Skip to main content

Full text of "Archiv Für Klinische Chirurgie. V. 107.1916"

See other formats




□ igitizedby O |/ 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 







Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 









































Digitized by 


Original from 

UNIVERSIIY OF IOWA 




Digitized by Gougle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 


ARCHIY 


FÜR 


KLINISCHE CHIRURGIE. 


BBGBiCNDBT VON' 

Dr. B. voa LANGENBEOK, 

weil. Wirklichem Geh. Bat and Professor der Chirurgie. 




HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr. w. körte, Dr. a. Freih. von eiselsberg, 

Prof, in Berlin. Prof, der Chirurgie in Wien. 

D». O. HILDEBRAND. D». A. BIER, 

Prof, der Chirurgie io Berlin. Prof, der Chirurgie in Berlin. 


HUNDERTUNDSIEBENTER BAND. 

Mit 21 Tafeln und aahlreirhen Textfiguren. 


BERLIN 1916. 

VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD. 

NW. Unter den Linden 68. 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 




• • 


Digitized by 



Gch igle 


**♦ *♦ 

r T ' 

t 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



WOV 3 1»^« 


Inhalt 


Heft I: Ausgegeben am 10. Aaguat 1915. Seite 

I. Feber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren mul Cysten 
O (v. Keeklinghausen’sche Knochenkrankheit), zugleich ein expcri- 

~~ menteller Beitrag zur Aetiologie der Knoeheneysten. (Aus der 


chirurgischen l T niversitsitsklinik des Kgl. Charite-Krankenhauses 
in Berlin. — Direktor: Geh. Med.-Kat Prof. Dr. 0. Hildebrand.) 

Von Stabsarzt Dr. Fritz Lot sch. (Hierzu Tafel I -VI.) . 1 

II. Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 

Von Dr. W. B. Müller. (Hierzu Tafel VII und VIII.) . . . 13S 

III. Leber Muskeliiberpflanzungen am Sehultergiirtel. Von M. Geru- 

lanos. (Mit 14 Textfiguren und 2 Skizzen.).159 

IV. Nochmals zur Technik der Magenresektion. (Aus der II. ehirurg. 

Cniversitätsklinik in Wien. — Vorstand: Hofrat Prof. v. Höchen - 
egg.) Von Dr. Hans Finsterer. (Mit 2 Textfiguren.). . . ISO 

V. Sachliche Berichtigung zu vorstehenden Bemerkungen Finstereres. 

Von Prof. Dr. Hans v. Habe rer.189 


Heft II: Ausgegeben am 14. Dezember 1915. 

'CVI. Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgie. Von 

^ Dr. J. Schocmaker. (Mit 4 Textfiguren.). 

v VII. Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten, nebst kasu- 
istisehen Beiträgen aus den Hamburger Krankenhäusern. Von 

^ Richard Paschen . 

-L VIII. Ein Beitrag zur Gastroptosofrage, speziell unter radhdugisehem 
) Gesichtspunkt. (Aus der I. ehirurg. Klinik [Prof. Dr. John Berg] 
* und dem Röntgeninstitut [Dr. G. Forssell] des Kgl. Seraphimer- 
r lazaretts in Stockholm.) Von Dozent Dr. Abraham Troell. 

t (Hierzu Tafel IX und X.). 

v 'IX. Feber Blaufärbung der Sklera und abnorme Knochenbrüchigkeit, 
n (Aus der Kgl. ehirurg. Fniversitätsklinik zu Berlin. - - Direktor: 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier.) Von Dr. Willy Hofmann. 

X. Objektive Symptome der Insufficientia vertebrae. (Aus der ortlio- 
pädischcn Heilanstalt des San.-Rats Dr. A. Schanz in Dresden.) 
Von A. Schanz. (Hierzu Tafel XI —XV.). 


r. 

r 


Die Gefahren der Lumbalpunktion. Von Dr. O. Seliönbeck 


Digitized by 


Gck 'gle 




195 


213 


239 


279 


2Sfi 

309 


Original from 

UNIVERSITT OF IOWA 









Digitized by 


IV Inhalt. 

8eite 

XFT. Zur Frape der Hernia peetinea. Von Dr. Fried rieh Kempf . 36S 

XIII. Erwiderung auf Kempf's Veröffentlichung: r Zur Frage der 


Hernia peetinea“. Von 0. Harzbeeker.377 

Heft III: Ansgegeben am 23. Februar 1916. 

XIV. Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. Von 

Prof. Dr. Sprengel. (Hierzu Tafel XVI XIX.).379 

XV. Eine bisher unbekannte Geschlerhtsteilmissbildung beim Mann. 

Von Dr. Felix Danziger. (Mit 2 Textfiguren.).463 

XVI. Frist chung eines grossen Hautwassersackes nach subkutaner 
Ascitesdrainage. (Aus der chirurgischen Universitätsklinik in 
Zürich. Vorstand: Prof. Dr. F. Sauerbruch.) Von Prof. Dr. 

K. Hen sehen. (Mit 4 Textfiguren.).469 


XVII. Neue Experimente zur Frage der homoplastischen Transplan¬ 
tationsfähigkeit des Epiphysenknorpels und des Gelenkknorpels. 
(Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald. — 
Direktor: Prof. Pels-Leusden.) Von Privatdozent Dr. Fr. H. 


von Tappeiner. (Mit 7 Textfiguren.).479 

XVIII. Ueber Hauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der 

Leber. Von Dr. E. Liek.509 

XIX. Nachtrag zu der Arbeit „Ueber Hlaufärhung dm* Sklera und 
abnorme Knochenbrüchigkeit“ in Heft 2 dieses Bandes. Von 
Dr. W i 11 v H o f m a n n.531 


Heft IV r : Ausgegeben am 26. April 1916. 

XX. Die operative Behandlung der supralarvngealen Pharynxstenose 
durch Pharvngotomia externa und Lappenplastik. (Aus der 


chirurgischen Universitätsklinik der Konigl. Charite in Berlin. — 
Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen. 

(Mit 12 Textfiguren.).533 

XXL Zur Technik der Schädelplastik. (Aus der chirurg. Universitäts¬ 
klinik der Königl. Charite in Berlin. -- Stellvertr. Direktor: Prof. 
Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen. (Hierzu Taf. XX und 

XXI und 12 Textfiguren.) .551 

XXII. Zur Kenntnis und operativen Behandlung des multiplen callösen 

Magengeschwürs. Von Dr. E. Liek. (Mit 5 Textfiguren.) . . 575 


XXIII. Leitungsanästhesie am Oberschenkel durch Infiltration des in- 
earcerierten Querschnitts. (Aus der chirurg. Abteilung des städt. 
Krankenhauses St. Georg in Leipzig und dem Reservelazarett II. 

1. Abteilung b.) Von Dr. R. Sievers. (Mit 2 Textfiguren.) . 595 

XXIV. Kriegsaneurysmen. (Aus der chirurg. Klinik, derzeit klin. Reserve- 
spital in Innsbruck. — Vorstand: Prof. Dr. II. v. Habe rer. 
k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse.) Von Prof. Dr. II. v. Habcrer 611 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 










I. 


(Aus der chirurg. Universitätsklinik des Kgl. Charite-Krankenhauses 
in Berlin. — Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. 0. Hildebrand.) 

Ueber generalisierte Ostitis fibrosa 
mit Tumoren und Cysten 
(v. Recklinghausen’sche Knochenkrankheit), 
zugleich eiu experimenteller Beitrag zur Aetiologie 
der Knochencysten. 

Von 

Stabsarzt Dr. Fritz Lotscli, 

Assistent der Chirurg. Universitätsklinik der Kgl. Charite. 

(Hierzu Tafel I—VI.) 


Anlass zu den nachfolgenden Untersuchungen gab ein aus¬ 
gesprochener Fall von generalisierter Recklinghausen’scher Ostitis 
fibrosa, bei dem die Cystenbildung das Bild beherrschte. Seitdem 
auch die solitären Formen, besonders die sogenannten Knochen¬ 
cysten zum weitaus grössten Teil als Folgezustände dieser Ostitis 
fibrosa erkannt und anerkannt worden sind, hat sich die Kasuistik 
und die zusammenfassende Literatur mit den solitären Knochen¬ 
cysten viel eingehender und häufiger beschäftigt, als mit der 
generalisierten Erkrankungsfonn. Die chirurgische Literatur über 
die solitären Knochencysten ist infolgedessen gegenwärtig gewaltig 
angewachsen. Der Grund für diese Bevorzugung und dies beson¬ 
ders lebhafte Interesse der Chirurgen ist ein zweifacher. Erstlich 
sind die Fälle mit solitären Knochencysten ungleich häufiger, und 
zweitens mit fast ausnahmslos gutem Erfolge operabel. Die Gleich¬ 
heit des anatomischen Befundes hat übrigens bereits Froriep Aus¬ 
gang der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts veranlasst, in un¬ 
mittelbarem Anschluss an seinen berühmten Fall von generalisierter 
Cystenbildung im Knochensystem eine zweite, von den späteren 
Autoren anscheinend völlig übersehene Beobachtung einer solitären 
multiloculären Darmbeincyste zu beschreiben. 

Die generalisierte Form der Ostitis fibrosa ist als erheblich 
seltener zu bezeichnen, so dass derartige Fälle auch heute noch 
auf den Aerzteversammlungen mit Vorliebe demonstriert werden. 

Archiv für kiin. Chirurgie. Bd. 107. Hefi 1. i 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 


j 



Digitized by 


2 F. Lutsrli, 

So hat Paltauf-Wicn für die 85. Versammlung der Naturforscher 
und Aerzte in Wien (September 1913) die Demonstration eines 
Skeletts von Ostitis fibrosa mit multiplen Cysten und Tumoren an¬ 
gekündigt. Trotz der umfangreichen Literatur und der zahlreichen 
Arbeiten zusammenfassenden Charakters bietet dieses Gebiet noch 
mannigfache ungelöste Probleme, so dass eine zusammenfassende 
Darstellung unter besonderer Betonung der generalisierten Form 
auch heute nicht wertlos sein mag. 

Da mir durch die Güte des Herrn Geheimrat Prof. Dr. Orth 
die Präparate des pathologischen Museums der hiesigen Universität 
zugänglich waren, konnte ich einige, für die ältere Literatur be¬ 
sonders wichtige Fälle Virchow’s nachuntersuchen, und hoffe da¬ 
durch einige Unklarheiten und Missverständnisse beseitigen, sowie 
die Fragestellung für die unbekannte Aetiologie vereinfachen zu 
können; denn für das Verständnis der Genese sind die generali¬ 
sierten Fälle sicherlich mindestens ebenso wichtig, vielleicht sogar 
wichtiger und mehr Richtung gebend. 

Schliesslich zeigte mir die Durchsicht der Literatur, dass die 
Frage der experimentellen Erzeugung von Knochencysten mit Aus¬ 
nahme der wenigen Versuche Lexers noch garnicht in Angriff 
genommen, oder wenigstens bis zur Stunde noch nichts darüber 
mitgeteiit ist (vergl. Boit). Dies so gut wie unbestellte Gebiet 
reizte mich trotz aller beschränkenden Schwierigkeiten zu experi¬ 
menteller Prüfung. 

Die folgenden Untersuchungen über die generalisierte Ostitis 
fibrosa von Recklinghausen’s gliedern sich demnach in einen klini¬ 
schen und einen pathologisch-anatomischen Teil mit ausführlicher 
Berücksichtigung der Literatur unter Einbezug der Fälle solitärer 
Knochenerkrankungen. Im dritten Abschnitt will ich die Aetio¬ 
logie zusammenfassend behandeln, zum Schluss meine Experimente 
mitteilen. 

Die Systemerkrankungen des Skeletts sind nach rein patho¬ 
logischen bzw. histo-pathologischen Begriffen abgegrenzt und klassi¬ 
fiziert worden, weil wir über die Genese so gut wie völlig im 
Unklaren sind. Das gilt für Rachitis und Osteomalacie ebenso wie 
für die senile Osteoporose und die als Ostitis fibrosa und Ostitis 
deformans benannten Krankheitsbilder. Mit Recht erwartete man 
für die Abgrenzung der einzelnen Krankheitstypen die wichtigsten 
Aufschlüsse von der histologischen Untersuchung. Aber gerade 
das nähere Studium des histologischen Substrats dieser verschie¬ 
denen Systemerkrankungen des Knochengewebes hat trotz aller 
vermeintlichen und tatsächlichen Unterschiede soviel Gemeinsames 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



L'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


3 


und geradezu verblüffend Gleichförmiges zutage gefördert, dass die 
Grenzen nicht schärfer, sondern immer undeutlicher wurden, und 
namhafte Autoren (v. Recklinghausen, Schuchardt, Schmorl 

u. a.) offen bekennen, cs gäbe keine grundsätzlichen Unterschiede 
z. B. zwischen Rachitis und Osteomalacie. Es ist eine sicherlich 
auffällige und gewichtige Tatsache, wenn ein Mann wie v. Reck¬ 
linghausen als Endergebnis einer gerade der Knochenpathologie 
gewidmeten Lebensarbeit ausspricht: „Auch bei dieser Kategorie 
der erweichenden Knochenkrankheiten erweist es sich als untunlich, 
ja unmöglich, zwischen Rachitis und Osteomalacie eine reinliche 
und brauchbare Scheidegrenze zu ziehen.“ 

Mit dem Namen Rachitis verknüpfen wir ein bestimmtes 
Krankheitsbild und v. Recklingshausen gibt zu, dass es die Be¬ 
griffe verwirren würde, wollte man vorschlagen, ihn abzuschaffen. 

v. Recklinghausen’s Einteilung in porotische, hypo-, hyper- und 
plegmatoplastische Malacie trennt nach anatomischen Befunden ver¬ 
schiedene Spielarten des gemeinsamen Krankheitsbildes. Wie es 
scheint, bürgern sich diese Bezeichnungen nicht ein. Wenn zwischen 
Rachitis und Osteomalacie eine brauchbare Scheidegrenze nicht be¬ 
steht, so bekennen wir am besten offen, dass wir unter Rachitis 
die Osteomalacie der Kinder begreifen. Ihre Besonderheiten sind 
durch das Vorhandensein der Epiphysenknorpel vornehmlich be¬ 
dingt. Der Rachitis stände dann die Osteomalacie der Erwachsenen 
gegenüber, vor allem ihre puerperale Form. Ob zwischen der 
senilen Porose und der Osteomalacie des Alters mehr als ein gra¬ 
dueller Unterschied besteht, bleibt gleichfalls zweifelhaft. Allen 
diesen Krankheitsbildern ist die Ausbreitung auf das Knochensystem 
gemeinsam und als wesentliches Substrat eine Störung des Gcwebs- 
gleichgewichts der Knochen, eine Gleichgewichtsstörung zwischen 
An- und Abbau, die zur Knochenerweichung führt. 

Zu diesen genannten Krankheitsformen gesellen sich seit dem 
letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts noch zwei hinzu, gleich¬ 
falls Krankheiten, die zur Erweichung des Knochensystems führen, 
die 1876 von Paget beschriebene Ostitis deformans und die 1891 
(bzw. 1889) von v. Recklinghausen beschriebene Ostitis fibrosa 
mit Tumoren und Cysten. Zwischen diesen beiden Krankheits¬ 
bildern finden sich auch wieder so zahlreiche Uebergänge und 
Zwischenstufen, dass sie v. Recklinghausen in seinen nach¬ 
gelassenen Untersuchungen über Rachitis und Osteomalacie als 
metaplastische Malacie zusammenfasst. Er nennt die Paget- 
sche Form die hyperostotisch - metaplastische Osteomalacie und 
stellt ihr die von ihm beschriebene als einfach metaplastische 
gegenüber. 

l* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



4 


F. Lot sch. 


Digitized by 


Die verschiedenen Arten der rachitisch - malacischen Erkran¬ 
kungen der Knochen ordnet v. Recklinghausen demnach in 
folgendes Schema: 

a) Die porotische Malacie mit der Enterart der porotisch- 
hyperplastischen Malacie, 

b) die hyperplastische Malacie, 

c) die plegmatoplastische Malacie, 

d) die metaplastische Malacie = fibröse Ostitis (v. Reckling¬ 
hausen), hierzu gehörig die nicht parasitären Knochen¬ 
cysten, 

e) die hyperostotisch-hyperplastische Malacie = deformierende 
Ostitis (Paget), hierzu gehörig die hyperostotisch- und 
cystisch-metaplastische Malacie = Tumor bildende fibröse 
Ostitis der Säugetiere, sowie die gutartigen Sarkome der 
Knochen (Epulide, Myeloide, myeloplastische Tumoren) = 
Neubildungen aus fibröser Ostitis, 

f) die myeloplastische und hyperostotische Malacie = Osteo¬ 
genesis imperfecta. 

Uns werden im folgenden vornehmlich die unter d und e auf¬ 
geführten Kategorien beschäftigen. Sicherlich handelt es sich hier¬ 
bei lediglich um morphologische Einheiten, deren Grenzen nicht 
scharf sind. Die ausgesprochenen Fälle der Knochenerkrankung 
nach Paget und v. Recklinghausen sind morphologisch gut und 
leicht zu unterscheiden. Die Uebergangsfälle bereiten dagegen um 
so grössere Schwierigkeiten für die Diagnose. 

Zunächst sei das Krankheitsbild der Paget’schen Krankheit 
kurz nach unseren gegenwärtigen Kenntnissen gezeichnet. Die Er¬ 
krankung ist in England und auch in Frankreich anscheinend er¬ 
heblich häufiger als bei uns in Deutschland, so dass der grösste 
Teil der Fälle in der englischen und besonders auch in der fran¬ 
zösischen Literatur veröffentlicht ist. 

An die klassische Beschreibung des Krankheitsbildes durch 
J. Paget im Jahre 1876 schloss sich in den nächsten Jahren eine 
immer wachsende Zahl von Beobachtungen zugehöriger Fälle. 
Gegenwärtig sind über 100, davon 50 pCt. in England, beobachtet 
und beschrieben worden. Die Krankheit befällt beide Geschlechter 
in etwa gleicher Zahl und fast stets im reifen oder gar im Greisen- 
alter. Es ist deshalb bis zu einem gewissen Grade leicht ver¬ 
ständlich, dass in den meisten Fällen nebenher die häufigen 
Alterserkrankungen gefunden wurden, vornehmlich Atherosklerose, 
Rheumatismus und die als neuro-arthritische Diathese zusammen¬ 
gefassten Leiden. Die Krankheit entwickelt sich meist schleichend, 
häufig ohne Schmerzen, bis plötzlich die bereits ausgcbildeten 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


5 


Skelett,deformationen bemerkt werden. Oefters werden als erste 
Anzeichen der Krankheit Neuralgien und rheumatische Schmerzen 
beobachtet, die bisweilen heftig, bisweilen blitzartig in den Knochen 
auftreten und in Schüben zu einer Hypertrophie und Deformation 
der Knochen führen. Vor allem sind die Tibien häufig betroffen; 
sie werden dick und allmählich nach aussen und vorn konvex ge¬ 
krümmt. Die Fibula ist meist in viel geringerem Grade beteiligt. 
Tritt auch eine nach vorn und aussen konvexe Krümmung der 
Femora ein, so kommt es zu einer starken und typischen O-Bein- 
stellung. Am Schädel nimmt die Hyperostose öfters gigantische 
Formen an. Der Schädelumfang vergrössert sich stark, die eben¬ 
falls hyperostotische Schädelbasis lässt häufig eine sogenannte Ele¬ 
vation erkennen, der Gesichtsschädel ist meist frei, doch wurden 
auch Verdickungen, besonders der Jochbögen und Kieferknochen 
beobachtet. In mehreren Fällen kam es zu frühzeitiger Ausstossung 
der gesunden Zähne durch Verengerung der Zahnalveolen. Typisch 
ist ferner in dem späteren Krankheitsvcrlauf eine Kyphose bzw. 
Kyphoskoliose der Wirbelsäule, besonders in ihrem Brustabschnitt. 
Der Thorax zeigt seitliche Abplattung durch Einwärtsbiegung der 
Rippen. Das Becken erscheint durch eine Verdickung der Darm¬ 
beinkämme bisweilen verbreitert, während eine Verengerung der 
inneren Beckenmasse nicht zu dem typischen Krankheitsbilde ge¬ 
hört. Im Gegensatz zu den unteren Extremitäten sind die Arme 
meist weniger beteiligt, in einigen Fällen wurde eine nach hinten 
aussen konvexe Verbiegung des verdickten Radius beobachtet, noch 
seltener eine Hypertrophie und Krümmung des Humerus. Nach 
den neueren Veröffentlichungen sind hyperostotische Verdickuugen 
des Hand- und Fussgelenks keine Seltenheiten. 

Durch diese ziemlich typische Deformation erhält in den aus¬ 
gesprochenen Fällen der Kranke ein ganz charakteristisches Aus¬ 
sehen. Der grosse Schädel mit dem kleinen Gesicht ist nach vorn 
übergeneigt, durch die Kyphose und die Beinverkrümmung die 
Körperlänge erheblich vermindert, die oberen Gliedmassen erscheinen 
dadurch zu lang, das ganze Aussehen den anthropoiden AfTen ver¬ 
gleichbar. 

Auf der Höhe der Krankheit lassen die Schmerzen meist nach. 
Die Erkrankung ist häufig symmetrisch, doch wurde auch halb¬ 
seitige und gekreuzte Deformation beobachtet. Die Röntgenunter¬ 
suchung ist für beginnende Fälle sehr wichtig. Die Knochenstruktur 
erscheint verdickt, fleckig, das Aussehen wird als watteartig be¬ 
zeichnet. Die Corticalis erscheint aufgelockert, durchlässig. 

Pathologisch-anatomisch erweisen sich die Knochen stark ver¬ 
dickt, porös, von stark vermindertem Gewicht. Das Periost ist so 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Digitized by 


6 F. Lot sch, 

gut wie unbeteiligt, die Markhöhle erweitert. Histologisch zeigt 
sich das Knochenmark in fibrilläres Bindegewebe umgewandelt, da¬ 
neben finden sich in der Markhöhle selbst Reste normalen Marks. 
In dem fibrösen Mark liegen Riesenzellen, vielfach in Howship’schen 
Lakunen. Das Knochengewebe besteht so gut wie durchweg aus 
Spongiosa mit erweiterten Havers’schen Räumen und zeigt unregel¬ 
mässigen lamellösen oder geflechtartigen Bau. Es handelt sieh im 
wesentlichen also um eine Marksklerose mit starker Neubildung 
von osteoidem Spongiosagewebe. An den übrigen Organen wurden 
vor allem atherosklerotische Veränderungen gefunden, ferner skle¬ 
rotische Bindegewebshypertrophie an den parenchymatösen Organen 
(Leber, Milz, Nieren, Schilddrüse, Nebennieren). 

Die Prognose ist schlecht, weil das Leiden die betagten 
Kranken häufig bettlägerig macht und durch Komplikationen (Bron¬ 
chitis, Herzkrankheiten) zum Tode führt. Auffallend häufig wurde 
die Entwicklung eines malignen Knochentumors beobachtet. Die 
Aetiologie ist unklar. Die französischen Autoren neigen zum 
grössten Teil dazu, die Syphilis für das Zustandekommen der 
Paget’schen Knochenkrankheit verantwortlich zu machen. 

Anhangsweise erwähne ich, dass auch circumscripte Knochen- 
hvperostosen beobachtet und der Paget’schen Erkrankung zugezählt 
worden sind. Die Möglichkeit steht ausser Zweifel, doch ist die 
Gefahr eines Irrtums besonders gross. Die Fälle von exzessiver 
Längen- und Dickenhypertrophie der Tibia, die nach aussen und 
vorn konvex gebogen verläuft, während die normale Fibula wie 
eine Sehne zu dem Bogen ausgespannt ist (Czerny, Lannelongue, 
Schmieden, Katolicky, Menetrier und Gaukler), sind sämt¬ 
lich der diffusen Knochensyphilis sehr verdächtig. 

Anders steht es mit der Schädelhyperostose. Die von Yir- 
chow als Leontiasis ossea bezeichnete Hyperostose ist in einigen 
sicheren Fällen von Paget’scher Erkrankung festgestellt worden. 
Das histologische Substrat weist keine Unterschiede auf (Koch, 
M. B. Schmidt, Bockenheimer). ßoit hat ganz neuerdings dar¬ 
über eine zusammenfassende Veröffentlichung aus der Königsberger 
Klinik gebracht. Da indessen auch bei sehr ausgesprochener v. Reck- 
linghausen’scher Ostitis fibrosa die gleiche Schädelhyperostose ge¬ 
funden wird, so soll diese Erkrankung später besprochen werden. 

Die erwähnte Schädelhyperostose und manches andere gemein¬ 
same Symptom (auch Cysten wurden z. B. in einigen Fällen Paget's 
beobachtet) leiten über zur fibrösen Ostitis v. Recklinghausen’s und 
zeigen, dass es sich bei diesen beiden Krankheitsbildern nur um 
Spielarten der gleichen Störung handelt. Mit der zusammenfassen¬ 
den Deutung der Ostitis fibrosa als einer chronischen Knochen- 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ucber i;cneralisicrtc Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


7 


ervveichung durch entzündliche Bindegewebshyperplasic des Markes, 
verbunden mit fibromatösen und riesenzellensarkomartigen Tumoren 
sowie Cysten, hat v. Recklinghausen ein Verständnis jener Krank¬ 
heitsbilder ermöglicht, die als myeloide Degeneration des Skeletts 
und unter ähnlichen Namen in der Literatur verstreut sind und 
nicht verständlich waren. Es zeigte sich bald, dass dieser Gedanken¬ 
gang in weiterem Masse für die Lehre von den sogenannten 
Knochencysten überhaupt von wesentlicher und ausschlaggebender 
Bedeutung war, und wohl auch für die circumscripten gutartigen 
Myeloidtumoren in Zukunft folgerichtig werden wird. 

Die Fälle, die der klassischen Arbeit v. Recklinghausen’s 
zugrunde lagen und zur Abgrenzung des nach ihm als fibröse Ostitis 
mit Tumoren und Cysten benannten Krankheitsbildes führten, sind 
die folgenden: 

1. ßßjährigp Frau. Exitus an Pneumonie. 

Sektionsbefand: Starke Genua valga, Hirtenstabförmig verkrümmte 
und verdickte Femora, Flexionsstellungen in Hilft- und Kniegelenken. Starke 
Kyphose der Brustwirbelsäule. Kopf schief, rechte Hälfte des Hinterhaupt¬ 
beines verdickt, ausgesprochene Elevation der Basis. Schiefes atrophisches 
Becken. 

Rechte Tibia von normaler Form und Struktur, enthält mitten im Fett¬ 
mark drei erbsen- bis haselnussgrossc glattwandige Cysten. Rechte Fibula 
stark einwärts gekrümmt mit spindelförmiger Auftreibung am oberen Ende, 
knöcherne Schale unvollständig, innen weisses, flüssigkeitsreiches, ödematüses 
Gewebe mit einzelnen Spongiosainseln und Fasermark, im rechten Femur 
innerhalb der spindelförmigen Anschwellung der Diaphyse und im Trochanter 
und Collum weisse fibröse Herde zum Teil ödematös mit Spongiosainseln. Eine 
haselnussgrossc, scharfrandige, fast glattwandige Cyste mit bräunlichem, kleister- 
haltigem Inhalt, halb im Faser-, halb im Fettmark. Die geräumige Markhöhle 
des unteren Schaftabschnittes enthält unter dünner Knochenschale Fettmark 
mit braunen Flecken. Knorpel intakt. Im rechten Calcaneus Fibromstreifen 
mit erbsengrosser Cyste, in der Basis des rechten ersten Metatarsus gleichfalls 
kleine Cyste, im Halsteil Fibromstreifen. Oberes Ende der rechten Tina ver¬ 
dickt, enthält unter normaler Knochenrinde und unverändertem Knorpel multi- 
loculäre Cyste mit serösem Inhalt. Diaphvsenwärts anschliessend fibröses Ge¬ 
webe bis zur Schaftmittc. Unteres Drittel des rechten Humerus verdickt, 
Markhöhle erweitert mit fibrösem Gewebe erfüllt. Linker Rippenbogen nach 
innen abgeknickt, Sternum nach vorn gebogen, in der Mitte fibröse Stelle mit 
Spongiosa, Rinde verdünnt. 

Mikroskopisch besteht das als fibrös bezcichnete Gewebe aus faserigem 
Bindegewebe mit geringem Kerngehalt und wenig Riesenzellen, viel Pigment- 
zellenzügen. Cystenwand aus kernarmem streifigen Bindegewebe gebildet. 
Knochenschwund. Die Testierenden Spongiosabälkchcn fein porös. 

Diagnose: Fibröse Osteomyelitis, multiple myelogene cystenbildendc 
Fibrome der Knochen entzündlichen Ursprungs. 

2. Skelett einer 40jährigen Frau (Museums-Präparat. klinische Daten 
fehlem). Elevation der Schädelbasis, rechts-konvexe Skoliose der Brust-, Lor¬ 
dose der Lendenwirbelsäule. Schiefes ostcomalaeisches Becken. Abknickungen 
der Darmheinkämme nach innen, der Tubera isehii nach aussen. Auftreibungen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



8 


F. Lot sch. 


Digitized by 


mit Lücken in der Knochenrinde und hohlem Innern, sowie Rauhigkeiten be¬ 
sonders an linkem Humerus und Femur und rechter Fibula, llmneri in tot(» 
deformiert. Die Auftreibungen der anderen Knochen am oberen Drittel (z. B. 
Kadii) Calluswucherungcn. 

3. 40jühriger Maurer. Syphilis in der Anamnese. Nach Sturz von einer 
Leiter heftige Schmerzen im linken Hüftgelenk (Coxitis (»der Infraktion des 
Schenkelhalses?). Heilung. Pathologische Fraktur der linken Clavicula. Im 
Bett sehr schmerzhafte (/uerfraktur der rechten Femurdiaphyse. Verzögerte 
Konsolidation. Allmählich auffällige Krümmungen am Oberarm. Oberschenkel 
und einem Unterschenkel. Abmairerum: und dauernde Schmerzen. Keine Urin¬ 
untersuchung. F.xitus an Marasmus. 

Sekt i o n s b e f u nd : Hochgradige Knochenerweichung, S-förmige Verbiegung 
des linken Oberschenkels mit bindegewebig iiberbriiekter Fraktur am oberen 
Schäftende. Rechtsseitige Femurfraktur in der Schaftmitte und Abkniekung 
des Kopfes und Halses nach unten. Kyphose (hu* oberen Brustwirbelsäule. 
Lordose und rechts-konvexe Skoliose der Lendenwirbelsäuh*. starke Verkürzung 
aller Wirbel. Klevation der Schädelbasis, Verbiegungen der linken Clavicula 
mit alter Fraktur und der linken Scapula. Brustbeinkyphose, etwas schiefes 
Schnabelbecken. Verdickungen und cireumscripte Auftreibungen mit braunrot 
durchschimmernden Tumoren an den Diaphysen der langen Röhrenknochen, 
aber auch an der linken Darmbeinschaufel, im Unter- und Oberkiefer. Periost 
fest, adhärent. Schädel 5 9 mm dick. Nähte verstrichen. An der Aussen- 

seite zahlreiche Grübchen, wie verwittert aussehend. Am stärkstem verdickt 
Kadii und Femora (können ebenso wie Kippen und Schädeldach mit dem Messer 
geschnitten werden), auf dem Längsschnitt Compacta durch fein porotische 
Substanz ersetzt. Normale Spongiosa nur noch in den Unterschenkelepiphysen. 
Die groben Poren mit gelbem Fett oder blutrotem Mark gefüllt. Im Humerus- 
lind Femurkopf Spongiosa fein porös, weisslieh oder bräunlich mit kleinen 
Cysten, stellenweise bis an den flelenkknorpel reichend. Markhöhle durch die 
porotische Rindensubstanz verengert, durchbrochen und zum Teil ersetzt (z. B. 
Kippen). Mark meist rot. lymphuid, selten mit Fettmarkinseln gemischt. Ver¬ 
einzelt dichtes fibröses Gewebe (rechter Schenkelhals, rechte Clavicula). Die 
braunroten Tumoren sitzen stets in der neuentstandenen Rindensubstanz oder 
gehen durch die ganze Dicke des Knochens hindurch. Mikroskopisch Faser¬ 
mark, wechselnd zellreich mit vielen Gefässen und reichlich Pigment. Knochen¬ 
abbau und neugebildete Osteoidbälkchen. Die braunroten Tumoren mit reich¬ 
lichen Pigmentzcllen und freiem körnigen Pigment sind typische Riesenzellen¬ 
sarkome. ln ihnen finden sich glattwandige Cysten von Steeknadelkopfgrösse. 
eine erbsengrosse Cyste in der feinkörnigen Substanz, eine kirschkerngrosse in 
einem Tumor einer Rippe. 

Gründlicher, fast allgemeiner Skelettumbau. Vorstufe zu eigentlichem 
Knochengewebe, polifericrender nicht regressiver Charakter. Die Riesenzellen¬ 
sarkome sitzen vornehmlich an denjenigen Knochenabschnitten, die statisch und 
mechanisch am meisten beansprucht werden. Vornehmlich befallen sind die 
langen Röhrenknochen. Wirbel. Schädelbasis, Ober- und l nterkiefer. daselbst 
auch Kpuliden. Kreuzbein, platte Thnraxknochen. Becken. Schulterblätter, 
Schädeldach. Wenig Patellae, Tali und Caleanei. Metatarsen. Phalangen der 
Zehen. Pflugscharbein, Xascnmuseheln. 

Das Wesen der Krankheit besteht nach den mitgeteilten Fällen 
in einer fibrösen Umwandlung des Markes, die als entzündlicher 
Vorgang gedeutet wird, und unter Knochenschwund zu einem 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



9 


lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 

völligen Umbau des Knochengewebes im Sinne spongiöser Um¬ 
wandlung führt, oder aber zur Bildung umfangreicher, sogar als 
Tumoren imponierender Fibrommassen, darin kleinere oder grössere 
pigmentreiche Riesenzellensarkome. Sekundär kann es sowohl in 
den Fibromen wie in den Riesenzellensarkomen zur Bildung von 
glattwandigen Cysten kommen. 

Die übrigen Fälle, die zum Teil früher, zum grössten Teil 
später veröffentlicht wurden, zeigen teilweise eine stärkere Ent¬ 
wicklung der riesenzellensarsomartigen Tumoren, teilweise der 
Cystenbildung. Sie lassen sich zwar nur unvollständig in dieser 
Weise trennen, doch gewinnt, wie ich glaube, die Uebersichtlich- 
keit, wenn ich zunächst die Fälle aufführe, bei denen die Bildung 
der Riesenzellensarkome im Vordergründe der Erscheinungen stand, 
ihnen jene Fälle folgen lasse, die zwischen den beiden Gruppen 
die Mitte halten, sodann die Fälle mit ausgesprochener Cysten¬ 
bildung aufführe, und für den Schluss jene Fälle aufspare, die zum 
Teil nicht ganz eindeutig diagnostizierbar sind, vor allem aber eine 
starke osteomalacische Komponente aufweisen. 

Zu der ersten Gruppe gehört vor allem eine spätere Beob¬ 
achtung v. Recklinghausen’s (Nr. 2 der neuen Fälle, Beobachtung 
aus dem Jahre 1908). 

4. 54jährige Witwe. Zwei glatte Partus, letzter vor 21 Jahren. Ausser 
Angina stets gesund. Vor 2 Jahren Stechen in der linken Oberarmmitte und 
Unsicherheitsgefühl in den Beinen. Vor 1 Jahr stechende Schmerzen im rechten 
Arni, später in beiden Oberschenkeln. Bettlägerig. Menopause seit Jahren. 

Klinischer Befund: Verkrümmung und abnorme Beweglichkeit* der 
Oberarme, starke Deformation der Oberschenkel in Abduktion und Aussen- 
rotation, enorme Schmerzhaftigkeit bei leisester Berührung. Schädel, Sternum, 
Ulavieula geben ohne Deformation federnd nach. Kippen- und Darmbein¬ 
schaufeln sehr biegsam, plattrachitisches Becken. Thorax seitlich abgeflacht. 

1 2 Jahr ante exitum Exstirpation beider Ovarien, Nachlass der Schmerzen. 
Albumen im Urin. 

Kün tgennlo gi sch : Knochenstruktur vermindert. Knochen von gummi¬ 
artiger Konsistenz. Zunehmende Oedeme und Dyspnoe. Exitus. 

Sektionsbefund: Blässe, Abmagerung. Oedeme, Zahndefekte. Weich¬ 
heit der Alveolarfortsätze. Hippen und Sternum einwärts gebogen und ein¬ 
geknickt: biegsam oder leicht brechend, ebenso die Phalangen. Schädeldach 
bis 0,5 cm dick, fleckig, gerötet, schneidbar. Kaulie Oberfläche. Hvpophvsis 
und Thyreoidea o. B.. desgl. Nebennieren. Im linken Nierenbecken und Blase 
Kalk-Oxalatsteine und Kalk-Phosphatgries. Leichte, links-konvexe Skoliose. 
Knochen biegsam und schneidbar. nicht konsolidierte Fraktur und Verkrümmung 
der Ilumeri und Fcmora. frischere (Juerfraktur des rechten Humerus. Epiphysen 
am wenigsten verändert mit lockerer fett markhaltiger Spongiosa. Atrophie der 
Cortiealis. Am Schaft der Oberarm- und der Oberschenkelknochen Kinde porös, 
schaumig, gerötet. Mark sehr hyperämiseh. braunrot, pigmentreich wie Hirn- 
beergelee. darin kleine Uysten und Höhlen mit blutiger Flüssigkeit. Es stösst 
stellenweise direkt an das unveränderte Periost. Wenig Fett mark in den Oe- 


Digitized by Google 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



10 


F. Lot sch, 


Digitized by 


lenkköpfen. Oedematös und weisslich fibröses Gewebe mit jungen Knochen- 
bälkchen. Kleinere Cysten spärlich in der porösen Kinde. Grössere Hohlräumc 
im Mark der Frakturstellen mit blutiirer Flüssigkeit, teilweise mit selbständiger 
Membran. Innen an der porösen Cortiealis rein fibröser über 2 mm dicker 
Mantel. 

Mikroskopisch: ln den makroskopisch noch weniger veränderten Knochen 
Ostcoklastennester mit Kesorptionslakunen. Mark zum Teil Granulationsgewebe. 
An den Frakturstellen Lymphmark mit Fettzellen, Blutungen und Pigment, 
Osteoid. Solitäres Kiesenzellensarkom 2:1 cm gross, im rechten horizontalen 
Schambeinast mit Pigment. 

Handelt es sich in diesem Falle nur um ein ganz circum- 
scriptes kleines Riesenzellensarkom, so zeigen die folgenden eine 
stärkere Ausbildung dieser Myeloidsarkome. 

Schönenberger berichtet 1901 folgenden Fall: 

5. 3djährige, früher stets gesunde Frau. Zwei normale Partus. Während 
der 3. Gravidität Schmerzen im Kücken und in den Beinen, die nach der Ent¬ 
bindung Zunahmen. Vorübergehende Besserung durch mehrfache Spitalbehand¬ 
lung (Salicyl). 

Befund: Schlechter Ernährungszustand, starke Berührungs- und spontane 
Schmerzhaftigkeit aller Glieder, linkes Bein deformiert. Zuerst Incontinentia 
urinac. Sensorium klar. Appetit gut. Nach , / 4 .Jahr unter Schmerzen Ver¬ 
dickungen an den Armen, rechtes Bein wird unbeweglich, später auch die Arme. 
Muss gefüttert werden. Kopfbewegungen bleiben frei. 

Diagnose: Osteomalaeie mit multiplem Osteosarkom. Exitus an Bron¬ 
chitis und Marasmus. 

Sektionsbefund: Schädel 2—8 mm dick und leicht srhneidbar, federt 
auf Druck. Gefässrciche Aussenschicht. Frakturen beider llumeri, rechts zwei¬ 
mal. Knickung beider Fcmora in der Mitte, der Unterschenkelknochen im 
oberen Drittel. Schiefkartenherzförmiges Becken. Lordose der unteren Brust¬ 
wirbelsäule. Abknickungen und Frakturen zahlreicher Kippen. Knochen weich, 
brüchig, schneid- und knickbar, sehr leicht. Mandelkerngrosse Cyste im unteren 
linksseitigen Tibiafragment. Braunrote Tumoren in den Knochen des Beckens, 
rechten Oberarmes, beider Unter- und Oberschenkel, Tumoren meist an den 
Frakturstellen. 

Histologisch: Pigment reiches Kiesenzellensarkom. 

Der Autor fasst den Befund wie folgt zusammen: 

1. Bedeutende Konsistenzverminderung sämtlicher Knochen, 

2. spongiöse und rarefizierte Kindensubstanz, 

3. gelbes und graurotes pulpöses Mark, 

4. bikonkave Wirbelkörper (Fischwirbel), 

5. Becken sehiefkarteuherzförmig, schnabelförmige Symphyse. 

(j. multiple Frakturen und Infraktionen (Kippern, linker und zweimal 
rechter Humerus, beide Tibien. beide Fcmora, 

7. graurotes bis bräunliches Tumorgewebe, besonders in der Kinde, zum 
Teil auch im Mark (Rippen. Becken, rechter Humerus, beide Tibiae 
und Fibulae, Femura), mandelkerngrosse Cyste im unteren Fragment 
der linken Tibia. 

Mikroskopisch: Markfibrose, Zollreichtum verschieden, reichlich Pig¬ 
ment, besonders in den Präparaten von den unteren Extremitäten. Reichlich 
Gcfässe, starker Knochenumbau in fibröses Mark eingebettet. Polymorphzellige 
Kiescnzellcnsarkome. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


11 


Die ausgedehnteste Bildung von Riesenzellensarkomen zeigt 
der von Rehn 1904 mitgeteilte Fall. 

6. 23jähriges Mädchen, früher wegen Bleichsucht, Ulcus ventrieuli und 
Pleuritis behandelt. Schmerzen und geringe Schwellung der rechten Hüfte. 
Nach 2 l i 2 Monaten gebessert entlassen. Erneute Hüftschmcrzen. 10 Monate 
nach dem Beginn der Erkrankung rasch wachst 4 nder, sehr schmerzhafter Tumor 
am distalen Ende der rechten Ulna. Operative Entfernung. Die grauroten 
brüchigen Massen erweisen sich histologisch als Riesenzellensarkome (Albrecht). 
Intermittierende Schmerzen im rechten Oberschenkel, im Kreuz, bald auch in 
der rechten Schulter. Eine sehr schmerzhafte Auftreibung der rechten Darm- 
beinschaufel wird operiert. Die grauroten weichen Tumormassen erweisen sich 
wieder als Riesenzellensarkome (Al brecht). 7 Monate später harte schmerz¬ 
hafte Verdickungen im unteren und mittleren Drittel der rechten Tibia, darauf 
der 8. und 9. rechten Rippe, der linken Beckenschaufel, der linken Tibiamitte 
und 8. linken Rippe. Wegen unerträglicher Schmerzen Operation des grossen 
Tumors der linken Beckenschaufel. Ausser braunroten Riesenzellensarkom¬ 
massen wird eine grosse Cyste mit klarer gelber Flüssigkeit und daneben 
ein walnussgrosser derbfibröser Tumor (Spindelzellensarkom mit Riesenzellen) 
gefunden. Inzwischen ein Jahr im Siechenhaus. Tumoren an Zahl und 
Grösse gewachsen. In der Schaftmitte beider Femora druckempfindliche Ver¬ 
dickungen. 

Röntgenbefund: Untersehenkeldiaphysen und Rippen zeigen fleckige 
Strukturzeichnung, Hohlräume [im unteren Teil der rechten Fibula. 5 Monate 
später Spontanfraktur beider Oberschenkel, die leidlich heilen. Zunehmende 
Verbiegungen an den Tumorstellen. Knochen weich, federnd. Kein Bcnce- 
Jones'sehcr Körper im Urin. Jodkali, Arsen, Eisen ohne Wirkung. Exitus, und 
zwar 9 Jahre nach der Erkrankung, an Herzschwäche. Transsudate. 

Sektionsbefund (Weigert): Braune Riesenzcllensarkome. Die ope¬ 
rierten in derbes fibröses Gewebe mit Spongiosa und zahlreichen glattwandigen 
Cysten bis zu Haselnussgrössc eingebettet. 

Histologisch: Fasermark, osteoide Säume, Lymphoidmark, riesenzellen¬ 
sarkomartiges Gewebe. 

Decken hat in einer Inaugural-Dissertation 1909 den Sek¬ 
tionsbericht Weigert’s ausführlicher mitgeteilt. Danach fand sich 
nur im rechten Oberschenkel eine zweikammerige glattwandige 
Cyste, und zwar im harten Tumor am unteren Ende, umgeben von 
weisslichera fibrösem Gewebe. 

Der von Mönckeberg erhobene mikroskopische Befund (ebenfalls 
von Decken mitgeteilt) ergab Cystenwand aus zellarmem, faserigem Binde¬ 
gewebe gebildet, umgeben von zellarmem, üdematösem Gewebe. Kapillaren mit 
Blutextravasaten, Sharpey'sehe Fasern. 

Diagnose: Fibromcysten. 

Der mitgeteilte Fall ist deshalb von einer besonderen Bedeu¬ 
tung, weil er 9 Jahre lang unter fast ständiger Beobachturg war, 
und weil einwandsfrei nachgewiesen wurde, dass die operativ ent¬ 
fernten Riesenzellensarkome sich in fibröse Massen mit Cysten 
umwandelten, dass die Tumoren sich zu organisieren und sogar 
zu verknöchern vermögen. Rehn erklärte deshalb die riesenzellen¬ 
haltigen Tumoren für entzündliche Bildungen, nicht für Sarkome. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



12 


F. Ti o t so li, 


Digitized by 


Sie seien nur ein vorübergehendes, nicht das wesentliche Stadium 
der Erkrankung, hätten nur eine ephemäre Bedeutung. Der End¬ 
ausgang sei osteoides Gewebe mit Fasermark. 

Ich lasse eine Beobachtung Lissauer’s aus dem Jahre 1905 
folgen: 

7. 3Gjäliriir«*r Mann. Seit S Jahren Klanen über sohleohtenverdenden Gang, 
dann unter SrhinorzanfiiIh-n Verdickungen zahlreicher Knochen, ausserdem kli¬ 
nisch diagnostiziertes myelogenes Riesonzellmsarkoin an der Mittelphalanx dos 
rechten Zeigefingers. Zuletzt pathologische Frakturen. Kxitus nach 11 jährigem 
Leiden. 

An den hei der Sok t ion entnommenen Knnehen (leider nur wenige) fanden 
sieh Zeichen hochgradigen Knochensohwundes und Fasermark. An der mittleren 
Zoigofingerphalange ein typisches Riesenzcllonsarkom. 

Ich schliesse hier die Beobachtung von Werndorff ans dem 
Jahre 1908 an: 

8. Djähriger Knabe, sonst stets gesund. Keine hereditäre Belastung. Von 
frühester Kindheit an Verkiirzunir des rechten Beines ohne Trauma und Schmerzen. 
Lernte schon mit Krücken laufen. 

Befund: Beeiltes Bein stark atrophisch, verkürzt. Beeilter Oberschenkel 
handbreit über dem Kniegelenk rechtwinklig nach liinten geknickt, Kniegelenk 
frei. Oberes Drittel der rechten Tibia sübolsoheidonförmiir nach vorn konvex 
gebogen und verdickt. Sonstiges Skelett palpatoriseh o. B. 

Bönt j^en befund: Hochgradige oystisehe Veränderung dos rechten Darm¬ 
beins. der rechten Ober- und Unterschenkelknochen. Beeiltes Femur stark atro¬ 
phisch und besonders im unteren Drittel hochgradig deformiert. Schenkelhals 
stark verkürzt, verschmälert. Geringe Coxa vara-Stollung, grosse multiloeulärr 
Aufhelluni: im oberen Drittel des Femur. Mediale Knochenschale sehr dünn. 
Diaphysenzeiohnung wolkig getrübt. Andeutung von Yakuolonbildung. 1 in 
unteren deformen Drittel bis zur Epiphyse reichend eine er rosse multiloculäre 
Cyste mit verdünnter Wand. Infraktion. Beeilte Tibia und Fibula stark atro¬ 
phisch, in den oberen und unteren Partien ähnliche oystisehe Aufhellung, atro¬ 
phisches rechtes Fussgelonk. Im übrigen Knochensystem inkl. Schädel ohne 
Verändern ng. 

Operation: Im unteren rechten Femurdrittel Eröffnung eines mit braun¬ 
rötlicher, fester, leicht zerreissbarer Tumormasse erfüllten Hohlraums unter ver¬ 
dünnter, zum Teil bindegewebiger Schale, kein flüssiger Inhalt. Keilresektion 
im Gesunden, Spahn aus dem oberen Drittel der rechten Tibia. Excoehleation. 

Mikroskopisch: Biesenzellensarkome mit grossen spindligen Zellen. 
Beichlieh intercelluläre Bindegewebsfasern, viele Biesenz(dlen verschiedener 
Formen, zahlreiche Hämorrhagien und Pigment. Keine elastischen Fasern. In 
den erweit(»rten Markräumen Fasermark mit verschiedenem Kerngehalt. Deut¬ 
liche lakunäre Resorption. Die bei der Operation in der bindegewebigen Wand 
gefundenen sehrotkorngrussen derben Körner bestehen mikroskopisch aus peri¬ 
pherischem Bindegewebe mit centralem grobfaserigem Hyalinbindegewebe ohne 
Kernfärbung. Im Inneren ferner Herde von körnigem Detritus. In einem Ge¬ 
bilde ein deutliches, lamellar gebautes, nekrotisches Knochenstüek mit lakunärer 
Oberfläche. Der Tibiaspahn erweist sieh als normaler Knochen, nur oben etwas 
riesenzellensarkomartiges Gewebe. 

Der Autor rechnet seine Beobachtung, gestützt auf den weiter 
unten mitzuteilcnden Fall v. Ilaberer’s, nicht zur v. Reckling- 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



l'elicr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Vvsten. 


13 


hausen’schen Ostitis fibrosa, sondern spricht ihn als multiple 
Sarkomatose des jugendlichen Knochens an. Ich glaube ihn trotz¬ 
dem unter die Fälle von Ostitis fibrosa einreihen zu dürfen, um¬ 
somehr, als v. Haberer (s. u.) die Zugehörigkeit seines in Rede 
stehenden Falles zur Ostitis fibrosa v. Recklinghausen später selbst 
zugegeben hat. 

9. Der Fall v. llabcrer's betrifft einen 10jährigen Knaben. Im 3. Lebens¬ 
jahre schmerzlose unregelmässige Anschwellung der rechten Kopf- und Gcsichts- 
hälfte. Dadurch Asymmetrie von Schädel und (iesicht. Im 5. Lebensjahre 
pathologische Fraktur oberhalb der rechten Femurmitte. Heilung mit leichter 
Auftreibung und Verkrümmung, lin S. Jahre pathologische Fraktur der 
gleichen Stelle. Heilung mit starker Verkrümmung und Verdickung. Niemals 
Schmerzen. 

Befund: Innere Organe o. B. Keine Zeichen von Syphilis, anämisch, 
schwächlich. Am rechten Scheitelbeinhöcker halbkugelige, glatte, harte Knoehen- 
anschwellung. davor fluktuierende Geschwulst mit Knochenwall und blutigem 
Inhalt, die auf Jodmedikation verschwindet. Beeiltes oberes Orhitalskclctt 
aufgetrieben, Bulbus abwärts gedrängt. Rechter horizontaler Fntcrkieferast 
enorm verdickt. Bedeckende Weichteile stets unverändert. Rechter Ober¬ 
schenkel in seiner Mitte nach aussen und vorn konvex gekrümmt und tumor¬ 
artig aufgetrieben. Verkürzung von 1,5 cm. Linke Trochantergegend stark 
aufgetrieben. 

Röntgenbefund: Multiloculäre Knochenhohlräume im rechten Scheitel¬ 
bein, in der oberen Hälfte des rechten Fcmurschaftes und in der linken Tro¬ 
chantergegend, hier Coxa vara. Cortiealis ratifiziert. 

Frobeexcision aus dom Scheitelbein und rechten Femur. Periost etwas 
verdickt, darunter dünne, weiche, höekrige Knochensehale. Als Inhalt blutreiche 
Tumormasse. Exeochlcation. 

Mikroskopisch: Osteoides Sarkom mit reichlich freien Riesenzellen, 
Knochenbälkchen und Osteoklasten. Kein Knorpel. Kein Fasermark. 

Nachuntersuchung im 13. Lebensjahre: Inzwischen keinerlei auffallend!' 
Krankheitssymptome, bis auf stetiges Wachstum der Tumoren und Zunahme der 
Verkrümmungen. Keine Schmerzen, keine Fraktur. Gang schlechter, watschelnd. 
Nächtlicher Husten. 

Befund: Abmagerung, Anämie. Innere Organe, besonders Lungen, o. B. 
Tumoren des rechten Scheitelbeins, besondere des l’nterkiefers und beider Ober¬ 
schenkel (besonders rechts) an Grösse gewachsen. Verkrümmung und Verbildung 
erheblich stärker. Im oberen Drittel des rechten Oberarms und an der Grenze 
zwischen oberem und mittlerem Drittel der Tibia völlig druekschinerzfreie nein* 
Knoehenauft rcibung. 

Röntgenbefund: Rechtes Scheitelbein durch eystische Hoblräume mit 
teilweise fehlender Knochensehale aufgetrieben (trotzdem kein Pergamentknittern). 
Knoehenzeiehnuiig von Schädelbasis und Hirnschädel wabenartig verschleiert, 
l’nterkiefereyste vergrössert. Kopfepiphyse des rechten Oberschenkels frei. 
(’ystiseher Tumor der Beckenwand und des oberen Femurdrittels. Stärkere 
Krümmung. Im rechten oberen Humerusdriltcl, unweit der Kpiphysenfuge, win¬ 
ziger centraler Hohlraum, darunter mehr exeentriseh ein grösserer, Aehnlielier 
Hohlraum unterhalb der Sohaftmitte. In der linken Tibia entsprechende Auf¬ 
treibung, ebenfalls ausgedehntere eystische Räume. Weitere Auftreibungen und 
Cystenbildungen in einigen Rippen (Nähe des Halsteils), an der 1. Phalanx des 
linken 4. Fingers, sowie einigen Zehenphalangcn. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



14 


F. Lot soll, 


Digitized by 


Probcexcision aus dem rechten ObcrschenkclschafL dabei wird eine grosse 
starkblutende flülile im Knochen eröffnet. Im oberen Abschnitt weiche, braun¬ 
rote Tumormassen, unten festeres weisslichcs (iewebe. 

Mikroskopisch erweisen sich die braunroten Massen wieder als Riesen¬ 
zellensarkomgewebe, das weissliche derbe (iewebe als straffes Rindegewebe mit 
spärlichen Riesenzellen. Zwischen den Spongiosabälkehen allenthalben Faser¬ 
mark. Osteoklasten in Howship'schcn Lakunen. An anderen Stellen deutliche 
Osteoblasten. 

Auf Grund dieses Befundes deutete v. Haberer seinen Fall 
zwar als Ostitis fibrosa, doch sieht er die multiplen Riesenzellen¬ 
sarkome als echte Tumoren und Komplikationen des Krankheits¬ 
bildes an. Dieser v. Haberer’sche Fall weist neben umfangreichen 
Riesenzellensarkomen auch schon Cysten auf und leitet über zu 
den nachfolgend aufgeführten Fällen. 

Hirschberg untersuchte 1889 einige Knochen eines Falles 
aus dem Jahre 1886 nach. 

10 . 85jährige Dienstmagd. Vor 4 Jahren unter Abmagerung schmerzhafte 
Anschwellung des linken Schlüsselbeins. Schmerzhafte Lähmungen der Arme. 
Schmerzen im linken Oberschenkel. Nach 2 Jahren durch Fall linksseitige 
Oberschenkelfraktur. Heilung mit erheblicher Verkürzung. Periostale links¬ 
seitige Tibiaverdickung. 

Diagnose: Rheumatismus und Periostitis. 

Exitus an Marasmus. 

Sektionsbefund (Bericht dürftig): Zeichen von Marasmus. Innere Or¬ 
gane o. B., insbesondere ohne Metastasen. Nachuntersuchung von in Alkohol 
aufbewahrten Skeletteilen. Alle von verminderter Konsistenz, mit dem Messer 
schneidbar. Oberes Drittel des linken Humerus: Fraktur im Collum anatomieum. 
Morsche Bruchflächen. Periost glatt, keine Knochenauftreibung. Knorpel fläche 
o. B. Im Inneren 8 Cysten mit dünnen, bindegewebigen, zum Teil knöchernen 
Zwischenwänden, zum Teil kommunizierend. Inhalt angeblich helle wässerige 
Flüssigkeit. Im Tuberculum majus haseinussgrosse Cyste mit schwarzbräunlicher, 
massig harter Masse. Knochenmark im Schaft graugelb, weich. Tibiastück mit 
spindcliger, hühnereigrosser, blasiger Knochenauftreibung und Fraktur. Periost 
frei. Auf dem Durchschnitt- hirsekorn- bis haselnussgrosse Cysten mit knöchernen 
Scheidewänden und rötHellbraunem Wandbelag, zum Teil kommunizierend. Grösste 
Cyste suhperiostal gelegen, sonst Rinde und Mark o. B. Oberes Femurdrittel 
mit alter unterer Bruchfläche. Dort rötliche Massen, Periost frei. Im Trochanter¬ 
mark markstüekgrosser rötlicher Bezirk mit 5, bis erbsengrossen Hohlräumen 
(künstliche Defekte?). 

Mikroskopisch: UcberaH glcichmüssig Osteoidbildung, Fasermark. Strei¬ 
fige, kernarme, bindegewebige Cystenwände ohne Epithel: Pigment, Blutungen, 
kleines typisches Riesenzellensarkom der Tibia fern von den Cysten. 

Schönenberger will den Hirschberg’schen Fall nicht un¬ 
bedingt als zur Ostitis fibrosa gehörig anerkennen, weil die Multi- 
plizität der Riesenzellensarkome fehlt. Hart, der die mikroskopi¬ 
schen Präparate 1904 nachuntersuchen konnte, bestätigte die 
Diagnose Osteomalacie mit Riesenzellensarkomen. Er nimmt als 
wahrscheinlich an, dass auch an anderen Skeletteilen derartige 


Gck igle 


Original frum 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



l'cl'cr irenoralisierte Ostitis fihrosa mit Tumoren und Cysten. 


15 


Riesenzellcnsarkorae vorhanden waren und sieht den Fall, wie ich 
glaube, mit Recht als Ostitis librosa an. 

Zwei weitere Beobachtungen wurden im Jahre 1904 von 
Mönckeberg und Hart veröffentlicht. Fall Mönckeberg, Be¬ 
obachtung aus dem Jahre 1903: 

11 . 55jährige Frau. Vor 16 Jahren Exstirpation eines nach Zahnextrak¬ 
tion schnell entstandenen Kiefertumors. Vor 12 und 6 Jahren Entfernung 
gleicher Kiefergeschwülste, die letzte als Osteosarkom diagnostiziert. In den 
letzten beiden Jahren decrepide, dauernd in Krankenhäusern. Hier multiple 
pathologische Frakturen (rechtes Femur, rechter Humerus, rechte Clavieula). 

Diagnose 1 : Wegen früherer Schmierkur tertiäre Knochensyphilis. 

Beschränkte Sektion: Mehr oder weniger glattwandige Cyste in der 
Epiphyse des rechten Humerus, rechten Clavieula, rechten Beckenschaufel, im 
oberen und unteren Drittel des rechten Femur. In der Umgebung völliger 
Knoehenumbau mit rotem, teils faserigem Mark und Einlagerung solider knochen¬ 
freier Herde. Die erwähnte Fraktur nicht konsolidiert. Spindelförmige An¬ 
schwellung der 9. Rippe. Starke Kyphose und Verdickung des Schädeldaches, 
tirösse der Cysten sehr wechselnd. Die grossen mit dünner, glatter, weisslicher 
Innenwand und klarem, serösem Inhalt, die kleinen eingebettet in weiche, rot¬ 
braune Massen mit wenig Spongiosa. In der grossen Cyste der rechten Beeken- 
schaufel. die sich nach aussen und innen vorbuchtet, unter sehr dünner Knochen¬ 
schale dunkel rote, fibrinartige abziehbare Massen an der Wand und in der 
rötlichen Flüssigkeit. In der .‘1:1 cm grossen Cyste der rechten Clavieula 
Innenfläche völlig glatt, rotbraun. Inhalt klar, rötlich gelb. 

Mikroskopisch: Sehr gefässreiches Fasermark mit wechselndem Zellen- 
gehalt. Osteoide Säume, geringe lakunäre Resorption, reichlich „dissezierendes" 
Wachstum des Fasermarks. Umbau ohne Osteoblasten. Die Tumoren zum Teil 
Fibrome, zum Teil Riesenzellensarkome. 

Mönckeberg betont besonders, dass er diese Bezeichnung 
wählt, „ohne mit diesen Namen irgend etwas über ihre Stellung 
in der Geschwulstlehre aussagen zu wollen“. Cystenbildung ab¬ 
hängig von den Tumoren, also Erweichungscysten mit Blutextrava¬ 
saten. Seröse Transsudationen und Blutungen spielen nach Möncke¬ 
berg eine grosse Rolle. Viel Pigmentkörnchen. Riesenzcllen stets 
dicht uradrängt von Erythrocyten, häufig in anscheinend prä- 
formierten Ge websspalten. Mönckeberg unterscheidet zwei Arten 
von Cysten. Solche, die in Fibromen entstehen, sie enthalten oft 
kein Pigment, sind reine Erweichungscysten, haben eine geringe 
Wachstumstendenz und führen in ihrer Umgebung zu starkem 
Knochenumbau, zum Teil durch direkte Bindegewebsmetaplasie. 
Im Gegensatz dazu enthalten die Riesenzellensarkomcysten viel 
Pigment, entstehen ausser durch Erweichung durch Blutung, zeigen 
eine grosse Wachstumstendenz und in ihrer Umgebung starken 
Knochenabbau. 

Fall Hart scheint mir identisch mit dem von Schmorl be¬ 
obachteten und gelegentlich der Diskussion zu Mönckebergs Mit¬ 
teilung erwähnten Fall. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



16 


F. Lotscli, 


Digitized by 


12 . TS jährige Frau. Bis zum (>9. Lebensjahre arbeitsfähig, dann all¬ 
mählich hilflos. Seit 1 2 Jahr bettlägerig. Nie Knoehenschmerzen. Spontan- 
fraktur des linken Oberschenkels im Bett, schmerzlos, konsolidiert nicht. Kxitus 
an eitriger Bronchitis und hypostatiseher Pneumonie. 

Sektionsbefund: Diffuse eitrige Bronchitis, allgemeine Altersatrophie 
der inneren Organe. Schädel schwer, symmetrisch, etwas federnd, schneidbar, 
4—11 mm dick, durchweg feinporig. Keine Diploö mehr. Nähte verschmolzen, 
Wirbelsäule verkürzt, hochgradige Kyphoskoliose des Brustteils. Fischwirbel, 
schneidbar, die mattweissen feinporigen Spongiosahühlen mit pulpösem Mark 
gefüllt. Thorax seitlich eingedrückt. Kippeninfraktionen. Sternum kielartig 
vorstehend mit Infraktionen. Unter dünner Cortiealisschale weitmaschige Spon¬ 
giosa mit pulpüsem Mark. Becken schiefkartenherzförmig, steile Darmbein- 
schaufcln. etwas Schnabelsymphyse. Kechts starke Uoxa vara. Kerbt winkliger 
Abgang des verkürzten Schenkelhalses, in den Schaft eingekeilt. Keine alte 
Fraktur. Links gleichfalls Doxa vara. Hals verschwunden, nicht eingekeilt'. 
Schräge Diaphysenfraktur mit (> cm Verkürzung und bindegewebiger Pseudar- 
throse. Alle Knochen leicht, elastisch, schneidbar «wie mürbes Holz“. Auf 
dem Durchschnitt oft papierdünne Corticalis mit schmaler Zone feinporiger 
mattweiser Spongiosa. Im ('entrinn graurotes bis gelbes, pulpöses Mark, braun¬ 
rot durchscheinende Tumoren an zahlreichen Kippen, Becken. Wirbeln. Kreuz¬ 
bein, rechtem Humerus und Radius, rechtem Olecranon. beiden Femura und 
rechter Tibia (je d), linker Tibia und Fibula, am oberen Ende. Tumoren meist 
in der Coriiealis. Cysten mit dünnflüssigem braunem Inhalt bis mandelgross, 
besonders an den Rippen. Fine wall nussgrosse Cyste am Planum popliteum 
des linken Femur: ferner kleine weisse erbsengrusse Cyste mit hellgelbem In¬ 
halt in Wirbeln, Sternum und linker Tibia ohne Beziehung zu Tumoren. 

Mikroskopisch: Kernarmes Fasermark mit Pigment, rarefizierte Spon¬ 
giosa. Am Schädeldach völliger Umbau, maschiges Balkenwerk mit dünner 
peripherischer Lamelle. Strotzend gefüllte weite Blutgefässe, kleine Blutungen 
und Pigmentablagerungen, einige pigmenthaltige Kiesenzellen. Stellenweise 
zellreicheres Fasermark mit reichlich Osteoklasten in Lakunen. Schmale osteoide 
Säume mit Osteoblasten. In einem Kippentumor Reste von Lymph- und Fett¬ 
mark in der Umgebung, dann folgt Fasermark mit stellenweise Osteoblasten. 
Breite osteoide Säume. Das Fasermark geht allmählich in das gefässreiehe 
Spindelzollengcwcbc mit zahlreichen Kiesenzellen mit eisenhaltigem Pigment 
und Blutungen über. Tumorcent rum ohne Knoehenbülkehen. Erbsengrosse 
Cyste im Tumorgewebe. Wand direkt aus Pigment und kernreichem Tumor¬ 
gewebe gebildet. 

Der Autor fasst die Ergebnisse des Skelettbefundes folgendcrmassen zu¬ 
sammen : 

1. Hochgradige Deformität des Thorax unter Beteiligung seiner sämt¬ 
lichen Komponenten, 

2 . sch iefk arten herzförmiges Becken. 

o. an Fischwirbel erinnernde W irbelkürper. 

4. doppelseitige* Coxa vara, 

5. Infraktionen des Sternums und multipler Kippen, Fraktur des linken 
Femur, 

Ö. abnorme Weichheit aller Knochen mit Rarefizierung der Corticalis 
und Spongiosabälkchen, Bildung von Fasermark, 

7. zahlreiche pigmenthaltige Kiesenzellensarkome und Cysten. 

Hart bezeichnet den Fall als Osteomalacic mit multiplen 
Riesenzellensarkomen, Frakturen und Cystenbildungen, und setzt 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



17 


l’cbcr generalisierte Ostitis filmisa mit Tumoren un<I Cysten. 

ihn zu den Fällen Hirschberg, v. Recklinghausen und Schö¬ 
nenberger in Analogie. 

Ganz neuerdings auf dem Chirurgen - Kongress 1912 hat 
Wrede aus der Lexer’schen Privatklinik nachfolgenden Fall nvit- 
geteilt: 

13 . 40jähri^r Dame. Beginn vor 10 .1 ähren mit Epulis am Cnterkiefer, 
die operativ entfernt wurde. Ausgebreitete Ostitis fihrosa mit den charakte¬ 
ristischen Veränderungen tind zahlreichen Cysten in fast allen Knochen, auch 
des Schädeldaches, röntgenologisch festirestel 11. .letzt grosses Riesenzellensarkom 
iles Oberkiefers exstirpiort. 

Der Fall ist vor allem wegen der früheren Epulis und des 
jetzigen Riesenzellensarkoras am Kiefer von einer gewissen prin¬ 
zipiellen Bedeutung (s. später). 

Wir kommen nunmehr zu jenen Fällen, in denen die Cysten¬ 
bildung das Bild beherrscht. Zunächst ein Fall v. Reckling- 
hausen’s aus dem Jahre 1910 (Fall 1 in den Untersuchungen über 
Rachitis und Osteomalacie, S. 390): 

14. 33jährige Frau, früher .sehr kräftig". 4 glatte Partus. Letzter 
vor 2 Jahren. 4 Wochen danach heim Absetzen eines Wasserkiibels vom Kopf 
-Krachen im Kreuz und in der rechten Hüfte**. 

Aer/.tliehe Diagnose: Lumbago traumatica. 30 pCt. l’nfallrentc. Kurz 
darauf pathologische Fraktur des rechten, (> Wochen später beim Fmhctten des 
linken 1 Iberschenkels. 

Aufnahmebefund: Frakturen beider Femura, starke Senkung des Kreuz¬ 
beins, hochgradige Lordose der Lendenwirbelsäule. Nach 13 Wochen Gchver- 
sueh auf Krücken, nach weiteren (> Wochen durch Ausrutsrhen Fraktur beider 
Femora und des linken Humerus, die nicht fest konsolidieren. Im Bett Fraktur 
des rechten Humerus. Zunehmende Kyphoskoliose der Brust Wirbelsäule und 
Verengerung des Beckeneinganges. Knochenerweichungen und Thoraxverkriim- 
mung. Dyspnoe. Kräftevcrfall. Fxitus. 

Sektionsbefund: Abnorme Beweglichkeit, Verkrümmung und Verkürzung 
beider Femora und Humeri, sowie des linken Vorderarmes. Poröse dünne (Yr- 
ticalis und lockere Spongiosa mit Fettmark. Im rechten Humerusschaft grosse 
Markhöhle mit bräunlich rotem Mark. An den weichen Stellen ist die Knochen¬ 
substanz durch dichtes weissliches oder rötliches (iewebe ersetzt. In der Spon¬ 
giosa des distalen Abschnittes des linken Femur fibröse Ilerdchcn mit je einer 
kleinen Cyste. Ausgedehnte diffuse fibröse Stellen in den Humerus- und 
Femurköpfen mit spärlichen Cysten. Fibröses Gewebe, bunt gefärbt, nimmt 
fast die ganze Breite der Diaphysen ein und enthält viele glattwandige bis 
taubeneigrosse Cysten an der Basis des rechten Malleolus externus. in der 
Fibula kleine Cyste, eine tauhcncigrnssc subperiostale Cyste mit klarer gelber 
Flüssigkeit und abgesetzten Erythrocyten in der vorgel)uchteten Mitte der 
rechten Tibia. Perinst zum Teil adhärent, darunter Grübchen und Fenster in 
der Curtiealis: derartige poröse Stellen auch am biegsamen Schädeldach, an 
den Metatarsen und Metakarpcn, sowie den Phalangen. Keine Ebnation der 
Schädelbasis. Thorax stark deformiert, seitlich eingedrückt. Kyphoskoliose. 
Viele Rippenfrakturen. Rippen stark gerötet. Poren mit rötlichem Markgewebe 
sicht bar. Ausgesprochenes ostenmalaeisches, schiefkartenherzförmiges Becken. 
Starke Abmagerung. Ovarien mit dicker Albuginea. weicher, zähm- Substanz 
Archir für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. *> 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



18 


F. Lot sch. 


Digitized by 


mit erbsengrosscn Follikeln uml einer Cyste. Grosse Nebennieren. Schilddrüse 
nicht vergrössert. Kalkabscheidungcn in den Harnwegen. 

Der Autor fasst den Befund wie folgt zusammen: 

1. «Stärkste malacische Deformation der Knochen durch die in den 
letzten fünf Vierteljahren erfolgten Frakturen beider Hurneri, beider 
Femora gesteigert. Sehr unvollkommene Heilungsvorgänge. 

2. Ausgeprägteste fibröse Ostitis mit multiplen glattwandigen (Zysten. 
Diese ganz gebunden an die fibrösen Herde, sämtlich in den am 
meisten gefährdeten und am stärksten deformierten Abschnitten der 
langen Röhrenknochen: sicherlich schon Jahre alt, nicht erst ent¬ 
standen durch das Trauma, vielleicht gesteigert, doch nicht minder 
unter dem Einfluss der Schwangerschaften. 

3. Leichte purotische Malacie, ältere hyperplastische Zustände des 
Knochengewebes und noch im Fortschreiten begriffener Abbau.“ 

Den Beginn nimmt v. Recklinghausen schon für das zweite 
Jahrzehnt an und glaubt, dass es sich in diesem Falle um ein 
durch stationär gewordene jugendliche Malacie prädisponiertes 
Skelett handelt, dem die Ostitis fibrosa gleichsam aufgepfropft ist. 
Riesenzellensarkome wurden in diesem Falle nicht gefunden, ledig¬ 
lich Fibrome mit Cysten. 

Ich füge hier den Fall Engel an, der aus dem Jahre 1864 
stammt und als Dissertation unter Wernher-Giessen unter dem Titel 
„Ueber einen Fall von cystoider Entartung des gesamten Skeletts“ 
veröffentlicht wurde: 

15. 55jährige Frau aus Mainz. Heredität o. B. Hat nie Not gelitten. 
Früher stets gesund, gross und schlank, mit auffallend breitem Brustkorb. 
9 glatte Partus. 2 Aborte, Erster Partus im 25., letzter im 42. Jahre. Glatte 
Puerperien, stillte selbst. Menopause im 47. Jahre. Beruf: Näherin, auch als 
Ehefrau. Nach dem letzten Partus zweimal Gesichtsrose, die zweite schwer mit 
Delirien. Seitdem zunehmende Abmagerung, Blässe, leichte Ermüdbarkeit. 
Reissende Schmerzen, besonders nachts zuerst im linken Oberschenkel und linken 
Oberarm, dann iin ganzen Körper; Steigerung bei kalter Witterung und im 
Winter. Grosse Druckschmerzhaftigkeit, ln den letzten Jahren besonders 
Schmerzen in der linken Beekenliälfte und der linken Kreuzdarmbeinfuge. Kräfte¬ 
verfall, viel bettlägerig. Kopf nach vorn gesunken. Thorax flacht ab. Früher 
kurze* Anfälle von Cardialgie und häufig Diarrhöen, zuletzt Appetitmangel und 
Verstopfung, Vor 1 Jahr beim Aufstehen Fall auf ebenem Boden und patho¬ 
logische Fraktur des linken Oberarmes. 4 Wochen später Refraktur des linken 
Oberarmes und Fraktur des rechten Oberarmes. S Wochen vor dem Exitus 
pathologische Fraktur beider Oberschenkel und des rechten Oberarmes. Exitus 
an rechtsseitiger Pneumonie, Pleuritis exsudativa, Pericarditis, Anasarca. Im 
Urin zuletzt phosphorsaurer Kalk. 

Klinische Diagnose: Osteomalacie. 

Sektionsbefund: Zahlreiche Cysten in den Beckenknochen, besondere 
in den Darmbeinschaufeln beiderseits, in den Humeri und Femora, im rechten 
Radius, allen Wirbelkörpern (besonders untere Brust- und Lendenwirbel), beiden 
Clavikeln und Scapulae. Sternum und Rippen; wenige in den Knochen der 
Bände und Fiisse, einige im Processus palatinus des linken Oberkiefers und 
den Alveolarfortsätzen. Unterkiefer- und Schädelknochen cystenfrei. Grösse 
der Cysten: linsen- bis erbsengrosse in den Wirbeln, walnussgrosse in den Rühren- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


19 


knoehen. Grösste Cyste 7 cm Durchmesser in der linken Darmbeinschaufel, von 
zahlreichen kleineren umgeben. Lage in der Compacta und Spongiosa zum Teil 
uniloeulär, zum Teil durch Konfluenz multiloculär, mit dünnen, zum Teil 
knöchernen Zwischenwänden. Nur die grösseren Cysten zeigen eine eigene, ver¬ 
schieden dicke bindegewebige Membran, stellenweise mit Pigmentmantel. Innen 
und aussen rostfarben. Kein Epithel, keine Gefässkommunikation der Cysten. 
Die kleineren Cysten grenzen direkt an normalen Knochen. Inhalt bald hell 
serös, bald dunkelbräunlichc Flüssigkeit, zum Teil auch breiige feste Masse. 
Auftreibung des Knochens nur an den Darmbeinschaufeln, wenig oder gar nicht 
an den Röhrenknochen. Corticalis stellenweise durchbrochen. Pcriostdecke zum 
Teil verdickt, blutreich. Die Cysten nehmen zum Teil die ganze Markhöhle 
unter der verdünnten Corticalis ein. An der Innenfläche des Schädeldaches 
puerperales Osteophyt. Frakturstellen schief geheilt, nicht an den cysten¬ 
reichsten Stellen. Vorstufen der Cystenbildung an Rippen und Sternum. Dort 
Rötung, Knochen biegsam, leicht zu brechen, zum Teil aufgetrieben, zum Teil 
schon kleine Cysten enthaltend. Periost blutreich. Scharfe Abgrenzung von 
den gesunden Abschnitten. Völliger Knochenumbau, gleichmässige spongiöse 
Struktur, keine Corticalis und Markhöhlen mehr. Knochen zum Teil schneidbar, 
Gewicht verringert, Gelenkcndcn und Knorpel ohne Veränderungen. Thorax 
seitlich zusammengeknickt, ausser den Frakturstellen keine Verkrümmungen an 
den Extremitäten. 

Mikroskopisch: Dünne Spongiosabälkchen mit Fasermark und reich¬ 
lichen Gefässen, fast keine Markzellen. Cystenwand aus kernarmem faserigen 
Bindegewebe. Kein Tumorgewebe. 

Engel fasst die Entstehung der Cysten auf als das Produkt 
einer in multiplen Herden auftretenden Osteitis, die mit Gefäss- 
zerreissung einhergeht, und vergleicht sie mit den apoplektischen 
Cysten. 

Das Skelett wird in dem pathologischen Museum zu Giessen 
aufbewahrt. Decken untersuchte 1909 ein Stück Tibia unter 
Boström’s Leitung nach und fand Pigment, Fasergewebe und 
Osteoid. Zellfärbung liess sich nicht mehr erzielen, Riesenzellen 
deshalb nicht mehr nachweisen, viel Sharpey’sche Fasern. Heineke 
hat den Fall zum Teil makroskopisch nachuntersucht und betont 
besonders die Atrophie der Knochen. Er fand in der Tibia einen 
durch Corticalis und Markraum reichenden, etwa haselnussgrossen, 
scharf begrenzten Herd von knochenharter Konsistenz mit membran- 
loser Cyste; einen Befund, den er mit seinem nachfolgend aufge¬ 
führten Fall vergleicht. Fall Heineke aus dem Jahre 1903: 

16 . 24 jähriges Mädchen, stets gesund. Keine Zeichen von Rachitis. Menses 
regelmässig. Seit 4 Jahren nach Fall auf die linke Hüfte geringe Schmerzen 
im linken Oberschenkel. Konnte gut gehen und tanzen. Seit 4 Wochen heftige, 
reissende, rheumatische Schmerzen in der rechten Hüfte und im rechten Ober¬ 
schenkel, seit Ö Wochen auch im linken Oberschenkel. 11 Tage vor der Auf¬ 
nahme beim Ankleiden pathologische Fraktur des linken Oberschenkels, Im 
Streckverband zeitweise leichte Schmerzen im linken Oberschenkel. 

Befund: Grazile, bis auf leichte Brustwirbelkyphose und stark gewölbten 
Thorax normal gebaute Person. Innere Organe o. B. Fraktur des linken Femur 
handbreit unter dem Trochanter, abnorme Beweglichkeit. Keine Krepitation. 

2 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original frum 

UMIVERSITY OF IOWA 



*20 


Digitized by 


» * 



F. L nt sch, 

7 cm Verkürzung, linkes Hein in Adduktion und Aussonrotation. An der Bruch¬ 
stelle keine Knoohcnauftreibung. l'ntersuchung wenig schmerzhaft, auch am 
rechten, spontan schmerzenden Oberschenkel palpatorisch keine Veränderungen 
nachweisbar. 

Rön tgenbefund: Im linken Femur dicht unterhalb der Trochantergegend 
hühnereigrosse, fast den ganzen (Querschnitt der Diaphysc einnehmende Buhle 
mit dünner fpierfrakturierter Knockensehnle. Im rechten Femur und beiden 
Beckenscliaufeln grosse Knochendefekte und walnussgrosse Höhlen in der Schaft¬ 
mitte des rechten Femur. 

Bei der Probeinzision der Frakturstelle des linken Oberschenkels Kröffntmg 
einer hühnereigrossen. glattwandigon Cyste, unter dünner, morscher Knochen- 
schale. mit klarem, braunem, dünnflüssigem Inhalt. Probeexzision eines Stückes 
der sorosaähnlichen Cvstenwand. primäre Naht. Sehr verzögerte Konsolidation 
in Winkelstellung nach 4 Monaten. Nun Schmerzen im rechten l'ntersrhenkel, 
oberhalb der Schaftmitte starke Druckschmerzhaftigkeit. Keine Verdickung. 

Röntgenbefund: Die früher festgestellten Höhlen nach allen Seiten ver- 
grössert. 

Refraktur zwecks Sicllungskorrektur des linken Oberschenkels. Konsolida¬ 
tion braucht 4—5 Monate. Danach ist die Cyste verschwunden, währenddessen 
Schmerzen im rechten Oberarm. Passive Schulterbewegungen schmerzhaft. Starke 
Druckempfindlichkeit der oberen Mctaphyse und deutliches Pergamentknittern. 
Keine Auftreibung. 

Röntgenbefund: Mohrkammorige Höhlen unterhalb der Tubercula. 

Schmerzen lassen allmählich nach, kann mit Cnterstiitzung gehen. Röntgen¬ 
befund unverändert. Ferner haselnussgrosse Aufhellung unterhalb der Fraktur¬ 
stelle des linken Femurs. Am sonstigen Skelett Hohlräume in der linken Tibia 
und (irundphalanx der linken grossen Zehe ohne klinische Symptome. Im Laufe 
des folgenden .Jahres anscheinend keine neuen Herde. Röntgenologisch nach¬ 
weisbare Vorgrösserung der haselnussgrossen Cyste zu Taubeneigrösse, (iang 
schlecht, linkes Bein schwächer. Dauernd Schmerzen im rechten Selmltorgelenk, 
sonst gutes Allgemeinbefinden. Skelett ohne Verbiegungen mit Ausnahme der 
Frakturstellen des linken Femurs und der Kyphose, aber starke Atrophie, so 
dass auch weiche Röntgenstrahlen schlechte Bilder geben. 

M ik ros ko jiisch er Befund der Probeexeision : Cystenwandohne FpitheR 
kern- und gefässarmes Bindegewebe mit etwas körnigem Pigment. Dann folgen 
dünne kalklose Knoehenhälkchen mit breitem, faserigem, kernarmem Bindegewebe 
und Pigment, Osteoblastenbesatz, kein Knorpel. 

Beobachtung von Langendorff und Mommsen aus dem 
Jahre 1875: 

17. 33jähriger Schneider. Heredität ohne Bedang. Lernte mit 1 Jahr 
laufen, dann deutliche Rarhitis, verlernte das Laufen wieder bis zum 5. Jahn». 
Bis zum 32. Jahre stets gesund. Verheiratet, drei gesunde Kinder. Im 
32. Lebensjahre anfallsweise „rheumatische" Schmerzen, die zeitweise das Liehen 
unmöglich machten. 4 Jahre darauf pathologische Fraktur des Schlüsselbeins. 
In der Folgezeit zahlreiche Frakturen. Anfangs glatte Heilung, später Ver¬ 
krümmungen. Auch Deformation des Thorax. Nieren- und Blasenstein¬ 
besehwerden. Leichte Lrmiidbarkeit. (ioht an Krücken. Aufnahme wegen Ober- 
sehenkelfraktur. 

Befund: Keine Schmerzen mehr, keine Konsolidation der Femurfraktur. 
Zunehmende Verblödung. Fxitus in Asphyxie. 

Sek t io n s lief un d: Körperlänge 130 cm. Schädeldach bis 1 cm dick, 
blutreich, porös, federnd, sehneidbar. Keine Schichtenzeichnung mehr. Deut- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



29VV4H 


Ober generalisierte Ostitis fibrusa mit Tumoren und Cysten. 21 


liehe Oefässfurchen. Linkskonvexe Kyphoskoliose der unteren Brust- und Londen- 
wirbclsäule. Becken schied, seitlich zusanimengedriiekt, biegsam. Linke Clavieula 
mit Frakturcallus. Linker Humerus unter dem Collum chinirgicum nach aussen 
konvex abgeknickt, ebenso im unteren Drittel e*ine gleiche Krümmung. Periost 
unbeteiligt. (’ompacta der Diaphysen sehr verdünnt. Mark im proximalen Teil 
rot, in der Schaftmitte zwei längliche cystenartige glattwandige Hohlräume mit 
dünnflüssiger, alkalisch reagierender Flüssigkeit, mandel- bzw. pflaumengross. 
Letztere mit Infraktion. In der oberen Epiphyse zwei bohnengrosse Iloldräume 
im Fett mark. Yorderarmknochen geknickt. Beide Scapulae auffallend weich, 
federml. Endphalangen der Finger kolhig verdickt, mit sehr breiten Nägeln. 
Fraktur der rechten Feinurdiaphvse mit Verdickung der Fragment enden, nach 
aussen konvexe Krümmung. Linksseitig subtrochantere Femurfraktur durch 
straffe Handniassc vereinigt. Linke Tibia an den Epiphysen weich. Schaft 
schwach nach vorn konvex gebogen. Das Mark gelb, in der Schaftmitte mark¬ 
st iiekgrosse gallertige Stelle mit kleiner Cyste. Firn' zweite Cyste in der 
Kindensubstanz. In der Fibula kleinere Cyste. Im Nierenbecken Konkremente. 
Ifydronephrose. 

Mikroskopisch: (iefässreicbes Fasermark, starker Knochenabbau, Kiesen¬ 
zellen. Cystenwand aus derber gefässarmer Bindegewcbsntembran ohne Epithel. 
In der Umgehung massenhaft Pigment. 

Saxinger teilt 1912 folgenden Fall mit: 

18. 36jährige Frau, früher gesund. Heredität negativ, keine Infektion. 
Seit 12 Jahren verheiratet. Kein Partus, kein Abort. Seit dem 33. Jahre Meno¬ 
pause! Vor 3 Jahren unter erheblichen Schmerzen spindelige Auftreibung der 
rechten Tibia. Durch Operation wird eine Knochencyste mit serösem, sanguino¬ 
lentem Inhalt eröffnet. In kurzen Abständen unter gleichen Schmerzen Auf¬ 
treibung der linken Tibia, des oberen Drittels des linken Femurs, dort patho¬ 
logische Fraktur, die trotz Streckverband nicht konsolidiert. Nach Ausbildung 
der Verdickung Aufhören der Schmerzen. Bettlägerig bei gutem Allgemein¬ 
befinden. Allmählich auch Auftreibungen des rechten Femurs, linken Humerus, 
rechten Vorderarmes, die die Kranke völlig hilflos machen. Fine Yorwölbung 
am Sternum geht spontan wieder zurück. 

Befund: Anämie, massige Abmagerung, Schädel frei. Innere Organe 
o. B. Kund Liehe Finsenkung am Sternum, mächtige spindligc. nicht druek- 
sehmer/hafte Auftreibung beider Tibicn, auch der rechten operierten, des rech len 
Femurs, linken Humerus, rechten Oberarmes. Deutliches Pergamentknittern. 
Fragliche Fluktuation. Verkrümmung beider Femora. 

Uö n t gen bef und: Mehrkammerige Aufhellung in den aufgetriebenen 
Stellen der beiden Tibicn. Fraktur im (»bereu Drittel des linken Femurs. Im 
rechten Femur ein markstückgrosser regelmässiger Schatten. Die der Mitteilung 
beigegebrnen Könt genbilder zeigen grosse multilnculäre vorgebuchtete TT o*:I- 
räume, vornehmlich in der Schaftmitte der rechten o;i:\*ivvtc^ ^iVia uhdin den 
rechten Yorderarmknochen. 

ITnbepunktion dreier Cysten ergibt 200 cf-ni ^ klare gejbnöe Fiiissigkvit, 
die unter massigem Druck steht. Spezifisches (iewieht U)lö Im S-jcLir.ei.t nu»’ 
Blutkörperchen, keine Bernsteinsäure. Bakterienfärbung? auch auf Tuberkel 
baeillcn negativ, auch im Dunkelfekl bakterienfrei. Kurz daraus msd» ,4»ägig<_r 
Herzschwäche Exitus. > r , , . , 

Sekt ion shefurid: Braunes Herz; ums Doppelte vergrösserte Nebennieren 
inf«»lge Fettinfiltration. Ovarien bindegewebig entartet. Heide Tibicn. rechtes 
Femur, linker Humerus, rechter Vorderarm durch Cysten mit klarer gelbrüt- 
lielier Flüssigkeit unter papierdiinner Cortiealis aufgctriel>en. Kippen biegsam. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



22 


K. Lot sch, 


Digitized by 


Wirbelsäule o. B. Massige Beckendeformation. Der Durchschnitt des linken 
Humerus zeigt nur im distalen Abschnitt noch Spuren von normal aussehendem, 
mikroskopisch reichlich weisse Blutelemente (Mithaltendem Knochenmark. 

Mikroskopisch: Hippen bestehen in der Hauptsache aus dickem fibrösen 
(iewebe mit spärlichen schmalen Knochenbälkchen mit osteoiden Säumen. Im 
Fasermark stellenweise weisse Blutzellen. In der Epiphyse kalkarme Cnrticalis 
vorhanden. Osteoklasten nur vereinzelt, (iclenkknorpel o. B. 


Die pathologisch-anatomische Beschreibung dieses Falles ist 
etwas lückenhaft, vor allem fehlt die Mitteilung des mikroskopischen 
Befundes der übrigen Knochen, besonders der mit Cysten durch¬ 
setzten. Soweit berichtet wurden Riesenzellensarkombildungen nicht 
gefunden. 

Im gleichen Jahre erschien folgende Mitteilung ßurchard’s: 


19. 4jähriges Mädchen, lernt erst mit l'/ 4 Jahr laufen weiren diagnosti- 
ziertcr Rachitis. Bald Hinken und Verkürzung d(‘s rechten Beines. 

Röntgenbefund im Alter von DA Jahren: Haselnussgrosse unregel¬ 
mässige Aufhellung am rechten Trochanter minor. 

Im 3. Lebensjahr deutlicli nach aussen konvexe Kriimmmung des rechten 
Obcrsclienkels. Verkürzung. hinkender Gang. Keine Klanen, sonst gesund. 

Röntgenbefund: Aufhellung am rechten Trochanter minor, mehr- 
kammerig, walnussgross, Cortiealis zum Teil gänzlich geschwunden, Unteres 
Drittel des rechten Femurs stark rarefiziert. Cortiealis selir verdünnt, haselnuss- 
grosse Aufhellung und streifig fleckige Struktur. Entere Epiphysenlinie zackig. 
Periost unbeteiligt. Zwischen mittlerem und unterem Drittel nach aussen kon¬ 
vexe Abbiegung des rechten Fernursehaftes. Aehnliche Veränderungen an beiden 
Metaphysen der rechten Tibia, besonders oben, Auftreibung nach der Fibula 
hin, Unregelmässigkeit der Epiphysen. 

Befund im 4. Lebensjahre: Gut (Mit wickelt. Rechtes Bein um 3,5 ein 
verkürzt, geht wie früher auf den rechten Zehenspitzen. 

Der Röntgenbefund zeigt eine dem Körperwachstum entsprechende Ver- 
grösscrung der Aufhellung. Sonstiges Skelett röntgenologisch frei. Keine ana¬ 
tomische Untersuchung. 


Aus dem Jahre 1911 stammt folgender Fall Hartmann’s, 
den auch Steinthal in seiner Diskussionsbemerkung auf dem 
Chirurgenkongress 1912 erwähnt. Er wird von beiden Autoren 
aufgefasst als eine Erkrankungsform, die zum Teil dem Paget- 

.sehen, zum Teil dem v. Recklinghausen’schen Typus der defor- 

: • <Jgütis ^gehört. 

