie gewöhnlich, sondern
verdickt und unregelmässig konturiert. Eine altnorme Krümmung der Knochen
ist nicht vorhanden.
Mikroskopischer Befund: Der Knochen des Transplantats ist teilweise
schon durch neuen jugendlichen Knochen ersetzt. Von lebendem Epiphysenknnrprl
finden sich nur noch an den Rändern ganz spärliche, unregelmässige Reste mit
grossen, ziemlich blass gefärbten Zellen, in denen oft mehrere Kenn* zusammen-
liegen. Dieser Knorpel zeigt keinerlei Andeutung einer Struktur und erinnert
in nichts an den normalen intermediärknorpel. (An dem anderen Radius isi
der Knorpel noch in normaler Tätigkeit.) In der Mitte dagegen sieht man nur
noch schmale, schwach gefärbte Partien kernloser Grundsubstanz, in die von
allen Seiten Bindegewebe und junges osteoides Gewebe mit reichlichen Osteo¬
blasten eindringt. Dazwischen finden sich noch zahlreiche, zackige, tief blau
gefärbte Trümmer der alten, verkalkten, noch nicht vollständig resorbierten
Grundsubstanz. Das Knochenmark des Transplantats ist so gut wie ganz ge¬
schwunden, und an seine Stelle ist sehr gefässreiehes Gewebe getreten, das von
jungen Knochen bäIkchen durchzogen ist. Nur ganz vereinzelt findet man in
ihm noch kleine Inseln myeloischer Zellelemente. Das Periost ist gut erhalten,
nur etwas verdickt und befindet sich in voller Tätigkeit. Man sieht überall
von ihm gebildetes neues Knochengewebe mit grossen jugendlichen Zellen. Au
einzelnen Stellen, so besonders gegen die Verwachsungsstellc des Tran>plantat>
mit der Diaphyse. liegen einzelne hyaline Knorpelzellanhäufungen. Sehr gut
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 491
sieht der Gelenkknorpcl aus, der bis in seine tiefsten Schichten normale An¬
ordnung aufweist. Seine Zellen unterscheiden sich sowohl morphologisch wie
tinktoriell nicht von denen der gesunden Seite. Nur auf der einen Seite hat
sieh vom Kandc her zungenförmig in dünner Lage Bindegewebe auf ihn hinauf-
geschoben und ist hier an einzelnen Stellen auch oberflächlich zwischen die
Knorpelzellcn eingedrungen.
Dieser Transplantationsversuch hat hinsichtlich des Inter¬
mediärknorpels ein absolut negatives Resultat ergeben. Auch hin¬
sichtlich des Gelenkknorpels ist er infolge des Hinüberwachsens
von Bindegewebe nicht als vollkommen gelungen zu bezeichnen.
Versuch 5. Austausch des Radiusköpfchens zwischen 2 Kaninchen des
zweiten Wurfes.
Kaninchen 5. Versuchsdauer 90 Tage.
Operation am 3. 4. 1913. Das implantierte Stück passte gut und sein
Oelenkabschnitt artikulierte ohne sichtbare Differenzen. Die Extremität war in
der zweiten Woche wieder voll gebrauchsfähig und blieb es auch während der
ganzen Dauer des Versuchs. Eine Verkürzung konnte am lebenden Tier nicht
nachgewiesen werden.
Arn 2. 7. wurde das Tier getötet (90 Tage nach der Operation). Die
Stellung des Implantats erwies sicli als sehr gut. Seine Länge betrug ebenso¬
viel wie zur Zeit der Transplantation. Die Verdickung an der Vereinigungsstelle
war gering, und nur durch eine kleine Knochenspange bestand eine Verwachsung
mit der l’lna. Das Periost des Transplantats hatte etwas an Dicke zugenommen,
zeigte aber sonst nichts Besonderes. Das Ellbogengelenk der operierten Ex¬
tremität unterschied sich in nichts von dem der gesunden Seite. Die Gelenk¬
knorpel w r aren glatt, spiegelnd, von zarter bläulicher Farbe, ohne makroskopisch
sichtbare Nekrosen und ohne Auflagerungen. Auch an den Rändern fanden sich
keine Wucherungen. Die Gelenkkapsel war zart und setzte an normaler Stelle
am Radiusköpfchen an. Von der Epiphysenlinie war nur noch in der Mitte ein
Teil als schmaler Streifen zu sehen, während sie auf dem Knntrollpräparat noch
normal vorhanden war. Auf dem längsdurchschnittenen Präparat konnte man
erkennen, dass an den Rändern grosse Partien des Intermediärknorpels völlig
verschwunden waren und dass von der Markhöhle her, die fast vollkommen von
derbem Gewebe ausgefüllt w'ar, ein Strang sich gegen und durch den Knorpel
nach der Epiphyse hin vorschob. Die Diaphyse des Transplantats war nicht so
glatt und gleichmäßig wie normal, sondern überall mit reichlichen knöchernen
Auflagerungen bedeckt.
Mikroskopischer B e f u n d: Vom Gelenkknorpel ist der allergrösste Tci 1
lebend erhalten und nur an einer Stelle ist es zu einer grösseren Nekrose ge¬
kommen. in deren Bereich weder Zellen noch Kerne mehr gefärbt sind. In der
Umgebung dieser Partie zeigen die am Leben gebliebenen Zellen häufige Mitosen.
Vom Rande her dringt in diesen nekrotischen Knorpelteilen Bindegewebe ein,
während ein Hinüberwachsen auf die Oberfläche des abgestorbenen Abschnitts
nicht stattgefunden hat. In den übrigen Teilen des Knorpels zeigen Zellen und
Kerne gewöhnliche Grösse und Färbung (Fig. 4). Die alten Knochenbälkchen
der Epiphyse sind teilweise bereits durch neuen Knochen ersetzt: man sieht
aber noch reichlich alten, kernlosen Knochen zwischen dem neugebildeten.
Ueberall ziehen in Netzform angeordnete Stränge osteoiden Gewebes. Vom Mark-
gewebc findet sich nur eine kleine, nahe am Rande gelegene Insel, die inmitten
eines Zuges sehr blutgefässreichen, feinen Bindegewebes liegt, das von aussen
her in die Epiphyse eingewachsen ist. Vom Intermediärknorpel ist noch die
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. ^
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
492
Fr. H. von Tapp ein er,
centrale Partie als nekrotische kernlose Masse erhalten, die an ihrer Streifung
noch die frühere Säulenknorpelstruktur erkennen lässt. Von der Diaphyse her
drängt junges Bindegewebe gegen ihn vor. An den Rändern ist der Knorpel
schon vollständig verloren gegangen und von Bindegewebe, osteoidem Gewebe
und einzelnen neugebildeten Knochenbälkchen verdrängt. Reste verkalkter
(irundsubstanz sind noch in geringer Menge vorhanden. Im Diaphysenteil des
Transplantats ist der alte, abgestorbene Knochen schon weitgehender als im
Epiphysenabschnitt durch neuen ersetzt. Normales Mark ist nur ganz wenig
vorhanden, statt dessen füllt die Zwischenräume zwischen den neugebildeten
Fig. 4.
IKn
tKn
IKn lebender junger Knochen. tKn toter alter Knochen. KnX Knorpelnekrose.
B Bindegewebe. tEKn toter Epiphysenknorpel. RrG Reste verkalkter Grund*
Substanz. M Markgewebe. (Vergrüsserung 28fach, Zeiss, Oc. 2, Obj. a 2 .)
Knochenbälkchen zellreiches, jugendliches Bindegewebe aus. Sehr reichliche
Knochenneubildung hat von seiten des Periosts aus stattgefunden. An Periost
und Kapsel ist sonst kein besonderer Befund zu erheben.
Kaninchen 6. Versuchsdauer 67 Tage.
Operation am 3. 4. 1913. Das von Tier 5 stammende Implantat passt*
sich gut in das Ellbogengelenk ein. Die Extremität war nach wenigen Tagen
wieder voll gebrauchsfähig und blieb es auch. Eine Veränderung des Trans¬
plantats konnte beim lebenden Tier nicht festgestellt werden.
Am 9. 6. wurde das Tier getötet (67 Tage nach der Operation). Das Tran>*
plantat stand in guter Stellung; die Verkürzung des Radius, die in diesem Falle
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 493
vorhanden war, betrug 1 min; während das Transplantat selbst, genau wie bei
der Operation, 10 mm mass. Eine Verlängerung war also jedenfalls nicht ein¬
getreten. In diesem Falle fanden sich an den Gelenkknorpeln einzelne kleine
Schleifstellen und am Radiusknorpel ein kleiner Bezirk unmittelbar am Rande,
der durch eine von der Kapsel herkommende Bindegewebswucherung bedeckt
war. An einzelnen Randstellen war es auch zu beginnender Knorpel- und
Knoehenwucherung gekommen. Die Gelenkkapsel selbst war verdickt und be¬
sonders um das Radiusköpfchen herum ziemlich massig; sonst war der Gelenk-
knorpel gut erhalten, glatt, spiegelnd und von normaler Farbe. Der Epiphysen-
knorpel schien erhalten zu sein. Auf dem längsdurchschnittenen Präparat
konnte man aber schon makroskopisch, sehr deutlich bei Lupenvergrössorung
erkennen, dass er teilweise von der Epiphyse abgehoben war und dass vom
Rande her sich neues Gewebe wie ein Keil zwischen ihn und den Knochen
hineingeschoben hatte. Auch die Farbe des Knorpels war verändert, mehr
gelblich-weiss geworden. Die Markhöhle war abgeschlossen und die Diaphysen-
wand etwas verbreitert und namentlich auch auf der Aussenseite unregelmässig
verdickt. Das Periost war gleichfalls etwas verdickt und mit dem Knochen im
Bereich des Transplantats fester verwachsen als sonst am Transplantat.
Mikroskopischer Befund: Am Radiusköpfchen findet sich an der
Stelle, die schon makroskopisch durch die Bindegewebsauflagerung gekenn¬
zeichnet war, eine kleine nekrotische Partie. In ihrer Umgebung sieht man die
am Leben gebliebenen Knorpelzellen etwas vergrösserl, mit häufigen Mitosen.
Von der bindegewebigen Auflagerung gehen ganz feine Züge oberflächlich bereits
in den Knorpel hinein. An allen übrigen Stellen zeigt der Gelenkknorpel nor¬
male Beschaffenheit. Der Knochen im Bereich der Epiphyse ist überall kernlos,
und allenthalben findet sieh zwischen den Fältehen der Spongiosa an Stelle des
normalen Markes gefässrciches Bindegewebe. Normales Mark ist in der Epiphyse
kaum mehr zu sehen: nur ganz vereinzelt sicht man ganz kleine Partien, die
erhalten sind und deren Zellen scharf konturierte und gut gefärbte Kerne auf-
weisen. An den Rändern der Epiphyse findet sich schon reichlich jugendlicher
Knochen, während nach der Mitte zu noch der tote vorherrscht, und im Centrum
und namentlich dicht unterhalb des Gelenkknorpels erst ganz spärliche lebende
Knochenbälkehen angetroffen werden. Derlntermediärknorpcl ist ganz abgestorben;
man sieht nur kernlose Zellen mit verwaschenen Grenzen. Die Höhe des Knorpels
ist nicht grösser geworden. Nur am Rande ist eine kleine Stelle erhalten mit
lebenden Knorpelzellen, die durch die regelmässige Anordnung derselben auch
noch eine Andeutung an die alte Struktur erkennen lässt. An dieser Stelle
sind auch neue lebende Knochenbälkehen angesetzt. Im übrigen hat sich
zwischen den Knorpel und die Epiphysenspongiosa eine vom Periost herkommende
Bindegewebswucherung eingeschoben, die ihn von der Epiphyse abtrennt. Von
dieser Bindegewebswueherung gehen Fortsätze in die Spongiosa hinein, ganz
oberflächlich auch in den Knorpel selbst. Im Diaphyscnteil des Transplantats
ist ebenfalls noch reichlich alter, stets kernloser Knochen vorhanden, an den
sich aber überall, namentlich auf der Aussenseite, schon junger Knochen angc-
leirt hat. Die ursprüngliche Markhöhle des Transplantats ist ausgefüllt mit
osteoidem Gewebe und jungen Spongiosabälkehen. Vereinzelt finden sieh zwischen
ihnen Inseln normalen Markgewebes. Im Bereich der Uebergangsstelle von Im¬
plantat auf Radiusepiphyse sieht man dicht unter dem Periost und auch mitten
im Gallus mehrere kleine Häufchen hyaliner Knorpelzellen mit zahlreichen Kern¬
teilungen. Das Periost ist am tranzen Transplantat etwas verdickt.
33*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
494
Fr. H. von Tapp ein er,
Digitized by
2. Homoplastik bei Nichtblutsverwandten.
10 Versuche.
Versuch 7 und 8. Austausch des Radiusköpfchens zwischen einem
Kaninchen des ersten Wurfes und einem des zweiten Wurfes.
Tier 7. Versuchsdauer 118 Tage.
Operation am 3. 4. 1913. Das implantierte Radiusköpfchen passte sehr
gut in das Ellbogengelenk hinein. Die feste Anheilung erfolgte sehr schnell,
und nach kaum einer Woche war die Extremität wieder voll gebrauchsfähig.
Bei der Kontrolle mit Röntgenstrahlen fand sich, dass die anfangs ebenso deut¬
lich und scharf abgesetzte, vielleicht etwas verbreiterte Epiphysenlinie von der
7. Woche an unregelmässig wurde und ihre gleichmässige Struktur verlor, wäh¬
rend sie am anderen Radius unverändert aussah. Eine Verkürzung konnte
während des Lebens nicht wahrgenommen werden.
Am 29. 7. wurde das Tier getötet (118 Tage nach der Operation). Das
Transplantat war im ganzen gut erhalten, nur etwas verdickt; die Gelenkkapsel
zart, ohne stärkere Wucherungen, ihre Innenseite glatt und glänzend ohne jede
Unregelmässigkeit. Der Knorpel des Radiusköpfchens zeigte dieselbe fein bläu¬
liche Färbung wie die übrigen Gelenkknorpel; Randwucherungen oder Auflage¬
rungen fanden sich nirgends. An der Vereinigungsstelle des Transplantats mit
dem Radius bestand eine ziemlich starke knöcherne Verwachsung mit der Ulna,
eine zweite, aber geringe dicht unterhalb des Gelenks. Das Periost ging glatt
vom Radius auf das Transplantat über und zeigte keine besonderen Verdickungen.
Vom Intermediärknorpel war makroskopisch auch auf dem längsdurchschnittenen
Präparat nichts mehr zu sehen. An seine Stelle war ein, auch die Markhöhle
zum grössten Teil ausfüllendes, derbes Bindegewebe getreten. An der Vor¬
einigungsstelle war die Markhöhle durch einen schmalen Brüekencallus abge¬
schlossen. Die normalerweise schmale Cornpacta war im Bereich des Diaphvscn-
teils des Transplantats erheblich und unregelmässig verdickt. Die Länge des
operierten Radius war ein klein wenig geringer als die des anderen, das Trans¬
plantat hatte noch eine Länge von 8 mm.
Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpel zeigt ganz normales Aus¬
sehen, und an seiner Oberfläche liegen die Zellen glatt, ohne jede Unterbrechung
aneinander. Nirgends ist vom Rande her Bindegewebe auf ihn übergewuchert.
Die Zellen haben normale Grösse und Form, sind gut gefärbt, mit runden, scharf
konturierten Kernen; nirgends finden sieh Anzeichen von Zerfall, und leere
Knorpelhöhlen sind ebensowenig zu sehen. Die Dicke des Gelenkknorpels ist
überall völlig gleich und nicht anders als auf der gesunden Seite. Das Periost
ist im ganzen verdickt, liegt dem Transplantat fest auf und man siebt, dass cs
schon reichlich jungen Knochen erzeugt hat; denn das Transplantat ist verdickt
und die Reste der alten Corticalis, die an den leeren Knochenkohlen noch gm
zu erkennen sind, sind ziemlich weit nach innen zu abgerückt. Die ursprüng¬
liche Mark höhle ist mit spongiösem und osteoidem Gewebe ausgefüllt, Markinseln
sind nirgends zu sehen. Von dem Intermediärknorpel finden sich noch Spuren
in Gestalt kernloser, ganz blass gefärbter Grundsubstanzreste: grösstenteils ist
er schon ersetzt durch osteoides Gewebe. Auch in der Epiphyse ist der meiste
alte Knochen schon durch neuen jugendlichen substituiert. An einer Stell»*
findet sich, subperiostal gelegen, eine kleine Anhäufung hyaliner Knorpelzellen.
Bei diesem Versuch hat sich der Gelenkknorpel vollkommen
erhalten oder ist'jedenfalls, wenn Teile von ihm zugrunde gegangen
sein sollten, vollkommen wieder regeneriert worden. Der Inter-
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 495
mediärknorpel dagegen ist nekrotisch geworden und von ihm hat
sich nichts regeneriert. Da das Transplantat aber sogar etwas
kürzer wie bei der Verpflanzung gefunden wurde und doch keine
nennenswerte Verkürzung des Radius zu erkennen war, muss die
distale Epiphyse auch in diesem Falle vikariierend eingetreten sein
und das Fehlende ausgeglichen haben.
Kaninchen 8. Versuchsdauer 110 Tage.
Operation am 3. 4. 1913. Das von Kaninchen 7 stammende Radius¬
köpfehen passte exakt in das Ellbogcngclenk hinein. Die HciLung erfolgte ohne
Komplikation. Die Stellung des Implantats blieb dauernd gut, und die Ge-
brauehsfähigkeit der Extremität war nach 10 Tagen eine ganz normale. Das
Ellbogengelenk blieb auch während des ganzen Versuchs gleich gut beweglich
und zeigte keine Verdickung oder sonstige Veränderung; auch eine Verkürzung
der Extremität war während des Lebens nicht nachzuweisen. Bei der Unter¬
suchung mit Röntgenstrahlen war die Knorpelfuge anfänglich ebenso gut zu sehen
wie auf der gesunden Seite, späterhin aber verschwand sic immer mehr, während
sie auf der Kontrollseite gleich blich.
Am 22. 7. wurde das Tier getötet (110 Tage nach der Operation). Das
operierte Ellbogengelenk sah ebenso gut aus wie das der anderen Seite. Die
tielenkknorpel waren glatt und spiegelnd, mit normaler Farbe. Randwuclferungen
fanden sich nirgends, und die Gelenkkapsel zeigte nur geringe Verdickungen,
war auf der Innenseite aber ebenfalls vollkommen glatt und zart. Nirgends
konnte man makroskopisch Defekte oder nekrotische Stellen am Knorpel des
Transplantats erkennen. Das Implantat war mit dem Radiusschaft fest knöchern
verwachsen, und an dieser Stelle auch in grösserer Ausdehnung mit der Ulna.
Sein Periost erschien, ebenso wie das Transplantat selbst, verdickt, das beson¬
ders in seinen distalen Teilen grösseren Umfang angenommen hatte, während
«las Köpfchen eher etwas atrophisch aussah. Von der Epiphysenfuge war nichts
mehr zu erkennen (am Radiusköpfchen der anderen Extremität war sie noch
eben zusehen), auch nicht auf dem längsdurchschnittenen Präparat. Die Mark¬
höhle war grösstenteils von derbem Gewebe ausgefüllt und an der Vereinigungs¬
stelle durch Callus abgeschlossen. Eine Verkürzung des Radius war nicht nach¬
zuweisen.
Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpel ist im ganzen von nor¬
maler Beschaffenheit. Die oberflächlichen Zellschichten liegen glatt aneinander,
überall haben die Zellen normale Grösse und Form und nur an einer Stelle,
nahe der Mitte, sind sie zugrunde gegangen und lassen keine Kernfärbung mehr
erkennen. An dieser Stelle ist die Grundsubstanz auch aufgelockert und sieht,
bei stärkerer VergrÖsserung betrachtet, wie zerfasert aus. Bindegewebe ist nicht
vorhanden. Die um diese Partie herum liegenden Knorpelzellen sind in lebhafter
Wucherung begriffen, und man sieht hier sehr grosse, vielkernige Zellen. Es
handelt sich dabei wohl um Regenerationsvorgänge zum Ersatz des zugrunde
gegangenen Knorpelabschnitts von den erhaltenen Zellen aus (Fig. 5). Die
Spongiosa ist vollkommen durch neue Knochenbälkehen ersetzt; nur geringe
Mengen alten Knochens sieht man noch in Form von kleinen, zackigen, kern¬
losen Stückchen in ihr eingeschlosscn, und zwar am meisten noch in der Epi-
P h yse, während im Diaphysenabschnitt des Transplantats nur noch ganz ver¬
einzelte Reste alten Knochens vorhanden sind. Die Stelle des intermediärknorpels
ist nurmehr an vereinzelten Resten verkalkter Knorpelgrundsubstanz zu erkennen,
Knorpelzellen selbst sind nirgends mehr sichtbar. Auf der gesunden Seite ist
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
496
Fr. H. von Tapp ein er
der Intermcdiärknorpel noch vollständig erhalten, aber bedeutend niedriger als
sonst, und befindet sich offenbar dicht vor dem Abschluss seiner Waohstums-
periode. Normales Markgewebe findet sich in der Epiphyse nur als einzelne
kleine Inseln. Die Markhöhle des Transplantats ist ausgefüllt von spongiösem
Knochen und sehr zell- und capillarreichem Bindegewebe mit spärlichen
Markresten. Das Periost ist etwas verdickt, zeigt aber sonst regelmässige
Schichtung.
Fig. 5.
KnX
KnzRetj
atKn
M
1 Kn
RvG
B
KnX Knorpelnekrose. KnzRetj. Knorpelzellen in Regeneration. atKn alter toter
Knochen. IKn lebender neuer Knochen. RvG Reste verkalkter Grundsubstanz.
B Bindegewebe. M Mark insei. (Vergrößerung 54 fach, Zeiss, Oe. 2, Obj. aa.
Versuch 9 und 10. Austausch des Radiusköpfchens zwischen je einem
Tier des dritten und vierten Wurfes.
Kaninchen 9. Versuchsdauer 90 Tage.
Operation am 8.4.1913. Das Radiusköpfchen des Transplantats von
Kaninchen 10 war etw r as grösser als das eigene; doch Hess es sich noch ganz
gut implantieren. Die Einheilung erfolgte tadellos und nach 14 Tagen war die
Extremität wieder gut gebrauchsfähig. In der Folge aber konnte man deutlich
sehen, dass, je älter das Tierchen wurde, es seinen linken Vorderlauf immer
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Frage der homoplastisehen Transplantationstähigkeit usw. 497
mehr schonte: und auch durch Palpation war festzustollen, dass das Ellbogen-
irelenk dicker wurde, und kurz vor Beendigung des Versuchs fühlte man ganz
■deutliches Reiben in ihm. Die Durchleuchtung ergab unregelmässige Gelenk¬
linien mit ausgesprochenen Randwucherungen.
Präparatentnahme am 7. 7. (90 Tage nach der Operation). Das Ellbogen-
gelenk zeigt eine ausgesprochene Osteoarthritis, nicht nur dos Radiusköpfehens,
sondern auch an Ulna und Humerus. Die Gelenkflächen sind stellenweise usuriert
und an einzelnen Stellen des Radiusköpfehens ist der Gelenkknorpel vollständig
zu Verlust gegangen. Die Gelenkkapsel ist stark verdickt und wuchert mit ein¬
zelnen Fortsätzen auf die Gelenkflächen über. Am Rande der Gelenkflächen ist
-es zu teilweise ziemlich erheblichen unregelmässigeu Knochenwucherungen ge¬
kommen. Die Stellung des Transplantats, das im ganzen verdickt ist, ist, ab¬
gesehen von einer geringen Verschiebung nach der Seite, im allgemeinen gut.
Eine Verkrümmung der Ulna ist nicht vorhanden. Der operierte Radius ist um
etwa 3 mm verkürzt. Vom Intermediärknorpel, der am anderen Radius noch
vollständig erhalten ist, finden sich makroskopisch auch auf dem längsdureh-
sehnittenen Präparat nur noch Reste. Die Markhöhle ist im ganzen verengt
und an der Vereinigungsstelle grösstenteils durch Markcallus verschlossen.
Mikroskopischer Befund: Der Knochen des Transplantats ist etwa zur
Hälfte durch neuen jungen ersetzt, der stellenweise schon eine beträchtliche
Dicke erreicht hat. Die Markhöhle ist ausgefüllt von osteoidem Gewebe mit
spärlichen Knochenmarksinseln. Der Intermediärknorpel, der eine fast voll¬
ständig nekrotische, eben noch gefärbte Masse darstellt, ist nicht verdickt, son¬
dern eher verschmälert; seine Zellen sind schattenhaft eben noch zu erkennen.
Ueberall wuchert in ihn sehr gefässreiehes Bindegewebe mit zahlreichen, grossen,
mehrkernigen Zellen hinein, so dass er schon in viele kleine Teile zerlegt er¬
scheint: nur an einem Rande findet sieh noch lebender Knorpel mit vielfach
mehrkernigen, grossblasigen Zellen und hyaliner Grundsubstqjiz. Die Zellen
liegen ohne jede regelmässige Anordnung in Haufen subperiostal zusammen.
Das Periost und die Gelenkkapsel sind verdickt, und von beiden Seiten gehen
bindegewebige Wucherungen von ihr aus auf den Gelenkknorpel über. Stellen¬
weise gehen auch Bindegewebsknospen in ihn hinein und dringen durch ihn bis
zur Spongiosa vor. Die Grundsubstanz sieht auf der Oberfläche wie aufgoloekert
aus: an einer Stelle ist der Gelenkknorpel auch verdickt und mit vermehrter
Zellanhäufung offenbar in Regeneration begriffen. Am Rande der Knorpel¬
knochengrenze sind zahlreiche unregelmässige Wucherungen von jungem Knochen¬
gewebe zu erkennen.
Bei diesem Falle ist das Resultat der Transplantation als
durchaus mangelhaft anzusehen, denn sowohl Intermediär- als auch
Gelenkknorpel zeigen weitgehende Veränderungen.
Kaninchen 10. Versuchsdauer 12S Tage.
Operation am 8. 4. 1913. Das Radiusköpfchen des Transplantats von
Kaninchen 9 war etwas kleiner, so dass es das Ellbogengelenk nicht vollständig
ausfüllte, deshalb artikuliert auch seine Gelenkfläche nicht ganz anatomisch
genau mit dem Humerus. Nach anfänglicher, auch durch die Röntgendurch¬
leuchtung bestätigter tadelloser Stellung des Transplantats entwickelte sieh
auch hier eine langsam fortschreitende Arthritis des Ellbogengclenks. die in
diesem Falle sogar eine deutlich nachweisbare Beschränkung der Beugefähigkeit
zur Folge hatte.
Am 14. 8. wurde das Tier getötet (128 Tage nach der Operation). Es be¬
stätigte sich, dass eine erhebliche Ellbogengelenksveränderung vorhanden war.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
498
Fr. H. von Tapp ein er,
Digitized by
Die Gelenkknorpcl von Humerus, Ulna und besonders Radius waren an den
Rändern mit unregelmässigen Knochen- und Knorpel Wucherungen umgeben, die
im Verein mit der stark verdickten und massigen Gelenkkapsel, von der aus
auch zottige Fortsätze in das Gelenk hineingingen, das typische Bild der chro¬
nischen deformierenden Gelenkentzündung ergaben. Der Knorpel des Radius¬
köpfchens war stellenweise vollständig verloren gegangen. Der knöcherne Teil
des Transplantats war als eine unregelmässige Knochenmassc erhalten. Die Ver¬
kürzung des Radius betrug etwas über 1 1 / 2 mm, und die Krümmung der Ulna
war vielleicht etwas stärker als auf der gesunden Seite. An der Vcreinigumrs-
stclle des Transplantats mit dem Radius fand sieh nur noch eine ganz geringe
Verdickung. Eine eigentliche Markhöhle war nicht vorhanden, nur stellenweise
sah man lichtere, von lockerem Gewebe ausgefüllte Partien. Vom Intermediär¬
knorpel war nichts mehr zu erkennen. Auf der gesunden Seite war er makro¬
skopisch eben noch als schmale Linie zu erkennen.
Mikroskopischer Befund: Unter dem verdickten Periost des Tran>-
plantats finden sich an mehreren Stellen kleine Inseln lebenden hyalinen
Knorpels, der aber in keiner Hinsicht an den Intermediärknorpel erinnert. Auch
sieht man nirgends, dass es an ihnen zur Apposition von neuem Knochen ge¬
kommen ist. Die Bildung neuen Knochens, der den alten fast vollständig er¬
setzt hatte, geht im wesentlichen nur vom Periost und von jungem osteoidem
Gewebe aus, das in die alte Markhöhle des Transplantats vorgedrungen ist und
sie grösstenteils ausfüllt. Zahlreiche Züge mit reihenweise gelagerten Osteo¬
blasten sind überall zu sehen und auch fertige jugendliche Knochen bä lkchcn
sind reichlich vorhanden. In dem gefässreiehen Bindegewebe liegen verschiedent¬
lich kleine Anhäufungen myeloider Zellelemente, aber zur Bildung einer zu¬
sammenhängenden Markhöhle mit Knochenmark ist es noch nicht gekommen.
Vom Intcrmediärknorpel ist nichts mehr zu erkennen, ausser kleinen Teilen
nekrotischer, kernloser Grundsubstanz mit Resten der alten Verkalkungszone.
Nur an einer kleinen Stelle ganz am Rande hat sich ein Rest von ihm erhalten,
der auch noch Andeutung eines regelmässigen Aufbaues aufweist. Hier sind die
Zellen in lebhafter Vermehrung begriffen, und oft liegen zwei Kerne in einer
Zelle. Auf der nicht operierten Seite war der Knorpel noch wohl erhalten, nur
hatte seine Höhe abgenommen, da das Längenwachstum des Knochens von dieser
Epiphyse aus nahezu beendet war. Der Gelenkknorpel zeigt da, wo er erhalten
ist, normale Struktur und Zellen von gewöhnlicher Grösse und Form mit gleich-
massigen, gut gefärbten Kernen. An den Stellen, wo er zugrunde gegangen ist.
findet sich gefässreiches Bindegewebe, das auch sonst in grösserer Ausdehnung
seine Oberfläche bedeckt, von den Rändern her auf ihn überwuchernd, ln den
erhaltenen Knorpclzellen finden sich in der Nähe der nekrotischen Abschnitte
häufigere Mitosen, auch liegen die Zellen hier dichter gedrängt aneinander.
Aus dem Ergebnis der beiden letzten Versuche geht besonders
deutlich hervor, wie enorm wichtig es ist, dass das zu implan¬
tierende Gelenkstück genau gleiche Grösse und gleiche Konfigura¬
tion seiner Gelenkfläche hat, wie das entfernte. Ich kann die
Deformation des Ellbogengelenks bei diesen beiden Versuchen nur
als eine Reaktion auf die nicht vollständig kongruenten Epiphysen
auffassen, denn die Stellung des Transplantats war gut, und in
den anderen Versuchen, in denen die Transplantate hinsichtlich
Grösse und Form besser übereinstimmten, blieb eine solche starke
chronisch entzündliche Gclenkveränderung aus.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Frage der homoplastischcn Transplantationsfähigkeit usw. 499
Versuch 11 und 12. Austausch der Radiusküpfchen zwischen je einem
Tier des dritten und vierten Wurfes.
Kaninchen 11. Versuchsdauer 88 Tage.
Operation am 8. 4. 1913. Das Implantat fügte sich gut in das Gelenk
ein und nach kurzer Zeit setzte das Tier die operierte Extremität wieder wie
gewöhnlich an. Irgend welche Unterschiede zwischen den beiden Vorderläufen
waren während der ganzen Dauer des Versuchs nicht wahrzunehmen.
Am 5. 7. wurde das Tier getötet (88 Tage nach der Operation). Die
Stellung des Transplantats war gut, es stand genau End zu End mit der Radius-
diaphvsc; die Vereinigungsstelle war noch etwas verdickt, aber deutlich abge¬
grenzt. Ara Ellbogengelenk war im grossen und ganzen nichts Abweichendes
von dem der anderen Seite zu erkennen; nur an der Gelenkfläche des Radius
war der Gelenkkapselansatz an einer Stelle etwas auf den Knorpel übergegangen.
Der übrige Teil war vollkommen glatt und glänzend, von normaler Farbe. Rand¬
wucherungen waren nicht vorhanden. Der Intermediärknorpel war schon teilweise
verschwunden. Auf dem längsdurchschnittenen Präparat konnte man schon mit
Lupenvergrösserung sehen, dass er keine zusammenhängende gleichmässige Masse
mehr darstellte, sondern zu einzelnen kleineren und grösseren Partien zerfallen
war. Diese waren durch ein Gewebe voneinander getrennt, das auch die Mark¬
höhle fast vollkommen erfüllte. Auch zwischen den Spongiosabälkclien des
Radiusköpfchens, die viel dichter als auf dem Kontrollpräparat standen, war das
Gewebe derber und von anderem Aussehen als normales Mark.
Mikroskopischer Befund: An der Stelle, wovon der Gelenkkapsel her
sich Bindegewebe auf den Gelenkknorpel hinaufgeschoben hatte, findet sich eine
oberflächliche Knorpelnekrose, in der weder Zellen noch Kerne zu erkennen sind.
Diese abgestorbene Partie reicht von der Oberfläche bis nahe zur Mitte der
Knorpeldicke und vom Rande her bis etwa an die Grenze des äusseren Knöchels.
Eine zweite, kleinere nekrotische Stelle findet sich noch auf der anderen Seite
am Rande; doch war es hier zu keiner Bindegcwebsauflagerung gekommen. An
der ersten Stelle sieht man, wie sich vom Bindegewebe ganz feine Fortsätze in
die Oberfläche der Knorpelpartie hineinsenken. Sonst ist der Knorpel überall
gut erhalten, mit normaler Zellanordnung. Der Knochen im Bereich der Epi¬
physe ist überall abgestorben und teilweise, namentlich am Rande, schon durch
jungen Knochen ersetzt. Der Intermediärknorpel ist bis auf eine ganz kleine
Stelle am Rande, wo noch ein paar lebende Zellen erhalten sind, abgestorben,
l'eberall sieht man nur unscharf konturierte, leere Knorpelhöhlen ohne jede
Kernfärbung. Die Dicke der blass gefärbten Grundsubstanz ist im ganzen die¬
selbe wie normal, jedenfalls nicht grösser. Durch hineingewuchertes Bindegewebe
ist sie schon in mehrere Teile zerlegt. Reste der alten, verkalkten Grundsub-
stanz. sind noch reichlich vorhanden. In der Diaphyse des Transplantats ist
ebenfalls aller alter Knochen abgestorben; die Substitution durch neuen Knochen
ist hier aber schon weiter fortgeschritten, als in der Epiphyse. Die ganze Mark¬
höhle ist ausgefüllt von Bindegewebe und jugendlichem Knochengewebe, das
weiterhin direkt in den Callus der Vereinigungssteile übergeht. Markgewebe ist
nur sehr spärlich, in ganz kleinen Inseln vorhanden, die in den Bindegewcbs-
zügen liegen. Das Periost ist etwas verdickt und unregelmässig geschichtet.
Kaninchen 12. Versuchsdauer 65 Tage.
Operation am 8.4. 1913. Das Implantat passte sehr gut in das Gelenk
hinein. Das Tier überstand den Eingriff gut und konnte seine operierte Ex¬
tremität schon nach 10 Tagen wieder wie die gesunde gebrauchen; irgend etwas
besonderes war an ihr während des Lehens nicht zu konstatieren.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
500
Fr. H. von Tapp ein er,
Digitized by
Am 12. 6. wurde das Tier getötet (G5 Taste naeh der Operation). Das
Ellbogengelenk der operierten Seite machte makroskopisch einen vollkommen
normalen Eindruck. Alle Gelenkknorpel, auch der des Radiusköpfchens, waren
glatt und spiegelnd, mit zartbläulicher Farbe. Nekrotische Stellen oder Wuche¬
rungen an den Rändern konnten nicht nachgewiesen werden. Die Gelenkkapsel
setzte am Radius an normaler Stelle an und war auf der Innenseite vollkommen
glatt und glänzend. Der Gelenkspalt zwischen Radius und Humerus schien
etwas erweitert. Die Epiphysenlinie war als schmale, etwas unregelmässige
Linie zu erkennen, wahrend sie auf dem Kontrollpräparat viel deutlicher und
auch etwas höher war. Das Transplantat stand an der Vereinigungsstelle mit
dem Radius naeh der Seite der Ulna hin, etwa um die Breite der Compacta
verschoben; die Callusbildung war deshalb in diesem Falle auch stärker als
sonst und das Transplantat durch eine breite Knochenspange mit der Ulna ver¬
bunden. Die Länge des Transplantats betrug 10 mm, ein Längenwachstum
hatte also sicher nicht stattgefunden; die Markhöhle war abgeschlossen. Auf
dem längshalbicrtcn Präparat konnte man mit Lupenvergrösserung erkennen,
dass der lntermediärknorpel seine regelmässige Anordnung verloren hatte, dass
seine Ränder ausgezackt und seine Farbe eine mehr gelbliche geworden war.
An einer Randstelle schien die Veränderung am stärksten zu sein. Hier war
die Knorpeldieke auch geringer als im übrigen Teil. Der Diaphysenabscbnin
des Transplantats war im ganzen durch auf der Aussenseite erfolgte Knochen¬
auflagerungen verbreitert. Eine Verkürzung des Radius bestand nicht, auch
keine abnorme Verkrümmung der Ulna.
Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpel ist vollkommen normal
erhalten und nirgends findet sich eine nekrotische Stelle; überall sind die Zellen
wohl geformt und in gewöhnlicher Anordnung. Auch die Kerne zeigen keinerlei
Abweichung hinsichtlich Form und Grösse, sowie in ihrem tinktoriellen Verhalten.
Auch bei genauester Durchsicht vieler Schnitte konnte nirgends eine Unregel¬
mässigkeit des Knorpels oder Randwucherungen w r ahrgcnommcn werden. Im
ganzen Transplantat ist der alte Knochen abgestorben und kernlos geworden.
Nur in einzelnen Knochenhöhlen in der Spongiosa, der Epiphyse und der Com¬
pacta sieht man noch hier und da kleine tiefgefärbte Reste von Kcrntrümniern.
Der Ersatz des abgestorbenen Knochens durch neuen Knochen ist in der Dia-
physe am weitgehendsten fortgeschritten. Am meisten alte Knocheubälkchcn
sind noch in der Epiphyse vorhanden, wo noch mehr toter als lebender Knochen
zu sehen ist. Vom Intermediärknorpel ist die Grundsubstanz in ihrer äusseren
Form noch fast vollständig vorhanden, nur an einer Stelle reicht sie nicht
mehr bis ganz an den Rand heran; hier ist sic auch beträchtlich niedriger ge¬
worden, so dass der ganze Knorpel die Form eines stumpfen Keils angenommen
hat. Nirgends im Knorpel sieht man noch lebende Zellen; alle Zellen sind
kernlos, ihre Grenzen zum Teil sehr verwischt; nur in manchen Zeilen lassen
sich noch Kerntrümmer feststellen. Dicht unter dem Periost, mitten im neu-
gebildeten Knochengewebe, liegt eine kleine Knorpelinsel mit grossen, korn¬
reichen Zellen. Diese Zellen liegen aber regellos und ohne Andeutung an
Säulenknorpelstruktur; auch steht diese Knorpelinsel nicht mit dem Intermediär¬
knorpel in Verbindung, so dass es fraglich erscheint, ob sie von ihm abstammt,
oder vom Periost herriihrt. Eine ähnliche Knorpelzellansammlung liegt auch
im Callus der Vereinigungsstelle von Transplantat und- Radiusdiaphyse, eben¬
falls nahe unter dem Periost. Die ganze Markhöhle des Transplantats ist mit
jugendlichem Bindegewebe ausgefüllt und durchzogen von zahlreichem Netzwerk
osteoiden Gewebes und feinen Bälkehcn neuen Knochens. Vom Mark ist im Be¬
reich des Transplantats sehr wenig zu sehen; nur ganz vereinzelt finden sich.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw.
501
in der Diaphyse häufiger als in der Epiphyse, kleine Anhäufungen myeloider
Zellelemente. Das Periost ist überall verdickt, namentlich an der Vereinigungs-
Stelle und besonders im Bereich der Diaphyse des Transplantats.
Versuch 13 und 14. Austausch der Radiusköpfehen zwischen je einem
Tier des dritten und vierten Wurfes.
Kaninchen 13, operiert am 10. 4. 1913. In diesem Falle trat keine primäre
Heilung ein; der Verband war am dritten Tage mit Wundsekret getränkt, und
beim Verbandwechsel zeigte sich, dass die Hautwunde nicht aseptisch geblieben
war. Das Implantat stiess sich dann, nachdem einige Tage nachher die Wunde
vollkommen aufgegangen war, im ganzen aus. Der Defekt schloss sich durch
sekundäre Heilung ziemlich langsam.
Kaninchen 14, operiert am 10. 4. 1913. Auch hier kam es nach vorüber¬
gehender primärer Heilung nach 10 Tagen zu einer Fistelbildung; aus dieser
Fistel kam bald das Diaphyscnende des Transplantats zum Vorschein, und nach
einigen Tagen stiess sich das ganze Transplantat in toto aus,- worauf die Fistel
langsam ausheilte.
Warum es in diesen beiden Fällen, die genau so behandelt
und operiert worden waren wie alle anderen, zu einer Eiterung ge¬
kommen wal", konnte nicht festgestellt werden.
Versuch 15 und 16. Austausch der Radiusköpfchen zwischen je einem
Tier des dritten und vierten Wurfes.
Kaninchen 15. Versuchsdaucr 112 Tage.
Operation am 12. 4. 1913. Das Transplantat stellte sich gut ein und
seine Gelenkfläche passte glatt in das Ellbogengelenk des Empfängers hinein.
Die Extremität war nach 12 Tagen vollkommen gebrauchsfähig und blieb es bis
zum Ende des Versuchs.
Am 12. 8. wurde das Tier getötet (112 Tage nach der Operation). Das
Ellbogengelenk sah vollkommen normal aus, und auch am Gelenkknorpcl des
Radiusköpfchens war nirgends ein Defekt oder eine nekrotische Stelle zu sehen.
Die Gelenkkapsel setzte an gewöhnlicher Stelle an und war nirgends auf den
Gelenkabschnitt übergegangen, auch Randwucherungen waren nicht vorhanden.
Das ganze Transplantat war aber erheblich kürzer, als es bei der Operation
gewesen war; es hatte nur eine Länge von 7 mm (gegen 10 mm bei der Opera¬
tion). Die Dicke des Transplantats hatte dagegen ziemlich bedeutend zugenommen
und seine Oberfläche war nicht mehr glatt und regelmässig, sondern durch be¬
trächtliche Knochenauflagerungen verunstaltet (Fig. 6). Vom Intermediärknorpel
war auf dem längsdurchschnittenen Präparat nichts mehr zu erkennen. Eine
Markhöhle fehlte vollständig, ebenso jede regelmässige Knochenstruktur. Mit der
Ulna bestand an der Vereinigungsstelle des Transplantats mit der Radiusdiaphyse
eine zarte knöcherne Verwachsung. Die Gesamtlänge des Radius war genau so
gross wie auf der gesunden Seite. Offenbar hatte auch hier die distale Epiphyse
durch vermehrte Arbeitsleistung eine Verkürzung des Knochens verhindert, die
sonst bei der teilweisen Resorption des Transplantats und dem Xichtfunktionieren
der proximalen Epiphysenlinie unbedingt hätte eintreten müssen. Das Periost
des Transplantats war erheblich verdickt und fester mit dem Knochen verwachsen
als es sonst normalerweise der Fall ist. Die geschilderten Veränderungen sind
auf der Zeichnung deutlich zu erkennen.
Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpcl des Radiusköpfchens
lässt nirgends irgend eine Unregelmässigkeit erkennen. Alle seine Zellen sind
W’ohl gestaltet und mit scharf konturierten, gut gefärbten Kernen versehen.
Nirgends findet sich auch nur die kleinste nekrotische Partie. An den Rändern
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
502
Fr. H. von Tappciner,
sind keinerlei Wucherungsvorgänge wahrzunehmen, überall sieht der Gelenk¬
knorpel genau so aus wie auf der gesunden Seite. Der Knochen der Epiphyse
ist grösstenteils schon durch neuen ersetzt. Vom Intermediärknorpel ist nurmehr
ein ganz kleines Stückchen kernloser, gleichmässig mattgefärbter Grundsubstanz
vorhanden und geringe, intensiv gefärbte Reste der alten präparatorischen Ver¬
kalkungszone. Der Abstand zwischen dem Gelenkknorpel und dem Intermediär¬
knorpelrest ist kleiner, als er in normaler Weise sein dürfte, und die dazwischen¬
liegende Spongiosa ist dadurch auch niedriger als gewöhnlich, zeigt aber schönen,
Fig. 6.
t
a b
Kaninchen 15. Versuchsdauer 112 Tage. Der Gelenkknorpel des Transplantats
ist tadellos erhalten; dagegen ist eine erhebliche Verkürzung des Transplantats
eingetreten, während die Gesamtlänge des Radius der operierten Extremität b «ier
der anderen Seite a vollkommen gleich ist. t Transplantat.
feinmaschigen Bau mit zahlreichen Inseln normalen Markgewebes. Distal vom
Intermediärknorpelrest liegt eine fast ausschliesslich aus neugebildetem Knochen
bestehende, niedrige Schicht, die unmittelbar als Gallus in die Diaphyse des
Radius übergeht. Nur wenige alte kernlose Knochcnstückchen sind hier noch
vorhanden. Auch hier finden sich zwischen dem jugendlichen Spongiosanetzwerk
zah lreiche Marki n se 1 n.
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw.
503
Kaninchen 16. Versuchsdauer 117 Tage.
Operation am 12.4. 1913. Das Transplantat fügte sich gut in das Ge¬
lenk ein und liess sieh leicht in guter Stellung fixieren. Die operierte Extremität
war nach 10 Tagen wieder voll gebrauchsfähig und das Tier unterschied sich
von da ab in nichts mehr von einem gesunden.
Am 7. 8. wurde das Tier getötet (117 Tage nach der Operation). Am Ell¬
bogengelenk der operierten Extremität war ein deutlicher Unterschied gegen das
der anderen Seite zu erkennen. Die Knorpel waren zwar überall glatt und
glänzend, auch am Radiusköpfchen, und ein Knorpeldefekt oder eine Nekrose
konnte nicht nachgewiesen werden, aber der Abstand der Radiusgelenkfläche
vom Humerus war deutlich vergrössert und die etwas verdickte Gelenkkapsel
hatte sich an einem Rande auf den Knorpel hinaufgeschoben. An dieser Stelle
war der Knorpel auch etwas gewuchert und unregelmässig. Das Transplantat
Fig. 7.
KnN Knorpelnekrose. KnW Knorpelwucherung. B Bindegewebe. iKn Reste
alten toten Knochens. IKn lebender neugebildeter Knochen. M .Markgewebe.
HvG Reste verkalkter Grundsubstanz. (Vergrösserung 54fach, Zeiss, Oc.2, Obj.aa.)
war im ganzen etwas verdickt und sein periostaler Ucberzug nicht so glatt und
gleichraässig wie sonst. Mit dem Radius war es fest knöchern verheilt, jedoch
konnte sein Ende noch deutlich auf dem längsdurchschnittenen Präparat im
Callus erkannt und so seine Länge bestimmt werden. Sie betrug knapp 9 mm;
das Transplantat war jedenfalls verkürzt. Vom Epiphysenknorpel war nichts
mehr zu sehen. Die Markhöhle des Transplantats war ausgefüllt teils durch
Knochenbälkchcn, teils durch Bindegewebe. Die Gesamtlänge des Radius am
operierten Bein war ungefähr 1 mm kürzer als die des gesunden.
Mikroskopischer Befund (Fig. 7): An einer Randstcllc des Radius¬
gelenkknorpels sieht man eine kleine, aber ziemlich tief gehende Knorpelnekrose,
in die der gesunde Knorpel zapfenförmige Fortsätze hineinschickt. Bindegcwebs-
auflagerung ist hier nicht vorhanden. Am anderen Rande ist es zu einer be¬
trächtlichen Knorpelwucherung gekommen, die zu einer erheblichen wallartigen
Erhebung geführt hat. An dieser Stelle liegt der Knorpeloberfläche eine dünne
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
504
Fr. H. von Tapp ein er,
Digitized by
Bindegewebs läge auf, die nach der Mitte zu fein ausläuft. Tm übrigen zeigt der
Knorpel regelmässige Struktur. Der knöcherne Anteil der Epiphyse hat ein fast
vollkommen normales Aussehen und feinen spongiösen Bau aus jugendlichem
Knochen mit zahlreichen Einsehliessungen von Markgewebe, das alle gewöhn¬
lichen myeloiden Elemente enthält. Nur ganz vereinzelt sind noch kleine,
zackige, kernlose .Stückchen alten Knochens aufzufinden. Vom Intermediär¬
knorpel ist nichts mehr vorhanden. An seine Stelle ist faseriges Bindegewebe
getreten, das in niedriger Schicht das ganze Präparat quer durchzieht (auf der
Kontrollextmnität ist der Intermediärknorpel ebenfalls schon fast völlig ver¬
schwunden, aber an seine Steile ist hier Knochengewebe getreten). Es i>t an-
zunehmen, dass dieses Bindegewebe, das auf beiden Seiten mit dem Periost im
Zusammenhang steht, schon frühzeitig in den nekrotischen Knorpel liinein-
gewuchert, ist und ihn ersetzt hat. Reste der ehemaligen, präparatorischen Ver¬
kalkungszone sind noch in geringer Menge vorhanden. Die Diaphvse des Trans¬
plantats besteht aus einem Netzwerk feiner, junger Knochenbälkchen. zwischen
denen Mark und Bindegewebe liegt; eine eigentliche Compacta, ist nicht da.
Die Spongiosamasse geht unmittelbar in den Callus über, und erst von hier an
lässt sieh wieder die Compacta der Radiusdiaphyse erkennen, die weiter proxirnai
bald normale Form annimmt mit normal weiter Markhöhle.
Ueberblick über die Versuchsergebnisse.
Uebereinstimmend bei allen Versuchen wurde gefunden, dass
die Transplantate in den ersten drei bis vier Wochen ihre äussere
Formen ziemlich genau beibehalten und dass sie in dieser Zeit
wenigstens für die Untersuchungen mit Röntgenstrahlen irgend eine
Veränderung nicht erkennen lassen. Später traten dann aber in
dem grösseren Teile der Fälle so weitgehende Umgestaltungen der
Form auf, dass sie auch im Röntgenbild stets auffielen. Nur in
ein paar Versuchen (Kaninchen 1, 3 u. Fig. 1, 2) blieben sie aus.
Der geringsten Veränderung war stets der Gelenkknorpel unter¬
worfen. In allen Fällen, wo das Transplantat gut in das Gelenk
hineinpasste und weder grösser noch kleiner war als das entfernte
Gelenkstück, kam es, wenn überhaupt, zu relativ geringfügigen
Umformungen, die sich in Knorpelwucherungen der Ränder, in
Nekrosen kleiner Knorpelabschnitte und in Ueberwuchern von Binde¬
gewebe auf und in dem Knorpel äusserten. Die Knorpelnekrosen
sind in der Regel auf die Oberfläche beschränkt und wohl als Re¬
aktionen auf mechanische Insulte aufzufassen; denn die Oberflächen
der Knorpelschichten stellen sich doch hinsichtlich des Anschlusses
an die ernährende Gewebsflüssigkeit des neuen Bodens am
günstigsten und müssten also am sichersten am Leben bleiben.
In der Umgebung der nekrotischen Partie waren die erhaltenen
Zellen meist in lebhafter Vermehrung begriffen, kenntlich an den
häufigen Mitosen und daran, dass die Zellen dichter gedrängt lagen.
Freie, abgestossene Knorpelstückchen habe ich in den Gelenken
nie gefunden. Wenn die Implantate aber von vornherein nicht
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Frage der homoplastischeu Transplantationsfähigkcit usw.
505
anatomisch genau in die Gelenke hineinpassten, reagierten die Ge¬
lenkflächen auf diese Inkongruenz stets mit starken destruktiven
Veränderungen, verbunden mit unregelmässigen Knorpel- und Binde¬
gewebswucherungen (Kaninchen 9, 10), so dass Bilder entstanden
genau von der Form, wie sie bei der Osteoarthritis deformans
chronica des Menschen bekannt sind, ln allen übrigen Fällen blieb
der Knorpel aber gut erhalten (s. Fig. 1, 2, 6); auch seine Struktur
erlitt keine wesentlichen Veränderungen; immer konnte man die
ihm, ähnlich wie die IntermediäFknorpel, eigentümliche Dreischich¬
tung in ruhenden Knorpel, Säulenknorpel und Verkalkungszone
gut unterscheiden. Der Gelenkknorpel spielt ja für die Epiphyse
eine ähnliche Rolle, wie der Intermediärknorpel für die Diaphyse,
und auch an seiner Knorpelknochengrenze geht enchondrales Wachs¬
tum vor sich. Durch die Transplantation wird aber der Knorpel,
trotzdem er s"eine Vitalität erhält, doch so geschädigt, dass ein
Wachstum in die Dicke an ihm zu keiner Zeit beobachtet werden
konnte. Ein solches müsste sich aber doch einstellcn, da ja durch
das Absterben des darunterliegenden spongiösen Knochens und des
grössten Teils des Markgewebes die weitere enchondralc Verknöche¬
rung sehr lange aufgehalten wird. Erst längere Zeit nach der
Transplantation lässt sich erkennen, dass in der Epiphyse des
Transplantates teils vom alten regenerierten, teils vom neuen in
sie hineingewachsenen Mark- und Bindegewebe aus neue Knochen¬
bildung erfolgt, und zwar, je w r eiter nach der Mitte zu, um so
später. Noch mehrere Wochen nach der Transplantation sieht
man in allen Versuchen der Verkalkungszone des Gelenkknorpels
fast ausschliesslich alte, kernlose Knochensubstanz anliegen; zu
einer neuen enchondralen Verknöcherung ist es in dieser Zeit noch
nicht gekommen. Es müsste daher, vorausgesetzt eben, dass der
Knorpel seine volle Wachsturaskraft ungeschädigt durch die Ver¬
pflanzung beibehalten hat, zu einem Höhenwachstum kommen. Da
das aber nicht der Fall ist, muss, wenn man nicht in dem Aus¬
bleiben der enchondralen Verknöcherung und einem dadurch fehlen¬
den Anreiz die Ursache sehen will, angenommen werden, dass der
Knorpel doch, trotz der Erhaltung seiner äusseren Form, trotz der
normalen Gestaltung seiner Zellen und der guten Färbbarkeit seiner
Vitalität in seiner Proliferationsfähigkeit gelitten hat. Dass einzelne
kleinere Abschnitte, besonders in der Umgebung der nekrotischen
Knorpelpartieen eine lebhaftere Kernteilung aufweisen, als Zeichen der
einsetzenden Regeneration, widerspricht dem nicht. Die von x\x-
hausen beschriebene Dreischichtung des Knorpels, auf die ich in
meiner ersten Arbeit auch mehrfach hingewiesen habe, sah ich
bei dieser Versuchreihe nicht; und zwar deshalb, weil zwischen der
Digitized by
Go^ 'gle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
506
Fr. H. von Tapp einer.
Digitized by
Verpflanzung und der Präparatentnahme immer schon mehrere
Monate vergangen waren und dadurch die cellulare Substitution
der tiefer gelegenen Knorpelschichten schon weit fortgeschritten
bzw. vollendet war, vorausgesetzt, dass überhaupt ein Absterben
dieser Schichten stattgefunden hat. Nur einmal sah ich noch einen
Rest einer Knorpelnekrose in einer tieferen Schicht (Kaninchen 8
und Fig. 5). Einen Unterschied im Verhalten des Gelenkknorpels
bei Transplantation zwischen Blutsverwandten und Nichtbluts¬
verwandten habe ich nicht feststellen können.
Was den Intermediärknorpel betrifft, so waren die Resultate
mit ihm bei weitem ungünstigere. Einen vollen Erfolg hatte ich
nur zweimal (Kaninchen 1 und 3); denn das eine Mal war er fast
vollkommen erhalten geblieben (Fig. 1), nicht nur anatomisch, son¬
dern auch physiologisch, und hatte in normaler Weise weiter
gearbeitet. Das zweite Mal musste es ebenso gewesen sein, wenn
auch der Knorpel selbst bei der Präparatentnahme schon ver¬
schwunden war, denn das Transplantat war deutlich in die Länge
gewachsen (Fig. 2). Diese beiden Fälle waren Verwandten-Trans-
plantationen. Ich möchte aber auf die Blutsverwandtschaft als
Ursache für das gute Gelingen dieser beiden Versuche kein be¬
sonderes Gewicht legen, da die anderen Ueberpflanzungen bei bluts¬
verwandten nicht anders ausgefallen sind als bei den nicht bluts¬
verwandten -Tieren. In all diesen Fällen war der Intermediär¬
knorpel entweder vollständig zugrunde gegangen oder es hatten
sich nur ganz minimale Teile von ihm erhalten, die noch Zell-
und Kernfärbung annahmen. Der abgestorbene Knorpel, bei dem
dann auch allmählich die Zellgrenzen verschwinden, wird langsam
durch Bindegewebe ersetzt, das teilweise durch die Diaphvse in
ihm vordringt, teilweise direkt von aussen aus dem Periost oder
dem Gewebe des umgebenden Mutterbodens an ihn gelangt. Er
wird angenagt, zerfällt in einzelne Stücke und wird endlich ganz
resorbiert; an seine Stelle tritt Bindegewebe, das später auch durch
jungen Knochen ersetzt werden kann. Von den meist sehr kleinen
erhaltenen Partien aus kommt es nur zu unbedeutenden unregel¬
mässigen Knorpelwucherungen, die keine deutliche Struktur mehr
erkennen lassen. Für das Längenwachstum kommen diese Teile
nicht mehr in Betracht. Eine Verbreiterung des Intermediärknorpels
durch Quellung habe ich, wenigstens bei der Untersuchung durch
Röntgenstrahlen, nie sehen können, weder bald nach der Trans¬
plantation noch später.
Wenn trotz des Zugrundegehens des Zwischenknorpels und
des damit verbundenen Ausbleibens des Längenwachstums von
dieser Epiphyse aus eine Verkürzung des ganzen Radius sehen,
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 507
und wenn, dann nur in ganz geringem Grade eintrat, so kann ich
das nur dadurch erklären, dass die distale Epiphyse durch ver¬
mehrte Arbeitsleistung den Ausfall der proximalen deckte. Es ist
ja bekannt, dass am Radius das Längenwachstum schon normaler
Weise überwiegend durch den distalen Epiphysenknorpel gewähr¬
leistet wird, während der proximale nur eine geringe Rolle dabei
spielt. Dass der Epiphysenknorpel im Gegensatz zum Gelenk¬
knorpel in der Form der halben Gelenkverpflanzung soviel schlech¬
tere Transplantationsfähigkeit besitzt, obwohl er doch ein diesem
sehr ähnliches Gewebe darstellt und dieselben Elemente wie dieser
enthält, kann im wesentlichen nur dadurch begründet sein, dass
die ernährende Gewebsflüssigkeit des neuen Bodens schwerer an
ihn herankommt, während der Gelenkknorpel gleich von vornherein
wieder von Synovialflüssigkeit umgeben ist.
Nur bei zwei Fällen dieser Versuchsreihen war, wie schon ge¬
sagt, das Resultat ein wesentlich besseres. Warum bei diesen
beiden Tieren sich die Implantate so vollständig erhalten haben
und bei allen andern genau so behandelten so wenig gut, kann
ich nicht erklären. Vielleicht reagierten zufällig bei diesen beiden
Tieren die Gewebsflüssigkeiten mit ihren Eiweisskörpern weniger
giftig aufeinander als bei den andern. Möglich ist es jedenfalls,
und eine andere Erklärung dafür habe ich nicht.
Vom Markgewebe haben sich in allen den Fällen, in denen
die Transplantate nicht vollständig zugrunde gegangen waren,
immer wenigstens kleine Reste erhalten. Von diesen aus ist dann
im Verein mit Markelcmenten, die mit dem Bindegewebe aus dem
Mutterboden in das Transplantat hineingekoramen waren, der Auf¬
bau grösserer Markinseln und auch zusammenhängender Marklager
erfolgt, die alle normalen Bestandteile aufwiesen.
Das Knochengewebe geht immer zugrunde. Im Anfang färben
sich seine Kerne noch gut und haben gewöhnliche Form, dann
aber schrumpfen sie, zerfallen in einzelne Trümmer, die sich in¬
tensiver färben, endlich aber nach zwei bis drei Monaten ver¬
schwinden sie ganz; man findet dann nur mehr leere Knochen¬
höhlen. Die tote Knochensubstanz wird allmählich aufgelöst und
resorbiert; an sie legt sich zunächst osteoides Gewebe an, von
dem aus dann die Bildung von jugendlichem Knochengewebe er¬
folgt, dass an die Stelle der alten Knochenbälkchen tritt. Die
Zellen und Kerne des neuen Knochens sind anfangs immer etwas
grösser und färben sich nicht so intensiv, mit der Zeit werden sic
dann kleiner, bis sie die gewöhnliche Grösse erreicht haben, und
färben sich auch stärker. Das Periost bleibt stets zum mindesten
grösstenteils am Leben und behält seine knochenbildende Fähigkeit.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107 Heft 3
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
508 Fr. H. von Tappeiner, Homoplastischc Transpiantationsfähigkeit usw.
Digitized by
Die Frage der homoplastischen Transplantation ist noch durch¬
aus ungenügend geklärt. Es ist zwar erwiesen, dass hie und da eine
homoplastische Ueberpflanzung gelingt, aber irgend eine Gesetz¬
mässigkeit für das Gelingen ist noch nicht gefunden. Weitere Ver¬
suche in dieser Richtung sollen gemacht werden, und der Knorpel
scheint mir für das Studium dieser Verhältnisse besonders geeignet
zu sein, weil er in Form der halbseitigen Gelenkverpflanzung sich
so ausgezeichnet in ein adäquates Bett überpflanzen lässt und jede
Veränderung an ihm besonders deutlich in Erscheinung tritt.
Literatur.
1. Axliausrn, Feber den histologischen Vorgang bei der Transplantation von
Gelenkenden, insbesondere über die Transpiantationsfähigkeit von Gelcnk-
knurpel und Epiphysenknorpel. Areh. f. klin. Chir. Bd. 99. H. 1.
2. Borst, Versuche zur Transplantation von Gelenken. Verhandl. d. Deutschen
pathol. Gesellschaft. 1912.
3. Kn der len. Zur Keimplantation des resezierten Intcrmcdiärknorpels beim
Kaninehen. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. Bd. 51.
4. Galeazzi, Kieerehe clinichc e sperimentali sub trapianto della eartilairini
iuterepifisaria. Atti dcl XX. eongresso della soeieta italiana di chirurgia.
Koma 1907. Ref. Hildebrand's Jahresber. f. d. Jahr 1907.
5. Giani, R., Del trapianto della rartilagine eoniugale. (Transplantation von
Gelenkknorpel.) Areh. di ortop. T. 30. Xo. 3. p. G23. Ref. Centralbl. f.
d. ges. Fhir. u. ihre Grenzgeb. Bd. 4. Nr. 11. S. 7G5.
G. Gill, Transplantation of entire boncs with their joint surfaees. Annals «>f
surg. 1915. Juni. Xo. G. Ref. Centralbl. f. Chir. 1915. Nr. 42. S. 7G0.
7. Helferich, Zur Biologie wachsender Röhrenknochen. Verhandl. d. Deutschen
Gesellsch. f. Chir. 1S94.
8. Heller, Experimentelle Untersuchungen über die Transplantation des Inter-
mediärknorpels in Form der halbseitigen Gelenktransplantation. Areh. f.
klin. Chir. Bd. 104. S. 843.
9. Heller, Transplantation des Intermediärknorpels an den distalen Epiphysen
der Vorderarmknochen. Freie Vereinig, d. Chir. d. Kgr. Sachsen. 3. 5. 1913.
Centralbl. f. Chir. Jahrg. 40. Nr. 35. S. 137G.
10. Fucei, Ni colo, Innesti parziali e eompleti articolari in resezioni ulm-
radio-omcrali in animali da esperimento. (Teilweise und vollständige Auf-
pfropfurnr von (ielenkflächen bei ulno-radio-humeralen Resektionen im Ti*-r-
cxperimenl.) Clinica ehir. Annee 21. No. 4.' p. 805. Ref. Centralbl. f. d.
«res. Chir. u. ihre Grenzgeb. Bd. 2. S. 1GS.
11. Kehn, Die homoplastische Transplantation des Intcrmcdiärknorpels im
Tierexperiment. Areh. f. klin. Chir. Bd. 97. H. 1.
12. von Tappeiner, Studien zur Frage der Transplantationsfähigkeit des Epi¬
physenknorpels und des Gelenkknorpels. Zeitsehr. f. d. ges. exper. M«*L
Bd. 1. H. 5. S. 491.
13. Zoppi, Del tropianto della eartilagine interepifisaria. Areh. per le seien;'»*
mediehe. 1900. No. 21. Ref. llildebrand's Jahresber. 1900.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
XVIII.
Ueber Bauchschüsse, insbesondere über
Schussverletzungen der Leber.
Von
Dr. E. Liek,
Stabsarzt <1. Res. i» einem Feldlazarett.
Die ärztlichen Beobachtungen der letzten grossen Kriege —
Burenkrieg, russisch-japanischer Krieg, die beiden Balkankriege —
haben die Entwicklung der modernen Kriegschirurgie gewiss ausser¬
ordentlich gefördert. Umsomehr waren wir Chirurgen im Felde
überrascht, in wie vielen und grundlegenden Anschauungen wir in
diesem grössten aller Kriege umlemen mussten.
Hatte man uns z. B. nicht gelehrt, die Schusswunden seien in
ihrer Mehrzahl als aseptische Wunden anzusehen? Und war dies
nicht noch in den ersten Wochen des Krieges in voreiligen Publi¬
kationen behauptet worden? Wie waren wir in unserem Feld¬
lazarett erstaunt, als wir, einmal eingerichtet, fast nur infizierte
Schusswunden sahen. Mindestens drei Viertel unserer chirurgischen
Tätigkeit bestand in der Spaltung von infizierten Schusskanälen,
Behandlung von Phlegmonen, Freilegen vereiterter Knochenschüsse
und dergleichen.
Dieser Widerspruch zwischen dem, was wir erwartet hatten,
und dem, was wir in Wirklichkeit sahen, zeigte sich auch in andern
wichtigen Fragen. Von kompetentester Seite lasen wir in unsern
Fachblättern Aufsätze über Verletzungen durch Dumdumgeschosse.
Aus der Grösse des Ausschusses im Verhältnis zum Einschuss
wurde nach Analogie der Wirkung von Jagdwaffen die Diagnose
auf Dumdum gestellt. Wir draussen sahen aber oft täglich An¬
gehörige des feindlichen Heeres mit genau solchen Wunden, obwohl
unsere Soldaten Dumdumgeschosse nicht verwenden. Wir lernten,
sehr bald, dass selbst aus einer erheblichen Differenz von Aus-
und Einschussgrösse allein in keiner Weise auf Dumdum, selbst
nicht immer auf Nahschuss geschlossen werden darf.
34 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
510
E. Lick,
Digitized by
Wie sind solche Widersprüche zu erklären? Die Menge Ver¬
wundeter, die einer Sanitätsformation nach einem grösseren Gefecht
Zuströmen, zwingt zu rascher, fortdauernder Evakuation. Daher
sieht der einzelne Arzt die Verwundeten im allgemeinen nur in
einer kurzen Spanne Zeit. Die Eindrücke, die er gewinnt, sind
verschieden, je nach dem Zeitpunkt, in dem er die Verletzten
sieht. Ein Beispiel: es sind eine Anzahl frischer, gut geschienter
Knochenschüsse in das Feldlazarett eingeliefert. Müssen wir sie
am zweiten, dritten Tage weitertransportieren, so behalten wir
durchaus den Eindruck, die überwiegende Mehrzahl verlaufe asep¬
tisch. Bleiben die Verletzten aber länger im Lazarett, über den
vierten, fünften, sechsten Tag hinaus, so beginnt das Fieber, Abszesse
stellen sich, es werden Eingriffe notwendig usw.
Bis Schwerverwundete wirklich in stationäre Behandlung
kommen, kann eih grosser Teil schon ausgesiebt, d. h. in den
vorderen Sanitätsformationen gestorben sein. Ganz besonders wird
dies der Fall sein beim Bewegungskrieg über grosse Entfernungen
hin, wie wir ihn im Osten mehrfacli mitgemacht haben.
Der einzelne Arzt verliert also im allgemeinen den Ver¬
wundeten, den er versorgt hat, sehr bald aus dem Auge. Das
Fehlen einer umfassenden Uebersicht, die Unmöglichkeit, das Er¬
gehen seiner Verwundeten und Operierten weiter zu verfolgen, er¬
schwert die wissenschaftliche Verarbeitung des Gesehenen ausser¬
ordentlich, mahnt aber auch ferner zu grosser Vorsicht. Wenn
z. B. Heimatlazarette berichten, dass ihre Oberschenkelschüsse aus¬
nahmslos heilten, so ist das ein gewiss sehr erfreuliches und
beneidenswertes Resultat. Nur darf daraus nicht der Schluss ge¬
zogen werden, die Schussfrakturen des Oberschenkels hätten eine
gute, selbst leidlich gute Prognose. Wir draussen sehen die Fälle,
die gar nicht mehr in die Heimat gelangen.
Und umgekehrt, wie selten hören wir von dem weitern Er¬
gehen unserer Schädelschüsse, die wir operiert haben, der Lungen¬
schüsse, die wir unter günstiger Prognose rückwärts transportierten.
Hier wartet eine gewaltige, aber auch lohnenswerte und wich¬
tigste Arbeit, eine Arbeit, die wohl erst Jahre nach dem Kriege
vollendet sein wird: eine Zusammenfassung, ein Rechnunglegen in
grossen Zahlen über das, was in diesem Kriege ärztlich geleistet
ist, über das Verhältnis von Erfolgen und Misserfolgen. Bis dahin
können wir nur Einzelheiten, persönliche Eindrücke und Erfahrungen
bringen, Bausteine für das spätere Werk. Aber auch diese Bei¬
träge können, sofern sie nicht die nötige Vorsicht und Selbstkritik
vermissen lassen, das ihre tun, unsere bisherigen Anschauungen zu
revidieren, Irrtümer zu berichtigen.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungcn. der Leber. 511
Das Kapitel der Kriegschirurgie, in dem wir mit am meisten
haben umlernen müssen, ist das der Bauchschüsse. Wir alle sind
mit der lleberzeugung ins Feld gegangen, Bauchschüsse des Krieges
würden im allgemeinen nicht operiert. Der Ausspruch McCormac’s
„in diesem (Buren) Kriege stirbt ein durch den Bauch Ge¬
schossener, wenn er operiert wird; er bleibt am Leben,
wenn man ihn in Ruhe lässt“, war zum Gemeingut fast aller
Chirurgen geworden.
Eine Reihe von Veröffentlichungen aus der ersten Zeit des
Krieges schienen den Grundsatz zu bestätigen. 50, ja TOpCt.
(Rehn) Heilung der Bauchschüsse bei konservativer Behandlung,
mehr konnte man nicht verlangen. Allmählich wurden andere
Stimmen laut. Rotter 1 ) sah von 88 Bauchschüssen 81 sterben
bei nichtoperativer Behandlung. Perthes 2 ) folgerte aus seinen
Beobachtungen, dass von 100 Bauchschüssen nur 21 lebend das
Feldlazarett verlassen. Von diesen 21 waren aber 11 Bauch¬
schüsse ohne Organverletzung und nur 7 solche mit Verletzung
von Magen oder Darm (7 waren Leberschüsse). Ob diese 7,
namentlich die Fälle mit Kotfisteln, am Leben blieben, sei zweifel¬
haft gewesen.
Friedrich 3 ) berichtete, dass auf einem Hauptverbandplatz von
38 Bauchschüssen bis zum zweiten Tage 28 starben. Von 30 Dünn¬
darmschüssen in einem Feldlazarett starben 30. Friedrich empfahl
daher die konservative Behandlung nur bei Leber-, Magen- und
lateralen (Colon-) Schüssen.
Kraske 4 ) sah keinen einzigen Bauchschuss mit sicherer Darm¬
verletzung bei konservativer Behandlung durchkommen. Böhler 5 )
beobachtete 300 perforierende Bauchschüsse, die bis auf 6 operierte
konservativ behandelt wurden. Fast alle waren innerhalb der ersten
24 Stunden nach der Verwundung eingeliefert. Es starben 95pCt.,
der Rest wurde in hoffnungslosem Zustand zurückgelassen. Böhler
rechnet, dass etwa lOpCt. aller Schusswunden den Bauch betreffen.
Von den in die Divisions-Sanitätsanstalt (unserer Sanitätskompagnie
entsprechend) Eingelieferten waren aber nur 2 pCt. Bauchschüsse;
die übrigen müssen also schon auf dem Schlachtfelde und den
vordersten Verbandplätzen gestorben sein. Böhler zitiert
ferner einen Etappenarzt, der unter 10 000 Verwundeten nur
35 = 0,35 pCt. mit sicherer Darm Verletzung, davon viele mit
1) Rotter, Münchener med. Wochensehr. 1914. Nr. 49. Feldär/.tl. Beilage.
2) Perthes, Münchener med. Wochenschr. 1915. Nr. 15. Fcldärztl. Beilage.
3) Friedrich, Verhandlungen der Kriegschirurgentagung in Brüssel am
7. April 1915.
4) Kraske, Münchener med. Woclicnschr, 1915. Nr. 22. Fcldärztl. Beilage.
5) Böhler, Med. Klinik. 1915. Nr. 45.
Digitizeit by
Goi igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
512
E. Lick,
Digitized by
Darmfisteln, sah; auch ein Beweis, wie wenig Bauchschüsse mit
dem Leben davonkommen.
Also bei kritischer Nachforschung geradezu trostlose
Resultate der konservativen Behandlung. Diese Erkenntnis
bereitete den Umschwung vor. Es wurde erst vereinzelt, dann
immer mehr über günstige Erfolge der Operation von Bauch¬
schüssen berichtet. Und wie wir es in der Entwicklung der Friedens¬
chirurgie sehen, wurde auch hier die Indikation allmählich erweitert.
So wurde die anfängliche Vorschrift nur in den ersten 8 bis
10 Stunden (Enderlen) oder innerhalb der ersten 12 Stunden
[Schmieden 1 ), Kausch 2 ) u. a.] zu operieren, nicht mehr ein¬
gehalten.. Gewiss haben Operationen innerhalb dieser Zeit bessere
Aussichten; aber auch spätere Eingriffe haben manches, ohne
Operation verlorene Menschenleben erhalten können.
Die Schwere der Kriegsverletzungen — von den ungünstigeren
äusseren Umständen ganz abgesehen — erklärt, dass wir bei der
Operation der Bauchschüsse im Felde nicht so günstige Resultate
erwarten dürfen als bei Friedensverletzungen. Sieht man die
neueren Veröffentlichungen durch, so kann man sagen, dass etwa
ein Drittel der operierten Bauchschüsse geheilt wird.
Eine Zahl, gewiss verbesserungsbedürftig, aber doch ausgezeichnet
und ermutigend im Vergleich zu den ganz schlechten Resultaten
der konservativen Behandlung.
Unser Feldlazarett ist während der ersten 14 Monate des
Krieges nicht in der glücklichen Lage gewesen, Schussverletzungen
des Bauches so frisch und in solchem Zustande eingeliefert zu
sehen, um noch mit einiger Aussicht auf Erfolg operativ eingreifen
zu können. So schöne und ermutigende Erfolge, wie sie von
anderer Seite [Kraske 3 ), Läwen 4 5 ), Enderlen 6 ), Sauerbruch 6 ).
Kausch 7 ) u. a.] berichtet sind, haben wir daher nicht aufzu¬
weisen.
Nur 4 mal konnten wir in dieser Zeit bei Bauchschüssen primär
operieren, lmal bei einem Durchschuss mit mehrfachen Dünndarm-
und Dickdarmverletzungen, 3mal bei Darmprolaps mit Darra-
perforation. Bei allen 4 Verwundeten waren mehr als 24 Stunden
1) Schmieden, Verhandlungen der Kriegsehirurgentagung in Brüssel am
7. April 1915.
2) Kausch, Med. Klinik. 1915. Nr. 51.
3) Kraske, Münchener mcd. Wochensehr. 1915. Nr. 33. Feldärztl. Beilage.
4) Läwen, Münchener med. Wochensehr. 1915. Nr. 22. Feldärztl. Beilage.
5) Enderlen. Verhandlungen der Kriegsehirurgentagung in Brüssel am
7. April 1915.
6) .Sauerbruch, Verhandlungen der Kriegsehirurgentagung in Brüssel am
7. April 1915.
7) Kausch, 1. c.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 513
zwischen Verletzung und Operation verflossen; sämtliche starben
kurze Zeit nach dem Eingriff.
6mal mussten wir bei Bauchschüssen sekundär operieren, um
Kotabsccsse oder inflzierte Hämatome zu entleeren. 3 der Ope¬
rierten starben. Die andern 3 konnten wir zwar lebend abtrans¬
portieren, aber zum mindesten einer ist noch im Heimatlazarett
gestorben.
Alle übrigen ßauchschussverletzten wurden konservativ be¬
handelt, unter Morphium und vorsichtiger Diät. Ich erwähnte, mit
welch hohen Erwartungen bezüglich der konservativen Behandlung
•der Bauchschüsse wir alle ins Feld gegangen sind. Es hat mehrerer
Monate und noch längerer Zeit bedurft, um unsere Anschauungen
hier wie in andern Gebieten der Kriegschirurgie zu modifizieren.
Was uns bei unsern Bauchschussverletzten sehr bald auffiel,
war der ausserordentliche Wechsel des klinischen Bildes, die krassen
Gegensätze zwischen einzelnen Verletzten. Den ersten Bauchschuss¬
verletzten, einen jungen. kräftigen Unteroffizier, sahen wir Ende
August 1914 auf dem Bahnhof S. Diagnose „Magenschuss“, Ein¬
schuss zwischen Nabel und Schwertfortsatz, Ausschuss in gleicher
Höhe hinten. Es waren 10 bis 12 Stunden seit der Verwundung
vergangen. Man sah aber dem Manne nichts von seiner schweren
Verletzung an. Sehr vergnügt sass er auf seinem Stuhl und wurde
2 mal dabei betroffen, wie er trotz strengsten Verbots eine dicke
Butterstulle vertilgte. Und dann wieder die Kehrseite des Bildes:
in den schweren Kämpfen in Polen Ende Januar 1915 wurden
oines Abends 6 Bauchschüsse, alle beim Sturmangriff am Morgen
dieses Tages verletzt, auf meine Station gebracht. Alle boten das
gleiche, ganz trostlose Bild des dem sichern Tode Verfallenen.
An einen operativen Eingriff war gar nicht zu denken. 5 starben
in derselben Nacht, der sechste am nächsten Morgen.
Wir haben uns bemüht, diese Unterschiede im klinischen Bild
der Bauchschüsse — einmal denkbar gutes Wohlbefinden, ein anderes
Mal das trostlose Bild schnellsten Verfalls — aufzuklären. Einblick
durch Operation oder Sektion war uns nur in wenigen Fällen ver¬
gönnt. Unser Hauptaugenmerk richteten wir daher auf die genaue
Untersuchung und Beobachtung der Geheilten oder richtiger gesagt,
der Abtransportierten. Welchem glücklichen Umstande verdanken
diese ihr Leben?
Bei dem ausserordentlich wechselnden Material, das je nach
der Kampfesart — ob Stellungs- oder Bewegungskrieg — und
nach dem Ort der jeweiligen Einrichtung einem Feldlazarett zu¬
strömt, muss man sich natürlich hüten, die Schlüsse aus solchen
Beobachtungen zu verallgemeinern. Andererseits scheinen mir die
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
514
K. Lick,
Digitized by
von uns beobachteten Fälle zahlreich genug, um auf beschränktem
Gebiet unsere Kenntnisse zu erweitern.
Ich gebe zunächst einige Zahlen. Unser Feldlazarett war in
den ersten 14 Kriegsmonaten 267 Tage eingerichtet. A r on den Ver¬
wundeten starben 6pCt. in dieser Zeit. Unter den Verwundeten waren
2,5 pCt. Bauchschussverletzte. Davon starben 55 pCt. Der Rest.
45 pCt., wurde in rückwärtige Lazarette abtransportiert. Für diese,
wenn nicht Geheilten, so doch lebend Weitertransportierten, habe ich
mich besonders interessiert und den Bedingungen nachzugehen ver¬
such^ denen sie ihr Leben verdanken.
6 von diesen Verwundeten scheiden noch aus. Es sind dies
weiter vorn operierte Bauchschüsse, die grösstenteils unser Lazarett
nur passierten, um auf den nächsten Lazarettzug zu warten.
Bleiben 89 übrig, bei denen anscheinend die konservative Be¬
handlung zum Erfolg geführt hat.
Von diesen 89 Bauchschüssen waren aber 46, d. i. über die
Hälfte, keine richtigen Bauchschüsse, sondern sichere Bauch¬
deckenschüsse. Sie scheiden bei der Bewertung der Behandlungs¬
methoden von Bauchschüssen natürlich vollkommen aus. Als
Bauchschüsse können wir nur solche Verletzungen rechnen, die mit
einer Eröffnung der Peritonealhöhle einhergehen. Bauchschuss
und Bauchdeckenschuss sind Diagnosen, die sehr häufig nicht
genügend auseinander gehalten werden. So bekamen wir an einem
Tage 7 Verwundete mit der Diagnose „Bauchschuss“ eingeliefert,
davon waren nicht weniger als 4 absolut sichere Bauchdecken¬
schüsse. Dem Arzt an der Front ist daraus natürlich kein Vor¬
wurf zu machen. In den Feldlazaretten muss aber die Diagnose
korrigiert werden, um das Zustandekommen eines ganz falschen
Bildes unserer Erfolge bei Bauchschüssen zu verhüten.
Also fast ein Viertel aller in unser Lazarett mit der Dia¬
gnose „Bauchschuss“ Eingelieferten waren Bauchdeckenschüsse.
Andere Autoren geben noch grössere Zahlen an, so Kraske (eben¬
falls für Feldlazarette) nahezu 50 pCt. Ziehen wir die Bauch-
deckenschiisse in unserer Statistik ab, so erhöht sich die Morta¬
lität der Bauchschüsse in unserem Feldlazarett schon
auf 70pCt., eine Zahl, die mit den von anderen Feldlazaretten
raitgcteilten gut übereinstimmt.
Es bleiben also nur noch 43 eigentliche Bauchschüsse übrig,
die bei konservativer Behandlung lebend das Lazarett verlassen
haben. Aber auch diese Zahl ist noch zu günstig. Eine ganze
Reihe von Bauchschussverletzten — ich kann die Zahl nicht genau
angeben, ich schätze sie auf etwa 10—12 — musste wegen Auf¬
lösung unseres Lazaretts in höchst zweifelhaftem Zustand weiter
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
l>ber Bauchschüsse, insbesondere über Sohussverletzungcn der Leber. 515
transportiert werden. Der grösste Teil ist sicher in den rück¬
wärtigen Lazaretten gestorben.
Es bleiben dann, alles in allem, etwa 30 Fülle übrig, bei
denen eine Schussverletzung des Bauches zur Heilung führte, oder
vorsichtiger ausgedrückt, 30 nichtoperierte Bauchschüsse konnten
mit einiger Aussicht auf Heilung in die Etappenlazarette abtrans¬
portiert worden.
Von diesen waren einige — leider kann ich auch hier genaue
Zahlen nicht nennen; es werden etwa 6—8 gewesen sein —
zweifellos extraperitoneale Darmverletzungen. Es sind dies Fälle,
bei denen das Colon an seiner hinteren, vom Peritoneum nicht
überzogenen Fläche durch Tangential- oder Steckschuss verletzt
ist. Die Kotfistel beweist die Darmverletzung mit aller Sicherheit.
Peritoneale Erscheinungen fehlen. Die drohende Kotphlegmone ist
immerhin weniger gefährlich als die Peritonitis bei intraperitonealen
Darmverletzungen. Etwa die Hälfte, darunter die mit bereits vor¬
geschrittener Kotphlegmone Eingelieferten,' starb. Die anderen,
wie gesagt 6—8, wurden in zweifelhaftem Zustand, mit Kotfisteln,
in rückwärtige Lazarette abtransportiert. Da die Bauchhöhle in
diesen Fällen unverletzt ist, kann man im Zweifel sein, ob man
diese Verwundungen nicht zu den Bauchdeckenschüssen rechnen
soll. Jedenfalls lassen auch sie die llesultate der konservativen
Behandlung der Bauchschüsse günstiger erscheinen, als es der
Wirklichkeit entspricht.
Ebenso zweifelhaft ist, ob man die nicht seltenen Kontur¬
schüsse des Bauches mit breiter Eröffnung der Bauchdecken ein¬
schliesslich Peritoneum und Darmprolaps, jedoch ohne Verletzung
der Eingeweide zu den Bauch- oder Bauchdeckenschüssen rechnen
soll. Zählt man als eigentliche Bauchschüsse nur die mit
perforierender Verletzung des Magendarmkanals, so wird
die Prognose der Bauchschüsse bei konservativer Be¬
handlung sicherlich ganz schlecht.
Wir wissen ferner, dass in vereinzelten Fällen ein Geschoss die
Bauchhöhle durchsetzen kann, ohne den Darm zu verletzen. Rotter 1 )
fand bei 34 Operationen wegen perforierenden Bauchschusses 4 mal
keine Organverletzung, Körte 2 ) bei 29 Sektionen von Bauch¬
schüssen ebenfalls 4 mal den Darm unverletzt. Böhler (1. c.) be¬
obachtete unter 300 perforierenden Bauchschüssen 8 ohne jede
Verletzung eines Organs der Bauchhöhle; 4 davon wurden durch
Obduktion sichergestellt. Ob unter unseren Ab transportierten solche
1) Rotter, Med. Klinik. 1915. Nr. 1.
2) Körle, Verhandlungen der Kricgschirurgentairunir in Brüssel am
7. April 1915.
Digitized by
Go^ 'gle
Original ffom
UNIVERSITÄT OF IOWA
516
E. Lick,
Digitized by
Fälle waren, ist möglich, aber beim Fehlen eines Operationsbefundes
nicht sicher zu sagen.
Ich bin auch der Ansicht, dass in der obengenannten Zahl
noch weitere Bauchdeckenschüssc enthalten sind. Aus der Lage
von Ein- und Ausschuss den Schusskanal, in unseren Fällen also
die Durchquerung der Bauchhöhle zu rekonstruieren, ist nicht
immer angängig. Die Leute können in so ungewöhnlicher Stellung
verletzt sein, dass nur ein Konturschuss vorliegt, wo uns in hori¬
zontaler ßettlage ein Durchschuss sicher erscheint. So berichtet
Böhler über Fälle, in denen nach Lage der Wunden eine Ver¬
letzung der Leibeshöhle absolut sicher erschien. Erst die Ob¬
duktion lehrte, dass das Peritoneum nicht eröffnet war, vielmehr
der ungünstige Ausgang anderweitigen Verletzungen (z. B. der
Wirbelsäule) zuzuschreiben war.
Das erklärt uns den eingangs der Arbeit erwähnten, sehr auf¬
fallenden Unterschied im Aussehen und Verhalten der Verletzten.
Der erste ist munter und kommt durch, nicht weil sein ver¬
meintlicher Magenschuss konservativ behandelt wird,
sondern weil sein Magendarmkanal unverletzt geblieben
ist. Der zweite sieht verfallen aus und geht zugrunde,
weil er eine perforierende Wunde des Magens oder
Darms hat.
Auffallend war, dass die Mehrzahl der geheilten (oder richtiger,
der lebend abtransportierten) Bauchschüsse den Oberbauch betraf.
Dass Schussverletzungen im Oberbauch eine weit bessere Prognose
haben sollen als solche unterhalb des Nabels, ist vielfach behauptet
worden. So hält Boit 1 ), um nur ein Beispiel anzuführen, die
Magenschüsse für besonders gutartig. Von 13 Magenschüssen verlor
er bei konservativer Behandlung nur 2 = 15pCt., von 50 Darm¬
schüssen dagegen 42 = 84pCt. Ich möchte dieser Schlussfolgerung,
die unseren Erfahrungen ira Frieden durchaus widerspricht, nicht
beistimmen. Den Unterschied in der Prognose von Schüssen im
Oberbauch zu denen im Unterbauch gebe ich zu, erkläre ihn aber
anders. Die Prognose jedes Bauchschusses ira Feldlazarett hängt
meines Erachtens davon ab, ob der Magendarmkanal eröffnet ist
oder nicht. Mit anderen Worten, die drohende Peritonitis be¬
herrscht vollkommen das Bild. Schüsse im Oberbauch haben
aber viel mehr Chancen, den Darmkanal zu umgehen, als solche
im Unterbauch.
Da die Leute in allen nur denkbaren Stellungen getroffen
werden, muss man sicli sehr hüten, aus der Lage der Wunde auf
1) Boit, Deutsche med. Wochensrlir. 1915. Nr. 24.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 517
eine Verletzung der dahinter liegenden Organe zu schliessen, wie
es bei den von ßoit mitgeteilten Magenschüssen geschehen ist.
Namentlich bei Steckschüssen kann man seltsame Ueberraschungen
erleben; dafür ein Beispiel:
Ein etwa 30jähriger Landwehrmann wird unter einem Transport Leicht¬
verwundeter ins Lazarett gebracht mit der Angabe, er sei vor einigen Stunden
beim Stehen von einem verirrten Gewchrgeschoss getroffen worden, anscheinend
aus weiter Entfernung. Es handele sich nur um einen leichten Streifschuss.
In der Tat findet sich an der Innenfläche des rechten Oberschenkels eine ganz
oberflächliche Schürfung, und an der tiefsten Stelle des Hodensacks, etwa in
gleicher Höhe mit der ersten Wunde, ein minimaler Blutschorf. Der Mann ging
zu Fuss in seinen Saal, klagte über keinerlei Beschwerden. Kein Erbrechen,
kein Fieber; spontane Urincntlecrung. Puls 70, kräftig. Appetit ungestört. Be¬
handlung: Bettruhe.
Am nächsten Morgen das gleiche Bild. Abends 38,2° Temperatur, Puls
etwas beschleunigt (90—92). Druckempfindlichkeit und reflektorische Spannung
in der linken Unterbauchgegend. Die genaue Besichtigung der Umgebung der
Wunden ergibt ein massiges Hämatom am Damm.
Erneutes Befragen des etwas schwerfälligen Mannes bringt jetzt heraus,
dass die Art der Verwundung doch von der ersten Schilderung etwas abweieht.
Der Verletzte hat in Rückenlage mit leicht eingezogenen Beinen geschlafen und
ist in dieser Stellung getroffen.
Jetzt ist die Diagnose klar: Bauehsteckschuss mit perforierender
D arm Verletzung. Die scheinbare Streifwunde am Skrotum ist der
s t r i c h f ö r m i g e Eins c h u s s.
Ganz schnell entwickelte sich das Bild schwerster septischer Peritonitis:
rascher Verfall, Cvanose, Delirien.
Tod nach weiteren 30 Stunden.
Sektion: Schuss durch Hodensack und Perineum in das kleine Becken.
In der Flexura sigmoidea ein grosser Schussdefekt (Aufreissung der Darmwand).
Kein Ausschuss; das Geschoss steckt in der tiefen Rückenmuskulatur. Diffuse
eitrige Peritonitis.
Man könnte fragen, weshalb wir diesen Fall nach Stellung der
richtigen Diagnose nicht operiert haben. Wir waren aber damals,
wenige Monate nach Kriegsbeginn, noch überzeugt von den Vorteilen
der konservativen Behandlung. Ausserdem wäre ein Eingriff bei
dem foudroyanten Verlauf und nach dem Sektionsbefund kaum
mehr zu rechter Zeit gekommen.
Ich kehre zu den Magenschüssen Boit’s zurück. Nur bei 2
von den 13 Magenschüssen ist die Diagnose durch Sektion erhärtet.
Wenn Boit sagt „die Diagnosenstcllung (bei Bauchschüssen) erfolgte
aus der Richtung des Schusskanals und aus den peritonealen Reiz¬
erscheinungen“, so erklärt dieser Standpunkt wohl seine günstige
Prognose bei Magenschüssen, lässt aber sehr berechtigte Zweifel
offen, ob der Magen in diesen Fällen auch wirklich verletzt war.
Wie wenig man sich auf die Rekonstruktion des Schusskanals
verlassen kann, davon sprach ich eben. Dass ferner die Symptome
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
518
E. Lick,
Digitized by
peritonealer Reizung auch bei absolut intaktem Bauchfell auftreten
können, wissen wir schon aus der Friedenschirurgie; ich erinnere
an die scheinbare Appendicitis bei Affektionen der Lunge und Pleura.
Gerade bei unseren Kriegsverletzten wird die „peritoneale Reizung“
besonders oft vorgetäuscht. Das wichtigste Anzeichen der peri¬
tonealen Reizung ist meines Erachtens die reflektorische Bauch¬
deckenspannung. Nun untersuche man unsere Verwundeten: sie
kommen oft noch mit deutlichen Shockerscheinungen ins Lazarett
(namentlich bei Artillerieverletzungen), erschüttert, erschreckt,
frierend, zitternd, mit Hypertonus der gesamten Muskulatur. Dann
sind es meist junge, rauskelkräftige Männer. Wie häufig findet man
da nicht brettharte aktive Bauchdeckenspannung. Ist es schon im
Frieden, in aller Ruhe, schwer, manche Menschen zum Entspannen
der Bauchdecken zu bringen, so ist es bei diesen shockierten Leuten
oft geradezu unmöglich. Bei ganz sicheren Bauchdeckenschüssen
sah ich brettharte Spannung bisweilen bis zum zweiten Tage. Man
muss sich dann von anderen Symptomen leiten lassen: Puls, Aus¬
sehen (Anämie?), Gesamteindruck u. dergl. In jedem zweifelhaften
Falle wird eine Probeincision, Erweiterung der Schusswunde, ent¬
scheiden.
Häufig fand ich reflektorische Bauchdeckenspannung bei Brust¬
schüssen. Das ist auch von anderer Seite mitgeteilt worden. So
beobachtete von Brunn 1 ) bei einem Brustschuss peritoneale Reizung
mit reflektorischer Bauchdeckenspannung. Die Laparotomie ergab
keine Verletzung des Bauches, von Brunn erklärt die Bauch¬
deckenspannung durch den Bluterguss über dem Zwerchfell.
Eine wichtige Beobachtung teilt Böhler mit:
Sagittaler Durchschuss durch die linke Oberbauchgegend. Anfänglich be¬
stellen starke peritoneale Heizerscheinungen, die aber in einigen Tagen zurib-k-
gehen. Der Verwundete wird abtransportiert und stirbt drei Wochen später in
einem Wiener Krankenhaus. Sektion: Darm unverletzt; Pankrcasabscess.
Solche Fälle, die zunächst durchaus für die konservative Be¬
handlung zu sprechen scheinen, zumal w T enn sie nicht lange genug
beobachtet werden, sind sehr lehrreich. Sie beweisen, dass weder
die Richtung des Schusskanals noch eine peritoneale Reizung
sichere Schlüsse auf Verletzung eines bestimmten Organs erlauben.
Sie zeigen, welche Fälle die konservative Behandlung „heilt“.
Auch bei sicher eröffneter Bauchhöhle und allen Symptomen
schwerer Peritonitis kann eine perforierende Verletzung des Darm¬
kanals oder anderer Baucheingeweide fehlen. Das bewies mir nach¬
stehende Beobachtung:
1) von Brunn, Deutsche ined. Woclicnschr. 1915. Nr. 45.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Uoher Bauchschüsse, insbesondere über Sohussverletzun^en der Leber. 519
22 jähriger Infanterist, eimrcliefcrt HO Stunden nach seiner Verwundung mit
<ler Diagnose ^Bauchsteekschuss“. Einschuss in der linken mittleren Axillar¬
linie zwischen 9. und 10. Rippe, mit Fraktur beider Rippen; aus der Wunde
hängt ein etwa 10 cm langer Metzzipfel heraus. Kein Ausschuss. Bauch auf-
getrieben, überall brett hart gespannt und Kuss erst druckempfind¬
lich. Dauernde l'ehclkeit und Erbrechen. Puls um 120, sehr klein und weich
A engst lieh er, verfallener Gesichtsausdruck.
Diagnose: Diffuse Peritonitis (Dar mver 1 et z u ng).
Von einer Operation wurde bei dem desolaten Zustande des Patienten ab¬
gesehen. Gegen die furchtbaren Bauchschmerzen Morphium.
Tod am 4. Tage.
Sektion: Keine Peritonitis. Peritoneum überall glatt und spiegelnd.
Irn Douglas geringe Blutansammlung. Keine Verletzung der Baucheingeweide.
Der Schusskanal verläuft nach hinten oben, durchsetzt das Zwerchfell und endet
in dem zertrümmerten Unterlappen der linken Lunge.
In diesem Falle hätte eine Laparotomie natürlich nichts
genützt.
Nicht die Magenschüsse bedingen also die bessere
Prognose der Oberbauchschüsse, sondern die Ver¬
letzungen des Oberbauchs, die ohne Eröffnung des Magen¬
darmkanals einhergehen. Dazu gehören vor allem auch die
Schussverletzungen der Leber. Unter unseren Bauchverletzten, die
bei konservativer Behandlung das Lazarett in gutem Zustand ver-
liessen, waren nicht weniger als 14 glatte Durchschüsse der
Leber.
Die Leberschüsse sind es, die neben den Bauch-
•deckenschüssen in erster Linie die Prognose der Ober¬
bauchschüsse und damit die Prognose der konservativ
behandelten Bauchschüsse überhaupt anscheinend günstig
gestalten. Sie verdienen schon aus diesem Grunde eine ge¬
sonderte Besprechung. Nebenbei haben die Kriegsbeobachtungen,
auch was die Leberschüsse anlangt, unsere im Frieden gewonnene
Erfahrung in verschiedenen Punkten korrigiert.
Im ganzen haben wir 27 Leberschüsse gesehen. Das sind
13 pCt. der unter der Diagnose „Bauchschuss“ Eingelieferten,
16,4 pCt. der eigentlichen Bauchschüsse, 0,3 pCt. der Verwundeten
überhaupt.
In Wirklichkeit sind es weit mehr gewesen. Von 115 Bauch¬
schüssen, die in unserem Lazarett starben, viele unmittelbar nach
der Einliefcrung, haben wir nur einen kleinen Teil (11) obduzieren
können, darunter 3 Leberschüsse, 1 Milzschuss. Ohne Zweifel
sind unter den Nichtobduzierten noch eine Reihe von Leber¬
schüssen gewesen.
Ferner sind bei unserer Aufstellung nur diejenigen Leber¬
schüsse berücksichtigt, bei denen die Leberwunde die Hauptver-
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
520
E. Liek,
Digitized by
letzung darstellte. Bei der anatomischen Lage der Leber sind
gleichzeitige Verletzungen benachbarter Organe natürlich recht
häufig. So fand Th öle 1 ) in einer Sammelstatistik bei 200 Leber¬
schüssen 117 mal Verletzungen anderer Eingeweide.
Unter unseren 27 Fällen war8mal die rechte, lmal die linke
Lunge verletzt, 2 mal anscheinend nur die rechte Pleura eröffnet
(Tangentialschüsse); in einem Fall fand sich eine gleichzeitige Ver¬
letzung der rechten Niere, in einem weiteren war das Pankreas mit
durchbohrt. Alle Fälle, in denen neben der Leberwunde noch eine
Verletzung des Magendarmkanals bestand, habe ich ausgelassen.
Im klinischen Bild dieser Verwundungen dominiert durchaus die
Darm Verletzung und ihre Folge, die diffuse eitrige Peritonitis.
Es ist nach dem Gesagten klar, dass unter den zahlreichen
Brustschüssen, die in unser Lazarett eingeliefert wurden, be¬
sonders unter den Schussverletzungen der rechten unteren Lunge,
gewiss noch eine Anzahl gleichzeitiger Leberverletzungen unerkannt
blieb. Auch das ist bei dem obengenannten prozentualen Verhält¬
nis der Leberschüsse zu berücksichtigen.
In unseren 27 Fällen handelte es sich grösstenteils um Ver¬
letzungen durch Gewehrgeschoss; nur 3mal lag eine Verletzung
durch Granate vor.
Die Wirkung des modernen Infanteriegeschosses auf die Leber
haben wir aus exakten Schiessversuchen und gelegentlichen Un¬
glücksfällen auf Scheibenständen usw. kennen gelernt Thöle (1. c.)
fasst die Beobachtungen wie folgt zusammen: „Schüsse aus dem
militärischen Dienstgewehr mit Kleinkalibergeschoss erzeugen meist
sehr erhebliche Verletzungen. Bei Nahschüssen (Selbstmord) ist
die Leber so zerrissen, dass ein Schusskanal nicht zu erkennen ist.
Erst von 1200 m an ist eine erhebliche Abnahme der Wirkung zu
konstatieren. Am Einschuss, der stets grösser als das Geschoss¬
kaliber ist, findet man einen Defekt mit radiären Rissen, an¬
schliessend einen Schusskanal, der sich trichterförmig bis zu einem
grossen Ausschuss erweitert. Seine Wandungen sind zerfetzt und
zerklüftet, öfters findet man Leberfetzen frei zwischen den Därmen,
auch zur Hautausschusswunde heraushängend. Auch jenseits 1200 m
sind Leberschusskanäle noch viel weiter als das Geschosskaliber:
die radiären Einrisse um den Einschuss sind weniger zahlreich und
kleiner, die Trichterform des Schusskanales ist nicht mehr so deut¬
lich. Aber noch bei 2000 m Schussdistanz sind die Wandungen
zerrissen und zerklüftet“.
1) Thöle, Verletzungen der Leber und der Gallenwegc. Neue Deut sehe
Chirurgie. 1 ( J 12. Bd. 4.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der lieber. 521
Th öle schliesst daraus, dass „wir im Kriege in den gewöhn¬
lichen Gefechtsdistanzen mit zu Spontanheilung neigenden und
wenig blutenden Durchbohrungen der Leber nicht zu rechnen
haben“.
Die Erfahrungen der letzten Kriege scheinen aber diese
Schlussfolgerung doch nicht ganz zu bestätigen. Vereinzelte Fälle
von Spontanheilung eines Leberschusses sind schon früher be¬
richtet worden (Langenbuch, Frcsson). Makins (nach Thöle)
hat von 8 Leberschüssen 6 bei konservativer Behandlung durch¬
gebracht. Auch v. Oettingen hält die einfache feine Durch¬
löcherung der Leber durch Kleinkalibergeschoss für möglich. In
seinem „Leitfaden der praktischen Kriegschirurgie“ (1912) schreibt
er: „bei Entfernungen über 800 m bohrt das Mantelgeschoss (in
der Leber) einen ganz engen Kanal“.
Ich habe 17 Fälle beobachtet, bei denen eine spontane
Heilung des Leberschusses erfolgte (15 mal) oder nach
dem Verlauf und Sektionsbefund (2 mal) wenigstens mög¬
lich war. Die beiden Todesfälle waren auf die gleichzeitige Ver¬
letzung der grossen Ausführungsgänge der Leber zurückzuführen
(Gallenperitonitis durch Eröffnung der Gallenblase bzw. des Ductus
choledochus).
Ueber die Schussdistanz können uns die Verwundeten nicht
immer genaue Angaben machen. Aber so viel erscheint mir nach
meinen Erfahrungen sicher, dass das moderne Kleinkaliber¬
geschoss auch auf weit geringere Distanz als 1200 m die
Leber durchsetzen kann, ohne grosse irreparable Zer¬
störungen zu bewirken. So gab ein später zu erwähnender
Patient (mit Gallenfistel am Halse), der geheilt wurde, mit aller
Bestimmtheit an, den Schuss aus einer Entfernung von 400 bis
500 m erhalten zu haben.
Was uns bisher noch fehlt, sind Sektionsbefunde von Ver¬
letzten mit gutartigen Leberschüssen, wirklich einfachen Durch¬
bohrungen der Leber, die keine oder nur ganz geringe klinische
Erscheinungen machen.
Unter unseren Sektionen waren nur 3 solche von Leberver¬
letzten. In einem Falle, den ich später noch genauer beschreibe,
war die Leber in der Richtung von der Kuppe nach der Basis
(Einschuss oberhalb der rechten Mamilla) durchschlagen. Der Ein¬
schuss war etwa kleinfingerstark, der Ausschuss an der Basis etwas
grösser, etwa für einen Daumen durchgängig. Von den beiden
Schussöffnungen gingen kleine Risse ins Gewebe hinein. Ich hatte
den Eindruck, dass diese Verletzung hätte spontan heilen können.
Es bestand aber gleichzeitig eine Verletzung des Ductus choledochus
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
522
E. Lick,
Digitized by
und dadurch bedingt eine Gallenperitonitis, der Patient 9 Tage nach
seiner Verwundung erlag.
Bei dem zweiten zur Sektion gelangten Fall war der Schuss
durch die Gallenblase und dann durch den hinteren Leberlappcn
gegangen. Auch dieser Schusskanal war etwa für einen Kleinfinger
durchgängig: tiefere Leberrisse fehlten. Die Leberwunde wäre
meines Erachtens ebenfalls einer spontanen Heilung fähig gewesen.
Eine weitergehende Zerstörung der Leber sahen wir bei einem
21 Stunden nach der Verwundung gestorbenen Manne. Er hatte
beim Sturmangriff aus etwa 300 m Entfernung einen Gewehrschuss
quer durch den unteren Brustkorb erhalten, wurde 20 Stunden
später mit den Symptomen schwerster innerer Blutung ins Lazarett
gebracht und starb nach 1 Stunde. Das Geschoss hatte die linke
Brusthöhle eröffnet unter Durchbohrung des Unterlappens der linken
Lunge, dann das Zwerchfell durchschlagen und die Leber in ganzer
Breite von links nach rechts durchsetzt. Die Leber zeigte zahl¬
reiche tiefe Risse, ihre Basis war vollkommen zertrümmert. Ver¬
einzelte losgerissene Leberfetzen lagen zwischen den Darraschlingen.
Wie bei Schädelnahschüssen bisweilen aus relativ kleiner
Knochenwunde das Gehirn vorgeschleudert wird, sehen wir eine
derartige Explosivwirkung gelegentlich auch beim Lebernah¬
schuss:
Ein 22jähriger Infanterist soll im Schutze des Morgennebels eine zer¬
schossene Stelle des Drahtverhaus ausbessern. Er wird dabei durch einen tie-
wehrschuss aus etwa 80 m Entfernung verwundet. 3 Stunden später mit Auto
ins Lazarett gebracht.
Sehr anämischer Mann: Puls 110, klein, leicht zu unterdrücken. Häufiges
Erbrechen gallig gefärbten Schleims. Der Verband ist sehr stark mit Blut
durchtränkt. Einschuss klein, rechts hinten neben der Wirbelsäule, in Hohe
des zweiten Lendenwirbels.
Ausschuss etwa zweimarkstückgross, vorn in der Mittellinie, dicht unter¬
halb des Schwertfortsatzes.
Der ganze linke Leberlappen, gut zweifaustgross, zerfetzt und stark
blutend, liegt vor der Wunde.
ln Aethernarknse wird die Ausschusswunde erweitert, der zertrümmerte
linke Leberlappcn abgetragen.
Auch der rechte Leberlappen zeigt tiefere Hisse. Viel flüssiges und ge¬
ronnenes Blut in der freien Bauchhöhle. Keine Verletzung anderer Eingeweide.
Tamponade der Leberwunde; Bauclideckcnwunde teilweise genäht.
Trotz Kampfer, Digalen, reichlicher Kochsalzinfusion stirbt Patient
12 Stunden nach der Operation, 15 Stunden nach der Verletzung.
In unseren 27 Fällen war die Diagnose „Lebersehuss”
13 mal mit Sicherheit zu stellen, 4 mal durch Operations¬
befund (1 Leberprolaps, 3 Tangentialschüsse der Leber). 2 mal
durch Sektion, 7 mal durch Gallenfluss aus dem Schuss¬
kanal. Die gallige Absonderung trat in etwa der Hälfte der
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
l T ebcr Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 523
Fälle nicht sofort, sondern erst nach einigen Tagen auf; sie ist
daher als Frühsymptom nicht immer zu verwerten: Von unseren
27 Fällen zeigten im ganzen 10 = 37 pCt. Gallenfluss. Andere
Beobachter geben noch höhere Zahlen an. So sah Edler (nach
Thöle) unter 116 exspektativ behandelten Leberschüssen 48 mal
(= 41,3 pCt.) Auftreten von Galle in der Wunde.
In 14 Fällen konnte die Diagnose nur mit grosser Wahrschein¬
lichkeit gestellt werden. Es handelte sich hier um glatte Durch¬
schüsse der Leber, bei denen Ein- und Ausschuss so weit ausein¬
ander lagen, dass die Leber bei jeder denkbaren Stellung getroffen
sein musste. Die Fälle haben etwas Typisches: Einschuss meistens
an der unteren Thoraxapertur, Gegend der Mamillarlinie, Ausschuss
hinten neben der Wirbelsäule. Wahrscheinlich ist, wie schon er¬
wähnt, die Zahl der glatten Leberdurchschüsse noch grösser. Bei
Schüssen, die den Unterlappen der rechten Lunge treffen, wird
häufig genug die Leberkuppe verletzt sein, entsprechend den ana¬
tomischen Verhältnissen; nur wird diese Wunde von den Erschei¬
nungen der Lungen- und Pleuraverletzung verdeckt.
Das klinische Bild des Leberschusses wechselt ausserordent¬
lich. Am günstigsten verlaufen die eben erwähnten glatten
Durchschüsse der Leber. 16 solcher Durchschüsse wurden von
nns beobachtet, die Diagnose 2 mal durch gallige Sekretion aus
der Wunde gesichert, 14 mal durch den Verlauf des Schusskanals
wahrscheinlich gemacht. Die klinischen Symptome in diesen Fällen
können ganz gering sein: leichte Schmerzen, bisweilen in die rechte
Schulter ausstrahlend, etwas Zurückbleiben der rechten Thorax¬
hälfte bei der Atmung, das ist alles, sofern nicht eine gleichzeitige
Verletzung der Lunge oder Pleura (die wir in 5 von diesen
16 Fällep sahen) stärkere Erscheinungen machte. Peritoneale Er¬
scheinungen fehlen oder sind nur wenig ausgesprochen. Nur 2 von
diesen Verwundeten starben. Der eine hatte ausser der Leberwunde
eine Verletzung der rechten Niere mit Urinfistel und Urininfiltration;
der andere erlag der gleichzeitigen Verletzung der rechten Lunge.
Leider wurden diese Fälle nicht seziert. Die übrigen 14 wurden
in gutem Befinden aus dem Lazarett entlassen; von einigen haben
wir auch später günstige Nachrichten erhalten.
Ungünstiger wie einfache Durchschüsse verliefen Tangential¬
schüsse der Leber. Es sind dies ebenfalls ganz charakteristische
Verletzungen, ähnlich den Tangentialschüssen des Schädels. Der
Schusskanal durchsetzt in schräger Richtung den rechten unteren
Brustkorb, unter Fraktur einer oder, wie es am Ausschuss meistens
der Fall ist, mehrerer Rippen. Der Ausschuss zeigt fast stets
eine erhebliche Grösse. Gelegentlich sieht man richtige Furchungs-
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. 35
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
524
E. Lick,
Digitized by
schüsso, besonders bei Granatverletzungen; die Leber ist gleichsam
aufgepflügt. Wir konnten 6 solche Tangentialschüsse beobachten,
3 davon sicher durch Granate. In allen Fällen bestand starke
Gallensekretion aus der Wunde. 3 mal war die rechte Pleurahöhle
miteröffnet, darunter 1 mal auch die rechte Lunge verletzt. Der
Verlauf war immer langwierig, infolge starker Eiterung, Abstossung
von Rippensequestern und Lebernekrosen. 3 der Verletzten starben,
2 an Sepsis und Entkräftung, 1 an Pleuraempyem. Bei einem der
3 aus dem Lazarett Abtransportierten blieben wir in grosser Sorge
um den weiteren Verlauf.
In 2 Fällen von Leberschuss sahen wir ausser der Leber¬
wunde eine gleichzeitige Verletzung der grossen Ausführungs¬
gänge.
Der erste Patient wurde am 4. Tage nach seiner Verwundung zu uns ein*
geliefert-. Aus dem Einschuss, vorn unterhalb des Kippenbogens, entleerten >ieh
grosse Mengen (.Kille, die alle paar Stunden einen Verbandwechsel notwendig
machten. Der Verwundete war schwer kollabiert und ging HG Stunden nach der
Aufnahme zugrunde.
Die S e k t i o n zeigt e einen glatten D u r e h s e li u ss d u r e h Gail e n b I a > e.
den hinteren Leberlappen und das Pankreas; in der Bauchhöhle sehr viel gallige
Flüssigkeit (Gallenperitonitis). Magen und Darm waren intakt.
Ebenso hoffnungslos war der zweite Fall:
33jähriger Landsturmmann, durch Gewehrschuss beim Angriff verwundet,
wird zunächst in einem anderen Feldlazarett behandelt, S Tage nach der Ver¬
letzung zu uns eingeliefert.
Kleiner, versehorfter Einschuss dicht oberhalb der rechten Brustwarze,
kein Ausschuss.
Verfallener Gesichtsausdruck, Nase spitz und kalt. Allgemeiner lkteru>
mittleren Grades. Puls 110, klein und weich. Euphorie.
Leib sehr stark aufgetrieben, besonders durch den enorm geblähten Magen,
nicht druckempfindlich, nicht reflektorisch gespannt.
Dauerndes Erbrechen trotz wiederholter Magenspülung.
Tod 22 Stunden nach der Aufnahme..
Sektion: Glatter Durchschuss durch den LTitcrlappen der rechten Lunge.
Einschuss auf der Hohe der Leberkuppe, kleinfingerstark: Ausschuss an der
Leberbasis mit isolierter Verletzung des Ductus eholedor hus. D»*r
Gang ist etwa in halber Ciremnfercnz eröffnet, ln der Bauchhöhle mehrere
Liter Galle, leichte Verklebungen zwischen den unverletzten Dannsehlingen:
keine eitrige Peritonitis.
Während die 9 bisher erwähnten äusseren Gallenlistein (2 bei
glattem Durchschuss, 6 bei Tangentialschuss, 1 bei Schuss durch
die Gallenblase) entweder in der rechten Oberbauchgegend oder an
der rechten hinteren Thoraxfläche bzw. Lendengegend sich fanden,
haben wir in einem merkwürdigen Fall eine Gallenfistel hoch
oben an der rechten Halsseite beobachtet. Ein Analogon zu
dieser seltsamen Lokalisation habe ich in der Literatur nicht ge-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
roher Baurhsrlmsse, insbesondere über ^ehussverletzun^cn der lieber. 525
funden und gebe daher die Krankengeschichte etwas ausführlicher
wieder:
F.. Wöhrmann. wird beim Schanzen in gebückter Hailunir von einem In-
fanterieiresehoss ans 4 -500 m Entfernung getroffen. ÖO Stunden später kommt
er in unser Feldlazarett.
Das (iesehoss hat das rechte Ohrläppchen gestreift, ist 2 Qucrfimror tiefer
in den Hals cinsjodrun^on, hat den Hals, die ganze rechte Kumpfhälfte dureh-
schlagen und ist hinten durch die rechte Darmbeirisehaufol, etwa 1 t^uerfinger
lateral der Spina posterior, wieder ausgetreten. Muss also nach dem Verlauf
die rechte Lunge und die Leber in ganzer Höhe durchschlagen haben. Ein¬
schuss etwa pfennigstückgross, Ausschuss markstiiekgross. Aus der Halswunde
strömt massenhaft grii nge 1 be (i al 1 e, so dass in der ersten Zeit alle 2 bis
Ö Stunden ein Verbandwechsel nötig ist. Auch beim Husten bricht Patient
viel schleimige (»alle aus. Der Stuhl war in den ersten Tagen nur ganz schwach
gefärbt.
Anfangs ging es dem Verwundeten nicht gut. Er hatte Atemnot und war
kollabiert. Zahl der Atemzüge 24 in der Minute, Pids IM», klein und weich.
In der rechten Pleurahöhle bestand ein etwa handbreiter Erguss. Eine Probe¬
punktion am 7. Tage ergab reines IHut.
Allmählich erholte sich Patient; die Temperaturen (anfangs bis ÖS.5°)
gingen zurück. Husten und Auswurf wurden geringer, Appetit und Kräfte nahmen
zu. 14 Tage nach der Verwundung konnte E. in gutem Zustand in ein rück¬
wärtiges Lazarett abtransportiert werden. Die (iallensekretion aus der Halswunde
bestand noch, war aber geringer (nur zweimaliger Verbandwechsel täglich). Der
Erguss in der rechten Pleurahöhle war bis auf einen kleinen Rest resorbiert.
Der Ausschuss war nahezu verheilt.
Ö Wochen später erhielten wir von F. die erfreuliche Mitteilung, dass es
ihm gut gehe, die Fistel am Halse sei geschlossen.
Wie gesagt, habe ich in der Literatur einen ähnlichen Fall
einer Gallenfistel am Halse nicht auffinden können. Dabei ist
ein analoger Verlauf des Schusskanals nicht selten. Die heutige
Kampfesart mit liegenden Schützenketten hat eine Häufung der
sogenannten Körperlängsschüsse zur Folge. Schon aus dem Buren¬
krieg ist über eine Reihe von Körperlängsschüssen ähnlich unserem
falle berichtet: Einschuss in der rechten Oberschlüsselbeingrube
und als todbringende Wunde eine Verletzung der Leber.
Bei den so häufigen Brustbauchschüssen mit gleichzeitiger Ver¬
letzung von Lunge und Leber sollte man öfter die Entstehung einer
Gallengangbronchusfistel erwarten. Und doch ist das nicht der
Fall. Die seltenen Gallengangbronchusfisteln, die wir im Frieden
sehen, sind fast immer nichttraumatischen Ursprungs. Nur wenige
Autoren (z. B. Tyrmann) haben eine solche Fistel nach Ver¬
letzungen beobachtet. Das Eigentümliche in unserem Falle ist
nicht nur, dass eine Gallengangbronchusfistel (gallig-schleimiger
Aaswurf) sich bildete, sondern dass der Schusskanal in seiner
ganzen Länge von der Leber bis zum Halse wochenlang
offen blieb und die Galle frei ablaufen liess.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
526
L Lick,
Digitized by
Ferner spricht dieser Fall deutlich gegen die Anschauungen
Thöle’s über die Wirkung der Kleinkalibergeschosse auf die Leber,
insbesondere gegen seinen Satz, „wir haben im Kriege in den ge¬
wöhnlichen Gefechtsdistanzen mit Spontanheilung neigenden und
wenig blutenden Durchbohrungen der Leber nicht zu rechnen“. Hier
haben wir einen absolut sicheren Leberschuss, kompliziert
durch Verletzung der ganzen rechten Lunge, bei einer
Schussdistanz von 4—500 m; trotzdem spontane Heilung
in etwa 6 Wochen 1 ).
Dass Leberschüsse (im Feldlazarett!) eine bessere Prognose
haben als die übrigen Bauchschüsse, ist auch von anderer Seite
berichtet, so von Kraske, Perthes, Körte, Läwen, Boit.
Letzterer z. B. hat von 8 Leberschüssen nur einen, der mit Lungen-
und Nierenverletzung kompliziert war, verloren. Körte (1. c.) sah
23 Leberschüsse, davon starben 9; 14 = 60,8 pCt. heilten. Von
unseren 27 Leberschüssen starben 8 = 29,4 pCt.
Die Mortalität der Leberschüsse im Frieden ist weit höher.
So starben von 200 Fällen der Thöle’schen Saramelstatistik
98 = 49 pCt. Das hat zwei Gründe. Erstens handelt es sich
fast ausnahmslos um Nahschüsse: fast die Hälfte Selbstmorde,
ferner Duelle, Unglücksfälle u. dgl. Die Verletzungen sind infolge
der Sprengwirkung der Nahschüsse von vornherein schwerer. Der
zweite Grund ist der, dass im Frieden die Verletzten schnell, oft
unmittelbar nach der Verletzung, ins Krankenhaus gelangen und
dort der Blutung erliegen. Unter den 98 Todesfällen der Thöle-
schen Statistik waren nicht weniger als 27 durch diese primäre
Blutung bedingt. Im Kriege sterben diese durch Blutung Bedrohten
schon auf dem Schlachtfelde oder auf den vorderen Verbandplätzen;
in die Feldlazarette gelangen sie nur ausnahmsweise.
Aus der Zahl von 29,4 pCt. Todesfällen in unserem Lazarett
etwa folgern zu wollen, die Leberverletzungen verliefen von allen
Bauchschüssen mit am günstigsten, wäre natürlich falsch. Wie bei
den Bauchschüssen mit Darmverletzung die Peritonitis das
Bild beherrscht, so bei den Leberschüssen die Blutung.
Die schwersten Fälle von Leberschusswunden, vielleicht
die überwiegende Mehrzahl, erliegen der Blutung noch
auf dem Schlachtfelde selbst oder auf den vordersten Vor-
1) Anmerkung bei der Korrektur: Wie ich aus einer inzwischen ver¬
öffentlichten Arbeit DobbcrtiiTs (Münchener med. Wochenschr., 1916, Nr. 1.
FeldarztI. Beilage) ersehe und durch Anfrage bei dem Autor bestätigt erhalte,
ist die Heilung doch nicht ganz spontan erfolgt. Die Gallenfistel am Halse wurde
von I). etwa 4 Wochen nach der Verwundung durch „versenkte Tamponade“ mit
bestem Krfolg geschlossen. Der Verletzte hat sich dann ganz ausgezeichnet erholt
und ist nach Ansicht von D. inzwischen wieder felddienstfähig geworden.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 527
bandplätzen. Das Feldlazarett wird diese Verletzten nur aus¬
nahmsweise zu Gesicht bekommen. Daher finden wir unter unseren
8 Todesfällen auch nur 2mal die primäre Blutung als Todesursache.
Ein Verletzter war 3 Stunden nach der Verwundung eingeliefert und
starb nach 12 Stunden. Der zweite wurde 20 Stunden nach der
Verwundung eingebracht und ging eine Stunde später zugrunde.
Unsere ganze Statistik der Kriegsverletzungen krankt über¬
haupt daran: es fehlt die Uebersicht, die Zusammenfassung, das
Verfolgen der Verletzten vom Schlachtfelde bis in die Heimat¬
lazarette. Daher die viel zu günstig lautenden Publikationen der
ersten Kriegszeit. Im Bewegungskrieg sind freilich solche Sta¬
tistiken, die eine Sektion oder mindestens eine genaue Untersuchung
aller auf dem Schlachtfelde Gefallenen umgreifen müssten, un¬
möglich. Anders im Stellungskriege. Hier sind solche Statistiken
schon begonnen und geben auch bei kleinen Zahlen sehr interessante
und wertvolle Aufschlüsse. Ich erwähne, um nur ein Beispiel an¬
zuführen, die Arbeit von Mätyäs 1 ). M. sah im Stellungskrieg
59 Bauchschüsse. Davon waren 11 sofort tot, 20 starben in den
nächsten 2—8 Stunden an Verblutung und Peritonitis, 28 wurden
abtransportiert. Von diesen 28 starben weitere 18 in der Divisions-
Sanitätsanstalt (unserer Sanitätskompagnie entsprechend). Nur 10
erreichten ein Feldspital. Das Schicksal dieser 10 Uebriggebliebenen
konnte M. leider nicht weiter verfolgen. Doch nimmt er an, dass
darunter auch noch Bauchwandschüsse gewesen sind. Fügen wir
nach Analogie mit den Beobachtungen unseres und anderer Feld¬
lazarette noch einige Leberschüsse hinzu, vielleicht auch noch
einige Durchschüsse des Bauches ohne Darmverletzung, so bekommt
die Bewertung der konservativen Behandlung doch ein anderes
Gesicht. Das sieht anders aus, als wenn uns über 50—70 pCt.
Heilung der Bauchschüsse bei konservativer Behandlung berichtet
wird. Und wir verstehen, wenn Kraske sagt, nach seinen Beob¬
achtungen sei kein Fall von sicherer Darmverletzung bei konser¬
vativer Behandlung durchgekommen.
Ich möchte nicht ganz so weit gehen. Dass gelegentlich,
wenn auch gewiss selten, eine Schussverletzung mit Darmperforation
spontan heilen könnte, schien mir ein vor kurzem beobachteter
Fall zu zeigen:
B., 20jähriger Infanterist, wird im Graben durch eine Mine verletzt,
6 Stunden nach der Verwundung ins Lazarett eingeliefert. Pfennigstück grosser
Einschuss in der linken Unterbauchgegend, 3 Querfinger nach innen vom linken
oberen Darmbeinstachel. Umgebung in Kleinhandtellergrösse aufgetrieben. Linke
1) Maty&s, Ueber Bauchschüsse. Feldärztl. Beilage z. Münchener med.
Wochensehr. 1915. Nr. 39.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
528
E. Lick,
Digitized by
Baudihälfto ilrurkcmpfiiullieli, mit wenig ausgesprochener reflcktorisrhorSpannum;-
Kein Erbrechen, spontane iTincntleenmg. Keine Anzeichen innererBlutung. Puls9S.
Enter der Diagnose «perforierende Bauehverletzung~ Operation, G 1 > Stunden
nach der Verwundung: Sehrägschnitt über dem Einschuss. Zwischen Haut und
Muskulatur vorgefallenes Netz. In der Bauchhöhle etwas flüssiges Blut im
Douglas, im übrigen kein fremder Inhalt. Peritoneum überall glatt und spiegelnd.
Die Revision der Darmsehlingen ergibt einen Durchschuss durch den Dünndarm,
etwa zwischen oberem und mittlerem Drittel. Einschuss ganz klein. Ausschuss
etwa linsengross. Beide verklebt, erst beim Manipulieren kommen aus den;
Ausschuss einige Tropfen Danninhalt. Uebernähung. Bauchfell ganz gosohlosvii,
Muskulatur und Haut etwa zur Hälfte vernäht.
Vollkommen glatter Verlauf bis auf geringe Temperatursteigerung an den
beiden ersten Tagen. Stuhl bereits am 2. Tage. Am 11. Tage wird B. in bestem
Befinden, mit oberflächlicher, gut granulierender W unde in ein Etappenlazarett
transportiert.
In diesem Falle hätte nach dem Operationsbefund höchstwahr¬
scheinlich auch eine konservative Behandlung trotz sicherer Üarm-
verletzung zur Heilung geführt. Die Schussöffnungen des Darmes
erwiesen sich nach Stunden als gut verklebt, Darminhalt in
der Leibeshöhle oder Zeichen von beginnender Peritonitis wurden nicht
gefunden. Freilich lag der Fall insofern sehr günstig, als die Ver¬
letzung durch einen augenscheinlich sehr kleinen Minensplitter erfolgt
war. Das Gewehrgeschoss setzt, wie uns andere Operationsbefunde
und Sektionen lehrten, in der Regel viel schwerere Verletzungen.
Hätten wir für die Leberschüsse auch eine ausreichende Sta¬
tistik, d. h. eine Statistik, die auf dem Schlachtfelde beginnt, wir
würden zweifellos eine viel höhere Mortalität erhalten, als die Zahlen
unserer Beobachtungen im Feldlazarett (29,4 pCt.).
Es sterben sicherlich Leberverletzte in noch höherem Prozent¬
satz auf dem Schlachtfelde und den vorderen Verbandplätzen als
Leute mit Magendarm wunden. Den Leberverlctztcn bedroht vor
allem die Blutung, sein Schicksal entscheidet sich daher in den
ersten Stunden. Das Schicksal der Magendarmverletzten hängt von
der Peritonitis ab, entscheidet sich also oft erst am zweiten und
dritten Tage. Ist bei Leberverletzten die Gefahr der Blutung vor¬
über, kommen diese Verwundeten also überhaupt einmal in die
Feldlazarette, so sind ihre Aussichten günstiger als die der übrigen
ßauchschussverletzten. Und diese Leberschüsse sind es dann, die
die Prognose der Bauchschüsse bei konservativer Behandlung in
einem zu günstigem Licht erscheinen lassen. Will man hier Klar¬
heit, so muss man die Leberschüsse von den mit Magendarm¬
verletzung cinhergehenden Bauchschüssen scharf trennen.
Die Blutung ist bei Leberschüssen die hauptsächlichste Gefahr,
aber nicht die einzige. Von der gleichzeitigen Verletzung benach¬
barter Organe — die rechte Lunge und rechte Niere kommen
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
529
lobet - Bauchschüsse, insbesondere über .Sclmssverletzuniren der Leber.
besonders in Betracht — abgesehen, können noch Wochen und
Monate hindurch Nekrosen und Abscesse der Leber, Throm¬
bosen der grosen Blutgefässe, Nachblutungen das Leben bedrohen.
Die Gefahr des Leberabscesses liegt namentlich bei Steckschüssen
vor. Diese Spätkomplikationen werden noch in den Heimat¬
lazaretten manches weitere Opfer unter den Leberverletzten fordern.
Leber die Behandlung der Leberschüsse kann ich mich kurz
fassen: Die einfachen glatten Durchschüsse heilen unter Bettruhe
und Morphium. Bei den Symptomen starker Blutung Revision der
Wunde, Tamponade oder Naht der Leberwunden, je nach dem Be¬
fund. Ob ein Eingriff überhaupt noch möglich ist, wird nur von
Fall zu Fall zu entscheiden sein.
Bei Tangentialschüssen, besonders bei den durch Artillerie-
geschoss, haben wir die unregelmässig gerissene, buchtenreiche
Wunde übersichtlich freigelcgt, Knochensplitter der Rippen und nekro¬
tische Leberfetzen entfernt, die Wundhöhle locker tamponiert.
Komplikationen seitens der mitverletzten Pleura sind nach bekannten
Regeln zu behandeln.
Bei den Verletzungen der grossen Ausführungsgänge der Leber
wird eine rechtzeitige Operation Aussicht auf Erfolg bieten. Uebcr
Naht der durchschossenen Gallenblase mit Ausgang in Heilung ist
von anderer Seite bereits berichtet, z. B. von Läwen (1. c.). Bei
Schussverletzungen des Ductus choledochus wird eine sachgemässe
Hepaticusdrainage mit Tamponade die Galle nach aussen ableiten
und so einer Gallenperitonitis Vorbeugen können. So glaube ich,
hätten beide hier erwähnten Fälle (Schuss durch die Gallenblase,
Schuss durch den Ductus choledochus) beim Fehlen anderer Organ¬
verletzungen durch frühzeitige Operation vielleicht gerettet werden
können.
Die Spätkomplikationen — Lebersequester, Leberabscesse —
wurden nach allgemeinen chirurgischen Grundsätzen behandelt.
Wir haben zweimal Gelegenheit gehabt, bei Tangentialschüssen in
der zweiten und dritten Woche nach der Verletzung Lebersequester
zu entfernen. Der erste Fall endete tödlich (Sepsis), der zweite
wurde 14 Tage nach der Operation in leidlichem Zustand nach
einem Heimatlazarett abtransportiert. Es bestand noch mässiges
Fieber, starke Wundsekretion; die Lebensgefahr schien uns hier
noch nicht abgewendet.
Die Behandlung der Spätkomplikationen wird selten Aufgabe
der Feldlazarette sein. Es sind dies spätere Sorgen, Sorgen der
Heimatlazarette. Für eine erspriessliche Arbeit in den Feld¬
lazaretten wird bei Leberschüssen genau wie bei den
anderen Bauchschüssen alles davon abhängen, dass wir
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
530
E. Lick, Uebcr Bauchschüsse usw.
Digitized by
die Verwundeten möglichst frühzeitig in unsere Behand¬
lung bekommen.
Während des Bewegungskrieges'wird dies Prinzip wohl meistens
ein frommer Wunsch bleiben müssen, im Stellungskrieg wird es
durchgeführt, zum Wohl der Verwundeten, zur Freude des Chirurgen.
In den letzten beiden Monaten (Stellungskrieg) haben wir 7 Bauch¬
schüsse gesehen, die alle 2 bis höchstens 6 Stunden nach der Ver¬
letzung zu uns kamen. Die Verwundung war 2 mal durch Gewehr¬
geschoss, lmal durch Mine, 4mal durch Artilleriegeschoss ver¬
ursacht. 2mal lag ein Bauchdeckenschuss vor; beide Fälle heilten
ohne Operation. Ein Leberschuss mit Prolaps ging 15 Stunden
nach der Verletzung an den Folgen der Blutung zugrunde. 2 Ver¬
wundete starben trotz Operation. Der erste hatte ausser dem
Bauchschuss (mit 10 Perforationen im Dünndarm) eine schwere
Kopfverletzung mit Zertrümmerung des rechten Grosshirns; er
starb 10 Stunden nach der Operation. Der andere, ebenfalls mit
10 Schusslöchern im Dünndarm, 2 Löchern im Mesenterium und
zahlreichen Askariden in der freien Bauchhöhle, kam fast aus¬
geblutet ins Lazarett. Er wurde 3 Stunden nach der Verletzung
operiert und starb 53 Stunden später. Sektion: Keine Nahtinsufli-
zienz, keine ausgesprochene Peritonitis, viel Blut in der Bauchhöhle.
Zwei operierte Bauchschüsse gingen in Heilung aus, davon
einer mit 2 Dünndarmperforationen (durch Mine), der andere mit
9 bis pfennigstückgrossen Dünndarm- und 2 Dickdarmperforationen
(durch Artilleriegeschoss). Beim ersteren lagen ö 1 /», beim zweiten
3 Stunden zwischen Verwundung und Operation.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
XIX.
Nachtrag zu der Arbeit „lieber Blaufärbung der
Sklera und abnorme Knochenbrüchigkeit“ in Heft 2
dieses Bandes.
Von
Dr. Willy Hofmann (Berlin).
Herr Geheimrat Peters in Rostock macht mich darauf auf¬
merksam, dass ausser den beiden von mir zitierten Arbeiten von
ihm noch eine weitere erschienen ist unter dem Titel: „Blaue Sklera
und Knochenbrüchigkeit“ (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1913, Mai).
Peters weist auch hier auf den von uns besprochenen Symptomen-
komplex als eine erbliche Keimesanomalie hin. In praktischer Hin¬
sicht rät er bei diesen Fällen zu Befreiung vom Militärdienst und
Turnunterricht. Auch er ist der gleichen Ansicht wie wir, dass
eine therapeutische Beeinflussung der Anomalie nicht in Frage
kommt.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
Digitized by
Original frnrri
UNIVERSITY OF IOWA
Taf.XVT.
Fig.7.
Fig.Sb.
Original fförn
UNIVERSITY OF IOWA
Digitized by Gougle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
UNIVERSITY OF IOWA
dun /' klm . Chirurgie !07..Bd.
Taf.XW.
Digitized by Gougle
Original fro-m
UMIVERSITY OF IOW,
’ßfc? f. klin,. Chirurgie 707.Bd.
Taf.XM.
Big. / 9. cb
I from
UNIVERSITY OF IOWA
Blaue.LUh Inst Berlin
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Arvhiv f. Jdin. Chirurgie 107. Bd. Taf. XIX.
Fig.Z't.
F.Iaue^Züh Inst Seron,
Digitized by Go gle
Original from
UNIVERSIIY OF'iOWA
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
XX.
(Aus der ehirurg. Universitätsklinik der Künigl. Charite in Berlin.
— Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.)
Die operative Behandlung
der supralaryngealen Pharynxstenose durch
Pharyngotomia externa und Lappenplastik.
Von
Prof. 0. Axhausen.
(Mit 12 Textfiguren.)
Von den postluetischen Narben Verengerungen des Rachens be¬
anspruchen die tiefen, im Hypopharynx dicht über dem Kehlkopf¬
eingang gelegenen Stenosen wegen ihrer schweren Störungen be¬
sondere chirurgische Beachtung. Sie kommen dadurch zustande,
dass bei der Vernarbung der Geschwürsprozesse der Zungengrund
(meist nach partieller oder totaler Zerstörung der Epiglottis) sowie
die Schleimhaut der hinteren Rachenwand und der seitlichen Pharvnx-
abschnitte konzentrisch nach der Mitte zu zusammengezogen werden.
Es entsteht dadurch ein aus narbig veränderten Schleimhautfalten
gebildetes Diaphragma, das nur an einer Stelle nahe der Mitte eine
lochförmige Oeffnung aufweist; diese Oeffnung steht allein noch der
Nahrung und der Atmungsluft zum Durchtritt zur Verfügung. Be¬
sitzt sie noch eine genügende Weite, so gelingt es manchmal, in
der Tiefe der Oeffnung noch einen kleinen Abschnitt des Kehlkopfes
zu überblicken. Die Beschwerden halten sich in diesen Fällen in
bescheidenen Grenzen oder fehlen auch ganz. Mit der Verkleinerung
der Oeffnung nehmen aber die Störungen rasch zu, um bei hoch¬
gradiger Stenose lebensgefährliche Grade zu erreichen. Die Nahrungs¬
aufnahme ist in solchen schweren Fällen auf das Aeusserste beein¬
trächtigt. Die Atmungserschwerung lähmt jede Tätigkeit; sie kann
sich bei geringfügigen Anlässen bis zum Erstickungsanfall steigern.
Es erweist sich schliesslich die Vornahme der Tracheotomie und der
Gastrostomie in solchen Fällen zur Erhaltung des Bebens nicht selten
als unumgänglich nötig.
Archiv für klin. Chirurgie*. B«i. 107. Heft 4. ‘}(J
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
534
(i. Axhausen.
Digitized by
Aber aucli nach Vornahme dieser Operation befinden sich die
Patienten in einem kläglichen Zustande. Besser als mit diesen
Palliativoperationen würde den Patienten mit der Beseitigung der
Stenose gedient sein. Zieht man über die therapeutischen Möglich¬
keiten die führenden Lehrbücher zu Rate, so findet man als einzige
Behandlungsart die allmähliche Erweiterung der Stenose durch syste¬
matische Bougierung. Man darf es wohl offen aussprechen, dass
diese Behandlung, so mühselig und belästigend sie ist, in ihren Er¬
folgen mehr als zweifelhaft ist. Die Dehnung des starren Narben¬
ringes ist immer schwierig, oft unmöglich; sie führt leicht zu Ein¬
rissen, die ebenso wie die therapeutischen Incisionen nur neues
schrumpfendes Narbengewebe schaffen. Nicht selten treten an den
Einrissstellen neue syphilitische Eruptionen auf. Aber selbst wenn
eine Erweiterung erreicht ist, ist sie, sich selbst überlassen, nicht
von langer Dauer. So kommt der Patient sein Leben lang aus der
qualvollen ärztlichen Behandlung nicht heraus.
Auch bei meinen beiden Patientinnen hat die fortgesetzte Bougie-
behandlung, obwohl von fachkundiger Seite ausgeführt, völlig im
Stich gelassen. In einem meiner Fälle kam es sogar im unmittel¬
baren Anschluss an die Bougierung zu einer Zunahme der Ver¬
engerung, so dass die Tracheotomie zur Erhaltung des Lebens vor¬
genommen werden musste.
Unter diesen Umständen muss der Wunsch nach einer radi¬
kalen operativen Therapie als dringlich empfunden werden. Nach
meiner Durchsicht der Literatur und nach bestätigenden Angaben
von laryngologischer Seite (Geh. Rat Killian) scheint aber ein
solcher Versuch bis zur Zeit nicht gemacht worden zu sein.
Nur an einer Stelle habe ich den Vorschlag einer aktiveren The¬
rapie überhaupt gefunden. In der Bearbeitung der Stenosen in
dem im Erscheinen begriffenen Handbuch der Laryngologie von
Preysing und Katz, die durch Pieniazek erfolgt ist, findet sich
der Vorschlag, in schwierigen Fällen, in denen die Bougierung und
Lösung der Verwachsungen von innen nicht zum Ziele führt, die
stenotische Stelle durch Pharyngotomia lateralis zu spalten, von
aussen her die Verwachsungen zu lösen und dann die Wunden bei
entsprechender Nachbehandlung von innen unter Tamponade durch
Granulation zur Ausheilung kommen zu lassen.
Abgesehen davon, dass dieser Vorschlag bisher kaum je prak¬
tisch zur Durchführung gelangt sein dürfte (Killian), kann man
ihn nicht wohl als radikal bezeichnen. Auch nach diesem Eingriff
tritt wieder Narbengewehe an die Stelle der Verengerung und be¬
darf von neuem der therapeutischen Beeinflussung von innen her.
Eine radikale Behandlung hat zur unerlässlichen Voraussetzung.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
535
Die operative Behandlung der supralaryngealeu IMiarynxstenose usw.
dass nach operativer Beseitigung der Stenose reichlich
gute Haut an die Stelle der Verengerung gebracht wird,
so dass die Wiederkehr der Stenose ohne jede weitere Nachbehand¬
lung ein für allemal ausgeschlossen ist.
Die technische Durchführung dieser operativen Forderung hat
mir in zwei Fällen dieser Art einen recht erfreulichen Erfolg ge¬
bracht. Es konnte nicht nur eine völlige Beseitigung der Pharynx¬
stenose erreicht werden, sondern es trat — aus später noch anzu¬
führenden Gründen — eine gleichzeitige, weitgehende Besserung der
komplizierenden Verengerung des Larynxeinganges ein, so dass in
beiden Fällen die Kanüle für die Dauer entfernt werden konnte.
Das in beiden Fällen geübte Verfahren stellt nichts weiter dar,
als die Uebertragung der bewährten pharyngoplastischen und üso-
phagoplastischen Prinzipien v. Hacker’s auf die supralarvngeale
Pharvnxstenose.
«f
Ich darf diese Prinzipien als bekannt voraussetzen. Das
Schwergewicht der v. Hacker’schen Arbeit betrifft allerdings das
Gebiet des plastischen Pharynx- und Oesophagus-Ersatzes nach
der Resektion innerhalb dieser Organe. Hier hat v. Hacker ge¬
zeigt, dass die Neubildung des fehlenden Verbindungsstückes aus
der äusseren Haut der Umgebung auf dem Wege der „gedoppelten
Türflügelplastik“ ein erfolgsicheres und dankbares operatives Ver¬
fahren darstellt. Nach diesen Prinzipien ist von v. Hacker,
Gluck, Helferich, Narath u. a. eine grosse Anzahl von Plastiken
rach Resektion wegen Carcinoms mit bestem Ergebnis zur Aus¬
führung gebracht worden. Einigemal ist die gleiche Operation auch
•wegen gutartiger Oesophagusstenose (Verätzungsstriktur) mit Erfolg
zur Ausführung gelangt.
Diese radikale Excision kann für die supralaryngealen Pharynx-
stenosen nicht in Betracht kommen. Das Verfahren wäre hier
technisch schwer durchführbar, recht eingreifend und daher un¬
zweckmässig. v. Hacker hat aber neben dem Ausbau seiner Tür¬
flügelplastik einen weiteren technischen Vorschlag gemacht, der
weniger beachtet worden zu sein scheint. Er hat empfohlen,
„bei auf den Halsteil beschränkten, kurzen, röhrenförmigen Strik-
turen, die nicht zu dilatieren sind, statt der Resektion die ein¬
fache Spaltung der verengten Stelle durchzuführen und das, was
dem Rohr dann an Umfang fehlt, also das ganze vordere Halb¬
rohr, durch eine Plastik aus äusserer Haut — Bildung einer langen
Lippenfistel, und späteres Hineinschlagen der äusseren Haut — zu
ersetzen“ 1 ).
1) v. Hat* kor, lYbor «lio narli Wrälzurur enlstoliemlnn Speiscröhrm-
verpnirermiirrn. Wien 1SS9.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
536
(i. Axhausen,
Digitized by
Dieser Vorschlag, der sich auf die Strikturen der Speise¬
röhre bezog, ist, wie v. Hacker selbst in einer kürzlich publizierten
Arbeit 1 ) hervorhob, erst ein einziges Mal zur Ausführung gelangt
und zwar durch Rokotzkv 2 ), der eine Verätzungsstriktur der
Speiseröhre auf diese Weise zur Ausheilung brachte. Ungleich
häufiger ist das gleiche operative Vorgehen bei den Strikturen des
Larvnx in Anwendung gebracht worden: der Laryngofissur folgt
das Einlegen der seitlichen, mobilisierten Hautlefzen in den Wund¬
spalt zur Erzielung einer weiten Lippenfistel (Laryngostoma); wird
dann die äussere Haut an der Einmündung in die Lippenfistel Um¬
schnitten und w'erden die in der Fistel liegenden Teile der äusseren
Fig. 1 a.
Schematischer Frontalschnitt durch die llalsgegend.
U Unterkiefer, Gl Glandula submaxillaris, Z Zungenbein. X Nervus Inryugous
sup., Sch Schildknorpel, St Pharynxstenuse.
Haut nach Ablösen von der Unterlage nach innen umgeschlagen
und unter sich vereinigt, so ist an der Stelle der Larynxstenosc
ein Epithelrohr genügender Weite geschallen; die äusseren Wund¬
flächen der nach innen gekehrten Hautlappen können leicht durch
Lappenplastik von der Seite geschlossen werden.
Es lag nahe, diese Technik auch auf die supralarvngeale
Pharynxstenose in Anwendung zu bringen.
1) v. Hacker, Feber Oesophagoplastik im allgemeinen usw. Dieses Archiv.
Bd. 105. s. dt;;.
2) Hnkntz kv. Zur Fraire von der Ocsophagusplastik. Dieses Arclm.
Rd. S2. S. <>00.
Gck 'gle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Die operative Behandlung der supralaryngealen I’liarynxstenose usw.
537
Gibt Fig. la in einem grobschematischen Frontalschnitt die
supralaryngeale Pharynxstenose bei St. wieder, so musste in einem
ersten Operationsakt durch Pharvngotomia lateralis, Spaltung der
Stenose und Lappenplastik ein grosses Pharyngostoma an der
Fis;. 1 b.
Stelle der Stenose geschaffen iverden (Fig. 1 b). In einem zweiten
Akt musste dann der Hautanteil der Lippenfistel Umschnitten (etwa
bei J und J x in Fig. lb), nach innen umgeklappt und an der zu-
sarnmenstossenden Stelle vereinigt werden (Fig. lc); dann waren
die umgebenden Weichteile darüber zu schliessen. Es tritt da¬
durch an die Stelle der einen Hälfte des trennenden Diaphragmas
Digitized
bv Google
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
538
G. Axhausen.
eine geräumige Pharynxtasche, die zum Teil von äusserer Haut ge¬
bildet wird.
Die zur Pharyngotomia externa notwendige ergiebige Frei¬
legung der äusseren Pharynxfläche konnte auf Schwierigkeiten nicht
stossen. Bei der Lage der Stenose dicht über dem Larynx, also
etwa in Höhe des Zungenbeins, war es klar, dass das grosse
Zungenbeinhorn entfernt werden musste, um die Stenose spalten
zu können; der am unteren Rande des Zungenbeinhorns verlaufende
N. laryngeus sup. war zu schonen. Weiter musste zur Erzielung des
Pharyngostomas die submaxillare Speicheldrüse geopfert werden.
Fig. 2.
Fig. 2 zeigt halbschematisch das Bild nach der Entfernung
der Drüse: Zur Freilegung des Pharynx müssen die Mm. biventer,
stylohvoideus, hyoglossus und stylo-thyreoideus durchschnitten, die
Mm. mylohyoideus und omohyoideus eventuell eingekerbt xverden:
die Aa. maxillaris ext. und lingualis müssen durchtrennt, der
N. hypoglossus nach oben abgedrängt werden; der N. laryngeus
sup. muss aufgesucht und nach unten gedrängt werden. Wird
dann das Zungenbeinhorn exstirpiert, so liegt der Pharynx grade
an der Stelle der Stenose in grosser Ausdehnung zur Eröffnung
frei (Fig. 3).
Bei der nun folgenden Hautlappenplastik musste von vorn¬
herein von dem einfachen Ilineinschlagen der seitlichen mobili-
Digitized by Gougle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Die operative Behandlung der supralarvngealen Pharynxstenose usw. 539
sierten Hautlefzen — nach Art der Bildung eines Laryngostomas —
abgesehen werden. Bei der Tiefe des Pharynx — namentlich in
der Gegend unterhalb des Kieferwinkels — wäre bei dieser Technik
eine Spannung im Bereich der Schleimhaut-Hautnaht unvermeid¬
lich gewesen; eine Heilung dieser Naht per primam war aber nur
beim Fehlen jeder Spannung zu erwarten. Fs musste daher die
Schnittführung so gelegt werden, dass Haut in reichlicher Menge
und ohne jede Spannung zum Einschlagen in die Tiefe zur Ver¬
fügung stand. Ich habe dies so zu erreichen gesucht, dass ich
Fig. 3.
erstlich einen nach unten konvexen Lappenschnitt führte, ähnlich
wie zur typischen Unterbindung der A. lingualis, nur etwas weiter
lappenförmig nach unten gehend (Fig. 4, s. auch Fig. 2). Dieser
Lappen musste sich um den Unterkieferwinkel herum bequem in
die Tiefe legen und mit dem oberen Rand der Pharynxölfnung
vereinigen lassen. Die direkte Vereinigung des unteren, zurück¬
tretenden Schnittrandes mit dem unteren Rand der Pharynxöffnung
■war danach naturgemäss unmöglich; zur Erzielung einer spannungs¬
losen Verbindung musste es aber ein Leichtes sein, einen gestielten
Hautlappcn von der Seite des Halses (Fig. 4) zwischen dem unteren
Hautschnittrand und dem unteren Rand der Pharynxölfnung einzu-
Digitized by
Go igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
540
(i. Axhausen,
fügen. Kig. 6 lässt die Lage dieses Lappens nach der Einfügung
gut erkennen; sein freies Ende taucht in die Tiefe der Fistel.
Nachdem ich mich am Kadaver von der Ausführbarkeit des
operativen Vorgehens überzeugt hatte, habe ich die Operation in
dem folgenden Falle vorgenommen, der mir von Herrn Geh. Kal
Killian zur Operation freundlichst überwiesen wurde:
Fig. 4.
19 jähriges Mädchen. Als Kind Hornhautentzündung, die mit diffusen Horn¬
hauttrübungen geheilt i . Seitdem 15. Jahre dauernde gesell würige Prozesse im
Halse, die an verschiedenen Stellen, darunter auch in der Hautklinik der Charite,
energisch antiluetisch behandelt wurden. Oktober 1914 stellten sich zunehmende
Beschwerden beim Atmen und beim Schlucken ein. Die in der Halsklinik der
Charite durchgeführte konsequente Bougiebehandlung führte keine dauernde
Besserung herbei.
Befund: Mageres, blasses Mädchen von elendem Aussehen und in geringem
Ernährungszustände.
Lungen: Ueber der rechten Spitze Bronchialatmen und klingendes Hasseln,
über der linken Spitze verschärftes Exspirium und vereinzelte Hasehelgeräusche.
Mässige Dämpfung beiderseits. Auswurf ziemlich reichlich. Tuberkelbazillen:
positiv.
Hat. kann nur Flüssiges zu sich nehmen, das sie langsam und vorsichtig
schluckend aufnimmt. Die Atmung ist von einem dauernden Stridor begleitet.
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die operative Behandlung der supralaryngealen Pharynxstenose usw. 541
Rachenraum: Es besteht eine breite Verwachsung des weichen Gaumens
mit der hinteren Rachenwand; als Kommunikation zwischen Nasenrachen und
Mundhöhle ist nur eine kleine, etwa für einen Bleistift durchgängige Oeffnung
nahe der Mittellinie vorhanden.
Mit dem Kehlkopfspiegel ist von der Tiefe des Pharynx nichts zu er¬
kennen. weil sich zwischen dem der hinteren Rachenwand angenäherten Zungcn-
grund. der hinteren Rachenwand und den seitlichen Rachenabschnitten eine
Schleimhautbrücke herüberspannt und den Einblick in die Tiefe verlegt (Fig. 5).
Diese sonst geschlossene Membran zeigt nur in der Mittellinie eine Oeffnung,
etwa von der Dicke eines Notizbleistiftes, die zum Einblick in die Tiefe nicht
genügt. Die unmittelbare Umgebung der Oeffnung erscheint leicht verdickt und
etwas blasser in der Farbe, anscheinend infolge Narbenbildung (Fig. 5).
Noch während der Beobachtung in der Klinik nimmt der Stridor zu und
die nächtlichen Anfälle von Atemnot werden stärker, so dass in einer Nacht in¬
folge eines Anfalls die Tracheotomie vorgenommen werden muss.
Fig. 5.
I)cr Versuch der radikalen Operation war in diesem Falle in¬
diziert, nicht nur wegen der Schwere der Störungen und der Er¬
gebnislosigkeit der Bougiebehandlung, sondern auch deswegen, weil
eine Ausheilung der bestehenden Lungentuberkulose nur bei Erzie¬
lung einer ungestörten Ernährungsmöglichkeit zu erhoffen war.
7. 7. 15. I. Operation in Chloroformnarkose (Injektion von Novocain-
Adrenalinlösung ins Operationsgebiet).
Nach präliminarer Gastrostomie Hautschnitt in einem stark nach unten
gekrümmten Bogen von der Gegend fingerbreit unterhalb des Kinnes bis nahe
an den Proc. mastoideus (s. Fig. 4). Durchtrennung der Haut und des Platysma.
Frei präparieren des Haut-Platysmalappens bis zum Unterkiefer. Spaltung der
Faseic unterhalb der submaxillarcn Speicheldrüse und Lösung der Drüse von
der Unterlage. Spaltung der Faseic oberhalb der Drüse bis auf den Unterkiefer
unter doppelter Unterbindung und Durchtrennung der A. maxillaris externa.
Lösung der oberen Fläche der Drüse. Trennung der Drüse an der Aussenseite
von der Umgebung unter doppelter Unterbindung und Durchschneidung der
V. facialis communis (nahe der V. jugularis interna) und der A. maxillaris ex¬
terna (nahe der A. carotis). Vollendung der Exstirpation der Stibmaxillardrüse.
□ igitized by Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
542
(i. Axhausen,
Digitized by
Durehsehneidung des hinteren Biventerbauches und des M. sty 1«*liy««i*I imi>
dicht am Zumrenhcin. Doppelte Unterbindung und Durchtrennung der A. lin-
gualis am hinteren Rande des M. hyoglossus, Durchtrennung des M. hyoglossm
dicht am Zungenbeinhorn und Einkerbung des Randes des M. mylohyoideus
ebenda. Die Eröffnung des Pharynx im oberen Bereich der freigelegten Stellt-
fülirt in den Pharynxanieil oberhalb der Stenose. Der Striktureingang wir!
sichtbar: er. lässt eine dicke Empyemsondc eben passieren. Spaltung des ver¬
engerten Pharynxabsrhnittos in der Längsrichtung; die durchschnittene Partie
ist in der (legend der Striktur stark verdickt und verhärtet. Um bis ans untere
Ende der Striktur zu gelangen, muss das Zungenbeinhorn exstirpiert werden.
Nachdem der X. larvngeus sup. aufgesucht und stumpf vom Pharynx nach unten
abgedrängt worden ist, kann die Längsspaltung fortgesetzt werden, bi:> «i*r
unterhalb der Striktur gelegene normal weite Pharynxanteii erreicht ist. D-r
eingeführte Finger gelangt über den Ringknorpel ohne Schwierigkeiten in •: i*
Speiseröhre.
Der obere Hautlappen wird nunmehr in die Wunde hereingeklappt und
sein freier Rand lässt sich ohne jede Spannung mit dem oberen Rande der
Pharynxöffnung durch Catgut-Knopfnähte verbinden. Alsdann wird von der
linken Halsgegend ein nach oben gestielter Lappen entnommen (Fig. 4). der in
den unteren Anteil der Wunde eingeschlagen wird; sein oberer Rami wird mit
dem unteren Rande der Pharynxöffnung und sein unterer Rand mit dem unteren
Rande des ursprünglichen Hautbogensehnittes lückenlos vernäht. Die Ent nah um¬
stelle wird durch Hautknopfmähte sofort geschlossen. Nachdem noch einige
Hautnähte an den beiden Winkeln der Pharyngotomiewunde gelegt sind, ist
eine lückenlose Verbindung zwischen dem Pharynx und der äusseren Haui.
ein breites Pharyngostoma, hergestellt. Einige dünne Drains werden in
die Wundwinkel gelegt, ein Jodoformtampon in das Pharyngostoma eingelegt.
Airolpaste auf die Nahtlinie; Zinkpastelappen auf die umgebende Haut.
Verband.
Die Heilung ging ungestört vor sieh. Die kleinen Drains in den Winkeln
wurden am dritten Tage entfernt und der Pharynxtampon erneuert. Ueberall
prima intentio. Nur an der Basis der Entnahmestelle des seitliehen Hautlappens
entsteht durch Durchschneiden der Nähte ein kleiner Granulationsbezirk. der
per seeundam ausheilt.
Fig. <> zeigt das Bild der Patientin nach diesem ersten Opcrationsakl.
Io. S. II. Operation (Lokalanästhesie): Umschneidung des Hauteingango
des Pharyngostoma gut daumenbreit von der Hautsehleimhaut entfernt. Die
beiden umsehnittenen Ilautlappen werden von der Unterlage abpräpariert bi>
zur Hautsehleimhautnarbe, stellenweise sogar darüber hinaus. Dann werden die
Ilautlappen naeh innen umgeschlagen und durch einige subkutane Catgut nähte
lückenlos vereinigt. Ueber dieser Nahtlinie werden die angefrisehten Muskeln
und Faseien durch Uaigutknopfnähte vereinigt. Darauf werden die Aussenlef/en
der llautumsehneidung naeh Mobilisierung durch Hautknopfnähte vereinigt.
Dünnes Drain in den hinteren Winkel.
Die Heilung erfolgte glatt. Das Drain im hinteren Winkel wird am fünften
Tage entfernt; der kleine (iranulationsgang, der niemals Mundschleim hindureh¬
lässt, ist bald darauf geschlossen.
Fig. 7 zeigt das Bild der Patientin naeh dem zweiten Operationsakt.
Nach Beendigung der Heilung wurden die Sehluckxersuche begonnen, di»*
binnen kurzem so weit gediehen, dass Pat. alle Nahrung auf natürlichem Wege
zu si«*h nehmen konnte, so dass der Gastrostomiesehlauch entfernt werden
konnte.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
544
G. Axhausen,
Während «les llcilungsverlaufs dieser Operation zeigte es sieh nun, da>>
die Atmung mehr und mehr von der Kanüle unabhängig wurde: die Luftpassan *
erfolgte zum Teil neben der Kanüle durch den Kehlkopf; das Einlegen einer
Loehkanüle ergab die ausreichende Durchgängigkeit des Kehlkopfeinganges. Da
auch der larvngoskopische Befund günstig war, wurde die Kanüle entfernt,
und die Atmung erfolgte ohne Stridor und ohne Störung auf natürlichem
Wege.
Der larvngoskopische Befund zwei Monate nach der Operation war
der folgende (Fig. 8): Von dem den tiefen Pharynx abschliessenden inembranösen
Schleimhautdiaphragma (s. Fig. 5) ist nur mehr die rechte Hälfte — und auch
diese nicht unerheblich verkleinert — zu sehen. Die rechte Umgrenzung der
ursprünglichen stenotischen Oeffnung ist, etwas zurückgetreten und erheblich
abgeflacht, als hogiger Schleimhaut ran d nach Art einer Kulisse sichtbar; das
hintere Ende dieses Kulissenrandes geht in die hintere Bachenwand über, »las
vordere verliert sich unter dem Zungengrund. Der ganze übrige Anteil des ab-
Fig. 8.
schliessenden Diaphragmas ist verschwunden, so dass etwa in zwei Dritteilrn
des ganzen Baumes die Tiefe des Pharynx frei übersichtlich vorliegt. Die Seiten¬
fläche des Pharynxraumes wird hier von den beiden eingeschlagenen Lappen
der äusseren Haut (Fig. 8, H) gebildet, die durch ihre auffallend helle Farbe
sich von der umgebenden Schleimhaut sofort erkennbar abheben und die in der
Mitte die sie vereinigende Nahtstelle noch als schmale Narbe erkennen lassen.
In der Tiefe des Pharynx ist der noch etwas verengte, aber für die Luftpassage
völlig ausreichende Glottiseingang sichtbar. Die Epiglottis fehlt vollständig. Die
Stimmlippen sind bei Phonation im Glottiseingang deutlich sichtbar; sie sind
von normaler Beschaffenheit und normal beweglich.
In diesem Zustande ist der Pharynx bis zum gegenwärtigen Augenblick
geblieben.
Es hat also in diesem Falle die Durchführung der geplanten
Operation den gewünschten Erfolg in vollem Umfange herbeigeführt:
Der Pharynx hat an seiner engen Stelle etwa zwei Dritteile der
normalen Weite wiedergewonnen, so dass alle Störungen beseitigt
sind und das Schlucken selbst grosser Bissen auf irgend welche
Schwierigkeiten nicht mehr stösst. Dass dieser Zustand von Dauer
sein wird, dürfte wohl bei dem mit dem Kehlkopfspiegel erhobenen
Difitized by
Gck igle
Original frn-m
UNIVERSUM OF IOWA
Die operative Behamllunir der supralarynirealen Pharynxstenose usw. 545
örtlichen Befund keinem Zweifel unterliegen. Dass an dem w'eiten,
überall mit Haut bzw. Schleimhaut ausgekleideten Raume, der an
die Stelle der Stenose getreten ist, durch sekundäre Schrumpfung
eine "Wiederkehr der Verengerung eintreten sollte, wird auch von
laryngologischer Seite (Geh. Rat Killian) für ausgeschlossen ge¬
halten.
Leider hat sich aber meine Hoffnung, durch Regelung der
Ernährung die Lungentuberkulose günstig zu beeinllussen, nicht
erfüllt. Es hat sich vielmehr eine deutlich progrediente Lungen¬
phthise entwickelt, die die Prognose quoad vitara nicht günstig
stellen lässt. Unter dem Einfluss des reichlichen bazillenhaltigen
Auswurfs hat sich leider auch nach Entfernung der Kanüle eine
tuberkulöse Infektion der Trachealfistel eingestellt, die den
Schluss derselben verzögert. Zu dem kleinen Eingriff einer An¬
frischung des Fistelganges hat sich die Patientin bisher nicht ver¬
stehen können.
Die Frage der operativen Lösung des therapeutischen Problems
wird indessen durch diese ungünstigen Begleitumstände in keiner
Weise beeinflusst.