^"*^0! 2 $«Heredität ohne Belang. Schwach begabt, lernt 
stf^terf .Tftwifig lviöfsjdmicrzefi. * ÖiS zum 25. Jahre nächtliche Schreib rümpfe 
mft»J?eVtft^Sins.stär0n^ Im 15. Lebensjahre Gehen durch Schmerzen und Ver- 
ljriwijsiwing beider ÖßeTschcnkcl erselnvert. Wegen Genua valga beiderseitige 
FiflntHj).s/(l(JtJifjiK‘jr JGl^tte Heilung mit abnorm stark(‘r Callusbildung. Enten- 
gan£. * *A{il>*ögwi)g; ddfc Cal Ins und erneute Osteotomie am rechten Femur; 
Heilung durch Infektion verzögert. Gang hinkend, unsicher, fiel häufig. Zwei¬ 
mal wegen Fallverletzungen im Krankenhaus, ferner Appendieitis und Auf¬ 
treibung des Unterleibes. Aufnahme wegen allmählicher, schmerzhafter An¬ 
schwellung der linken Hüftgegend. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumorrn und Cysten. 


23 


Befund: Blässe. Innere Organe und Urin o. B. Keine Zeichen von 
Rachitis. Gesicht etwas asymmetrisch. Zähne schlecht entwickelt, zum Teil 
defekt. Thoraxskelett und Wirbelsäule ohne Veränderung. Apfelgrosse, flache, 
knochenharte, glatte, stark druckempfindliche Anschwellung im Beckenring in 
der linken Fossa iliaca. Die Gegend der linken Kreuz-Darm beinfuge etwas auf¬ 
getrieben und druckschmerzhaft. Linkes Hüftgelenk frei, linkes Femur leicht 
gekrümmt, untere Hälfte des rechten Oberschenkels auffällig verbreitert, mit 
grosser Operationsnarbe. Kniegelenk frei. Keine sonstigen Skelett Veränderungen. 

Diagnose: Chronische Osteomyelitis, lT’obeincision des Tumors der linken 
Fossa iliaca. Unter der Knochenschale im spongiösen Gewebe kleine Cyste 
mit derber weissliehcr Membran, partielle Kxcoehleation. Tamponade wegen 
starker Blutung. 

Mikroskopisch (Walz): Riesenzellensarkomartiges Gewebe mit Cysten, 
Endothelauskleidung! der einfach fibrösen Wand. Kein Knochenabbau, kein 
Osteoid. 

Mutmassliche Diagnose: Ostitis deformans seu fibrosa. 

Wegen verzögerter Heilung mit Fistel und Sekret Verhaltung Operation 
in Momburg'scher Blutleere. Eröffnung einer pflaumengrossen Knochenhöhle 
mit Eiter, dahinter zahlreiche Cysten mit schleimig-serösem Inhalt. Radikale 
Entfernung nicht möglich. Exitus im Kollaps V 4 Stunde post operat. 

Sektionsbefund: Unteres Drittel des rechten Femurs kolbig verdickt 
und nach innen abgeknickt. Auf dem Durchschnitt die Verdickung mit spongiöser 
Knochenmasse ausgefüllt. Corticalis äusserst verdünnt. Gegen die gesunde # 

Markhöhle kompakter Knochenabschluss, ln der spongiösen Masse der Auf¬ 
treibung Konglomerate kleiner, bis zirka kirschkerngrosser Cysten, mit dünner, 
glatter, weissliehcr Wand und wasserklarem Inhalt, sowie weichen, gelblich¬ 
rötlichen, geschwulstähnlichen Gowebsmassen. ln der Nähe der Epiphysenlinie 
ein linsengrosses, knorpelähnliches Gebilde, auch in den bei der Operation 
exstirpierten Massen aus der linken Beckenhälfte neben Cysten mit glatter, 
weisser Wand, die der Spongiosa direkt ansitzen, kleine rötliche, geschwulst- 
artige Massen, teils frei im Knochen, teils in der Umgebung der Cysten. 

Schädeldach schwer, bis 1,2 cm dick, Diploe fehlt, durchweg anscheinend 
Com pacta. 

Mikroskopisch: Tumormassen des rechten, früher operierten Femurs 
zeigen riesenzellensarkomartige Struktur mit entzündlicher Infiltration. Faser¬ 
mark mit wenig Riesenzellen. Knochenabbau mit Osteoklasten, osteoide Säume. 

Die knorpelartigen Gebilde bestehen aus wucherndem Hyalinknorpel. In der i 

Umgebung Fasermark mit Riesenzellenanhäufungen, viel osteoide Säume. Im 
Becken das gleiche Bild ohne Osteoid. Im Schädeldach Sklerose, spärliches 
bindegewebiges Mark neben Fett- und Lymphmark, kein Osteoid. 

Pathologisch - anatomische Diagnose: Ostitis fibrosa mit Ge¬ 
schwulst- und Cystenbildung im rechten Oberschenkel und Becken, Sklerose 
des Schädeldaches. 

1906 demonstrierte Katholicky in der Gesellschaft der 
Aerzte in Wien Präparate des folgenden Falles: 

21. 30 jahritie Dienstmagd. Vor 7 Jahren im Anschluss an eine intensive 
Anämie Krankheitsbeginn mit allgemeiner Schwäche und Schmerzen in den 
Beinen. Seit 3 Jahren Gehen nur auf Krücken möglich. Atembcschwcrdcn, 
schläft in Knieellenbogcnlagc, der grosse Kopf vornüber geneigt, Kinn auf der 
Brust; häufig wird der Kopf mit den Armen gestützt. Oberkiefer und \or allein 
Unterkiefer in toto stark verdickt. Sternum oben eingedrückt, unten vorgewölbt. 
Kyphoskoliose. Die unteren Rippen berühren fast die wulstig verdickten Darm- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



24 


F. Lutsch. 


Digitized by 


briukämme. Arme dadurch scheinbar verlängert, Vorderarme gekrümmt. Finger 
in den Zwischengelenken radialwärts ahgcknickt. Heine verdickt. ödematös. 
Unterschenkel etwas säbelscheidenartig gebogen. Aussehen und Haltung erinnert 
an die Halt um: der anthropomorphen Affen. Ausser Atembesehwerden keine 
Sehmerzen. Frische Humerusfraktur. Hei nicht schlechtem Allgemeinbefinden 
nach 10 Tagen Exitus im Asthmaanfall an Lungenödem. 

Sek t io ns I)ef u n d: Her/hypertruphie. Lungenödem. Alle Knochen weieb. 
fast sehneidbar. porös, bimsteinartig. Schädeldach 1 cm dick. Unterkiefer- 
Mittelst iirk /u (iänseriirriisse aufgetricben, mit »> cm dicker Schicht von fibrösem, 
osteoidem (iewebc. Die kolbiir verdickten Unterkiefcriiste im Gegensatz dazu 
hart, sklerosicrt. Kartrnhcrzbrckrn. Geheilte Spontanfraktur der verdickten 
Schlüsselbeine, der Schulterblätter, des rechten Femurhalses. Sternums und 
zahlreicher Kippen. Markhöhle der langen Röhrenknochen auf dem Durch¬ 
schnitt s’ark verbreitert, mit reichlichem, rotem Mark gefüllt. Uorlicalis sehr 
verdünnt, stellenweise fehlend. 

Rön t trcn bef und : (ileiclimässiL r c wabenartige Knochenstruktur mit eysten- 
arti lt*m i llohlräumcn. 

Mik ro s k o |ii schc r Hef u ml (St ern borg): Straffes, kornartiges, osteoides 
(iewebc*. spärliche KnochenbäIkclicn, besonders am Kiefer und Rippen, nirgends 
Sarkom. Fs handelt sich demnach um einen starken Knochenabbau, Ersatz des 
normalen l\ noehengewehes durch spongiöses, osteoides (iewebc, mit teilweise 
nachträglicher Kalkablagenmg. Patho|ogi>che Frakturen. Keine Riesenzellen- 
sarkome. 

Im Anschluss an diese Demonstration teilte Kolisko folgende 
Beobachtung mit: 

22. o() jährige Pfründnerin. Starke Sehädelverdickung, bis ein. Charakte¬ 
ristische Veränderungen des Reckens. Bildung zahlreicher Cysten und weicher 
Tumoren, die sich als Riesenzellcnsarknme herausstellten. Hochgradigste Rare¬ 
fizierung der Knochen mit Cortiralisverdiinnung. 

Latzko betonte in der Diskussion, er habe den Kolisko’schen 
Fall klinisch und röntgenologisch untersucht. Einen angeblich ganz 
ähnlichen Fall sah er unter Phosphortherapie heilen. Er warnt 
deshalb vor Identifizierung. Es handelte sich einmal um Riesen¬ 
zellensarkome bei Ostitis fibrosa, im anderen um Osteomalacie. 

In seinem Atlas chirurgisch-pathologischer Röntgenbilder 1908 
erwähnt Grashev folgenden Fall: 

23. - r >4 j;ihritre Kranke. Vor 4 Jahren Schwäche in den Reinen, vor 1 Jahr 
pathologische Fraktur beider Reine. Seitdem bettläi^eri^r. Das ganze Skelett 
im Zustande hochgradiger Malaeie. Hat. schrumpft förmlich zusammen. Oie 
Unterschenkel lassen sich wie die Glieder einer Lederpnppe biegen. Röntgen- 
bilder eines Radius mit Cysten, zugehörige l Ina rarefiziert, poröse Längs¬ 
strichelung, unterbrochen durch kleine Zellinst*ln, eines Metacarpus. der einen 
eystischen Hohlraum enthält, und schliesslich eines cystischen Riesenzeilrn- 
sarkoms des 5. Metacarpus. 

Joachimsthal berichtet 1911 folgenden Fall: 

24. 10 jähriges Mädchen. Früher angeblich Rachitis, konnte bis zum 
4. Lebensjahre schlecht gehen und wurde deshalb meist gefahren. Mit <» Jahren 
linksseitige hohe Femurfraktur. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY 0F IOWA 



L eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


25 

lief und: Starke Verbi eirunden und Verkürzungen im Bereich der Ex- 
tremitätenknochen. Linkes Bein 9 ein, link(*r Arm 7 cm kürzer als reehter- 
seits. Beide Humeri unterhall) des Deltoideusansatzes abgeknickt. Yorderarin- 
knoidien erscheinen verkürzt und mehrfach abgebogen, desgleichen das linke 
Femur. Linker Fuss in starker Yalgusstellung. Am Thorax Einbiegung der 
vordem) linken Hippenpartien. 

Röntgen bcfund: Ausser den Abknickungen zahlreiche Aufhellungen in 
beiden Humeri, Ulnae und Kadii, Metaearpen, Phalangen, Scapula, Clavicula 
und mehreren Rippen, im Becken, linken Femur, in der linken Tibia und 
Fibula: rechtes Bein wenig beteiligt. 

Joachimsthal stellt auf Grund seines Befundes die Diagnose 
auf Ostitis fibrosa, an Osteomalacie erinnernd, und sieht das Wesen 
der Krankheit in einer gesteigerten Resorption und reichlicher Neu¬ 
bildung kalklosen osteoiden Gewebes, bei gleichzeitiger fibröser 
Umwandlung des Knochenmarks. 

1912 hat Fujii unter Kaufmann’s Leitung folgenden Fall 
bearbeitet: 

25. .‘ICjähriger Mann. Angeblich lange Zeit wegen rheumatischer Schmerzen 
in poliklinischer Behandlung. 

Klinische Diagnose; llumcrusfraktur, Kyphose, chronische Nephritis, 
Degeneratio cordis, Küekenmarksaffektion. Unbekannte Todesursache. 

Sekt ionshefund: Kurperlänge 1Ö1 cm, KörpergewicJit nur 44.IS kg. 
Thorax flach. Zwei frischere (Juerfrakturen des linken Humerus in der oberen 
und unteren Metaphyse. Fraktur des linken horizontalen Schambeinastes und 
des rechten Femurhalses. Auf dem Durchschnitt zeigte letzterer verdicktes 
Periost, spongiösen Knochenumbau, verschmälerten Markraum mit braunrotem 
MVk, darin einzelne hellere Partien. Im rechten Humerus eine die Markhöhlc 
einnehmende, 12.5 em lange, glattwandige Uvste mit klarer, leicht gelblicher 
Flüssigkeit. Sehädelkapsel verdickt, porös, leicht und sehneidbar. Geringe Basis- 
elevaiion. Thoraxskelett weich, sehneidhar. 1 in 2. Wirhelkürper glattwandige. 
erhsengrosse Uvste mit klarem, gelblichem Inhalt. Gekrümmte Kippen, bucklige 
Scapulae. Kochte Tibia verdickt. Mark meist pulpös. braunrot, mit stellenweise 
dunkleren Partien, in letzteren holle, tumorartige Massen. Etwas Sehnabel- 
hecken. Schilddrüse stark knollig. Nebennieren etwas vergrössert. Ilodcn- 
parenchvm weich, blass. 

Naehu n t ersuch un g an in Formalin hzw. Miiller'seher Lösung gehärteten 
Knochen nach f> Jahren. 

a) Schädel: I nverdiektes Periost und Dura ziemlich fest adhärent, so 
dass heim Abziehen Knochenlcile haften bleiben. Die äussere Knoehenober- 
flache rauh, porös, fleckweise hyperämisch. Nähte völlig geschwunden. Innen¬ 
fläche feinhöekrig, weniger dunkelrot. Gefiissfurehen sehr deutlich. Die bis 
1.5 cm dicke Sägefläeho zeigt durchweg feinporige, dunkelrote Knochensubstanz, 
die biegsam, weich, elastisch und sehneidhar ist. 

b) Linkes Femur etwas verdickt, nach vorn und aussen gekrümmt, be¬ 
sonders an der verdickten Grenze zum unteren Drittel weich, biegsam, schneid¬ 
bar. Knorpelfläehe intakt. Periost unbeteiligt. Stellenweise etwas periostal- 
gebildetes Knoohengewebe. Auf dem Durehnitt Umbau der Corticalis zu poröser, 
Längsstreifen von rotbrauner Masse enthaltender, bis 1,5 cm dicker Spongiosa. 
Im verengerten Markraum braunrote, derbe, fcsthaftcndc und gut ahgegrenzte 
MarkimisM*. In den Epiphysen Koste von Kettmai k, (> cm unterhalb des Tro- 


Digitized by Google 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


26 F. Lutsch, 

chanter major in der spongiösen Kinde der Aussenseite mandelgrosse Cyste mit 
weisslieh glänzender, glatter Wand. 

e) Rechter Humerus nicht aufgetrieben. In der .Schaftmitte 12,ö cm lange, 
die Markhöhle einnehmende glatt wandte Cyste unter verdünnter Knochenschale. 
Cystenwand dünn, serosaartig glanzend, transparent: löst sich stellenweise vom 
umgehenden Knochen, Gelenkknorpel ohne Veränderungen. 

d) Rechte Tibia mit normalem Gelenkknorpel etwas verdickt. Sägefläehe 
zeigt poröses Knochengefiige. Nach der Abbildung fehlt eine eigentliche Mark¬ 
höhle, nur in der Schaftmitte weissrotes, sonst Fettmark, hier strahlt ausser¬ 
dem aus der Cortiealis der Hinterseite eine bläulich weisse, ziemlich durch¬ 
scheinende knorpelähnliche Masse in den Markraum. Fibula ähnlich verändert, 
ohne die knorpelähnliche Masse. Beide Knochen weich und biegsam. 

e) Talus etwas grossporig mit Fet t mark. 

f) Rippen durch Müller’srhe Lösung entkalkt zeigen dünne Compaeta und 
derbe Markmasse. 

Mikroskopisch: Spongiöser Umbau der Cortiealis, gefäss- und pigment- 
reiches Fasermark zwischen den Knoehenbälkchen. Das Fasermark von ver¬ 
schiedenem Zellgehalt, stellenweis ödematös und mvxomatös. Kapillarhyper¬ 
ämie. Knochenabbau nur durch Osteoklasten, wenig freie Riesenzellen. Knochen¬ 
anbau durch mehr oder minder deutliche Osteoblasten. Osteoid« 1 Säume be¬ 
sonders am Schädel. Cystenwand aus streifig hyalinem, kern- und gefässarmem 
Bindegewebe. Cystenentstehung auf Grund von Serienschnitten aus ödematös 
gequollenem Bindegewebe wahrscheinlich. Blutungen sollen nur eine sekundäre 
Rolle spielen. Nirgends Knorpel, auch nicht in der verdächtigen Tibiastellc. 
Kein riesenzellensarkornartiges Gewebe. 

Der Autor betont die Aehnlichkeit seines Falles mit der an 
erster Stelle aufgeführten Beobachtung v. Recklinghausen’s 
(66jährige Frau). Schon bei seiner ersten Demonstration dieses 
Falles auf der Heidelberger Versammlung deutscher Naturforscher 
und Aerzte im Jahre 1889 hat v. Recklinghausen diesen als 
Tumor bildende Ostitis deformans bezeichnten Fall mit dem nach¬ 
folgend aufgeführten in Parallele gesetzt, den Virchow auf der 
Berliner Naturforscherversammlung 1886 als allgemeine Hyper¬ 
ostose des Skeletts mit Cystenbildung demonstriert hatte. 

26. Klinische Daten sind nicht vorhanden. Auch einen Sektionsbericht 
habe ich nicht finden können. Das Tageblatt der Naturforseherversammlung 
enthält einen kurzen Bericht, dem ich folgendes entnehme: 

Skelett eines kürzlich zur Sektion gekommenen unbekannten Mannes. 
Besonders bemerkenswert ist eine kolossale Hyperostose des Schädels. Hyper¬ 
ostose und Verkrümmung der Femura und des rechten Humerus, die einen auf¬ 
fallenden Gegensatz zu einer Atrophie und porösen rarefizierten Beschaffenheit 
anderer Knochen, namentlich der oberen Rippen bilden. Die Krümmungen 
rühren nicht von früheren Frakturen her. Im Knochenmark findet man an 
diesen Stellen teils elfenbeinerne Tela ossea, teils Spongiosa, teils fibroeartila- 
ginäro Inseln, Markgewebe und grosse Cysten in den Diaphysen. Die inneren 
Organe zeigten keine auf Syphilis deutende Veränderungen. Virchow will den 
Prozess, der der allgemeinen Hyperostose zu Grunde liegt, von den bekannten 
ähnlichen, besonders den syphilitischen getrennt wissen; dagegen weist er auf 
die Aehnlichkeit mit dem tardiven Riesenwuchs hin. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


27 


Das pathologische Museum unserer Universität besitzt das inacerierte 
Skelett (Präparat (55, 18S(j). Schädel, rechter Humerus und linke Unterschenkel¬ 
knochen siml aufgesägt, in Spiritus aufbewahrt. Das durch die Verbiegungen 
sehr stark verkleinerte Skelett (s. Fig. 1) zeigt eine starke, rechtskonvexe 
Kyphoskoliose der Brust- und eine Lordose der Lendenwirbelsäule, derart, dass 
der linke Rippenbogen den höhergestellten linken Darmbeinkamm berührt. 
Rechtsseitiger Kippenbuckel. Thorax seitlich etwas eingedrückt. 1. bis 3. Kippe 
beiderseits am Angulus aufgetrieben, hohl. Die gesamten Knochen stark 
porotiseh. Im 4. und 5. Brustwirbelkörper ausser Porose grössere Hohlräume. 
Diaphvse des linken Humerus aufgetrieben, desgl. der rechte Radius in der 
Gegend der Tuberositas und der zweite Metacarpus. Schiefes Becken. Hoch¬ 
stand der rechten Beckenhälfte. Blasige Auftreibung der rechten Darmbein¬ 
schaufel. Die dünne Knochenschale knittert. Starke hirtenstabförmige Ver¬ 
biegung beider Femora mit hochgradiger Adduktionsstellung, so dass die Ober¬ 
schenkel sich kreuzen; dabei liegt der linke vor dem rechten, die rechten 
Femurcondvien sind mit ihrer Gelenkfläche ganz nach linksseitlich gerichtet. 
Die unteren beiden Schaftdrittel sind um das 3 fache verdickt, unförmig, porös, 
anscheinend hohl. Der rechte Trochanter major stark ausgeprägt. Das linke 
Femur ist in seinem oberen Drittel entsprechend dem Scheitel einer nach aussen 
und vorn gerichteten Krümmung aufgetrieben. Der linke Tibiaschaft ist in 
seiner medialen Seite buckelig vorgewölbt, der 1., 3. und 4. linke, sowie der 
1. und 3. rechte Metatarsus sind unförmig verdickt, porotiseh. 

Die Spirituspräparate haben eine ausgesprochen grüne Färbung ange¬ 
nommen. Der Schädel (Präparat Goa, 1SS(5, s. Fig. 2 u. 3) zeigt hochgradigste 
Hyperostose des Schädeldaches, das abgeflacht und asymmetrisch erscheint. 
Leontiasisartige Hyperostose der linken Gesichtsseite, der Stirn, Orbita, des 
Jochbogons und Oberkiefers, sowie des Planum temporale. Im linken horizon¬ 
talen Unterkieferast (‘ine längliche Auftreibung nach beiden Seiten. Sie ist 
nicht aufgesägt, doch anscheinend cystiseh. Zähne gut erhalten. Infolge der 
Hyperostose des linken Oberkiefers stellen die Zähne im linken Oberkiefer deut¬ 
lich tiefer als rechts. 

Die Sägefläche des Schädeldaches (s. Fig. 3) zeigt einen homogen pomti- 
tischen Bau und lässt weder die äussere und innere Tafel, noch die Diplnö 
unterscheiden. An der breitesten Stelle am linken Stirnschläfcnwinkel misst 
die Dicke 3,5 cm, am Hinterkopf 2,5 cm. Die Knochensubstanz ist zwar 
weicher als normal, scheint auch etwas zu federn, doch lässt sie sich mit dem 
.Messer nur streckenweise schneiden. Die Basis ist deutlich eleviert, die Schädel¬ 
kapsel erscheint stark abgcflacht. 

Der Schädel zeigt ferner vorn an der Glabella eine rundliche Impression, 
und an der rechten Schläfe eine rundliche etwa 9 mm grosse Perforation. Fs 
soli sich um Sehussvcrlctzungen handeln. 

Der rechte Humerus (Präparat (55 b, 1SS(5, s. Fig. 4) ist 34 cm lang und 
zeigt in der Schaftmitte eine Auftreibung. Die Corticalis ist porös, der Mark- 
raum durch Spongiosa erfüllt, deren Maschen zum Teil auch in grösseren zu¬ 
sammenhängenden Bezirken durch ein gleichmässig dichtes Bindegewebe erfüllt 
sind, zum Teil noch Fettmark enthalten; besonders im oberen Drittel iiber- 
wiegt das Bindegewebe und hier sicht man auf dem Längsschnitt mehrere glatt- 
wandige bis haselnussgrosse Hohlräumo eröffnet, die innerhalb des Bindegewebes 
gelegen sind. 

Linke Tibia (s. Fig. 4) ist 43 cm lang. Nach vorn, aussen konvex ge¬ 
bogen mit Anschwellung in der Schaftnutte. Auf dem Längsschnitt poröse 
Corticalis, besonders die Schaftmitte von zusammenhängenden bindegewehs- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



28 


F. Lot srh. 


Digitized by 


artigen Massen eingenommen, darin mehren 1 glatt wandige Hohlräume l>is zu 
Pflaumengrösse. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurden Scheiben von der Sägeflärho 
des Sehädeldaehes (linker Stirnschläfenwinkel) und aus der linken Tibiamitte 
entnommen. Trotz ihres Alters Hessen sich die Celloidinschnitte wenigstens 
vom Schädel noch ausreichend gut färben. 

Mikroskopischer Befund: Schon mit blossem Auge lässt das Präparat 
vom Schädel umsehlossen von spongiöser Knochensubstanz einen grösseren 
knochenfreien Bezirk erkennen, der einen scharfwandigen grösseren ilohlraum 
in sieh sehliesst. Die Spongiosabälkchen zeigen zum grössten Teil einen sehr 
unregelmässigen Bau. Die Knochenkörperchen liegen teils dicht gedrängt, teils 
spärlich und ungeordnet. Das Knochengewebe erweist sieh als sogenannter ge¬ 
flechtartiger Knochen. Die Oberfläche ist stellenweise deutlich lakunär, an 
anderen Stellen finden sich breiten 1 osteoide Säume. Das Mark zwischen diesen 
Spongiosabälkchen ist durchweg ein derb faseriges, gefässreiches Bindegewebe, 
stellenweise scheinen die auseinander gedrängten Bindegewebsfasern und Spindel¬ 
zellen mit roten Blutkörperchen infarziert. Besonders an abgeschlossenen klei¬ 
neren Maschenräumen sind Nester von deutlichen Kiesenzellen zu sehen, teil¬ 
weise entsprechen ihnen llowship'sche Lakunen. Pigment ist. nicht mehr nach¬ 
weisbar. In dem knochenfreien Bezirk ist die Kernfärbung sehr mangelhaft, so 
dass das Gewebe wie nekrotisch aussieht. Immerhin sind noch deutliche Faser¬ 
strukturen zu erkennen, die auch dem Ilohlraum als Wand dienen. Die mikro¬ 
skopischen Schnitte von der Tibia haben fast keine Kernfärbung mehr ange¬ 
nommen. Man sieht nur ganz verschwindende Bestehen von Knochenspongiosa, 
meist als Knochenscherbchen in einem faserigen gelassreichen Bindegewebe. 
Biesenzellen sind nicht zu erkennen. Dagegen lässt sich die Durchfleehtimg 
der einzelnen Bindegewebsfaserbündel noch nachweisen. 

Dieser mikroskopische Befund erlaubt wenigstens die Diagnose einer hoch¬ 
gradigen Markfibrose, die sogar zu tumorartigen Fibrommassen unter Abbau der 
Knochensubstanz im Markraum geführt hat. 

Unzweifelhaft bietet der Schädel das Bild der Leontiasis ossea, während 
die Verdickung der Extremitätenknochen, wie es scheint, mehr auf tumorartige 
Fibrombildungen mit Cysten zuriiekzuführen ist. Der Skelettbefund macht auch 
das Vorhandensein von grossen eystischen Hohlräumen, besonders in einigen 
Wirbelkörpern wahrscheinlich. Cystenartige llohlräume kleineren Umfangs finden 
sieh auch in dem spongiösen Gewebe des Sehädeldaehes. Kiesenzellensarkom- 
artige Bilder fehlen, desgleichen Frakturen. Knorpelgewebe halte ich nicht ge¬ 
funden. 

Eine ähnliche weitere Beobachtung veröffentlicht Albertin 
im Jahre 1890: 

27. Die 35jährige Frau wurde klinisch nicht beobachtet. Bei der Sektion 
fand sich eine gleiehmässige Erweichung des Skeletts mit geschwiilslartiger Auf¬ 
treibung des rechten Humerus und Femurs, sowie beider Hüftbeine. Gelenke 
frei. Epiphysen unbeteiligt. Auf dem Durchschnitt cystenartige llohlräuinc, 
besonders im Femur. Dadurch Aussehen eines grosslöcherigen Siebes. 

Mikroskopisch: Fasermark, Knochensehwund, Cystenbildung durch Ver¬ 
flüssigung der Marksubstanz. Biesenzellcnsarkome nicht gefunden. 

Ich lasse einen Fall von Gottstein folgen aus dem Jahre 1907: 

28. 11 jähriges Mädchen. Im 4. Lehensjahre plötzlich zusammengeknickt, 
dabei Oberselienkelfraktur. Seitdem vielfach pathologische Frakturen der Arme 
und Beine. Stets glatte Frakturheilung. An Händen und Schädel entstanden 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


29 


sehr starke Verdickungen. Cystischc Degeneration des ganzen Knoetiensystems 
infolge von Ostitis fibrosa. 

Im Jahre 1911 veröffentlichte Klestadt nachfolgende Beob¬ 
achtung: 

29. 35jähriger Mann. Keine Rachitisanamnese, nur seit Kindheit grosser 
Schädel. Mit 14Jahren pathologische Fraktur des rechten Oberschenkels. 
Sehr langsame Konsolidation. Starke Verkrümmung des linken Unterschenkels 
in den folgenden 2 Jahren unter massigen Schmerzen, macht das Gehen fast 
unmöglich. 

Der damalige Bef und der Erlanger chirurgischen Klinik lautet: Asymmetrie 
des Schädels und Gesichts, Pectus carinatum, leichte Skoliose, deform geheilte 
Fraktur des rechten Oberschenkels im unteren Schaftdrittcl mit 2,5 cm Ver¬ 
kürzung. Links Genu valgum und kompensierender Pes varus. Erfolglose 
wiederholte Osteotomie links und osteoklastische Stellungskorrektur rechts. 
6 Monate später Fraktur des linken Unterschenkels durch Fall auf ebenen 
Boden. Heilung in 11 Wochen. 15 Jahre „gesund“. Dann Fraktur des rechten 
Oberschenkels durch Fehltritt. Heilung in 14 Woehen. Seitdem intermittierende 
.rheumatische" Schmerzen in den Reinen, besonders bei Witterungswechsel. 
Müdigkeit. 

Befund im 35. Jahre: Wassermann'sehe Reaktion negativ. Innere Organe 
o. B., auch Nervensystem. Viereckige asymmetrische Kopfbildung. Hirnschädel 
überwiegt, rechte Seite* grösser. Nähte und verknöcherte Fontanellen als Furchen 
fühlbar. Oberfläche im ganzen glatt. Keine Kopfschmerzen. Geringe Kypho¬ 
skoliose. Affenhaltung. Schulter- und Beckenknoehen o. B. Rechtes Bein 
dünner als das linke bei gut entwickelter Muskulatur. Am rechten Oberschenkel 
zwei nach aussen und vorn konvexe Verbiegungen im oberen und mittleren 
Drittel. Daselbst Knochenauftreibung. Rechtes Unterschenkel- und Fussskelctt 
gracil, sonst o. 13. Linkes Bein länger, stark entstellt, am Oberschenkel nach 
vorn und aussen konvexe Verbiegung zwischen mittlerem und unterem Drittel. 
Der verdickte linke Unterschenkel nach hinten ausgebogen mit stark verdickten, 
höckerigen Knickungen oben und unten. Auftreibungen im oberen Drittel der 
linken Fibula. Keine Druckschmerzhaftigkeit. Spontan ziehende Schmerzen 
besonders im linken Unterschenkel, schwinden auf Bettruhe. 

Röntgenbefund: Ausgedehnte Cysten der linken Unterschenkelknoehen, 
mit Ausbuchtung der verdünnten Knochenschale. Persistierender wabiger Callus 
an den Osteotomie- bzw. Knickungssteilen. Rechter Oberschenkel hirtenstab¬ 
förmig deformiert, wabenartige Zeichnung. Compacta der Diaphysen erhalten. 
An der Bicgungsstelle des linken Oberschenkels cystenartige Aufhellungen mit 
netzartigen Schatten. Cortiealis stellenweise verdünnt. Schädeldach gibt dichteren 
Schatten, Aufhellungen im Scheitelbein. Sonstiges Skelett, nicht als verändert 
beschrieben. Keine histologische Untersuchung. 

Ein sehr ausgesprochener Fall wurde von Gaugele 1906 bzw. 
1907 mitgeteilt: 

30. Beim Exitus 30jährige Frau. Kamilienanamnese o. B. Im 12. Lehens- 
jahre Schliisselbeinbrueh, stets schwächlich, blass, schlechte Fussgängerin. Zwei 
Partus. Das erste Kind, 14jährig, völlig gesund und kräftig, das zweite nach 
t> Monaten an Zahnkrämpfen gestorben. Krankheitsbeginn im 2S. Lebensjahre. 
Nach Fall von einem Stuhl hohe linksseitige Oberarmfraktur. Heilung mit Ver¬ 
kürzung und Winkelstellung in 11 Wochen. Danach allmähliche, ziemlich schmerz¬ 
hafte. weiche Auftreibung der rechten File. Mit 30 Jahren pathologische Fraktur 
des rechten Oberarms. Heilung in guter Stellung in 2 Monaten. Während- 


Digitized by 


Go gle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



30 


F. Lots eh. 


Digitized by 


dessen Fraktur der rechten Ulna an der Anschwellung. Heilung langsam, 
schmerzhaft. I nter dem Uallus wird der Tumor wieder hart. Schmerzhafte 
Auftreibung am rechten Schienbein, die schliesslich bläulich durch die Haut 
schimmert und deutlich fluktuiert. Punktion ergibt klare, gelbe Flüssigkeit. 
Nach Fall Fraktur des rechten Unterschenkels an der verdickten Stelle und 
gleichzeitig des rechten Oberarms. Im Bett Fraktur des bereits schmerzhaften, 
aber nicht nachweislich verdickten linken Oberschenkels. Heim Transport in 
die Klinik trotz fast totalen (iipsverbandes Einknickung des rechten Humerus 
an der alten Bruchstelle. 

Klinischer Befund im 30. Lebensjahre: Anämie, schlechter Ernäh¬ 
rungszustand, linker Humerus oben winklig abgeknickt, rechter Humerus mit 
Frakturcallus an mehreren Stellen, eine noch abnorm beweglich. Hechte Ulna 
an der Grenze zum unteren Drittel auf das Doppelte verdickt. Linker Ober¬ 
schenkel im oberen Drittel an der noch beweglichen Frakturstelle nach innen 
konvex gebogen. In der Mitte des rechten Ober- und Unterschenkels deutliche, 
feste, etwas druckempfindliche Knochenauftreibung. Bei der Entlassung 1902 
Besserung, vor allem der Schmerzen und Erzielung von Oehfähigkeit an Krücken 
(Phosphor. Arsen. Calcium citricum). Nach kaum l ; 2 Jahr wieder schlechterer 
Allgemeinzustand unter Heissen. Yergrosserung und Erweichung der Geschwülste 
der rechten Ulna und pathologische Kefraktur. Langsame Heilung unter Ban¬ 
dagen. 1903 Schmerzen im rechten Bein, pathologische Fraktur des rechten 
Femurs, seitdem gehunfähig. 1904 starke Biegsamkeit und Erweichung der 
Kippen. Becken ohne Veränderung. Starke Abmagerung. 

Küntgenbefund: Fleckige Zeichnung und Höhlenbildung, deutliche Karefi- 
kation, zum Teil völlige Strukturlosigkeit. Grössere Verkrümmungen wurden 
durch orthopädische Apparate verhütet. Zuletzt jahrelang ans Bett gefesselt. 
Exitus nach 3tägiger Agonie unter urämischen Symptomen 1907 nach 8jährigem 
Bestand der Krankheit. 

Klinische Diagnose: Ostitis fibrosa (v. Keeklinghausen). 

Sektionsbefund (Lubarsch): Sehr kleine weibliche Leiche, starke Ab¬ 
magerung, Muskelschwund, graciler Knochenbau. Linker Humerus nahe dem 
Gelenkkopf seitlich abgeknickt: in der Diaphvsc des rechten nach aussen ge¬ 
krümmten Humerus mehrere Knochenauftreibungen, oberhalb des Ellbogengelenks 
abnorme Beweglichkeit, ebenso wie an mehreren Stellen des rechten Vorder¬ 
arms und an den Unterschenkeln dicht unter dem Kniegelenk. Schaftmitte des 
rechten Oberschenkels aufgetrieben und abnorm beweglich. Im oberen Drittel 
des linken Femurs seitlich konvexe Krümmung. Sternum, Hippen und Wirbel¬ 
körper weich, leicht schneidbar, blutreich, porös, mit wabenartigen Höhlen durch¬ 
setzt. Hippen zum Teil nach innen geknickt, leichte Skoliose und Lordose der 
Lendenwirbelsäule. Beekenknochen weich, schneidbar. Auf der Schnittfläche 
dunkelrot mit erbsengrossen Höhlen durchsetzt. Die obere Metaphysc des linken 
Oberarmes spindelig aufgetrieben, darunter bindegewebig vereinigte Fraktur. 
Oberfläche rauh mit ovalen Corticalisdefekten. Auf dem Sägedurehschnitt Corti- 
calis sehr dünn bis 3 mm. mit einigen weissliehen Fortsätzen gegen die Mark- 
substanz. Im oberen Drittel multilokulare Cyste mit Septcn, weisslieher Wand 
und klarer oder bräunlicher Flüssigkeit. Darunter ein beweglicher, festweicher, 
gelbliehweisser Körper. In der frakturierten Schaftmitte des rechten Femurs 
5 Höhlen mit meist bräunlicher Flüssigkeit. Wandung vielfach rostfarben. In 
der untersten Höhle dunkelbraunrote feste Massen. Die Fraktur im oberen 
Drittel in knöcherner Heilung. In der Umgebung rostbraune und gelbliehweisse, 
zum Teil knöcherne Spangen. Cortiealis sehr dünn. Knochenmark weich, 
dunkelrot, in den Epiphysen Eettmark. Femurkopf weich, eindriiokbar, mit un- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


31 


veränderter Knorpelfläche. Knicgelenksknorpelfläehe etwas usuriert. Tibia- 
Cortiealis verdünnt, innen Fettmark, nur in der Diaphysenmitte dunkelbraune 
und weisse Massen mit Frakturen. Fibula dünn mit bindegewebig geheilter 
Fraktur. Periost vielfach rostbraun, überall leicht abziehbar. Schädeldach bis 
11 mm dick, elastisch, zusammendriiekbar, Oberfläche uneben. Nähte ver¬ 
strichen. Dura adhärent, so dass beim Abziehen Knorhcnstiicke hängen bleiben. 
Deut liehe Gefässfurchen. 

Mikroskopisch: Fasermark zum Teil zell- und gefässarm, zum Teil 
zell- und gefässreich. Starker lakunärer Knochenabbau durch Osteoklasten und 
spongiöser Anbau, zum Teil mit deutlichen Osteoblasten, reichlich Pigment, 
grössere Fasermarkbezirke ohne Knochenreste mit reichlich zum Teil pigment¬ 
haltigen Kiesenzellen. Fasermark hier besonders zell- und pigrnentreich (rieson- 
zellensarkomartig). Höhlenwand aus sklerotischem Bindegewebe mit innerem 
zell- und pigmentreichem Saum. Kiesenzellen zum Teil wie Deckzellen auf der 
freien Innenfläche. Inhalt teilweise mit der Wand organisch verbunden, aus 
körnig homogenen Massen, Fibrin, Erythrocyten, Hämosiderin in Schollen und 
in Zellen, ln der Wand der grösseren Höhlen noch Spongiosabälkchen mit 
starker lakunärer Resorption und Kiesenzellen. Befund von grampositiven 
Streptokokken als Verunreinigung gedeutet. 

Ein sonderbarerweise völlig vergessener Fall ist 1887 von ßra- 
mann aus der v. Bergmann’schen Klinik als cystische Degenera¬ 
tion des Skeletts auf dem Chirurgen-Kongress demonstriert worden: 

31. 34jährige Frau aus gesunder Familie. Seit 0 Jahren Magenkatarrh, 
Caries und Ausfall aller Zähne innerhalb kurzer Zeit. Drei normale Partus. 
Während der dritten Gravidität „rheumatische'* Schmerzen in den Beinen, be¬ 
sonders im rechten Oberschenkel, die mit Beendigung der normalen Geburt ver¬ 
schwinden. Während der vierten Gravidität (1SS4) heftige Schmerzen, die das 
Gehen sehr erschweren. Frühgeburt im 7. Monat; im Gegensatz zu den früheren 
Partus langwierig und schwer. Schweres Wochenbett, hochgradige Schwäche 
und Unsicherheit in den Beinen. Ausser Schmerzen in Oberschenkeln und 
Knien noch heftige Schmerzen im Kreuz. Januar lSSf>, 6 Wochen nach der 
Frühgeburt, durch Ausgleiten im Zimmer sehr schmerzhafte, rechtsseitige, hoho 
Obcrschenkelfraktur, die im Strcckverband mit erheblicher Verkürzung heilt. 
Bein bleibt unbeweglich. Erneute heftige Schmerzen mit Fieber und Durch¬ 
fällen Januar 1 SStj in beiden Beinen, unter ziemlich erheblicher Schwellung. 
Wenige Tage später auch schmerzhafte Schwellung über dem linken Handgelenk, 
die nach spontaner Fraktur allmählich wieder schwindet. Beim stets schmerz¬ 
haften Umhetten Fraktur des linken Oberschenkels, danach geht vorübergehend 
auch hier die Schwellung zurück. Am rechten Oberschenkel und beiden Tibien 
nimmt sie zu, anscheinend ohne Fraktur, biegsam und federnd. Es folgt schmerz¬ 
hafte Schwellung des oberen Drittels des linken, später dos rechten Oberarmes, 
die zu pathologischen Frakturen führt. In völlig hilflosem Zustand, unfähig 
Beine und Arme zu bewegen, kam sic in die v. Bergmann'sche Klinik. 

Klinischer Befund: Sehr elende abgemagerte Frau, „in sich zusammen¬ 
gesunken“ in halb sitzender Stellung im Bett. Kücken stark gekrümmt, Kopf 
vornübergebeugt. Unterer Beckcnabsehnitt zusammengeschoben. Starkes Oedem 
der Beine, besonders rechts. Oberschenkel in starker Adduktion, nach vorn 
konvex gekrümmt. Der rechte Femurschaft stark verdickt, an zwei Stellen ab¬ 
norm beweglich, ohne Krepitation. Am linken, wenig aufgetriebenen Femur in 
der Schaftmitte Pseudarthrose nach Fraktur. Beide Tibien in der oberen Hälfte 
stark, besonders nach der Wade zu aufgetrieben, nach vorn konvex gekrümmt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


\ 

32 F. Lotseli, 

Knochen hier biegsam lind federnd. Linker Humerus im oberen Drittel ohne 
Auftreibung abgeknirkt und abnorm beweglich. Am linken Radius im Beginn 
des unteren Drittels Grube und Dislokation nach ulnar- und volarwiirts. Rechtes 
oberes Humerusdrittel stark aufgetrieben, sehr sclnner/haft. Fraktur erst einige 
Wochen später beim Lmbetten. Nach den Frakturen nahmen die Anschwel¬ 
lungen stets etwas ab. (Zystitis. I’mbetten wegen der starken Schmerzen nur 
in Narkose möglich. Exitus unter Erscheinungen von schwerem Darmkatarrh 
mit enormem Icterus. 

Diagnose: Osteomalacie. Gegen Pagct’s <)stitis deformans wird ange- 
führt die fehlende Hyperostose des Schädels und der langen Röhrenknochen, 
vor allem die multiplen Spontanfrakturen, die in den 12 Fällen Paket s und 
in dein V i re li o w‘s trotz der Cysten fehlten: gegen multiple bösartige Knoehen- 
tumoren das Fehlen sonstiger Metastasen und der Rückgang der Knochcnauf- 
treibung nach der Fraktur. 

Scktionsbefund: Schädel o. H. Rippen. Wirbel uml Becken sein* weich, 
sehneidbar, mit sehr dunklem, blutreichem Mark. Rechtes Femur in totu stark 
verdickt und aufgetriehen. An beiden (irenzen des mittleren Drittels Pseudo¬ 
arthrosen. Auf dem Durchschnitt unter der schalenförmig aufgetriebenen, ver¬ 
dünnten Corticalis bzw. unter dem Periost festhaflende, weiblich bis dunkel¬ 
braune derbe Masse mit zahlreichen erbsen- bis walnussgrossen, glattwandigen 
Cysten. Cystenwand nicht vom umgebenden Gewebe abziehbar. Inhalt gelb- 
klare seröse Flüssigkeit, mit einigen Gerinnseln ohne (ieschwulstelemente. Das 
linke Femur enthält auf dem Durchschnitt, fern von der Frakturstelle, eine 
walnussirros.se Cyste neben mehreren kleinen an der Frakturstelle. Beide Humen 
und linker Radius gänzlich osteoid umgebaut. In beiden oberen Humerusmeta- 
physen und der Frakturstelle des Radiusschaftes mit frischem Bindegewebe er¬ 
füllte Hohlräume. Beide Tibien im oberen Drittel auf das doppelte Volumen 
aufgetrieben. Corticalis vorn erhalten, hinten 2 ein breiter Spalt, aus dem sich 
das cystenreiche Gewebe gegen die Wade zu vorwölbt und zum Teil zwischen 
Corticalis und Periost liegt. 

Mik rnskopisch: Weitmaschige, osteoide Spongiosa mit gefässroiehem 
Fasermark, Blutungen und Pigment, sowie zahlreichen Riesenzellen. Die (Zysten¬ 
wand aus dichten, fast konzentrischen Bindegewebsfasern gebildet, die nach 
aussen in das osteoide Gewebe übergehen. In der Knoehenschale weite Havers- 
sehe Räume und lockerer Lamellenbau. Cystenbildung aus osteoidem Gewebe 
oder aus Blutergüssen. 

ßramanD bezog die kolossale Entwicklung des osteoiden Ge¬ 
webes auf den Reiz der Kontinuitätstrennung des osteomalaciseh 
veränderten Knochens. In der Diskussion erwähnte v. Volkmann, 
er habe einen ähnlichen Eall vor langen Jahren beobachtet. 

Ich schliesse die Literaturübersicht der typischen Fälle mit 
dem vielfach citierten merkwürdigen Fall Froriep’s aus dem Jahre 
1840, bei dem die Cystenbildung das Krankheitsbild beherrscht: 

32. Skelettpräparate einer Frau, r die mehrere .Jahre lang an unbedeutenden 
rheumatisch erscheinenden Schmerzen gelitten hatte, nachher Gelenkauftreibungen 
mit teilweiser Störung der Beweglichkeit, endlich durch einen Fehltritt auf einer 
Treppe eine Fraktur der Tibia bekam und durch das nachfolgende Fieber in 
wenigen Tagen hingerafft wurde**. Bei der Sektion fand sieh an den inneren 
Organen keinerlei krankhafte Veränderung, dagegen das Knoehcnsystcm an den 
verschiedensten Stellen mit Anschwellungen besetzt, deren verschiedene Natur 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


33 


dennoch einen inneren Zusammenhang erkennen liess. „Es war eine über das 
ganze Knochensystem verbreitete Hvdatidenbildung/ 

Froriep unterscheidet drei Stadien des Krankheitsprozesses: 

1. Auflockerung und Rötung des Knochengewebes mit Sandkorn- bis 
erbsengrossen Wasserbläschen, darin farbloser wasserklarer oder etwas 
gelblicher, sehr eiweissreicher Inhalt. 

2. Vergrösserung der Cysten auf Kosten des rarefizierten Knochens, 
Konfluenz mit Leisten und Scheidewänden unter starkem Knochen¬ 
schwund, so dass zuweilen nur die feste, durch die vorangegangene 
Reizung etwas verdickte Knochenhaut erhalten bleibt. 

«5. Umwandlung der Cysten in kompakte Geschwülste durch Entwicklung 
bimförmiger Zöttclien auf der zuerst völlig glatten Cystenwand. 

Befallen waren Schädel, Tibia mit Fraktur, rechtes Femur, linker Humerus, 
beide Ulnae (links kindskopfgrosse multiloeuläre Cyste), beide Darmbeine, Rippen. 
Yirchow (Akademierede 187(>), der den Fall naelmntersuehte, teilt ergänzend 
mit, dass auch der Unterkiefer eystisch erkrankt war, was er als besonders be¬ 
merkenswert bezeichnet, weil dadurch bewiesen wird, dass nicht alle Kiefer¬ 
cysten aus Zahnkeimen abzuleiten sind. Froriep erwähnt den völligen Um¬ 
bau des Knochens. Am Schädel fand er durchweg poröses Gefüge, keine Tabula 
externa und interna mehr kenntlich, nur vereinzelte Stellen der Externa Messen 
noch dichtes Gefüge erkennen. Periost und Dura rnater normal. Froriep er¬ 
wähnt ferner Sugillationen und Blutaustritte, die derbe und mürbe Beschaffen¬ 
heit des Knochenmarks in der Umgebung der Cysten infolge entzündlicher 
Reizung, weissliehe fibröse und sarkomatüs rötliche Geschwulst teile, Schneid¬ 
barkeit der Tumoren, Pergamentknittern der dünnen Knochenschale. Auch 
macht- er auf die an Osteomalacic erinnernden Beckenveränderungen aufmerksam. 
Die Ausdehnung des Knochens durch die Cysten könne nicht die Folge des 
mechanischen Druckes sein, weil sonst notwendigerweise die Knochenstruktur 
an der Cystenperipherie nicht derart locker wäre. Mitteilenswert ist auch 
folgende Stelle: „Ausserdem ist aber die Masse der spongiösen Knoehensubstanz 
im Vergleich zu dem normalen Verhältnisse des Knochens so beträchtlich ver¬ 
mehrt, dass sich deutlich licraussteilt, wie unrichtig die gewöhnliche Ansicht 
ist, wonach die Knochensubstanz durch die Entwicklung von llydatiden rein 
mechanisch auseinander geschoben werden soll. - 

Diesen Froriep‘sehen Fall hat Yirchow nachuntersucht und seine Be¬ 
funde für seine Theorie von der Entstehung der Knochencysten aus Enelion- 
dromen mit verwertet. Es fiel ihm dabei auf, dass die Uysten zum Teil in der 
Mitte der Diaphyse lagen, wo seines Wissens nie ein Enehondrom beobachtet 
worden ist. Mikroskopisch fand sich das Knochengewebe in grosser Ausdehnung 
in dichte, teils faserige, teils blättrige Massen umgewandelt, die «aus festen 
dichten Geweben von faserknorpliger Beschaffenheit bestehen“. Hyaliner oder 
eigentlicher Xetzknorpel fand sieh nirgends, nur Faserknorpel oder Bindegewebe, 
ln der Umgebung dieser Herde sah Yirchow dichte Netze unverkalktor Spon- 
giosabälkehen mit faserigem Mark. Die Aehnlichkeit mit dem Befunde an den 
Wandausläufern der von ihm beschriebenen und berühmt gewordenen solitären 
Humeruscyste erwähnt Yirchow ausdrücklich. Das Bindewebe der Uysten- 
wände war «voll von grösseren Spindelzellen und an nicht wenigen Stellen so 
erfüllt mit vielkernigen Riesenzellen, dass es den Habitus des Sarcoma giganto- 
ccllulare erlangt“. Die reichlichen Blutgefässe, besonders die Kapillaren waren 
weit und letzten 1 hatten eine verdickte Wand. Die Entstehung der Uysten 
hütete Yirchow ab aus einer Erweichung der Wand, er fasst diese als Faser¬ 
knorpel auf, sagt aber weiter, dass die blättrige Beschaffenheit der faser- 
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. 3 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



u 


F. Lot sch, 


Digitized by 


knorpligen Lagen sich lange erhält und dadureh stellenweise eine an Echino¬ 
kokken erinnernde Streifung zeigt. Bost rum (Zur Pathogenese der Knochen¬ 
cysten. Festschrift d. Xaturfurseherversamml. IS So. S. 109) fand bei der Nach¬ 
untersuchung der im Erlanger pathologischen Museum befindlichen Tibia des 
Froriep'sehen Falles trotz schlechter Kernfärbung osteoide Säume, vielleicht 
auch V i rch ow'sehen Kaserknorpel. 

Teilt* des Skeletts, besonders Becken. Lina und Kippen befinden sich im 
hiesigen pathologischen Museum in Spiritus aufhewahrt (Präparat Nr. 1145 
bzw. 5(16). Das Beckenpräparat hat sich makroskopisch besonders schön er¬ 
halten (s. Fig. 5) und zeigt oberhalb der rechten Hiiftgelenkspfanne eine grössere 
niultilociiläre Cyste, deren Wand zum Teil noch deutlieh bräunlichrot gefärbt 
ist. Die Oberfläche ist zumeist glatt, doch finden sich auch in der Abbildung 
sichtbare feinste kreideartige Höcker, an einzelnen Stellen zu Konglomeraten 
vereinigt. Auf der Sägefläehe durch das Acetabulum sicht man in der spon¬ 
giösen Substanz grössere unregelmässig begrenzte, weissliehe llerde. Der Knorpel¬ 
überzug der Pfanne ist nicht krankhaft verändert. 

Ich habe zur mikroskopischen Nachuntersuchung Stücke aus dein Becken 
entnommen. Sie wurden nach Entkalkung in lOproz. Salpetersäure in Celloidin 
eingebettet und die Schnitte mit Hämalaun-Eosin gefärbt. Schon mit blossem 
Auge sieht man im Centruin des Schnittes mehrere gefächerte, grössere und 
kleinere llohlräume. in einiger Entfernung von der Wand feine dünne Knoehen- 
bälkehen. Die Kernfärbung ist besonders nach Beizung mit Eisen-Hämatoxylin 
nach Ben da noch ausreichend deutlich. Im ganzen Präparat findet sich kein 
Fett- oder Lymphmark mehr. Das mikroskopische Bild wird durchaus be¬ 
herrscht von faserigem Bindegewebe, dessen Zell- und (iefässgehalt wechselt. 
Dieses Fasergewebe füllt überall die vergrösserten Maschen der dünnen Spon- 
giosabälkchen. die verschmälert und unregelmässig begrenzt, zum Teil nur als 
Seherbehen übrig gebliehen sind. Die Begrenzung gegen das unveränderte 
Periost bildet ein einziges schmales, parallel gestelltes Knochenbälkchen 
(s. Fig. 6); an anderen Stellen slösst das Fasermark direkt an das Periost. 
Hier finden sich herdweise in kernreichem Bindegewebe deutlich erkennbare 
freie Kiesenzellen, vielfach liegen die letzteren in einem kleinen Hohlraum, der 
aller Wahrscheinlichkeit nach ein Kunstprodukt und durch Schrumpfung ent¬ 
standen ist. An diesen Stellen hat das Gewebe durchaus den Charakter des 
Kiesenzellcnsarkoms (s. auch den Befund Yirehow's). In dem cystentragenden 
Centrum des Schnittes fehlen die Spongiosareste in grösseren Bezirken ganz. 
Das faserige Bindegewebe wird hier in ziemlich unvermittelten Uebergängen 
plötzlich kernarm. inaschig, die dünnen Fasern auseinander gedrängt, die 
grösseren teils schmalen Zellen werden sternförmig. Dieses üdematüse Gewebe 
hat durchaus myxomartigen Charakter (s. Fig. 7). Die grösseren derartigen 
Flächen zeigen im Innern einen ziemlich scharf begrenzten Hohlraum, kleinere 
sind noch durchweg mit dem myxomartigen Gewebe erfüllt; wieder andere 
Stellen zeigen Hohlräume, die nach aussen direkt an derbfaseriges Bindegewebe 
grenzen. Die Spongiosabälkchen halten sich meist in einiger Entfernung der 
Cysten, nur vereinzelt bildet ein quergestelltes Bälkchen eine Strecke weit die 
direkte Begrenzung des Hohlraumes. Ein anderer Schnitt zeigt besser erhaltene 
Tinktionsfähigkeit. Er enthält die Wand eines grösseren Hohl raumes (s. Fig. S 
u. 9). Die Wand besteht innen aus einer dicken Lage derbfaserigen Binde¬ 
gewebes, die dicken balkenartigen Fibrillen sind parallel angeordnet, enthalten 
nur spärlich langgestreckte Kerne und sehr wenig Gefässe. Zwischen den 
Fibrillen sieht man quere Verbindungsstücke. An einem Wandabschnitt zeigt 
sieh zwischen der festgefügten streifigen Wand ein mittlerer etwas lockerer 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSITY OF IOWA 



Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


35 


Streifen. Bei flüchtiger Betrachtung hat die Wand mit ihrer ausgesprochenen 
Streifung entschiedene Aehnliehkeit mit einer Parasifenmembran (s. Virchow’s 
Befund). Nach aussen folgt eine stellenweise mächtige Lage von Pigment, das 
zum kleineren Teil in Schollen freiliegt, zum grösseren Teil als körniges braunes 
Pigment in Zellen eingeschlossen ist. Dann folgt eine Zone faseriges, zum Teil 
gefässreiches Bindegewebe, das sich auch in den Maschen des rarefizierten alten 
Knochengewebes findet. In den erweiterten Havcrs'sohen Räumen sieht man 
vereinzelt Osteoklastennester und zum Teil sehr weite Gefässlumina. deren Wand 
aus einer einfachen Endothellage zu bestellen scheint. Osteoide Säume fehlen 
fast gänzlich, desgl. Osteoblasten. An einer Stelle stösst das Fasermark direkt 
au das unveränderte Periost. Das Fasermark enthält hier grosse pigmenthaltige 
Zollen. die jedoch nicht mit Sicherheit als Riesenzellen zu erkennen sind. Auch 
freies körniges Pigment ist vorhanden. Die benachdarten Knochenränder zeigen 
ausgesprochene Resorptionsflächen mit Lakunen ohne Riesenzellen. Das Periost 
ersrheint auch hier unverändert. Knorpel fand sich in keinem der Schnitte. 

Nach diesem Befunde darf, wie schon v. Recklinghausen 
in seiner letzten Arbeit will, der Fall Froriep’s als histologisch 
sichergestellte Ostitis fibrosa bezeichnet werden. 

Dem mitgeteilten Froriep’schen Fall ähnelt in vielen Punkten 
die nunmehr aufzuführende eigene Beobachtung: 

33. Fräulein Paulinc R. Ohne Reruf. 51 Jahre. Aufirennminen am 
14. 7. 1913. 

Anamnese: Vater an Altersschwäche mit f>2 Jahren, Mutter nach 
5 jährigem Krankenlager im Alter von 49 Jahren an Unterleibskrebs gestorben. 
Von 7 Geschwistern starben eine Schwester mit 3 Jahren an Diphtherie, eine 
zweite mit 18 Jahren an Blutarmut und Herzschwäche, ein Bruder mit 28 Jahren 
an Herzschlag. 4 Geschwister leben und sind angeblich gesund. 

Von erblichen Krankheiten der Familie ist nichts bekannt. Pat. wurde 
mit Muttermilch genährt und galt als kräftiges Kind. Sie lernte erst mit 
l 1 2 daliren laufen, angeblich weil sie zu dick war. Englische Krankheit soll 
nicht bestanden haben. Von Kinderkrankheiten blieb sie verschont und galt 
bis zum 18. Lebensjahre als durchaus gesund. «War sehr fix auf den Beinen“. 

Nach schwerem Heben soll im 19. Lebensjahre unter starken Schmerzen 
mitten im Rücken ein «kleiner Buckel“ aufgetreten sein, der unter Massage und 
Hitzeeinwirkung nach kurzer Zeit wieder verschwand. 

Infolge bestehender Abneigung gegen Zwiebelgeschmack trat bald darauf 
(1SS0) starkes Ekelgefühl bei einer Mahlzeit auf. Pat. erregte sich angeblich 
sehr stark dabei, es schmeckte ihr seitdem alles bitter, schliesslich stellte sich 
völlige Appetitlosigkeit ein. Im direkten Anschluss daran entstand eine schwere 
Erkrankung an „Nervenfieber“, die sie 7—8 Wochen lang zur Bettruhe zwang. 
Schüttelfröste wechselten mit hohem Fieber, zeitweise bestand angeblich sogar 
Bewusstlosigkeit. In der Rekonvaleszenz fielen die Haare aus: die Zähne wurden 
sehr schnell stockig und fielen gleichfalls fast sämtlich bis auf einen Backenzahn 
aus. Die Beine blieben geschwollen, so dass sie nur unterstützt mühsam gehen 
konnte. Die seit dem 15. Lebensjahre regelmässige Menstruation blieb 1 2 Jahr 
lang aus. Die Schwellung der Beine und die Menstruationsstörung schwanden 
unter Behandlung mit heissen Bädern nach V 2 Jahr. Pat. erholte sich nun¬ 
mehr gut, war auf dem Lande, nur blieb etwas Blutarmut bestehen, vor allem 
aber hatte sie unter häufigen krampfartigen Magenschmerzen zu leiden, die sich 
besonders in der kalten Jahreszeit steigerten. Sie musste zeitweise Diät ein- 
halten, auch wurde die Magengegend elektrisiert. Anfang Dezember 1901 sti«*ss 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



36 


F. Lotse h. 


Digitized by 


sic* mit dom rechten Ellbogen heftig gegen eine* Wand (sio war damals als 
Köchin in Stellung), der rechte Arm fiel kraftlos herunter, Pat. wurde vor 
Schmerzen ohnmächtig. Vom Arzt wurde eine Sehncnzerreissung diagnostiziert 
und eine Operation vorgesehlagen. Nach vierwöchigem, mehrfach gewechseltem 
Schienenverband in Streckstellung war der rechte Oberarm stark geschwollen 
und schmerzhaft, das Ellbogengelenk steif und musste im Krankenhaus durch 
gewaltsame Biegung, Bäder und Massage wieder beweglich gemacht werden. 
Die liegend des rechten Oleeranon war nach der Abschwellung deutlich flacher 
als links. Die Röntgendurchleuchtung liess nichts Krankhaftes erkennen. Gleich¬ 
zeitig wurde das Magenleiden erfolgreich mit Lichtbestrahlung, Duschen, Voll¬ 
bädern und Diät behandelt (7. Januar bis 29. März 1902). Bei der Entlassung 
Ende März 1902 war der rechte Arm wieder wie früher gebrauchsfähig. Das 
Magenleiden nach langjährigem Bestehen endgültig geheilt. 

Die vorstehenden Angaben verdanke ich grösstenteils der uns giitigst in 
Abschrift zur Verfügung gestellten Krankengeschichte des Krankenhauses Gross- 
Lichterfelde. 

Wegen „Influenza" wurde Pat. im Herbst 1902 wiederum mehrere Wochen 
im gleichen Krankenhause behandelt. Sie hatte in der Zwischenzeit viel durch- 
geinacht. Die lange Krankheit der Mutter, die nachteilig veränderten Ver¬ 
mögensverhältnisse, der Tod der IS jährigen Schwester und des 28 jährigen 
Bruders hatten sie psychisch sehr mitgenommen. 

In den Jahren 1902 —1907 bemerkte Patientin, dass ihre Kräfte allmählich 
naehliessen. Sie litt bisweilen an „Reisson". Wegen der zunehmenden Schwäche 
wurde sie von einem Arzt angeblich mit Einspritzungen in den Nacken be¬ 
handelt. Die Injektionen erfolgten jeden zweiten Tag. Nach der Einspritzung 
fühlte sich die Patientin angeblich etwa 2 Stunden lang wie gelähmt. 

Eine Besserung wurde nicht erzielt. Pat. ging deshalb im März 1907 
auf Anraten ihres Arztes in das Charlottenburger Krankenhaus Westend. 

Es bestanden starke Gebärmutterblutungen, die trotz Bettruhe nicht auf¬ 
hörten. Sie wurde deshalb während des Krankenhausaufenthaltes angeblich 
zweimal im Laufe von 14 Tagen auf der chirurgischen Abteilung in Narkose 
eurettiert. Sie war elend und lag Monate lang zu Bett. Das Blut wurde unter¬ 
sucht, angeblich eine starke Milzschwellung gefunden und die Diagnose „Anämie" 
gestellt. Die Behandlung bestand in Magen- und Darmspülungen, Xührklystieren, 
zeitweise in Einspritzungen. Nach lOmonatiger Behandlung wurde die Kranke 
wesentlich gebessert entlassen. 

Gleich nach der Entlassung (Anfang 1908) musste sie ziemlich angestrengt 
arbeiten. Sie litt öfters stundenlang unter Schmerzen im linken Arm und musste 
ihn zeitweise in der Binde tragen. Auch stellten sich Schmerzen in der linken 
Hüfte ein, die auch beim Liegen nicht wesentlich naehliessen. Im folgenden 
Jahre bemerkte die Kranke ebenso wie ihre Umgehung, dass sie allmählich 
kleiner wurde besonders daran, dass die Taillen zu lang wurden. Gleichzeitig 
begannen Anschwellungen an den Knochen, zuerst wurde der linkt* Unter¬ 
schenkel unter ständigen starken Schmerzen dicker. Die Kranke stellte selbst 
fest, dass die Verdickung dem Knochen angehörte. Aehnliche schmerzhafte 
Schwellungen traten an den Rippen auf. Die zunehmenden Schmerzen in allen 
Knochen, besonders in beiden Beinen, den Hüften und Rippen machten die 
Patientin seit Anfang Januar 1910 bettlägerig und zwangen sie am 20. 4. 1910 
das städtische Rudolf Virchow-Krankenhaus aufzusuchen. 

Nach dem uns in Abschrift giitigst zur Verfügung gestellten Krankenblatt 
ist von der damals 48 jährigen Kranken als Beruf Schneiderin angegeben. Die 
seit etwa l 1 2 Jahren bestehenden Schmerzen in den Knochen Hessen beim 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



l’eber generalisierte Ostitis fibrosa .mit Tumoren und Cysten. 


37 


ruhigen Liegen etwas nach, begannen aber bei der geringsten Bewegung in 
unverminderter Heftigkeit von neuem. Potus und Infeetio negatur. Menses 
früher regelmässig, alle 14 Tage, jetzt nur noch sehr spärlich. 

Dem Status entnehme ich folgende Angaben: Ziemlich abgemagert, keim» 
Oedeme und Drüsensehwellung. Lungen und Herz o. B. Milz und Leber nicht 
palpabel. Nervensystem ohne Veränderung. Urin frei von Albuinen und 
Saccharum. Bcnce-Jones'schcr Eiweisskörper nicht vorhanden. 

Blutbefund: Hämoglobin 63 pCt., weisse Blutkörper 8200, rote 5600000, 
im Präparat reichlich grosse mononueleärc Zellen, eine Mastzelle, sonst o. B. 

Befund am Skelett: Hechte Oberarmmitte auf Druck und besonders 
auf Drehbewegungen schmerzhaft. An der rechten Hand Schwellung des Ulnar¬ 
randes auf der Dorsalseite, desgleichen Schwellung und starke Berührungs¬ 
schmerzhaftigkeit des rechten 4. und besonders des 5. Fingers. Kleine schmerz¬ 
hafte -Exostose“ des Sternums, angeblich durch Fall vor 4 Jahren entstanden. 
10. bis 12. (?) Kippe besonders hinten und in der Axillarlinie bei der leistcsten 
Berührung schmerzhaft, dort diffuse Knochenauftreibungen fühlbar. Dornfortsätze 
des 10. bis 12. Wirbels klopfcmpfindlich, ebenso das Kreuzbein. Linkes (?) Bein 
frei, rechter Unterschenkel bei leisester Berührung sehr schmerzhaft. Rechte (?) 
Tibia im unteren Drittel medianwärts diffus, spindelig aufgetrieben. Die Stelle 
fühlt sich etwas weicher an als der umgebende Knochen. 

Röntgenbefund vom 23. 4. 1910 (Lcvy-Dorn): Hühnereigrosse Aus¬ 
sparung der linken Tibia, so dass auf ihrer Innenseite eine entsprechend grosse 
Mulde entsteht. Diese wird durch einen eigentümlichen Schatten eingenommen, 
der zur Hälfte den Knochen überragt. Darunter befindet sich in der Tibia eine 
pflaumengrosse Rarefaktion. 7. bis 10. rechte Rippe zeigen unregelmässige 
Rarefaktioncn. Starke Einlagerungen im rechten Lungenhilus. — Die Röntgen¬ 
untersuchung beschränkte sich auf den linken Unterschenkel und den Brustkorb. 

Die klinische Diagnose lautete: Osteosarkome, (multiple Myelome?). 

Am 29. 8. 1910 wurde die Kranke bei subjektivem Wohlbefinden gebessert 
entlassen. 

Die Patientin macht ergänzend noch die nachfolgenden Angaben: Im 
Yirohow-Krankenhaus sei ihr gesagt worden, sie sei „knoehenkrank“ und die 
Natur müsse sich selbst helfen. Beim Eintritt sei sie in sehr elender Ver¬ 
fassung gewesen, sie habe zum „sterben* gelegen. Beim Aufrichten im Bett, 
wobei ihr eine Wärterin half, sei der rechte Oberarm gebrochen. Er heilte in 
4 Wochen unter Verbänden und war bei der Entlassung wieder in Ordnung. 

März 1911 brach der rechte Oberarm zum zweitenmal, als sie einen ge¬ 
füllten Wassertopf festhalten wollte. Während der Heilung trat am 27. 3. 1911 
im Bett bei Benutzung einer Bettschüssel ein Beckenbruch hinzu und veranlasst 
am folgenden Tage die Aufnahme in die 1. chirurgische Abteilung des städtischen 
K ra n k cn hauses M oabit. 

Die folgenden Angaben über den damaligen Befund citiere 
ich nach Schroth (s. Jacoby-Schroth, Mitteil. a. d. Grenzgeb. 
d. Med. u. Chir., 1912, Bd.‘25, H. 2, S. 383). 

Blasse Frau mit leidendem Gesiehtsausdruek, in massigem Ernährungs¬ 
zustand. Gesichts- und Srhädclknochen o. B. Zähne fehlen fast sämtlich. 
Leichte Kyphose der Brustwirbelsäule. Becken o. B. Keine Verbiegung der 
langen Röhrenknochen. Rechtsseitige Humerusfraktur zwischen oberem und 
mittlerem Drittel nicht konsolidiert. Daseihst druckempfindlicher Tumor von 
fester Konsistenz. In der linken Tibia, handbreit, über dem Fussgelenk, taubenei¬ 
grosser, schmerzhafter Tumor, der sich aus dem Knochen hervorwölbt und deut- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



38 


F. Lois.-h, 


Digitized by 


lieh mehreren* fluktuierende Kammern fühlen lässt. Weitere Kiioehentmnoren 
nicht zu fühlen. 

Diagnose: Ostitis fibrusa mit Spontanfrakturen. 

Die systematische Rö n t ge n u n t ers u e h u n g (Dr. Max Cohn) zeigt aus¬ 
gedehnte Erkrankung des »ranzen Knoehenireriistes mit bläschenförmigen Auf¬ 
hellungen und gleichartigen 'rumoren, besonders Becken, rechter Humerus, linke 
Tibia. Innere Organe n. B. Urin frei. Therapeutisch Jodkali, Calcium laetirum 
(s. unten). — Rüntgenbostrahlung der Ovarien. — Hei der Entlassung nach zwei 
Monaten am 2. 2. 1912 völlige Konsolidation des rechten Humerus. Pat. geht 
an zwei Stöcken. Somatische und psychische Besserung. IS Pfund Gewichts- 
zunahme. Röntgenologisch keine Veränderunit! 

Nach den Angaben der Patientin erlitt sir während ihres Aufenthalts im 
Moabiter Krankenhaus noch einen linksseitigen Sehliisselbeinbrueh. linkss<‘itiiren 
Unterschenkelbruch und beiderseits, besonders links. Rippenbrüche. 

Sie konnte in der Folgezeit etwa 14 Monate lang ohne fremde Hilfe leid¬ 
lich gehen. — Im März 1913 fiel sie auf der Strasse hin und zog sich einen 
Bruch des linken l ntcrsehcnkels und des linken Schlüsselbeins zu. Nachdem 
sie 15 Wochen ohne ärztliche Behandlung zu Hause gelegen hatte, wurde ärzt¬ 
licherseits die Ueberfiihrung in die chirurgische Universitätsklinik des Kgl. Charite- 
Krankenhauses angeordnet. — Kein Partus, kein Abort. 

Klinischer Aufnahmebefund: Ziemlich magere Patientin mit schlaffer 
Muskulatur. Keine Oedeme. In beiden Unterkieferwinkeln geschwollene Drüsen, 
sonst keine Drüsenschwellungen nachweisbar. Kürpergrosse, im Bett gemessen. 
15(3 ein. Innere Organe o. B. Keine nachweisbare Atherosklerose. Keine fühl¬ 
bare Yergrüsscrung der Thyreoidea. Kein Fieber. Puls zwischen 80 und 90. 
Appetit leidlich. Stuhlgang regelmässig. 

Keine nachweisbaren krankhaften Störungen im Gebiete des Nerven¬ 
systems. Reflexe normal. Intellekt ungestört. 

Der Gehirnschädel erscheint im Vergleich zum Gesichisschädel vergrüssert, 
-besonders die Stirn ist hoch, breit, prominent. Fontanellen und Nähte sind 
nicht palpabel. Der grösste Schädelumfang, über die spärlichen Haare ge¬ 
messen, beträgt: 59 cm. Gesichtsskelett palpatorisch frei, desgleichen die 
atrophischen zahnlosen Kiefer, nur der linke dritte obere Molar ist erhalten. 
Obere und untere Zahnprothese. Kiefergelenke frei. Nick- und Drehbewegungen 
des Kopfes unbehindert. An der Wirbelsäule besteht- im Brustteil eine starke 
Kyphose und geringe links-konvexe Skoliose, ausserdem kompensatorische Lordose 
der Lendenwirbelsäule. Druckschmerzhaftigkeit der Dornfortsätze und Stauehungs- 
sclimerz nicht nachweisbar. 

Im unteren Teil des Corpus Storni findet sich eine flache, quergestolltc, 
wulstige, nicht druckschmerzhafte Vorwölbung. Der Thorax wird nach unten 
sein* weit, die Rippen sind in ihren seitlichen Abschnitten einwärts geknickt 
und zeigen an der Knnrpelknochengrenzc eine mehr oder minder deutliche, nicht 
druckempfindliche Verdickung. 

Das Abdomen erscheint- verkürzt, die Distanz zwischen unteren Rippen 
und Darmbein kämmen verringert, es prägt sich eine deutliche Querfalte am 
Bauche aus. Haut ohne Striae. Baucheingeweide ohne nachweisbare Ver¬ 
änderungen. 

An Schulterblättern und Schlüsselbeinen ist keine Veränderung zu fühlen. 
Die Schultern fallen stark nach vorn, das linke Sehultcrgelenk ist frei beweg¬ 
lich, desgleichen Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke der rechten Seite. Knochen 
anscheinend frei. Die Bewegungen des linken Armes sind auch aktiv nicht 
behindert. Das rechte Schultergelenk zeigt eine Behinderung der extremen Be- 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit 'rumoren mul Cysten. 


39 


wegungen. Das rechte Ellbogengelenk ist in der Streckung gehemmt, es bleibt 
(‘in Winkel von 25°, sonst ist es ebenso wie das Handgelenk unbehindert. Pro¬ 
und Supination frei, desgleichen die rechtsseitigen Fingergelenke, bis auf das 
Metaearpophalangealgclenk des kleinen Fingers, das völlig unbeweglich ist. 

Der rechte Humerus zeigt in ganzer Ausdehnung, besonders im oberen 
Teil, eine starke Auftreibung, deren Oberfläche unregelmässig höckerig ist und 
in der Konsistenz von Knochenhärte bis zu scheinbarer Fluktuation wechselt. 
Deutliches Pergamentknittern ist nicht nachweisbar. Die Verdickung ist teil¬ 
weise riruckschincrzhaft, es besteht eine nach aussen konvexe, leichte Krümmung. 
Die Muskulatur erscheint atrophisch, im übrigen sind Weichteile und Haut 
unbeteiligt. Der recht«* Vorderarm lässt keine Veränderung naeliweisen. Der 
rechte 2. und 5. Metacarpus sind verdickt, «1er letztere auch deutlich verkürzt. 
Der 5. Finger stellt in seinem Mctararpalgelcnk in überstreckter Stellung sub- 
luxiert. Das Gelenk ist schlottrig, der Finger aktiv gänzlich, passiv fast un¬ 
beweglich, bis auf seitliche Waekelbcwegungon. 

Der linke Humerus zeigt keine Auftreibung, der linke Radius fühlt sich 
dicker an als der rechte und scheint in der Mitte etwas aufgetrieben. Die 
link«* Hand lässt keine Veränderungen naeliweisen. Die Xagelphalangcn stehen 
leicht, volar gebeugt. 

Umfangs masso «1 <*r A r m e: 


Axillarfalten. 

links 

30 cm. 

rechts 32 

cm, 

Schaftmitte des Humerus . 


24 „ 

* 32,5 


Untere Humerusepiphyse . 

„ 

33 „ 

„ 25 

„ 

Fllbogenumfang .... 

„ 

23 „ 

24 

„ 

Grösster Unterarmunifang . 

n 

21,5 „ 

21,5 

■n 

Handgelenk. 

„ 

15,5 „ 

. 16 

fl 

Längenmasse des Humerus 


32 

27 


Vorderarm. 

„ 

26 I 

26 

„ 


Es besteht demnach eine Verkürzung des rechten, mehrfach früher frak- 
turierten Humerus von 5 cm bei einer Dickenzunahme von S,5 cm. Pat. kann 
ihren Arm in ausgedehntem Masse benutzen, vermag sieb selbst die Haan* zu 
kämmen. Spontane Schmerzen bestehen zurzeit nicht. 

Das Becken zeigt folgende Masse: 

Distanz der Spinae sup. ant. 26,0 ein, 

• „ Frist ae 31,0 „ 

„ „ Troehanteren 31,5 „ 

(’onjugatamass wird unterlassen, ebenso die innere Genitaluntersurhung w«*gen 
der Frakturgefahr beim Umbetten. Bcekcnknoehcn palpatoriscb nicht verändert, 
desgleichen beide Femora. Nur rechts bestellt eine geringe, nach aussen vorn 
konvexe Krümmung. Die rechte Tibia ist besonders in ihrer Schaft mitte stark 
verdickt, die höckerige Auftreibung ist nicht drueksehmerzliaft. zumeist knochen¬ 
hart, stellenweise weich. Kein deutliches Pergamentknittern. Die scharfe Tibia¬ 
kante fehlt an der aufgetriebenen Stelle. Die Muskulatur ist schlaff. Der Fuss 
normal, der linke Unterschenkel zeigt eine nach aussen konvexe bogenförmige 
Krümmung. Die linke Tibia ist besonders am Uebergang zum unteren Drittel 
buckelartig aufgetrieben. Auch hier bestellt keine Druckschmerzhaftigkeit. Die 
Oberfläche der Verdickung ist höckerig, stellenweise weich, kein deutliches 

Pergamentknittern. Das linke Bein erscheint deutlich verkürzt inhdge der 

Krümmung der linken Tibia. Fs entsteht dadurch links die Form eines O-Beines. 
Am Kussskelctt palpatoriscb keine Veränderungen nachweisbar. Die grossen 
Gelenke der Beine passiv fr«‘i beweglich, die aktive Beweglichkeit zögernd. Im 
rechten Kniegelenk besteht ein geringer Erguss, die rechte Patella tanzt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



40 


F. Lot sch. 


Digitized by 


Umfangsmasse der Oberschenkel mitte rechts 47, links 45 cm, Längenmasse 
von der Spina ant. sup. bis zum Malleolus internus rechts 87, links 85 cm. 
Verkürzung des linken Beines durch die Krümmung der linken Tibia bedingt. 

Wasscrmann’sche Reaktion einwandsfrei negativ. 

Die Untersuchung des Blutes führte zu nachstehendem Ergebnis: 
Hämoglobin Sit pUt., 
rote Blutkörperchen 3 892 000. 
weisse „ 5 700, 

davon 05 p('t. polynuoleäre Zellen. 

2G r Lymphocyten. 

4 r Mononucleäre und Febergangsformen. 

5 r Eosinophile. 

Der Blutdruck (Bestimmung nach Riva-Rocci) 150 mm Hg. 

Die systematische Rönt gen Untersuchung ergab folgenden Befund: 

Schädel (Fig. 10 und 11): Bei der seitlichen Aufnahme (Kontaktplatten) 
fällt auf den ersten Blick die dicke Zeichnung des Hirnschädels im Gegensatz 
zu den papierdünnen Knochen des Gesichtsschädels auf. Die Grenze dieser 
beiden verschiedenen Strukturen hält sich genau an die Schädelbasis. Die Basis 
ist durchweg gleichfalls schwammig verdickt und deutlich eleviert. Das Foramen 
oecipitale magnum liegt fast in der Höhe der Verbindungslinie zwischen Nasen¬ 
wurzel und Frotuberantia uccipitalis externa. Die knöcherne Schädelkapsel hat 
in toto eine unruhige, getüpfelte Zeichnung, an ein sehr grobes Folienkorn er¬ 
innernd. Die Dicke scheint, soweit eine Beurteilung möglich ist. erheblich ver¬ 
mehrt. In dieser fein-wabigen Struktur sind an zahlreichen Stellen gröbere 
Unregelmässigkeiten bis zu rundlichen Aussparungen sichtbar, deren beide 
grössten dem Stirnbein angeboren und 5- bzw. 10-Pfennigstüekgrösse erreichen. 
Eine kleinere derartige rundliche Aussparung liegt im Scheitelbein, eine weitere 
in der Occipitalsehuppe. Gegen den Scheitel hin ist die unregelmässige Waben¬ 
struktur besonders ausgeprägt. Die normalen lufthaltigen Räume, vor allein 
Stirn-, Keilbeinhöhlen und Warzenfortsatzzellen sind räumlich von den ge¬ 
schilderten Knochendefekten deutlich getrennt. 

Im Gesichtsschädel sind die bis auf einen Molaren im Oberkiefer zahn¬ 
losen und atrophischen Alveolarfortsätze erwähnenswert. Auch die Fronto- 
oceipitalaufnahmc zeigt Verdickung der Schädelkapsel, wabige Struktur, deutliche, 
grosse Stirnhöhlen; die Kiefer, besonders Unterkiefer erscheinen frei. 

Thorax (Fig. 12): Innere Organe bis auf Verdichtungen im linken Lungen- 
hiltis o. B. Thorax von den Seiten her eingedrückt, untere Apertur breit aus¬ 
ladend, kopfwärts sich kegelförmig verjüngend. Wirbel durch den Herzschatten 
verdeckt. Rechtsseitige Skoliose der Brustwirbelsäulc. Rechtsseitig zeigen die 
Rippen von der 5. abwärts im Gebiet des Angulus costarum hochgradige Ver¬ 
änderungen. Die 6., 9. und 11. tragen eine gut mandclgrosse Geschwulst von 
wabiger Struktur, an der 9. sitzt sie mehr lateral, die 5., 7. und 8. sind mehr 
spindelförmig aufgetrieben, auf eine grössere Strecke hin verdickt und alle rare- 
fiziert. Die 9. und 10. stark verschmälert, atrophisch, sehr unregelmässig und 
dünn konturiert. Aehnlich ist das Verhalten der linken Rippen. Hier tragen 
die 7. und 9. je einen blasigen Tumor mit ziemlich deutlichen Scheidewand - 
konturen, die 8. und 10. erscheinen besonders am oberen Rande wie angefressen, 
die untersten Rippen tragen weiter lateral einen Tumor von der beschriebenen 
Art und Grösse. 

Le n d e n Wirbelsäule un d B e c k e n s k e 1 e 11 (Fig. 13) stark porotisrh. 
Binde Darmbeinschaufeln, besonders links, durch deutlich mchrkammerige cystische 
Bildungen aufgetrieben, die die obere Kontur des Darmbeinkammes nicht über- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Urber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


41 


ragen, nach unten bis zur Pfannengegend sich erstrecken. Sitz- und Schambein 
beiderseits bis auf Porose frei, nirgends periostale Wucherungen. 

Obere Extremitäten, Schultergürtel (Fig. 14 u. 16): Rechte Clavicula 
zeigt in der Mitte geringe Verdickung und Konturverschiebung, alte Fraktur?, 
linke Clavicula in ihrer distalen Hälfte unscharf konturiert, sehr porotisch, be¬ 
sonders im Acromialdrittel, in der Mitte mit Verschiebung geheilte Fraktur, in 
beiden Enden kirschkerngrosse Aufhellungen. Scapulae ohne nachweisbare Ver¬ 
änderungen. 

Rechter Arm (Fig. 14 u. 15): Schultergelenk frei, der ganze Humerus 
im höchsten Grade porotisch, Caput humeri dextri o. B. Der ganze Schaft, vom 
Collum ehirurgicum bis etwa 3 Querfinger oberhalb der Trochlea, eingenommen 
von einem seifenschaumartigen, grossblasigen, vielkammerigen cvstischen Ge¬ 
bilde, dessen Breitenausdehnung die dreifache normale Schaftdicke erreicht 
(Fig. 18). Die spinnwebenfeinen Zwischenwände begrenzen unregelmässige Hohl¬ 
räume bis zu Pflaumengrösse, die knöcherne Begrenzung gegen die Weichteile 
ist ebenso haardünn und an einigen Stellen gar nicht zu erkennen. Die Ab¬ 
grenzung gegen das normal gebliebene unterste Schäftende ist ziemlich scharf. 
Die erhaltene Corticalis scheint in die untersten Hohlräume eingekeilt. Die 
Schaftkontur ist noch eine kleine Strecke innerhalb des cvstischen Tumors zu 
verfolgen. Periostale Auflagerungen fehlen völlig. Von früheren Frakturstellen 
ist nichts mehr nachweisbar, die .Markhöhle im Tumor völlig geschwunden. Die 
rechte Ulna (Fig. 15) zeigt am Oleeranon eine Rarefikation, ferner unterhalb 
des Processus coronoides eine Gruppe von Hohlräumen, die einen dattelförmigen 
Bezirk der Corticalis einnehmen und sie zum Teil überragen. In der Schaft¬ 
mitte zeigt die Corticalis eine linsen grosse Aussparung. Die untere Ulnaepi¬ 
physe weist einen undeutlichen erbsengrossen Hohlraum auf. Die Struktur¬ 
zeichnung ist bis auf einen Bezirk an der Grenze zwischen mittlerem und unterem 
Drittel, der dichter erscheint, nicht wesentlich geschädigt. Der rechte Radius 
zeigt inmitten seiner unteren Epiphyse zwei Aussparungen, sonst ausser Porose 
keine wesentlichen Veränderungen. Von den Carpalknochen enthält, wie es 
scheint, das rechte Hamatum eine centralgelegene erbsengrosse Höhle oder Aus¬ 
sparung (Enchondrom?). Der 2. bis 5. Metacarpus zeigen deutliche Verände¬ 
rungen, im zweiten sind die beiden distalen Schaftdrittel, mit Ausnahme des 
Köpfchens, durch einen deutlichen, mehrkammerigen cvstischen Tumor spindel¬ 
förmig aufgebläht. Der 3. Metacarpus enthält dicht unterhalb des Capitulums 
einen centralgelegenen, erbsengrossen ovalen Bezirk, der sich durch etwas dichtere 
Strukturzeichnung deutlich von seiner Umgebung abhebt. Im ganzen erscheint 
der Schaft ohne sichtbare Periostwucherung plump und dick. Der 4. Meta¬ 
carpus trägt im Inneren seines proximalen Drittels eine unregelmässige ovale 
Aussparung, der 5. Metacarpus endlich ist merklich verkürzt, durch mehrere 
gegeneinander, durch dünne Scpten unvollständig abgegrenzte Aussparungen ver¬ 
dickt und missgestaltet. Die Aussparungen füllen den erweiterten Innenraum 
völlig aus und sind nur von einer sehr dünnen Corticalis umsäumt. Carpal- 
wäris scheint sieh die Aussparung direkt in die erwähnte des Os hamatum fort- 
zuseizcn (Enchondrom?). Phalangen frei, nirgends Periostwucherungen, überall 
h (>c 1 1 gra< 1 ige Osteoporose. 

Linker Arm (Fig. 16 u. 17): Schultergelonk frei, der linke Humerus im 
ganzen stark porotisch, in der Höhe des Collum ehirurgicum an der Innenseite 
unbedeutende, flache, oberflächliche Aussparung. Der übrige Schaft frei bis 
auf die distale Metaphyse. Hier oberhalb der Fossa olecrani in Ausdehnung 
von etwa 4 cm blasige Rarefikation mit Verschiebung der Kontur an der 
Aussenseite. Alte Fraktur (?). Linke Ulna, Oleeranon, Gelenkfläche und Pro- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



42 


F. Lot sch, 


Digitized by 


ccssus coronoides frei, darunter im obersten Viertel blasige Aufhellung und 
Auftreibung nach der Daumenseite. Dichtere Struktur der politischen Tina 
oberhalb der distalen Epiphyse. Linker Radius und linkes Handskelett nur 
stark politisch mit einziger Ausnahme der Mittrlphalange des 4. linken Finders. 
Dieser Knochen zeigt trotz starker Pnrose deutlichere Linienführung als die 
anderen Phalangen und trägt in seiner distalen Hälfte einen kleinen erbsen¬ 
grossen rundlichen Hohlraum (das Bild entspricht genau der Abbildung von 
lirashey, Atlas ehirurg. pathol. Röntirenbilder, Taf. VII, Fig. 5, dort als Er¬ 
weichungsherd nach Fraktur bezeichnet). 

Die unteren Extremitäten zeiiren durchweg atrophische Knochen¬ 
struktur. 

Rechtes Bein (Fig. 11) u. *20): Hüftgelenk, Kopf, Hals und Trochanter 
frei, in der Schaftmitte (Fig. 19) an der Innenseite Unterbrechung der sonst 
scharfen Corticalissiruktur durch kleine längliche Aufhellung. Die distale 
Kemurdiaphyse zeigt oberhalb der Fossa intercondvlica einige erbsengrosse un¬ 
deutliche Uarefikationen. Beeilter Tibiaschaft (Fig. 20) in Ausdehnung von 
etwa 20 ein verdickt mit unregelmässigen, zum Teil sehr deutlichen Hohl räumen 
durchsetzt. Einige liegen in den besonders fibulawärts hervorragenden unregel¬ 
mässigen Buckeln. Oberes und unteres Tibiaende frei, desgl. die rechte Fibula. 
Rechtes Fussskelett (Fig. 21) zeigt hochgradigste Knoehenatrophie, Spinnweh- 
Zeichnung, deutliclum Caleaneussporn. Metacarpus 1 plump, im distalen Ab¬ 
schnitt Strukturzeichnung verwaschen, ebenso im 2. bis 5., im 5. rundliche 
Aufhellung im Schaft (Enchondrom ?). 

Linkes Bein: Oberes Drittel (Fig. 19) frei Am Febergang zum unteren 
Drittel (Fig. 19) an der Aussenscite länglicher Aufhellungsbezirk, untere Meta- 
physe wie rechts, sonst o. B. ln der oberen Tibiametaphyse (Fig. 20) undeut¬ 
liche Strukturanomalie, Schaft frei bis zur Grenze von mittlerem zum unteren 
Drittel; liier ist der Tibiaschaft medialwärts abgeknickt und durch einen deut¬ 
lich mehrkammerigen, grossblasigen, cystischen Tumor ersetzt, der sich bis zur 
unteren Metaphyse erstreckt und sieb besonders nach medial stark vorbuchtot; 
linke Fibula frei, linkes Fussskelett (Fig. 22) zeigt hochgradige Knoehenatropliie. 
Spinnwebzeichnung. Caleaneussporn wie rechts. Metacarpus 1 bis 4 mit etwas 
verwaschener Struktur, der 5. deutlich verdickt, missgestaltet und herdförmig 
aufgehellt. 

Krankheitsverlauf: Urin reich an Kalkphosphaten, kein Benee-Joncs- 
schcr Körper. 

18.7. Operation (Gehcimrat Hildebrand), ln Chloroformnarkose und 
Blutleere werden durch Längsschnitt die beiden verdickten Stellen der Tilden 
freigelegt. Durch das kaum veränderte Periost schimmern links stellenweise 
dunkelbräunliche Massen durch. An diesen Stellen ist nunmehr deutliche 
Fluktuation nachweisbar. Bei Einschneiden des Periosts winden an diesen 
Stellen eystisehe Hohlräume eröffnet, aus denen sieh gelbliche Flüssigkeit 
unter massigem Druck entleert. Das Periost wird nach beiden Seiten abge- 
schohen, es haftet ziemlich fest an der meist papierdünnen Knochenschale. 
Nach Entfernung dieser Knochenschale wird ein Konglomerat von Ilohlräumen, 
deren Ausdehnung von Erbsen- bis Walmissgrüsse schwankt, und die durch 
dünne meist weiche Zwischenwände unvollständig getrennt sind, eröffnet. Die 
Auskleidung der Cystenwände ist membranartig, gelblich bis bräunlich, zum 
Teil auch direkt weisslieh. Die Oberfläche ist glatt und spiegelnd. Sie löst 
sich von dem umgebenden Knochengewebe stellenweise sehr leicht los. Der 
Inhalt der Holilräumc besteht aus einer hellgelblieh bis bräunlich klaren 
Flüssigkeit. ln dem benachbarten Knoehengcwehe finden sich ausserdem 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



IYIht generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


43 


dunkelbraune Gebilde aus festerem Gewebe, di«' zum Teil direkt die Wand der 
Cysten zu bilden seheinen. Die Grösse sehwankt von Punktform bis zu 
Pflaumenkerngrösse (s. unten Besehreibung des Präparats). Die ganze Cysten¬ 
masse wird mit dem scharfen Löffel ausgeräumt und dadurch ein grosser zu¬ 
sammenhängender Hohlraum geschaffen, der nur noch von dünner Knoehen- 
srhale begrenzt ist. Nach unten und oben stüsst man schliesslich auf an¬ 
scheinend normales Knochengewebe mit gelbem Fettmark. Primäre Naht des 
Periosts und der Haut. 