Von besonderem Interesse war die nach der Operation ein¬
tretende Besserung des Atmungszustandes. Ursprünglich hatte
ich die Ansicht, dass die Behinderung der Atmung ebenfalls durch
die Pharynxstenose bedingt sei, deren Enge nicht genügend Luft
passieren lasse. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte gleich nach
der ersten Operation das Hemmnis mit einem Schlage beseitigt
sein müssen. Dies war aber keineswegs der Fall; sondern die
Besserung der Luftpassage trat allmählich im Verlauf der Heilung
der Operationswunde auf. Es musste danach das Hemmnis nicht
in der Pharynxstenose, sondern tiefer, etwa im Larynxeingang, an¬
genommen werden; hier musste sich die Verengerung unter dem
Heilungsvorgang der Wunde allmählich gebessert haben. Welcher
Art die Verengerung und worauf die allmähliche Besserung zurück¬
zuführen war, konnte in diesem Falle nicht eruiert werden. Die
genaue laryngoskopische Untersuchung wurde erst nach Abschluss
der Wundheilung vorgenommen; zu dieser Zeit zeigte der Larynx¬
eingang schon die zur Atmung völlig ausreichende Weite. Ich
stellte mir mutmasslich den Vorgang so vor, dass durch Heran¬
ziehung der seitlichen Schleimhaut infolge der Stenosierung des
Fharynx ein Ueberfluss an Schleimhaut in der Umgebung des
Larvnxeinganges entstanden sei, so dass die Wulstungen der über¬
hängenden Schleimhaut den Larynxeingang verengten, und dass
später durch die operativen Eingriffe die Schleimhaut nach der
Operationsstelle an der seitlichen Pharynxwand herangezogen wurde,
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
546
Ci. Axhausen.
wodurch die Wulstungen der den Larynxeingang begrenzenden
Schleimhaut beseitigt und der Eingang selber freier werden musste.
Diese Vorstellung wurde durch meine Beobachtungen in dem fol¬
genden Falle bestätigt, den ich ebenfalls der Freundlichkeit des
Herrn Geh. Kat Killian verdanke:
lojähriges Mädchen. In früher Kindheit setzte ein Ohrleiden ein. das zur
Taubheit führte, und eine Augenentzündung, die mit diffuser Hornhauttriibung
leichten Grades zur Ausheilung irelangte. Im neunten Lebensjahre bildeten sieh
Geschwürsprozesse im Rachen heraus, die trotz sorgfältiger antiluetischer Be¬
handlung unter starker Xarbcnbildung zur Ausheilung gelangten. Seit dieser
Zeit kam Bat. sehr herunter, konnte nur mit Mühe Flüssigkeiten zu sich nehmen
und wurde durch starkes Röcheln beim Atmen in allen Leistungen und beirr.
Schlafen gestört. 1914 operative Freilegung der Choanen (Dr. Sturmann :
Fig. 9.
März 1915 Bougiebehandlung der PharynxstoDose. Im Anschluss an die Bou¬
gierung trat eine so heftige Zunahme des dauernd vorhandenen Stridors auf.
dass die Tracheotomie vorgenommen werden musste.
Bef und: Kleines, schwächliches Mädchen, in massigem Ernährungszustände
und von blasser Gesichtsfarbe.
Kachcnbefund: Vom Gaumensegel fehlt die L’vula und noch ein Stück:
das übrige ist vernarbt und mit der hinteren Rachenwand verwachsen. An Stelle
der linken Tonsille Xarbengewebe. Mit dem Spiegel sieht man zwischen dem
Zungengrunde und dem übrigen Pharynxabschnitt ein membranartiges Dia¬
phragma sich ausbreiten, das den Einblick in die Tiefe vollkommen unmöglich
macht (Fig. 9). Bei genauem Zusehen ist in diesem Diaphragma unmittelbar am
Zungrngrund eine etwa für einen Xotizblcistift durchgängige Oeffnung wahr¬
nehmbar. Doch ist sie im vollen Umfang nicht zu überblicken: vielmehr >in< (
nur die hinteren zwei Dritteile bei der laryngoskopisehen Untersuchung zu
sehen (Fig. 9).
30. 10. Operation in Aethcrtropfnarkose (Injektion von Xovocain-Adrenalin¬
lösung ins Operationsgebiet).
Xach präliminarer Gastrostomie wird die Freilegung des Pharynx genau
in der gleichen Weise wie im vorigen Falle vorgenommen. Die Bildung d»*>
oberen llautlappens ist erschwert durch eine Xarbcnbildung, die von der Er-
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die operative Behandlung der supralaryngealen Pharynxstenose usw. 547
Öffnung einer früheren Drüseneiterung herrührt. Die Eröffnung des Pharynx
und die Spaltung der Striktur wie im vorigen Falle. Doch -wird nach der
Spaltung der Striktur in diesem Falle noch die Durchtrennung einer band¬
artigen Verbindung zwischen den Rändern der Stenose vorgenommen, und es
wird weiter der auf der rechten Seite scharf vorspringende konkave Rand der
stcMiotischen Oeffnung nach Art der Pyloroplastik längs eingespalten und quer
vernäht. Danach sinkt der Rand ein gutes Stück nach der rechten seitlichen
Rachenwand zurück. Bei dem Aufsuchen des K ehlkopfcingangcs wird
dieser zunächst überhaupt nicht gefunden: erst nach längerem Suchen
Fig. 10.
und Ileriiberstrcielien mit dem Finger sicht man zwischen wu Ist artigen
Schleimhautlefzen einen feinen Spalt; die in ihn eingeführte Empyem¬
sonde gelangt dann mühelos hindurch in das Larynxinnere.
Die Bildung des Pharyngostoma wird genau in derselben W eise wie im
vorigen Falle vorgenommen. Die Entnahmestelle des seitlichen Hautlappens
wird durch einige Plattennähte gesichert. Versorgung der Wunde wie im
vorigen Falle.
Heilung erfolgt ohne jede Störung per primam; nur an der Basis der Ent-
nahmestelle entsteht ein kleiner Granulationsbezirk, der per secundam heilt.
Fiir. 10 zeigt den Befund nach der Heilung.
*28. 11. Zweite Operation. Der zweite Akt mit Einschlagung der um-
schnittenen llauilefzen wird genau in derselben Weise vorgenommen wie im
vorigen Falle.
Die Heilung erfolgt ohne Störung, die W unde ist nach 14 Tagen voll¬
kommen geschlossen. Fig. 11 zeigt diesen Befund.
Digitized by Gougle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
548
G. Ax hausen.
Schon unmittelbar nach dieser Operation ist eine Besserung der Atmung
bemerkbar, die- im weiteren Heilungs\erlauf anhält. Die Luft passiert neben
der Kanüle den Larvnx. Eine Lochkanüle bei Verstopfung der Eiirenöffnun^
Fig. 11.
Fig. 12.
wird mühelos vertragen, so dass am 10. 12. die Kanüle gänzlich entfernt werden
kann. Die Atmung ist völlig ausreichend mit einem leisen, eben wahrnehm¬
baren Stridor.
Die l’ntersuchung mit dem Kehlkopfspiegel (Fig. 12) zeigt, da>s von
der abschliessenden Membran nur noch ein Teil der rechten Seite wahrnehmbar
i>t. Man sieht hier von der hinteren Rachenwand nach der rechten seitlichen
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Die operative Behandlung der supralarvn^ealen lMiJirynxsleno.se usw. 549
TMiarynxwand und dem Zun^en^rund einen queren Wulst hinüberziehen, tior
dnn leizlen Best des Steposenrandes darstellt. Durch das Fehlen der ab-
srhliessenden Membran ist jetzt der Kiniran^ zu dem tieferen Pharynx reichlich
weit. Man erkennt in der Tiefe den narbig verengten Kehlkopfeini^anjr. Der
freie Teil des Kehldeckels fehlt vollkommen. Durch die Hoffnung des Kelil-
kojifes sind Narben in der liegend der Taschenriinder wahrnehmbar. In der
Tiefe sind die Stimmlippen gut zu sehen, liier ist keine Verengerung 1 mehr
vorhanden. Die Stenose dos Kehlkopfeinganges ermöglicht eine leidlich gute,
nur von geringfügigem Stridor begleitete Atmung. In dem weiten Baume, der
an Stelle der Stenose getreten ist, sieht man die beiden eingeschlagenen, durch
ihre weisso Farbe deutlich wahrnehmbaren äusseren Hautlappen, die die linke
seitliche Begrenzung des hier jetzt geräumigen Baumes bilden.
In diesem zweiten Falle einer noch etwas hochgradigeren
Pharynxstenose, der schon als Kanülenträger in meine Behandlung
kam, wurde durch den gleichen Eingriff der Pharyngotomia externa
mit nachfolgender Lappenplastik in relativ kurzer Zeit (6 Wochen)
der gleiche erfreuliche Erfolg erzielt, so dass der ganze Eingriff
den Charakter einer typischen Operation gewinnt. Nur wurde in
diesem Falle ausserdem noch von der Pharynxöffnung aus der
scharfe Stenosenrand der gegenüberliegenden Seite (im Sinne einer
Pvloroplastik) längs gespalten und vernäht — ein Vorgehen, das
sich vielleicht prinzipiell empliehlt. Auch in diesem Falle entstand
an der Stelle der Stenose nach Ausweis der laryngoskopischen
Untersuchung eine genügende Pharynxweite, an deren Bildung die
eingeschlagenen Hautlappen Anteil hatten. Und auch hier blieb die
günstige Besserung auf die LarynxVerlegung nicht aus. Es war
sogar möglich, nicht nur die Natur der Verlegung sicher zu
stellen, sondern auch die Art der postoperativen Besserung zu be¬
obachten. Es konnte durch die Autopsia intra operationem fest¬
gestellt werden — was im vorigen Falle nur vermutet werden
konnte —, dass die Verlegung des Kehlkopfeinganges haupt¬
sächlich auf die durch die Pharynxstenose herangezogene, gc-
wulstete und überhängende Schleimhaut zurückzuführen war, und
es konnte in der Nachbehandlung durch wiederholte larvngoskopi-
sche Untersuchung nachgewiesen werden, dass sich während des
Heilungsvorganges der Operationswunde der Kehlkopfeingang
durch Straffung und Retraktion der umgrenzenden Schleimhaut
nach der Operationswunde hin zunehmend vergrösserte, bis schliess¬
lich das für die Atmung notwendige Lumen freilag. Die Straffung
und Retraktion ist offenkundig teils durch die infolge der Ope¬
ration völlig veränderte Lage der angrenzenden Pharynxschleim¬
haut, teils durch den bei der Heilung auftretenden Narbenzug nach
der seitlichen Pharynxwand hin hervorgerufen. Zweifellos liegt
hierin ein grosser Vorteil des geschilderten radikalen Operations¬
verfahrens.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4. ;J7
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
550
0. A xhausen, Supralarvngealt* Pliary nxstcnnse.
Digitized by
Nach diesen Erfolgen glaube ich sagen zu dürfen,
dass die hochgradige supralaryngeale Pharynxstenose durch
die Pharyngotomia externa mit nachfolgender Lappenplastik in
typischer Weise operiert werden kann,
dass dadurch in kurzer Zeit mit Sicherheit eine radikale Be¬
seitigung der Pharynxstenose zu erreichen ist,
dass gleichzeitig eine begleitende Larvnxverlegung bis zur
Ermöglichung oraler Atmung gebessert werden kann.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
XXI.
(Aus der Chirurg. Universitätsklinik der Königl. Charite in Berlin.
— Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.)
Zur Technik der Schädelplastik.
Von
Prof. 0. Axhausen.
(Hierzu Tafel XX und XXI und 12 Tcxtfiiiureii.)
Die überwiegende Mehrzahl der Chirurgen hat sich nach den
bisherigen Erfahrungen des Feldzuges bei den Schädelhirn-Trümmer¬
schüssen und ganz besonders bei den „Tangentialschüssen“ zur
primären operativen Anfrischung bekannt, die die günstigsten Be¬
dingungen für den Heil verlauf schafft. Aber auch nach Abschluss
der Wundheilung ist der Zustand der Verletzten — ganz abgesehen
von etwaigen nervösen Störungen — von dem Ideal einer Restitutio
ad integrum weit entfernt. An der Stelle der Verletzung findet sich
eine breite, oft sehr entstellende Narbe, deren stark verdünnte Mittcl-
partie dieHirnpuIsation erkennen lässt: der pulsierende Schädeldefekt.
Wir wissen, dass infolge der kümmerlichen osteogenetischen
Fähigkeit des Schädelknochens ein spontaner knöcherner Verschluss,
selbst bei kleinen Defekten, nicht erfolgt. In allen von mir ope¬
rierten Fällen, auch in den ältesten, ist die Knochenneubildung
über eine gewisse Abrundung der scharfen Defektränder nicht
hinausgekommen. Häufig liegen die Ränder trotz langer Heilzeit
noch fast gerade so scharf und klar vor uns, wie unmittelbar nach
der operativen Anfrischung der Wunde. Zur grösstmöglichsten
Wiederherstellung des normalen Zustandes ist demnach die opera¬
tive Deckung des Defektes notwendig.
Sieht man, was selbstverständlich ist, von den Fällen ab, in
denen erhebliche irreparable Lähmungserscheinungen fortbcstehen
oder in denen irgend welche Symptome die Möglichkeit eines in¬
fektiösen Prozesses im Schädelinnern nahelegen, so dürfte diese
Forderung der plastischen Nachoperation gegenwärtig wohl unbe¬
stritten sein. Diskutabel dagegen ist die Frage, welches opera¬
tive Verfahren den Vorzug verdient.
Es bietet sich uns die Möglichkeit der Lappcnplastik nach
Müller-König mit ihren Varianten und die freie Transplan-
37*
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
552
(i. Axhausen,
Digitized by
tation. J3ei der letzteren steht uns wieder das verschiedenste
Transplantationsmaterial zur Verfügung; es gibt in der Tat nur
wenig feste Stoffe, die in dieser Richtung nicht schon versucht
worden sind — ich verweise auf die Angaben der Lehrbücher.
Welchem Verfahren der Vorzug zu geben ist, diese Frage wird
meines Erachtens mit der dauernd zunehmenden Zahl der Defekt¬
träger dringlich.
Die Frage wurde bisher nur gestreift 1 ), v. Eiseisberg hat
sich auf der Tagung der Kriegschirurgen in Brüssel dahio ausge¬
sprochen, dass „die Müller-König’sche Plastik in erster Linie
empfehlenswert wäre“; und zu dem gleichen Urteil kommt Hertle
in seiner monographischen Bearbeitung des Kapitels „Sehädel-
plastik“ in den Küttner-Payr’schen Ergebnissen. Nach ihm muss
„das Müller-König’sche Verfahren auch heute noch als das
Normalverfahren zur Deckung von Schädeldefekten angesehen
werden“. Ich kann diesen Angaben nicht beistimmen; und dieser
Umstand veranlasst mich zu den folgenden Mitteilungen.
Meine Kenntnis der Lappenplastik gründet sich auf zahlreiche
Fälle, die ich in der chirurgischen Klinik zu Kiel (Helferich) und
in der chirurgischen Klinik der Charite zu Berlin (Hildebrand)
mit beobachtet habe. Meine Kenntnis der freien Transplantation
basiert auf 28 Fällen, von denen 26 im letzten Jahre an Kriegs¬
verletzten zur Ausführung gelangten. Von diesen 28 Fällen muss
1 Fall ausgeschaltet werden, weil er infolge eines Versehens in der
Nachbehandlung für die Beurteilung der Methodik nicht in Betracht
kommt 2 ). Es stehen also 27 Fälle zur Vergleichung und Bewertung
der Methode zur Verfügung.
Ich bin nach meinen Erfahrungen im Gegensatz zu v. Eiseis¬
berg und Hertle der Ansicht, dass bei Schädeldefekten die
freie autoplastische Deckung der Lappenplastik durch¬
aus überlegen ist, und dass sie zurzeit als das Normal-
verfahren zu betrachten ist. Es haften dem Vorgehen Müller-
König’s, so genial es ersonnen ist, Nachteile an, die der Methode
der freien Transplantation fehlen.
Die Müller-König’sche Plastik ist in vollendeter Ausführung
technisch schwierig. Jeder, der die Operation oft ausgeführt hat.
wird mir zugeben, dass die Gewinnung einer zusammenhängenden
Knochenplatte einigen Umfanges und einiger Dicke von der be¬
nachbarten Schädeloberfläche nahezu, wenn nicht ganz unmöglich
1) A n m. bei der Korrektur: Die Verhandlungen der Mittelrheinisehen
('hirurgentagung über diesen Gegenstand sind erst nach Drucklegung dieser
Arbeit erschienen.
2 ) Die Krankengeschichte dieses Falles ist am Schluss der Arbeit kur.
aufgeführt.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Technik der Sehiidelplastik.
553
ist. Wenn es gelingt, eine dünne Platte, die aus vielen Bruch¬
stücken besteht, herauszumeisseln, muss man zufrieden sein. Der
Zusammenhang der Knochenplättchen mit der deckenden Haut ist
nur locker und daher gefährdet. Eine genaue Einpassung der
dünnen Knochenplatte in den Defekt ist äusserst schwierig, meist
gar nicht möglich; man begnügt sich grösstenteils mit dem unge¬
fähren Einpassen bzw. Auflegen der Knochenplatte. Es kann daher
nicht sofort eine feste Vereinigung des defektdeckenden Knochens
mit dem. umgebenden Schädel erzielt werden. Infolge der geringen
osteogcnetischen Fähigkeit des Schädelknochens dauert es auch
weiterhin lange, bis eine knöcherne Festigkeit an der Defektstelle
erreicht ist, und auch dann noch bleibt die Knochendecke dünn.
Damit Hand in Hand gehen kosmetische Nachteile: Nicht nur
bleibt die ursprüngliche Hautnarbe, sondern es wird neue ausge¬
dehnte Narbenbildung erzeugt; dies ist kosmetisch besonders dann
bedeutungsvoll, wenn die Stimgegend betroffen ist. Die Lappen¬
drehung erzeugt Hautwulstungen, die hässlich sind und manchmal
erst durch einen neuen Eingriff beseitigt werden müssen. Ist nach
Beschaffenheit der defektdeckenden Narbe Excision und Lappen¬
deckung nötig, so lässt sich die Entnahmestelle des Lappens oft
nicht durch direkte Naht, schliesscn und bedarf dann der Deckung
durch Thiersch’sche Epidermislappen; es entsteht danach eine breite,
eingesunkene, glänzende Narbe, die auf der behaarten Kopfhaut
durch ihre Haarlosigkeit auffällt.
Ein Teil der Nachteile wird vermieden, wenn man statt der
ursprünglichen Müller-König’schen Plastik das Verfahren nach
v. llacker-Durante wählt, bei dem die Lappenplastik nur Periost
und Knochen, nicht aber gleichzeitig die deckende Haut betrifft.
Abgesehen davon, dass das Verfahren dem Umfang nach seine
natürliche Grenze hat, so bleiben auch in vollem Umfange die er¬
wähnten Schwierigkeiten der Entnahme und der Einfügung des
Knochens bestehen. Das Gleiche gilt für das kürzlich angegebene
Verfahren von Hofmann 1 ), der nach Freilegung der Schädelober¬
fläche das Deckstück vom umgebenden Schädel entnimmt und es
an einem periostalen ßrückenlappen hängen lässt. Wozu alle diese
technischen Schwierigkeiten der Perioststielung zuliebe, wenn man
durch vielfache Erfahrung weiss, dass dieser periostale Stiel für
den Vorgang der Einheilung wirklich unnötig ist!
Von allen den erwähnten Nachteilen ist die freie autoplasti¬
sche Transplantation völlig frei.
Die Entnahme des einzufügenden Knochenstückes von der
1) Hof mann. Die Terhnik der Sehiidelplastik. Münchener med. Wochen¬
schrift.' 19IG. Xr. 2.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
554
(1. Axliaiiscn,
Digitized by
vorderen Tibiafläche ist technisch äüsserst einfach. Es ist stets
möglich, eine dem Defekt genau entsprechende Knochenscheibe in
einem Stück und in jeder gewünschten Dicke zu gewinnen, beson¬
ders wenn man dem Defekt vorher durch Anfrischung mit der
Luer’schen Zange eine annähernd (juadratische oder rechteckige,
bzw. trapezoidc Form gegeben hat. Man bedarf dazu keiner be¬
sonderen Instrumente — ich habe in allen meinen Fällen nur den
scharfen Bildhauermeissei benutzt, der jedem Chirurgen zugänglich
ist. Man ist bezüglich der Grösse der Knochenscheibe völlig un¬
gebunden. Reicht die Breite der Tibia nicht aus — was wohl nur
selten der Fall sein wird —, so legt man zwei Stücke nebeneinander
ein (Fall 6, Taf. XXI, Fig. 2), womit wohl jeder in Betracht kom¬
mende Defekt zu decken ist.
Die Einfügung kann unter Zurechtstutzen des Stückes bzw.
des Defektes stets so erfolgen, dass durch knappes Einpassen das
Stück sofort festen Halt gewinnt: ein fester Verschluss ist dann
sofort erreicht. Aber auch in den Fällen, wo das knappe Ein¬
fügen nicht geglückt ist und das Stück zunächst beweglich im
Defekt liegt, ist, wie meine Erfahrungen in den ersten Fällen mir
gezeigt haben, die feste Verbindung mit dem umgebenden Knochen
in spätestens 14 Tagen stets erreicht. Die zuweilen empfohlenen
fixierenden periostalen Nähte habe ich dabei nie angewendel.
Es entstehen nicht nur keine neuen Narben und Hautwulstun-
geu, sondern es verschwindet sogar die vorhandene unschöne, breite
und eingesunkene Narbe und an ihre Stelle tritt eine lineare, im
Niveau der umgehenden Haut liegende Narbe. In 27 von unseren
28 Fällen war es möglich, nach Excision der Narbe die umgebende
gute Haut direkt über dem Transplantat zu vereinigen. Nur ein¬
mal (Fall 12, Fig. 6) war es nötig, einen seitlichen Entspannungs¬
schnitt zur Gewinnung eines Brückenlappens anzulegen. Es hat
sich mir gezeigt, dass man vor Spannung der Hautnähte nicht zu¬
rückzuschrecken braucht; gelingt es, durch weitgefasste Hautnähte
die Hautlefzen ohne allzu gewaltsamen Zug zusammen zu bringen,
so heilen sie auch ohne Störung aneinander. Selbst wenn die Narbe
Vförmig oder -f-förmig ist und die gefährdeten Wundwinkel direkt
über dem Transplantat zu liegen kommen, habe ich Störungen der
lückenlosen prima intentio nicht beobachtet. Es besitzt eben die
Kopfschwarte kraft ihrer Dicke, ihrer Festigkeit und reichlichen
Durchblutung eine besonders günstige Heilfähigkeit. Der kosmeti¬
sche Wert dieser Nachoperation wird durch einige der beigefügten
Abbildungen illustriert. Die Entnahmestelle am Unterschenkel hat
niemals zu Klagen Veranlassung gegeben; insbesondere wurden
Frakturen in keinem Falle beobachtet.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Zur Technik der Schiidelplastik.
000
Diesen unleugbaren Vorteilen der freien Transplantation stehen
Nachteile nicht gegenüber, wenn man nur das geeignetste
Trans plan tationsniaterial benutzt.
Die Frage des geeignetsten Transplantationsmatcrials dürfte
nach den Feststellungen des letzten Jahrzehnts als entschieden zu
bezeichnen sein. Die Ueberlegenheit frisch entnommenen, eigenen,
periostgedeckten Knochens, die in meinen Untersuchungen 1 ) an
menschlichen und experimentellen Transplantationen eine sichere
histologische Stütze erhielt, ist zurzeit als nahezu allgemein an¬
erkannt zu betrachten. Besonders wertvoll sind in dieser Richtung
die bestätigenden Erfahrungen Lindemann’s, über die er ganz
neuerdings auf Grund von 97 Unterkieferplastiken berichtete 2 ).
Die Gründe der Ueberlegenheit, die in dem Ueberleben von
Periost- und Markteilen und in dem darauf basierenden raschen
Eintritt einer festen organischen Verbindung zwischen Transplantat
und Mutterboden gipfeln, habe ich in der erwähnten Arbeit ausführ¬
lich zur Darstellung gebracht, so dass sich ein weiteres Eingehen
auf diese Frage an dieser Stelle erübrigt. Spätere histologische und
experimentelle Feststellungen anderer Autoren haben — von wenigen
Ausnahmen abgesehen — die Bestätigung jener histologischen Ge¬
setze ergeben. Und die Arbeiten, die abweichende Auffassungen
vertreten, bieten jedesmal der Kritik eine breite Angriffsfläche.
So gelangten, um nur ein Beispiel zu geben, Baschkirzew
und Petrow 3 ) in der Deutung ihrer ausgedehnten Knochenimplan¬
tationen zu ganz eigenartigen Schlüssen.
Bei der Einheilung von Knochenstücken, deren Periost abge¬
schabt worden war, fanden sie nach längerer Beobachtungszeit
gleichwohl Auflagerungen neugebildeten Knochens auf der periostalen
Oberfläche, die den Umbau des überpflanzten absterbenden Knochens
einleiteten. B. und P. schlossen daraus, dass das Periost zur Re¬
generation des Knochens entbehrlich sei.
Bei der Einheilung von Röhrenknochen, aus denen das Mark
vorher beseitigt worden war, fanden sie gleichwohl myelogenen
Callus und Bilder des Knochenumbaus. B. und P. schlossen daraus,
dass auch das Markgewebe zur Regeneration des Knochens entbehr¬
lich sei. „Lebend überpflanzte Knochen können regeneriert werden,
auch wenn sie ohne Periost und Mark transplantiert werden“.
1) A xliause n, Die histohurisehen (ieselze der freien Osteoplastik. Dieses
Archiv. Hfl. SS.
2) Lindemann. Leber die Hescitiirimir der traumatiselien Defekte der Oe-
siehtsknoehen. Kiirebnisse aus dem Düsseldorfer Lazarett für Kieferverletzte.
1916. Heft 4-6.
3) Basehkirzew und Petrow, Beiträge zur freien Knoelienüberpflanzun^.
Deutsche Zeitsehr. f. Cliir. 1912. IM. 1153. S. 490.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
556
(i. Ax hausen,
Digitized by
Wovon soll denn nun die Regeneration ausgehen? Dass sie
von den Knochenzellen selber ausginge, schliessen selbst B. und P.
aus. Es bleibt ihrer Ansicht nach nur die Entstehung aus dem
umgebenden Bindegewebe übrig. Höchst merkwürdiger Weise
aber tut das umgebende Bindegewebe gar nichts, wenn ausge¬
kochter oder mazerierter Knochen verpflanzt wird. ß. und P.
fanden in Versuchen dieser Art niemals Spuren von Regenerations¬
tätigkeit. Flugs helfen sich die Autoren mit der Hypothese, dass
der lebend überpflanzte, selber absterbende Knochen auf das um¬
gebende Bindegewebe einen spezifischen Reiz zur Knochenneubildunsr
ausübe, der tote Knochen aber nicht!
Die beiden Autoren hätten sich alle diese Trugschlüsse er¬
spart, wenn sie einmal einen ihrer „periostlosen“ oder „marklosen“
Knochen vor der Transplantation mikroskopisch untersucht hätten.
Sie hätten dann gefunden, dass die makroskopisch so glatte Ober¬
fläche re vera gar nicht glatt ist, sondern durch zahlreiche grössere
und kleinere Nischen und Spalten unterbrochen wird, die durch
eintretende Gefässe hervorgerufen werden und in denen — in
jedem Schnitt sichtbar — reichliche Zellen der tiefen osteo-
blastischen Schicht des Periosts gelegen sind. Ebenso
würden sie bei ihren „entmarkten“ Knochen in den Unregelmässig¬
keiten der Knochenwandungen der Markhöhle nicht unerhebliche
Mengen anhaftender Knochenmark- und Endostzellen ge¬
funden haben. In streng histologischem Sinne ist periostloser
und markloser Knochen auf mechanischem Wege gar nicht zu er¬
zeugen! Und selbst wenn man höchst komplizierter Weise das
Knochenstück aus dem Inneren einer Röhrenknochencorapacta ent¬
nehmen wollte, würden einzelne Markzellen der Havers’schen Kanäle
und Räume an den Schnittflächen freiliegen. Von solchen anhaf¬
tenden osteoblastischen Zellen des Periosts und Marks entstehen
die Auflagerungen neugebildeten Knochens nach der Transplanta¬
tion, die B. und P. gefunden haben, nicht aus dem umgebenden
Bindegewebe. Ihr Schluss ist um so kühner, als sie nach ihrer
eigenen Angabe eine Färbung der elastischen Fasern des Periosts,
die es allein ermöglichen könnte, die Beziehungen neugebildeten
Knochens zum Periost zu beurteilen, nicht gemacht haben. Mit
solchen Argumenten lässt sich das festgegründete Gebäude der
histologischen Transplantationsgesetze nicht erschüttern!
In dem Haftenbleiben lebender Periost- und Markteile liegt
eben die enorme Ueberlegenheit des frisch entnommenen Knochens,
auch wenn er „periostberaubt“ und „entmarkt“ ist. Ich habe auf
diese Verhältnisse in der bereits zitierten Arbeit ausdrücklich hin¬
gewiesen.
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITÄT OF IOWA
Zur Technik der Schädelplastik.
557
Es ist daher auch ganz zweifellos, dass solcher „periostloser“
oder richtiger „nackter“ Knochen ein recht brauchbares Trans¬
plantationsmaterial darstellt. In einem meiner Fälle wurde infolge
seiner Eigenart ein mächtiges Stück pcriostlosen Schädelknochens
mit bestem Erfolg replantiert (Fall 5, Fig.8 u. 9, Taf. XXI, Fig. 3—5).
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Knochenneubildung
bei den periostgedeckten Knochenstücken rascher und umfangreicher
einsetzt, besonders wenn man von den von mir empfohlenen Ein¬
schnitten in das Periost Gebrauch macht, deren Zweckmässigkeit
Lindemann bestätigt; durch sie werden „Zufahrtstrassen“ für die
ernährende Flüssigkeit und die Blutgefässe des Mutterbodens ge¬
schaffen. Die reichliche Knochenneubildung und die rasche Verbin¬
dung mit der Umgebung bewirkt bei vergleichender Untersuchung
die Ueberlegenheit des periostgedeckten Knochens gegenüber dem
periostberaubten Knochen.
Dass homöoplastisches Material ebenfalls brauchbar ist, ist
durch zahlreiche histologische und klinische Erfahrungen, nament¬
lich der Extremitätenchirurgie, sichergestellt; aber es ist nach den
vergleichenden Feststellungen infolge der Minderarbeit des Periosts
und Markes dem körpereigenen Knochen nachweislich unterlegen.
Erneut möchte ich aber betonen, dass die Benutzung hetero-
und alloplastischen Materials als Fremdkörperimplantation mit allen
ihren Nachteilen durchaus unzweckmässig ist, so dass solche Ver¬
suche, die immer wieder vorgenommen werden und bei denen der
Stolz über die gelungene Einheilung die Fähigkeit vergleichender
kritischer Beurteilung trübt, endlich aufgegeben werden sollten.
Da uns zur Schädelplastik das geeignetste Material wohl
immer zur Verfügung steht, müssen wir es nehmen; es ist der
frisch entnommene, eigene, periostgedeckte Knochen, und zwar —
wegen der geringeren osteoblastischen Fähigkeit des Schädelperiosts
— der Extremitätenknochen, der sich an der vorderen Tibialläche,
besonders in der Nähe des oberen Gelenkendes in einfachster Art
zur Entnahme darbietet.
Unter der Benutzung dieses Materials ist mir von irgend welchen
Nachteilen der Transplantationsmethode nichts bekannt geworden.
Solche Nachteile könnten erstens in der grösseren Gefährlich¬
keit der Methode liegen.
Nach Art desEingriffs scheint dies von vornherein ausgeschlossen;
dementsprechend habe ich von meinen Fällen keinen verloren.
Nachteile könnten zweitens in der Möglichkeit leichteren Miss-
lingens durch Hinzutreten von Infektion begründet sein.
Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht der Fall ist: In allen
meinen Fällen trat — trotz der Mächtigkeit des Transplantats in
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
558
<i. Axhausen,
Digitized by
manchen Fällen — eine reaktionslosc Heilung der Operationswunden
auf. Diese Tatsache muss ich besonders Hofmann gegenüber her¬
vorheben, der in seiner zitierten Arbeit sich dahin ausspricht, dass
„die freie Transplantation keine reaktionslose Einheilung gewährt".
Weder Spannung der Hautnähte, noch das Zusammentreffen kreuz¬
förmiger Nahtlinien über dem Transplantat, noch auch Sekretion
eines Stichkanals störte die Heilung, selbst dann nicht, wenn die
unter den Nahtwinkeln liegenden Knochenstücke ganz erhebliche
Dimensionen besassen, wie es z. B. im Falle 6 der Fall war.
Allerdings habe ich Wert darauf gelegt, dass die Periostseite
der Knochenstücke nach aussen zu liegen kam, so dass die Naht¬
stelle nicht gerade auf dem nackten, absterbenden Knochen, son¬
dern auf dem überlebenden Periost ruhte. Dass dadurch die
Meisseifläche des Knochenstückes — selbstverständlich nach Ent¬
fernung etwaiger Splitter — der angefrischten Hirnoberlläehe auf¬
lag, hat mich in keiner Weise beunruhigt. Die Knochenfläche ist
ziemlich glatt und legt sich, wenn man dem Stück die genügende
Dicke gibt, in ganzer Fläche dem Hirn auf, so dass keine Gelegen¬
heit zu umfangreicher Narbenbildung gegeben ist. Dazu kommt,
dass nach der Excision des im Defekt gelegenen Narbengewebes
die vorliegenden Hirnmassen noch von einer dünnen, merubran-
artigcn Narbenschicht überzogen sind, deren Dünne durch die
Deutlichkeit der Pulsation erwiesen wird. Nur selten drang die
Excision so tief ein, dass Liquor abfloss; aber auch in diesen
Fällen blieb der grösste Teil der Hirnmasse noch von einer dünnen,
membranartigen, piaähnlichen Membran überzogen. Das nach der
Operation hinzutretende spärliche dünnschichtige Narbengewebe hat
zu irgend welchen Störungen keinen Anlass gegeben.
Auch in dem Falle (Fall 5), in dem das ausgemeisselte, mäch¬
tige Knochenstück nach seiner Umdrehung ohne Periostbekloidung
unter der Haut lag, trat keine Störung auf; allerdings lag in diesem
Falle die Nahtlinie etwas abseits des Transplantats. Auch in dem
Falle 12, in dem zur Deckung des Hautdefektes ein seitlicher
Brüekenlappen genommen werden musste, trat ungestörte Heilung ein,
obwohl doch die Wundhöhlc mit der Entnahmestelle des Lappens,
die durch Epidermislappen gedeckt wurde, aber am Rande einiire
sezernierende Granulationen aufwies, in freier Kommunikation stand.
Ebensowenig vermochte die Anwesenheit von Fremdkörpern — be¬
sonders Geschossteilen — und die Anwesenheit von kleinen Se-
questerchen, die mehrfach — allerdings ohne Eiter — eingebettet in
Granulationsgewebe oder eingekapselt in Narbengewebe vorgefunden
wurden, die prima intentio zu stören. Einige Male wurden beim
ersten Verbandwechsel kleine Hämatome der Operationsgegend be-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Twlinik der .VrliädclplasliL
559
obachtet, die durd) einmalige Punktion beseitigt wurden. Voraus¬
setzung für die infektionslose Heilung ist nur, dass vor der Ope¬
ration jede Fistelbildung an der Defektstelle beseitigt ist. Versuche,
auch bei Fistelung die autoplastische Deckung unter dem Schutze
des überlebenden Periosts und Markes vorzunehmen, erscheinen mir
leichtsinnig und verwerflich. Unter dieser Voraussetzung aber ist.
von irgend welcher Infektionsgefahr bei der freien Autoplastik nicht
zu sprechen. Auch Spätinfektionen oder sekundäre Ausstossungen
des Transplantats, wie sie sich erfahrungsgemäss zuweilen bei der
Alloplastik ereignen, blieben in meinen 27 Fällen aus.
Ein letzter Nachteil könnte darin liegen, dass nervöse Störun¬
gen (besonders epileptische Zustände) im Anschluss an die Trans¬
plantation in Erscheinung treten könnten.
Krampfzustände im Anschluss an die Operation wurden in
keinem Falle beobachtet; auch in der Folgezeit ist mir von keinem
Patienten, soweit ich Nachrichten erheben konnte, über Krampf¬
anfälle berichtet worden. Dagegen ist es zweimal gelungen (Fall 25),
durch die Operation — einmal bei gleichzeitiger Eröffnung einer
traumatischen Meningealcyste — die vorher schon vorhandenen
epileptischen Anfälle zum Verschwinden zu bringen. Vorüber¬
gehende Lähmungserscheinungen im Anschluss an die Operation
wurden bei Patienten mit vorher intakter Hirnfunktion nicht beob¬
achtet. Dagegen stellten sich in zwei Fällen, bei denen unmittel¬
bar nach der ursprünglichen Verletzung Lähmungserscheinungen
vorhanden waren — einmal kombiniert mit Aphasie —, die allmählich
fast völlig zurückgegangen waren, nach der Transplantation eine deut¬
liche Zunahme der cerebralen Störungen, besonders der Aphasie ein,
die aber sehr bald wieder verschwand, um dem Zustand vor der
Operation Platz zu machen. Solche vorübergehenden Verschlechte¬
rungen hängen aber nicht von der Methodik der Transplantation, son¬
dern vom Operieren am Hirn überhaupt ab; sie werden in gleichen
Fällen bei der Deckung mit Lappenplastik auch zu erwarten sein.
Nach alledem kann daher füglich von irgend welchen Nach¬
teilen gegenüber der Lappenplastik, die die grossen Vorteile zu
beeinträchtigen imstande wären, nicht gesprochen werden. —
Die Frage des besten Zeitpunktes der Operation soll hier
nur gestreift werden. Im allgemeinen wird der (Jesichtspunkt
obwalten müssen, nicht zu früh an diese Plastiken heranzu¬
gehen; andererseits soll man nicht zu lange mit der Herstellung
des definitiven Zustandes warten. Man muss Knochenverletzungen,
die ohne cerebrale Ausfallserscheinungen verlaufen sind, von solchen
mit cerebralen Störungen (Lähmungen, Aphasie usw.) trennen. Bei
ersteren gehe ich an die plastische Operation, sobald die Wunde, je
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
560
Ci. A x li ausen,
Digitized by
nach der Schwere der vorausgegangenen Verletzung, mindestens 2 bis
6 Monate völlig heil ist. Bei solchen Patienten, die die Operation
wegen des kosmetischen Effektes oder aus Beunruhigung über die
Hirnpulsation wünschen, gehe ich früher heran als bei anderen. Bei
Patienten, die cerebrale Komplikationen aufweisen, warte ich, bis nach
Urteil des Neurologen in der Rückbildung der cerebralen Störumr
ein Dauerzustand erreicht ist und noch einige Monate länger; dabei
darf der Dauerzustand nur unerhebliche Reststörungen aufweisen.
Bei andauernden erheblichen Lähmungserscheinungen, ebenso wie
bei leisestem Verdacht auf Hirnabscess wird selbstverständlich von
der plastischen Nachoperation überhaupt abgesehen. In epileptischen
Zuständen erblicke ich jedoch eine besondere Indikation zur baldigen
Vornahme des Eingriffs.
Ich habe sämtliche Operationen in Allgemeinnarkose ausgeführt
und halte dies auch für zweckmässig, obwohl ich gewiss nicht in
Abrede stellen will, dass die Operation in Lokalanästhesie technisch
möglich ist. Ich scheue die Lokalanästhesie bei der Osteoplastik
überhaupt — wegen der möglichen Beeinträchtigung des Mutter¬
bodens, sei es durch die Anämie, sei es durch die nachträgliche
Blutung, die gerade am Schädel zuweilen nicht gering ist und die
das Transplantat von der Umgebung trennt und den Zutritt der er¬
nährenden Gefässe hemmt. Auf der anderen Seite kann ich bei den
jungen kräftigen Soldaten in der Anwendung der Allgemeinnarkose
eine Gefahr nicht erblicken.
Die Operation vollzieht sich stets in der gleichen typischen Weise:
Umschneidung der vorhandenen Narbe in gesunder Haut. Vertiefung der
Sehnitte bis zum Knochen, wobei inan sieh mit Sicherheit ausserhalb der tast¬
baren Defektstellen zu halten hat. Zurückdrängen der umgebenden Haut samt
Perirranium in genügender Ausdehnung mit dem Elevatorium. Freilegung der
Defcktründer mit dem Flevatoriuni zunächst an der Oberfläche, dann am Defekt¬
rand und schliesslich an der Innenfläche des Knochenrandes: an letzterer Stelle
vermag die Spitze eines unter den Hand geschobenen, stark gebogenen Elrva-
toriums bei seitlicher Verschiebung die Verbindungen zwischen Narbengewebe
und Knochen fast stets leicht zu trennen. Ist diese Freilegung im ganzen Be¬
reich des Defektes — auch in den Winkeln — sauber beendigt, so wird da-
gesamte im Defekt liegende Narbengewebe samt der Haut narbe entsprechend
dem Niveau der inneren Schädelfläche excidiert. Jetzt liegt das Hirn, nur noch
von einer dünnen Membran, die Durareste cinschlicsst, bekleidet, deutlich pul¬
sierend frei. Manchmal dringt die Exeision etwas tiefer, so dass Liquor abfliesst;
kleine, blasige Verwölbungen zeigen dann die Anwesenheit von Piagewebe an.
Erscheint die Hirnpulsation noch zu schwach oder die Membran bei Betastung
noch zu dick, so wird noch ein weiteres Stück flächenhaft excidiert. Sind ror-
likale Keizsymptome vorhanden, so wird die Exeision bis in die Hirnsubstanz
vorgenummen und etwa gefundene cystisehc Räume der Pia entfernt: oder eröffnet.
Fs folgt: die Anfrischung der meist abgerundeten Defektränder mit der
Fuehr'schcn Zange, wobei dem Defekt eine regelmässige quadratische, recht¬
winklige oder trapezoide Form gegeben wird. Die Ausmasse werden mit «lern
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Technik * Irr Srhädelplastik.
561
Zirkel bestimmt. Dann werden die Hautlappen zur Xahtvcrcinigung präpariorl:
Zur Entfaltuni: der meist etwas geschrumpften seit liehen 1 laut lappen werden
einige parallel verlaufemle Lüngsinrisionen in ganzer Ausdehnung der Wunde
in die Wundflärhr der Lappen (Galra und Perirranium) gelegt; die letzte In¬
zision verläuft ganz nahe dem Wundrand. wodurch allein die Ausrollung der
meist stark eingerollten llauträndrr und damit die ideale Adaptierung bei der
Xalitvereinigung ermöglicht wird. Kompression der M unde.
Zur Entnahme des Knochens wird ein nach innen konvexer IJogensehnitt
über die vordere Tibiafläeho, dicht unterhalb der Tuberositas geführt: die
Uasis entspricht der vorderen Tibiakante. Der Lappen wird nach der Basis zu¬
rück präpariert, wobei das mehrschichtige Easciengewebe streng in den Lappen
genommen wird. Gehen dabei einige Schnitte in bzw. durch das Ecriost, so tut
das nicht das Geringste. Entsprechend den Läiurenmassen des Defektes wird das
Periost cingeselinitten; eine Längsfläche entspricht der vorderen Tibiakante. Die
abseitigen Eeriostlefzen werden mit dem Elevatorium zurückgedrängt, entlang der
inneren Periostränder wird das Knochenstück mit dem Meissei umgrenzt. Der
Meissei w ird mit der Ecke der Schneide schräg zum Knochen aufgesetzt und diese
Ecke wird durch die llammersehläge vorgetrieben und in den Knochen eingetrieben.
Bleibt man mit der Entnahme in der Gegend der Metaphvse, so gelingt dies
sehr leicht; am Sehaftteil ist es etwas schwieriger, aber immer gut ausführbar.
Xaeh Beendigung der Eingrenzung wird die äussere Tibiafläche von anhaftender
Muskulatur freigemaeht und nun auf ihr, in d e r Entfernung von der Tibiakante,
die der gewünschten Dicke des Knoehcnstüeks entspricht, ein Bildhauermeisset
parallel zur vorderen Tibiafläeho aufgesetzt. Die Breite des Meisseis entspricht,
wenn möglich, der Länge des zu entnehmenden Stückes. Ein Tupfer wird auf
das Stück sanft aufgedrückt, um das plötzliche Herausspringen und den etwaigen
Verlust des Stückes zu verhindern. Mit wenigen kräftigen llamtnersehlägen wird
dann das umgrenzte Stück in toto aus seinem Lager gelöst.
Während der Assistent die Entnahmestelle durch Easeion-Eettnähte und
Hautnähte seldiesst, wird das Knochenstück durch Zurechtstutzen mit der
Liston'sehen Knochenzange, bzw. durch weitere Port nähme von Knochen am
Defektrand genau dem Defekt angepasst. Xaehdem einige kreuzförmige In-
cisionen in das deckende Periosl gemacht worden sind, wird das Stück durch
kräftigen Fingerdruck fest in den Defekt eingefügt, so dass selbst bei llusten-
slössen das andrängende Hirn das Stück nicht herauszudriieken vermag. Einige
weitfassende Entspannungsnähte bringen die llautlefzen zusammen und dicht
gelegte Adaptionsnähte sorgen für die gute Lage der Wundlefzen.
Ans der Zahl der 28 Operationen greife ich einige zur Illu¬
stration der obigen Ausführungen heraus.
Als Schulbeispiel dieser Osteoplastiken mögen die beiden folgen¬
den Fälle dienen, die zugleich den kosmetischen Effekt demonstrieren.
Fall 14. Ersatzrosorvist K. Tangcntialschuss durch infanteriogesehoss.
1. 11. sofortige operative Anfrisefnmg im Feldlazarett. Keine Hirnsymptome.
A 11 mähliehe Heilung.
ln die Klinik aufgenommen am S. 7. 15. Kig. 1 a und h lassen die Be¬
schaffenheit der Xarbe. besonders die Breite und die Einsenkung, gut erkennen.
17.7. Operation in üblicher Weise. Der Defekt hatte etwa Markstüekgrösse.
Fig. und b zeigen den Zustand nach der Operation, wobei zu berück¬
sichtigen ist, dass die Einzelheiten der linearen Xarbe in der photographischen
Aufnahme gleich nach der Operation noch etwas zu scharf heraustreten. Dir
Xarbe wird im Laufe der Zeit nahezu unsichtbar werden.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
562
(i. Ax hausen.
Fig. la.
Fig. lb.
Digitized by Google
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Technik der S<
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
566
G. Ax hause n,
Digitized by
Fall 15. Musketier B. 20. 12. 14 Selmssverletzung durch lnfantcric-
gesehoss. Tangentialsehuss. Zuerst Bewusstlosigkeit. Keine primäre operative
Anfrischung. Feber Feldlazarett und Kriegslazareit ins Keservelazarett Moabit
überführt. Entfernung von 2 Knochensplittern. Bald darauf Ueberfiihrung in
die chirurgische Klinik Ziegebtrasse, wo die sekundäre Trepanation wegen mul¬
tipler Knochensplitter vorgenommen wurde.
Aufnahme am 24. 4. 15. Die beigegebenen Abbildungen (FiL r . 3 a und :
lassen die tirdssc 1 der entstellenden Narbe deutlich erkennen.
50. 4. Operation in üblicher Weise. Der Knoehcndcfekt ist kreisrund unc
besitzt einen Durchmesser von 4.9 ent. Deekung in üblicher Weise. Dur-h
weitgehende Mobilisation a^elinprt es, die Haut über dein Defekt durch direkt-'
Naht zu vereinigen.
(Hatte Heilunir. Fit;. 4a und b zeigen den Befund nach der Operation.
Der kosmetische Kffekt ist in die Augen springend.
Die typischen Röntgenbefunde vor und nach der Operation
zeigen sehr deutlich die beiden folgenden Fälle:
Kall 13. Ersalzn-sm ist X. 6.2.15 Sehäilelverletzun*; durch Gewehr-
scluiss: Tangentialschuss. Drei Tage bewusstlos. Behandlung im Feldlazarett
ohne primäre Anfrischung. In der folgenden Zeit wurden mehrfach kleine Se¬
quester extrahiert. Am 2S. 2. wurde in der chirurgischen Klinik Ziegelstrasse
wegen multipler Knochensplitter die radikale Trepanation vorgenommen.
Aufnahme am 15.5. 12 ein lange, bis 2 ’/o em breite Narbe, über dem
lateralen Augenwinkel beginnend, über dem Ohr hin verlaufend. Am hinteren
Knde kleine Fistel. Nach Fntfernung eines kleinen Kestscquesterchens Heilung
der Fistel. Im Mai zwei epileptische Anfälle.
IS. (>. Operation in üblicherweise. Der Sehädeldefekt hat eine kreisrunde
Form. Nach Anfrischung der Knochenränder wird dem Defekt eiae quadratische
Form gegeben, dessen Masse 4:4 cm betragen. Deckung in üblicher Wei>e.
Vereinigung der Haut direkt durch die Naht.
(»hatte Heilung.
Das Küntgcnhild vor der Operation lässt bei seitlicher Aufnahme (Fig. 1.
Taf. XX) den kreisrunden Defekt gut erkennen, neben einigen deutlich sicht¬
baren (icschosssplittcrchcn. Im liüntgcnhild nach der Operation (Fig. 2, Taf. XX
sieht man die quadratische Form des Defektes und das eingelegte, gut ab¬
schliessende Knochenstürk mit grosser Deutlichkeit.
Ein entsprechender Befund bei Aufnahme von vorn nach hinten
war in einem Falle von Knoehendefekt der rechten Stirngegend zu
erheben.
Fall 9. Hornist B. 29. 10. 14 (iranatsjditterverletzung des SrhüdeN
Längere Zeit Bewusstlosigkeit. Verband im Feldlnzarctt ohne primäre Anfrischung.
Im Lazarett Frban in Zehlendorf wurde der Granatsplitter, im Oskar-Urb-ro n-
lleim nachträglich weitere Geschoss- und Knochensplitterchen entfernt.
Aufnahme am <>. 4. 15. Tiefe, etwa 10 em lange Narbe, die bog.-nfnn' u
von der Mi11»* der Stirn zum lateralen linken Augenbrauenrandc verläuft.
S. 4. Operation in üblicherweise. Es werden bei der Fxeision der Narh-
einige kleine, dem Aussehen nach Seqiiesterehen gleichende KnoehensplitimvE.;i
entferni. Der kreisrumle Knoehendefekt wird zu einem nahezu reehleckigen ur.i-
gestallet. dessen Masse etwa 3:4 ein betragen.
Glatte Heilung.
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Technik der Schädelplastik.
567
Das Rüntgcnbild vor der Operation (Fig. 3, Taf. XX) zeigt den Defekt der
Stirngegend mit grosser Deutlichkeit. Das Röntgenbild nach der Operation (Fig.4,
Taf. XX) zeigt die Form des angefrischten Defektes und darin in idealer Adap¬
tierung das transplantierte Knochenstück, »las in der Mitte eine ganz feine
Fissur aufweist.
Der einzige Fall, bei dem die direkte Vereinigung der Haut-
lefzen nicht möglich war, so dass ein Brückenlappen genommen
werden musste, ist der folgende:
Fall 12. Musketier R. 27. 8. 14 Kopfverletzung durch Gewehrschuss;
Tangentialschuss. Längere Zeit Rcwusstlosigkcit. Behandlung ohne primäre
A.x hausen
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
Zur Technik der Schädelplastik.
569
Glatte Heilung. Den Befund nach der Operation gibt Fig. ß wieder.
Das Böntgenbild vor der Operation (Fig. 5, Taf. XX) zeigt den grossen
Defekt der Scheitelgegend mit grosser Deutlichkeit; auf dem Röntgenbild nach
der Operation (Fitr. ß, Taf. XX) ist das transplantierte grosse Knochenstück in
idealer Adaptierung im Knoehendefekt zu sehen.
Schon in diesem Falle ist das überpflanzte Knochenstück
ziemlich umfangreich; noch erheblich grösser war es jedoch im
folgenden:
Fall ß. Reservist M. Verwundet am 7. S. 14 dureh Granatsplitter. Lange
Zeit Bewusstlosigkeit. Keine primäre Anfriseliung. An verschiedenen Stellen
operative Eingriffe zur Kntfernung von Sequestern.
Aufnahme in die Klinik am 29. 12. Auf der rechten Stirnseite mächtige,
breite, sich winklig kreuzende und tief deprimierte Narben. Am unteren Ende
eine sezernierende Fistel. Nach Kntfernung von zwei Sequestern und einer de¬
formierten Blechöse tritt allmählich Heilung ein.
Kino Photographie des Patienten in diesem entstellenden Zustande ist-
leider nicht angefertigt worden. Den Röntgenbefund gibt Fig. 1, Taf. XXI wieder.
Das im Defekt liegende grosse Knochenstück war tief imprimiert (s. Operations¬
befund).
4. 3. 15 Operation in üblicher Weise. Bei der Xarbenexcision entstehen
3 Hautlappen, die sieh in der Mitte des Defekts treffen. Der Sehädeldefekt ist
von erheblicher Grösse, aber unregelmässiger Form. Nach der Freilegung zeigt
sieh, dass der nach aussen gelegene Knochenabschnitt in etwa Kinderhandgrössc
tief in das Hirn imprimiert ist. Zwischen den beiden Defekträndern besteht
infolgedessen eine Niveaudifferenz von fast 3 cm. Es wird deshalb das im-
primierte Knochenstück nach Durchmcisselung der Basis in toto herausgehoben.
Nach der Glättung der Ränder hat nunmehr der Defekt eine dreieckige Form
mit abgestumpften Winkeln, die Basis nach aussen gerichtet. Die Basis ist
9 cm lang, die Höhe des Dreiecks beträgt etwa ß cm. Die einfache
Zurück lagern ng des imprimierten Stückes füllt den Defekt so wenig aus, dass
ein wirksamer Abschluss dadurch nicht erreicht werden kann. Es wird daher
ein 9 cm langes Knochenstück der Tibiavorderfläche in ganzer Breite der Tibia
entnommen. Dieses Stück w4rd in den Basal teil des Defekts eingelegt. Der
danach übrig bleibende Defektrest wird durch ein zweites grösseres Tibiastück
geschlossen. Direkte Vereinigung der llautlefzen über den transplantierten
K nochenstiieken.
Glatte Heilung. Fig. 7a und 1) zeigen den Zustand des Patienten einige
Zeit nach der Operation. Die Einsenkung des Schädels und die breiten Narben
sind verschwunden; der kosmetische Effekt ist höchst befriedigend.
Das Röntgenbild nach der Operation (Fig. 2, Taf. XXI) zeigt die beiden
Knocbenstückc im Defekt mit grosser Deutlichkeit.
Hieran schliesst sich, was die Mächtigkeit des Transplantats
anlangt, ein Fall, bei dem allerdings eine starke Narbenbildung der
Haut fehlte.
Fall 5. Jäger X. Am 29. 9. 14 traf eine Schrapnellknirel den Tschaeko
und drückte ihn tief in den Schädel hinein. Tiefe Depressionsfraktur bei gleich¬
zeitiger kleiner Weiehteilverletzung. Langsame Verheilung der Hautwunde. An¬
dauernde Kopfschmerzen, die durch innere -Mittel nur vorübergehend gebessert
werden können.
Aufnahme am lß. 1. 15. Von tief* Mächtigkeit und der Tiefe der Im-
pressionsfraktur gibt am besten die beifolgende Abbildung (Fig. N) eine Vor-
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
570
G. Axhausen,
Fig. 8.
Fig. 9.
Digitized by Google
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Zur Technik der Schädelplastik.
571
Stellung. In der Mitte der tiefen Delle eine unbedeutende Hautnarbe. Wegen
der bestehenden Kopfschmerzen war der operative Eingriff indiziert.
13. 2. Operation. Grosser Bogenschnitt zur Bildung eines über den Im¬
pressionsbezirk hinausreichenden Haut-Weichteillappens mit der Basis nach
hinten. Der ganze vertiefte Knochenbezirk, der sich aus vielen, vollständig
knöchern verheilten Bruchstücken zusammensetzt, wird in toto nach l'mmeisse-
lung herausgenommen. Die Dura ist unverletzt. Das Stück hat eine weit über
die Norm hinausgehende Dicke und Schwere. Zur Beseitigung der Depression
scheint es am einfachsten, das Knochenstück herumzudrehen und um¬
gekehrt wieder in den Defekt ein zu legen. Es wurde dadurch an der
Stelle der Konkavität die Konvexität des Schädels wiederhergestellt. Die Dura-
fläche wurde zur subaponeurotisehen Fläche und umgekehrt. Der Weichteil¬
lappen wird zurückgeklappt und vernäht.
Beim ersten Verband Wechsel wird ein Hämatom in der Operationsgegend
bemerkt, bei gleichzeitiger Temperatursteigerung. Punktion desselben. Darauf
glatter Verlauf. Nach 4 Wochen erscheint das Knochenstück mit der Eingebung
fest verbunden.
Die Abbildung (Fig. 9) lässt den ausgezeichneten kosmetischen Erfolg deut¬
lich erkennen. Das Küntgenbild (Fig. 3, Taf. XXI) zeigt die schwere Depressions¬
fraktur vor der Operation; das Rontgenbild (Fig. 4, Taf. XXF) in gleicher Auf¬
nahme den Zustand nach der Operation; das Küntgenbild (Fig. 5, Taf. XXI) bei
der Aufnahme von vom nach hinten gibt ein gutes Bild des mächtigen Defektes.
In zwei Fällen reichte die eingesunkene Narbe von der Haar¬
grenze über die Stirn und Augenbraue bis zum Oberlid, das eben¬
falls gespalten war. Der Orbitalrand beteiligte sich am Knochen¬
defekt. In diesen Fällen habe ich, um zunächst zur Sicherung der
Asepsis bei der Transplantation einen zuverlässigen Abschluss gegen
die Augenhöhle zu erreichen, in einem ersten Operationsakt die
breite Narbe des Lides und der Augenbrauengegend excidiert und
die seitlichen Lefzen nach Mobilisierung in guter Adaptierung ver¬
einigt. In einem zweiten Akt wurde dann die übrige Narbe ex¬
cidiert, der Knochendefekt plastisch gedeckt und gleichzeitig die
Narbe der Orbitalgegend durch ein weiteres untergeschobenes
Knochenstück etwas eleviert. Der eine dieser Fälle ist der
folgende:
Fall 23. Kriegsfreiwilliger Th. Am 30. 10. 14 mehrfache SchussverletZun¬
gen: Oberschenkel- und Yorderarmweiehteilschüsse, linker Schultergelenkschuss,
Tangentialschuss der linken Stirngegend. Primäre Anfrischung des Schädel¬
schusses im Feldlazarett-. Glatte Heilung, während Schultergelenkschuss wegen
Infektion Resektion notwendig machte.
Das Bild des Defektes vor der Operation zeigt Fig. 10. Der Fffekt der
ersten Operation (Lidplastik) ist in F'ig. 11 (nach der zweiten Operation aufge¬
nommen) sichtbar. Bei der zweiten Operation wurde die Deckung des De¬
fektes, dessen Masse nach Anfrischung l.S : 2 cm betrugen, in üblicher Weise
gedeckt und die Augenbrauengegend durch ein untergeschobenes Knochenstück
erhoben.
Glatter Verlauf.
Fig. 11 zeigt den Befund nach der zweiten Operation. Der kosmetische
Effekt ist evident.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
A x li a u s e n
Zur Technik <ler Srhiulclplastik.
573
Von besonderem Interesse war der Fall, bei dem der Schädel¬
defekt durch epileptische Krämpfe kompliziert war, die durch
Exstirpation einer Meningealcyste zum Verschwinden kamen.
Fall 25. Kriegsfreiwilliger B. Am 5. 11. 14 Schrapnellkopfschuss. Mehrere
Tage Bewusstlosigkeit. Primäre Anfrischung nicht erfolgt: erst 3 Wochen nach
der Verletzung wurden Knochensplitter entfernt. Allmähliche Heilung der Wunde
und Besserung der zunächst vorhandenen rechtsseitigen Parese nebst Aphasie.
Am 12. 7. erster epileptischer Anfall. Seitdem monatlich einen: im Oktober und
November zwei Anfälle.
Befund: (»rosse, eingesunkene und pulsierende Narbe links G cm von der
Mittellinie. Keine Lähmungserscheinungen mehr, nur geringe Beschwerung der
Sprechfähigkeit.
Am 12. 11. 15 operative Freilegung des Defektes in üblicherweise. Seine
Ausmasse betragen nach Anfrischung 2.7 cm im Quadrat. Die vorliegende Mem¬
bran erscheint bei Betastung dick und die Pulsation des Hirns ist noch gering.
Es wird daher in die Membran ein Einschnitt gemacht: sie hat eine Dicke von
2—4 mm, und unter ihr wird eine etwa haselnussgrosse Cyste eröffnet, die mit
goldgelb gefärbter Flüssigkeit angefüllt ist. Fxeision der Membran irn ganzen
Bereich des Defektes. Danach liegt in dem Defekt eine weiche, hirnähnliche
Masse, die nunmehr sofort deutlich pulsiert. Plastische Deckung in üblicher
Weise. (Hatte Heilung.
In den ersten Tagen nach der Operation Wiederkehr der rechtsseitigen
Parese und nahezu vollständige Aphasie. Im Laufe der nächsten Wochen bilden
sich diese Symptome langsam zurück, so dass zwei Monate nach der Operation
der vor der Operation vorhandene Nervenzustand wieder hergestellt ist. Krampf¬
anfälle sind nach der Operation nicht wieder aufgetreten.
Schliesslich bedarf der Fall der Erwähnung, bei dem, wie ein¬
gangs der Arbeit angegeben, durch ein bedauerliches Versehen in
der Nachbehandlung eine Störung hervorgerufen wurde, der aber
eben deswegen für die Beurteilung der Methode nicht in Betracht
kommen kann.
Fall 22. Musketier St. Am 1(L 7. 15 Segmentalschuss. Primäre An¬
frischung im Feldlazarett. Glatte Heilung. Im Anfang vorhandener linksseitiger
Schwäehezustand ging zurück.
Auf der rechten Kopfseite zwei voneinander getrennte, pulsierende Schädel-
defekte. Keine Hirnsymptome.
Nach Exeision der Narbe autoplastische Deckung der Defekte, die nach
der Anfrischung 2,8 : 3,6 bzw. 2,6:5 ein betragen, in üblicher Weise. Direkte
Hautnaht über dem Transplantat.
Völlig glatter Heilverlauf, wie aus der beigefügten Kurve in Fig. 12 her-
vorgeht.
10 Tage p. op. erster Verband. Wunde per primam verheilt. Nähte
entfernt. Ein kleines Hämatom der Operationsgegend wird, wie mehrfach bei
anderen Fällen, durch Punktion entleert. Bedauerlicherweise ist die Punktions-
nadel durch ein Versehen, das nur durch die Hast des Kriegsbetriebes erklärbar
ist, kurz vorher mit infiziertem Material in Berührung gekommen, was gleich
nach der Punktion bemerkt wurde. So konnte die Infektion des Hämatoms nicht
ausblciben. Gleich irn Anschluss an die Punktion trat rascher Temperaturanstieg
auf (Fig. 12 P), und es kam nicht nur zur Vereiterung des Hämatoms, sondern
auch zu einer Vereiterung der regionären Nackendrüsen, die incidiert werden
Digitized by
Google
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
574 G. Axhausen, Zur Technik der Schädclplastik.
mussten. Wegen der Fortdauer der Eiterung am Schädel mussten die beiden
Knochenstücke entfernt werden. Dann Heilung per secundam. Die Elastik
wurde später mit gutem Erfolge wiederholt.
Nach dem Verlauf dieses Falles, wie er sich besonders in der Temperatur¬
kurve wiederspiegelt, steht cs ausser jedem Zweifel, dass die späte akute In¬
fektion einzig und allein durch die nachträgliche fehlerhafte Punktion hervor¬
gerufen worden ist.
Es muss daher dieser Fall für die Beurteilung der Methode völlig ausge-
schaltet werden.
Nach den Erfahrungen an diesen 27 Fällen von Schädelplastik
muss ich an der Ueberzeugung festhalten, dass zur Deckung von
Schädeldefekten die freie Autoplastik unter Benutzung eigenen
periostgcdeckten Knochens das Normalverfahren darstellt und ins¬
besondere der Müller-König’schen Lappenplastik in jeder Be¬
ziehung überlegen ist.
Digitized by Gougle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
XXII.
Zur Kenntnis und operativen Behandlung
des multiplen callösen Magengeschwürs.
Von
Dr. E. Liek (Danzig).
(Mit 5 Textfiguren.)
Die Erfolge der operativen Behandlung des chronischen Magen¬
geschwürs können auch strenger Kritik standhalten. Wo ein mecha¬
nisches Moment, d. i. die Pylorusstenose oder der Sanduhrmagen,
vorliegt, kann von einer anderen Therapie als der operativen heute
nicht mehr die Rede sein. Anders sind die Verhältnisse bei den
Magengeschwüren ohne Stenose und bei den pylorusfernen Ge¬
schwüren. Hier müssen wir Chirurgen ohne weiteres zugeben, dass
wir die Erfolge der Gastroenterostomie zunächst überschätzt haben,
dass hier oft genug die Heilung des Patienten nur auf die durch
unseren Eingriff gesetzte Wunde zu beziehen war; von einer kli¬
nischen Heilung blieben viele Fälle weit entfernt.
Auch aus unseren Misserfolgen müssen wir lernen. Als man
sich nicht mehr damit begnügte, die wegen Ulcus Gastroenterosto-
mierten „geheilt“ aus dem Krankenhause zu entlassen, sondern sie
weiter genau beobachtete, ihren Beschwerden nachging, motorische
Funktion und Chemismus des Magens in regelmässigen Abständen
kontrollierte, zeigte sich eine überraschend grosse Zahl von nicht¬
befriedigenden Resultaten. Fortbestehen von Schmerzen und Blu¬
tung, Symptome eines neugebildeten Ulcus pepticum jejuni, dauernde
Unterernährung und vielfache sonstige Beschwerden enttäuschten
den Patienten ebenso sehr wie den Operateur. Ein gründlicheres
Verständnis der Aetiologie und des klinischen Verlaufs des chro¬
nischen Magengeschwürs, Verbesserungen der operativen Technik,
eine sorgsamere diätetisch-medikamentöse Nachbehandlung, die sich
über Monate und Jahre erstreckte, waren die unmittelbaren Folgen.
Zu einem abschliessenden Urteil sind wir trotz aller Fortschritte
aber auch heute keineswegs gekommen.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
576
E. Eick,
Dass die Gastroenterostomie nicht das Allheilmittel bei jeder
Form des chronischen Magengeschwürs ist, diese Erkenntnis ist uns
im letzten Jahrzehnt geworden. In seinem bekannten Referat auf
dem Deutschen Chirurgenkongress 1906 empfahl Krön lein noch die
Gastroenterostomie für alle chronischen Magengeschwüre; gerade
die Ulcustumoren, die mit Leber, Pankreas und anderen benach¬
barten Organen verwachsen sind, sollten vorzüglich auf die Gastro¬
enterostomie reagieren. Im ganzen hatte Krönlein 85 pCt. erfreu¬
liche Operationsresultate (61 pCt. geheilt, 24 pC’t. gebessert).
Wir wissen heute, dass das Operationsresultat in erster Linie
abhängig ist vom Sitz des Geschwürs. Clairmont 1 ) konnte an
dem grossen Material der Klinik v. Eiselsberg’s nachweisen, dass
die Gastroenterostomie beim pylorusnahen Ulcus 62 pCt., beim
pylorusfernen nur 47 pCt. gute Resultate ergibt. Andere erfahrene
Chirurgen, wie die Mayos, erklärten die Gastroenterostomie beim
Ulcus des Magenkörpers für zwecklos, wenn nicht gar schädlich.
Auf dem Chirurgenkongress 1914 zeigte Perthes sehr instruktiv,
woran das liegt. Das Ulcus des Magenkörpers löst Spasmen aus
(die Röntgenphotographie zeigt das Bild des spastischen Sanduhr¬
magens). Infolge dieser Spasmen wird durch die am tiefsten Punkt
des Magens vor dem Pylorus angelegte Gastroenterostomie nur der
periphere Magenabschnitt entlastet und alkalisiert, nicht aber der
centrale. So ist z. B. beim Ulcus der kleinen Kurvatur der Spasmus
die Ursache der ausbleibenden Heilung, trotz guter Funktion der
Gastroenterostomie; der Spasmus entzieht das Ulcus der Wirkung
der Gastroenterostomie.
Man ist in verschiedener Weise vorgegangen, um auch beim
pylorusfernen, nicht stenosierenden Geschwür die Operationsresultate
zu verbessern. Der Gastroenterostomie wurde die Pylorusausschal-
tung (nach v. Eiseisberg) oder die Pylorusumschnürung (nach
Kelling, Parlavecchio u. a.) hinzugefügt. Die Ansichten über
die Zweckmässigkeit des Verfahrens sind noch geteilt.
Eine temporäre, aber auch totale Ausschaltung des Magens
wird durch die Jejunostoraie erreicht, und doch haben wir erfahren
müssen, dass selbst jahrelanges Aussetzen jeglicher oraler Ernäh¬
rung die Heilung eines Magengeschwürs keineswegs gewährleistet.
So berichtet v. Haber er 2 ) von einer Kranken, die sich über
4 Jahre lang nur durch die Jejunumfistel ernährte; trotzdem hörten
die Schmerzen nie vollständig auf, eine Magenblutung zwang
schliesslich zu erneutem operativen Eingriff.
1) Clairmont, .Mitteilungen aus den Grcnzirebicten der Medizin und
Chiruri'ir 1 . 1909. ßd. 20.
2) v. Haberer, Arch. f. k 1 in. Chir. 1915. ßd. 106.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen eallösen Magengeschwürs. 577
Von den radikalen Operationsmethoden ist die Excision des
Geschwürs heute wohl allgemein verlassen; ihre Resultate waren
unbefriedigend. Grosse Anerkennung fand die von Riedel (1904)
empfohlene Querresektion bei Geschwüren des Magenkörpers, die
von vielen namhaften Chirurgen als Methode der Wahl bei diesem
Sitz des Ulcus angesehen wird. Andere Chirurgen gingen noch
weiter und empfahlen die Resektion für jedes callüse Geschwür
des Magens, gleichgültig wo es sitzt. Die Lokalisation des Ulcus
sei massgebend nur für die Technik, ob Querresektion oder Re¬
sektion nach den ßillroth’schen Methoden und ihren Modifika¬
tionen (Miculicz, Krönlein, Reichel, Hofmeister, Polya).
Die letzten Chirurgenkongresse haben über diese Fragen ausgiebige
und anregende Diskussionen gebracht. Eine Einigung ist bisher
noch nicht erzielt, wenn auch die Anhänger der radikalen Methoden
sichtlich mehr und mehr Boden gewinnen.
Nur noch wenige Kliniken, wie die von Hochenegg, Kocher,
Poncet, halten an der Gastroenterostomie als dem Normalver¬
fahren für alle Ulcusformen fest. Küttner 1 ), der früher einen
radikaleren Standpunkt vertreten hat, reseziert prinzipiell nur noch
die eallösen Ulcera, wegen der Gefahr, ein Carcinom zu übersehen.
Hofmann, v. Eiseisberg, Körte haben darauf hingewiesen, dass
auch bei eallösen Geschwüren und bei Ulcustumoren die Gastroentero¬
stomie genügende Heilerfolge biete, andererseits die Resektion nicht
immer ein Rccidiv verhütet. Payr 2 ) reseziert die torpiden, eallösen
Pylorusulccra und alle extrapylorischen Geschwüre, eine Indikation,
die viele Chirurgen, z. B. Perthes, die Mavos, mit ihm teilen.
Den radikalsten Standpunkt nimmt v. Habcrer (1. c.) ein:
„Beim Ulcus, welcher anatomischen Form es auch angehören mag,
ist die Resektion die Methode der Wahl.“ v. Haberer, dessen
Erfahrung sich auf eine ungewöhnlich grosse Zahl schwerer Fälle
stützt, reseziert also prinzipiell; die Gastroenterostomie bleibt nur
noch für die einfache narbige Pylorusstenose reserviert. Neben
der Querresektion bevorzugt er die Resektion nach Billroth II
und scheut selbst vor ganz grossen Eingriffen, subtotalen Magen¬
resektionen, nicht zurück. In einem, freilich letal verlaufenden Falle
hat er sogar die Totalresektion des Magens w r egen Ulcus callosum
ausgeführt. Die primäre Mortalität bei allen Resektionen w-egen
Ulcus betrug 9 pCt. Die Fernresultate waren gut; so ergaben
Nachuntersuchungen bei der Gruppe nach Billroth II operierter
Kranker (86 Ueberlebende) in 77 pCt. völlige Heilung, in 12 pCt.
wesentliche Besserung, in 10 1 / 2 pCt. unbefriedigende Resultate.
1) Küttner, Verband!, der Deutschen Ges. f. Chir. 1910 u. 1914.
2) Payr, Yerhandl. der Deutschen Ges. f. Chir. 1909 u. 1910.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
578 I-
Dass auch nach Resektionen Recidive des Geschwürs vor-
kommen, gibt v. Haberer zu. Er hält sie aber für selten und
weist auf die Möglichkeit hin, dass es sich dabei nicht immer um
echte Recidive, sondern um zweite Ulcera handelt, die bei der
Operation übersehen wurden. Die Fcrnresultatc der Resektion
würden noch besser sein, wenn man den multiplen Geschwüren
grössere Aufmerksamkeit schenkte und sie bei der Operation nicht
zurückliesse.
Die Häufigkeit multipler Magenulcera haben wir sicher unter¬
schätzt. Schon 1895 hat v. Hacker auf das Vorkommen mehr¬
facher Stenosen am Magen aufmerksam gemacht. Payr teilte auf
einem der letzten Chirurgenkongresse mit, dass sich unter seinen
operierten Fällen 5 pCt. multipler Geschwüre fänden, v. Haberer
kommt zu weit höheren Zahlen. Er sucht bei jeder Laparotomie
den ganzen Magen sorgfältig ab und achtet dabei besonders auf
charakteristische Drüsenanhäufungen entlang den Kurvaturen.
Unter 132 Resektionsfällen fand er nicht weniger als 32mal, d. h.
in 26 pCt., multiple Geschwüre. Gleichzeitige Ulcera duodeni sind
mitgerechnet; 3 Fälle verlor v. Haberer, weil bei der Operation
das zweite Ulcus übersehen wurde.
v. Haberer demonstrierte auf dem Chirurgenkongress 1914
einige durch Resektion gewonnene Präparate mit mehrfachen Ge¬
schwüren, die sehr instruktiv waren, so z. B. Fall 39: ein steno-
sierendes Ulcus des Pylorus, in das Pankreas perforiert, erklärt bei
der Laparotomie vollständig die Hypertrophie und Dilatation des
Magens. Die methodische Absuchung des Magens ergibt hoch im
cardialen Teil der kleinen Kurvatur ein zweites, grösseres und
ebenfalls penetriertes Ulcus. Jetzt wird anstatt der einfachen
l’ylorusrcsektion eine fast totale Magenresektion mit vorzüglichstem
Erfolge ausgeführt.
Sieht man solche Präparate, liest man Krankengeschichten,
wie die des Falles 10 bei v. Haberer (multiple Ulcera des Ma¬
gens; 2 malige Laparotomie, zuletzt eine jahrelang zu ausschliess¬
licher Ernährung benutzte Jejunostomie, bringt nur vorübergehende
Besserung; erst die dritte radikale Operation, Ausschneidung von
mehr als zwei Dritteln des Magens, führt Dauerheilung herbei), ich
sage, liest man derartige Krankengeschichten, so leuchtet der Vor¬
teil radikaler Operationen, und zwar der primären Resektion, gerade
bei multiplen Geschwüren des Magens ganz besonders ein. Kommt
hinzu, dass die Resektion das Ulcus und damit die Gefahr eines
schon bestehenden oder zukünftigen Carcinoms ausschaltet, statt
das Geschwür nur zu umgehen; die Fläche der salzsäureprodu¬
zierenden Drüsen wird verkleinert, die sekretionsanregenden Nerven
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen eallösen Magengeschwürs. 57^
durchschnitten, damit auch die Spasmen beseitigt; das gefürchtete
Ulcus pepticum jejuni scheint ferner nach der Resektion seltener
aufzutreten als nach Gastroenterostomie. Alles gewichtige Gründe
für die Resektion.
Sollen wir nun auf diese Erwägungen und praktischen Ergeb¬
nisse hin jeden Fall von multiplen Magengeschwüren prinzipiell
resezieren? Erleichtert wird der Entschluss zu radikaler Operation
für den Chirurgen durch die allgemeine Erfahrung, dass selbst sehr
heruntergekommene Ulcuspatienten auch grosse Eingriffe über¬
raschend gut vertragen, im Gegensatz zu Carcinomkranken, für
den Patienten durch die langjährigen, sehr quälenden Schmerzen,
denen gegenüber die Gefahr des grossen Eingriffs zurücktritt.
Meine persönlichen Erfahrungen bezüglich der Resektion beim
Magenulcus sind bisher gering. Unter 24 operativ behandelten
Fällen mit Magengeschwüren — die Kranken gehörten durchweg
der Privatklientel an — waren 4 Resektionsfälle. 3 mal handelte
es sich um callösc Geschwüre, die ich resezierte unter dem Ein¬
druck zweier eklatanter Misserfolge (Ulcusrecidive), die ich kurz
vorher bei der Gastroenterostomie in ähnlichen Fällen erlebt hatte,
lmal um eine tumorartige Verdickung des Pvlorusringes. 1 mal
wurde die Querresektion ausgeführt, 1 mal die Resektion nach
Billroth I, 2mal nach Billroth II in der Modifikation von Hof¬
meis t er-Polya.
Primär habe ich keinen dieser Kranken verloren, ebensowenig
wie bei den übrigen 20 Magenoperationen, was natürlich bei einer
so kleinen Zahl wenig besagen will. Die Fcrnresultate der Magen¬
resektionen waren weniger gut:
Einer 55 jährigen Krau, die seit 1 Jahn 1 an Stenosenerseheinungen und
starker Abmagerung litt, halte irli einen hiihnereigiossen Pleustumor des Pylorus
weit im Gesunden (da für Careinom gehalten) entfernt. Die mikroskopische
Pntersuehung ergab ein I leus, kein Carcinom. Glatter Verlauf: Patientin wurde
11 Tage nach dem Eingriff besrhwerdefrei entlassen und erholte sieh zusehends.
Sehon vor der Operation hatte sie ein eigentümlich apathisch-melancholisches
Wesen gezeigt. Diese Erscheinungen nahmen draussen zu: 7 Woelnm narb der
Operation starb Patientin, wie mir der Hausarzt mitteilte, unter den Symptomen
einer Apoplexie; irgendwelche Beschwerden seitens des Malens hat sie nicht
mehr «jehabt. Da der Khemann an Paralyse gestorben und die Khe kinderlos
geblieben war, vermutete der behandelnde Kollege eine luetisehe Gefüsserkran-
kuiiLT. Vielleicht ist auch das I leus gummöser Natur gewesen.
Der zweite Kranke, ein 3Sjähriger kräftiger Manu, litt seit, (> Woehen an
Erbrechen, Magendrücken, Abmagerung. Die Pöntgenphotographie zeigte eine
lletention über 12 Stunden hinaus. Die Operation ergab einen «Trossen Tumor
des Pylorus, der weit auf die kleine Kurvatur i'iheririnir. Puter dyr Diagnose
Careinom ausgiebige llesektion nach H of m ei s t er-Pol y a. Mikroskopische
Pntersuehung: Pleus. Glatter Verlauf: nach 11 Tagen Entlassung aus der
Klinik, ln den folgenden 4 Monaten 42 Pfund Gewichtszunahme. Arbeits-
Digitized by
Gck igle
Original ftom
UMIVERSITY OF IOWA
580
K. Lick,
Digitized by
fähigkcit und gutes Befinden hielten fast zwei Jahre an, dann Symptome der
Bauchfell- und Lcbercarcinuse. Tod 2 1 / 4 Jahre nach der Resektion.
Der dritte Fall betraf eine Frau von 44 Jahren, die seit Jahren an
Magenbeschwerden litt und in den letzten Monaten von 111 Pfund Gewicht auf
95 Pfund heruntergegangen war. Gut walnussgrosser Tumor fühlbar. Probo-
frühstück ergibt keine freie Salzsäure, Milchsäure positiv. Operation: Ver¬
wachsungen der Gallenblase mit Magen und Duodenum. Der Pylorusring ist
glciehmüssig stark verdickt (Ficus?). Resektion nach Bi 11 rot hl, Cholecystek¬
tomie. Das aufgeschnittene Präparat des resezierten Pylorus ergibt erhebliche
Verdickung der Schleimhaut und Muskulatur, enge Stenose, kein Ficus. Glatter
Verlauf: die Kranke wurde 15 Tage post operat. beschwerdefrei entlassen, ln
den nächsten Wochen 12 Pfund Gewichtszunahme. Frau D. ist jetzt, 2F 2 .Jahre
nach der Operation, frei von Beschwerden; sie kann alles essen.
Das gleiche Krankheitsbild (stenosierende Pylorusringver-
dickung) hat v. Habe rer achtmal beobachtet.
Mein vierter Resektionsfall betrifft einen Kranken mit mul¬
tiplen Geschwüren und wird später ausführlicher beschrieben.
Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass unter den übrigen
20, grösstenteils mit Gastroenterostomie behandelten Fällen zwei
mit callösem Geschwür des Magenkörpers waren, die ausgezeichnet
auf die Gastroenterostomie reagierten: Schwinden jeglicher Be¬
schwerden (die 10 und 12 Jahre bestanden hatten), erhebliche Ge¬
wichtszunahme (einmal 33 Pfund in 6 Monaten). Das gute Resultat
hält jetzt 3 bzw. 3*/ 2 Jahre an. Selbstverständlich sind die Beob¬
achtungen zu gering an Zahl, um daraus weitergehende Schlüsse
ziehen zu können. Immerhin zeigen sie, dass auch bei lange be¬
stehenden, callösen Geschwüren des Magenkörpers die einfache
und relativ ungefährliche Gastroenterostomie von grossem Nutzen
sein kann.
Wenn ich im Folgenden 3 Fälle mit multiplen Magengeschwüren
eingehender mitteile, so geschieht es, um zu zeigen, wie schwierig
auch hier die Entscheidung sein kann, selbst für einen Anhänger
der Resektion. Die einfache Gastroenterostomie kann, wie die
Krankengeschichten zeigen, dauernde Heilung herbeiführen, anderer¬
seits können radikale Methoden versagen.
Unter 24 operierten Fällen von Magengeschwüren fanden sich
3mal (12,5 pCt.) multiple callüse Ulcera. Dass ich weitere Ulcera
übersehen habe, ist möglich; jedoch wurde der Magen in allen Fällen
systematisch abgesucht. Ich gebe zunächst die Krankengeschichte
eines Falles wieder, der mir viel Kopfschmerzen verursacht hat und
der trotz viermaliger Laparotomie nicht geheilt wurde:
M., 19jähriger Mann. Seit etwa 4 Jahren Magenbesehwerden: Schmerzen,
besonders nach dem Essen, Aufstossen, Erbrechen, ab und zu Bluterbreehen.
Filler der Diagnose ..Magengeschwür** ist er in den beiden letzten Jahren «Dual
monatelang in verschiedenen grossen Krankenhäusern behandelt worden (G Wochen,
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen callösen Magengeschwürs. 581
S Wochen, 14 Wochen). Kiner geringen Besserung folgte jedesmal sehr bald
ein Wiederauftrcten heftiger .Schmerzen. Dahei will Patient die ihm aufgegebene
Diät auch zuhause streng befolgt haben. Kräftezustand und Körpergewicht
nahmen ständig ab. Patient war in den beiden letzten Jahren nur vorüber¬
gehend arbeitsfähig. Zuletzt hat ihn sein Kassenarzt unter dem Verdacht der
Simulation arbeitsfähig geschrieben.
Krste Untersuchung am 9. 12. 12: Mittelgrosser, grazil gebauter Mann,
stark abgemagert (10S Pfund in Kleidern). Haut und Schleimhäute anämisch.
Epigastrium druckempfindlich. Patient hat angeblich so heftige Schmerzen,
dass er sieh zusammenkrümmt und die Untersuchung mehrfach unterbrochen
werden muss.
Fig. 1.
Die Höntgenphotographie fs. Fig. I) nach Wismut mahlzeit ergibt eine
fingerförmige Vorwölbung im cardinlen Teil der kleinen Kurvatur mit (iasblase
(Haudeek'sehe Nische) und eine starke Einziehung des gegenüberliegenden
Teils der grossen Kurvatur. Ausserdem ist der Magen erheblich erweitert und
gesenkt, der Fundus steht drei (Juerfingcr unterhalb der Nabelmarke. Grenz¬
linie am Pvlorus flach gebogen, unregelmässig (zweites Ulcus?). Nach 12 Stunden
noch viel Wismutbrei im Magen.
Diagnose: Ulcus perforans der kleinen Kurvatur, Stenose des
Py 1 orus, se h e i n bal*e r (spast isc h er) Sa n d u h r m age n.
Erste Laparotomie am 11. 12. 12: Magen sehr gross, Magenwand ver¬
dickt. Am cardialen Teil der kleinen Kurvatur ein walnussgrosser Ulrustumor.
Das Ulcus scheint nach hinten oben die Magenwand durchbrochen zu haben.
Vereinzelte Wismutbröekelehen sind im benachbarten sulzigen Gewebe sichtbar.
Ein Nctzzipfel zieht von links her <juer über den Magen und plombiert (bis
Ficus. Am Pvlorus ein zwoiti*r, stenosierender Uleustumor, fast hühnereigross.
Der Xetzsirang übt keine mechanische Schnürung auf den Magen aus; die
im Höntgenbild sichtbare Einziehung ist spastischer Natur. Das Netz wird vor¬
sichtig zwischen zwei Ligaturen durchtrennt. Der Nctzzipfel bleibt, auf dem Ulcus.
Dann Gastroent erostornia retrocolica post, mit kurzer Schlinge.
Die Operation ist schwierig. Der Magen ist fixiert; man hat das Gefühl, bei
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Holt 4. 39
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
582
E. Lick,
Digitized by
stärkerem Zuge würde das morsche (jewebe in der Gegend des Ulcus perforans
einreissen. Daher kann die Sehleimhautnaht nicht so exakt angelegt werden, wie
es sonst geschieht: auch erscheint die neue Verbindung nicht genügend weit.
Ganz glatter Verlauf; die Schmerzen, die den Patienten Jahre hindurch fast
ununterbrochen gequält haben, sind vom 2. Tage ab verschwenden. Am 19. 12. 12,
acht Tage nach der Operation, verlässt M. die Klinik.
ln den nächsten Wochen ausgezeichnetes Befinden. Patient hat nach
14 Tagen 6 Pfund, nach 5 Wochen 11 Pfund zugenommen und ist ohne Be*
sch werden. Kr befolgt eine vorsichtige, in erster Reihe lakto-vegetabile Diät
und nimmt regelmässig Alkalien.
Am 24. 2. 13, 10 W ochen nach der Operation, kommt M. wieder zur
Sprechstunde: Schmerzen in der Magengegend seit einigen Tagen. Die Röntgen¬
photographie nach Wismutmahlzeit zeigt den Magen nach 6 Stunden leer,
die Fistel funktioniert demnach gut. In den nächsten Tagen rasche Ver¬
schlimmerung. Rasende Schmerzen Tag und Nacht, Patient erbricht alle Nah¬
rung, ab und an auch Blut. 11. 3. 13 erneute Aufnahme in die Klinik.
Zweite Laparotomie 12.3. 13: Das Ulcus der kleinen Kurvatur ist
grösser geworden, der Uleustumor am Pylorus nahezu geschwunden. Q ucr-
resektion des Magens. Das Ulcus der kleinen Kurvatur ist in das Pankreas
perforiert und bildet hier eine walnussgrosse, glatte Höhle. Der Magen wird
rings um das Ulcus Umschnitten, das Pankreas selbst nicht berührt, die Ulcus-
hühlc mit Netz tamponiert. Die alte Gastroenterostomie erweist sich als hoch¬
gradig verengt, sie ist kaum für einen Finger durchgängig. Quernaht des
Magens. Neue Gastroenterostomia antecol. anterior, 6 cm lang, am
oralen Fundusrest. Bauehdocken völlig geschlossen.
Patient ist nach der durch ausgedehnte Verwachsungen sehr erschwerten,
zweistündigen Operation kollabiert, erholt sieh aber schnell unter Kochsalzein¬
läufen. Wiederum ganz glatter Verlauf. Nach 10 Tagen wird M. beschwerde¬
frei aus der Klinik entlassen.
Das gute Befinden hält einige Monate an, Patient nimmt erheblich an
Gewicht zu. seine Anämie schwindet. Mitte August 1913, 5 Monate nach der
zweiten Operation, kommt er mit erneuten Schmerzen, die angeblich seit 4 Tagen
aufgetreten sind. Diesmal lokalisiert er die Schmerzen unterhalb des linken
Rippenbogens. Man fühlt dort deutlich ein etw r a hühnereigrosses, druckempfind¬
liches Infiltrat. Das Röntgenbild ergibt 3 Stunden nach Wismutmahlzeit, den
Magen leer. Leib etwas aufgetrieben; gelegentlich sichtbare Peristaltik.
Diagnose: Ulcus j ej un i pcp t i cu m p erforat u m.
Dritte Laparotomie 26.8. 13: Die alte mediane Narbe wird wieder
eröffnet, dann aber, da ausgedehnte Verwachsungen die Ucbersicht erschweren,
ein Querschnitt durch den linken Rectus und die übrigen Bauchdecken bis zur
Nierengegend hin zugefügt, der linke Rippenbogen temporär reseziert. Unter
dem Rippenbogen findet sich, dem oben erwähnten Infiltrat entsprechend, ein
perforiertes Ulcus peptieum an der zuletzt angelegten vorderen Gastro¬
enterostomie. Es bildet eine gut walnussgrosse, glatte Hohle zwischen Magen¬
darm einerseits, Brust- und Bauehwand andererseits. Das Geschwür betrifft in
erster Linie die Magenwand. Resektion der ganzen Gastroenterostomie;
erneute, exakte Naht in zwei Schichten. Von der als infiziert anzusehenden
Stelle aus wird ein Uigarettendrain nach vorn geleitet, ein zweites nach Resek¬
tion eines Stückes der linken 9. Rippe nach aussen, in der Gegend der linken
mittleren Axillarlinie. Der zuführende Schenkel der zur vorderen Gastroentero¬
stomie führenden Dünndarmschlinge ist erheblich dilatiert; daher Knteroana-
stomnse zwischen zu- und abführender Darmschlinge. Um den Magen eine
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen ealLüsen Magengeschwürs. 583
Zeitlang auszuschalten, wird in der medianen Lapamtomiewunde eine Jejuno-
stomic angelegt. Dauer der Operation zwei Stunden. Abends Puls 96; am
ersten Tage noch Schmerzen. Dann guter Verlauf, ln der ersten Zeit starke
Sekretion an den drainierten Stellen. Ernährung erfolgt zuerst nur durch die
Jejunumfistel, nach 14 Tagen wird vorsichtig die orale Ernährung wieder auf¬
genommen. Pat. nimmt schnell an Gewicht zu und wird am 13. 9., 18 Tage
nach der Operation, mit fast geheilter Wunde, beschwcrdefm entlassen. 4 Tage
später ist die Jejunostomie ganz geschlossen, die Ernährung erfolgt nur von
oben. Mitte Oktober 1913 ausgezeichnetes Aussehen. Pat. ist ohne Schmerzen,
nimmt regelmässig Alkalien in grossen Dosen. Ende Oktober 1913 wieder ein¬
setzende Sehmerzen. Pmbcfriilistiiek ergibt gute Entleerung des Magens, nor¬
male Mengen freier Salzsäure. Enter Bettruhe. Diät und Termophor schwinden
die Schmerzen : Pat. erholt sieh zusehends.
Ende November 1913 wird wegen furchtbarer Sehmerzen. die auf Pantopon
und Morphium kaum reagieren, erneute Aufnahme in die Klinik notwendig. Die
Schmerzen werden vorn, in der linken Seite und hinten lokalisiert.
Vierte Laparotomie 29. 11. 13: Winkelschnitt mit Aufklappung des
linken Rippenbogens gibt leidlich gute Eebersieht. Ausgedehnte, sehr feste
Verwachsungen. An der vorderen Gastroenterostomie wieder ein gut hühnerei-
grosser Elcustumor des Magens; der obere Pol der Milz ist mit dem Tumor
innig verwachsen. Ausgedehnte Re sc k t i o n de r M age n w an d weit im Ge-
sunden, Resektion des verlöteten Milzstückes. Dann wird die Magen wunde
wieder mit dem Darmlumen vereinigt (Gastroenterostomie). Eine neue Gastro¬
enterostomie oberhalb der alten anzulegen, ist unmöglich. Der Magen ist durch
ausgedehnte Verwachsungen fixiert und lässt sieh nicht herunterziehen. Bauch-
wunde bis auf einen kleinen Tampon, der zur Milz führt, geschlossen.
In den ersten Tagen klagt M. noch über Schmerzen; dann reaktionsloser
Verlauf. Patient wird 21 Tage post operat. gut erholt und beschwerdefrei ent¬
lassen. Er nimmt in den nächsten Wochen rasch an Gewicht zu. Aber auch
diesmal ist der Erfolg leider nur vorübergehend. Schon im März 1914, etwa
4 Monate nach dem letzten Eingriff, beginnen die alten Schmerzen wieder.
Ebne Röntgenphotographie im April 1914 ergibt gute Funktion der Gastro¬
enterostomie, Magen nach 1 Stunde leer. Gesamtazidität 50. reichlich freie
Salzsäure. Nachuntersuchung am 23. 1. 16, 2 .Jahre und 2 Monate nach dem
letzten Eingriff: M. klagt über ständige Schmerzen in der Magengegend, be¬
sonders unter dem linken Rippenbogen, und nimmt dauernd Morphium. Er hat
mehrfache Versuche, wieder zu arbeiten, nach kurzer Zeit aufgehen müssen.
Trotz guten Appetits ist er erheblich abgemagert. Auffallend ist die starke
Anämie. Das Epigastrium ist links druckempfindlich. Kein Erbrechen, keine
Blutungen. Nach den Beschwerden, Aussehen und Befund ist an einem neuen
Goschwürsrecidiv nicht zu zweifeln.
Soweit die Beobachtung. Wenn ich nochmals kurz zusammen¬
fasse, so handelt es sich um einen 19jährigen Mann, der seit
4 Jahren die Erscheinungen eines Ulcus ventriculi aufweist. Das
Röntgenbild nach Wisrautmahlzeit zeigt ein perforierendes Ulcus
der kleinen Kurvatur, ausserdem eine Stenose des Pylorus.
Erste Operation: Ulcus perforans der kleinen Kurvatur, zweites
stenosierendes Ulcus des Pylorus. Gastroenterostomia retrocol.
post. Wiederkehr heftiger Schwerzen. Daher nach 13 Wochen
zweite Operation: Stenose der 1. Gastroenterostomie, wahr-
39*
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
584
E. Liek
Digitized by
scheinlich bedingt durch nicht exakt angelegte Schleimhautnaht.
Querresektion des Magens, Gastroenterostomia anterior.
Erneute Beschwerden nach vorübergehender Besserung. Daher nach
ö 1 /« Monaten dritte Operation: grosses Ulcus pepticum an der
Stelle der zweiten Gastroenterostomie, Abknickung und Dilatation
der zuführenden Schlinge. Resektion des Ulcus pepticum,
Gastroenterostomie, Enteroanastomose, Jejunostomie.
Auch diesmal nur vorübergehende Besserung. Vierte Operation
nach 3 Monaten: erneutes Ulcus pepticum an der Gastroenterostomie.
Ansgedehnte Resektion der geschwürigen Magenwand wie bei der
vorigen Operation, Gastroenterostomie. 3—4 Monate Wohl¬
befinden, dann wieder Beschwerden, die bis jetzt, 2 Jahre und
2 Monate nach dem letzten Eingriff, anhalten.
Vier grosse Operationen innerhalb eines Jahres haben bei
unserem Kranken also nur vorübergehende Besserung erzielt. Immer
wieder kam es zu neuer Geschwürsbildung. Ist hier nicht radikal
genug vorgegangen? Die Querresektion des Magens mit Gastro¬
enterostomie war offensichtlich nicht ausreichend, der Wiederkehr
peptischer Ulcera vorzubeugen.
Vergleiche ich die interessanten Krankengeschichten, die
v. Habe rer in seiner ausführlichen Arbeit mitteilt, so scheint mir,
auch in meinem Fall wäre die primäre ausgiebige Resektion, die
beide Geschwüre umfasste, angebracht gewesen, zum mindesten
aber nach dem Misserfolg der ersten Gastroenterostomie an Stelle
der Querresektion plus erneuter Gastroenterostomie. Technisch
hätte die Resektion keine übermässigen Schwierigkeiten geboten,
und ausgehalten hätte der 19jährige Mensch diesen grossen Eingriff
voraussichtlich auch. Was mich damals von der primären Resek¬
tion abhielt, war neben dem instinktiven Wunsche, dem elenden,
sehr heruntergekommenen Patienten keine übergrosse Operation
zuzumuten, vor allem die Erinnerung an einen l J / 4 Jahre vorher
operierten, ganz ähnlichen Fall, bei dem die einfache Gastroentero¬
stomie ein glänzendes Resultat gegeben hatte. Ich lasse einen
Auszug dieser Krankengeschichte folgen:
K., 42jähriges Fräulein, leidet seit 22 Jahren an „Magen- und Darm¬
geschwüren". Sie hat oft Blut gebrochen, ebenso ist häufig der Stuhl teerfarben
gewesen. Ständige Unterernährung; in den letzten Jahren 18 Pfund Gewichts¬
verlust. Seit einigen Monaten enorme Schmerzen in der Magengegend, Tag und Nacht.
Interne Behandlung von kompetentester Seite ohne Einfluss; Nareotiea bringen
nur vorübergehend Linderung. Eine vor.lahren von einem namhaften Chirurgen
vorgesrhlagene Operation wurde damals abgelehnt. Patientin ist so ungeberdig,
jede Berührung der Magengegend angeblich so ausserordentlich schmerzhaft, dass
zunächst eine Untersuchung in Narkose vorgenommen wird (4. 7. 11): faustgrosser,
harter, höckriger Tumor unter dem linken Rippenbogen, ganz unverschieblieh.
Patientin ist hochgradig abgemagert; im Urin eine Spur Albumen.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen eallösen Magengeschwürs. 585
Röntgenphotographie (s. Fig. 2): eigentümlich plumpe Form des Magens;
sehr erhebliche Yergrösserung. besonders auch der Breite nach, ln der Mitte
der grossen Kurvatur eine tiefe Einschnürung.
Nach 20 Stunden noch viel Wismutbrei im Magensack.
10. 7. 11 starkes Bluterbrechen.
11.7. 11 Laparotomie: an der kleinen Kurvatur des Magens, nahe der
Uardia, ein über faustgrosser, harter Tumor, mit den Bauehdeeken und der Leber
ausgedehnt verwachsen, unverschieblich. Ein zweiter, apfelgrosser, hückriger,
harter Tumor am Pylorus, stenosierend. Zahlreiche harte Drüsen entlang der
kleinen Kurvatur und im Netz.
Diagnose: inoperables Magencareinom.
Hintere (J ast r o e n t e ro s t o m i e mit ganz kurzer Schlinge. Die Opera-
tion ist schwierig, da kaum genügend gesunde Magenwand vorhanden und
ausserdem der Magen sehr fixiert ist.
Fig. 2.
Die mikroskopische Untersuchung einer bei der Operation herausgeschnit¬
tenen Drüse ergibt kein Carei nom.
Glatter Verlauf; G Tage nach der Operation wird Patientin in gutem Be¬
finden aus der Klinik entlassen.
Nach 10 Wochen ist Fräulein K. nicht mehr wiederzuerkennen, sieht
blühend aus, hat 12 Pfund an Gewicht zugenommen. Sie lässt sich jetzt ohne
Schwierigkeit untersuchen. Der Tumor im linken Kpigastrium ist völlig ge¬
schwunden. Die Röntgenaufnahme ergibt gute motorische Funktion des Magens.
Die Besserung hat erfrenlich angchalten. l ] /4 Jahr nach der Operation
wiegt Patientin 20 Pfund mehr, sieht ausgezeichnet aus und ist ohne alle Be¬
schwerden. Dieser gute Zustand besteht bis jetzt, 4 1 / 2 Jahre nach dem
Eingriff.
Also auch hier ein Fall von multiplen, tumorbildenden Ge¬
schwüren, davon das pylorusferne perforierend, seit etwa 22 Jahren
bestehend. Die einfache Gastroenterostomie beseitigt alle Beschwer¬
den, lässt die Tumoren schwinden und macht die Kranke auf Jahre
hinaus gesund.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
586
E. Liek,
Digitized by
Verlauf und Befund dieses und des zuerst erwähnten Falles
gleichen sich ausserordentlich. Weshalb, frage ich, führt nun die¬
selbe Operation im ersten Fall zu einem absoluten Misserfolg, im
zweiten zu einem guten und dauerhaften Resultat? Doch davon
später. Zunächst noch die Krankengeschichte des dritten, auch
geheilten Falles von multiplen Magengeschwüren:
Frau G., 63 Jahre alt. leidet seit 7 Jahren an „Magensehwäehe“. Seil
etwa einem Jahre erhebliche Verschlimmerung: kolikartige Schmerzen, ständiges
Druckgefühl in der Magengegend, Gewichtsverlust. In den letzten Wochen hat.
Patientin kaum noch etwas gemessen können.
Fig. 3.
▼
28. 10. 13: sehr elende, abgemagerte Frau. Magen stark dilaticrt und
gesenkt; die grosse Kurvatur reicht bis zur Symphyse. Kein Tumor fühlbar.
Lebhafte Peristaltik des Magens. Durch die papierdünnen Bauchdecken
ist eine erhebliche Verdickung der Magenwände leicht naehzuweisen.
Höntgenphotographie: ausgesprochener Sanduhrmagen (s. Fig. 3); entlang
der kleinen Kurvatur ist vom cardialen Sack aus eine strangförmige Verbindung
eine Strecke lang zu verfolgen. Nach 12 Stunden noch reichlicher Inhalt im
unteren Magensack.
Diagnose: Sanduhrmagcn (durch Ulcus), Py lorusst cnose.
Operation am 30. 10. 13: Befund dem Röntgenbilde entsprechend. Gal-
loses und in die Leber perforiertes Ulcus der kleinen Kurvatur, am aufstei¬
genden Teil des Magenkörpers. Ausgedehnte Verwachsungen, narbige Schrumpfung
der benachbarten Magenwand (Sanduhrmagen). Am Pylorus ein zweites callöses
Geschwür, stcnosicrend. Auch liier erhebliche Perigastritis, besonders an der
hinteren Wand.
Die Resektion wäre ohne grössere technische Schwierigkeiten möglich ge¬
wesen. Mit Rücksicht jedoch auf das hohe Alter der Kranken und den redu-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen ca 1 lösen Magengeschwürs. 587
zierten Ernährungszustand wird von der Resektion als dem grösseren Kingriff
abgesehen. Die beiden Magensäcke werden durch eine etwa 6 cm lange, quere
tiastro-Gastrostomie verbunden, am Pylorussaek eine etwa S em lange,
hintere Gastroenterostomie mit kürzester Schlinge hinzugefügt. Dabei
erweist sieh der pylorisehe Magensack noch prall mit Wismutbrei gefüllt
(48 Stunden nach der Probemahlzeit!).
Vom 2. Tage an ist Patientin stundenlang ausser Bett.
4 Tage post operat. schwere Pneumonie des linken Untcrlappcns. die ganz
langsam abklingt. 3 Wochen nach «1er Operation weitere Komplikation durch
eine fieberhafte Thrombose am rechten Unterschenkel. Dann glatter Verlauf.
Am 26. 11. 13 verlässt Patientin geheilt und ohne Beschwerden die
Klinik.
Nachuntersuchung 7 Wochen später: Frau G. ist kaum wiederzuerkennen.
Sie hat erheblich an Gewicht zugenommen, sieht blühend aus und ist ohne Be¬
schwerden.
Die Heilung hat bis jetzt, 2 1 / 2 Jahre nach dem Eingriff, angehalten.
Patientin hat weiter zugenommen, kann alles essen und hat nie wieder die
geringsten Beschwerden seitens ihres Magens gehabt.
Die drei mitgeteilten Fälle haben viel Gemeinsames: jahre¬
lange, starke Beschwerden; multiple Ulcustumoren, davon je einer
den Pylorus stenosierend, der zweite im Bereich des Magenkörpers
und in ein Nachbarorgan perforiert. Die gleiche Therapie, eine
hintere Gastroenterostomie, führt in den beiden letzten Fällen zu
gutem, dauerndem Erfolg, Schwinden der Tumoren und Fortfall
jeglicher Beschwerden; im ersten Fall dagegen erweist sich weder
die primäre Gastroenterostomie noch die sekundäre Querresektion
mit erneuter Gastroenterostomie imstande, den Zustand des Kranken
dauernd zu bessern, weiteren Ulcusrecidiven vorzubeugen.
Wie ist das zu erklären? Bei der ersten Gastroenterostomie
im Fall M. war wohl ein technischer Fehler — zu kleine OefTnung,
nicht exakte Schleimhautnaht — unterlaufen. Die Folge war eine
Verengung der neuen Magendarmverbindung und Rückkehr der
früheren Beschwerden. Aber auch die nun ausgeführte Querresektion
und erneute, diesmal vordere Gastroenterostomie führten nicht zur
Heilung. Es entwickelte sich am Anastomosenring ein neues grosses
penetrierendes Ulcus der Magenwand, das trotz zweimaliger aus¬
giebiger Resektion recidivierte. Eine Verengung der zweiten Gastro¬
enterostomie trat dabei, wie Röntgenbilder zeigten, nicht ein. Muss
man nicht annehmen, dass diesen hartnäckigen Recidiven eine Dis¬
position zugrunde liegt, über deren Elemente wir bisher nur wenig
wissen? Schwarz 1 ) hat treffend von einer „Magengeschwürs¬
krankheit“ gesprochen. Es ist gewiss kein Zufall, dass unter
meinen Beobachtungen operierter Magenulcera Misserfolge bzw.
Recidive nur bei Männern vorkamen. Wissen wir doch seit langem
1) Schwarz, Archiv f. klin. Cliir. 1914. Bd. 104.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
588 K- Liek,
und durch vielfach bestätigte Erfahrungen, dass gewisse sehr
hartnäckige Geschwürsformen wie das Ulcus duodeni, das Ulcus
pepticum jejuni viel häufiger bei Männern als bei Frauen auf-
treten.
Worauf diese Disposition zu hartnäckiger und recidivierender
Geschwürsbildung beruht, ist zurzeit noch nicht bekannt. Bei
Männern wird der Alkoholismus für das Ausbleiben des Erfolges
verantwortlich gemacht. Das ist plausibel, wenn auch der Alkohol¬
missbrauch gewiss nicht der einzige Grund ist. Meine beiden vorher
erwähnten eklatanten Misserfolge bei Behandlung caliöser Magen¬
geschwüre durch Gastroenterostomie betrafen Männer, die dem
Alkohol, mehr als ihnen gut tat, zusprachen. Auch in dem an
erster Stelle beschriebenen Falle von multiplen Magengeschwüren
(Fall M.) lag begründeter Verdacht auf Alkoholabusus vor, obwohl
Patient selbst ihn leugnete.
Die in unserem Fall M. auftretenden postoperativen Geschwüre
waren keine eigentlichen Ulcera peptica jejuni, sondern Ulcera der
Magenwand an der Gastroenterostomiestelle. Wilkie hat auf den
Unterschied dieser beiden Formen hingewiesen. Nach Schwarz
zeigen ferner gerade die in die Bauchwand perforierten postopera¬
tiven Geschwüre eine ausserordentliche Neigung zu Recidiven: „Von
53 Fällen blieben 13 ungeheilt oder recidivierten immer, trotzdem
9 mal 2 Laparotomien gemacht wurden, in 4 Fällen 3 mal, in
1 Falle 4 mal laparotomiert wurde; erlegen sind der Krankheit,
zum Teil infolge der vielen Laparotomien, 7 Fälle.
Da in unserem Falle das postoperative peptische Geschwür
fast ausschliesslich die Magenwand betraf, habe ich mich auf die
Resektion der erkrankten Stelle beschränkt und die alte Gastro¬
enterostomie wieder hergestellt. Vielleicht ist das ein Fehler.
Schwarz verlangt unter allen Umständen Kassierung der alten
Gastroenterostomie und Anlegen einer neuen hinteren Gastroentero¬
stomie. Er selbst hat bei diesem Vorgehen unter 9 Fällen 8 mal
Erfolg gehabt, v. Haberer hat durch radikale Resektion und Neu¬
anlegen einer Gastroenterostomie (4 mal davon nach Koux) von
6 Fällen 5 geheilt, 1 gebessert. Andere Autoren wieder, wie z. B.
Clairmont, haben über weniger gute Resultate, über Recidive
trotz radikaler Operation berichtet.
Die Beobachtungszeit — und das gilt auch von vielen Re¬
sektionsfällen — ist freilich oft sehr kurz, in den Fällen v. Ha-
berer’s höchstens 2 Jahre, um schon ein definitives Urteil abgeben
zu können. Beschrieb doch Kocher 1 ) einen Fall, bei dem noch
1) Th. Kocher, Mitteil, aus den (irenzgcb. der Medizin und Chirunrie.
1909. Hd. 20.
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen eallosen Magengeschwürs. 589
9 Jahre nach einer vorderen Gastroenterostomie ein Ulcus pepti-
cum sich entwickelte.
Auf Grund einiger weniger Beobachtungen soll man gewiss
kein abschliessendes Urteil fällen. Aber wenn ich überlege, wie ich
mich im nächsten ähnlichen Falle von multiplen Magengeschwüren
verhalten würde, so sehe ich nicht ein, weshalb ich die Gastroentero¬
stomie zugunsten der Resektion aufgeben sollte. Meine beiden
letzten Fälle zeigen doch evident, dass grosse callöse, penetrierende
Magenulcera, auch wenn sie multipel auftreten, nach einfacher
Gastroenterostomie heilen können unter völligem Schwinden der
Tumoren und jeglicher Beschwerden, vorausgesetzt freilich, dass
eine Stenose des Pvlorus mit vorliegt.
Die Gefahr der Verwechslung von Ulcus und Carcinom, selbst
bei geöffnetem Leibe, wird zurzeit sehr verschieden gewertet.
Während einige Chirurgen eine Fehldiagnose nur ausnahmsweise
für möglich halten, wird sie von anderen als relativ häufig hin¬
gestellt. Zahlen wie die von Payr, der bei 26 pCt. der resezierten
callösen Geschwüre mikroskopisch Carcinom findet, von Küttner,
bei dem diese Prozentzahl sogar 43,4 beträgt, werden natürlich
jedem Chirurgen zu denken geben und ihn veranlassen, das callöse
Magenulcus beim geringsten Verdacht auf Carcinom zu resezieren.
Bei multiplen Geschwüren, die hier in Frage kommen, liegt die
Gefahr einer Verwechslung weniger vor; multiple Carcinome des
Magens sind nicht häufig.
Noch ein Gesichtspunkt erscheint mir wichtig. Es liegt der
Gedanke nahe, dass das Auftreten multipler Geschwüre an sich
auf eine grössere Disposition, auf eine bestimmte Bösartigkeit der
Geschwürsbildung hinweist. Das braucht nicht notwendig der Fall
zu sein. v. Haberer macht darauf aufmerksam, dass die Anamnese
bei Fällen mit multiplen Geschwüren stets ein jahrelanges Leiden
aufweist. Wahrscheinlich sind die Geschwüre nicht gleichzeitig ent¬
standen, sondern das primäre Geschwür hat allmählich durch An¬
regen der Säurebildung, durch Pylorospasmus usw. den Boden vor¬
bereitet für die Entwicklung eines zweiten Ulcus. Ist nun eines
von diesen Geschwüren ein den Pylorus stenosierendes — und nur
von dieser Form multipler Geschwüre ist hier die Rede —, wes¬
halb kann da, sobald eine rationelle Gastroenterostomie die Magen¬
stauung beseitigt, durch Alkalisation die Hyperacidität paralysiert,
die Spasmen aufhebt, mit anderen Worten die Disposition für se¬
kundäre Geschwürsbildung wegschafft, weshalb, frage ich, sollte da
nicht auch das sekundäre Ulcus spontan ausheilen?
Die hier besprochene Form der multiplen Magengeschwüre:
ein (stenosierendes) Geschwür am Pylorus, das zweite am Magen-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
590
E. Liefe,
Digitized by
körper, ist relativ häufig. So finde ich unter 32 Fällen der Arbeit
v. Haberer’s nicht weniger als 15 mal diese Lokalisation.
Nehmen wir nun unter den Beobachtungen v. Haberer’s B.
den Fall 39, dessen Präparat v. Haberer auf dem Kongress 1914
demonstrierte: ein stenosierendes und perforiertes Ulcus des Pylorus;
ein zweites callöses Ulcus am cardialen Teil der kleinen Kurvatur;
fast totale Magenresektion, Heilung. Wer sagt uns, dass dies
zweite Geschwür nicht auch nach einfacher Gastroenterostomie ge¬
heilt wäre, wie es in meinen Fällen K. und G. geschah?
v. Haberer führt freilich 3 Fälle an, in denen diese Heilung
des zweiten Geschwürs nicht erfolgte. 2 Patienten sind jedoch so
bald nach der ersten Operation gestorben, dass sie für die hier
berührte Frage nicht verwendbar sind.
Fall 5 starb 4 Tage nach der schwierigen Resektion eines perforierten
Pylorusuleus an Blutungen und Perforation eines übersehenen zweiten Ulcus in
der Nähe der Cardin.
Fall 2 (Querrcseklion) wurde bereits nach 14 Tagen relaparotomiert wegen
intensiver Magenbeschwerden. Es wird ein zweites Ulcus an der kleinen Kur¬
vatur gefunden. Erneute Resektion. Tod infolge Deliiscenz der vorderen
Magen naht.
Im dritten Falle endlich scheint die Gastroenterostomie nicht
hinreichend funktioniert zu haben.
Fall 16. Gastroenterostomie wegen narbiger Pylorusstenose, o Monate
später ergibt die Röntgendurchleuchtung „eine entschieden schwere Verzögerung
der Austreibung durch die Gastroenterostomie* 4 . Hei erneuter Laparotomie
finden sich zwei Geschwüre, an der kleinen Kurvatur und hinteren Magenwand.
Am 6. Tage stirbt Patient infolge Perforation des letztgenannten Geschwürs.
Und weiter, der Fall 10 bei v. Haberer, beweist er wirklich
die Ueberlegenheit einer ausgiebigen Resektion? v. Haberer hat
hier durch radikale Operation Heilung erzielt, nachdem zwei, von
einem anderen Chirurgen vorher ausgeführte palliative Operationen
nur vorübergehenden Erfolg gebracht hatten:
45jährige Frau, die seit dem 16. Lebensjahre an Ulcusbeschwenlen leidet.
1. Operation Juni 1905: Hochgradiger Sanduhrmagen mit narbiger Ver¬
engerung auch des Pylorus. Hintere Gastroenterostomie am cardialen Magen¬
sack. Glatte Heilung: nach Ö Monaten Wiedereinsetzen der Beschwerden, er¬
neute Abmagerung.
2. Operation Mai 1906: Verhältnisse am Magen wie bei der ersten Ope¬
ration, nur schien die Pylorusstenose infolge Xarbenbildung noch weiter zuge¬
nommen zu haben, und ausserdem fiel eine nicht unbeträchtliche Blähung des
pylorischen Magensackes auf. die auf eine nachweisbare Verengerung der seiner¬
zeit angelegten Gastroenterostomie bezogen werden musste. Pyloroplastik, Gastro-
plastik im Bendel» der Sanduhrstenose. Die Magenaustastung ergibt kein neues
Ulcus. Trotzdem wird zwecks vorübergehender Ausschaltung des Magens noch
eine Jejunostomie hinzugefügt.
Glatte Heilung. Im Oktober 1906 mit Beginn der oralen Ernährung Rück¬
kehr der Schmerzen. Erbrechen. Trotzdem Patientin nunmehr nahezu 4 Jahre
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Zur operativen Behandlung des multiplen callösen Magengeschwürs. 591
sich ausscldiesslich durch die Jejunumfistel ernährte, schwanden die Beschwer¬
den nie vollkommen. Im Dezember 1910 starke Magenblutung.
3. Operation 2.1.1911: Sanduhrmagen durch ein grosses Ulcus der
kleinen Kurvatur bedingt, ausserdem ein zweites, hochgradig stenosierendes
Ulcus am Pvlorus. Cardialer Magensack sehr klein; Ulcus an der Kurvatur mit
der Lebeninterfläche verwachsen, Ulcus am Pvlorus ins Pankreas perforiert,
tiastroenterostomieöffnung völlig verschlossen, ohne dass sich hier eine Härte
oder eine derbere Narbe findet. Resektion von mehr als - 3 des Magens. Heilung,
die bis jetzt, 3 3 / 4 Jahre post Operationen!, anhält.
Ich wiederhole, spricht dieser Fall in der Tat unbedingt gegen
die Gastroenterostomie und für die Resektion? Ich glaube nicht.
Mir scheint von vornherein die Entleerung des pylorischen Anteils
des Sanduhrmagens nicht in ausreichendem Masse gewährleistet
Fig. 4. Fig. 5.
worden zu sein. Die Gastroenterostomie entleerte nur den cardialen
Sack sicher; da die Sanduhrstenose keine vollständige war und
weiter eine Pylorusstenose bestand, musste notwendig im pylori¬
schen Sack eine Verhaltung eintreten. Dass dem so war, ergibt
der Befund bei der zweiten Operation: „nicht unbeträchtliche
Blähung des pylorischen Sackes.“ Dass bei der zweiten Laparo¬
tomie Plastiken in einem narbig schwer veränderten Gewebe nicht
dauernd zum Ziel führten, ist auch verständlich.
Mein eigener, an dritter Stelle mitgeteilter Fall G. hat grösste
Aehnlichkeit mit dem eben beschriebenen. Auch hier lag eine
doppelte Stenose vor, am Pylorus und in Form einer Sanduhr¬
stenose. Ich habe zunächst beide Magensäcke durch eine breite
Gastrogastrostomie verbunden und dann im pylorischen Sack die
hintere Gastroenterostomie hinzugefügt. Den Unterschied gegen das
Vorgehen im Fall v. Haberer’s erläutern die schematischen
Skizzen 4 und 5. Ich hatte in meinem Falle die Freude eines
ausgezeichneten Erfolges, der bis jetzt, 2 1 j 2 Jahre nach der Opera¬
tion, andauert.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
592
E. Lick,
Digitized by
Ob demnach im Falle v. Haberer’s auch die primäre Re¬
sektion angebracht gewesen wäre, erscheint mir zweifelhaft. Anders,
nachdem bereits zwei vergebliche Eingriffe am Magen gemacht
waren. Hier konnte nur die ausgiebige Resektion klare und aus¬
sichtsvolle Verhältnisse schaffen. Und ich bedauere, in meinem
zuerst erwähnten Falle M. nicht auch nach der ersten, erfolglosen
Gastroenterostomie, zum mindesten aber nach dem zweiten, gleich¬
falls erfolglosen Eingriff so radikal wie v. Haberer vorgegangen
zu sein, anstatt Zeit und Kräfte an weitere Anastomosen zu ver¬
schwenden.
Mein Vorschlag geht also dahin: bei multiplen Geschwüren am
Magenkörper primäre Resektion, bei multiplen Geschwüren mit
Pylorusstenose zunächst hintere Gastroenterostomie mit kürzester
Schlinge; erst bei Misserfolg dieser Operation bzw. Ulcusrecidiv
Resektion.
Ich gebe zu, es sind dies Fragen und Schlüsse, über die man
streiten kann. Was für die primäre Resektion oder Gastroentero¬
stomie in diesen Fällen entscheidend sein wird, ist die Gefahr der
Operation. Und da ist doch nicht zu übersehen, dass die Mor¬
talität der Resektion wesentlich höher ist. Riedel verlor
von seinen ersten 25 Querresektionen 7 = 28 pCt. Küttner gibt
noch 1914 für die Resektion 20 pCt. Mortalität an, für die Gastro¬
enterostomie dagegen nur 4 pCt. Selbst ein so erfahrener Opera¬
teur wie v. Haberer, der an einem ungewöhnlich grossen Material
schwerer Fälle seine Technik vervollkommnen konnte, hat bei der
Resektion 9 pCt. Mortalität, bei der Gastroenterostomie etwas über
3 pCt. Dabei ist freilich nicht zu vergessen, dass v. Haberer
nur die leichten Fälle, vornehmlich die mit narbiger Pylorusstenose,
mit Gastroenterostomie behandelt hat.
Payr hat 465 Fälle von Ulcusresektion aus der Literatur bis
1910 gesammelt mit 10 pCt. Mortalität; die Sterblichkeit der
Gastroenterostomie beim Ulcus schätzt er auf 3—6 pCt. Mir er¬
scheint die Zahl für die Magenresektion eher zu günstig. Ver¬
öffentlicht werden vor allem die Zahlen aus grossen Kliniken, an
denen unsere Meister der Chirurgie arbeiten. Kleinere Statistiken
würden, wenn bekannt gegeben, wohl ein ungünstigeres Resultat
zeigen.
Wie dem auch sei, die Mortalität der Magenresektion übertrifft
sicher um das Zwei- bis Dreifache die der Gastroenterostomie. Die
Gefahr, bei letzterer ein Carcinom zu übersehen, kann nicht als
gleichwertige Gegenindikation eingeschätzt werden. Bei den Zahlen
von Payr, Küttner u. a. ist ferner zu bedenken, dass darunter
doch von vorneherein eine grosse Anzahl verdächtiger Ulcera sind.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Zur operativen Beliamlluni: des multiplen eallosen Ma^eniresehwürs. 593
Nur die schweren Fälle werden reseziert. Forscht man nach, wie
viel eigentlich von den wegen Ulcus Gastroenterostomierten später
an Carcinom erkranken, so ist man erstaunt über die geringe Zahl:
Gressot 2,3 pCt., Kocher 1,6 pCt., Küttner 1,7 pCt. Entwickelt
sich wirklich auf dem Boden eines Ulcus so häufig ein Carcinom,
wie z. B. Wilson (Klinik Mayo) es behauptet (von 153 Magen-
carcinomen konnte er 109mal, d. i. in 71 pCt., nachweisen, dass sie
sich auf dem Boden eines Ulcus entwickelt hatten), gut, sagen
die Anhänger der Gastroenterostomie, so beweisen die oben ge¬
nannten kleinen Zahlen, dass die Gastroenterostomie das Ulcus
heilt und damit den Boden für die Entwicklung eines Carcinoms
beseitigt.
Anders wäre es noch, wenn die Resektion des Magencarci-
noms bessere Resultate ergäbe. Aber wieviel von unseren Ope¬
rierten bleiben denn dauernd gesund? Mit 10 pCt. scheint mir
schon ein gutes Durchschnittsresultat geschätzt zu sein; von nam¬
hafter Seite werden viel kleinere Zahlen genannt.
Die höhere Mortalität der Resektion wird daher nicht durch
eine höhere Carcinomgefahr bei der Gastroenterostomie aus¬
geglichen. Auch die Resektion heilt nicht jeden Fall von
Magengeschwür. Grössere Statistiken geben etwa 70 pCt. Hei¬
lungen an, 10 pCt. Mortalität; der Rest sind Besserungen oder
Misserfolge. Zahlen, die bis auf die höhere Sterblichkeit ungefähr
mit den Resultaten der Gastroenterostomie (z. B. bei Kocher)
übereinstimmen. Freilich ist zu betonen, dass durch Resektion
durchschnittlich weit schwerere Formen des Magengeschwürs an¬
gegriffen werden, als es bei den durch Gastroenterostomie Be¬
handelten der Fall ist.
Der nicht unbedingt sichere Erfolg der Resektion und die
sicher grössere Gefahr des Eingriffs — ich übersehe nicht, dass
Ulcuskranke auch grosse, langdauernde Operationen oft überraschend
gut vertragen, -weit besser als Carcinomkranke — werden es vor¬
sichtigen Chirurgen noch auf lange Zeit schwer machen, die Gastro¬
enterostomie in jedem Falle von Magengeschwür, wie v. Haberer
es fordert, zugunsten der Resektion aufzugeben.
Ein vermittelnder Standpunkt zwischen den Verfechtern radi¬
kaler Methoden und den der Gastroenterostomie Treugebliebenen
käme in folgenden Schlusssätzen zum Ausdruck:
1. Callöse Geschwüre des Magens sind bei pylorus-
fernem Sitz und bei geringstem Verdacht carcinoma-
töser Entartung zu resezieren.
2. Bei stenosierenden Geschwüren des Pylorus ist auch
bei Vorhandensein eines zweiten Geschwürs des
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
594 K. Liek, Operative Behandlung des multiplen callüsen Magengeschwürs.
Magenkörpers zunächst die hintere Gastroentero¬
stomie mit kürzester Schlinge auszuführen.
3. Bewirkt das zweite Geschwür eine Sanduhrstenose,
so ist die Gastrogastrostomie zwischen den beiden
Magensäcken plus hinterer Gastroenterostomie am
pylorischen Sack indiziert.
4. Wenn die unter 2 und 3 genannten Operationen nicht
zum Ziel führen, wird unter Verzicht auf weitere
palliative Methoden der ganz.e erkrankte Magen¬
abschnitt reseziert.
Druckfehlerberichtigung.
In meiner Arbeit „Ucber Bauchschüsse, insbesondere über Schuss¬
verletzungen der Leber“ im vorliegenden Bande dieses Archivs S. 527,
Zeile 16 muss es heissen: von unseren 27 Leberschüssen starben 9 — 33 1 3 pC’t.
Dr. E. Liek.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
XXIII.
(Aus der chirurg. Abteilung des städt. Krankenhauses St. Georg in
Leipzig und dem Reservelazarett II, 1. Abteilung b.)
Leitungsanästhesie am Oberschenkel durch
Infiltration des incarcerierten Querschnitts.
Von
Dr. R. Sievers,
Kriegs/, leitendem Arzt der Abteilung und ordinierendem Arzt tim Kcservelnzarett II. 1 b.
(Mit 2 Textfiguren.)
Das in etwa 20 Fällen von Zivil- und Militärkranken erprobte
Verfahren besteht kurz in folgendem: um den Oberschenkel werden
in mittlerer Höhe zwei breite feste Gummibinden zur Unterbrechung
des Kreislaufs so umgewickelt, dass ein 2—3 cm breiter ring¬
förmiger Streifen zwischen ihnen frei bleibt. Von ihm aus wird
der Oberschenkelquerschnitt mit einer Novocain-Suprareninlösung
niedriger Konzentration (1— 1 / 2 proz.) infiltriert. Dadurch erzielt
man in 20—30 Minuten vollständige Anästhesie in dem abwärts
von dem Injektionsring gelegenen Extreraitätenabschnitt, die so lange
anhält, wie die Unterbrechung des Kreislaufs unterhalb der Injek¬
tionsstelle belassen wird. Wie die nachher kurz wiedergegebenen
Protokolle zeigen sollen, lassen sich auf diese Weise alle Weich¬
teil- und Knochenoperationen am Rein auch von längerer Dauer bis
über anderthalb Stunden ausführen.
„Jede Infiltration einer Gewebsschicht, die Leitungsbahnen ent¬
hält, bewirkt nicht nur Infiltrationsanästhesie im infiltrierten Gebiet,
sondern auch Leitungsanästhesie im Verbreitungsbezirk der be¬
treffenden Nerven“ sagt Braun in seinem Lehrbuch (1), muss
aber an anderer Stelle einschränkend ausführen, dass die Gesetze
der Hautinfiltration sich nicht ohne weiteres auf alle anderen Ge-
websarten übertragen lassen, da die injizierte Flüssigkeit stets der
Richtung des geringsten Widerstandes folgt, und so zwar die Ge-
websspalten füllt, aber nicht in die Nerven und Gefässe umhül¬
lenden straffen Bindegewebszüge eindringt, ebensowenig wie in die
die Fascie bedeckenden Bindegewebslagen. Die Muskeln zeigen
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
596
R. Sievers,
Digitized by
dasselbe Verhalten wie das Unterhautzellgewebe, so dass eine
gleichmässige Durchtränkung eines Muskelquerschnitts mit Flüssig¬
keit nicht möglich ist: „die Flüssigkeit verbreitet sich zwischen
den Fibrillen, dringt aber in die dickeren Nerven und Gefässe
führenden Bindegewebssepten gar nicht ein“. So haben sich die
perineuralen Methoden der. Leitungsanästhesie entwickelt, bei
denen besondere Depots der Anästhetica um die Hauptstämme der
Nerven angelegt werden und durch gleichzeitige Verwendung höherer,
bis 4proz. Konzentrationen das Mittel gezwungen wird, in die Binde-
gewebsscheiden der Nervenstämme zu diffundieren. Andererseits
musste von vornherein jeder Versuch, Leitungsanästhesie durch
einfache Infiltration des Extremitätenquerschnitts zu
erreichen, wenig Aussicht auf Erfolg haben, wenn man nicht mit
ganz besonders hochkonzentrierten Lösungen arbeiten wollte, die
noch dazu in grossen Quanten eingespritzt werden müssten. Und
doch hat vielleicht manchen anderen Chirurgen wie mich der
Wunsch beseelt, an Stelle der mühsamen und nur bei feinst ge¬
schulter Technik zuverlässigen perineuralen Methoden es mit der
technisch natürlich viel einfacheren queren Infiltration zu ver¬
suchen.
Noch in den Kinderjahren der Leitungsanästhesie — d. h. vor
Einführung der Nebennierenpräparate durch Braun — hat sich
Hölscher (7) um das Problem der Querschnitts-Leitungsanästhesie
bemüht: unter Zuhilfenahme der Esraarch'sehen Blutleere infil¬
trierte er handbreit oberhalb des Kniegelenks den Oberschenkel¬
querschnitt mit 50 ccm einer 0,2proz. Eucainlösung, erreichte aber
nach 47 Minuten nur eine unvollkommene Schmerzlosigkeit. Seit
diesem Misserfolge sind keine weiteren Versuche mit der Methode
bekannt geworden. Erst in neuester Zeit hat Hohmeier die Frage
wieder aufgegriffen, unserer Ansicht nach aber nicht gelöst. Das
„Umspritzuugsverfahren“ Hohmeier’s stellt nach seinen ersten
Mitteilungen (5) eine Kombination aus perineuralen Injektionen,
Infiltration des Extremitätenquerschnitts und örtlichen Infiltrationen
des Hautschnitts und des Periosts der beteiligten Knochen vor.
Diese Vielseitigkeit seiner Injektionstechnik lässt schon durch-
blicken, dass er auf die Querschnittsinfiltration keinen grossen Wert
legt. Dass er ihrer Wirksamkeit jedenfalls nur eine sekundäre,
ergänzende Bedeutung beimisst, geht aus den Mitteilungen des
Autors auf dem Chirurgenkongress 1914 (6) hervor, wonach er für
die perineuralen Injektionen jetzt 1 proz., d. h. höherkonzentrierte
Lösungen verwendet. Der ausschlaggebende Faktor bleiben also
auch bei seiner Anästhesie die perineuralen Injektionen, und man
vermag nunmehr überhaupt keinen grundsätzlichen Fortschritt in
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
F*eiiiimrsaniisih«_*sie am ObeiM-ln'iikel usw.
597
seinem Verfahren mehr zu erkennen gegenüber dem bewährten
Läwen’schen (9, 11). Denn den Umstand, dass Hohmeier sich
gezwungen sieht, die perineuralen Injektionen in die Nähe des
Operationsgebietes zu verlegen, um ihre Wirkung zu verstärken
und zu beschleunigen, möchten wir eher als einen Nachteil aus¬
legen, da eine Einengung des Operationsgebietes stets hinderlich
ist. Auf keinen Fall aber hat Hohmeier eine Vereinfachung der
Technik oder eine nennenswerte Verminderung der Injektionsdosis
erreicht, auch können wir kaum annehmen, dass die Belästigung
der Kranken durch die vielfältigen Einstiche eine geringe ist.
Die Misserfolge der beiden Autoren mit der queren Leitungs¬
anästhesie beruhen — das ergibt sich klar aus dem eingangs Aus¬
geführten — auf der unbehinderten Ausbreitung des Anästhetikums
in den grossen Weichteillagern des Oberschenkels, die ein genü¬
gendes Durchdringen der dicken Nervenstämme mit ihren kräftigen
Scheiden nicht ermöglicht.
Wir haben uns nun bemüht, die Diffusion bis auf ein Mini¬
mum einzuschränken durch Abschliessung des zu infiltrierenden
Gewebsquerschnitts mittels zweier Gummibinden, durch „Incarce-
ration ul ). So entstand das in seinen Grundzügen bereits kurz
skizzierte Verfahren.
Ich unterlasse es, auf die einzelnen Entwickelungsphasen
meiner Methode im Zusammenhang näher einzugehen, da es sich
nur um Vereinfachungen und Vervollkommnungen der Technik
handelte, die besonders auf eine Ausschaltung aller Belästigungen
des Kranken hinzielten, während das Grundprinzip der Erzeugung
einer Druckdifferenz im Gewebe zur Arretierung der anästhe¬
sierenden Lösung das gleiche blieb. Das für Nachprüfungen
Wissenswerte mag aus den folgenden Protokollen entnommen
werden:
1. K. St., *25jähriger Unteroffizier d. Res.
() [»erat i o n: Narbenexeision. Auskratzung. Knoohenanfri schling, Lappen-
jilastik am Untcrsohenkelamputationsstumpf.
Technik der Anästhesie: Expulsionsbindc bis handbreit über das Knie¬
gelenk, :2 Querfingerbreit' über ihrem oberen Kami Es m are li -Schlauch. Zwischen
beiden quellen die Weichteile stark heraus und zeigen eine sulche Stauung,
dass die Injektion nicht riskiert wird. Deshalb Neuanlegung des Schlauches
dicht an den oberen Kand der unteren Binde, deren oberer Hand abwärts ge¬
klappt wird. In den dabei frei werdenden, etwa o cm breiten King wird von
S Quaddeln aus mit langer Kanüle radiär auf den Knochen rund um den Ober-
sohen k e lq uerseh ni tt 1 proz. Novocain-,Suprareninlösung ohne Rücksicht auf
die Lage der Ilauptnervenstämme injiziert (10 Uhr 58 Min.).
1) Die r Inoarccration" Oorning's (4) zielt nur auf eine Kreislaufsuiitor-
hrecliung ab.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4. 40
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
598
R. Sic vors,
Digitized by
Verlauf der Anästhesie: 11 Ihr 10 Min. bis auf einen umschriebenen
Bezirk vorn innen vollkommene Analgesie gegen Nadelstich. 11 l’hr 1 3 Min.
Abnahme der unteren Binde und gleich darauf des Schlauches: das Einströmen
des Blutes in den Stumpf wird nicht gefühlt, ebensowenig die Kälte der Aether-
wasrhung. Die Analgesie hat noch zugenommen. 11 Uhr 20 Min. bis 11 Uhr 40 Min.
Operation: bis auf die genannte Stelle, die noch einer besonderen Infiltration
bedarf, besieht vollkommene Analgesie.
Beurteilung: Der Fall ermutigte zu weiteren Versuchen, da über die
Ausführung der Anästhesie keinerlei Klagen geäussert wurden und das Resultat
ein fast vollkommenes war. Der kleine Fehler liess sich wohl mit einer nicht
genügenden Uleiehmässigkeit der Injektion oder auch mit der fehlenden sub¬
kutanen Einspritzung erklären.
2. W. L.. 17jähriger Handlungsgehilfe.
Operation: Blutige Reposition eines 2 Wochen alten supramallculümt
Bruches.
Technik: Expulsionsbinde bis zur Mitte des Unterschenkels, ober¬
halb anschliessend zweite (iummibinde, Umkrempolung der beiden einander zu¬
gekehrten Ränder zur Bildung des Injektionsringes. Von 10 Quaddeln aus tiefe
radiäre Injektion von 75 ccm 1 proz. Lösung und subkutane Injektion von einigen
Kubikzentimetern l / 2 proz. Lösung.
Verlauf: Nach 10 Minuten Abnahme der Expulsionsbinde, nach 20 Minuten
unter Belassung der oberen Esmarch-Binde Ausführung der Operation, die ohne
jede Klage vor sieh geht.
,‘L ,). M., 23jähriger Soldat.
Operation: Reamputation aller Zehen wegen Frostgangrän. Plastische
Deckung mit der vorhandenen Zehen haut.
Technik wie in Fall 2: Injektion handbreit über dem Fusse.
Verlauf: 11 Uhr 25 Min. Injektion beendet, 11 Uhr 40 Min. Abnahme der
peripheren Binde. Operation 11 Uhr 50 Min. bis 12 Uhr 15 Min. vollkommen
schmerzlos.
4. F. E.. 2(>jähriger Reservist.
Operation: Splitterextraktion am unteren Oberschenkel naeh Sehrap-
nel Ist eckseh uss, Resektion periost bischer Osteophyten.
Technik wie in Fall 2; die vielfältigen Hinstichstellen werden von dem
allerdings recht ängstlichen Verwundeten lästig empfunden.
Verlauf: Operation 12 Uhr 50 Min. bis 1 Uhr 15 Min. ganz schmerzfrei.
1 Uhr 20 Min. ergibt eine Nadeluntersuchung, dass am äusseren Knöchel wieder
Empfindung zurück kehrt.
5. K. K.. 22jähriger Reservist.
Operation: Resektion, Reposition und Drain naht der Fibula nach Zer-
triimmerungsschuss des Unterschenkels mit Defekt der Tibia.
Technik: Behandlung der Binden wie bei Fall 2; die subkutane In¬
jektion von 15 ccm 1 ■» proz. Lösung wird der tiefen von 50 ccm 1 pro/..
Lösung vorausgeschickt und die Zahl der Injektionsstellen vermindert (Oher-
s c h eil k e I).
Verlauf: 10 Uhr 37 Min. Abnahme der unteren Binde. Nadelstiche am
Kuss werden teilweise noch als Schmerz empfunden. 10 Uhr 45 Min. Operation,
die völlig schmerzlos verläuft. Zuletzt wird zunehmend über die Es march-
sehe Konstriktion geklagt, so dass die Faseien- und Hautnähte in Sch lei eh-
Rauschmirkusc ausgefiihrt werden müssen.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Lcitungsanästhesic am Oberschenkel usw.
599
6. K. Scli.. 57jälirii^or Dümgerhändler.
Operation: Doppelte Pseudarthrose der Tibia; Mobilisierung der stark
dislozierten Fragmente, schräge. Anfrischung und Drahtnalit.
T e e h n i k wie in Fall 5 (< > I) e r s r h e n k e 1).
Verlauf: Völlig schmerzlos, über den Ksmareh-Schlauch wird nicht ge¬
klagt. Nach Abnahme der Binde kehrt die Sensibilität schnell wieder.
7. O. B., 5öjähriger Presser.
Operation: Knochenplastik bei stark dislozierter frischer Fraktur des
ersten Metatarsus: Reposition und Verkeilung zweier xöllig losgelöster Diaphysen-
stiieke zwischen Basis und Köpfchen.
Technik wie in Fall 5: 15 ccm 1 pro/.. Lösung subkutan, 45 ccm 1 proz.
Lösung in die Mitte des l'nterschenkels.
Verlauf: 10 I hr 41 Min. Anlegung der Binden, 10 Flir 49 Min. Injektion
beendet, 11 Uhr Abnahme der distalen Binde, 11 Uhr 10 Min. bis 11 Uhr 45 Min.
Operation ohne irgend welche spontane Schmerzäusserung des Kranken. Zum
Schluss gibt er auf Befragen an, dass er an der Stelle des Schlauches Druek-
gcfiihl habe, „als wenn das Bein eingeschlafen wäre".
Beurteilung: Der schmerzlose Verlauf ist in diesem Falle von beson¬
derem Wert für die Beurteilung, weil der Kranke durch lebhafte Abwehr bei
den ersten Nadelstichen seine nicht geringe Fmpfindlichkcit demonstrierte.
S. A. P., 2(>jähriger Reservist.
Operation: Reamputation des Oberschenkels: Xarbenexeision und Resek¬
tion eines grossen Osteophvten, der die nach 0 rittUscher Operation seitlich
luxierte Patella enthält, wie die Untersuchung des Präparats festst<*l 11.
T e c h n i k wie in Fal 1 5 (0 b e rsc h e n k e l).
Verlauf: Fast völliges Versagen der Analgesie.
Beurteilung: Kine Erklärung des Misserfolgs liess sieh nicht gehen. Fs
handelte sieh allerdings um einen jener übertrieben empfindlichen, ängstlichen
Menschen, die man am besten von vornherein von jeder Lokalanästhesie aus¬
schalten soll, zumal sie in ihrer Angst vor jedem noch so unbedeutendem Ein¬
griff auf Zureden und Erklärungen nicht hören und über ihre Empfindungen
sich und dem Arzte keine zuverlässige Rechenschaft zu geben vermögen.
9. 0. Z.. 2Sjähriger Ersatzreservist.
Operation: Ausräumung einer Knoehcntriimmerhöhle zwischen erstem
und zweitem Metatarsus.
T e c h n i k wie in Fal 1 5: Mitte des U n t e rs c h e n k e I s 15 ccm '/ 2 proz.
Lösung subkutan, 55 ecm 1 proz. Lösung in die Tiefe.
Verlauf: Schluss der Injektion 12 Uhr S Min., Operation 12 Uhr 2(> Min.
bis 12 Uhr 40 Min. vollständig schmerzlos. Nach Abnahme der Binde wird das
ZurückstTomen des Blutes nicht wahrgenommen. Binnen kurzem ist aber an
der Innenseite des Busses wieder (icfiihlsverrnügen vorhanden.
10. K. S ch.. 57jähriger Düngerhändler.
Operation: Knochennaht bei Pseudarthrose der Tibia (vgl. Fall 0).
Technik wie in Fall 5. Oberschenkel: von 4 (Quaddeln subkutan
15 ccm 1 2 proz. Lösung, von S Einstichen aus die tiefe Injektion mit 1 proz.
Lösung.
Verlauf: Abnahme der unteren Binde nach 10 Minuten, wegen starker
Uvanose Neuanlegung eines Schlauches an Stelle der proximalen Binde. Während
der 1 ,; 2 Stunden dauernden schwierigen Mobilisierung, Formung der Bruehenden
und Naht , die mit sehr gewaltsamen Hebelungen einhergelit, wird keinmal der
geringste Schmerz geäussert.
40 *
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY 0F IOWA
R. Sievers.
Digitized by
«00
11 . K. V., 22 jähriger Reservist.
Operation: Amputalio diiriti I — V pedis sin.
Technik wie in Fall 5. Unterschenkel: 15 ccm 1 2 pro/.. Lösung sub¬
kutan, 50 ccm 1 proz. Lösung in die Tiefe von S Quaddeln aus.
Verlauf: 9 Uhr 8 .Min. Fertigstellung der Injektion, 9 Uhr 20 Min. Ab¬
nahme der distalen Binde, Operation 9 Uhr 30 Min. bis 9 Uhr 45 Min. ohne die
geringsten störenden Kmpfindumren. Nach Abnahme der proximalen Binde kehrt
9 Uhr 55 Min. bereits Sensibilität zurück.
12 . M. 24jähriger Gefreiter.
Operation: Ausräumung eines grossen Aneurysma der Art. puplitea. das
weit in die Muskulatur des Oberschenkels hinaufreicht (Infantcriedurchsehu.ss
des Oberschenkels).
Technik wie in Fall 5. Oberschenkel: subkutan 20 ccm l ‘-> proz.
Lösung, tief 35 ccm 1 proz. Lösung.
Verlauf: Injektion fertig 10 Uhr 30 Min., Abnahme der Expulsionsbinde,
die schmerzlos über das Aneurysma gewickelt werden konnte, 10 Uhr 40 Min.:
Umwandlung der proximalen Binde in einen Es m areh'sehen Schlauch wegen
Stauung. 10 Uhr 50 Min. Operation, diese dauert 1 * 2 Stunden und verläuft ohne
die geringsten Schmerzen. Nur über die für die Operation notwendige Bauch¬
lage wird gelegentlich geklagt.
13 . O. K., 25jähriger Vizefeldwebel.
Operation: Arthrotomie des Fussgelenks mit äusserer Aufklappung und
Resektion des äusseren Knöchels wegen Infektion des Oelenks bei jauchigem
U n t e r sc 1 1 e n k e 1 s eh us s b r u c h.
Technik: Expulsionsbinde fällt wegen der Infektion weg. Umlegung von
zwei Gummibinden am O be rs c h e n k e I. Umklappcn der einander zugekehrten
Bänder. Das Bein bleibt bei der Umlegung und weiteren Injektion ruhig auf
der Unterlage liegen. Subkutane und tiefe Injektion mit 'A proz. Lösung nur von
vorderen und seitlichen Einstichen und Quaddeln aus. 10 Minuten nach Fertig¬
stellung der Injektion wird die proximale Binde zur Stauungsbinde gelockert.
Verlauf: Die l / 4 Stunde danach begonnene Operation verläuft vollkommen
schmerzlos.
Beurteilung: Auf den von Braun stammenden Kunstgriff der Umwand¬
lung der Es mar eh sehen Konstriktion in eine Stauungsbinde oberhalb der In¬
jektion kommen wir weiter unten nochmal zurück. Er dient zur Minderung der
durch die Konstriktion verursachten Schmerzen. Auch in der Richtung wurde
in diesem Falle besonders schonend vorgegangen, als man das sehr empfindliche
Bein während der ganzen Anästhesierungsmassnahmen auf der Unterlage liegen
liess. Es wurde das dadurch ermöglicht, dass die Injektionen nur von vorn und
beiden Seiten von je zwei Quaddeln her vorgenommen wurden. Dass der sehr
schwache und von woehenlangen heftigen Schmerzen geplagte Mann die Opera¬
tion ohne Klagen ertrug, beweist die Güte der Analgesie.
14 . O. K., 25jähriger Vizefeldwebel.
Operation: Amputatio eruris bei Fall 13 in mittlerer Höhe an der Bruch¬
stelle mit Bildung eines hinteren Lappens.
Technik wie in Fall 13. Wegen der gesteigerten Empfindlichkeit de>
Kranken wird die Anlegung der Binden in kurzem Rausch mit Seh 1 eich‘schein
Siedegemisch ausgeliihrt. 8 Uhr 22 Min. am Oberschenkel von (i Funkten aus
t>() ccm 1 /•> proz. Xovocain-Suprareninlösung subkutan und in die Tiefe.
Verlauf: S Uhr 42 Min. kann mit der Amputation begonnen werden, die
zunächst ohne eigentliche Schmerzäusserungen verläuft. Dann aber wird der
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Leitungsanästhesie am Oberschenkel usw.
601
Krankt* derartig aufgeregt, dass nochmals Rauschnarkose gereicht werden muss.
Ob wirklich durch Mangelhaftigkeit der Anästhesie oder nur durch die aufs
höchste cesteiferte Aengstlichkeit des Kranken das Versagen in diesem Falle
bedingt ist, lässt sich nicht entscheid«*!). Fs waren jedenfalls nur kleinste Dosen
des Sch 1 eich'schon Siedeireniisches (3 mal 5 ccm) notwendig, um den Kranken
vollkommen ruhig /u halten.
15. (r. II., 40jähriger Bodenarbeit er.
Operation: Fxstirpatiim eines kinderfaustgrossen verkalkten Hygroms der
Rursa poplitea der rechten Kniekehle.
Technik wie in Fall 13. Oberschenkel.
Verlauf: Die 55 Minuten dauernde Operation ist schmerzlos.
16. M. F., IS jähriger Arbeiter.
Operation: Wundversorgung mit Resektionen nach Abquetschung der
rechten Hand im Bereiche des Metaearpus.
Technik wie in Fall 5. Vorderarm: 60 ccm tVproz. Lösung.
Verlauf: 11 Uhr 2S Min. Beendigung der Injektion, 11 Uhr 40 Min. Ab¬
nahme der peripheren Binde und Beginn der Operation, die bis 11 Uhr 55 Min.
dauert und vollständig schmerzlos verläuft. Das Anlegen von Uefässklemmen
nach Abnahme der Fs m areh'sehen Binde wird bemerkt, aber nicht, als Schmerz
empfunden.
17. 0. S., 31 jähriger Dachdecker.
Operation: Mobilisierung, Drahtnaht und Deckung mit gestieltem Periost-
knochenlappen hei Pseudarthrosis tibiae.
Technik wie in Fall 13. Oberschenkel: 10 Uhr 20 Min. Anlegung der
Fxpulsionsbinde bis über das Kniegelenk und unter Ueberspringung einer Tour
Weiterwickeln de.selben Binde zur Bildung des Tncarcerationsrings, wobei die
Binde an der Hinterseite weitergeführt wird, wo nicht injiziert zu werden braucht.
10 Uhr 24 Min. bis 10 Uhr 30 Min. Injektion von G Quaddeln aus. 10 Uhr 30 Min.
Abwickeln der distalen Binde vom Fusse aufwärts und statt ihrer Umlegung
einer neuen dicht unterhalb des Injektionsringes. Ersatz der proximalen Blut¬
leerebinde durch eine Staunngsbindc.
Verlauf: Operation von 11 — 12 Uhr schmerzlos. Nach Anlegung eines
aseptischen Kompressionsverbandes Abnahme der beiden Binden; zirkulärer
(iips\ erband.
18. A. K., 31 jähriger Besen ist.
Operation: Mobilisierung und Verkeilung einer im Fxtensionstyp dis¬
lozierten Fractura femoris supracondylica.
Technik wie in Fall 13 (17). Oberschenkel.
Verlauf: Injektion 10 Uhr 35 Min. bis 10 Uhr 42 Min., Abnahme der
distalen und Umwandlung der proximalen Binde 10 Uhr 52 Min., Operation von
11 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 20 Min. schmerzlos. Aseptischer Kompressionsverband,
Abnahme der Binden, Oipsverband.
In den 18 Fällen hat unsere Anästhesie 15 mal vollen Erfolg
gehabt. In Fall 1 war die Technik erklärlicherweise noch nicht
zuverlässig und daher ein kleiner Bezirk empfindlich geblieben, in
den beiden anderen Fällen 8 und 14 ist das Ausbleiben der Wir¬
kung vielleicht dem Umstand zuzuschreiben, dass sich die Kranken
nicht zur Vornahme von örtlichen Anästhesierungsmethoden eigneten.
Jedenfalls muss ich auf Grund der übrigen Erfahrungen mich zu
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
602
K. Sievors.
Digitized by
der Versicherung berechtigt halten, dass bei genauer Einhaltung
der einfachen Vorschriften ein Versagen der Anästhesie nicht zu
erwarten ist.
Bestimmt ist die Methode in erster Linie zur Anwendung am
Oberschenkel, und zwar ganz besonders da, wo eine möglichst
hohe Anästhesie erwünscht ist, wie z. B. in Fall 12, wo das weit
in den Hunter’schen Kanal hinaufreichende Aneurysma der Femo¬
ralis (Poplitea) eine Ausdehnung des Operationsgebietes bis nahe
an die Mitte der Oberschenkelhöhe erforderte. Sehr zweckmässig
hat sich die Anästhesie ferner bei allen Operationen in der Nähe
des Kniegelenks erwiesen. Indes haben wir uns nicht auf diese
Begrenzung beschränkt, da es uns daran lag, ein möglichst viel¬
seitiges, in stets gleicher Weise ausführbares Verfahren zu er¬
halten. Es ist wohl kaum zu bemerken, dass wir es bei kleineren
Operationen an Fuss und Hand prinzipiell nicht verwenden würden,
da wir hier ja einfachere örtliche Methoden besitzen. Indes möchten
wir doch auf solche Fälle verweisen, wo phlegmonöse Prozesse die
örtlichen Leitungsanästhesien verbieten, wie in Fall 14, wo eine
jauchige Unterschenkelschussfraktur mit ausgedehnten phlegmonösen
Prozessen und „Röhrenabscesscn“ (Payr) vorlag, die zu einer Ver¬
eiterung des Sprunggelenks geführt hatte. Schliesslich ist gegen¬
über der perineuralen Leitungsanästhesie am Oberschenkel der
Vorteil zu betonen, dass die Extremität bei unserer Methode ruhig
in ihrer Lage bleiben kann, nur zur Anlegung der Binden etwas von
der Unterlage erhoben zu werden braucht, dass also die manchmal
lästige und die Anästhesie verbietende Bauchlage nicht erforderlich
wird, da ja die Aufsuchung des Ischiadicus in Wegfall kommt.
Bezüglich der Auswahl der Operationen zur Querschnitts¬
leitungsanästhesie haben wir uns keinerlei Beschränkungen auf¬
erlegen müssen, da ja eine vollständige Analgesie der ganzen,
abwärts von der Injektionsstelle gelegenen Extremität erreicht
wird, deren Dauer nur von derjenigen der Incarceration abhängt.
So findet man in der Zusammenstellung zwei Eingriffe von andert¬
halb Stunden Dauer. In dieser Beziehung hat man bei unserer
Anästhesie fast grössere Ruhe, als bei der perineuralen Methode,
die manchmal bei unerwartet langer Dauer der Operation zuletzt
nachlässt, so dass die Hautnaht zum Beispiel schmerzhaft wird.
Die absolute Zuverlässigkeit des Eintritts und der
Dauer der Anästhesie ist also eine wertvolle Eigenschaft
unseres Verfahrens, die in ihrem Wesen begründet liegt: bei rich¬
tiger Legung der beiden schnürenden Binden ist das injizierte An-
ästhetikum gezwungen, seinen Weg zu den grossen Nervenstämmen
des betreffenden Querschnitts zu nehmen, da es nicht nach oben
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
LeituriLTsaniisthesio am Oberschenkel usw. 603
und unten ausweichen kann und die Aufhebung des Kreislaufs
andererseits jede Resorption hindert. Der Eintritt der Analgesie
ist dann nur eine Frage der Zeit und des injizierten Giftquantums,
nicht der Technik der Injektion, bei der man nicht einmal beson¬
ders sorgfältig auf eine möglichst gleichmässige Verteilung zu
achten hat, jedenfalls sich nicht an die anatomische Lage der
Nerven zu halten braucht. Sie müssen zwangsmässig durch den
DifTusionsstrom im Incarcerationsbezirk erreicht werden.
Aus demselben Grunde spielt auch die Konzentration der
Lösung keine ausschlaggebende Rolle, wie bei der perineuralen
Injektion, da wir ja wissen, dass für die Leitungsunterbrechung
eines Nerven sehr schwache Lösungen genügen, vorausgesetzt
immer, dass sie wirklich in den Nerven gelangen. Indes wird
natürlich auch bei der Injektion unter Druckdifferenz das Gift¬
gefälle ein um so grösseres sein und damit die Wirkung um so
schneller eintreten, je höher die Konzentration ist. Auch muss die
Konzentration in der Hinsicht eine massgebende Rolle spielen, als
die Menge des im Nervenquerschnitt verankerten Giftes von ihr
direkt abhängt und damit wahrscheinlich die Dauer der Analgesie
nach Abnahme der Schnürung.
Betreffs der ersten Frage, der Schnelligkeit des Eintretens der
Anästhesie haben wir nun auch die Erfahrung gemacht, dass die
Wartezeit nach abgeschlossener Injektion bei Benützung halb¬
prozentiger Lösungen durchschnittlich etwa 1 J. 3 länger ist als bei
einprozentigen Injektionen. Im ersteren Falle haben wir bis zu
einer halben Stunde warten müssen, mit der einprozentigen nur
20 Minuten. Wenn also aus diesem Grunde auch die Verwendung
der höheren Konzentration von Vorteil ist, so haben wir uns einst¬
weilen doch bemüht, mit den halbprozentigen Lösungen auszu¬
kommen, weil uns daran lag, mit möglichst geringen Gift¬
mengen grosse Wirkungen zu erzielen und weil es uns ferner
um eine einwandsfreie Beweisführung zu tun war für die Hypothese
der Beeinflussung der Diffusion durch künstliche Druck¬
differenz im Gewebe.
Hinsichtlich der festeren und dauerhafteren Verankerung des
Novocains im Nerven durch Benützung stärkerer Konzentrationen
vermögen wir noch keine zuverlässigen Angaben zu machen, sind
aber damit beschäftigt, diese Frage zu studieren. Bisher haben wir
nur beobachten können, dass meist nach Abnahme der Binden die
Sensibilität am peripheren Ende ziemlich schnell zurückkehrt, dass
nach längerer Dauer der Operation sogar das Gefühl für das Zu¬
rückströmen des Blutes im Moment der Lösung der Esmarch’schen
Blutleere vorhanden war.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
604
|{. Sirvers,
Digitized by
Vor der Kenntnis der Nebennierenpräparate war es eine be¬
kannte Tatsache, dass die unter Blutleere ausgeführte Anästhesie
meist in kurzer Zeit — die Angaben schwanken zwischen 5 und
15 Minuten und „manchmal auch viel länger“ (Braun) — nach
Abnahme der Konstriktion aufhörte. Wir haben aber unsere An¬
ästhesien trotz der Anwendung der Konstriktion stets mit Zusatz
von Suprarenin ausgeführt, so dass die obige Beobachtung ent¬
schieden etwas Ueberraschendcs hat, das wir uns bisher nicht haben
erklären können, l'eber eine Beeinträchtigung der Wirksamkeit der
Nebennierenpräparate durch die Esmarch’sche Blutleere war bisher
nichts bekannt.
Es ergeben sich also auch in dieser Richtung neue Frage¬
stellungen, an deren experimentelle Lösung wir bereits herangetreten
sind. Mag aber die Antwort ausfallen wie sie will, so glauben wir
doch mit Sicherheit annehmen zu dürfen, dass die Nachhaltigkeit
der Anästhesie durch Verwendung höherer Konzentrationen gesteigert
werden kann, so dass man auch aus diesem Grunde schliesslich
wohl wieder auf die cinprozentigen Lösungen hinauskommen wird.
Trotzdem werden bei unserer Methode immer noch recht kleine
absolute Giftmengen erforderlich sein: für die subkutane Injektion
genügen stets 15—20 ccm 1 j 2 proz. Lösung, d. h. in maximo 0,1 g
Novocain, für die tiefen radiären Injektionen verwandten wir 35
bis 50 ccm, was bei 1 / 2 proz. höchstens 0,25 g, bei 1 proz. Lösung
0,5 g ergeben würde. Die Gesamtmenge beträgt also selbst bei
Benutzung der höheren Konzentration für die tiefen Injektionen nur
0,6 g bei grösserem Umfang der Extremität. Sollte es sich auf
Grund weiterer Versuche als wünschenswert herausstellen, sogar
noch stärkere Lösungen zu verwenden, so würde man selbst mit
der 2proz. noch nicht einmal diejenigen Mengen erreichen, mit denen
die anderen Autoren arbeiten. Für die Läwen’sche Anästhesie haben
wir durchschnittlich 1,22 g gebraucht (11), Koppler (10) gibt als
Höchstsatz 1,2 g an; Hohmeier, der für eine Kniegelenksresek¬
tion 270 ccm Flüssigkeit injiziert, hat dabei früher bereits 1,35 g
Novocain verwandt, jetzt, wo die perineuralen Injektionen mit
1 proz. Lösung vorgenommen werden sollen, steigt die Menge
auf 1,6 g.
Ich möchte durch diese Ausführungen nicht den Verdacht
aufkommen lassen, als wenn ich in der Verwendung grosser
Dosen Novocain besondere Gefahren sehe. Wir sind durch die
verschiedenen neuen Leitungsanästhesieverfahren vom Gegenteil
überzeugt worden und scheuen sic nicht, sobald sie notwendig
sind. Sind sie aber entbehrlich, so ist das kein Nachteil. Es lag
uns aber daran, den strikten Nachweis zu führen, dass man tat-
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Lcitungsauästhcsic am Oberschenkel usw.
605
sächlich die hohen Konzentrationen durch das Druckdifferenz-
verfahren ersetzen kann.
Wir verkennen nun nicht, dass den verschiedenen Vorzügen
unseres Verfahrens ein nicht unbeträchtlicher Nachteil in der An¬
wendung der Konstriktion gegeuübersteht. Wenn auch eine
grosse Zahl Menschen die Blutleere bei nicht zu langer Dauer ohne
Klagen erträgt, so ist sie doch stets als eine Belästigung anzusehen,
die man seinen Kranken nicht ungezwungen zumutet. Es würde mit
Recht unserer Methode ein Vorwurf daraus gemacht werden müssen,
dass sie die durch die Xebennierenpräparate glücklich überwundene
Esmarch’sche Blutleere wieder aufnimmt, wenn wir uns nicht von
vornherein mit Erfolg bemüht hätten, die durch sie verursachten
Belästigungen auszuschalten.
Es galt sowohl die mit der ersten Anlegung der Blutleere¬
binden verbundenen Unannehmlichkeiten möglichst zu vermeiden,
als auch die während der Dauer der Konstriktion immer nach ver¬
schieden langer Zeit einsetzenden, bekanntlich sehr lebhaften
Schmerzen zu verhindern. Die Umlegung der Konstriktion ist nur
dann mit nennenswerten Beschwerden verbunden, wenn einmal ein
Esmarch’scher Schlauch benutzt und zweitens eine unnötig feste
Umschnürung ausgeführt wird, die zu einem zu starken Druck auf
die nicht gedeckten Nervenstämme führt. Beides lässt sich bei
unserem Verfahren vermeiden. Wir kommen stets mit einer breiten
(iummibinde aus und legen sie eben nur so fest um, dass gerade
eine Kreislaufsunterbrechung erzielt wird. Die obere Binde muss
allerdings immer so gelegt werden, dass im Injektionsring — vor
der Einspritzung — keine Stauung verursacht wird. Es würde
sehr vorteilhaft sein, wenn wir das Perthes’sche Kompressorium
benutzen könnten. Wir machten aber die Erfahrung, dass damit
ein brauchbarer Ring nicht herzustellen war. Es ist zu hoffen,
dass es noch gelingt, ein geeignetes Instrument zu schaffen, mit
dem gleichzeitig beide Umschnürungen ausgeführt werden können.
Die Dauerwirkung der Umschnürung wird offenbar schon durch
die zwischen beiden Binden vorgenommene Querschnittsinfiltration
gemildert, da ja eine vollkommene Aufhebung der Diffusion des
Anästhetikums in die allernächsten Nachbarbezirke nicht wahr¬
scheinlich ist. Damit darf man es sich erklären, dass wir anfäng¬
lich eine ganze Anzahl von Anästhesien, die ohne weitere Kunst¬
griffe vorgenommen wurden, durchführen konnten, ohne dass die
geringsten Klagen geäussert wurden. Indes bewies uns vor allem
Fall 5, wo wir zum Schluss wegen der sehr lebhaften, durch die
Konstriktion hervorgerufenen Beschwerden eine kurze Rauschnarkose
geben mussten, dass auf diesen glatten Verlauf kein Verlass ist.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
f»06 !’• Sicvcrs,
So kam uns ein von Braun (3i angegebener Kunstgriff sehr
gelegen, der darin besteht, dass man die schmerzende Esmarch-
Binde durch eine Stau binde ersetzt. Sie genügt, um die Resorp¬
tion soweit zu hemmen, dass die Dauer der Anästhesie nicht ver¬
kürzt wird. Wir sind daher von Fall 13 ab in der Weise vorgegangen. •
dass wir 10 Minuten nach der Ausführung der Injektion stets diese
Umwandlung der Blutleere in Stauung vorgenommen haben. Selbst¬
verständlich bleibt die untere Binde unverändert liegen. Sie kann,
da sie unterhalb des infiltrierten Bezirks sich befindet, keinen
Schmerz machen, wenn man sich davor hütet, sie zu dicht in der
Nähe des Kniegelenks anzulegen. Seit wir den genannten Kunst¬
griff verwandt haben, haben wir keine störenden Erlebnisse mit der
Konstriktion mehr gehabt.
Freilich kommen wir natürlich nicht ganz ohne sie aus, da
sie die Grundlage der Incarceration ist. Doch genügen nach
unseren Erfahrungen 10 Minuten, um das Anästhetikum ausreichend
die Nervcnstämme durchdringen zu lassen.
Bei empfindlichen Kranken empfiehlt es sich, die Anlegung der
Binden und die Injektion in oberflächlicher Rauschnarkose vor¬
zunehmen, die so lange zu dauern hat, bis die Umwandlung der
Konstriktionsbinde in die Staubinde ausgeführt ist. Es genügt zu
diesem Zwecke eine einmalige Dosis von 15—20 ccm des Schleich-
schen Narkosegemisches. Wenn die Kranken aus der Rauschnarkose
allmählich wieder zu sich kommen — die Maske wird zweckmässig
ohne neuen Aufguss noch eine Zeit lang liegen gelassen —, sind
alle lästigen Manipulationen erledigt, und man vermeidet so die
bei sensiblen Kranken durch längere Anästhesierungsvorbereitungen
immer hervorgerufenen Angst- und Erregungszustände, die die ruhige
Durchführung der Anästhesierung und Operation gelegentlich be¬
einträchtigen können.
Im einzelnen ist unser Vorgehen jetzt folgendes: die Extremität
wird durch einige Minuten langes Erheben oder Anlegung einer
Expulsionsbinde blutleer gemacht. Gut handbreit oberhalb des
Kniegelenks werden einige sich deckende Kreistouren einer festen,
breiten Gummi binde gewickelt, indem man den Konstriktionsdruck
allmählich steigert. Dicht an ihren proximalen Rand anschliessend
wird eine zweite, ebensolche Bindenwicklung vorgenommen, beide
Binden durch Unterstecken der letzten Tour an den einander nicht
zugewandten Rändern befestigt. Die einander zugekehrten Ränder
werden darauf soweit umgeschlagen, dass ein möglichst schmaler,
etwa 2 cm breiter, ringförmiger Hautstreifen zwischen ihnen sicht¬
bar wird (s. Fig. 1 und 2), der nun sofort unter dem beidseitigen
Druck wulstartig vorquillt. Die Haut wird, nachdem sie schon vor
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Leitungsaniisthcsie am Oberschenkel usw.
»507
Anlegung der Binden mechanisch gesäubert war, mit Aetheralkohol
gereinigt und mit einem zarten Jodtinkturanstrich versehen. Das
Fig. 1.
Fig. 2.
Bein bleibt dabei, soweit nicht das Umlegen der Binden ein geringes
Erheben von der Unterlage erfordert, in seiner Lage, in der es
auch bei der nun folgenden Injektion verharren kann.
Digitized by Gougle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
K. Sie vors.
Digitized by
608
Zur Ausführung der Injektion stellen wir uns entweder
75 ccm ^/o proz., oder bei Verwendung der stärkeren Konzentration
für die tiefe Infiltration 20 ccm Qaproz. und 50 ccm lproz. Lösung
bereit. Zunächst werden 6 Quaddeln gebildet, von denen je zwei
an der Vorderseite und an den beiden seitlichen Circumferenzen
angelegt werden. Damit kommt man in der Mehrzahl der Fälle
aus. Je seltener Durchstechungen der Haut notwendig, um so
besser, und diese führt man zweckmässig mit ganz feinen kurzen
Kanülen aus, deren Stich kaum bemerkt wird. Von ihnen aus
wird nun mit langen Kanülen die subkutane Unterspritzung des
ganzen Kreises vorgenommen. Dann folgt die tiefe Infiltration des
übrigen Querschnitts bis in die Nähe des Knochens. Hierbei wird
durch radiäre und mehr tangentiale Injektionsrichtungen (vergl.
Fig. 1 u. 2) für eine einigermassen gleichmässige und vollständige
Durchtränkung des ganzen Querschnitts gesorgt. Besondere An¬
weisungen sind kaum notwendig, sie sind aus der Hackenbruch-
Braun ? schen Umspritzungsanästhesie zur Genüge bekannt. Nur ist
bei unserer Querschnittsanästhesie darauf zu achten, dass die Tiefe
besonders reichlich mit der Flüssigkeit durchtränkt wird, da der
Druck im Inneren unter dem Bindendruck beträchtlich ansteigt und
der Diffusionsstrom also auswärts gerichtet ist.
Gefässverletzungen sind bekanntlich nicht zu fürchten, wie
insbesondere die Kulenkampff’sche Plexusanästhesie vielfach be¬
wiesen hat, bei der ein Anstechen der Subclavia nicht so selten
ist und stets ohne schlimme Folgen bleibt. Uebrigens konnte ich
mich kürzlich bei einer Gefässoperation selbst von der Unschädlich¬
keit eines Kanülenstichs überzeugen:
Xa<*h einer (iefässnaht der Arteria femoralis nach querer Resektion wegen
Aneurysma spurium nach Srhussverletzung war im Ucfässrohr oberhalb (Irr
Nahtstelle eine grössere Luftblase sichtbar. Ich hielt es für. zweckmässig, sie
durch Aspiration zu entfernen. Von dem durch die Kanüle erzeugten Loch,
das sich oberhalb der Naht, also im Rondell des vollen Blutdrucks der Femo¬
ralis befand, sah man nach Freigabe des Blutstroms nicht die geringste St (innig,
weder HervoP|uellen von Blut, noch eine Hcrausstiilpung der Innenwandung.
Bei unserem Verfahren brauchen wir uns vor Verletzungen der
grossen Arterien um so weniger aus dem Grunde zu fürchten, weil
wir nicht gezwungen sind, mit der Injektionsnadel jede Stelle des
Querschnitts zu treffen, wir also ohne Schwierigkeit die Gegend
der Femoralis umgehen können, denn die injizierte Flüssigkeit ver¬
teilt sich automatisch dem Druck- und Konzentrationsgefälle
entsprechend in dem beschränkten Gewebsquerschnitt. Uebrigens
sehe ich die angedeutete Vorsichtsmassregel nicht als eine unbedingt
erforderliche Vorschrift an, da wir in keinem Falle weder bei noch
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
LcMtun^Siinnsthcsit* am Obrrsi’honkcl usw.
609
nach der Injektion irgend welche Schädigungen gesehen haben, die
durch Verletzung grosser Gefässe zu erklären waren.
Der weitere Verlauf der Anästhesie ist der, dass die beiden
Konstriktionsbinden 10 Minuten unverändert liegen gelassen werden,
um den Querschnitt genügend von dem Anästhetikum durchdringen
zu lassen. Dann ändert man die proximale Binde in eine Staubinde
um, nimmt eventuell die Expulsionsbinde ab, um den Operations¬
bezirk nunmehr endgültig vorzubereiten. Nach weiteren 10 Minuten
(bei Verwendung 1 proz.), nach 20 Minuten (bei 1 j 2 proz. Lösungen)
kann, wie aus den Protokollen zu entnehmen ist, mit der Opera¬
tion begonnen werden. Nur vereinzelt wird man, wie das ja auch
bei anderen Anästhesierungsverfahren immer beobachtet wird, etwas
länger warten müssen, indes braucht man ja bei Operationen am
Oberschenkel oder oberen Unterschenkel keineswegs eine vollkom¬
mene Analgesie der Fiisse, die natürlich zuletzt eintritt, abzuwarten.
Unser Verfahren ist für die Zwecke der Oberschenkelleitungs¬
anästhesie erdacht, eignet sich aber, wie schon erwähnt, ebenso für
alle anderen Extremitätenabschnitte, ist hier sogar wegen des ge¬
ringeren Durchmessers noch sehr viel einfacher in seiner Ausführung,
die aber in ihren einzelnen Phasen an allen Querschnitten prinzi¬
piell genau die gleiche ist.
Die mitgeteilte Methode ist nicht bestimmt, andere bewährte
Verfahren der Leitungsanästhesie zu verdrängen, wie wir auch
selbst daneben zu unserer vollen Befriedigung die Läwen’sche
Anästhesie der unteren Extremität und die Kulenkampff’sche
Plexusanästhesie verwandt haben. Es mag nur auf die kürzlich er¬
schienene Dissertation von unserem Assistenten Dr. Walther (11)
hingewiesen werden, der über unsere neueren Erfahrungen mit der
Läwen’schen Leitungsanästhesie am Beine berichtet. Wir glauben
aber doch ein praktisch brauchbares Verfahren gefunden zu haben,
das seine Berechtigung neben den bekannten Methoden besitzen
und eine Bereicherung unseres Schatzes an örtlichen Schmerz¬
betäubungsverfahren darstellen wird. Seine Vorzüge bestehen in
der Einfachheit der Durchführung, die von jedem Praktiker leicht
erlernt werden kann, wie ich sie auch durch meine Assistenten
habe ausführen lassen, in der Gleichmässigkeit der Technik für
alle Extremitätenquerschnitte und in der grossen Zuverlässigkeit
des Eintritts und der Dauer der vollständigen Analgesie der ganzen
Extremität. Die mit dem Prinzip der Incarceration der anästhe¬
sierenden Lösung zusammenhängenden Unannehmlichkeiten für den
Kranken glauben wir in völlig befriedigender Weise ausgeschaltet
zu haben, wenngleich in dieser Richtung weitere Untersuchungen
noch Verbesserungen anbringen werden.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
H10 1L Sic vors. Leitungsanästliesie am Oberschenkel usw.
Theoretisch werden unsere Mitteilungen insofern einiges Inter¬
esse bieten, als sie die Möglichkeit der Herstellung einer die Diffu¬
sion im lebenden Gewebe beeinflussenden Druckdifferenz beweisen.
Auch regen sie zu einigen neuen Fragestellungen an: ich erwähne
nur die Abhängigkeit der Verankerungsfestigkeit des Anästhetikums
im Nerven gegenüber der Beeinflussung durch die zurückkehrende
Zirkulation von dem Prozentgehalt der infiltrierten Lösung und die
ebenfalls bereits gestreifte Frage der Beziehungen zwischen Supra-
reninwirksamkeit und Fsmarch’scher Konstriktion.
Literatur.
1. Braun, Die Lokalanästhesie, ihre wissenschaftlichen (iruudlagcn und prak¬
tische Anwendung. 3 . Aufl. Leipzig. J. A. Barth, 1913.
2. Braun, l eber den Einfluss der Vitalität der (inwebe auf die örtlichen und
• allgemeinen Giftwirkungen lokalaniisthetischer Mittel und über die Bedeutung
des Adrenalins für die Lokalanästhesie. Areh. f. klin. Chir. 1903. Bd. t>9.
3 . Braun, Experimentelle l'ntersuchiingen und Erfahrungen über Lcitungs-
aniisthesie. Arch. f. klin. Chir. 1903. Bd. 71.
4. Corning. lTolongcd local anaesthetization by incarceration of the an-
aest'hetic fluid in the field of Operation. Employmenl of eoeainc Solutions
of low pereentage. New York med. journ. 1SS(>.
5. Hohmeier. Die Anwendungsweise der Lokalanästhesie in der Chirurgie.
Berlin. A. llirschwald, 1913.
(>. Hohmeier, Die Lokalanästhesie der Extremitäten. 43 . Kongr. d. Deutschen
(iescllsch. f. Chir. 1914. Teil I. S. S3.
7. Hölscher. Beiträge zur regionären Anästhesie. Münch, med. Wochonsehr.
1S99. .lahrg. 4(>. S. *245.
S. Läwen, Experimentelle rntersuehungen über die Gefässwirkung von Supra-
renin in Verbindung mit örtlich anästhesierenden .Mitteln. Deutsche Zeit¬
schrift f. Chir. Bd. 74. — (Quantitative LTitersuehungen über die (iefäs>-
wirkung von Suprarenin. Arch. f. exp. Bathol. u. Pharmakol. 1904. Bd. 51.
9. Läwen, Leber Leilungsanästhesie an der unteren Extremität mit Bemer¬
kungen über die Technik von Injektionen an den Nervus isehiadieus bei
Behandlung der Ischias. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1911. Bd. 111.
10. Kcppler, Die Anästhesierung der unteren Extremität mittels Injektion auf
die grossen Ncrvenstämme. Arch. f. klin. Chir. 1913. Bd. 100.
11. Walther, leber Leilungsanästhesie an der unteren Extremität. Inaug.-
Disscrt. Leipzig 1915.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
XXIV.
Aus der ehirurg. Klinik, derzeit klin. Reservespital in Innsbruck. —
Vorstand: Prof. Dr. H. v. Haberer, k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse.)
Kriegsaneurysmen.
Von
Professor Dr. II. v. Haberer,
k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse.
Bei der Durchsicht der schon zu ganz beträchtlicher Grösst
angewachsenen Literatur über Kriegsaneurysmen ergeben sich, so¬
weit sie sich auf die Erfahrungen des gegenwärtigen Krieges be¬
zieht, Schwierigkeiten. Dieselben liegen einmal darin begründet,,
dass viele, sehr wichtige Einzelbeobachtungen nur in wissenschaft¬
lichen Vereinen mitgcteilt, dem Leserkreise schwer oder gar nicht
zugänglich sind, zweitens aber auch darin, dass, offenbar unter den
durch den gegenwärtigen Krieg geänderten Verhältnissen ein grosser
Teil von Arbeiten in unseren vornehmsten Referatenwerken bisher
unberücksichtigt geblieben ist, so dass eine lückenlose Literatur¬
zusammenstellung füglich nahezu ausgeschlossen erscheint.
Umsomehr verdient es Anerkennung, dass eine Arbeit von-
Zahradnitzkv 1 ) die einschlägige Literatur der allcrjüngstcn Zeit
nach Kräften genau verfolgt und gesichtet hat, wodurch diese
Publikation zu einem wichtigen Fusspunkt für weitere wissenschaft¬
liche Mitteilungen wird. Ich möchte daher schon hier auf das
Literaturverzeichnis dieser Arbeit verweisen. Es erspart mir, auf
einzelne Publikationen im folgenden einzugehen.
Wenn ich heute auf meine Erfahrungen bei den Operationen-
von Kriegsaneurysmen näher zurückkomme, wiewohl schon drei
einzelne Publikationen meinerseits vorliegen, so geschieht es vor¬
nehmlich im Hinblick auf mein für Innsbruck auffallend grosses-
Material, an dem ich langsam meine eigenen Ansichten heranbildete
und vervollkommte, im Hinblicke auf einzelne ganz besonders
1) Zahradn it zky, Die ndiandhinir der unechten Aneurysmen. Wiener
klin. Wochensehr. 1915.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
612
II. v. llabcrer.
Digitized by
lehrreiche Fälle, die geeignet sind, zu strittigen Fragen in der
Aneurysmenbehandlung Stellung zu nehmen, wie nicht zuletzt des¬
halb, weil ich mit zunehmender Erfahrung den ursprünglich ein¬
genommenen Standpunkt wesentlich zu verändern gezwungen war.
Da ich heute glaube, eine unverrückbare Meinung über die zweck-
massigste Behandlung der Kriegsaneurysmen zu besitzen, möchte
ich im Zusammenhänge über die bisherigen Erfahrungen berichten,
und werde im Anhänge alle, auch die bereits in drei Einzelpubli¬
kationen in der Wiener klin. Wochenschrift mitgeteilten Kranken¬
geschichten zur leichteren Orientierung und als Beleg für die in
der Publikation zu erörternden Anschauungen beibringen. Ich kann
mich dabei im ganzen auf 72 operierte Fälle von Aneurysmen be¬
ziehen. Wenn ich der Arbeit alle diese Krankengeschichten, freilich
mehr in Schlagworten und nur soweit als eben unbedingt nötig,
anfüge, so geschieht es deshalb, weil unter Hinweis auf die ein¬
zelnen Fälle der Text kürzer und übersichtlicher gehalten werden
kann, und weil ich es selbst so häufig bei dem Studium der Literatur
als einen Nachteil empfunden habe, wenn man sich über Fälle nicht
genauer orientieren kann, und sich nur an Zahlen halten muss,
die doch im allgemeinen so wenig sagen. Jeder Fall hat bis zu
einem gewissen Grade sein eigenes Gepräge, als blosse Nummer in
grösseren Zahlenreihen geht er verloren 1 ).
Formen lind anatomische Beschaffenheit der Schussaneurvsmen.
Bei Gefässschüssen tritt entschieden als häufigste Form des
Aneurysmas das Aneurysma spurium traumaticum auf, wobei es
also zum Austritt von Blut aus der verletzten Arterie kommt, so
dass ein mehr minder grosses Hämatom entsteht, das, da es mit
dem Gefässlumen in offener Kommunikation steht, svnchron mit
dem Gefässe pulsiert. Die Wand, oder besser gesagt, die äussere
Begrenzung dieses Hämatoms ist durch die umgebenden Weichteile
gegeben, und erst durch Gerinnung des Blutes an der Peripherie,
durch schwielige Veränderung der umliegenden Weichteile und durch
Bindegewebsneubildung kommt es zur Ausbildung eines Aneurysma¬
sackes, der zu seiner Entstehung daher gewisse Zeit beansprucht. Doch
dürfte es zu weit gegangen sein, wenn man, wie es Oehlecker-)
1) Hs wird dem Leser (irr Krankengeschichten vielleirlit auffallen, dass sic
nicht durchaus chronologisch anireordnct sind. Das hat seinen Grund darin, dass
ich in meiner ersten Publikation die Fülle nach nicht infizierten und infizierten
Aneurysmen schied. Hierher gehören die Fülle 1-13. Dann fol^t das erste ireniihte
(’arotisaneurvsma. In meiner zweiten grosseren Arbeit habe ich die Fülle nach
Unterbindungen, lateralen und eireuliiren Gefiissnähten gesondert. Sie hat die fol¬
genden Fülle bis 4*2 umfasst. Von da ab sind die Fülle rein chronologisch anireoidnor.
2) Oehlecker, Zur Operation der sogenannten falschen Aneurysmen.
Centralld. f. Uhir. 1914. Xr. 50.
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
Kriegsaneurysmen.
613
empfiehlt, in frischen Fällen von vornherein den Standpunkt ver¬
tritt, dass dabei ein wirklicher Aneurysmasack noch nicht vorhanden
sein kann. War es mir von jeher sehr wahrscheinlich, dass die
Ausbildung des Sackes individuellen Schwankungen unterworfen
sein dürfte, so habe ich mich an dem eigenen Material überzeugen
können, dass gelegentlich unglaublich früh ein wahrer, binde¬
gewebiger Sack vorhanden sein kann. In einem meiner Fälle (41)
war ein solcher rein bindegewebiger Sack, den man sehr wohl
exstirpieren konnte, bereits 17 Tage nach der erfolgten Verletzung
vorhanden.
Eine für die operative Therapie sehr wichtige Tatsache ist die
ausserordentlich verschiedene Lage, die der Aneurysmasack bzw.
schon das pulsierende Hämatom zur Lage der Gefässverletzung
einnehmen kann.
Bedingt ist ja die Ausbreitung des Hämatoms durch die
normalen Gewebsspalten, durch die Anordnung umgebender Musku¬
latur, und diese ist wieder abhängig von der jeweiligen Lage, in
der sich der betroffene Körperteil befindet. Daher kommt es, dass
gelegentlich selbst bei kleiner Gefässverletzung der spätere aneurys¬
matische Sack das Gefäss auf grosse Strecken völlig umgibt, dass
also, mit anderen Worten, ein grosses Stück des normalen Gefässes
durch den Aneurysmasack hindurchziehen kann. Andererseits
können selbst aussergewöhnlich grosse Aneurysmasäcke rein seit¬
lich einer kleinen Arterienverletzung aufsitzen. Der Sack kann
sich auch ausschliesslich nach oben oder nach unten von der
Gefässverletzung ausbreiten. Dass die Kenntnis solcher Möglich¬
keiten für die anatomische Präparation, die in jedem Falle von
operativem Eingreifen gefordert werden muss, wichtig ist, wird
jeder zugeben müssen, der selbst Aneurysmen operiert hat.
Die zweite Form des Aneurysmas bei Schussverletzungen ist
das arteriovenöse Aneurysma. Es kommt durch gleichzeitige Ver¬
letzung von Arterie und Vene zustande, wodurch beide Gefässe in
offene Kommunikation miteinander gesetzt werden. Dabei kann
diese Kommunikation eine direkte sein, sie kann aber auch durch
einen mehr oder minder grossen zwischengelagerten Sack vermittelt
werden. Die arteriovenösen Aneurysmen sind seltener als die zuerst
geschilderte Form, wie dies aus allen Literaturangaben erhellt.
Eine einfache Ueberlegung lehrt, dass sich selbstverständlich
bei einer Schussverletzung grosser Gefässe mehrere aneurysmatische
Säcke an ein und demselben Gefäss finden können, entweder weil
das Gefäss durch einen Schrägschuss mehrfach in seinem Stamme
verletzt wurde, oder aber weil neben dem Stamme auch ein grösserer
Ast des Gefässes getroffen wurde. Aus demselben Grunde können
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107 . Heft 4 . 41
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
614
II. v. Haberer,
Digitized by
sich auch rein arterielle Aneurysmen mit arteriovenösen im selben
Falle kombinieren. Auch die Kenntnis dieser Tatsache ist wichtig,
sie wird es nicht so leicht dazu kommen lassen, dass der Operateur
ein zweites vorhandenes Aneurysma übersieht.
Endlich dürfen wir nicht vergessen, dass sich bei Streifschüssen
von Arterien auch echte Aneurysmen entwickeln können. Aus
naheliegenden Gründen werden sie wohl ausserordentlich selten sein,
aber mit der Möglichkeit ihres Vorkommens müssen wir rechnen.
Wenn bei einem Streifschuss Teile der Gefässwand stark beschädigt
werden, kann sich der Rest der stehengebliebenen Artcrienwand
als echtes Aneurysma ausstülpen, und zwar gleichgültig, ob die
Verletzung die Adventitia und Media, oder ob sie durch Erschütterung
die Intima betroffen hat. In jedem solchen Falle liegt ein Aneurysma
traumaticum verum vor, im Falle der zuletzt genannten Ent¬
stehungsart müssen wir das Aneurysma als Aneurysma dissecans
bezeichnen. Diese echten Aneurysmen werden in der Regel natür¬
lich nicht im unmittelbaren Anschluss an die Verletzung in Er¬
scheinung treten, sie entwickeln sich unter dem Einflüsse des, den
stehengebliebenen Rest der Arterienwand ausbuchtenden Blutstromes
erst allmählich.
Aus diesem Grunde sind alle Schussverletzungen, welche in
der Gegend grösserer Gefässe vorbeiführen, auch dann mit Vor¬
sicht zu beurteilen, wenn eine gröbere Läsion zunächst ausgeschlossen
werden kann. Sy ring 1 ) hat in letzter Zeit ein durch Gewehr¬
schuss entstandenes Aneurysma traumaticum verum der Arteria
subclavia mitgeteilt, wobei allerdings die ausserordentlich kurze
Zeit von 11 Tagen, welche vom Moment der Verletzung bis zur
tödlichen Blutung, die aus dem schon fertigen Aneurysma erfolgte,
auffällt. Ich möchte es doch für möglich halten, dass auch in
diesem Falle ein traumatisches Aneurysma spurium Vorgelegen
haben kann. Ich kann mir wenigstens vorstellen, dass ein Ge¬
schoss die Arterie so trifft, dass letztere an einer kleinen Stelle
penetrierend verletzt wird, während in grösserem Umfang nur
einzelne Schichten der Arterie geschädigt w’urden, so dass daraus
für die rein makroskopische Beurteilung ein dem Aneurysma verum
traumaticum ganz ähnliches Bild entstehen kann. Auch die starke
Blutung gleich nach der Verletzung und die sich wiederholenden
Blutungen in dem Falle liessen eher an Aneurysma spurium denken.
Ich will mir aber gewiss kein Urteil über den von Syring mit¬
geteilten Fall anmassen, sondern bloss auf die Bedenken hinweisen,
die mir bei der Lektüre entstanden sind.
1) Sy rin". Traumatisches Aneurysma verum der Sehlüsselbeinsidilairader.
Münch. iikmI. Woehensehr. 191. r >. Xr. IS.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
K ri ciT.sa neu rv s me n.
615
Auch das Aneurysma spurium braucht bei einer Gefäss-
verletzung durchaus nicht gleich im Anschluss an die Verletzung
als pulsierendes Hämatom kenntlich zu sein. Es gibt Aneurysmata
spuria traumatica, die sich ganz bestimmt erst längere Zeit, ja
gelegentlich erst viele Wochen nach der positiv stattgehabten Gefäss-
verletzung entwickeln. Kommt es doch vor, dass bei kleiner Wand¬
verletzung einer Arterie das Arterienloch zunächst durch einen
Thrombus verstopft wird, der sich erst löst, wenn bei stärkerer
Inanspruchnahme des betroffenen Körperteiles durch die sich ver¬
schiebenden Weichteile die Gefässwunde gelüftet oder gescheuert
w T ird. Ich habe Beweise dafür in der Hand, dass wenigstens
zu Beginn des Krieges dieser Tatsache zu wenig Rechnung ge¬
tragen wurde, und dass Leute mit rasch heilenden, nicht infizierten
Weichteilschüssen in der Nähe grosser Gefässe zu schnell auf Urlaub
geschickt wurden. Oft entwickelte sich da ein Aneurysma während
der längerdauernden Eisenbahnfahrt. Diese spät auftretenden
Aneurysmen können plötzlich, zumeist unter starken neuralgiformen
Schmerzen als grosse pulsierende Tumoren in Erscheinung treten,
sie können sich aber auch ganz langsam entwickeln, und dann
deuten oft nur Schmerzen oder motorische Störungen in einem
oder mehreren Nervengebieten auf ihre Entstehung hin bzw. es
treten eigentümliche Kontrakturen auf, für die sonst in der Art
der bestandenen Verletzung kein genügender Grund gefunden werden
kann. Diese allgemeinen Tatsachen finden auch in dem von mir
beobachteten Material ihre Belege.
Was zunächst das Verhältnis der arteriellen zu den arterio¬
venösen Aneurysmen anlangt, so stehen 47 Fällen von arteriellen
Aneurysmen nur 17 arteriovenöse gegenüber. Unter den 47 arteriellen
Aneurysmen finden sich 3 (11, 35, 59), bei denen je zwei Aneurysmen¬
säcke vorhanden waren. Dazu kommen dann noch 8 Fälle (14, 22,
38, 50, 64, 65, 66, 70), bei denen ein Aneurysma arteriovenosum
dadurch kompliziert war, dass daneben noch ein Aneurysma spurium
vorhanden war.
Für das späte Auftreten von Aneurysmen nach sicheren Gefäss-
verletzungen penetrierender Art durch Schuss möchte ich aus
meinem Material ganz besonders 2 Fälle herausgreifen (39 und 46).
In dem einen Fall (39) lag ein Schuss durch beide Oberschenkel
im oberen Drittel vor. Die Schusskanäle lagen so, dass beiderseits
die Arteria femoralis getroffen sein konnte. Während die Schuss¬
wunden des rechten Oberschenkels glatt heilten, kam es links zu
einer Infektion des Schusskanals, von da zu mehrfacher Abscess-
bildung, so dass in dem Spitale, in dem Patient lag, vielfache
Incisionen nötig geworden waren. Ungefähr l 1 / 2 Monate nach der
41 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
616
II. v. Haberer,
Digitized by
Verletzung war der Patient imstande, mit Krücken herumzugehen,
wobei er, wie er selbst angibt, natürlich das gesunde rechte Bein
besonders beanspruchte. Bald stellten sich intensive Schmerzen im
rechten Bein ein, und es entwickelte sich an der Innenseite des
rechten Oberschenkels eine rasch an Grösse zunehmende Geschwulst,
während Unterschenkel und Fuss kalt und taub wurden. Dazu
gesellte sich Fieber und deshalb kam Patient in meine Klinik.
Es lag ein mannskopfgrosses Aneurysma vor, das ich durch die
Operation mit circulärer Arteriennaht heilen konnte. Im zweiten
Fall (46) lagen die Verhältnisse ganz ähnlich. Der Patient hatte
einen Schrägschuss durch den rechten Oberschenkel erhalten, der
glatt heilte. 3 Wochen nachher, als der Kranke schon heruraging,
entwickelte sich plötzlich unter heftigen Schmerzen und Fieber ein
kindskopfgrosses Aneurysma im Adduktorenschiitz, das ich dann
in einem deutschen Feldlazarett ebenfalls mittels circulärer Gefäss-
naht in Ordnung bringen konnte.
In beiden Fällen trat das Aneurysma erst in Erscheinung, ja,
man darf mit Recht sagen, es entwickelte sich erst, nachdem die
Kranken die betroffene Extremität ausgiebiger in Anspruch ge¬
nommen hatten. Ich will es bei diesen Beispielen, die besonders in
die Augen springen, bewenden lassen; wer sich für die Frage inter¬
essiert, findet gewiss in meinem Material noch den einen oder anderen
hierher gehörigen Fall, sie sollen uns in ihrer Gesamtheit, wie ge¬
sagt, nur ein Memento sein dafür, dass wir Verletzungen, die in der
Richtung grösserer Gefässstämme verlaufen, in den ersten Wochen
unter allen Umständen mit gewisser Vorsicht beurteilen müssen.
Endlich bin ich auch in der Lage, über ein Aneurysma verum
zu berichten. Es lag in meinem Fall 69 vor. Der Patient war
ira Mai 1915 verletzt worden durch Durchschuss durch den rechten
Oberarm im unteren Drittel. Der Operation wurde er, wie die
Krankengeschichte lehrt; erst im Februar 1916 zugeführt. Anlass
zur Operation war weniger die sicher vorliegende Gefässverlctzung,
als vielmehr eine schwere Beugekontraktur des Ellbogengelenkes
durch unzweckmässige Behandlung bzw. durch Ausserachtlassung
einer Behandlung überhaupt. Dabei fand sich die Arteria brachialis
durchschossen und in ihren beiden Enden verödet, wie dies auch
Hotz 1 ) und andere beobachtet haben, wie ich es schon 1914 in
einem besonders markanten Fall unter dem Titel „Eine sehr seltene
Varietät des Nervus ulnaris“ im Anatomischen Anzeiger beschreiben
konnte, und daneben fand sich ein echtes Aneurysma der Arteria
cubitalis.
1) Hot z, Zur Hnrurgisehen Hehandluru: der Aneurysmen. Feldheil. 7 zur
Aliineh. mrd. Woeliensehr. 1915.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
K riegsaneurvsim'n.
617
Symptomatik der Schussaiieurysmen.
Die Symptomatik der Schussaneurysmen wird eeteris paribus
etwas verschieden sein bei den Aneurysmata spuria und den arterio¬
venösen Aneurysmen. Ganz abgesehen davon, dass die Aneurysmata
spuria meist grössere Aneurysmensäcke bilden, als dies begreif¬
licher Weise bei den arterio-venösen Aneurysmen der Fall ist,
sind auch die subjektiven Beschwerden und die jeweiligen Ausfalls¬
symptome bzw. konsekutiven Symptome beim Aneurysma trauma-
ticum spurium meist stärker in die Augen springende, als beim
Aneurysma arteriovenosum. Im allgemeinen kennzeichnet sich das
Aneurysma spurium traumaticum durch den meist sicht- und fühl¬
baren Sack, der expansiv pulsiert, das Aneurysma arteriovenosum
durch das deutliche Schwirren infolge des Flüssigkeitswirbels, der
an der Stelle der Arterien- und Venenkommunikation zustande
kommt, den die aufgelegte Hand ebenso fühlt, wie ihn das auf¬
gelegte Ohr hört, und der so charakteristisch ist, dass darüber
wohl heute keine Worte mehr verloren zu werden brauchen.
Fast immer klagen die Kranken über eine geringere Brauch¬
barkeit, bis völlige Functio laesa ihrer Extremität, wenn eine solche
betroffen ist, nahezu regelmässig werden ausstrahlende Schmerzen
in einem bestimmten Nervengebiet angegeben, die der Ausdruck
von Kompression durch das Aneurysma sind, gelegentlich sind
Paresen oder Paralysen zu konstatieren, die nicht auf gleichzeitiger
Nervenläsion durch den Schuss zu beruhen brauchen, sondern be¬
dingt sein können durch Druck von Seiten des Aneurysmasackes
oder ab er dadurch, dass die betreffenden Nervenstämme in die
Wand des aneurysmatischen Sackes einbezogen sind. Muskel¬
kontrakturen, die entweder rein mechanisch durch Grösse und Aus¬
breitung des aneurysmatischen Sackes ausgelöst sind oder aber
ihre wahre Ursache in Circulationsstörungen lokaler Natur haben,
sind in sehr vielen Fällen nachzuweisen. Je nach dem Grade der
durch das Aneurysma gesetzten allgemeinen Circulationsstörung
wird in den peripher vom Aneurysma gelegenen Gefässen der Puls
mehr oder minder deutlich tastbar sein. Ganz hohe Grade von
Ernährungsstörung, die bis zur Gangrän führen, sind meiner Erfahrung
nach beim Schussaneurysma sicher selten, da, abgesehen von col-
lateraler Blutversorgung, selbst bei total zerschossener Arterie der
Sack sich sehr häufig so lagert, dass Blut noch in den abführen¬
den Gefassabschnitt gelangt. Daher ist es auch ganz falsch, etwa
allein aus dem Vorhandensein von Puls in der Peripherie auf ge¬
nügende Collateralen schliessen zu wollen, dabei kann man schweren
Täuschungen unterliegen. Beim Aneurysma arteriovenosum ist es
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
618
II. v. Haberer.
Digitized by
sogar die Regel, dass der Puls peripher sich kaum vom Puls der
anderen, normalen Seite unterscheidet, wohl ist dem Aneurysma
dafür fast regelmässig eine gewisse venöse Stauung in der Peri¬
pherie eigen, die sich in mehr oder minder ausgesprochener Cyanose
äussert.
Demnach muss in der Mehrzahl der Fälle die Diagnose des
Schussaneurysraas, und zwar gleichgültig, welche Form desselben
vorliegt, eine leichte sein und ist es in der That auch. Aber
diese Regel hat ihre gar nicht so seltenen Ausnahmen, an die
man denken muss.
Zunächst kann ein deutlicher Sack fehlen, oder er liegt so
tief, dass er der oberflächlichen Untersuchung entgeht. Dies gilt
auch für das so charakteristische Schwirren des arteriovenösen
Aneurysmas, wenn es sich um ein in der Tiefe der Weichteile ge¬
legenes handelt. In anderen Fällen ist ein Sack da, der aber
weder das palpatorische Phänomen der expansiven Pulsation, noch
ein charakteristisches auskultatorisches Geräusch gibt.
Ich möchte aus meiner Beobachtung 4 solche Fälle (2, 29,
55, 68) hier anführen, ln dem einen Falle (2) lag ein hoch hinter
der Pektoralmuskulatur gelegenes Aneurysma der Axillaris vor.
das absolut keine Aneurysmasyraptome machte, so dass wir an
eine direkte Nervenläsion wegen der bestehenden Symptome von
Seiten des Radialis (Schmerzen bei gleichzeitiger Lähmung) dachten.
Der Schusskanal entsprach auch einer solchen Annahme und wir
schienen umsomehr recht zu behalten, als sich im Verlauf von
einem Monat diese Lähmungserscheinungen spontan ganz wesent¬
lich rückbildeten. Da trat plötzlich ohne jedwede äussere Ursache
unter sehr heftigen Schmerzen neuerlich eine vollständige Radialis-
lähmung auf. Jetzt mussten wir die Diagnose auf Aneurysma
stellen, wiewohl auch diesmal weder von einer abnormen Pulsation
an irgend einer Stelle, noch von einem auskultatorischen Phänomen
die Rede sein konnte, das unsere Diagnose gestützt hätte. Und
doch fand sich bei der Operation ein walnussgrosses Aneurysma,
das sich ganz nach der thorakalen Seite hin ausgebreitet hatte.
Im zweiten Falle (29) hatte der Patient, als ich ihn gelegent¬
lich einer Inspektionsreise sah, bereits einen mannskopfgrossen
Tumor, der das obere Oberschenkeldrittel bis in das Perineum
hinein spindelförmig aufgetrieben hatte. Dieser Tumor pulsierte
nur ganz undeutlich, die peripheren Arterien pulsierten gut, Aus¬
kultation ergab kein Gefässgeräusch. Ohne Berücksichtigung des
bereits verheilten Schusskanales, der den Oberschenkel im oberen
Drittel durchquerte, und der Anamnese, die in diesem Falle, wie
die Krankengeschichte lehrt, eine sehr charakteristische war, hätte
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
K ri c* trs a n e u ry s m e n.
619
man an ein Sarkom denken können, wie es in der Tat auch von
einigen Aerzten geschehen war. Die Operation erwies die Richtig¬
keit der Diagnose auf Aneurysma, das von einem grossen Aste
der Arteria profunda femoris ausgegangen war.
Sehr interessant war der Fall 55, bei dem die Operation einen
apfelgrossen Aneurysmasack der Arteria subclavia aufdeckte, der
weder pulsatorische noch auskultatorische Symptome gemacht
hatte, geschweige denn, dass er sich durch eine abnorme Vor¬
wölbung verraten hätte. Die Symptome, die nach der Schuss¬
richtung auch durch eine direkte Plexusstörung hervorgerufen sein
konnten, waren neben intensiven Schmerzen einzig und allein Läh¬
mungen im Bereiche des Plexus brachialis. Der grosse Aneu¬
rysmensack, der einerseits durch die Clavicula gedeckt war, hatte
sich andererseits direkt nach hinten entwickelt, und das war offen¬
bar die Ursache, dass er trotz mehrfacher Untersuchung von den
verschiedensten Aerzten nicht nachgewiesen werden konnte.
Im vierten Falle endlich (68), bei dem es sich um ein älteres
kindskopfgrosses Aneurysma der Arteria femoralis handelte, fehlte
jede Pulsation, auskultatorisch konnten selbst erfahrene Chirurgen
kein Gefässgeräusch nachweisen, da dasselbe, wie ich mich über¬
zeugte, nur als leichtes pfeifendes Geräusch, und zwar nur bei
tiefem Einsenken des Stethoskopes zu vernehmen war. Das
Aneurysma war ja trotzdem im gegebenen Falle leicht zu diagno¬
stizieren, aber das, was wir als typische Aneurysmasymptome be¬
zeichnen, fehlte eben.
Trotzdem werden wir auch in solchen Fällen die Diagnose immer
stellen können, wenn wir unter Berücksichtigung der Symptome,
die sonst vorliegen, der Anamnese und des Verlaufes des Schuss¬
kanales den Fall einer Analyse unterziehen.
Vor allem haben wir dabei, wie schon angedeutet, auf Muskel-
und Nervenstörungen, die so häufig als Folgezustände eines Aneu¬
rysma auftreten, zu achten. Ich habe wiederholt auf diese Weise
in Eisenbahnziigen, bei der Revision von auf Urlaub fahrenden
Soldaten Aneurysmen entdeckt und einer entsprechenden Behand¬
lung zuführen können.
Ich habe andererseits — und das ist der Grund meiner etwas
breiteren Ausführungen über diesen Punkt — nach unglaublich
langer Zeit noch Aneurysmen an meine Klinik bekommen, von
denen man es kaum begreifen kann, dass sie so lange Zeit un-
diagnostiziert geblieben sind. Ich möchte diesbezüglich namentlich
eines Falles gedenken: Fall 63, der im September 1914! verletzt
worden war, einen Schuss durch das untere Drittel seines rechten
Oberarmes erhalten hatte, wobei der Einschuss genau im Sulcus
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
620
II. v. Habe rer,
Digitized by
bicipitalis internus gelegen war, das Bild bester Kraft und Ge¬
sundheit, kam wegen seines Aneurysma der Arteria brachialis erst
im November 1915 zur Operation seines Aneurysma an meine
Klinik. Auch jetzt erst kam er zur Konstatierung seines Leidens!
Vor einem Jahre war sein Leiden als Abscess gedeutet worden,
und als er schon behufs Incision desselben auf dem Operations¬
tisch lag, fiel den Aerzten die abnorme Pulsation auf, und darauf¬
hin wurde nach Angabe des Patienten die Meinung ausgesprochen,
dass es da eine Heilung nicht gebe. Ich betone ausdrücklich,
dass ich diese Angaben nur aus der Anamnese besitze, sie klingen
ja nahezu märchenhaft! Die traurige Tatsache aber besteht zu
Recht, dass dieser sonst ganz gesunde Mann eben doch auf ein
Jahr! superarbitriert worden war. Nachher musste er einrücken,
und da machte ihm sein Aneurysma Beschwerden. Deshalb kam
er an die Klinik. Das Aneurysma, ein Schulfall, hat einer meiner
jüngsten Studenten in der Vorlesung beim Praktikum glatt diagnosti¬
ziert, ich hätte ihm das Gegenteil auch sehr übel genommen. Ich habe
dabei die Resektion und circulare Gefässnaht ausgeführt und Pa¬
tient war nach 3 Wochen kriegsdiensttauglich! Derartige Dinge,
die kaum mehr durch Unkenntnis, sondern nur durch Ungenauig¬
keit und Leichtfertigkeit mehrerer in Betracht kommender Berufs¬
kollegen verursacht werden, dürften heute denn doch kaum mehr
Vorkommen! Man darf wohl ruhig behaupten, dass dieser Mann
seiner natürlichen Bestimmung als Vaterlandsvcrteidiger durch
mehr als ein Jahr künstlich und völlig ungerechtfertigt entzogen
worden war.
Ich will es bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, auf einen
zweiten Fall hinzuweisen, bei dem allerdings rascher Hilfe ge¬
schaffen wurde, bei dem aber der erteilte ärztliche Rat für den
Patienten sehr verhängnisvoll hätte werden können. Es ist dies
Fall 22 meiner Beobachtung. Dem Patienten mit Aneurysma
arteriovenosum und spurium an der Teilung.->st.elle von Art. tib.
ant. und post, war wegen der Schwellung seiner Wade intensive
Bewegung! verordnet worden. Glücklicherweise hat Patient diese
Therapie nicht ausgehalten und kam zur Operation, die ihn von
der Wadenschwellung ebenso wie von seinen Beschwerden befreite.
Auch ein dritter hierher gehöriger Fall (54) darf nicht ver¬
schwiegen werden. Bei diesem Patienten war nach einem Ober-
schenkeldurchschuss eine Gangrän mit nachfolgender Phlegmone
im Bereiche der Zehen .aufgetreten. Es waren ihm nach Lisfranc
die Zehen enukleiert worden, die Phlegmone hatte Incisionen bis
auf den Unterschenkel hinauf nötig gemacht. Das Aneurysma
war, bis ich den Kranken nach Wochen sah, unberücksichtigt ge-
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Krioirsani’urvsmen.
621
blieben, obwohl die Gangrän weiterzusehreiten drohte, die Phleg¬
mone nicht abklingen wollte und die Incisionswunden nicht die
geringste Heilungstendenz zeigten! Als ich dann innerhalb der
nächsten 24 Stunden trotz des fieberhaften und recht elenden All¬
gemeinzustandes des Patienten die circulare Gefässnaht der zer¬
schossenen Femoralarterie ausgeführt hatte, heilte die Phlegmone
des rechten Unterschenkels sehr rasch und die Circulation wurde
auch in den Partien der Extremität wieder eine ausgezeichnete,
die vorher schon gefährdet erschienen waren.
Komplikationen im Verlauf von Schussaneurysmen.
Eine der allerwichtigsten Komplikationen des Aneurysmas ist
die Infektion des Aneurysmasackes. Trotzdem fast alle Autoren,
die sich mit der Bearbeitung von Aneurysmen beschäftigt haben,
auf diese Komplikation hinweisen, wird sie immer noch nicht
hinlänglich gewürdigt. Im allgemeinen müssen wir bei jedem
Schussaneurysma mit der Möglichkeit einer Sackinfektion rechnen,
so lange noch der Ein- und Ausschuss eitriges Sekret absondern.
Und auch nach völliger Ausheilung von Ein- und Ausschuss sind
wir noch lange nicht sicher, dass ein sogenannter blander Aneu¬
rysmensack vorliegt. Ich habe gleich Bier 1 ) die Erfahrung gemacht,
dass trotz völliger reaktionsloser Wundheilung und trotz afebrilen
Verlaufes der Aneurysmensack infiziert sein kann, wie dann nicht
nur die vorhandenen entzündlichen Drüsen gelegentlich der aus¬
geführten Operation, sondern vor allem auch unliebsame Störungen
im postoperativen Verlaufe beweisen, die sicher eintreten, wenn
man an diese schleichende Form von Infektion nicht denkt und
bei der Operation nicht die daraus sich ergebenden Konsequenzen
zieht. Doch davon soll bei der Therapie die Rede sein. Nicht
diese leichten Grade von Infektion des Aneurysmasackes habe ich
hier im Auge, sondern leicht kenntliche, die sich bald unter einem
der typischen Phlegmone sehr ähnlichen Bilde präsentieren. Das Ver¬
hängnis liegt dabei gerade darin, dass der phlegmonöse Prozess so
in den Vordergrund tritt, dass darüber das Aneurysma nur zu leicht
übersehen wird, wenn man nicht genau untersucht und nicht daran
denkt. In der entzündlichen Schwellung oder, besser gesagt, durch
sie wird die abnorme Pulsation verschleiert und undeutlicher, und
so kann es geschehen, dass ein wenig erfahrener Arzt die Incision
eines solchen entzündeten Aneurysmas ausführt, und erst durch
die lebensbedrohende Blutung seines unheilvollen Irrtums ein-
1) Bier, lieber Krieirsaneurysinen. Deutsche med. Wochensohr. 1915.
Nr. 6. — Deutscher K rutsch iruriron tag 1 in Brüssel. 1915. Ccntralbl. f. Cliir.
1915. Xr. 20.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
622
II. v. liaberer,
Digitized by
sichtig wird. Die Gefahr der Verblutung ist in solchen Fällen
darum ganz besonders gross, weil im Glauben, dass es sich um
eine einfache Incision des phlegmonösen Prozesses handeln wird,
von vornherein die Vorbereitung nur für eine kleine Operation ge¬
troffen wird, in der Regel auch nicht genügend Assistenz zur
Hand ist, um dann mit entsprechender Schnelligkeit der Blutung
Herr zu werden. Gegen diesen verhängnisvollen Irrtum wird
erstens genaue Untersuchung schützen, wie vor allem auch die
genaue Berücksichtigung des Schusskanales bezüglich seiner Lage
zu den in Frage kommenden Gefässen.
Fieber ist kein Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer In¬
fektion. Es kann bei beträchtlich infizierten Aneurysmen fehlen,
bzw. nicht dem Grade der Entzündung entsprechen, andererseits
bis 39° bei blanden, namentlich bei rasch wachsenden Aneurysmen
vorhanden sein, wie ich das vielfach gesehen habe, und wie dies
auch aus einer Reihe meiner Krankengeschichten zu ersehen ist.
Auch mir wurde an der Klinik einmal ein Fall zur Absccss-
incision vorgeschlagen (9), bei dem es sich um ein phlegmonöses
Aneurysma handelte. Aus der Krankengeschichte geht hervor,
dass der Irrtum von mir rechtzeitig richtig gestellt wurde, und
dass die gerade durch den entzündlichen Prozess dringend ge¬
wordene Aneurysmaoperation mit vollem Erfolg ausgeführt werden
konnte. Ich werde bei der Frage nach der Wahl des Zeitpunktes
für die Aneurysmaoperation noch darauf zurückkommen, hier nur
soviel, dass gerade dem entzündeten Aneurysma eine zweite Kom¬
plikation sehr gerne folgt, die Nachblutung, bzw. die einmalige
schwere Blutung aus dem Aneurysmasacke.
Damit komme ich auf diese zweite Komplikation der Aneu¬
rysmen zu sprechen. Die Blutung aus dem bestehenden Sacke
kann jederzeit, bei jedem Aneurysma eintreten, eine Ausnahme
davon bilden, wenigstens in der Regel, die rein arteriovenösen
Aneurysmen. Auch bei schon geheilter Ein- und Ausschussöffnung
kann unter Aufbrechen der jungen Narbe eine ganz schwere Blu¬
tung nach aussen erfolgen, noch häufiger kommt ein solches Vor¬
kommnis bei sezernierendem Schusskanal, oder gar bei ausgesprochen
phlegmonösen Aneurysmen vor. Es ist klar, dass jede einmalige
Blutung, namentlich wenn für diesen Zufall nicht genügend vorge¬
sorgt ist, rasch zum Tode führen kann, besonders wenn es sich
um central gelegene, grosse Gefässstämme handelt.
Einer einmaligen Blutung, die natürlich auch wieder stehen
kann, können mehrere weitere Nachblutungen folgen, so dass sich
Patienten auf diese Weise chronisch verbluten können. Auch die
mehrmaligen Nachblutungen beobachten wir am häufigsten bei den
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Krieiisancurvsmen.
623
infizierten Aneurysmen. Ich möchte auch nicht verfehlen, darauf
hinzuweisen, dass langer Bestand eines Aneurysmas die Nach¬
blutung durchaus nicht ausschliesst, wie ich an meinem eigenen
Material erfahren musste.
Ich habe mehrfach schwere Blutungen aus Aneurysmen ge¬
sehen, will aber nur einige ganz besonders typische Beispiele hier
anführen:
Wohl den tiefsten Eindruck hat mir ein Fall gemacht, den
ich gar nicht mehr zu behandeln Gelegenheit hatte, und der eigent¬
lich in das Kapitel der früher schon erwähnten, aus unbegreiflichen
Gründen nicht diagnostizierten Fälle gehört. Es handelte sich um
einen Russen, der mit einem grossen Verwundetentransportzuge in
Innsbruck eintraf. Zwei Aerzte und reichlich Pflegepersonal hatten
den Zug durch Tage begleitet. Ich war zur Musterung der Ver¬
wundeten am Bahnhof und besprach mich sofort mit den Aerzten,
die mir versicherten, dass kein schwer Verwundeter im Zuge sich
befinde, kein Fall darunter sei. welcher klinische Behandlung nötig
machen würde. Der Russe, der einen besonders durchtränkten,
stinkenden, eitrigen Verband am Oberschenkel hatte, auch schwer
krank aussah, sollte eben mit blosser Unterstützung zweier Leute
vom Transportpersonal aus dem Wagen steigen, als ich seiner an¬
sichtig wurde und das wenigstens noch verhindern konnte. Er
wurde auf eine Trage gebettet und sofort in das Spital überführt.
Bei seinem Eintreffen daselbst verblutete er aus einem kopfgrossen
Aneurvsma der Femoralis, ehe ihm noch ärztliche Hilfe zuteil
werden konnte! Hätten die beiden, den Zug führenden Aerzte ein¬
mal während mindestens 48 ständiger Fahrt, wenn nach ihrer
Meinung ohnehin keine schweren Fälle im Zuge lagen, den Verband
bei dem in Rede stehenden Kranken gewechselt, so hätten sie die
drohende Gefahr des Platzens dieses übergrossen, schwer infizierten
Aneurysmas sehen müssen, und hätten wohl Gelegenheit gehabt,
den Fall an einer Zwischenstation auszuladen, oder wären imstande
gewesen, bei seiner Ankunft in Innsbruck auf die Schwere des
Falles aufmerksam zu machen. Dann wäre noch im stehenden
Zug der Verband zu wechseln gewesen und es wäre vielleicht
der letale Ausgang verhindert worden. (Von dem Falle findet
sich keine Krankengeschichte im Anhang, da er nicht an der
Klinik lag.)
Ein sehr gutes Beispiel von chronisch rezidivierender Blutung
ist mein Fall 19. Es handelte sich um ein infiziertes Aneurysma
der Subclavia. Schon während des Transports mit der Bahn soll
es zu einer schweren Blutung aus dem. Schusskanal gekommen
sein, dieselbe wiederholte sich in dem Spital, in welchem der
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
«24
H. v. Hab er er,
Digitized by
Kranke zunächst in Innsbruck untergebracht worden war, weshalb
er dann meiner Klinik zugewiesen wurde. Zu dieser Zeit war der
Kranke hochfiebernd, sehr anämisch und hatte einen ganz kleinen
fliegenden Puls. Ich habe damals zugewartet — ich muss sagen,
nach meinen jetzigen Erfahrungen würde ich das nicht mehr tun —
in der Hoffnung, vielleicht doch durch entsprechende Pflege und
Wundbehandlung günstigere Verhältnisse für die Operation zu er¬
zielen. Als in den nächsten Tagen die Temperaturen einen aus¬
gesprochen septischen Charakter annahmen, wollte ich erst recht
zuwarten. Da trat wieder eine Blutung ein, die jedoch gar nicht
abundant erschien, trotzdem aber den Collaps des Patienten zur
Folge hatte, so dass ich jetzt mit der Unterbindung des verletzten
Gefässes central und peripher vom Aneurysmasack vorging und
den Sack, der vereiterte Coagula enthielt, eröffnete und drainierte.
Der Patient erholte sich aber nicht mehr und starb im Shock. In
diesem Falle hatten sich die ersten Blutungen schon relativ bald
nach der Verletzung eingestellt, von der Verwundung bis zum
schliesslich eingetretenen Tod waren 26 Tage vergangen.
Ein zweiter Fall, bei dem auffallend spät die Blutung eintrat,
sei auch hier angeführt: In meinem Fall 48 war die Verwundung
durch Schuss in die rechte Halsseite am 13. Juni 1915 erfolgt.
Einschuss knapp neben dem Schildknorpel, Ausschuss am hinteren
Sternoclcidomastoideusrande, tiefer als der Einschuss gelegen.
Patient konnte vom Moment der Verletzung an das linke Bein und
den linken Arm nicht mehr bewegen, war also halbseitig gelähmt,
zumal auch im linken unteren Facialis und im linken Hvpoglossus
eine Parese bestand. Er hatte ein apfelgrosses Aneurysma im Be¬
reiche der rechten Carotis, Ein- und Ausschuss eiterten beträcht¬
lich, als der Patient am 30. Juni in meine Klinik kam. Der Um¬
stand, dass seit der Verletzung bereits 17 Tage vergangen waren,
liess die Prognose bezüglich der Wiederherstellung der Gehirnfunk¬
tion unter allen Umständen sehr schlecht erscheinen, da ja sicher
bereits Nekrosen eingetreten sein mussten. Deshalb wollte ich mit
der ja unter allen Umständen indizierten Operation womöglich bis
zum Abflauen der Schusskanaleiterung abwarten. Ich verfolgte da¬
mit noch einen zweiten Zweck. Ich wollte sehen, ob nicht durch
vikariierendes Eintreten der zweiten Hemisphäre Besserungen im
Zustande der Lähmungen eintreten würden, die man im Gefolge
einer Operation mit Gefässnaht dann nur zu leicht geneigt gewesen
wäre, auf das Konto der Operation zu setzen. Das Zuwarten
schien ganz gerechtfertigt, da es dem Patienten sonst ganz gut
ging. Die Eiterung aus dem Schusskanal wollte aber nicht zum
Stillstand kommen, wenn sie sich auch innerhalb sehr bescheidener
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
lvriegsaneurysmcn.
625
Grenzen hielt. Wir konnten trotzdem weiter ruhig zuwarten, da der
Patient sieh sehr guten Allgemeinbefindens erfreute und afebril war.
An den Lähmungen änderte sich nichts. Ohne jedwede äussere
Ursache kam es nun am 3. August, also nach mehr als einmona¬
tigem Aufenthalt in der Klinik, fast 2 Monate nach der Verletzung,
zunächst zu einer leichten, nach wenigen Stunden aber zu einer
sehr bedrohlichen Blutung aus dem Aneurysmasack nach aussen,
die schleunigst Digitalkompression nötig machte. Ich wurde ge¬
rufen und nahm sofort die Operation vor, die durch die Digital¬
kompression wegen der daraus resultierenden Raumbeengung des
Operationsfeldes recht schwierig wurde. Dazu kam noch die diffuse
Entzündung um den Aneurysmasack. Schliesslich gelang es doch,
das Loch in der Carotis communis darzustellen, ich nahm noch
zur Vorsicht wegen der langdauernden Eiterung vom centralen und
peripheren Lumen der Carotis etwas weg, um dann die circulare
Gefässnaht auszuführen, die gar keine Schwierigkeiten machte. Die
Weichteilwunde musste natürlich drainiert werden. Am 9. Tage
nach der Operation kam es zu einer neuerlichen schweren Blutung,
und es musste die Carotis unterbunden werden. Es war dies der
einzige Fall meiner Beobachtung, wobei eine Gefässnaht undicht
geworden war. Man konnte sich zur Unterbindung um so leichter
entschliessen, als auch die Gefässnaht, wie ja von vornherein wahr¬
scheinlich war, bezüglich der Lähmungen gar keinen Erfolg aufzu¬
weisen hatte. Die Unterbindung hatte Erfolg, der Patient ist ge¬
sund geworden, die Lähmungen blieben bestehen. Der Fall zeigt,
wie spät Nachblutungen speziell bei infizierten Aneurysmen auf-
treten können und wie hartnäckig eine solche Infektion verlaufen
kann.
Eine weitere Komplikation, die besonders bei arteriovenösen
Aneurysmen eintreten kann, ist die Thrombosierung der Vene mit
der Gefahr der Embolie. Ich halte die Kenntnis dieses Vorkomm¬
nisses nicht nur für die allgemeine Beurteilung der Prognose, son¬
dern vor allem für eine strittige Frage in der Therapie, auf die
ich bei Besprechung der letzteren zurückgreifen werde, für sehr
wichtig.
Ich habe in meinem Material sowohl einmal eine Thrombose
der Vene gesehen (8), als ich auch einmal neben der Thrombose
einen Lungeninfarkt beobachten konnte (62). In beiden Fällen
hatte es sich um Komplikationen gehandelt, die sich vor Vornahme
einer operativen Therapie eingestellt haben, das sei besonders be¬
tont, weil ich auch einmal eine ausgedehntere Thrombose in einem
Falle von Aneurysma gesehen habe, bei dem eine unzweckmässige
Operation stattgefunden hatte, die von anderer Seite ausgeführt
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
626
11. v. llabercr,
Digitized by
worden war (56). Das kann aber natürlich nicht als Komplikation
eines Aneurysmas aufgefasst werden, weshalb dieser Fall hier nicht
weiter besprochen werden soll. Von den beiden hier in Frage
kommenden Fällen betraf der eine (8) ein arteriovenöses Aneurysma
der Arteria und Vena tibialis posterior, wobei trotz kleiner Kom¬
munikation von Arterie und Vene letztere in sehr bedeutender Aus¬
dehnung thrombosiert war und daher weitgehend reseziert werden
musste. Die Diagnose auf Venenthrombose konnte erst während
der Operation gestellt werden. Zwischen Verletzung und Operation
war ein Zeitraum von mehr als einem Monat verstrichen. Die Ope¬
ration brachte glatte Heilung.
Im zweiten Fall (62) handelte es sich um ein arteriovenöses
Aneurysma der Iliaca externa und der gleichnamigen Vene. Der
Patient hatte wenige Zeit nach der Verletzung eine sichere Lungen¬
embolie mit Infarktbildung durchgemacht, von welch letzterer ich
mich bei seiner später erfolgten Einlieferung an meine Klinik noch
einwandfrei überzeugen konnte. Sie war auch die Ursache, wes¬
halb ich mit der Durchführung der Operation bis über 3 Wochen
nach der Verletzung zögerte. Bei der Operation, bei welcher ich
wegen starker Verletzung der Arterie diese nach Resektion circular
mit bestem Erfolg nähte, fand sich die gleichzeitig verletzte Vene
peripher von der Verletzungsstelle thrombosiert. Sie wurde daher
central umstochen und peripher von der Thrombose unterbunden.
Jedenfalls geht aus dem Umstande, dass ich unter 72 Aneu¬
rysmen zweimal ausgedehntere Venenthrombose erlebt habe, her¬
vor, dass es sich da um kein gar zu seltenes Vorkommnis handeln
kann.
Hingegen muss ich nach meinen Beobachtungen die Gangrän
im Anschluss an Schussaneurysmen und als direkte Folge derselben
als sehr seltenes Ereignis bezeichnen. Einwandfrei habe ich sie
nur einmal gesehen.
Der Komplikationen von seiten des Nervensystems bei
Aneurysmen wurde schon bei der Symptomatik gedacht, es sei
hier nur noch wiederholt, dass sie ebensowohl durch Druck von
seiten des Aneurysmasackes auf angelagerte Nerven hervorgerufen
sein können, wie sie auch in Erscheinung treten können, wenn
die Nerven in die Wand des Aneurysraasackes einbezogen, ich
möchte sagen, in sie gleichsam eingemauert sind. Sowohl Reizungs¬
ais auch Lähmungserscheinungen kommen vor, die nach der Be¬
seitigung des Aneurysmas vollständig schwinden können. Ein gutes
Beispiel für Drucklähmung ist mein Fall 2, bei dem die ursprüng¬
liche Radialislähmung in bestem Rückgang war, als plötzlich, offenbar
unter gleichzeitigem Wachstum des Aneurysmas, neben intensivsten
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Kriegsaneurysmen.
627
Schmerzen eine komplette Radialislähmung auftrat, die erst zur
Diagnose des Aneurysmas führte.
Ebenso wie der Nerv durch das wachsende Aneurysma nicht
geschont wird, wird sogar der Knochen durch den Druck von
seiten eines grösseren, prallen aneurysmatischen Sackes usuriert,
und es finden sich unter den Fällen meiner Beobachtung so viele
Beispiele dafür, dass es wohl nicht angcht, sie alle hier im Text
anzuführen.
Therapie.
Fragen wir uns zunächst, ob eine konservative Therapie der
Schussaneurysmen Aussicht auf Erfolg hat, so müssen wir die
Möglichkeit ins Auge fassen, dass auch eine Gefässverletzung aus¬
heilen kann. Zahradnitzky (1. c.), Hotz (1. c.), Mühsam 1 ),
Bier (1. c.) und andere haben diesen Vorgang beobachtet, und
dass ein solches Vorkommnis nicht nur bei leichten seitlichen Ver¬
letzungen der Arterie eintreten kann, sondern auch bei totaler
Durchtrennung der Arterie, dafür kann ich selbst aus dem eigenen
Material auf Fall 69 verweisen, den ich schon früher anführte und
bei dem es sich neben einem Aneurysma verum der Cubitalis um
eine total durchschossene, central und peripher verödete Brachialis
handelte. Ich darf dabei auch den schon gelegentlich der Be¬
sprechung von Form und anatomischer Beschaffenheit der Schuss¬
aneurysmen kurz angedeuteten Fall nochmals ins Treffen führen,
der, weil es sich um kein Aneurysma handelte, in den Kranken¬
geschichten dieser Arbeit nicht vorkommt, bei dem ich ebenfalls
gelegentlich einer Nervenoperation die Art. brachialis vollkommen
durchschossen und verödet vorfand. (Es handelt sich um den unter
dem Titel „Eine sehr seltene Varietät des Nervus ulnaris“ im
Anatomischen Anzeiger, 1914, mitgeteilten Fall.)
In solchen Fällen kommt offenbar entweder die starke Torsion
der Enden der durchschossenen Arterie, wie sie ja auch sonst ge¬
legentlich zur Blutstillung angewendet wird, oder aber die Eigen¬
schaft des Gefässes in Betracht, durch rasche Einkrempelung der
Intima einen Verschluss des Lumens herbeizuführen, dem dann die
Thrombosierung folgt. Bei einfach seitlichen Gefässverletzungen
kann ein Thrombus, namentlich wenn er unter einem gewissen
Gewebsdruck von aussen her steht, das Loch im Gefäss ver¬
schlossen halten, und es kann zur Heilung der Gefässverletzung
kommen. In beiden Fällen aber ist die Prognose mit gewisser
Vorsicht zu stellen, da sich noch nachträglich eine schwere Blutung
1) Mühsam, Die zweite Ui lfs«‘Xpedit ion nach Serbien. Bcitr. z. Kriegsbeil k.
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UNIVERSUM OF IOWA
628
11. v. Haberer,
Digitized by
einstellen oder ein Aneurysma verum bzw. auch spurium entwickeln
kann. Will doch Orth 1 ) noch 7 Monate nach der Zerreissung der
Arterie einen Spätverblutungstod beobachtet haben!
Dass sich bei seitlicher Verletzung einer Arterie nach Lockerung
des die Verletzung verschliessenden Thrombus ein Aneurysma spurium
entwickeln kann, geht meines Erachtens nicht zum mindesten aus
der Tatsache hervor, dass sich nach Gefässverletzungen die Aneu¬
rysmen oft erst auffallend spät, zu einer Zeit entwickeln, in der
der Patient nach erfolgter äusserer Wundheilung die Extremität
stärker belastet. Ich erinnere aus dem eigenen Material bloss an
meine schon früher genauer angeführten Fälle 39 und 46.
Dass das Aneurysma verum Zeit zu seiner Entstehung braucht,
ist selbstverständlich, handelt es sich doch dabei immer nur um
eine teilweise Wandschädigung der Arterie, wobei der Blutdruck
erst allmählich die noch stehengebliebenen Schichten ausbuchten muss.
Jedenfalls dürfte das spontane Ausheilen von traumatischen
Aneurysmen immerhin so selten sein, dass man damit nicht
rechnen darf.
Von den konservativen Massnahmen, um ein Aneurysma zum
Verschwinden zu bringen, möchte ich bloss die Kompression des
aneurysmatischen Sackes und die systematische Kompression der
zuführenden Arterie erwähnen, wobei in der Tat Verkleinerungen
des aneurysmatischen Sackes beobachtet wurden, es sind ja mit
dieser Methode sogar Heilungen mitgeteilt. Bevor ich noch näher auf
diese Kompressionstherapie eingehe, sei doch nachdrücklich darauf
hingewiesen, dass die Spontanheilung von Gefässverletzungen, wie
ich sie unter anderem selbst bei vollkommen durchschossenen Arterien
gesehen habe, absolut nicht mit der Heilung von Aneurysmen ver¬
glichen werden kann. Denn im ersteren Fall handelt es sich um
eine Art Blutstillung, wie sie auch gelegentlich vom Arzt aus¬
geführt wird, wie sie im gegebenen Fall das Gefäss, wenn ich so
sagen darf, dank einer ihm eigenen Eigenschaft durch starke
Retraktion selbst ausführt. Die Heilung eines Aneurysma spurium
setzt aber voraus, dass nicht nur die mit dem Gefäss in offener
Kommunikation stehende Nebenhöhle verödet, sondern daneben auch
der Defekt im Gefäss selbst sich schliesst. Es Hesse sich nun
theoretisch denken, dass durch Kompression vor allem des Aneu¬
rysmas selbst, vielleicht auch des zuführenden Gefässes allmählich
eine Verkleinerung des aneurysmatischen Sackes eintritt, weil da¬
durch die Blutgerinnung im Aneurysma begünstigt wird. Wie aber
dabei auch eine Verletzung des Gefässes schUesslich zur Ausheilung
1) Ort h, Feber Spät verblut un^stod nach früher bestandenem traumatischem
Aneurysma. Münch, med. Woehenschr. 1915. Nr. oo. Feldärztl. Beil.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
Kricjisanciirvsiiicn.
62!)
gelangen soll, das kann ich mir um so weniger vorstellen, je mehr
Aneurysmen ich zu operieren Gelegenheit hatte. Sind doch regel¬
mässig bei halbwegs längerem Bestand die Ränder der Schuss¬
verletzung des Gefässes stark kallös verändert, so dass alles eher
als eine Heilungstendenz der Wunde vorliegt. Ich glaube nach
den Erfahrungen, die ich mit nachträglichen Operationen gemacht
habe, zu dem Schlüsse berechtigt zu sein, dass die im Anschluss
an Kompression, speziell des aneurysmatischen Sackes selbst, beob¬
achtete, gelegentliche Verkleinerung des Aneurysmas fast lediglich
dadurch bedingt ist, dass unter dem Einflüsse des chronischen
Traumas eine Art chronischer Entzündung der oberflächlicheren
Partien des Aneurysmas und seiner Umgebung eintritt, wodurch es
zu Schwielenbildung mit der ihr eigenen Tendenz der Schrumpfung
kommt. Ich möchte also glauben, dass zumeist eine Selbsttäuschung
über den Erfolg der Kompressionstherapie vorliegt, und von einer
Heilung nicht die Rede sein kann. Wie schon angedeutet, sind
die Schwierigkeiten der operativen Freilegung von aneurysmaiischcn
Säcken, die einmal mit Kompression systematisch vorbehandelt
wurden, gerade wegen der ausgedehnten Schwielen an der Ober¬
fläche oft ausserordentliche, und ich möchte da ganz besonders auf
meinen Fall 66 verweisen, bei dem es sich um ein Subclavia-
aneurysma handelte, das zunächst schon dadurch ungünstig lag,
dass es erst Monate nach der Verletzung in klinische Behandlung
kam, so dass es zu dieser Zeit nach den Symptomen, die Vor¬
lagen, schon als inoperabel angesprochen werden durfte. Dass in
einem solchen Fall jeder Versuch einer konservativen Behandlung
volle Berechtigung hat, liegt auf der Hand, und so wurde hier der
systematische Kompressionsverband angewendet, unter dem sich das
Aneurysma anfangs zu verkleinern schien. Alsbald trat aber ein
Stillstand ein, und ich durfte mit Erlaubnis meines hochverehrten
Lehrers v. Eiseisberg das Aneurysma operieren. Dabei fanden
sich die intensivsten Schwielen an der Oberfläche des aneurvsma-
*
tischen Sackes, unter deren Einfluss es auch zu ganz besonderer
Ausdehnung der Venen gekommen war, deren Wand hingegen sich
als besonders zerreisslich erwies. Es war dies der einzige Fall
meiner Beobachtung, bei dem ich, wie aus der Krankengeschichte
hervorgeht, die Operation schliesslich abbrechen und zur Tamponade
schreiten musste, doch hatte der Patient trotz intravenöser Koch¬
salzinfusion so viel Blut verloren, dass er bald nach dem Eingriff
ad exitum kam.
Dem Gesagten zufolge wird also unsere Therapie beim
Schussancurvsma im allgemeinen eine aktiv chirurgische sein
müssen.
Arrhiv fiir klin. Chirurgie. Btl. 107. Heft 4.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
630
11. v. IIaborer,
Digitized by
Von den dabei in Betracht kommenden Methoden ist die
Unterbindung der Arterie herzwärts vom Aneurysma ausgeführt
worden, ferner die Unterbindung des Gefässes central und peripher
vom aneurysmatischen Sack, wobei letzterer entweder unberührt
gelassen, eröffnet und tamponiert, oder schliesslich exstirpiert
wurde, endlich in letzter Zeit immer mehr und mehr die ideale
Gefässoperation, die Naht bzw. bei allzu grossen Defekten die
Gefässtransplantation 1 )-
Was die blosse Unterbindung der Arterie herzwärts vom
Aneurysma anlangt, so ist sie eine höchst unvollkommene Methode
zu nennen, weil sie wohl nur in Ausnahmefällen wirklich Erfolg
haben wird, während sie zumeist bloss eine Verlegenheitsoperation
bedeutet, die zwar vorübergehend die Symptome des Aneurysmas
zum Schwinden bringen, auch zu wesentlicher Verkleinerung des
aneurysmatischen Sackes führen kann, der aber sekundär wohl
meist auf dem Wege der vorhandenen Kollateralen, mit denen ja
die Operation rechnen muss, wieder gefüllt werden wird. Mein
Fall 70 ist ein Beweis dafür. Bei dem Patienten war die Arteria
femoralis im unteren Drittel des Femurs wegen eines blutenden
Aneurysmas der Arteria poplitea anderwärts unterbunden worden,
zunächst gingen die Erscheinungen zurück, dann kam es aber
wieder zu intensiven Beschwerden, als deren Ursache das Aneurysma
der Arteria poplitea angesprochen werden musste, dessen Symptome
sich nicht von denen eines überhaupt nicht operierten Aneurysmas
unterschieden haben. Der Sack war als grosser pulsierender
Tumor tastbar, der das typische Gefässgeräusch sehr gut hören
liess. Gefässnaht brachte Heilung.
v. Frisch 2 ) hat bei Aneurysmen der Arteria glutaealis die
Unterbindung der Arteria hypogastrica als Methode der Wahl an¬
gegeben, doch möchte ich auch dabei glauben, dass das Aneurysma
nach einiger Zeit aus den oben angegebenen Gründen wieder in
Erscheinung treten kann, nur entziehen sich seine Symptome viel¬
leicht wegen der tiefen Lage des aneurysmatischen Sackes länger
oder dauernd der Beobachtung. Ich habe demnach in einem Fall
von Glutäalaneurysma der Unterbindung der Art. hypogastrica die
1) Allo übrigen gelegentlich angewendeten Methoden, welche das Aneurysma
durch operative Verkleinerung von aussen her oder durch Deckung zur Heilung
bringen sollen, übergehe ich. weil es sich um Verlegenheitsoperationen handelt,
die nicht die Bedeutung einer kausalen Therapie des Aneurysmas haben können.
Hierher gehört auch die von 11. F. U. Haberl an d im Centralbl. f. Ghir.. 1915.
Ar. 17, beschriebene Methode der Deckung eines Aneurysmas durch Fasrirn-
lappen, wie sie von Friedrich ausgeführt wurde.
2) v. Frisch. Offizielles Protokoll der Gesellschaft der Aerzte Wiens.
Wiener klin. Worhensohr. 1915. Xr. 1(5.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
K rieusaneiirvsiiicn.
631
Ausräumung des aneurysmatischen Sackes angeschlosscn, und die
Lumina der Art. glutaea unterbunden (Fall 47).
Dieser sonst sehr schwierige Eingriff der Operation eines
glutäaleu Aneurysmas hat sich nach der Unterbindung der Hypo¬
gastrica als ausserordentlich einfach erwiesen und nahezu blutleer
ausführen lassen. Ich möchte daher in Ergänzung der von v. Frisch
vorgeschlagenen Methode, der Unterbindung der Hypogastrica, un¬
bedingt die radikale Operation des Glutäalaneurvsmas anschliessen.
Mit diesen Ausführungen möchte ich nun nicht die einfache
Unterbindung der Arterie herzwärts eines Aneurysmas unter allen
Umständen als unzweckmässig bezeichnet haben, wenngleich ich
selbst nicht in die Lage kam, sie auszuführen. Wie dieser Ein¬
griff, der doch wohl als Unterbindung der Arterie am Orte der
Wahl bezeichnet werden muss, bei frischen Gefässverletzungen
lebensrettend werden kann, so kann er gewiss gleich segensreich
wirken, wenn es sich um Komplikationen bei Aneurysmen handelt,
namentlich um unvorhergesehene schwere Blutungen, zumal wenn
sich dieselben in weniger gut eingerichteten Spitälern ereignen,
die auch nicht über genügend geschultes Personal, gelegentlich
nicht einmal über einen in der Technik der Aneurysmaoperationen
hinlänglich bewanderten Chirurgen verfügen. Ich kann mir auch
vorstellen, dass bei schwer infizierten Aneurysmen die Methode
gelegentlich einmal in Frage kommen kann, um den phlegmonösen
Aneurysmasack spalten und dem Eiter Abfluss verschaffen zu können.
Auch dabei mag die Methode gelegentlich eine Extremität vor der
Amputation schützen. Im übrigen aber darf sie nach unseren
heutigen Kenntnissen nicht mehr als eine Methode bezeichnet werden,
welche geeignet ist, Heilung beim Aneurysma herbeizuführen.
Die Unterbindung der Arterie central und peripher vom Aneu¬
rysma ohne Inangriffnahme des aneurysmatischen Sackes selbst
ist zwar wesentlich radikaler als die einfache, herzwärts vorgenom¬
mene Unterbindung, aber auch sie ist nicht geeignet, eine radikale
Heilung des Aneurysmas sicher herbeizuführen, weil auch hierbei
der aneurysmatische Sack durch Collateralen weiter gespeist werden
kann. Aus naheliegenden Gründen wird diese Methode gewiss
recht selten in Anwendung gekommen sein. Denn wer einmal die
Arterie central und peripher vom aneurysmatischen Sack gefunden
hat, der kann sie auch hier und dort provisorisch abklemmen und
dann den Sack eröffnen, oder ihn entfernen.
v. Frisch 1 ) empfiehlt z. B. prinzipiell den Sack zu eröffnen,
weil er nach seinen im Balkankrieg gesammelten Erfahrungen die
1) v. Frisch, Kriegschirurgische Erfahrungen über Ancurvsmen. Boitr.
z. klin. Chir. 1914. Bd. 91.
42 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
632 II. v. Ilab e re r,
Ligatur des verletzten Gefässes vom Sackinnern her vornimmt,
wie dies Kikuzi 1 ) als intrakapsuläre Unterbindungsmethode an¬
gegeben hat. Es ist auch naheliegend, dass diese Methode vor
jeder anderen Unterbindungsmethode den Vorteil haben muss, dass
sie die Collateralen am besten schont, weil sie ja gerade am Orte
der Gefässverletzung angreift, und somit, wenn schon unterbunden
wird, noch immer die besten Garantien fiir Erhaltenbleiben der
Ernährung peripher von der Gefässverletzung gewährleistet. In
der Tat hat v. Frisch in seinen so behandelten 15 Fällen aus¬
gezeichnete Resultate erzielt. Selbstverständlich ist es bei Bei¬
behaltung des gleichen Vorganges auch möglich, schliesslich den
Aneurysmasack, wenn ein solcher bereits voll entwickelt ist, zu
exstirpieren. Wenn man den Aneurysmasack lieber tamponieren
und ihn so zur Verödung bringen will, bzw. wenn man durch
Infektion des Sackes zu dieser Massnahme gezwungen ist, so lässt
sich das ebenfalls mit dieser eben beschriebenen intrakapsulären
Unterbindung des Gefässes gut in Einklang bringen, v. Frisch
ist empirisch zu dieser Methode gelangt, die Kikuzi (1. c.) als
Methode der Wahl angegeben hat, und so dürfte es wohl den
meisten Operateuren, die Gelegenheit hatten, Aneurysmen mit
Unterbindung zu behandeln, ergangen sein, dass sie sich selbst
eine Methode zurecht legten, ohne darüber im klaren zu sein, ob
dieselbe schon von anderer Seite in gleicher Weise geübt wurde.
Ich hatte bereits 13 Aneurysmen mit Unterbindung in anderer
Weise operiert, und bin dann diesem Verfahren bei Unterbindungen
treu geblieben, weil cs sich mir gut bewährt hatte, als ich aus
der Arbeit von v. Frisch entnehmen musste, dass die Methode
der intrakapsulären Unterbindung von ihm so besonders warm
empfohlen wird.
Wenn ich gleich hier das von mir eingehaltene Verfahren
schildern darf, so bin ich stets so vorgegangen, dass ich das ver¬
letzte Gefäss central und peripher vom Aneurysma aufgesucht
habe, und dass ich dann unter möglichster Schonung aller Col¬
lateralen mich ebensowohl central als auch peripher bis hart an
den Sack herangearbeitet habe. Knapp an diesem habe ich dann,
wie ich dies schon in meiner ersten einschlägigen Publikation ge¬
schildert habe, die Unterbindung ausgeführt. Es dürfte dieser Vor¬
gang wohl nahezu ebenso schonend sein, wie die Unterbindung
vom Sackinnern aus, und in der Tat waren ja auch die Erfolge,
die ich bei meinen ersten 13 Fällen, welche ausschliesslich mit
1) Kikuzi. Die traumatischen Aneurysmen hei Schusswunden, lieitr. z.
klin. (’Jiir. I5d. AO.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kriegsiuicurvsmen.
633
dieser Methode der Unterbindung behandelt worden waren, erzielte,
vorzügliche.