Auf der rechten Seite wird ebenfalls das Periost zu beiden Seiten in Aus¬ 
dehnung von 14,5 cm abgeschoben. Hier ist die bedeckende Knochenschale 
etwas dicker und es lässt sich ein grösseres Stück in Zusammenhang mit dem 
Meissei herausnehmen, so dass es als makroskopisches Präparat aufbewahrt 
werden kann (s. unten). Trotzdem ist auch hier an einigen Stellen die Corti- 
calis völlig geschwunden, tmd die darunter gelegenen cystischen Hohlräume 
grenzen direkt an das anscheinend unveränderte Periost. Nach Wegnahme der 
oberen Knochenschale bietet sieh das gleiche Bild wie links. Audi hier wird 
alles krankhaft veränderte Gewebe exeochleiert, bis man ganz oben und unten 
auf anscheinend gesunde Spongiosa mit Fett mark stüsst. Auch hier primäre 
Naht. Glatte Heilung unter dem Blutschorf im Gipsverband. 

14. 9. Leber der rechten Tibiakante eine strichförmige, längsverlaufende, 
teilweise mit den unterliegenden Knochen verlötete Operalionsnarbe von 15 cm 
Länge, darunter fühlt man eine weiche undeutlich fluktuierende Mulde in der 
Tibia. Eine entsprechende Narbe von 14 cm Länge findet sich an der linken 
Tibia, die beiden oberen Drittel liegen auf knochenharter, das untere Drittel 
auf weicher Lnterlage auf. Die Unterschenkel sind völlig fest. Ein nachträg¬ 
lich aufgenommenes Rüntgenbild (s. Lig. 2.‘i) ergibt folgenden Befund: Man 
sieht besonders rechts den grösseren durch die Operation gesetzten Defekt. Die 
Strukturverschiebung erscheint deshalb einheitlicher. An der linken Tibia ist 
die blasige Auftreibung und die Abknickung nach wie vor vorhanden. Eine 
wesentliche Aenderung in der Knochendurchlässigkeit, bedingt durch grösseren 
Kalkgehalt des Knochengewebes, ist nicht nachweisbar. 

Die Patientin fühlt sich bei dauernder Bettlagc wohl, klagt keinerlei 
Schmerzen, sie vermag sich selbst im Bett aufzusetzen und beim l’mbetten. 
Umkleiden tätig mitzuwirken. Die Arme bewegt sie ziemlich frei und unge¬ 
hindert, sie vermag sich z. B. ohne Beschwerden die Haare zu machen. Zum 
Verlassen des Bettes ist sie nicht zu bewegen, da sie, wie sie sagt, instinktiv 
das Gefühl hat, dass ihr linkes Bein sie nicht zu tragen vermöge. 

Iß. 10. Nach Anlegung eines Gipsstiefels am linken Unterschenkel bis 
zum Knie geht die Patientin seit einigen Tagen an zwei Krücken im Kranken¬ 
saal umher. Der Gang ist überraschend sicher und behend, di«' Kleinheit des 
Gesichts und das „In-sich-zusammengesunken-scin" ist im Stehen sehr deutlich. 
Auch «Irr relativ grosse Schädel fällt auf (s. Fig. 24). 

Die Dorsalkyphose ist noch sehr deutlich, dagegen ist die Skoliose nach 
links beim Sitzen auf einem Stuhl und beim Gehen anscheinend geringer. 
Beim Vornüberneigen gleicht sich die Skoliose völlig, die Kyphose grösstenteils 
aus. Wir haben es also vornehmlich mit einer llaltungsanomalie zu tun, die 
durch Muskelaktion zum grössten Teil noch ausgeglichen werden kann. 

Beschreibung der bei der Operation gewonnenen Präparate 
(s. Fig. 25): Das Präparat vom linken Bein stellt einen 7 : 2 cm grossen zu¬ 
sammenhängenden rechteckigen Teil der vorderen Tibiacorticalis dar. Die Dicke 
ist bis zum Durchscheinen und Papierdiinnc \ermindert. An einer Stelle be¬ 
steht eine kleine unregelmässige Durchlöcherung. Es befinden sich imdi Reste 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



44 


F. Lot sch. 


Digitized by 


festhaftenden Periosts an drr Aussenfläehe. Die innere Begrenzung ist rauh. 
Wichtig erscheint vor allem ein unregelmässig gestalteter, bräunlich roter, ire- 
schw ul st artiger Körper, der an seinen Schnitt flächen noch deutliche Sponginsa- 
bälkchen fühlen lässt, und durch »ranz dünne häutchenartige Verwachsungen 
lose und beweglich an der Uorticalis festgehalten wird. Die Oberfläche dieses 
tumorartigen Körpers ist grösstenteils glatt und spiegelnd und bildet die Be¬ 
grenzung cYstischer Räume. An dem einen Ende setzt sich der Tumor in eine 
gelblichweisse, lederartige, dünne Membran kontinuierlich fort. Die (irösse des 
Tumors entspricht ungefähr einer Mandel. Auf dem Durchschnitt zeigen sich 
braunlichrote, bis rostfarbene, rundliche, linsengrosse Nester, eingebettet in 
heller gefärbtes, deutlich Knochenbälkdien enthaltendes Gewebe. 

Das makroskopisch entnommene Stück der rechten Tibia hat eine Flächen¬ 
ausdehnung von G : Ö cm. Seine Oberfläche ist uneben und zeigt an dem einen 
Ende zwei unregelmässige Defekte der Knochenschale, die den Einblick in einen 
grösseren mehrkammerigen Hohlraum gestatten. Ebenso wie links haften noch 
Periostreste an der Aussenfläehe; während die seitlichen Begrenzungen noch 
zum Teil 0.4 ein dicke deutliche Compacta aufweisen, ist die Aussenfläehe an 
mehreren Stellen federnd eindriiekbar, die Begrenzung der darunter gelegenen 
Hohlräume scheint einer Knochenschale an dieser Stelle völlig zu entbehren. 
Pergament knittern ist deshalb nicht sicher auslösbar. Die Innenfläche ist 
rauh, trotzdem zum grössten Teil mit einer gleichmässig glänzenden Haut über¬ 
zogen, die einer grösseren Cyste zur teilweisen Begrenzung diente. Zwischen 
Innen- und Aussenfläehe befinden sich mehrere durch unvollständige, meist 
dünne und nicht knöcherne Scheidewände von einander getrennte Hob träume. 
An einzelnen Stellen der Innenseite sieht man blutrote Flecken, auch an der 
Aussenseite stellenweise dunklere Farbtöne durch die verdünnte Knoehensehale 
d Lire lisch im me rn. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurden verschiedene Stücke her- 
ausgesehnitten. Einige Stücke Hessen sich ohne Entkalkung mit dem Gefrier¬ 
mikrotom gut schneiden; andere wurden nach Entkalkung mit lOproe. Salpeter¬ 
säure in der üblichen Weise in Celloidin und Paraffin eingebettet. Die Paraffin¬ 
blöcke dienten zu den später zu erwähnenden Serienschnitten. Als wesentliche 
Färbung wurde Ilämalaun-Eosin bevorzugt. 

Die verschiedenen Schnitte bieten ein zum Teil gänzlich verschiedenes 
histologisches Bild. In manchen Präparaten sieht man diese verschiedenen 
Gewcbsstrukturen dicht nebeneinander. 

Eine kompakte Corticalis fehlt in den Präparaten vollständig. Es handelt 
sieh lediglich um meist ziemlich weitmaschige spongiöse Knochen. Diese Spon- 
giosabälkchen präsentieren sieh als dünne Gebilde von verschiedener Längen¬ 
ausdehnung und stehen stellenweise durch Querzüge miteinander in Verbindung. 
Auf diese Weise entstehen maschigc Hohlräume. Die Knochenbälkchen sind 
fast durchweg rein rosa gefärbt, nur vereinzelt trifft man im Centrum eine 
schmale kalkhaltige Partie, die sich durch ihre Tinktion mit Hämalaun als solche 
deutlich ausweist. In dem osteoiden Gewebe sieht man auf Abblendung des 
durchfallenden Lichtes eine Streifung, die sich jedoch durch ihre Unregelmässig¬ 
keit und feinzackige Natur wesentlich von der normalen lamel lösen Struktur 
unterscheidet. Die in den Spongiosabälkchen gelegenen wenigen zackigen 
Knoelienhöhlcn sind spärlich und ihre Anordnung folgt keineswegs so regel¬ 
mässig den Lamellengrenzen wie beim normalen Knoehengewebc. Die in ihnen 
gelegenen Zellen haben einen gut gefärbten Kern und füllen den Raum mit 
Freilassung eines peripheren Saumes in der üblichen Weise aus. Zellfortsätze 
und Kommunikationen der benachbarten Knodicnzcllen sind nicht deutlich zu 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Feber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


45 


sehen. Die im Schnitt getroffenen Knorhcngewebsteilc sind demnach wohl 
sämtlich als neugebildete anzusehen. Auch die makroskopisch starke Auftrei¬ 
bung des Knochens an der Entnahmestelle schliesst ein Erhaltensein von altem 
Knochengewebe von vornherein aus. 

Die Oberflächenkontur ist teilweise glatt, teilweise deutlich lakunär an¬ 
genagt. Im letzteren Falle sieht man in den typischen Howship’schen Lakunen 
einwandsfreie Osteoklasten, während Osteoblasten ganz fehlen oder nur in 
relativ glatt gebliebenen Strecken sich finden. Diese ausgezahnten Oberfläollen- 
absehnitte stellen sich somit als sichere Resorptionsflächen dar und liegen den 
Cysten und Tumoren meist zugekehrt. Die andere Seite des Bälkehens zeigt 
dann meist im Gegensatz dazu eine glatte Kontur und einen vielfach lücken¬ 
losen öfters sogar mehrschichtigen Belag von Osteoblasten. Diese länglichen 
/eilen erscheinen grösser als die gleich zu erwähnenden Bindegewebszellen. 
Ihr Protoplasma ist fein gekörnt und mit Hämalaun leicht blau tingiert, der 
rundliche Kern ist bläschenförmig, relativ gross, deutlich ahgegren/t gegen (las 
Protoplasma und meist excentrisch gelegen. Fast stets ist ein deutliches Kern¬ 
körperehen sichtbar. Die Anordnung dieser Osteoblasten auf der Oberfläche 
des Ostenidbälkehens erinnert an Epithelbelag, doch ist eine absolute Regel¬ 
mässigkeit nicht vorhanden, bald liegen die Zellen mit der Breitseite, bald, 
und zwar öfters, mit der schmalen der Knochenoberfläehe an. Finden sich zwei 
oder gar mehrere Lagen von Osteoblasten übereinander, so ist noch weniger 
von einer geordneten Lagerung die Rede. Auch die Lagt* dos Kernes variiert. 
Bald liegt er im unteren, bald im oberen Abschnitt der mit der Schmalseite 
dem Knochen aufsitzenden Osteoblasten. Der Einschluss der Osteoblasten in 
die osteoide Zwischensubstanz und ihre Fnnvandlung in Knochenzellen erscheint 
an zahlreichen Stellen deutlich. 

Perforierende Kanäle fohlen so gut wie ganz. Die Maschenräume der 
Spongiosabälkchen sind von faserigem Bindegewebe erfüllt, dessen Reichtum an 
Blutgefässen und \or allem an erweiterten, meist strotzend mit Blut gefüllten 
t'apillaren auffällt. Auch erweiterte Lymphcapillaren mit homogenem Inhalt 
sind sichtbar. Die spindeligen Zellelemente des Bindegewebes verflechten sieh 
zum Teil bündelweise und sind mit einer wechselnden, aber stets relativ sehr 
geringen Zahl von Rundzellen durchsetzt. Eine stärkere Zellenanhäufung oder 
eine Wandveränderung ist an den Gefässen nicht zu finden. Der Zellgehalt 
des Bindegewebes wechselt in weiten Grenzen und geht an den später zu be- 
srhreibonden Herden von riesenzollreieliem Gewebe unmittelbar in zellreiehes, 
sarkomartiges Gewebe über. Streckenweise sind die* Bindegewebsfasern durch 
extravasierte Blutkörperchen auseinandergedrängt, das Gewebe infolge der Blutung 
infarciert. Allerorten findet sich körniges, gelbbraunes Blutpigment, zum Teil 
frei in dem Bindegewebe, zum Teil deutlieh in Zellen eingesrhlossen. Grössere 
Bezirke dieses faserigen Bindegewebes enthalten nur noch Knoehenschcrbchcn 
oder sind ganz frei von Spongiosarosten (s. Fig. 2<>). Ihr Gehalt an Riesen- 
zellen ist wenigstens in den zellärmeren Abschnitten gering, ja auf weitere 
Strecken fehlen sie ganz. Mehrfach erscheinen die Bindegewebsfibrillen durch 
Flüssigkeit auscinamlergcdrängt, üdematös, bisweilen erhält das Aussehen des 
Gewebes den Charakter von Myxomgewebe. Innerhalb der fibrösen Strecken 
finden sieh unvermittelt kleinste und grössere Herde, die durchaus als riesen- 
zellensarkomartige Bildungen sieh präsentieren. Die Spindelzellen sind grosser, 
die Intercellularsubstanz geringer, zwischen den zahlreichen Spindelzellen als 
integrierender Bestandteil reichlich Kiesenzellen vom myeloplaxen Typus ein¬ 
gelagert. Die Blutgefässe treten an diesen Stellen mehr in den Hintergrund. 
Die Wand der grösseren Cysten besteht aus konzentrisch geschichtetem, faserigem, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



46 


F. Lotseh. 


Digitized by 


kernarmem Bindegewebe. Ein Epithelbelag fehlt völlig. Peripherisch von dieser 
streifigen Bindegrwebslamclle liegen grössere Anhäufungen von Blutpigment. 
Riesenzellen und Knoehenhiilkehen finden sich bei den grösseren Hohlräumen 
erst in einiger Entfernung von der AVand. 

Für die Entstehumr der evstisehen Hohlräume Hess das Studium der 
kleinsten Cysten einen besseren Aufschluss erwarten. Zu diesem Zwecke habe 
ich in Paraffin eingebettete Präparate in Seriensehnitte zerlegt. Mikroskopisch 
kleine Hohlräume werden hier mehrfach von dem geschilderten ödematösen 
Bindegewebe begrenzt, das sich wie ausgefranzt auch noch in die Hohlräume 
erstreckt und die Entstehung der Cysten aus diesem myxomartigen Gewebe 
nahe legt. An anderen Stellen wird die Cystenbegrenzung jedoch von einem 
sehr zellreichen Gewebe gebildet, das sich als geflechtartiger Knochen darstellt, 
immerhin jedoch eine grosse Aehnliehkeit mit Knorpelgewebe zeigt. Ich habe 
vier zusammengehörige Stellen aus einer Serie in den Figuren 27—30 zusammen¬ 
gestellt. Auf dem ersten Bilde (Fig. 27) sieht man unten einen Hohlraum mit 
homogenem Inhalt von fibrösem Gewebe begrenzt. Darüber einen grösseren 
Bezirk sehr kernreichen Gewebes mit einer ganz kleinen centralen Erweichung-. 
Der Unterschied dieses knorpelartigen Gewebes zu den eigentlichen Spongiosa- 
bälkchen macht sich auch in der Abbildung im Vergleich zu den benachbart 
liegenden Spongiosabälkchen deutlich bemerkbar. Auf der Fig. 28 erscheint die 
Cyste grösser, ebenso <1 ie centrale Erweichung, das zellreiche Osteoid begrenzt 
an einer Stelle direkt die Cystenwand. Fig. 29 zeigt den Durchbruch der die 
beiden Hohlräume trennenden Schicht, Fig. 30 einen nunmehr gemeinsamen 
Hohlraum, der in seinem unteren Abschnitt von faserigem Bindegewebe, in 
seinem oberen direkt von dem zellreichen Osteoid begrenzt wird. 

Ein Vergleich mit dem in der oft eitierton Koch‘sehen Arbeit abgebildeten 
Präparat Benda's zeigt, dass der dort als Knorpel bczoiehncto Gewcbsabsehnitt 
grosse Aehnliehkeit mit dem kornreichen Osteoid zeigt. 

Die histologische Untersuchung hat demnach ergeben: Markfibrose mit 
stark gesteigertem lakunären Knochenabbau auch des neugehildeten spongiösen 
Knochens, riesenzellensarkomartige Bildungen, ausgedehnte Cysten, entstanden 
durch Erweichung, ferner Blutungen und Pigment reichtu m. 

Es sind demnach alle Forderungen für die Diagnose erfüllt, 
die v. Recklinghausen für seine Ostitis fibrosa aufgestellt hat. 

Die Untersuchung der Cystenflüssigkeit ist von Herrn Prof. Salkowski 
ausgeführt worden. Seinem uns giitigst übermittelten Untersuchungsbefund ent¬ 
nehme ich folgendes: 

Der Cysten in halt wird gebildet von einer goldgelben, alkalisch reagierenden 
Flüssigkeit, die beim Erhitzen direkt zu einer durchscheinenden Masse gerinnt. 
Als Bodensatz finden sieh in dem Reagenzglas Blutkörperchen. Murin ist nicht 
vorhanden. Beim Erhitzen gibt die verdünnte angesäuerte Flüssigkeit reichlich 
weisse Gerinnung. Der organische Trockenrückstand wurde zu 6,496 g für 
100 ccm bestimmt, die überwiegend aus Chloriden, daneben aus Phosphaten Be¬ 
stehende alkalische Asche zu 0,646 g bestimmt. Es handelt sich danach um 
eine seröse Flüssigkeit, die mit dem Blutserum in ihrer Konzentration sehr nahe 
übereinstimmt. 

Bei der Excoehleation entleerte sieh aus dem scheinbar gesunden Fett¬ 
mark reichlich ölige Flüssigkeit. Die Untersuchung dieser Flüssigkeit (Prof. 
Salkowski) ergab, dass sie nur aus Fett besteht, die scheinbaren Knocben- 
bälkehcn schmolzen bei gelindem Erwärmen, bestehen also aus Fett von hohem 
Schmelzpunkt. Derartige Ausscheidungen sind im menschlichen Fett ganz ge¬ 
wöhn lieh. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


47 


Der raitgeteilte Fall B. ist von einer gewissen prinzipiellen 
Wichtigkeit. Er beweist als Parallelfall zu dem bis in die neueste 
Zeit als nicht einwandsfrei zur Ostitis fibrosa gehörig betrachteten 
Fall Froriep’s, dass bei sicherer Recklinghausen’scher Ostitis 
fibrosa die Cystenbildung derart in den Vordergrund der Symptome 
rücken kann, dass alle anderen Erscheinungen, wie Markfibrose, 
Fibrome und riesenzellensarkomartige Tumoren, ganz zurücktreten. 

Er verliert auch dadurch, wie ich glaube, nichts an Interesse, 
dass die im Krankenhaus Moabit aufgenommenen Röntgenbilder von 
Schroth in der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins am 
8. Januar 1912 demonstriert und über die günstige Wirkung einer 
mehrmonatigen Kalktherapie Mitteilung gemacht wurden. 

Von dem genannten Autor ist in Gemeinschaft mit Jacoby 
über die genaue Stoffwechselanalysc während der Kalkfütterung in 
den Mitteil. a. d. Grenzgeb., 1912, Bd. 25, H. 2, besonders be¬ 
richtet (s. unten). 

Ich füge zum Schluss noch einige nicht ganz eindeutige Fälle 
an, die in der Literatur mehrfach bald zur Ostitis fibrosa, bald 
mehr zur Osteomalacie gehörig erwähnt sind. Fall Meslay: 

34. lojähriges Mädchen. Im 13. Lebensjahre bei freier Beweglichkeit 
Schmerzen in beiden Knien, rachitischer Rosenkranz. Die vorhandenen, sehr 
ausgesprochenen Genua valga werden durch subcondyliire Osteotomie der Tibicn 
korrigiert. Nach der Heilung Bewegungsstörung der Arme, zunehmende Kypho¬ 
skoliose und Trommelschlegclfinger, Krümmung der Tilden. Muskelatrophie an 
den Beinen. Keine Menstruation. Pathologische Fraktur des rechten. S Wochen 
spater des linken Oberschenkels, rasch fortschreitende Deformierung der Beine 
und Oberarme, sowie des Thorax. Starke Knochensehmerzen, besonders in den 
Beinen, aber auch in Armen und L’nlerkiefer. Hochgradige Druckschmerzhaftig¬ 
keit, Oedeme, Verringerung der Kürperlänge um 30 cm. Im I rin reichlich 
Phosphate. Kxitus. 

Sektionsbefund: Alle untersuchten Knochen, auch das 0.5 ein dicke 
Schädeldach, leicht sehneidbar. Vorderarmknnehcn sehr dünn, in Humerus- und 
Feimirköpfen offenbar Knorpelreste. Diaphysen-Cortiealis verdünnt. In der 
weiten Markhöhle dunkclbraunrotcs bewegliches Mark, rechtsseitige fibrös ge¬ 
heilte Humerusfraktur. Thyreoidea o. B. 

Mikroskopisch: Vornehmlich feinfaseriges, gefässreiehes Bindegewebe 
mit Knoehenbälkchen. Osteoblasten und Osteoklasten, hauptsächlich Abbau, 
auch Osteoid. 

Der Autor fasst das Krankheitsbild als jugendliche Osteo¬ 
malacie auf. Sicher scheint eine Rachitis Vorgelegen zu haben 
(Rosenkranz, Genua valga). 

Auf Grund des Befundes rechnet v. Recklinghausen den 
Fall zur Ostitis fibrosa. 

Im Jahre 1904 veröffentlichte Davidsohn folgenden Fall: 

35, 58jährige Frau. Zwei Jahre zuvor Radiusfraktur, mehrfache patho¬ 
logische Frakturen beider Oberschenkel, nebenher starke Schmerzen, zuletzt 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



48 


F. Lutsch, 


Digitized by 


Oedeme, Decubitus, allgemeine Schmerzen. Exitus in desolatem Zustande in 
der Hoffa'sehen Urivatklinik. 

Klinische Diagnose: Osteomalacie. Keine Albumusen im Urin. Alle 
Therapie erfolglos. 

Sektionsbefund: Die unförmigen Beine stark verkrümmt, Sternum bricht 
ein, Spongiosa cystisch erweicht, flüssiges, himheerartiges Knochenmark auch 
in d(‘n Kippen. Skoliose, Hxostose eines Brustwirbels. 

S kel et t sek t inn auf die beiden Femura beschränkt. Diese in „weiche, 
haltlose Gebilde verwandelt**, «lederscits drei unkunsolidierte (Juerbrüche. im 
rechten nu(*h ein vierter winklig verheilter mit Gallus. Schenkelhalswinkel 
beiderseits 90°. Knorpel intakt. Uompacta durch papierdünne Sponpiosaschale 
ersetzt, mit dem Periost fest verbunden. Streckenweise besteht der Knochen 
„aus weissem, derbem, fibrösem Gewebe“. Neben wenig Fett- und rotem Knochen¬ 
mark findet sich vornehmlich eine y.ementartige, weisse, dichte Masse in der 
Nähe der Bruchlinien, „von rötlichen, cystenartigen Herden unterbrochen“, ln 
beiden Metaphysen filiert artiges Mark, im fibrösen Gallus der umfangreichste 
pflaumenL r rosse rote Herd suhperiostal gelegen. Blutige Massen von einer Art 
Kapsel umschlossen. Kapsel deutlich beschichtet. Im linken Femur vier deut¬ 
liche Cysten, vornehmlich in der Nähe der Bruchlinie. Mark dazwischen „ weiss¬ 
markig und graurot fleckig“. Patella und Tibiakopf von weichen tumorartigen 
Massen mit Spongiosabälkchcn erfüllt unter stark verdünnter Knochenschale. 

Mikroskopisch spärliche Compactareste mit Anbau periostaler Spongiosa, 
dazwischen Fasermark. Innere Spongiosa in starker lakunärer Resorption, reich¬ 
lich Osteoklasten. Volkmann’sche Kanäle und Havers'sche Räume. Weiterhin 
befässreiche Markfibrose mit Nekrosen und viel Pigment. Osteoide Cysten mit 
zum Teil syncytiumähnlichein Zellbelag. in geringer Entfernung von der Innen¬ 
fläche 8—4 Reihen von Riesenzellen. Spongiosa zum Teil mit den Nekrosen 
im Zusammenhang, im Callus Knorpelbälkohen zum Teil verkalkt, auch Riesen¬ 
zellen. 

Fall Feldmann: 

36. Familicnaniimneso o. I!. Ausser Masmi, W’as.serpnrken und Koin-h- 
husten keine Krankheiten. Wurde schneller müde als die anderen Kinder! Im 
17. Lebensjahre rechtsseitiges Genu valgiim (Beruf Buchdrucker, Arbeit an Tiegel¬ 
druckpresse mit Fussbetrieb). Operative Korrektur im gleichen Jahre. Nach 
7 Wochen Heilung in O-Beinstellung. Das rechte Bein bleibt schwach, geht 
am Stock, wieder arbeitsfähig. Wegen der Schwäche des rechten Beines wechselt 
er seinen Beruf und arbeitet sitzend in einer Klaviermechanikfabrik. Im 20. Lebens¬ 
jahre „Knochenwirbelcntzündung“ nach Fall auf der Strasse. Langsame Besse¬ 
rung bis zu zeitweiser beschränkter Arbeitsfähigkeit. Zunehmende Schwäche 
beider Beine führt 1 Jahr später zu völliger Erwerbsunfähigkeit. Im 22. Lebens¬ 
jahre pathologische Frakturen beider Femura, das linke ist zwei, das rechte 
gar dreimal gebrochen. Keine Konsolidation. Während des Liegens entsteht 
eine Vorwölbung des Thorax. Im folgernden Jahre langdauernde Nierensohmerzen 
bis zum Abgang von 14 erbsengrossen Steinen. Ferner pathologische Fraktur 
unter dem rechtem Knie. Im 25. Lebensjahre zuerst langsam, später schnell 
wachsender Tumor des Unterkiefers. Beginn an der Stelle eines 2 Jahr zuvor 
extrahierten Zahnes. 1 Jahr später Schmerzen in der linken Schulter, im linken 
Ellenbogen und linken Oberarm, die nach Ausbildung einer Geschwulst am 
linken Oberarm samt der Bewegungsbeschränkung schwanden. 

Befund im 2S. Lebensjahre: Kindskopfgmssc Geschwulst des Unter¬ 
kiefers, von der rechten Seite ausgehend, mit stark erweiterten Venen der be¬ 
deckenden Haut, Zähne des Unterkiefers erhalten, stark auseinandergedrängt. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


49 


zum Teil ganz nach der linken Seite verschoben. Starke Verkürzungen. Ver¬ 
krümmungen und Verbiegungen aller Extremitäten. Thoraxdeformation, mehr¬ 
fache Wirbelsäulenskoliose. Spindelförmige Auftreibung des linken Humerus. 
Im Urin etwas Eiweiss und Mucin. Fieberfrei. Nierensteinkoliken während der 
Behandlung. Abgang von 7 Konkrementen. Schnell wachsende Oberkiefer¬ 
geschwulst während der Beobachtung. Kontrakturen der Gelenke. 

Kein Röntgenbefund, keine histologische Untersuchung. 

Schliesslich der Fall von Koehl-Hanau: 

37. 48jährige Frau. Zwei Partus. Seit 2 Jahren Schwellungen beider 
Beine und des linken Armes mit lebhaften intermittierenden Schmerzen. Vor 
1V 2 Jahren Influenza; bettlägerig. Im Bett Doppelfraktur des linken Femurs, 
später Fraktur des rechten dünnen Femurs in der Schaftmitte und des oberen 
Drittels der linken Tibia. Sanduhrmagen. Exitus an Ileus. 

Sektionsbefund: Grosse Brüchigkeit der Röhrenknochen. Femur und 
Lendenwirbel leicht schneidbar, Brustwirbel und Rippenknochen der oberen Ex¬ 
tremität konsistenter. 

Mikroskopisch (Hanau): Osteoide Säume mit Osteoblasten im Vorder¬ 
gründe, daneben lakunäre Resorption mit Osteoklasten, besonders im Darmbein. 
Im Femur freie Riesenzellen und Fasermark mit Knochenscherbchen. 

Obwohl nach diesem Befunde eigentliche Tumoren ebensowenig 
wie cystische Hohlräume nachgewiesen wurden, nähert sich der 
Fall nach Hanau’s Meinung der Ostitis fibrosa. Da sich die mikro¬ 
skopische Untersuchung nicht auf das gesamte Skelett erstreckte, 
scheint der Einwand berechtigt, dass andere Stellen eine einwands¬ 
freie Diagnose auf Ostitis fibrosa zugelassen hätten. 


Klinischer Teil. 

Ueberblicken wir die, wie ich hoffe, ziemlich lückenlose Auf¬ 
zählung der in der Literatur verstreuten Fälle von generalisierter 
Ostitis fibrosa v. Recklinghausen’s, so finden wir neben vielem Ge¬ 
meinsamen auch mancherlei Unterscheidendes. Wer sich auf den 
extremen Standpunkt stellt und mit v. Recklinghausen be¬ 
hauptet: „Ein definitives Urteil über die Frage, ob wirklich fibröse 
Ostitis-metaplastische Malacie vorliegt, lässt sich eigentlich erst 
nach einer ausführlichen Sektion aussprechen“, wird manchem Fall 
mit Misstrauen begegnen. Auch bei einigen zur Autopsie gelangten 
Fällen kann von einer ausführlichen Sektion nicht gesprochen 
werden. 

Es ist andererseits ein besonders wesentliches Verdienst 
v. Recklinghausen’s, dass er das Gemeinsame dieser Knochen¬ 
systemerkrankungen betont und versucht hat, die Ostitis fibrosa 
„im Rahmen der malacischen Krankheiten zu erhalten“. Bei dem 
rein morphologischen Einteilungsprinzip, auf das wir bei der völlig 
dunklen Aetiologie vorläufig angewiesen sind, werden möglicher¬ 
weise genetisch völlig getrennte Krankheitsbilder zusammengeworfen. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. 4 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



50 


F. L o t sch. 


Digitized by 


Trotz dieser Gefahr wird es bei tieferer Erkenntnis der Krank 
heitsursache leichter sein, aus der zunächst vereinten Gruppe das 
nicht Dazugehörige auszusondern, als unzählige Einzelkrankheiten 
zu Einheiten zu ordnen. Vor allem ist dem Bedürfnis des Klinikers 
mit der Zusammenfassung am besten gedient. Gewisse Mängel 
und Irrtümer sind dabei unvermeidlich. 

Das Krankheitsbild der fibrösen Ostitis nach v. Reckling¬ 
hausen, das in den ausgesprochenen Fällen als etwas durchaus 
Besonderes, in sich Geschlossenes, gut Abgrenzbares erscheint, zeigt 
bei näherer Betrachtung fliessende Uebergänge zu den verschiedenen 
anderen chronischen Skeletterkrankungen; so bei den in frühester 
Jugend auftretenden Erkrankungen mit der Rachitis (Werndorff, 
Burchard), bei einigen im Anschluss an Gravidität bemerkten 
bzw. sichtlich verschlimmerten Fällen (Engel, Schoenenberger, 
v. Recklinghausen, Bramann) mit der puerperalen Malacie, 
bei den Erkrankungen in höherem Alter mit der senilen Osteo¬ 
porose, vor allem auch mit der Paget’schen Osteitis deformans, die 
v. Recklinghausen selbst als die hyperostotische Spielart der 
metaplastischen Malacie bezeichnet. M. B. Schmidt fasst die 
beiden Krankheitstypen noch enger zusammen. 

Die Beschränkung meiner Arbeit auf die generalisierten Fälle 
der v. Recklinghausen’schen Knochenkrankheit mag bei unseren 
heutigen Anschauungen etwas willkürlich erscheinen. Denn histo¬ 
logisch-morphologisch ist nach unseren jetzigen Kenntnissen ein 
Unterschied zwischen der generalisierten Form und der solitären 
nicht vorhanden. Vor allem gibt cs reichlich Fälle, die einen 
fliessenden Uebergang von der einen zur anderen Form bilden. 
Zudem sind die aufgeführten Fälle keineswegs alle, ja im engsten 
Sinne kein einziger auf das gesamte Knochensystem ausgebreitet. 
Eine mathematische Grenze ist deshalb unmöglich. Es wäre 
lächerlich, wollte man Fälle mit Erkrankung von zwei oder drei 
verschiedenen Knochen der einen oder anderen Gruppe anreihen 
und einen Gegensatz zwischen diesen Gruppen konstruieren. 

Solcher Fälle, in denen die Krankheit auf einige wenige Knochen 
beschränkt blieb, gibt es eine ganze Reihe. Ich nenne die Beob¬ 
achtungen von v. Mikulicz (beiderseits oberes Femurende, Radius 
und Tibia), Hartmann Fall II (linkes Femur und beide Unter¬ 
schenkel), Bockenheimer (Femur und Tibia der gleichen Seite), 
v. Brunn (beide rechte Unterschenkelknochen), Langenbeck- 
Virchow (grosses cvstisches Riesenzellensarkora der oberen Ulna¬ 
hälfte und kleines Riesenzellensarkom des benachbarten Humerus¬ 
abschnittes), Pfeiffer (unteres Femurdrittel beiderseits), Körte, 
v. Brunn (oberes Fcmurdrittel beiderseits). 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



IVber ironcTalisicrtc Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cvstcn. 


51 


Einen dieser Gruppe zugehörigen Fall kann ich aus unserer 
Klinik hinzufügen: 

Paul H.. 35jähriger Tischler, aufgenommen 6. 7. 1908. Kann seit Kind¬ 
heit schlecht gehen, wackelte in den Hüften. Später Schmerzen besonders nach 
langem Stehen und Gehen in den Knie- und Hüftgelenken. 

Befund: Massig kräftiger Mann. Beide Trochanteren zu mannsfaust- 
grossen. harten Tumoren verwandelt, die sieh auf die Schenkelhälse fortsetzen. 
Starke Beschränkung der Kxtcnsion. Abduktion und Aussenrotation. Adduktion 
frei. Lordose der Lendenwirbelsäule. Hochgradiger WackcJgang. 

Röntgenbefund: Trochanteren durch grossblasige, eystische, multilncu- 
läre llohlräume aufgetrieben. 

27. 7. ‘Operation (Geh. Rat Hildebrand): Tn Narkose Freilegung des 
Tumors an der rechten oberen Femurmeia]>hyse, der den gleichfalls etwas 
deformierten Kopf zunächst verdeckt. Die überstellenden Tumormassen werden 
mit dem Meissei abgetragen, dabei unter verdünnter Knnchensrliale vielkammerige 
Cysten mit weisslichcr glatter Wand und dünnen unvollständigen Septen er¬ 
öffnet. Der Inhalt besteht aus salziger, myxomatöser Masse. Fxeoelileation der 
Cysten. Modellierung von Sehenkelkopf und Hals. Gipsverband. Glatt«* Wund- 
heilung, erhebliche Besserung der Bewegungsfähigkeit. 

15. 10. Gleiche Operation am linken Femur. Glatte Heilung. 

Makroskopische Diagnose: Multihx-uläre Knochencysten in hei«h*n Tro- 
rlianteren und Schenkelhälsen. Ostitis fibrosa. sekundäre Arthritis deformans eoxae. 

Mikroskopische Diagnose: Ostitis fibrosa. 

21. 11. Krhehliehe Besserung der Beweglichkeit in beiden Hüftgelenken. 
Geheilt- aus der Klinik entlassen. 

Nach meiner Ueberzeugung bilden die solitären Knochen- 
alTektionen mit den generalisierten eine morphologisch durchaus 
zusammengehörige Gruppe. Der Grund, warum ich mich besonders 
der generalisierten Form zuwende, ist zum Teil rein äusserlich 
durch die Art des von mir raitgeteilten Falles ausgesprochener 
generalisierter Ostitis fibrosa gegeben, sodann sind jedoch die soli¬ 
tären Formen, besonders die Knochencysten, in den letzten Jahren 
allzu oft zum Gegenstand zusammenfassender Darstellung gemacht 
worden. Dass zwischen der solitären und der generalisierten Form 
gewisse klinische und auch topische Unterschiede bestehen, soll 
nicht verschwiegen noch verkannt werden. Immer wieder muss 
betont werden, dass es sich um eine Einteilung nach rein morpho¬ 
logischen Gesichtspunkten, ja bei den meist behandelten Knochen¬ 
cysten um eine recht oberflächliche morphologische Zusammen¬ 
gehörigkeit handelt. Diese Aehnlichkeit oder Gleichheit ist eine 
rein formale und ist kein Beweis für eine genetische Gleichheit 
und Zusammengehörigkeit (Milner, Stumpf). Wir Aerzte gehen 
von den uns wahrnehmbaren Wirkungen aus und verfallen zu leicht 
in den Fehler, bei gleichen Wirkungen auf gleiche Ursachen zu 
schliessen. 

In den einzelnen Kapiteln wird sich bequeme Gelegenheit bieten, 
die Fälle solitärer Ostitis fibrosa einzuflechten. 

-I 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



52 


F. Lot sch. 


Digitized by 


Viel schwerwiegender erscheint der Einwand, dass einige der 
aufgeführten Fälle nicht völlig sichergestellt sind. Aber auch bei 
Abzug dieser Beobachtungen bleibt eine, wie ich glaube, genügend 
grosse Zahl übrig, um ein kritisches Bild dieser Krankheit zu 
zeichnen. Auch muss es einen Zeitpunkt geben, von dem ab auch 
ohne Sektion bzw. Exzision die Möglichkeit einer Diagnose, be¬ 
sonders mit Hilfe des Röntgenverfahrens aus den Erfahrungs¬ 
tatsachen geschaffen wird. 

Das Wertvollste und Wichtigste an den klassischen Arbeiten 
von v. Recklinghausen scheint mir die Erkenntnis, dass auch 
in morphologischer Beziehung nicht nach ebenso augenfälligen wie 
unwesentlichen Erscheinungsformen eine Einteilung erfolgen darf, 
sondern nach den primären Gewebsveränderungen. Gerade beim 
Knochensystem beherrschen die sekundären Symptome und die 
Folgeerscheinungen derart das Krankheitsbild, dass dadurch die 
Grundursache gänzlich verschleiert und verdeckt wird (Ver¬ 
krümmungen und pathologische Frakturen). 

Wenn seinerzeit Virchow für das wichtigste Ergebnis seiner 
Untersuchungen über die Bildung der Knochencysten den Nachweis 
hielt, „dass in keinem Falle die Cystenbildung im Knochen das 
Primäre und Wesentliche ist, dass vielmehr alle Fälle dieser Art 
als Umbildungsprodukte früher solider Umbildungen anzusehen 
sind“, so hat uns v. Recklinghausen auf diesem Wege weiter¬ 
geführt. uns von der irrtümlichen oder wenigstens irrtümlich ge¬ 
deuteten (Milner) Enchondromtheorie Virchow’s befreit und ebenso 
wie die Cysten auch die Markfibrome und riesenzellensarkomartigen 
Bildungen als sekundäre Produkte einer gemeinsamen Erkrankung 
des Knochenmarks kennen gelehrt. Wir müssen heutzutage als er¬ 
wiesen fest halten, dass der morphologisch nachweisbare primär» 
Vorgang bei der als Ostitis fibrosa bczeichneten Krankheit eine 
proliferierende und destruierende Knochenmarkfibrose ist, d. h. das 
normale Fett- bzw. hämatopoetische Mark wird verdrängt durch 
eine Wucherung des bindegewebigen Stromas. Der Name Mark- 
fibröse vermeidet eine Präjudiz, ob es sich bei diesem Vorgänge 
um eine Entzündung handelt, w T ie die meisten Autoren annehmen 
(v. Recklinghausen, Virchow u. a.). Alles andere sind mehr 
oder minder typische und selbstverständliche, sekundäre Erschei¬ 
nungen, so der gesteigerte Knochenabbau, der beschränkte Anbau 
von spongiösen, kalklosen oder doch kalkarmen Knochen, die Pro¬ 
liferation des Fasermarks zu zusammenhängenden, tumorartigen, 
fibrösen Massen (Fibromen), die Bildung herdförmiger riesenzellcn- 
sarkomartiger Gebilde bis zu grossen Tumoren, schliesslich die 
häufigen regressiven Veränderungen in Gestalt von Erweichungs- 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


53 


höhlen. Im Abschnitt über die pathologische Anatomie, den ich 
absichtlich weiter hinten folgen lasse, komme ich auf diese Dinge 
ausführlich zurück. 

Die v. Recklinghausen’sche Ostitis fibrosa ist eine ausgesprochene 
chronische Erkrankung. Die Betroffenen kommen meist erst dann 
in ärztliche Behandlung, wenn die Krankheit bereits makroskopisch 
sichtbare und sinnfällige Veränderungen verursacht hat. Vorher 
ist auch eine Diagnose kaum möglich. 

Auskunft über die ersten Erscheinungen und die Zeit des 
Krankheitsbeginnes können wir deshalb lediglich aus den anamnesti¬ 
schen Angaben erwarten. Es nicht zu leugnen, dass die Anamnese 
in vielen Fällen eine geradezu typische ist. Gewöhnlich sind 
Schmerzen das erste Zeichen. Sie werden als dumpfe und reissende 
Gliederschmerzen bezeichnet und gelten deshalb zunächst für 
„rheumatisch“, am häufigsten beginnen sie in den Beinen und 
werden bald so heftig, dass sie das Gehen erschweren oder ganz 
unmöglich machen. Mehrfach tragen die Schmerzen deutlich inter¬ 
mittierenden, bisweilen auch remittierenden Charakter. 

Der Sitz der Schmerzen muss wenigstens im Beginn nach 
meiner Meinung in das erkrankte Knochenmark selbst verlegt 
werden. Das Periost ist zunächst durch die Knochencompacta ge¬ 
schützt, aber auch auf der Höhe der Krankheit erfahrungsgemäss 
so gut wie unbeteiligt. 

Dass das Knochenmark reichlich sensible Nerven besitzt und 
seine Verdrängung oder Entfernung starke Schmerzen verursacht, 
lehrten mich meine Tierversuche. Trotzdem die Tiere in tiefer 
Aethernarkose waren, von der Inzision der Weich teile und des 
Periosts, ebenso von der Anbohrung des Knochens nichts spürten, 
zuckten sie jedesmal heftig und klagten zum Teil laut 'bei der 
Lockerung und Ausspritzung des Knochenmarkcylinders. 

Kürzere oder längere Zeit nach dem Auftreten der Schmerzen 
werden die Folgen der gewaltigen Veränderungen innerhalb der be¬ 
fallenen Knochen auch äusserlich sichtbar. Mehrfach wurde als¬ 
dann ein Nachlass oder Aufhören der Schmerzen beobachtet, das 
Gleiche trat in einigen Fällen nach Fraktur bzw. nach operativer 
Freilegung des Krankheitsherdes auf. Nehmen wir die in mehreren 
Fällen gemachte Beobachtung hinzu, dass die Cystenflüssigkeit unter 
einem gewissen Druck hervorquoll, so scheint die Ansicht gerecht¬ 
fertigt, dass es sich bei den Schmerzen um Druckwirkungen auf 
die sensiblen Nervenfasern des Knochenmarks handelt. Es darf 
in diesem Zusammenhänge besonders darauf hingewiesen werden, 
dass jene wenigen Fälle, in denen das Fehlen von Schmerzen aus¬ 
drücklich betont wird, ausser dem ältesten, nämlich dem Fall 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


54 F. Lot so!». 

Hart, bei dem sich die ersten Krankheitszeichen erst im 69. Lebens- 
jahre gezeigt haben sollen, die drei jugendlichen Fälle betreffen 
(Werndorff 9 Jahr, v. Haberer 13 Jahr, Burchard 4 Jahr). 
Vielleicht erklärt sich diese auffällige Tatsache mit der grösseren 
Anpassungsfähigkeit des jugendlichen und auch des altersporotischen 
Knochens an Raumbeengungen in seinem Innern. Auch bei den 
meist im jugendlichen Alter beginnenden solitären Erkrankungen 
fehlen wenigstens zunächst Schmerzen häufig und treten erst später 
nach pathologischen Frakturen und stärkeren Verkrümmungen auf. 

Im weiteren Verlauf der Krankheit kommt es zu circum- 
scripten oder mehr diffusen spindelförmigen Auftreibungen einer 
Reihe von Röhrenknochen, die häufig starke Druckschmerzhaftig¬ 
keit, im vorgerückteren Stadium Pergamentknittern der verdünnten 
Knochenschale oder gar deutliche Fluktuation aufweisen. Dabei 
sind die bedeckenden Weichteile nicht in Mitleidenschaft gezogen, 
vor allem ist die Haut frei von entzündlichen Veränderungen und 
über der geschwollenen Partie glatt verschieblich, höchstens durch 
mechanische Dehnung gespannt und glänzend. Durch diese Ver¬ 
änderungen in seinem Innern verliert der Knochen erklärlicherweise 
seine Festigkeit und es kommt zu Verbiegungen des seines Kalk- 
gehalts beraubten, biegsam gewordenen Knochens oder aber zu 
pathologischen Frakturen. 

Die Intensität und Ausbreitung dieser Veränderungen und 
ihrer Folgen ist in den einzelnen Erkrankungsfällen sehr verschieden. 
In einigen Fällen blieb eine Auftreibung des Knochens aus 
(Heineke, Fujii, Davidsohn), so dass der Knochen äusserlich 
seine Form bis auf Verkrümmungen und Verbiegungen bewahrte. 
Die pathologischen Frakturen — ich ziehe diese Bezeichnung mit 
Grunert der üblichen „Spontanfraktur“ vor — bilden im deut¬ 
lichen Gegensatz zur Paget’schen Form ein geradezu pathognomo- 
nisches Symptom. In wenigen Fällen blieben sie aus (Wrede, 
Burchard. Hartmann, Virchow), in vielen anderen traten sie 
gehäuft auf. Da in fast allen Fällen ein „physiologisches“ Trauma 
genügte, erweisen sie sich einwandsfrei als pathologische Frakturen. 
Die Rolle des Traumas für die Entstehung und den Verlauf der 
Krankheit muss im Kapitel über die Aetiologie ausführlich be¬ 
sprochen werden. Aus der Darstellung geht jedoch bereits hervor, 
dass ich in Uebereinstimmung mit den meisten Autoren dem Trauma 
eine sekundäre Rolle für das Zustandekommen der Krankheit, 
sicherlich aber der Frakturen beimesse, das „physiologische“ 
Trauma trifft einen bereits kranken Knochen und führt deshalb zur 
„pathologischen“ Fraktur. Die zeitliche Folge, in der Auf¬ 
treibungen, Verbiegungen und Frakturen in die Erscheinung treten, 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


55 


ist verschieden und ermöglicht dem Krankheitsbild dadurch gewisse 
Variationen. Ferner ist besonders zu betonen, dass relativ häufig 
eine periodische Verschlimmerung und ein Stillstand beobachtet 
wurde (z. B. Gaugele). Dieser schubweise Verlauf ist bis zu 
einem gewissen Grade charakteristisch und verlangt bei der Be¬ 
urteilung vermeintlicher therapeutischer Erfolge besondere Berück¬ 
sichtigung (s. Schroth). Dass weder das Fehlen der Auftreibungen 
(z. B. Fujii) noch der Frakturen (z. B. Virchow) oder sogar beider 
die sichere Zugehörigkeit eines Krankheitsfalles zur v. Reckling- 
hausen’schen Knochenkrankheit ausschliesst, bedarf vor allem im 
Hinblick auf das später zu beschreibende histopathologische Sub¬ 
strat kaum der Erwähnung. Auch bei dem Knochenechinococcus 
kann die nach v. Bergmann pathognomonische, pathologische 
Fraktur fehlen (Ritter, Reich, Kaufmann). 

Diese oft das klinische Bild so durchaus beherrschenden und 
sinnfälligen Veränderungen sind trotzdem nur Folgeerscheinungen 
und sekundäre Bildungen. 

Das Gleiche gilt von den Gestaltveränderungen am übrigen 
Skelett. Der erweichte raalacische Knochen gibt den auf ihn 
wirkenden mechanischen Kräften nach. Es kommt zur fischwirbel¬ 
artigen Abplattung der Wirbelkörper, zur Kyphose der Brustwirbel¬ 
säule, zur kompensatorischen Lordose im Lendenteil, zur seitlichen 
Kompression des Thorax und Zunahme seines sagittalen Durch¬ 
messers, zu Beckendeformitäten, zu Kartenherz- und ausgesprochener 
Schnabelform. Der hyperostotisch verdickte und schwere Schädel 
(s. später) sinkt vornüber, der Körper sinkt in sich zusammen und 
die Körperlänge wird stark reduziert. Die Arme erscheinen zu 
lang und reichen bis zu den Knien. 

Kurz, in ausgesprochenen Fällen bildet sich das gleiche affen- 
ähnlichc Aussehen heraus, das auch für die hochgradigen Fälle 
von Paget’scher Erkrankung charakteristisch ist und zahlreiche 
Analogien und Aehnlichkeiten bestehen mit der puerperalen Osteo- 
malacie. 

Die für die Ostitis fibrosa charakteristischen circumscripten 
tumorartigen Auftreibungen haben ihren Sitz entweder in den Meta- 
physen oder in der Schaftraitte der Röhrenknochen, während die 
Epiphysen und vor allem die Gelenke gänzlich verschont zu bleiben 
pflegen, v. Recklinghausen hat diese Lokalisation in geistvoller 
Weise zu erklären versucht, indem er darauf hin weist, dass stets 
die Stellen des betreffenden Knochens befallen seien, die mecha¬ 
nischen Beanspruchungen besonders ausgesetzt sind. In Fällen, 
die sich dieser Theorie nicht fügten, wurde betont, dass durch 
dauernde Bettruhe eine Aenderung der statischen Angriffspunkte 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



56 


F. Lotseh, 


Digitized by 


mechanischer Kräfte bewirkt wurde. Für die kurzen und platten 
Knochen, die zum Teil durch die genannte Hypothese nicht ge¬ 
troffen werden, machen v. Recklinghausen und M. ß. Schmidt 
geltend, dass es sich um Skelettteile handelt, die sich durch ober¬ 
flächliche Lage auszeichnen, und die infolgedessen von aussen 
wirkenden mechanischen und auch thermischen Einflüssen besonders 
ausgesetzt sind (Schädeldach, Tibia, Acromion, Spina scapulae). 

Ich bin auf Grund des Literaturstudiums überzeugt, dass die 
mechanische Theorie v. Recklinghausen’s mehr als einen wahren 
Kern enthält, nur darf von ihr nicht erwartet werden, dass sic alle 
Fragen der Lokalisation der Krankheit restlos erklärt (s. später). 
Die Bevorzugung der Metaphysen und der direkten Nachbarschaft 
der Epiphysenknorpel bei jugendlichen Patienten findet sich bei der 
generalisierten Form der Krankheit ebenso wie bei der solitären 
und lässt ihre morphologische Zusammengehörigkeit recht klar er¬ 
kennen. 

Die obere Femurmetaphyse ist bei der einen wie der anderen 
Form weitaus am häufigsten befallen. In weitem Abstand folgen 
die obere Humerus-, untere Femur- und obere Tibiametaphyse. 

In ausgesprochenen Fällen generalisierter Erkrankung finden 
sich so gut wie stets die Knochen des Thoraxskeletts (Wirbel, 
Rippen, Sternum) befallen. 

Auch bei der Altersporose finden wir die deutlichsten Ver¬ 
änderungen an diesen Stellen, so dass uns der Vergleich mit dieser 
„physiologischen“ Malacie wertvolle Anhaltspunkte gibt. Der das 
gesamte Skelett in gleicher Weise treffende, hypothetische Reiz 
führt nur an gewissen Prädilektionsstellen Veränderungen oder doch 
wenigstens erheblich hochgradigere Veränderungen herbei. 

Diese Analogie ist in gewisser Weise auch auf das Schädel¬ 
dach auszudehnen. Bei ausgesprochener seniler Porose finden wir 
die bekannten, oft erheblichen Abflachungen der Scheitelbeine. Die 
Beteiligung der Schädelknochen gehört bei der generalisierten Form 
der Ostitis fibrosa zu dem gewöhnlichen Befund. In einigen autoptisch 
untersuchten Fällen fand sich der Schädel unverändert (Lissauer, 
v. Bramann). Meist ist klinisch nur eine Asymmetrie, ein relatives 
Ueberwiegen des Hirn- über den Gesichtschädel oder auch eine 
Umfangszunahme (unser Fall) nachweisbar, ln anderen Fällen geht 
die Dickenzunahme auch auf den Gesichtsschädel, vor allem auf 
Orbita, Jochbogen und Ober- sowie Unterkieferknochen (Virchow) 
über. Dadurch wird eine Aehnlichkeit, ja völlige Gleichheit mit 
den früher erwähnten Befunden bei der Paget’schen Erkrankungs¬ 
form geschaffen, und ebenso eine Unterscheidung gegen die Fälle 
totaler oder partieller sog. Leontiasis ossea (Virchow, Koch, 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



l'f'bcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


57 


ßoekenheiraer, Boit u. a.) zur Unmöglichkeit. Die Schädel- 
knochcn zeigen stets eine starke Dickenzunahme durch neugebildetes 
spongiöses, häufig kalkarmes Knochengewebe. Tumoren und Cysten 
finden sich selten. Ein besonderes Interesse beanspruchen die Ver¬ 
änderungen der Kieferknochen, vor allem die im Ober- und Unter¬ 
kiefer beobachteten Cysten (Froriep, Virchow, Engel, v. Reck¬ 
linghausen, v. Haberer, Katholicky, Meslay). Diese cystischen 
Bildungen erweisen sich histologisch als einwandfreie fibrös-ostitischc 
Prozesse und gaben schon Virchow (1876) Anlass zu der Fest¬ 
stellung, dass nicht alle Kicfercysten, wie man damals glaubte, 
dentalen Ursprungs sind. 

Die zunehmenden Verbiegungen und besonders die gehäuften 
pathologischen Frakturen machen es verständlich, dass die Kranken 
mit der v. Recklinghausen’schen Knochenkrankheit früher bett¬ 
lägerig und hilflos werden, als z. B. bei der Pagct’schen Form, 
bei der Frakturen erfahrungsgemäss zu den grössten Seltenheiten 
gehören. 

Trotz der hochgradigen Strukturveränderung pflegen die Frak¬ 
turen bei der Ostitis fibrosa auffallend gut zu heilen, wenigstens 
in der ersten Zeit. Die Erklärung für diese Tatsache ist in der 
Intaktheit des Periosts gegeben, auch künstliche Frakturen (Osteo¬ 
tomie) heilen meist fest und knöchern. Oefters wird sogar eine 
üppige Callusbildung (Hartmann) und die lange Persistenz des 
Callus hervorgehoben. 

Das Allgemeinbefinden leidet bei der Hilflosigkeit im vor¬ 
gerückten Krankheitsstadium erklärlicherweise. Die Kompression 
des weichen Thoraxskeletts erschwert die Atmung und die Herz¬ 
tätigkeit. Bronchitiden (auch Pneumonie) und Kreislaufstörungen 
(Oedeme) wurden bei den Sektionen öfters gefunden. Im übrigen 
ist die Veränderung der inneren Organe meist eine sehr gering¬ 
fügige und kontrastiert auffallend mit den hochgradigen Verände¬ 
rungen des Skelettsystems. 

Da es im Wesen der Krankheit begründet liegt, dass der 
Kalkgehalt der Knochen stark abnimmt, so erscheint es erklärlich, 
dass, wie bei den anderen osteomalacischen Prozessen, häufiger 
eine gesteigerte Kalkausscheidung meist als Kalkphosphat im Urin 
(Engel, Meslay u. a.) nachgewiesen wurde, und in einer Reihe 
von Fällen wenigstens bei der Sektion Kalkkonkrementc in den 
Harnwegen gefunden wurden, v. Recklinghausen hat diesen 
Befunden in seinem posthumen Werk besondere Beachtung ge¬ 
schenkt. Die schubweise Verschlimmerung der Krankheit machte 
sich gelegentlich in vermehrter Kalkausscheidung durch den Harn 
deutlich. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



58 


F. Lotseh. 


Digitized by 


In dem von uns mitgeteilten Fall haben Jakoby und Sehroth 
eine Reihe die Kalkbilanz betreffender Stoffwechseluntersuchungen 
angestellt. Aus früherer Zeit seien *or allem die diesbezüglichen 
Untersuchungen Uangendorff’s und Moramsen’s (1877) erwähnt. 
Von Jakoby wurde folgende Kalkbilanz (CaO pro die) ge- 


funden: 

Zufuhr 

Ausfuhr 
durch den Harn 

Ausfuhr 

durch den Darm 

Bilanz 

Yorperiodc . 

. . 1,95 

0,S479 

0.(52 

+ 0,4S21 

Hauptperiode . 

. . 3.65S 

0,55(11 

1,37 

+ 1,7319 

Nach periode 

. . 1,95 

0.5(589 

0.(54 

+ 0,7+11 


Bezüglich der Methodik verweise ich auf die erwähnte Arbeit 
von Jakoby und Sehroth. 

Die Untersuchungen des Blutes haben nennenswerte Ver¬ 
änderungen nicht ergeben. In unserem Falle besteht eine Steigerung 
des Blutdrucks. 

ln den letalen Fällen führte zunehmender Marasmus mit 
Anämie oder eine interkurrente Krankheit bisweilen ganz unvermutet 
zum Exitus, der in den meisten Fällen für die Kranken geradezu 
eine Erlösung von ihrem qualvollen Leiden bedeutete. 

Der Zeitpunkt des Krankheitsbeginnes ist stets nur sehr ungenau 
festzustellen. Nach den ersten in der Festschrift für Virchow 1891 
mitgeteilten Fällen schien cs v. Recklinghausen, als handele es 
sich um eine Erkrankung des späteren Alters, ähnlich der Paget- 
schen Form, die weiteren Beobachtungen zeigten ihm jedoch, dass 
es sich häufiger um Individuen im mittleren Alter handelt, und 
der Beginn der Erkrankung mit grösster Wahrscheinlichkeit meist 
bis in das zweite Lebensjahrzehnt zurückzuverlegcn ist. 

Nach 28 verwertbaren Angaben der aufgeführten Fälle zeigten 
sich die ersten Krankheitserscheinungen 

in den Jahren 1—10 . . . in 5 l-'üllen 

. „ „ 10-20 .... 7 . 

. . „ 20-30 . . . „ 5 „ 

, „ „ 30—40 . . . „ 5 „ 

darüber .... 6 . 

Doch ist bei diesen Zahlen zu bedenken, dass die ersten 
klinisch merklichen Krankheitserscheinungen sicherlich erst geraume 
Zeit, vielleicht oft Jahrzehnte nach dem Beginn des histologisch 
nachweisbaren Krankheitsprozesses offenbar wurden. 

Das Gleiche gilt für die folgenden Zahlen über die Krankheits¬ 
dauer. Ich verwerte nur die zum Exitus gekommenen 19 Fälle, 
die eine Angabe über den Krankheitsbeginn aufweisen, und finde 
abgesehen von den wenig wahrscheinlichen 5 Fällen von nur 
2 jähriger Dauer: 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 






lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


59 


in 2 Fällen 
„ 1 Fall 
„ 2 Fällen 
» 1 Fall 
„ 2 Fällen 
„ 1 Fall 
2 Fällen 

„ 1 Fall (Münckeberg) 
n 1 - (G äugele). 

In 9 weiteren Fällen währte die Krankheit bis zur Beob¬ 
achtung der noch lebenden Befallenen 

in 2 Fällen .... 4 Jahre, 

in je einem Falle . . 7, 9, 10, 11, 13 Jahre, 

in einem Falle. . . 20y 2 Jahre (Klcstadt), 

in unserem gar . . 32 Jahre. 

Es geht aus diesen Tabellen wenigstens soviel hervor, dass 
es sich um ein eminent chronisches Leiden handelt, dessen Beginn 
mit grösster Wahrscheinlichkeit bereits in die Wachstumsperiode, 
wenn nicht gar in die ersten Lebensjahre zurückreicht. Begegnen 
wir doch mehrfach der anamnestischen Angabe, dass der Kranke 
von Jugend auf schwach auf den Beinen war, auch sei bereits an 
dieser Stelle darauf hingewiesen, dass sich öfter die Ostitis fibrosa 
an eine erschöpfende, mit Anämie einhergehende Krankheit an¬ 
schloss (Katholicky und in unserem Fall z. B. als „Nerven¬ 
fieber“ bezeichnet). 

Das weibliche Geschlecht ist, soweit die generalisierte Form 
in Betracht kommt, ungleich häufiger befallen, nämlich in den 
37 Fällen 28 mal, das männliche Geschlecht nur 9 mal, das Ver¬ 
hältnis gestaltet sich demnach wie 3,1 : 1,0. Diese auffallende 
Bevorzugung des weiblichen Geschlechts unterscheidet die v. Reck- 
linghausen’sche Form sichtlich von der Paget’schen und rückt 
sie auch in diesem Punkte näher an die eigentliche Osteomalacie. 

Wie für alle Knochenerkrankungen, bildet auch für die Ostitis 
fibrosa das Röntgenverfahren die diagnostisch souveräne Methode. 
Darüber kann heutigen Tages nicht mehr diskutiert werden. In 
allen Fällen, in denen äusserlich sichtbare Veränderungen an den 
Knochen vorliegen, gibt uns das Röntgenbild immerhin noch ge¬ 
naueren Aufschluss über Art, Lagerung und Ausdehnung des 
Krankheitsprozesses; vor allem aber setzt uns das Verfahren in 
den Stand, ohne äusserlich sichtbare Veränderungen an Stellen, 
die sich nicht einmal durch lokale Druckschmerzhaftigkeit als 
erkrankt verraten, das Vorhandensein von krankhaften Struktur¬ 
verschiebungen, von Abbau und Umbau der Knochensubstanz, von 
Entkalkung, von Schwund jeglichen Knochengewebes im Bereich 


Eine Krankheitsdauer von 4 Jahren 


(i 



„ 11 „ 

„ 13 - 


* 16 . 

„ 24 bzw. 8 Jahren 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 





60 


F. Lot sch, 


Digitized by 


grösserer Strecken mit Sicherheit nachzuweisen. In 16 der auf¬ 
geführten generalisierten Fälle ist ein Röntgenbefund erhoben worden, 
hinzukommen die zahlreichen Erfahrungen mit dem Röntgenverfahren 
bei den solitären Erkrankungen, die in das Gebiet der Ostitis fibrosa 
fallen. C. 13 eck hat wohl als erster den unentbehrlichen Wert der 
Röntgenuntersuchung für die Diagnose der sogenannten solitären 
Knochencyste hervorgehoben. Seine Ansicht stiess nur vorüber¬ 
gehend auf Widerspruch. Genauere Angaben über die Befunde 
finden sich u. a. bei Gaugele, Eckstein, Rumpel. 

Das Röntgenverfahren gestattet uns auch bereits beim Lebenden 
eine genaue systematische Untersuchung des gesamten Skeletts in 
einer Vollständigkeit und Genauigkeit, die nur selten bei Sektionen 
möglich ist. Der Wert des Verfahrens auch für die pathologisch¬ 
anatomischen Institute tritt damit klar zutage. Wenn die Durch¬ 
leuchtung zwar die Aufnahme in keiner Weise zu ersetzen vermag, 
so gestattet doch bereits die Durchleuchtung die Feststellung 
gröberer Veränderungen im Knochensystem. Mit dem sogenannten 
Trochosskop ist die systematische Durchleuchtung des gesamten 
Skeletts in kürzester Zeit möglich. 

Auffällig und zugleich im höchsten Grade typisch ist das 
Unbeteiligtsein des Periosts bei dem noch so hochgradigen Krank¬ 
heitsprozess. Die Knochenstruktur in den spongiosierten Teilen 
zeigt ein wabiges (v. Haberer), watteartiges (Leri und Legros) 
Aussehen, indem die rarelizierte, poröse Längsstrichelung in den 
Röhrenknochen durch kleine helle Inseln unterbrochen wird 
(Grashey). Der Kalkgehalt ist derart verringert, die Knochen 
dadurch derart durchlässig, dass sich in hochgradigen Fällen nur 
mit weichsten Röhren leidlich scharfe Bilder erzielen lassen. Der 
völlige Schwund der Compacta und ihr Ersatz durch kalkarme, 
häufig bis auf wenige Millimeter verdünnte, streckenweise gänzlich 
fehlende Spongiosa ist meist sehr deutlich. An diesen Stellen vor¬ 
geschrittener Erkrankung enthüllt das Röntgenbild oft mit ein¬ 
deutiger Klarheit rundliche, meist scharf begrenzte, bald einheitliche, 
bald durch feinste Septen teilweise getrennte Aufhellungen, die sich 
als völlig frei von Knochensubstanz offenkundig präsentieren. Ob 
es sich im gegebenen Falle um ein Fibrom, Sarkom oder einen 
flüssigkeitsgefüllten Hohlraum handelt, wird in manchen Fällen 
durch die Abstufungen der Lichtdurchlässigkeit erkennbar sein. 
Wichtiger erscheint die Differenzierung von anderen Rarefaktionen 
des Knochens. 

Die akut entzündlichen, ebenso wie die auf Tuberkulose, Syphilis, 
Aktinomykose beruhenden und die seltenen durch Echinococcus be¬ 
dingten Höhlenbildungen zeigen eine meist ausgesprochene Mit- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


61 


beteiligung des Periosts. Die Diaphysentuberkulose ist zudem vor 
allem beim Erwachsenen sehr selten, vielfach wird auch ein 
Sequester erkennbar sein. Bei der diffusen Knochensyphilis, die 
sicherlich häufig zur Verwechselung mit sogenannter circuroscripter 
Paget’scher Erkrankung (Czerny, Lannelongue, Katholicky) 
Veranlassung gegeben hat, handelt es sich um eine ausgesprochene 
Hyperostose durch periostale Knochenwucherung, oft ist unter 
dieser spongiösen callusartigen Wucherungszone noch die alte 
Compacta deutlich kenntlich. 

Die wichtigste differentialdiagnostische Frage bleibt stets die 
Abgrenzung der Ostitis fibrosa mit ihren Folgezuständen gegen 
die Gruppe der centralen Tumoren, insonderheit der myelogenen 
Sarkome. Ich verstehe hierunter nicht die riesenzellenartigen 
Bildungen bei der Ostitis fibrosa, sondern die klinisch malignen 
andersartigen Sarkomformen, die vom Knochenmarkinneren ihren 
Ausgang nehmen. Die Schwierigkeit einer Differenzierung dieser 
beiden Prozesse kommt eigentlich nur bei den Fällen circumscripter 
Ostitis fibrosa in Frage. Beim Sarkom pflegt sich die verdünnte 
Corticalis schliesslich an beiden Enden dachziegelartig abzubiegen 
und nur eine Strecke weit den Tumor zu begrenzen, bei der 
Ostitis fibrosa dagegen findet sich die noch so hochgradig ver¬ 
dünnte Corticalis meist als parallel konturierte Begrenzung erhalten. 
In diesen Fällen sind Irrtümer nicht ganz ausgeschlossen, und es 
muss auch bei der Röntgenuntersuchung dieser Fälle wieder nach- 
drücklichst betont werden, dass nie auf das Röntgenbild allein die 
Diagnose gestützt und gestellt werden sollte. Das gleiche gilt für 
die Abgrenzung gegen das Chondrom, weniger für die corticale 
Form als für die intraossale. Ausser an den Phalangen gehören 
grössere Enchondrome der Röhrenknochen zu den grossen Selten¬ 
heiten. Sie führen zu Verkürzungen und rachitisähnlichen Ver¬ 
krümmungen. Vorzugsweise sind die Metaphysen befallen. Das 
Periost ist unbeteiligt, die Corticalis verdünnt, die Spongiosa im 
Bereich der Knorpelwucherung geschwunden. Der Bezirk erscheint 
deshalb im Röntgenbild scharf gegen die umgebende Spongiosa ab¬ 
gegrenzt (Rumpel). Einige Befunde legen den Gedanken nahe, 
dass bei generalisierter Ostitis fibrosa Enchondrome Vorkommen 
(s. Hand- und Fussskelett unseres Falles). 

Im Verein mit den anderen klinischen Untersuchungsergebnissen 
werden mancherlei differentialdiagnostische Fragen sich von selbst 
erledigen. 

Die Krankheitsdauer macht in vielen Fällen ein myelogenes 
Knochensarkom von vornherein unwahrscheinlich, die Multiplizität, 
die Generalisation der Erkrankung bei der eigentlich v. Reckling- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



62 


F. Lots eh, 


Digitized by 


hausen’schen Krankheit spricht des weiteren dagegen beim Fehlen 
nachweisbarer innerer Metastasen. Ferner auch das in einigen 
Fällen beobachtete spontane Verschwinden von Auftreibungen 
(z. ß. v. Bramann). 

Die Abgrenzung gegen die osteoplastische Carcinose kommt 
nicht in Frage und ist überdies röntgenologisch nicht schwer. 
Bei der Rachitis fehlen röntgenographisch grössere Hohlräume, 
die Epiphysenlinien sind auch bei Erwachsenen oft noch deutlich 
zackig und unregelmässig, während sie bei der Ostitis fibrosa 
meist glatt erscheinen. Im Falle Burchard’s werden die Epi¬ 
physenlinien als zackig besonders hervorgehoben. Die Knochen¬ 
struktur ist trotz aller Deformitäten klar erhalten. Der Nachweis 
wird durch die sonstigen bekannten klinischen Symptome wesentlich 
unterstützt (Auftreten in den ersten Lebensjahren, spätes Laufen¬ 
lernen, Rosenkranz, Genua valga, Tete carree, Zähne usw.). Der 
Nachweis ist weniger dilferentialdiagnostisch als für die Klarstellung 
der Aetiologie von einer gewissen Wichtigkeit (s. später). 

Schwieriger kann die reinliche Scheidung von der eigentlichen 
Osteomalacie sein. Eine ganze Reihe von Autoren haben ihren 
Fällen als Diagnose die Haupt- oder Nebenbezeichnung Osteo¬ 
malacie beigelegt. Die Erweichung des Skeletts ist dabei meist 
eine ausgesprochenere, in hochgradigen Fällen die Verkrümmungen 
und Verbiegungen viel hochgradiger und bizarrer. Eigentliche 
Frakturen sind bei der gummiartig biegsamen Konsistenz der 
Knochen seltener als Infraktionen. Das gilt auch für die als 
Ostitis fracturosa bezeichnete Form der typischen Osteomalacie. 
Die „rheumatischen“ Schmerzen sind gewöhnlich auf das Kreuz 
und den Rücken beschränkt. Der Schädel ist unbeteiligt. Die 
von Rindfleisch als Endausgang bzw. Heilung bei Osteomalacie 
beschriebenen Cystenbildungen, deren Wand von gefässarmem Binde¬ 
gewebe und mit reichlich Pigment gebildet wird, sind nach meiner 
Ansicht der Zugehörigkeit zur Ostitis fibrosa dringend verdächtig. 
Eine wirkliche sogenannte cystische Entartung der Knochen als 
Endausgang sicherer Osteomalacie ist sonst meines Wissens nirgends 
beschrieben. Das Röntgenbild zeigt bei der Osteomalacie eine 
rarefizierte, scharf konturierte Compacta, die Markhöhle bis auf 
einzelne dichtere Streben gleichmässig begrenzt. Die Franzosen 
vergleichen das Strukturbild treffend mit der Fächerzeichnung der 
Schnittfläche einer Tomate. 

v. Recklinghausen hat in seinem nachgelassenen Werke 
den Nachweis versucht, dass die Ostitis fibrosa sich häufig einer 
rachitisch-malacischen Knochenerkrankung gleichsam aufpfropfe. 
Namentlich in der Anamnese der Fälle Engel, v. Bramann, 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Veber generalisierte Ostitis fil>rosa mit Tumoren und Cysten. 


63 


Schoenenberger wird der schädigende Einfluss der Gravidität 
sehr deutlich. Ira Falle Davidsohn war die Aehnlichkeit mit 
der Osteomalacie besonders gross. Nehmen wir hinzu die auf¬ 
fallende Bevorzugung des weiblichen Geschlechts, wenigstens bei 
der generalisierten Form der Ostitis fibrosa, die später zu er¬ 
wähnenden, gleichzeitig beobachteten Störungen im Genitalapparat, 
die mehrfach autoptisch erwiesenen Veränderungen der Ovarien, 
so ist eine nahe und enge Beziehung zur Osteomalacie nicht von 
der Hand zu weisen. Wir können und müssen in manchen Fällen 
von Ostitis fibrosa von einer nachweisbaren, eventuell starken 
osteomalacischen Komponente sprechen. Trotzdem ist die v. Reck- 
linghausen’sche Hypothese für viele Fälle nicht zutreffend und, 
wie ich glaube, auch unnötig. Die Betrachtungen über die Aetiologie 
werden mir Gelegenheit geben, auf diesen Punkt ausführlich zurück¬ 
zukommen. 

Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass auffallend zahl¬ 
reiche Beobachtungen gerade aus jenen Gegenden stammen, in 
denen auch die wahre Osteomalacie heimisch ist. Abgesehen von 
dem reichlichen Material v. Recklinghausen’s aus Strassburg, 
erwähne ich die Fälle Rehn (Frankfurt), Engel (Mainz), 
Langendorff- Mommsen (Freiburg), Fu jii (Basel), Lotsch 
(Niederlande). 

Die senile Osteomalacie ist nach C ursch mann ziemlich häufig. 
Der Verlauf ist sehr chronisch. Ihre Symptome sind Schmerzen 
und Kontrakturen, Lähmungen fehlen, vornehmlich sind Thorax¬ 
skelett und die Femora betroffen. Die Prognose ist gut. Fast 
stets heilt die Krankheit auf Phosphormedikation (Reich, Cursch- 
mann). Der Fall Hart weist einige Aehnlichkeit mit dieser 
Krankheit auf. Hierher gehört wohl auch der Fall, den Latzko 
in der Diskussion zu Katholicky und Kolisko erwähnt. Er 
wurde durch Phosphor geheilt. 

Es bleibt die senile Osteoporose. Sie ist eine ausgesprochene 
Altersveränderung und kommt schon deshalb für die meisten Fälle 
von Ostitis fibrosa nicht in Betracht. Auch bei ihr ist der Schädel 
nie hyperostotisch, höchstens atrophisch (s. früher). Die oberen 
Extremitäten sind meist unbeteiligt. In hochgradigen Fällen kommt 
es zu Dorsalkyphose, Thoraxdeformität und Beinverkrümmung. 
Die Erscheinung des Kranken erinnert dann gelegentlich an die 
geschilderte anthropomorphe Affenhaltung bei Paget und v. Reck¬ 
linghausen. Man hat in solchen Fällen wohl von Pseudo-Paget 
(Pierre Marie) gesprochen. Röntgenographisch fehlt stets die 
Hyperostose, die Knochen erscheinen porosiert, kalkärmcr. 

Die Erkrankung verläuft stets schmerzlos. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



64 


F. Lotsvh, 


Digitized by 


Der tardive Riesenwuchs, die Osteogenesis imperfecta, die 
Akromegalie werden in den Kreis differentialdiagnostischer Er¬ 
wägungen kaum hereingezogen werden. 

Anders steht es mit der Paget’schen Form der Osteitis de- 
formans und der sog. Leontiasis ossea. Gerade die letztgenannte 
Erkrankung des Schädelskeletts hat sich histologisch als einwandfreie 
Ostitis fibrosa erwiesen (Bockenheimer, M. Koch, Boit). Der alte 
Virchow’sche Name sollte deshalb durch die Bezeichnung Ostitis 
librosa hyperostotica cranii et faciei ersetzt werden. Die Hyperostose 
des Schädels, besonders des Hirnschädels, ist ein typischer Befund 
bei der Paget’schen Form der Ostitis deformans, aber auch bei den 
meisten Fällen der v. Recklinghausen’schen Form wurden Schädel¬ 
hyperostosen beobachtet, während tumorartige fibröse und riesenzellen¬ 
haltige Bildungen ebenso wie Cysten relativ seltener gefunden werden. 

Es scheint, dass der knöcherne Schädel in stets der gleichen 
Weise Veränderungen erfährt. Unter Fasermarkbildung wird der 
alte Knochen, vor allem die Tabula externa und interna, abgebaut 
und durch spongiöses Gewebe im Uebermass ersetzt. Die drei 
Schichten sind dann nicht mehr zu unterscheiden. Trotz der oft 
enormen Verdickung bleibt wenigstens bei der v. Recklinghau¬ 
sen’schen Form der Innenraum der Schädelkapsel unbeteiligt, auch 
die Hirnnerven werden an ihren Durchtrittsstellen nicht gedrosselt. 
Diese gleichmässige Beteiligung des Hirnschädels zwingt mehr als 
alles andere zu der Auffassung, dass es sich bei der Paget’schen 
und v. Recklinghausen’schen Knochenkrankheit um die gleiche 
Störung handelt, dass es sich nur um kleine Unterschiede in der 
Krankheitsentwicklung und dem Effekt am Skelett handelt, dass 
es lediglich zwei verschiedene Erscheinungsformen der gleichen 
Störung sind. Diese Auffassung findet ihre notwendige Stütze in 
der Histopathologie der beiden Formen. Indessen mag auch hier 
wieder betont werden, dass es sich lediglich um unser vorläufiges 
morphologisches Einteilungsprinzip handelt, keineswegs aus der 
Formgleichheit und der Aehnlichkeit auf eine gleiche Genese ge¬ 
schlossen werden kann. 

Die typischen Merkmale der Paget’schen Form habe ich ein¬ 
gangs genauer geschildert. In ausgesprochenen Fällen wird eine 
Unterscheidung durch die im Vordergrund des klinischen Bildes 
stehenden, sekundären Skelettveränderungen nicht schwer fallen. 
In Grenzfällen wird eine reinliche Scheidung unmöglich sein. So 
oberflächlich darf die Einteilung nach morphologischen Gesichts¬ 
punkten nicht erfolgen, dass alle Fälle, in denen eine Cyste ge¬ 
funden wurde, der v. Recklinghausen’schen, in denen eine Hyper¬ 
ostose neben Tumoren gefunden wurde, der Paget’schen Form 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


65 


zugezählt werden. Am klarsten liegen diese Schwierigkeiten viel¬ 
leicht in dem von mir nachuntersuchten Skelett des Virchow- 
schen Falles aus dem Jahre 1886 (Fall 26 ). Bei dieser schwanken¬ 
den Grenze müssen wir wohl oder übel nach dem Grundsatz 
verfahren: A potiori fit denominatio. Ohne einen gewissen Zwang 
geht die Einteilung nicht von statten. 

Wissen wir aber, dass die beiden Krankheitsformen in ihrem 
Wesen identisch sind, so wird eine absolute Scheidung nur noch 
rein akademisches Interesse haben. Heber die Röntgenbefunde ist 
eingangs das Nötige gesagt. 

Wir kehren zu der generalisierten Ostitis fibrosa nach v. Reck¬ 
linghausen zurück. Ein bei der Seltenheit der Erkrankung 
durchaus berechtigtes Mittel zur Sicherstellung ist endlich die 
Probeexzision bzw. die Punktion von Flüssigkeit oder eines Ge- 
webszylinders nach Durchbohrung der umhüllenden Knochenschale. 
Analog den günstigen Erfahrungen bei der Hirnchirurgie lässt das 
Punktionsverfahren auch bei den krankhaften Prozessen des 
Knocheninneren vielfach ausreichende Aufschlüsse erhoffen. Die 
gewonnene Flüssigkeit sollte ebenso wie das Gewebe vorläufig 
jedesmal auch bakteriologisch, und zwar sowohl kulturell (anaerob 
und aerob) als durch Tierversuch und auch im Dunkelfeld genau 
untersucht werden. Eine bakterielle Genese ist nur durch mehr¬ 
fache Untersuchungen zu erweisen. So wenig wahrscheinlich sie 
auch erscheinen mag, so verdient diese Anschauung doch eine 
beweiskräftige Widerlegung. Auch Spirillen und Spirochäten müssen 
in den Kreis der Untersuchung mit einbezogen werden. 

Im übrigen bildet bei unserer heutigen Auffassung die histo¬ 
logische Untersuchung den sichersten Schlussstein für die Diagnose. 
Die Probeexzisionen müssen derart gemacht werden, dass neben 
dem erkrankten Teil noch das umgebende normale Gewebe mit 
entnommen wird. Gerade die Uebergangsstellen sind für die histo¬ 
logische Diagnose wichtig. Probeexzisionen, die dieser Forderung 
nicht entsprechen, können völlig wertlos sein (ßookenheimer), 
ja zu völlig falschen Bildern und Schlussfolgerungen Anlass geben, 
zum mindesten ist das Untersuchungsergebnis unvollständig und 
ungenügend (Pfeiffer, Gaugele). 

Der Verlauf ist ein durchaus chronischer, über Jahre und 
Jahrzehnte ausgedehnter. Die Befallenen sterben nicht direkt an 
ihrer Knochenaffektion, wohl aber erliegen sie den sekundären 
Veränderungen. Trotz der eigentlichen Gutartigkeit ist das Leiden 
doch prognostisch als infaust anzusehen. 

Aehnlich wie die erwähnte Cystenbildung bei Osteomalacie 
(Rindfleisch) ist sie auch für die Ostitis fibrosa als ein günstiger 

Archir für kJ in. Chirurgie. Bei. 107. Heft 1. 5 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



66 


F. Lot sch, 


Digitized by 


Ausgang, als eine Art Heilungsvorgang bezeichnet und betrachtet 
worden (v. Recklinghausen). Der hier neu mitgeteilte Fall 
Buick scheint diese Ansicht zu stützen, denn bei der hochgradigen 
Cystenbildung ist der Krankheitsverlauf ein äusserst chronischer, nun¬ 
mehr bereits 32 Jahre bestehender. Dass es sich nur um eine relative 
Heilung handelt, um den unter den gegebenen Verhältnissen günstig¬ 
sten Ausgang, beweist unser Fall gleichfalls, denn die Kranke ist bei 
aller Besserung doch häufig ans Bett gefesselt und stark behindert. 

Die Therapie ist im Grunde genommen machtlos. Die gün¬ 
stigen Resultate, die die operative Entfernung des erkrankten bzw. 
veränderten Markgewebes bei den solitären Formen gezeitigt hat, 
lassen sich nur unvollständig und bedingt auch bei der generali¬ 
sierten Form erhoffen. Trotz unserer Fortschritte in der plasti¬ 
schen Defektdeckung wird die Resektion des lokal erkrankten 
Knochens nur selten in Frage kommen. Bleibt nach Eröffnung 
der Knochenschale auf einer Seite nach Ausräumung des erkrankten 
Markraumes eine noch einigermassen genügende Knochenschale er¬ 
halten, so pflegt in überraschend kurzer Zeit der Hohlraum knöchern 
ausgefüllt zu sein und fest zu heilen. Ebenso wie bei der meist 
erfolgenden knöchernen Heilung der pathologischen Frakturen 
haben wir es bei der Ausfüllung des Hohlraumes mit der unge¬ 
schwächten Knochenbildungsfähigkeit des am Krankheitsprozess 
unbeteiligten Periosts zu tun. v. Mikulicz hat sich in seinen 
Fällen von solitären Knochencysten mehrfach mit anscheinend an¬ 
haltendem Erfolge auf Punktion und Jodoformglycerininjektion be¬ 
schränkt. Das Verfahren hat sich keine Anhänger erworben. 
Gegenwärtig kommen nur die Excochleation oder die Kontinuitäts¬ 
resektion in Frage. Das eingreifendere, letztgenannte Verfahren 
wird in manchen sehr vorgeschrittenen Fällen nicht zu umgehen 
sein, und der Operateur kann sich vor die Notwendigkeit der Re¬ 
sektion gestellt sehen, nachdem sich die Excochleation als un¬ 
durchführbar erwiesen hat. Bei dem grösstenteils metaphysären 
Sitz der Erkrankung in solitären Fällen ist die Schonung des Epi¬ 
physenknorpels und damit die Erhaltung des Längenwachstums 
eine besonders erstrebenswerte Aufgabe. Ob es berechtigt ist, die 
verschiedenen Produkte der Ostitis fibrosa als verschieden gefähr¬ 
lich und schädlich anzusehen und demgemäss verschieden radikal 
zu behandeln, ist praktisch besehen eine ziemlich müssige Frage. 
Ob es sich um Fibrome, um Riesenzellensarkorae oder um Cysten 
handelt, stets wird eine exakte Excochleation das gegebene Ver¬ 
fahren sein. Die klinische Benignität aller dieser Bildungen ist 
durch vielfältige Erfahrung erwiesen. (Näheres im Kapitel über 
die pathologische Anatomie.) 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


67 


Mit dieser symptomatischen Therapie sind die Erfolge bei den 
solitären Erkrankungen wohl deshalb so ausgezeichnete, weil die 
krankheitserzeugende Ursache nicht weiter wirkt und mit der Ent¬ 
fernung des gesetzten Krankheitsherdes eine Heilung erklärlich ist. 
Bei der generalisierten Form mit ihrer schubweisen, periodischen 
Verschlimmerung wirkt indessen die krankheitserregende Ursache 
fort und der Heilung eines Herdes folgt eine neue Erkrankung von 
einem anderen Teile des Skeletts. In vielen Fällen sind die Krank¬ 
heitsherde schon allein durch ihre Zahl und ihren Sitz einer voll¬ 
ständigen operativen Inangriffnahme unzugänglich. Trotzdem können 
in dem einen Falle hochgradige Schmerzen (Rehn), im anderen 
die Lokalisation an besonders ungünstiger Stelle, die wie in unserem 
Fall in der Schaftraitte beider Tibien die Gehfähigkeit schon früh¬ 
zeitig zu untergraben droht, zur Operation einiger Herde zwingen 
oder doch auffordern. Die Heilung erfolgt meist ohne Störung 
knöchern (s. unsern Fall). In manchen Fällen wird man damit 
den berechtigten Zweck verbinden, Material zur histologischen 
Sicherung der Diagnose zu gewinnen. Was abgesehen von dieser 
rein symptomatischen Therapie versucht worden ist, hat wirklichen 
Erfolg nicht gehabt. Das gilt von Phosphor und Arsen ebenso 
wie von Kalksalzen. 

Der Kalkfütterung kann ich bei der Ostitis fibrosa auch 
theoretisch eine Berechtigung nicht zuerkennen. Bei der Rachitis 
ist die Kalksubstitutionstherapie noch verständlich, weil es sich im 
wesentlichen um Kalkarmut des neugebildeten Knochens handelt. 
Bei den malacischen Prozessen des ausgewachsenen Skeletts han¬ 
delt es sich jedoch um eine Entkalkung des vorher kalkhaltigen 
Gewebes und um eine Ausscheidung des gelösten im Blut kreisen¬ 
den Kalkes vornehmlich durch die Nieren. Eine Zufuhr von Kalk 
mit der Nahrung wird entweder eine stärkere Kalksalzkoncentra- 
tion des Blutes und ebenso des Urins bewirken oder unresorbiert 
den Darm passieren; wie aber eine derartige alimentäre Kalkzufuhr 
zu einem Stillstand des krankhaften Knochenentkalkungsprozesses 
führen soll, wie der zugeführte Kalk zum Anbau kalkhaltigen 
Knochengewebes führen soll, ist mir nicht verständlich. Jacoby 
und Schroth haben bei ihren Stoffwechseluntersuchungen bei 
unserer Kranken während und nach der Kalkfütterung eine nennens¬ 
werte Kalkretention feststellen können bei Herabminderung der 
vorher abnorm gesteigerten Kalkausscheidung durch den Harn. 
Die Kalkkoncentration des Blutes wurde nicht bestimmt. Die 
Autoren erklären die geringere Durchlässigkeit der Nieren für Kalk 
als Wirkung des gereichten Calcium lacticum in Analogie zu den 
Arbeiten Chiari und Januschke’s, die durch Calcium lacticum- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



68 


F. Lot sch, 


Digitized by 


Fütterung eine Verminderung der Gefässdurchlässigkeit, eine künst¬ 
liche Dichtung der Gefässwände erzeugten. Das Herabsinken der 
mit dem Harn ausgeschiedenen Kalktagesmenge (CaO pro die) von 
0,8 auf 0,5 ist sicherlich auffallend, nur steht der Beweis aus, 
dass die Anreicherung des Kalkgehaltes im Blut tatsächlich dem 
Knochenprozess zu gute kam. 

Die klinische Beobachtung ergab eine ganz auffällige Besse¬ 
rung, die stellenweise fluktuierende Anschwellung der linken Tibia 
wurde knochenhart, die rechtsseitige Humerusfraktur heilte endlich 
unter Callusproduktion. Die seit langem bettlägerige Kranke lernte 
wieder gehen. 

Indessen liess sich röntgenographisch keine Aenderung in der 
Strahlendurchlässigkeit nachweisen. Ausserdem wird die Beurtei¬ 
lung des Erfolges — worauf die Autoren selbst hinweisen — da¬ 
durch erschwert und beeinträchtigt, dass gleichzeitig eine Röntgen¬ 
bestrahlung der Ovarien angewendet wurde; dass geeignete Pflege, 
geregelte Diät bei der an und für sich periodisch in ihrer Intensi¬ 
tät wechselnden Krankheit erhebliche Besserungen zu erzielen ver¬ 
mag, lehren mehrfache Beobachtungen (s. u. a. den von Schroth 
und mir nacheinander beobachteten Fall), und auch dieser Faktor 
ist bei der Beurteilung des Nutzens der Kalktherapie durchaus zu 
berücksichtigen. Die späteren Ausführungen über die Aetiologie 
werden noch einige Gesichtspunkte für die Therapie ergeben, die 
ich, um Wiederholungen zu vermeiden, später erwähnen will. 

Pathologisch-anatomischer Teil. 

Die noch so aufdringlich sich dem Auge darbietenden viel¬ 
fach hochgradigen Veränderungen des Knochensystems durften nur 
solange zur Grundlage einer morphologischen Einteilung dienen, 
als die feineren, mikroskopisch nachweisbaren Veränderungen un¬ 
bekannt oder doch unerkannt waren. 

Die wesentlichen Aufschlüsse waren auf histo-pathologischem 
Gebiete zu erwarten. Das Bestreben, mikroskopisch alle Fragen 
einer entscheidenden Lösung entgegenzuführen, hat eine den An¬ 
fänger und Studierenden verwirrende Fülle von Lehrmeinungen, 
von Untersuchungsmethoden und als wesentlich und charakteristisch 
gedeuteter Untersuchungsergebnisse gezeitigt. Die 'neueste For¬ 
schung hat sich ein besonderes Verdienst dadurch erworben, dass 
sie viele von den vermeintlich wichtigsten mikroskopischen Ver¬ 
änderungen als Kunstprodukte oder als stets vorhandene Bildungen 
nachwies. Die histologische Knochenpathologie kann eine Verein¬ 
fachung dringend gebrauchen. Die Halisterese, die Gitterfiguren 
v. Recklinghausen’s, die mit solch unendlicher Mühe und be- 


Go^ gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ucbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


6!) 


wunderungswürdigem Scharfsinn als sichtbare Zustandsänderungen 
bei der Kalkberaubung und beim Knochenabbau gesucht und ge¬ 
deutet wurden, haben sich als Trugbilder oder doch als Trug¬ 
schlüsse erwiesen. Auch die Bedeutung der echten perforierenden 
Kanäle v. Volkmann’s für den Knochenabbau hat sich nicht auf¬ 
rechterhalten lassen. Die neueren Untersuchungen über diesen 
Gegenstand verdanken wir vornehmlich Axhausen, der durch 
seine Befunde manche alte Lehren Pommer’s wieder zu Ehren 
brachte. Wie es scheint werden die Untersuchungsergebnisse Ax¬ 
hausen’s immer allgemeiner anerkannt, nach den Ausführungen 
Fujii’s scheint auch Kaufmann-Göttingen sich von ihrer Richtig¬ 
keit überzeugt zu haben. 

W T ir erkennen dadurch nur eine Art des Knochenabbaus durch 
lakunäre Resorption an. Den in den Howship’schen Lakunen der 
Resorptionsflächen zu findenden Knochenmarksriesenzellen muss 
eine osteoklastische Fähigkeit zuerkannt werden. Sie passen sich 
in ihrer Form genau der Lakune an, im Protoplasma wurden 
Kalkeinschlüsse gefunden. 

Die perforierenden Kanäle lassen zwei Formen unterscheiden: 
Die gewöhnlichen perforierenden Kanäle — die falschen nach 
Pommer, die Kanäle B nach Axhausen —, die schon lange als 
lediglich gefässführende Kanäle anerkannt sind, und die sog. wahren 
perforierenden Kanäle (Kanäle A nach Axhausen), die früher als 
wichtige Bildungen beim Knochenabbau angesehen wurden, nach 
den neueren Forschungen (Axhausen) auch lediglich gefäss¬ 
führende Kanäle sind. Histologisch unterscheiden sich die beiden 
Formen sehr leicht. Die wahren perforierenden Kanäle durch¬ 
setzen die Knochenlamellen senkrecht und haben demzufolge eine 
meist zackige Begrenzungslinie, während die falschen Kanäle von 
zusammenhängender Knochenlamelle mit glatter Oberfläche begrenzt 
sind, die beim Eintritt des Kanals in die Knochensubstanz umbiegt. 

Die perforierenden Kanäle treten — wie das schon v. Reck¬ 
linghausen in der Festschrift für Virchow betonte — bei der 
fibrösen Ostitis sehr in den Hintergrund. 

Die Erweiterung Havers’scher Kanäle zu sog. Havers’schen 
Räumen geschieht aller Wahrscheinlichkeit nach gleichfalls durch 
die Tätigkeit von Osteoklasten, wenn wir auch zuweilen in unseren 
Schnitten keine Riesenzellen mehr aufzufinden vermögen. Die 
knöcherne Begrenzung der Havers’schen Räume hat häufig eine 
ausgesprochen lakunäre Kontur und stellt sich als einwandfreie 
Resorptionsfläche dar. 

Dem Knochenabbau auf der einen Seite entspricht vielfach 
ein Anbau auf der gegenüberliegenden. Der Anbau geschieht von 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



70 


F. Lot sch, 


Digitized by 


dem Fasermark aus. In vielen Fällen — so namentlich auch in 
den von mir untersuchten — findet man reichlich wohlausgebildete 
Osteoblasten, die auf lange Strecken die Anbaufläche des Knochen¬ 
randes als lückenlosen Saum begrenzen. Auch mehrere, bis zu 
3 Reihen von Osteoblasen habe ich beobachtet. Nach unseren 
heutigen Kenntnissen sind die Osteoblasten nichts weiter als be¬ 
sonders differenzierte Zellen des Knochenmarkbindegewebes. In 
Analogie zu der sog. Cambiumschicht des Periosts hat man recht 
treffend diesen ßindegewebsmantel der inneren Knochenoberfläche 
als Endost bezeichnet. Es ist das die von Ranvier als Atmo¬ 
sphäre osteogenen Marks bezeichnete Gewebsschicht. Sie trennt 
gleichsam die Knocheninnenfläche vom eigentlichen Markraum, wenn 
auch der Uebergang dieses Fasermantels in das bindegewebige 
Stroma des Knochenmarks ein völlig fliessender ist. 

Keineswegs überall finden sich wohlausgebildete Osteoblasten 
und auch an Stellen, die einen überaus typischen Besatz von 
diesen Knochenbildungszellen aufweisen, zeigt die Anordnung bei 
genauerem Studium nicht eine solche Regel- und Gesetzmässigkeit, 
wie die Betrachtung bei schwacher Vergrösserung vermuten lässt. 
Die ovalen Zellen sind grösser und protoplasmareicher, saftiger 
als die spindligen Zellen des anderen Bindegewebes. Ihr rund¬ 
licher, relativ grosser, bläschenförmiger Kern zeigt eine deutliche 
fädige Struktur, auch das Protoplasma nimmt eine Hämatoxylin- 
färbung an. Zuweilen sitzen diese Zellen mit der Schmalseite dem 
Knochenrand auf, pallisadenartig nebeneinander geordnet erinnern 
sie in ihrer Anordnung durchaus an einen Epithelbesatz. Der Kern 
liegt bald mehr basal, bald mehr in der dem Knochen abgewandten 
Hälfte. Neben und zwischen diesen mit der Schmalseite dem 
Knochen anliegenden Zellen finden sich andere, die mit der Breit¬ 
seite oder ganz willkürlich den Knochen berühren. Bei mehr¬ 
zeiliger Lage dieser Zellen ist die Regellosigkeit der Anordnung 
besonders gross. 

Der von den. Osteoblasten umsäumte Knochen stellt sich 
meist als typischer osteoider Saum, also als neugebildeter, noch 
kalkloser Knochen dar. Nach den heutigen Anschauungen müssen 
wir alle kalklosen Knochenabschnitte als neugebildet ansehen. 

Dass auch Knochenbildung durch direkte Bindegewebsmeta- 
plasie zustande kommt, wird durch viele histologische Bilder sehr 
wahrscheinlich gemacht. Boit bildet erst neuerdings derartige 
Stellen ab. Der Uebergang bzw. Zusammenhang der Bindegewebs¬ 
fasern und sog. Sharpey’schen Fasern, sowie der Reichtum des 
neugebildeteu Knochengewebes an Sharpey’schen Fasern ist längst 
bekannt. Dieser Uebergang der Fasern vom Bindegewebe zum 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


71 


Knochengewebe ist übrigens in gleicher Weise auch bei der pe¬ 
riostalen Knochenbildung vorhanden. Sehr schöne derartige Bilder 
erhielt ich bei Knochenbildung aus verlagertem Periost (sog. Myo¬ 
sitis ossificans). 

Da die Osteoblasten nach unserer heutigen Kenntnis nur be¬ 
sonders differenzierte Zellen des Bindegewebes sind, so ist bei 
überstürzter oder krankhaft gesteigerter Knochenproduktion eine 
Knochenanbildung direkt aus dem Bindegewebe wohl denkbar. 
Andererseits darf nicht vergessen werden, dass das Fehlen von 
sichtbaren Osteoblasten im histologischen Präparat nicht beweist, 
dass auch vordem keine eigentlichen Knochenbildungszellen vor¬ 
handen waren. Ein sichtbares neugebildetes Knochenbälkchen 
kann, ohne dass wir mikroskopisch die besonders differenzierten 
Knochenbildungszellen mehr nachzuweisen vermögen, durch deren 
Tätigkeit entstanden sein. Es besteht hier das gleiche Verhältnis 
wie mit den Osteoklasten, deren Lakunen wir häufig leer finden. 
Wir sehen im Präparat stets ein Zustandsbild, eine bestimmte 
Phase des Gewebslebens, alle Schlüsse über das Nacheinander, 
über den Ablauf und die Gesetzmässigkeit dieses Gewebslebens 
bedürfen besonderer Vorsicht. 

Wenn indessen das Knochenmarkbindegewebe seine Haupt¬ 
tätigkeit, Knochengewebe zu produzieren, ausübt, wird auch das 
Fehlen von Osteoblasten nicht Wunder nehmen. Kennen wir doch 
die Bildung von Knochengewebe aus gewöhnlichem Bindegewebe in 
der Media der Arterien z. B. bei Diabetes. Die Knochenentstehung 
aus Muskelbindegewebe bei der sog. Myositis ossificans scheint mir 
weniger einwandsfrei beweisbar. Dieser fraglos metaplastische 
Knochen in der Media der Arterien beweist gleichzeitig die innere 
Zusammengehörigkeit von Knochen- und Knochenmarkgewebe, denn 
in den Maschen des spongiösen Knochens findet sich fern von allem 
Mutterboden richtiges Knochenmark. 

Der neugebildete Knochen zeigt häufig den sog. geflechtartigen 
Bau. Die relativ grossen und zahlreichen Knochenkörperchen liegen 
regellos in der meist unverkalkten Grundsubstanz. Mehrfach sind 
die Knochenzellen noch sehr gross und Protoplasma sowie Kern 
tinktoriell noch gut unterscheidbar, die Knochenhöhle entsprechend 
gross, glattwandig, ohne nachweisbare Ausläufer und Zacken. Nimmt 
man hinzu, dass die kapselartigen Knochenhöhlen stellenweise sehr 
dicht liegen und sich fast berühren, so erhellt die grosse Aehn- 
lichkeit mit Knorpelgewebe (Knochenknorpel, Knorpelknochen). Ich 
glaube einige Unstimmigkeiten der in der Literatur niedergelegten 
histologischen Befunde erklären sich aus dieser Aehnlichkeit. Aus 
dem Gesagten geht hervor, dass das eigentliche Knochengewebe 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



72 


F. Lot sch. 


Digitized by 


wie bei allen anderen physiologischen wie pathologischen Prozessen 
eine absolut passive Rolle spielt. Es wird an- und abgebaut; so 
sehr auch das makroskopische und vielleicht auch das mikro¬ 
skopische Bild von dem Zustand des eigentlichen Knochengewebes 
beherrscht wird, stets ist es nur der Ausdruck der Tätigkeit des 
aktiven Anteils des Knochengewebes, des osteogenen Gewebes, d. h. 
des Periosts und des Knochenmarks. Trotz der anscheinend sehr 
engen Beziehungen zwischen der Cambiumschicht des Periosts und 
der osteogenen Schicht des Marks hat sich in allen untersuchten 
Fällen von Ostitis fibrosa die seltsame Tatsache ergeben, dass das 
Periost völlig oder doch so gut wie unbeteiligt ist. Auf dieser 
Intaktheit und diesem Unbeteiligtsein des Periosts beruht nach¬ 
weislich zum weitaus grössten Teil die Möglichkeit einer Behand¬ 
lung, die zu Besserung oder gar Heilung führt. Wenn wir nach 
Excochleation eines circumscripten fibrös-ostitischen Herdes den 
Defekt mit Knochengewebe sich füllen und den betreffenden 
Knochen wieder tragfähig werden sehen, so ist dieser Heilungs¬ 
vorgang wesentlich durch die produktive Tätigkeit des Periosts zu 
erklären. 

Als pathologisches Substrat für die Ostitis fibrosa und in gleicher 
Weise für die ganze Gruppe der rachitisch-osteomalacischen Krank¬ 
heitsprozesse kommt deshalb vornehmlich das Knochenmark in Be¬ 
tracht. Das Studium der hier sicht- und nachweisbaren Verände¬ 
rungen versprach den bestmöglichen Aufschluss über das eigent¬ 
liche Wesen der Erkrankung. 

Am Knochenmark lässt sich in Analogie zu anderen parenchy¬ 
matösen Organen ein bindegewebiges Stroma und als Parench\ T m 
das eigentliche Knochenmark unterscheiden. Ich will diesen par¬ 
enchymatösen Anteil im folgenden als hämatopoetische Komponente 
bezeichnen. Diese hämatopoetische Komponente des Knochenmarks 
stellt entschieden die höchst differenzierte Zell form dar und lässt 
darum den Vergleich mit dem Parenchym anderer Organe zu. Sie 
besteht aus lose in den Maschen des Stromas gelegenen Zellen, 
ich nenne vor allem die eigentlichen Markzellen-Myelocyten, die 
fertigen weissen Blutelemente, die Vorstufen der roten Blut¬ 
körperchen, endlich die sog. Megakaryocyten. Die Knochenmarks¬ 
riesenzellen = Myeloplaxen nehmen eine Sonderstellung insofern ein, 
als sie nach den Untersuchungen von Wright und Schridde als 
die Bildungsstätten der Blutplättchen angesehen werden müssen, 
zum anderen bei dem Knochenabbau die wesentlichste, wahrschein¬ 
lich sogar die alleinige Rolle spielen. Sie liegen meist zwischen 
den Bindegewebsfasern des Stromas. Ein morphologischer Unter¬ 
schied besteht meines Wissens zwischen den Blutplättchen er- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


73 


zeugenden Myeloplaxen und den sog. Osteoklasten nicht. Auf den 
Bau dieser Riesenzellen komme ich später noch ausführlich zurück. 

Im normalen Knochenmark tritt das Stroma stark in den 
Hintergrund. Es bildet lediglich dünne Septen, in denen die zahl¬ 
reichen Gefässe und das ausgedehnte Capillarnetz verlaufen. Nur 
in der nächsten Umgebung der Knochenspongiosa und in ihren 
engen Maschen findet sich bereits normalerweise etwas reichlicheres 
Bindegewebe. Da das Knochengewebe trotz aller scheinbaren Starr¬ 
heit ein lebendes Gewebe bleibt und auch unter physiologischen 
Verhältnissen einem dauernden An- und Abbau, einem ständigen 
Umbau unterliegt, so ist eine stärkere Anhäufung des osteogenen 
Bindegewebes in seiner nächsten Umgebung durchaus erklärlich. 

Die hämatopoetische Komponente des Knochenmarks wird in 
dem Schaft der Röhrenknochen bei gesunden Erwachsenen nicht mehr 
gefunden. Sie ist geschwunden und ihr Platz von Fettzellen als 
ausgesprochenem Füllmaterial eingenommen. Ob diese Fettzellen 
aus Stromazellen abzuleiten sind oder nicht, kann für unsere Dar¬ 
stellung ausser Betracht bleiben. Dass in Zuständen hochgradiger 
Kachexie dieses Fettmark zu Gallertmark werden kann, dass dann 
das Fett vom Körper benötigt und durch seröse Flüssigkeit ersetzt 
wird, sei hier nur beiläufig erwähnt. Die innige Zusammengehörig¬ 
keit der hämatopoetischen Komponente und des osteogenen Binde¬ 
gewebes erhellt aus der Tatsache, dass bei Zuständen, die eine 
stärkere Neubildung von Blutelementen erheischen, sich das Fett¬ 
mark wieder durch sog. hämatopoctisches Knochenmark ersetzt 
findet. 

Bei allen krankhaften Störungen des Knochenumbaues, vor 
allem bei jenen, die mit einer gesteigerten Anbautätigkeit einher¬ 
gehen, werden wir mit Recht eine Vermehrung des osteogenen Ge¬ 
webes erwarten. 

Tatsächlich besteht diese Erwartung zu Recht und die krank¬ 
haft gestörten Vorgänge des Knochenan- und Abbaus erhalten da¬ 
durch eine erstaunliche Gleichartigkeit. Stets handelt es sich um 
eine Störung des Gewebsgleichgewichts, die letzten Endes ihren 
morphologisch sichtbaren Ausgang von dem vermehrten osteogenen 
Gewebe nimmt. Daher die Berechtigung, zusammenfassend von 
einer rachitisch-raalacischen Erkrankung zu sprechen und die einzelnen 
durch krankhaft gestörten Knochenumbau charakterisierten Krank¬ 
heitsbilder als verschiedene Arten dieser rachitisch-malacischen Er¬ 
krankung anzusehen. Es ist das die Konsequenz des rein morpho¬ 
logischen und zwar histopathologischen Einteilungsprinzips, das bei 
der ungeklärten Aetiologie das einzig mögliche erscheint. Wird es 
einst gelingen, diese Krankheiten des rachitisch-malacischen Formen- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



74 


F. Lutsch, 


Digitized by 


kreises genetisch zu erklären, so tritt die Einteilung nach der 
Aetiologie an die Stelle der Morphologie, und es kann geschehen, 
dass sich genetisch durchaus heterogene Krankheiten hier vorläufig 
vereinigt fanden. 

Die grosse Verschiedenheit in der Intensität des krankhaft ge¬ 
störten Knochenumbaues, bei dem bald der Anbau, bald der Abbau 
überwiegt, führt zu makroskopisch sehr differenten Veränderungen 
der Knochen, zu Verdünnung und Erweichung mit bizarren Ver¬ 
biegungen (Osteomalacie), zu unförmigen Verdickungen (Ostitis 
deformans Paget), zu mehr circumscripten Verdickungen und Er¬ 
weichungen mit Verbiegungen, Infraktionen. Frakturen (Rachitis, 
Ostitis fibrosa v. Recklinghausen), auch zu gesteigertem Längen¬ 
wachstum. 

Alle Bildungen, die in ihrer Vielgestaltigkeit dem histologischen 
Bilde ein oft verwirrendes und fast rätselhaftes Aussehen verleihen, 
stehen, wie wir in erweitertem Sinne mit Virchow’s Worten 
(Akademierede) sagen können, „stets innerhalb der typischen Ge- 
websformen, aus denen sich der Knochen entwickelt“. Das gilt 
für die Bildung des lamellüsen und geflechtartigen Knochens, von 
verkalktem und unverkalktem Knochengewebe, von wirklich neu¬ 
gebildetem Knorpel, von granulationsartigem und faserigem Mark¬ 
gewebe, von den tumorartigen Proliferationen des Fasermarks, den 
Markfibromen, den riesenzellensarkomartigen Herden und Tumoren, 
sowie endlich den regressiven Prozessen innerhalb der Tumoren, 
den Erweichungscysten. 

Der Zellgchalt des Fasermarks ist ein sehr wechselnder. Den 
Stamm bilden Spindelzellen, bald schlank und schmal mit schmächtigem 
Zelleinbau und Kern, bald grösser, saftiger, jugendlicher mit reich¬ 
licherem Protoplasma und mehr bläschenförmigem, ovalem Kern. 
Während die letztere Zellart meist wenig oder gar keine Inter¬ 
cellularsubstanz und Fibrillen enthält und die dicht gedrängten 
Zellen das histologische Bild des Spindelzelien-Sarkomgewebes dar¬ 
bieten, finden sich die kleineren Spindelzellen in zcllärmeren, oft 
direkt fibrös und zellarmen Stellen und fassen feinere und dickere 
Fibrillen zwischen sich. Bisweilen — besonders an den später zu 
besprechenden Wänden grösserer und älterer Cysten — treten die 
Zellen an Zahl und Grösse gegen die dicken balkenartigen, häufig 
koncentrischen Lagen der Intercellularfibrillen gänzlich in den Hinter¬ 
grund. Stellenweise ist das Bindegewebe anscheinend durch seröse 
Durchtränkung stark aufgelockert, die Fasern und Zellen durch an¬ 
scheinend leere Lücken und Maschen getrennt. Die spindeligen 
Zellen erscheinen besonders klein, sternförmig, mit langen, feinen 
Ausläufern. Das Gewebe erhält ganz den Charakter des Myxom- 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


75 


gewebes. Neben diesen kleineren Maschen und Hohlräumen ver¬ 
leihen grössere Lücken dem Fasermark einen leicht alveolären 
Bau. Das Gewebe erinnert in diesem Zustande, wie v. Reck¬ 
linghausen (Festschrift) betont, an die Struktur der Pia- und der 
Arachnoidealzotten. Bei höheren Graden von Hohlraumbildung 
schwinden die Balken des Fasermarks, werden ebenso wie die 
Zellen undeutlicher, wahrscheinlich verflüssigt und es entstehen in¬ 
mitten des Bindegewebes cystische Hohlräume. 

Die als normaler Bestandteil des Knochenmarks anzusehenden 
Riesenzellen treten stellenweise gehäuft auf. Ueber ihre Herkunft 
wissen wir nichts Sicheres. Vielfach sah ich sie, ebenso wie viele 
andere Untersucher, in eigentümlich naher und häufiger räumlicher 
Beziehung zu blutgefüllten Räumen, sei es erweiterten Capillaren 
oder Extravasaten. Ich vermeide es, daraus bindende Schlüsse 
über ihre Genese aus Capillarendothelien zu ziehen (s. Ritter). 
Zuweilen sieht man die Riesenzellen zu ganzen Nestern vereint 
gleichsam einen Stollen in das Knochengewebe treiben, an anderen 
Stellen liegen sie einzeln oder dichter aneinandergereiht in den zu¬ 
gehörigen Lakunen einer Knochenresorptionsfläche. Doch gibt cs, 
worauf bereits oben hingewiesen wurde, auch zahlreiche deutliche 
Lakunen ohne sichtbare Riesenzellen. Während unter normalen 
Verhältnissen die Osteoklasten nach Abschluss ihres Zerstörungs¬ 
werks wieder verschwinden, wobei es fraglich erscheint, ob sie zu¬ 
grunde gehen oder sich in andere Zellformen umwandeln, bleiben 
sie bei der Ostitis fibrosa an einigen Stellen bestehen. Sie sind 
hier ein durchaus integrierender Bestandteil des Gewebes, keines¬ 
wegs eine mehr zufällige Beimischung, wie Lubarsch sagt. Fast 
stets sind es die spindelzellreichen Gewebsstrecken, in denen sie 
oft in grossen Massen aufzufinden sind. Das Gewebe erhält da¬ 
durch durchaus das Gepräge des Riesenzellensarkoms. Alle Forscher, 
darunter Virchow, v. Recklinghausen, haben eine histologische 
Unterscheidung zwischen diesen Bildungen und Riesenzellensarkomen 
nicht zu treffen vermocht. 

Neuerdings hat Lubarsch gelegentlich der Untersuchung des 
Gaugele’schen Falles (1906) histologische Unterscheidungsmerk¬ 
male mitgeteilt. Der alte Streit dreht sich bei diesen riesenzellen¬ 
sarkomartigen Bildungen im Verlauf einer Ostitis fibrosa um die 
Frage, sind diese Gebilde richtige Tumoren oder tumorartige ent¬ 
zündliche Wucherungen. Für die letztere Auffassung war nament¬ 
lich Rehn (1904) auf Grund der Beobachtungsergebnisse seines 
Falles eingetreten, die andere Ansicht, es handle sich um wahre 
Riesenzellensarkome, vertrat namentlich v. Hab er er. „Nun könnte 
man freilich einwenden — ich citiere Lubarsch’s eigene Worte —, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



76 


F. Lotseh, 


Digitized by 


dass es sich in gewisser Hinsicht hier nur um einen Streit um 
Worte handelt; denn wodurch sich eigentlich ein echtes Blastom 
von einer entzündlichen Neubildung dem Wesen nach unterscheidet, 
vermöchte auch heute noch kein Mensch mit Sicherheit zu sagen. 
In morphologischer Hinsicht handle cs sich eben um ein Riesen¬ 
zellensarkom und da gerade für diese Form der Sarkome weder 
destruierendes Wachstum noch Metastasenbildung und Recidivierung 
in biologischer Hinsicht charakteristisch wären, müsse man diese 
Bildungen zum mindesten nach ihrem histologischen Charakter als 
Sarkome bezeichnen. Aber auch das trifft nicht zu, denn es be¬ 
stehen selbst gegenüber dem Riesenzellensarkom, welches 
das gutartigste aller ist und auch mit den hier in Rede stehenden 
Bildungen die grösste histologische Aehnlichkeit hat, der Epulis 
noch erhebliche histologische Unterschiede.“ 

Bevor ich auf die von Lu barsch genannten histologischen 
Unterscheidungsmerkmale eingehe, müssen wir noch über die Ver¬ 
teilung der Blutgefässe und deren Verhalten bei der Markfibrose 
sprechen, da die Neigung zu Blutungen und der daraus resultierende 
Reichtum an Blutpigment den Gewebsbildungen der Markfibrose, 
insonderheit den riesenzellensarkomartigen Bildungen ein charakte¬ 
ristisches Gepräge verleiht. 

Schon das normale Knochenmark besitzt einen gewaltigen 
Reichtum an Blutgefässen. Die Verteilung der intraossalen Blut¬ 
gefässe, deren Kenntnis wir vor allem den schönen Injektionsver¬ 
suchen Lexer’s verdanken, zeigt neben der Eintrittsstelle der 
einzigen oder doppelten Art. nutritia in der Diaphysenmitte ein be¬ 
sonderes und reichliches Gefässnetz an der Epiphysengrenze wenigstens 
beim jugendlichen Knochen. 

Die Capillaren bilden ein dichtes Netz von relativ weitkalibrigen, 
lediglich von Endothel begrenzten Blutleitern. Ebenso dünnwandig 
sind die kleineren Venen des Knochenmarks, eine eigentliche Wand¬ 
struktur mit Muskel- und elastischen Fasern findet sich erst bei 
grösseren Venenstämmen. Bei der relativen Enge der zuführenden 
Arterien muss es innerhalb des Knochenmarks zu erheblicher Strom¬ 
verlangsamung im Gebiet der Capillaren und Venen kommen. Tat¬ 
sächlich findet man diese Gefässe meist strotzend mit Blut gefüllt, 
bisweilen ist auch eine Randzone weisser Blutelemente als sicht¬ 
barer Ausdruck der Blutstromverlangsamung nachweisbar. 

Auch bei der Markfibrose findet sich ein auffallender Reich¬ 
tum von Gefässen, namentlich vermehrte und erweiterte Capillaren. 
sowie dünnwandigste Venen. Der Gefässgehalt wechselt zwar in 
ziemlich erheblichen Grenzen. In den ganz fibrösen Stellen lällt 
bisweilen geradezu eine Gefässarmut auf, das Gleiche gilt von den 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



l’ebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


77 


myxomatös veränderten Stellen, doch haben wir es hier mit nach¬ 
weisbar sekundär veränderten, älteren Gewebsabschnitten zu tun. 
Das junge Faserraark ist sehr gefässreich. Die nur von dünner 
Endothelschicht begrenzten Capillaren finden in dem lockeren Ge¬ 
webe wenig Halt und alle Steigerungen des Blutdrucks werden 
deshalb leicht zu Rupturen der Endothelschicht und zu Extra¬ 
vasaten Anlass geben. Ebenso wie im normalen Knochenmark 
finden auch bei der jungen Markfibrose alle kongestiven Strom¬ 
änderungen in den durch die starre Knochenwand nach aussen ab¬ 
geschlossenen Gefässgebieten des Knocheninnern keinen Raum zu 
schnellem Ausgleich. Tatsächlich sind Blutextravasate und Imbi¬ 
bitionen und Infarcierungen des fibrösen Markgewebes ein häufiger 
und geradezu typischer Befund bei der Ostitis fibrosa. Als sicherer 
Rest solcher Blutungen ist das Pigment anzusehen, das gleichfalls 
ein ständiger und typischer Befund bei der Ostitis fibrosa ist. 
Dieses Pigment erweist sich durch seinen nachweisbaren Gehalt an 
Eisen (positive Eisenreaktion!) als sicherer Abkömmling des Blutes. 
Es tritt in Gestalt von körnigen Massen oder von Schollen in Haufen 
oder auch einzeln im Bindegewebe auf, zum Teil liegt es deutlich 
innerhalb von meist grossen Zellen. In der Umgebung der cystischen 
Hohlräume findet sich häufig eine äusserst pigraentreiche Zwischen¬ 
schicht in der Wand. Ferner sind die riesenzellensarkomartigen 
Stellen auffallend reich an Pigment, so dass diese Stellen schon 
makroskopisch einen braunroten, bisweilen rostbraunen Farbenton 
erhalten. Die gleiche Färbung ist von den myelogenen Riesen¬ 
zellensarkomen der Knochen bekannt und hat diesen Bildungen den 
Namen der braunen Tumoren eingebracht. Diese braunrote Färbung 
ist für die Riesenzellensarkome der Knochen so charakteristisch, 
dass wir Chirurgen schon aus diesem Aussehen bei der Operation 
die sichere Diagnose auf Riesenzellensarkom zu stellen berechtigt 
sind. Histologisch finden sich auch Pigmentkörner innerhalb der 
Riesenzellen. 

Bevor ich mich den cystischen und riesenzellensarkomartigen 
Bildungen zuwende, muss noch einer Gewebsart gedacht werden, 
die häufiger gefunden und besonders bewertet worden ist. Ich 
meine das Knorpelgewebe. Der Lieblingssitz der metaplastisch- 
malacischen Prozesse in den Metaphysen der Röhrenknochen be¬ 
dingt eine nahe räumliche Beziehung zu den Epiphysenknorpeln. 
Krankhafte Störungen in der Nähe des Intermediärknorpels können 
zu Unregelmässigkeiten, zapfen- und zungenförmigen Gebilden und 
zu völligen Abschnürungen Anlass geben. Am besten bekannt 
sind derartige Verschiebungen und Verlagerungen bei der Rachitis. 
In diesem Zusammenhänge wird der Fall Zer'oni’s mehrfach in 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


78 F. Lots eh, 

der Literatur erwähnt. Das abgeschnürte Knorpelstück bleibt an¬ 
scheinend häufig lange Zeit erhalten und kann infolge der vom 
Mutterboden mitverpflanzten Wachsturasenergie Anlass zu tumor¬ 
artiger Proliferation, zu einem Enchondrora geben. Diese Gewächse 
bestehen im wesentlichen aus hyalinem Knorpel, doch findet sich 
in grösseren Enchondromen auch Faserknorpel. Darauf hat Virchow 
in seiner Onkologie bereits hingewiesen. Da Knorpelgewebe be¬ 
kanntlich keine eigenen Gefässe besitzt, bezüglich der Ernährung- 
also ganz auf die Umgebung angewiesen ist, so kann es nicht 
wundernehmen, dass sich im Centrum grösserer Knorpelgeschwülste 
regressive Prozesse, vor allem Kolliquations- und Erweichungs¬ 
cysten einstellen. Unter zunehmender Erweichung mag die centrale 
Cyste sich noch so stark vergrössern, trotzdem wird zum Nachweis 
der Genese des Hohlrauras aus einem Enchondrora der Befund von 
Knorpelgewebe und zwar als direkte Wandbekleidung der Cyste 
erforderlich sein. Die Entstehung des Enchondroms hat anscheinend 
in den 70 er Jahren des vorigen Jahrhunderts das Interesse der 
Pathologen und besonders Virchow r ’s in hohem Masse erregt. Aus 
dem Dezember des Jahres 1875 stammt die berühmte Akademie¬ 
rede Virchow’s: Ueber die Entstehung des Enchondroms und 
seine Beziehungen zu der Ecchondrosis und Exostosis cartilaginea. 
Die in grösseren Enchondromen als sichere Erweichungshöhlen 
nachgewiesenen cvstischen Bildungen versprachen die zu jener Zeit 
sehr unklare Vorstellung von der Entstehung der Knochencysten 
auf eine sichere Basis zu stellen. Abgesehen von den Kiefer¬ 
cysten, die nach Magi tot’s Untersuchungen aus den Jahren 1872 
bis 1878 sämtlich als dentalen Ursprungs angesehen wurden, waren 
Knochencysten nur sehr wenig bekannt. 

Vor allem herrschte Cruveilhier’s Ansicht, der gelehrt hatte, 
die Cysten entständen aus einer Entartung venöser Blutgefässe. 
Ebenso galten erweiterte Lymphgefässe für den Ausgangspunkt 
der Cysten. Diesen Lehren trat Virchow, der eingestandener- 
massen früher selbst die eigentlichen Knochencysten für eine selb¬ 
ständige Bildung hielt, in seiner berühmten Akademierede „Ueber 
die Bildung von Knochencysten“ im Juni 1876 entgegen und sah, 
wie schon eingangs erwähnt, das wichtigste Ergebnis seiner Unter¬ 
suchungen in dem Nachweis, „dass in keinem Falle die Cvsten- 
bildung im Knochen das Primäre und Wesentliche ist, dass viel¬ 
mehr alle Fälle dieser Art als Neubildungsprodukte früher solider Neu¬ 
bildungen anzusehen sind“. Er nannte die Hypothese Cruveilhier’s 
„schwer verständlich“, die Lyraphgefässtheorie „nicht minder will¬ 
kürlich“. Die soliden Primärbildungen, aus denen sich die Kystome 
entwickeln, stehen'nach Virchow wahrscheinlich „stets innerhalb 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



lieber generalisierte Ostitis fibrnsa mit Tumoren und Cysten. 


79 


der typischen Gewebsformen, aus denen sich der Knochen ent¬ 
wickelt, und sie schwanken daher hauptsächlich zwischen chondroma- 
tösen und giganto-sarkomatösen Formen“. Virchow hat, wie aus 
diesem Citat mit voller Deutlichkeit hervorgeht und wie Milner 
in seiner dankenswerten kritischen Arbeit ausführlich zu beweisen 
sucht, keineswegs alle Knochencysten als erweichte Enchondrome 
hinstellen wollen. Die solitäre Humeruscyste, die den Ausgangs¬ 
punkt seiner Untersuchungen bildet, und auf die ich im folgenden 
noch ausführlich zu sprechen komme, fasste er als ein Xeubildungs- 
und ihren Inhalt als Schmelzungsprodukt chondromatöser Knoten 
auf. Neben der primär vorhandenen Knorpelgeschwulst nimmt 
Virchow noch eine Recartilaginescenz des umgebenden Knochen¬ 
gewebes an. Auch die Cysten und Tumoren des Froriep’schen 
Falles glaubt Virchow den Faserknorpelgeschwülsten zurechnen 
zu müssen. 

Trotz der Einwände und Vorbehalte, die der Autor selbst 
äusserte, galt für die Folgezeit die Cystenentstehung aus central 
erweichten Enchondromen geradezu als einzige Entstehungsmöglich¬ 
keit, und diese Theorie wurde auf die Autorität Virchow’s ge¬ 
stützt. Die Ostitis fibrosa war noch unbekannt oder noch nicht 
anerkantn. Man ging so weit, dass man selbst ohne Nachweis 
irgendwelcher Knorpelreste, bei völlig bindegewebiger Wand, von 
Enchondromcysten sprach. So fand Lexer in dem Resektions¬ 
präparat einer grossen, solitären Humeruscyste (14 jähriger Knabe) 
histologisch kein Fasermark noch Osteoid, dagegen in der Meta- 
physenspongiosa hyaline Knorpelinseln, und hielt die Cyste deshalb 
für ein central erweichtes und cystisch degeneriertes Enchondrom. 

Der Befund von Knorpel bei der Ostitis fibrosa ist uns heute 
weniger wunderbar, seitdem wir die Bildung von Knorpelgewcbe 
bei überstürzter Knochenneubildung, z. B. bei der Callusbildung 
(v. Haberer), als häufigen Befund auch entfernt von dem Inter¬ 
mediärknorpel kennen, ln diesem übertragenen Sinne können wir 
auch heute noch von einer Recartilaginescenz des Knochengewebes 
sprechen. Stets handelt cs sich nicht um eine Umwandlung, 
sondern zunächst erfolgt der Abbau des alten Knochengewebes, 
sodann der Anbau von Knorpel oder Osteoid. Versprengte Herde 
von hyalinem oder auch Netzknorpel in der Nähe des Epiphysen¬ 
knorpels werden für uns keine Erklärung für die Bildung einer 
Knochencyste abgeben, deren Wand durchweg aus Bindegewebe 
besteht (v. Recklinghausen). Für die Knorpelbefunde in der 
Diaphysenmitte reicht die Versprengungstheorie ohnehin nicht aus. 
Boström hält die Inseln von hyalinem Knorpel in der Umgebung 
seiner grossen, multilokularen Bcckencyste für Reste der Ursprung- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



80 


F. Lotseh, 


Digitized by 


lieh knorpeligen Anlage des Wirbels, nicht für abgesprengte Teile 
der Zwischenwirbelscheibe. Nach seiner Meinung handelt es sich 
nicht um einen grossen, später erweichten ehondromatösen Tumor, 
sondern um Erweichungscysten, deren erste Entstehung in Knorpel¬ 
resten zu suchen ist. Seine Theorie hat, wie es scheint, keinen 
Anhänger gefunden. 

Die histologische Abgrenzung von Knorpel und gewissen 
Formen von Knorpelknochen stösst gelegentlich auf Schwierig¬ 
keiten. Die Diagnose Faserknorpel ist erstlich für die Enchondrom- 
genese so gut wie gar nicht beweisend, sodann scheint in früherer 
Zeit diese Bezeichnung öfters fälschlicherweise für dickes fibrilläres 
Bindegewebe gebraucht worden zu sein. Liest man Virchow’s 
Schilderung mit besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit durch, 
so fällt auf, wie vorsichtig sich der Autor ausdrückt. Kaum je 
spricht er von Faserknorpel, stets nur von faserknorpeligem Aus¬ 
sehen, von einer Masse, die lebhaft an gewisse Faserknorpel er¬ 
innerte, von faserknorpeliger Beschaffenheit. Dass Virchow selbst 
die Unmöglichkeit, eine grössere Zahl der glattwandigen Knochen¬ 
cysten auf Enchondrorae zurückzuführen, empfand, geht aus seinen 
Worten mit absoluter Deutlichkeit hervor. 

Die erste literarische Erwähnung der cystischen Knochentumoren 
schreibt Froriep dem französischen Chirurgen Dupuytren zu. 
Aus den Aufzeichnungen seiner Vorträge geht hervor, dass die 
damalige Zeit unter der Benennung „Cyste“ alle Bildungen zu¬ 
sammenfasste, die durch eine Kapsel oder einen Balg gegen den 
umgebenden Knochen abgegrenzt waren. Infolgedessen unterschied 
Dupuytren Cysten mit festem und flüssigem Inhalt, auch Nclaton 
legt diese Einteilung zugrunde. Dupuytren spricht in seiner Vor¬ 
lesung über Balggeschwülste in den Knochen unter anderen von 
uterusfibromähnlichen, fibrös-zeiligen, myelogenen Tumoren, die sich 
verflüssigen können. 

Es geht aus den Aufzeichnungen mit Eindeutigkeit hervor, 
dass Dupuytren centrale Fibrome, also solide Geschwülste meint, 
die durch Entartung verflüssigt werden können. Die 7 aufgeführten 
Krankengeschichten sowie 2 erwähnte Präparate betreffen sämtlich 
Kiefercysten. Auch Nelaton sagt von den Cysten mit flüssigem 
Inhalt, dass sie am häufigsten in den Kieferknochen beobachtet 
wurden, zuweilen indessen auch im Schaft von Röhrenknochen. Er 
unterscheidet uni- und multilokuläre Cysten und erinnert an die 
von ihm 1844 beobachtete und in der Societe de Chirurgie demon¬ 
strierte multilokuläre Cyste des linken Oberschenkelknochens, die 
sich von der Trochanterbasis bis fast zu den Condvlen erstreckte 
und aus durchschnittlich walnussgrossen Cysten zusammensetzte. 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



UeDer generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


81 


Die Innenwand der Hohlräume beschreibt Nelaton als glatt, 
glänzend wie eine seröse Haut, so dass eine grosse Aehnlichkeit 
zwischen den Cysten der Knochen und denen der Weichteile ent¬ 
stehe. Unter den „Cysten mit festem Inhalt“ erwähnt Nelaton 
ebenso wie Dupuytren fibröse Tumoren der Knochen, deren weiss¬ 
glänzende, dichte und feste Fasern an die Uterusfibrome erinnerten. 
Danach ist die sog. Knochenbalggeschwulst eine krankhafte Ent¬ 
wicklung eines fibrösen Gewebes im Knochen (Dupuytren). Meist 
bestehen keinerlei Verwachsungen mit der Umgebung; sie sind 
deshalb mühelos zu enucleieren (Nelaton). Durch sorgfältige 
lokale Ausräumung, eventuell mit nachfolgender Kauterisation kann 
das prognostisch nicht ungünstige Leiden radikal geheilt werden 
(Dupuytren). Bestehen, was in seltenen Fällen Vorkommen soll, 
stärkere Verwachsungen mit der Umgebung, so kann die radikale 
operative Entfernung auf Schwierigkeiten stossen. Nach unvoll¬ 
ständiger Entfernung wurden schnelle Lokalrecidive beobachtet 
(Dupuytren); die Möglichkeit einer sekundär krebsigen Entartung 
dieser Tumoren, die Dupuytren noch erwähnt, lehnte bereits 
Nölaton ab. Nelaton macht weiter darauf aufmerksam, dass 
manche derartige Knochenfibrome ihren Hohlraum nicht völlig aus¬ 
füllen, sondern ihn mit einer verschieden grossen Flüssigkeitsmenge 
teilen (Cystofibrome nach v. Recklinghausen). Derartige fibröse 
Tumoren sind auch später, sowohl solitär besonders in den Kiefern, 
als generalisiert z. B. schon in den ersten Fällen v. Reckling- 
hausen’s (Festschrift für Virchow) beschrieben worden. Die 
cystischen Hohlräume liegen stets innerhalb derart bindegewebiger 
Markabschnitte. Eine Grenze zwischen Markfibrose und Markfibrom 
gibt es erklärlicherweise nicht. Die nahe genetische Beziehung 
zwischen dem myelogenen Knochenfibrom und den Cysten ver¬ 
anschaulicht der nachstehend aufgeführte Fall Nagel’s. 

Im 3. Lebensjahre war durch Fall von einem Stuhl eine hohe rechtsseitige 
Obersehenkelfraktur entstanden, die zunächst in 7 Wochen glatt heilte, später ohne 
Schmerzen zu Verkrümmung und Verkürzung des rechten Oberschenkels führte. 

Schlange berichtet aus dem Jahre 1892 folgenden Befund 
bei dem damals 7 jährigen Mädchen: 

Rechtes Femur unterhalb des Trochanters etwas aufgeirirben, stark nach 
vorn und aussen abgeknickt, etwas druckempfindlich. Keine Crepitation noch 
abnorme Beweglichkeit. Hüftgelenk frei. Bei der Operation wurde im oberen 
Drittel des rechten Femurs eine derbe, weissgelbliehe, stellenweise ins Bläu¬ 
liche schimmernde Geschwulst mit fast walnussgrosser centraler Cyste voll 
seröser Flüssigkeit gefunden und excochleiert. Infraktion zwecks Slcllungs- 
korrcktur, Tamponade. Glatte knöcherne Heilung mit geringer Verkürzung. -- 
Mikroskopisch bestand die epithellosc Cystenwand aus streifigem, gcfässlosem 
Bindegewebe mit reichlich Pigment. Das umgehende Gewebe war gefässreich, 
von „fascrknorpeligem Bau" mit zahlreichen Knoehenbälkchcn. 

Archiv ffir kl in. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. 0 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnrri 

UMIVERSITY OF IOWA 



82 


F. Lot sch. 


Digitized by 


In den folgenden Jahren zunehmende Verkürzung des rechten Beins und 
wachsende Schwellung der rechten Hiiftir»*irend. Seit dem 17. Jahre r rheuma- 
tisehe“ Schmerzen und zunehmende Fnsiidierhrit im rechten Bein. Im 23. Jahre 
pathologische Fraktur des rechten Ohrrsehenkels unterhall) einer grossen, deut¬ 
lich abtast hären, harten, leicht knolligen, unempfindlichen Geschwulst im obersten 
Femurdrittel. Starke Atrophie des rechten Beins, IG cm Verkürzung am Femur. 
In diesem Zustande wurde die Patientin in unsere Klinik aufgenommen. Ich 
eitiere die Angaben nach Axhausen (Arbeiten aus dem Gebiete der Knochen¬ 
pathologie und Knochenchirurgie. Dieses Archiv. 1911. Bd. 94. S. 242: 
s. a. Vcrhandl. d. Deutschen Ges. f. Chir. 1912. S. TG u. 77). Das Röntgen¬ 
bild (s. Axhausen, Fig. 1, S. 244) zeigt Hals, Trochanter und oberstes Sohaft- 
viertel des rechten Femurs durch grossen, allseitig gut abgegrenzten Tumor 
schalig aufgetrieben. Der Tumor wurde durch Herrn Geheimrat Hildebrand 
reseziert, der Defekt mit bestem Frfolg durch ein freitransplantiertes Fibula- 
stiiek von entsprechender Lange ersetzt. Glatte Heilung. Nach 4 Jahren (1913) 
reeidivfrei, sehr gute Funktion. — Der resezierte Tumor erwies sich in Bestätigung 
der klinischen Diagnose als derbes Fibrom mit scharfer Begrenzung, ohne Cyste 
(vgl. Abbild, bei Axhausen. Taf. VII, Fig. 1). Histologisch besteht der Tumor 
aus derbfaserigem, zell- und gefässarmem Bindegewebe. An der Grenze gegen 
die umgebenden Spongiosareste grösserer Zellreichtum mit zahlreichen Riesen¬ 
zellen in Howship'srhen Lakunen, schmale osteoide Appositionssäumc in der 
Peripherie (vgl. Abbild, bei Axhausen, Taf. VII, Fig. 2 u. 3). 

In diesem besonders lehrreichen Fall ist ein früher cvsten- 
haltiger fibröser und knorpelartiger Tumor 16 Jahre nach Excoch- 
leation als solides Osteofibrom lokal recidiviert. 

Die Flüssigkeit der Knochenhöhlen wird schon von Dupuy¬ 
tren und Nelaton bald dünnflüssig, bald gallertig (un liquide 
filant) genannt, bald wasserklar, bald getrübt bis zu seröseitriger 
Beschaffenheit, bald farblos, bald blutig gefärbt. 

Durch diese myelogenen Prozesse wurde infolge des zunehmenden 
Wachstumsdruckes der Cvsten bzw. der Fibrome nach Ansicht der 
genannten Autoren (Dupuytren und Nelaton) der Knochen rein 
mechanisch auseinander gedrängt und bis zu einer eindrückbaren 
Lamelle verdünnt. Ich habe schon früher darauf hingewiesen, dass 
Froriep wohl als erster dieser irrtümlichen Anschauung entgegen¬ 
getreten ist und auf die Unmöglichkeit einer rein mechanischen Deh¬ 
nung des umgebenden Knochengewebes aufmerksam gemacht hat. Die 
unklaren Vorstellungen, die zu Froriep’s Zeiten über die Knochen¬ 
cysten herrschten, gehen aus seiner Aufzählung der damals bekannten 
Formen von „Knochenhydatiden“ hervor. Er unterscheidet: 

1. Einfache Wasserbälge, aus einer einzigen innen glatten 
Haut bestehend, 

2. Acephalocystcn, bei denen in einer fibrösen Hülle eine 
die Höhle ganz ausfüllende Wasserblase sich befindet, die 
mit dem Balge, welchen sie vollkommen ausfüllt, nicht 
in unmittelbarer Verbindung steht und daher als selb¬ 
ständig lebende Accphalocyste betrachtet wird, 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



l’pbor generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


83 


3. Ilydatidengeschwülste mit Tochterblasen, von denen es 
nach den vorliegenden Beobachtungen nicht klar ist, 
ob sie als Acephalocysten oder Echinococci zu be¬ 
trachten sind. 

Ira wesentlichen dachte man danach in jener Zeit (Ausgang 
der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts) nur an parasitäre Cysten, 
von den nicht parasitären hatte man erst ganz schüchterne und 
ungeklärte Vorstellungen. Zwei englische Autoren (Stanley und 
Holmes), die Virchow citiert, leugneten noch 1849 bzw. gar 
1870 überhaupt die Existenz wirklicher Knochencysten und fassen 
derartige Beobachtungen entweder als Echinokokken oder alte 
Abscesse auf. 

Von einer einheitlichen Genese der sog. Knochencysten kann 
keine Rede sein. Wirkliche Cysten im strengen Sinne Waldeyer’s, 
also epithel- oder endotheltragende Hohlräume, sind im Knochen 
äusserst selten und beschränken sich auf einerseits teratoide und 
metastatische Adenombildungen (Strumametastasen), bzw. Tumoren 
aus verirrten Epithelkeimen, andererseits auf Gefässektasien, Häm- 
und Lymphangiome. Die Cysten bleiben meist von mikroskopischer 
Kleinheit und scheiden darum aus unserer Betrachtung von vorn¬ 
herein aus. Alle anderen Hohlraumbildungen sind im strengen 
Wortsinn keine wahren, sondern sog. falsche Cysten. Lubarsch 
und Gäugele haben vorgeschlagen, die Bezeichnung „Cysten“ für 
diese Bildung abzuschaffen und dafür von Knochenhöhlen zu 
sprechen. Der Name ist zu sehr eingebürgert, als dass derartige 
Sprachreinigungsversuche auf Erfolg rechnen können. Wir wissen, 
dass wir unter den Knochencysten fast durchweg falsche Cysten 
zusammenfassen. Wir unterscheiden ferner parasitäre und nicht 
parasitäre Cysten. Die parasitären Bildungen werden durch den 
Echinococcus und in äusserst seltenen Fällen durch Cysticercus 
cellulosae hervorgerufen. Der ganze ilüssigkeitsgefüllte Sack ist 
eine körperfremde Bildung und nur die Aehnlichkeit der äusseren 
Erscheinung bedingt die Erwähnung dieser parasitären Bildungen 
unter den Knochencysten. Die mikroskopische Diagnose ist wohl 
immer leicht und eindeutig. 

Es bleiben die nicht parasitären falschen Cysten der Knochen. 
Soweit wir über die Genese unterrichtet sind, dient sie als Ein¬ 
teilungsprinzip. Wir unterscheiden: 

a) Erweichungscysten echter intraossaler Tumoren (pri¬ 
märer Enchondrome, Sarkome). 

b) Höhlenbildung durch infektiöse Knocheneinschmel¬ 
zung — Knochenabscess — durch metastatische Osteomyelitis 
(besonders häufig Staphylokokken, Streptokokken und Typhus- 

o* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



84 


F. Lol sch, 


Digitized by 


bacillen). Wir wissen aus Erfahrung, dass derartige Knochen- 
abscesse Jahrzehnte lang latent bleiben können. Ich habe über 
derartige Fälle aus unserer Klinik ganz neuerdings in den Charite- 
Annalen 1913 berichtet. Bei derart langer Dauer und bei ent¬ 
sprechend geringer Virulenz der Eitererreger kann der Abscess- 
inhalt seinen eitrigen Charakter einbüssen und zu einer eiweiss¬ 
reichen, fast klaren Flüssigkeit werden. Die Osteomyelitis 
albuminosa wird heutzutage allgemein in diesem Sinne gedeutet 
(Schlange, Kocher und Tavel). Die Wand dieser Knochen¬ 
höhlen kann aus derbem Bindegewebe bestehen und in der Um¬ 
gebung jegliche entzündliche Erscheinung fehlen. 

c) Bildung von Höhlen bei Störungen des Gewebs- 
gleichgewichts im Knochen. Hierzu rechne ich die Höhlen¬ 
bildungen bei Arthritis deformans (Ziegler), bei Rachitis (Beck), 
bei Barlow’scher Krankheit (E. Fraenkel), bei Osteomalacie 
(Rindfleisch), bei seniler Osteoporose (Braun), bei der sog. 
Ostitis fibrosa (v. Recklinghausen), sowie im Callus (Frangen¬ 
heim). 

Diese zahlreichen Entstehungsmöglichkeiten wirken auf den 
ersten Blick verwirrend und zeigen gleichzeitig an, dass das 
Knochengewebe bei Störungen seines Gewebsgleichgewichts sehr 
zu Hohlraumbildungen neigt. Geht Knochen- bzw. Markgewebe 
ohne Ersatz durch anderes Gewebe zu Grunde, so können infolge 
der Starrheit des umgebenden Knochengewebes die Wandungen des 
Defekts nicht kollabieren, er füllt sich deshalb mit seröser Flüssig¬ 
keit. Beneke hat in geistvoller Weise auf die Aehnlichkeit mit 
den Hirncvsten aufmerksam gemacht und seine Theorie der 
traumatischen Entstehung der Cysten (s. später) dadurch zu stützen 
gesucht. 

Bei der grossen Zahl der genetisch verschiedenen Hohlraum¬ 
bildungen betont Tietze mit Recht, es sei fast leichter zu sagen, 
was eine sog. eigentliche, durch Ostitis fibrosa entstandene Knochen¬ 
cyste nicht ist, als eine prägnante Definition zu geben. Bei 
näherer Betrachtung vereinfachen sich diese Schwierigkeiten recht 
wesentlich. 

Was zunächst die Höhlenbildungen bei Störungen des Gewebs¬ 
gleichgewichts im Knochen betrifft, so handelt es sich bei der 
Rachitis, der Arthritis deformans, der senilen Osteoporose stets 
um ganz kleine Hohlräume, das Gleiche gilt für die Calluscysten, 
die ohnehin zu Verwechslungen kaum Veranlassung geben werden. 
Die von Rindfleisch erwähnten ausgedehnten Cystenbildungen bei 
Osteomalacie scheinen mir, wie ich bereits früher erwähnte, der 
Zugehörigkeit zur Ostitis fibrosa dringend verdächtig. Die Cysten- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


85 


bildung bei der Möller-Barlow’schen Krankheit ist nach unseren 
heutigen Kenntnissen eine grosse Seltenheit. Der Fall Fraenkel’s 
ist darum nicht weniger interessant,-doch wird vorläufig die Möller- 
Barlow’sche Krankheit nicht wesentlich bei der Differentialdiagnose 
mitzusprechen haben. 

Die unter a und b aufgeführten Hohlraumbildungen werden 
im Sprachgebrauch kaum als Cysten bezeichnet, sollten es wenig¬ 
stens nicht. Die Erweichungshöhlen solider Tumoren haben meist 
keine glatte Innenfläche und keine derbe, dicke, fast lederartige 
Wand (Virchow). Einen besonders ausgeprägten Fall von Platten¬ 
epithelkrebs des Oesophagus mit grossen Erweichungshöhlen in den 
multiplen Knochenraetastasen hat 1906 Tscherniakowsky unter 
Kaufmann’s Leitung beschrieben. Die eiterhaltigen oder serös¬ 
gewordenen Knochenabscesse werden nicht oder nur in ganz be¬ 
stimmten Ausnahmefällen „Cysten“ genannt. Von den epithel¬ 
tragenden, wahren Sekretionscysten und den parasitären Bildungen 
können wir absehen. Es bleiben demnach von den Erweichungs¬ 
cysten eigentlich lediglich die Bildungen der Ostitis fibrosa. Unser 
Sprachgefühl sagt uns, dass es sich im strengen Sinne um falsche 
Cysten handelt. Im übrigen liegen die tatsächlichen Verhältnisse 
heute so, dass eine glattwandige Knochencyste, die die sogleich 
zu erörternden strukturellen Bedingungen erfüllt, der Ostitis fibrosa 
zuzurechnen ist. Der Beweis, dass sie einer anderen Art von 
Hohlraumbildungen zugehört muss in jedem Falle besonders er¬ 
bracht werden. Der Name „Knochencyste“ erhält somit eine ge¬ 
wisse prägnante Bedeutung. Nach Fujii (Kaufmann) darf eine 
Höhlenbildung im Knocheninnern mit der Benennung „Knochen- 
evste“ nur belegt werden, wenn sie wenigstens folgende Be¬ 
dingungen erfüllt: 

„1. Die Höhlenbildung im Knochen muss in ihrer Erscheinung 
so imponierend sein, dass sie allein oder fast allein das 
ganze Bild beherrscht. 

2. Alan darf in der direkten Umgebung der Höhlenbildung 
oder in dem Knochen selbst, worin die Cyste liegt, oder 
in der Beschaffenheit der darin enthaltenen Flüssigkeit 
keine sofort und klar erkennbaren Befunde auffinden, 
welche es gestatten, die Höhlenbildung alsbald auf einen 
bestimmten Krankheitsprozess zurückzuführen oder wenig¬ 
stens mit demselben in Zusammenhang zu bringen.“ 
Sonderlich glücklich kann ich diese Definition nicht nennen. 
Vor allem bei der generalisierten Ostitis fibrosa gibt es z. B. Cysten, 
die gegenüber dem Fibrom, in dem sie sich befinden, durchaus in 
den Hintergrund treten, keineswegs das ganze Biid beherrschen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


86 F. Lot sch, 

und doch mit gutem Recht den Namen „Knochencyste“ verdienen. 
Eine Beschränkung der Definition auf die solitären Cysten scheint 
mir wenig angebracht. 

v. Recklinghausen stellt für den Nachweis einer fibrös- 
ostitischen Cyste folgende 3 histologischen Postulate auf: 

1. massenhaft feinfibrilläres, meistens zellenarmes, nur kleine 
Spindel- oder Sternzellen enthaltendes, durchschnittlich 
gefässarmes Bindegewebe, 

2. Osteoklasten oder Riesenzellen, womöglich zu Haufen und 
Nestern angesammelt, 

3. Knochenbälkchen, und zwar sowohl alte noch kalkhaltige, 
eventuell schon in lakunärer Resorption begriffene, als 
auch junge neu geschaffene, an ihrer Kalklosigkeit erkenn¬ 
bare Lagen eines richtigen Osteoids. 

Einige makroskopische Besonderheiten kommen hinzu und 
genügen vielfach zur vorläufigen Diagnose. Der Hohlraum muss 
eine gewisse Grösse besitzen. Ein absolutes Mass ist natürlich 
nicht anzugeben, grössere z. B. taubenei-, hühnereigrosse und 
grössere Cysten werden den Verdacht einer anderen als der fibrös- 
ostitischen Genese kaum nähren. Die Innenfläche der Wandung 
muss glatt, serosaartig glänzend sein. Die Wandung selbst ist 
häufig als besondere Membran erkennbar und erweist sich durch 
ihre oft weissliche Farbe als faseriges Bindegewebe. Der Hohl¬ 
raum liegt in den langen Röhrenknochen meist in der Metaphyse. 
Der Inhalt ist serös, selten gallertig, wasserklar oder durch Blut¬ 
beimischung rot gefärbt. In der Umgebung ist Markfibrose häufig 
schon makroskopisch nachweisbar. 

Wenn wir diese Art von Knochencysten, und zwar sowohl die 
multiplen, generalisierten, als auch die solitären zur Ostitis fibrosa 
rechnen, so müssen wir stets bedenken, dass es sich immer um 
sekundäre Bildungen und Ausgänge einer proliferierenden Mark¬ 
fibrose, um Erweichungscysten handelt. Es mag dem klinischen 
Bedürfnis entsprechen, diese Bildungen, die häufig als etwas 
Fertiges, Selbständiges in die Erscheinung treten und nach Fujii’s 
Forderung „allein das ganze Bild beherrschen“, als etwas Beson¬ 
deres zu bezeichnen. Am weitesten ist darin v. Mikulicz (1905) 
gegangen, der die Knochencysten als eine eigenartige Störung in 
der Entwicklung des im Wachstum befindlichen Knochens, also als 
eine besondere Krankheit auffasst. Er nennt den Vorgang Osteo- 
dystrophia juvenilis cystica und lehnt die Entstehung durch Er¬ 
weichung von Tumoren (Enchondromen) ab. Diese Ansicht von 
v. Mikulicz ist auf grössere Gegnerschaft gestossen, als sie meines 
Erachtens verdient. Sie bedeutet keineswegs eine Abkehrung von 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


87 


der wichtigen Virchow’schen Lehre, dass die Knochencysten in 
jedem Falle Umbildungsprodukte früher solider Bildungen sind. 
Die Entstehung aus Tumoren wird heute so gut wie allseitig ab¬ 
gelehnt. Der Name Osteodystrophia ist sehr glücklich gewählt, 
weil er nicht wie Ostitis fibrosa den Begriff der immerhin noch 
nicht bewiesenen Entzündung enthält. Dass v. Mikulicz die 
Osteodystrophie als einen degenerativen Vorgang ansieht, geht vor 
allem auch aus der Ueberschrift seines Vortrages hervor, die: 
„Ueber cystische Degeneration der Knochen“ lautet. 

Trotzdem unterliegt es keinem Zweifel, dass die Auffassung 
der Knochencysten als etwas Besonderes unseren heutigen Kennt¬ 
nissen nicht mehr entspricht und ihre Einordnung in die grosse 
Gruppe der als fibröse Ostitis bezeichneten Knochcnmetaplasie eine 
logische Forderung unseres histopathologischen Einteilungsprinzips 
ist. Tatsächlich imponiert dem Kliniker und vor allem dem Chir¬ 
urgen die Ostitis fibrosa in ihrer solitären Form meist nur als Cyste, 
und diesem klinischen Befunde entspricht die unverhältnismässig 
grosse Literatur über solitäre Knochencysten. Es wäre gewiss 
■wünschenswert, in allen solitären Fällen, in denen die v. Reck- 
linghausen’schen Postulate (s. oben) erfüllt sind, nur von Ostitis 
fibrosa mit Cystenbildung zu sprechen, doch wird sich in diesem 
Sinne schwerlich eine Aenderung erzielen lassen. Die Cvstenbil- 
dung darf als der häufigste Ausgang der Ostitis fibrosa angesehen 
werden. 

Stets ist der eigentliche Hohlraum von einer grösseren Menge 
von Bindegewebe umgeben. Die fertige Cyste stellt sich als ein¬ 
heitlicher oder durch Konfluenz benachbarter Cysten mehrkamme- 
riger Hohlraum im Knochen dar. 

Wir müssen demnach uni- und multilokuläre Cysten unter¬ 
scheiden : 

Ein sehr anschauliches Präparat eines Kystoma multiplex ossis 
femoris utriusque (s. Fig. 31) besitzt das hiesige pathologische 
Museum (Präparat Nr. 128, 1879). Es erinnert sehr an die be¬ 
kannte Abbildung des Nelaton’schen Falles, die sich mehrfach 
reproduziert findet, so z. B. in der Deutschen Chirurgie, Lief. 28. 

Die beiden oberen Femurdrittel werden von der weielien Geschwulst ein¬ 
genommen, die auf dem Durchschnitt zahlreiche glattwandige Hohlräume von 
verschiedener Grösse und mit teilweiser Kommunikation aufweist (s. Fig. 31). 

Ich hatte Gelegenheit, ein Stück von der Schnittfläche des Präparates 
histologisch zu untersuchen. Trotz der fehlenden Kernfärbung lässt sich noch 
jetzt folgender Befund mit Sicherheit feststellen: 

Die Wandung der Cysten besteht aus derbem, faserigem Bindegewebe. In 
Her Umgebung starker Knochenabbau, die Spongiosabalken stark verschmälert, 
zum Teil nur noch Bruchstücke und Knochenscherbchen. An anderen Stellen 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



88 


F. Lotseh, 


Digitized by 


osteoide Säume auf der einen, lakunäre Resorption an der anderen Seite des 
Bälkchens. In den Spon^iosamasehen gefässreielies, faseriges Bindegewebe. 
Pigment; nicht nachweisbar. Zellkerne nicht sichtbar. 

Danach handelt es sich auch in diesen Fällen so gut wie sicher 
um Bildungen einer fibrösen Ostitis. Virchow sah das multi- 
lokuläre Cystoid als besondere Geschwulstform an, die er der Gruppe 
der Kystome zuzählte (Onkologie, ßd. 2. S. 191, 328). Bei dem 
multilokularen Cystoid erklärt nach Virchow’s Meinung die An¬ 
nahme der Höhlenbildung durch Erweichung die besondere Be¬ 
schaffenheit der Wand nicht, sie führe regelmässig und beständig 
zur Bildung eigenartiger Hohlkörper. Mein Untersuchungsergebnis 
berechtigt mich trotz einiger Lücken, wie ich glaube, zu der An¬ 
schauung, dass auch diese seltenen und auffälligen multilokularen 
Knochenkystome histologisch der metaplastischen Malacie bzw. der 
proliferierenden Markfibrose zuzurechnen sind. 

Die Wand ist meist als besondere, häufig eigenartig feste, 
derbe Membran von dem umgebenden Gewebe zu unterscheiden. 
Je nach dem Gehalt an Blutpigment ist ihre Farbe rein weiss bis 
braunrot. Die Innenfläche ist fast stets glatt und spiegelnd und 
erinnert an eine seröse Haut. 

Der Inhalt ist flüssig, selten fadenziehend oder gar gallertig. 
Die Flüssigkeit ist auch in jungen Cysten meist farblos oder leicht 
gelblich, öfters durch Blutbeimischung rot oder infolge früherer 
Blutung durch Blutpigment braunrot, rostfarben. Bisweilen sind 
die Blutkörperchen bzw. das Pigment abgesintert. Die Flüssigkeit 
reagiert alkalisch, ist eiweissreich und zeigt sich in ihrer chemi¬ 
schen Zusammensetzung dem Blutserum sehr nahe verwandt bzw. 
als reines Blutserum. (Vgl. vor allem das oben mitgeteilte Unter¬ 
suchungsergebnis der Cystenflüssigkeit in unserem Falle.) Die 
Flüssigkeit steht anscheinend stets unter einem gewissen Druck, 
der zwar in keinem Falle gemessen, aber durch das Hervorquellen 
der Flüssigkeit aus der Punktionsnadel oder nach dem Einschnitt 
mit Recht gefolgert'wurde. Woher dieser Druck stammt, ist mir 
nicht so leicht verständlich wie anderen Autoren. 

Wenn die Flüssigkeit lediglich Gewebsflüssigkeit d. h. Blut¬ 
serum oder Lymphe ist und die durch Gewebsschwund entstehenden 
Hohlräume ex horrore vacui ausfüllt, so kann der Druck des 
flüssigen Cysteninhalts den Gewebsdruck nicht überschreiten. Eine 
Vergrösserung der Cyste durch Vermehrung der Flüssigkeit aus 
sich heraus ist ausgeschlossen, da wir es nicht mit einer Sekretions¬ 
cyste zu tun haben. Greift die Gewebseinschmelzung weiter um 
sich, so tritt in gleichem Masse neues Serum als Füllsel in die 
entstandene Lücke. Durch Konfluenz benachbarter Hohlräume und 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



l T ebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


89 


teilweisen oder vollständigen Schwund der trennenden Septen ist 
gleichfalls eine Vergrösserung möglich. Der Druck innerhalb der 
Cyste kann dadurch nicht gesteigert werden. Bei jungen Cysten 
■wird sogar ein Druckausgleich durch Austritt von Cysteninhalt in 
das umgebende ödematöse Bindegewebe möglich sein. Bei älteren 
Cysten mit dicker, bindegewebiger, fibröser Wand ist eine Druck¬ 
steigerung nur durch Kompression von aussen denkbar. Ein Aus¬ 
weichen der Flüssigkeit in die Umgebung ist bei der allseitig ge¬ 
schlossenen, häufig sehr derben Wand nicht möglich; eine Kommuni¬ 
kation mit Gefässen fehlt nach den zahlreichen Untersuchungen 
stets. Da die starre Knochenschale zunächst keine Dehnung zu¬ 
lässt, so wird durch Steigerung im Blutgefässsystem des Knochen¬ 
inneren ein stärkerer Druck auf die Cystenwand wirken. Diese 
Drucksteigerung kann jedoch keine dauernde sein. Ich glaube 
deshalb, dass die Kongestionstheorie (v. Recklinghausen) zur 
Erklärung des gesteigerten Flüssigkeitsdrucks in den Knochen¬ 
cysten nicht ausreicht. Eine völlige Erklärung ist nur durch An¬ 
nahme eines gesteigerten Gewebsdrucks bei der proliferierenden 
Markfibrose, gegeben. Dabei kommen die besonderen Verhältnisse 
des Knochens durchaus in Betracht. Der durch die proliferierende 
Markfibrose gesteigerte Druck im Knocheninnern kann sich infolge 
der starken Corticaliswand nicht sofort nach aussen ausgleichen. 
Die vorhandene starke Hyperämie der dünnwandigen Capillaren 
und kleineren Venen muss dann als passive Stauung durch Ab¬ 
flussbehinderung aufgefasst werden. Für eine Verlangsamung der 
Blutströmung im Knochenmark finden sich in der mehrfach beob¬ 
achteten Randstellung der weissen Blutelcmente gewisse Anhalts¬ 
punkte. Auch die häufig festgestellten, ja geradezu typisch zu 
nennenden Blutextravasate und lnfarcierungen wären durch diese 
venöse Stauung erklärlich. 

Mehrfach ist klinisch und röntgenologisch das Wachstum der 
später als cystische Hohlräume erwiesenen Bildungen beobachtet 
worden (z. B. Heineke, Burchard). Sicherlich spielen Blutungen 
bei der Vergrösserung eine wichtige Rolle, doch handelt es sich 
hierbei meist w ; ohl um noch relativ junge Cysten. Die älteren 
Cysten mit derber, bindegewebiger, gefässarmer Wand stellen sich 
als etwas Fertiges, Abgeschlossenes dar. Eine Vergrösserung des 
Hohlraumes durch Konfluenz benachbarter ist, wie oben erwähnt, 
auch in diesem Stadium noch denkbar und durch unsere Befunde 
direkt bewiesen. Bei dem Schwund der Septen mag auch eine 
Blutung in den Cystenräumen möglich erscheinen. Im übrigen 
macht dio Beschaffenheit der derbfibrillären, gefässarmen Wandung 
eine Blutung bei alten Cysten recht unwahrscheinlich. 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


90 F. Lot sch. 

Dass die Blutung bei der Cystenentstehung, zum mindesten 
bei der Cystenvergrösserung in vielen Fällen eine wichtige Rolle 
spielt, ist nach dem übereinstimmenden Urteil vieler Untersucher 
nicht zweifelhaft. Dagegen ist die Behauptung, dass in jedem 
Falle die Blutung das primäre genetische Moment der Cvstenbil- 
dung sei, zum mindesten unbewiesen. Schon v. Recklinghausen 
hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass in ganz jugendlichen 
Cysten, ja bei eben in Bildung begriffenen Hohlräumen jede Blut¬ 
beimengung zum Cysteninhalt häufig fehlt. Auch Fujii hat in 
seinen Serienschnitten beginnender Cysten keine Blutbeimengung 
gefunden. Meine Untersuchungsergebnisse decken sich mit diesen 
Befunden völlig. In diesem Zusammenhänge mag die Theorie der 
traumatischen Cystengenese besprochen werden. Beneke und 
Benda, in neuester Zeit noch Mauclaire und vor allem Felten 
und Felizitas Stoltzenberg, haben der posttraumatischen Ent¬ 
stehung der Knochencysten, wenigstens der solitären, das Wort ge¬ 
redet. Die letztgenannten Autoren berichten über einen 14jährigen 
Knaben, bei dem sich in der Patella um einen bei einer Explosion 
eingedrungenen Fremdkörper eine kleine glattwandige Cyste bildete. 
In der Literatur fanden sie bei 81 pCt. der solitären Knochen¬ 
cysten ein initiales Trauma. 

In den anamnestischen Angaben der Fälle solitärer Knochen¬ 
cysten findet sich in der Tat auffallend häufig ein Trauma ange¬ 
führt, das gleiche gilt auch für eine grosse Zahl der Beobachtungen 
von generalisierter Ostitis fibrosa. Der angeführte Fall, über den 
Felten und Stoltzenberg berichten, ist sicherlich sehr wichtig. 
Im allgemeinen darf jedoch gesagt werden, dass gerade beim 
Trauma vor dem Grundsatz post hoc ergo propter hoc gewarnt 
werden muss. Jeder Mensch erleidet Traumen und vergisst sie 
vollständig, wenn sie keine Folgen zeitigen. Bei der unendlich 
grossen Zahl der Traumen, die das Knochensystem treffen, müssten 
die Knochencysten bzw. die fibröse Ostitis eine viel häufigere Er¬ 
scheinung sein. Die pathologischen Frakturen sind aus dem gleichen 
Grunde, wie schon Lexer betont hat, sicherlich nicht die Ursache, 
sondern die Folge der Knochenerkrankung. Damit soll nicht ge¬ 
leugnet werden, dass in Ausnahmefällen auch eine posttraumatische 
Blutung im Knochenmark zur Entstehung eines cystischen Hohl¬ 
raumes Veranlassung geben kann. Stets muss zur Ausbildung der 
histologischen Merkmale der fibrösen Ostitis noch etwas Besonderes 
hinzukommen bzw. vor dem Trauma vorhanden gewesen sein (s. den 
experimentellen Teil). 

Die Wand der älteren Cysten besteht histologisch aus derbem, 
fibrillärem Bindegewebe, selten grenzen Spongiosabalken direkt an 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


91 


den Hohlraum. Dies Bindegewebe ist auffallend kern- und gefäss- 
arm. Die dicken Fibrillen lassen meist eine konzentrische Anord¬ 
nung erkennen und hängen durch kurze Verbindungsstücke unter¬ 
einander zusammen. Eine Epithel- bzw. Endothelauskleidung fehlt 
stets. Trotzdem ist die Innenfläche häufig spiegelnd glatt. Mitunter 
wurde eine beginnende Organisation der sedimentierten und an der 
Wand haftenden corpusculären Flüssigkeitsbestandteile beobachtet. 
Stets liegen die Cysten inmitten fibrös veränderten Marks. Die 
Beschaffenheit der konzentrisch geschichteten Fibrillenlagen erinnert 
bisweilen durchaus an die Schichtung einer Parasitenmembran 
(Virchow, Froriep, Lotsch). Andrerseits sind diese Gewebs- 
strukturen von Virchow als faserknorpelähnlich, faserknorpelartig 
bezeichnet worden. 

Ich komme damit zu der Virchow’schen Enchondromtheorie, 
die längere Zeit die herrschende war. Milner hat mit einem ge¬ 
wissen Recht darauf aufmerksam gemacht, dass Virchow keines¬ 
wegs derart einseitig über die Cystengenese gedacht hat. Indessen 
spricht Virchow wenigstens die von ihm beobachtete Oberarmcyste 
ausdrücklich als ein Neubildungs- und ihren Inhalt als Schmelzungs¬ 
produkt chondromatöser Knoten an, weil die „Cystenwand selbst 
noch erkennbare cartilaginöse Eigenschaften besitzt“ und „im dich¬ 
testen Anschlüsse an sie bei einer 56jährigen Frau zerstreute 
Knorpelinseln im Mark der Diaphyse, jedoch in nächster Nähe der 
Epiphyse Vorkommen“. 

Das Virchow'sehe Präparat hat eine derartige Berühmtheit 
und Wichtigkeit erlangt, dass es geboten erscheint, ausführlich 
darauf einzugehen. Das Präparat befindet sich noch in der Samm¬ 
lung des pathologischen Museums (Nr. 19d, 1876) und trägt von 
Virchow’s eigener Hand die Signatur: Cystis et chondromata 
miliaria capitis ossis humeri. Ich habe das in Spiritus aufbewahrte 
Präparat nochmals photographiert (s. Fig. 32); zum Vergleich gebe 
ich in Fig. 33 eine photographische Reproduktion der schönen, 
klaren Zeichnung in der Virchow’schen Arbeit. 

Ich bin in die glückliche Lage gekommen, einige Stückchen 
der Cystenwand und des unteren Fortsatzes histologisch nachunter¬ 
suchen zu können. Ferner ist es mir geglückt, das Sektions¬ 
protokoll aufzufinden. Ich lasse zunächst das Protokoll folgen: 

56jährige Arbeitersfrau Auguste W., gestorben nach Operation auf der 
chirurgischen Klinik der Charite (v. Bardeleben) am 27. 5. 1876. Obduktion: 
29. 5. 1876. Sektionsdiagnose: Sareoma gigantocellularc regionis colli dextri 
nperatum et metastaticum lienis et hepatis et glandulae suprarenalis sinistrae. 
Enrhondroma multiplex et Cystis humeri dextri. Ligatura carotidis communis 
et int. et ext. et art. thyreoid. dextr. Bronehopneumonia purulenta pariialis 
pulm. et Ocdema pulmonum. Hypoplasia uteri. Cicatrix rerti. 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



92 


F. Lotseh, 


Digitized by 


Die Metastasen der Milz und Leber werden als kirsehkerngrosse, ziemlich 
scharf umsehriebene Knoten von derber Konsistenz und aus grau-weisslichem 
Gewebe bestehend beschrieben. Die Metastase im Mark der linken Nebenniere 
war rund, fast hasclnussgross und von gleicher Hesehaffenheit. 

„Im rechten Humeruskopf eine mehr lange als breite Cyste von doppelter 
Haselnussgrösse. Die Cyste ist mit wässeriger, farbloser Flüssigkeit erfüllt.“ 

Die knöcherne Wand wird von einer «binnen, ziemlich kompakten Schicht 
gebildet. Die Höhle derselben ist ausgekleidet von einer zarten, wie Schleim- 
gcwebc aussehenden Gewebsmasse. welche sieh zum grössten Teile in eine dünne 
einschichtige Membran ausbreitet. Neben dieser Cyste, ungefähr da wo früher 
der Intermediärknorpel lag, sieht man mehrere hirsekorn- bis erbsengrosse, von 
spongiöser Knoehensubstanz umgebene, wie Knorpel aussehende runde Gewebe. 
Der übrige Teil des rechten Humerus und das rechte Femur intakt. 

Yirchow hat dem Fall seine besondere Aufmerksamkeit zu¬ 
gewendet und folgende Präparate in die Sammlung übernommen: 
19a) Sarc. gigantocell. gland. colli exstirp. v. Bardeleben. 

b) Metastas. sarcom. suprarenalis. 

c) Metastas. sarcom. pulmonis. 

d) Cvstis et enchondromata miliaria capitis humeri dextri. 

e) Metastas. lienis. 

Metastas. hepatis. 

f) Ligaturae Art. carotidis int. et ext. dextr. propter haemor- 
rhagiam ex art. thvreoid. 

g) Os femoris c. medulla gelatinosa. 

Es handelt sich demnach um eine f>G jährige Frau, gestorben nach operativer 
Entfernung von Riescnzellen-Sarkommetastascn der Halslymphdrüsen. Hei der 
Autopsie* fanden sieh weitere Metastasen des Riesenzellensarkoms in Lungen, 
Leber, Milz und linker Nebenniere. Den Primärtumor vermutete der Obduzent 
im Knochensystem. Aus äusseren Gründen musste die Skelettsektion wahr¬ 
scheinlich auf den rechten Humerus und Femur beschränkt werden, die beide 
äusserlich keine Formveränderungen, besonders keine Auftreibungen, nach weisen 
Hessen. Im rechten Femur fand sieh Gallert mark, im rechten Humeruskopf als 
Xebcnbefund eine klinisch nicht in die Erscheinung getretene dickwandige Cyste 
mit miliaren Enchondromen in der Eingebung. In den Sarkommetastasen fand 
sieh nirgends Höhlenbildung, bei der lluineruscyste keinerlei Zusammenhang 
mit Kiesenzellensarkomen. Ein sicherer Primärtumor ist somit nicht gefunden 
und der Fall keineswegs restlos aufgeklärt. Ein derart zahlreich metastasierendes 
Riescnzellensarkom gehört wohl überhaupt zu den grössten Seltenheiten, doch 
ist an der Richtigkeit der Geschwulstdiagnose ein Zweifel nicht berechtigt. 
(S. Yi re ho w*s Akademierede: Feber die Entstehung von Knocheneysten, 1S7G.) 

Die Cyste im Huineruskopf ist im Präparat (s. Fig. 32) gut erhalten. 
Yirchow verglich ihre Form mit einer umgekehrten Flasche und erwähnt die 
seitlichen Ausbuchtungen. Sie reicht kopfwärts bis dicht an die noch als 
Grenzblatt aus Knochengewebe erkennbare Epiphysengrenze, gehört also der 
Meta- und Diaphyse an. Die Cystenwand war in frischem Zustande 0,5 bis 
0,8 mm dick, innen ziemlich glatt, im unteren Teil sass der Innenfläche an 
mehreren Stellen ein«* gallertartige Masse lose auf, aus deren schwammigem 
Gefüge sich klare, schwach gelbliche Flüssigkeit ausdriieken liess. Der übrige 
beim Aufsägen ausgeflossene Inhalt wird von dem Obduzenten als wässerige, 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


93 


farblose Flüssigkeit beschrieben. Die Cystenwand hatte nach Virchow's Be¬ 
schreibung ein faserknorpcliges Aussehen und liess mehrere bewegliche, glatte, 
blattartige Fortsätze von ebenfalls faserknorpeligem Aussehen erkennen, die 
sieh in das umgebende Fettmark nach mehreren Richtungen erstreckten. Ihrer 
Anordnung nach erinnerten sie sehr an kalklose Spongiosablätter. An einzelnen 
Stellen traten bis erbsengrosse, höckerige Körner hervor, deren Kern „aus wirk¬ 
licher Knochenspongiosa mit fettigem Mark“ von einer knorpeligen Schicht ein¬ 
gehüllt war. Nach unten zieht in der Achse des Iluinerussehaftes ein 40 nun 
langer, oben röhrenförmiger, unten platter Fortsatz von der Cystenwand, der 
durchweg ebenso wie die Cystenwand selbst ein dichtes faserknorpeliges Aus¬ 
sehen hatte. Am medialen Einfang der Cyste, in nächster Nähe der Epiphysen¬ 
linie fand sich eine Gruppe kleiner, hirse- bis hanfkorngrosser Knorpelstücke 
lose im Fettmark (s. d. Reproduktion der V irchow 'sehen Zeichnung, Fig. 33). 

Im gegenwärtigen Zustande ist das reichlich vorhandene Fett mark verseift 
und erscheint als weisse, krümelig-schmierige Masse. Von den Knorpelherden 
ist nichts mehr mit Sicherheit wahrzunehmen. Bei ihrer losen Befestigung im 
Fett mark werden sie ausgeschwemmt sein. Auch die blät terigen Fortsätze der 
Cystenwandung sind nicht mehr deutlich, nur der lange Fortsatz nach unten 
ist noch erhalten und auch seine Röhrenform im oberen Teil noch nachweisbar. 
Sein Lumen kommuniziert mit dem Cystenraum. 

Nach dem mikroskopischen Befunde V irchow's bestanden die Knorpel¬ 
stückchen, die Enchondromata miliaria, sonderbarerweise nicht aus hyalinem, 
sondern aus echtem Netzknorpcl, dessen Vorkommen in grossen Enehondromen 
Virchow erwiesen hatte (Onkologie, S. 466), zum Teil hingen die Knorpel¬ 
stücke mit der Cystenwand zusammen. Die Cystenwand selbst besteht nach 
Virchow aus sehr dichten, stellenweise fast homogenen und schwach glänzenden, 
zumeist leicht streifigen, hier und da steifen, aber glatten Fasern, die bei Essig¬ 
säurezusatz erblassten, ohne gänzlich zu verschwinden. „Die Fasern hatten 
weder in bezug auf Anordnung noeli in bezug auf Beschaffenheit Aehnliehkeit 
mit den Fasern von Netzknorpel“. Zwischen den Fasern lagen spärliche Netz¬ 
zellen von massiger Grösse. Die ausstrahlenden Blätter zeigten osteoiden Gewebs- 
tvpus. Fine Fpithelauskleidung fehlte. Die Gallertmassen an der Innenfläche 
bestanden aus verfilzten, etwas steifen Fasern (kein Fibrinfilz). Nach Fssig- 
säurezusatz erinnerte die zellenlose Masse lebhaft an gewisse Faserknorpel. 

Auf Grund des vorstehenden Untersuehungscrgebnisscs kommt Virchow 
zu folgendem Schluss: Die Cvste hat „den Habitus einer sog. Frweiehungscyste, 
bei der als Inhalt die Schmelzungsproduktc früher fester Centralmassen auf¬ 
tret cn“. „Wenn demnach die Cysten wand selbst noch erkennbare cartilaginöse 
Eigenschaften besitzt, und wenn im dichtesten Anschluss an sie bei einer 
56 jährigen Frau zerstreute Knorpelinseln im Mark der Diaphyse, jedoch in 
nächster Nähe der Epiphyse Vorkommen, so wird man kein Bedenken tragen 
dürfen, die Cyste selbst als ein Neubildungs- und ihren Inhalt als Srhmclzungs- 
produkt ehondromatüser Knotern anzusehen“. 

Makroskopisch sah die Cystenwand und ihre Fortsätze in das umgebende 
Fettmark faserknorpelig aus, histologisch fand sich dagegen streifig-fibrilläres 
Bindegewebe und Osteoid. Die „noch erkennbaren cartilaginüsen Eigenschaften“ 
sind also histologisch nicht nachweisbar. 

Ich habe Gelegenheit gehabt, ein kleines Stück der Cystenwand sowie 
des röhrenförmigen unteren Fortsatzes nachuntersuchen zu können. Die winzigen 
Stücke, die sich durch ihre derbere Konsistenz gegen das verseifte und weiche 
Fettmark abhoben, wurden ohne Entkalkung in Paraffin eingebettet und die 
Schnitte mit Hämalaun-Fosin gefärbt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


94 


F. L o t s c h, 


Eine Kernfärbunir ist nicht mehr zu erzielen. Trotzdem ist auch heute 
noch festzustellen, dass es sich um eine derbfibröse, bindegewebige, sehr gefäss- 
arme Schicht handelt. An einigen Stellen sitzt der Innenfläche noch die filzige 
Masse auf. An der Peripherie der bindegewebigen Cystenwand findet sich eine 
«deutliche Anhäufung von scholligem Blutpigment. Die regellose Verteilung 
amorpher Kalkmassen im Gewebe ist wohl auf Macerationsprozesse zurück¬ 
zuführen und für die Diagnose belanglos. Cartilaginüse Eigenschaften müssen 
wir der Cystenwand nach dem Untersuchungsbefund Virchow’s und unserer 
Nachuntersuchung absprechen und damit auch alle Schlüsse aus dieser Deutung 
beanstanden. Die früher aufgeführten Postulate v. Keck li nghausen's für die 
histologische Diagnose einer Ostitis fibrosa sind nicht mehr restlos zu erfüllen. 
Vor allem aber kann als erwiesen gelten, dass diese Cyste nicht als Enchondrom- 
cyste angesehen werden darf. Ich glaube, Yirehow wäre der erste, der seinen 
Irrtum eingestehen würde. 

Die miliaren Enehondromc aus Netzknorpel in der Umgebung der Cyste 
sind für die Cystengenese nicht beweisend. Wir haben es hier mit den gleichen 
Knorpelresten zu tun, wie sie Bostrüm in der Nähe seiner Beckencyste, ferner 
Lexer u. a. gefunden haben. 

Virchow hat schon damals auf mancherlei Verschiedenheiten 
und Unstimmigkeiten des Befundes bei cystoid umgewandelten 
Enchondroraen und der beschriebenen solitären Humeruscyste hin¬ 
gewiesen. Die Enchondrome pflegen sich aus hyalinem Knorpel 
zu entwickeln und ihre centralen Erweichungscysten haben keine 
so derbe, dicke, fast lederartige AVand und keine derartig glatte 
Innenfläche. Die aus Osteoid bestehenden Fortsätze der Cysten¬ 
wand sah Virchow gleichfalls als knorpelige Bildungen an, jedoch 
nicht für primär knorpelige Gebilde, wie die benachbarten Enchon¬ 
drome, sondern für recartilaginesciertes Knochengewebe. 

Auch durch Vergleich mit dem von Virchow mitgeteilten 
Befund des Froriep’schen generalisierten Falles (s. meine Unter¬ 
suchungsergebnisse) ergibt sich, dass zwischen Faserknorpel und 
Bindegewebe in damaliger Zeit nicht scharf unterschieden wurde. 
So sagt Virchow, dass die Cystenwände im Froriep’schen 
Falle makroskopisch aus festen, dichten Geweben von faser¬ 
knorpeliger Beschaffenheit bestehen, sehr ähnlich den Fortsätzen 
der Wand der Humeruscyste. Mikroskopisch fand sich Faser¬ 
knorpel oder Bindegewebe, nie Hyalin- oder eigentlicher Netz¬ 
knorpel. Die Cysten, meint Virchow, entstehen durchweg aus 
faserknorpeligen Abschnitten durch Erweichung; an der Wand er¬ 
kält sich die blätterige Beschaffenheit der fascrknorpeligen Lagen, 
wodurch stellenweise eine an Echinokokkenmembranen erinnernde 
Streifung der Wand entsteht. Diese streifigen, konzentrisch ge¬ 
schichteten Lagen des dickfibrillären Bindegewebes der Wand habe 
ich bei der Nach Untersuchung des Froriep’schen Falles ebenfalls 
Nachweisen können (s. Figg. 8 und 9), auch die Aehnlichkeit mit 
Echinokokkenmembranen ist erkennbar. Keinesfalls handelt es 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Ucbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


95 


sich bei diesem Gewebe nach unseren heutigen Kenntnissen um 
Faserknorpel. 

Die Cysten entstehen, wie bereits erwähnt, stets innerhalb 
des fibrös umgewandelten Markes, bisweilen auch innerhalb der 
im nächsten Abschnitt zu besprechenden riesenzellensarkomartigen 
Stellen. Mönckeberg glaubt auf Grund seiner Befunde einen 
Unterschied zwischen den Fibrom- und den Riesenzellensarkom¬ 
cysten machen zu können, indem er die ersteren für gutartige 
Rückbildungsprozesse, die letzteren für mehr progressive Bildungen 
hält. Ich komme auf diesen Punkt noch zurück. 

Die Genese der Cysten durch ödematöse Erweichung und 
Schwund des fibrösen Markgewebes hat v. Recklinghausen 
bereits behauptet. Die neueren Untersucher, besonders Fujii, 
haben diese Ansicht durch ihre Befunde zum Teil an Serien¬ 
schnitten stützen können. Ich habe den gleichen Befund bei 
meiner Nachuntersuchung des Falles Froriep’s und bei dem neu 
mitgeteilten Fall generalisierter Ostitis fibrosa erheben können. In 
dem letztgenannten Falle dehnte sich eine Cyste in einen knorpel¬ 
ähnlich gebauten Gewebsbezirk aus (s. Fig. 27—30). 

Das ödematöse, myxomartige Gewebe, das die Vorstufe der 
Hohlraumbildung zu sein scheint, erinnert in seinem Bau an die 
Arachnoidea, wie Froriep bereits betont hat. 

Die Anschauung, dass die meisten sog. Knochencysten auf 
dem Boden einer fibrösen Ostitis nach v. Recklinghausen ent¬ 
stehen, ist gegenwärtig die herrschende. Ueber die v. Mikulicz’sche 
Auffassung der Knochencysten als Krankheit sui generis, über die 
Theorie der traumatischen Genese und über die Virchow’sche 
Enchondromtheorie habe ich das Erforderliche bereits gesagt. 

Die relative Häufigkeit der Cystenbildung bei der Ostitis 
fibrosa rechtfertigte die ausführliche Behandlung dieser Gebilde, 
doch sei am Schluss des Kapitels nochmals darauf hingewiesen, 
dass die Cysten nicht das Wesentliche und Primäre, sondern stets 
ein Ausgang der proliferierenden Markfibrose und etwas Sekun¬ 
däres sind. 

Die Riesenzellensarkome des Knochensystems nehmen in der 
Geschwulstlehre eine sehr eigenartige Stellung ein und sind eine 
charakteristische Geschwulstforra des Knochengewebcs. Das Grund¬ 
gewebe wird, wie bereits erwähnt, meist von jungen, vollsaftigen, 
dicht gedrängten Spindelzellen gebildet, die bisweilen Faserbildung 
zwischen sich erkennen lassen und bei ausgesprochener Faser¬ 
bildung die Struktur des Fibrosarkoms zeigen. Seltener bilden 
Rundzellen die Hauptmasse des Grundgewebes. Die Ricsenzellen 
sind ein integrierender Bestandteil des Gewebes. Sie erweisen sich 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



96 


F. Lotsch, 


Digitized by 


morphologisch als einwandfreie Myeloplaxen bzw. Osteoklasten 
(Tumeurs ä myeloplaxes-Robin 1850). Die einzelnen Zellarten des 
Gewebes finden sich sämtlich im normalen Knochenmark prä- 
formiert, so dass also eine deutliche Anlehnung des Sarkomgewebes 
an die normale Zusammensetzung des Mutterbodens besteht (Mye- 
loidtumoren-Paget). Borst, dessen Geschwulstlehre ich diese An¬ 
gaben entnehme, spricht nur von einer „entfernten Anlehnung“. 
Je nach dem Ursprung unterscheidet man periphere, periostale und 
centrale myelogene Riesenzellensarkome. Innerhalb der Tumoren 
findet sich zuweilen Neubildung von spongiösem Knochengewebe. 
Klinisch haben die Riesenzellensarkome des Knochensystems und 
vor allem die weitaus häufigeren myelogenen Riesenzellensarkome 
die auffallende Eigentümlichkeit, dass sie trotz ihres histologischen 
Sarkomcharakters meist durchaus benigne Tumoren sind und 
bleiben. Ihr Wachstum ist vorwiegend ein expansives, exstruktives, 
Lokalrecidive nach Excochleation beobachten wir Chirurgen zwar 
öfters, doch bleiben auch diese meist auf ihren Entstehungsort 
beschränkt. Die umgebenden Weichteile (Muskeln usw.) sind so 
gut wie stets unbeteiligt. Die Riesenzellensarkome respektieren 
die Grenze des Periosts, auch wenn sie zur Zerstörung der ganzen 
Corticalis geführt haben. Infiltratives Wachstum und Metastasen 
gehören zu den grössten Seltenheiten (vergl. den Fall Virchow: 
Humeruscyste). 