Die ideale Methode der Aneurysmenoperation aber bleibt
natürlich die Gefässnaht als laterale oder circulare Naht, je nach¬
dem das Gefäss bloss eine seitliche Verletzung aufweist, beziehungs¬
weise vollständig durchtrennt, oder aber bei seitlicher Verletzung
derart zerfetzt ist, dass man deshalb die Resektion mit folgender
circularer Naht vorzieht. Diese Methode schafft physiologische
Verhältnisse, sie garantiert, richtig ausgeführt, gute Ernährung,
ihre Technik ist nicht so schwer, dass sie nicht von jedem
geübteren Chirurgen beherrscht werden könnte. Die Schwierig¬
keiten der Operation hat der, der richtig unterbinden will,
nahezu in gleicher Weise, wie der die Naht wählende, denn die
Hauptschwierigkeit liegt in der anatomischen Präparation der
Gefässe und des aneurysmatischen Sackes, welche bei beiden Me¬
thoden in gleicher Weise exakt ausgeführt werden muss. Ob man
die Naht als fortlaufende anlegt, oder aber Knopfnähte vorzieht,
halte ich für vollständig gleichgültig, die Naht muss nur exakt
Intima an Intima bringen, ebenso wie es bei der Darmnaht wichtig
ist, dass sich Serosaflächen dabei decken. Die Naht muss dicht
sein, und sie muss so durchgeführt werden, dass sie das Gefäss-
lumen nicht wesentlich einengt. Ich möchte daher schon an dieser
Stelle betonen, dass ich bei mittelweiten Arterien bei der Indika¬
tionsstellung zur lateralen Naht sehr rigoros vorgehe, weil diese
nur allzuleicht das Gefäss in seiner Lichtung einengt. Ich kann
mich der Ansicht einiger Autoren, dass selbst eine wesentliche
Einengung der Gefässlichtung nicht schadet, nicht anschliessen,
ich glaube, dass es dabei häufig genug zu nachfolgender Throm¬
bosierung des Gefässes kommen wird, die eben doch gelegentlich
einmal noch im späteren Verlauf Cireulationsstörungen im Gefolge
haben kann.
Die CareH’sche Gefässnaht ist in ihren Einzelheiten so be¬
kannt, lass sie hier nicht näher geschildert zu werden braucht.
Einzelne kleine Abweichungen, wie sie sich wohl jeder Operateur
im Laufe der Zeit angeeignet hat, sind dabei bedeutungslos.
In Fällen allzugrosser Gefässdefekte wurden auch Transplan¬
tationen von Venen in den Defekt vorgenommen, deren Erfolg
aber, wie ich schon einmal nachwies, mit Recht angezweifelc wird.
Freilich berichtet in jüngster Zeit in seiner oben erwähnten Arbeit
Zahradnicky (I. c.), dass im ganzen 13 Fälle von Venentrans¬
plantation bei Aneurysmen vorgenommen wurden — er hat dabei
offenbar nur die Schussaneurysmen im Auge —, von denen 11
heilten, während bei zweien Thrombose mit folgender Gangrän
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
634
H. v. Habe rer,
Digitized by
cintrat. Unter die geheilten Fälle rechnet er auch die Fälle von
Bier (1. c.), der aber selbst sich recht ungünstig über die Venen¬
transplantation bei Aneurysmen ausgesprochen hat. Die Nachteile,
welche eine in den arteriellen Kreislauf eingefügte Vene schon
wegen ihres anatomisch anderen Charakters bringen muss, sind
klar, jedenfalls sind unter allen Umständen die Resultate der
Venentransplantation von vornherein weit mehr unsicher als die
der Gefässnaht, schon auch deshalb, weil hierbei zwei Nähte nötig
sind, die das Transplantat mit den Arterienstümpfen verbinden
müssen. Da jede Gefässnaht wenigstens teilweise thrombosieren
kann, so verdoppelt sich schon dadurch die Gefahr bei der Venen¬
transplantation, und doch ist diese Rechnung falsch, weil die peri¬
phere Naht noch weit mehr zur Thrombose neigt als die centrale,
da sie am unteren Ende der eingepflanzten Vene liegt. Es bleibt
also die Venentransplantation eine unsichere Methode, die man so¬
weit als möglich vermeiden soll.
Haben wir nun die einzelnen Methoden der Aneurysmaopera¬
tion hier angeführt, so ergibt sich als nächste ganz allgemeine
Frage naturgemäss die Wertung der einzelnen Methoden gegenein¬
ander. Dabei scheiden nach dem oben Gesagten die einfache cen¬
trale Unterbindung der Arterie oberhalb des Aneurysmas sowie
die Unterbindung central und peripher, ohne Inangriffnahme des
aneurysmatischen Sackes aus, auch über die Transplantation von
Venen ist nichts Wesentliches mehr zu sagen, es bleibt also der
Wert der Unterbindungsmethode und der der Naht einander gegen¬
überzustellen.
Es ist natürlich fraglos, dass die Naht, welche normale ana¬
tomische und physiologische Verhältnisse herstellt, der Unter¬
bindung, welche mindestens eine Aenderung der Circulationsver-
hältnisse, zumeist aber doch auch eine wesentliche Einengung des
Blutzuflusses bedeutet, überlegen sein muss. Es ist aber ebenso
fraglos, dass die Naht den weit grösseren Eingriff darstellt, der
nicht nur an sich mit grösseren Gefahren für den Operierten ver¬
bunden ist, sondern auch im weiteren Verlauf nach der Operation
gewisse Gefahren in sich birgt, wie z. B. das Aufgehen der Naht
mit folgender bedrohlicher Blutung, wiewohl dieses Ereignis nach
meinen Erfahrungen nicht zu fürchten ist, wenn man eine richtige
Indikationsstellung einhält. Gerade aber die Indikationsstellung ist
für die Naht eine viel heiklere und erfordert weit grössere Er¬
fahrung, als wenn man sich mit Unterbindung begnügt.
Wenn ich ganz davon absehe, dass man es unbedingt aus
eigener Erfahrung lernen muss, welchen Grad von Spannung man
einer Gefässnaht Zutrauen kann, und es ist ganz erstaunlich, wie
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
KrieirMiiieurysmen.
«35
weit man dabei entgegen der mehr theoretischen Auffassung, dass
die Naht nur gerechtfertigt sei, wenn sie ohne Spannung ausge-
führt werden kann, gehen darf, so bleibt doch die Frage von ganz
eminenter Bedeutung, wie weit man berechtigt ist, die Naht bei
nicht ganz blanden Aneurysmen auszuführen. Ich habe schon ein¬
mal darauf hingewiesen, dass es ausserordentlich schwierig ist, zu
entscheiden, ob ein Aneurysma infiziert ist oder nicht, und darf
diesbezüglich auf das bei den Komplikationen von Aneurysmen
Gesagte hinweisen. Und gerade in der Schwierigkeit dieser Ent¬
scheidung liegt auch die Schwierigkeit der Entscheidung für die
Naht; denn eine Reihe von Autoren, von denen ich als Vertreter
hier nur Kirschner 1 ), Liebert 2 ) uud Hotz 3 ) anführe, verlangen
für die Arteriennaht ein absolut aseptisches Operationsfeld. Ein
solches ist nun, wenn wir früh operieren, fast nie gegeben, wie
Bier (1. e.) mit Recht betont. Wie aber Bier und ich beobachten
konnten, ist ein absolut aseptisches Operationsfeld für die Gefäss-
naht glücklicherweise nicht unbedingt nötig, sie kann auch bei
leicht infizierten Wunden an Aneurysmasäcken mit Erfolg ausge¬
führt werden, wenn wir nur so vorsichtig sind, dabei die Wunden
nicht vollständig zu schliessen, sondern sie zu drainieren. Dass
man den Standpunkt vertreten muss, bei schwer infizierten Aneu¬
rysmen keine Gefässnaht auszuführen, also bei Aneurysmen, bei
denen uns gerade die Infektion das Messer in die Hand drückt,
ist über jeden Zweifel erhaben, so dass in solchen Fällen die Ent¬
scheidung für das einzuschlagende Verfahren nicht schwer fällt.
Zwischen den oben geschilderten leichtesten Graden von Infektion,
die uns vorsichtshalber nach ausgeführter Gefässnaht drainieren
lassen, und den leicht erkennbaren schweren Formen von Infektion
eines Aneurysmasackes liegen aber viele Zwischenstadien, und hier
kann nur persönliche Erfahrung die richtige Indikationsstellung treffen.
Nach alledem wäre also die einfachere, leichtere, weniger
Technik erfordernde, bezüglich der Indikationsstellung weit weniger
heikle Unterbindung der Gefässnaht unbedingt vorzuziehen, wenn
sie dieselben Resultate gewährleisten könnte wie eben die Gefäss¬
naht. Das aber tut sie nicht, wie man mit aller Bestimmtheit
sagen kann.
Wer Erfahrungen über beide Methoden hat, wird jedesmal
staunen, wenn man immer wieder Stimmen laut werden hört, dass
1) Kirschner, Berichte über die erste Expedition nach (irieehenland.
Beitr. z. Kriegsheilk.
2) Liebert, Die erste Expedition nach Konstantinopel. Beitr. z. Krieirs-
heilkunde.
oj llotz, Zur Chirurgie «ler Blutgefässe. Beitr. z. Ulin. Chir. Bd. 1)7.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
♦536
II. v. Ilahcrpr,
Digitized by
die Gefiissnaht bei Schussaneurysmen gar nicht nötig sei, ja dass
sie in der Regel eine Spielerei sei, wie Oehlecker (1. c.) sogar
sagt. Andere, wie Honigmann 1 ), halten dafür, dass die Naht
nur selten nötig sei, Rychlick 2 ) meint, dass sie nur bei grossen
Gefässen am Platze sei. Dem gegenüber betont Bier (1. c.), dass
die eine Unterbindung erheischenden Operationen so selten indiciert
sind, dass sie einer Entschuldigung oder Erklärung bedürfen! Diese
wenigen Beispiele aus der Literatur genügen, um zu zeigen, wie
weitgehende Mcinungsdifferenzen heute noch über die Wahl der
operativen Methode bei den Aneurysmen bestehen. Da nun oben¬
drein diejenigen Chirurgen, welche mit der Unterbindung gute Re¬
sultate aufzuweisen haben, darauf hinweisen können, dass wir nicht
wissen, wie oft im Gefolge einer Gefässnaht an der Nahtstelle
eine Thrombose auftritt, die das Lumen wieder verstopft, so ist
es begreiflich, dass alle, welche von der Unterbindung keine üblen
Folgen gesehen haben, diese der Gefässnaht vorziehen wollen. Dass
ein Operateur in der Tat bei einer Serie von Fällen mit der Unter¬
bindung insofern vollen Erfolg erzielen kann, dass er keine Gangrän
erlebt, beweist am besten die von v. Frisch (1. c.) aus dem Balkan¬
feldzug mitgeteilte Serie von 15 Fällen, wobei in dem eben an¬
gegebenen Sinne durchaus ein voll befriedigender Erfolg erzielt
wurde. In ähnlicher Weise ist es ja auch mir bei den ersten 13,
ausschliesslich mit Unterbindung behandelten Fällen ergangen. Ich
glaube aber, dass bei grösseren Zahlen jeder, der nur unterbindet,
Misserfolge durch die Unterbindung erleben muss, und das habe
auch ich bei meinem Material in einem Fall erfahren.
Ob im Anschluss an eine Gefässnaht ein Thrombus auftritt
oder nicht, entzieht sich in der Tat unserer Beurteilung, es ist
auch die Qualität des Pulses peripher von der Nahtstelle kein
verlässlicher Gradmesser dafür. Es frägt sich nur, ob schwerere
Circulationsstörungen, die bis zur Gangrän führen, nach Gefäss-
nähten ebenso oft Vorkommen wie nach Unterbindungen. Das muss
ich nun nach meinen eigenen Erfahrungen absolut verneinen, und
ich habe dabei naturgemäss nur jene Fälle im Auge, bei denen es
sich um Verletzungen von Hauptarterien handelte. Noch eine Ueber-
legung muss hier angeführt werden. Verletzungen der Carotis
communis und der Arteria carotis interna führen fast ausnahmslos
zu vorübergehenden oder schweren dauernden Gehirnstörungen auch
bei jungen Leuten, so dass für dieses Gefässgebiet auch von den
Anhängern der Unterbindungsmethode die Gefahr derselben zu-
1) Hon iirrnan n, Breslauer chir. Ges. 14. 12. 1914.
2) Rychlick, Die Therapie <ler traumatischen Aneurysmen. i>. Kohlt.
tseheeh. Xaturf. u. Aerzte 1914.
Gck igle
Ürigiral from
UMIVERSITY OF IOWA
Krir^sancurvsmon.
637
gegeben werden muss. Hierbei ist sie also unter allen Umständen
der Naht weit unterlegen! Daraus ergibt sich also von selbst,
dass die Naht überall dort, wo sie anwendbar ist, der Unterbin¬
dung vorgezogen werden soll.
Nun liest man in kasuistischen Mitteilungen sehr oft, dass
in dem gegebenen Fall oder den Fällen die Naht wegen des be¬
stehenden Defektes im Gefässe gar nicht in Betracht gekommen
wäre. Mit zunehmender Krfahrung bin ich solchen Konstatierungen
gegenüber immer skeptischer geworden, um so mehr, als ich selbst
offen bekennen muss, dass ich anfänglich sehr oft derselben
Meinung war und jetzt gerne zugebe, dass ich in vielen der Fälle,
bei denen mir die Naht unmöglich erschien, heute bestimmt die
Naht ausführen würde! Man kann sich, ohne es geübt zu haben,
gar nicht vorstellen, dass Arteriendefekte von über 5 cm, einer
exakten und sicher haltenden Naht gar kein Hindernis in den Weg
legen, bis man nicht einmal, durch die Not gezwungen, auch in
solchen Fällen die Gefässnaht forciert! Ganz abgesehen davon,
dass man der Gefässnaht eine ganz gehörige Spannung Zutrauen
darf, ist durch richtige Mobilisierung des centralen und peripheren
Arterienstückes, durch Naht bei gebeugten Gelenken Unglaubliches
zu leisten. Ich werde bei der Besprechung meines Materiales dar¬
auf zurückkoramen.
Hier muss aber ganz allgemein noch eines besonders wichtigen
Punktes Erwähnung getan werden. Es bezieht sich das zu Sagende
auf das weitere Schicksal der Operierten. Wenn wir diesbezüglich
die mit Unterbindung und mit Gefässnaht behandelten Fälle weiter
verfolgen, so ergeben sich sehr eingreifende Unterschiede. Verglichen
seien dabei selbstverständlich zunächst nur Fälle, bei denen es sich
um die Verletzungen von Ilauptgefässstämmen handelte. Da kann
ich nun aus eigener Erfahrung sowohl wie aus dem Vergleich von
Fällen anderer Chirurgen, die mir während des Krieges entweder
zufällig uuterkamen, oder aber deren Dienstfähigkeit ich zu be¬
stimmen hatte, aussagen, dass die mit Naht behandelten Fälle
längst voll diensttauglich waren und keine Spur von Circulations-
störungen aufwiesen, wenn die mit Unterbindung behandelten Fälle
noch immer eine mehr weniger ausgesprochene Cyanose der peri¬
pheren Teile der betroffenen Extremität und eine gewisse Kühle
zeigten, so dass man sie z. B. für den Winterfeldzug nicht als taug¬
lich bezeichnen konnte. Hand in Hand mit dieser objektiven
Beobachtung ging auch ein verschiedenes subjektives Verhalten der
Träger von unterbundenen und genähten Blutgefässen. Während
die letzteren keinerlei Beschwerden klagten, gaben erstere fast
durchwegs in einer oder mehreren Muskelgruppen ziehende Schmerzen
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
(538
H. v. II ab (»rer.
Digitized by
an, die ab und zu auch zu leichten Kontrakturstellungen geführt
hatten, wobei an der unteren Extremität der Spitzfuss vorwiegend
war. Ich halte diese Schmerzen, wie Hotz (1. c.), ebenfalls durch
leichte Circulationsstörungen hervorgerufen. Es ist klar, dass ich
bei dem Gesagten nur unkomplizierte Fälle, die also sicher keine
gleichzeitige Nervcnläsion davongetragen hatten, im Auge habe.
Der Unterschied ist aber ein so auffallender, dass jeder, der Ge¬
legenheit hat, die Fälle nach langer Zeit zu sehen, mir recht
geben wird 1 ).
Es ist sehr interessant, dass man nach der Unterbindung nur
einer Arterie des Vorderarmes, bzw. des Unterschenkels, und zwar
namentlich des letzteren, gelegentlich die gleichen leichten Störungen,
wenn auch in geringerem Grade, feststellen kann, wie ich sie für die
Unterbindung der Hauptarterien geschildert habe, wobei sie ja viel
begreiflicher sind. Es ist also auch von dem eben angegebenen
Gesichtspunkte aus die Naht der Unterbindung vorzuziehen. Ich bin
überzeugt, dass sich zu dieser Ansicht jeder durchringen muss,
der über ein genügend grosses Material verfügt und sowohl die
Unterbindung als auch die Naht verwendet hat. Und um es noch¬
mals zu unterstreichen, mit der Uebung mehren sich die Fälle, in
denen man noch die Naht ausführen kann, Fälle lassen sich aus¬
gezeichnet nähen, die man früher, bei noch geringer Erfahrung,
unter allen Umständen von der Naht ausschlicssen zu müssen ge¬
glaubt hatte.
Ich kann das wohl am besten am eigenen Material zeigen,
wie sich die Auffassung verschiebt. Die 72 von mir operativ be¬
handelten Kriegsaneurysmen zerfallen in 3 Perioden. In der ersten
1) Ich möchte cs übrigens nicht unterlassen, darauf hin/.uweisen, dass
ernste F.rnährungsstörungen nach Fnterbindungen noch nach so langer Zeit ein*
treten können, dass sie der Operateur, wenn er den Fall relativ frühzeitig ab-
schichcn muss, trat* nicht mehr zu (iesicht bekommt. Ich will diesbezüglich
folgenden Fall hier erwähnen: Kadett J. Pf., ‘21 Jahre alt. verwundet am 7. Juli
1915 durch Durchschuss durch das untere Fnde des linken Oberschenkels.
Wurde in Kniin am *2. August 1915 wegen Aneurysmas der Art. pnplitea operiert,
wonach dem Kranken gesagt wurde, dass bei ihm die Arterie genäht worden
sei. Am 2S. September 1915 kam der Kranke in meine Klinik mit beginnender
(iangrän der Zehen. Puls war peripher keiner tastbar, der Patient hatte lanei-
nierende Schmerzen in Wade und Fuss. Die (iangrän nahm langsam zu. und
führte am 50. Oktober 1915 zur Oberschenkclamputation. Die Präparation am
amputierten Deine ergab, dass die Arterie unterbunden war!
Der Fall ist wohl besonders lehrreich dafür, wie spät noch nach der
Arteriemmterbindung schwere rirculationsstürungen mit (iangrän auftreten können.
Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass die operationsnarbe nicht per primam
geheilt war. dass der Kranke aller im Zustande guter (iranulationsbildung an
meine Klinik gekommen war. Mag auch dem I mstande, dass eine prima in-
•entio ausgeb]icben war. eine die (iangrän begünstigende Kollo zufallen, so ist
doch das späte Auftreten derselben dadurch allein gewiss nicht erklärt.
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
639
habe ich 1 ) mit sehr gutem Erfolge 13 Aneurysmen ausschliesslich
mit Unterbindung behandelt, und damals daraus den Schluss ge¬
zogen, dass die Unterbindungsmethode bei den Schussaneurysmen
fast stets genügen wird. Meine Fälle schienen mir weiter zu be¬
weisen, dass die Gefässe durch Schussverletzungen stets so weit zer¬
stört sind, dass eine Naht nur in den seltensten Fällen möglich
sein dürfte.
In der zweiten Periode habe ich 2 ) 29 Aneurysmen zu beob¬
achten und zu operieren Gelegenheit gehabt. Von diesen wurden
16 mit Unterbindung, 13 mit Naht behandelt, und zwar 5 mit
lateraler, 8 mit circulärer Naht. Ich kam infolge der erzielten
Resultate zu dem Schlüsse, dass die Arteriennaht bei Aneurysmen
möglichst oft zu versuchen ist, und dass sie weit öfter ausgeführt
werden kann, als man im allgemeinen bisher angenommen hat.
Immerhin glaubte ich aber auch damals noch, dass die Zahl der
möglichen Gefässnähte eine beschränkte sei.
In der dritten Periode endlich habe ich 30 Aneurysmen operiert,
dabei aber nur in 6 Fällen unterbunden und in 24 die Naht, und
zwar 7 mal als laterale, 17 mal als circuläre ausgeführt. Heute bin
ich der Ansicht, dass man die kleinen Arterien ruhig unterbinden
kann, dass man aber bei allen grösseren Gefässen die Gefässnaht
ausführen soll, und in der Regel auch ausführen kann. Ich glaube,
die Zahlen, die ich hier ohne weitere Erläuterung nur einander
gegenüber stellen wollte, sprechen für sich. Sie zeigen, wie ich
mit zunehmendem Können von selbst die Indikationsbreite der Naht
ausdehnte, und wie die Unterbindungen immer seltener und seltener
werden.
Von ganz allgemeiner Bedeutung sind noch zwei Fragen, die
sich auf die operative Therapie der Aneurysmen beziehen: Die
erste zielt darauf ab, wie wir uns bei gleichzeitiger Venenverletzung,
also bei den verschiedenen Formen der arteriovenösen Aneurysmen,
der Vene gegenüber zu verhalten haben, die zweite beschäftigt sich
mit dem günstigsten Zeitpunkte der Aneurysmenoperationen.
Was die erste Frage anlangt, so ist klar, dass beim rein
arteriellen Aneurysma die unverletzte Vene zumeist abpräpariert
und geschont werden kann, den Chirurgen also nicht weiter inter¬
essiert. Anders beim arteriovenösen Aneurysma, bei dem nicht
nur eine gleichzeitige Verletzung von Arterie und Vene vorlicgt,
1) v. Haberer, Bericht über 13 Aneurysmen aus dem gegenwärtigen
Kriege. Wiener klin. Woehensehr. 1914. Xr. 4G.
2) v. Haberer, Circulare Naht der Carotis communis. Wiener klin. Wochen¬
schrift. 1914. Nr. 4S. — Weiten 1 Krfahru ngen über Kriegsaneurysmen mit be¬
sonderer Berücksichtigung der (iefässnaht. Wiener klin. Wochensehr. 1915.
Xr. 17 u. IS.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
(540
II. v. Halte rer,
Digitized by
sondern bei dem auch in der Regel weit über die Verletzungsstelle
hinaus Arterie und Vene miteinander verwachsen sind. In diesen
Fällen muss also die Vene ebenfalls chirurgisch versorgt werden.
Wer in solchen Fällen als Anhänger der Unterbindungsmethode die
Arterie unterbindet, wird in der Regel mit der Vene in gleicher
Weise verfahren, und es sind sogar Stimmen dafür laut geworden,
dass die Gefahr der Gangrän bei gleichzeitiger Unterbindung von
Arterie und Vene geringer sei, als wenn man bloss die Arterie
unterbindet. Wolff 1 ), Plöger 2 ) und Oehlecker (1. c.) möchte ich
hier citieren, von denen letzterer, wie schon früher angegeben,
überhaupt ein besonderer Verfechter der Unterbindungsmethode ist.
Er rät sogar, bei Aneurysmen die gesunde Vene mit zu unter¬
binden, weil dadurch die Circulationsverhältnisse verbessert werden.
Jene, welche zur Aneurysmabehandlung die Naht vorziehen, können
ebenso wie die Arterie, auch die Vene nähen. Es liegt dies
sogar sehr nahe, weil an der Vene meist eine laterale Naht ge¬
nügen wird. Dass bei genähter Hauptarterie die Ligatur der Vene
nicht schadet, braucht weiter nicht diskutiert zu werden, es sind
also beide Möglichkeiten gegeben. Ich habe stets die Vene central
und peripher vom Aneurysma unterbunden, und dabei nicht den
geringsten Nachteil gesehen. Ich muss sogar vor der Venennaht
warnen und die Unterbindung empfehlen, weil, wie ich schon bei
den Komplikationen der Aneurysmen auszuführen Gelegenheit hatte,
in meinem Material zwei Fälle (8, 62) vorkamen, bei denen die
Vene Thromben aufwics. Die daraus resultierende Eraboliegefahr
ist für mich Veranlassung genug, die Vene beim arteriovenösen
Aneurysma prinzipiell zu unterbinden.
Was nun den Zeitpunkt anlangt, in dem man am besten ein
Schussaneurysma der operativen Therapie unterzieht, so gehen dies¬
bezüglich die Meinungen wohl am weitesten auseinander. Dass die
Anhänger der Ligatur warten wollen, weil sie damit auf die Aus¬
bildung eines besseren Kollateralkreislaufes hoffen, läge nahe, aber
auch bei ihnen ist das Lager geteilt. So sind Kirschner (1. e.)
und Coenen 3 ) für ein möglichst spätes Operieren, während v. Frisch
die Operation schon in der 3. bis 5. Woche nach der Verletzung
rät und mit ßornhaupt 4 ) der Ansicht ist, dass um diese Zeit die
Verhältnisse für die Operation am günstigsten liegen. Ich habe
1,) Wulff. Iliiufiirkrit der Kxtrcmitätcnnrkmse mich rnterhinduni: irrusser
Artericnstämmc. Bcitr. z. klin. Chir. Bd. AS.
2) P I o lt c r. IVbcr traumatische Ancurvsmon. Münch, med. Wnt*hcus<*hr.
15115. Xr. IS).
3) Cm»neu, Hilfscxjicditimi nach (iricchenland. Beiträge zur Kririis-
hrilkunde.
4) Burnhaupt. (icfiissverlctzunijrn und traumatische Aneurysmen. Bcitr.
z. klin. Chir. Bd. 77.
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
K riesxsani’iirvsinen.
641
schon bei Abschluss meiner ersten einschlägigen Arbeit mich voll
und ganz dieser Auffassung angeschlossen; erstens, weil während
des Zuwartens durch längere Zeit der Sack sich unverhältnismässig
vergrössern und damit schon ausgebildete Kollateralen an die Wand
pressen, also illusorisch machen kann, weil er in dieser Zeit auch
weitgehende andere Veränderungen durch Druck wie Xervenschädi-
gung und sogar Usurierung des Knochens herbeiführen kann, und
zweitens, weil, wie ich in einer späteren Publikation (1. c.) ausge¬
führt habe, bei zu langem Zuwarten die Verwachsungen und Schwielen
in der Umgebung des Aneurysmas so intensive werden können,
dass dadurch die Operation unnötig und ungemein erschwert wird.
Der Chirurg, welcher die Naht anstrengt, braucht beim Aneu¬
rysma auch keine drei Wochen mit der Operation zu warten, wenn
er sicher ist, dass keine Infektion vorliegt. Für ihn wird also der
Zeitpunkt der Operation ausschliesslich durch die Möglichkeit einer
aseptischen Operation bestimmt, soweit sie sich nach den früher
angeführten Gesichtspunkten überhaupt entscheiden lässt. So habe
ich in zwei Fällen schon wenige Tage nach der Verletzung operiert
(57, 60), ohne davon einen Schaden zu sehen; in beiden Fällen lag
aber eine strikte Indikation zum raschen Eingriff vor. Das muss
eben überhaupt hervorgehoben werden, dass die freie Wahl des Zeit¬
punktes zum Eingriff in einem sehr grossen Prozentsatz der Fälle
gar nicht in Betracht kommt, sondern dass Komplikationen oder
sehr rasches Wachstum, intensive Schmerzen und dergleichen den
Zeitpunkt der Operation einfach diktieren. Nach alledem stehe
ich heute auf dem Standpunkt, womöglich sehr früh zu operieren
und nur in jenen Fällen zuzuwarten, bei denen eine Infektion
manifest oder nicht ausgeschlossen ist.
Andrerseits kann gerade eine schwere Infektion des aneurys¬
matischen Sackes zum operativen Eingreifen zwingen, weil die Ge¬
fahr einer allgemeinen Sepsis droht. Gerade in solchen Fällen
muss jede prinzipielle Wahl des Zeitpunktes für die Aneurysma¬
operation ausser acht gelassen werden, und müssen dabei ebenso¬
wohl die Anhänger der Früh- wie der Spätoperation zum Messer
greifen. Nur werden die Anhänger der Naht dabei auf eine solche
selbstverständlich verzichten müssen.
Endlich steht für die Therapie der Aneurysmen noch eine
Frage zur Diskussion, die ebensowohl bei der Unterbindung
wie bei der Gefässnaht in Betracht kommt. Soll man die Aneu¬
rysmen mit oder ohne von Esmarch’scher Blutleere operieren?
Auch hier 6tehen sich zwei Ansichten gegenüber, v. Frisch,
Bier und andere fordern für die Operation die Blutleere; Bier
betont, dass man in Blutleere die Seitenäste der Arterie weit
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
II. v. IIaber e r,
Digitized by
«42
besser schonen kann, was natürlich, namentlich wenn man unter¬
binden muss, von grösster Bedeutung ist. Ich habe den Stand¬
punkt vertreten, den auch Zahradnickv jetzt einnimmt, dass
man ohne Blutleere operieren soll. Ich hatte meinerseits immer
den Eindruck, dass man gerade ohne Blutleere weit sorgfältiger
operiert und gerade dadurch Verletzungen von Nebenästen, die man
auch besser sieht, vermeiden kann. Ich habe auch den Standpunkt
vertreten, dass man bei multiplen Aneurysmen in künstlicher Blut¬
leere weit leichter einen Sack übersehen kann, als wenn man ohne
Blutleere operiert. Ich habe nun auch, um mich praktisch zu über¬
zeugen, einige .Male in v. Esmarch’scher Blutleere operiert, konnte
aber keinen Vorteil finden, und operiere jetzt wieder, nach wie vor,
ohne Blutleere. Ich möchte vielmehr den schon angeführten Argu¬
menten, welche meines Erachtens gegen die Blutleere sprechen,
noch drei weitere hinzufügen: Zunächst können wir gerade dort,
wo wir die Blutleere am meisten wünschen würden, beim Aneu¬
rysma der Carotis und der Subclavia, dieselbe nicht anwenden,
und werden uns doch auch bei Iliakalaneurysmen nicht leicht zu
der immerhin gefährlichen Moraburg’schen Blutleere entschliessen.
Warum sollen wir dann gerade bei Gefässen in Blutleere operieren,
wo wir es viel leichter haben? wo wir jederzeit durch Digital¬
kompression, wenn es stärker bluten sollte, auch zum Ziele ge¬
langen? Der zweite Grund aber, den ich gegen die Blutleere als
bisher nicht ausgesprochen ins TretTen führen möchte, scheint mir
noch stichhaltiger zu sein. Gerade wenn wir die Gefässnaht aus¬
führen wollen, halte ich es durchaus nicht für gleichgültig, ob wir
den Eingriff, der doch namentlich in seiner Voroperation, der Prä¬
paration, gelegentlich sehr lange dauern kann, in künstlicher Blut¬
leere vornehmen oder nicht. Ich glaube, dass durch lange Anämi-
sierung die Verhältnisse an der Nahtstelle ungünstig beeinflusst
werden können, dass dabei weit eher eine Thrombose an der Naht¬
stelle auftreten kann, als wenn wir ohne Blutleere operieren. Aus
dieser Ueberlegung heraus lege ich auch die Höpfner’schen
Klemmen immer sehr spät an und lasse sie lieber durch Finger¬
kompression ersetzen. Endlich muss ich drittens nach meinen Er¬
fahrungen über Venenthrombose bei Aneurysmen wegen der Embolie¬
gefahr zur Vorsicht mit der künstlichen Blutleere raten.
Wenn es auch schwer hält, diesen Standpunkt gegenüber dem
gegenteiligen von Bier, der über so ungleich grössere Erfahrungen
verfügt, zu vertreten, so konnte ich mich doch bisher nicht be¬
kehren. Vielleicht lässt sich die Frage aber überhaupt prinzipiell
nicht nach der einen oder anderen Richtung glatt beantworten. Ich
muss ja absolut zugeben, dass z. B. Chirurgen, die noch nicht viele
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Kric^saneurysmon.
643
Aneurysmen operiert haben, sicher gut daran tun, die Blutleere
überall anzuwenden, wo es möglich ist, um bei der langen Ope¬
rationsdauer möglichst Blut zu sparen. Damit komme ich nun
zur Besprechung des eigenen Materiales.
Eigene Beobachtungen.
Wenn ich in den Rahmen der allgemeinen Besprechung mein
eigenes Material einfügen soll, so wird cs sich, da ich bei den
einzelnen Kapiteln bereits entsprechende Beispiele angeführt habe,
im wesentlichen um die eingeschlagene Therapie und die damit
erzielten Misserfolge und Erfolge handeln. Da ich anfangs fast
durchweg unterbunden, später immer mehr und mehr genäht habe,
so verfüge ich über annähernd gleiche Zahlenreihen für beide
Methoden. Dabei möchte ich besonders betonen, dass ich bei den
ersten 13 Unterbindungen keine Misserfolge erlebt habe, dass sich
ein solcher erst vielmehr später eingestellt hat und gerade die
Veranlassung war, die Unterbindung zu Gunsten der Naht einzu¬
schränken. Ich betone dies deshalb, weil der Einwand sonst ge¬
rechtfertigt wäre, dass ich ungleichwertiges Material vergleiche,
solches, bei dem ich noch als Anfänger mit technischen Schwierig¬
keiten mehr zu kämpfen hatte, und solches, bei dem mir bereits
reichlichere Erfahrung und Uebung zu Gebote gestanden hat. Dieser
Einwand sei also damit von vorneherein entkräftet.
Sitz des
Aneurysmas
Zahl
Beh
n
ZJ
andlungs-
lethodc
] i
£ « 15 W
3 s £ =
a
«
o
w
t/2
O
Geheilt
Anmerk ung
Carotis communis .
5
s
1
2 _
5
1 Fall später unterbunden.
Carotis interna . . .
1
—
1
—
1
—
Subclavia.
14
3
0 5
2
12
—
Axillaris.
5
2
2 1 1
5
—
Brachialis.
s
2
1 5
—
8
—
Radial is.
1
—
1
—
1
Iliaca.
3
3
— —
3
—
Femoralis.
18
10
— 8
3
15
1 Fall später amputiert.
Poplitea
4
2
_ 2
—
4
da.
tibialis anlica . . .
4
— 1
4
—
4
—
Tibialis postica . .
4
4
—
4
—
Tibialis ant. u. post.
2
— !
1 1
—
2
—
Maxillaris interna .
1
— i
1
—
1
Temporalis.
1
—
1
1
—
Glutaea.
1
1
1
72 |
25 |
12 35
5
67|
37
□ igitized by Google
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
(-(44 H. v. llabcrcr.
Bei meinem Aneurysmenmaterial von 72 Fällen habe ich 35 mal
unterbunden, in 37 Fällen die Naht angewendet, die 12 mal als
laterale, 25mal als circulare zur Anwendung kam. Vorstehende
Tabelle gibt sowohl die Verteilung der zur Beobachtung gelangten
Aneurysmen nach ihrem Sitz, sowie nach der dabei eingeschlagencn
Therapie und deren Erfolg übersichtlich.
Es zeigt sich, dass ich bezüglich der Verteilung der Aneu¬
rysmen auf verschiedene Gefässabschnittc ein sehr mannigfaltiges
Material zu beobachten Gelegenheit hatte, in dem besonders die
Aneurysmen der Subclavia (14 Fälle) und der Femoralis (18 Fälle)
voranstehen. Danach kommen die Brachialisaneurysmen mit 8, die
Carotisaneurysmen mit 5 Fällen, die übrigen verteilen sich auf ver¬
schiedene Gefässbezirke. Von den 72 Fällen sind 5 gestorben,
67 geheilt. Mit den Misserfolgen wollen wir uns zuerst beschäftigen.
Die Todesfälle betreffen 2 Subclaviaaneurysmen und 3 Aneurysmen
der Femoralis. 4 von den unglücklichen Ausgängen betreffen Unter¬
bindungen, nur ein Fall mit Naht kam ad exitum.
Analysieren wir diese 5 Todesfälle etwas genauer. Es handelt
sich um die Fälle 19, 27, 43, 56 und 66. Zwei von diesen Todes¬
fällen betreffen, wie gesagt, Aneurysmen der Subclavia (19 und 66),
drei, Aneurysmen der Femoralis, und zwar handelte es sich zwei¬
mal um die Profunda femoris (27 und 56), einmal um die Femo¬
ralis nach dem Abgang der Profunda femoris (43).
In Fall 19 handelte es sich um ein schwer infiziertes zwei¬
faustgrosses Aneurysma der linken Subclavia bei einem septischen
Kranken, das schon mehrfach nachgeblutet hatte. Die Verletzung
lag erst ungefähr 3 Wochen zurück, so dass wir wegen des elenden
Zustandes zuwarten wollten, in der Hoffnung, dass die Sepsis ab-
klingen könnte. Unser Vorhaben wurde durchkreuzt durch eine
neuerlich auftretende Blutung, welche sofortiges Eingehen nötig
machte. Es gelang die cenirale und periphere Ligatur der Arteria
subclavia und die Eröffnung und Tamponade des aneurysmatischen
Sackes, ohne dass der Patient weiter Blut verloren hätte. Trotzdem
erholte er sich aus dem Kollaps nicht mehr und starb eine Stunde
nach beendeter Operation.
In Fall 66 lag ein inoperables Aneurysma der rechten Arteria
subclavia vor, wie die Obduktion und schon vorher die versuchte
Operation zeigte. Inoperabel dürfte das Aneurysma durch den
langen Bestand von über 6 Monaten geworden sein. Venen von
einer Weite und Zerreisslichkeit, wie man sie wohl selten sehen
wird, deckten den aneurysmatischen Sack, mit dem sie durch derbe
Schwielen verwachsen waren. Es kam bei der Operation zu schwerer
Blutung, die auch durch die Unterbindung der Arteria anonyma,
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
645
KriogsanVurysmon.
Artcria subclavia und Vena subclavia und Vena jugularis nicht zu
beherrschen war. Der Eingriff blieb unbefriedigend und musste
durch Tamponade beendet werden. Patient starb eine halbe Stunde
nachher.
Lag in dem ersten der geschilderten Fälle die Sache so, dass
wir gegen unseren Willen, durch eine schwere Blutung gezwungen,
bei dem septischen Kranken zum Zwecke der Blutstillung ein-
greifen mussten, wobei die ganz glatt verlaufende Operation keinen
Erfolg mehr hatte, so dass der Fall weder für, noch gegen die
Leistungsfähigkeit der Methode verwertbar ist, so kann ich mir im
zweiten Fall den Vorwurf nicht ersparen, eine Operation forciert
zu haben, die von vornherein sehr aussichtslos genannt werden
musste, die ich aber, einmal begonnen, gewiss in einem früheren
Stadium hätte abbrechen sollen. Liegt mithin im ersten Fall ein
Todesfall vor, der auch durch die sachgemässe und glatt ver¬
laufende Operation nicht aufzuhalten war, so handelt es sich im
zweiten Fall um einen operativen Misserfolg, hervorgerufen durch
falsche Indikationsstellung. Man muss sich eben daran gewöhnen,
dass es auch inoperable Schussaneurysmen geben kann, von denen
man lieber die Hand lässt.
Im dritten Fall (27) lag ein grosses Aneurysma arteriovenosum
der Art. profunda femoris vor, das über 2 Monate alt war, wobei
Ein- und Ausschuss längst vernarbt waren. Nichts deutete auf
eine etwa durchgemachte oder gar bestehende Infektion hin, nur
gestaltete sich die Operation deshalb schwieriger, weil das Aneurysma
— neben arteriovenöser Verbindung lag auch noch ein Aneurysma
spurium der Art. profunda femoris vor t— tief in die Adduktoren-
muskulatur eingegraben, in seinem Sack chronisch entzündlich ver¬
ändert war. Auf Entzündung deutete auch das Verhalten der
Inguinaldrüsen. Leider liess ich diese Symptome ganz unberück¬
sichtigt, und schloss nach der Unterbindung mit Exstirpation des
Sackes die Wunde primär vollkommen. Sekundäre Eiterung machte
die Eröffnung der Naht notwendig, und nun schien alles gut gehen
zu wollen. Da trat plötzlich am 12. Tage nach der Operation
eine schwere Arrosionsblutung auf, die zwar noch beherrscht werden
konnte, doch erholte sich der Kranke nicht mehr und starb 4 Stunden
danach. Die Arrosion lag nicht in der unterbundenen Art. prof.
femor., sondern in der Arteria femoralis. Der Fall beweist das,
was ich früher über die diagnostische Schwierigkeit der Infektion
eines Aneurysmas sagte. Immerhin hätte ich aber die bei der Ope¬
ration Vorgefundenen und geschilderten Veränderungen richtig deuten
sollen. Dann hätte ich drainiert und auf diese W eise wahrscheinlich
den schlechten Ausgang hintanhalten können.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. lieft 4.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
646
H. v. Habe rer,
Digitized by
Im vierten Fall (43) musste ich bei einem schwer septischen
Kranken 25 Tage nach der Verletzung wegen eines zu platzen
drohenden, übergrossen Aneurysmas der Arteria femoralis unter¬
halb des Abganges der Profunda den Eingriff machen. Das
Aneurysma war obendrein durch eine Fraktur des Oberschenkels
kompliziert und unterhielt wütende Schmerzen. Ich habe in diesem
Fall die Arterie genäht, was sich leicht und rasch machen liess.
Sofort waren auch die Schmerzen geschwunden. Trotzdem erlag
der Kranke nach 48 Stunden seiner Sepsis. Vor allem lässt sich
der Einwand erheben, dass ich bei schwerer Sepsis eine Gefäss-
naht ausgeführt habe, und ich habe mir auch selbst diesen Ein¬
wand sofort nach der Operation gemacht. Immerhin glaubte ich
mich im gegebenen Fall doch dazu berechtigt, weil lokal keine
erheblichere Infektion mehr da war, und die Obduktion bestätigte
dies insofern, als eine schwere universale Sepsis vorlag und die Ge-
fässnaht durchgängig geblieben war. Nach allem aber, was ich in den
allgemeinen Betrachtungen gesagt habe, verurteile ich heute doch
unter allen Umständen mein Vorgehen, wenngleich nach dem Obduk¬
tionsbefunde an eine Rettung des Patienten nicht zu denken war. Ich
würde in einem ähnlichen Fall unbedingt mit der hohen Amputation
Vorgehen, zumal man nie wissen kann, ob nicht eine schon weit
fortgeschrittene Sepsis dadurch doch noch günstig beeinflusst wird.
Der letzte Fall (56) endlich war anderwärts wegen eines doppel¬
seitigen Femoralaneurysmas operiert worden. Während nach der
mit Unterbindung ausgeführten Operation das linke Bein in Ordnung
kam, blieben rechts Schmerzen bestehen, die den Patienten nahezu
dauernd an das Bett fesselten. Die in der Höhe des Adduktoren¬
schlitzes gelegene Narbe war sehr druckempfindlich, das Bein
dauernd cvanotisch, und die Untersuchung ergab das Vorhanden¬
sein eines Aneurysmas, das tief liegen musste, und dessen lautes
svstolisches Schwirren am deutlichsten im oberen Oberschenkel-
drittel an der Hinterseite hörbar war. Leider waren von der in
einem Fcldspital ausgeführten Operation keine Daten zu erhalten,
nicht einmal das Datum der Operation selbst, die ungefähr
6 Wochen nach Angabe des Patienten zurücklag. Bei der jetzt
von mir vorgenommenen Operation handelte es sich zunächst um
eine Revision des alten Operationsbereiches, darin bestehend, dass
ich die Femoralgefässe im ganzen Bereich der alten Operations¬
narbe und darüber hinaus auspräparierte. Arterie und Vene waren
in derbe Schwielen und in ein eigentümlich sulziges Gewebe ein¬
gebettet, die Arterie erwies sich bis in den Adduktorenschlitz hinein
überall frei und durchgängig, trug auch in dem ganzen Verlauf
kein Aneurysma. Hingegen war die Vene stark erweitert, im
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Kriegsancurvsiiu'n.
647
Adduktorenschlitz einfach unterbunden und oberhalb der Ligatur
thrombosiert. Ohne sie zu berühren, suchte ich jetzt, da der Sach¬
verhalt eine andere Deutung nicht zuliess, die An. profunda femoris
auf, und komprimierte sie. Sofort hörte das Schwirren auf. Ich
unterband daher die Profunda femoris doppelt und durchschnitt
sie, weil einer ihrer Seitenäste in der Tiefe das Aneurysma tragen
musste, ohne mich um das letztere zu kümmern. Ich hatte bei
der Eigenart des Befundes, den ich bei der Operation im alten
Narbengebiete erheben konnte, nicht den Mut, mehr zu machen,
eine grössere Wunde zu setzen, als unbedingt nötig war. Nicht
zum mindesten bestimmte mich das Vorhandensein der Venen¬
thrombose zu besonderer Vorsicht. Nachdem der Verlauf durch
3 Tage ganz befriedigend war, Schmerzen und systolisches Schwirren
verschwunden waren, trat plötzlich am 4. Tage unter heftigsten
Schmerzen in der Wade, Temperatur bis 40,8° auf, die am nächsten
Tage noch auf 41,3° stieg. Trotz hoher Oberschenkelamputation
war der tödliche Ausgang nicht aufzuhalten, der unter dem Bilde
einer akuten Gasphlegmone eintrat. Die abgesetzte Extremität
erwies die Richtigkeit der Diagnose sowohl über die Art der
ersten, anderwärts ausgeführten Operation (Venen- statt Arterien¬
unterbindung), wie auch darüber, dass das Aneurysma einem Aste
der Profunda femoris angehörte und hart an der Hinterseite des
Oberschenkelknochens sass. Die bakteriologische Untersuchung des
alten Venenthrombus ergab den Gehalt an gasbildenden Bakterien.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die von mir vorgenommene und
indizierte Operation, in einem alten infizierten Gebiete zum Auf¬
flackern der Infektion, und infolge der hohen Giftigkeit der dabei
beteiligten Bakterien zum Tode des Patienten geführt hat.
Der Fall lehrt nicht nur aufs neue, wie schwierig die Ent¬
scheidung werden kann, ob eine Infektion vorliegt oder nicht, denn
vor der Operation war kein Anhaltspunkt dafür zu gewinnen. Er
lehrt auch, dass es nicht zweckmässig ist, wenn Aneurvsmen-
operationen in nicht sehr gut eingerichteten Feldspitälern, von nicht
entsprechend geschulten Aerzten ausgeführt werden. Was der be¬
treffende Arzt im geschilderten Fall gemacht hatte, war völlig
kritiklos. Die Vene einfach mit einer Ligatur zu versehen, weil
man das Aneurysma nicht findet, das weit höher oben an einer
anderen als der freigelegten Arterie sitzt, ist doch absolut zwecklos.
Von den 5 Todesfällen, welche ich absichtlich ganz kritisch be¬
sprochen habe, sind zwei (66 und 27) falscher Indikationsstellung
zuzuschreiben, in den übrigen 3 Fällen war wohl der tödliche
Ausgang nicht hintanzuhalten. Keiner der Todesfälle ist für oder
gegen die Unterbindung bzw. die Naht bei Aneurysmen zu verwerten.
Ui*
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
648
H. v. Habe rer,
Digitized by
Wenn die übrigen 67 Fälle geheilt sind, so ist doch noch zu
betonen, dass ich in 2 Fällen gezwungen war, nachträglich zu
amputieren. Es sind das die Fälle 13 und 18.
Im ersten Fall (13) handelte es sich um ein schwer infiziertes
Popliteaaneurysma, bei dem ich am liebsten wegen des septischen
Zustandes des Patienten, der erst 7 Tage vor der Spitaleinlieferung,
verwundet worden war, sofort die Amputation des Oberschenkels
ausgeführt hätte, wozu der Kranke aber seine Einwilligung nicht
gab. Ich wartete also zunächst zu. Aber 3 Wochen nach der
Verletzung trat bei dem Patienten, der sich kaum irgend erholt
hatte, eine starke Blutung aus dem aneurysmatischen Sack ein.
die längeres Zuwarten nicht gestattete. Ich operierte deshalb unter
centraler und peripherer Ligatur von Arterie und Vene und Aus¬
schälen des infizierten Sackes. In der Folge entwickelte sich bei
dem Patienten ein bis in inguine reichender Eitergang, der mehr¬
fach inzidiert werden musste. Endlich machten Ernährungsstörungen
und anhaltendes Fieber am 20. Tage nach der Aneurysmaoperation
die Amputation im halben Unterschenkel notwendig. Daraufhin
trat vollkommene Heilung ein. Man darf bei diesem schwer septischen
Fall, der eigentlich von vornherein hätte im oberen Drittel des
Oberschenkels amputiert werden sollen, den erzielten Erfolg einen
guten nennen, da dem Patienten ein bewegliches Knie und der
halbe Unterschenkel erhalten werden konnte. Die Unterbindung
hat hier geleistet, was sie leisten konnte, eine Naht wäre in dem
vollkommen vereiterten Operationsgebiet gewiss nicht in Betracht
gekommen.
Anders liegt die Sache im zweiten Fall (18). Hier handelte
es sich um ein Femoralaneurysma oberhalb des Abganges der
Profunda femoris. Wegen intensiver Schmerzen wurde die Operation
schon in der dritten Woche nach der Verletzung vorgenommen.
Die Arterie war in grösserer Ausdehnung- zerrissen, und zwar
handelte cs sich um eine totale Querschnittsläsion. Sie musste
knapp unter dem Poupart’schen Bande und knapp über dem Ab¬
gang der Profunda unterbunden werden. Die Unterbindung wagte
ich deshalb, weil es aus der Profunda stark arteriell blutete, mithin
genügend Kollateralen da zu sein schienen. Trotzdem kam es zur
Gangrän, die mich 3 Tage nach der Operation bestimmte, da sie
erst angedeutet war, die Wunde nochmals zu öffnen, und in den
Defekt der Arterie ein entsprechendes Stück der nebenliegenden
Vena femoralis (in umgekehrter Anordnung, um die Klappenwirkung
auszuschalten) einzupflanzen. Wie aus der Krankengeschichte zur
Genüge hervorgeht, hörte im peripheren Arterienstück nach be¬
endeter Naht die ursprünglich sehr schöne Pulsation nach wenigen
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Krifirsanourvsmcn.
G49
Minuten auf, weil im transplantierten Venenstück das Blut geronnen
war. Seitliche Schlitzung der Vene, Hcrausholen des Thrombus mit
folgender seitlicher Venennaht hatte wieder nur vorübergehend Er¬
folg, 2 Wochen später kam’ es zur Oberschenkelaraputation knapp
oberhalb des Kniegelenkes, worauf dann Heilung eintrat.
Zunächst ist zu bemerken, dass der eben näher geschilderte
Fall meine einzige Erfahrung über Venentransplantation vorstellt,
die natürlich nichts weniger als ermutigend ist. Freilich darf ich
den Versuch der Venentransplantation nicht gleich setzen jenen
Fällen, in denen dieser Eingriff primär ausgeführt wird, weil ich
ja erst 3 Tage nach der Ligatur der Arterie an die Transplanta¬
tion gegangen bin. Zahradnicky mag ganz recht haben, wenn
er behauptet, dass dieser Umstand sicher einen grossen Einfluss
auf die Blutgerinnung in meinem Falle gehabt hat, immerhin aber
war zur Zeit der Transplantation die Vene mit flüssigem Blut ge¬
füllt, und kam aus der Arterie in ihrem peripheren Abschnitt
ebenfalls flüssiges Blut, so dass also die Bedingungen für die
Transplantation eigentlich nicht ungünstige waren. Jedenfalls
könnte ich mich nach dieser Erfahrung nicht leicht mehr zur
Transplantation einer Vene cntschliessen, über deren Unsicherheit
ich mich ja ohnehin oben im allgemeinen Teil geäussert habe.
Der Fall war es aber, der mich bestimmte, die Gefässnaht
von da ab überall, wo eine Ernährungsstörung zu fürchten war,
auszuführen, und ich kann sagen, dass sie bestimmt auch in dem
eben geschilderten Falle primär möglich gewesen wäre. Ich habe
seitdem bei weit grösseren arteriellen Defekten die Naht mit
bestem Erfolg ausgeführt. Damals aber erschien sie mir mangels
entsprechender Erfahrung unmöglich, die Unterbindung des posi¬
tiven Collateralzeichens wegen gestattet.
Ich glaube auch. heute, dass es kein absolut sicheres (’ol-
lateralzeichen gibt, weil nach der erfolgten Unterbindung die Cir-
culation sich noch in unberechenbarer Weise ändern kann.
Der Fall ist ein Misserfolg der Unterbindungsmethode, der
erste, aber auch der einzige, der mir unterlief, denn von da ab
habe ich nie mehr ein Hauptgefäss unterbunden, wenn es nicht
unbedingt nötig war, und an der unteren Extremität hatte ich es
auch wirklich nicht mehr nötig, das Hauptgefäss zu unterbinden,
worin ich einen sehr guten Gradmesser dafür erblicken möchte,
dass man die Naht weit öfter ausführen kann, als man dies auf
Grund weniger Beobachtungen annehmen möchte.
Die Erfolge einzeln zu schildern, die in allen übrigen
65 Fällen durch die Operation erzielt wurden, halte ich nicht für
nötig, sie ergeben sich aus den Krankengeschichten.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
650
H. v. Habt*rer.
Digitized by
Dass ich die circulare Naht mehr als doppelt so oft ausgeführt
habe, wie die laterale, erklärt sich daraus, dass ich sehr oft cir¬
culare Arteriendefekte gesehen, andererseits auch bei weitgehenden
seitlichen Defekten lieber die circulare Naht ausgeführt habe, um
das Gefässlumen nicht zu verengern.
Es ist wohl kein Zufall, dass ich bei der Naht nie einen
durch sie bedingten Misserfolg erlebt habe, wenn ich von einem
gleich zu schildernden Fall absehe, bei dem ich primär hätte
unterbinden können, was sekundär mit Erfolg geschah. Es han¬
delt sich um das eine der 5 genähten Carotisaneurysmen (Fall 48).
Hier lag ein infiziertes Aneurysma vor. Gleich nach der Ver¬
letzung, Schuss durch die rechte Halsseite, war bei dem Patienten
eine linksseitige Lähmung aufgetreten. Patient kam mit infiziertem
Aneurysma am 30. Juni 1915 an meine Klinik und lag hier, weil
wir auf ein Abklingen der Eiterung hofften, bis zum 3. August.
Die Eiterung kam aber nicht zum Stehen, und am besagten Tage
kam es zu einer so schweren Blutung aus dem Aneurysmensack,
dass sofortige Operation nötig wurde. Bei dem langen Bestände
der Lähmungen hätte ich die Carotis einfach unterbinden können,
da ja eine Erholung des geschädigten Gehirnes kaum mehr zu
erhoffen stand. Um bei der Jugend des Patienten, der man ja
ein besonderes Regenerationsvermögen Zutrauen durfte, ja nichts
unversucht zu lassen, habe ich trotzdem die Naht ausgeführt.
Trotz Drainage stand auch jetzt die Eiterung nicht, und es kam
am 9. Tage nach der Operation zu einer Nachblutung, die die
Unterbindung der Carotis communis nötig machte. Da sich in der
Zwischenzeit an den Lähmungen nichts geändert hatte, wäre die
primäre Unterbindung sicher am Platze gewesen. Es trat dann
völlige Heilung ein, die Lähmungen blieben aber weiter bestehen.
Der Fall beweist, dass man bei stärker eiternden Wunden die
Naht nicht ausführen darf, wie das schon im allgemeinen Teil
gesagt wurde. Von einer Spannung der Naht war in diesem Falle
gar keine Rede, die Eiterung hatte zur Arrosion geführt.
Alle übrigen Gefässnähte gaben ein vorzügliches Resultat,
wiewohl, wie aus den Krankengeschichten hervorgeht, leichte, selbst
mittelschwere Infektionen nicht selten noch zur Zeit der Gefäss-
naht vorhanden waren. Hierher gehört vor allem ein Aneurysma
der Carotis communis (60), welches ich schon am 3. Tage nach
der Verletzung trotz eiternder äusserer Wunden zu operieren ge¬
zwungen war, weil es bei raschem Wachstum zu Erstickungs¬
anfällen infolge Verdrängung des Larvnx geführt hatte. Der Sitz
des Aneurysmas und der Mangel jeglicher Ausfallssymptome von
Seiten des Gehirns hatten die Gefässnaht indiziert.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
K riegsaueury smen.
651
Dass die Gefässnaht unter Spannung mit Erfolg ausgeführt
werden kann, dafür könnte ich eine Reihe von Beispielen bei-
bringen. Ich habe wiederholt Defekte von 5 und mehr Centi-
metern der Arterie durch die Gefässnaht ausgleichen können, ohne
den geringsten Nachteil davon zu sehen. Allerdings möchte ich
nochmals darauf aufmerksam machen, dass man die Arterienenden
weithin mobilisieren kann, wenn man sie, ohne ihre Seitenäste zu
verletzen, stumpf aus dem umliegenden lockeren Gewebe aus¬
präpariert. Was dann noch an Spannung übrig bleibt, ist wenig¬
stens teilweise durch richtige Stellung der Extremität unter Beu¬
gung ihrer Gelenke zu korrigieren. Ich möchte hier nur zwei
schlagende Beweise für die Leistungsfähigkeit der Gefässnaht an
der unteren Extremität anführen:
Das eine Beispiel gibt mein Fall 37. Hier musste ich bei
gleichzeitig bestehender Fraktur mit erheblicher Beinverkürzung
und vollständiger Zerreissung der Arteria femoralis, wegen ge¬
fetzter Ränder der Lumina noch etwa 3,5 cm Arterienrohr weg¬
nehmen, und konnte erst dann die circuläre Gefässnaht ausführen.
Wegen schlechter Stellung der Fraktur, die, sollte die Gefässnaht
Wert für den Patienten haben, gleich korrigiert werden musste,
liess ich nach der Gefässnaht, noch bei offener Wunde extendieren,
und da ich sah, dass die Gefässnaht den Zug aushielt, wurde so¬
fort ein Extensionsverband in Suspension und Semiflexion des
Beines angelegt, und derselbe gleich mit 3 kg belastet. Diese
Belastung wurde in der nächsten Zeit noch erheblich vermehrt
und ich erlebte die Freude nicht nur dauernd tadelloser Funktion
der Gefässnaht, sondern auch einer Frakturheilung mit nur 2 cm
Verkürzung. Ich möchte es bei dieser Gelegenheit nicht uner¬
wähnt lassen, dass mich besonders dieser Fall veranlasst hat,
Beugestellungen, die ich den Gelenken zur Entspannung der Naht
gebe, sehr früh wieder aufzuheben, dass ich also etwa vom 6. Tage
nach der Operation an solche Stellungen schon langsam auszu¬
gleichen beginne. Ich lasse auch einen Patienten mit Gefässnaht
in der Regel nicht länger als 14 Tage ruhig liegen, gestatte vom
10. Tage an leichte Bewegungen und lasse nach dem genannten
Zeitpunkt aufstehen.
Der zweite Fall, den ich hier anfiihren möchte, betrifft meinen
Fall 68. Dabei musste ich wegen eines bereits 4 Monate alten
Aneurysmas der Arteria femoralis, wie aus der Krankengeschichte
hervorgeht, nicht nur 5 cm des Arterienrohres resezieren, sondern
auch die Arteria profunda femoris unterbinden. Die circuläre Naht
war also in diesem Falle streng indiziert. Das Collateralzeichen
war auch negativ ausgefallen. Gerade in diesem Falle liess sich
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by
652 H. v. H allerer,
die Arterie, die in recht beträchtliche Schwielen gebettet war, aus
diesem Grunde nicht wesentlich mobilisieren, und die circulare Nähr
stand, trotz Beugung von Hüft- und Kniegelenk unter bedeutender
Spannung. Ich hatte allerdings den Fehler gemacht, die centrale
Höpfner-Klemme nicht nahe genug an das centrale Arterienende
zu legen, sondern Hess sie etwa 10 cm höher die Arterie ab-
klemmen. Der Fehler kam mir erst nach Beendigung der Naht
zum Bewusstsein, während deren Ausführung natürlich der
Assistent die Klemme unter sehr starkem Zug gehalten haben
musste. In dem Moment nämlich, als die Naht beendet war, riss
die centrale Klemme die Arterie ab. Nach entsprechender An¬
frischung der Arterienränder musste ich eine zweite circuläre Naht
ausführen, so dass schliesslich ein 10 cm langes Arterienstück frei
transplantiert war, nachdem dieses Arterienstück keinen Seitenasi
besass. Trotz der in diesem Falle besonders starken Spannung
beider Gefässnähte trat vollkommene Heilung ein. Dabei licss ich
allerdings durch mehr als zwei Wochen Beugestellung in Hüfte
und Kniegelenk beobachten. Der Fall ist nicht nur durch die
freie Transplantation eines längeren Arterienstückes, die ich dabei
unfreiwillig ausführte, sehr interessant, er lehrt vor allem auch,
welche Spannungsverhältnisse man Gefässnähten Zutrauen darf!
Hinzufügen möchte ich nur noch, dass der Fall mir einen
guten Beleg für die Richtigkeit der im allgemeinen Teil aus¬
gesprochenen Ansicht gab, dass bei der Transplantation eines Ge-
fässstückes die periphere Naht nicht so gut funktioniert als die
centrale. Was ich dort für das Venentransplantat annahm, zeigte
hier das Arterientransplantat. Ich konnte mich noch am Ende
der Operation davon überzeugen, dass im eingeschalteten Mittel¬
stück die Arterie genau dieselbe gute Pulsation aufwies, w'ie im
centralen, unveränderten Arterienrohr. Peripher aber von der
unteren Naht pulsierte die Arterie wesentlich schwächer.
Als Beispiel für die Möglichkeit, bei grossen Defekten auch
im Bereiche der Subclavia noch die circuläre Gefässnaht aus¬
führen zu können, verweise ich auf die Krankengeschichte meines
Falles 42.
Ganz allgemein zeigt es sich, dass die Retraktionsfähigkeit
der Arterien mit ihrem Durchmesser zunimmt, so dass man ge¬
rade bei den ganz grossen, also den central gelegenen Arterien¬
abschnitten immer den Eindruck hat, als müsse die Naht unter
besonderer Spannung stehen. Für den weniger Geübten resultiert
daraus, dass er gerade bei diesen Gefässen, bei denen ja die Ge¬
fässnaht besonders indiziert ist, nur zu leicht in den Irrtum ver¬
fällt, die Naht lasse sich nicht anwenden. So hatte ich bei allen
Gck igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Kri(‘<rsaneurvsmcn.
653
Carotisancurysmen, deren ich ja 5 zu operieren Gelegenheit hatte,
und zwar waren es ausschliesslich Aneurysmen der Carotis com¬
munis, ausser im Fall 48, stets den Eindruck, dass die Spannung
eine besonders starke sein werde, die Naht liess sich aber doch
in 3 Fällen (14, 48, 60) ohne erhebliche Schwierigkeiten als cir¬
culare durchführen, zwei Fälle (31, 53) konnten mit lateraler
Naht ohne wesentliche Verengerung des Carotislumens versorgt
werden *).
Das eine Aneurysma der Carotis interna, das ich beobachtet
habe (7), musste allerdings mit Unterbindung behandelt werden,
weil das periphere Ende der Arterie zu kurz war, schon hinter
dem Unterkiefer lag. Hier konnte ich mich zur Ligatur leichter
entschliessen, weil bei dem Patienten die Arterie total zerschossen
war und von der Verletzung an Ausfallssymptome der contra¬
lateralen Körperhälfte bestanden. Es war also, zumal die Opera¬
tion erst 1 , / 2 Monate nach der Verletzung ausgeführt werden
konnte, auf eine Regeneration nicht mehr viel Hoffnung.
Von Subclaviaaneurysmen habe ich 14 zu operieren Gelegen¬
heit gehabt. Zumeist muss man, um entsprechenden Zugang zu
gewinnen, die Clavicula temporär auf klappen. Zwei Fälle (19 und
66) sind gestorben, sie wurden oben näher besprochen, die anderen
sind geheilt. Von den Geheilten sind 3 (15, 23, 24) mit der
1) Ich möchte hier, wiewohl der Fall nicht zu den Kriegsverletzungen
gehört, seiner relativen Seltenheit wegen eines Falles Erwähnung tun, den ich
vor kurzer Zeit zu operieren Gelegenheit hatte, und der das sechste mit Gefäss-
nalit behandelte Carotisaneurysma betrifft. Es handelte sich um einen 45jäh¬
rigen Herrn, der vor 17 Jahren Lues überstanden hatte, der seit einiger Zeit
an einer Geschwulst der rechten Halsseite litt, die ohne äussere Frsache auf-
trat und dem Kranken durch ihr Klopfen Beschwerden machte. Die Geschwulst
wurde von einem Arzte, den er konsultierte, als Drüsengeschwulst aufgefasst.
Fs handelte sich aber in Wirklichkeit um ein Aneurysma verum der Carotis
communis von Grosskirschengrösse. Operation am 28. Februar 191G, nachdem
eine Schmier- und Jodkur ohne Erfolg geblieben war. Die Carotis lässt sich
sehr leicht präparieren, das Aneurysma sitzt an der Carotis communis, knapp
unter dem Abgang der Carotis externa, die noch teilweise in das Aneurysma
einbezogen ist. Die Carotis externa muss deshalb doppelt ligiert und durch¬
schnitten werden, desgleichen die hindernd im Wege stehende Arteria thvreoidea
superior. Dann wird nach Anlegen von Klemmen der dickwandige Aneurvsma-
sack, der seitlich der Carotis aufsitzt, im Niveau der normalen Carotislichtung
abgetragen, und nun wird die laterale Naht mit Wanddoppelung in der Weise
ausgeführt, dass die beiden Wundlefzen übereinandergeschlagen und durch
Nähte fixiert werden. Es lässt sich dies sehr leicht dadurch erreichen, dass
zuerst der innere Wundrand der Carotis an die Intima des äusseren Wund¬
randes einige Millimeter von letzterem entfernt, lumenwärts angenäht, dann
der äussere Wundrand über die Nahtlinie geschlagen und an der Adventitia der
Carotis festgenäht wird. Im ganzen werden 21 Kopfnähte benötigt. Auf diese
Weise bekam das Gefäss eine tadellose anatomische Form, die Heilung vollzog
sich glatt, ohne die geringsten Ausfallserscheinungen. Die histologische Unter¬
suchung ergab ein Aneurysma auf arteriosklerotischer Basis. Ich habe den
Fall der Seltenheit seiner Lokalisation wegen doch hier einfiigen wollen.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
654
H. v. II ab er er,
Digitized by
Unterbindungsraethode behandelt worden, 3 (41, 42 und 45) wurden
circular, 6 (33, 34, 49, 50, 55 und 64) wurden lateral genäht.
Die Operation der Subclaviaaneurysmen gehört zu den schwierig¬
sten, wie ich mit Bier behaupten möchte, namentlich dann, w T enn
sie intrathorakal gelegen sind. Mein schwierigster Fall ist wohl der
Fall 42, der aber gleich den anderen geheilten Fällen ein aus¬
gezeichnetes Resultat zeitigte. Gerade bei den Aneurysmen der
Subclavia linden wir besonders häufig begleitende Plexusstörungen,
welche oft nach der Gefässnaht. ganz schwinden, weil sie nicht
auf begleitende Nervenschüsse, sondern auf Druck von Seiten des
Aneurysmas zurückzuführen sind. Ich will die einzelnen Fälle hier
nicht genauer durchsprechen, alles Wissenswerte findet sich in den
Krankengeschichten. Dass diese Aneurysmen im allgemeinen die
schlechteste Prognose geben, hat Bier schon hervorgehoben, der
bei 9 Operationen 4 Todesfälle hatte. Wenn ich bei 14 Fällen
nur 2 Todesfälle zu beklagen habe, bei denen nach dem oben
Gesagten der eine wirklich ausscheidet, weil der Patient nicht den
Folgen der Operation erlegen ist, so ist das ein bemerkenswert
gutes Resultat. Es läge vielleicht nahe, die Frage aufzuwerfen,
ob dieser Unterschied zwischen den Resultaten bei Subclaviaaneu¬
rysmen zwischen Bier und mir nicht vielleicht doch bis zu einem
gewissen Grade dadurch bedingt sein könnte, dass ich gewohnt
bin, bei allen Aneurysmen ohne künstliche Blutleere zu operieren.
Solche Ueberlegungen haben gewiss keine Berechtigung, da es sich
um Verschiedenheiten im Material oder um einen Zufall handeln
kann.
Von 5 Aneurysmen der Axillaris habe ich nur eines (Fall 2)
mit Unterbindung behandelt, 2 (57, 65) habe ich circulär, 2 (32, 61)
lateral genäht. Von den circulär genähten verdient Fall 57 be¬
sonderes Interesse, weil ich hier trotz noch bestehender Infektion
und trotz gleichzeitigen Hämatothorax gezwungen war, der ganz
enormen Schmerzen wegen schon 8 Tage nach der Verletzung zu
operieren. Die circuläre Gefässnaht gab ein vorzügliches Resultat,
trotzdem ich später wegen des in ein Empyem übergegangenen
Hämatothorax eine Rippenresektion ausführen musste, die ebenfalls
Heilung brachte.
Von 8 Aneurysmen der Arteria brachialis habe ich 5 unter¬
bunden (1, 16, 26, 28, 69), 2 circular genäht (36, 63), 1 durch
laterale Naht versorgt (52). Die Brachialis wird man in der
Regel ungestraft unterbinden dürfen, wenn sie unter dem Abgang
der Profunda brachii vorletzt ist. Sic lässt sich aber, wie mein
Material beweist, meist sehr gut nähen, und die Naht der Bra¬
chialis ist leicht. Da wir nach Unterbindungen oft später leichte
Gck igle
Original fro-m
UNIVERSUM OF IOWA
Circulationsstürungen sehen, wird sich die Naht überall, wo sie
ausführbar ist, empfehlen 1 ).
Die Radialis sah ich nur einmal von einem Aneurysma be¬
troffen. Da dasselbe ganz peripher lag, habe ich es natürlich mit
Unterbindung behandelt, ohne die geringste Störung zu sehen.
An der unteren Extremität habe ich drei Aneurysmen der
Iliaea operiert, und in allen drei Fällen mit der circulären Naht
ausgezeichneten Erfolg erzielt. Ich kenne keine Arterie, die sich
leichter zwecks Vermeidung von Spannung der Naht aus ihrer Um¬
gebung herauspräparieren lässt, als gerade die Arteria iliaea. In
allen 3 Fällen (51, 62, 67) lag das Aneurysma zum grössten Teile
intrapelvin, und da hat zunächst die Präparation der Arterie und
Vene oberhalb des aneurysmatischen Sackes immerhin etwas Un¬
heimliches, weil im Falle des Platzens des Sackes mindestens sehr
erhebliche Schwierigkeiten für den weiteren Verlauf der Operation
erwachsen würden. Es ist mir dieser Zufall, mit dem ich jedesmal
rechnete, glücklicherweise nicht passiert.
Weitaus am häufigsten sah ich Aneurysmen der Femoralis. Ich
habe im ganzen 18 solcher Fälle zu operieren Gelegenheit gehabt.
Dass mir dabei 3 Fälle (27, 43, 56) tödlich verlaufen sind, und in
einem Falle sekundär amputiert werden musste (18), ist oben genau
auseinandergesetzt. Mit Unterbindung wurden 8 Fälle (5, 17, 18,
20, 27, 29, 44, 56) behandelt, die übrigen 10 mit circulärer Naht
(37, 38, 39, 40, 43, 46, 54, 59, 68, 71). Es ist auffallend, dass
gerade bei den Schussverletzungen der Femoralis die Verletzungen
immer so hochgradige waren, dass laterale Nähte dabei nie in Be¬
tracht kamen.
Von den Femoralisaneurysmen sassen 5 über dem Abgang der
Profunda femoris (18, 37, 38, 54, 68). 8 Aneurysmen betrafen den
Hauptstamm der Arterie unter dem Abgang der Profunda femoris
(5, 17, 39, 40, 43, 46, 59, 71). Die Profunda femoris selbst war
5 mal betroffen (20, 27, 29, 44, 56).
Recht schwierig kann sich die Operation der Poplitealaneu-
rysmen gestalten, wenn die Fossa poplitea sehr reichlich von Fett
1) Von den seit Abschluss dieser Statistik operierten Fällen möchte ich
hier einen Fall von ßrachialaneurysma erwähnen, der im Zustande der Blutung
einireliefert, sofort operiert werden musste. Wiewohl in keiner Weise von einer
Anämie des Patienten die Rede sein konnte, liess ich doch eine reine Aether-
narkose ausführen, weil der Patient einen exquisit lymphatischen Habitus darbot.
Kr war erst 19 Jahre alt. Trotv. ganz kurz dauernder, sehr leichter Operation,
während welcher der Patient kein Blut verlor, trat ein echter Xarkosetod un¬
mittelbar nach Beendigung des Eingriffes ein. Die Obduktion ergab einen Status
thymolymphaticus, wir ich ihn in so vollkommener Weise nie ausgebildet ge¬
sehen habe. Der Fall lehrt, wie selbst die reim* Acthernarko.se nicht vor üblen
Zufällen beim Status thymolymphaticus schützt.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
(?56 H. v. liabcrer,
ausgefüllt ist. Dann liegt die Arterie sehr tief und wird von dem
meist sehr grossen Aneurysmasack derart überlagert, dass ihre
Darstellung central und peripher vom Aneurysma auf erhebliche
Unbequemlichkeit stösst. Ich habe 4 solcher Aneurysmen zu ope¬
rieren Gelegenheit gehabt, zweimal unterbunden, einmal circular
genäht. Die Erfolge waren in allen 4 Fällen voll befriedigende,
wenn auch in dem einen Falle (13) der beiden Unterbindungen
(4, 13) später amputiert werden musste. Es ist der früher genau
mitgeteilte Fall, der im Zustande schwerster Infektion eingeliefert
wurde, der ursprünglich sofort hätte der hohen Oberschenkelampu¬
tation unterworfen werden sollen, bei dem schliesslich noch der
halbe Unterschenkel, und damit ein bewegliches Knie hatte gerettet
werden können. Die circulare Naht in Fall 70 war trotz der schon
vorher von anderer Seite ausgeführten Unterbindung der Arteria
femoralis im Adduktorenschlitz, also am Orte der Wahl, streng
indiziert, da das Aneurysma trotz dieser Unterbindung lebhafteste
Pulsation, die Arteria poplitea einen sehr hohen Blutdruck zeigte.
Die Unterbindung hätte sicher hier die Extremität gefährdet. Die
Präparatiön war etwas schwierig, weil der Unterschenkel und Ober¬
schenkel ausserordentlich fettreich waren, und infolge des langen
Bestandes des Aneurvsmas derbe Schwielen bereits vorhanden waren.
Zudem lag neben dem Aneurysma arteriovenosum noch ein eigenes
Aneurysma spurium vor. Trotzdem gelang die circulare Naht sehr
gut und brachte vollen Erfolg.
Besonders schwierig war die Naht in dem vierten Falle von
Poplitealaneurysma (72), und zwar deshalb, weil das untere Ende
der Arterie gerade knapp über der Teilungsstelle der Arteria popli¬
tea in die tibialis antica und postica lag und sich deshalb so gut
wie gar nicht mobilisieren liess. Man konnte kaum eine Höpfner-
klcmmc anlegen. Die circuläre Naht war hier umsomehr indiziert,
als aus dem peripheren Arterienlumen Blut nur rückläufig, nicht
arteriell ausfloss 1 ).
In 4 Fällen von Aneurysma der Arteria tibialis antica (9, 11.
12, 30) habe ich ohne Nachteil die Unterbindungsmethode ange-
1) Ich habe seit Abschluss dieser Statistik noch einen Fall von Poplitcal-
anrurysma mit besinn Frfolgc durch die circulare (iefiissnaht behandelt, wobei
ebenfalls die Naht ganz besonders schwierig dadurch war, dass der periphere
Stumpf bereits im Teilungsgebiet der Poplitea in Tibialis antica und postica
lag und sich aus diesem (irunde nicht mobilisieren liess. Der Fall kam wegen
sehr intensiver Schmerzen schon lo Tage nach der Verletzung zur Operation.
Das vor der Operation vorhandene Fieber fiel sofort nach dem Kingriff dauernd
zur Norm ab. Der Fall ist auch dadurch bemerkenswert, dass bei ihm wie in
zwei anderen Füllen meines Materiales eine ausgedehnte Yoncnthrombose vor¬
handen war. Interessant ist es, dass hier schon D> Tage nach der Verletzung
der Aneurvsmasack voll entwickelt war.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
K riegsan cury s men.
657
wendet, ebenso in 4 Fällen von isoliertem Aneurysma der Arteria
tibialis postica (3, 8, 10, 12).
In zwei Fällen (22, 35) lagen Aneurysmen der Arteria tibialis
antica und postica vor. In einem der beiden Fälle (22) habe ich
beide Arterien nach der Aneurysmenexstirpation unterbunden, ohne
dass irgend welche Circulationsstörungen aufgetreten wären. Im
zweiten Falle (35) wollte ich deshalb nicht unterbinden, weil vor
der Operation in ihren peripher von den Aneurysmen gelegenen
Abschnitten der Puls so gut wie auf der gesunden Seite zu fühlen
war. Aus diesem Grunde habe ich die Arteria tibialis antica seit¬
lich genäht. Der Erfolg war vorzüglich.
Ein Aneurysma der Arteria maxillaris interna (21) wurde in der
Weise behandelt, dass die Carotis externa unterbunden, der Aneu-
rvsmasack eröffnet und tamponiert wurde, wodurch völlige Heilung
zu erzielen war.
Das Aneurysma der Arteria temporalis (25) war selbstverständ¬
lich mit Unterbindung zu behandeln.
Wie ich in dem einzigen Falle von Glutäalaneurysma, das ich
zu beobachten Gelegenheit hatte, vorgegangen bin, habe ich schon
gelegentlich der allgemeinen Erörterungen über die Therapie aus¬
einandergesetzt. Es ist dies mein Fall 47. Ich kann nur noch¬
mals wärmstens empfehlen, nach der Unterbindung der Hypogastrica
auf retroperitonealem Wege das Aneurysma selbst zu exstirpieren.
Die Operation gestaltete sich sehr übersichtlich wegen der Blutleere 1 ).
Das Gesamtresultat lässt sich also dahin zusammenfassen,
dass 72 Aneurysmen operativ behandelt wurden. Davon sind
5 Fälle gestorben, 67 geheilt. Von den Geheilten sind 2 noch
nachträglich amputiert worden, in 65 Fällen brachte die Aneu¬
rysmaoperation Heilung ohne Verstümmelung 2 ).
Ich komme zu der Auffassung, dass die richtige Behandlung
jedes Schussaneurysmas die operative ist. Meine Erfahrungen be¬
stimmen mich zu folgenden Schlusssätzen:
1) Seit Abschluss dieser Arbeit hatte ich Gelegenheit, ein über kindskopf-
grosses Aneurysma der Arteria glutaea superior zu operieren, das seit S Monaten
bestand und einen fast l 1 2 em dicken Sack hatte. Auch liier habe ich un¬
mittelbar nach Unterbindung der Arteria hypogastriea das Aneurysma exstirpiert
und wieder mich überzeugt, dass man da fast blutleer operieren kann. Eine
stark blutende Vene war das einzig störende Element. Eine Operation des
Aneurysmas ohne vorherige Unterbindung der Hypogastriea aber hätte wahr¬
scheinlich in diesem Falle Verblutung im Gefolge gehabt, so ausgedehnt war
die GefässVerletzung.
2) Die angeführten Resultate erreichen wohl nicht die Höhe der von
Küttner erzielten. Kiittner kommt in einem mehr allgemein gehaltenen Yor-
.trage „Meine Erfahrungen in der Chirurgie der grossen Blutgefässstämme" (Berl.
klin. AVoehensrhr.. 1916, Xr. 5 u. 6) auch auf seine Erfolge zu sprechen. Aus
der kurzen Notiz darüber gebt hervor, dass er erst nach der S5. Operation einen
Todesfall erlebte.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
658
II. v. Ha he rer
Digitized by
1. Die ideale Operation jedes Schussaneurysmas ist die Gefäss-
naht.
*2. Die Gefässnaht lässt sich weit häufiger ausführen, als man
zunächst anzunehmen geneigt ist.
3. Die Gefässnaht wird häufiger eine circuläre als eine laterale
sein müssen, weil die laterale bei grösseren, seitlichen De¬
fekten eines Gefässes das Lumen zu sehr einengt und da¬
durch, als ebensowohl durch die grössere Gefahr der Throm¬
bosierung im Nahtbereich die Funktion der Naht gefährdet.
4. Die Gefässnaht ist bei ganz kleinen Arterien, bei deren Unter¬
bindung ein genügender Collateralkrcislauf sichergestellt ist,
nicht indiziert.
5. Es wird immer Fälle geben, in denen auch bei grossen Ar¬
terien mit der Unterbindung vorgegangen werden muss. Ueber-
grosse Defekte im Gefässbereiche, vor allem aber stärkere
Infektion, deren Abklingen nicht abgewartet werden kann,
verbieten die Gefässnaht.
t>. Im Falle der notwendigen Unterbindung soll entweder vom
Sackinneren her, oder ganz hart am Sacke selbst die Unter¬
bindung unter möglichster Schonung der Collateralen vorge¬
nommen werden.
7. Aneurysmen sollen in gut eingerichteten Spitälern, und wo¬
möglich nicht in Feldlazaretten, unter geschulter Assistenz
von einem geübten Chirurgen operiert werden. Es ist dabei
selbstverständlich, dass bei dringender Indikation, wie beson¬
ders bei Blutung und ganz schwerer Infektion das Aneurysma
dort operiert werden muss, wo es eben liegt.
8. Der beste Zeitpunkt zur Operation eines Aneurysmas liegt
zwischen 14 Tagen und 3 Wochen nach der Verletzung, ln
dieser Zeit lässt sich ein Urteil darüber gewinnen, ob eine
schwerere Infektion vorliegt oder nicht, ist das einmal klar,
dann hat längeres Zuw r arten keinen Zweck.
9. Leichte Infektionen lassen sich selbst nach Wochen und nach
vollständiger Wundheilung nicht sicher ausschliessen, sie ver¬
bieten weder die Operation noch speziell die anzustrebende
Gefässnaht, man muss nur in zweifelhaften Fällen vorsichts¬
halber für einige Tage drainicren.
10. Alle Spätoperationen sind durch die mittlerweile entstandenen
Schwielen unnötig erschwert.