Zu diesen Riesenzellensarkomen gehören auch die sog. Epu- 
liden. Klinisch handelt es sich um die gleiche benigne Tumorart, 
die höchstens lokal recidivfähig ist. Diese durch die dauernde Er¬ 
fahrung gestützte Anschauung bildete für den jüngeren Nelaton 
den Ausgangspunkt zu seiner These, dass die riesenzellenhaltigen 
Osteosarkome der Extremitätenknochen den gleichen myelogenen 
Ursprung und die gleiche Benignität hätten. Ueber die Herkunft 
der Epuliden herrscht noch immer keine völlige Einigung. Ma¬ 
gitot sah in dem Periost der Alveole die Ursprungsstätte der 
Epuliden. Virchow hatte sich dieser Ansicht angeschlossen und 
gelehrt, dass auch periostale Zelleleraente Riesenzellen zu bilden 
imstande sind. Es würde sich demnach nicht um wirkliche 
Knochenmarksriesenzellen, sondern um Riesenzellen heteroplasti¬ 
scher Herkunft handeln. Auf Grund dieser Lehre ist man, so 
schreibt Borst, über den periostalen Ursprung vieler Epuliden 
nicht im Zweifel. E. Nelaton leitet die Myeloplaxen vom Mark¬ 
gewebe ab und sieht deshalb die Epuliden als myelogene Bildungen 
an. Auch v. Recklinghausen stellt sich auf diesen Standpunkt, 
den auch ich einzunehmen geneigt bin. Abgesehen von den sicher 
„intraossös“ entstandenen Epuliden entstehen die von den 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



l’cbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


97 


knöchernen Alveolarsepten ausgehenden „ebenfalls wohl myelogen, 
aber nicht vom eigentlichen Periost her, wie man wegen der 
oberflächlichen Lage oft angenommen hat“ (v. Recklinghausen). 

Die myelogenen Riesenzellensarkome sollen nach Borst meist 
weichere Konsistenz als die periostalen haben. Die Epuliden seien 
meist derbe Tumoren. Auch behauptet der genannte Autor, es 
sei morphologisch ein Unterschied zwischen den Riesenzellen der 
einen und der andern Form vorhanden. In den periostalen 
Tumoren sei das Protoplasma der Biesenzellen fester, oft nicht 
körnig, eher leicht streifig, schärfer begrenzt, die Zellen lang¬ 
gestreckt und mit zahlreichen Ausläufern versehen, während sich 
in den myelogenen Tumoren die Riesenzellen durch zartere Formen 
auszeichnen. Andere Autoren haben diese Befunde meines Wissens 
nicht bestätigt. Ich habe in den riesenzellenhaltigen Stellen der 
Ostitis fibrosa Riesenzellen gefunden, die alle von Borst ange¬ 
führten Kriterien der periostalen Riesenzellen aufweisen und kann, 
soweit meine histologischen Kenntnisse reichen, diese Unterschei¬ 
dungsmerkmale nicht anerkennen. 

So ungeklärt die Herkunft der Myeloplaxen auch ist, immer 
erscheint es verständlicher, sie als Bildungen ihres Mutterbodens, 
des Knochenmarks anzusehen, dabei mag es nebensächlich er¬ 
scheinen, ob die von vielen Untersuchern beobachtete Lagebezie¬ 
hung der Riesenzellen zu Blutgefässendothelien zur Annahme be¬ 
rechtigt, dass sie endothelialen Ursprungs sind (Pommer, Bitter, 
Borst). Ebenso beiläufig erwähne ich die Ansichten über die 
Wandlungsfähigkeit der Myeloplaxen. Koelliker will die Um¬ 
wandlung von Osteoklasten in Osteoblasten nachgewiesen haben, 
Pommer und Weyher Umwandlung in faserbildende Spindelzellen, 
Rindfleisch den Uebergang von Knochenzellen in Riesenzellen. 
Ich erwähne diese Befunde ohne sie durch eigene Untersuchungs¬ 
ergebnisse stützen oder widerlegen zu können. Unwahrscheinlich 
scheinen sie mir in höchstem Masse. Die Riesenzellen der Mve- 
loidtumoren erweisen sich als typische Bicsenzellen vom myelo¬ 
plaxen Typus. Das Protoplasma zeigt einen kernfreien Rand, die 
oft sehr zahlreichen Kerne sind mehr nach dem Centrum zu an¬ 
einandergedrängt. Das Protoplasma zeigt je nach der sehr 
variablen Grösse der Riesenzellen eine verschiedene Flächenaus¬ 
dehnung. Besonders die grösseren Exemplare lassen eine zackige 
Begrenzung und zahlreiche Ausläufer gegen das umliegende Ge¬ 
webe erkennen. Auch Vacuolen (Ribbert) finden sich darin häufig 
und, wenn auch seltener, Einschlüsse von körnigem Blutpigment, 
sowie Kalkkrümel. Die Zellen stellen sich dadurch als phago- 
evtäre Elemente dar. 

Archiv für kiin. Chirurjrio. Bd. 107. Heft 1. 7 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


98 F. Lotsch, 

Mitosen habe ich in Uebereinstimmung mit den meisten Autoren 
niemals in Riesenzellcn gesehen. Mir sind bei meinen Unter¬ 
suchungen zwei wohl unterscheidbare Typen von Riesenzellen 
nebeneinander vorkommend aufgefallen. Zu der einen Art gehören 
die eben beschriebenen grossen Exemplare. Ihr Protoplasma 
nimmt nur einen ganz schwach-blauen Farbenton bei Hämatoxylin- 
färbung an. Die inmitten des Zellleibs aufgehäuften Kerne sind 
rundlich, deutlich bläschenförmig und lassen neben zarter Kern¬ 
struktur je ein deutliches Kernkörperchen nachweisen. Die Kern¬ 
färbung ist licht und relativ zart. Bei dem anderen Typus, der 
sich nur bei kleineren Exemplaren findet, ist das Protoplasma 
dunkler bläulich gefärbt, zeigt straffere Formen und kaum Fort¬ 
sätze, auch Vacuolen und Protoplasmaeinschlüsse (Pigment) fehlen. 
Die in der Mitte zusaramengedrängten Kerne sind schlank, fast 
stäbchenförmig und tiefblau tingiert. Ein Kernkörperchen oder 
irgend eine Kernstruktur sind nicht nachweisbar. Die beiden Zell¬ 
typen finden sich häufig dicht nebeneinander. Vielleicht handelt 
es sich um verschiedene Entwicklungsstufen, doch möchte ich es 
vermeiden, aus meinen Befunden irgend welche weitgehenden 
Schlüsse in der einen oder anderen Richtung zu ziehen. Neben 
dem Reichtum an Riesenzellen ist der grosse Blut- und Pigment¬ 
gehalt ein Charakteristikum der Myeloidtumoren. Das Gewebe 
erhält dadurch jenen schon erwähnten braunroten bis braunen 
Farbenton, der die Bezeichnung als „braune Tumoren“, als „pig¬ 
mentierte Sarkome“ bedingte. Die reichlichen Blutgefässe sind 
dünnwandig, meist strotzend gefüllt. Auch in diesen Riesenzellen¬ 
sarkomen finden sich zahlreiche Blutextravasate und Gewebsinfar- 
zierungen mit roten Blutkörperchen. Das reichliche Pigment ist 
ein sicherer Beweis früherer Blutungen. Es liegt teils in körnigen 
oder scholligen Massen einzeln oder zu Klumpen und Haufen ge¬ 
ballt frei im Gewebe, teils in Zellen zum Teil recht grossen For¬ 
mats eingeschlossen. 

Neben den Blutgefässen sah ich mehrfach auch weite, prall¬ 
gefüllte Lymphgefässe bzw. Capillaren mit einschichtigem Endothel¬ 
belag als einziger Wandbekleidung, die geronnene homogene In- 
haltsraasse hatte sich mit Eosin ganz schwach gefärbt. 

Schliesslich kommen in und neben diesen riesenzellensarkom¬ 
artigen Gebilden regressive Veränderungen vor, die zu cystischen 
llohlräumen führen. Nach meinen Befunden kann ich die Ansicht 
v. Recklinghausen^ bestätigen, dass die Hohlräume meist von 
fibrösem Gewebe umgeben sind und sich das riesenzellenhaltige 
zellreiche Gewebe erst in einiger Entfernung anscldiesst. Enklaven 
von fibrösem Gewebe finden sich häufig mitten in den riesenzellen- 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



l'cbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cvsten. 


99 


sarkomartigen Herden und sie bilden die Prädilektionsstellen für 
die Erweichungshöhlen. Damit soll keineswegs in Abrede gestellt 
werden, dass nicht auch mitten im sarkomartigen Gewebe Hohl¬ 
räume auftreten. 

Münckeberg hat am schärfsten zwei Formen von Hohl¬ 
räumen unterschieden. Nach ihm sind die Fibromcysten reine Er¬ 
weichungscysten mit geringer Wachstumstendenz. Sie zeichnen 
sich durch geringen oder fehlenden Pigmentgehalt und starken 
Knochenanbau in der Umgebung aus, sind also besonders gutartige 
Bildungen. Im Gegensatz dazu sind nach Mönckeberg die Riescn- 
zellcnsarkomcysten reich an Pigment, entstehen durch Erweichung 
und Blutungen, zeigen grosse Wachstumstendenz und starken 
Knochenabbau in ihrer Umgebung, sind also weniger gutartig, 
Nach dieser Anschauung spricht sich die grössere Proliferations¬ 
fähigkeit der Riesenzellensarkome im Vergleich zu den Fibromen, 
auch in ihren regressiven Veränderungen, den Cysten aus. Andere 
Autoren (Davidsohn) sahen syncytiumähnliche Riesenzellen als 
direkte Begrenzung der Cysteninnenfläche, meist wurden die Ricsen- 
zellen erst in einiger Entfernung von der Wand gefunden. 

Als Unterscheidungsmerkmale zwischen wahren Riesenzellen¬ 
sarkomen und den riesenzellenhaltigen Bildungen bei der Ostitis 
fibrosa führt Lubarsch folgende an: „Für die Differentialdiagnose 
zwischen Sarkom und gewissen entzündlichen Neubildungen ist 
allein massgebend die Polymorphie der Zellen und die mangel¬ 
hafte Ausreifung des ganzen Gewebes. Wo man auch noch s<> 
viele Riesenzellen, die mit Pigmentschollen oder anderen Fremd¬ 
körpern beladen sind, sieht, und die Spindelzellen gleichmässig ge¬ 
formt sind, keine Abnormitäten in den Kernen darbieten und 
zwischen sich faserige Intercellularsubstanz erkennen lassen, han¬ 
delt es sich nicht um ein Sarkom.“ 

Bei den entzündlichen Bildungen der Ostitis fibrosa besteht 
eine sehr nahe Beziehung zwischen Riesenzcllen und Pigment. 
„Fast alle Riesenzellen sind mehr oder weniger reichlich mit eisen¬ 
haltigem Pigment angefüllt.“ Bei der Epulis und den Riesen¬ 
zellensarkomen der langen Röhrenknochen lindet sich gleichfalls 
reichlich Pigment, aber nie innerhalb der Riescnzellen. 

Bei der Epulis sind die Riesenzellen annähernd gleichmässig 
verteilt, bei den entzündlichen Bildungen der Ostitis fibrosa bilden 
sie dichtgedrängte Haufen, an anderen Stellen fehlen sie. 

In den Ricscnzellensarkomen des Femurs und der Tibia „findet 
sieh stets eine erhebliche Polymorphie der Zellen“; niemals ver¬ 
misst man hyperchromatische Kerne, Verklumpungen, neben den 
eigentlichen Riesenzellen zw T ei- oder dreikernige Zellen; auch 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



100 


F. Lot sch, 


Digitized by 


werden Mitosen, die in unserem Falle (von Ostitis fibrosa) ganz 
fehlen und auch in keinem der anderen Autoren erwähnt werden, 
hier nie vermisst. 

Bei der Ostitis fibrosa finden sich deutliche Uebergänge von 
fibrösem Gewebe zu riesenzellenhaltigem. 

Nach diesen Ausführungen besteht trotz mancher Aehnlich- 
keiten ein ausgesprochener, histologisch mit Sicherheit nachweis¬ 
barer Unterschied zwischen den riesenzellenhaltigen Gewebsstruk- 
turen der Ostitis fibrosa und den eigentlichen Riesenzellensarkomen 
mit Einschluss der Epulis. „Die Hauptsache ist (nach Lubarsch), 
dass man den Gedanken aufgibt, als hätten diese Gebilde (der Ostitis 
fibrosa) irgend etwas mit blastomatösen Wucherungen zu tun.“ 

v. Recklinghausen hat in seinem nachgelassenen Werk 
(1910) zu diesen Ausführungen Lubarsch’s (1906) leider nicht 
Stellung genommen, v. Recklinghausen sah die Streitfrage unter 
ähnlichem, aber doch auch gänzlich anderem Gesichtswinkel. Er 
stellt die Epulis und die myelogenen Riesenzellensarkome der Meta- 
physen der langen Röhrenknochen nicht als wahre Riesenzellen¬ 
sarkome den entzündlichen Bildungen der Ostitis fibrosa gegenüber, 
sondern fasst sie sämtlich als Produkte der gleichen Erkrankung 
des Knochenmarks, nämlich der Ostitis fibrosa auf. Trotzdem er 
mit dieser Lehre wenig Anklang gefunden zu haben scheint, hatte 
er doch sehr gewichtige Gründe für seine Anschauung. 

Er folgt E. Nelaton und geht von den Epuliden aus, die er 
für myelogene Bildungen hält. „In den richtigen Epuliden der 
Kiefer hat man häufig genug Stellen mit fibröser Struktur, daneben 
unbestreitbar neugebildetc Knochen- und Osteoidbälkchen angetrolTen, 
ja sogar Cysten, welche weder mit der Oberkieferhöhle, noch mit 
den Alveolen oder Zahnwurzeln zusammenhingen. Kurz, die Zu¬ 
sammensetzung, der ganze Aufbau, das langsame Wachstum, die 
lokale Recidivfähigkeit, der Verlauf der Epuliden stimmt mit den 
Eigentümlichkeiten der Tumoren, welche bei der fibrösen Ostitis in 
den letzten beiden Jahrzehnten nachgewiesen wurden, so vollkommen 
überein, dass beide Geschwulstarten als zusammengehörende, auch 
genetisch gleichartige angesehen werden müssen. Höchstens sind 
sie in quantitativer Beziehung verschieden. Denn die Epuliden sind 
zur Zeit raschen Wachstums und im Zustand besonderer Reizung 
übermässig reich an jungen spindelförmigen Zellen, so dass ihnen 
alsdann auch die Bezeichnung sarkomatös oder Riesenzellensarkome 
in Anbetracht ihres morphologischen Verhaltens gegeben werden 
kann.“ 

Zunächst müssen wir versuchen, eine Einigung bezüglich der 
Stellung der sog. Epuliden zu ermöglichen. Lubarsch hält sie 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



l'eber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 101 

für sichere Riesenzeilensarkome, v. Recklinghausen (und ebenso 
E. Nelaton) für entzündliche Bildungen bei Ostitis fibrosa. Eine 
Tatsache ist sehr befremdlich, nämlich dass kein Pathologe vor 
Lu barsch mit solcher erfreulichen Sicherheit und Bestimmtheit die 
Möglichkeit einer Unterscheidung dieser Gebilde betont hat, ja man 
kann sogar nachweisen, dass die meisten keine unterscheidenden 
Merkmale entdeckt haben. Unter ihnen finden sich Namen wie 
Virchow, v. Recklinghausen, Mönckeberg, Albrecht, Orth 
(s. bei Kehr). Allzu naheliegend sind diese morphologischen Unter¬ 
schiede also sicherlich nicht. Wir werden in Zukunft den dankens¬ 
werten Anregungen Lubarsch’s besondere Aufmerksamkeit zu 
schenken haben. Die Richtigkeit der Befunde eines Pathologen 
vom Rufe Lubarsch’s wird niemand anfechten wollen. Indessen 
stellt sich in späterer Zeit vielleicht auch hier heraus, dass wir die 
morphologischen Befunde für die Deutung und Einteilung zu ein¬ 
seitig betont haben. Mehr noch gibt folgende Tatsache zu denken: 
In 3 Fällen von generalisierter Ostitis librosa fanden sich neben 
den typischen Bildungen der Erkrankung gleichzeitig Epuliden 
(v. Recklinghausen [Fall Bleich], Mönckeberg, Wrede). Vor 
allem der Fall Wrede ist sehr instruktiv. Die Krankheit begann 
im 30. Lebensjahre mit Epulis am Unterkiefer, die operiert wurde. 
Ausgebreitete, festgestellte Ostitis fibrosa mit den charakteristischen 
Veränderungen und zahlreichen Cysten in fast allen Knochen, auch 
im Schädel. Im 40. Jahre grosses Riesenzellensarkom des Ober¬ 
kiefers, Exstirpation. 

Ein zufälliges gemeinsames Vorkommen der Ostitis fibrosa und 
der als wahrer Tumor aufzufassenden Epulis kann wohl völlig aus¬ 
geschlossen werden. Dafür ist die Zahl von 3 Fällen bei der 
relativen Seltenheit der Epulis doch zu gross. Eine Fehldiagnose 
ist höchst unwahrscheinlich. Will man nicht annehmen, dass es 
zweierlei Epuliden gibt, solche, die wahre Tumoren sind, und solche, 
die bei Ostitis fibrosa als entzündliche Bildungen Vorkommen — 
das wird selbst der begeistertste Verfechter der Tumornatur nicht 
wollen —, so bleibt nichts übrig, als zuzugeben, dass die Epuliden 
mit den riesenzellensarkomartigen Bildungen der Ostitis fibrosa 
identisch sind. Damit besteht die Behauptung v. Recklinghausen’s 
zu Recht, dass die Epuliden zur Kategorie der metaplastischen 
Malacie, zur tumorbildenden fibrösen Ostitis gehören und die höchsten 
Stufen fibrös-ostitischcr Neubildung darstellen. Diese Ansicht ver¬ 
tritt in neuester Zeit auch Stumpf. 

Die „pigmentierten Sarkome u der langen Knochen sind durch 
den gleichen grossen Blut- und Pigmentgehalt wie die Epuliden 
ausgezeichnet. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



102 


F. Lot soll. 


Digitized by 


Sie kommen beide in den ersten 3 Jahrzehnten des Lebens 
zur Beobachtung. Ihre Entwicklung fällt in die Jugendjahre ebenso 
wie diejenige der anderen solitären Bildungen der Ostitis fibrosa 
iKnochencysten). Ihre Prädilektionsstelle sind die Metaphysen der 
Röhrenknochen (Schlange, Virchow u. a.), also in den jugend¬ 
lichsten und am spätesten ausgewachsenen Knochenabschnitten. 

Sie bauen sich auf aus den bekannten Repräsentanten der 
bindegewebigen Formationen: Bindegewebe, Schleim — Osteoid¬ 
knochen —, ganz selten Knorpelgewebe, Lvmphraark und Fettmark. 

Das umgebende Gewebe erfährt einen grossartigen Umbau, so 
dass es sich um eine ausgesprochene metaplastische Malacie bei 
dieser Art Tumorbildung handelt. Die häufig dünne, schalenförmige, 
knöcherne Kapsel, die die Tumoren umgibt, besteht durchweg aus 
neugebildetem feinporigem Knochengewebe. Das Gleiche gilt von 
den Knochenbälkchen im Innern der Geschwulst. Auch der an¬ 
scheinend sehr seltene Befund von Knorpelgewebe erklärt sich 
histogenetisch nach dem früher Gesagten ohne Schwierigkeit. 

Die besondere Stellung dieser Riesenzellensarkome in der Ge¬ 
schwulstlehre und besonders in der klinischen Pathologie wurde 
bereits betont. Die Tumoren mögen noch so riesige Dimensionen 
annehmen, so gut wie stets wird das Periost und der Gelenk¬ 
knorpel als Grenze respektiert. Zum Unterschied gegen Fibrome 
und Cysten macht die riesenzellensarkomartige Wucherung dagegen 
nicht Halt vor der Epiphysenlinie und erweist sich auch dadurch 
als die proliferationsfähigste Bildung der fibrösen Ostitis. Das häufig 
hochgradig gedehnte Periost erleidet, wenn überhaupt, lediglich 
durch Zerrung und mechanische Dehnung Lücken, aus denen die 
Tumormassen durchbrechen, eine eigentliche Einschmelzung bzw. 
Durchwucherung findet nicht statt. In jenen überaus seltenen 
Fällen von späterem infiltrierenden Wachstum, also von malignen 
Riesenzellensarkomen soll die Bösartigkeit stets mit dem Durch¬ 
bruch des schützenden Periosts erfolgen (Steward). 

Noch auf eine weitere Eigentümlichkeit dieser solitären meta- 
physären bzw. epiphysären Riesenzellensarkome hat v. Reckling¬ 
hausen hingewiesen, auf die in und an dem Tumorgewebe vor¬ 
handenen Cysten. Er citiert als Paradigma das von Schuchardt 
in der Deutschen Chirurgie auf Tafel I farbig abgebildete schalige 
Riesenzellensarkom des unteren Tibiaendes, das zwei haselnuss¬ 
grosse, ganz glattwandige Cysten enthält. Aehnliche Befunde in 
Riesenzellensarkomen der Röhrenknochen erhoben E. Nelaton, 
Delanglade-Cornil, Lebert (s. v. Recklinghausen). 

Aus der Sammlung unserer Klinik kann ich ein hierherjjehörigcs Präparat 
beschreiben, das ich mikroskopisch nachuntersucht habe, um mir ein eigenes 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 103 


Urteil über diese Fragen zu bilden. Es handelt sieh um ein Kcscktionspräparat 
aus Franz Königs Zeiten, Die Signatur lautet: Saivoma radii, Anna Sch., 
42 Jahre, Frauenstation 3. 

Leider ist keine Jahreszahl vermerkt, so dass es mir leider nicht möglich 
war, klinische Daten aufzufinden. Dieser bedauerliche Manuel fällt jedoch des¬ 
halb nicht allzuschwer ins Gewicht, weil ich lediglich histologische Scliliisse 
aus der Untersuchung zu ziehen brauche. Derartige Kesektinnspräparatc werden 
heutzutage trotz unserer Fortschritte in der plastischen Knochenehirurgic immer 
seltener, weil wir uns heutzutage bei der erwiesenen Gutartigkeit dieser'rumoren 
fast stets auf die Exchochleation beschränken. Dass es sich um einen Solitär- 
tumor handelte oder wenigstens an den anderen Knochen keine Veränderungen 
klinisch nachgewiesen werden konnten, treht aus der Art der Operation ohne 
weiteres hervor. Der trotz der Auslaugung in der Konservierungsflüssigkeit 
noch immer deutlich bräunlich gefärbte Tumor sitzt in der resezierten unteren 
Radiusmeta- und epiphyse und hat zu einer kolbigen Auftreibung dieses 
Knoehenabschnittes geführt. Ueberall ist die Geschwulst von einer wenn auch 
dünnen knöchernen Schale umgehen, das Periost. ist nirgends durchbrochen, der 
(iolenkknorpel intakt. Auf dem Durchschnitt- (s. Fig. 34) sieht man unten noch 
ein Stück der normalen Diaphy.se, die beiden Uorticalispfeiler lassen sieh noch 
eine Strecke weit in den Tumor hinein verfolgen, um dann zu verschwinden. Auf 
der Daumenseite tritt dieses Verschwinden früher ein. Das Periost mit seiner 
darunter gelegenen Schale von neugebildetem Knochengewebe ist hier besonders 
stark vorgetrieben und eine kleine Strecke weit von der Diaphysencortiealis ab¬ 
gehoben. Auf diese Weise ist an dieser Stelle der Uorticalispfeiler beiderseits 
vom Tumorgewebe umgeben und endet zugespitzt darin. In gleicher Höhe mit 
der Periostabhebung verläuft die deutlich sichtbare Grenze der Geschwulst 
gegen das normale Knochenmark innerhalb der Markhöhle. Der wichtigste l»e- 
fund sind zahlreiche, glattwandige, bis etwa erbsengrosse, cystisehe llohlräume 
mitten im Tumor, die zum Teil miteinander durch breitere oder enge Oeffrumgen 
kommunizieren. Die grösseren zeigen unvollständige septenartige Leisten und 
Vorsprünge der Wand. Zur mikroskopischen Untersuchung wurde der in der 
Abbildung sichtbare keilförmige Teil der linken Hälfte entnommen. Das da¬ 
durch freigelegte Gewebe hat (‘inen erheblich dunkleren braunen Farbenton als 
die stärker ausgelaugte alte Schnittfläche. Die Entnahme gelingt mit dem 
Messer. 

Histologisch zeigt das Gewebe in grösster Ausdehnung die Struktur der 
Ricscnzdlensarkomc. ln der Umgebung des Gcsehwulstgewebes findet sieh 
spongiöses Knochengewebe mit sehr deutlichem Osteoblastenbesatz und osteoiden 
Säumen. Die Maschen bzw. .Markräume sind mit relativ zell- und gefässreiehem 
Fasermark erfüllt. Die Spindelzellen lassen deutliche Intcreellularsubstanz in 
Gestalt von Fibrillen erkennen und laufen bündelweise parallel den Knoehen- 
rändern. Einige Stellen sind kern- bzw. zellärmer, auch der Gefässgehah tritt 
in den Hintergrund, wir haben richtiges Fibromgewebc vor uns. Solche Herde 
von mikroskopischer Kleinheit finden sieh auch inmitten der Geschwulst. Der 
Uebergang des Fasermarks in das sehr zellreiehe Sarkomgewehe erfolgt ziem¬ 
lich unvermittelt (s. a. Fig. 35). Innerhalb des eigentlichen Tumorgewebes 
herrscht- ein sehr kernreiehes Spindelzellengewehe durchaus vor. stellenweise ist 
es mit ziemlich zahlreichen rundlichen Zellen durchschossen, die nur an wenigen 
Orten an Zahl die Spindelzellen übertreffen. Die Zellkerne, auch die lang¬ 
gestreckten der Spindelzellen zeigen eine Kernstruktur. Sichere Mitosen habe 
ich nicht finden können, auch keine Verklumpungen. Intcreellularsubstanz ist 
nicht oder jedenfalls nur an wenigen Stellen nachweisbar. Der Gehalt an Hlut- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



104 


E. Lotseh, 


Digitized by 


gefassen ist wechselnd. Auch Lymphgefässe mit homogener Füllung und teil¬ 
weise grossem Lumen sind sichtbar. Auch ausserhalb der dünnwandigen Blut¬ 
gefässe finden sieh mte Blutkörperchen zwischen den Zellen im Gewebe. Ausser¬ 
dem fällt der Reichtum an Pigment auf. Es ist zwar durch die Konservierungs¬ 
flüssigkeit ausgelaugt, doch immerhin noch mit Sicherheit nachzuweisen. Das 
Pigment liegt zwischen und in den Tumorzellen. Als wichtiger und auffallender 
Zellbestandteil sind endlich die Riesenzellen anzuführen. In grösseren Bezirken 
des Tumorgewebes fehlen sie gänzlich, in anderen finden sie sich spärlich, meist 
jedoch treten sie in derart erheblicher Zahl auf, dass sie dem histologischen 
Bild durchaus das charakteristische Gepräge verleihen, ihre Form ist viel¬ 
gestaltig, die Ecken und Fortsätze des Protoplasmaleibes fügen sieh in ent¬ 
sprechende Lücken und Aussparungen des umgehenden Gewebes. Häufig hat 
sieh das umliegende Gewebe infolge der Konservierung etwas von den Riesen¬ 
zellen zurückgezogen, so dass die Riesenzellen in einem besonderen Hohlraum 
zu liegen scheinen. Ihre Grösse ist zum Teil recht beträchtlich. Die inmitten 
des Zellleibs aufgehäuften Kerne sind meist rundlich, bläschenförmig und zeigen 
ein deutliches Kernkörperehen, ln einigen Exemplaren ist auch die andere 
Riesenzellenform vertreten. Ihr Protoplasma ist etwas stärker tingiert, die 
Kerne sind schmaler, zeigen weniger runde Konturen, sind intensiv dunkel ge¬ 
färbt. Von Kernstruktur und Kernkörperehen ist nichts zu sehen. Mitosen 
fand ich in den Riesenzellen nie, dagegen Vakuolen. Pigmenteinschlüsse waren 
nicht mehr nachweisbar. Die Cysten werden zum Teil direkt von dem Sarkom- 
gewehe begrenzt. Einige Riesenzellen finden sieh in nächster Nähe der Innen¬ 
fläche des Hohlraumes, im ganzen treten sie jedoch in der eigentlichen W and 
an Zahl sehr zurück. Der Cysteninhalt besteht fast durchweg aus roten Blut¬ 
körperchen. Eine Epithel- oder Endothelauskleidung des Hohlraumes fehlt völlig. 

Innerhalb des Tumors finden sieh ferner noch stellenweise Anhäufungen 
von spongiösem Osteoid und zwar zum Teil so reichlich, dass das histologische 
Bild dadurch beherrscht wird. In den engen Maschen liegt das zellreiche 
.Sarkomgewebe. Mehrfach lässt siel) eine ziemlich deutlich differenzierte Osten- 
blastcnsehieht wenigstens auf kleine Strecken nachweisen. Besonders inter¬ 
essant ist der histologische Befund des Tumors unter dem Gelenkknorpel des 
Radius. Das zellreiehc Sarkomgewebe reicht stellenweise bis dicht an den un¬ 
versehrten Gelenkknorpel heran. Innerhalb des riesenzellcnreichen Tumor¬ 
gewebes finden sich noch reichlich Spongiosabälkehen, die ihrer Struktur nach 
zum Teil alt. zum Teil neugebildet erscheinen, zum Teil liegen die Riesenzellen 
in Lakunen oder doch dem Knochengewebe direkt an (Osteoklasten), daneben 
ist streckenweise ein deutlicher Osteoblastenbesatz nachzuweisen. Osteoide 
Appositionssäume sind nicht sichtbar. Im ganzen herrscht der Knochenabbau 
vor. Tumorwärts, also in einer gewissen Entfernung vom Gelenkknorpel geht 
das Sarkomgewebe fast unvermittelt in .Fibromgewebe über (Fig. 35), das auf¬ 
fallend gefässarm ist im Gegensatz zu dem stellenweise sehr gefässreiehen 
R i esc n zell e n sark o mgewebe. 

Nach diesem üntersuchungsergebnis muss ich mich der Ansicht 
von v. Recklinghausen durchaus anschliessen, der eine volle 
Uebereinstimmung der Gewebsstrukturen der beiden Tumorarten, 
der Myeloide einerseits, der bei der fibrösen Ostitis vorkommenden 
Fibrome und Riesenzellensarkome andererseits behauptet. Für die 
Epuliden und eine grosse Reihe von myelogenen Riesenzellensarkomen 
möchte ich das auf Grund meiner Befunde durchaus bestätigen. Ob 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


105 


alle Riesenzellensarkome des Knochensystems darunter begriffen 
werden dürfen, will ich, so wahrscheinlich es mich dünkt, nicht 
behaupten, weil mir grössere eigene Erfahrungen über dieses Ge¬ 
biet fehlen. 

Lubarsch macht besonders darauf aufmerksam, dass er bei 
„echten Riesenzellensarkomen“ mit Fraktur die Sarkomstruktur 
besonders deutlich ausgeprägt fand, die Zellwucherung war beson¬ 
ders üppig, reich an Mitosen und vielgestalteten Zell- und Kern¬ 
veränderungen; dagegen fanden sich ebensowenig, wie in den 
Epuliden, nie ähnliche Beziehungen der Riesenzellen zum Blut¬ 
pigment (Phagocytose). 

Den Anregungen Lubarsch’s folgend, werden wir mehr als 
früher in jedem Falle von riesenzellensarkomartigem Geschwulst¬ 
gewebe auf die aufgeführten Merkmale des genannten Autors 
achten, besonders auch auf das Verhalten des Gewebes in der 
nächsten Geschwulstumgebung. Ob sich auf diese Weise rein 
morphologisch-histologisch eine Unterscheidung zwischen den Bil¬ 
dungen der. Ostitis fibrosa und wirklicher Riesenzellensarkome wird 
ermöglichen lassen, erscheint möglich, aber gleichzeitig sehr un¬ 
wahrscheinlich. Die Epuliden und zum mindesten ein grosser 
Teil der metaphysären Riesenzellensarkome gehören zur Ostitis 
fibrosa, das geht aus mehreren Beobachtungen zur Evidenz hervor. 

Der Standpunkt, den v. Haberer einnimmt, erscheint durch¬ 
aus diskutabel. Man kann meines Erachtens sehr wohl die tumor¬ 
artigen Gebilde riesenzellensarkomartigen Gewebes bei der Ostitis 
fibrosa als wahre Riesenzellensarkome auffassen und somit von 
einer Kombination der Ostitis fibrosa mit Riesenzellensarkomen 
sprechen. Dagegen heisst es doch den Tatsachen Zwang antun, 
wenn man einige dieser Tumoren als entzündliche Bildungen auf¬ 
fasst und andere als wahre Tumoren ihnen gegenüberstellt, obwohl 
beide Formen bei sicheren Fällen von generalisierter Ostitis fibrosa 
nebeneinander Vorkommen. Vor dieser klinisch und autoptisch er¬ 
wiesenen Tatsache müssen alle anscheinend noch so exakten mor¬ 
phologischen Unterscheidungsmerkmale in den Hintergrund treten. 
Ein allzu einseitiges Betonen gewisser histologischer Unterschiede 
führt auch hier zu erweisbaren Fehlschlüssen. 

Die solitären riesenzellensarkomartigen Bildungen verhalten 
sich dann zur generalisierten Form genau wie die solitär auf¬ 
tretenden Fibrome und namentlich Cysten. 

Ich möchte mit Lubarsch im Sinne v. Recklinghausen’s 
behaupten, die braunen, riesenzellensarkomartigen Tumoren sind 
sicher keine echten Tumoren, sondern eine besondere Art entzünd- 
icher oder resorptiver Neubildungen. Das gilt nach meiner Mci- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



106 


F. Lot sch. 


Digitized by 


nung sowohl für die Bildungen bei der generalisierten Form der 
Ostitis fibrosa, als auch für die solitär auftretenden und deckt sich 
durchaus mit der klinischen Erfahrung, die diesen Bildungen schon 
lange eine Sonderstellung ein/.uräutnen zwang. Diese, seine Ein¬ 
heitstheorie, nennt v. Recklinghausen selbst mit Recht „wohl¬ 
begründet“. Danach sind Tumoren mit der Struktur der Myeloide 
und der besonderen Neigung zur Pigment- und Cystenbildung, die 
wohl an ihrem Standort reeidivieren, aber niemals Metastasen in 
anderen Abschnitten des Skeletts oder gar in den weichen Or¬ 
ganen herbeiführen, als Bildungen ein und derselben Krankheits¬ 
form aufzufassen, d. h. nur Spielarten der metaplastischen Osteo- 
malacie. 

Das multiple Auftreten dieser riesenzellensarkomartigen Bil¬ 
dungen bei der generalisierten Form der Ostitis fibrosa sprach 
von Anfang an gegen die Auffassung als wahre Sarkome (Rehn, 
Gaugele u. a.). Gaugele hatte in seiner ersten Arbeit folgende 
Tatsachen gegen diese letztgenannte Auffassung angeführt: 

1. Muhiplizität der Knochenalfektion, 

2. jahrelang ungestörtes Allgemeinbefinden, 

3. nicht circumscripte, sondern diffuse Beteiligung beinahe 
sämtlicher Skelettknochen oft ohne oder mit nur geringer 
Auftreibung, 

4. scharfe Abgrenzung gegen die umgebenden Weichteile, 

5. Heilung der pathologischen Frakturen trotz der Tumoren. 

Dass das multiple Auftreten der riesenzellensarkomartigen 

Gebilde bei der generalisierten Form der Ostitis fibrosa nicht auf 
Metastasierung beruhen kann, wird von allen Autoren anerkannt. 
In sicheren Fällen dieser Erkrankung finden wir die Bildungen in 
der verschiedensten Ausdehnung und Anordnung. Der tebergang 
des fibrösen Markgewebes zu dem kernreichen und ricsenzellen- 
haltigen Gewebe ist ein durchaus fliessender (s. Figg. 6 und 35). 
Die allmählichen Uebergänge konnte ich auch in unserem Falle B. 
sehr deutlich aufweisen, und ganz das gleiche Verhalten fand ich 
auch in dem beschriebenen cystenhaltigen, solitären „Riesenzellen- 
sarkom“ des unteren Radiusabschnittes. Hart beschreibt kleine 
isolierte riesenzellensarkomähnliche Herde mitten im Fettmark. 

Man mag mit Stumpf diese zelligen Neubildungen als etwas 
Besonderes ansehen, das zur einfachen metaplastischen Malacie 
hinzukommt, für die Fälle generalisierter Ostitis fibrosa bildet der 
Befund dieser „Riesenzellensarkome“ einen so häufigen Befund, 
dass man die Bildung als zum Krankheitsbild gehörig bezeichnen 
muss. In den von mir aufgeführten 37 Fällen findet sich 17 mal 
eine positive Angabe. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit 'rumoren und Cysten. 107 

Den Beginn der histologischen Veränderungen bei der Ostitis 
fibrosa sieht v. Recklinghausen auf Grund seiner Befunde in der 
Bildung von Fasermark um die jüngsten Knochenbälkchen in der 
Peripherie des Fettmarks. Die Fasern haften an den Spongiosa- 
bälkchen fest (Fasermantcl-Askanazy) und dringen in sie ein 
(Reichtum Sharpey’scher Fasern im Knochen). Das jugendliche 
Fasermark ist stellenweise von Rundzellen durchsetzt und stellt 
sich als offenbares Granulationsgewebe dar. Als Grenze gegen 
das Fettmark sah v. Recklinghausen mehrfach eine Zone von 
Lymphoidmark. Die bei der starken Knochenresorption notwendiger¬ 
weise auftretenden Riesenzellen verschwinden nicht — wie nor¬ 
malerweise — nach Abschluss ihrer osteoklastischen Tätigkeit, 
sondern schliessen sich zusammen, vermehren sich wahrscheinlich 
auf den Reiz der fortwährend stattlindenden Blutungen und beladen 
sich als Phagocyten mit Pigment. So haben wir uns nach Lubarsch 
in der Hauptsache die Bildung der riesenzellensarkomähnlichen 
Teile zu denken, v. Recklinghausen macht ebenfalls darauf auf¬ 
merksam, dass die Nähe der pigmentreichen Fasermarkstellen und 
der eigene Pigmentreichtum der Riesenzellensarkome auf ihre Ent¬ 
stehung aus oder unter abnormen Blutanhäufungen und kongestiven 
Hyperämien hinweisen. Die Cystenbildung ist in jedem Falle auf 
dem Wege der einfachen Atrophie und Rarefaktion durch Er¬ 
weichung zu erklären (v. Recklinghausen, Fujii, Verfasser). 
Blutungen und Gewebsinfarzierungen spielen dabei eine fördernde 
Rolle. 

Anfänglich tritt die Erkrankung stets in circumscripten Herden 
in den einzelnen Knochen auf. Durch Ausbreitung und Konfluenz 
kommt es später zu diffus den ganzen Knochen durchsetzenden 
Veränderungen. Das Freibleiben der Epiphysen (bis auf die Riesen¬ 
zellensarkome) und der Prädilektionssitz in den Metaphysen des 
jugendlichen, der Schaftmitte des erwachsenen Knochens habe ich 
bereits erwähnt. Durch den hochgradigen Umbau büsst der Knochen 
seine Festigkeit ein, wird schneid- und biegsam, gibt dem Wachstums¬ 
druck der fibrösen Wucherungen nach, es kommt zu Verdickungen, 
Auftreibungen, der in seiner Widerstandsfähigkeit geschädigte 
Knochen erfährt Verbiegungen und Verkrümmungen, „physiologi¬ 
sche Traumen“ führen bereits zu Infraktionen und „pathologischen 
Frakturen“. In Analogie zu den anderen zur Erweichung führenden 
Erkrankungen des Knochensystems finden sich nicht alle Skelett¬ 
abschnitte gleichmässig beteiligt, sondern es bestehen typische Prä¬ 
dilektionsstellen. Wie bei der Osteomalacie, der senilen Porose 
und besonders auch der Paget’schen Form der Ostitis sind zu¬ 
nächst die Hauptstützen des Körpers befallen: Wirbelsäule, Schädel- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



108 


F. Lot soll. 


Digitized by 


basis, Becken mit oberem Femurdrittel; in zweiter Linie das 
Thoraxskelett (Rippen, Brustbein); in dritter Liqie die langen 
Röhrenknochen, und zwar ihre Diaphysen, die Schädelknochen und 
der Schultergürtel. 

Die Wirbel nehmen die sehr charakteristische bikonkave Form 
an und erinnern an „Fischwirbel“. In ihrem Innern, besonders im 
Körper wurden neben starker Porosierung Fibrome, Riesenzellen¬ 
sarkome und Cysten .nachgewiesen. Es kommt zu Kyphose eventl. 
auch Skoliose, besonders im Brustteil, und entsprechender Lenden¬ 
wirbellordose. Die verdickte, porotische Schädelbasis wird in der 
Gegend des Foramen occipitale durch den Gegendruck der Wirbel¬ 
säule in die Schädelhöhle vorgewölbt. Den Grund dazu bildet die 
Nachgiebigkeit und Schwere des verdickten Schädels. Eine Ver¬ 
ringerung der Schädelkapazität resultiert aus dieser sog. Elevation 
der Basis anscheinend nicht. 

Das Becken wird meist schief, dabei kartenherzförmig, die 
Darmbeine stellen sich senkrechter, so dass die Cristae sich nähern, 
die Tubera ischii weiter auseinander rücken. In hochgradigen Fällen 
kommt es sogar zu Schnabelform der Symphyse. Die Becken¬ 
schaufeln sind ein Lieblingssitz für Tumoren und Cysten, bei der 
generalisierten und auch bei der solitären Form der Ostitis fibrosa 
(ich erwähne u. a. Fall Froriep’s, Rehn’s, unseren Fall, von 
dem solitären Froriep’s II. Fall, Bo ström). 

Ein besonders charakteristischer Befund zeigt sich überaus 
häufig an dem oberen Drittel des Femurs. Dieser Skelettabschnitt 
bildet wohl die häufigst befallene Stelle, sowohl bei der solitären 
wie bei der generalisierten Ostitis fibrosa (unser Fall B. bildet 
eine bemerkenswerte Ausnahme). Die Erkrankung führt hier zu 
allen der metaplastischen Malacie eigentümlichen Bildungen, zu 
Fibromen, Riesenzellensarkomen und vor allem auch zu Cysten. 
Die Veränderungen treten relativ häufig symmetrisch auf. Die 
Bevorzugung der oberen Femurmetaphyse ist auch für metastatische 
Bildungen bekannt, besonders maligne Schilddrüsen- und Neben¬ 
nierentumoren machen an dieser Stelle gern ihre oftmals solitären 
Knochenmetastasen. Ob Besonderheiten der Gefässversorgung diese 
auffällige Tatsache zu erklären imstande sind, mag vorläufig dahin¬ 
gestellt bleiben. Infolge Zerstörung der Trajektorien und Spongiosa¬ 
balkenzüge gibt dieser mechanisch besonders beanspruchte Skelett¬ 
teil nach und es kommt zu einer durchaus typischen, nach aussen 
und vorn konvexen Krümmung, die derart hohe Grade erreichen 
kann, dass der Scheitelpunkt der Krümmung höher liegt als der 
Trochanter major (s. Fig. 1). Die Bezeichnung „hirtenstabförraige 
Krümmung, die v. Recklinghausen eingeführt hat, ist so treffend, 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ucbcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 109 

dass sie besser als alle Beschreibung den Zustand anschaulich 
macht. 

Zusammengenommen führen die bisher genannten Skelett¬ 
veränderungen zu einer oft hochgradigen Verkleinerung, zu einem 
„Insichzusammensinken“. 

Die Beteiligung der Rippen und des Brustbeins ist bei stärkeren 
Graden der Generalisation gleichfalls durchaus gewöhnlich. Die 
besondere Neigung der Knochen des Rumpfskeletts zu porotischen 
Veränderungen ist von der senilen Knochenatrophie her bekannt, 
auch sei an dieser Stelle an das multiple Myelom erinnert, das 
zwar vornehmlich eine Erkrankung der hämatopoetischen Knochen¬ 
markskomponente zu sein scheint, das aber gleichfalls im Rumpf¬ 
skelett seine stärkste Entwicklung erreicht und durch Rarefaktion 
der Tela ossea sekundär zu hochgradigster Knochenbrüchigkeit 
führt. Ausser der häufig diffusen Erweichung zeigen die Rippen 
bei der Ostitis fibrosa gewöhnlich umschriebene Auftreibungen, be¬ 
sonders bevorzugt scheint die Gegend des Angulus costarum. Die 
Auftreibungen entstehen durch die üblichen Proliferationsbildungen 
der Markfibrose, man findet Fibrome, Riesenzellensarkorae und 
Cysten. Das Gleiche gilt vom Brustbein. Infolge der häufigen 
Skoliose der oberen ßrustwirbelsäule kommt es zur Bildung eines 
Rippenbuckels, durch den Druck der Arme gegen die seitlichen 
erweichten Rippenabschnitte zu einer Einwärtsbiegung, so dass die 
Humeri gleichsam in einer Rinne des Thorax liegen. Dieser 
Verminderung des queren Thoraxdurchmessers entspricht häufig 
eine Verlängerung des ventro-dorsalen bis zur Bildung eines aus¬ 
gesprochenen Pectus carinatum. 

Die langen Röhrenknochen sind in wechselnder Zahl und 
Ausdehnung befallen, bald ist der Hauptsitz der Erkrankung in 
einer oder gar beiden Metaphysen gelegen, bald in der Mitte der 
Diaphyse. Neben den Knochen der unteren Extremität sind auch 
die der oberen häufig befallen. Bei der Paget’schcn Form wird 
das Armskelett erfahrungsgemäss meist frei befunden. Das Gleiche 
gilt von Scapula und Clavicula. Besonders das Schlüsselbein ist 
relativ häufiger befallen und auch der Sitz solitärer fibröser Er¬ 
krankung. In diesem Zusammenhang seien die beiden von Franz 
König mitgeteilten Fälle erwähnt, die nach unserer heutigen Auf¬ 
fassung als solitäre bzw. circumscripte Ostitis fibrosa der Clavicula 
anzusehen sind. Die zunehmende Verdünnung der Corticalis führt 
zu Verbiegungen. An der Tibia ist eine nach vorn aussen konvexe 
Verkrümmung relativ typisch und erinnert an die gleiche Deformität 
bei der Paget’schen Form und bei der an der Tibia relativ häufigen 
diffusen Knochensyphilis. Die charakteristischen circumscripten 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



110 


V. Lot sch. 


Digitized by 


Auftreibungen der Ostitis fibrosa finden sich auch an den Röhren¬ 
knochen oft. Sie sind wiederum durch Tumoren und Cysten be¬ 
dingt. Die Knochenschale ist häufig so dünn, dass deutliches 
Pergamentknittern, ja bei stellenweise völligem Fehlen jeder 
knöchernen Begrenzung sogar Fluktuation nachzuweisen ist. Sind 
die bedeckenden und, wie erwähnt, unbeteiligten Weichteile dünn 
wie an der vorderen Schienbeinkante, so schimmert gelegentlich 
die dunkle, braunrote Geschwulstmasse durch. 

Auch die Knochen des Hand- und Fussskeletts sind häufiger 
befallen, als man zunächst glaubte. Auch bei den Sektionen muss 
häufig eine Untersuchung dieser Skelettabschnitte unterbleiben. Wir 
verdanken dem Röntgen verfahren sehr sichere Aufschlüsse, und in 
allen Fällen von Ostitis fibrosa sollte eine systematische Röntgen¬ 
untersuchung des gesamten Skeletts vorgenommen werden. Von 
den Fusswurzclknochen zeigten sich Talus und Calcaneus häufiger 
beteiligt. Auch solitäre Erkrankung in diesen Knochen wurde 
beobachtet (v. Recklinghausen, ßoström). Die Metakarpen 
und Metatarsen zeigen neben Porose diffuse Verdickungen und 
plumpe Formen (s. u. a. Virchow, unseren Fall), seltener finden 
sich umschriebene Höhlenbildungen. Eine DifTerentialdiagnose gegen¬ 
über centralen Enchondromen ist hier besonders schwierig, meist 
wohl überhaupt röntgenologisch unmöglich. Die Phalangen zeigen 
die gleichen Veränderungen wie die Metakarpen und Metatarsen, 
doch seltener und weniger ausgesprochen. 

Ebenso wie die Schädelbasis sind auch die übrigen Schädel¬ 
knochen häufig befallen. Die Unterscheidung der äusseren und 
inneren Tafel sowie der Diploe ist nicht mehr möglich. Die Nähte 
sind verschwunden, die oft beträchtlich verdickte Schädelkapsel 
zeigt auf dem Durchschnitt eine gleichmässige, spongiöse Struktur 
mit hvperämischem Fasermark in den weiten Maschenräumen. 
Eigentliche Tumoren und Cysten kommen ziemlich selten zur Beob¬ 
achtung. Neben den erweichten, kalkberaubten, schneidbaren, 
federnden Abschnitten finden sich stellenweise festere, eburneierte. 
Die Gefässfurchen sind meist sehr deutlich und vertieft. 

Von den Gesichtsknochen sind in erster Linie die Kiefer¬ 
knochen, sowohl Unter- wie Oberkiefer befallen, sodann das 
knöcherne Orbitalskelett im Verein mit dem Stirnbein. Besonders 
in den Kiefern sind Tumoren und Cysten, beobachtet tvorden. Vor 
allem verdient der einige Male beobachtete, frühzeitige Ausfall fast 
sämtlicher Zähne in diesem Zusammenhänge Erwähnung (s. a. Fall 
Bram an n und unser Fall B.), besonders deshalb, weil dies Symptom 
auch einige Male bei der PageCschen Form beschrieben wurde. 
Im ganzen herrscht die Hyperostose am Schädelskelett vor. Dass 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Uebcr srencralisiertc Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. in 


es sich dabei um eine hochgradige Metaplasie handelt, erhellt aus 
dem Gesagten. Der Innenraum der Schädelkapsel wird erfahrungs- 
gemäss nicht verringert, auch die Löcher und Kanäle für Gefässe 
und Nerven nicht verengert. Die Kopfform wird häufig etwas 
flacher, die vortretenden Stirnhöcker und die hohe Stirn verleihen 
dem Gesicht einen besonderen Ausdruck. Der infolge der Hyperostose 
schwerer gewordene Schädel sinkt nach vorn, in stärkeren Graden 
berührt das Kinn das Brustbein. 

Die pathologisch-anatomische Gleichheit des Schädelskelett¬ 
befundes bei der v. Recklinghausen’schen und Paget’schen 
Knochenkrankheit und bei der sog. Leontiasis ossea Virchow's 
beweist die Zugehörigkeit aller dieser Krankheitsformen zu einer 
morphologisch zusammengehörigen Gruppe. 

Dass wir es bei den Deformitäten mit rein sekundären Er¬ 
scheinungen zu tun haben, die allein durch mechanische Wirkungen 
eine völlig ausreichende Erklärung finden, ist mehrfach betont 
worden. Deshalb ähneln die Deformitäten des Skeletts sich bei 
allen zur Erweichung der Knochen führenden Krankheitsprozessen 
in so starkem Masse. 

Aetiologie. 

Den Prozess der metaplastischen Malacie hatte bereits Paget 
für seine hyperostotische Form als entzündlich aufgefasst und seiner 
Krankheit den Namen Osteitis deformans gegeben. Auch v. Reck¬ 
linghausen und alle späteren Autoren teilen diese Auffassung, 
und der Name Ostitis fibrosa bzw. deformans ist als zweck¬ 
entsprechend allgemein anerkannt. 

Die Berechtigung zu dieser Auffassung ist in der Neubildung 
des Markgewebes zu einem morphologisch eindeutigen Granulations¬ 
gewebe gegeben. Es handelt sich um eine produktive Entzündung 
des Markstroraas, die in den chronisch interstitiellen Entzündungen 
der parenchymatösen Organe ihr Analogon findet. Die Proliferation 
des interstitiellen Markgewebes führt zu einem Schwund des 
Knochenmarkparenchyms, der hämatopoetischen Komponente. Diese 
Proliferation hat einen, wie v. Recklinghausen sagt, deutlich 
irritativen Charakter, sie führt ausserdem zum Abbau des um¬ 
gebenden Knochengewebes. „Das besondere Merkmal der fibrösen 
Ostitis, als Ganzes genommen, liegt in der Metaplasie des fertigen 
Knochengewebes, daher hat dieselbe ihre eigentliche Zeit erst in 
der späteren Jugend, im zweiten Lebensjahrzehnt oder im er¬ 
wachsenen Zustand“. Dieser Ausspruch v. Recklinghausen's 
besteht nach den heutigen Erfahrungen nicht mehr so apodiktisch 
zu Recht. Trotzdem der genannte Autor in seinem nachgelassenen 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



112 


F. Lots eh, 


Digitized by 


Werk mit besonderer Sorgfalt alle Tatsachen hervorhebt, die eine 
entzündliche Genese wahrscheinlich machen, rät er zum Schluss 
doch, man möge diesen entzündlichen Charakter nicht zu stark 
betonen, nicht eine etwaige Infektion, z. ß. eine syphilitische, als 
den wahren kausalen Faktor betrachten. 

Es bleibt deshalb immerhin die entzündliche Genese bis zu 
einem gewissen Grade unbewiesen und zweifelhaft. Tatsächlich 
würde es sich, genau gesprochen, nicht um eine Ostitis, sondern 
um eine Osteomyelitis fibrosa interstitialis produetiva handeln, wie 
schon v. Recklinghausen hervorgehoben hat. Von anderer Seite 
ist der Name Endostitis bevorzugt worden. Ich glaubte mit der 
Bezeichnung „proliferierende Markfibrose“ am wenigsten zu prä- 
judizieren, auch die Benennung Endostose ist vorgeschlagen worden. 
Alle diese Bezeichnungen sind ebensowenig wie die Benennung 
„metaplastische Malacie“ imstande, den eingebürgerten Namen 
Ostitis fibrosa zu verdrängen und zu ersetzen. Das Gleiche gilt, 
wie oben auseinandergesetzt, von der Bezeichnung Knochencysten 
und Riesenzellensarkomen. Die Vorstellungen, die wir mit diesen 
Bezeichnungen im Zusammenhang mit der Ostitis fibrosa verbinden, 
berichtigen die sprachlichen Ungenauigkeiten ohne Schwierigkeit, 
und wir sollten deshalb von einer Namens Verbesserung Abstand 
nehmen. 

Wenn wir die Berechtigung einer morphologischen Zusammen¬ 
fassung aller mit Malacie einhergehenden Krankheiten des Knochen¬ 
systems anerkennen, so drängt sich immer wieder die Frage auf, 
ob dieser morphologischen Gleichheit auch eine genetische Gleich¬ 
heit entspricht. Bei der Gefahr dieser Art von Schlussfolgerung, 
nämlich von der gleichen Wirkung auf die gleiche Ursache, ist 
besondere Vorsicht geboten und ohne tatsächliche Beweisführung 
keine Stellungnahme möglich. Wenn aber bis zum heutigen Tage 
die Aetiologie einer so häufigen Erkrankungsform wie der Rachitis 
noch immer nicht geklärt ist, so .erscheinen die Aussichten für die 
Klarstellung einer so seltenen Form wie der Ostitis fibrosa be¬ 
sonders schlecht. 

Wenn wir uns der Frage nach der Krankheitsursache zu¬ 
wenden, so betreten wir den Boden der Hypothese. Die generalisierte 
Form der Ostitis fibrosa ist eine Systemerkrankung des Skeletts. 
Ernstlich können also lokale Reize als Entstehungsursache heutigen 
Tags nicht mehr diskutiert werden. 

Dass das Trauma, eine wie grosse Rolle es scheinbar in den 
Anamnesen auch spielt, als primäre Entstehungsursache für die 
generalisierte Ostitis fibrosa nicht in Betracht kommt, geht schon 
daraus hervor, dass die Krankheit auch an Knochenteilen auftritt, 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. H3 


die ein erweisliches Trauma nicht erlitten haben. Dass die Frakturen 
nicht' die Ursache, sondern die Folge der Erkrankung sind, ist 
heutzutage wohl allgemein anerkannt. Das gilt sowohl für die 
generalisierte wie für die circumscripte Ostitis fibrosa. In unserer 
Zeit, in der alle Frakturen, ja alle verdächtigen Kontusionen mit 
dem Röntgenverfahren untersucht werden, müssten viel häufiger 
Fälle von fibrösem Knochenumbau beobachtet werden. Der Häufig¬ 
keit der Frakturen steht die Seltenheit der Ostitis fibrosa gegenüber. 

Es bleiben lediglich Schädlichkeiten, die auf dem Blutwege 
das gesamte Knochensystem treffen. 

Eine direkte bakterielle Ursache erscheint von vornherein sehr 
unwahrscheinlich; die bakteriologischen Untersuchungen sind zudem 
bisher stets erfolglos geblieben. Der Befund von Diplokokken im 
Falle Gaugele-Lubarsch wird von den Autoren selbst als mög¬ 
liche nachträgliche Verunreinigung nicht allzu hoch bewertet. In 
dem 1. Falle Gehring’s (Röpke) wurden in der solitären Humerus¬ 
cyste eines 14jährigen Mädchens vereinzelte Staphylokokkenkolonien 
gefunden. Auch hier wird von dem Autor selbst die Möglichkeit 
einer Beimischung erwogen, wenn auch andererseits Röpke, unter 
dessen Leitung die Arbeit entstand, an eine schwache Infektion 
denkt. Die Frage erheischt eine exakte Nachprüfung, für unseren 
Fall hoffe ich diese bisher unterlassene bakteriologische Unter¬ 
suchung noch nachholen zu können. 

Dass sich die Untersuchung stets auch auf Spirochäten und 
Spirillen erstrecken sollte, habe ich früher bereits erwähnt. Neben 
dem Kulturverfahren (aerob und anaerob) sollte stets auch die 
Untersuchung im Dunkelfeld sowie der Tierversuch Verwendung 
finden. Eine syphilitische, tuberkulöse und aktinomykotische 
Knochenentzündung ist nach dem Verlauf und dem histologischen 
Befund wohl mit Sicherheit auszuschliessen. 

Wenn ich danach eine direkte bakterielle Entstehung von der 
Hand weisen möchte, so steht es anders mit einer indirekten 
Schädigung. Mehrfach findet sich in den Vorgeschichten die An¬ 
gabe, dass sich die Erkrankung an eine schwere Allgemeinkrank¬ 
heit anschloss. So in unserem Fall an schweres „Nervenfieber“. 
Hochgradige Anämie ist in der Hälfte der Fälle besonders hervor¬ 
gehoben. Auch bei den Tierversuchen, die vor allem zwecks Er¬ 
zeugung rachitischer Erkrankung in grosser Zahl vorgenommen 
wurden, ist zu bedenken, dass die Aenderung in der Lebensweise 
während der langen Beobachtungszeit sehr wohl eine wesentliche 
Rolle zu spielen vermag, v. Hansemann beschuldigt vor allem 
die Gefangenschaft, die Beschränkung der Bewegung in freier Luft. 
Mit einer sekundären Störung der Ernährung ist auch bei den Vcr- 

Archir fSr klln. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. ,X 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



114 


F. Lot sch, 


Digitized by 


suchen Morpurgo’s zu rechnen, dem es bei weissen Ratten durch 
Impfung von Bakterienkulturen unter monatelanger Beobachtung 
gelang, Knochenbrüchigkeit zu erzeugen. Derselbe Autor berichtet 
im Jahre 1908, ihm sei es durch Zufall gelungen, bei einer Maus 
eine Knochenbrüchigkeit durch fibröse Umwandlung des Knöchen- 
gewebes, also eine Ostitis fibrosa, zu erzeugen. Es handelt sich 
um einen Nebenbefund. Von zwei parabiotisch verbundenen Mäusen 
wurde die eine nephrektomiert, und diese zeigte die Knochen¬ 
erkrankung. 

Virchow hat in der Diskussion zu Morpurgo’s Vortrag 1900 
seine Ansicht bezüglich der Genese dahin ausgesprochen, die Er¬ 
weichung des Knochengewebes der Tela ossea sei auf Reizung 
(Entzündung), die Erweichung des Knochens im ganzen (als Organ) 
auf einfache Ernährungsstörung (Atrophie) zu beziehen. ’ 

Damit wird der Kreis der in Betracht kommenden Ursachen 
erheblich eingeschränkt, aber keineswegs klarer. 

Die alte Lehre von der Dyskrasie feiert in der Lehre von der 
inneren Sekretion ihre Auferstehung. Die Abhängigkeit des Knochen¬ 
systems von der Funktion der Drüsen mit innerer Sekretion ist 
durch sich stetig mehrende Beobachtungen nahegelegt worden. Die 
Beziehungen der Hypophysis zur Akromegalie, der Schilddrüse zum 
Zwergwuchs, der Ovarien zur puerperalen Form der Osteomalacie 
(Fehling) sind allgemein bekannt. Osteomalacie als Komplikation 
der ßasedow’schen Krankheit beobachtete u. a. v. Recklinghausen 
(Festschrift). Die nachweisbaren Veränderungen der verschiedenen, 
innersekretorischen Drüsen in der Gravidität: der Hypophyse, 
der Thyreoidea, der Nebennieren, der Ovarien führten andere Autoren 
zur Anschauung, dass die Osteomalacie nicht den Veränderungen 
der Ovarien, sondern denen der Schilddrüse (Hoennicke), denen 
der Nebennieren (Stöltzner) ihre Entstehung verdanke. Der typische 
Befund des Schwangerschaftsosteophyts an der Innenfläche der 
Schädelknochen weist auf einen Zusammenhang der Graviditäts¬ 
veränderungen der inneren Sekretion mit dem Knochensystem be¬ 
sonders hin. 

Unter den Sektionsbefunden der Fälle von Ostitis fibrosa 
generalisata finden sich einige makroskopisch auffällige Verände¬ 
rungen der Drüsen mit innerer Sekretion. Es handelt sich vor¬ 
nehmlich um Sklerosen, Wucherungen des interstitiellen Gewebes 
auf Kosten des Parenchyms (u. a. v. Recklinghausen, Fu jii, 
Davidsohn). In Schoenenberger’s Fall fand sich eine Struma 
suprarenalis. So einleuchtend eine FunktionsVerminderung durch 
Parenchymschwund scheint, so kann doch von einem erwiesenen 
Zusammenhang zwischen diesem Befund und der Ostitis fibrosa 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 


Ucber generalisierte Ostitis fibrosa. mit Tumoren und Cysten. 115 


vorläufig keine Rede sein. Unsere Kenntnisse über die Strüktur- 
änderungen dieser Organe sind noch sehr lückenhaft, und viele 
Fragen der inneren Sekretion werden sich, histo-pathologisch über¬ 
haupt nicht beantworten lassen, da der Drüsenfunktion sichtbare 
morphologische Zustandsänderungen anscheinend nicht entsprechen. 
In den letzten Jahren hat sich immer deutlicher der Zusammen¬ 
hang und die gegenseitige Abhängigkeit der sogenannten ßlutdrüsen 
herausgcstellt. Die Drüsen des endokrinen Systems arbeiten im 
Concern, und eine Störung an einer Stelle des Ringes löst gleich¬ 
zeitig auch Veränderungen in den anderen Centrcn aus. Die gleich¬ 
zeitige Funktionsuntüchtigkeit, das gleichzeitige Versagen mehrerer 
ßlutdrüsen ist dadurch verständlich. Claude, und Gougerot 
haben 1907 das Krankheitsbild der Insuffisance pluriglandulaire 
aufgestellt. Ihren pathologisch-anatomischen Ausdruck findet die 
Erkrankung, wie oben bereits erwähnt, in einer Proliferation des 
interstitiellen Bindegewebes auf Kosten des Parenchyms. Falta 
spricht deshalb von einer multiplen Blutdrüsensklerose, Wiesel 
von einer Bindegewebsdiathese mehrerer Blutdrüsen. Die sklero- 
sierende Veränderung der Organe kennen wir als physiologischen 
Vorgang im Alter. Ich stelle mir diese histologische Aenderung 
als eine Störung des Gewebsgleichgewichts vor. Die Annahme 
Wiesel’s, es gäbe eine besondere Drüse zur Regulierung des Binde- 
gewebswachstums, hat mancherlei für sich. Ob dabei an die 
Thyreoidea zu denken ist, weil cirrhotische Prozesse bei Hyper- 
thyreoidisraus stets fehlen, mag dahingestellt bleiben. Für das 
Fettgewebe ist die regulative Wirksamkeit der Hypophyse ziemlich 
sicher gestellt. 

Die Annahme, dass auch das Knochengewebe, d. h. sowohl 
Tela ossea wie Mark, der regulierenden Wirkung der inneren Se¬ 
kretion untersteht, findet einige wertvolle Stützen in den Beob¬ 
achtungstatsachen. Die Veränderungen im Blutbild bei der Base¬ 
dowschen Krankheit (Lymphocytose) beruhen zum grossen Teil auf 
einer veränderten Wirkung auf die hämatopoetische Komponente 
des Knochenmarks. Die Akromegalie ist als typischer Ausdruck 
einer Hypophysenerkrankung sichergestellt. Des Schwangerschafts- 
osteophyts der Schädelkapsel habe ich bereits gedacht. Die Zustands¬ 
änderung der Ovarien in der Gravidität gibt gleichzeitig ein be¬ 
sonders anschauliches Bild der gegenseitigen Abhängigkeit und Be¬ 
einflussung der Blutdrüsen. Neben der Veränderung der Ovarien 
ist eine auch anatomisch nachweisbare Vergrüsserung der Thyreoidea 
und der Hypophyse eine häufige Beobachtung während der Gravidität. 
Die Ovarien scheinen einen grösseren bzw. leichter zu schädigenden 
Einfluss auf das Knochensystem zu besitzen als die Testikel. Das 

s* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



116 


F. Lotsch, 


Digitized by 


gesteigerte Längenwachstum bei jugendlichen männlichen Kastraten, 
die längere Persistenz der Epiphysen ist bekannt. Die Beziehungen 
der Gravidität zur sog. puerperalen Osteomalacie sind nicht zu 
leugnen; ob die Zustandsänderung der Ovarien das einzig aus¬ 
lösende Moment ist, bleibt allerdings fraglich. Das Gleiche gilt 
von Hoennicke’s Hypothese einer Thyreoidose und der Stöltzner’s 
einer Nebennierenerkrankung. Die Zusammenarbeit, der Concern 
der Blutdrüsen ist gestört, dadurch erklärt sich auch die nur in 
einigen Fällen prompt heilende Wirkung der Kastration bei Osteo¬ 
malacie. Auch als Komplikation der Basedow’schen Krankheit 
wurde Osteomalacie beobachtet (s. den Fall v. Recklinghausen 
in der Festschrift). In den klinischen Daten der Fälle von generali¬ 
sierter Ostitis fibrosa finden sich ferner einige stützende Anhalts¬ 
punkte. Die starke Bevorzugung des weiblichen Geschlechts, die 
bereits erwähnt wurde, scheint auch für diese Erkrankungsform auf 
eine besondere disponierende Schädigung der Ovarien hinzuweisen. 
Meslay erwähnt bei seiner 15jährigen Patientin die fehlende 
Menstruation besonders. In Burchard’s Falle hörte mit dem Be¬ 
ginn der Erkrankung im 33. Lebensjahre die Menstruation auf, in 
unserem Falle schädigte die als „Nervenfieber“ bezeichnete schwere 
Allgemeinkrankheit die Ovarien derart, dass die Menstruation für 
1 / 2 Jahr cessierte, auch die späteren unregelmässigen Blutungen, 
die zu zweimaliger Abrasio Veranlassung gaben, mögen bis zu 
einem gewissen Grade in diesen Zusammenhang gehören. Alle 
diese Schädigungen treffen nach meiner lleberzeugung das Knochen¬ 
system nicht direkt, sondern stets auf dem Umwege der Drüsen 
mit innerer Sekretion. Dieser Ansicht bin ich auch bezüglich der 
Rachitis, Das Fehlen morphologisch nachweisbarer Veränderungen 
an den Blutdrüsen vermag diese Hypothese nicht zu widerlegen, 
wie ich bereits oben in anderem Zusammenhänge betont habe. 

Es erscheint durchaus naheliegend, dass es sich in vielen Fällen 
um eine angeborene und bei der grossen Rolle der Heredität für 
viele Erkrankungen, die wir heutzutage durch Störungen der inneren 
Sekretion erklären, wahrscheinlich auch hereditäre Disposition des 
endokrinen Systems handelt, um eine konstitutionelle Schwäche 
(Wiesel). Die verschiedensten Schädlichkeiten, seien es chemische 
oder bakterielle Gifte, Traumen oder dergleichen können die minder 
widerstandsfähigen Organe zur krankheitserregenden Funktions¬ 
störung veranlassen. Dazu kommt, dass die Wachstumsperiode 
und die Gravidität besonders grosse Anforderungen an die Blut¬ 
drüsen stellen, und gerade in diese beiden Lebensperioden fällt in 
weitaus den meisten Fällen der Beginn oder bezüglich der Gravidität 
wenigstens eine nachweisbare Verschlimmerung der Ostitis fibrosa. 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa. mit Tumoren und Cysten. H7 

Für die Genese der generalisierten Ostitis fibrosa ist nach 
meiner Ueberzeugung der Hypothese der Insufficicntia pluriglandu- 
laris unzweifelhaft der Vorzug zu geben. Die Störung in der inneren 
Sekretion führt zu einer Störung des Gewebsgleichgewichts im 
Knochensystern, zu einer proliferierenden Markfibrose, während die 
eigentliche Tela ossea sich dabei ganz passiv verhält. Dass sich 
die Störung an gewisse Prädilektionsstellen hält, ist nicht ver¬ 
wunderlich. Die Bevorzugung der Metaphysen- und der Diaphysen- 
mitte findet sowohl in der GefässVersorgung als auch in mechani¬ 
schen Momenten ihre Erklärung, für die flachen Knochen mögen 
andere Gründe vorliegen (s. o.). Da die Wirkung der dem Blut 
beigemischten Säfte der Blutdrüsen sicherlich an die Gefässver- 
sorgung, den Reichtum der Gefässe gebunden ist, werden die den 
Gefässeintrittsbezirken benachbarten Knochenabschnitte der störenden 
Wirkung naturgeraäss besonders ausgesetzt sein. Den dauernd 
wirksam mechanischen Kräften, den Schub- und Zugspannungen 
v. Recklinghausen’s, darf gleichfalls eine wesentliche Mitwirkung 
kaum abgesprochen werden, ln diesem Rahmen ist auch ein Trauma 
als Gelegenheitsursache durchaus diskutabel. Eine besonders 
schwierige Frage ist es, ob die solitäre Ostitis fibrosa den gleichen 
innersekretorischen Störungen ihre Entstehung verdankt. Sicherlich 
besteht bei den Aenderungen des Gewebsgleichgewichts ein Kampf 
der schädigenden Einflüsse mit den vorhandenen reparatorischen 
Kräften sowohl in den Blutdrüsen wie in dem Knochensystem. 
Manche beginnende Ostitis fibrosa mag unter dem Einfluss dieser 
reparatorischen Kräfte spontan heilen, in anderen Fällen erschöpft 
sich die schädigende Wirkung bald und nur in einem besonders 
geschädigten Knochenabschnitt kommt es zur Ausbildung eines 
solitären Herdes von Markfibrose. Auf diese Weise erscheint auch 
eine leidlich zwanglose Erklärung der solitären Formen der Ostitis 
fibrosa, der Tumoren und Cysten möglich. Erdheim hatte als 
erster auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Erkrankung 
der Epithelkörperchen und der Osteomalacie hingewiesen. Todyo 
fand in 6 von 7 Fällen von Osteomalacie hyperplastische Wuche¬ 
rungen, die von den randständigen Zellkomplexen ausgingen. Den 
gleichen Befund erhob er in einem Fall von Ostitis fibrosa und in 
8 von 11 Fällen seniler Osteoporose. 24 Kontrolluntersuchungen 
von gesunden Individuen hatten ein stets negatives Ergebnis. 

Diese Vorstellung von der Ursache der Ostitis fibrosa als Folge 
gestörter innerer Sekretion gibt sich auch in einigen therapeuti¬ 
schen Bestrebungen zu erkennen. So wurde in einem Falle 
v. Recklinghausen’s die operative Kastration (Ovariektoraic), 
in unserem Falle die Röntgenkastration der Eierstöcke ausgefiihrt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



118 


F. Lot sch, 


Digitized by 


Einwandfreie günstige Beeinflussung der Krankheit wurde damit nicht 
erzielt. 

Es ist nach unserer Anschauung eben nicht nur die Erkrankung 
einer Drüse des endokrinen Systems, z. B. Ovarien oder Thyreoidea 
usw., die Ursache der Knochenerkrankung, sondern es handelt sich 
um eine Störung der gesamten inneren Sekretion in bestimmter 
Form und Stärke, die sich unserer Beurteilung und Messung zur¬ 
zeit völlig entziehen. Man könnte geradezu von einer „Reiz¬ 
mischung“ sprechen, ohne damit allerdings mehr als einen kurzen 
prägnanten Wortbegriff zu schaffen. 

Das Problem der Aetiologie der Knochensystemerkrankungen 
ist durch die Annahme innersekretorischer Störung in keiner Weise 
der Lösung näher. Wenn die Anschauung richtig ist, dass krank¬ 
hafte Veränderungen der Drüsen mit innerer Sekretion die als 
Ostitis fibrosa bezeichnete Erkrankung des Knochensystems er¬ 
zeugen, so fragen wir, welcher Art sind diese Drüsenveränderungen? 
Diese Fragestellung ist dadurch eher komplizierter geworden, denn 
unsere Kenntnisse über die innere Sekretion sind noch sehr gering 
und stehen ganz im Anfangsstadium. 

Bei den Sektionen der Fälle von Ostitis fibrosa generalisata 
wurden bald Vergrösserungen der betreffenden Drüsen, vornehmlich 
jedoch sklerotische Prozesse gefunden. Die makroskopisch-ana¬ 
tomischen Veränderungen sind jedenfalls nicht beweisend und typisch, 
das Gleiche gilt nach dem heutigen Stande unserer Kenntnisse von 
den mikroskopisch-anatomischen Befunden. 

Die Anschauung, es handele sich bei den Erkrankungen des 
Knochensystems um eine Infektion, hat bis in die jüngste Zeit 
ihre Anhänger behalten. Bei dem fieberlosen und durchaus chroni¬ 
schen Verlauf scheiden die akuten Infektionen von vornherein aus. 
Von den chronischen Infektionskrankheiten war und ist es insonder¬ 
heit die Syphilis, die namentlich von französischen Autoren als 
genetischer Faktor angesehen wird (Paget’sche Form). Dieser 
Anschauung steht indessen erstlich der meist völlig negative Ob¬ 
duktionsbefund entgegen, sodann der negative Ausfall der Wasser- 
mann’schen Reaktion bei den Fällen neuesten Datums. Ich nenne 
die Fälle Klestadt’s und unseren. 

Natürlich kann nebenhor Syphilis bestehen, ohne als ursäch¬ 
liches Moment der Ostitis fibrosa in Frage zu kommen. So in 
einem Falle v. Recklinghausen’s. 

Ebensowenig beweisende Befunde wie für die Syphilis sind für 
die anderen chronischen Infektionskrankheiten, besonders für die 
Tuberkulose durch die relativ zahlreichen Autopsien aufgedeckt 
worden, so dass wir die Anschauung, es handle sich bei der 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



U(*bcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 119 


Ostitis fibrosa um eine chronische Infektionskrankheit, als unbe¬ 
gründet abweisen müssen. Gewiss muss die Möglichkeit zu¬ 
gegeben werden, dass die chronischen Infektionskrankheiten neben 
anderen Organen auch die Drüsen mit innerer Sekretion zu schä- 
digen vermögen und auf diesem Umwege eine genetische Ursache 
der Ostitis fibrosa abgeben können. Durch die Erfahrungstatsachen 
wird diese Annahme jedoch nicht gestützt. Das Gleiche.gilt von 
den akuten Infektionskrankheiten. Die Experimente Morpurgo’s, 
der durch Impfung von Bakterienkulturen rachitische bzw. malaci- 
sche Knochenerkrankungen bei weissen Ratten entstehen sah, sind 
für eine infektiöse Genese dieser Knochensystemerkrankungen 
keineswegs beweisend und wohl auch wieder derart zu deuten, dass 
durch die Allgemeinerkrankung auch eine Beeinträchtigung der 
inneren Sekretion und auf diesem Umwege schliesslich eine Er¬ 
krankung des Knochensystems erzeugt wurde. 

Auffallend häufig, nämlich etwa in der Hälfte der Fälle findet 
sich in der Vorgeschichte der Fälle von generalisierter Ostitis 
fibrosa die Angabe einer überstandenen schweren Krankheit oder 
wenigstens der besondere Hinweis auf eine hochgradigere Anämie. 
Auch die Fütterungsversuche, die vornehmlich der experimentellen 
Erzeugung der Rachitis galten, führten in fast allen Fällen zu einer 
Schädigung des allgemeinen somatischen Befindens und im günstig¬ 
sten Falle nebenher, und zwar erst nach Wochen und Monaten, 
zu der erhofften Erkrankung des Knochensystems. 

Bei Versuchstieren mit lange bestehenden Fisteln der grossen 
Verdauungsdrüsen (Gallengangs-, Pankreas- oder Darmfisteln) 
wurde fast regelmässig im späteren Verlauf eine Knochenerwei¬ 
chung und auch Knochenbrüchigkeit festgestcllt (Pawlow, Fisch- 
ler). die v. Recklinghausen auf Grund histologischer Unter¬ 
suchungen als porotische Malacie anspricht. Loos er hatte im 
Gegensatz dazu nur eine einfache Knochenatrophie angenommen. 
Jedenfalls ist in diesen Fällen die Ernährungsstörung infolge des 
Säfteverlustes durch die Fistel als Ursache für die Störung der 
inneren Sekretion und der sekundären Knochenerkrankung anzu¬ 
sehen. 

Wir sind also wohl berechtigt von einer Abhängigkeit der 
inneren Sekretion von dem Allgemeinbefinden zu sprechen. 

Andere Ursachen für die Ostitis fibrosa kennen wir nicht. 
Das Centralnervensystem kommt nach den klinischen und patho¬ 
logisch-anatomischen Befunden für die Genese der Ostitis fibrosa 
nicht in Frage. Die peripherischen Nerven liessen gleichfalls 
keinerlei Veränderungen, vor allem keine irgendwie regelmässigen 
und typischen Veränderungen nachweisen; dasselbe gilt vom Sym- 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



120 


F. Lotse h, 


Digitized by 


pathicus und seinen Verzweigungen. Eine Erkrankung des Gefäss- 
apparates des Knochensystems im Sinne einer Endarteriitis, wie 
sie Menetrier und Gaukler für die Paget’sche Form verant¬ 
wortlich machen wollen, ist bei der Ostitis fibrosa nicht gefunden 
worden. Alle Kombinationen, die sich auf diesen Befund bezüg¬ 
lich einer syphilischen Erkrankung gründen, sind damit gleichfalls 
hinfällig. 

Das Trauma kommt, wie schon erwänt, nur als Gelegenheits¬ 
ursache, nicht als Grundursache in Frage (s. unten). 

Experimenteller Teil. 

Wenn die im Abschnitt über die Aetiologie der Knochen- 
svstemerkrankungen insonderheit der Ostitis fibrosa vertretene An¬ 
schauung richtig ist, so sind die Aussichten für eine experimentelle 
Erzeugung der Erkrankung recht gering. Unsere Kenntnisse über 
die innersekretorischen Vorgänge sind noch sehr dürftig und alle 
Experimente fussen auf gröbster Empirie. 

Sehr anschaulich wird diese Tatsache durch das bereits oben 
erwähnte experimentelle Zufallsergebnis Morpurgo’s. Von zwei 
parabiotisch verbundenen Mäusen wurde die eine nephrektomiert 
und zeigte als interessanten Nebenbefund eine krankhafte Knochen¬ 
brüchigkeit durch fibröse Umwandlung des Knochengewebes. 

Die grössere vitale Widerstandsfähigkeit des bindegewebigen 
Stromas im Knochenmark und seine Proliferationsfähigkeit wird 
durch die Versuche Foot’s bewiesen. Bei Kulturen von Hühner¬ 
knochenmark in vitro nach der Methode von Carrel wuchsen nur 
die Stromazellen. 

Die Hoffnungen, die auf das Knochenmark als Mutterboden 
für Organtransplantationen gesetzt wurden, haben sich gleichfalls 
nicht erfüllt (Kocher und seine Schüler). 

Besteht die Annahme zu Recht, dass eine Störung des Kon¬ 
zerns bzw. der Korrelation der innersekretorischen Drüsen, nicht 
die Erkrankung einer Drüse allein, die Grundursache der Ostitis 
fibrosa bildet, so ist der experimentellen Prüfung zurzeit jede 
Möglichkeit genommen, um so mehr, wenn, wie wir vermuteten, 
eine ganz bestimmte „Reizraischung“ in positivem, d. h. reizendem, 
oder negativem, d. h. lähmendem Sinne für das Zustandekommen 
der Ostitis fibrosa erforderlich ist. 

Selbst für eine so häufige Erkrankung wie die Rachitis, die 
der Ostitis fibrosa genetisch nicht allzu fern stehen mag, haben 
die zahlreichen Versuche keine sicheren und eindeutigen Resultate 
ergeben. Dabei kommen spontan der Rachitis ähnliche, ja histo¬ 
logisch gleiche Knochensystemerkrankungen bei Tieren (auch bei 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



lieber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 121 


.Versuchstieren!) vor, auch in einigen Experimenten gelang ihre Er¬ 
zeugung. Indessen war von einer Regel- und Gesetzmässigkeit 
keine Rede. Die Entstehung von Rachitis bei den Tieren eines 
Wurfs konnte ebenso durch Zufall bedingt sein. 

Die Tierpathologie kennt ferner Tumoren des Knochensystems, 
besonders Fibrome der Kiefer, die bereits Virchow in seiner On¬ 
kologie erwähnt. Hier ist auch die sogenannte Schnüffelkrankheit 
der Schweine (s. E. R.ehn) zu nennen. 

So interessant diese vergleichend anatomischen Studien sind, 
so versage ich es mir im Rahmen der vorliegenden Arbeit darauf 
näher einzugehen, vornehmlich weil mir eigene Erfahrungen und 
entsprechendes Untersuchungsmaterial fehlen. Aetiologisch sind 
diese Erkrankungen ebenfalls ungeklärt, ihre experimentelle Er¬ 
zeugung ist bisher gleichfalls nicht gelungen. 

Bei dem gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse erscheint 
die experimentelle Erzeugung . einer generalisierten Ostitis fibrosa 
unmöglich. Scheidet damit die generalisierte Form der Ostitis fibrosa 
aus, so bleibt die solitäre Erkrankungsform. Ob wir berechtigt sind 
für beide Formen die gleiche Genese anzunehmen, muss dahin¬ 
gestellt bleiben. Von den verschiedenen Bildungen der solitären 
Ostitis fibrosa, den Fibromen und Riesenzellensarkomen auf der 
einen, den Cysten auf der anderen Seite, interessieren den Chir¬ 
urgen die letzteren sicherlich am meisten. Eine experimentelle 
Erzeugung von proliferierenden Knochenmarkfibromen oder Riesen- 
zellensarkoraen wäre ohnehin nicht möglich. 

Für die Cysten ist lediglich die Möglichkeit der Prüfung ge¬ 
geben, ob traumatisch gesetzte Knochenraarkdefekte mit Bildung 
von Cysten heilen. Im Grunde handelt es sich also lediglich um 
die experimentelle Bestätigung oder Widerlegung der Theorie von 
der traumatischen Entstehung der Knochencysten. Beneke hatte 
die Ansicht vertreten, dass durch Trauma ein Bluterguss im 
Knochen entstünde, dessen Wände wie im Gehirn nicht Zusammen¬ 
fällen können und zur Bildung einer Cyste führen. Benda hatte 
sich dieser Ansicht angeschlossen, in letzer Zeit auch Felten und 
Stoltzenberg. Hartmann sieht gleichfalls im Trauma das Pri¬ 
märe, in der Ostitis fibrosa das Sekundäre der Erkrankung. 
Stumpf hält die Cystenbildung durch Verflüssigung eines trau¬ 
matisch entstandenen Blutergusses für möglich, auch v. Mikulicz 
spricht von initialem Trauma. Besonders klar liegen die Verhält¬ 
nisse in folgendem Fall, den Glimm mitteilt: 

25jähriger Mann, sonst gesund. Seit 3 Jahren nach Kall auf das rechte 
Schienbein bleibende Verdickung, die sich allmählich vcrgrüssert. Operativ 
wird unter dem etwas verdickten Periost und sehr dicker Knochenschale ein 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



) 


Digitized by 


122 F. Lotsch, 

llolilraum mit Blut und zarliMi K n o«*I h * n I>äl k i* 1 u ‘n entfernt, Glatte Heilung. 
Mikroskopisch wurden iiPugehiMcte Knurlienbälkrhen mit stcllcnweisem Abbau 
und OstenidL r f‘Wid)e gefunden, dazwischen weile mit Blut «xcfiilltc Hulilräume. 

Es soll nicht bestritten werden, dass es sich in dem mit¬ 
geteilten Fall um eine traumatisch entstandene Blutcyste handelt. 
Welche Besonderheiten zu ihrer Bildung Veranlassung gaben, geht 
aus der Beschreibung nicht hervor. Um eine eindeutige Ostitis 
fibrosa handelte es sich anscheinend nicht. Auch für die Ostitis 
fibrosa muss die Möglichkeit, dass ein Trauma die bereits vor¬ 
handene Disposition zur Erkrankung auslöst, durchaus zugegeben 
werden (Tietze, v. Recklinghausen). Auch wurde eine Wachs¬ 
tumssteigerung nach dem Operationstrauma z. ß. bei der Leon- 
tiasis ossea beschrieben (Bocken heim er). 

Die Einwände, die Lexer bereits gegen die rein traumatische 
Entstehung der Ostitis fibrosa bzw. der Knochencysten erhoben 
hat, habe ich schon oben angeführt. Das seltene Vorkommen der 
Erkrankung steht in unverständlichem Gegensatz zur Häufigkeit 
der Traumen, die das Skelett treffen. Dass andererseits Blutungen 
bei der Ostitis fibrosa und der Cystenbildung eine grosse Rolle 
spielen, ist nach den histologischen Befunden, der häufigen Blut¬ 
beimischung zum Cysteninhalt, den Blutextravasaten und Gewebs- 
infarzierungen, dem Pigmentreichtum nicht zu leugnen. 

Aus diesen Gedankengängen heraus hat Lexer seine Versuche 
angestellt. Wenn ein Trauma ohne sonstige Veränderung des 
Knochens eine Cyste hervorbringen kann, so muss auch ihre ex¬ 
perimentelle Erzeugung gelingen, „wenn man innerhalb des 
Knochens grössere Höhlen anlegt und durch Verhinderung des Ab¬ 
flusses des ergossenen Blutes nach aussen dafür sorgt, dass es im 
Knochen liegen bleibt“. 

Lexer legte bei 2 grossen Hunden die untere Femurmeta- 
physe frei und bohrte von einem kleinen Bohrloch aus eine grössere 
Höhle in der Metaphyse. Das kleine Loch wurde mit Wachs 
plombiert und dadurch jegliche Blutung nach aussen verhindert. 
Die Wunden heilten glatt. Nach 3 Monaten zeigten sich die 
Knochenhöhlen durch engmaschige sehr feste Spongiosa völlig aus- 
gefüllt. 

Ferner legte der gleiche Autor bei einem grossen Kalb die 
obere Humerusmetaphyse frei, meisselte ein kleines rechteckiges 
Corticalisstück heraus, das im Zusammenhang mit dem Periost 
blieb. Sodann wurde die ganze Spongiosa der Metaphyse und der 
angrenzenden Markabschnitte mit Fraisen und Löffeln zerstört. In 
die sich rasch mit Blut füllende Höhle wurden drei Knorpelstücke 
(je 1:1,5:0,5 cm gross) eingelegt, darauf der Corticalislappen 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 123 


zurückgeklappt, das Periost vernäht und ausserdem die Lücken 
mit Wachs verstrichen, bis kein Blut mehr nach aussen sickerte. 
Nach 3 Monaten war die Bluthöhle gleichfalls vollständig mit 
harter dichter Spongiosa ausgefüllt. Die drei Knorpelstücke lagen 
unverändert zwischen den neugebildeten Knochenbälkchen. 

Diese 3 Tierversuche Lexer’s sprachen gegen die Beneke- 
sche Theorie von der rein traumatischen Genese der Knochen¬ 
cysten. 

Aehnlich habe ich meine nachstehend mitzuteilenden Tier¬ 
versuche angestellt. Es zeigt sich, dass es relativ leicht gelingt 
auch bei kleineren Versuchstieren grosse Knochenhöhlen künstlich 
zu erzeugen. Ich habe durchweg mit Kaninchen experimentiert 
und war geradezu erstaunt über die Geräumigkeit der Markhöhle 
und die Menge des darin enthaltenen Knochenmarks.- Die Tiere 
wurden mit Aether narkotisiert, sodann bei den ersten Versuchen 
die mediale Tibiafläche am llebergang vom oberen zum mittleren 
Drittel durch Längs- oder Lappenschnitt freigelegt, das Periost 
zur Seite geschoben oder als Lappen abgeklappt; es folgte die 
Trepanation der Tibiacorticalis mit schmalem Bohrer (Handbohrer 
nach Stille). Die Oeffnung wurde nach Bedarf nach oben oder 
unten durch Wegbrechen einer Corticalisspange schlitzförmig er¬ 
weitert, um eine Punktionsnadel einführen und das Knochenmark 
mit Kochsalzlösung und Spritze ausspritzen zu können. Oefters 
habe ich das Knochenmark vorher mit einem Drahtstück zerstört 
und zu Brei verrieben, um die Ausspritzung zu erleichtern. 

Im Laufe der Experimente zeigte es sich, dass die-Trepana- 
tion des inneren Tibiacondylus bzw. die Anbohrung der oberen 
Tibiametaphyse von der medialen Seite her sich noch einfacher 
gestaltet. Die dünne Corticalis lässt sich an dieser Stelle mit 
einem kleinen scharfen Löffel — ich benutzte dazu einen knie¬ 
förmig abgebogenen Ohrlöffel — ohne Schwierigkeit perforieren. 
Mit dem gleichen Instrument wurde die Spongiosa ausgeräumt, 
zum Teil unter Mitwegnahme des Epiphysenknorpels. Meist wurde 
auch in diesen Fällen das Mark in der vorherbeschricbenen Weise 
ausgespritzt, oft gelang es, das Mark als mehr oder minder zu¬ 
sammenhängenden Zylinder herauszuschleudern. 

Die stets erfolgende Blutung aus dem Trepanationsloch be¬ 
wies, dass sich der ganze geschaffene Hohlraum mit Blut füllte. 
Das Bohrloch wurde sodann meist mit Gewebe (meist Muskel¬ 
gewebe) oder mit Wachs plombiert, darüber Periost und Weich¬ 
teile vernäht. 

Auffällig war die anscheinend sehr grosse Schmerzhaftigkeit 
der Markentfernung. Beim Einführen des Drahtes und beim Aus- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



124 


F. Lotseh. 


Digitized by 


spülen zuckten die Tiere trotz der Narkose fast regelmässig stark 
zusammen, einige begannen sogar zu klagen. Von Haut- und 
Periostschnitt sowie der Knochenanbohrung merkten sie nichts. Es 
beweist diese Beobachtung, dass das Knochenmark viel sensibler ist, 
als man im allgemeinen glaubt. Die im Beginn der Ostitis fibrosa 
geklagten dumpfen ziehenden und sog. rheumatischen Schmerzen 
finden durch diese Beobachtung vielleicht eine einfache Erklärung. 

Die Heilung verlief in fast allen Fällen ungestört. Die Tiere 
hüpften sogar von Anfang an munter umher, als wäre nichts ge¬ 
schehen. Bei wenigen Tieren trat eine leichte kutane Infektion 
auf, die jedoch in keinem Falle bis auf das Periost in die Tiefe 
griff. Einige Kaninchen wurden gleichzeitig von mir zu anderen 
Versuchen (Laparotomie) benutzt und starben infolgedessen zum 
Teil früher. 

Um die Arbeit zum Abschluss zu bringen, wurden sämtliche 
überlebenden Tiere Mitte Oktober 1913 getötet. Der Zeitraum 
zwischen Versuch und Sektion schwankt von 1 Tage bis zu 9 Wochen. 

Ein Versuchstier starb in der Narkose unmittelbar nach Beendigung 
des Versuchs. Das Präparat zeigt also den Zustand des Knochens 
gleich nach dem Eingriff. 

Die Tiere wurden sämtlich seziert, die Tibien ausgelöst, so¬ 
dann geröntgt und der Länge nach mit der Laubsäge aufgesägt. 

Die Konservierung erfolgte nach dem Pick’schen Verfahren. Von 
16 Tibien wurden Stücke zur mikroskopischen Untersuchung ent¬ 
nommen und nach Entkalkung in Celloidin eingebettet. Die Schnitte 
wurden vorzugsweise mit Hämalaun-Eosin gefärbt. 

Bei einigen Tieren fand sich an der Trepanationsstelle der 
Tibia bzw. der Periostnahtstelle eine periostale Knochenneubildung, 
die sich jedoch stets in sehr kleinen Grenzen hielt. 

Die Absicht, durch fortlaufende Röntgenaufnahme in vivo den 
Prozess im Knocheninnern zur Darstellung zu bringen, habe ich 
uach einigen erfolglosen Versuchen aufgegeben. Ira übrigen bringen 
die Röntgenaufnahmen die erzeugte Höhle in der Metaphyse mehr¬ 
fach sehr deutlich zur Anschauung. 

Neben der einfachen Markausspülung durch physiologische 
Kochsalzlösung suchte ich durch Einbringen von Fremdkörpern in 
die Markhöhle einen dauernden Reiz zu setzen. Ausser flüssigen ) 
Stoffen (Jodtinktur, Phosphoröl, Adrenalin und Fibrolysin) habe ich 
in einer Reihe von Fällen feste Fremdkörper eingeheilt, und zwar 
organische: besonders Muskelstücke, und anorganische: Seidenfäden, 
Drahtstücke aus Silber und Bronze-Aluminium. Ich hoffte dadurch 
eine stärkere Proliferation des Markstromas anzuregen, gleichsam 
eine aseptische Entzündung zu unterhalten. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 125 


In allen Fällen füllte sich der im Knocheninnern gesetzte 
Hohlraum sofort mit Blut und schwemmte auch, wenn nicht durch 
eine Plombe der Rückfluss gehemmt wurde, jede fremde Flüssigkeit 
wieder heraus. Als Gegenstück habe ich einige Höhlen mit flüssigem, 
sterilem Wachs bzw. mit Agar-Agar ausgegossen. 

Alles nähere geht aus den Versuchsprotokollen hervor, die 
ich hier anfüge: 

I. Kaninchen, Stall-Nr. 7. 

13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, Injektion von offizinellcr Tinctura 
jodi. Es gehen nur einige Tropfen in den Markraum, links spritzt dabei etwas 
Mark heraus. Primäre Naht. 

Kaninchen dauernd munter. 

17. 10. (nach 9 Wochen) gelötet. Röntgenbefund o. B. Tibia aufgesägt, 
Mark von normalem Aussehen, kein Hohlraum. 

II. Kaninchen, Stall-Nr. 8. 

13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links wird das Mark mit 95proz. 
Alkohol ausgespritzt, die Höhle mit Alkohol gefüllt, rechts eine Parathyreoidea 
des vorigen Kaninchens in die Markhöhle implantiert, die Trepanationsöffnung 
mit Muskulatur plombiert. 

Kaninchen dauernd munter. 

17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Röntgenbild o. B. Die aufgesägten Tibien 
zeigen unverändertes Mark, keinen Hohlraum. 

III. Kaninchen, Stall-Nr. 9. 

13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links Injektion von Tinc-t. jodi, rechts 
Implantation von Muskulatur. 

Tier munter. 

17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Röntgenbild o. B. Die aufgesägten Tibien 
zeigen im Mark keine wesentlichen Veränderungen. Kein Hohlraum. 

IV. Kaninchen, Stall-Nr. 10. 

13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links Einführung eines ca. 5—6 cm 
langen, blutgetränkten Seidenfadens, Muskelplombe der Trepanationslücke, rechts 
Einführung eines 5—6 cm langen, mit Jodtinktur getränkten Seidenfadens, 
Muskel plombe. 

Tier munter. 

Ein am 9. 9. aufgenommenes Röntgenbild zeigt nichts Besonderes. 

20. 9. Seit gestern krank, Schwellung der rechten Halsseite, heute morgen 
tot (5 Wochen nach dem Versuch). Sofortige Sektion. Phlegmone der rechten 
Halsseite, Magen leer, sonst keine Veränderungen. Tibien entnommen. Röntgeno¬ 
logisch verwaschene Innenstruktur. Die aufgesagten Tibien lassen zum Teil den 
Seidenfaden erkennen, kein Hohlraum. Im oberen Drittel eine braunrote Masse 
(Blutungsreste). 

V. Kaninchen, Stall-Nr. 11. 

13. S. 13. Trepanation beider Tibien, links der gesamte Markcylindcr mit 
Kochsalzlösung ausgespritzt. Naht. Rechts Ausspritzung des Markcylinders wie 
links, Einführung von 4 jodierten Seidenfäden nebeneinander, Muskelplombe. 

Tier munter. 

17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Röntgenbild: Verwaschene Innenstruktur, 
sonst o. B. Die aufgesägten Tibien zeigen keinen Hohlraum, im oberen Drittel 
eine zusammenhängende hellbraune Masse. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



126 


F. Lotseh 


Digitized by 


VI. Kaninchen, Stall-Xr. 12. 

13. 8. 13. Trepanation beider Tibien, links Mark mit Kochsalz ausge- 
spritzt, 15 ein langer jodierter Scidenfaden cingcfiihrt, Muskelplombe, rechts 
desgleichen. 

Tier munter. 

17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Höntgenbild: Etwas unscharfe Innen- 
zcichnung, die aufgesägten Tibien lassen Seidenfäden erkennen, im oberen Drittel 
eine braunrote, zum Teil etwas durchscheinende Masse. Kein llohlraum. 

VII. Kaninchen, Stall-Xr. 1. (iewicht 1500 g. 

16. 8. 13. Tier bereits zu anderen Zwecken laparotomiert, chronischer 
Ileus, krank. Heute erneute Laparotomie usw. Gleichzeitig Trepanation beider 
Tibien, unvollständige Ausspritzung des Marks mit Kochsalzlösung, sodann 
beiderseits je 0,5 ccm Olivenöl mit 0,0002 Phosphor injiziert. Links fliesst das 
Phosphoröl zum Teil wieder heraus, rechts wird die Oeffnung mit Muskelplombe 
gedichtet. 

18. 8. (nach 2 Tagen) morgens tot im Stall. Sektion: Hautwunde o. B. 
Lokale Peritonitis als Todesursache. Auslösung beider Tibien, auf der Säge- 
fläche Hämatom der Markhöhle im oberen Drittel. 

VIII. Kaninchen, Stall-Xr. 67. (iewicht 1600 g. 

16. 8. 13. Früher laparotomiert, Wunde eitrig belegt, Xalit gelockert, 
darüber taubeneigrosser weicher Tumor, kein Abseess. Darunter Bisswunde. 
Tier sehr wild und munter. Trepanation beider Tibien, energische Ausspritzung 
des Marks, links Implantation eines grossen Muskelstüekes aus der Waden¬ 
muskulatur in die* Markhöhle, rechts kleines Muskelstück implantiert und durch 
das Implantat hindurch Injektion von 0,5 ccm Olivenöl mit 0,0002 Phosphor. 

Tier munter. 

17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Höntgenbild zeigt geringe Aufhellung 
im oberen Tibiadrittel, die aufgesägten Tibien lassen im oberen Drittel eine 
braunrote Masse, jedoch keinen llohlraum erkennen. 

IX. Kaninchen, Stall-Xr. 47. Gewicht 2400 g. 

16. 8. 13. Frühere Laparotomie glatt vernarbt, Tier gesund und munter. 
Trepanation beider Tibien. links mit Kochsalzlösung etwas Mark ausgespritzt 
und ea. 8 cm langer, ziemlich starker Bronze-Aluminiumdraht eingeführt, rechts 
Mark stark ausgespritzt, Draht wie links, unteres Ende ringförmig gebogen. 

Tier dauernd munter. 

Ein am 9. 9. aufgenommenes Höntgenbild zeigt die Drahtstiiokc in beiden 
Tibien unverändert. 

15. 9. Srit heilte krank, abends Exitus. Wunden vernarbt. Abdomen 
aufgetrieben, lokale Peritonitis einer Dünndarmschlinge, Fibrinbeläge, sonst 
o. B. Tibien ausgelöst, Wunden vernarbt, keine Eiterung. Die aufgesagten 
Tibien zeigen den zum Teil durchsägten Draht. Das zur mikroskopischen Unter¬ 
suchung entnommene rechte obere Tibiadrittel zeigt eine geringe Vermehrung 
des Markstromas, nirgends Hohlraumbildung, kein Knoehenabbau, keine wesent¬ 
liche Knoehenneubildung. 

X. Kaninchen, Stall-Xr. 90. Gewicht 1400 g. 

16. 8. 13. Frühere Laparotomie glatt vernarbt. Tier munter und gesund. 
Trepanation beider Tibien, linkes Mark nicht ausgespritzt, ea. 10 ein langer, 
ziemlich dicker Silberdraht eingeführt, Muskelplombe. rechts Mark ausgespritzt, 
ca. 10 cm langer, dicker Silberdraht eingeführt. 

Tier dauernd munter. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 127 


9. 9. Büntgenbild: Beiderseits Draht unverändert in der Markhöhle 
sichtbar. 

17. 10. (nach 9 Wochen) getütet. Büntgenbild der ausgelösten Tibien 
zeigt den Draht deutlich, etwas verwaschene Innenstruktur, sonst o. B. Trepa- 
nationsliieken sind deutlich beiderseits zu sehen. Die aufgesägten Tibien zeigen 
beiderseits den zum Teil durehsägten Draht, das obere Drittel der Markhühle 
wird von einer scheckig braungelben Masse eingenommen. Kein Hohlraum. 

XI. Kaninchen, Stall-Xr. 50. Gewicht 2550 g. 

16. 8. 13. Frühere Laparotomie glatt verheilt. Tier munter und gesund. 
Trepanation beider Tibien, links Mark nicht ausgespült, Injektion von 1 ccm 
Fibrolvsin, Muskelplombe, rechts Mark ausgespritzt, grosse Muskelplombe, durch 
die 1 ccm Fibrolvsin in die Markhöhle injiziert wird. 

Tier in unter. 

17. 10. (nach 9 Wochen) getötet. Büntgenbild: Verwaschene Innenstruktur, 
geringe periostale Auflagerung, sonst o. B. Die aufgesägten Tibien zeigen einen 
grossen Muskeleylinder in der Markhöhle mit Blutungsresten, in der Umgebung 
kein Hohlraum. Mikroskopisch reichlich Fettmark, stellenweise neugebildetes 
bindegewebiges Markgewebe. Epiphysenknorpel o. B. Der im Präparat sicht¬ 
bare implantierte quergestreifte Muskel lässt keine Kernfärbung mehr zu. 

XII. Kaninchen, Stall-Xr. 18. Gewicht 1600 g. 

28. 8. 13. Beide Tibien trepaniert, Mark ausgespritzt, besonders nach 
oben zu. 

17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Büntgenbild zeigt periostale Auflage¬ 
rung an der Trepanationsstelle, verwaschene Innenstruktur der oberen Meta- 
physe, sonst o. B. Die aufgesägten Tibien sind im oberen Drittel ausgefüllt 
mit ziemlich derber braunroter, zum Teil hellgelber Masse (Blutungsrest), kein 
Hohlraum. 

XIII. Kaninchen, Stall-Xr. 19, Gewicht 1300 g. 

28. 8. 13. Beide Tibien trepaniert dicht unterhalb der Metaphysen- 
knnrpel. Die Spongiosa bzw. Cortiealis der Metaphyse ist hier so weich, dass 
der Bohrer sofort eindringt. Ausräumung mit scharfem Löffel, dadurch wird 
beiderseits eine relativ grosse Höhle geschaffen. Ausspritzen des Marks mit 
Kochsalzlösung. 

Tier munter. 

9. 9. Büntgenbild zeigt beiderseits einen unregelmässigen Hohlraum in der 
oberen Tibiametaphyse. 

17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Das Büntgenbild zeigt ausser geringer 
periostaler Auflagerung an der Trepanationsstelle unregelmässige Zeichnung der 
oberen Mctaphysen, die aufgesägten Tibien zeigen keinen Hohlraum, das obere 
Drittel der Markhühle ist von fleckig braunroten, zum Teil gallertigen Massen 
ausgefüllt. 

XIV. Kaninchen, Stall-Xr. 20. Gewicht 2050 g. 

28. 8. 13. Beide oberen Tibiamctaphysen eröffnet, Exeochleation. Koch¬ 
salzausspritzung des Marks, grosse geräumige Höhle. Primäre Periost naht. 

17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Das Büntgenbild zeigt die verwaschene 
Innenstruktur und Unregelmässigkeit beider Epiphysen. Die aufgesägten Tibien 
lassen keine Hohlräume erkennen, im oberen Drittel der Markhöhle braunrote Masse. 

XV. Kaninchen, Stall-Xr. 23. Gewicht 1300 g. 

28. 8. 13. Beide oberen Tibiamctaphysen trepaniert. Exeochleation mit 
scharfem Löffel, Ausspritzung des Marks mit Kochsalzlösung, beiderseits grosse 
geräumige Höhle. 


Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



128 


F. Lol sch, 


Digitized by 


18. 9. (3 Wochen nach dem Versuch) plötzlich Exitus. Bauch aufgetrieben, 
Blutungen in der Wand einer JDiinndarinsehlingc, keine Peritonitis, rechtes Bein 
glatt geheilt, links geringe subkutane Infektion.. Entnahme beider Tibien. 
Röntgenbild: Periostale Auflagerungen an der Trepanationsstelle, Aussparung* 
besonders links deutlich. Struklurunregelmässigkeiten in beiden oberen Dritteln. 
Aufgesägt enthält das obere Drittel beider Tibien gallertige Massen, keinen 
Hohlraum. Keine Infektion des Knochens. Mikroskopisch stellenweise erheb¬ 
liche Bindegewebsneubildungen, die in Zügen und Bündeln sich verflechten. 
Der zum Teil zerstörte Epiphysenknorpel zeigt keine besonderen Regcnerations- 
vorgängc. An anderen Stellen findet sich Fett mark mit strotzend gefüllten Ge- 
fässen, die in den fibrösen Abschnitten in viel geringerem Grade sichtbar sind. 

XVI. Kaninchen, Stall-Nr. 25. Gewicht 1G50 g. 

2S. 8. 13. Beide Tibienmetaphvsen trepaniert, Excoehlcation, Ausspritzung* 
des Marks, beiderseits geräumige Höhlen. 

Tier munter. 

17. 10. (nach 7 Woehen) getötet. Röntgenbild: Periostale Auflagerungen, 
besonders links, Hohlraum in der oberen Metaphysc beiderseits sichtbar, unregel¬ 
mässige Innenstruktur. Die aufgesägten Tibien zeigen im oberen Drittel eine 
derbe bräunliche Masse mit Blutresten, keinen Hohlraum. 

XVII. Kaninchen, Stall-Nr. 21. Gewicht 1550 g. 

28. 8. 13. Beide oberen Tibienmetaphyson trepaniert, Excoehlcation, Aus¬ 
spritzungen, beiderseits geräumige Höhlen. 

19. 9. abends Exitus. Todesursache eiterige Pericardilis. Beide Tibien 
entnommen. Röntgenbild: Starke periostale Auflagerungen links, Aussparungen 
der oberen Metaphysc beiderseits, unregelmässige Innenstruktur. Aufgesägt 
zeigt sieh das obere Drittel der Markhöhle beiderseits mit braunroter derber 
Masse ausgefüllt, ein Hohlraum ist nirgends zu sehen. 

XVIII. Kaninchen, Stall-Nr. 3. Gewicht 1400 g. 

29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Anbohrung beider oberen Tibien¬ 
metaphysen, Excoehlcation, Ausspritzung des Marks. Exitus in Narkose, während 
einer erneuten Laparotomie. Beide Tibien ausgelöst und aufgesägt, sind bis zur 
Mitte mit Blut gefüllt, links reicht das Hämatom bis in den Epiphysenknorpel 
hinein. Mikroskopisch zeigt sich die Markhöhle im oberen Drittel fast frei von 
Fettmark. Der Epiphysenknorpel ist in grosser Ausdehnung zerstört, der ganze 
Hohlraum ausgefüllt mit Blut, in dem einige Brockel und Reste von Epiphysen¬ 
knorpel und Spongiosa suspendiert sind. 

XIX. Kaninchen, Stall-Nr. 2. Gewicht 1400 g. 

29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Anbohrung beider oberen Tibien¬ 
metaphysen, Excoehlcation, Kochsalzausspritzung. Nach Lösung des Markcylinders 
mit Drahtschlinge beiderseits geräumige Höhle, rechts Einlegen einer grossen 
Muskelplombe von dem kurz vorher verstorbenen Kaninchen, Stall-Nr. 3, links 
nihil. Ausserdem erneute Laparotomie. 

24. 9. (4 Wochen nach dem Versuch) Exitus. Gewicht 1050 g. Ab- 
gekapseltc Peritonealabsecsse und Verwachsungen. Rechte Tibiawunde suh- 
cutan infiziert. Tibien entnommen. Röntgenbild zeigt Knochenaussparung der 
beiden oberen Metaphysen und ui regelmässige Innenslruktur. Von den auf¬ 
gesägten Tibien zeigt die rechte einen grossen Muskelsequester mit umgebenden 
Blutungsresten bis zur Sehaftmitte, links wird das obere Drittel der Markhöhle 
von einer gallertig durchseheinenden, etwas bräunlichen Masse eingenommen. 
Mikroskopisch herdweise Vermehrung des Markbindegewebes, besonders um einen 
grösseren Herd von Rundzellen. Keine Hohlraumbildung. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 129 


XX. Kaninchen, Stall-Xr. 4. Gewicht 1300 g. 

29. 8. 13. Frühen? Laparotomie verheilt. Trepanation beider oberen 
Tibienmetaphysen, Exeochleation, Ausspritzung des Marks. Hechts Implantation 
von Muskel, dem soeben gestorbenen Kaninchen, Stall-Xr. 3 entnommen, links 
nihil. Ausserdem erneute Laparotomie. 

Tier munter. 

17. 10. (nach 7 W ochen) getötet. Röntgenbild: Verwaschene Innenstruktur 
und Aussparung in der oberen Metaphyse. Auf dem Sägeschnitt rechts Muskcl- 
serjuester mit Blutungsresten, links braune weiche Masse bis zur Schaftmitte. 
Mikroskopisch ist der Muskelsequester mit erwachsendem Markgewebe sichtbar, 
keine Hohlraumbildung. 

XXL Kaninchen. Stall-Xr. 5. Gewicht 1600 g. 

29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Anbohrung beider oberen Tibien- 
metaphysen, Fxeoehleation, Ausspritzung des Marks. Hechts Implantation einer 
grossen Muskelplombe, von dem soeben gestorbenen Kaninchen, Stall-Xr. 3 ent¬ 
nommen. Ausserdem erneute Laparotomie. 

Exitus am nächsten Tage (30. S.) an Peritonitis fibrinosa. Tibiawunden o. B. 
Die aufgesägten Tibien zeigen die Markhöhlen erfüllt mit Blut, links reicht das 
Hämatom bis hinunter zum unteren Drittel, rechts bis zum Ansatz vom mittleren 
bis unteren Drittel. Mikroskopisch erfüllt das Hämatom alle Lücken der Mark¬ 
höhle, in ihm sind Reste von Markgewebe und Spongiosa und Epiphysenknorpel¬ 
reste suspendiert. Keine Hohlraumbildung. 

XXII, Kaninchen, Stall-Xr. 6. Gewicht 1550 g. 

29. 8. 13. Frühere Laparotomie verheilt. Trepanation beider oberen Tibien¬ 
metaphysen, Fxeoehleation, Ausspritzung dos Marks, beiderseits geräumige Höhlen. 
Rechts Implantation von quergestreiftem Muskel, dem soeben gestorbenen Kanin¬ 
chen, Stall-Xr. 3 entnommen, links nihil. Ausserdem erneute Laparotomie. 

17. 10. (nach 7 Wochen) getötet. Röntgenbjld der Tilden zeigt ver¬ 
waschene Struktur der oberen Sehafthälfte mit Aussparungen auf der Säge- 
fläehe. Beiderseits ist das oben 1 Drittel mit einer scheckig braunroten bis hell¬ 
braunen Masse erfüllt, kein Hohl raum. 

XX11I. Kaninchen. Stall-Xr. 29. Gewicht 2100 g. 

2. 9. 13. Beide oberen Tibienmetaphysen angebohrt, Fxeoehleation, Mark¬ 
ausspritzungen mit Kochsalz, geräumige Höhlen. Hechts Adrenalinfüllung der 
Mark höhle, die mit Kochsalz wieder ausgespritzt wird, dann Waehsplomhe, 
primäre Xaht; links Adrenalinfüllung, Waehsplomhe, primäre Xaht. 

Tier munter. 

Xaeh 6 1 2 Wochen am 17. 10. getötet. Röntgenhild zeigt deutliche Aus¬ 
sparungen der oberen Tibienmetaphysen, besonders links, verwaschene Innen¬ 
struktur, auf den Sägefläehcn ist. die Waehsplomhe sichtbar; das obere Drittel 
der Markhöhle mit braunroten Massen erfüllt; kein Ilohlraum. Mikroskopisch: 
Epiphysenknorpel teilweise zerstört, viel Fett mark, stellenweise Vermehrung des 
bindegewebigen St rom as. 

XXIV. Kaninchen, Stall-Xr. 2S. Gewicht 1S00 g. 

2. 9. 13. Beide oberen Tibienmetaphysen trepaniert, Mark mit Kochsalz, 
ausgespritzt, grosse Höhlen, rechts Füllung der Knoelienmarkshöhle mit flüssigem 
Wachs, links mit flüssigem Agar-Agar. 

Tier munter. 

9. 9. Röntgenaufnahme: Links verwaschene Struktur/eielmiing des oberen 
Drittels, relativ kleiner Ilohlraum dicht unter dem Epiph\senkimrpel, rechts 
deutlicher Hohlraum der Metaphyse, verwaschene Struktur/eielmiing. 

Archiv für klin. Chirurgie. B(l. 107. Heft 1. 9 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


130 F. Lotseh, 

17. 10 (nach (\ l / 2 Wochen) getötet. Rnntgenbild zeigt in den oberen 
Metaphysen beider Tibien Aussparungen und unregelmässige Strukturzeichnung. 
Die Sägefläche zeigt links den in der Piek’sehcn Lösung zu einer weissliehen 
Masse verwandelten Agar-Agar, der, von Markteilen unterbrochen, sieh bis in 
die untere Mctaphvse erstreckt, rechts ist die Waehsfiillung sichtbar. Mikro¬ 
skopisch ist in der linken Tibia die homogene Agar-Agarmasse sichtbar, um¬ 
schlossen teils von zellreirhein Markgewebe, an einzelnen Stellen von ver¬ 
mehrtem Bindegewebe. Kein Knochenabbau, Epiphysenknorpel teilweise zerstört. 
Das Markgewebe dringt stellenweise in die Agar-Agarmasse ein. keine Hohlraum¬ 
bildung. 

XXV. Kaninchen. Stall-Xr. 2(>. Gewicht 1550 g. 

2. 9. 15. Anbohrung beider oberen Tibienmetaphysen, Mark mit Koch¬ 
salz ausgespritzt, beiderseits grosse Höhlen. Rechts Füllung mit gelbem Wachs, 
links Adrenalinfüllung, Wachsplombe, primäre Naht. 

15. 9. (2 Wochen nach dem Versuch) Exitus. Todesursache ?. Trepanations¬ 
wunden vernarbt, keine Eiterungen. Gelenke frei. Die herausgenommenen 
Tibien werden sogleich aufgesägt und zeigen auf der Sägefläche rechts das 
obere Drittel der Markhöhle mit Wachs gefüllt, unten normales Mark, links 
oben eine kleine Wachsplombe. in «ler Eingebung gallertig durchscheinende 
Masse. Mikroskopisch zeigt sich in der Markhöhle der linken Tibia eine geringe 
Vermehrung des bindegewebigen Markstromas, Epiphysenknorpel zum Teil defekt, 
nirgends Hob Iran mbi Id ung. 

XXVI. Kaninchen, Stall-Xr. 22. Gewicht 1550 g. 

2. 9. 13. Heide oberen Tibien metaphysen angebohrt, Mark mit Kochsalz 
ausgespritzt, beiderseits grosse Höhlen. Rechts Adrcnalinfiillung der Mark¬ 
höhle, links desgleichen, Wachsplombe, primäre Naht. 

Am S. 9. fällt Verdickung des linken Unterschenkels und Kusses auf, hinkt. 

Am 9. 9. Röntgenaufnahme. Ausser verwaschener Struktur links nichts 
Besonderes, rechts kleiner Hohlraum dicht an der Kpiphysenlinie sichtbar. 

10. 9. Exitus. Keine Phlegmone am linken Bein. Muskel o. B., wenig 
Oedem, Knochen o. B., herdweise Atelektasen des rechten Lungenunterlappens, 
die aufgesägten Tibien zeigen im oberen Drittel der Markhöhle eine braunrote 
Masse, keinen Hohlraum. Mikroskopisch ist in der Mark höhle der rechten Tibia 
die Wachsplombe sichtbar, Epiphysenknorpcl zum Teil defekt, sehr grob¬ 
maschiges, fettreiches Mark, nirgends Hohlraumbildung. 

Die Versuche erstrecken sich demnach auf 52 Tibien von 
26 Kaninchen. 

Das Ergebnis der Experimente kann kurz dahin zusammen¬ 
gefasst werden, dass es in keinem Falle zur Bildung eines cysten¬ 
artigen Hohlraumes kam. In der Umgebung des Hämatoms, das 
in allen Fällen den Hohlraum zunächst erfüllte, kommt es zu 
einer Vermehrung des Bindegewebes, doch fehlt diesem Gewebe 
jede grössere Proliferationsfähigkeit. Gleichzeitig mit der Organisation 
des Hämatoms bzw. seiner Resorption regeneriert sich aus den 
zurückgelassenen Resten die hämatopoetische Komponente des 
Knochenmarks. Trotz zeitweise stärkerer Bindegewebsvermehrung 
kam es nie zu irgendwie gesteigertem Knochenabbau oder Knochen¬ 
neubildung. Die künstlich gesetzten Defekte im Epiphysenknorpel 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 131 


zeigten innerhalb der Beobachtung keine wesentlichen Heilungs¬ 
bestrebungen. 

Es geht aus diesen Untersuchungen, wie ich glaube, mit 
Sicherheit hervor, dass ein Hämatom der Markhöhle selbst nach 
Entfernung des grössten Teils des Knochenmarks nicht zu cysten¬ 
artiger Hohlraumbildung führt. 

In Uebereinstimmung mit den Yersuchsergebnissen Lexer’s 
ist deshalb die Möglichkeit rein traumatischer Entstehung von 
Knochencysten abzulehnen. 


Literatur. 

1. Albertin, Mitteilung über einen Fall von allgemeiner Osteomalaeie mit 
multipler cystischcr Turaorbildung. Prov. medio. Lyon 1S90. No. 45. Kcf. 
Centralbl. f. Chir. 1891. Nr. 27. S. 530; eit, auch bei Schuchard, 
Deutsche Chir. Lief. 28. 

2. Askanazv, Ueber Ostitis deformans ohne osteoides Gewebe. Arbeit, a. d. 
pathol. Instit. z. Tübingen. 1903. Bd. 4. 

3. Axhauscn, Arbeiten aus dem Gebiete ber Knoehcnpathologie und Knochen¬ 
chirurgie. Arch. f. klin. Chir. 1911. Bd. 94. — Vcrhandl. d. deutschen 
Ges. f. Chir. 1912. 

4. Axhauscn, Virchow’s Archiv. Bd. 194. II. 3. 

5. Beck, Osseous cysts of the tibia. Amor, journ. of med. Science. 1901. 

6. Beck, Ueber echte Cysten der langen Röhrenknochen. Arch. f. klin. 
Chir. 1902. Bd. 70. 

7. Benda, s. bei Koch und Diskussionsbemerkung zu Mönckebcrg. Ycr- 
handl. d. deutschen pathol. Ges. 1904. 

8. Benekc, Diskussionsbemerkung zu Mönckeberg. Vcrhandl. d. deutschen 
pathol. Ges. 1904. 

9. v. Bergmann, Ueber Echinokokken der langen Röhrenknochen. Berl. 
klin. Woehenschr. 1887. Nr. 1 u. 2. 

10. Bockenhcimer, Die Cysten der langen Röhrenknochen und die Ostitis 
fibrosa usw. Arch. f. klin. Chir. 1901. Bd. 81. 

11. Bockenhcimer, Ueber die diffusen Hyperostosen der Schädel- und Ge¬ 
sichtsknochen s. Ostitis deformans fibrosa (Virchnw's Leonliasis ossea). 
Arch. f. klin. Chir. 1908. Bd. 85. 

12. Borst, Die Lehre von den Geschwülsten. Wiesbaden 1902. 

13. Boit, Ueber Leontiasis ossea und Ostitis fibrosa. Arch. f. klin. Chir. 
Bd. 97. H. 3. 

14. Boström, Zur Pathogenese der Knochcncysten. Fcstschr. z. Vers, deutscher 
Naturforscher u. Aerzte. 1883. 

15. Bram an n, Ein Fall von cystischcr Degeneration des Skeletts. Vcrhandl. 
d. deutschen Ges. f. Chir. 16. Kongress. Berlin 1887. 

16. Braun, Ueber Cysten in den langen Röhrenknochen usw. Beitr. z. klin. 
Chir. 1907. Bd. 52. 

17. v. Brunn, Coxa vara im Gefolge von Ostitis fibrosa. Beitr. z. klin. Chir. 
1905. M. 45. 

18. v. Brunn, Spontanfraktur als Frühsymptom der Ostitis fibrosa. Beitr. z. 
klin. Chir. 1906. Bd. 50. 

9 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



132 


F. Lot sch. 


Digitized by 


19. Bureliard, Zur Diagnose der eliondromatöscn, fibrösen und ovstischen 
Degeneration der Knochen. Fortschr. a. d. (ich. d. Köntgenstr. 1912. 
Bd. 19. II. 2. 

20. (/laude et Gougerot, Sur Linsuffisancc simultance de plusieurs gl and cs 
a secretion interne, Compt. rend. sue. de. biol. 1907. T. 63. p. 785. 

21. CI aude et Gougerot, Les syndromes d'insuffisanrc pluriglandulaire. Hev. 
de möd. 190S. T. 2S. p. 86*1, 9.70. 

22. Claude et Gougerot, Insuffisanee pluriglandulaire endoerinienne etc. 
•lourn. de physiol. et de patliol. gen. 190S. T. 10. p. 404. 

23. Cruveilhicrs, Anatomie patholngiijue du eorps liumain. Paris 1S29. p. 42. 

24. C ursch man n, (hsteomalacia tarda. Med. Klin. 1911. Bd. 7. S. 41. 

25. Czerny, Kine lokale Malaeie des Lnterseheiikels. Wiener med. Wochen¬ 
schrift. 1S73. 

26. Davidsohn, Ccber Knochenerweichung im weiteren Sinne, Osteoporose 

und Osteomyelitis fibrosa und Periostitis ossificans. Charite-Annalen. 

1904. Jahrg. 2S. 

27. Decken, Zur Kasuistik der Knochencysten bei Ostitis fibrosa. Inaug.- 
Dissert. Giessen 1909. 

2S. Delanglade, s. Cornil et Coudray. Du cal etc. Journ. de 1‘anat. et 
de la physiol. 1904. T. 40. p. 160; citiert nach v. Kceklinghausen. 

29. Duputren's klinisch chirurgische Vorträge im Hutel-Dieu-Paris, gesammelt 
und herausgegeben von einem ärztlichen Verein, für Deutschland bearbeitet 
von Bech und Lconhardi. Leipzig 1S34. Bd. 2. 1. Abteilung über 
Balggeschwülste in den Knochen. 

30. Kugel, Leber einen Fall von cystoider Entartung des gesamten Skeletts. 
Inaug.-Diss. Giessen 1864. 

31. Erd heim, Sitzungsber. d. k. Akad. d. Wissenseh. Wien, mathem.-naturw. 
Klasse. 3. Juni 1907. Bd. 116. Abt. 3. 

32. Falta, Die Erkrankungen der Blutdrüsen. Berlin, Springer 1913. 

33. Falta. Spiiteunuehoidismus und multiple Blutdriiscnsklerose. Berlin, klin. 
Woehensehr. 1912. No. 49. 

34. Feld mann, Fall von Osteomalaeie und Geschwulstbildung. Münch, med. 
Woehensehr. 1901. Nr. 46. 

35. Fehling, Leber Wesen und Behandlung der puerperalen Osteomalaeie. 
Arch. f. (iynäkol. 1890. Bd. 39. 

36. Fehling, Weitere Beiträge zur Lehre von der Osteomalaeie. Arcli. f 
(iynäkol. 1S95. Bd. 38. 

37. Fellen und Le 1 i c i t as-S t o 11 z e n b erg, Traumat isrlie solitäre Knoehcn- 
cysten. Zeitsehr. f. orthopäd. Chir. 1912. Bd. 30. 11. 3 u. 4. 

38. Fisch ler, Leber experimentell erzeugte Lebcreirrhuse. Naturhist. med. 
Yer. Heidelberg. Sitzg. 12. Mai 1908. Münch, med. Wochensehr. 1908. 
Nr. 26 u. Arch. f. klin. Med. 1908. Bd. 92. 

39. Foot, Leber das Wachstum von Knochenmark in vitro. Experimenteller 
Beitrag zur Entstehung des Fettgewebes. Beitr. z. patliol. Anat. u. z. 
allgem. Patliol. 1912. Bd. 53. 

40. Frankel, E., Diskussionsbemerkung zu Mönckeberg. Verhandl. d. deut¬ 
schen patlml. Ges. 1904. 

41. Kränk el, E.. Die Möller-Barlow'sshe Krankheit. Erg.-Bd. 18, der Fortschr. 
a. d. Geb. d. Köntgenstr. 1908. 

42. Frangenheim. Leber Calluseysten. Deutsche Zeitsehr. f. Cliir. 1907. Bd. 90. 

43. Froriep. Cliirurgische Kupfertafeln. Weimar 1838—42. Bd. 9. II. 87. 
Tat. 438—440. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Uebcr generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 


133 


44. Fujii, Zur Kenntnis der Pathogenese der solitären Knoeheneyste. Zeit¬ 
schrift f. Chir. 1912. Bd. 113. 

45. Fujii, Bin Beitrag zur Kenntnis der Ostitis fibrosa mit ausgedehnter 
Cystenbildung. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1912. Bd. 114. H. 1—3. 

45. Gaugele, K., Ueber Ostitis fibrosa seu deformans (v. Recklinghausen'sche 
Knochenkrankheit). Fortsohr. a. d. (Job. d. Röntgenstr. 1905/06. Bd. 9. 
S. 319. 

4G. Gaugele, K., Zur Frage der Knoehencysten und der Ostitis fibrosa v. Reek- 
linghausen's. Arch. f. klin. Chir. 1907. Bd. 83. S. 935. 

47. Geh ring (Rüpke), Die Cysten der langen Röhrenknochen. Inaug.-Diss. 
Jena 1910. 

4S. Glimm, Zur Aeliologie tumorverdächtiger Cysten der langen Röhren¬ 
knochen. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1905. Bd. SO. 

49. Gott stein, Multiple Knochencysten. Demonstr. i. d. schlcs. Ges. f. vaterl. 
Kultur i. Breslau am 12. Juli 1907. 

50. Grashey, Atlas chirurg. pathol. Röntgenbilder. Lehmann’s med. Atlanten. 
1908. lid. 6. 

51. Grunert, Fe])er pathologische Frakturen (Spontanfrakturen). Deutsche 
Zeitsehr. f. Chir. Bd. 76. 

52. v. Haberer, Ein Fall von multiplen Knochentumoren. Ycrhandl. d. Ges. 
deutscher Xaturf. u. Aerzte. 76. Vers. Breslau 1905. 

53. v. Haberer, Zur Kasuistik der Knochencysten. Arch. f. klin. Chir. Bd. 76. 

54. v. Haberer, Zur Frage der Knoehencysten und der Ostitis fibrosa v. Reck- 
linghauscn's. Arch. f. klin. Chir. Bd. 76. 

55. Hanau, Bericht über das Ergebnis der anatomischen Fntersuchung der 
Knochen usw. (s. Kochl). Korr.-Bl. f. Schweizer Aerzte 1S92. Bd. 22. 

56. v. Hanse mann, Feber die Rachitis der Affen. Yirchow’s Arch. 1903. 
Bd. 172. 

57. v. Hanse mann, Die Rachitis als Yolkskrankheit. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift. 1906. 

5S. Hart, Ein neuer Fall von Osteomalacie mit multiplen Riesenzellensarkomen 
und Cystenbildung. Ziegler’s Beitr. 1904. Bd. 36. 

59. Hartmann, Zur Kenntnis der Ostitis fibrosa (deformans). Beitr. z. klin. 
Chir. 1911. Bd. 73. 

60. Heineke, Ein Fall von multiplen Knoehencysten. Bruns' Beitr. z. klin. 
Chir. 1903. Bd. 14. 

61. Hildebrand, ()., Allgemeine Chirurgie. 2. Aufl. 1905. 

62. Hoc nicke, Feber das Wesen der Osteomalacie usw. Halle 1905. 

63. Holmes, A Systeme of surgery. London 1870. Yol. 3. 

64. Hu et er. Die Erkrankungen der Knochen, Abt. 9, Knoehencysten, Ostitis 
fibrosa. Hildebrand's Jahresbericht für 1912. 

65. Jakoby und Schroth, Feber die Einwirkung von Calcium lacticum auf 
(‘inen Fall von Ostitis fibrosa mit experimentell-therapeutischen Stoff- 
wechscluntersuchungen. Mitteil. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1912. 
Bd. 25. H. 2. 

66. Joachi mst hal, Feber Ostitis fibrosa im Kindesalter. Charite-Annalen. 
Jahrg. 35. 

67. Joachi mst hal, Cystisehc Erkrankungen des Skeletts. Ycrhandl. d. Ges. 
d. Charite-Aerzte. 1911. Bd. 17; s. a. Berl. klin. Woehensehr. 1911. 

6S. Katholicky, Demonstration von Präparaten eines seltenen Osteomalacie- 
falles (Paget) in der Ges. d. Aerzte in Wien am 16. Xov. 1906. Wiener 
klin. Wochenschr. 1906. Xr. 47. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



134 


F. Lotseh, 


Digitized by 


69. Kaufmann, Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie. 5. Aufl. 
Berlin 1909. 

70. Kehr, Ueber einen operativ behandelten Fall von Knoeheneystc des Ober¬ 
schenkels. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1S96. Bd. 43. 

71. Klestadt, Ein Fall atypischer Ostitis defurmans. Ueber die klinischen 
Formen der Ostitis chronica deformans fibrosa. Bruns* Beitr. z. klin. Chir. 
1911. Bd. 75. 

72. Koch, G., Ueber Knoehencysten in den langen Röhrenknochen. Aroh. f. 
klin. Chir. 1902. 

73. Koch, AL, Demonstration eines Schädels mit Ostitis deformans (Paget). 
Yerhandl. d. deutschen pathol. (ies. 1909. 

74. Kocher und Tavel, Chirurgische Infektionskrankheiten. 1895. 

75. Koelil. Exquisite Spontanfrakturen bei Osteomalacie nach Influenza (s. a. 
Hanau). Korr.-Bi. f. Schweizer Aerzte. 1S92. Bd. 22. 

76. Kolisko, Diskussion zu Katholicky. Ges. d. Aerzte in Wien. 16. Xov. 
1906. Wiener klin. Woehenschr. 1906. Xr. 47. 

77. Köllicker, Die normale Resorption des Knochengewebes usw. Leipzig 1873. 

78. Körte, Mitteil. a. d. chir. Abteil, d. Krankenhauses Bethanien zu Berlin. 
2. Abschnitt: Zwei Fälle von Knochencysten im Oberschenkel. Deutsche 
Zeitschr. f. Chir. 1880. Bd. 13. 

79. Langendorff und Mommsen, Beiträge zur Kenntnis der Osteomalacie. 
Yirchnw’s Arch. 1877. Bd. 69. 

80. Lau nelongue, Syphilis osseuse hereditaire tardive, type Paget usw. 
Annales de chir. et d'orthop. 1903. Xr. 4; s. a. Gazette des höp. 1903. 
Xr. 27. 

81. Latzko, Diskussinn zu Katholicky u. Kolisko, s. d. 

82. Lebert, Traite d'anatomie pathologique Paris 1857—61. 

83. Leri et Legros, Etüde radiographiqtie comparative de quelques affections 
dystrophiantes des os. Rev. neurol. 1908. Iconogr. de la Salp. 1909. Xo. 1. 

84. Leri et Leg ros, Osteopathie trauinatique anormale simulant la maladie 
de Paget. Rev. neurol. April 1910. S. 537. 

85. Lexer, Die Entstehung entzündlicher Knochenherde und ihre Beziehung 
zu den Arterienverzweigungen der Knochen. Arch. f. klin. Chir. Bd. 71. 

86. Lexer, Untersuchungen über Knochenarterien usw. Berlin 1904. 

87. Lexer, Ueber die Cysten der langen Röhrenknochen. Yerhandl. d. Deut¬ 
schen Ges. f. Chir. 1906. 

88. Lexer, Ueber die nicht parasitären Cysten der langen Röhrenknochen. 
Arch. f. klin. Chir. 1906. Bd. 81. 

89. Lissaucr, Ein Fall von Ostitis fibrosa. Monatsschr. f. Unfallhcilk. 1905. 
Xr. 2. 

90. Loos er, l’ebrr Knochenveränderungen bei chronischen Fisteln der grossen 
Yerdauungsdriisen. Yerhandl. d. Deutschen pathol. Ges. 1907. 

91. Lotseh, Ueber Plombierung von Knoehenabscesshöhlcn. Charite-Annalen. 
1913. 

92. Lübars eh, s. bei Gaugele. 

93. Alagitot, Memoire sur les Kystcs des mäehoires. Arch. gen. de med. 
1872—1873 et Gaz. hebd. d. med. et de chir. 1876. T. 13 et Bull, et 
mein, de la soc. de Chir. de Paris. 1878. T. 4. 

94. Marie, Pierre und Leri, Deutsch von Ch. Stcinthal, Die PageUsehe 
Knochenkrankheit. ITandb. f. Xeurol. von Lcwandowskv. 1913. Bd. 4. 

95. Mauelaire, A propos des osteitos vaeuolaircs metatraumatiques. Bull, et 
mein. de la soc. de chir. 1912. Xr. 25. 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ueber generalisierte Ostitis fil)rosa mit Tumoren und Cysten. 135 


96. Men et riet* et Gaukler, Deux eas de maladic osseuse de Paget avee. 
exaraen anatomique. Soc. med. des hop. de Paris. 1903. 

97. Meslav, Contribution ä lYtude anatomo-eliniquc de l’osteomalacie. These 
de Paris. 1896. 

98. Meslay, Osteomalaeic infantile. Her. mens, des malad, de Penf. 1897. 
T. 15. 

99. v. Mikulicz, Ueber cystische Degeneration der Knochen. Yerhandl. d. 
Ges. deutscher Naturf. u. Aerztc. 76. Vcrhandl. 1905. 

100. Mi ln er. Historisches und Kritisches über Knnehencysten, Chondrome, 
fibröse Ostitis und ähnliche Leiden. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1908. 
Hd. 93. 

101. Mönck’eberg, Ueber Cystenbildung bei Ostitis fibrosa. Vcrhandl. d. 
Deutschen pathol. Ges. Berlin 1904. 

10*2. Morpurgo, Infektiöse Malaeie bei weissen Ratten. Zieglers Beitr. zur 
pathol. Anatomie. 1900. Bd. 27. 

103. Morpurgo, Sulla transmissione della osteomalaci umana ai topi bianchi. 
Accad. de medic. di Torino. 17. Genuaio 1908. Ref. Central bl. f. Chir. 
1908. Münch, med. Wochen sehr. 1908. Nr. 48. 

104. Xölaton, A., Elements de pathologie chirurgicale. Paris 1847—1848. 
Tome 2. 

105. Ne laton, E., Memoire sur une nouvelle espeee de tumeurs benignes des 
os ou tumeurs ä myeloplaxcs. These de Paris. 1860. 

106. Orth, s. bei Kehr. 

107. Orth, Pathologisch-anatomische Diagnostik. 6. Aufl. Berlin 1900. 

108. Paget, On a form of chronic inflammation of bones (Ostitis deformans). 
Transaetions of the royal medical and chir. soc. of London. 1877. Vol. 60. 

109. Paget, Additional cases of osteitis deformans. Transactions of the royal 
medical and chir. soc. of London. 1882. Vol. 62. 

110. Pal tauf, Demonstration eines Skeletts von Ostitis fibrosa mit multiplen 
Cysten und Tumoren. 85. Versamml. Deutscher Naturforscher u. Aerzte. 
Wien 1913. 

111. Pawlow, Verhandlungen der medizinischen Gesellschaft zu St. Petersburg. 
1905. Cit. nach v. Reek 1 i n ghausen. 

112. Pfeiffer, Ueber die Ostitis fibrosa und die Genese und Therapie der 
Knochencysten. Bruns’ Beitr. z. klin. Chir. Bd. 53. 

113. Pommer, Untersuchungen über Osteomalaeic und Rachitis usw. Leipzig. 
1885. 

114. v. Recklinghausen, Demonstration von Knochen und tumorbildender 
Ostitis deformans. Vcrhandl. d. Ges. deutscher Naturf. u. Aerzte. Heidel¬ 
berg 1889. 

115. v. Recklinghausen, Ueber fibröse und deformierende Ostitis usw. Fest¬ 
schrift für Yirchow. Berlin 1891. 

116. v. Recklinghausen, Untersuchungen über Rachitis und Osteomalaeic. 
Jena 1910. 

117. Rchn, Multiple Knochensarkome mit Ostitis deformans. Vcrhandl. der 
Deutschen Ges. f. Chir. 1904. 

118. Rchn, E., Die Schnüffelkrankheit des Schweines usw. Zieglers Beitr. z. 
pathol. Anatomie. 1908. Bd. 44. 

119. Reich, Echinokokken der langen Röhrenknochen. Bruns' Beitr. z. klin. 
Chir. 1908. Bd. 59. 

120. Reich, Ueber senile Osteomalaeic. Mitteil. a. d. Grenzgeb. 1912. Bd. 24. 

121. Ribbert, Lehrbuch der pathol. Histologie. Bonn 1901. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



136 


F. Lutsch, 


Digitized by 


122. Kind fleisch, Lehrbuch der pathologischen Gewebelehre. Leipzig 1SS6. 

123. Kitter, Zur Diagnose der Knuclienccliinokokkcn. Deutsche Zeitsehr. f. 
Chir. 1 DOS. Kd. 5Kl 

124. Kitter, Die Epulis und ihre Kiesenzellen. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 
1899. Kd. 54. 

125. Kubin, Note sur les elemcnts anat. appeh ; s myeloplaxes. Journ. de 
l'anat. et de la phys. 1864. 

126. Köpke, Die solitären Cysten der langen Kohrenknochen. Areli. f. klin. 
Chir. Kd. 92. 

127. Kumpel, Ceber (ieschwiilste und entzündliche Erkrankungen der Knochen 
irn Kontgenbilde. Hamburg 1908. 

128. Saxinger, Ceber Knochencysten. Kruns' Keitr. z. klin. Chir. 1912. 
Kd. 79. 

129. Schirmer. Die PagcFsehe Knorhenerkrankung. Sammelreferat. Centralbl. 
f. d. Grenzgeb. d. Med. u. Fhir. 190S. Kd. 2. 

130. Schlange, Ein Fall von Knochencyste in der Tibia. Arch. f. klin. Chir. 
1SS7. Kd. 36. 

131. Schlange. Zur Diagnose der solitären Cysten in den langen Röhrenknochen. 
Verhandl. d. Deutschen Ges. f. Chir. 1S93. 

132. Schlange, Keil rag zur Anatomie und klinischen Kenntnis der Cysten in 
den langen Röhrenknochen. Festsuhr. f. Esmarch. Kiel u. Leipzig 1S93. 

133. Schmieden, Beitrag zur Kenntnis der Osteomalacia chronica deformans 
hyperlrophica (Paget). Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1903. Kd. 70. 

134. Schmidt. M. K., Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie der 

Knochen. Ergehn, d. allgem. Pathologie u. patliol. Anatomie v. Lubarseh 
u. Oslertag. Jalirg. 4 u. 7. 1S97 u. 1900 01. 

135. Schmorl, Diskussion zu Mönckebecg. Verhandl. d. Deutschen pathol. 
Ges. 1904. 

13G. Sehmorl, Die pathologische Anatomie der rachitischen Knochenerkrankung 
mit besonderer Reriieksiehtigung ihrer Histologie und Pathogenese. Ergehn, 
d. inneren Med. u. Kindcrheilk. 1909. Kd. 4. 

137. Sehoenenberger, Feber Osicomalaeic mit multiplen Kiesenzellensarkomen 
und multiplen Frakturen. Yirchow's Areli. 1901. Kd. 1G5. 

138. Sch rot h, Kalktherapie und Köntgenkastration bei Knochenerweichung. 
Sitzungsbericht der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins, 8. Januar 
1912. Centralbl. f. Chir. 1912. 

139. Schuchardt, Die Krankheiten der Knochen und Gelenke. Deutsche Chir. 
1899. Lief. 28. 

140. Stanley, A treatise on diseases of the bones. London 1849. 

141. Steinl hal, Diskussionsbemerkungen. Verhandl. d. Deutschen Ges. f. 
Chir. 1912. 

142. Steward, The malignancy of the gigant cellcd sarenma. Surg., gynaeco] 
and ohstetr. 1913. Kd. 17. Nr. 1. Kef. Centralbl. f. d. ges. Chir. u. 
ihre Grenzgeh. 1913. Kd. 3. 1L 3. 

143. Stöltzner, Rachitis in Pfaundler und Schlossmann's lfandl). d. Kinder¬ 
heilkunde. Leipzig 190G. 

144. Stumpf, Ceber die isoliert auftretende eystisehc und eystisch fibröse 
Fmwatidlung einzelner Knoclienabschnitte. Zeitsehr. f. Chir. 1912. Kd. 114. 

145. Tietze, Die Knocheneysten. Ergehn, d. Chir. u. Orthop. 1911. 

146. Todvo, Feber das Verhalten der Epithelkörperchen bei Osteomalacie und 
Osteoporose (SchmoiTsehes Institut). Frankfurter Zeitschr. f. Pathol. 
1912. Kd. 10. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ucber generalisierte Ostitis fibrosa mit Tumoren und Cysten. 137 


147. Tseherniakowsky, lieber eine ungewöhnliche Form multipler Knochen- 
eysten (cystische Metastasen oines Plattenepithelkrebses des Oesophagus). 
Inaug.-Disscrt. Basel 1906. 

148. Virchow, Rud., Ueber die Entstehung des Enehondroma und seine Be¬ 
ziehungen zu der Ecchondrosis und Exostosis cartilaginea. Monatsbcr. d. 
K. Akademie d. Wissen sch. zu Berlin. 6. Dez. 1875. 

149. Virchow, Rud., Ueber die Bildung von Knochencysten. Monatsber. d. 
K. Akademie d. Wissenseh. zu Berlin. 12. Juni 1876. 

150. Virchow, Rud., Allgemeine Hyperostose des Skeletts mit Cystenbildung. 
Demonstration. Tagebl. d. 59. Versarnml. Deutscher Naturf. u. Aerzte zu 
Berlin 1886. 

151. Virchow, Rud., Onkologie 1 u. 2. 

152. v. Volkmann, Diskussionsbemerkungen zu Bramann, s. d. 

153. Wern dort f, Zur Frage der multiplen Sarkomatosc des jugendlichen 
Knochens und der Ostitis fibrosa-Recklinghausen. Zeitschr. f. orthop. Chir. 
1908. Bd. 22. 

154. Wiesel, Agenitalismus und Hypogenitalismus. Die Bindegewebsdiathesc 
als Ursache multiglandulärer Störungen usw. Handb. d. Neuro!. v. Lewan- 
dowsky. Berlin 1913. Bd. 4. 

155. Wrede, Diskussionsbemerkungen. Verhandl. d. Deutschen Ges. f. Chir. 
1912. 

156. Zeroni, Beitrag zur Kenntnis der Entstehung und Entwicklung des En- 
ekondroms der Knochen. Arbeiten a. d. pathol. Institut zu Güttingen. 
Berlin 1893. 

157. Ziegler, E., Feber die subchondralen Veränderungen der Knochen bei 
Arthritis deformans und über Knochencysten. Virehow's Archiv. 1S77. 
Bd. 70. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



I 


Digitized by 


ii. 

Verletzungen des Gehirns 
und deren chirurgische Behandlung. 1 ) 

Von 

Dr. W. B. Müller- Berlin, z. Z. Res.-Laz. Saargemünd. 

(Hierzu Tafel VII und VIII.) 

Während meiner Tätigkeit als Chirurg am Reservelazarett 
Saargemünd sind rhir eine Reihe von Verletzungen des Gehirns in¬ 
folge Gewehrschuss, Granatschuss und Einwirkung stumpfer Gewalt 
(Schlag) unter die Hand gekommen, über die ich im folgenden be¬ 
richten will. Die Verletzten stammten zum grössten Teile von den 
Schlachtfeldern der Lothringerschlacht im August 1914 und kamen 
nach verhältnismässig kurzer Zeit, ca. 24—36 Stunden nach der 
Verletzung in unser Lazarett. Der Zustand, in welchem die Ver¬ 
letzten eingeliefert wurden, war ein den Kriegsverhältnissen ent¬ 
sprechender, ist ja doch jede Wunde von der Schlacht her als in¬ 
fiziert anzusehen, aber es war doch die Wundversorgung eine gute, 
es fand sich bei allen Verwundeten ein gutsitzender und die W T unde 
fest abschliessender Verband, so dass eine spätere Infektion auf 
dem Transport nicht möglich war. 

Die Schussverletzungen sind folgende Arten: 

I. Tangentialschüsse, von denen wir solche unterscheiden, die 
nur die Kopfschwarte durchsetzt haben, während der 
Knochen unverletzt ist, und solche, bei denen der Knochen 
zertrümmert ist. 

II. Centralschüsse, von denen wir die Steckschüsse, bei denen 
das Projektil im Schädel stecken geblieben ist, und die 
transversalen, bei denen das Geschoss durch Schädel und 
Gehirn hindurch gedrungen ist, unterscheiden. 


1) Nach einem Vortrag, gehalten in der Märzsitzung der militärärztliehen 
Gesellschaft in Saarbrücken. 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 139 

Die übrigen Arten der Gehirnverletzungen sind die durch Ein¬ 
wirken einer stumpfen Gewalt, meist solcher infolge Schlag mit 
Gewehrkolben oder dergleichen. 

Was nun den allgemeinen Zustand anlangt, in welchem die 
Gehirnverletzungen in Behandlung kommen, so ist es nicht immer 
möglich, aus der allgemeinen Beschaffenheit der Wunde und aus 
dem Befinden des Kranken ein sicheres Urteil über die Ausdehnung 
der Verletzung zu gewinnen. Es ist mir ganz besonders aufgefallen, 
dass oftmals leicht erscheinende Tangentialschüsse bei der Opera¬ 
tion ganz enorm ausgedehnte Verletzungen des Gehirns aufwiesen, 
und dass sich eine Menge grosser Knochensplitter tief in der Ge¬ 
hirnmasse fanden. Ich habe daher von Anfang an jeden Schuss 
am Schädel operativ behandelt, d. h. ich habe die Wunde erweitert, 
waren zwei Wunden vorhanden, welche auf einen Tangentialschuss 
schliessen Hessen, so habe ich die beiden Wunden durch einen 
Schnitt vereinigt und breit den darunter liegenden Knochen frei¬ 
gelegt. Der Befund hat in allen Fällen die Operation gerecht¬ 
fertigt und es fand sich immer eine grössere Verletzung des 
Knochens, als vorher anzunehmen war. Dies gilt für sämtliche 
Verletzungen am Schädel, und ich habe daher sämtliche Gehirn- 
und Schädelwunden in Narkose revidiert. Welche Gründe bei den 
einzelnen Arten der Verletzung zum operativen Eingreifen vorhanden 
sind, werde ich weiter unten noch erörtern. 

Im allgemeinen möchte ich raten, alle diese Operationen in 
Narkose vorzunehmen, und zwar aus folgenden Gründen: Die Nar¬ 
kose ermöglicht ein intensiveres Untersuchen der Wunde und zu¬ 
gleich ein ausgedehntes Operieren. Ich versuche gar nicht erst 
einen Schädelschuss ohne Narkose zu untersuchen, falls nicht der 
Verletzte vollkommen benommen ist. Nur in diesem letzteren 
Falle kann man auf die Narkose verzichten. Die Narkose allein 
setzt uns in den Stand, eine ganz genaue Untersuchung der Wunde 
vorzunehmen und sofort operative Massnahmen anzuschliessen. 
Als Narkoticum verwende ich bei allen meinen Operationen den 
Aether sulfuricus und als Narkoseart die Tropfnarkose. Ich habe 
mit dieser Narkose im allgemeinen ganz vorzügliche Erfolge auch 
in der Kriegschirurgie erzielt. Allerdings kommt es vor, dass man 
mit Aether allein nicht eine ganz tiefe Narkose erzielt, dann kom¬ 
biniere ich die Aethernarkose mit Chloroform, indem ich zeitweise 
einige wenige Tropfen Chloroform an Stelle des Aethers geben 
lasse, oder ich gebe dem Kranken vor der Operation Morphium- 
Scopolamin. Bei allen Gehirnoperationen bin ich mit Aether allein 
ausgekommen, und zwar meist mit sehr wenig Aether. Je ge¬ 
schickter der Narkotiseur ist, um so weniger Aether braucht er. 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVER.SITY OF IOWA 



140 


\Y. H. Müller, 


Digitized by 


Es ist nun bei allen Gehirnoperalionen Tatsache, dass man nur eine 
vollkommene Betäubung einzuleiten braucht, und von dem Moment, 
wo man am Gehirn selbst operiert, nur ganz geringe Mengen von 
Narkoticum zur dauernden Unterhaltung der Narkose zu verwenden 
nötig hat. Gerade darauf ist besonders zu achten, dass während 
der Operation am Gehirn selbst wenig oder kein Narkoticum ver¬ 
abreicht wird, dann wird man auch nie irgend welche Komplika¬ 
tionen von seiten der Narkose erleben. 

Weiter lege ich Wert darauf, dass die Operationen nach Mög¬ 
lichkeit beschleunigt werden; ein rasches, aber natürlich exaktes 
Operieren ist von grösstem Vorteil für den Kranken. 

Was nun den allgemeinen Verlauf der Heilung anlangt, so 
sind die Erfolge hinsichtlich der Wundheilung ganz hervorragende. 
Ich habe nur in einem Falle eine akute Meningitis direkt nach der 
Operation beobachtet, während alle anderen Fälle frei von einer 
Infektion der Meningen durch die Operationswunde blieben. Es ist 
ja klar, dass alle diese Verletzungen infiziert sind, und man kann 
auch aus der äusseren Beschaffenheit der Wunden stets auf In¬ 
fektion derselben schliessen. Aus welchen Gründen ist nun bei 
der grössten Mehrzahl die Meningitis verhütet worden? Hierbei 
spielen entschieden zwei Umstände die Hauptrolle. Erstens be¬ 
sitzen die Meningen die Eigenschaft, mit einer bestimmten Menge 
von Bakterien bestimmter Art und Virulenz fertig zu werden und 
die Fähigkeit, um die Wunde herum einen Schutzwall gegen das 
weitere Vordringen der Bakterien zu bilden. Ich möchte diese 
Schutzwirkung der Meningen mit der Schutzkraft des Peritoneums 
vergleichen. Wir alle wissen, dass das Bauchfell eine gewisse 
Menge Bakterien niederzuringen vermag, und dass es durch Ver¬ 
klebungen um die Infektionsherde herum die weitere Ausbreitung 
der Infektion zu verhindern sucht. Genau so verhält es sich bei 
den Meningen. Wäre nicht die schützende Wirkung der Meningen 
vorhanden, so müsste uns jeder Gehirnschuss an Meningitis zu¬ 
grunde gehen. Der zweite Umstand, der bei der Verhinderung der 
Meningitis eine Rolle spielt, ist die Zeit, welche vergangen ist, bis 
der Verletzte zur Operation kam. Es konnten in der Zeit von 
30 und mehr Stunden, bis zur Operation geschritten werden konnte, 
in den Meningen Verklebungen entstehen, welche einen Schutzwall 
gegen die eindringenden Bakterien bildeten. Von diesen Erwägungen 
ausgehend habe ich nun bei der Operation darauf geachtet, in die 
Meningen selbst nicht, weiter einzudringen, ich habe vermieden, 
dieselben weit in die Umgebung der Wunde zu spalten. Dadurch 
wurde der bestehende Schutzwall nicht zerstört. Es lässt sich 
auch ohne Vergrösserung der Wunde der Dura mater genügend tief 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 141 


in das Gehirn eindringen, um Splitter zu entfernen und nach diesen 
zu suchen. Auf die Gehirnmasse selbst braucht man weniger 
Rücksicht zu nehmen. Dieselbe ist gewöhnlich in der Umgebung 
der Wunde stark zerstört und man kann dreist in dieselbe ein¬ 
dringen, um nach Splittern zu suchen. Dass man natürlich dabei 
wichtige Centren nach Möglichkeit zu schonen sucht, ist selbst¬ 
verständlich. Diese Verhältnisse zeigen, dass man mit viel weniger 
Fällen von Meningitis zu rechnen hat, als man vorher hätte an¬ 
nehmen sollen. 

Was die Lähmungen anlangt, welche nach Verletzung wichtiger 
Centren auftreten, so findet man nach einigen Monaten meist eine 
wesentliche Besserung derselben. Natürlich hängt die Prognose 
ganz von der Grösse der Zerstörung im Bereich der Centren ab. 
Jedenfalls besteht aber die Möglichkeit, dass sich die Lähmungen 
noch nach langer Zeit langsam bessern. Die Grenze ist ungefähr 
4—5 Monate. Lähmungen, welche nach dieser Zeit nicht gebessert 
sind, gehen nicht mehr zurück. 

Eine weitere Komplikation, welche nach den Gehirnverletzungen 
auftritt, sind die Erweichungsherde und Abscesse, die noch nach 
langer Zeit auftreten können. Es gibt für dieselben zwei Ursachen, 
erstens Projektile oder Knochensplitter, welche in der Gehirnraasse 
zurückgeblieben sind, zweitens Blutergüsse, welche ohne direkte 
Verletzung des Gehirns entstanden sind. Diese Erweichungsherde 
treten oft erst nach mehreren Wochen nach der Verletzung zutage 
und bilden eine Komplikation, welche die Prognose wesentlich 
trübt. Um diese Erweichungsherde zu verhüten, gibt es nur ein 
Mittel, das ist die sichere Beseitigung aller Splitter und Projektile 
und Eröffnung etwa vorhandener subduraler oder intracerebraler 
Blutergüsse. Die Erweichungsherde führten in allen unseren Fällen 
nach einiger Zeit ad exitum und zwar entweder infolge Infektion 
der Basilarmeningen oder infolge Durchbruchs in den Ventrikel. 
Ich leugne nicht, dass die Eröffnung der Herde und Drainage zur 
Ausheilung des Erweichungsherdes führen kann, halte aber trotz¬ 
dem die Aussicht auf Heilung für recht gering und das Auftreten 
der Erweichungsherde für ein schlimmes Omen. Es ist bei einer 
längeren offenen Behandlung eine Infektion des Erweichungsherdes, 
falls er nicht schon vorher infiziert war, kaum oder nur sehr 
schwer zu vermeiden, namentlich wenn die Ausheilung nicht rasch 
vor sich geht. Ausserdem ist das Fortschreiten durch die weiche 
Hirnmasse stark begünstigt. 

Nach diesen allgemeinen Bemerkungen will ich in dem 
Folgenden auf die einzelnen Arten der Verletzungen an der Hand 
von Fällen etwas näher eingehen. Die für die chirurgische Be- 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



142 


\Y. B. Müller, 


Digitized by 


handlung dankbarsten Verletzungen stellen die Tangentialschüsse 
dar. Von diesen gibt es zwei Arten, die Tangentialschüsse ohne 
Knochen- und Gehirnverletzung, also die reinen Weichteilschüsse, 
und die Tangentialschüsse mit Knochen- und Gehirnverletzung. 
Ich unterscheide absichtlich nur diese beiden Arten, weil ich hin¬ 
sichtlich der praktischen chirurgischen Behandlung und nach den 
Erfahrungen einen Tangentialschuss mit Knochenverletzung ohne 
Verletzung des Gehirns nicht anerkenne. Es könnte theoretisch 
wohl möglich sein, dass ein Projektil den Knochen verletzt, ohne 
das Gehirn mit zu verletzen. Erfahrungsgemäss kommen aber 
solche Verletzungen nicht vor, wenigstens habe ich keine beob¬ 
achtet, und es ist auch nicht anzunehmen. Jedenfalls soll der 
Chirurg nie, selbst bei der leisesten Verletzung des Schädel¬ 
knochens, sich verleiten lassen, eine Gehirnverletzung auszuschliessen. 
Wir wissen schon aus der Friedenschirurgie, dass die Tabula interna 
des Schädels viel stärker und ausgiebiger springt und zersplittert, 
während die Tabula externa bisweilen nur einige kleine Risse auf¬ 
zuweisen hat. Dieselbe Erfahrung habe ich in jedem Falle ge¬ 
macht und war oft erstaunt, wie stark die Tabula interna zer¬ 
splittert war und diese Splitter tief in die Gehirnmasse einge¬ 
drungen waren, während der Schädelknochen von aussen nur eine 
geringe Impression zeigte. Dieser Umstand gibt bei allen solchen 
Verletzungen der Trepanation volle Berechtigung. Auf die ein-, 
fachen Wcichteilschüsse brauche ich nur mit wenigen Worten näher 
einzugehen. Sie fesseln unser Interesse nur in zwei Richtungen. 
Es ist vor allem genau nachzuweisen, dass es sich um einen reinen 
Weichteilschuss handelt. Dies kann man nur durch eine genaue 
Untersuchung der Wunde feststellen, und zwar rate ich zu einer 
Inspektion der Wunde in Narkose. Ist der Kranke narkotisiert, 
so kann man die Wunde besser und intensiver revidieren und. das 
ganze Wundbett freilegen. Ich habe aber diese Wunden nicht so 
ohne weiteres mit Haken auseinandergezogen, sondern ich habe die 
Wunde in ihrer ganzen Ausdehnung Umschnitten. Dies ist nun 
zwar eine etwas grössere Operation, bietet aber in mehrfacher 
Hinsicht Vorteile. Die Wunde zeigt stets stark zerquetschte Ränder 
mit infizierten Hautfetzen. Dadurch dass ich die Wunde in einer 
Entfernung von 1 / 2 —1 cm vom Wundrand umschneide, wird der 
grösste Teil der infizierten gequetschten und zerfetzten Gewebe 
entfernt und bei einiger Geschicklichkeit des Operateurs eine In¬ 
fektion der neugesetzten Wunde in vielen Fällen verhütet. So er¬ 
halte ich eine neue Wunde, welche auch eine genauere Uebersicht 
gestattet. Wird die Wunde nicht Umschnitten, sondern in der 
primären Wunde nach Knochenverletzungen gesucht, so verschleppt 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 143 


man die in den gequetschten Massen befindlichen Bakterien noch 
tiefer in die Gewebe, Lymphbahnen usw. hinein und beobachtet 
dann schwere Infektion und Eiterung. Nach der Umschneidung 
sieht man genau, wie weit die Einwirkung des Geschosses geht. 
Findet man nun dennoch eine Verletzung des Knochens, so kann 
man jetzt ohne Sorge die Trepanation anschliessen und Splitter 
entfernen, es wird dann keine Infektion eintreten. Man wird näm¬ 
lich bei dieser Wundinspektion noch in vielen Fällen eine Ver¬ 
letzung des Knochens finden, die man vorher nicht glaubte an¬ 
nehmen zu müssen. Stellt sich die Wunde als reine Weichteil¬ 
wunde heraus, so habe ich nunmehr die ganze Wunde durch Naht 
geschlossen und nur in die eine Ecke einen kleinen Gazestreifen 
eingelegt, welcher bei reaktionslosem Verlaufe am zweiten Tage 
entfernt wurde. Die so behandelten Wunden heilten zum aller¬ 
grössten Teile per priraam und es wurde eine wesentliche Abkürzung 
der Heilungsdauer und eine strich förmige, den Kranken später nicht 
behindernde Narbe erzielt. Umschneidet man die Wunde nicht, so 
wird die Heilung wesentlich verzögert und es entsteht meist eine 
breite, mit der Unterlage fest verwachsene Narbe. Die Wund¬ 
behandlung kann aber nur unter Narkose oder mit Lokalanästhesie 
vorgenommen werden. Operiert man in einem grösseren Lazarett 
und gutem Operationssaal, so ziehe ich die Lokalanästhesie vor, 
wenn genügend Zeit vorhanden ist. Im anderen Falle verwandte 
ich Aethernarkose. Bei dieser Behandlung habe ich nur in 4 pCt. 
der Fälle Infektion der Wunde gesehen, welche aber, da ein 
kleiner Tampon eingelegt wird, nie grössere Komplikationen ge¬ 
bildet hat. 

Bei weitem interessanter sind die Tangentialschüsse mit 
Knochenverletzung und Gehirnverletzung. Bei diesen ist eine sach- 
gemässe chirurgische Behandlung von dem grössten Werte und für 
den Kranken direkt lebensrettend. Die Verletzten kamen in teils 
schwerkrankera, teils in ganz leichtkraukem Zustande in unser 
Lazarett. Diejenigen Kranken, welche benommen aufgenommen 
wurden, erheischten selbstredend sofort chirurgische Behandlung, 
während man bei denjenigen, die nicht benommen waren, keine 
Lähmungen aufwiesen und nur geringe Symptome einer Gehirn¬ 
verletzung zeigten, im Zweifel sein konnte, ob sofort operiert 
werden sollte. Es war mein Grundsatz, jeden Fall operativ zu 
behandeln, und es stellte sich dabei heraus, dass die benommenen 
Kranken nicht immer schwerer verletzt waren, als die keine 
schwereren Symptome darbietenden. Bei der Operation waren wir 
im Gegenteil oftmals erstaunt, welch ausgedehnte Zertrümmerung 
des Knochens und tiefgehende Verletzungen der Gehirnmasse sich 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



144 


\Y. B. Müller 


Digitized by 


bei einem anscheinend leicht Verletzten vorfanden. Es stellte sich 
bei allen unseren Fällen heraus, dass der Symptomenkomplex am 
Patienten keinen Massstab in allen Fällen für die Ausdehnung der 
Verletzung darbietet. Kommt es doch ganz darauf an, welche 
Teile des Gehirns verletzt sind. Verletzungen des Hinterhaupts 
oder Stirnlappens des Gehirns riefen meist weniger schwere Sym¬ 
ptome hervor, als die Verletzungen in den Gegenden der Central¬ 
windungen. Jedenfalls soll man die Tangentialschüsse, wenn der 
Kranke auch einen leichtverletzten Eindruck macht, nicht unter¬ 
schätzen, ist doch die Wirkung des Geschosses auf den Knochen 
eine so starke, dass grosse Splitter tief in die Gehirnmasse hinein¬ 
getrieben werden, und der Kranke schwebt in der grössten Gefahr, 
wenn es nicht gelingt, alle Splitter in dem Gehirn zu finden oder 
wenn man gar die Entfernung der Splitter unterlassen würde. Es 
ist überhaupt nicht leicht, jeden Splitter zu finden und es ist ent¬ 
schieden Glück, wenn man alle findet, es kann aber, ohne dass 
man dem Operateur einen Vorwurf machen kann, passieren, dass 
ein Splitter nicht gefunden wird. Die Splitter, die Zurückbleiben, 
rufen später immer Komplikationen schwerster Art hervor, es ist 
daher anzuraten, bei der Operation intensiv nach Splittern zu suchen. 
Wenn man dabei anscheinend in der Gehirnwunde noch grössere 
Verheerungen anrichtet, so schadet dies nicht soviel, als wenn ein 
Splitter übersehen wird. Man ist ja geneigt, das Gehirn als 
empfindlicher anzusehen, als es in Wirklichkeit ist, braucht daher 
nicht übermässig ängstlich zu sein, freilich soll nicht geleugnet 
werden, dass man mit zarter Hand und entsprechender Vorsicht 
zu Werke gehen muss. Vor allen Dingen muss man sich durch 
eine genaue körperliche Untersuchung vor der Operation davon 
überzeugen, welche Centren im Gehirn in Mitleidenschaft gezogen 
sind. Danach wird man ausgerüstet mit den notwendigen Kennt¬ 
nissen über den Bau des. Gehirns wissen, wie weit man im Suchen 
von Splittern gehen darf. 

Ein weiter zu beachtender Umstand ist die Frage, wie weit 
der Schusskanal im Knochen des Schädels erweitert werden darf. 
Ich habe da nach Möglichkeit am Knochen gespart. Es wurden 
die losgesprengten Knochenstücke entfernt, nur dann wurde noch 
mehr von dem festen Schädelknochen mit der Knochenzange ent¬ 
fernt, wenn der Zugang nicht genügend gross war, um die Gehirn¬ 
wunde genau nach Splittern absuchen zu können. Man wird natür¬ 
lich so wenig wie möglich von Knochen entfernen, nur soll man 
nicht auf Kosten der Uebersichtlichkeit an Knochen sparen. Der 
Defekt im Schädel bietet weniger Gefahr, als das Uebersehen von 
Knochensplittern im Gehirn. Ich habe bei Tangentialschüssen, 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



145 


Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 

selbst wenn viel Knochen entfernt wurde, so dass Defekte von 
Fünfmarkstückgrösse entstanden, nie Gehirnprolapse gesehen. Wenn 
irgend möglich habe ich das Loch im Schädel soweit vergrössert, 
dass ich mit einem Finger eindringen und die Gehirnwunde ab¬ 
tasten konnte. Den entstehenden Defekt des Schädels habe ich 
zunächst nur mit der Kopfschwarte überdeckt. Die Gehirnwunde 
wurde mit einem Gazestreifen tamponiert, welcher durch einen 
Wundwinkel nach aussen geleitet wurde. Die Kopfschwarte, die 
angefrischt war, wurde fest und peinlich vernäht und nur ein kleiner 
Spalt für den schmalen Gazestreifen offen gelassen. Am 2. Tage 
wurde stets der Tampon entfernt, Heilung erfolgte stets per primam, 
bisweilen trat eine ganz geringe Absonderung aus der Tampon¬ 
öffnung auf. Fieber war nach diesen Operationen nie vorhanden. 
Gerade darauf, dass die Kopfschwarte über der Wunde vernäht 
wird, legte ich besonderen Wert, und zwar deshalb, w r eil dadurch 
die Narbe selbst über einem grossen Knochendefekte schmal und 
fest wird, während in den Fällen, wo die Wunde offen behandelt 
wird, wie ich es bei einem nicht von mir operierten Falle sah, 
eine enorm breite dünne Narbe entsteht. Dadurch aber, dass die 
feste Galea über der Gehirnwunde verheilt, verhütet man soviel 
wie möglich Gehirnprolapse und erleichtert eine spätere plastische 
Operation zum Verschlicssen des Knochendefektes ganz wesent¬ 
lich. Der plastische Verschluss des Knochendefektes ist nicht in 
allen Fällen nötig. In denen, wo eine schmale, 1— \ l j 2 cm breite 
Knochenrinne durch das Geschoss und die Operation entstanden 
ist, wird der Verschluss derselben operativ nicht notwendig werden, 
da sich die Knochenwunde von selbst wesentlich verkleinert und 
bei guter Heilung der Galea ein ausreichend fester bindegewebiger 
Abschluss entsteht. Nur bei grösseren Defekten ist Knochen¬ 
deckung notwendig, die am besten aber erst mehrere Monate nach 
der definitiven Heilung vorgenomracn wird. 

Nach dieser Art sind 25 Tangentialschüsse mit Knochen- und 
Gehirnverletzung behandelt worden, von denen 2 gestorben sind = 
<s pCt. Von diesen ist 1 Fall an akuter Meningitis gestorben. Bei 
demselben war die Infektion eine sehr schwere, schon vor der 
Operation waren meningitische Zeichen vorhanden, mehrmals 
Krämpfe. Es war da auch nach der Operation keine Besserung 
eingetreten, und Pat. kam 12 Stunden später infolge der Meningitis 
ad exitum. 

Der zweite Todesfall war bedeutend interessanter. 

Es betraf den Musketier E.. welelier am 25. S. verwundet worden war 
und erst am 1. 9. in unser Lazarett eini^diefert wurde. Pat. ist nieht be¬ 
nommen, es finden sieh an Extremitäten und Faeialis keim* Lähmungen. Am 

Archiv für klm. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. ]() 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



146 


W. B. Müller, 


Digitized by 


Hinterkopf findet sieh in der Hübe der grossen Fontanelle eine Einsehussöffnun^ 
von rundlicher Form und G ein nach rechts die Ausselmssöffnung. Die Wunden 
sind schmierig belegt, kein Fieber. Pat. hat heute 2mal Krämpfe gehabt. 

Es wird zur Operation geschritten. Die Wunden werden Umschnitten 
und durch einen Schnitt vereinigt. Danacli findet man eine quer in der Bichtumr 
des Schusskanals verlaufende, 3 cm lange, 2 cm breite knochenwunde, aus 
welcher (iehirnmasse hervorquillt. In der (iehirnmasse liefen tief drinnen 
4 Knochensplitter von der Grosse von 3 X 2 cm. Dieselben werden tief aus der 
Gehirnwunde entfernt. Daneben werden einzelne Blutgerinnsel und lose Hirn- 
massen entfernt. Die Verletzuni: betraf den rechten Hinterhaupt lappen. Man 
kann mit dem Finder tief in das Gehirn hineindringen, ohne noch weiter^ 
Knochensplitter zu finden. Die entfernten Splitter sind auf Taf. VII, Fig. 1 in der 
zweiten Keihe mit abgebildct. In die Gehirnwunde wird locker ein Gazestreifen 
eingelegt. welcher zum linken Wundwinkel herausgeleitet wird. Die Weichteile 
werden durch Naht exakt geschlossen. 

Die Temperatur war an den nächsten Tagen 37° und stieg am 3. Tai:e 
nach der Operation einmal auf 3S° abends, um vom nächsten Tage an normal 
zu bleiben. Der Tampon wurde am 2. Tage entfernt, die Wunde war reaktions- 
los, Krämpfe sind nach der Operation nicht wieder aufgetreten. 3 Wochen nach 
der Operation war das Befinden ganz gut, kein Kopfschmerz, keine Lähmungen, 
kein Schwindel, keine Augenstörungen. 

Am 10. 10. klagt Pat. über Schwindel, Kopfschmerzen und Flimmern vor 
den Amten. Diese Beschwerden bestehen in wechselnder Intensität, zeitweise 
auch ganz fehlend, Ins zum 30. 10. An diesem Tage klagt Pat. über stärkere 
Kopfschmerzen, und es tritt abends ein typischer Krampfanfall auf. An den 
folgenden Tagen wird tätlich ein Krampfanfall beobachtet, Pat. klagt über 
starke Kopfschmerzen und Schwindel. Am 4. 11. sind mehrmals Krämpfe aul¬ 
getreten, welche stets in den linken Extremitäten beginnen und dann den 
ganzen Körper befallen. Die Temperatur ist normal, der Puls stark ver¬ 
langsamt. 

Nach diesen Symptomen wird ein Erweicbungsherd im rechten Hintrr- 
liauptlappen angenommen und heute zur Operation geschritten. Die Narbe am 
Hinterkopf wird in ihrer ganzen Ausdehnung incidiert und man gelangt in eine 
ca. 3 ein lange, ca. 1 cm breite Knochenrinne. Die Dura mater wird vom 
Knochen gelöst, die Knochenrinne wird etwas verbreitert. Im linken Winkel 
der Narbe der Dura mater fühlt man deutlich eine harte »Stelle, an welcher 
eine Ineision gemacht wird. Man gelangt sofort auf einen Knochensplitter v»*n 
der Grösse von 2X1 cm, welcher etwa dreieckig und dünn ist und einen Teil 
der Tabula interna repräsentiert. Um den Knochensplitter herum hat sieh ein 
kleiner Erweichungsherd gebildet, die Erweichungsmasse quillt heraus. Der 
Erweicbungsherd wird tamponiert und nach aussen drainiert. Die Kopfsehwarir 
bis auf eine kleine Oeffnung für den Tampon geschlossen. 

Schon am nächsten Tage völliges Wohlbefinden. Keine Krämpfe, kein 
Kopfschmerz, kein Flimmern vor den Augen. Temperatur normal. Der Tampon 
wird am dritten Tage entfernt, keine Eiterung. 

In den nächsten Tagen fühlt sieh Pat. ganz wohl. Kein Kopfschmerz, 
kein Schwindel. 

Bis 4. 12. hat sieh Pat. ganz wohl gefühlt. Heute klagt er wieder über 
Kopfschmerz und Schwindel. Diese Beschwerden hielten bei normaler Tempe¬ 
ratur mit wechselnder Intensität bis 12. 12. an. Es wird daher am 12. 12. di-' 
Narbe am Hinterkopf nochmals geöffnet, und man findet nach Eröffnung ih-r 
Dura mater einen dicht unter derselben in einem kleinen ErwcichungshenU 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 147 


liegenden, ca. 2X1 cm grossen Knochensplitter. Derselbe wird entfernt, der 
Erweichungsherd mit Gaze nach aussen drainiert. Die Wunde wird teilweise 
vernäht. Nach dieser Operation trat keine wesentliche Besserung auf. Die 
Temperatur war normal, doch besserten sich die Kopfschmerzen nicht. Da sich 
neben diesen Beschwerden Schwindel, Flimmern vor den Augen und leichte Be¬ 
nommenheit einstellten, wird am 2. 1. 15 die Narbe nochmals .eröffnet und eine 
Probepunktion vorgenommen. In einer Tiefe von ca. 3 cm gelangt man auf 
einen Erweichungsherd. Derselbe wird eröffnet und cs entleeren sich ca. 100 ccm 
gelber eitriger Flüssigkeit. In den Abscess wird ein Guinmidrain eingelegt und 
die ganze Wunde offen gelassen. An den nächsten Tagen war das subjektive 
Befinden gebessert, doch stieg die Temperatur bis 9. 1. auf 39° an. Danach 
langsamer Abfall des Fiebers, am 13. 1. normale Temperatur, doch bestellen 
wieder Kopfschmerzen. Bis 24. 1. war die Temperatur normal, zeitweise starker 
Kopfschmerz, an diesem Tage abends wieder 3S Ü C, leichte Benommenheit und 
viel Kopfschmerz. Die Temperatur steigt an den nächsten Tagen bis 39° C 
an, Benommenheit vermehrt sich, mehrmals täglich Erbrechen, keine Krämpfe. 
Am 2S. 1. früh erfolgt unter Anstieg der Temperatur auf 40° C Exitus letalis. 

Bei der Autopsie findet, sieh eine eitrige Pachvineningitis. Im Üeeipital- 
liirn findet sieh auf dem Querschnitt ein etwa walnussgrosser Eiterherd, in 
dessen Eingebung reichliche Hämorrhagien. Der Abscess ist in den rechten 
Seitenventrikel durchgebrochen, der Seitenventrikel ist mit Eiter angefüllt, er¬ 
weitert und bildet im Stirnhirn einen etwa haselnussgrossen Abscess (s. Taf. VII, 
Fig. 2). Die photographische Aufnahme der Gchirnsehnitte vom Oreipitallappen 
bis zum Frontallappen zeigt diese Verhältnisse deutlich. 

Es war in diesem Falle durch das Zurückbleiben von zwei 
Knochensplittern im Gehirn ein Erweichungsherd entstanden, der 
dann einen Abscess bildete, der in den Seitenventrikel durchbrach 
und eine Vereiterung desselben hervorrief, welcher der Patient 
erlag. Dieser Fall ist ein Beispiel dafür, dass die im Gehirn 
zurück bleibenden Knochensplitter zu ernsten Folgezuständen führen, 
und dass man nach Möglichkeit jeden Splitter entfernen soll. Es 
ist nicht anzunehmen, dass solche Knochensplitter reaktionslos ein¬ 
heilen, sondern es treten meist Erweichungsherde um solche Fremd¬ 
körper herum auf. Dass diese Erweichungsherde sehr gefährliche 
Folgezustände darstellen, zeigt dieser Fall ebenfalls, die Gefährlich¬ 
keit erhellt auch aus den abgebildeten Gehirnschnitten. 

Die übrigen Tangentialschüsse mit Gehirnverletzungcn sind 
ohne diese Komplikation geheilt. Die Folgezustände, die sich ein¬ 
stellten, waren nur die aus der jeweiligen Verletzung der be¬ 
treffenden Gehirncentren entstehenden Lähmungen. Es ist aber 
erstaunlich, wie diese Lähmungen, namentlich der Extremitäten, in 
den meisten Fällen schon nach wenigen Wochen fast ganz zurück¬ 
gehen. Ich möchte hier nur zwei von meinen Fällen, die Patienten 
H. und J., auf Taf. VII, Fig. 3 und Taf. VIII, Fig. 4 anführen, bei denen 
schwere Verletzung in der Gegend der rechten Centralwindungen vor¬ 
lag, man sieht auf den Bildern noch die ausgedehnten Narben mit 
Knochendefekt. In beiden Fällen gingen die anfänglichen Lähmungen 

io* 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



148 


IV. 13. Müller, 


Digitized by 


der Extremitäten vollkommen zurück, es blieb nur eine leichte 
Facialisparese bestehen. Aus den beiden Abbildungen ist auch 
deutlich zu sehen, wie dank der exakten Vereinigung der Weich¬ 
teile über dem Schädeldefekt durch Naht eine schmale und feste 
Narbe entsteht. Wenn die Lähmungen allerdings nicht schon nach 
6 Wochen wesentlich gebessert sind, so bleiben sie meist bestehen, 
es ist dann eben eine vollkommene Zerstörung des betreffenden 
Centrums vorhanden. 

Was andere Beschwerden anlangt, so bestehen bei den meisten 
Patienten zeitweise Kopfschmerzen, Flimmern vor den Augen und 
eine allgemeine nervöse Schwäche, Symptome, welche mehr als 
rein neurasthenische aufzufassen waren und sich mit der Zeit 
wesentlich besserten. So habe ich 6 meiner Patienten, bei denen 
schwere Verletzungen Vorlagen, nach 3—4 Monaten ohne Be¬ 
schwerden entlassen können, von denen einer sogar wieder beim 
Ersatztruppenteil Dienst tut. Der Eintritt der Dienstfähigkeit wird 
ja in den meisten Fällen weniger von den subjektiven Beschwerden 
abhängig zu machen sein, als von dem objektiven Befunde der 
Narbe und des Knochens. Es wird sich auch weniger darum han¬ 
deln, die Leute wieder dienstfähig zu machen, denn dafür werden 
die meisten Verletzungen von Anfang an jede Aussicht aussehliessen, 
als vielmehr die Verletzten für die Ausübung eines bürgerlichen 
Berufes tauglich zu machen. Die Möglichkeit, militärischen Dienst 
zu tun, wird nur in Ausnahmefällen vorhanden sein, immerhin kann 
man auch dieselbe in Betracht ziehen. 

Bei den übrigen 17 Verletzten waren teilweise Lähmungen 
zurückgeblieben, so dass dieselben für jeden militärischen Dienst 
ausfielen, trotzdem aber so weit wieder hergestellt waren, dass sie 
einen bürgerlichen Beruf vollkommen ausfüllen konnten. 

Was nun die geistigen Fähigkeiten der Patienten anlangt, so 
war bei einem Teil eine geringe Verminderung, namentlich der 
raschen Denkfähigkeit, des Gedächtnisses und der Urteilskraft an¬ 
zunehmen. Es ist dies um so schwerer zu beurteilen, als man 
die betreffenden Leute vor ihrer Verletzung nicht gekannt hat. 
Jedenfalls haben wir schwere geistige Störungen nicht beobachten 
können. Die Jackson’sche Epilepsie ist auch nicht beobachtet 
worden, dürfte auch so kurze Zeit nach der Verletzung nicht 
auftreten. Dieselbe bietet für jeden unserer Patienten eine zu¬ 
künftige Gefahr. Es wird sich erst lange Zeit nach dem Kriege 
entscheiden lassen, in wieviel Prozent der Fälle dieselbe auf- 
tritt. Dass die Gehirn- und Duranarbe noch später die Jackson- 
sche Epilepsie auslösen kann, ist natürlich in allen diesen Fällen 
möglich. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 149 


In allen Fällen zeigten sich bei meinen Patienten leichte 
neurasthenische Beschwerden, die aber die sichere Tendenz wieder 
zurückzugehen aufwiesen. 

Aus diesen Ergebnissen ist der erfreuliche Schluss zu ziehen, 
dass diese Verletzungen bei der beschriebenen Behandlung in den 
meisten Fällen mit geringen Beschwerden heilen. 

Bedeutend gefährlicher erwiesen sich die Centralschüsse. Es 
ist anzunehmen, dass ein grosser Teil derselben bereits auf dem 
Schlachtfelde oder kurz nach der Verletzung ad exitum kommt. 
Deshalb ist auch die Zahl derselben, die in unsere Behandlung 
kam, eine bedeutend kleinere. Von Steckschüssen, bei denen das 
Geschoss im Innern des Schädels liegen geblieben ist, habe ich 
nur 4 Fälle gesehen. 

Der eine Fall betraf einen Schuss durch kleinen Granatsplitter in die 
linke Stirnseite. Der kleine Granatsplitter war drei Querfinger oberhalb der 
linken Augenbraue an der Stirn in der Gegend des linken Stirnhöckers cin- 
gedrungen und war durch den Knochen in das linke Stirnhirn eingedrungen. 
Der Granatsplitter fand sieh auf dem Röntgenbilde ungefähr in der linken 
Schläfengegend im Stirnhirn. Beschwerden irgendwelcher Art waren 3 Monate 
nach der Verletzung nicht mehr vorhanden, so dass Hat. dienstfähig entlassen 
wurde. Die subjektiven Klagen direkt nach der Verletzung bestanden nur in 
Kopfschmerzen, Schwindel und l-ebelscin. Leichte Sprachstörung bestand in 
den ersten Wochen. Sämtliche Beschwerden waren zurückgegangen. 