11. Aus demselben Grunde sind vorbereitende Massnahmen, wie
Kompression des Aneurysmas, eher schädlich als nützlich.
Sie erzeugen nur Schwielen und entzündliche Veränderung
des Sackes.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
K rieirsaneurvsmen.
659
12. Bei allen Schussverletzungen, welche ein grösseres Gefäss in
ihrer Bahn getroffen haben können, muss man mit der Be¬
urteilung sehr vorsichtig sein, weil selbst noch nach Wochen,
wenn der Patient mehr Bewegung macht, ein Aneurysma
manifest werden kann.
13. Infizierte Aneurysmen können Abscesse Vortäuschen, daher ist
grösste Genauigkeit bei der Untersuchung geboten.
14. Während bei gelungener Gefässnaht der Patient etwa nach
einem Monat als geheilt bezeichnet werden kann, ist das
bei der Unterbindung nicht der Fall, weil hier gerne leichte
Circulationsstörungen sehr lange Zurückbleiben, welche die
Diensttauglichkeit bei grösserer Anstrengung, namentlich aber
im Winter (Erfrierung) in Frage stellen.
15. Die Erfolge der Venentransplantation bei grösseren Arterien¬
defekten sind mindestens fraglich.
16. Die Belastungsfähigkeit einer Gefässnaht ist ausserordentlich
gross, wie die Möglichkeit beweist, eine gleichzeitige Fraktur
unmittelbar nach der circularen Gefässnaht in Extension legen
zu können.
17. Aneurysmen begleitende Nervenlähmungen sind sehr häufig
nicht auf Läsion der Nerven durch den Schuss, als vielmehr
auf Drück von Seiten des Aneurysmas zurückzuführen. Sie
gehen dann meist nach der Aneurysraaoperation zurück.
18. Die Frage, ob man die Aneurysmen in Blutleere operieren
soll oder nicht, lässt sich meines Erachtens nicht prinzipiell
entscheiden, ich operiere sie nach wie vor ohne Blutleere.
Krankengeschichten.
1. Infanterist A. K., 26 Jahre alt, wurde in der Schlacht bei Lublin am
29. August 1914 vorletzt. Sehrägschuss durch den rechten Oberarm. Einschuss
im oberen Drittel entsprechend dem Sulcus bicipitalis, Ausschuss an der Aussen-
soite, in der Mitte des Oberarmes. Die Hand sei ihm sofort eimreschlafen und
herabgesunken. Keine wesentliche Blutung. Nach mehreren Etappen langte
er in Innsbruck am IS. September an. Wunden bereits vollständig vernarbt.
Starke Schmerzen im Arme, Fnmögliehkeit die Finger zu beugen, dabei llyp-
ästhesie und Pariisthesie im Bereiche des ganzen Verbreitungsgebietes des Nervus
medianus. Die genaue l’ntersuelning und Feststellung der nervösen Störung
wurde auf der neurologischen Klinik vorgenommen. Etwas unterhalb des Ein¬
schusses wird im Sulcus bicipitalis ein etwa nussgrosses, stark schwirrendes
A n eurv s m a n ae 1 1 ge w i e se n.
Operation, am 2.‘K September 1914. ergibt, den Nervus medianus in stark
sulziges. zum Teil schon schwieliges dewebe eingebettet, aus dem er sieh aber
sehr leicht hcrausprüparieren lässt. Exstirpation des nussgrossen Aneurysma
aricriovcnosum der Arteria und Vena brachialis. Heilung per primam. Am
9. Oktober die Medianusläsion schon in vollem Rückgänge.
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
660 H. v. Ilaberer.
2. Kusse C. S., 23 Jahre all, verwundet am 14. August 1914. Durelisehuss
durch die linke Schulter und zwar Einschuss vorne im Mohrenlieim'schen Dreieck.
Ausschuss rückwärts, etwa der Mitte des Schulterblattes entsprechend. Auf¬
nahme in die Innsbrucker Klinik am S. September. Wunden vollkommen geheilt.
Lähmung aller vom Radialis versorgten Muskeln am Vorderarm, Parese des Triceps
und Supinator longus. I)a sich diese Lähmungserscheinungen bis zum IS. Sep¬
tember ganz spontan wesentlich zurück bilden, wurde von uns eine Kontusion
des Nervus radialis angenommen. Da plötzlich am 19. September vollkommene
Radialisläh mutig und Auftreten sehr heftiger Schmerzen im ganzen Arm. Wahr¬
schein liehkeitsdiagnose auf Aneurysma der Arteria axillaris, trotz vollständig
negativem Palpationsbefund, der allerdings durch die Schmerzen des Patienten
nicht gut erhoben werden kann.
Operation am 21. September. Völlige Durehrcissung der Arteria axillaris,
walnussgrosses Aneurysma, das nach hinten zu, den Nervus radialis der Länge
nach gespalten und aufgefasert hat. sodass der Sack aus den Nerven heraus¬
präpariert werden muss. Exstirpation tles Sackes, von dem auch noch die übrigen
grossen Armnerven gelöst werden müssen, da sie mit ihm innig verwachsen sind.
Ligatur der Arterie central und peripher vom Aneurysma. Heilung per primam.
Zunächst vollständige Lähmung der Hand, die im Verlaufe der Zeit allmählich
schwindet, sodass der Patient jetzt, am 10. Oktober, bereits alle Finger bewegt.
Henau so wie im zuerst besprochenen Falle keinerlei Ernährungsstörung.
3. Infanterist .1. V., 27 Jahre alt. verwundet am 10. September 1914 in der
Scldaelu bei Grodek. Er traf am 13. September vom Sehlachtfelde in Innsbruck
ein. Er hatte einen Durchschuss durch den rechten Unterschenkel erhalten,
derart, dass der Einschuss knapp unterhalb des Kniegelenkes aussen, der Aus¬
schuss unterhalb der Mitte der Wade an der Innenseite sass. Die Wunden
waren schon beim Eintreffen des Patienten fast geheilt, doch bestanden starke
lanzinierende Schmerzen im Unterschenkel. Im oberen Drittel der Wade fand
sich eine apfelgrosse Geschwulst, die in den folgenden Tagen immer deutlicher
expansive Pulsation zeigte, während nach lind nach der Puls in der Arteria
tibialis postiea vollständig verschwand. An der Diagnose eines Aneurysmas der
Arteria tibialis postiea konnte kein Zweifel bestehen.
Operation am 23. September. Es findet sich ein kindskopfgrosses
Aneurysma der Arteria tibialis postiea, wobei die Arterie knapp unterhalb des
Kniegelenkes aufgesucht werden muss. Ligatur des central und peripher vom
Sacke gelegenen Anteiles der Arterie. Ausräumen des grossen Sackes, der im
wesentlichen von zerwühlter Muskulatur gebildet wird. Die Arterie ist in einer
Ausdehnung von ungefähr 5 cm zu mehr als zwei Drittel ihrer Circumfcrenz
zerrissen. Nach Beendigung der Operation blutet es aus einem venösen Plexus
im Bereiche des oberen Arterienstumpfes sehr stark, so dass eine Reihe von
tiefen Umstechungen nötig werden. Ich hatte gleich die Besorgnis, bei diesem
'teile der Operation auch die Arteria tibialis anterior umstochen zu haben und
tatsächlich pulsierten nach der Operation weder Arteria tibialis antiea noch
postiea. Heilung per primam, ohne dass auch nur vorübergehend Uiivulationsstö-
ningcn aufgetreten wären. Die Schmerzen schwinden bald nach der Operation.
4. Kadett II. Sch., 23 Jahre alt, verwundet am 2S. August 1914 auf dem
nördlichen Kriegsschauplätze. Kam von dort in das Garnisonspital I in Wien und
am 15. September von dort in ein Reservespital nach Innsbruck. Neben einem
queren Durchschuss durch beide Obersehenkel im oberen Drittel, der dem Pa¬
tienten gar keine Beschwerden verursachte, war auch ein querer, bereits voll¬
ständig verheilter Durchschuss im Bereiche des rechten Kniegelenkes und zwar
hinter demselben, ohne Verletzung von Gelenk und Knochen vorhanden. Das
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
K riegsaneury smen.
661
Gelenk in Beugekontraktur, Schmerzen hei dem Versuche zu strecken. Ich sah
den Kranken am 23. September und konnte sofort ein apfelgrosses Aneurysma
der Arteria poplitea nachweisen.
Operation am 25. September. Es findet sich ein faustgrosses, arterio¬
venöses Aneurysma der Poplitealgefässe, welches nicht nur zur Entblössung
des Planum popliteum vom Periost, sondern auch bereits zur Usurierung
des Knochens geführt hat. Der Nervus popliteus, durch schwielige Verwach¬
sungen in den Aneurymasack einbezogen, muss auspräpariert werden. Ligatur
der Arterie und Vene central und peripher vom Aneurysmasacke, sehr schwierige
Ausschälung des letzteren. In den ersten Tagen nach der Operation sind die
peripherstcn Abschnitte der Zehen etwas cyanotisch, doch schwindet dieses
Zeichen leichter Ernährungsstörung sehr bald vollkommen. Heilung per primam.
Am 10. Oktober kann Patient das Bein schon fast vollkommen strecken, die
Kontraktur im Kniegelenk, die selbst in der Narkose nicht zu beseitigen war,
ist also durch Uebung des Patienten geschwunden.
5. Infanterist M. 0., 25 Jahre alt, verwundet am 31. August 1914. Ein Infan¬
teriegeschoss hat ihm den rechten Oberschenkel in dessen oberstem Anteil durch¬
schossen, was zu einer sehr heftigen Blutung geführt haben soll. Die Wunde
des glatten Durchschusses heilte schnell. Am 2. Oktober passierte er auf dem
Wege in die Heimat Innsbruck. Da es sehr auffiel, dass der Patient trotz
vollständiger Heilung seiner Wunden so gut wie gar nicht gehen konnte und
über starke Schmerzen im Bereiche des Nervus obturatorius beim Auftreten,
aber auch in der Ruhe klagte, nahm ich ihn auf die chirurgische Klinik auf.
Es fand sich bei ihm ein geheilter Durchschuss durch das rechte Obersehenkel-
dreieck, handbreit unter dem Ligamentum Poupartii. Ein- und Ausschuss vorne
Das Oberseitenkeldreieek ausgefüllt durch einen kindskopfgrossen, deutlich pul¬
sierenden Tumor, der bei blosser Annäherung des Ohres ein lautes Schwirren
hören liess.
Operation am 3. Oktober 1914. Es gelingt das Aneurysma arteriovenosum
so zu stielen, dass die Arteria femoralis knapp unterhalb des Abganges der
Profunda femoris unterbunden werden kann. Knapp darunter beginnt der grosse
aneurvsniatisehe Sack, der Arterie und Vene in sich begreift. Es muss deshalb
auch die Vene knapp oberhalb des Aneurysmas unterbunden werden. Arterie
und Vene werden auch knapp unterhalb des Aneurysmas unterbunden und dann
kann der grosse Sack, der auf 10 cm den Oberschenkelknochen von Periost
cntblösst hat, exstirpiert worden. In den Sack münden noch 2 daumendicke
Venen, die hart an der Sackwand unterbunden werden. Heilung per primam.
Es kam auch nicht vorübergehend zu Circulationsstörungen, die Schmerzen im
Nervus obturatorius waren mit dem Moment der Operation dauernd verschwunden.
6. Infanterist G. Tseh., 34 Jahre alt, verwundet am 8. September 1914
durch Durchschuss des rechten Vorderarmes. Die Heilung von Ein- und Ausschuss
vollzog sich sehr rasch, so dass der Patient vom Spital in Klagenfurt aus schon
nach 8 Tagen in die Heimat auf Urlaub gehen konnte. Am 10. Oktober suchte
er in Innsbruck um eine Urlaubsvcrlängerung nach, weil er seine Hand noch
nicht gebrauchen könne. Im unteren Drittel des Vorderarmes findet sich auf
der Bcugcscite der Durchschuss vollkommen vernarbt. Der Einschuss lag an
der radialen Seite, der Ausschuss ungefähr in der Mitte des Vorderarmes.
Zwischen beiden findet sich eine pulsierende, taubeneigrosse Geschwulst, die
auf Druck sehr empfindlich ist. Pat. klagt über „elektrisierende“ Schmerzen
bei Streckung des zweiten und dritten Fingers, welch letztere nicht in vollem
Umfange möglich ist. Ausserdem besteht Hyperästhesie und Paräslhcsie im
Bereiche des Nervus radialis superficialis und des Nervus medianus.
Archiv für kl in. Chirurjpe. Bei. 107. Heft 4. 44
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
662
II. v. llaber er
Digitized by
Operation am 12. Oktober. Freilegen des ancurysmatisehen Sackes, der
sich als taubencigrosscs Aneurysma arteriovenosum der Arteria und Vena ra-
diaiis erweist. Der Nervus radialis, Ramus superficialis ist in der Narbe des-
Einschusses festgewachsen, aus der er sich leicht lösen lässt, der Nervus mr-
dianus wird einerseits durch das Aneurysma medianwärts verdrängt, anderseits
ist er mit seiner ulnaren Partie in die Narbe des Ausschusses ein bezogen. Er
wird gelöst und mit einem Muskellappen umscheidet. Exstirpation des aneu-
rysmatisehen Sackes, wobei von Arterie und Vene ein 5 cm langes Stück wegfällt.
Trotzdem pulsiert auch der periphere, unterbundene Stumpf der Arteria radialis
tadellos. Heilung per primam. Nervenfunktion bald in vollem Umfang hergestellt.
7. Infanterist D. \V., 32 Jahre alt, verwundet am 28. August 1914. Ein¬
schuss in die linke Gesichtshälfte, Ausschuss rechte Halsseite. Starke, aber nicht
lange anhaltende Blutung. Vom 9. September bis 3. Oktober in Graz, von wo
Patient auf eigenen Wunsch nach Innsbruck in die Klinik geschickt wurde.
Nach dem Schüsse war Pat. ohnmächtig geworden, und er gibt an, dass er
nach dem Erwachen sogleich bemerkt habe, dass seine linken Extremitäten
„eingeschlafen* seien. Dieses Gefühl besteht seither dauernd. Daneben oft
Schwindelgefühl und dauernder allgemeiner Kopfschmerz. Vom rechten Kiefer¬
winkel abwärts bis in die halbe Länge des Sternocleidomastoideus findet sich
eine kleineigrosse, stark schwirrende Geschwulst, unterhalb pulsiert die Carotis
ganz normal. Nervenbefund: Rechtsseitige Sympathicuslähmung, rechtsseitige
Vagusschädigung (verschluckt sich leicht), Hypästhesic im Bereiche der Haut-
und Schleimhautempfindung der linken Seite. Parese der linken Extremitäten
und des linken Mundfacialis.
Operation am 8. Oktober. Aneurysma arteriovenosum zwischen Carotis
interna und Vena jugularis interna. Freilegung der Carotis communis, die be¬
reits in Schwielen eingebettet ist. Sie ist gedeckt durch die abnorm erweiterte
schwirrende Jugularis interna. Der Aneurysmasack überlagert zum Teil die
Teilung der Carotis communis, lässt sich aber so weit ab präparieren, dass man
noch deutlich sieht, dass die Verletzung im Bereiche der Carotis interna liegt.
Es wird sehr vorsichtig operiert, um, wenn möglich, die Gefässnaht auszuführen.
Es erweist sieh aber das obere Stück der Carotis interna als zu kurz, die Ge-
fässverletzung ist zu ausgedehnt. Unverletzt ist nur jener Teil der Carotis in¬
terna, der schon hinter dem Unterkiefer liegt. Es muss daher auf die (iefäss-
naht verzichtet, und sowohl Arteria carotis interna als auch Vena jugularis in¬
terna reseciert, der Aneurvsmasaek exstirpiert werden. Gleich nach der Ope¬
ration behauptet der Kranke, dass seine Kopfschmerzen geschwunden seien, die
Lähmungserseheinungen der linken Körperhälfte gehen allmählich, aber voll¬
ständig zurück. Heilung per priiuam. (28. Oktober völlig geheilt.)
8. Ilauptrnaim V. F., 38 Jahre alt, verwundet am 7. September 1914 durch
einen Streifschuss in die rechte Wade, und zwar in das obere Drittel hinten
und aussen. Es dürfte sieh um eine Sehrapnellverletzung gehandelt haben, da
aus der Wade ein Stück Haut und Fleisch herausgerissen war. Beim ersten
Verbandwechsel soll rhythmisch rotes Blut aus der Wunde gequollen sein. Die
Wunde hat sehr stark geeitert, ist aber in kurzer Zeit zugeheilt. Während nun
in der ersten Zeit der Patient sein Bein vollkommen gebrauchen konnte, stellten
sich im Laufe der Zeit Besehwerden ein, die der Patient als ein Gefühl schildert,
als hätte er einen Sack in seinem Bein, der sich nach allen Seiten hin erweitere
und drücke. Namentlich beim Gehen und Sitzen ist das Gefühl vorhanden,
weniger beim Liegen. Seit dem 2. Oktober befindet sieh der Patient in meiner
Beobachtung in Innsbruck, und seither ist der Zustand immer schlechter ge¬
worden, obwohl sieh der Patient sehr geschont hat. Er konnte schliesslich nur
Gck igle
Original frorn
UMIVERSITY OF IOWA
K riegsan eu ry s men.
663
mehr mit Krücken gehen, im Kniegelenk stellte sieh allmählich eine Kontraktur
ein. Dabei war äusserlich am Beine nichts wahrnehmbar, keine Schwellung,
kein Oedem, nur der Puls in der Tibialis postica auffallend schwach. Keine
Pulsation, kein hörbares Gefässgeräusch. Ich neigte nach dem Symptomcnbild
doch immer mehr zur Annahme eines Aneurysmas der Tibialis postica.
Operation am 13. Oktober. Typische Freilegung der Tibialis postica.
Es findet sich die Vena tibialis postica vom oberen bis in das untere Unter-
schenkeldrittel vollständig thrombosiert, auf Kleinfingerdicke angeschwollen.
Arteria tibialis postica und Veno unzertrennlich miteinander verschmolzen. Beide
müssen in grosser Ausdehnung reseeiert werden. Das Präparat zeigt einen Riss
in der Arterie, durch welchen diese mit der Vene kommuniziert. Es handelt
sich also um ein Aneurysma arteriovenosum, wobei der Sack kaum über bohnen¬
gross ist, mit sekundärer Thrombosierung der Vene. Heilung per primam. Völlige
Beschwerdefreiheit.
9. Fähnrich T. Sch., 24 Jahre alt, durch Gewehrschuss in knieender Stel¬
lung am 8. September 1914 verwundet. Der Patient wird am 15. September in
fixem Verbände der Klinik eingeliefert. Es findet sich ein Einschuss im unteren
Drittel des rechten Oberschenkels, an dessen Innenseite, klein und reaktionslos.
Ausschuss fünfkronenstückgross, im unteren Drittel des rntcrschenkels, zwischen
Tibia und Fibula. Die rmgebung etwas gerötet, schmerzhaft, die Wunde eitert
sehr stark. Fuss ödematös, Bewegungen im Sprunggelenke sowie die Bewegungen
der Zehen eingeschränkt und unbeholfen. Temperatur 38,3, keine Lymphangitis.
Am 17. September zeigt sich beim Verbandwechsel die Aussenseitc des unteren
Drittels des Unterschenkels halbkugelig vorgewölbt, stark gerötet, welche Er¬
scheinung am 18. September noch zunimmt. Da der Stationsarzt wegen der
stark zunehmenden Eiterung aus der Wunde an eine Erweiterung derselben
durch Ineision denkt, wird mir der Fall vorgestcllt. Auf den ersten Blick im¬
poniert die Geschwulst als circumseripte Phlegmone, doch stimmt dazu weder
die minimal erhöhte Temperatur, noch der Mangel an grösseren Schmerzen. Da
auch jedwede Erscheinung von seiten der Lymphdriisen und Lymphgefässe fehlt,
und die Sekretion aus dem in der Mitte der Vorwölbung liegenden Ausschuss
eine geradezu abundante ist, untersuche ich die Vorwölbung genau und kann
Pulsation nachweisen, womit die Diagnose eines Aneurysmas der Arteria tibialis
anterior gestellt ist.
Operation wegen des rapiden Wachstums der Geschwulst, auftretender
lancinierender Schmerzen und zunehmender Einschränkung der Beweglichkeit
des Kusses am 19. September. Unterbindung der Arteria tibialis anterior ober¬
halb des aneurysmatischen Sackes, exakte Naht der Operationswunde. Exeision
ilcs phlegmonösen Ausschusses und Exstirpation des faustgrossen Aneurysmas,
an dessen peripherster Stelle wieder die Arteria tibialis anterior unterbunden
wird. Tamponade dieser Wundhöhle. Afcbriler Verlauf, sofortige Schmerzfrei¬
heit, die Bewegungen des Kusses kehren rasch in vollem Umfang zurück. Am
10. Oktober kann Pat. mit kleiner granulierender Wunde entlassen werden.
10 . Infanterist F. G., 25 Jahre alt, verwundet durch eine Schrapnellkugel
am 9. September 1914. Er war bis zum 20. September unterwegs im Transport
nach Innsbruck. Er hatte einen Durchschuss durch die Mitte des linken Unter¬
schenkels in annähernd querer Richtung erhalten. Wegen sehr starker An¬
schwellung des Beins und intensiver Schmerzen am 21. September auf die chir¬
urgische Klinik verlegt. Bei der Untersuchung, die infolge besonderer Schmerz¬
haftigkeit auf grossen Widerstand des Kranken st (isst, zeigt sich, dass der Puls
in der Arteria tibialis posterior der linken Seite fehlt. Die pralle Geschwulst in
der Wade pulsiert etwas, der Sehusskanal eitert stark. Fieber um ÖS,5.
44 *
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
664
H. v. Habe rer,
Digitized by
Wegen beträchtlicher Grössenzunahme der Geschwulst und weiterer Zu¬
nahme der Schmerzen Operation am 23. September. Aufsuchen des Stammes
der Arteria tibialis posterior oberhalb des Aneurysmas, was einigerraassen er¬
schwert ist, da die Arterie in sulzig-schwieliges Gewebe eingebettet war. Aus-
räumen des fast faustgrossen Aneurysmasackes, der nach vorne bereits zu einer
leichten Usurierung der periostentblössten Tibia geführt hat. Am unteren Ende
des Sackes wird die stark blutende Arteria tibialis posterior ebenfalls unter¬
bunden. Drainage dureh ein Glasdrain, sonst exakte Naht der grossen Ope¬
rationswunde. Heilung erfolgt bis auf die Drainage per primam. Temperatur
von der Operation an normal, Schmerzen- sofort-nach*der Operation.geschwunden.
11 . Gefreiter S. S., 26 Jahre alt, verwundet am 13. September 1914 durch
Schuss aus einem Revolver. Gelangte in fieberndem Zustande am 20. September
nach Innsbruck. Bei seiner Ankunft 38,S Temperatur. Patient sieht sehr
anämisch aus. Es findet sich unmittelbar unter dem rechten Kniegelenk ein
eiternder Durchschuss dureh die Wade. Schusskanal tamponiert! Da bei an¬
haltendem Fieber am 20. und 26. September je eine sehr heftige Nachblutung
aus dem Schusskanal erfolgt, wird Patient, der auch über zunehmende Schmerzen
klagt, am 28. September auf die chirurgische Klinik verlegt.
29. September Operation wegen des an Grösse zunehmenden Aneurysmas
der Arteria tibialis anterior. Das Aneurysma reicht so hoch hinauf, dass die
Arteria tibialis anterior gerade in ihrem Ursprünge unterbunden werden muss,
was recht schwierig ist, da die Unterbindung hart unter dem Kniegelenk in be¬
trächtlicher Tiefe erfolgen muss. Die Unterbindung peripher, unterhalb des
Aneurysmasackes leicht. Sack selbst faustgross, reicht zwischen Tibia .und
Fibula nach rückwärts bis an die Haut der Wade. Yorne noch ein kleiner,
zweiter Sack. Beide Säcke werden ausgeräumt, und da inficicrt, drainiert.
Heilung per primam bis auf die stark eiternden Drainstellen. Im Anfänge noch
Schmerzen und Temperatursteigerungen, die nach Ablauf weniger Tage voll¬
kommen schwanden.
12 . Korporal K. A., 23 Jahre alt, verwundet am 7. September 1914 durch
Schuss in den rechten Unterschenkel. Einschuss vorne im oberen Drittel. Aus¬
schuss aussen im unteren Untcrschenkcldrittel. Fünf Tage nach der Verwun¬
dung traf der Kranke in Innsbruck ein. Schusskanal eitert beträchtlich. Pat.
klagt über sehr heftige Schmerzen in der Tibia und in der Wade, Gehen und
Stehen unmöglich. Da sich der Zustand des Patienten nicht bessert, wird er
am 3. Oktober auf die chirurgische Klinik transferiert. Unterschenkel stark ge¬
schwollen, lateral von der Mitte der Tibia pulsiert die Geschwulst deutlich.
Operation am 5. Oktober. Die Arteria tibialis anterior muss knapp unter¬
halb des Kniegelenkes ligiert werden, da sich gleich darunter ein sehr grosser
aneurysmatiseher Sack findet, an dessen peripherem Ende, im unteren Drittel
des Unterschenkels, ebenfalls die Arterie ligiert wird. Nach Auslösen des Sackes
tritt eine abundante Blutung auf. Digitalkompression der Arteria femoralis.
Es zeigt sich das Ligamentum interosseum durch das Aneurysma zerstört und
in der Hinterwand des Aneurysmas, die sich nahe der Wadenhaut befindet, zeigt
sich hart an der Tibiahinterfläehc die Arteria tibialis posterior zerrissen. Es
muss also auch die Arteria tibialis posterior im Aneurysmasack central und
peripher unterbunden werden. Dabei zeigt es sich auch, dass die Tibia durch¬
schossen ist. Das Aneurysma hat sich aus zwei, annähernd gleich grossen,
einem vor und einem hinter dem Ligamentum interosseum gelegenen Saek zu¬
sammengesetzt. Beide werden drainiert, der rückwärtige Sack durch Gegcn-
ineision in der Wade. Am zweiten und dritten Tage Fieber bis 38.5: es muss
auch im oberen Wundwinkel noch ein Drain eingeführt werden. Von da ab
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
K r i egsan e u ry s in e n.
665
»febriler Verlauf, Sehnierzen schwinden, keinerlei Ernährungsstörungen. Heilung
per primani bis auf die Drainage.
13. Zugführer F. St., 2(5 Jahre alt, verwundet am 7. September 1914. Sehrap-
nellsteeksehuss mit Einschuss im Bereiche des Adduktorenschlitzes am linken
Oberschenkel. Es soll stark geblutet haben. Patient wurde mit Notverband in
siebentägiger Fahrt direkt nach Innsbruck gebracht. Wegen des-schwer fieber¬
haften Zustandes und schlechten Aussehens Aufnahme direkt an die chirurgische
Klinik. Pat. fiebert bis gegen 39, hat trockene Zunge und sieht sehr mit¬
genommen aus. Dabei bestehen starke Durchfälle. In der Höhe des linken
Adduktorenschlitzes findet sich ein stark zerfetzter Einschuss, Ausschuss fehlt.
Die Wunde eitert ausserordentlich stark und erfordert sehr häufigen Verband¬
wechsel. Es bestehen dabei heftige, auch durch Morphin nicht zu bändigende
Schmerzen ziehender Natur iin ganzen Unterschenkel. Im Bereiche des Ein¬
schusses findet sich ein kindkopfgrosses Aneurysma, das auch noch die ganze
Fossa poplitea ausfüllt und sich hinter dem Femur bis an die laterale Seite
des Oberschenkels erstreckt. Ueberall sehr starke Pulsation. Wegen des aus-
sproehen septischen Zustandes wird zunächst unter Kuhigstellung des Beines
zugewartet, da Patient die vorgeschlagene Ablatio ablehnt. Da erfolgt am
30. September plötzlich eine starke Nachblutung. Deshalb kann nicht gewartet
werden. Mit der Nachblutung kam auch das Projektil aus der Wunde.
Operation am 1. Oktober. Arterie und Vene müssen im Adduktoren¬
schlitz aufgesucht werden. Es findet sich ein kindskopfgrosscs Aneurysma der
Arteria und Vena poplitea, an dessen peripherem Ende Arterie und Vene eben¬
falls ligiert werden. Ausschälen des grossen Sackes, der nach oben das
Planum poplitcum des Oberschenkels usuriert hat. Daneben findet sich auch
ein Durchschuss durch den Oberschenkelknochen im Bereiche der Kondvlen.
Arterie und Vene sind total zerrissen, Gogenincision an der lateralen Seite
des Oberschenkels, Tamponade der Wundhöhle. Drainage nach beiden Seiten.
Noch am Tage der Operation färbt sich die erste bis dritte Zehe blau und es
kommt im Bereiche derselben schon am nächsten Tage zu einer scharfen De¬
markationslinie. Bis dahin bleibt das ganze Bein vollkommen ernährt. Das
Fieber hält indessen an, weshalb ich am dritten Tage nach der Operation die
ganze Wunde öffne, ln der Folgezeit wird es noch nötig, einen bis in die
Inguinalgegend reichenden subkutanen Eitergang zu incidieren, aber die Wund¬
heilung vollzieht sieh unter kräftigen Granulationen und das Bein behält seine
Ernährung. Die Sohlcnhaut bis in die Zehen hinein ist tadellos ernährt, Pat.
kann sogar die Zehen gut bewegen, so dass vielleicht auch liier bloss eine
oberflächliche Ernährungsstörung zustande kommt. 15. Oktober muss wegen
anhaltenden Fiebers und heftiger Schmerzen die Enukleation im Chopart’schen
Gelenk vorgenommen werden. Die Absetzung erfolgt überall im ernährten Ge¬
biete. Doch zeigen sieh die Venen thrombosiert, so dass aus diesem Grunde
wie auch wegen der intensiven Schmerzen in der Wade einige Ineisionen am
Unterschenkel vorgenommen werden, die sehr gut bluten.
17. Oktober. Das Fieber hält an. Eine Blutuntcrsuehnng ergibt Steri¬
lität des Blutes. Der plantare Lappen ist gut ernährt, es blutet auch etwas
durch, die Ineisionen der Wade beginnen zu granulieren und zu bluten, Fieber
schwankt noch immer zwischen 3S und 39,
20. Oktober. Fieber weiter anhaltend, dabei Zunge feucht, Puls gut.
Im Bereiche der Malleolcn beginnt Nekrose der Haut, im Bereiche der hier am
15. Oktober ausgeführten Incisionen beginnt die Muskulatur zu nckrotisieren.
Daher Ablatio in der Mitte des Unterschenkels, woselbst die Arterien pulsato-
risch spritzen und auch die Venen intensiv bluten. Zum erstem Male sinkt
nach diesem Eingriffe die Temperatur auf 37,4.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
666
H. v. Habe rer,
Digitized by
Der präparierte ablaticrto Teil des Unterschenkels zeigt die Arterien frei,
die Venen ausgedehnt thrombosiert. Die Muskeln bereits in Nekrose. Ktwa
handbreit wurde die Absetzung in vollständig normalem Gewebe vorgenommen.
Ich hätte die Obersehenkelamputation ausgeführt, wenn der Patient seine
Einwilligung dazu gegeben hätte, um ganz sicher zu geben. Nach den Kr-
nährungsverhältnissen aber dürfte die Amputation im halben Unterschenkel
genügen, zumal hier auch die Venen durchgängig sind (28. Oktober in voller
Heilung). Ist Februar 1915 geheilt entlassen worden.
14 . 8. St., 25 Jahre alt, wurde am 28. August 1914 in der Sehwarni-
linie durch einen Gewehrschuss verletzt, wobei der Einschuss fingerbreit ausser¬
halb des linken Nasenflügels erfolgte. Der Schuss ging durch den Oberkiefer,
durchbohrte den Mundboden der rechten Seite und der Ausschuss kam in dir
Mitte des rechten Musculus sternoeleidomastoideus zu liegen. Die Blutung-
soll angeblich nicht stark gewesen sein. Ausser einer leichten Heiserkeit und
Steifigkeit des Halses hat der Patient nichts Abnormes wahrgenommen.
Der Patient lag dann längere Zeit in einem Militärspital, wo er darauf
aufmerksam gemacht wurde, dass er ein Aneurysma der Carotis dextra habe,
das operiert werden müsse. Da er von der Geschwulst nichts anderes be¬
merkte, als dass sie stark schwirre, wollte er von der Operation nichts wissen,
obgleich die Anschwellung seiner rechten Halsseite immer mehr und mehr
zu nahm.
Ich sah den Kranken zum ersten Male am 24. Oktober, wobei sofort eine
stark pulsierende Geschwulst seiner rechten Halsseite in Ganseigrösse auffiel.
Der aufgelegte Finger fühlte ein ausserordentlich starkes Schwirren, so dass
an der Diagnose eines Aneurysma arteriovenosum nicht gezwcifelt werden
konnte. Die Geschwulst lag am Halse so hoch und reichte so weit medialwärts,
unter leichter Verdrängung des Larynx nach links, dass ich ein Aneurysma
der Arteria carotis externa annahm und das um so mehr, als trotz der be¬
trächtlichen Grösse des Aneurysmas gar keine Ausfallssymptome von Seiten der
eontralatcralen Körperhälfte bestanden.
Die einzigen Symptome, die Vorlagen, waren die einer Vagusschädigung
(Heiserkeit) und einer unverkennbaren Heizung des Sympathieus der betroffenen
Seite, da die rechte Pupille weiter war als die linke.
Operation am 2f>. Oktober 1914 in der klinischen Vorlesung. Ineision
vom rechten Unterkiefcrwinkcl beginnend, bis in das Jugulum herab, längs des
vorderen Randes des Musculus sternoeleidomastoideus.
Hautblutung auffallend stark. Der grosse aneurysmatische Sack, der in
der Mitte des Sternoeleidomastoideus beginnend bis unter den Unterkieferwinkel
reicht, gehört der unheimlich geblähten Vena jugularis interna an, welche die
Carotis zunächst infolge ihrer Erweiterung vollständig zudeckt. Die Klärung
der Situation ist zunächst durch ausgedehnte entzündliche Schwielenbildung,
welche den aneurysrnatischen Sack nach oben und unten weit überschreitet,
sehr erschwert. Endlich gelingt es, die Carotis communis in ihrem Stamme
weit unten im Jugulum freizulegen und hier für alle Fälle eine Fadenschlinge
um das Gefäss zu führen, welche im Falle stärkerer Blutung jederzeit zugezogen
werden konnte. Dadurch kann auch mit mehr Ruhe jetzt die Isolierung der
Vena jugularis interna und Carotis oberhalb des aneurysrnatischen Sackes vor¬
genommen werden. Es gelingt schliesslich eine tadellose anatomische Präpara¬
tion, welche zeigt, dass sowohl die Carotis interna als auch die Carotis ex¬
terna. frei von der Verletzung geblieben sind, während die Carotis communis,
und zwar etwa 1 cm unterhalb ihrer Teilung in breiter Verbindung mit dem
aneurysmatischen Sack steht, der, wie sich zeigt, nur zum Teile von der Vena
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Kriegsaneurysmen.
667
]iiirularis interna gebildet wird, nach hinten, wirbelsäulenwärts, als Aneurysma
spurium sich ausbreitet. Vene und Arterie werden nun, nachdem je eine
Höpfner-Klemme central und peripher die Carotis abklemmt, von einander
getrennt. Dabei muss die periphere Klemme nahezu die Teilungsstelle der
Carotis fassen, weil das Aneurysma eben knapp unter der Teilung am Stamm
der Carotis communis sitzt. Die Vene zeigt ein so grosses Loch, das nach
hinten direkt in das Aneurysma spurium überhöht, dass es am zweekinässig-
sten ist, die Vene samt dem Aneurysma zu exstirpieren, nachdem sie vorher
central und peripher unterbunden ist. Durch den aneurysmatischen Sack hin¬
durch zieht, mit ihm unzertrennlich verwachsen, Nervus vagus und Nervus
sympathicus, so dass ich nicht anders konnte, als beide Nerven in grosserer
Ausdehnung zu resezieren. Nur dadurch war es nämlich einwandsfrei möglich,
die wirbelsäulcnwärts verlagerte Arteria carotis communis so weit zu mobili¬
sieren, dass der Defekt ihrer Wand genau übersehen werden konnte.
Letzt (Ter stellte sich als (‘in bis auf einen 1 mm breiten Saum an der
medialen Wand der Carotis circularer dar, und es zeigte sich weiter, dass ein
Stück der Wand der Carotis ganz fehlt, weil die Drücke zwischen centralem
und peripherem Lumen, bei einer Breite von, wie gesagt, etwa 1 mm die
Längi 1 von etwa 1 J) cm hatte. Die Länder der beiden Lumina waren derart
gefetzte, dass ich von beiden noch ein Stück resezieren musste, und so kam
schliesslich ein 3 cm langer Defekt des Arterienrohres zustande, der nur an
der Innenseite durch eine 1 mm breite, 3 cm lange Spange überbrückt war.
Ich habe diese Spange zunächst absichtlich nicht weggesclmitten, weil ich nicht
wusste, ob ich sie nicht bei dm* folgenden (iefässnaht brauchen könnte. Unter
starker Neigung des Kopfes nach der kranken Seite gelang es nach ausgiebiger
Mobilisierung des centralen Abschnittes der Carotis communis die (iefässlumina
so weit zu nähern, dass die circulare (iefässnaht mittels zwölf Kopfnähten an¬
gelegt werden konnte. Nach Beendigung derselben lag die ursprünglich ge¬
schonte schmale (iewebsbriieke als zarte Schlinge an der Innenseite, neben der
circularen (iefässnaht. Mehr als die Naht in einer Schiebt war wegen der
Spannung infolge des ausgedehnten Defektes nicht möglich. Schon wollte ich
die überflüssig erscheinende, bisher, wie gesagt, absiehtlieli erhaltene Schlinge
wegschneiden, als ich doch lieber früher die peripher angelegte Höpfnersche
Klemme abnahm. Da zeigte es sich, dass aus der vorderen Halbcireumferenz
der Carotisnaht an 2 Stellen Blutung auftrat, l’nd nun kam mir die erhaltene
Schlinge sehr zustatten, denn sie ermöglichte mir eine l'ebernähung der Gefäss-
naht, wozu ich sonst anderes Material, etwa Fascie, hätte nehmen müssen.
Nach dieser Uebcrnähung stand die Blutung sofort und trat auch nicht mehr
auf, als ich die central liegende Höpfner’sehe Klemme entfernte. Nach Ab¬
nahme der Klemme fingen Carotis communis im Bereiche der Naht und ebenso
Carotis interna und externa normal zu pulsieren an, ein Zeichen, dass die
Naht durchgängig war. Im Bereiche der circularen (iefässnaht wurde die
Carotis communis nun noch durch einen Muskellappen aus dem Sternooleido-
mastoideus umseheidet und darauf die Hautwunde durch Klammern geschlossen.
Aus dem untersten Wundwinkel leitete ich den um die Carotis communis ge¬
legten, aber nicht geknüpften Faden heraus, den ich zur Sicherheit wegen der
Möglichkeit einer Nachblutung zunächst liegen liess. Verband des Kopfes mit
Neigung auf die kranke Seite.
Als der Patient aus der Narkose erwachte, war er stark heiser und die
vor der Operation bestandene Pupillendifferenz hatte sieh umgekehrt, in¬
sofern jetzt die rechte Pupille wesentlich enger war als die Linke. Die Arteria
ternporalis der operierten Seite pulsiert ebenso kräftig wie die der linken Seite.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
668
II. v. Ha he rer,
Digitized by
ln den nächsten Tagen wird die Pupillendifferenz noch deutlicher, dazu kommt
auch eine Andeutung von Enophthalmus. Ausfallserscheinungen der linken
Körperhälfte traten auch nicht vorübergehend ein, auch subjektiv hatte der
Pat. zu keiner Zeit irgendwelche Sensationen seiner linken Körperhälfte. Am
vierten Tage entfernte ich den zur Sicherheit um die Carotis gelegten Faden,
am sechsten Tage die Hautklammern, es war bei afebrilem Verlauf Heilung-
per primam eingetreten. Der Puls in der Tcmporalis ist auf beiden Seiten
für den tastenden Finger gleich geblieben, eine am zwölften Tage nach der
Operation vorgenommene, vergleichsweise durchgeführte Blutdruckbestimmunir
in beiden Temporales nach der v. Hasch'sehen Methode ergibt kaum einen
Unterschied zwischen rechts und links, ein Weniges ist der Druck in der
rechten Tcmporalis geringer. (Das gleiche Ergebnis hatte eine zu späterer Zeit
ausgeführte vergleichsweise Blutdruckmessung.) Jetzt wird der Kopf vom Pat.
bereits ganz frei nach allen Seiten bewegt, frei gegeben haben wir ihn vom
achten Tage nach der Operation an. Die Stimme des Pat. bessert sich all¬
mählich, wie wir das aueli nach Keeurrcnsverleizungen bei Strumaoperationen
sehen. Pat. geht bereits herum und fühlt sich völlig gesund. Im Bereiche der
Carotisnaht ist keine abnorme Pulsation zu tasten, die Carotis pulsiert wie die
der anderen Seite. Der Patient kann nunmehr in den nächsten Tagen in seine
Heimat abgehen. (Beobaehtungsdauer drei Wochen nach der Operation, er hat
am 16. November geheilt die Klinik verlassen.) Ein Jahr nach der Operation
ausgezeichnetes Befinden, rechte Carotis wie linke.
15. J. K„ Infanterist, 26 Jahre alt, verwundet am S. September 1914
durch Schuss. Einschuss 2 Querfingcr unter der linken Clavieula in ihrem
äusseren Drittel, Ausschuss entsprechend dem äusseren Scapularrande links.
Drei Tage nach der Verletzung setzte eine allmählich zunehmende Lähmung
der linken oberen Extremität ein. In einem Spitale in Ungarn untergebracht,
wurden bei dem Patienten passive Bewegungen, Massage und elektrische Be¬
handlung versucht, der Kranke danach auf Urlaub (!) entlassen. In Innsbruck
zuriiekgehalten, wurde der Kranke in das klinische Reservcspital aufgenommen.
Es fand sich eine über faustgrosse, pulsierende Vorwölbung der linken Mohren-
heinrschcn Grube, über welcher auskultatorisch ein überaus intensives Rauseiten
und Sausen nachweisbar war. Auch die linke Achselhöhle herab bis zur
vierten Rippe war von einer pulsierenden Geschwulst ausgefüllt. Die linke
obere Extremität, mit Ausnahme der Brust-Armmuskeln, motorisch vollkommen
gelähmt, schwere llypästhcsie bis Anästhesie vom oberen Drittel des Oberarmes
an abwärts. Faradisch sämtliche Muskeln der oberen Extremität, mit Aus¬
nahme des Musculus deltoideus, unerregbar. Puls in der Braehialis und Ra¬
dial is nicht tastbar.
Operation 4 Tage nach der Spitalsaufnahmc am 4. November 1914.
Der über mannskopfgrosse Aneurysmasaek reicht bis an den Angulus seapulae
nach hinten, durch die Axilla bis in die Mitte des Oberarmes. Es muss die
Clavieula temporär durchsägt werden, um die Subclavia central vom Aneurysma
aufsuchen zu können. Die Subclavia selbst ist auf etwa 8 cm vollkommen
zerstört, fehlt im Bereiche des Aneurysmas. Sie muss central und peripher
vom Aneurysma unterbunden werden, wobei das periphere Arterienende tBra¬
ehialis) stark arteriell blutet. Ausräumen des von einer unglaublichen Menge
Uoagula erfüllten Sackes und Drainage desselben am Angulus seapulae, als
dem tiefsten Punkte. Naht der Clavieula.
Während der Heilung treten leichte Decubitalgesehwüre der Haut durch
den Verband auf, die aber relativ rasch heilen. Stärkere Ernährungsstörungen
der Extremität treten auch nicht vorübergehend ein. Die Nerven des Plexus
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Kri e gs a n c u ry smcn.
669
bracJiialis verliefen, wie sich hei der Operation gezeigt hatte, sämtlich durch
die schwielige Wand des aneurysmatischen Sackes, konnten mühsam gelöst
werden und erwiesen sich in der Kontinuität nicht getrennt. Trotzdem hat sich
die Motilität in den vom Plexus versorgten Gebieten bis heute nicht eingestellt,
ln der allerletzten Zeit beginnen Fingerbewegungen.
16 . A. F., Infanterist, 29 Jahre alt, verwundet am 28. August 1914.
Schuss durch den rechten Oberarm mit Fraktur an der Grenze zwischen oberem
und mittlerem Drittel. Sehr starker Blutverlust. Er wurde wegen seiner
Fraktur in Ungarn behandelt und dort vom Arzte aufmerksam gemacht, dass
er sich wegen eines Aneurysmas operieren lassen müsse. Zu dieser Operation
wurde er in das klinische Rcservespital in Innsbruck am 5. November 1914,
als der Schusskanal bereits vollständig vernarbt und die Fraktur ausgehcilt
war, aufgenommen. Der Einschuss findet sich an der Vorderseite- des Ober¬
armes im oberen Drittel, der Ausschuss hinten, knapp neben der Achselfalte.
An der Frakturstelle findet sich eine deutliche Stufe mit starker Callusbildung,
der Arm weist eine Verkürzung zon 1,5 em auf. Im Bereiche des Schuss-
kanalc& ein sehr ausgedehntes, arteriovenöses Aneurysma mit deutlichem Ge-
fässsohwirren. Radialispuls nicht tastbar. Hand stark eyanotiseh.
Operation am 6. November 1914. Das Aneurysma sitzt knapp unter
dem Abgänge der Artcria profunda huineri, welche mithin geschont werden
kann. Der Sack ist mit der Frakturstcllc schwielig verwachsen, in seiner
Wand verlaufen die Armnerven, die sieh alle unschwer auspräparicren lassen.
Die Vene ist bis zu einer Klappe in der Mitte des Oberarmes sehr stark ge¬
bläht, von da nach unten enge. Da die Artcria profunda liumeri geschont
werden kann, wird die Gefässverbindung von Arterie und Vene reseziert, mit
centraler und peripherer Ligatur der Gerfassenden. Der Sack wird exstirpiert.
Glatte Heilung. Schon am Tage der Operation ist der Radialispuls tastbar.
17 . F. V., Dragoner, 28 Jahre alt, verwundet am 22. Oktober 1914.
Schräger Durchschuss durch beide Oberschenkel. Links findet sich im Bereich
des Ein- und Ausschusses eine je handtellergrosse granulierende Wunde an der
Aussen- und Innenseite des Oberschenkels, etwa in dessen Mitte, rechts sind
Ein- und Ausschuss verheilt. Die eine der beiden Schussnarben entspricht genau
dem Adduktorenschlitz. Hier findet sich distal von der Hautnarbe eine faust-
grosse, deutlich pulsierende Geschwulst, deren Pulsation auf Kompression der
Artcria femoralis unter dem Poupart'schen Bande stellt. Peripher der Puls
in der Dorsalis pedis gut palpabel. Motilität des Beines nicht wesentlich be¬
einträchtigt.
Operation am 13. November 1914. Freilegen des ancurysmatisehen
Sackes. Die Gefässverletzung sehr ausgedehnt, entspricht gerade dem Verlaufe
der Arterie durch den Adduktorenschlitz. Centrale und periphere Ligatur,
Exstirpation des aneurysmatischen Sackes. Heilung per primam. Bein auch
nicht vorübergehend in .seiner Ernährung gestört, ist nach erfolgter Wundheilung
voll gebrauchsfähig.
18 . St. 0., Infanterist. 33 Jahre alt, verwundet am 29. Oktober 1914.
Durchschuss durch den rechten Oberschenkel derart, dass der Einschuss der
Mitte des Poupart’schen Bandes entspricht, während der Ausschuss in der Mitte
der Glutäalgegend liegt. Er hatte vom Momente des Schusses an sehr heftige
lanzinierendc Schmerzen im rechten Beine, das er aus diesem Grunde auch in
Beugestellung halten muss. Im Oberschenkeldreieck findet sieh ein klein faust-
grosses, typisches Aneurysma.
Operation am 14. November 1914. Es finden sich um das Aneurysma
herum schwere entzündliche Verwachsungen, die Inguinaldrüsen alle gerötet und
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
-670
II. v. Habe rer,
Digitized by
geschwellt. Arterie in grösserer Ausdehnung zerrissen, muss central in der Höhe
des Poupart'sehen Bandes, peripher knapp oberhalb des Abganges der Profund»
femoris unterbunden werden. Da es aus letzterer stark arteriell blutet, wird
die Unterbindung gewagt, um so mehr, als so ausgesprochene entzündliche
Veränderungen im Opcrationsbereiehe vorgefunden worden sind. .Sack exstirpiert.
Gleich nach der Operation ist das Bein sehr blass, die ursprünglich noch mög¬
lichen Bewegungen der Zehen schwinden im Verlaufe von 24 Stunden. Durch
Wechselbäder, Heissluft und Blutegel scheint sich die Ernährung im weiteren
Verlaufe von 24 Stunden zu bessern, .doch hält diese Besserung nicht an, so
4 lass ich mich drei Tage nach der Operation entschliesse, nochmals die Wunde
zu öffnen, um eine Vene als Zwischenstück einzuschalten. Diese Operation
führte ich am 18. November aus. Da sich centraler und peripherer Arterien¬
stumpf stark retrahiert hatten, musste ein 10 cm langes Stück transplantiert
werden. Ich wählte dazu die unmittelbar benachbarte Vena femoralis, deren
Aeste vorerst alle sorgfältig unterbunden worden waren. Dann wurde die Vene,
um die Klappenwirkung auszuschalten, umgekehrt in den Arteriendefekt oin-
gepflanzt, was sich wegen der grossen Aehnlichkeit der Lumina sehr leicht
ausführen liess. Nach Abnahme der Hopfner-Klemmen blähte sich die Vene
spindelförmig auf, pulsierte stark, und schon schien alles in bester Ordnung,
da auch die Arterie peripher tadellos pulsierte und in ihrem Bereiche die Haut¬
wunde gut zu bluten anfing. Während hier nun die nötige Blutstillung vor¬
genommen wurde, beobachtete ich durch etwa fünf Minuten das Verhalten des
Implantat es. Es hatte sieh an der Pulsation gar nichts geändert, als ganz
plötzlich, nach Ablauf der genannten Zeit, jede Spur von Pulsation wie mit
einem Schlage aufhörte. Die Palpation ergab, dass in der Vene das Blut ge¬
ronnen war. Ich schlitzte deshalb die Vene, zog den Thrombus heraus, vernähte
durch seitliche Naht das Venenloch, es trat sofort wieder Pulsation ein. Aber
schon nach kurzer Zeit wurde die Pulsation wieder schwächer und ich schloss
die Operation mit dem sicheren Gefühl, dass die Cireulation durch die trans¬
plantierte Vene nicht in Gang kommen werde. So kam es auch. Am 1. Dezember
mussten wir die Oberschenkelamputation knapp oberhall) des Kniegelenkes aus-
fiihren. Danach trat Heilung ein.
19. H. H., Offiziersdiener, 22 Jahre alt, verwundet am 20. Oktober 1914.
Schuss in die linke Schulter von hinten mit Schrapnell, und Durchschuss durch
•die rechte Ferse. Die Kugel aus der Sehultcrwunde soll dem Patienten von einer
nebenstehenden Person mit den Fingern entfernt worden sein. Auf dem Trans¬
port nach Innsbruck soll es zu einer sehr schweren Blutung aus der Sehultcr¬
wunde gekommen sein, die aber auf Tamponade stand. Hier kam der Patient
zunächst in ein Keservespital, wo sieh diese Blutung wieder in abundanter
Weise wiederholte, weshalb »der Kranke in äusserst anämischem Zustand und
hoch fiebernd in meine Klinik transferiert wurde. Es fand sich bei dem sehr
blassen Kranken mit fliegendem, schwachem, «likrotem Puls eine sehr stark
eiternde Wunde an der Hinterseite der linken Schulter über der linken Achsel¬
falte, Temperatur 39. Die linke Fossa infraclavieularis ist von einem faust-
grossen, stark .schwirrenden, pulsierenden Tumor eingenommen. Links oben ist
<l?ts Atemgeräuseh der Lunge von dem Geräusche des Aneurysmas gans verdeckt.
Audi der Schuss durch die rechte Ferse eitert stark. Die Temperaturen halten
auch in den nächsten Tagen an und zeigen einen ausgesprochen septischen
Typus. Wegen des septischen Zustandes konnte ich mich bei dem elenden
Kranken nicht gleich zur Operation entschliessen, zumal augenblicklich die
Blutung stand. Am 15. November kam es abermals, diesmal jedoch zu einer
ganz leichten Blutung, die den Typus der septischen Blutung hatte. Trotzdem
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
K riegsaneurysmen.
671
kollabierte der Kranke sofort und musste mittels Herzmittel anfgcpulvert werden.
Als am IS. November aber wieder eine ganz abundante Blutung auftrat, war es
klar, dass man nicht länger zuwarten könne und den Versuch der wenn auch
sehr wenig aussichtsreichen Operation machen müsse.
Nachdem sich der Kranke in den nächsten Stunden scheinbar etwas erholt
hatte, nahm ich die Operation vor. Es musste die Clavicula aufgeklappt
werden, um an den centralen, nicht verletzten Teil der Arteria subclavia heran-
zukommen. Trotzdem bleibt die Hräparalion in dem eiterig-infiltrierten (iewebe
ausserordentlich schwer. So gelingt cs endlich central und peripher vom Aneu¬
rysma die Arteria zu unterbinden. Der Sack, der sich als fast zweifaustgross
erweist, wird eröffnet und von den vereiterten Coagula .befreit. Blutung fast
keine. Ausgiebige Drainage beendet den Kingriff. Trotz aller angewendeten
Excitantien und trotz intravenöser Infusion von Kochsalz ist das schwindende
Leben nicht zu erhalten, es tritt ungefähr eine Stunde nach beendeter Operation
der Exitus letalis ein.
Die Obduktion ergibt: Schwere Anämie. Phlegmone des Oberarmes der
linken Seite und Phlegmone der Ferse rechts. Spitzentuberkulose beider Lungen.
Pleuritis adhaesiva. Akuter und follikulärer Milztumor. Hcrzdilatation. Schwel¬
lung aller Drüsen.
20 . F. V., Infanterist, 22 .Iahre alt, verwundet am 17. November 1914.
Schuss in den rechten Oberschenkel, nach welchem sofort Bewusstlosigkeit ein¬
trat. Patient langte schon nach 10 Tagen in Innsbruck ein. Ks handelt sich
um einen Steckschuss, wobei der Einschuss im Bereiche der grossen Oberschenkel-
gefässe etwa Ö Finger breit unter dem Poupart'sehen Bande gelegen ist. An
der Innenseite des Oberschenkels bis herab zum Hunterschcn Kanal findet sich
ein fast kopfgrosses Aneurysma, über dem deutliche Pulsation besteht und lautes
Schwirren zu hören ist. Nach dem Böntgenbefund liegt die Kugel nahe der
Haut der Kniekehle.
Ks bestehen so intensive Schmerzen im Oberschenkel und so schmerzhafte
Muskelkontraktionen, dass ich schon am 28. November die Operation ausführe.
Sorgfältige, sehr mühsame Präparation ergibt, dass es sich um ein Aneurysma
der Arteria profunda femoris handelt, wobei die Arterie gerade dort, wo sic
bereits das Femur überkreuzt hat, ein daumengrosses Loch aufweist. Da der
Hauptstamm der Arterie intakt ist, wird die Arteria profunda central und
peripher von ihrer Verletzung unterbunden, der Aneurvsmasack ausgeräumt,
wobei auch die Kugel unschwer gefunden und entfernt werden kann, dann der
grosse Sack am tiefsten Punkte nach hinten (trainiert. Es erfolgt glatte Heilung.
21 . J. N., Landesschütze, 29 Jahre alt, verwundet am 18. Oktober 1914.
t^uersehuss durch den Gesichtsschädel mit Einschuss links knapp vor der Ohr¬
muschel unter dem Processus zygomaticus und Ausschuss rechts etwas tiefer
unter dem Kicfergelenk. Kiefersperre und Schmerzen in einer dem Einschuss
entsprechenden, nussgrossen, deutlich pulsierenden Geschwulst. Die Pulsation
wird auch bei der Palpation vom Munde her deutlich wahrgenommen.
Operation am 3. Dezember 1914. Es zeigt sich, (biss cs sich um ein
Aneurysma der Arteria maxillaris interna handelt, dem man nur durch Unter¬
bindung der Carotis externa und Tamponade des Sackes beikommen kann.
Heilung glatt. Eine nach der Operation unverkennbare Parese des oberen
Eacialisastes bessert sich allmählich.
22 . H. W., 21 Jahre alt, Patrouillenführer. Verwundet am 29. Oktober
1914. Hat handbreit unter dem rechten Kniegelenk einen Durchschuss durch
die rechte Wade erhalten. Einschuss knapp neben dem Fibulaköpfchen, Aus-
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
672
H. v. Habe rer
Digitized by
schliss hart an der medialen Tibiakante. War zuerst drei Tage in Krakau, dann
durch drei Wochen in Prag. Wegen der schon damals beträchtlichen Schwellung
der Wade wurde dem Patienten intensive Bewegung geraten, die er aber wegen
Funktionsstörung des Beines (Behinderung der Beugung und vollkommenen
Streckung) nicht ausführen konnte. Am 5. Dezember 1914 wurde der Kranke
in Innsbruck im klinischen Reservespital aufgenommen. Es findet sich eine
mächtige Schwellung der ganzen Wade bis in die Fossa poplitea hinein. Diese
ganze Schwellung pulsiert und schwirrt auf das deutlichste.
Operation am 9. Dezember 1914. Es findet sich ein kindskopfgrosses
Aneurysma spurium und arteriovenosum gerade an der Teilung der Arterie in
die Arleria tibialis anterior und posterior. Beide Arterien verletzt, die vordere
Arterie derart, dass es hier zu einem Aneurysma arteriovenosum gekommen war.
Beide Arterien müssen central und peripher unterbunden werden, was hier
wegen der Lage der Gefässe einige Schwierigkeit bereitete. Die über daumen¬
dicke Vena tibialis antica muss reseziert werden. Durch das grosse Aneurysma
spurium, das exstirpiert wurde, war bereits die hintere Tibiafläche arrodiert
worden. Drainage. Die Heilung erfolgte glatt, ohne jede auch nur vorüber¬
gehende Cireulationsstorung.
23 . J. F., 34 Jahre alt, Infanterist. Verwundet am 28. Oktober 1914.
Schuss in die rechte Achselgegend, Einschuss vorne, entsprechend der Achsel¬
falte, Ausschuss hinten, entsprechend der hinteren Achselfalte. Schwere Schä¬
digung sämtlicher Armnerven, fast; alle Beweglichkeit in der oberen Extremität
aufgehoben. In den peripheren Arterien fast keine Pulsation nachweisbar. Ein
Aneurysma nicht mit Sicherheit zu diagnostizieren.
Operation am 4. Januar 1915. Nach mühsamer Lösung ausserordentlich
derber Schwielen findet sich ein etwa 7 cm langer Plexusdefckt. Central er¬
scheinen drei zwiebelartig angeschwollene Plcxusstümpfe, peripher finden sich
die degenerierten, peripheren Stümpfe von Radialis, Medianus und Ulnaris. ln
der Arleria subclavia findet sich ein ebenso langes Stück durch einen spindel¬
förmigen Aneurysmasack ersetzt, der aber nur mehr mit Seitenästen in offener
Kommunikation sieht, so dass eine Unzahl von Einzelligaturen nötig sind, ehe
man den Sack exstirpieren kann. In zwei der centralen Plcxusstümpfe gelingt
es, nach entsprechender Anfrischung peripher abgespaltene Brücken des Medianus
und Ulnaris einzupflanzen. Heilung per primam. März 1915 hat sich die Xervcn-
funktion noch nicht gebessert, Ernährung der Extremität normal.
24 . J. 0., 23 Jahre alt, Infanterist, verwundet am 22. Oktober 1914. Ein¬
schuss ober- und innerhalb der linken vorderen Achselfalte, Ausschuss medial
vom linken Schulterblattrand. Sofort nach dem Schuss war die Extremität ge¬
lähmt. Laut neurologischer Untersuchung bestand beim Patienten zur Zeit der
Spitalsaufnahme — auch dieser Kranke war schon längere Zeit beurlaubt! —
eine motorische Lähmung im Musculus cutamms, Medianus und Ulnaris, partielle
Lähmung im Radialis. Dementsprechend auch sensible Lähmung. In Brachialis
und Radialis fehlt der Puls. Hin Aneurysma nicht mit Sicherheit nachweisbar.
Operation am 5. Januar 1915. Die Arteria subclavia ist durch ein Aneu¬
rysma auf 4,5 cm unterbrochen, welches eine ausserordentlich derbe, schwielige
Wand aufweist, in welche die Armnerven eingebettet sind. Von ihnen ist nur
der Ulnaris so sehr verändert, dass eine Kontinuitätsresektion von 3 cm mit
folgender Nervennaht nötig wird, die übrigen Nerven erscheinen nach ihrer
Lösung in einem Zustande, der eine Resektion nicht rechtfertigen würde*. Es
finden sich in der Umgebung des Aneurysmas ausserordentlich viele und grosse
Venen, die sehr stark bluten und unterbunden werden müssen. Nach Exstirpa¬
tion des aneurysmatischen Sackes muss die Arterie, die offenbar total durch-
Gck igle
Original from
UNIVERSITÄT OF IOWA
Kriegsaneurysmen.
673
schossen war, zentral und peripher unterbunden worden. Heilung erfolgt per
primam ohne Ernährungsstörung.
25. A. L., 24 Jalire all, Landessehiitze, verwundet am IS. Oktober 1914.
Seliuss in <lie rechte Gesichtshälfte mit teilweiser Zerstörung der Ohrmuschel,
llaselnussgrosses Aneurysma des Stammes der Arteria temporalis und kirsch-
kerngrosscs, davon unabhängiges Aneurysma des hinteren Astes der Arteria
temporalis.
Operation am IS Januar 1915. Exstirpation beider Aneurysmen mit
centraler und peripherer Ligatur der Arterien. Heilung per primam.
2C>. A. M., 37 Jalire alt, Landsturmmann, verwundet am 14. Oktober 1914.
Schräger Durchschuss durch den rechten Oberarm. Einschuss im Sulcus bieipi-
talis internus, in Höhe der vorderen Achselfalte, Ausschuss unter der Mitte des
Oberarms auf der dorsalen Seite. Gleich nach dom Schuss sei Schmerz im He¬
reiche der Beugeseite des Vorderarms aufgetreten, der zweite und dritte Finger
waren von dem Moment ab gefühllos und konnten nicht mehr gebeugt werden,
ln das klinische Reservespital in Innsbruck abgegeben am 19. Januar 1915. Es
bestellt eine ausgesprochene Mediannsparcsc. Hand eyanotisch, in Itadialis und
1'Inaris kein Puls tastbar.
Operation am 23. Januar 1915. Der Nervus medianus ist durch Schwielen
und abgosprengton Knochen umscheidet und in die Wand eines über haselnuss¬
grossen Aneurysmas der Arteria brachialis ein bezogen. Central und peripher
vom Aneurysma ist die Arterie durch knorpelharte Gerinnsel auf etwa 1,5 cm
vollständig verstopft, so dass also der stark arteriell blutende Sack nur mehr
durch Iudlateralen gespeist war. Exstirpation des •aneurysmatischen Sackes,
Aushiilsung des Nervus medianus und Entscheidung mit intaktem Muskelgewebe.
Heilung per primam. Keine Ernährungsstörung.
27. J. IL. 29 Jahre alt. Infanterist, verwundet am 14. November 1914.
Schuss durch die linke (iesässhaeke mit Ausschuss in inguinc links, knapp
unter dem Poupart'sehen Bande. Daselbst ein Aneurysma arteriovenosuin von
beträchtlicher Grösse. Zur Operation dem klinischen Reservespitalc am 20. Januar
1915 übergehen. Ein- und Ausschuss verheilt.
Operation am 25. Januar 1915. Es findet sich ein tief in die Adduk¬
torenmuskulatur eingegrabenes, schwer entzündlich verändertes Aneurysma von
Apfelgrössc, ausgehend von einer seitlichen Verletzung der Arteria profunda
femoris, daneben noch eine arteriovenöse Verbindung zwischen dieser Arterie
und der benachbarten Vene. Die Drüsen in inguine akut entzündlich verändert.
Recht mühsame Aushiilsung des »Sackes, centrale und periphere Ligatur von
Arterie und Vene. Leider habe ich ohne Drainage die Wunde vernäht. Es kam
zu einer Eiterung, welche die sekundäre Eröffnung der Naht nötig machte, und
schon schien alles erledigt, der Patient fühlte sich ganz wohl, als plötzlich am
<>. Februar eine Arrosionsblutung auftrat, die aus der in der Wunde frei liegenden
Arteria femoralis stammte. Ich konnte die Blutung beherrschen durch Enter¬
bindung des (iefässes im Bette, und in den nächsten Stunden erholte sich der
Patient zusehends. Vier Stunden nach der Blutung musste Patient erbrechen,
kollabierte dabei und starb innerhalb weniger Minuten. Die Obduktion zeigte
die seitliche Arrosion der Arteria femoralis, die wir schon gelegentlich der Enter¬
bindung feststellen konnten.
2H. J. P„ 32 Jahre alt, Infanterist, verwundet durch Schuss am 23. No¬
vember 1914. Einschuss unter der Mitte der rechten Clavieula, Ausschuss
rechte hintere Achselfalte. Seit dem Schuss sei die rechte Hand gelähmt. Es
seien bald sehr starke Schmerzen im Arme aufgetreten, die sogar die Naeht-
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
674
]1. v. Habe rer,
Digitized by
ruhe raubten. Kam in das klinische Rescrvespital am 5. Februar 1915. Neuro-
logiseh findet sieh eine schwere Läsion des Nervus radialis und musculoeutaneus.
Opcration am S. Februar 1915. Die beiden Nerven zeigen dort, wo sir
durch den Schusskanal verlaufen, derbe kolbige Anschwellungen, die reseeiert
werden. Naht beider Nerven und Umscheidung der Nähte mit Fascie. Bei der
Lösung des Radialis aus den Schwielen zeigt sich, dass er mit einem kirschen-
grossen Aueurvsma der Arteria profunda brachii innig verwachsen ist. Resektion
des aneurysmatisehen Sackes mit Unterbindung der Arterie central und peripher.
Heilung per primam.
29. Tm. K., ;12 Jahre alt, Russe. Verwundet am 10. Dezember 1914 durch
(iewehrsehuss. Einschuss links vier Querfinger unter dem Trochanter major.
Ausschuss an der Innenseite des linken Oberschenkels. Der Schuss durchquerte
auch das rechte Bein, setzte den Einschuss an der Innenseite vier Querfinger
unter dem Perineum, den Ausschuss an der Aussenseite des Oberschenkels in
fast derselben Höhe. Pat. lag nur einen Tag nach der Verletzung und konnte
von da ab gut umhergehen, die Wunden heilten sehr rasch. Am achten Tage
nach der Verletzung spürte er beim Gehen plötzlich Schmerzen im rechten Knie,
sehr bald darauf klopfende Schmerzen in den oberen Partien des rechten Ober¬
schenkels, musste sich zu Bette legen und das Bein in der Hüfte gebeugt halten.
Die Schmerzen nahmen immer mehr zu, und gleichzeitig sei das Bein im oberen
Drittel des Oberschenkels sehr stark angeschwollcn. Von da ab leide er an
sehr starken ausstrahlenderi Schmerzen in der ganzen rechten unteren Extremität,
und die Geschwulst nehme auch immer mehr an Umfang zu. Ich nahm den
Patienten gelegentlich einer Inspektionsreise nach Salzburg aus einem dortigen
Spital an meine Klinik nach Innsbruck mit. Es bestand ein bis an das Perineum
heranreichender mannskopfgrosser Tumor, der nicht nur zu starker Beugung im
Hüftgelenke, sondern auch zu sehr starker Adduktion des Oberschenkels geführt
hatte. Pulsation des Tumors nur undeutlich, Puls in den peripheren Arterien
sehr deutlich.
Operation am 11. Februar 1915. Sie gestaltet sich sehr schwierig wegen
intensiver Verwachsungen. Bei der Präparation der grossen Gefässe in inguinc
reisst die Gabelung der Arteria femoralis beim Abgänge der Profunda femoris
etwas ein, so dass liier zwei Gefässnähte nötig sind, worauf die Blutung sofort
steht. Das mannskopfgrosse Aneurysma, das mit seiner Sackwand bis auf die
Haut der Hinterfläehe des Oberschenkels reicht, ist ausgegangen von einer
Schussverletzung eines grossem Astes der Profunda femoris. knapp nach ihrem
Ursprung. Unterbindung central. Umstechung peripher. Ausräumendes mächtigen
Sackes, Drainage nach der Hinterseite des Oberschenkels. Heilung per primam.
Patient kann nach 14 Tagen tadellos umhergehen. Pie Beugekontraktur ist zu
dieser Zeit schon vollständig behoben.
*10. A. W.. 25 Jahre alt, Infanterist, verwundet am 21. August 1914.
Schräiiscluiss fast durch die* ganze Aussenseite des linken Unterschenkels. Ein¬
schuss knapp unter dem Fibulaköpfehen, Ausschuss im unteren Drittel hart an
der Tibiakante. Nach dreiwöchiger Behandlung war Patient mit stark ge¬
schwollenem Unterschenkel auf Urlaub entlassen worden. Da aber die Schmerzen
in seinem Beine nicht schwanden, Pat. gar nicht gehen konnte, und sieh schliess¬
lich auch ein Kältegefühl in dem verletzten Bein einstellte, so wurde» er neuer¬
lich Spitalsbchandlung zugeführt, ln meine Klinik kam der Kranke, sonst ein
ausserordentlich kräftiger Mann, am 7. März 1915! Es fand sieh ein die ganze
Aussenseite* des Unlcrsehenkels einnehmendes Aneurysma der Arteria tihialis
ant iea.
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
K ri egsa n e a ry s m o n.
675 -
Operation am S. März 1915. Apfelgrnsses Aneurysma, dessen Operation
ausserordentlich schwierig wird durch derbste Verwachsungen und Schwielen uni
den Sack herum. Centrale und periphere Unterbindung der Arterie mit Sack¬
exstirpation. (Hatte Heilung.
31 . M. G.. 31 Jahre alt. Landsturmmann. Verwundet am 27. Oktober
1914. Kr hatte neben einem rasch heilenden Durchschuss durch den linken
Unterschenkel auch einen solchen durch den Hals erhalten, und zwar lag liier
der Einschuss links neben dem Kehlkopfe, der Ausschuss in der rechten Supra-
<*la\iculargrube hinter dem Sternoeleidomastoidcus. Die starke Blutung aus der
llalswunde hatte sofort nach der Verwundung eine länger dauernde Ohnmacht
zur Folge. Am 16. November 1914 langte der Kranke im klinischen Reserve-
spitale in Innsbruck ein, und damals waren alle Schusswunden, bis auf den
Ausschuss am Halse, der noch eiterte, verheilt. Entsprechend der rechten
Carotis, bis hoch gegen den Kiefer reichend, findet sieh eine eigrosse, stark
pulsierende und schwirrende Geschwulst, die auch recht druckempfindlich ist.
Keinerlei Ausfallserscheinungen.
Operation am 17. November 1914. Dieselbe ist durch den vorhandenen.
Kropf des Patienten nicht unerheblich erschwert. Zudem ist der rechte Schild¬
drüsenlappen stark durchblutet und mit der Umgebung verwachsen, als Aus¬
druck seiner Verletzung durch den seinerzeitigen Schuss. Endlich gelingt es,
tief im Jugiilum die Carotis communis und die Vena jugularis freizulegen und
um beide Gefässe provisorische Ligaturen, die nicht zugezogen werden, zu
schlingen. Die Vene ist besonders stark geschwellt und zeigt arterielle Pulsation,,
als Ausdruck eines Aneurysma arteriovenosmn. -Die weitere Präparation des
aneurysmatischen Sackes, die sieh infolge entzündlicher Verwachsungen sehr
schwierig gestaltet, ergibt, dass der Sack bis unter den Unterkiefer nach auf¬
wärts reicht, so dass schliesslich nach peripherer Ligatur der Vena jugularis
die Eröffnung des Sackes zwecks Klärung der Verhältnisse nötig wird. Jetzt
zeigt sieh, dass die Kommunikation zwischen Arterie und Vene im Bereiche der
Carotis communis ziemlich nahe ihrer Teilung in die Carotis externa und interna
liegt. Nach Anlegen einer Höpfnerklemme peripher an der Carotis und Digital¬
kompression des centralen Carolisabsehnittes wird zunächst die Vena jugularis
auch kopfwärts unterbunden. Dann zeigt sich, dass die Verletzung der Carotis
communis in der medialen und hinteren Arterienwand sitzt und ein über bohnen¬
grosses Loch vorstcllt. Dieser Defekt lässt sich in Form einer lateralen Naht
durch zehn Knopfnähte sehliessen. Sofort nach beendeter Naht funktioniert die¬
selbe vorzüglich, in allen peripheren Aesten der Carotis ist der Puls tadellos.
Trotzdem am dritten Tage ein vereitertes Hämatom entleert werden muss, heilt
die Wunde tadellos, der Temporalispuls bleibt andauernd so wie auf der ge¬
sunden Seite, irgendwelche Nervenstörungen sind auch nicht vorübergehend auf¬
getreten.
32. J. W., Kanonier, 24 Jahre alt, verwundet am 6. Oktober 1914. Ein¬
schuss etwas medial vom höchsten Punkte der Achselfalte links vorne, Aus¬
schuss in der Höhe des linken Angulus seapulac. Sofort nach dem Schuss war
die Beweglichkeit des Armes fast vollkommen aufgehoben. Pat. war zunächst
in einem ungarischen Spitale, von wo er am 25. November 1914 dein klinischen
Kescrvcspitale in Innsbruck überstellt worden war. Es findet sieh ein eigrosses
Aneurysma der Arteria axillaris der linken Seite. Sämtliche Armnerveil leicht
geschädigt. Kein vollkommener Ausfall. Radialpuls vorhanden, nur etwas
schwächer als auf der gesunden Seite.
Operation am 26. November 1914. Der Sack lässt sich unschwer aus¬
präparieren. wobei es gelingt, alle Nerven des Armes, die in die Sackwand ein-
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
676
II. v. Haberer
Digitized by
bezogen sind, zu befreien und zu konstatieren, dass keiner eine gröbere Läsion
aufweist. Xaeh Entfernung des ancurvsmatisehen Sackes weist die Axillaris
einen Defekt auf, der etwa zwei Drittel ihrer ganzen Cireumferenz entspricht.
Der Defekt lässt sich durch acht Knopfnähte im Sinne einer seitlichen Naht
vcrsehlicssen. Heilung per primam. Die Bewegungen des Armes und der Hand
werden sichtlich besser, nur die Abduktion des Armes bleibt behindert.
33. A. Th., 42 .Iahre alt, Landsturmmann. Verwundet am 11. November
1914. Einschuss hart unter der Mitte des rechten Schlüsselbeines, Ausschuss
entsprechend dem oberen medialen Schulterblattwinkel. Pat. wurde am t». De¬
zember 1914 dem klinischen Reservespital in Innsbruck überwiesen. Entsprechend
dem Mohrenheinfsehen Dreieck rechts findet sich eine halbkugelige, stark
pulsierende Vorwölbung, über welcher die aufgelegte Hand ein deutliches
Schwirren neben der Pulsation fühlt. Radialpuls rechts bedeutend schwächer
als links, die Kraft des rechten Armes und der rechten Hand bedeutend herab¬
gesetzt. Desgleichen ist die Sensibilität der rechten oberen Extremität gestört.
Neurologisch findet sich eine schwere Schädigung des Nervus radialis, ulnaris
und medianus.
Operation am 11. Dezember 1914. Es findet sich ein Aneurysma von
Apfolgrösse der Arteria subclavia. Nur nach Aufklappen der Clavieula ist es
möglich, an die Arterie oberhalb des Aneurysmas heranzukommen. Die Nerven
ziehen durch den Sack, die Vene ist zu einem faustdicken Gebilde angebläht.
Nach centraler und peripherer Unterbindung der Vene wird der aneurysmatische
Sack durch mühsame Präparation freigelegt, wobei es sich zeigt, dass die Arterie
ein 2,5 cm langes Loch davongetragen hat, das mehr als zwei Drittel ihrer
Cireumferenz beträgt. Dieses Loch wird durch zwölf Nähte im Sinne einer seit¬
lichen Naht der Arterie geschlossen. Nachdem die Nerven alle befreit sind,
wird die Clavieula genäht. Glatte Heilung. Puls in der Radialis nach der
Operation sehr gut. Zur neurologischen Nachbehandlung nach beendeter Wund¬
heilung an die Neurologische Klinik abgegeben.
34. F. S., 21 .Jahre alt. Infanterist. Verwundet am S. Februar 1915. Ein¬
schuss in der Mitte der linken Mohrenheim'sehen Grube, Ausschuss Mitte der
linken Scapula. Gleich nach deni Schuss war der Arm gelähmt. Pat. kam
bereits am 23. Februar in das klinische Reservespital nach Innsbruck. Neuro¬
logisch fand sich eine diffuse Schädigung der ganzen linken oberen Extremität.
Am schwersten geschädigt das Medianus-Ulnarisgebict. Starke Pulsation der
gan z e‘ n Inf rar 1 av i c u 1 argeg« *n d.
Operation am 2(5. Februar 1915. • Es findet sich ein kaum mehr als
kirschengrosses Aneurysma der Arteria subclavia infolge Verletzung ihrer hinteren
Wand, in welches die Acstc des Plexus brachialis eingebettet sind. Sie können
sehr leicht befreit werden. Exstirpation des Aneurysmas, seitliche Naht des
kleinen Arterienloches, wozu drei Nähte reichen. Heilung per primam.
35. .1. P., 21 Jahre alt, Infanterist. Verwundet am 14. Februar 1915.
Wurde sofort nach Innsbruck transportiert. Leicht eiternder Durchschuss durch
das obere Drittel des rechten Unterschenkels. Einschuss hart hinter der me¬
dialen Tibiakante, Ausschuss hart an der hinteren Fibulakante. Er kam in
ein Reservespital, wo an dem Patienten bis zum 2. März nichts Auffälliges zu
finden war. Von da ab entwickelte sich im Verlauf von drei Tagen ein an
Grösse rapid zunehmendes Aneurysma, das starke Pulsation und Schwirren
naehweisen liess. Deshalb wurde der Patient an die chirurgische Klinik ver¬
legt. Die Wade, auf das Doppelte angeschwollen, pulsiert ausserordentlich stark.
Dieselbe Pulsation ist auch vor der Tibia zu tasten. Die Art der Schwellung
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kriegen curysmen.
677
und des Schusskanalcs lassen dir Diagnose nicht stellen, welches (iefäss ver¬
letzt ist. es ist nur zu sagen, dass die Verletzung in der Höhe der Trilungs-
stelle in die Arteria tibialis anterior und posterior sitzen muss. Es findet sich
ein Aneurysma spurium von bedeutender (irüsse der Arteria tibialis posterior,
die central und peripher unterbunden werden muss. Der Sack lässt sieh un¬
schwer exstirpirren. Darauf aber zeigt sich rin zweiter Aneurysmasack, zwischen
Tibia und Fibula gelegen, der sehr stark blutet. Bei der deshalb vorgenommenen
Freilegung der Arteria tibialis antiea findet sieh in dieser ein seitliches, mit
dem in Frage stellenden Sacke kommunizierendes Loch, das durch seitliche
Arteriennaht verschlossen wird. Da es aus dem Sacke aber noch immer blutet,
wird er tamponiert. Eine Enterbindung der Arteria tibialis antiea durfte nicht
gewagt werden, da die Postica schon unterbunden ist, und vor der Operation
peripher in beiden Arterien Puls nachweisbar war. Es erfolgt glatte Heilung.
3tL F. B., Infanterist, 2S Jahre alt. verwundet am 11. September 1914.
Schuss in den rechten Oberarm. Der Kranke konnte sofort nach der Ycrwun
düng den Arm nicht mehr erheben. Der Blutverlust soll ein sehr erheblicher
gewesen sein und zur Bewusstlosigkeit geführt haben. Als Patient zu sich kam,
hatte er die heftigsten Schmerzen in der rechten Hand, deren Finger er nicht
bewegen konnte. Nachdem er vorübergehend in zwei Spitälern war, wurde er
beurlaubt, und erst, als er nach abgelaufenem Erlaub sielt wieder meldete,
wurde die Schwere der Verletzung erkannt und der Patient am 1(E November
1914 dem klinischen Beservespital in Innsbruck überwiesen. Fs findet sich bei
dem Patienten ein Durchschuss durch das rechte Oberarmdrittel, der bereits
verheilt ist. Einschuss entsprechend dem vorderen Deltoideusrand, Ausschuss
medial, etwas tiefer im Sulcus bicipitalis internus. Hier findet sich ein über
walnussgrosses, stark pulsierendes Aneurysma der Arteria braehialis. Die ganze
obere rechte Extremität ist atrophisch und weist weitgehende Lähmung im El-
naris- und .Medianusgebiet auf. Trophisehe Storungen im Bereiche der Hand.
Operation am 19. November 1914. Der Elnaris ist durchschossen und
zeigt am centralen Stumpf ein kleinfingerdickes Neurom, das reseziert wird.
Nervennaht mit Eascienumseheidung. Exstirpation des Aneurysmasackes, wobei
<1 ie Arterie in einer Ausdehnung von 3 ein reseziert werden muss, da ihre Ver¬
letzung so ausgedehnt ist. Circulare Arteriennaht mittels Knopfnähten. Der
Nervus medianus, der durch die hintere Wand des aneurvsmaüsclien Sackes
verlief, konnte gut auspräpariert werden. Die Naht der Arterie funktioniert gut,
peripher davon tadellose Pulsation. .Medianus noch mit Muskulatur umseheidot.
Heilung per primam. Keinerlei Cireulationsstürung. Die Besserung der Nerven-
funktion konnte im Spital nicht abgewartet werden. Patient wurde am 9. De¬
zember 1914 zur Superarbitrierung geschickt.
37. E. H., Zugsfiihrcr, 31 Jahre alt, verwundet am 17. November 1914.
Schuss durch den linken Oberschenkel derart, dass der Einschuss knapp unter¬
halb des PouparCsehen Bandes, in der Mitte der Vorderseite des Oberschenkels
liegt, während der Ausschuss sich etwa 6 Fingerbreiten unterhalb des Trochanter
major, an der Aussenseite des Oberschenkels findet. Es soll sofort nach der
Verletzung stark geblutet haben. Patient bekam in der Sanitätsdivisionsansialt
einen (ripsverband und wurde im Verlaufe der nächsten 7 Tage nach Innsbruck
gebracht. Typische Fraktur im oberen Drittel des Oberschenkels mit starker
winkeliger Knickung an der Frakturstelle und erheblicher Verkürzung des Beines.
Kopfgrosses, sehr stark pulsierendes Aneurysma der Arteria femoralis, das zu
platzen droht. Intensivste ausstrahlende Schmerzen im Bein. Ein Rüntgcnbild
zeigt die äusserst schlecht stellende Fraktur, es liegt auch nach dem Küntgen-
Archiv für kliu. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4. 4.5
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
678
H. v. Haber er,
Digitized by
bild eine sehr bedeutende Verkürzung der Extremität vor. Starke Achsen- und
I, ä n ge n ab w ei e 1 1 w n g.
Operation am 26. November 1914. Es findet sieh ein kopfgrosses Aneu-
rvsma infolire vollständiger Xerreissung der Arteria femoralis, oberhalb des Ab¬
ganges der Profunda femoris, wobei die Ränder der beiden Arterienstümpfe so
zerfetzt gefunden werden, dass von beiden noch ein kleines Stück, im ganzen
etwa 3,5 ein, reseziert werden muss. Circulare Naht der Femoralis, teils mit
fortlaufender Naht, teils mit Knopfnähten. Da die Arteriennaht vorzüglich
funktioniert, der Puls im peripheren Anteile der Arterie ebenso stark ist wie
im centralen, lasse ich bei noch offener Weichteilwunde zuerst einen vorsich¬
tigen, dann einen energischeren Versuch machen, das Bein zu extendieren, weil
die besonders schlechte Stellung der Fraktur eine baldige Extension erheischt.
Dabei streckt sich das Arterienrohr, ohne dass die Naht dadurch irgend undicht
würde. Deshalb lasse ich sofort nach beendeter Operation eine Extension in
Semiflexion anlogen und dabei das Bein mit 3 kg belasten. Die Belastung wird
in den kommenden Wochen bis auf 8 kg vermehrt. Auf diese Weise ist es ge¬
lungen, nach tadelloser Heilung der Operationswunde die Verkürzung des Beines
bis auf 2 cm auszugleichen. Fraktur anfangs Januar vollkommen konsolidiert.
Ein kleiner Decubitus durch die Heftpflasterextension zeigt gute Heilungstendenz,
wie denn auch das Bein vom Moment der Operation an stets tadellose Ernährung
und gute periphere Pulsation zeigte.
3S. M. I\, Russe, 28 Jahre alt, verwundet am 20. Dezember 1914 durch
Schuss, welcher lateral vom linken Trochanter major des Oberschenkels einge¬
drungen war. während der Ausschuss hart unter dem Poupart'sehcn Bande in
der liegend der grossen Gcfiis.se erfolgte, ln das klinische Reservespital kam
Patient mit vollkommen verheilten Wunden am 2. Februar 1915. Es findet sieh
an der Innenseite des Oberschenkels ein grosses, stark sch wirremies Aneurysma,
das dem Patienten lanzinierende Schmerzen an der Innenseite, entsprechend
dem Gebiete des Nervus obturatorius, verursacht. Puls in den peripheren Ar¬
terien tadellos.
Operation am 5. Februar 1915. Es findet sieh die Arteria femoralis und
die Arteria profunda femoris verletzt, und zwar gerade in der Höhe der Teilung
des llauptslamines in die beiden Gefässe. Es handelt sieb auch um zwei ganz
getrennte Aneurysmen, ein eigrosses Aneurysma spurium der Femoralis und ein
faustgrosses Aneurysma arteriovenosum der Profunda femoris. Exstirpation des
letzteren aneurysmatischen Sackes recht schwierig, Arterie und Vene müssen
central und peripher unterbunden werden. Das Aneurysma spurium der Arteria
femoralis lässt sieh leicht exstirpieren, und es zeigt sieh die Arterie auf mehr
als drei Viertel ihrer Cireumferenz zerrissen, und sind die Ränder des S-lmss-
loehes so gefetzt, dass ich 3 cm des Arterienrohres resezieren muss. Hier scheint
die eirculäre Naht dringend geboten, die sieh auch anstandslos durchführen lässt
und sofort nach Abnahme der Klemmen tadellos funktioniert. Heilung per pri-
marn. Puls auf Oer kranken Seite nahezu stärker als links. Patient geht nach
14 T agen xorziiglich.
39. K. K., 24 Jahre alt. Landesschütze, verwundet am 10. Dezember 1914.
Schuss durch beide < »hersehcnkel. so dass dieselben in ijucrer Riehtung im oberen
Drittel vom Projektil durchschossen wurden. Während die Schusswunden des
rechten Oberschenkels glatt heilten, entwickelte sich links eine Eiterung, die in
dem Spitale, in welchem Patient lag. mehrfache Abseessincisionen nötig machte.
Pngcfälir anderthalb Monate nach der Verletzung konnte der Patient aber schon
mit Knicken einhergehen, wobei er das gesündere Bein besonders in Anspruch
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
K ri cgsan e u r y s in en.
679
nahm. Haid aber stellten sieh sehr heftige Schmerzen im reehten Hein ein und
es entwickelte sieh an der Innenseite des Oberschenkels eine rasch an Grösse
zunehmende Geschwulst, während der Unterschenkel und Fuss kalt und taub
wurden. Wegen der intensiven Schmerzen, auftretendem Fieber und starker Be¬
einträchtigung des Allgemeinbefindens wurde der Patient mit der Diagnose Aneu¬
rysma an meine Klinik abgegeben. Es fand sich bei dem Patienten ein manns¬
kopfgrosses Aneurysma, das fast circular nahezu den ganzen Oberschenkel um¬
gab, seinen grössten Einfang ungefähr handbreit unter dem Ligamentum Pou-
partii hatte. Patient konnte nur auf der Seite liegen, musste das Bein in Hüfte
und Kniegelenk gebeugt halten und litt entsetzliche Schmerzen. Dabei bestanden
Temperatursteigerungen bis 3S°. Enterschenkel üdematös, eyanotisch und kühl.
Puls in den peripheren Arterien nicht tastbar. An einer Stelle an der Innen¬
seite des Oberschenkels, ungefähr in der Mitte, erscheint die Haut verdünnt
und ist hier Pulsation und Schwirren so stark, dass ein Durchbruch des Aneu¬
rysmas nach aussen zu befürchten ist.
Operation am 19. Februar 1915. Das Aneurysma geht vom Hauptstamm
der Arteria femoralis aus, welche vollkommen in ihrer Kontinuität getrennt ist,
reicht um den ganzen Oberschenkel herum, hat die Hinterseite des Femur-
knochens bereits usuriert und sieh durch die Muskulatur hindurch den Weg
bis zur Haut an der Hinterseite des Oberschenkels gebahnt. Von der Arterie
müssen 4,5 cm reseziert werden, worauf nach Ausräumen des Sackes und Drainage
nach hinten die circulare Arteriennaht ausgeführt wird. Tadellose Funktion.
Heilung per primarn. Sehr bald konnte mit der Bekämpfung der Kontrakturen
begonnen werden, die Ernährung des Heines blieb eine tadellose. Jetzt, M ärz,
ist völlige Heilung eingetreten, Streckung bereits in vollem Ausmasse möglich,
die Oedeme schwanden schon in den ersten Tagen nach der Operation.
40. St. B., 20 Jahre alt, Infanterist, verwundet im August 1914. Schuss
«liier durch das linke Obersehenkeldreieck. Deutliches Aneurysma arteriovenosum.
Kam in meine Klinik am 10. März 1915 (!), nachdem ich den Kranken gelegent¬
lich einer Inspektionsreise wegen des Aneurysmas ausgehoben hatte.
Operation am 13. März 1915. Es findet sich ein kleinfaustgrosses, in
derbe Schwielen eingebettetes Aneurysma arteriovenosum der Arteria femoralis,
knapp nach dem Abgänge der Arteria profunda femoris. Die Vene auf Darm¬
dicke angeschwollen. Resektion der Vene, Resektion von 3,5 cm der stark zer¬
fetzten Arterie, Ligatur der Vonenstümpfe. circulare Arteriennaht mit 2S Knopf¬
nähten. Letztere funktioniert tadellos. Heilung per primarn. Puls peripher vom
Moment der Operation an ausgezeichnet.
41. E. L, 22 Jahre alt, Russe. Wurde verwundet durch Schuss in den
rechten Oberarm am 25. März 1915. Sofort intensive Blutung und Schmerzen
in den Fingern der rechten Hand. In den nächsten Tagen nahmen diese Schmerzen
sehr zu, störten namentlich die Nachtruhe des Kranken. Mit der Zeit stellte
sich auch eine Beweglichkeitsbehinderung von Hand und Fingern ein. Einschuss
in der rechten vorderen Achselfalte, Ausschuss am lateralen Scapularrand.
Einschuss vernarbt, Ausschuss granulierend. Hoch in der Achsel ein eigrosses
Aneurysma tastbar. Leichte Störung im Elnaris- und Medianusgebiet der reehten
lland. Puls in der Radialis gut fühlbar.
Operation am 10. April 1915. Da sich das eigrosse Aneurysma gerade
am Ecbergang von Subclavia in Axillaris befindet, muss der Museulus pecto-
ralis major durchtrennt werden, um die Situation genügend zu klären. Es zeigt
sich nun, dass das Aneurysma einen veritablcn bindegewebigen Sack besitzt, der
sich in »tu ausschälen lässt und die Arterie allseits umgibt. Die stark durch¬
bluteten Nervi medianus und ulnaris verlaufen in der Sackwand, lassen sich
45*
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
680
H. v. 11 ahere r,
Digitized by
lösen und sind niehl verletzt. Der aneurysmatische Sack wird erst abpräpariert.
nachdem central und peripher je eine liüpfner-K lemme an der Arterie angelegt
ist. Im Bereiche des Aneurysmas weist die Arterie einen etwa 3 cm langen
Defekt mit stark zerfetzten Bändern auf. Centrales und peripheres Artericnstiirk
sind nur durch eine fadendünne (iefässwandbriieke verbunden, die bei der fol¬
genden Naht natürlich vernachlässigt werden muss. Circulare (iefässnaht mit
1(> Knopfnähten nach entsprechender Anfrischung der Arterienwand. Kadialis-
puls sofort nach der Operation von gleicher Stärke wie auf der gesunden Seito.
(iWitte Heilung.
42. A. Chw., Korporal, 2S Jahre alt, verwundet am nördlichen Kriegs¬
schauplatz am 25. November 1914. Schuss <juer durch die obere Brustpariie.
Patient hat sehr viel Blut verloren, konnte zunächst die rechte Hand gar nicht
gebrauchen, welche, wie er angibt, ganz schwarz gewesen sein soll. Offenbar
hat es sich um ein sehr starkes Hämatom gehandelt. Die (iebrauehsfähigkeit
<k*s rechten Armes hat sieh mit der Zeit fast völlig hergestellt, doch blieb ein»*
intensive Cvanose der Extremität zurück. In der ersten Zeit nach der Verlet¬
zung hatte der Patient auch Bluthusten, wohl als Folge der durch den Schus>
erfolgten Lungenverletzung. Patient kam dann nach Linz, wo sieh allmählich
bei ihm ein Aneurysma im Bereiche der rechten Arteria subclavia entwickelte,
das nach aussen nicht fühlbar war, wohl aber daran erkannt werden konnte,
dass im rechten unteren Halsdreieck ein sehr deutliches Schwirren bestand, das
mit dem Stethoskop sehr laut über der ganzen oberen Brustpartie wahrgenommen
werden konnte. Das Punctum maximum des Geräusches war im Bereiche des
Manubrium sterni nachzuweisen. Der l'instand eines Fehlens abnormer Pulsation,
der Mangel eines Nachweises eines pulsierenden Tumors Hessen im Zusammenhalt
mit der Richtung des Schusskanales (Finschuss in der Mitte der rechten Schultcr-
hölie, Ausschuss an der Kuppe der linken vorderen Achselfalte) wohl die Diagnose
stellen, dass es sich um ein Aneurysma der Subclavia mit vorwiegender Ent¬
wicklung in intrathorakaler Richtung handeln müsse. Der Puls in der rechten
Arteria radialis war bei dem Patienten dauernd fühlbar, wenn er auch schwächer
war als in der linken. Ich sah den Kranken gelegentlich einer Aerztesit/.ung
in Linz, wo mir auch die Frage der Operabilität des Aneurysmas vorgclcgt
wurde, das ich nach dem Ergebnis der l’ntcrsuchung in den Winkel zwischen
Carotis und Subclavia lokalisieren zu können glaubte. Der Fall lag wohl von
vornherein schwierig, durfte natürlich nur mit Gefässnaht behandelt werden,
schien mir aber eine absolute Indikation abzugeben, weil er, sich selbst über¬
lassen, ähnlich wie ein Aortenaneurysma verlaufen konnte.
Der Freundlichkeit der Linzer Kollegen danke ich, dass der Fall an meine
Klinik zur Operation kam. welche ich dann am 19. April 1915 ausführle.
Schnitt längs des vorderen Randes des rechten Stemocleidomastoidcus, bogen¬
förmig über das innere Drittel der Clavieula nach abwärts bis in die vordere
Achscifaltc weitergeführt. Temporäre Durchsägung der Clavicula an der Stelle,
wo der Ilautschnitt über sie hinwegläuft, teuere Durchtrennung von Sternocloido
und Pectoralis major in seiner oberen Hälfte. Die Subclavia am Ccbergang in
die Axillaris ganz eng, schwach pulsierend. Vena subclavia und Vena jugu-
laris stark schwirrend, enorm gebläht. Trotz vorsichtigster Lösung reisst in die
.Jugularis heim Zusammenfluss mit der Subclavia ein winziges Loch und cs
dringt auch mit lautem Geräusch Luft ein, ohne dass sich das Befinden des
Patienten ändert. Sofortige Unterbindung von Vena jugularis und subclavia.
Das eigrosse Aneurysma der Arteria subclavia sitzt gerade hart neben dem
Abgang der Vcrtebralis, der Truncus thyrcocervicalis ist im Aneurysma auf¬
gegangen. Der Sack selbst in Schwielen eingebettet, in die auch die Pleurakuppe,
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kriegsaneury.smcn.
681
die seinerzeit sicher verletzt war, mit einbezogen ist. Sn* muss bei der Lösung
an einer kleinen Stelle eingerissen werden. Es dringt nur wenig Luft ein,
offenbar wegen vorhandener Verwachsungen zwischen Lunge und Pleura. Nach¬
dem die Aeste des Truncus thyrcncervicalis unterbunden sind, zeigt es sieh,
dass die Arteria subclavia einen 4 ein langen, vollkommenen Wanddefekt, das
heisst einen circularen in der genannten Ausdehnung aufweist, von dem peripher
die Subclavia blind durch Narben verschlossen ist. Kontrolle der Hand zeigt
diese jetzt kadaverös. (Offenbar ist durch Unterbindung des Truncus thyreoeer-
vicalis der Kollateralkreislauf gestört.) Central liegt an der Anonyma die
Hopfner-Klemme! Nach Lösung und Mobilisierung des peripheren Arterienab-
sehnittes wird unter scheinbarer Spannung, trotz grosser Ungleichheit der Lumina,
die eireuläre Gefässnaht zwischen centralem und peripherem Abschnitt der Suh-
clavia ausgeführt (24 Knopfnähte). Schliesslich wird die fast in den Bereich der
circularen Naht fallende Yertcbralis 4 ein ober ihrem Ursprung durchschnitten
und als Plombe in aufgeschnittenem Zustand auf die Gefässnaht gelegt. Naht
der zerschnittenen Muskeln und der Clavicula, Drain am tiefsten Punkte der
Operationswunde. Heilung vollzieht sieh in tadelloser Weise, am Abend nach
der Operation ist jede Cvanose der Hand verschwunden, Hand und Finger sind
vorzüglich beweglich. In den nächsten Tagen nach der Operation ist der Kadi-
alispuls deutlich tastbar.
43. K. N., 26 Jahre alt, Kusse. Am 2. April 1915 verwundet durch
Schrägschuss durch den linken Oberschenkel mit Zertrümmerungsbruch des
Schaftes. Sehr heftige Blutung, vom Zeitpunkte der Verwundung an stets hohes
Eicher. Das Bein sei sehr schnell stark angeschwollen. Es bestehen seit der
Verletzung Schmerzen klopfenden Charakters im Bein von unerträglicher Heftig¬
keit. Sehr anämischer graziler Mensch, mit ausgesprochen septischem Habitus.
Zunge vollkommen trocknen. Puls klein zwischen 120 und 140. Der linke
Oberschenkel in toto unförmlich angeschwollen bis 50 cm Umfang. An der
innen- und Hinterseite ein kopfgrosses, prall gespanntes, zu platzen drohendes
Aneurysma. Gedern des Unterschenkels. Derselbe auffallend blass, kein Puls
in den Arterien peripher fühlbar. Zertrümmerung des Oberschenkels mit hoch¬
gradigster Verschiebung der Fragmente. Fraktur in der Höhe des Ueberganges
vom oberen in das mittlere Drittel des Schaftes. Trotz des ausgesprochen sep¬
tischen Zustandes und der schlechten Prognose entschloss ich mich in Anbetracht
der wütenden Schmerzen des Kranken und der grossen Gefahr der Blutung aus
dem Aneurysma zur Operation. Nach Angabe des Patienten und einiger seiner
Kameraden war derselbe 3 Wochen in Ungarn in einem Spital ungesehient und
unbehandelt gelegen! •
Operation am 27. April 1915. Freilegung des Sackes und der Arterie
ergibt, dass letztere unmittelbar nach Abgabe der Profunda femoris total zer¬
rissen ist. Nach Ausräumen des Sackes, der scheinbar keinen infizierten Inhalt
enthält, eireuläre Gefässnaht. die gut und leicht gelingt. Ausgiebige Drainage,
entsprechende Lagerung der Fraktur. Nach 48 Stunden Exitus unter zunehmen¬
der Herzschwäche. Schmerzen vom Zeitpunkte der Operation an geschwunden.
Obduktion ergibt universale Sepsis. Gefässnaht durchgängig.
44. A. F.. 35 Jahre alt, verwundet am 3. Dezember 1914. Einschuss
Mitte der rechten Glutäalgcgend, Ausschuss rechtes Obcrschenkeldrcieck. ungefähr
in dessen Mitte. Bei dem Patienten, der viele Monate hindurch in verschiedenen
Spitälern der Monarchie zubraehte, wurde erst gelegentlich einer Nachmusterung
am 6. Mai 1915 ein Femoralaneurysma in oben genannter Gegend festgestellt.
Im ganzen Obersehenkeldreieck deutliches Schwirren fühlbar.
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
682 H. v. Habe rer,
Operation am S. Mai 1915. Aneurysma arteriovenosum zwischen Arteria
profunda femoris und der Hauptvene. Arterie unterbunden, Sack exstirpiert.
Vene central und peripher unterbunden. Glatte Heilung.
45. J. M., 20 Jahre alt, verwundet: am 23. März 1915. Einschuss hart
unter der Mitte der linken Clavicula. Ausschuss entsprechend der linken 7. Hippe
hinten am Thorax, 3 Querfinger lateral der Wirbelsäule. Der Arm sei gleich
nach der Verwundung gelähmt herabgesunken, der Blutverlust war ausserge-
wöhnlich stark. Hochgradige Atembesehwerden im Anschluss an die Verletzung.
Patient machte dann eine Nephritis durch und kam erst am 10. Mai in die
chirurgische Klinik. Infraclavieulargegend links deutlich vorgewölbt und pul¬
sierend, deutliches Schwirren über der genannten Vorwölbung. Puls in der
Kadialis links bedeutend schwächer als rechts. Parese hohen Grades aller vom
Plexus brarhialis versorgten Muskeln.
Operation am 20. Mai 1915 mit Spaltung des Pectoralis major ent¬
sprechend seinem Faserverlaufe. Es findet sich ein kleinbirngrosses Aneurysma
der Subclavia, durch das die Gebilde des Plexus brarhialis hindurch ziehen.
Die Stämme des letzteren lassen sich mühsam auspräparieren und erweisen sich
bis auf blutige Imbibition und leichte Verdickung nicht verändert. Die Vene
nicht verletzt, lässt sich unschwer aus den Verwachsungen mit dem aneurys¬
matischen Sack lösen. Letzterer wird unter Resektion von 5 cm der vollkommen
zerrissenen Arterie exstirpiert, die Arterie circular genäht, wobei bloss das
Anlegen der centralen Klemme wegen Kürze des Arterienstückes einige Schwierig¬
keit bereitet. Die Naht funktioniert sofort tadellos. Heilung und langsame
Besserung der Paresen unter orthopädischer Behandlung.
46. Im deutschen Feldlazarett in Bozen operierte ich über Aufforderung
der deutschen Kollegen und in ihrer Gegenwart bei einem 29 Jahre alten deut¬
schen Soldaten ein kindskopfgrosses Aneurysma der Arteria femoralis dextra im
Adduktorenschlitz. Er halte 3 Wochen zuvor einen Schrägschuss durch den
rechten Oberschenkel erhalten, der glatt geheilt war. Am 17. Juli 1915 trat
ganz plötzlich unter rasenden Schmerzen das Aneurysma auf, das seither rapid
wuchs. Seither Fieber bis 3S,6.
Operation am 24. Juli 1915. Aneurysma in sulzige Schwielen einge¬
bettet, Arterie gerade im Adduktorcnschlitz verletzt, weist einen 3 cm langen,
fast circularen Defekt auf. Nach entsprechender Anfrischung der Artericncnden
wird die circulare Gefässnaht ausgeführt, die sofort funktioniert. Glatte Heilung,
bis auf die Drainage des grossen Aneurysmasackes am tiefsten Punkte des
Oberschenkels.
47. B. Sz., 22 Jahre alt, operiert am 28. Juli 1915. Verwundet am
9. Juli 1915. Einschuss in der rechten Gesässbaekc, 3 cm lateral vom Anus
entfernt, Ausschuss hart an der rechten Crista ilei, in deren Mitte. Ein- und
Ausschuss verheilt. Starke Schwellung und Pulsation der ganzen Gesässbaekc.
lautes Schwirren mit dem Punctum maximum in der Gegend des Foramcn
ischiadicum. Ausstrahlende Schmerzen bis in die Kniegelenksgegend, Parese
der Hüftstrecker. Zweifelloses Aneurysma der Arteria glutaea superior.
Operation am 28. Juli 1915. Transperitoneale Cnterbindung der rechten
Arteria hypogastrica, darauf fast blutleere Exstirpation des Aneurysmasackes
von über Faustgrösse und Cnterbindung der Arteria glutaea superior. Sofort
nach der Operation schmerzfrei, glatte Heilung.
48. T. G., 21 Jahre alt, verwundet am 13. Juni 1915. Schuss durch die
rechte Halssoitc. Einschuss knapp neben dem Schildknorpel, Ausschuss am
hinteren Rande des Sternoclcidomastoidcus derselben Seite etwas mehr eaudal-
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Kriegsaneu rysmen.
6S3
>viirts . Patient war angeblich sofort bewusstlos geworden. Als er
wieder zu sieh kam. konnte er das linke Hein und den linken Arm nicht mehr
bewegen. Anfänglich konnte er auch nicht spontan urinieren, das geht jetzt
wieder, aber die Lähmung der linken Extremitäten habe sieh nicht geändert.
Patient kam am 30. Juni in die Klinik. Die Lähmungen bestanden zur Zeit
Her Spitalaufnahme im angegebenen Einfang, Ein- und Ausschuss sezernierten
eitrig. Beträchtliche Herabsetzung der Sehschärfe links bei gleichzeitigem
Fehlen des Cornealrcflcxes am linken Auge. Es bestellt auch eine Parese im
linken unteren Facialis und im Ilypoglossus. Zwischen Ein- und Ausschuss
liegt ein apfelgrosses Aneurysma. Wegen der Eiterung wird zunächst abge¬
wartet. Trotz Zuwartens durch einen ganzen Monat will die Eiterung aus dem
Sehusskanal nicht abnehmen, wiewohl der Patient schon seiner Lähmung wegen
die ganze Zeit hindurch das Bett hüten musste. Ohne äussere Ursache tritt
nun bei dem Patienten am 3. August zunächst eine leichte Blutung aus der
Einschussstelle auf, die aber alsbald einen sehr bedrohlichen Charakter an-
niinint, so dass Digitalkompression der Carotis nötig wird.
Deshalb sofortige Operation. Die Freilegung der Carotis machte mir
in diesem Falle grosse Schwierigkeiten, weil infolge der notwendigen Digital¬
kompression «las Operationsfeld sehr eingeengt war, und weil die ganze rechte
Ilalsseite von schwieligem Gewebe eingenommen war. Die Carotis selbst lag
in einem sulzigen, wenig differenten Gewebe. Die Carotis communis weist un¬
weit ihrer Teilung in die Carotis externa und interna einen Durchschuss auf,
so dass dadurch ihre Kontinuität nahezu vollständig unterbrochen erscheint.
Die Bänder der Schusslöcher sind so zerfetzt, dass ein 1C 2 cm langes Stück
<ler Arterie reseziert werden muss, worauf ich die circulare Gefässnaht aus¬
führte. die keine Schwierigkeiten machte. Sofort pulsieren nach Fertigstellung
der Naht sowohl Carotis externa als interna tadellos. Drainage der Wunde.
Am 12. August plötzlich abends Blutung aus der Drainage. Mein Assistent
l)r. Chiari. der gerade anwesend war, eröffnete sofort die Wunde und unter¬
band die Carotis communis. Er fand dabei eine Dehiscenz der eireulären Ge¬
fässnaht. Es eiterte noch lange weiter, so dass der Patient erst am 25. Oktober
entlassen werden konnte. An den Paresen hatte sieh, wie vorauszusehen war,
nichts geändert.
49. J. S.. 30 Jahre alt, verwundet am 18. Juli 1915. Einschuss hart
unter dem lateralen Ende des rechten Schlüsselbeines, kein Ausschuss. Sofort
nach der Verletzung Lähmung des rechten Armes. Sehr starker Blutverlust.
Nach vorübergehender Unterbringung in einem Feldspitale wird Patient am
30. Juli in die chirurgische Klinik transferiert. Ohne dass eine deutliche Yor-
wölbung zu konstatieren wäre, ist über der ganzen rechten Inlraelavieular-
gegend bis hinauf an den Hals und abwärts bis zur El len beuge ein deutliches
Schwirren wahrnehmbar, so dass an der Diagnose eines Aneurysmas nicht zu
zweifeln ist.
Operation am (>. August 1915 in Gegenwart meines verehrten Lehrers
v. Eiseisberg, der damals gerade auf einer an die Südwestfront unternom¬
menen Fahrt Innsbruck passierte. Freilegung des aneurysmatischen Sackes
der Arteria subclavia mittels breiter Spaltung des Musculus pcctoralis major.
Es findet sieh ein arteriovenöses Aneurysma der Subclavia mit sehr beträcht¬
licher Erweiterung der Vene. Die Arterie kann gerade noch central vom
Aneurysma hart unter der Clavicula abgeklemmt werden. Nach sorgfältiger
Präparation kann Arterie und Vene getrennt werden, wobei sich in der Arterie
ein wandständiges Loch von über Linsengrösse zeigt, das leicht durch laterale
Naht geschlossen werden kann. Unterbindung der Vene peripher und central.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
684
H. v. Habe rer.
Digitized by
Umstechung einiger blutender venöser Seitenäste. Primärer Nahtversehliiss
der Wunde, Heilung per primani. Die Lähmung der Extremität geht langsam
aber vollständig zurück.
50. .1, Selm.. 81 Jahre alt, verwundet am 6. Juli 1915. Einschuss 5 ein
unterhalb des rechten Seliulterblatlwinkels, Ausschuss hart unter dem sternalen
Ende der rechten Clavieula. Beweglichkeit im Schultergelenk zur Zeit der Ein-
liefermur an die Klinik, am 10. August. eingeschränkt durch ein starkes, bis auf
die seitliche Thoraxwand herabreichendes Hämatom, Typische Symptome eines
Aneurysma arteriovennsum der Subclavia.
Operation am 1(J. August. Da das Aneurysma hinter der Clavieula
sitzt, muss neben der Spaltung des Museulus pectoraiis major auch die tem¬
poräre Aufklappung dm* Clavieula ausgeführt werden. Infolge selir derber
Schwielen gestaltet sich die anatomische Präparation recht schwierig. Es findet
sich nicht nur eine arteriovenöse breite Kommunikation, sondern daneben auch
ein Aneurysma spurium der Arterie, es handelt sich demnach um einen dop¬
pelten Aneurysmasack. Trotzdem ergibt sich nur eine allerdings breite seit¬
liche Verletzung der Artcria subclavia, die sich durch seitliche Naht sch Hessen
lässt. Vene central und peripher unterbunden. Naht der Clavieula und des
Pectoraiis. Heilung per primam. Ich sah den Patienten zufällig im Februar
191 f) wieder. Es erscheint mir wichtig, festzustellen, dass bei dem Patienten
nicht nur der periphere Radial puls und die Kraft der Extremität sich in nichts
von der linken Seite unterscheidet, sondern dass auch alle Bewegungen im
Schultergelenk vollständig frei sind, dass der Mann wieder voll kriegsdienst¬
tauglich ist. Der Fall beweist, dass die vollständige Durchtrennung von
Pectoraiis und Clavieula nicht den geringsten dauernden Schaden zu machen
braucht.
51. R. R.. 24 Jahre alt, italienischer Kriegsgefangener. Verwundet am
9. Juni 1915. Durchschuss durch das rechte Bein in der Höhe des Eig. Pou-
partii. Mit faustgrossem, zum Teil intrapelvin gelegenem Aneurysma einge¬
liefert am 15. August 1915. Leichte l’ntcrcrnährung der Extremität, das
Aneurysma gehört sicher wenigstens teilweise der Artcria iliaca externa an.
Operation am 20. August. Tntrapelvine, retroperitoneale Aufsuchung
der Artcria iliaca, erschwert dadurch, dass der faustgrosse Aneurysmensack
weit über das Eig. Poupartii hinauf in das Becken reicht. Vene unverletzt.
Hisst sich abpräparieren. Die Artcria iliaca externa vollständig durchtrennt,
ilire Lumina liegen frei im Aneurysmasacke. Das periphere Lumen liegt 3 cm
oberhalb des Abganges der Profunda femoris, das centrale oberhalb des Lig.
Poupartii intrapelvin. Circulare Gefässnaht, die unter ziemlicher Spannung
ausgeführt worden muss. Die Weite des Gefässes erfordert 30 Einzel nähte.
Naht funktioniert sofort. Heilung per primam. Patient naeli 3 Worhen voll¬
ständig beschwerdofrei, Gang ganz normal.
52. J. A.. 19 Jahre alt, verwundet am 3. Juli durch Minoncxplosimi.
Nebst einet* Reihe anderer, kleinerer Verletzungen erlitt der Patient durch tön
Sprrngstiirk eine perforierende Verletzung des linken Oberarmes, derart, dass
das Geschoss oberhalb der Mitte des Oberarmes im Sulcus bieipitalis einge-
dmngcn und an der Aussensoite des Oberarmes in ungefähr gleicher Höhe aus¬
getreten war. Sofort merkte der Patient eine Schwäche des Armes. An die
Klinik kam er am 17. August 1915. Es findet sich im Sulcus bieipitalis an
oben bezeichncter Stelle ein walnussgrosses Aneurysma, das nach den Sym¬
ptomen als arteriovenös bezeichnet werden muss. Starke Cyanose der Hand,
schwere Störung im Medianusgcbiet in Fnrm hochgradiger Parese, leichtere
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
685
Kriegsaiieurvsmcn.
Parese in» Ulnurisgehiet. sensible Störungen im Bereiche des X. eut. antibraeh.
lat., medianus und ulnaris.
Operation am 23. August 1915, Die Oberarmvene auf Daumendieke
geschwellt hinab bis zur niielislen Vcncnklappe. Nervus medianus und ulnaris
sind durch derbe Schwielen an den Aneurvsmasaek herangezogen, mit ihm
innig verwachsen. Nach ihrer Lösung erweisen sie sieh aber als normal. Re¬
sektion der Vene, in der Arterie besieht ein seitlicher Wanddefekt, der sich
durch laterale Naht schlossen lässt. Sofort guter Radialpuls. Die (’yanose
schwindet rasch, die Xervenfunktion bessert: sich allmählich. Heilung per
primam.
53. A. 0.. *20 Jahre alt. verwundet am 4. August 1915. Schuss durch
die linke Halsseite. Einschuss in Kehlkopfhöhe links am vorderen Rande
des Slernocleidomastoideus. Ausschuss über dem Processus spinosus des
7. Brustwirbels. Apfelgrosses Aneurysma arteriovenosum dt'r Carotis communis
mit starker Verdrängung des Kehlkopfes. Keine Ausfallserscheinungen.
O j) erat i on am 23. August 1915. Dieselbe gestaltet sich durch unge¬
wöhnlich derbe Schwielen, die nicht nur um den Aneurvsmasaek herum sieh
gebildet haben, sondern weit am Halse auf- und abwärts reichen, ausserordent¬
lich schwer. Die Carotis ist in ein starres Rohr verwandelt, wie man dies
sonst nur bei schwerer Arteriosklerose' sieht. Endlich gelingt es aber doch,
die Vene, die mächtig angcschwollen ist, ober- und unterhalb des Aneurysma
zu isolieren und zu unterbinden. Nach Trennung von Arterie und Vene weist
die Carotis communis ein über hohnengrosses, in der hinteren Wand gelegenes
Loch auf, das durch seitliche Naht verschlossen wird. Die Naht funktioniert
sofort. Das Aneurysma war in diesem Falle wesentlich kleiner, der apfegrosse
Tumor war zum grossen Teile durch die mächtigen .Schwielen bedingt. Hei¬
lung per primam.
54. H. W., deutscher Soldat, 27 Jahre alt, verwundet durch Schuss durch
den rechten Oberschenkel. Ich sah den Kranken eonsiliaritcr in einem Feld¬
lazarett, nachdem ihm bereits wegen Gangrän der Zehen ein Lisfrane und
später wegen Phlegmone eine Ineision am rechten Cnterschenkel gemacht wor¬
den war. Patient hatte sehr grosse Schmerzen und eine Kontraktur im rechten
Kniegelenk, die Gangrän drohte weiterzuschreitcn, die Temperaturen waren
hohe. Es fand sich ein äusserst prall gespanntes Aneurysma von Kindskopf¬
grösse an der Innenseite des rechten Oltersehenkeldrittels, so dass ich den
Patienten mit umgelegtem, aber nicht zugezogenem Esmarch-Sehlaueh im Auto
nach Innsbruck iiherführte.
Am 16. September in Gegenwart der Aerzte des deutschen Feldlazarettes
Operation. Sehr schwierige Klärung der anatomischen Verhältnisse wegen
der besonderen Grösse des Sackes, der hinter der Muskulatur vielfache Aus¬
stülpungen zeigt. Eine Arteria profunda femoris kann in dem Falle nicht ge¬
funden werden. Um die Gefässe peripher vom Aneurysma zu finden, müssen
sie im Adduktorensehlitze aufgesucht werden. Die Vene wird central und peri¬
pher unterbunden, die Arterie weist im oberen Oberschenkoldrittel einen fast
circularen Defekt auf, so dass die eirculäre Gefässnaht ausgeführt wird. Sofort
tadellose Funktion der Xald, die vorher sehr matsehen Granulationen im Be¬
reiche des seinerzeitigen Lisfrane röten sich gut. Heilung per primam. Die
Kontraktur im Kniegelenke schwindet sehr rasch, die Wunden am Vorfuss und
die Ineisionswunde am Unterschenkel Indien überraschend schnell, von einem
Fortsehreiten der Gangrän keine Rede mehr. Patient kann Ende Oktober mit
gehfähigem Bein in die Heimat entlassen werden.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
686
11. v. Habe rer.
Digitized by
55. F. Sch.. 23 Jahre alt, am <>. September durch einen Lungensehuss
auf der linken »Seite verwundet. Er hustete sofort viel Blut aus. und konnte
den linken Arm nicht mehr bewegen. Die Schmerzen in der linken oberen
Extremität steigerten si<*h immer mehr und nahmen in der letzten Zeit einen
geradezu unerträglichen Charakter an, so dass reich lieber Morphingeiuiss sieh
einstellte, ln die Klinik wird Patient am 30. September, also mehr als drei
Wochen nach der Verletzung eingelieferl. Es findet sich ein Einschuss knapp
unterhalb der linken Sehultermitle. ein vernarbter Ausschuss knapp über der
Mitte der linken t’lavieula. Ein Aneurysma ist weder palpatoriseh noch aus¬
kultatorisch festzustellen. Es findet sieh eine vollständige Lähmung des ganzen
Medianus-llnarisgcbietes und Parese im Radialisgebiete.
Operation wegen der unerträglichen Schmerzen am 1. Oktober. Nach
Aufklappung der Clavicula findet sieh ein apfelgrosser Aneurysmensack, von
der Subclavia ausgehend, der si<-li direkt nach hinten innen, zum Teil intra¬
thorakal ausbreitet. Es muss daher sofort die Anonyma aufgesueht und temporär
al»geklemmt werden. In der Saekwand des Aneurysmas verlaufen die Gebilde
des nervösen Plexus, mit denen auch die Vena subclavia schwielig verwachsen
ist. Ausserordentliche Schwierigkeiten stellen sieh dabei durch die derben Ver¬
wachsungen der Präparation entgegen. Schliesslich gelingt es aber doch, Vene
und Plexus ohne Verletzung abzupräparieren und den Aneurysmasack zu ex-
stirpicrcn. In der Arterie bleibt ein lern langes, auf Vo ein klaffendes Loch
zurück, das lateral genäht werden kann. Nabt der Clavietila und der Weieh-
teilwunde. Heiluni: .per seeundam. Die Xcrvcnläsion geht langsam, aber stetig
zurück. Funktion der Gefässnaht tadellos.
51). R. (i.. 25 Jahre alt, verwundet am 12. Juli 1915. Durchschuss durch
beide Oberschenkel. Er wurde in einem Keldspitale angeblich wegen Aneu¬
rysmen an beiden Oberschenkeln operiert und kam an meine Klinik am 29. Sep¬
tember 1915. An beiden Oberschenkeln finden sich, entsprechend dem Verlaufe
der Kcmoralarterien. geheilte Oporationsnarben. Während links alles in Ordnung
zu sein scheint, ist die rechte Operationsnarbe in der Höhe des Adduktoren¬
schlitzes ausserordentlich druckempfindlich, das Hein eyanotiseh, und der Pat.
hat im ganzen Heine spontane Schmerzen, die ihm das Gellen ausserordentlich
erschweren. Genaue l’ntersuchung ergibt, dass rechts noch ein Aneurysma vor¬
handen sein muss, und zwar ist ein lautes systolisches Schwirren besonders an
der Hinterseite des oberen Obersehcnkeldrittels in der Tiefe der Muskulatur
hörbar. Manchmal macht es auch den Eindruck abnormer Pulsation daselbst.
Ein- und Ausschussnarbe finden sich am rechten Oberschenkel genau in dessen
Mitte medial und lateral.
Trotz Bettruhe schwinden die Schmerzen hei dem Patienten nicht, so dass
ich mich am S. Oktober zur Revision der alten Operat ion entsehliesse. um so
mehr, als ein Operationsbcfund nicht zu erhalten war. Freilegung der Arterie
und Vene im ganzen Hereiehe der Operationsnarbe. Ausserordentlich derbe
Schwielen erschweren das Präparieren erheblich; endlich aber gedingt cs doch,
die Arterie und Vene darzustellen, und zwar im ganzen Verlauf der alten Ope¬
rationsnarbe. Es zeigt sieh nun, dass die Arterie bis in den Adduktorensehlitz
durchgängig ist und nirgends ein Aneurysma trägt. Hingegen ist die sehr stark
erweiterte Vene im Adduktorensehlitz unterbunden und oberhalb der L’nterbin-
dung thrombosiert. Sie liegt in einem auffallend sulzigen Gewebe. Auf diesen
Befund hin lege ich die Arterie an der Stelle des Abganges der Profunda fe-
moris bloss, und da bei Kompression der Arterie sofort das Schwirren aufhört,
so unterbinde ich die Profunda femoris. Von dem Momente ab keine abnorme
Pulsation mehr. Das Aneurysma in der Tiefe der Hinterseite des Oberschenkels
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Kriegsaneurysmen.
687
aiifzusuchcn, halt^ ich mich nach der schon immerhin über 1 Stunde dauernden
Operation für nicht berechtigt. Die ersten o Tage «ranz befriedigender Verlauf,
am 4. Tage unter heftigen Schmerzen plötzlicher Temperaturanstieg bis 40,8.
auffallende livide Verfärbung des Kusses und der Weichteile an der Aussenseite
der Tibia. Da am 5. Tage die Temperatur auf 41,5 steift, und der Patient
leicht benommen ist, hohe (>berschcnkclamputation, trotz sicherer arterieller Er¬
nährung der Kxtremitiit. Die Präparation des abgesetzten Peines ergibt nun
eine Durchgängigkeit der Hauptarterie, wie ich das schon bei der ersten Ope¬
ration festgestellt hatte, sie ergibt ferner einen alten vereiterten Thrombus ober¬
halb der Ligaturstclle der Vene und frische, ausgedehnte Thrombose der LTiter-
schenkelvenen in grosser Ausdehnung. Die bakteriologische Untersuchung des
alten Thrombus in der Vene cr*ril>t den Gehalt an gasbildenden Bakterien. Das
Aneurysma sass in der Tat in der Tiefe der Obcrschenkelmuskulatur hart am
Knochen an der Profunda femoris. Exitus letalis am Tage nach (h*r Amputation
an Sepsis, Pneumonie.
57. J. E., 21 Jahre alt. verwundet am f». Oktober 1015 durch Schuss durch
dir rechte Mohrenhcim'sche (irube mit Eungcnverletzung. Einschuss hart unter
der Mitte der rechten Clavicula. Ausschuss 4 cm unter dem rechten Angulus
scapulae. In die Klinik eingcliefcrt am 10. Oktober. Rechte Extremität kühl
und cyanotisch. Puls in der Radialis kaum fühlbar. Parese in den vom Plexus
brachialis versorgten Muskeln. Ausserordentlich intensive Schmerzen in der
«ranzen rechten oberen Extremität, die reichliche (iahen von Morphin nötig
machen. Rechtsseitiger llämatothorax bis an die Spina scapulae. Trotzdem
und trotz der dauernden Fieberbewegung kann ich wegen der (‘normen Schmerzen,
die Patient leidet, und die ihm trotz grosser Dosen Morphin gar keine Nacht¬
ruhe gestatten, nicht mit der Operation zuwarten.
Operation am 14. Oktober 1915. Freilegung der Arteria und Vena sub¬
clavia mit Durchschneidung der Pectoralmuskcln. Es findet sich ein faust-
grosses bis hinter die Scapula reichendes Aneurysma, dessen Präparation in den
zur Unkenntlichkeit durchbluteten Geweben recht schwer fällt. Die Arterie
total zerfetzt, gerade dort, wo sie unter die Plexusgabel tritt. Distanz der stark
zerfetzten Arterienlumina auf 5 cm. Periphere Arterie sehr eng. Nach ent¬
sprechender Anfrischung circuläro Arteriennaht, die sofort gut funktioniert.
Heilung der Wunde per primam. Der llämatothorax geht langsam in ein Empyem
über, dessentwegen am 10. November die Rippenresektion ausgefiihrt werden
muss. Heilung des Empyems per secundam. Januar 1916 kann Patient voll¬
ständig geheilt entlassen werden. Die Paresen der oberen Extremität sind voll¬
sten d i g gesellwunden.
58. L. S., 22 Jahre alt. verwundet am 50. September 1915. Durchschuss
durch die Mitte der linken Wade. In die Klinik eingeliefert am 5. Oktober
1915. Starke Schwellung des ganzen linken Unterschenkels, Ocdeni des Kusses,
Pediaca pulsiert, Art. tib. post, pulsiert nicht. Deutliches Schwirren über dem
ganzen Unterschenkel hörbar.
Operation wegen starker Schmerzen am 14. Oktober 1915. Die Arteria
tibialis posterior weist in der Milte des Unterschenkels ein faustgrosses Aneu¬
rysma auf, das bereits zur Usurierung der hinteren Tibiafläche geführt hat.
Centrale und periphere Unterbindung der Arterie, Exstirpation des Sackes.
Heilung per primam ohne Funktionsstörung. Anfangs noch Schmerzen in der
Wade.
59. G. F., 20 Jahre alt, italienischer Kriegsgefangener. Verwundet am
6. September 1915. Durchschuss durch den rechten Oberschenkel und den linken
Digitized by
Gck igle
Original frorn
UNIVERSITY OF IOWA
688
H. v. llaherer,
Digitized by
Unterschenkel, komplizierte Fraktur des linken Unterschenkels. In die Klinik
mit noch eiternder Fraktur cingeliefert am 12. Oktober 1915. Der rechte Ober¬
sehenkel weist einen sehnigen Durchschuss derart auf, dass sich der Einschuss
in der Mitte an der Aussenseite, der Ausschuss im oberen Ohersehenkeldrili'd
an der Innenseite findet, Kindskopfgrosses Aneurysma der Arteria femoralis.
Operation am 19. Oktober 1915. Durch Schwielen sehr erschwerte Frei¬
legung der Arterie. Dieselbe erweist sich in der Mitte des Oberschenkels total
durchschossen, und weist einen Defekt von 3 ein auf. Die Künder der Lumina
sind so zerfetzt, dass noch weitere 2 cm der Arterienenden reseei'ert werden
müssen. Fs finden sich 2 Aneurysmensüeke, ein lateraler, über faustgross, lind
ein medialer, wal missgross. Beide lassen sich exstirpieren. Circulare (iefäss-
naht. Sofort tadellose Funktion, Puls peripher ausgezeichnet. Hoilunir per
prim am. Keinerlei Störung.
60. A. D., 27 Jahre alt, verwundet am IS. Oktober 1915. Schuss durch die
linke Halsseite. Einschuss am Nacken links in der Höhe des 7. Halswirbels,
Ausschuss am vorderen linken Sternoeleidomastoideusrande in dessen unterem
Drittel, beide eiternd. Mit Ausnahme von Heiserkeit keine Lähnumgserschei-
nungen, hingegen durch Verdrängung des Larynx starke Atemnot. Deshalb
wurde ich zu dem Kranken 2 Tage nach der Verletzung in das Feldlazarett
gerufen. Es fand sich eine faustgrosse Vorwölbung der ganzen linken Halsseite,
mit deutlichster Pulsation und lautem .Schwirren, und eine dadurch bedingte
hochgradige Verdrängung des Larynx. Da die Atembeschwerden es gestatteten,
überführte ich in 3ständiger Fahrt den Kranken per Auto nach Innsbruck.
Operation am 21. Oktober unter Assistenz des Chefarztes vom Feld¬
lazarett, Herrn Dr. Hupp. Die Identifizierung der stark und frisch durch¬
bluteten (iewebe nicht leicht, gelingt jedoch. Vena jugularis auf Dünndarm¬
dicke angeschwollen, pulsiert und schwirrt deutlich. Sie wird central und
peripher unterbunden. Trennung des Sackes von der Arterie, wobei die Carotis
communis ungefähr 3 cm unter ihrer Teilung in externa und interna ein l l 2 em
langes, mehr als die Hälfte der Cireumferenz des Arterienumfanges einnehmendes
Loch aufweist, das nur nach Art der circularen Arteriennaht mit Vernachlässi¬
gung der kleinen stehen gebliebenen Brücke genäht werden kann. 16 Knopf¬
nähte sind nötig. Drainage. Heilung nach leichter Eiterung, Erfolg ausge¬
zeichnet. Temporalis pulsiert sofort nach der Operation tadellos. Heilung.
61. F. L., 39 Jahre alt, verwundet am 4. Oktober 1915. Einschuss unter
der linken Clavieula in der Höhe des Processus coracoideus, Ausschuss in der
Höhe des linken Angulus seapulac. Starker Blutverlust im Anschluss an die
Verletzung. Mittclschwere Schädigung der vom Plexus brachialis versorgten
Muskeln, mit ausgesprochenen Paresen. Sehr intensive Schmerzen in der linken
oberen Extremität. Deutliches Aneurysma der Arteria subclavia.
Operation am 22. Oktober 1915. Sehr ausgedehnte Sehwielenbildung,
weit über den Schusskanal hinausreichend. Dies«' Schwielenhihlung haben Arterie
und Vena subclavia, ebenso wie die Gebilde des Plexus ganz gegen den Humerus¬
kopf hin verzogen und daselbst fixiert. Dieser Umstand gestaltet die Präpara¬
tion sehr schwierig. Die Vene muss central und peripher unterbunden werden.
In der Arterie findet sich in der Höhe ihres Durchtrittes unter der Nervengabel
ein 1 cm langes, 1 3 ihrer Uiivumfercnz einnehmendes Loch, das sieh durch
6 seitliche Nähte sehliessen lässt. Sofort sehr gute Pulsation unter der Naht¬
stelle. Heilung per primam. Lähmungen alle zurüekgegangen.
62. S. v. Schm. Verwundet durch einen Revolverschliss am 12. Oktober
1915. Einschuss knapp unter dem rechten Ligamentum Poupartii, oberhalb
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
K ri e gs an e u r v s nie n.
689
desselben ein grosses, intrapclvin reichendes Aneurysma, das sehr stark sehwirrt.
Da Patient bald nach der Verletzung eine sichere Lungenembolie durehgemaeht
hat. ist schon aus diesem (irunde die gleichzeitige Verletzung der Vena iliaca
externa wahrsehein 1 ieh.
Operation am 5. November 1915. Nach Freilegung der Iliaca externa
retroperitoneal wird das Aneurysma aus den frischen blutigen Schwielen recht
sorgsam frcigelegt, und da die Arteria iliaca externa 2 grosse einander gegen¬
überliegende Löcher aufweist, lind die stehengehliebenen schwachen Gefässbrücken
obendrein sehr zerfetzte Ränder aufweisen, wird die Resektion von 3 cm Arterien¬
länge ausgeführt, und dann die circulare (iefässnaht mit 21 Nähten vorgenommen.
Die verletzte Vene, die peripher lliromhosiert erscheint, wird central umstochen,
peripher von der Verletzungsstelle unterbunden. Heilung per primam. Funktion
tadellos, Arterie pulsierte sofort nach der Naht peripher.
63. F. 11., 31 Jahre alt. im September 1914 durch Schuss in den rechten
Oberarm verwundet. 3 Querfinger über der Fllenbeuge im Sulcus bicipitalis
int. Einschuss, gerade gegenüber im Sulcus bicipitalis ext. Ausschuss. Keinerlei
Ausfallserscheinungen. Patient das Bild von Kraft und Gesundheit-. Eine ent¬
sprechend dem Einschuss vorhandene pflaumengrosse Vorwöllmng wurde bald
nach der Verletzung in einem Spitale als Abseess gedeutet und dem Patienten
die Ineision vorgeschlagen. Als er schon auf dem Operationstisch lag, merkte
der Arzt, dass die Vorwölbung pulsiere, worauf dem Patienten gedeutet worden
sein soll, dass es da eine Heilung nicht gebe: tatsächlich wurde der sonst so
gesunde Mensch auf 1 Jahr superarbitriert. Als er wieder einrücken musste,
machte ihm die Geschwulst bei stärkerer Inanspruchnahme des Armes Be¬
schwerden, deshalb wird er an die Klinik transferiert. Es handelt sich um
einen Schulfall von Aneurysma der Arteria hrachialis.
Operation am 11.November 1915. Resektion des pflaumengrossen Braehial-
ancurysmas, an dem die Vene ganz unbeteiligt ist, und eirculäre Gefässnaht,
die sofort tadellos funktioniert. Heilung per primam. Patient in 3 Wochen
frontdienst-tauglich.
64. G. J., 23 Jahre alt, verwundet am 15. Oktober 1915. Einschuss 2 cm
unter der Mitte der linken Clavicula, Ausschuss am Thorax links hinten, etwas
auswärts vom Processus spinosus des 2. Dorsalwirbels. Deutliches Aneurysma
der Art. subclavia, und zwar Aneurysma arteriovenosum. Peripherer Puls so
gut wie rechts, keine Nervenstörung.
Operation am 12. Novemcer 1915. Es findet sich nach Claviculaauf-
klappung der walnussgrosse Aneurysmensack, gerade an der Uebergangsstellc
von Anonyma in Subclavia. Vene peripher und central unterbunden. Nach
ihrer Lösung von der Arterie findet sich noch ein zweiter aneurysmat isolier
Sack als Aneurysma spurium, der sieli nach hinten gegen die Scapula aus¬
breitet. Die Arterie weist einen l l / 2 cm langen, auf l / 4 cm klaffenden Riss auf,
der sieh gut durch laterale Naht verschliessen lässt. Tadellose Funktion der
Naht. Heilung per primam.
65. S. F., 28 Jahre alt, verwundet vor 3 Monaten. Einschuss hart unter
dem äusseren Drittel der rechten Clavicula, Ausschuss hintere rechte Tliurax-
wand. ein Querfinger unter dem Angulus scapulae. Deutliches Aneurysma der
Subclavia. Radialpuls rechts kaum tastbar, starke (Zyanose und Kälte der Hand.
Beträchtliche Nervenstörung im Plexusgebiete.
Operation am 25. November 1915 in Gegenwart von 22 Schweizer Aerzten.
welche eine Studienreise nach Innsbruck unternommen hatten. Spaltung von
Fcctoralis inajor und minor. Es findet sich die Arteria axillaris geradehin der
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
690
11. v. Hah er er,
Digitized by
Höhe der Xervcngabelung durchschossen, und zwar handelt cs sieh um einen
totalen Defekt der Arterie von 4 ein. Dazwischen liegt ein eigrosses, mit der
Vene kommunizierendes Aneurysma. Die Vene wird central und peripher unter¬
bunden. Nach ihrer Lösung zeigt sich ein zweiter, nach hinten bis an die Sca¬
pula reichender, faustgrosser Sack eines Aneurysma spurium, der mit dem Aneu¬
rysma arteriovcnosum in keinem direkten Zusammenhang steht. Die Arterien¬
lumina sind so zerfetzt, dass von beiden noch je ein Stück reseziert werden
muss. Die folgende circulare Arteriennaht, welche 18 Nähte beansprucht, ist
durch besondere Brüchigkeit der (iefässwand erschwert, gelingt aber schliesslich
vollkommen mit tadelloser Funktion. Radialpuls am Ende der Operation aus¬
gezeichnet. Heilung per primarn. Xervenliision geht überraschend schnell
zurück.
6b. A. B., 24 Jahre alt, verwundet am 14. Juli 1915. Schrapnellsteck¬
schuss in die rechte .Schulter, Einschuss inneres Drittel der Spina seapulae.
Patient verbrachte Monate in Feldspitälern, bis er am 4. Oktober 1915 nach
Wien an die erste chirurgische Klinik zur Operation geschickt wurde. Der da¬
mals dortselbs! aufgenommene Status enthält folgende wichtige Einzelheiten:
Die ganze rechte Supra- und Infraelavieulargegend, Oberarm und Hand mächtig
geschwollen. Im Jugulum und in der Supraclaviculargegcnd der rechten Seite
fühlt man ein heftiges Schwirren, das fast über den ganzen Thorax auskultato¬
risch wahrnehmbar ist. ln der rechten Kadialis ist der Puls nicht tastbar.
Pupillarrcflex rechts eingeschränkt, Pupille viel enger als links. Heringe Ptosis
und Exophthalmus am rechten Auge. Das Projektil liegt nach Röntgenaufnahmen
entsprechend dem rechten Sternoelavieulargelenk. Enter Kompressionsverbänden,
die systematisch angewendet werden, scheint das Aneurysma kleiner zu werden.
Die Haut des Halses und des Thorax ist von unheimlich dicken Venen durch¬
zogen.
Operation am 23. Dezember 1915 an der v. EiseisbergVhen Klinik in
Wien, die ich mit Erlaubnis meines verehrten Lehrers v. Eiseisberg unter
seiner Assistenz vornehmen durfte. Bogenförmiger Schnitt von der Mitte des
Sternoeleidomastoideus über das innere Clavieuladrittel herab bis in die vordere
Aehselfalte. Nach Unterbindung mehrerer subkutaner Venen von Fingerdicke
temporäre Aufklappung der Clavieula und Durehsehneidung der Pectoralmusku-
latur. Die Vena jugularis und subclavia sind auf Dünndarmdicke angeschwcdlcn.
Der ganze aneurysmatische Sack, der gerade im Winkel zwischen Subclavia und
Uarotis zu liegen .scheint, ist von mächtigen Schwielen gedeckt. Bei dem Ver¬
suche, diese abzupräparieron. reisst der Sack mehrfach ein, wobei es jedesmal
zu sehr starken Blutungen kommt, die nur durch manuelle Kompression be¬
herrscht werden können, da jedes Instrument zur Abklemmung von (iofässen
weitere Einrisse in dem morschen Gewebe verursacht. Aufsuchen der Arteria
anonyma und Ligatur derselben. Trotz Umstechungen aber gelingt es nicht, die
Blutung aus den grossen Venen und ihren vielen Unilateralen zum Stehen zu
bringen. Bei dreistündiger Dauer der Operation hatte der Patient trotz fort¬
gesetzter intravenöser Infusion von Kochsalz so viel Blut verloren, dass die Ope¬
ration in einem ganz unbefriedigenden Stadium abgebrochen, die grösst* Wund-
hohle tamponiert werden musste. Stunde später starb der Kranke, ohne das
Bewusstsein wieder erlangt zu haben.
Obduktion (Doz. Dr. Wies net*): Unterbindung der zuführenden Vena
subclavia und jugularis, der Arteria anonyma und subclavia bei arteriovenösem
Aneurysma im Bereiche der Subclavia. Der Aneurysmasack in seinem vorderen
Anteil zerrissen, nach rückwärts unter Usur an der ersten Rippe angelötet,
kleinapfelgross, starrwandig. Die Arteria subclavia war von hinten nach vorm*
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
K ricgsaneu ry smen.
691
durchschossen, kommunizierte nach rückwärts mit dem beschriebenen Sack,
nach vorne findet sich ein hellergrosses Loch, das mit der Vena subclavia kom¬
muniziert haben dürfte. Obliteration an der Einmiindungsstellc der Vena ano-
liyma in die cava superior durch organisierten Thrombus. Mächtige Erweiterung
der oberflächlichen Hals-, Thorax- und Armvenen. Allgemeine hochgradige
Anämie, .Hyperplasie der Follikel des Dünndarms und Zungengrundes, im Oeso¬
phagus angedeutet.
67. ,1. B., 31 Jahre alt, verwundet am 20. Januar 1916. Operation am
B. Februar 1916. Durchschuss durch das linke Bein, Einschuss knapp oberhalb
des linken Ligamentum Poupartii, Ausschuss in der linken Gesässbaeke knapp
neben dem After. Grosses Aneurysma arteriovenosum, das zum Teil intrapelvin
siel egen ist. Noch leichte Eiterung des Sehusskanalos. Sehr schwierige Präpa¬
ration wegen ausgedehnter Sehwielenbildung. Da diese auch noch weit intra¬
pelvin reicht, ist auch die Aufsuchung von Arteria und Vena iliaea externa recht
erschwert. Die Vene muss central und peripher vom Aneurysma urnstoehen und
ligiert werden, da eine Präparation der Vene in den Schwielen ohne Verletzung
der Vene nicht gelingt. Endlich steht dann die recht erhebliche Blutung. Die
Arterie zeigt zwei Löehnr, eines am Uebergang von Iliaea externa in die Femo¬
ralis, ein zweites knapp oberhalb des Abganges der Profunda femoris. Die
beiden, je bohnengrossen Löcher der Arterie liegen so nahe, dass es zweck¬
mässiger erscheint, diesen Arterienbezirk, im ganzen 4 ein, zu resezieren und die
circulare Gefässnaht vorzunehmen. 19 Knopfnähte. Der noch am Operations¬
tisch geprüfte Puls in Arteria pediaea und tibialis posterior ist ebensogut wie am
gesunden Bein. Heilung per primam bis auf die Drainage, die wegen der noch
bestehenden Eiterung angewendet wurde.
68. .). Th.. 19. Jahre alt. wurde Anfangs Oktober 1915 durch einen .Schräg¬
schuss durch den linken Oberschenkel verwundet. Jetzt besteht- an der Mitte
der Innenseite des Oberschenkels ein kindskopfgrosser Tumor, der etwas fluktu¬
iert, keine Spur von Pulsation zeigt, bei oberflächlicher Auskultation auch kein
Gcfässgeräusch erkennen lässt, sich aber wohl bei tiefer Auskultation mit stark
eingedrücktem Hörrohr durch ein pfeifendes pulsatorisehcs Geräusch als Aneu¬
rysma verrät. Beweglichkeit des Beines hochgradig eingeschränkt, peripher
kein Puls tastbar.
Operation am 4. Februar 1916. Die Grösse des Tumors erheischt einen
Schnitt vom Poupart’sehen Bande bis in den Adduktorenschlitz. Die Arterie
muss aus unglaublich dicken Schwielen, die fast der ganzen Länge des Arterien¬
rohres nach bis in den Adduktorenschlitz reichen, auspräpariert werden. Bei
der Präparation pflügte ich von der Arterienverletzung aus, die in der Höhe des
Abganges «1er Profunda femoris liegt, auf 4 cm «las Arterienrohr, so dass nach
Ausräumung des Aneurysmasackes die Profunda unterbunden und von der Arteria
femoralis 5 ein reseziert werden müssen. Da die Arterie durch die angelagerten
Schwielen in ein sehr starres Bohr verwandelt ist, lässt sie sieh nicht sehr gut
mobilisieren und wird die folgende eireulärc Naht unter beträchtlicher Spannung
trotz Beugung in Hüfte und Knie ausgeführt. Sie gelingt mit 16 Knopfnähten.
Die Naht ist schon beendet als 10 cm höher, im Bereiche der cent-ral angelegten
Hopfner-Klemme, die Arterie abreisst. Die sofort einsetzende Blutung wird im
Momente beherrscht, dadurch, dass das Gefäss mit den Fingern gefasst wird.
Nach entsprechender Anfrischung der zerrissenen Bänder wird auch jetzt wieder
die circulare Gefässnaht mit 16 Knopfnähteu und einigen losen IVbernähungen
mit Gefasseheide ausgeführt. Das Mittelstück zwischen den beiden circularen
Nähten, 10 ein lang, ist vollkommen frei implantiert, da von ihm kein einziges
Seitengefäss abgeht, bzw. solche zwecks Mobilisierung der Arterie vorher untcr-
Digitized by
Go. igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
692
II. v. Haherer,
Digitized by
bumlen -werden mussten.- Drainage der kindskopfgrossen Aneurysmahöhle nach
dem tiefsten Punkte. Leichte Cireulationsstürimgen am Tage der Operation
gelten sich schon nach 24 Stunden.
69. (LS., 25 .Jahre alt, verwundet am 5. Mai 1915. Durchschuss durch
den rechten Oberarm. Einschuss lateral entsprechend dem l’ebergang von
mittlerem in unteres Oberarmdrittel, Ausschuss medial im Sulcus bieipitalis
internus, knapp oberhalb des medialen Epicondylus. Durch monatelanges Tragen
einer Mitella hat Patient eine schwere rein muskuläre Kontraktur des Ellen¬
bogens, der kaum bis zum rechten Winkel gestreckt werden kann. Radialpuls
nicht tastbar, keine Nervenstörungen.
Op erat ion am 7. Februar 1916. Typischer Schnitt zur Aufsuchung von Bra-
ehialis und Cubitalis. Die Arterie ist knapp oberhalb des Feberganges in die
Fubitalis vollstämlig durchschossen, die beiden obliterierten Enden liegen schriige
neben einander, durch eine derbe 1 l j 2 cm lange bindegewebige Schwiele mitein¬
ander verbunden. Knapp darunter trägt die Arteria cubitalis an der medialen
Seite ein erbsengrosses Aneurysma verum, offenbar als Folge eines Streifschusses
dieser Gefässpartie. Nach Resektion der Schwiele bis in die normalen Gefäss-
partien hinein und Mitnahme des kleinen Aneurysmas würde die circuläre Ge-
fässnaht ganz leieht möglich sein. Doch nehme ich deshalb davon Abstand,
weil die blosse Mobilisierung des centralen Arterienrohres, die ohne jede Gewalt¬
anwendung leicht vor sich geht, genügt, um zu einer Verlegung des Gefässrohrcs
derart zu führen, dass nach probeweiser Abnahme der Hopfner-Klemme das
Gebiss bis an sein Ende gut pulsiert, ohne dass ein Tropfen Blut ausfliesst.
Die Intima hat sich derart eingekrempelt! Da andererseits das periphere
Lumen daraufhin geprüft, stark arteriell blutet, werden beide Lumina unterbunden.
Durchtrennung aller Schwielen macht vollständige Streckung des Ellenbogen-
gelenkes möglich, arterielle Blut Versorgung der Hand ausgezeichnet.
70. F. R., verwundet am 18. November 1914 durch Querschuss durch
den linken Oberschenkel knapp oberhalb des Kniegelenkes. Am 5. Tage nach
der Verletzung, als der Kranke eben aus dem Lazarett abtransportiert werden
musste, trat eine schwere arterielle Blutung ein, die sofortige Operation nötig
machte. Es wurde die Arterie am Orte der Wahl, knapp oberhalb des Aneu¬
rysma, nämlich im Adduclorenschlitz, unterbunden. Sofort stand die Blutung,
Ein- und Ausschuss vernarbten bald. Patient erholte sich, konnte aber nie
recht gehen, weil es ihm beschwerlich war, das Kniegelenk zu strecken, vor
allem aber, weil er bei längerer Belastung des Beines Wadenkrämpfe bekam.
An meine Klinik kam er Mitte Februar 1916! Es findet sich ein grosses
Poplitealancurysma. Der Kranke ist sehr fettleibig, trotzdem lässt sieh das
Aneurysma gut nach weisen.
Operation am 1. März 1916 gestaltet sieh wegen der starken vorhan¬
denen Schwielen recht schwierig. Es findet sieh ein eigrosses Aneurysma spu¬
rium der Arteria poplitca. daneben noch ein Aneurysma arteriovenosum. Ex¬
stirpation beider Säcke mit doppelter Fnterbindung der Vene, in der Arterie
bleibt ein 4 cm langen*, seitlicher Defekt zurück, der mehr als - der Circum-
ferenz einnimmt, so dass sich die Resektion von 5 cm Arterie und die circuläre
Naht empfiehlt. Letzten*, mit IS Knopfnähtcn ausgeführt, funktioniert aus¬
gezeichnet. Heilung per primam.
71. P., verwundet vor 5 Wochen, meiner Klinik am 2. Februar 1916
cingelicfcrt. Kindskopfgrosses Aneurysma der Art. femor. im Adductnrenschlitz,
stark eiternde Wunde, sehr heftige Schmerzen und Eicher. Keine Pulsation
tastbar, Gefässgcräuseh sehr gut hörbar. In v. Ksmareh'seher Blutleere Eröff-
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
I\ riegsaneurvsmen.
693
mini; dos aneurysmatischcn Sackes, der sich in der Tiefe bis in das obere
(tberschenkeldrittol hinaufzieht und in Wirklichkeit Mannskopfgrösse besitzt.
Der Femurknochen periostent blösst rauh. Frei durch den Sack ziehen die
grossen Gebisse. Die Arterie erweist sieh gerade im Adduetorenschlitz verletzt,
weist zwei einander gegenüberliegende grosse Löcher auf, deren Ränder schwielig
verdickt sind. Die Intima der Arterie hier so verändert, dass ich lieber die
Resektion von 3 cm Arterie und dann die cireiiläre Naht ausführe. Diese
funktioniert sofort sehr gut. Vene unverletzt. Drainage des grossen Sackes
am tiefsten Funkte. Heilung per secundam.
72. «I. I.., 38 Jahre alt, verwundet am 21. Februar 191 (>. Durchschuss
knapp unterhalb des rechten Kniegelenkes. Der Klinik am 11. März 191G ein-
goliefort mit leichter Anirina. Intensivste Schmerzen in der rechten Kniekehle,
Oedem des ganzen rnterschenkels und des Fusses, peripher kein Puls tastbar.
Temperatur, anhaltend bei 38, durch die Angina nicht erklärt, Fin- und Aus¬
schuss völlig vernarbt. Morphin bändigt die Schmerzen nicht. In der Fossa
poplitea ein eigrossos. stark pulsierendes Aneurysma tastbar, das ein lautes
systolisches Geräusch gibt.
Operation am 16. März 191 (>. Freilegung der Arteria poplitea, was
durch ein grosses Convolut starker Venen erschwert wird. Knapp unterhalb
des Kniegelenkes komme ich auf ein über eigrosses Aneurysma, das sich gegen
die Tibia hin eine Höhle gewühlt und zum Schwunde des Periostes der hinteren
Tibiafläche geführt hat. Die Arteria poplitea weist in dom Bereiche- des Aneu¬
rysmas einen 4 cm langen seitlichen Defekt auf, der so breit ist, dass die
beiden Lumina nur durch fönen ganz schmalen Gewebs>anm noch in Verbindung
stehen. Deshalb kann von einer lateralen Naht nicht die Rode sein. Die
circulare Naht aber wird ausserordentlich erschwert dadurch, »lass der periphere
Arterienstumpf sehr kurz ist und sich deshalb nicht mobilisieren lässt, weil er
schon der Teilungsstolle der Poplitea in Tih. antiea und postiea angehört. Die
Naht gelingt mit 21 Knnpfnähten. Heilung per primam.
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4.
46
Digitized by
Gck igle
Original from
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
_ ^
Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4.
Gck 'gle
Original frnrri
UMIVERSITY OF IOWA
LICHTDRUCK VON ALBERT FRISCH, BERLIN W.
Digitized by Google
Original from
UNIVERSIIY OF IOWA
Digitized by
Go igle
Original frnm
UNIVERSUM OF IOWA
Digitized by Google
Taf. XXI.
4
Original from
UNIVERSIIY OF IOWA
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
ARCHIV
FÜR
KLINISCHE CHIRURGIE.
BEGRÜNDET VON
Dr. B. von LANGENBECK,
weil. Wirklichem Geh. Rat and Professor der Chirurgie.
HERAUSGEGEBEN
VON
Dr. w. körte, d r . a. Fre. h . von eiselsberg,
Prof, in Berlin. Prof, der Chirurgie in Wien.
Dr. 0 . HILDEBRAND, Dr. A. BIER,
Prof, der Chirurgie in Berlin. Prof, der Chirurgie in Berlin.
HUNDERTUNDSIEBENTER BAND.
VIERTES HEFT.
(Schluss des Bandes.)
Mit 2 Tafeln und rahlreichen Textfiguren.
*
BERLIN 1916.
VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD.
NW. Unter den Linden 68.
Ausgegeben am 26. April 1916.
Digitized by
Verlag voll Angast Hirschwald in Berlin.
Soeben erschien:
Diagnostische und therapeutische
Ergebnisse der Hirnpunktion.
Eine kritische Studie von Dr. W. Pincns.
1916. gr. 8. 6 M.
Ueber die Versorgung unserer
Verwundeten im Felde.
Vortrag,
gehalten am 11. April 1915 im Saale des
Abgeordnetenhauses
von
Dr. W. Körte,
Generalarzt, beratender Chirurg des III. Reservekorps.
1915. 8. 1 M.
Der Ertrag ist nun Besten der Hinter*
bliebenen des in.Heservekorps bestimmt.
Die Chirurgie
der
Blutgefässe und des Herzens
von Dr. Ernst Jeger.
1913. gr. 8. Mit 231 Textfiguren. 9 M.
Die
Verletzungen der Wirbelsäule
durch Unfall.
Ein Beitrag zur Versicherungsmedizin.
Auf Grund von Eigenbeobachtungen
von Dr. med. P. 0. Quetsch.
1914. gr. 8. Mit 103 Textfig. 4M. 50 Pf.
Die Anwendungsweise
der
Lokalanästhesie in der Chirurgie.
Auf Grund anatomischer Studien
und praktischer Erfahrungen dargestellt
von Prof. Dr. Fritz Hohmeier.
Mit Einführung von Prof. Dr. Fritz König.
1913. gr. 8. Mit 54 Textfiguren. 4 M.
Die Sanitätsausrüstung
des Heeres im Kriege.
Hit Genehmigung des Kgl. preußischen Kriegs-
minlsterlums unter Benutzung amtlicher Quellen
bearbeitet von
Oberstabsarzt Dr. W. Niehues.
1913. gr.8. Mit239 Abbild. 24M.,geb. 25M.
(Bibi. v. Coler-v. Schjerning, XXXVII. Bd.)
Verlag von Anglist Hirschwald in Berlin.
Die Fäzes des Menschen
im normalen und krankhaften Zustande
mit besonderer Berücksichtigung der kli¬
nischen Untersuchungsmethoden
von Prof. Dr. Ad. Schmidt
und Prof. Dr. J. Strasbnrger.
Vierte neu bearbeitete und erweiterte Aufl.
Mit 15 lithogr. Tafeln und 16 Textfiguren.
1915. gr.8. 22 M.
Die experimentelle Diagnostik,
Seromtherapie und Prophylaxe
der Infektionskrankheiten
von Oberstabsarzt Prof. Dr. E. Mari.
Dritte Aufl. gr. 8. Mit 2 Taf. u. 4 Textfig.
1914. 12 M.
(Bibliothek v. Coler-v. Schjerning, XI. Bd.)
Grundsätze
für den Ban von Krankenhäusern
von Obergeneralarzt Dx. Thel.
Zweite vermehrte Auflage.
1914. gr.8. Mit 4Tafelnu. 84 Textfig. 6M.
(Bibliothek v. Coler-v. Schjerning, XX. Bd.)
Soziale Pathologie.
Versuch einer Lehre von den sozialen
Beziehungen der menschlichen Krankheiten
als Grundlage der sozialen Medizin und
der sozialen Hygiene
von Prof. Dr. med. Alfred Orotjahn.
Zweite neubearb. Aufl. 1915. gr.8. 15 M.
Röntgen«Therapie
(Oberflächen- und Tiefenbestrahlung)
von Dr. H. E. Schmidt.
Vierte neubearb. und erweiterte Auflage.
1915. 8. Mit 83 Textfiguren. Gebd. 6 M.
Lehrbuch der Unfallheilkunde
für Aerzte und Studierendo
von Dr. Ad. Silberstein.
1911. gr.8. 13M.
Die chronische Entzündung
des
Blinddarmanhanges
(Epityphlitia chronica)
bearbeitet von Dr. Fritz Colley.
1912. gr.8. 6 M.
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
r
Verlag von AUGUST HIRSCHWALD in Berlin NW. 7.
(Durch alle Buchhandlungen zu beziehen.)
Handbuch
der allgemeinen und speziellen Arzneiverordnungslehre.
Auf Grundlage des Deutschen Arzneibuches 5 . Ausgabe
und der neuesten ausländischen Pharmakopöen
bearbeitet von
Dr. C. A. Ewald, \ Dr. A. Heffter,
Geh. Med.-Rat, ord, Honorarprofessor, Geh. Med.-Rat, ord. Professor
dirig. Ar*t im Augustahospital in Berlin u. Direktor des pharm&kol. Instituts in Berlin.
Mit einem Beitrag von Prof. Dr. E* Friedberger*
Vierzehnte, gänzlich umgearbeitete Auflage. 1911. gr. 8. Preis geb. 18 M.
Die vorliegende neue Auflage ist auf Grundlage des neuen Deutschen Arznei¬
buches und der neuesten fremden Pharmakopöen mit Berücksichtigung der neuen Arznei¬
mittel ergänzt und vermehrt worden. Das Erscheinen dieser neuen Auflage der Arznei¬
verordnungslehre ist daher im ärztlichen Publikum allgemein freudig begrüsst
worden. Dieselbe ist von Geh. Rat Ewald für den therapeutisch-klinischen Teil und
von Geh. Rat Heffter* für den pharmakologischen Abschnitt neu uragearbeitet und durch
einen Beitrag des Prof. Dr. Friedberger über „Sera therapeutica“ erweitert worden.
Das Handbuch der Arzneiverordnungslehre ist dem praktischen Arzte
vollkommen unentbehrlich geworden, da es mit seinen ausführlichen, nach den Krank¬
heiten und nach den Arzneimitteln geordneten, so praktischen Registern einem
unzweifelhaften Bedürfnisse für die ärztliche Praxis vollkommen entspricht.
Klinik der Nervenkrankheiten.
Ein Lehrbuch für Aerzte und Studierende.
Mit einem Vorwort von Prof. G. KLEMPERER.
Von Dr. Leo Jacobsohn (Charlottenburg).
Mit 367 Textfig. u. 4 Tafeln in Farbendruck. 1913. Preis brosch. 19 M., geb. 21 M.
... Es ist ein verdienstvolles Unternehmen von Jacobsohn die reichen Erfahrungen,
welche er am grossen neurologischen Material des Krankenhauses Moabit unter Anregung
von Gofdscheider und G. Klemperer im eifrigen und jahrelangen Studium gesammelt hat,
einem grösseren Kreise zugänglich zu macheu und als Niederschlag seiner Beobachtungen
und Untersuchungen uns ein Werk vorzulegen, welches das Wort „Lehrbuch“ im besten
Sinne des Wortes verdient.
Aus der Praxis für die Praxis zu schreiben, ist dem Verfasser vortrefflich gelungen.
Die Vermeidung alles Theoretischen, die Berücksichtigung der pathologischen Anatomie
immer im Hinblick auf das klinische Verständnis, die starke und wohl gelungene Betonung
des Klinischen und Therapeutischen sind ganz besondere Vorzüge dieses Buches. Aus¬
gezeichnet in seiner knappen, präzisen und klaren Darstellung finde ich den allgemeinen
Teil mit der Darstellung der Untersuchungsmethoden, der allgemeinen Symptomatologie,
Diagnostik und Therapie. Das Gleiche gilt vom speziellen Teile. Auch hier in jedem
Kapitel eine gedrängte und doch eingehende Schilderung der verschiedenen Krankheits¬
bilder. Die'reichhaltigen, gut ausgewählten Abbildungen machen die Darstellung anschaulich
und beleben sie. Die Verlagsbuchhandlung hat keine Opfer an der Ausstattung gescheut.
Format und Druck sind von angenehmer Grösse und Form, die Abbildungen vorzüglich
reproduziert. Geh. Med.-Rat Siemerling-Kiel. (Arch. f. Psych. u. Nervenkr., 52. Bd., H. 2.)
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSUM OF IOWA
Inhalt
Seite
XX. Die operative Behandlung der supralaryngealen Pharynxstenose
durch Pharyngotomia externa und Lappenplastik. (Aus der
chirurgischen Universitätsklinik der Königl. Charite in Berlin. —
Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen.
(Mit 12 Textfiguren.)
533
XXI. Zur Technik der Schädelplastik. (Aus der Chirurg. Universitäts¬
klinik der Königl. Charite in Berlin. — Stellvertr. Direktor: Prof.
Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen. (Hierzu Taf. XX und
XXI und 12 Textfiguren.)
551
XXII. Zur Kenntnis und operativen Behandlung des'multiplen cailösen
Magengeschwürs. Von Dr. E. Liek. (Mit 5 Textfiguren.) . . 575
XXIII. Leitungsanästhesie am Oberschenkel durch Infiltration des in-
carcerierten Querschnitts. (Aus der chirurg. Abteilung des städt.
Krankenhauses St. Georg in Leipzig und dem Reservelazarett II,
1. Abteilung b.) Von Dr. R. Sievers. (Mit 2 Textfiguren.) . 595
XXIV. Kriegsaneurysmen. (Aus der chirurg. Klinik, derzeit klin. Reserve¬
spital in Innsbruck. — Vorstand: Prof. Dr. H. v. Haberer,
k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse.) Von Prof. Dr. H. v. Haberer 611
Einsendungen für das Archiv fiir klinische Chirurgie wolle
man an die Adresse des Herrn Geheirarat Professor Dr. W. Kürte
(Berlin W., Kurfürstenstrasse 114) oder an die Verlagsbuchhandlung
Anglist Hirschwald (Berlin NW., Unter den Linden 68) richten.
Druck von L. Schumacher io Berlin N. 4.
Original from
UNIVERSITY OF IOWA
• Digitizes by
Go igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA
Digitized by
Gck igle
Original frnm
UMIVERSITY OF IOWA