Ein wesentlich anderes Bild bot der zweite Fall: 

Fs handelte sich um den Unteroffizier G., welcher am 22. 8. 1914 durch 
einen Granatsplitter an der rechten Kopfseite verwundet wurde. Es fand sich 
an der rechten Kopfseite, ungefähr 3 Querfinger rechts vom Wirbel eine kleine 
rundliche, circa erbseugrosse Einschussöffnung. Die linken Extremitäten sind 
vollkommen gelähmt, ebenso linker Facialis, Blase und Mastdarm. Fat. ist 
benommen, reagiert nur sehr wenig auf Anrufen. Temperatur normal. In 
diesem Zustande wird er am 25. S. hier eingeliefert. Am 2(>. 8. wird die 
Operation vorgenommen. Umschneiden der Wunde. Im Knochen findet sich 
ein circa erbsengrosses Loch. Dasselbe wird erweitert. Man gelangt in einen 
Schusskanal im Gehirn. Die Sonde dringt 12 cm tief ein, ein Projektil wird 
nicht gefunden. Die Gehirnwunde wird leicht tamponiert. An den nächsten 
Tagen besteht normale Temperatur, die Benommenheit bessert sich, doch lie¬ 
st eben die Lähmungen weiter. Vom 10. Tage nach der Operation an bestehen 
abends buchte Temperatursteigerungen, bis 38° U, zeitweise wieder normale 
Temperatur. Das Bewusstsein ist wiedergekehrt, Pat. spricht und erzählt vom 
Krieg, doch ist die Sprache sehr langsam. Das Befinden ist trotz der Lähmungen 
bei geringen Temperatursteigerungen ein leidliches gewesen bis 4. 10. An 
diesem Tage stieg die Temperatur bis 40° U an, Pat. wird wieder benommen, 
klagt über starke Kopfsehmerzen. wenn man ihn anruft. Am 14. 10. erfolgt 
Exitus letalis. 

Die Sektion ergab folgenden Befund: Am Schädeldach, rechts von der 
Mittellinie, in der Höhe der Fontanellengegend findet sich eine für (‘inen Finger 
durchgängige Oeffnung, aus welcher zerfallene Gehirnmassen hervorragen. Die 
Dura mater ist fest mit den Rändern der Oeffnung verwachsen. Nach Eröffnen 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



150 


W. H. Müller, 


Digitized by 


des Schädels und der Dura mater »relan^t man in eine in der postecntralen 
Windung gelegene Höhle, in welche man mit dem Finger eindringen kann. Das 
Gehirn wird in toto lierausgenuminen und fixiert. An der Schädelbasis findet 
man dicht neben dem Koramen ovale einen 1 X 0,5 ein grossen Granatsplitter 
(s. Taf. VII, Fig. 1 unterhalb der Knochensplitter). Das fixierte Gehirn wird in 
Scheiben geschnitten, und man findet einen das «ranze rechte Hirn durch¬ 
setzenden Erweiehungsherd, welcher von der Wunde ausgeht und an der 
Gehirnbasis mit einer kleinen Ocffnung endet. In Taf. VIII, Fig. 5 sind diese 
Zerstörungen im Gehirn deutlich zu sehen. Der Inhalt der Höhle setzte sich 
nur aus Detritusmassen zusammen. Eiter war nicht vorhanden. Ebenso waren 
die Meningen nicht eiterig entzündet, es fand sich nur eine leichte Trübung der 
Pia mater. Der Tod war in diesem Fall infolge der starken Zerstörung im Ge¬ 
hirn. welche die motorischen Centren der rechten Hirnhälfte zerstörte, durch 
infolge der Lähmungen entstandene Decubitusgeschwüre und daher resultierende 
allgemeine Septikämie herbeigeführt worden, ohne dass eine eiterige Meningitis 
entstanden war. 

Aus diesem Fall ersieht man, dass die Steckschüsse zu den 
schwersten Zerstörungen im Gehirn führen können, und dass man 
die Prognose in solchen Fällen immer mit der grössten Vorsicht 
stellen soll. Es war in diesem Fall die Anwesenheit des Granat¬ 
splitters bei dem weiteren Verlaufe vollkommen gleichgültig. Der¬ 
selbe hatte das Gehirn glatt durchschlagen und wäre in seiner Lage 
neben dem Foramen ovale auf der Schädelbasis ohne jede Bedeutung 
geblieben, wenn nicht in dem Schusskanal infolge der Blutung und 
der starken Zertrümmerung der Gehirnmasse ein grosser Erweichungs¬ 
herd entstanden wäre. Es würde also für den Kranken nicht von 
Nutzen gewesen sein, wenn man den Granatsplitter entfernt hätte. 
Die Gefahr ist eben nicht der Fremdkörper an sich, sondern die 
Zerstörung beim Eindringen desselben. Dass der Granatsplitter 
ohne Bedeutung war, zeigt das vollkommene Fehlen einer Basilar- 
meningitis und jeglicher Zeichen einer Reizung in der Umgebung 
des Granatsplitters. Der Kanal vom Erweichungsherd nach der 
Gehirnbasis war reaktionslos verklebt und wurde erst beim Heraus¬ 
nehmen des Gehirns aus dem Schädel wieder eröffnet. Dass es 
nicht angebracht ist, ohne zwingenden Grund nach einem solchen 
Fremdkörper zu suchen, zeigt auch der oben erwähnte Fall, wo 
der Fremdkörper, ohne einen Erweichungsherd zu bilden, eingeheilt 
war und keine Beschwerden mehr hervorrief. Es wird uns also 
auch bei den Steckschüssen des Gehirns der in der Chirurgie sonst 
massgebende Grundsatz leiten, nicht nach dem Geschoss zu suchen, 
wenn dasselbe nicht leicht zu finden ist. 

Wie kann man nun einem derartig verletzten Kranken doch 
noch Hilfe zu bringen versuchen? Man muss dabei von dem Ge¬ 
sichtspunkte ausgehen, den man auch bei Abscessen verfolgt, näm¬ 
lich dem Erweichungsherde möglichst reichlich Gelegenheit zum 
Abfluss zu geben, d. h. man wird den Zugang erweitern und den 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 


151 


Erweichungsherd ausgiebig drainieren. Bei der Drainage solcher 
Herde ist zweierlei zu bedenken: 1. Bei Einschussöffnungen an 
dem oberen Teile des runden Schädels wird der Abfluss aus der 
Gehirnwundc bei der ausgiebigsten Erweiterung der Knochenwunde 
ungenügend sein; 2. bei zu grosser Eröffnung des Schädels wird 
man die Gefahr des Gehirnprolapses fürchten müssen. Es würde 
sich dem nur abhelfen lassen, wenn es gelingen würde, den Schuss- 
.kanal und aus ihm sich bildenden Erweichungsherd nach unten 
seitlich, also entweder vor oder hinter der Felsenbeinpyramide 
durch Anlegen einer Gegenöffnung zu drainieren. Dadurch würde 
der Inhalt Abfluss, erhalten, und man könnte eine Ausheilung 
erwarten. Freilich stösst dieses Vorgehen auf grosse Schwierig¬ 
keiten, denn die Richtung des Schusskanals wird sich im Gehirn 
nicht so ohne weiteres bestimmen lassen, wenn nicht das Röntgen¬ 
bild durch Lokalisierung des Geschossstückes einigen Aufschluss 
gibt, ausserdem muss man den Schusskanal immer als infiziert 
ansehen und man läuft Gefahr, durch Anlegen der Gegenöffnung 
die Meningen an der Gehirnbasis zu infizieren. Immerhin würde 
ich bei der Behandlung solcher Steckschüsse diese Behandlung in 
Betracht ziehen. 

Ausser diesen beiden Patienten habe ich noch 2 Fälle von 
Steckschüssen behandelt, welche infolge der enormen Verletzung 
sehr bald nach der Einlieferung ad exitum kamen. Dieselben 
waren Granatsplitterverletzungen. 

Der eine Fall zeigte an der linken Sehläfengegend eine fünfmarkstüek- 
grosse Einschussöffnung, welche kraterförmig entlang der Felsenbeinpyramide 
in die Tiefe führte. Man gelangte in dem Trichter in zerfallene Gehirnmassen. 
Der Kranke war vollkommen bewusstlos. Es wurde die Wunde gereinigt, 
Knochensplitter wurden entfernt und die Wunde mit Gaze ausgestopft. Der 
Patient kam nach 24 Stunden unter meningitischen Erscheinungen ad exitum. 
Es fand sich bei der Sektion eine grosse Zerstörung des linken Stirnhirns 
bis in die Gegend der postcentralen Windung. 

Der andere Fall war ganz ähnlich; es fand sieh da dicht oberhalb des 
rechten Ohres eine circa fünfmarkstückgrosse Einschussöffnung im Schädel, 
welche oberhalb der Felscnbeinpyramide nach dem Innern des Gehirns führte. 
Auch in diesem Fall war die Zerstörung des Gehirns eine so ausgedehnte, dass 
eine Genesung ausgeschlossen war. 

Diese 4 Fälle zeigeu, wie schwer diese Verletzungen sind 
und wie schlecht die Prognose ist. Sind die Verletzungen nicht 
von Anfang an tödlich, so muss man mit dem Entstehen eines 
Erweichungsherdes rechnen, und nur in ganz wenigen Fällen kann 
man Heilung erwarten. Es wird nur dann eine günstige Prognose 
zu stellen sein, wenn es sich um einen kleinen Granatsplitter 
handelt und derselbe von der Stirn oder den Seitenflächen des 
Schädels eingedrungen ist, während das Eindringen von dem Dache 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



152 


W. B. Müller, 


Digitized by 


des Schädels selbst bei kleinem Granatsplitter immer schlechtere 
Prognose abgibt. Grosse Granatsplitter, wie sie in den beiden 
letzten Fällen vorhanden waren, geben immer die schlechtesten 
Aussichten. 

Bedeutend günstigere Resultate geben die transversalen Schüsse, 
bei denen das Geschoss quer durch das Gehirn hindurchgedrungen 
ist. Ich habe von diesen Verletzungen drei behandelt, alle drei 
haben ausser teilweisen Lähmungen keinerlei Schaden davongetragen. 
Es ist natürlich nicht im geringsten zu behaupten, dass jeder Trans¬ 
versalschuss so günstig verläuft, es kommen vielmehr nur die 
wenigsten solcher Verletzten überhaupt in Behandlung, da die 
meisten direkt bei oder kurz nach der Verletzung auf dem Schlacht- 
fclde sterben. Man muss also die Fälle mit so günstigem Ausgang 
immerhin als Ausnahmen ansehen, trotzdem zieht man aber den 
interessanten Schluss, dass die Möglichkeit der Heilung besteht. 

Die 3 Fälle waren folgende: 

1. Infanterist St., verwundet am 25. S. dureli Granatsplitter. Es fand 
sich eine eirea erbsengrosse Einschussöffnung an der linken Schläfe, wenig 
unterhalb des linken Augenwinkels, die Ausschussöffnung fand sieh an der 
rechten Schläfengegend, - Querfinger vor und oberhalb des rechten äusseren 
Gchörganges. Das »Sehvermögen war beiderseits herabgesetzt, beide Augen stark 
blutunterlaufen. Pat. ist bei der Aufnahme benommen. Das Bewusstsein kehrt 
nach einigen Tagen wieder, und der Zustand bessert sieh von Tag zu Tag. Es 
bleibt nur eine Verminderung der Sehschärfe auf dem linken Auge bestehen. 

2. Landwehrmann Sch., verwundet am 25. S., angeblich durch Granat¬ 
splitter. Die Einschussöffnung, erbsengross, findet sich dicht hinter dem rechten 
Processus mastoideus, Ausschussöffnung an der linken Schläfe, 3,5 cm nach 
hinten vom linken Augenwinkel entfernt. Sehvermögen links stark herabgesetzt, 
linkes Auge stark blutunterlaufen, keine Störungen des Gehörs, keine Bewusst¬ 
losigkeit bei der Aufnahme am 27. S. Pat. klagt nur über Kopfschmerzen. 
Keine Lähmungen der Extremitäten, keine Sprachlähmungen. An den folgenden 
Tagen bessert sich der Zustand wesentlich, nur die Verminderung der Seh¬ 
schärfe des linken Auges besteht weiter. Sonst von seiten des Gehirns keine 
Erscheinungen. 

3. Infanterist Sch. Derselbe wird am IS. 9. eingeliefert. Er ist nicht 
benommen, doch vermag er nicht zu sprechen. Es findet sieh eine kleine 
rundliche Einschussöffnung an der linken Schläfe, 2 Querfinger oberhalb des 
äusseren Gehörganges, ungefähr 1 cm vor der Ohrmuschel. Die Ausschuss- 
üffnung findet sich in der Mitte der Stirn, 2 Querfinger oberhalb des Ansatzes 
des Nasenbeines. Rechter Eaeialis erscheint gelähmt. Sonst keine Lähmungen. 
Die Wunden werden erweitert, und die im Schusskanal befindlichen Knochen¬ 
splitter werden entfernt. Das linke Stirnhirn ist durchschossen und stark zer¬ 
stört. Der weitere Verlauf gestaltet sich günstig, es kehrt nach 14 Tagen das 
Sprachvermögen etwas wieder. Keine Störungen des Gehörs und Sehvermögens. 
Die Eacialisparese hat sich gebessert. Am 25. 1. 1915 wird Patient ent¬ 
lassen. Er zeigt bei der Entlassung keinerlei motorische Lähmungen, keinen 
Schwindel, Romberg, Kopfschmerz. Die Narben sind ohne Besonderheiten, die 
Defekte im Knochen fest mit Bindegewebe geschlossen. Es besteht aber noch 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 


Verletzungen des Gehirns und dtjren chirurgische Behandlung. 


153 


eine fast vollkommene Lähmung der Sprache. Pat. kann nur wenige Worte 
lallend sprechen, das Erinnerungsvermögen ist zum Teil geschwunden. Die Ant¬ 
worten, dii* Pat. auf Fragen zu geben vermag, erfolgen langsam und undeutlich, 
meist antwortet er nur mit ja. Es besteht neben der Zerstörung des Sprach¬ 
zentrums und der Lähmung der Sprache auch eine starke Verminderung der 
geistigen Fähigkeiten. So vermag er die Worte, welche man ihm vorspricht, 
nicht niederzuschreiben, vermag sich nicht an die Arbeiten in seinem Beruf als 
Schreiner zu erinnern, an Daten seines Lebens usw. 

Diese drei Fälle von Transversalschüssen betrafen in den beiden 
ersten Fällen hauptsächlich die Region der Gehirnbasis und zeigten 
da die geringsten dauernden Schädigungen, während der dritte in¬ 
folge der starken Zerstörung ira linken Stirnhirn schwere dauernde 
Schädigung hervorrief. Immerhin finden sich bei den doch zweifellos 
bestandenen starken Verletzungen der Gehirnmasse keine Er¬ 
weichungsherde. Es ist wohl anzunehmen, dass bei der immerhin 
schrägen Richtung des Schusskanals im Gehirn die Möglichkeit des 
Abflusses des Blutes aus dem Schusskanal bestand. Ich bin aber 
weit entfernt, diese Transversalschüsse als besonders günstig zu 
bezeichnen und führe diese drei gerade deshalb an, weil ich sie 
für immerhin seltene Ausnahmen halte. 

Ehe ich zu den anderen Verletzungen des Gehirns übergehe, 
möchte ich noch auf das Auftreten von Erweichungsherden nach 
Gehirnschüssen in ganz anderen, meist dem Orte der Verletzung 
entgegengesetzt liegenden Teilen des Gehirnes aufmerksam 
machen, welche durch Blutungen infolge des Contrecoup entstehen. 
So stellte mir Herr Direktor Dingel einen Fall aus der Heil- und 
Pflegeanstalt Steinbach zur Verfügung, wofür ich ihm hiermit 
meinen verbindlichsten Dank ausspreche. 

Es handelte sich da um einen Schuss in die rechte Schläfe und Ausschuss 
an der linken Stirn. Die Verletzung des Stirnhirns gab zu einer ei triefen Menin¬ 
gitis Anlass, an welcher Patient nach 14 Tauen zugrunde ging. Bei der Sektion 
fand sich ausser der Zerstörung im rechten Stirnhirn noch ein hämorrhagischer 
Erweichungsherd in dem rechten Oecipitalhirn. Derselbe war als Bluterguss in 
der Hirnrinde entstanden, vollkommen getrennt durch gesunde Hirnabschnitte 
von der primären Verletzung im Stirnhirn und somit als Wirkung des durch 
den Schuss erzeugten Druckes im Gehirn innerhalb des Schädels aiizuschen. 
Diesen Vorgang bezeichnet man als Contrecoup, also den Stoss des Gehirns 
selbst gegen den Schädelknoehen, der zu der Hämorrhagie und dem aus dieser 
entstehenden Erweichungsherd Anlass gegeben hatte. 

Dieser Fall zeigt, dass man auch weit abseits von dem Orte 
der Verletzung einen Erweichungsherd infolge Contrecoup finden 
kann, und dass man gegebenenfalls an einen solchen denken muss. 
Dieser Umstand stellt einen weiteren Punkt dar, welcher die Ge¬ 
fahren der Gehirnschüsse vermehrt. 

Nach diesen Erörterungen über die Schussverletzungen des 
Gehirns möchte ich noch an der Hand von 2 interessanten, von 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



154 


W. B. Müller, 


Digitized by 


mir behandelten Fällen auf die Verletzungen des Schädels und Ge¬ 
hirns durch stumpfe Gewalt eingehen. Diese Verletzungen, die 
wohl in den meisten Fällen noch auf dem Schlachtfelde tödlich 
verlaufen, sind auch hier nur in 2 Fällen vertreten gewesen, aber 
auch diese beiden bieten Interessantes genug, um hier erwähnt zu 
werden. 

Dpi* eint' Fall betraf den Landwehrmann Johann Pr., welcher am 23. S. 
durch Hufschlag eines Pferdes an der rechten Stirnseite schwer verletzt wurde. 
Der Mann wurde mir nach einigen Taigen, mit Fieber bis 39° C abends, voll- 
kuinmen benommen einireliefert. Es fand sich das rechte Auge vollkommen zu¬ 
geschwollen und von der rechten Stirnseite eine schrat: vom äusseren Augen- 
winkel nach innen oben verlaufende 5 cm lange Wunde. Die Umgebung ist 
stark geschwollen, aus der Wunde flicsst trübserose Flüssigkeit. Beim genauen 
Abtasten fühlt man unter der Umgebung der Wunde freie Knochensplitter. 

Ks wird zur genauen Untersuchung in Narkose geschritten. Die Wunde 
wird zunächst erweitert und auf diesen Schnitt der Uebersichtlichkeit halber 
ein senkrechter nach unten bis in die Augenbraue gesetzt. Es werden zunächst 
2 lose Knochenstücke von der Grösse von 4x3 cm entfernt. Dabei tritt zer¬ 
trümmerte Gebirnmasse heraus. Beim Abtasten der (iehirnwunde fühlt man in 
einer Tiefe von 3 cm einen Knochensplitter in der Gehirnmassc drin. Derselbe 
wird unter grossen Schwierigkeiten entfernt und zeigt eine Grösse von 5 4 cm. 

Diese drei Knochensplitter sind in der ersten Reihe auf Taf. VII, Fig. 1 abgebildet. 
Ein viertes Knoelienstiiek von derselben Grösse wird noch aus dem Grunde der 
Wunde entfernt und stellte das Dach der Orbita dar. Ausserdem wurde noch 
eine Reihe kleinerer Knochens])!itter in der Gehirnwunde gefunden und heraus- 
geholt. Der so entstandene Knochendefekt reicht nach links bis über die Mittel¬ 
linie der Stirn noch 1 cm hinaus, nach rechts bis an den Ansatz des Schläfen¬ 
beines, nach ölten bis zum Beginn des behaarten Kopfteiles, nach unten bis 
zur Orbita. Die Zerstörung des rechten Stirnhirns war eine sehr ausgiebige, 
und es wurde eine Menge zerfetzter Gehirnmasse mit der Schere abgetragen. 
Die (iehirnwunde wurde leicht tamponiert, und die Haut darüber soweit wie 
möglich fest vernäht. Der weitere Verlauf gestaltete sieh sehr gut, nach einigen 
Tagen war die Temperatur zur Norm herabgefallen, aber der Kranke war noch 
mehrere Tage vollkommen benommen und sehr unruhig. Beim Verbandwechsel 
am zweiten Tagt? nach der Operation wurde der Tampon aus der Gehirn wunde 
entfernt und nur ein kleiner Streifen wieder eingelegt. Es entleerte sieb kein 
Eiter, nur eine blutig seröse, leicht getrübte Flüssigkeit. Die Wundränder 
heilten bis auf die Tamponöffnung reaktionslos aneinander, die Schwellung des 
Auges liess nach, und nach Wiederkehr des Bewusstseins wurde auch normale 
Sehschärfe des rechten Auges festgestellt. Nach 6 Wochen war Patient so weit 
wiederhergestellt, dass er herumgehen konnte; er klagte weder über Kopfschmerz 
noch Schwindel, noch fanden sieh Lähmungen oder sonstige auf cerebrale 
Läsionen deutende Symptome. Es bestand nur eine leichte Ptosis des rechten 
Augenlides. Die Wunde war vollkommen verheilt, nur bestand der grosse Knochen- 
defekt. Derselbe ist aus der Abbildung auf Taf. VIII, Fig. 6 deutlich zu erkennen. 
Patient wurde am 12. 12. in seine Heimat Nürnberg entlassen. Er hat mir noch 
nachträglich über sein dauerndes Wohlbefinden berichtet. 

Dieser Fall zeigt, dass auch die ausgedehntesten Verletzungen 
des Gehirns günstig verlaufen können. Es war ja in diesem Falle 
besonders günstig, dass die Verletzung im rechten Stirnhirn sich 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 




Verletzungen <les (iehirns und ileren chirurgische Behandlung. 


155 


fand, und die motorischen Centren unverletzt geblieben wareD. 
Immerhin gab der Zustand des Kranken bei der Einlieferung zu 
den ernstesten Befürchtungen Anlass; es zeigte sich aber, dass 
durch die Entfernung der Knochensplitter und Drainage eine Besse¬ 
rung zu erreichen war. Trotzdem habe ich auch in diesem Falle, 
wie bei allen meinen Gehirnoperationen, die Weichteile über dem 
Knochendefekt bis auf eine kleine Oeffnung für den Tampon fest 
vernäht und dadurch eine recht feste Haut-Periostnarbe über dem 
Knochendefekte erzielt. Ob man in diesem Falle später den ent¬ 
standenen Knochendefekt durch Knochen decken soll, wird sich 
nach dem jeweiligen Zustande des Kranken richten. Da der Defekt 
ein sehr grosser ist, wird man überlegen, ob man nicht durch eine 
eingepasste Prothese auf der Stirn die Druckdifferenzen im Gehirn 
beim Arbeiten des Kranken ausschalten kann. Bei leichten Arbeiten 
im Lazarett und grösseren Spaziergängen klagte Patient über keiner¬ 
lei Beschwerden. Es ist aber immerhin möglich und anzunehmen, 
dass bei starken körperlichen Anstrengungen Beschwerden sich ein¬ 
stellen. 

Ein anderer Fall von schwerer Gehirnvcrletzung, der besonderes 
Interesse bietet, ist folgender: 

.losef St.. 22 Jahre* alt, wurde am 1. August 1914 dadurch verletzt, dass 
ihm ein Stallbaum auf die rechte Seite des Schädels fiel. Er war kurze Zeit 
besinnungslos, über dem rechten Scheitelbein fand sich eine 6 cm lange Wunde. 
Patient wurde zunächst exspektat-iv behandelt, bis die Wunde geheilt war und 
dann, da er über Schwindel und starke Kopfschmerzen klagte, am 14. 11. mir 
zu geführt. 

Bei der Aufnahme findet sich auf der rechten Kopfseilt' eine schräg ver¬ 
laufende, f> cm lange glatte Narbe. Eine Schädeldepression lässt sich mit Sicher¬ 
heit nicht nachweisen. Patient kann nicht aus dem Bett aufstehen, er klagt 
dauernd über Kopfschmerzen, starkes Schwindelgefühl und Flimmern vor den 
Augen. Das Sensorium ist frei, doch zeigt Patient deutliche Verlangsamung 
der Denkfähigkeit; er antwortet geordnet, aber sehr langsam und ist etwas 
apathisch, schläft viel. Lähmungen sind nicht vorhanden. Gehör und Sehver¬ 
mögen normal. Der Puls ist verlangsamt, (»0 Schläge in der Minute. Temperatur 
0 Der Zustand besteht unverändert weiter, und es wird daher am IS. 11. 
zur Operation geschritten, da die Diagnose auf Schädeldepression mit Blut¬ 
erguss unter die Dura gestellt wird. 

An der rechten Sehädelseite wird durch einen handtellergrossen Haut¬ 
knochenlappen der Schädel eröffnet. Die Narbe befindet sieh in der Mitte dieses 
Lappens. Nachdem der Knoehenlappen aufgeklappt ist, sieht man, dass unter 
der Jlautnarbe eine deutliche Impression des Knochens vorhanden und nament¬ 
lich die Tabula interna gesprungen und etwa ^/ 4 cm tief eingedrückt ist. Die 
Risse in der Tabula interna sind dreistrahlig sternförmig, die Ränder der Tabula 
interna-Bruchstücke scharf vorspringend. Die Dura mater ist nicht verletzt und 
nicht am Knochen in der Gegend der Depression adhärent. Die Dura mater 
wird durch einen kleinen Schnitt eröffnet-, es entleert sich klare Cerebmspinal- 
fliissigkeit. Am Gehirn selbst ist nichts Krankhaftes festzustellen. Die Wunde 
der Dura wird durch Xaiit geschlossen, die vorspringenden Stellen der Tabula 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



156 


W. B. Müller. 


Digitized by 


interna an den Knochenlappen werden tretrliittei, und der Lappen wieder in dir 
Oeffnung iin Schädel eingelegt, die Haut wird darüber vernäht. 

Der weitere Verlauf war durch leichte Temperatursteigerungen bis 3S°C 
abends gestört. Die W unde heilt per primam. Das Befinden des Patienten 
ist besser, Kopfschmerz und Schwindel haben wesentlich nachgelassen. Das 
Befinden war ein gutes bis 3. 10. 1914. An diesem Tage trat plötzlich ein 
Krampfanfall auf, der mit klonisch-tonischen Zuckungen in den linken Extremi¬ 
täten beginnt. Die Zuckungen verbreiten sich dann über den ganzen Körper. 
Dauer 5 Minuten. Das Bewusstsein ist danach lauer* getrübt. Nach Wieder¬ 
eintritt des Bewusstseins zeigt sich eine* vollkommene Lähmung des linken 
Armes und Beines. Patient klaut wieder über starke Kopfschmerzen. Am 4. 10. 
wiederholen sich die Krämpfe 2 mal. Temperatur 37,4° C abends. Puls 56. 
Es wird am 5. 10. früh die Wunde wieder eröffnt 1 ! und der Knochenlappen auf¬ 
geklappt, Die Dura mater zeigt in dm* (lebend der Depression eine etwa 
zelmpfcnnigstückgrosse, bläulich verfärbte Stelle. Daselbst wird eine Inzision 
gemacht, und es entleert sich etwa 10 ccm dickgelber Eiter. Man gelangt in 
eine etwa walnussgrosse Holde im Gehirn. Dieselbe wird weiter eröffnet und 
locker mit Gaze tamponiert. Im Knochenlappen wird eine für die Drainage 
genügende Hoffnung angelegt und der Gazestreifen nach aussen geleitet. Die 
Wunde wird an den übrigen Stellen geschlossen. 

Am nächsten Tage war die Temperatur 36,7° C morgens und das Befinden 
wesentlich besser. Kein Kopfschmerz und Schwindel mehr. Die Lähmung der 
linken Extremitäten besteht weiter. Die Sekretion aus der Wunde war in den 
nächsten Tagen reichlich. Temperatur normal. Befinden gut. Es zeigt sieh 
aber schon am 10. 10.. dass der Knochenlappen sieh hebt und eine Geschwulst 
aus der Wunde hervorwächst. Dieselbe hat am 14. 10. Faustgrösse erreicht, 
ist weich, mit Granulationen bedeckt, die reichlich absondern. Fieber besteht 
nicht. Befinden gut, keine Klagen über Kopfschmerz und Schwindel, Sensorium 
vollkommen frei, Lähmungen bestehen weiter. Der Prolaps hat sich am S. 11. 
bis auf Doppolfaustgrüsse vermehrt; ist mit sauberen Granulationen bedeckt. 
Es besieht kein Fieber. Da die Geschwulst immer grösser wird, wird am 10. 11. 
nochmals zur Operation geschritten. Die ganze Geschwulst wird vom Schädel¬ 
knochen stumpf losgelöst. Beim Einsehneiden auf der Höhe derselben erweist 
sieh die äussere Schiebt als verdünnte, bindegewebig entartete Gehirnrinde. 
Enter derselben fühlt man eine etwa gänseeigrosse, abgekapselte Geschwulst, 
welche in das Gehirn tief hineinragt. Dieselbe lässt sieh stumpf heraussehälen 
und entfernen. Sie enthält gelben Eiter. Nach Entfernen derselben wird die 
veränderte Gehirnrinde circular um die Oeffnung im Knochen mit der Schere 
entfernt. Das Bett der entfernten Geschwulst wird tamponiert, der Hautknochen¬ 
lappen aufgelegt. An den nächsten Tagen fühlt sieh Patient wohl, kein Fieber, 
die Wunde sondert stark ab. Am 14. 11. zeigt sieh abermals 38° C Fieber, 
der Hautknochen lappen hebt sieh wieder, und es entsteht ein neuer Prolaps. 
Am 16. 11. hat derselbe wieder Faustgrösse erreicht. Befinden dauernd gut. 
nur geringe Kopfschmerzen. Abends Fieber bis 3S°G. Am 23. 11. ist abends 
Fieber bis 39.5 0 C aufgetreten. Patient ist somnolent, klagt über Kopfschmerzen 
und Schwindel, Puls 76. Es wird am 24. 11. früh der Prolaps eröffnet und 
ein grosser Eiterherd entleert. Drainage. Am Abend des 25. XL trat unter 
Anstieg der Temperatur auf 40° C und vollkommener Bewusstlosigkeit Exitus 
letalis ein. 

Die Sektion ergab folgendes: Die Dura mater ist in der Umgebung der 
Wunde am rechten Os parietale fest mit dem Knochen verwachsen. Nachdem 
dieselbe gelöst ist, wird der Schädel eröffnet, die Hirnhäute der Gehirnober- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Verletzungen des Gehirns und deren chirurgische Behandlung. 


157 


t lä«*lie zeigen im übrigen nichts Besonderes. An der (iehirnhasis findet sieh die 
Pia mater mit grünlich gelben Eitennassen bedeckt. An der rechten Hemisphäre 
findet man in der (lebend der (Amt nil Windungen eine etwa fünfmarkst üekirrosse, 
mit eitrigen zerfallenen Massen ausgefüllte Höhle, welche in das Gehirn ein¬ 
dringt. Die ganze rechte Hemisphäre wird in einzelne Scheiben geschnitten, 
und cs ergibt sich eine etwa hühnereigrosse, mit zerfallenen Massen angefüllte, 
die «ranze Marksubstanz einnehmende Abscesshöhle im Occipital- und Parietal¬ 
hirn. ln der Eingebung dieser Höhle zeigt die Gehirnmasse reichliche Blutungen 
und thrnmbosierte Gefiisse. Dieser Abscess setzt sich in der Marksubstanz bis 
in das Stirnhirn fort und bildet im Stirnhirn nochmals einen etwa haselnuss- 
•rrossen, mit gelbem Eiter angefüllten Abscess. Der Seitenventrikel ist voll- 
kommen von dem Abscess eingenommen und zerstört. Dieser Befund ist auf 
Taf. VI11. Fig. 7 in photographischer Aufnahme der Schnitte dargestellt. 

Es handelte sich in diesem Falle um eine schwere indirekte 
Verletzung des Gehirns, welche mit einem Erweichungsherde, der 
zweifellos aus einer infolge des Schlages gegen den Schädel und 
die Depression desselben entstandenen Hämorrhagie in die Mark¬ 
substanz entstanden ist, begonnen hatte. Dieser Erweichungsherd 
wurde eröffnet und drainiert. Da aber trotz ausgiebiger Eröffnung 
die Drainage nicht genügte, entstand ein progredientes Fortschreiten 
des Erweichungsherdes, der, da im Schädel nicht genug Raum vor¬ 
handen war, zu einem grossen Prolaps durch die Schädelöffnung 
führte und so bei der langen Dauer sich infolge Infektion von 
aussen in einen Abscess umwandeln musste. Die ausgiebigste 
chirurgische Behandlung, die im Entfernen des ganzen Herdes mit 
Kapsel bestand, konnte einem Fortschreiten und Durchbruch in 
den Seitenventrikel nicht Einhalt gebieten, so dass ein Fortschreiten 
bis in das Stirnhirn eintrat. Die eitrige Basilarmeningitis rief 
dann ein rasches Ende hervor. 

Aus diesen beiden geschilderten Gehirnverletzungen durch 
stumpfe Gewalt und deren verschiedenem Verlauf ersieht man deut¬ 
lich, dass dabei wieder die allgemeinen für alle Abscesse in 
anderen Körpergegenden gültigen chirurgischen Grundsätze auch 
für die Erweichungsherdc und Abscesse im Gehirn Geltung be¬ 
halten, nämlich von Anfang der Verletzung oder Eröffnung des 
Herdes an für einen leichten Abfluss des VVundsekretes zu sorgen. 
Bei dem Falle P. war infolge der Verletzung von vornherein 
eine genügende Drainage möglich, es Hess sich der tiefste Punkt 
der Gehirnwunde so nach aussen drainieren, dass keine Ansamm¬ 
lung von Wundsekret möglich war. Deshalb heilte die Gehirn¬ 
wunde ohne Bildung eines Erweichungsherdes aus. Im Falle 
St. war der Abfluss nicht genügend, weil die Trepanations- 
Öffnung im Os parietale noch höher lag, als der tiefste Punkt des 
Erweichungsherdes. Ich ziehe daraus den Schluss und werde 
künftige Fälle so behandeln, dass man bei Erweichungsherden, 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



158 W. \>. M iil 1 er, Verletzungen des (ieliirns und deren Chirurg. Behandlung. 


Digitized by 


Abscessen oder frischen Zerstörungen im Gehirn eine Gegenöffnung 
am Schädel anlegen soll, so dass der Abfluss leicht und von 
selbst stattfinden kann. Es wäre dies ira Falle St. so mög¬ 
lich gewesen, dass man den Erweichungsherd vor oder hinter der 
Felsenbeinpyramide durch die Gehirnbasis drainiert hätte. Da die 
Prognose solcher Erweichungsherde und Abscesse von Anfang an 
eine sehr schlechte ist, wird sich ein solches chirurgisches Ein¬ 
gehen rechtfertigen lassen. Dass Aussicht besteht, solche Kranke 
noch zu retten, geht daraus hervor, dass der Verlauf der Erwei¬ 
chungsherde ein recht langsamer ist und die Gefahr der Meningitis 
verhältnismässig gering ist. Es kam in unserem Falle erst nach 
Durchbruch in den Seitenventrikel und Vereiterung desselben zur 
tödlichen Meningitis, und so ist anzunehmen, dass durch Gegen¬ 
drainage eine Heilung zu erzielen ist. 

Aus diesen hier angeführten Fällen und deren Verlauf erhellt, 
dass die Verletzungen des Gehirns infolge Tangentialschusses die 
besten Aussichten auf Heilung ergeben, und dass die Centralschüsse 
bei weitem schlechtere Prognose bieten. Aus allen aber ist der 
Schluss zu ziehen, dass eine weitgehende chirurgische Behandlung 
in allen Fällen indiziert ist und nur durch dieselbe Aussicht vor¬ 
handen ist, die Gefahren der Gehirnverletzungen zu verringern. 
Ein grosser oder vielmehr der grösste Teil der Gehirnschüsse und 
Gehirnverletzungen durch stumpfe Gewalt wird schon auf dem 
Schlachtfeld ad exitura kommen, die Fälle aber, die noch lebend 
in unsere Lazarette kommen, werden durch eine chirurgische Be¬ 
handlung zum grossen Teil zu retten sein. Es soll bei der Be¬ 
handlung die Meningitis nicht gefürchtet und es soll vor allen) 
durch Entfernung von Knochensplittern oder Projektiten der Bil¬ 
dung von Erweichungsherden vorgebeugt werden, und es soll dort, 
wo Erweichungsherde oder Abscesse im Gehirn vorhanden sind, 
durch frühzeitige Drainage nach obigen Gesichtspunkten der Aus¬ 
breitung der Erweichungsherde Einhalt getan werden. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



III. 


lieber 

Muskelüberpflanzungen am Schultergürtel. 

Von 

M. Gerulanos, 

Professor der Chirurgie an der Universität Athen. 

(Mit 14 Textfiguren und 2 Skizzen.) 


Die bis jetzt bekannt gegebenen Fälle von Feberpflanzung 
grosser Muskeln am Schuhcrgürtel zum Zweck des funktionellen 
Ersatzes eines gelähmten, sind bisher sehr wenige, und alle da¬ 
tieren aus einer jüngeren Zeit. — Der erste, der den Ersatz des 
gelähmten M. serratus anticus mit Erfolg ausgeführt hat, ist 
Samter (Chirurgen-Kongress 1907). Er hat bei einem 13jährigen 
.Mädchen, welches sich beim Fall auf die Schulter eine Lähmung 
dieses Muskels zugezogen hatte, denselben durch die Sternalportion 
des M. pectoralis major ersetzt, dessen Ansatz er vom Oberarm 
subperiostal loslöste und denselben am unteren Rande der Scapula 
befestigte. Der Erfolg war ein assgezeichneter. Auch Enderlen 
(Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1909. Bd. 101) hat bei einem Manne, 
welcher sich durch Heben eines schweren Korbes diese Lähmung 
zugezogen hatte, dieselbe Operation mit sehr gutem Erfolg aus¬ 
geführt, während Katzenstein (Chirurgen-Kongress 1909) bei einem 
Mädchen, bei dem bei einer Sarkomoperation der ganze Serratus 
geopfert werden musste, eine kompliziertere Leberpflanzung aus¬ 
führte. Er hat bei einer ersten Operation den mittleren Teil des 
M. eucullaris, sowie den Ursprung des M. rhomboidcus vom Dorn¬ 
fortsatz des 3. bis 10. Brustwirbels abgelöst, nach aussen und 
nach unten umgeschlagen und an der 7., 8. und 9. Rippe be¬ 
festigt. Er hat somit diesen Muskeln die Richtung der oberen 

Serratusportion gegeben, damit diese auch deren Funktion: das 
Vorziehen und Festhalten der Scapula am Thorax, übernehme. 

Durch eine zweite Operation hat er auch nach Samter die Sternal- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



160 


M. G o r u 1 a n o s, 


portion des M. pectoralis major am unteren Rande der Scapula 
befestigt, um dadurch die Drehung der Scapula zu ermöglichen. 

Ich hatte bisher in zwei Fällen dreimal Gelegenheit gehabt, 
den gelähmten M. serratus durch L’eberpflanzung des M. pectoralis 
major nach Samter auszuführen. — Im ersteren Falle handelte 
es sich um eine traumatische Serratuslähmung, im anderen 
um eine doppelseitige, kompliziertere Schultermuskel- 
lähmung, bei der Fectoralisüberpllanzung zum Ersatz des M. ser¬ 
ratus zugleich mit einem Ersatz des M. cucullaris aus dem 
M. sacrolumbalis beiderseits ausgeführt wurde. 

Beim ersten unserer zwei Fälle, einer einfaehen traumatischen 
Serratuslä Innung. handelte es sieh um einen 42jährigen Mann, welcher 
beim Ausführen eines Purzelbaumes einen heftigen Schmerz in dm* Schulter- 
Gegend verspürte und einige Tage darnach die verminderte (iebräuchsfähigkeit 
seines Armes bemerkte. Die Untersuchung, t> Monate nach der Verletzung, 
ergab hei dem sonst gesunden Menschen: ln der Ruhe ein leichtes Vorspringen 


Fig. 1. 



Fall 1. Lähmung des rechten M. serratus antieus major in der Ruhelage. Senkung 
der Schulter, Abstand des inneren Sehultcrblattrandes vom Thorax. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 







Leb er Muskclüberpflanzungen am Schul tcrgiirtei. 


161 


Fig. 2. 



Fall 1. Lähmung des M. serratus antieus inajor. Abstand der Scapula vom 
Thorax und verminderte Erhebung des Armes. 

des unteren Seapulawinkels, welcher zugleich der Wirbelsäule etwas näher 
stand, mit einer leichten Senkung der Schulter, welche nach aussen und vorn 
neigte (Fig. 1). Hei den Bewegungen fällt zunächst die l T nmöglichkeit auf, den 
Arm über die Horizontale zu heben, zugleich aber sehen wir den ganzen inneren 
Itand der Scapula, speziell den unteren Winkel, sich hochgradig vom Thorax 
abbeben und sich der Wirbelsäule nähern (Fig. 2). 

Operation (3. 4. 1911). Durch einen Längsschnitt am Pectoralisrand 
wird die Sternalportion desselben freigemacht, abpräpariert und stumpf vom 
übrigen Muskel abgetrennt; der Muskelansatz am Oberarm mit Periost und 
einer kleinen Knochenplatte abgetragen, und bis zum Eintritt der Gefässe und 
Nerven in den Muskel, vom Thorax abpräpariert. Der Muskelansatz wird am 
unteren Scapularand, nach Freilegung desselben mittels Silberdrahts, Knochen 
an Knochen befestigt, darüber das Periost und die Muskeln aneinander vernäht. 
Hautnaht. Der Arm wird in elevierlcr Stellung verbunden. 

Der Erfolg der Operation, schon im Verband erkennbar, erwies sich nach 
Abnahme desselben in jeder Beziehung als ausgezeichnet! Patient konnje bald 
Gen Arm unbehindert hoch heben und jede Bewegung ausführen. Eine Revision 
<> Monate und 2 Jahre später bestätigte den Dauererfolg (Fig. 3 u. 4). 

Der M. serratus sowie alle anderen Schultergürtelmuskel sind in ihrem 
Hau und deren Funktion nicht einheitlich, sondern bestehen aus verschiedenen 
Teilen mit ganz verschiedenen und komplizierten Aufgaben (Mollier). Der 
.M. serratus besteht zum mindesten aus zwei Portionen, einer oberen, aus den 

Archiv für kl in. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. ]j 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 





162 


M. Gerulanos, 


5 oberen Rippen, zum inneren Rande des Schulterblattes ziehend, wodurch die 
Scapula nach vorne gezogen, von der Wirbelsäule entfernt, zugleich aber dieselbe 
au den Thorax fest angepresst wird, und einer unteren Portion, aus den vier 
folgenden Rippen, zum unteren Schulterblattwinkel, wodurch dieser nach vorne 
gezogen und die Scapula gedreht wird, so dass die Schulter gehoben und die 
Gelenkfläche derselben horizontal gestellt wird. Die Lähmung des Serratus bat 

Kig. 3. 



Fall 1. Revision am 5. 1. 1913, fast 2 Jahre nach der Operation. Senkrechte 
Hebung der Arme, ln beiden Bildern (Fig. 3 u. 4) sieht man die Sternalportion des 
M. pectoralis sich zusammenziehen und oberhalb der Mamilla die Haut vorwölben. 

zur Folge, dass die Schulter tiefer steht und die Scapula gedreht wird, so dass 
der untere Winkel näher der Wirbelsäule zu liegen kommt und zugleich etwas 
nach hinten vorspringt. Bei jeder Armbewegung und besonders bei der Er¬ 
hebung desselben sehen wir den ganzen inneren Schulterblattrand sich flügel¬ 
förmig vom Thorax abheben, und zwar um so stärker, je mehr der Arm vertikal 
nach vorn geführt wird. Ganz besonders jedoch fällt die Unmöglichkeit auf. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 








lieber Muskelüberpflanzungen am Schultergürtel. 


163 


den Arm über die Horizontale zu erheben (Fig. 2). Der flügelförmigc Abstand 
verdankt seine Entstehung besonders dein Ausfall der oberen Portion des Mus¬ 
kels, die Unmöglichkeit der Erhebung der unteren Portion. 

Katzenstein hat, um den ganzen Muskel funktionell ersetzen 
zu können, zwei Operationen ausgeführt; zunächst die obere Por¬ 
tion durch einen Teil des Trapezius und den M. rhomboideus, 
dann aber die untere, ähnlich wie Samter und Enderlen, durch 
die Sternalportion des Pectoralis raaj. ersetzt. Der Gedanken- 

Fig. 4. 



Fall 1. Revision am 5. 1. 1913, fast 2 Jahre nach der Operation. Heben der 

Arme zur Horizontalen. 


gang Katzenstein’s ist entschieden richtig, die Praxis jedoch bei 
den zwei oben erwähnten Fällen aus der Literatur und den drei 
von mir operierten hat ergeben, dass, funktionell wenigstens, die 
einfachere Operation von Samter vollkommen genügt, da der 
kräftige Pectoralis maj. am unteren Winkel und zum Teil gegen 
den Innenrand befestigt, auch das Festhalten der Scapula am 
Thorax und bis zu einem gewissen Grade den Antagonismus zu 
> der mittleren Trapeziusportion und zum M. rhomboideus über¬ 
nehmen kann. 

11* 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 









164 


M. (»erulanos, 


Ich glaube daher auf Grund dieser Erfahrungen, dass die 
verhältnismässig einfache Operation von Samt er, besonders wenn 
der Pectoralis in geeigneter Weise am Scapulamuskel selbst be¬ 
festigt wird, und auf diesen Punkt kommen wir später zurück, die 
Operation der Wahl sein muss. 

Wir kommen zu unserem zweiten Fall, einer ausgedehnten 
Lähmung der Schultergürtelmuskulatur, speziell des M. trapezius. 
M. serratus antic. maj., M. rhomboideus und oberen Teils 
des M. latissimus, beiderseits infolge fortschreitender Muskel¬ 
atrophie jugendlicher Form (Typus Erb). In diesem Fall wurde 
ausser der Samter’schen Operation zum Ersatz des M. serratus 
antic. maj. auch eine Ucberpflanzung einiger Rippenzacken des 
M. sacrolumbalis zum Ersatz des Trapezius ausgeführt. 

Es handelte sich um ein 1!) jähriges, sonst gesundes, grosses, wohlgebautes 
Mädchen. Sie hatte bis jetzt immer tüchtig Landarbeit verrichtet. Seit 5 Jahren 
merkt sie jedoch eine, ganz langsam zunehmende, Schwäche beider Arme, s»> 
dass sie jetzt nicht mehr imstande ist, dieselben hochzuheben. Hei der He- 


Fig. 5. 



Fall *2. Lähmung am Sehultergiirtel beiderseits, (ielähmte Muskeln: Cin*ullari>. 
Serratus antieus major, Rhomboideus und oberer Latissimus. Beide Schultern 
fallen nach aussen-vornc herab. Schräg- lind Hoelistellung des Schulterblattes. 


Digitized by Google 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 




Ueber Muskcliiberpflanzungen am Sehultergiirtel. 


1B5 


Fig. ß. 



Kall 2. Hochgradiges Abspringen der Schulterblätter beim Versuch die Arme 
zu heben. Sehr verminderte Armhebung. 


trachtung von hinten fällt auf: der breite und stark gewölbte Kücken, infolge 
des grossen Abstandes beider Schulterblätter von der Mittellinie und des 
Herabhängens derselben nach aussen und vorn. — Die Schulter steht tief 
nach aussen und vom gerichtet, der innere obere Winkel hoch, der untere der 
Wirbelsäule nahe und springt nach hinten etwas hervor (Fig. 5). Von vorn 
fällt die eingefallene Brust mit den stark vorspringenden Schlüsselbeinen auf; 
die ganze Kumpfmuskulatur ist atrophisch, besonders die hintere, die Arme je¬ 
doch kräftig. — Die Bewegungen der Schultern sind sehr beeinträchtigt. Das 
lb>chheben der Schulter geschieht in geringem Grade und mit äusserster An¬ 
strengung, wobei der freie Cueullarisrand am Halse bleistiftdiek vorspringt. Das 
Zusammenziehen der Schulter nach hinten fehlt vollständig. Die Arme können 
unter sichtbarer grosser Anstrengung der Patientin kaum um 75° gehoben 
werden (F’ig. 6). Dabei erhebt sich die Scapula flügelförmig vom Kücken ab, 
steigt nach oben und nimmt eine stark nach vorn und aussen abfallende Stel¬ 
lung ein, so dass ihr oberer Winkel über die Hals—Schulterlinie hervorsprimrt, 
was, von vorn gesehen, besonders auffällt (Fig. 7). Fs handelt sich somit um 
eine Lähmung des Trapezius, besonders der mittleren und inneren Portion, des 
Rhomboideus. des Scrratus antieus und des oberen Teils des Latissimns, 
während die Brust- und besonders die Armmuskeln und der grosse Küeken- 
sireeker gesund erscheinen. Die elektrische Untersuchung bestätigt diesen 
Hefund. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 


























Digitized by 


Gou^le 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 


Fall 2. Nach der 1. Operation. Hebung der Arme zur Horizontallinie. 


Kall 2. Nach der 1. Operation. Hebung des rechten Armes zum Kopfe. Die 
Anheftung des Sacrolumbalis zum Schulterrand durch die Haut sichtbar. 












168 


M. (iorulanos, 


Die Aufgabe wäre hier: M. cucullaris, rhoinboideus und serratus zu er¬ 
setzen. — Zunächst scheint es geboten, die Schulter am Thorax zu fixieren, 
damit die Bewegrngen der Armniuskulatur wenigstens nacli Möglichkeit aus¬ 
führbar werden können. 

Hier wäre also zu denken an eine feste, unbewegliche Fixation der 
Schulter, wie von Eiseisberg (Dieses Archiv. Bd. 57) in einem Falle aus¬ 
führte, bei dem er beide Schulterblätter durch Knochennähte fest aneinander 
anheftete; oder wie Bauen et (Bull, de la soc. de chir. de Baris. Tome 34), 
welcher den inneren Scapularand an die oberen Kippen durch Drahtnähte un¬ 
beweglich und in richtiger Lage befestigte. — Mir schwebte jedoch eine aktiv- 


Fig. 11. 



Fall 2. Nach der 1. Operation. Der obere innere Schulterblattwinkel springt 
nicht mehr vor (vergl. Fig. 7). 

bewegliche Feststellung der-Scapula vor, die nur durch eine Muskcliiberpflan- 
zung möglich gewesen wäre. Die Ueberlegung, dass die Scapula in aller¬ 
erster Linie nach abwärts und nach innen an gezogen werden sollte, 
brachte mich auf Verwertung des M. erector trunci communis und so 
wählte ich dessen laterale Bortion, den kräftigen und freieren 
S a c ro 1 u m b a 1 i s, zu diesem Zweck aus. 

Die Operation am rechten Schulterblatt wurde am 25. 4. 1910, am 
linken am 11. 5. 1910 in genau der gleichen Weise ausgeführt. Durch einen 
Haut schnitt von 15 cm Länge zwischen Mittellinie und innerem Scapularand, 
durch die gelähmten und vollständig entartet aussehenden Muskeln, wurde der 
gesund, rot und kräftig aussehende M. sacrolumbalis freigelegt. Dessen 4 An¬ 
sätze an der 3.—6. Kippe wurden mitsamt dem Beriost und einer 2 : 1 cm 
grossen Knochen platte von einigen Millimeter Dicke ahgemeisselt, die 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 








Ueber MuskeUiberpflanzungen am Schultergürtel. 


169 


M uskelpartie mobilisiert gegen den übrigen Muskel, ohne dass dessen Gebisse 
und Nerven verletzt wurden. Darauf wurde der ganze Innenrand der Scapula 
durch Abheben der Muskelansätze und des Periosts freigelegt, an vier ent¬ 
sprechenden Stellen durchbohrt und die vier Muskelansätze des Sacro- 
lumbalis mittels Si Iberdraht naht an die nach innen und abwärts 
«redrängte Scapula bei erhobenem Arm befestigt. 

Periost-Muskel-Hautnaht. Verband in gehobener Armhaltung. 

Nach je 14 Tagen wurde ein Verbandwechsel vorgenommen und nach er¬ 
reichter p. pr. Heilung der Arm allmählich heruntergelassen. Bei der Ent¬ 
lassung am 29. 5. 1910 konnte eine bedeutend bessere Haltung der Schultern 

Fig. 12. 



Fall 2. Nach der 1. Operation. Während vorher die Arme nur nach aufwärts 
geschleudert und hinter dem Nacken gehalten werden konnten, kann Patientin 
jetzt, beide Hände haltend, die Arme langsam und gut heben und hochhalten, 
dabei sind die Zacken des überpflanzten M. sacrolumbalis sichtbar. 

und ein Anheben der Arme bis über die Horizontallinie festgestellt werden. 
Nach 10 Monaten (2. 4. 1911) kommt Patientin zur weiteren Behandlung. Sie 
zeigt seit der Operation eine bedeutende Besserung' in der Gebrauchsfähigkeit 
der Arme, so dass sie jetzt z. B. die Arme, um sich zu kämmen, bis zum Kopf 
erheben kann. — Die Untersuchung ergab eine entschieden bessere Stellung der 
Schultern, welche tiefer und der Wirbelsäule näher stehen (Fig. 8). — Der 
Bücken ist gerade, die Arme können sowohl seitwärts wie auch nach vorn 
über die Horizontale gehoben werden (Fig. 9 u. 10), ohne dass die Schulter 
nach oben über die Hals-Schulterlinie wie früher ausweicht (Fig. 11), aber auch 
ohne dass sie sich flügelartig vom Thorax erhobt. Vielmehr sieht man bei 
diesen Bewegungen der Arme, wie der transplantierte Muskel deutlich unter 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 









170 


M. (ierulanos, 


der Haut sieh abhebt (Fig. 9). Figg. S—11 zeigen das gute Resultat dieser 
ersten Operation. 

Nun wurde die ergänzende zweite Operation, die Feberpflanzung des 
Thoraeieus major am unteren Seapulawinkel, und zwar auf jeder Seite aus¬ 
geführt. — Reehts am 3. 4. 1911. links am IS. 4. 1911, in genau derselben 
Weise wie bei dem vorher beschriebenen Fall. 


Fig. 13. 



Fall 2. Revision am 30. 5. 1915. 5 Jahre nach der ersten, 4 Jahre nach der 
zweiten Operation. Fast jede Bewegung, senkrechte Hebung der Arme frei aus¬ 
führbar. Vollkommene (icbrauchsfähigkcit der Arme. 


Nach glatter Wundheilung wurde Patientin am 28. 5. entlassen. Ein 
Jahr später konnte ein recht befriedigendes Resultat sowohl in der Haltung als 
auch in der Funktion der Arme festgestellt werden, da beide Arme gehoben 
werden konnten und eine genügende Kraft wiedererlangt hatten. Bei einer 
zweiten Revision am 30. 5. 1915, also 4 resp. 5 Jahre nach der Operation, 
konnte dies gute Resultat in vollem l'mfange bestätigt werden (s. Kranken¬ 
geschichte u. Fig. 13 u. 14). 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 








Ueher Muskelüberpflanzungen am Sohultergürtel. 


171 


Wie bekannt, besteht der M. cucullaris aus drei Portionen, 
einer oberen, welche zum Acromion zieht und den Kopf zu neigen 
und die Schulter zu heben hat; einer mittleren, deren Verlauf 
mehr oder weniger horizontal ist, zur Spina scapulae zieht und die 
Aufgabe hat, das Schulterblatt der Wirbelsäule zu nähern, und 
einer dritten, welche, von unten heraufsteigend, am unteren Rand 
der Spina scapulae sich festsetzt, das Schulterblatt nach abwärts 
ziehend und zugleich in dem Sinne, dass die Schulter gehoben 

Fig. 14. 



Fall 2. Revision am 30. 5. 1915. Freie Beweglichkeit der Arme. Hebung in 

die Horizontale. 


wird. — Bei der Lähmung dieses Muskels, wie wir oben gesehen 
haben, entfernt sich das Schulterblatt von der Mittellinie und die 
Schulter senkt sich und neigt stark nach vorn und auswärts. Das 
Anheben der Schulter ist unmöglich, die Schulterblattdrehung und 
damit die Hebung des Armes wird stark beeinträchtigt, besonders 
jedoch jede Kraftäusserung des Armes, da die Schulter ihren Halt 
verliert, sehr vermindert. — Der beim obigen Fall transplantierte 
M. sacrolumbalis, an und für sich ein recht kräftiger Muskel, 
von unten und innen an das Schulterblatt herantretend, 


Digitized by Gougle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 








172 


M. (i vvu 1 aims. 


Digitized by 


kann das ganze Schulterblatt nach abwärts ziehen und 
zugleich dasselbe so drehen, dass der äussere Winkel 
gehoben wird. Er hat somit die Funktion der III. Cucul- 
larisportion voll übernommen, jedoch auch nach der Mittel¬ 
linie ist er imstande, das Schulterblatt zu halten, wenn 
auch nicht gerade dahin zu ziehen, und ersetzt er, zumeist wenig¬ 
stens, die mittlere Cucullarisportion. Der überpflanzte Muskel 
erfüllt somit die Hauptaufgaben des Trapezius, aber auch 
die des M. serratus, da durch ihn, wie wir gesehen haben, das 
Schulterblatt am Thorax festgehalten wird und beim Hoch¬ 
heben des Armes ein flügelförmiges Ausweichen desselben nach 
hinten vermieden wird. Aber auch die durch ihn erstrebte Drehung 
der Scapula wirkt vollkommen im Sinne der unteren Serratus- 
portion. Da dieselbe jedoch sehr gering ausfallen musste, wurde 
nachträglich zur Unterstützung dieser, für die Hebung der Arme so 
wichtigen Bewegung der Scapula, die Ucberpflanzung des M. pec- 
toralis major vorgenommen. 

Soweit mir bekannt, hat bis jetzt nur Katzenstein (Chirurgen- 
Kongress 1911) eine Muskelüberpflanzung zum Ersatz des M. cucul- 
laris vorgenoramen. Er hat bei einem Manne mit Cucullarislähmuug 
nach Verletzung des N. accessorius bei einer Drüsenoperation am 
Halse, denselben durch folgende dreifache Operation ersetzt: Den 
oberen Teil durch den der entgegengesetzten, gesunden Seite, den 
er auf die Scapula nähte; für den mittleren nahm er ebenfalls 
einen Teil der mittleren Portion vom Cucullaris der anderen Seite, 
und die untere Portion ersetzte er durch einen Teil des M. latissi- 
mus, den er vom Arm abschnitt und an die Scapula befestigte. 
Das funktionelle Resultat war ein sehr gutes. Die Verwendung 
des M. latissimus zum Ersatz der unteren Portion, wo sie über¬ 
haupt angängig, ist sicherlich eine sehr vorteilhafte, dagegen ist 
die Verwendung von Muskelteilen vom Cucullaris der entgegen¬ 
gesetzten Seite weniger vorteilhaft; einerseits, weil die geteilte 
Kraft des einen Muskels auf keiner Seite genügend zur Geltung 
kommen kann und dann, weil die überpflanzten Partien in ihrer 
neuen Richtung zu sehr von ihrem normalen Verlauf abweichen, so 
dass ihre Nerven leicht geschädigt werden können. Sie erfüllen 
also nicht ganz die Bedingungen, die Katzenstein selbst als zu 
beachten bei Vornahme einer Muskelüberpflanzung gestellt hat, 
nämlich: Rücksicht auf geringste Abschwächung des Muskels, aus 
dem das Material entnommen wird, Erhaltung der Nerven und Bei¬ 
behaltung der ursprünglichen Faserrichtung des zu transplantierenden 
Muskels. Ausserdem erscheint mir seine Operationsmethode zu 
kompliziert gegenüber der relativen Einfachheit der unsrigen. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



l'cber Musk«’lüli(Tpflan/.un^cn am Sclmltcrgürtel. 


173 


In vielen Fällen, wie in dem unseren, ist die obere Portion 
des Latissimus mit erkrankt, so dass dieser Muskel nicht ver¬ 
wendet werden kann. Bei beiderseitiger Lähmung des Cucullaris 
ist andererseits an eine Verwendung des Teils der anderen Seite 
nicht zu denken, wie dies ebenfalls bei unserem Fall zutraf. 

Rothschild (Deutsche med. Wochenschr. 1911. Kr. 2) hat 
zum Ersatz des gelähmten M. cucullaris eine freie Fascientrans- 
plantation ausgeführt, indem er ein etwa 20 cm langes und 6 crii 
breites Stück der Fascia lata entnahm und dasselbe einerseits am 
Becken und dem Lumbalteil der Wirbelsäule, andrerseits an die 
Scapula anheftete, um sie damit beweglich nach innen und abwärts 
zu ziehen. Da die Fascie mit der Zeit resorbiert wird, bleibt es 
fraglich, ob ihre Wirkung dauernd sein kann. Aber auch dann 
würden wir die Muskelverwendung, unter Erhaltung der Ernährung 
und Innervation derselben, jeder anderen Methode vorziehen. 

Soweit mir die Literatur vorliegt, ist seit Abfassung dieser 
Arbeit (Sommer 1912) keine neue Veröffentlichung über ähnliche 
Operationen erschienen. 

Nun brachte uns der vorjährige Chirurgenkongress in Berlin 
1914 eine hochwichtige Tatsache: die Experimente Heineke’s 
und Erlacher’s über Muskelneurotisation durch direktes Ein- 
pllanzen des Nerven in den Muskel. Die günstigen Resultate dieser 
Experimente wurden klinisch sozusagen im voraus bestätigt durch 
einen Fall, den v. Hacker im Jahre 1908 publiziert hatte (neuer¬ 
dings aus Veranlassung der Besprechungen im Chirurgen-Kongress 
im Centralblatt f. Chirurgie. 1914. Nr. 21). Es handelte sich um 
eine Lähmung des Trapezius und anderer angrenzender Muskeln 
bei einem 27 Jahre alten Mädchen nach Drüsenexstirpation. Es 
wurde in einer Sitzung der N. accessorius in den oberen Cucullaris 
eingepflanzt, ein anderer in den Cucullaris eindringender Nerv in 
einen Plexusstamm implantiert, ein Teil des M. levator quer durch¬ 
trennt und an einen ähnlich angefrischten Teil der mittleren Partie 
des Cucullaris angenäht; in einer zweiten Operation wurde in ähn¬ 
licher Weise ein Teil des Cucullaris zum Deltoideus angenäht und 
die mittlere Cucuilarispartie gerafft, damit das Schulterblatt besser 
gehalten wurde. Der Erfolg war volle Wiederherstellung der 
Funktion des Armes, welcher senkrecht gehoben werden konnte! 

Diese Erfahrungen eröffnen uns ganz andere Perspektiven in 
bezug auf die Wiedererlangung der verloren gegangenen Muskel¬ 
funktion durch die direkte Nerven-, jedoch auch die indirekte 
Muskelneurotisation. Immerhin bleiben Fälle, bei denen es sich 
nicht um eine einfache Nervenschädigung handelt, wie unser zweiter 
Fall, nur der Muskelüberpflanzung zugänglich. Ausserdem, selbst 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



174 


M. (irrulanos 


wenn man die volle Innervation des Cucullaris durch die direkte 
Nervenüberpflanzung erreichen könnte, was ja noch nicht absolut 
feststeht, da beim Fall v. Hacker verschiedenartige Eingriffe vor¬ 
genommen werden mussten, so bleibt immer die Festhaltung der 
Scapula am Thorax durch die Ueberpflanzung des Sacrolumbalis 
eine ganz bedeutende Hilfe, selbst um das volle Resultat der 
Nerveneinpflanzung durch Ausnutzung des funktionellen Reizes zu 
erlangen! 

Zum Schluss möchte ich die Methode der Anheftung des 
Muskels an seinen neuen Bestimmungsort betonen. Ich habe 
in allen drei Fällen den Sehnenansatz mit weiter Umschnei¬ 
dung des Periosts und Abmeisselung einer entsprechend 
grossen Knochenplatte abgehoben und an seinem neuen Be- 



Anheftung <1 es M. pect oral i s- Ansatzes am unteren Scapulawinkel. 
M. pectoralis («), von dessen Ansatz am Oherann samt einem länglichen Knoehen- 
stiiek ( b ) abgemcisselt. wurde am Scapulawinkel (r) mittels Silberdraht naht 

angeheftet. 


stimmungsort subperiostal auf den Knochen, event. mit An¬ 
frischung des letzteren, durch Silberdrahtnaht befestigt 
(s. Skizze). Es wird dabei genügend Periost mittransplantiert, so 
dass die Ernährung des flachen Knochens gewährleistet ist. — Ich 
erachte diese Operationsmethode für sehr vorteilhaft, speziell bei 
der Transplantation kräftiger Muskeln, bei denen ein Durchreissen 
der Nähte zu befürchten wäre. Jedenfalls gestattet die von An¬ 
fang an sichere Befestigung des Knochens durch Drahtnähte eine 
sehr frühzeitige Inanspruchnahme des transplantierten Muskels 
schon innerhalb des Verbandes. Dadurch wird der Inaktivitäts¬ 
atrophie desselben wirksam entgegengearbeitet, aber auch der 
funktionelle Reiz, dem bei jeder Transplantation eine grosse Be¬ 
deutung beizumessen ist, im hohen Grade ausgenutzt. 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber Muskelüberpflanzungen am Sehultergürtel. 


175 


Krankengeschichten. 

1. (Nr. 232, 1911.) Aufgenommen 11. 3. 1911. 

T. G., Mann, 42 Jahre alt. Keine Vorkrankheiten, kein Trinker. Vor 
6 Monaten, beim Versuch, einen Purzelbaum zu schlagen, hat er einen ziem¬ 
lichen Schmerz in der rechten Schultergegend gespürt, welcher einige Tage 
amlauert. Zugleich bemerkt er, dass er den rechten Arm nicht so leicht wie 
früher heben konnte. Anfangs hat er trotzdem weitergearbeitct, im Verlauf 
eines Monats wurden jedoch die Bewegungen schwieriger, der Arm konnte kaum 
bis zur Horizontale gehoben werden, und das Schulterblatt flog bei jedem der¬ 
artigen Versuch nach hinten hinaus. Trotz sachgemässer elektrischer und mediko- 
mechanischer Behandlung hat sich der Zustand seitdem nicht gebessert. 

Status: Grosser, kräftiger Mann mit wohlgebildeter Muskulatur: die 
Untersuchung der inneren Organe hat nichts Krankhaftes ergeben. 

Untersuchung der Sehultcrgegend: Haltung: Bei der Untersuchung 
in der Ruhelage und von hinten beobachten wir, dass die rechte Schulter etwas 
schief steht, in dem Sinne, dass der innere Rand des Schulterblattes von unten 
um! innen nach oben und aussen zieht. Der untere Winkel springt stärker vor, 
während die Schulter etwas tiefer steht. Im ganzen ist das Schulterblatt der 
Wirbelsäule näher, als auf der gesunden Seite. Die Schulterblattmuskeln scheinen 
leicht atrophisch (Fig. 1). 

Bewegungen: Beim Versuch des Patienten, die Arme von der Seite 
horizontal zu heben, sehen wir das ganze rechte Schulterblatt stark nach hinten 
vorspringen und sich vom Rückenniveau stark abheben, gleichzeitig sich der 
Wirbelsäule nähern (Fig. 2). Beim Anheben der Arme von vorn bis zur 
Horizontale hebt sich der innere Sehulterblattrand noch stärker vom Rücken 
ab. so dass man mit der ganzen Hand zwischen Schulterblattrand und Rücken 
eimlringen kann. Eine Annäherung desselben zu der Wirbelsäule findet nicht 
statt (Fig. 2). Beim Versuch, die Arme senkrecht zu heben, sehen wir den 
rechten Arm sich kaum bis 90—100° erheben, eine Hebung darüber hinaus ist 
unmöglich. Das Schulterblatt kann dabei nicht gedreht werden, der Innen¬ 
rand bleibt nahezu parallel der Wirbelsäule, der untere Winkel kann sieh von 
ihr nicht entfernen. Das Anheben der Schultern und die Annäherung beider 
an die Wirbelsäule geschieht beiderseits gleich gut. 

Die elektrische Untersuchung zeigt nirgends Entartungsreaktionen. 
Die elektrische Kontraktur des Serratus ist rechts schwächer als links, im 
geringen Grade auch der Supra- und Infraspinatus. 

Diagnose: Traumatische Lähmungen des M. serratus anticus major. 

Operation (3. 4. 1911) in Skopolamin-Morphium-Chloroform-Narkose. 
Während der rechte Arm in Abduktion gehalten wird, wird der Schnitt vom Ansatz 
des Deltnideus am Arm, entlang dem freien Rande des grossen Brustmuskels bis 
zum 2. Intereostalraum und an der Mamillarlinic geführt. Präparation des 
Muskels auf der oberen und unteren Fläche bis zum Eintritt der Gefässe und 
Nerven; nach abwärts bis zum Ansatz am Oberarm. Wir trennen die Sterno- 
custalportion von der clavicularen entlang der Faserrichtung. W ir ziehen die 
Weichteile beiderseits vom Ansatz der Pectoralissehne am Oberarm stumpf ab 
und umschneiden das Periost um die Sehne in einer Länge von 5 cm und 
einer Breite von l 1 ■> — 2 cm und nun wird (‘in entsprechend grosses Knochen- 
stiiek von etwa 3 -5 mm Dicke samt dem Ansatz der Sehne abgemeisselt. 
Dann wird der Arm senkrecht gehoben und stark nach innen gedreht, so dass 
der untere Schulterblattwinkel möglichst nach vorn kommt, auf diesem und 
etwas hinter der vorderen Axillarlinie führen wir einen zweiten Hautschnitt 
und präparieren den unteren Winkel und den vorderen Rand der Scapula in 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



176 


M. (i«*rulanos, 


Digitized by 


einer Aus«l»*lmmu: von S em «inr»*h «lie Muskulatur mul das Periost bis zum 
Knorlien. Der Knochen wird möglichst nahe am unteren Winkel und etwa 
1 ein vom vorderen Hände an zwei Stellen, umrefiihr 2 ein voneinander ent¬ 
fernt, durchbohrt. Nun wird der zu transplantierende Muskel subfaseial unter 
die Achsel und Brust haut geführt, so dass das vom Oberarm abizemeisselte 
Knoehenstüek samt dem daran festsitzenden Muskel und dem umgebender; 
Periost his zum unteren Seapulawinkel ^ebraeht werden kann. Die Befestiiruiu: 
des Muskels geschieht in der Weise, dass der zu transplantierende Knochen 
auf die Vorderfliiehe des S«*apularand«*s oelcirt wird und durch zwei Silberdraht- 
nähte fixiert wird, welche durch die Bohrlöcher und die Muskelsehne geführt 
und um das Knoehenstiiek und den Scapularund ireknotet werden (siehe 
Skizze). Weiter wenhm dureh festes Catirut Periost zu Periost und Muskel zu 
Muskel Lienaht. Die Weichteile und die Haut bei der Wunde werden voll¬ 
ständig vernäht. Verband in eloxierter Stellum: drs Armes, dureh Schiene 
gehalten. 

Der Wund verlauf war ungestört, keine Temperaturstürunjr. Heilung 
per primain. Am 10. Tai: Kntfernunir der Nähte, der Arm wurde bis zur 
Horizontalen herunierirelassen: am ln. Tai: der Arm herab«relassen; am 17. Tai: 
hat der Patient das Krankenhaus verlassen. 

Schon im Verband, nach «Inn 4. — ö. Tai:, versichert der Patient. da>> 
er das Gefühl hätte, den Arm allein in die Höhe halten zu können. Auf die sichere 
Befestigung dureh die Silberdrähte gestützt, redet«*!! wir ihm zu, diese Versuche 
möglichst fleissip; auszufiihren, um rechtzeitig funktionell auf den transplantierten 
Muskel einzuwirken. Nach Abnahme des Verban«h*s konnte tatsäehlirh eine 
recht befriedigende Beweint m: des Armes festirestidlt werden, ohne dass » 11 * 
Sehultor nach hinten ausweiehen konnte. 

Ktwa 3 Monate nach der Operation, am 23.(5., schrieb er sehr bofriedii;; 
über den freien und kräftigen (iebraueh seines Armes. 

Hevision am 5. 1. 1313 erirab ein vollkommen sri'mstitres Hesultat: «Di 
Arm ist in seiner <iebrauehsfähiirkeit \ollkommen normal. Der Brustiiiiisk'*’. 
fühlt sieh bei je«l«*r Kontraktion kräftig und erhebt sieh sichtbar unter der 
Haut (Tiir. 3 u. 4h 

2. (Nr. 230, 1310.) Aufinmommen 31. 3. 1310. 

M. N., Mädchen. 13 Jahre alt. Keine voraus^eiran irenen Krankheiten. Inn 
immer tiichliir gearbeitet. Periode ri'iodmässisr. ohne Beschwerden. Seit 5 Jahren 
merkt si<* eine iranz langsam und allmählich zunehmende Sehwäehe beider Arm«', 
so «lass ihr die bisher io*wohnte Landarbeit immer schwerer wird. Mit Zunahme* 
der Sehwäehe kann sie auch die Arme kaum heben. Diese Störungen von all- 
mählieh fortschreitendem Charakter sind niemals von Fieber oder einer sonstiimi: 
Frkrankun^ begleitet. 

Status: (irosses und wohlgebautes Mädchen mit im alliremeinen kräftiimr 
Muskulatur. Die l’ntersuehuni: d«*r inneren Organe ergibt nichts Abnonno. 
ln der Hube und bei heruntcrhänirenden Armen und bei d«*r Betrachtung v.»: ( 
hinten sehen wir, «lass beide Schultern und besond«*rs d«*r untere Wink«*l luo-i. 
hinten abstchen. Der sieh ahheb«*n«le Innenrand verläuft etwas sehi«*f. von o\vv 
uu«l aussen nach unt«*n und innen. Beide Schulterblätter stehen ho«di. so «las* 
«h*r ob«*re innere Winkel etwas iib«*r «lie llalssehulterlinie vorsprinirt. IVim* 
S«*hultern stehen w«*iter v«m «l«*r Wirlmlsäulc ab (10 ein), s«» dass d»*r Baue 
zwischen beiden S< , hulterblättorn un«l somit auch der «ranze Rüek«*n unoewühn- 
li«-h breit. erscheint. Beide S«-hu 11<*rn hän*:i*n tleutlieh nach auss(»n und vorm 
Dadurch ers«*heint «ler Hiieken oewöllü, da^e<ren von vorn beträchtet die Brus: 
«‘iiiin'falh*!!, während die Sehliiss«*lhi*ine stark vorspriniren. Di«* Hiieken- um. 


Gck 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY 0F IOWA 



Veber Muskelüberpflanzungen ani Schultorgürtel. 


177 


Schulterblattmuskeln sind atrophisch, dagegen erscheinen die Arme kräftig (Fig. 5). 
Heim Hochheben der Schultern sehen wir den freien Ciicullarisrand in etwa Blei¬ 
stiftdicke vorspringen (Fig. 7), ebenso den Levator scapulae mittätig. Die 
Schultern können nur in geringem tirade und mit Anstrengung gehoben werden, 
wobei das Schulterblatt in stark nach vom und aussen abfallende Stellung 
gerät (Fig. (i). Das Zusammenziehen der Schultern nach hinten fehlt vollständig. 
Beim Anheben der Arme gelingt dies nur bis zu einem Winkel von etwa 45° 
unter sichtbarer grosser Anstrengung der Patientin (Fig. 6). Dabei arbeiten 
alle Anmnuskeln kräftig, auch der obere Teil des Trapczius, welcher jedoch 
keine? Kraft besitzt, um die Schultern festzuhalten. Dieselben heben sich viel¬ 
mehr stark fliigelförmig vom Rücken ab, nehmen eine sehr stark nach vorn und 
aussen abfallende Stellung, wobei der untere Winkel sieh der Wirbelsäule 
nähert (Fig. 6). Bei der Hebung der Anne von vorn gelingt dieselbe etwa bis 
zu 75°, dabei aber heben sich die Schulterblätter noch mehr vom Rücken ab. 
Bei der Betrachtung von vorn, beim Anheben der Arme sehen wir die Brust¬ 
muskeln sich beteiligen; es fällt aber das starke Yorspringon der Schlüsselbeine 
auf. welche beide auf die Sternalebenc zu liegen kommen, sowie das Vorspringen 
des inneren Scapulawinkels über die Halsschulterlinie hinweg (Fig. 7). Während 
Patientin die Arme nicht einmal bis zur Horizontalen zu erh ehen vermag, kann 
sic dieselben nach aufwärts schleudern und sie mit den Händen am Nacken 
lV>t halten. 

Die Arm- und Schulterblatt-Arminuskeln scheinen recht kräftig zu arbeiten, 
wenn auch die Dicke der Arme auf einer Fettablagerung beruht. Die Brust¬ 
muskeln arbeiten kräftig; von beiden Cucullares scheint, wenn auch recht schwach. 
d*-r obere Teil vorhanden zu sein, dagegen fehlt vollständig die mittlere und 
untere* Partie, ebenso wie beide Rhomboidei. Der Levator scapulae ist vor¬ 
handen, dagegen fehlt wieder der M. serratus antieus major und der obere Teil 
dos Latissinuis. Im allgemeinen erscheinen alle .Muskeln rechts schwächer 
als links. 

Die elektrische Untersuchung hat nur für die untere Hälfte des 
Trapezius vollständige Entartungsreaktion ergeben, bei den anderen Muskeln war 
(»ine solche nicht vorhanden. Dagegen war die elektrische Erregbarkeit des oberen 
Cucullaris. der Rhomboidei, Serrati und der oberen Partien des Latissimus sehr 
stark herabgesetzt. Besser war dieselbe bei beiden Brustmuskeln, Levator sea- 
pulac und unterem Teil des Latissimus, wenn auch geringer als normal. 

Diagnose: Dystrophia museiilorum progressiva juvenilis s. scapulo- 
liumeralis (Typus Erb). 

Operationsplan. Es handelte sich hier darum, die bei jedem Be- 
wegungsversuch des Armes ausweichende Scapula nach hinten und zugleich 
nach abwärts fcstzuhalten und zwar so, dass eine Drehung derselben zur Enter¬ 
st iitzung der Armhebung möglich sein könnte. Wir gedachten daher, einige An¬ 
sätze des M. sacrolumbalis an den Rippenbogen von dort abzuheben und am 
inneren Scapularand zu befestigen. 

1. Operation, rechts, (25. 4. 1Ü10) in Skopolamin-Morphium-Odoroform- 
Xarkose. Hautschnitt in der Mitte zwischen innerem Rand der Scapula und 
drr Mittellinie, parallel letzterer und von ungefähr 15 cm Länge. Durch die 
Fascic und die fettig entartet aussclicnden Muskeln Trapczius und Hhomboidcus 
gelangen wir zu der tieferen Muskulatur des grossen Riie'kenstrcckers, welche 
rin ganz anderes, rotes, gesundes Aussehen hat. Wir präparieren die Ansätze 
,p-s Sacmlumbalis am 5L, 4. und 5. Costahvinkel und heben dieselben von den 
Hippen ah durch Abmeisscln einer jeden mit einem Stück Rippcnplatte, von 
drr (irösse etwa von 2:1 cm. Nun präparieren wir den Innenrand der Scapula 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. jo 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



178 


M. (i !' II I M II n>, 


Digitized by 


und lud»cn ditlarauf sitzenden Muskeln mul das Periost in der irimzcn As;-- 
«iohnuniz derselben ah. Wir duivhbohren d#*n Seapularand an drei St»* 1 i^• n. 
ceradc da, wo jeder Muskelansatz des Saerolumbalis befestigt werden soll:-, 
und uTci dien dies durch je eine Silherdrahtnaht. Dabei halten wir durV 
I)nu*k auf die Schulter die Scapula m*•«rli<dist nach innen und abwärts. Dur-I. 
einige Catiiutniihlc werden die Muskelansätze an das Periost und die Muskulrtt ir 
der Scapula weiter befestigt. Naht der \\Viehteile, Verband mit IDd'estiiiuüL 
der Schultern nach hinten und abwärts. Verlauf ohne Störurur, Hoi 1 um: i***r 
priiuam. 

2. O p e ra t i o n, links (11.5. 1910). Die Operation wird im grossen uri 
L r an/.eti ähnlieli w ie rechts auscefiilirt: w ir benutzen nur 4 statt o Ansätze «;»- 
Saerolumbalis an den Kippen und meissein ein noch grösseres Stück von •■'!»** 
Pleura ab 2 1 ■» : 2 ein 1 . Verlauf unireslürt : am 10. 'Face nach jeder Opera?!":, 
werden die Nähte entfernt. Wir führen täidieh einige Beweemumn aus. s.ir^t 
aber sorgen w ir dafür, dass die Schultern durch irerinnete Verbämle nach hin:*:: 
und abwärts fcstcehallen werden. Schon vorder Ent lassuntr (29. 5. 1910) konr*- 
fcsteestellt werden, dass die Schultern nicht mehr flüiodartii: abstehen. nä;.- r 

der Wirbelsäule behalten werden, dass der obere innere Kami nicht mehr ii:. 

die Halslinie vorsprinirt und die Arme leichter bis zur Horizontalen «odo: 
werden können. Ks sind besondere l’ebunmm empfohlen, und Patientin wir 
entlassen. 

Nach 10 Monaten ;2. 4. 1911) stellt sieh die Patientin wieder vor und er¬ 
zählt. dass ihr Zustand sieh wesentlich gebessert hat. dass sie die Arme 1P 
zum Kopf erheben kann, um sieh zu kämmen, und kleinere Pasten leicht-r 
tragen kann; es besteht jedoch immer noch einige Schwäche und SehwimVk' 
in drr Armhebuni:. 

Status (2.4. 1911): Bei der Betracht um: des Kückens sehen wir di< 
Schulterblätter in besserer Stellumr. da der lnneiiraml und untere Winkel ni-M: 
mehr vorsprirumn und der Abstand des Innenrandes von der Mittellinie ne 
Sem beträgt (Kiir. * s ). Die Bessermur wird deutlicher I »ei den Bewciruiuren dr 
Anne, da die Hehumr beider Arme sowohl von der Seite wie auch von \ 
über die Horizontale hinaus vorcenommen werden kann (Kiir. 9. 10. 11). Dal 
fehlt das flÜL r elartirre Ausweichen des Irmenrandes der Scapula, da dann 
implantierte Muskel, unter der Haut vorsprinircnd. sichtbar wird (Fiir. 12). .leV • 
Arm kann mit Beiehtiirkeit so gehoben werden, dass die Hand den Kopf 
reielien kann (Fiir. 10). Sehliesslieh. während früher die Arme nur «iur--P 
Schlcudcrbcwccunc hinter den Nacken geführt und dort «rehalten werden könnt»*:, 
kann Patientin jetzt durch Krfassen beider Hände die Arme langsam ua» 
fast senkrecht erheben (Fiir. 12). Von vorn betrachtet fällt auf, dass d- 
Schultern nicht mehr Vorfällen und bei der Armhehuni: die oberen Wink-, 
nicht mehr hcraussprimmn (Fi»r. 11). 

Es ist ersichtlich, dass sowohl in der Halluni: wie auch in der Funkt: ■: 
der Arme durch die bisherigen Operationen eine wesentliche Bessern in: »■inm’- 
treten ist. Pm jedoch den Armen noch mehr Festigkeit zu verleihen und v-r 
allem die Armhebuni: zu vervollständigen, entsehliessen wir uns zu einer er¬ 
gänzenden Operation: die lVberpflanzun»: der Sternalportion des M. pcetoraI> 
major an den unteren Seajiularwinkel zum Ersatz des fehlenden Serratus: da 
um so mehr aneespornt durch das eilte Resultat, welches wir kurz vorher :< 
Eall 1, der isolierten Serratuslähmum:, erreicht halten. 

o. Operation, rechts (o. 4. 1911). I eben rairimi: des rechten M. tboraei. e 
Ion «jus und Befestinuni: am unteren Seapularw inkel. nenau w ie bei Fall 1 be¬ 
schrieben worden ist. 


Gck 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY 0F IOWA 



Feber Muskelüberpflanzun^en am Schulteririirtrl. 


179 


4. Operation, links (18.4. 1911). (icnau so wie oben. jedoch in beiden 
Fallen, um den Antagonismus der Brustmuskeln möglichst zu vermindern, wurde 
nicht allein die Sternalportion, sondern der iranze irrosse Brust rnuskcl 
transplantiert. 

Der Verlauf nach beiden Operationen war ungestört. Heilung der Wunde 
per priniam. und Patientin konnte am 28. 5. 1911 entlassen werden. 

Revision ein Jahr später eiyab ein recht befriedigendes Resultat sowohl 
in der Haltung wie in der Funktion der Arme. 

Schlussrevision (13.5.1915). Patientin hat inzwischen ireheiratet, hat 
Kinder und steht ihrem eigenen Hauswesen vor. Sie tribt an. ihre volle Arbeit 
in Haus und Feld verrichten zu ■ können. Nach hiesiger Sitte muss sie die 
schwerste Feldarbeit verrichten, und sie kann dies ohne jede Beeinträchtiffuiii: 
wie jede andere Frau. Von einer Schwache ihrer Arme wie früher merkt sic 
dabei nichts. Sie kann auch ohne jede Behinderung die Anne nach jeder 
Hiebtumr frei bewegen, selbst Lasten hoch- und herabheben und ist mit ihrem 
Zustand vollkommen zufrieden. 

Die r n t e rs uch u nt: ertrab: in der Ruhelage normales Verhalten, nur ist 
der Abstand des inneren Seapularrandes von der Mittellinie etwas grösser als 
irewühnlieh: die Schulter hänirt nicht abwärts wie früher. Die kräftige Arm- 
imiskulatur «reirenüher der schwächeren an Schulter und Thorax fällt auf. Die 
Arme werden leicht und kräftig irehoben bis zur Senkrechten (Fiir. 14). dabei 
sind sowohl die Zacken des Sacrolumbalis ire^om den Schulterblattwinkel wie 
besonders der vorgelagerte Pectoralis kräftii: sieh zusammenziehend erkennbar. 
Das Schulterblatt steht in keiner Weise vom Thorax ab und wird bei seiner 
DrebiiiiLT i:ut niederirehallen. (Oeeensatz der l r iir. 8. 9 zu 13, 14.) Nur bei der 
Ifon'zonlalhaltuiu: des Armes (Fiir. 13), besonders wenn die Arme horizontal 
nach vorne gerichtet gehalten werden, ist noch die Abhebung des Schulter¬ 
blattes vom Thorax in «rerimrem. nicht störendem (irade sichtbar. Das Resultat, 
fünf Jahre nach der 1. Operation, ist somit äusserst befriedigend. 


12 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



IV. 


Digitized by 


(Aus der II. chirurgischen Universitätsklinik in Wien. — Vorstand: 
Hofrat Prof. v. Hochenegg.) 

Nochmals zur Technik der Magenresektion. 

Von 

Dr. Hans Finsterer, 

Privatdozent für Chirurgie. Assistent der Klinik. 

(Mit 2 Textfiguren.) 


Im 106. Band dieses Archivs erschien eine Arbeit v. Haberer’s 
über Magenresektion, in der auf Grund unrichtiger Annahmen ein 
derart vernichtendes Urteil über mein wissenschaftliches Arbeiten 
gefällt wurde, dass ich unbedingt erwidern muss. 

1. v. Haberer verteidigt vor allem die Priorität Krön lein’s 
für die von mir mitgeteilte Methode, indem er, ohne die Literatur¬ 
quelle anzugeben, behauptet, die von mir geschilderte Art der Ope¬ 
ration sei bereits von Krönlein geübt worden. 

Dem gegenüber muss festgestellt w'erden, dass aus den eigenen 
Arbeiten der Krönlein’schen Klinik hervorgeht (Krönlein, Schön¬ 
holzer), dass Krönlein niemals diese Resektionsmethode bei Car¬ 
einom angewendet hat, sondern ausschliesslich Billroth I und II. 
letztere Methode mit vollständigem Verschluss des Duodenums und 
des Magenlumens und Anlegung einer Gastroenterostomie (Schön¬ 
holzer, S. 461). v. Haberer verteidigt also die Priorität Krön¬ 
lein’s für eine Methode, die vom Autor und seinen Schülern nie¬ 
mals methodisch ausgeführt worden war 1 ). 

2. Die v. Mikulicz’sche Modifikation hat die gleichen Nach¬ 
teile wie die Methode Billroth II (Insuffizienz des Duodenalstumpfes, 

1) v. Mikulicz und Kausch erwähnen in der 1. Auflage des Handbuchs 
für Chirurgie (1900). dass Krönlein in einem Falle so vorgegangen sei. dass 
er das Duodenum verschloss und die ganze, in diesem Falle kleine Magenwunde 
in das Jejunum einnähte. Unter den 50 Carcinomrcsektionen ist dieser Fall 
ni«*ht verzeichnet, eine Ijiteraturangabe fehlt. Vielleicht handelte es sich um 
eine benigne Pylorusstenose oder ein Ulcus mit Resektion eines ganz kleinen 
Magenahschnittes. 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Nochmals zur Technik der Magenresektion. 


181 


Unsicherheit der Magennaht); sie wurde deshalb an der Klinik v. Mi¬ 
kulicz allgemein wieder verlassen (Makkas: unter 81 Resektionen 
7mal Duodenalinsuffizienz). Diese Nachteile lassen sich vermeiden: 

1. Durch eine ganz kurze Jejunumschlinge, wodurch die Stau¬ 
ung im Duodenum wegfällt. 

2. Durch die richtige Anlagerung der Schlinge, die es er¬ 
möglicht, den gefürchteten Winkel, wo die Anastomosen- 
naht mit der Magcnverschlussnaht zusammentrifft, durch 
Fixation der zuführenden Jejunumschlinge absolut zu sichern, 
was bei der Anlagerung nach v. Mikulicz unmöglich ist, 
da sonst infolge Hinaufnähens der abführenden Schlinge die 
Füllungder zuführenden Schlinge noch mehr begünstigt würde. 


Fig. 1. 


Fig. 2. 



Mrt In mIi* K rn n I r i n - v. M i k u 1 i r z 
nach (Irr Abbildung von Kausch. 



..Verbesserte Modifikation“ der Mairen- 
resektinn. 

/ Durch Xiilit verschlossenes Mairenlumrn. 
2 Wind verschlossenes Duodenum. X Zu- 
fiilirender .Jrjunumsrhrnkrl. 4 Anast«»- 
mose. ;> Fixation des Mesoeolonsehlitzes 
am Mairen. 


Der Unterschied zwischen der ursprünglichen v. Mikulicz¬ 
sehen Methode und der von Hofmeister und mir geübten Modi¬ 
fikation wird durch die beigegebenen Schemen veranschaulicht. 
Wenn eine Modifikation die Nachteile einer Methode sicher aus- 
sehalten kann, so ist sie doch sicher wert, allgemein gekannt und 
geübt zu werden, und kann nicht als „ganz geringfügige“ Ab¬ 
weichung bezeichnet werden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



182 


II. Finsterer, 


Digitized by 


3. v. llaberer behauptet, (lass ich auf der Naturforscher- 
Versammlung die Methoden von Krönlein-v. Mikulicz, Reichel, 
Polya verschwiegen hätte. Das entspricht nicht der Tatsache. 
Bei der Kürze der Redezeit (7 Minuten) wurden die verschiedenen 
Methoden, die übrigens sämtlich durch Skizzen erläutert waren, 
nur ganz nebenbei erwähnt, und nur die Wilms'sche Methode ein¬ 
gehender mit dem von mir geübten Verfahren verglichen, da bei 
einem genauen Eingehen auf sämtliche Methoden die Redezeit kaum 
zur Schilderung der verschiedenen, in der Literatur rnitgeteilten 
Methoden hingereicht hätte, so dass der Zweck des Vortrages, die 
Schilderung der von mir geübten Methode, unmöglich hätte erreicht 
werden können. Das Manuskript wurde unmittelbar nach dem Vor¬ 
trag dem Schriftführer abgeliefert, wie es ja auch Vorschrift ist. 
Deshalb konnte auch auf die von v. Habe rer mir gemachte Ein¬ 
wendung keine Rücksicht genommen werden. 

Es ist richtig, dass ich v. Haberer eine Antwort auf seine 
Diskussionsbemerkung schuldig blieb, lediglich aus dem Grunde, 
um Zeit zu ersparen, da durch eine spätere mündliche Anfrage, 
wo denn die von Hofmeister geübte Methode publiziert sei, der 
Name des Autors ebensogut zu erfahren war, was in der Tat auch 
geschah. Es ist aber ganz und gar unrichtig, wenn v. Haberer 
behauptet, dass er mich erst auf die Arbeit Polva’s aufmerksam 
machen musste, welche Arbeit, im Centralblatt für Chirurgie er¬ 
schienen, mir selbstverständlich bekannt war. 

4. Wenn v. Haberer mir den Vorwurf macht, dass ich in 
meiner Arbeit seine Diskussionsbemerkung nicht richtig zitiert habe, 
so kann ich dem nur gegenüberhalten, dass ich mich nur nach 
dem Gesprochenen richten konnte, da mir die gedruckte Dis¬ 
kussionsbemerkung zur Zeit der Fertigstellung der ausführlichen 
Arbeit noch nicht zur Verfügung stand. 

5. Der Vorwurf der zur Zeit meines Vortrages erwiesenen Ln- 
kenntnis der einschlägigen Literatur war einzig und allein damit be¬ 
gründet, dass mir die Arbeit Burk’s, in welcher das von v. Haberer 
erwähnte Verfahren Hofmeisters genauer geschildert ist, nicht 
bekannt war, so dass ich bis zu meinem Vortrage tatsächlich der 
Ansicht war, dass die ganz gleiche Art der Resektion bisher über¬ 
haupt noch nicht beschrieben sei. Wenn man aber bedenkt, dass 
die Arbeit Burk’s nicht das Carcinom, sondern nur gutartige 
Magenerkrankungen behandelt, so mag es dahingestellt bleiben, 
ob das Lebersehen einer Arbeit über gutartige Erkrankungen bei 
der Frage der Resektionstechnik beim Carcinom wirklich dazu 
berechtigt, mir Unkenntnis der einschlägigen Literatur vorzuwerfen. 
Die prinzipielle Anwendung dieser ausgedehnten Resektion kann 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



X'M'hmals zur Technik ilcr Masjonrf'scktion. 


183 


doch nur für das Carcinora gelten, niemals aber für das Ulcus, 
bei dem die Ausdehnung der Resektion in erster Linie vom Sit/, 
des Ulcus abhängig sein wird. Man konnte daher doch unmöglich 
verlangen, dass bei der Orientierung über die Frage der Technik 
der Magenresektion beim Carcinom auch alle jene grossen stati¬ 
stischen Arbeiten berücksichtigt werden, die ausdrücklich, wie die 
Arbeit Burk’s, nur gutartige Magenerkrankungen behandeln. 

6. Wenn v. Hab er er meine Behauptung, dass derart ausge¬ 
dehnte Magenresektionen, wie sie von mir beim Carcinom prinzipiell 
ausgeführt wurden, bei den gutartigen Erkrankungen nur in Aus- 
nahraefällen Vorkommen, „kühn findet“, so kann ich mich über 
diese Ansicht nur wundern, denn ich kann doch wohl kaum an¬ 
nehmen, dass es unter den prinzipiellen Anhängern der Resektion 
des Ulcus auch nur einen Chirurgen gibt, der für die Resektion 
des Ulcus genau dieselbe radikale Operationsmethode fordert wie 
für das Carcinom, also bei Ulcus des Pylorus die Entfernung der 
ganzen kleinen Kurvatur bis zum Oesophagus hinauf. 

7. v. Haberer erhebt weiters gegen mich den Vorwurf, dass 
ich den Autor, der die gleiche Methode früher mitgeteilt hat, ein¬ 
fach verschwiegen habe. Das ist wieder nicht richtig; denn ich 
habe weder den Namen des Autors der Methode (Hofmeister), 
noch den seines Assistenten (Burk) verschwiegen, sondern sie 
wiederholt zitiert und auf S. 529 ausdrücklich erklärt: „Der von 
mir geübte Vorgang bei der Magenresektion deckt sich im Prinzip 
mit dem Verfahren von Hofmeister, nur ist die Reihenfolge der 
einzelnen Akte etwas verschieden.“ Ich weiss daher nicht, wie so 
v. Haberer mir den Vorwurf machen konnte, ich hätte den Autor 
der gleichen Methode einfach verschwiegen. 

8. Wenn v. Haberer schreibt, dass eine lange Arbeit wieder 
eine neue Methode der Resektion nach Finsterer bringt, welche 
ebenfalls absolut nichts anderes als das Kröulein-v. Mikulicz- 
sche Prinzip verfolgt, und nur alle der modernen Technik selbst¬ 
verständlich entsprechenden Modifikationen aufgenommen hat, wie 
sie schon von Reichel, Polya, Wilms, Hofmeister u. v. a. be¬ 
folgt wurden, so ist dem entgegenzuhalten, dass ich in der ganzen 
Arbeit nicht ein einziges Mal den Ausdruck „neue“ Methode ge¬ 
braucht habe, dass ich nur von der von Hofmeister und mir 
geübten Methode beim Vergleich mit anderen Modifikationen ge¬ 
sprochen habe. 

Der Zweck meiner Publikation, der auf S. 528 ausdrücklich 
angegeben ist, war nur der, die von Hofmeister und mir geübte 
Modifikation auf Grund reicher Erfahrungen (in 2 Jahren 29 Carcinom- 
resektionen) wegen ihrer grossen Vorteile gegenüber den bisherigen 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



184 


II. Finsterer, 


Digitized by 


Methoden (Möglichkeit einer radikalen Operation mit Exstirpation 
der ganzen kleinen Kurvatur, Sicherheit der Duodenal- und Magen¬ 
naht, Möglichkeit, auch Pankreasgewebe ausgedehnt zu resezieren, 
ausserordentlich günstiger Verlauf nach der Operation) allgemein 
bekannt zu machen und zur Nachahmung zu empfehlen. 

Während in meiner schwer angeschuldigten Arbeit alle Autoren 
zitiert sind, haben sowohl Wilms wie auch Kunika bei der Mit¬ 
teilung der Modifikation der Magenresektion, die ausdrücklich als 
neue Methode bezeichnet wird, durch welche es gelungen ist, die 
nachträgliche Nahtinsuffizienz zu vermeiden (S. 492), w r eder die 
Autoren Krönlein und v. Mikulicz, noch auch Hofmeister und 
Burk genannt, und dadurch eigentlich dieselbe sträfliche Literatur¬ 
unkenntnis bekundet, die v. Haberer mir zum Vorwurf gemacht 
hat. Die Arbeit Kunika’s, die ich wiederholt zitiert habe, konnte 
v. Haberer unmöglich entgangen sein. 

Wenn v. Haberer gegen meine Arbeit, in der doch alles, was 
in der Literatur Wichtiges mitgeteilt ist, angeführt ist, so schwere, 
den Autor direkt kompromittierende Anschuldigungen erhebt, wäh¬ 
rend er die Arbeiten von Wilms und Kunika, die unter Nicht¬ 
erwähnung der Methode Krönlein-v. Mikulicz und Hofmeister 
ausdrücklich von einer neuen Methode berichten, einfach übergeht, 
so kann das wohl niemand als eine objektive, rein sachliche Kritik 
bezeichnen. 

Die Veranlassung für die ausführliche Mitteilung der Resektions¬ 
technik war für mich die Tatsache, dass namhafte Chirurgen die 
in der Arbeit Burk’s ganz versteckt mitgeteilte Methode von 
Hofmeister nicht kannten. Auch v. Haberer dürfte zu Ostern 
1913 die bereits im Dezember 1911 erschienene Arbeit Burk s 
noch nicht gekannt haben. Zu dieser Behauptung veranlasst mich 
folgende feststehende Tatsache: Als ich gelegentlich des Chirurgen- 
Kongresses 1913 im Privatgespräch Herrn v. Haberer in Gegen¬ 
wart mehrerer Kollegen auf seine Frage, was ich, zur Diskussion 
über Magenresektion gemeldet, eigentlich bringen wollte, die von 
mir seit zwei Jahren geübte Modifikation schilderte und die Vor¬ 
teile derselben gegenüber den anderen Methoden (v. Mikulicz. 
Reichel, Polva, Wilms) ganz besonders für ein möglichst radi¬ 
kales Entfernen der ganzen kleinen Kurvatur und die Möglichkeit 
ausgedehnter Pankreasresektionen hervorhob, da erwähnte v. Ha¬ 
berer mit keinem Wort, dass Hofmeister die gleiche Modifika¬ 
tion seit langer Zeit übe, dass sie in einer Arbeit Burk’s bereit? 
mitgeteilt sei. Es ist doch nicht gut anzunehmen, dass er mich, 
während ich doch damals von einer von mir für neu gehaltenen 
Modifikation sprach, auf die Arbeit Burk’s nicht aufmerksam ge- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Nochmals zur Technik der Mairenrcsektiim. 


185 


macht hätte, wenn sie ihm damals bekannt gewesen wäre. Die 
eine Tatsache steht fest, dass v. Haberer erst nach dieser Unter¬ 
redung mit der Begründung der Vorteile die ähnliche Art der Re¬ 
sektion systematisch angewendet hat, statt der Methode Billroth II, 
denn er sagt S. 544, dass er seit dem 30. April 1913, also circa 
zwei Wochen nach dem Chirurgen-Kongress, bei jeder Magenresek¬ 
tion, die nach der II. ßillroth’schen Methode ausgeführt wird, 
prinzipiell das genannte Prinzip (der lateralen Implantation) an¬ 
wendet, wobei er allerdings bestrebt ist, nach Polya womöglich 
den ganzen Querschnitt des Magens zur Anastomose zu ver¬ 
wenden. 

v. Haberer bezeichnet meine Publikation als eine ganz über¬ 
flüssige Belastung der Literatur, da ja diese Modifikationen ohne¬ 
dies alle bekannt seien. Das ist aber nicht richtig, denn die 
wirklich beste Modifikation Hof meister’s, die identisch ist mit 
dem von mir geübten Verfahren, findet sich nirgends zitiert, auch 
nicht in der neuesten, 1913 erschienenen Auflage des Handbuches 
der Chirurgie. Wäre sie hier von Kausch angeführt worden und 
ihre Vorteile ausdrücklich hervorgehoben worden, so hätte ich 
gewiss meine Mitteilung nicht erscheinen lassen. 

v. Haberer hält weiter das von Polya geübte Prinzip, die 
ganze Magenbreite zur Anastomose zu verwenden, für richtiger 
und erklärt meine Bedenken wegen des hohen Hinaufziehens der 
Jejunumschlinge bis zum Oesophagus nur für theoretisch begründet. 
Dagegen ist zu erwidern, dass 

1. bei der variablen Lage der Plica duodenojejunalis der 
Abstand derselben vom Oesophagus bzw. vom Zwerchfell 
15—20 cm betragen kann, wie Messungen gelegentlich 
der Operation und bei Sektionen ergeben haben. Der 
zuführende Jejunumschenkel und der zur Anastomose ver¬ 
wendete Schenkel verlaufen parallel zu einander, es muss 
auch bei genügend langer Schlinge zu einer spitzwinkeligen 
Abknickung am Oesophagus kommen, wenn die Opera¬ 
tion tatsächlich die ganze kleine Kurvatur betrifft; 

2. die Operationsdauer wird statt verkürzt verlängert und 
die Operation unnötig erschwert, da auf eine Distanz von 
10—15 cm statt der einfachen Magenverschlussnaht eine 
doppelte Naht der vorderen und hinteren Wand notwendig 
wird, die hoch oben am Zwerchfell bei offenem Magen- 
und Darmlumen unter Schwierigkeiten angelegt werden 
muss. 

Die Ausbildung einer Oesophagusfistel kann durch die Ver¬ 
wendung der ganzen Magenbreite zur Anastomose keineswegs ver- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



186 


II. Finsterer, 


Digitized by 


hindert werden, denn nach Resektion der rechten Uesophaguswand 
liegen die Verhältnisse ganz ähnlich wie bei der Totalresektion der 
Cardia, es kommt der peritoneumlose Oesophagus mit dem von 
Peritoneum bedeckten Jejunum in direkte Verbindung. Die Naht¬ 
sicherung am Oesophagus kann man nach Resektion der rechten 
Wand desselben viel besser durch das manschettenförmige Herum¬ 
schlagen des Magenfundus erreichen, wie es in meiner Arbeit ab¬ 
gebildet und beschrieben ist. 

Die Fixation des Mesocolonschlitzes am Magen, durch welche 
die Anastomose in den freien ßauchraum versenkt wird, hält 
v. Haberer für vollkommen belanglos, da ja die Drainage heute 
allgemein aufgegeben ist. Dieser Ansicht kann ich mich durch¬ 
aus nicht ansehliessen. Glatte Falle von Magenresektionen drai- 
niere ich selbstverständlich nicht. Muss aber wegen l'ebergreifens 
des Carcinoms auch die rechte Oesophaguswand reseziert werden, 
oder ist wegen Lebergreifens des Carcinoms auf das Pankreas auch 
das Pankreasgewebe selbst zu entfernen, dann habe ich stets 
drainiert, einerseits wegen der Unsicherheit der Oesophagusnaht, 
andererseits um die Ausbildung der Fettnekrose und Peritonitis 
sowie die Andauung der Magennaht durch das gestaute Pankreas¬ 
sekret zu verhindern. Bei weitgehender Indikationsstellung sind 
Pankreasresektionen keine Seltenheit mehr. Während v. Haberer 
in 10 Jahren nur in 9 Fällen carcinomatösc Lymphdrüsen aus dem 
Pankreas ausschälte, wie er S. 563 selbst angibt, wobei ja Pan¬ 
kreasgewebe selbst nicht verletzt wird, und, nach den Kranken¬ 
geschichten zu urteilen, vielleicht in 4 Fällen eine teilweise Re¬ 
sektion des Pankreas vornahm, welche Fälle von ihm im Texte 
zu den Drüsenausschälungen gerechnet werden, habe ich unter den 
29 Fällen der Carcinomresektionen 11 mal grössere Anteile von 
Pankreasgewebe reseziert. Auch unter den seither (Januar bis Juni 
1914 und Mai 1915) ausgeführten weiteren 26 Carcinomresektionen 
musste 12 mal wegen l’ebergreifens des Carcinoms Pankreasgewebe 
entfernt werden. Es beträgt demnach die Frequenz der gleich¬ 
zeitigen Pankreasresektion, die bei v. Haberer kaum 6 pCt. be¬ 
trug, bei meinen 55 Carcinomresektionen 41,8 pCt. 

Ich halte es jedenfalls für viel gewagter und gefährlicher, 
nach Pankreasrasektionen, bei welchen die Naht des Peritoneal¬ 
überzuges über den Defekt nicht mehr möglich ist, auch nach 
Deckung mit Netz usw. den Bauch vollkommen zu schliessen als 
zu drainieren. Es ist durchaus nicht notwendig, dass die Drai¬ 
nagestreifen, die lediglich auf die ■wunden Pankreasstellen zu liegen 
kommen, auch mit der Magenverschlussnaht oder mit dem Duo- 
denalstumpf in Berührung kommen, da letzterer zumeist mit 


Go^ 'gle 


Original fro-m 

UNIVERSIT7 OF IOWA 



Nochmals zur Technik der Mayenresektion. 


187 


den Kesten des Ligamentum hepatocolicum überdeckt ist, die 
Magennaht aber in den meisten Fällen durch ein breiteres Fassen 
der hinteren Magenwand sich von selbst nach rückwärts dreht und 
dem Peritoneum der hinteren Bauchwand anliegt. Jedenfalls kann 
bei Verletzung eines Nebenastes des Ductus pancreaticus durch 
die Drainage die Andauung des Magens und des Duodenums und 
die fortschreitende Fettnekrose viel leichter verhindert werden. Die 
Anastomosennaht selbst wird, weil vollständig unterhalb des Meso¬ 
colons liegend, auch bei starker Absonderung von Pankreassekret 
auf keinen Fall geschädigt. 

Es ist sicher ganz gleichgültig, nach wem brauchbare Ver¬ 
besserungen üblicher Operationsmethoden benannt werden. Die 
Hauptsache ist, dass sie allgemein bekannt und geübt werden. 
Wenn v. Haberer die Priorität von v. Mikulicz (Krönlein hat 
ja die Modifikation niemals methodisch verwendet) unbedingt ge¬ 
wahrt wissen will, obwohl das v. Mikulicz’sche Verfahren noch 
die gleichen Nachteile besitzt wie die Methode Billroth II., so 
kannte man die geschilderte Methode als „Verbesserte Modifikation 
der v. Mikulicz'schen Magenresektion nach dem Prinzip Bill¬ 
roth II. u oder einfacher „Verbesserte Methode Billroth II.“ be¬ 
nennen. Es ist aber unbedingt zu verlangen, dass diese 
„Verbesserte Methode“ durch Aufnahme in die Lehrbücher 
und chirurgischen Handbücher mit genauer Wiedergabe 
des Wesens und der Vorteile der Verbesserung der Allge¬ 
meinheit bekannt werde, damit auch jüngere Kollegen 
sowie Chirurgen, die wenig Fachjournale zur Verfügung 
haben, sich in den Handbüchern über das Wichtigste 
orientieren können, um diese „Verbesserte Methode Bill¬ 
roth II.“ zum Nutzen der Menschheit allgemein anzu¬ 
wenden. 


Literatur. 

1. Burk, Die chirurgische Behandlung gutartiger Magenerk ran kungen und ihm* 
Fnlgezustämlc. Beitr. z. klin. Chir. 1911. Bd. 7h. 8. h3S. 

2. Finsterer, Zur Technik der Magenresektion. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 
1914. Bd. 12S. S. ul4. 

B. v. Näherer, Meine Erfahrungen mit 1S3 Magenresektionen. Archiv f. klin. 
Cliir. 1915. Bd. 10h. 8. 533. 

4. Kauseh. Handbuch der praktischen Chirurgie. III. u. IV. Aull. Bd. 3. 
Krün lein, Chirurgische Erfahrungen über das Mageneareinom. Bcitr. /.. 
klin. Chir. 189h. Bd. 15. S. 311. 

H. Krön lein, Feber die bisherigen Erfahrungen bei der radikalen Operation 
des Magencareinoms. Verband!, d. Deutschen Gesellschaft f. Chir. 1898 
Teil II. S. 184. 


Digitized by 


Go«. igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


188 H. Finsterer, Nochmals zur Technik der Magenresektion. 

7. Krön lein, L eber den Verlauf des Mageneareinoms bei operativer und nicht- 
operativer Behandlung. Vortrag am Chirurgen-Kongress 1902. Archiv f. 
klin. Chir. 1902. Bd. 67. S. 676. 

8. Klinika, Statistische Mitteilungen über die Resultate des W i 1 m s ’sclien 
Verfahrens zur Stumpfvcrsorgimg nach Magenresektionen. Deutsche Zeitsehr. 
f. Chir. 1912. Bd. 118. S. 483. 

9. Makkas, Beiträge zur Chirurgie des Magencareinoms. Mitteil. a. d. Grenz¬ 
gebieten d. Med. u. Chir. III. Suppl.-Bd. S. 9SS. 

10. v. Mikulicz, Technik der Operation des Magencareinoms. Verhandl. der 
Deutschen Ocsellschaft f. Chir. 1898. Teil 11. S. 252 und Archiv f. klin. 
Chir. 1898. Bd. 57. S. 524. 

11. v. Mikulicz und Kausch, Handbuch der praktischen Chirurgie. I. Ami. 
1900. Bd. 111. 11.1. S. 204. 

12. Polya, Zur Stumpfversorgung nach Magenresektion. Centralhl. f. Chir. 
1911. Nr. 26. S. 892. 

13. Reichel, Zur Stumpfversorgung nach Magenresektion. Centralhl. f. Chir. 
1911. Nr. 42. S. 1401. 

14. Schön ho Izer, Die Chirurgie des Magenkrebses an der Krön 1 e i n‘sehen 
Klinik 1SS1 —1902. Beitr. z. klin. Chir 1903. Bd. 39. S. 442. 

15. Stumpf, Beitrag zur Magenehirnrgie. Beitr. z. klin. Chir. 1908. Bd. 59. 
8. 551. 

16. Wilms, Zur Stumpfversorgung nach Magenresektion. Centralhl. f. Chir. 
1911. Nr. 32. S. 1087. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Sachliche Berichtigung 
zu vorstehenden Bemerkungen Finsterer’s. 

Von 

Prof. Dr. Hans v. Haberer (Innsbruck). 


So sehr ich es bedaure, muss ich nochmals zur Feder greifen,, 
um Herrn Dr. Finsterer neuerlich darauf aufmerksam zu machen, 
dass man bei der Abfassung wissenschaftlicher Publikationen sich 
strenge an Tatsachen halten muss. 

ln vorstehender Publikation meint Herr Dr. Finsterer, dass 
ich auf Grund unrichtiger Annahmen zu einem vernichtenden Urteil 
über sein wissenschaftliches Arbeiten gekommen bin, und begründet 
seine Meinung in mehreren Punkten. Finsterer sagt 1.: „v. Haberer 
verteidigt also die Priorität Krön lein’s für eine Methode, die vom 
Autor und seinen Schülern niemals methodisch ausgeführt worden 
war.“ Das ist unrichtig. Richtig ist vielmehr, dass ich sowohl 
in meiner Diskussionsberaerkung zu Finsterer’s Vortrag, als auch 
in meiner im 106. Band des Archivs für Chirurgie erschienenen 
Arbeit von einer Modifikation der Methode Billroth II durch Krön¬ 
lein und v. Mikulicz gesprochen habe, auf welcher die weiteren 
Vorschläge von Reichel, Polya, Wilms basieren. Die Richtigkeit 
dieser meiner Annahme bewies ich dadurch, dass Hofmeister, 
der diese Methode in der durch die allgemeinen Errungenschaften 
fortschreitender Technik veränderten Form seit Jahren verwendet, 
durch seinen Schüler Burk das Verfahren eine Modifikation der 
Krönlein-Mikulicz’schen Methode nennt. 

Wie oft und ob methodisch Krönlein und v. Mikulicz ihr 
Verfahren angewendet haben, darüber habe ich mich niemals aus¬ 
gesprochen. 

Finsterer sagt 2.: „Die v. Mikulicz’sche Methode hat die 
gleichen Nachteile wie die Methode Billroth II, welche sich ver¬ 
meiden lassen: erstens durch eine ganz kurze Jcjunumschlingc, 


Digitized by 


Goi igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



190 


II. v. Hal.ercr. 


Digitized by 


zweitens durch die richtige Anlagerung dieser Schlinge.“ Darauf 
habe ich zu bemerken: Wiewohl ich nie etwas anderes behauptet 
habe, als dass alle in neuerer Zeit mit mehreren Namen verquickte 
Modifikationen auf Gedanken und Vorschläge zurückzuführen sind, 
welche schon von Krönlcin und v. Mikulicz ausgesprochen 
wurden, die dem Fortschritte der Zeit gemäss Abänderungen er¬ 
fahren mussten, so geht ja gerade aus Finsterer’s eben ange¬ 
deuteter Bemerkung hervor, wie wenig originell die neueren Vor¬ 
schläge sind, denn die Art der Ausnutzung des Querschnittes des 
Magens zur Anastomosc ist auf Krönlein und v. Mikulicz zuriiek- 
zuführen, die Wahl der kurzen Jejunumsehliuge auf v. Hacker. 
Die richtige Anlagerung dieser Schlinge ergibt sich, ohne dass 
man viel Worte zu verlieren braucht, für den Chirurgen von selbst. 

Finsterer sagt 3.: „v. Habcrer behauptet, dass ich auf der 
Naturforscherversammlung die Methoden von Krönlein, w Mi¬ 
kulicz, Reichel, Polva verschwiegen hätte. Das entspricht nicht 
der Tatsache.“ Darauf habe ich zu erwidern: Meine Ausführungen 
in der Arbeit im 106. Band des Archivs für klinische Chirurgie 
halte ich voll und ganz aufrecht, weil sie eben absolut der Tat¬ 
sache entsprechen, während Finsterer’s Entschuldigung den Tat¬ 
sachen nicht entspricht. Es interessiert mich dabei gar nicht, wann 
Finsterer sein Manuskript abgeliefert hat, und wem er es abge¬ 
liefert hat. Dass die Namen jener Autoren, welche Finsterer in 
den Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und 
Aerzte 1914 nennt, bei seinem Vortrage in der Tat ungenannt 
blieben, das weiss ich nicht nur sicher, sondern dafür spricht meine 
ebendaselbst veröffentlichte Diskussionsbemerkung, die, wieFinstcrer 
zugibt, unwidersprochen blieb, die aber keinen Sinn gehabt hätte 
und auch von mir nicht gefallen wäre, wenn Finsterer die Literatur 
entsprechend berücksichtigt hätte. Ich betone übrigens, das* in 
eben citicrter Arbeit Finsterer’s in den Verhandlungen der Ge¬ 
sellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte der Name Hof- 
meister’s nicht vorkommt. Wichtiger erscheint mir Finsterer's 
Selbstbericht im Centralblatt für Chirurgie, 1913, S. 1999, in welchem 
bloss der Name Wilms vorkommt, wie es ganz genau dem von 
Finsterer gehaltenen Vortrage entspricht. Zu dieser Darstellung 
im Centralblatte für Chirurgie stimmt denn auch meine Diskussions- 
bemerkung ausgezeichnet. 

Wenn Finsterer sagt, „es sei ganz und gar unrichtig, dass 
ich ihn erst auf die Arbeit Polya’s aufmerksam machen musste, 
welche Arbeit, im Centralblatt für Chirurgie erschienen, ihm selbst¬ 
verständlich bekannt war“, so habe ich darauf zu antworten, dass 
ich ihn tatsächlich auf diese Arbeit erst aufmerksam machen musste. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



191 


Sachliche 1 >r*ric-litiini ult /u vorstehenden Ijemerkun<:en Finsterer s. 

von welcher er mir erklärte, sie sei ihm vollständig entgangen. 
Wenn dies auch allerdings erst nach der Sitzung in einem Privat¬ 
gespräche geschah, so musste ich doch annehmen, dass Finsterer 
in seiner Arbeit in der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie, in der 
er sich in unvollkommener Weise auf meine Diskussionsbemerkung 
bezogen hat, die durch mich erfolgte Aufklärung durch streng 
kritische Verwertung der Literatur berücksichtigen würde. 

Zu Punkt 4 der Bemerkungen Finsterer’s kann ich bloss 
sagen, dass er mir jede Stellungnahme erspart hätte, wenn er 
sich in seiner Arbeit wirklich „nach dem Gesprochenen** gerichtet 
hätte. 

Wenn in Punkt 5 Finsterer meint, dass ihm der Vorwurf 
erwiesener Unkenntnis der einschlägigen Literatur einzig und allein 
damit begründet erscheint, dass ihm die Arbeit Burk’s, in welcher 
Hofmeister’s Verfahren genauer geschildert wird, nicht bekannt 
war, so weise ich das unter vollständiger Aufrechterhaltung der in 
meiner Arbeit gegebenen sachlichen Darstellung sowie mit Bezug 
auf die eben gegebene Widerlegung der Punkte 1 — 3 Finsterer s 
zurück. 

Wenn Finsterer glaubt, dass es dahingestellt bleiben mag. 
„ob das Uebersehen einer Arbeit über gutartige Erkrankungen bei 
der Frage der Resektionstechnik beim Carcinom wirklich dazu be¬ 
rechtigt, ihm Unkenntnis der einschlägigen Literatur vorzuwerfen“, 
so habe ich demgegenüber bloss die eine Tatsache festzustellen, 
dass die in Frage kommende Arbeit Burk’s über 41 Resektionen 
berichtet, wovon nicht weniger als 26! wegen Carcinom ausgefiihrr 
waren. Im übrigen ist Finsterer darauf nicht eingegangen, dass 
ich ihn in meiner Arbeit auch darauf aufmerksam machen musste, 
dass schon Stumpf im 59. Bande der Bruns’schen Beiträge im 
Aufträge Hofmeister’s über die in den Jahren 1904—1907 ope¬ 
rierten Fälle von Magencarcinom und von gutartigen Magenerkran¬ 
kungen berichtet hat, aus welcher Arbeit deutlich zu entnehmen 
ist, dass Hofmeister schon damals die Krönlein-Mikulicz’sche 
Methode in modilicierter Weise angewendet hat. Wenn Finsterer 
wirklich, wie er meint, das Centralblatt für Chirurgie so genau 
kennt, so muss ich darauf erwidern, dass es dann um so unbe¬ 
greiflicher erscheint, dass er nicht einmal aus dem Referate der 
Stumpf’schen Arbeit im Centralblatt für Chirurgie, 1909, S. 281, 
durch Reich darauf aufmerksam wurde, dass in der Hofmeister¬ 
sehen Klinik schon damals von 21 Resektionen bei Carcinom „15 
nach Billroth II meist mit der Krönlein’schen Modifikation aus¬ 
geführt wurden, wonach das Jejunum in das untere Ende des Re- 
sektionsschnittes eingepflanzt wird“. 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



192 


11 . V. 11 Ilhorn-, 


Digitized by 


In Punkt 6 wundert sich Finsterer, dass ich seine Behaup¬ 
tung, nach welcher derart ausgedehnte Magenresektionen wie beim 
Carcinom bei gutartigen Erkrankungen des Magens nur in Aus- 
nahrnefällen Vorkommen, kühn finde. Ich lasse mich auf eine 
weitere Debatte über diesen Punkt mit ihm nicht ein, da er das 
Ulcus nicht prinzipiell reseciert, ich es aber prinzipiell reseciere. 
Was aber übrig bleibt, als ein cardial gelegenes Ulcus callosum 
ebenso zu behandeln wie ein Carcinom, vorausgesetzt, dass man 
es radikal exstirpieren zu müssen glaubt, möchte ich gerne wissen. 
Was man beim Carcinom der Radikalität wegen prinzipiell macht, 
muss man bei einem solchen Ulcus der anatomischen Lage wegen 
ebenfalls tun. Ich glaube nicht, dass dies auf die Frage der Technik 
einen irgendwie entscheidenden Einfluss hat. 

In Punkt 7 ist Finsterer im Irrtum begriffen. Ich habe nicht 
den Vorwurf erhoben, dass er in seiner in der Deutschen Zeit¬ 
schrift für Chirurgie erschienenen Arbeit Hofmeister und Burk 
verschwiegen hätte; das geht auch in einwandsfreier Weise aus den 
entsprechenden Stellen meiner Arbeit im Archiv hervor. Ver¬ 
schwiegen hat er die Namen nur beim Vortrag sowie dessen Re¬ 
feraten, und dieses Verschweigen hat er in seiner Arbeit in einer 
Weise zu rechtfertigen versucht, die meiner Auffassung nach ernster 
wissenschaftlicher Arbeit widerspricht. 

In Punkt 8 nimmt Finsterer dagegen Stellung, dass er in 
seiner Arbeit den Ausdruck neue Methode nicht gebraucht hätte. 
Ich habe seine Methode auch nie für neu gehalten. Die Art aber 
wie er sie schildert, die Breite, mit welcher er sie darstellt, sollte 
auch nur einer „neuen Methode“ Vorbehalten bleiben. 

Ich muss übrigens Finsterer darauf aufmerksam machen, 
dass er in seinem Selbstbericht im Centralblatt für Chirurgie, 1913, 
sagt: „An der Klinik Hochenegg hat Finsterer in den letzten 
2 Jahren bei 33 ausgedehnten Magenresektionen eine neue Modifi¬ 
kation angewendet.“ Bei dieser Gelegenheit kann ich es mir nicht 
versagen, nochmals daraufhinzuweisen, dass Burk über26 Carcinoro- 
resektionen, die von Hofmeister ausgeführt wurden, und Stumpf 
früher auch schon über eine nennenswerte Anzahl berichtet hat. 

Weiter muss ich Herrn Dr. Finsterer entgegenhalten, dass 
ich die Arbeit von Wilms nicht einfach übergangen habe, wie er 
meint. Ohne viel Worte zu verlieren, brauche ich ihn bloss auf 
den Text des betreffenden Artikels in meiner Arbeit im Archiv 
für klinische Chirurgie, S. 538 u. 539, aufmerksam zu machen, in 
dem ich ausdrücklich hervorhebe, dass die im Hinblicke auf die 
l’olva’sche Mitteilung veröffentlichte Technik der Magenresektion 
von Wilms auf dem Verfahren von v. Mikulicz basiert. 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Sachliche Berichtigung zu vorstehenden Bemerkungen Finsterer». 193 


Was nun Finsterer über die Folgen eines angeblichen Privat¬ 
gespräches, das ich zu Ostern 1913 auf dem Chirurgenkongresse 
mit ihm gehabt habe, mutmasst, ist unrichtig. Zunächst erinnere 
ich mich nicht an dieses Privatgespräch. Jedenfalls konnte ich 
mich überzeugen, dass Finsterer damals in der Diskussion über¬ 
haupt nicht über Magenresektion gesprochen hat. Offenbar habe 
ich seiner ganz privaten Mitteilung entweder nicht den von ihm 
gewünschten Wert beigelegt oder im Momente des Gespräches nicht 
genau percipiert, was er wollte, sonst hätte ich ihn ebenso, wie 
am Naturforschertag in Wien, auf die Methodik Hofmeister’s ver¬ 
wiesen. Wenn Finsterer meint, dass die Tatsache feststehe, dass 
ich erst nach dieser Unterredung die Methode von Polya und, wie 
er ja selbst zugibt, nicht die von ihm beschriebene Methode Hof- 
m eist er ’s systematisch angewendet habe, so möchte ich ihn doch 
darauf aufmerksam machen, dass ich das erste Mal das Ver¬ 
fahren am 28. Mai 1910 in Anwendung gezogen habe, wie er aus 
meiner Arbeit hätte ohne weiteres ersehen können. Wenn ich cs 
seit dem 30. April 1913 systematisch anwende, so ist damit nicht 
gesagt, dass ich in der Zwischenzeit die Methode nicht verwendet 
habe. 

Wenn Finsterer weiter findet, dass ich mit Unrecht seine 
Publikation als eine überflüssige Belastung der Literatur bezeichnet 
habe, weil die wirklich beste Modifikation Hofmeister’s, die mit 
dem von ihm geübten Verfahren identisch ist, nirgends zitiert ist, 
so kann ich diesem Standpunkt nicht beipflichten. Finsterer ist, 
wie ich glaube, nunmehr genügend auscinandergesctzt zu haben, 
selbst in den Fehler verfallen, Hofmeister nicht zu zitieren, bis 
er nicht von mir darauf aufmerksam gemacht worden war. Wenn 
er nun der Ansicht war, dass das ausgezeichnete Verfahren Hof- 
m eist er’s zu wenig' bekannt ist, so hätte er meines Erachtens in 
seiner so ausführlichen Publikation nicht die von Hofmeister und 
ihm geübte Methode, sondern die von ihm geübte, Hofmeister- 
sche Methodik, die nach den Anschauungen ihres Autors auf 
Krönlein und v. Mikulicz zurückzuführen ist, entsprechend 
würdigen sollen, wobei es ihm nicht benommen worden wäre, mit- 
y.uteilen, in wie viel Fällen er mit Erfolg das Ilofmeister’schc 
Verfahren angewendet hat. Wer diesen letzten Satz mit den Aus¬ 
führungen in meiner Arbeit im Archiv vergleichen will, kann kaum 
missverstehen, wie ich über die Sache denke. 

Was Finsterer mir dagegen erwidert, dass ich das von Polya 
geübte Prinzip für richtiger halte, lasse ich deshalb unbeantwortet, 
weil ich beide Methoden geübt habe, und es mithin nicht für nötig 
halte, mich in theoretische Betrachtungen einzulassen. Meine An- 

Archiv für klm. Chirurgie. Bd. 107. Heft 1. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



194 


H. v. 11 abrrcr, Sachliche Borichtiiruni: usw. 


Digitized by 


sicht über die Fixation des Mesoeolonschlitzcs halte ich aufrecht, 
sic wird durch die jeweiligen Verhältnisse diktiert. 

Heber die Zahl der ausgeführten partiellen Pankreasresektionen 
halte ich es für überflüssig, mich in eine Diskussion einzulasssen. 
da in der Tat, wie speziell meine Uhusfälle beweisen, bei richtiger 
Ausführung der Operation die Prognose durch diese Komplikation 
nicht wesentlich beeinflusst wird. Ich kann nicht annehmen, dass 
Finsterer die Pankreasresektion beim C’arcinom für so viel ge¬ 
fährlicher hält wie beim Ulcus, wiewohl er aus meiner Arbeit bloss 
die Pankreasresektion beim ( arcinom heranzieht. Ich habe jeden¬ 
falls den Bauch dabei immer geschlossen und nicht drainiert, ohne 
Schaden für meine Patienten. Wenn Finsterer die Drainage vor¬ 
zieht, so mag er das immerhin tun. Ich halte an dem modernen 
Prinzipe fest, dass man die Drainage möglichst einengen soll. In 
meiner Arbeit konnte ich zeigen, dass man diesem Postulat mit 
Erfolg genügen kann. 

Zum Schlüsse. Wenn es Finsterer gelungen ist, dem seit 
Jahren von Hofmeister geübten Verfahren, welches auf der Me¬ 
thode von Krön lein und von v. Mikulicz basiert, welches sich 
Reichel, Polya, Wilms, ihm, mir und wahrscheinlich noch vielen 
anderen Chirurgen vortrelflich bewährt hat, zum gebührenden An¬ 
sehen zu verhelfen, so werde ich der letzte sein, der dieses Ver¬ 
dienst schmälert. Ich halte aber nach wie vor daran fest, dass 
Finsterer bei seinem Vortrage, bei der Abfassung des Berichtes 
für die Verhandlungen der Gesellschaft Deutscher Naturforscher 
und Aerzte, bei der Abfassung seines Selbstberichtes für das 
Centralblatt für Chirurgie und bei der Abfassung seiner in der 
Deutschen Zeitschrift für Chirurgie erschienenen ausführlichen Arbeit 
die wahre geschichtliche Basis der in Rede stehenden Methode 
nicht nur nicht genügend erörtert, sondern dass er sich bemüht, 
seinem Vorgehen eine Originalität aufzuprägen, die demselben nicht 
zukommt. Damit halte ich mein seinerzeit über seine Arbeit ge¬ 
fälltes Urteil voll und ganz aufrecht und halte in dieser Angelegen¬ 
heit eine weitere Diskussion mit Finsterer für ausgeschlossen. 


Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4, 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 





Digitized by 


Google 


Original fro-m 

UNIVERS1IY OF iOWA 



Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 







rchiv f klin. Chirurgie. 107 . Bei. 


Wiesenzellen 
fßrkomartiges 
[ Gewebe 


Corticalisrest 



Perlost und 
Muskelfasern 


Abb. 6 (mittl. Vergrösserung). 




o 


Tafel 11 




Spongiosa 


Cystischer Hohlraum 

Bindegewebige 
Cystenwand 


Abb. 8 

(Lupenvergrösserung), 


Abb. 9 

(mittl. Vergrösserung). 



Abb. 10 


Abb. 11 



Lichtdruck Melnert-Rennig Btrlin 5.42. 



UNIVERSITT OF IOWA 











Digitized by Google 


Original from 

UNIVERS1IY OF IOWA 






Tafel III. 



Abb. 19. 



Abb. 20. Abb. 23. 



Abb. 21 u. 22. 



from 


Lichtdruck Neinert-fiennig, Berlin S. 42, 





















Digitized by 


Go», gle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 





f- 

rchiv /. klin. Chirurgie 107 Bd. 


Abb. 24b. 


Abb. 24a. 


Go gle 


Tafel IV. 



Abb. 25. 



Abb. 26. 


Markfibrosa 


Gefasst 


Spongiosabälkchen 


Lichtdruck Neintrt-Hennlg, Berlin 5. 42. 


uimi v croi i i ur iuvvm 














Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



klin. Chirurgie. 107. Bd. 



Abb. 27. 


Abb. 28. 



Abb. 29. 



Abb. 30. 


Go gle 


Tafel V. 



Lichtdruck Neinert-fiennig, Berlin 5- 42 > 













Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UNIVERSIIY OF IOWA 







iföv { kl in. Chirurgie. 107, Bd. Tafel VI. 



fHH Fibröses Gewebe 



Riesenzellen 

sarkomartiges 

Gewebe 

Spongiosabälkc/ien 


Lichtdruck tfeinert-fiennig, Berlin S. 42. 


NIVtKbllT Uh IUWA 




























Digitized by Gougle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 





Archiv f. Min. Chirurgie. 107 . Bd. 


Fig. 1. 



Digitized b) 


Go sie 




















Digitized by Gougle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 






















Digitized by Gougle 


Original frnm 

UNIVERSITY OF IOWA 



VI. 


Kasuistisches und Technisches aus der 
Dickdarmchirurgie. 

Von 

Dr. J. Schoemaker (Haag). 

(Mit 4 Textfiguren*.) 

A. Akute partielle Colondilatatiou. 

Im November 1907 wurde ieh zu einem alten Herrn von 7!) Jahren gerufen. 
d»T das komplette Mild eines Obturalionsi lens zeigte. ln den letzten Monaten 
hatte er mit leichteren Anfällen von llerzsehwiielie zu tun und vor 14 Tagen 
machte er einen Anfall von Angina pectoris durch. 

Seit drei Tagen nun klagte er über Schmerzen im Manch und Obstipation. 
Mit Atropininjektionen und Darmspülungen war noch ein wenig Stuhl gekommen, 
aber am Morgen der l’ntersuehung liess sich die Sache ernster ansehen: Patient 
hatte erbrochen und der Leib war sehr aufgetrieben. 

Ich fand einen mageren alten Herrn mit /eichen von Arteriosklerose, aber 
einem ziemlich guten regelmässigen Puls von 110. Mrustorgane normal, Herz¬ 
töne rein. 

Das Abdomen war aufgetrieben und gespannt, aber wenig schmerzhaft. 
<i i»* i* durch den Leib war eine sehr ausgedehnte Darmschlinge deutlich zu pal- 
Ideren. 15ei der Perkussion überall voller tympanitischer Ton, keine Flüssigkeit 
nachweisbar. Nirgends etwas von einem Tumor oder umschriebenem Widerstand 
zu fühlen. Die Palpation per rectum ergab einen leeren Mastdarm, der aber 
nicht ausgedehnt war. Douglasfalte nicht schmerzhaft. Prostatahypertrophie. 

Aufnahme in das Krankenhaus. 

Nach einem Salzwassereinlauf wird ein wenig Stuhl entleert, auch gehen 
• in paar Winde ah. Darum wird vorläufig versucht, was mit Darmspiilungen. 
elektrischen Klysmen und Atropininjeklionen zu erreichen ist. 

Am nächsten Tage hatte die Spannung des Leibes zugenommen. Stuhl und 
Winde waren nicht mehr abgegangen. 

Die Diagnose wird auf Obturationsileus. wahrscheinlich durch Catvimmi 
«Io-» t’olou descendens gestellt. 

Fs wurde darum in Narkose »‘ine Laparotomie in der Medianlinie ge¬ 
macht. Hierbei stellte sich heraus, dass die ausgedehnte Darmsehlingc das Dohm 
lraiiNversurn war. Fs wurde darum »Im* Dickdann ahpalpiert, beim Ibvtum an¬ 
fangend. hinaufgebend bis zur Flexura lienalis. Ieh meinte dabei am Fcbcrgang 
vom Colon descendens auf die Flexur eine kleine Anschwellung zu fühlen. Der 
Südmitt in der Medianlinie wurde mit einer Ktagemwdu zugenäht und ein Anu> 
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft ‘2. 14 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



196 


.1. Sc Ihm* in a k e r. 


Digitized by 


praeternaturalis am Colon deseendens angelegt, um ziem lieh weit von der Stelle 
entfernt zu sein, wo nachher eventuell eine zweite Operation zu machen sei. 

Das (jieeuni und Colon aseendens waren auffallend weniger 
ausgedehnt als das Colon t rans vors u in. 

l > alient erholte sieh nach diesem Eingriff. Es entleerten sieh grosse Mengen 
flüssiirer Kot und der Leih wurde wieder flach und weich. Der Allgemeinzustand 
besserte sieh zusehends, und der Patient hat mich nach drei Wochen, ihn vor. 
seinem widernatürlichen After zu befreien, da das Lehen für ihn so keinen 
Wert hätte. 

Es wurde nun wieder in Narkose «die Lokalanästhesie wurde zu der Zeit 
noch nicht soviel geübt; eine Laparot om io in der linken Seite gemacht. Der 
unterste 'Peil des Colon deseendens wurde eventriert. um nach der Gesellwul>( 
zu suchen. Zu meinem Erstaunen wurde sie aber nicht erfunden. Ich habe 
dann den Schnitt nach beiden Seiten erweitert und das Rectum pelvinum. die 
Flexura sigmoidea, das Colon deseendens, die Flexura Iienalis und das Coh.n 
transversum lamm und fleissig abgesiirht. um die Crsache der Obstipation zu 
entdecken. Ich habe aber nichts finden können: Keinen Tumor, keine 
Verwachsungen, keine Knickung. und am Ende wusste ich weiter nichts 
zu um, als die Bauchhöhle zu sehliessen. 

Der Eingriff hatte aber zu lange gedauert: er war für den alten Patienten 
mit seinem debilen Herzen zu viel gewesen. In der Nacht kollabierte er trotz 
aller dagegen angewandten Mittel und am nächsten Tage trat der Exitus le¬ 
talis ein. 

Wegen religiöser Beschwerden konnte die Sektion nicht gemacht werden. 

Der zweite Patient war ebenfalls ein aller Herr von TU Jahren. Als ich 
ihn am 19. September 1912 sah, war er seit einem Monat krank. Er fühlte 
sieh schlecht, und er war sowohl für sich selbst, als wie für seine Umgebung 
nicht derjenige, der er sonst war. Sein Appetit, der sonst so gut war. war 
fast gänzlich verschwunden, und sein Stuhlgang, worüber er sonst auch nie zu 
klagen batte, war angehalten. Dabei hatte er dann und wann Schmerzen im 
Leibe. Die Temperatur war erhöht, wobei manchmal abends 39° erreicht 
wurden. Es waren aber einige Rhomdii gehört worden und das Fieber damit in 
Zusammenhang gebracht. 

In den letzten 'Pagen klagte Patient über Spannung und Aufget riebensein 
des Leibes speziell in der oberen Hälfte. Auf Lin laufe und Laxantien war 
aber immer Stuhl gekommen. Am vorigen Abend war Patient plötzlich sehr 
unwohl geworden, er kollabierte fast und erbrach grosse Mengen. Der Arzt 
konstatierte .dabei eine fühlbare Auftreibung in der Gegend des Colon trans¬ 
versum. In der Nacht wurden Einspritzungen mit Atropin gemacht und 
Klvsmata appliziert, aber ohne Erfolg. Am Morgen war das Bild eines Ileus 
komplett. 

Ich fand einen grossen, feiten Herrn mit ziemlich weichem, kleinem, 
frequentem Puls. Das Gesicht war etwas blass-eyanotisch und hatte mehr oder 
weniger den Ausdruck der Facies Hippoeratiea. 

Der Bauch war aufgetrieben und gespannt. Ls war aber deutlich zu 
fühlen, dass die Spannung in der Gegend oberhalb des Nabels intensiver war. 
als oberhalb der Symphyse und in der rechten Bauchhälfte, speziell in der 
Ileocoecalgegend stärker als in der linken Seite. Die Bauchdecken waren sehr 
fett, die Därme darum nicht leicht durehzufiihlon, aber es machte mir doch den 
Eindruck, dass ich eine sehr ausgedehnte Schlinge palpieren konnte. Es waren 
keine Darmbewegungen oder Darmgeräusche wahrzunchmen, kein Tumor oder 
Widerstand zu fühlen. Der Perknssionssehall war überall laut und voll-tvm- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kasuistisches und Technisches aus der Diekdarmehirurgie. 197 

panitisch: Loberdämpfung normal. Keine Dämpfung in den Seiten oder über 
der Symphyse. Per rectum nichts zu fühlen. 

Patient wurde in das Krankenhaus übergeführt. 

liier wurde versucht., mit elektrischen Kinhäufen Stuhl zu hekommen, aber 
Krfolg wurde damit nicht erzielt, im (icgenteil, es machte den Patienten übel, 
und er erbrach braune Massen, die aber nicht deutlich fäkal waren. 

Da in der Nacht schon ziemlich viel Medikamente appliziert waren, wurde 
beschlossen, nicht viel Zeit mehr zu vergeuden, da doch die Diagnose Ob- 
turationsileus wahrscheinlich durch Carcinnm des Colon descendens oder der 
Flexur ziemlich sicher war. 

Im Chloraethylrausch wurde darum eine Laparotomie gemacht am Aussen- 
rande des rechten Keeius. Ks wurde dabei feslgestelIt. dass das Coeeum. das 
Cnlon a>eemlens und transversum ad •maximum ausgedehnt waren, während 
die eingeführte Hand das Cohm descendens nur teilweise erreichen konnte; was 
aber gefühlt wurde, schien nicht aufgetrieben zu sein. 

Das vermutliche Careinom wurde nicht gefunden, aber das war 
bei dem grossen Kcltrciclitum des Hauches nichts Verwunderliches. Der All¬ 
gemeinzustand verbot aber zu lange Knchcircsen, weshalb am Colon ascendens 
eine Fistel angelegt wurde. 

Der Patient erholte sich rasch von diesem Kingriff, die Fistel funktionierte 
gut, so dass die Spannung des Leibes verschwand. 

Während der Rekonvaleszenz kam auch dann und wann Stuhl auf natür¬ 
lichem Wege: nach ejnem Kinlauf sogar in ziemlich grossen Massen. Fs kam 
dann die Frage auf, was nun zu machen sei. um den Patienten radikal zu heilen, 
lind da mir die Aehnliehkeit dieses Falles mit dem von 1907 sehr gross schien, 
fand ich es nicht angezeigt, nach dein vielleicht nicht einmal bestehenden 
( areinom zu suchen. Wir beschlossen die Darmfistel zu srhliessen. um dann 
abzuwarten, was weiter geschehen würde. Wäre eine Obiuralion wirklich vor¬ 
handen. dann würde sieh das in der gestörten Darmfunktion wohl bald zeigen. 

Am 29. Oktober 1912 wurde dann die Darmöffnung geschlossen. Dieses 
batte auf die Darmentleerung keinen nachteiligen Finfluss, sie geschah regel¬ 
mässig per \ias naturales, und das geschieht lös jetzt noch immer. 

Leider ist die Darmoffnung nicht ganz geschlossen; es hat sieh in der 
Wundecke eine kleine Fistel gebildet, woraus dann und wann etwas Darminhalt 
zum Vorschein kommt, aber das hat so wenig zu bedeuten, dass der Patient cs 
nicht der Mühe wert findet, daran etwas machen zu lassen. 

Kr fühlt sieh ganz wohl, ist wieder der Alte von früher und ist trotz 
seiner S2 Jahre sehr munter und lebensfroh. 

Der dritte Fall betrifft eine Dame von 7t> Jahren, die seit 1901 an 
Herzbeschwerden litt: sonst war sie nicht krank, speziell von seiten des Magen- 
tlarinkanals war nichts Abnormes zu bemerken. 

Ich sah sie am 1. Dezember 191.‘5. 

In der letzten Woche war der Magen nicht in Ordnung gewesen, Patientin 
batte keinen richtigen Appetit, und was sie zu sich nahm, gab ihr das Dcfiihl 
von Vollsein. Der Stuhl war regelmässig. 

Am Tage vor meiner I ntersuchung hatte sie über Hauchschmcr/cn zu 
klagen und erbrach. In der Nacht bekam sic heftige Krampte, die sich wehen¬ 
artig durch den Hauch zogen. Sic versuchte den Darm zu entleeren, auch 
mit Hilfe einer (Hyzerinspritze. alter ohne Krfolg. Der Hausarzt gab eine 
Atropininjektion und applizierte ein Seifenwasserlavement, aber weder Stuhl 
ii'ich Winde gingen ah. Die Krämpfe kamen mit regelmäßigen Intervallen 
zurück und waren sehr schmerzhaft. 

14* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY 0F IOWA 



198 


J. Schocmakcr, 


Digitized by 


Ich wurde in der Nacht, zur Konsultation gerufen. Es handelte sich um 
eine Dame, die auch für ihre 7Ü Jahre sehr alt aussah. Sie war sehr matt 
und müde und fühlte sich sehr angegriffen. 

Der Puls war regelmässig, aber sehr weich, 9(5. Die Herzdämpfung nach 
rechts verbreitert. An allen Oslicn war ein sehr scharfes, systolisches Geräusch 
zu hören. 

Der Hauch war ein wenig aufgetrieben, ln der linken Hälfte war er 
weich, in der rechten deutlich gespannt. Hier war eine stark ausgedehnte 
Darmschlinge, durch die dünnen Bauchdecken leicht zu fühlen und zu sehen, 
nach der Lage wahrscheinlich das Coecum lind Colon ascendens. 

Während der Untersuchung bekam Patientin einen Krampfanfall, während 
dessen eine Darmschlinge unterhalb des Nabels sichtbare Bewegungen machte. 
Das Rectum war leer; per vaginam war nichts zu fühlen. 

Da die Diagnose Obturationsilcus festst and, wurde Patientin ins Kranken¬ 
haus gebracht. 

Hier wurde sofort zur Operation geschritten. Im Chloräthylrausch wurde 
eine Inzision am Rande des rechten M. rectus gemacht. Das Coecum war ad 
maximum ausgedehnt, das Colon ascendens etwas weniger, das transversum 
nicht. An der Flexura hepatica coli wurde eine kleine Adhäsion mit dem 
Peritoneum parietale gefunden, die durchschnitten wurde, wobei aber festgestellt 
wurde, dass sic keine Knickung verursachte, und auch keinen Einfluss auf dir 
Darmfunktion ausüben könnte. Mit der eingeführten Hand wurde schnell das 
Colon verfolgt, aber kein Tumor, keine Stenose gefunden.^ 

Es wurde darum angenommen, dass wir es mit einem Fall von akuter Abmie 
zu tun hatten. Darum wurde keine Darmfistel angelegt, die später wieder ge¬ 
schlossen werden müsste, aber es wurde ein kleinfingerdickes Drainrohr ein¬ 
geführt, und die Sorosa nach der Art der Witzel’sehen Schrägfistel darüber 
vernäht. 

Als die das Drainrohr verschliessende Artcrienklemme abgenommen war, 
kamen viele Gase und dünne fäkale Flüssigkeit aus dem Drain, das ungefähr 
50 cm lang war, so dass der Inhalt in eine Flasche aufgefangen werden 
konnte. Das Coecum fiel jetzt als ein schlaffer Sack zusammen. Es wurde 
rings um den Drain an das Peritoneum parietale fixiert und die Wunde in 
Etagen vernäht. 

Den ganzen Tag über kam noch viel flüssiger Kot aus dem Drainrohr, die 
Ucbolkeit, der Schmerz und die Spannung des Leibes waren verschwunden. 
Patientin fühlte sich viel besser. 

Am dritten Tage kam Stuhl per vias naturales. Am vierten Tage wurde 
das Rohr probeweise mit einer Klemme verschlossen gehalten; es traten keine 
Beschwerden auf. Nach einem Einlauf gingen wieder Winde und etwas Stuhl 
per vias naturales ah. Da die Dickdarmfunklion wieder hcrgestellt schien, 
wurde am achten Tage das Drainrohr entfernt. Der Fistelkanal blieb trocken. 

Der Stuhlgang w ar von jetzt an regelmässig mit geringen Dosen Laxantien 
zu erzielen. 

Die kleine Wunde schloss sieh sehr schnell und Patientin hätte wohl 
2 Wochen nach der Operation entlassen werden können. Wegen äusserer Um¬ 
stände (Umzug), die Ermüdung des Herzens mit sieh bringen könnten, ist sic 
noch bis 15. Januar 1914 im Krankenhaus geblieben, w r as aber nichts zur 
Sache tut.* 

Jetzt, also IS Monate nach der Operation, ist die Funktion des Darmes 
noch immer normal, so dass Patientin in dieser Beziehung als ganz hergesicllt 
betrachtet werden kann. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



199 


kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmehirurgic. 

Resümieren wir, dann können wir sagen, dass wir es zu tun 
hatten mit drei Patienten, die alle das 75. Lebensjahr schon über¬ 
schritten hatten, und die mehr oder weniger akut die Erscheinungen 
eines Obturationsileus darboten, während bei der Operation von 
einem Hindernis nichts gefunden wurde. 

Bei zwei hat der weitere Verlauf bewiesen, dass die Funktion 
wieder ganz normal sein konnte. 

Da nun bei allen drei ein Teil des Colon ad maximum aus¬ 
gedehnt war, nicht durch Kotmassen, die als mechanisches Hin¬ 
dernis hätten wirken können, sondern durch Gas und Hüssigen 
Kot, muss der Ileus als ein dynamischer aufgefasst werden. 

Sieht man nun die deutsche Literatur auf diesem Gebiete 
nach, dann findet man wenig, was auf diese Fälle passt. 

Im Handbuch der Praktischen Chirurgie wird der Ileus ein- 
«reteilt in einen dynamischen und einen mechanischen Ileus. In 
dem Kapitel über die Pathologie findet man dann Folgendes: 

„1. Der dynamische Ileus. Hier handelt es sich stets 
um die Lähmung einer Darmstrecke von kleinerem oder grösserem 
Umfang. Nicht alle wirklichen oder scheinbaren Darmlähmungen 
führen zum Ileus, zumal sie dann oft nur einen schnell vorüber¬ 
gehenden Zustand darstellen. Die reflektorische, durch die Bahnen 
des N. splanchnicus vermittelte Darmlähmung, wie sie z. B. nach 
Einklemraungen eines Hodens im Leistenkanal, nach Kontusionen 
des Hodens oder des Abdomens, nach Operationen von Hämor¬ 
rhoidalknoten Vorkommen kann, braucht deshalb hier nicht berück¬ 
sichtigt zu werden. Auch das Bild des Darmverschlusses infolge 
von Paralyse im Verlaufe der Hysterie gehört nicht zum Kapitel 
des dynamischen Ileus und ist leicht von diesem zu unterscheiden. 
Mitunter wird dagegen Ileus hervorgerufen durch Circulations- 
störungen, wie sie z. ß. nach ausgedehnten Operationen am Me¬ 
senterium nach Reposition eingeklemmter Hernien, namentlich 
grosser Leistenhernien, vereinzelt auch nach Embolie der Arteria 
mesaraica beobachtet wurden. Noch viel seltener sind die Fälle, 
wo nach anatomischen Erkrankungen des Centralnervensystems 
durch Lähmung der Bauchpresse die Defäkation so weit erschwert 
wurde, dass durch zunehmende Kotstauung im Colon Hyperexten¬ 
sion und Lähmung derselben hervorgerufen wurde, die zum Ileus 
führte. Nach Nothnagel kann ferner eine Paralyse des Darmes 
Vorkommen infolge von Ueberdehnung, wie sie bei übermässiger 
Gasanhäufung möglich ist. Auch scheint es eine Darmparalyse 
zu geben, welche als Folge von bakteriellen Giften aufgefasst 
werden muss, ohne dass anatomische Zeichen einer Peritonitis auf- 
treten. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



200 


J. Scline in ak er. 


Digitized by 


Weitaus die wichtigste Holle spielt die Peritonitis, und zwar 
im akuten Stadium usw.“ 

In dem Kapitel über die Therapie wird nur die Behandlung 
des Ileus bei Peritonitis sowohl der diffusen als der circumscripten 
besprochen, von den übrigen Formen des dynamischen Ileus heisst 
es nur: „Wo ileusähnliche Erscheinungen im Verlauf der Hysterie, 
Koprostase, Rückenmarkserkrankungen usw. auftreten, wird die 
Diagnose selten grosse Schwierigkeiten bereiten. Die Therapie 
dieser Fälle gehört ganz in das Gebiet der internen 
Medizin.“ 

De Quervain behandelt in den Ergebnissen der Chirurgie 
und Orthopädie, Bd. 4, unter dem Titel: „Die operative Behand¬ 
lung chronisch entzündlicher Veränderungen und schwerer Funk¬ 
tionsstörungen des Dickdarmes“ nur die chronisch verlaufen¬ 
den Fälle. Die unter dem Bilde eines schweren Ileus auftretenden 
akuten Funktionsstörungen werden nicht berücksichtigt. 

Auch Crämer, der 1906 eine Monographie über „Darm- 
atonie“ publiziert hat, nennt die perakuten nicht. 

Dasselbe ist der Fall mit Hedem (Ueber partielle Darm- 
atonie, Wiener med. Wochenschr., 1904), Fischler (Die Tvphlatonie 
— Dilatatio coeci — als selbständiges Krankheitsbild, Mitteil. a. 
d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir., 1904, Bd. 20) und Hofm eister 
(Feber Typhlektasie, chron. Perityphlitis, Coecum mobile, Beitr. z. 
klin. Chir., Bd. 71, H. 3). 

Auch in der englischen oder amerikanischen Literatur konnte 
ich nichts auffinden. 

In Mummery (Diseases of the colon, Bristol 1910) oder 
Lynch (Diseases of the rectum and colon, Philadelphia and New 
York 1914) werden diese Zustände nicht erwähnt. 

Ganz anders bei den Franzosen: Wie Hartmann mir persön¬ 
lich mitteilte, wurde ein akuter atonischer Ileus in Frankreich als 
etwas so ganz Gewöhnliches betrachtet, dass man darüber nicht 
mehr schrieb. Trotzdem konnte ich im Handbuch von Le Dentu 
und Del bet nur diesen Satz darüber auffinden: „In dieser Klasse 
(namentlich der pseudoetranglements) muss man auch den para¬ 
lytischen Ileus der alten Leute unterbringen, eine wahre Trägheit 
des Darmes, die jede Entleerung der Sterkoralmassen unmöglich 
macht.“ 

Lejars behandelt sie in seinem Traite de Chirurgie d urgence 
unter dem Namen Pseudoocclusions (S. 453). 

Er beschreibt drei Fälle. 

Der erste betrifft einen Mann von 39 .Jahren, der in einem elenden Zu¬ 
stand in dir Klinik gebracht wurde. Seit 4N Stunden war kein Stuhl gekommen 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kasuistisches und Technisches aus der Diekdarmchimrgie. 


201 


und waren auch keine Winde mehr abgegangen, er erbrach fdtide, schwarze 
Massen, der Hauch war sehr aufgetrieben, speziell oberhalb des Nabels, die 
Schmerzen waren sehr lieftig, das Gesicht eingefallen, der Puls frequent und 
sehr klein: also alle Zeichen einer sehr ernsten akuten Darmokklusion. So war 
auch Lejars' Diagnose. Es wurde erst noch ein elektrischer Einlauf appliziert. 
Dadurch kam es zu einigen schmerzhaften Kontraktionen des Darmes, weiter 
nichts. Es war also keine Zeit mehr zu verlieren: der Bauch wurde oberhalb 
des Xabels geöffnet, da hier der Meteorismus am deutlichsten war und sofort 
drängte sich aus der Wunde ein Colon transversum von monströsem Volumen. 
Es wurde mit einer Kompresse beiseite gehalten, um Platz zu haben die 
Bauchhöhle zu explorieren. Das Colon descendens und die Flcxur waren eben¬ 
falls aufgetrieben. Es fand sich aber nirgends eine Spur von einem Strang 
oder Tumor oder Abknickung oder sonstigem Hindernis, der Dickdarm diktiert 
und atoniseh über seine ganze Länge. 

Was war zu machen? Den Bauch einfach zumachen, wäre unvorsichtig 
gewesen. Lejars machte darum eine kleine Entcrostomie auf das Colon trans- 
u*rsum. Sobald der Darm an die Bauchhöhle fixiert und incidiert war, strömte 
eine gewaltige Menge (las mit dünnen gelben Fäkalmassen aus der Oeffnung 
hervor. 

Nach einigen Tagen ging der Stuhl per vias naturales ab: der Kranke 
gmias und zwei Monate später wurde die kleine Darmöffnung geschlossen. 

Der zweite Fall war eine Frau von 40 .Jahren, die von der internen 
Abteilung geschickt wurde mit fäkalem Erbrechen, gleiehmässig aufgetriebenem 
Leih, kleinem Puls und augenscheinlich vorgeschrittener Intoxikation. Sofort 
wird die Laparotomie gemacht. Lejars fand den Darm ein wenig gerötet, 
etwas seröse Flüssigkeit im Bauch, aber auch diesmal wieder keine Spur von 
mechanischem Verschluss. Eine Darmschlinge wird vor die Wunde gezogen, 
und bleibt aussen liegen, gehalten durch eine Sonde, die durch das Mesenterium 
geführt war: also der erste Akt des Anus nach May dl. Wenn später die be¬ 
drohlichen Erscheinungen nicht aufhörten, wollte man sic zu Ende führen. Am 
seihen Abend aber kam der Stuhl spontan: es war eine richtige Explosion von 
flüssigen Massen, ohne Brockel, ohne festere Teile, so wie man das findet nach 
uirklichen Obstruktionen. 

Der dritte Fall scheint mir nicht ganz einwandfrei. Nach 
der Beschreibung, die Lejars von dem Bauchinhalt gibt, macht es 
mir den Eindruck, dass man auch mit einer Pankretitis zu tun 
haben könnte. 

Wie dem aber sei, der akute atonische Ileus ist ein Zustand, 
mit dem man zu rechnen hat. Ich glaube, dass es in der Lite¬ 
ratur nicht genügend geschieht, denn die praktische Bedeutung ist 
gross genug. 

Ich habe mit meinen Fällen Lehrgeld bezahlen müssen. Wäre 
mir beim ersten Fall die akute Colondilatation besser bekannt 
gewesen, dann hätte ich bei der zweiten Operation nicht immer 
weiter gesucht nach einem Hindernis, das nicht zu finden war, 
weil es nicht bestand. Es hätte bei einer kleinen Explorariv- 
operatioo bleiben können, die meinen Patienten wahrscheinlich nicht 
geschadet hätte. 


Digitized by Google 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



202 


«I. Sehoemaker, 


Digitized by 


Bei dem zweiten Fall war ich schon belehrt und bei dem 
dritten habe ich die richtige Therapie angewandt, nämlich die 
Drainage des dilatierten Colons mit einem ziemlich dünnen Drain. 

Da der Inhalt nur aus Gas und dünnflüssigem Kot besteht, 
kann man mit einem Nelaton-Katheter von etwa Nr. 24 
Charriere eine genügende Drainage erreichen, und nötigenfalls den 
Darm wie einen dilatierten Magen oder eine Harnblase spülen. 
Wird der Darminhalt wieder fester, dann ist auch der Ileus vor¬ 
bei und umgekehrt, und hat das Drainsohr seine Pflicht erfüllt. 
Man kann es dann aus Vorsicht noch ein paar Tage liegen 
lassen um eventueller Gasspannung vorzubeugen, wenn aber der 
Stuhl regelmässig per vias naturales abgeht, kann man es heraus¬ 
ziehen und die Fistel schliesst sich von selbst. 

Man könnte nun einwenden, dass eine Operation nicht einmal 
notwendig sei, da es jetzt nicht an Mitteln mangelte um die 
Darmfunktion wieder in Gang zu setzen. Das ist richtig. Wenn 
man mit dem akuten atonischen Ileus rechnet, muss man an¬ 
fangen mit Darmspülungen, elektrischen Klysmata, Injektionen von 
Physostigmin Atropin, Hormonal, Peristaltin, Sennatin, usw., aber 
es wäre Unsinn die richtige Zeit für eine Laparotomie damit Vor¬ 
beigehen zu lassen, denn eine wirkliche Diagnose kann man nie 
stellen. 

Wenn ich mit dieser Mitteilung bewirken könnte, dass ein 
Patient mit einem echten Obturationsileus länger als wünschens¬ 
wert war mit internen Mitteln behandelt würde, dann wäre es 
besser, dass sie nicht geschrieben wäre. 

Die Sache steht so: wir halten daran fest, dass bei dem 
Symptomen eines Obturationsileus auch in 99 pCt. der Fälle eine 
Obturation besteht, aber dass wir bei der Laparotomie, die zu 
gleicher Zeit dazu dienen muss, um eine Darmfistel anzulegen und 
den Sitz der Obturation festzustellen, auch an diese akute ato- 
nische Zustände denken müssen um danach unser Handeln so 
zweckmässig als möglich zu gestalten. 

B. lieber zwei Fülle von Perforation einer Appendix epiploiea. 

So ausgedrückt ist diese Ueberschrift natürlich Unsinn, denn 
da eine Appendix epiploica kein Lumen hat, kann sie auch nicht 
perforieren. In den Fällen, die ich beobachtet habe, war aber in 
der Appendix ein mit Darmschleimhaut bekleidetes Lumen ent¬ 
standen, es handelte sich also um eine Divertikelbildung in die 
Appendix. 

Der erste Fall betrifft einen Herrn von 52 .1 ähren. Kr hatte nie an be¬ 
sonderen Beschwerden seitens seiner Baurhnrgane gelitten, ln der Nacht vom 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgie. 


203 


15. Juli 1908 erwachte er mit Schmerzen im Bauch, die allmählich Zunahmen. 
Am Morgen waren sie sehr heftig. Patient erbrach. Da der Allgemeinzustand 
ein sehr bedrohlicher war, liess der Hausarzt den Patient sofort in das Kranken¬ 
haus überführen. 

Ich fand einen grossen, sehr fetten Herrn mit einer typischen Facies 
Hippocratiea. Der Puls war sehr weich und frequent, Temperatur 38,7°. 
Patient fühlte sieh übel und gespannt und hatte das (iefiihl, dass es ihm wohl 
tun würde, wenn er etwas entleeren könnte, aber weder Winde noch Stuhl 
konnten gelassen werden. Der Bauch war sehr aufgetrieben, aber nach Mit¬ 
teilung des Patienten war er immer ziemlich gross. Bei Betastung war er 
überall etwas schmerzhaft, aber besonders in dem linken unteren Quadranten. 
Hier in der Gegend zwischen Nabel und linkem Ligamentum Poupartii war 
der Schmerz ausgesprochen viel heftiger als über den übrigen Teilen des 
Bauches, sowohl beim Eindringen in die Tiefe als beim plötzlichen Zurück¬ 
ziehen der Hand. Der linke M. rectus war vielleicht etwas mein* gespannt als 
der rechte, aber deutlich war der Unterschied nicht, da die Bauchdeeken alle 
mehr oder weniger gespannt waren, ln der llcoeocealgegend war bestimmt 
wenig Schmerzhaftigkeit zu konstatieren. 

Objektiv war weiter nichts Abnormes zu finden, aber es wäre auch nicht 
leicht gewesen etwas durch die dicke, fette, dazu noch gespannte Bauchhaut zu 
fühlen. 

Bei der Perkussion überall gedämpft-tympanitiseher Ton. Leberdämpfung 
normal. Keine Flüssigkeit nachzuweisen. 


Fig. 1. 



Per rectum: leerer offenstehender Darm: die Pliea Douglasii ausserordent¬ 
lich schmerzhaft bei Berührung, sie wölbte sich aber nicht vor. Die Diagnose 
wurde gestellt auf umschriebene Peritonitis, wahrscheinlich nach der Perfora¬ 
tion einer abnorm nach links liegenden Appendix vermicularis. Narkose, 
Schnitt in der Medianlinie vom Nabel bis zur Symphyse. Die vorliegenden 
Dünndarmschlingen waren sehr rot. Beim Zurückschieben kam aus dem kleinen 
Becken grauer stinkender dünner Eiter. Er wurde mit Mullstücken ausgetupft. 
Uoecum und Appendix, die an normaler Stellung lagen, wurden vorgezogen. 
Die Appendix war absolut normal und beteiligte sich nicht an der Entzün¬ 
dung. Die tastende Hand fand aber in dem kleinen Becken sofort die Ursache 
der Peritonitis. Den Dickdarm von der Elexur in der Richtung des Becken¬ 
bodens verfolgend, kam man nämlich an eine Stelle, wo etwas Hartes, Tumor- 
artiges zu fühlen war. ohne dass es sofort festzustellen war, wie es mit dem Darm 
zusammenhing. Nachdem nun die Flcxur beweglicher gemacht war, konnte sie 
an die Wunde gebracht werden und es zeigte sich, dass der Tumor durch das 
Loslösen kleiner geworden war, wie das so oft mit: Entzündungsturnoren der Fall 
ist. und dass sie nunmehr noch aus drei zusammengeklebten Appendiers epi- 
ploicae bestand. Sie waren alle drei im Zustande der Entzündung, aber eine 
fiel auf durch ihre besondere Röte. Beim genaueren Nachsehen ergab sich, 
dass ungefähr 2 em von ihrer Basis eine feine Oeffnung zu finden war, die sich 


Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



204 


.1. Schoemaker. 


Digitized by 


sondieren licss. Die Sonde kam dabei in das Lumen des Darmes. Die Basis 
der Appendix wurde Umschnitten und die Appendix amputiert. 

Im Cent rum der kleinen Wunde war die geöffnete Darmsehleimhaut zu 
sehen. Doppelte Darmnaht. Dickes Drain in Douglas über der Symphyse nach 
aussen geleitet. Bauchnaht. Unerwartete schnelle Heilung. 

Bei der Untersuchung ergibt es sieh, dass durch eine Appendix epiploiea 
ein mit Darmsehleimhaut bekleideter Kanal läuft, so dass die Verhältnisse in 
situ wie in vorstehender Abbildung (Big. 1) gewesen sein müssen. 

Der zwei t e Patient betrifft ebenfalls einen älteren Herrn von 59 Jahren. 
Kr hatte nie über Beschwerden seitens seiner Bauehnrgane geklagt. 

Am Mittag des 12. März 1914 bekam er auf einem Spaziergang plötzlich 
heftige Schmerzen im Leib, die ihn zwangen nach Hause zu gehen. Er fühlte 
sieh so angegriffen, dass er sich zu Bette legen musste. Sein Arzt, der ihn 
zwei Stunden später sah. konnte keine bestimmte Diagnose machen, dachte an 
einen Appendiritisanfall. fand aber dafür in der Ileocoekalgegend keine An¬ 
zeichen. Als er l l o Stunden später zurückkam, machte der Allgemeinzustand 
ihm einen sehr ernste» Eindruck, weshalb er mich bat den Patienten mit ihm 
zu sehen. Patient hatte inzwischen gebrochen. — Ich sali ihn Abends 10 Uhr. 
ungefähr sieben Stunden nach dem Einsetzen der Krankheit. Ganz genau war 
diese Zeit nicht anzugeben, da der Schmerz nicht wie bei einer Magenperfo- 
ralion urplötzlich aufgetreten war. sondern mehr allmählich, so dass er inner¬ 
halb 1 bis 1 1 2 Stunden sein Maximum erreicht hatte. 

Der Sehmerz war anfangs über den ganzen Leib verbreitet gewesen, bei 
der Untersuchung fühlte Patient ihn hauptsächlich links unten. Patient war 
»lässig cyanotiseh. Der Gesichtsausdruck nicht typisch für ein akutes Bauch- 
leiden. 

Der Puls war ziemlich weich und klein. 110. Der Thorax war kurz und 
breit, es bestanden Zeichen von Emphysema pulmonum und chronischer Bron¬ 
chitis. Der Bauch war aufgetrieben, die Bauehdccken waren etwas gespannt, 
es bestand aber keine typische «Defense museulairc". Bei Betastung war der 
ganze Bauch mehr oder weniger schmerzhaft ; trotzdem konnte die Hand überall 
noch etwas eindringen. ausgenommen oberhalb des linken Poupartschen 
Bandes, ln dieser Gegend wurde der Druck der Finger, nach Angabe des 
Patienten, viel schmerzhafter empfunden als über den anderen Teilen. Auch 
rief das plötzliche Zuriiekziehen der Hand nur hier sehr deutliche Schmerzen hervor. 

Die Perkussion ergab nichts Abnormes. Die Leberdämpfung war normal 
gross und an normaler Stelle: über den übrigen Teilen des Leibes voller tym- 
panitiseher Schall. . Oberhalb des linken Ligamentum Poupartii könnte man 
darüber im Zweifel sein, ob da nicht eine undeutliche Dämpfung zu perkutieren 
wäre, aber das könnte durch etwas vermehrte Spannung der Muskeln hervor¬ 
gerufen sein. 

Bei der Untersuchung des lleetums wurde der Darm leer gefunden und 
etwas offen stehend und die Plica Douglasii war sehr schmerzhaft bei Be¬ 
rührung. 

Alles in allem fanden wir die Zeichen einer umschriebenen Peritonitis in 
der unteren Bauehhälfte, wahrscheinlich verursacht durch die Perforation einer 
weit nach links liegenden Appendix oder der Flexur. 

Patient wurde in das Städtische Krankenhaus gebracht und sofort operiert. 

Laparotomie in der Mittellinie zwischen Nabel und Symphyse. Bei der 
Eröffnung des Peritoneums strömte trübe, gelbe Flüssigkeit heraus, beim Zurück¬ 
drängen der geröteten Darmsehlingen kam dünner Eiter aus dem kleinen 
Becken. Die Appendix war ganz normal, sie konnte gewiss die Ursache der 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



205 


Kasuistisches und Technisches aus der Diekdarmehirurgie. 


Eiterung nicht sein. An der Flcxur befanden sicli zahhvidie Apjiendiees epi- 
ploieae. Viele waren mehr oder weniger gerötet, eine aber fiel durch ihre be¬ 
sondere Röte auf und fühlte sieh auch etwas gespannt und geschwollen an. 
Eine Perforation war nicht sofort zu sehen, aber mit einer dünnen Sonde wurde 
nicht weit von der Spitze eine feine Oeffnung entdeckt. Die Sonde liess sich 
liier einführen und konnte bis in den Darm vorgeschoben werden. Damit war 
der Perforationskanal angczeigl. 

Die Appendix epiploiea wurde an der Basis Umschnitten und reseziert, 
dabei kam die Darmschleimhaut zu Gesicht. Es war aber nur eine kleine 
Oeffnung. Zweireihige Naht. Das Cavum Douglasii wurde ausgetupfi. Dicker 
Drain oberhalb der Symphyse. Bauchnaht in Etagen (Entgilt). 

Der Verlauf war durch drohende Lungenkomplikationen etwas erschwert, 
v<*n Seiten der Bauchorgane sehr glatt. 

Patient konnte 4 Wochen nach der Operation geheilt entlassen werden. 

Wir hatten es also zu tun mit zwei Fällen von Divertikel¬ 
perforation durch eine Appendix epiploiea, die verhältnismässig 
selten ist, mit deren Auftreten man aber rechnen muss, will man 
von seiner Operation einen Erfolg erwarten. 

Kurz gefasst verliefen beide Fälle so: Es entwickelte sich 
ziemlich rasch das Symptomenbild einer umschriebenen Peritonitis, 
die zweifelsohne als die Folge einer Appendicitis betrachtet worden 
wäre, wenn die Erscheinungen sich an der rechten Seite des Bauchs 
gezeigt hätten. Alles aber, was wir bei der Appendicitis in der 
Gegend des Mc Burney ? schen Punktes antreffen, fanden wir hier 
am äusseren Rande des linken M. reetus abdominis. 

Eine sichere Diagnose wurde nicht gestellt, aber die Indi¬ 
kation zur Operation war durch die Zeichen der Peritonitis 
gegeben. 

Bei der ersten Operation kam der Gedanke an eine Diver- 
likelperforation erst auf, als die zusammengelötete, ziemlich feste 
.Masse von drei entzündeten Appendices epiploicae gefühlt wurde, 
bei der zweiten wurde die Wahrscheinlichkeitsdiagnose einer Diver¬ 
tikelperforation schon von Anfang an mit in den Gesichtskreis ge¬ 
zogen. Das hat die Operation sehr vereinfacht, denn nachdem 
festgestellt war, dass die Peritonitis nur die untere Hälfte des 
Bauches einnahm, die Appendix vermiformis gesund war und 
am Dickdarm sich keine Divertikel zeigten, wurden die Appendices 
epiploicae systematisch und dadurch rasch nachgesehen. Da nun 
an einer deutliche Zeichen von heftiger Entzündung bestanden, 
wurde als fest angenommen, dass diese einen Perforationskanal 
beherbergen musste, und dieser wurde dann auch mittels einer 
feinen Sonde gefunden. 

Wäre ich durch die erste Operation nicht so gut belehrt ge¬ 
wesen, dann hätte ich bei diesem Eingriff die wahre Ursache der 
Periionitis gewiss nicht so rasch, vielleicht gar nicht entdeckt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



206 


J. Sohoemaker, 


Digitized by 


Ich meine also, dass es Zweck hat auf diese Ursache der 
Perforationsperitonitis hinzuweisen. 

Die Prognose der Divertikelperforation scheint eine sehr 
schlechte zu sein. Eisenberg (Beitr. z. klin. Chirurgie, Bd. 83, H. 3) 
fand in der Literatur 17 Perforationen in die freie Bauchhöhle 
verzeichnet. „Die in solcher Weise entstandenen Peritonitiden 
sind sämtlich tödlich verlaufen.“ 

Ich fand noch drei weitere Fälle, von denen einer geheilt ist. 

Taylor und Lakin (Perforative peritonitis originating in 
pouches of the large intestine. Lancet 1910. S. 495) beschreiben 
2 Fälle: 

1. TOjiiiu*. Mann. Plötzliches Auftreten von Leihschmerzen, Stuhlver- 
hallung. Erbrechen. Spitalaufnahme erst S Tajo* nach Beginn der Erkrankung: 
hochgradige Peritonitis. Opcralinnshcfund: Peritonitis, in der Eingebung des 
Colon ascendens und Cöcums dicker Eiter. S Komanum mit Divertikeln besetzt. 
Resektion des Proe. vermiformis. Drainage. Exitus. Autopsie ergab zahlreiche 
Divertikel in der ganzen Länge des Dicktiarms. Speziell im Bereich der Flexur. 
Sie standen in Konnex mit den Appendieejs epiploieae. Ein Diver¬ 
tikel im Colon asc. o 1 2 Zoll oherhalh des Cöcums war perforiert. 

2. 57jähr. Mann. Plötzlicher Beginn, hochgradige Druckempfindlielikeil in 
der linken Seitr. Leberdämpfung normal. Operation: lm Bereich Oos S Ivoma- 
num ein perforiertes Divertikel in Verbindung mit einer Appendix epi- 
plniea. Entfernung des Divertikels. Weitere Divertikel, die entlang einer 
Tänie sassen. wurden im Colon descemlens und eines im Colon ascendens ge¬ 
funden: sie hatten Beziehungen zu den Appendiecs epiploieae. Drainage. 
II e i I u n li . 

Bauer und Spovale (Ein Fall von perforierter Diverticulitis 
der Flexura sigmoidea. Hygiea 1911. S. 1000) behandelten einen 

Mann von 52 Jahren, der ohne vorhergehende Digestionsstörungen an akuten 
Baurhsymptomen erkrankte. Operation am folgenden Tag (mit Verdacht auf 
Blinddarmentzündung) ergab nur, dass es sich um eine wesentlich um die 
Elexura sigmoidea herum angesammelte Eitermenge handelte. Cöeostomie. Tod 
nach einem Tagt». Bei der Sektion fand man ganze Bedien von falschen Diver¬ 
tikeln. Ein Divertikel enthielt kleine feste Fäkalmassen und /.einte deutliche 
entzündliche Erscheinungen; am meisten peripher fand sieh eine kleine Per¬ 
foration nach der Bauchhöhle. Keine andere Crsache für die Peritonitis war zu 
finden. 

Wie meine Fälle und auch der Fall 2 von Taylor und 
Lakin zu beweisen scheinen, ist die Perforation durch eine Appen¬ 
dix epiploica weniger gefährlich. Wahrscheinlich ist dabei der 
Weg länger und schmäler und passiert dadurch der Dickdarm¬ 
inhalt viel schwieriger. Trotzdem ist ein Patient von Eisen¬ 
draht (Journal of the American Med. Assoc. 1908, S. 545) aus der 
Statistik von Eisenberg an diffuser Peritonitis in Folge von Per¬ 
foration eines Divertikels in eine Appendix epiploica zu Grunde 
gegangen. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgic. 


207 


Eine Gefahr liegt darin, dass gerade wegen der Feinheit des 
Kanals, dieses nicht gefunden und damit die Ursache der Peritoni¬ 
tis nicht entdeckt wird. Es ist dann von praktischer Bedeutung 
bei den Zeichen einer Perforationsperitonitis, die sich hauptsäch¬ 
lich in der linken Bauchhälfte manifestieren, auch an eine Diver¬ 
tikelperforation zu denken, und während der Laparotomie auch 
die Appendices epiploicae nachzusehen. 

C. Zur Technik der Dickdarmresektion. 

Die Operationen am Dickdarm stehen in einem schlechteren 
Ruf als die am Dünndarm oder am Magen. Und das mit Recht. 
Während der Dünndarm meistens von selbst schon leer ist, und 
wir den Magen leer machen können, ist das mit dem Dickdarm 
nicht der Fall. Wir können süplen und laxieren so viel wir 
wollen, wenn wir nachher den Darm aufmachen, finden wir in den 
Falten immer noch Kotreste. Bei einer Resektion hat es seine 
Schwierigkeiten die Umgebung oder unsere Hände und Instrumente 
vor Beschmutzung damit zu schützen, und eine ungeschickte Be¬ 
wegung mit einem Tupfer kann die Gefahr einer Peritonitis mit 
sich bringen. Auch wenn wir mehrzeitig operieren, was in 
Fällen von akutem Ileus wohl ein Jeder tut, bleibt die Gefahr be¬ 
stehen. 

Ich glaube darum, dass man der Idee von Lanz (Beitr. z. klin. 
Chiurgie, Bd. 30, H. 3) und Rostovvzew (dieses Archiv ßd. 82), 
den Dickdarm zu resezieren ohne dass man bei offenem 
Lumen arbeitet, beipflichten muss. Trotzdem nun Moszkowicz 
idieses Archiv Bd. 91) die Technik entwickelt hat, scheint sie mir 
doch kein Allgemeingut der Chirurgen geworden zu sein. Das hat, 
glaube ich, zwei Ursachen. Erstens gebraucht Moszkowicz noch 
ein spezielles, wenn auch sehr vereinfachtes Instrumentarium, und 
zweitens ist es bei seiner Methode nicht möglich bei der inneren 
Naht die Mucosa, die Muscularis und die Serosa alle drei sichtbar 
mit der Nadel zu fassen. Wenigstens das waren für mich die 
Gründe, um seiner Methode nicht zu folgen. 

Ich gehe auf etwas andere Weise vor. 

Wenn ich mit einem Obttirationsileus zu tun habe, mache ich 
unter Lokalanästhesie eine Laparotomie. Ist der Bauch geöffnet, 
dann wird ein Chloraethylrausch, wenn nötig Chloraethylnarkose 
eingeleitet und ich untersuche mit der eingeführten Hand (wenn 
der Gummihandschuh mit etwas Seifenspiritus befeuchtet wird, 
dann gleitet man durch eine verhältnismässig kleine Oeffnung 
hinein) den Bauchinhalt, um den Sitz des Tumors festzustellen. 
Ist das geschehen, dann wird eine Fistula stercoralis angelegt 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 




Schocmaker 


meistens am Colon aseendens. Dann folgt in einer zweiten Sitzun 
die eigentliche Resektion. 


Habe ich dazu den Tumor genügend frei gemacht, so dass er 
die Wunde gebracht werden kann, dann wird an der Stelle, 
der Darm oberhalb des Tumors durchschnitten werden soll. 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 


Digitized by 



Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmchirurgie. 209 

das Mesocolon unterbunden und perforiert. Nun wird hier der 
Darm ein geschnitten bis auf die Submucosa, und die 
Muscularis-Serosa mit dem Messer zurückgeschoben, bis 
wir einen Mucosaschlauch von ungefähr 1 cm haben. 

Hierauf werden nun zwei schlanke Klemmen gesetzt (siehe 
Big. 2) und zwischen beide der Darm durchtrennt. Das Durch- 


Kig. 3. 



schneiden wird aber so gemacht, dass das Messer mit seiner 
Schneide fest gegen die proximale Klemme gedrückt wird, und da¬ 
durch die Mucose so hart an der Klemme durchschnitten wird, 
dass an der Klemme keine Spur von Mucosa hängen bleibt. Man 
kann diesen Akt auch mit dem Thermokauter machen. 


Digitized by Gougle 


Original frum 

UNIVERSUM OF IOWA 




Digitized by 


210 J. Schoemakcr, 

Nun wird das Mesocolon unterbunden bis man an die Stelle 
gelangt ist, wo der Darm zum zweiten Male durchschnitten werden 


Fig. 4. 



muss. Auch hier wird der Darm wieder eingeschnitten bis auf 
die Submucosa und die Muscularis-Serosa zurückgeschoben. Zwei 
Klemmen werden wieder auf den Mucosaschlauch gesetzt (siehe 


Go igle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 






Kasuistisches und Technisches aus der Dickdarmehirunric. 


211 


Fig. 3) und die Mucosa wird hart an der einen durchschnitten, 
aber jetzt natürlich an der distalen, so dass auch hier wieder keine 
Mueosafetzen an der Klemme hängen bleiben. 

Der Darm ist nun reseziert, es folgt die Naht. Dazu werden 
die beiden Klemmen, welche die Darmenden verschliessen, an 
einander gelegt, wie das auf Fig. 4 zu sehen ist. 

Auf diesem Bilde liegen schon zwei Fäden der vorderen Naht, 
dabei muss man sich vorstellen, dass die hintere Naht schon fertig 
war. Es war aber sehr schwierig sie zu zeichnen, sie anzulegen ist 
viel einfacher. Man dreht dazu die Klemmen, welche nebeneinander 
liegen, um ihre eigene Achse, diejenige, welche man in die rechte 
Hand nimmt, nach rechts (in der Richtung des Uhrzeigers), die 
andere in der umgekehrten Richtung. Dadurch präsentiert sich 
die hintere Fläche des Darmes. Man kann nun hier eine doppel¬ 
reihige Kopfnaht anlegen: erst Serosa-Serosanaht und dann Mucosa- 
Muscularis-Serosanaht oder nur die letztere, die innere Naht legen 
um die Serosanaht für den allerletzten Akt zu bewahren. Es 
wird dann in die Submucosa, die man neben der Klemme sehen 
kann, eingestochen und die Nadel durch Mucosa Muscularis und 
Serosa geführt; an der anderen Seite auch durch die drei Schichten, 
aber natürlich in umgekehrter Reihenfolge. Der Faden wird ge¬ 
knotet und ganz kurz abgeschnitten. 

Hat man so viele Fäden gelegt, dass die hintere Naht fertig 
gestellt ist, dann dreht man die beiden Klemmen zurück, so dass 
sie zu liegen kommen wie das auf Fig. 4 zu sehen ist. Nun wird 
die vordere Naht angelegt, bei den Spitzen der Klemmen anfangend, 
und in der Richtung der Schlösser weitergehend, bis die Klemmen 
ganz eingeschlossen sind. Der letzte Faden wird über den Klemmen 
lose geknotet und während nun der Assistent die Klemmen löst und 
abnimmt, schnürt der Operateur den Knoten zu und die innere 
Naht ist ringsum fertig, ohne dass man die Muscosa zu Gesicht 
bekommen hat. Es folgt natürlich dann noch die Serosanaht, tvelche 
man ringsum als fortlaufende Naht anlegen kann. 

Auf diese Art und Weise ist die Darmnaht angelegt worden, 
ohne dass während des Anlegens dieser Naht das Lumen geöffnet 
war, und die drei Schichten des Darmes konnten vor dem Auge 
sichtbar mit der Nadel durchstochen werden. 

Die Technik ist leicht. Das Einschneiden bis auf die Sub¬ 
mucosa ist viel leichter als man sich das vielleicht vorstellt und 
das Instrumentarium ist das denkbar einfachste. 

Meine ersten Versuche habe ich mit schlanken Kocher’schen 
Arterienpincetten gemacht, aber leider ging das nicht. Die Pin- 
cettcn hielten nicht auf dem Mucosaschlauch, als ich die Mucosa 

Archiv für klin. Chirurg!e. Bd. 107. Hoft '2 ir 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



212 


.1. Sclioeinaker, Aus der Dickdarmchiruririe. 


Digitized by 


hart an der Pincette abrasierte. Sie glitten dann regelmässig ab. 
Anfangs dachte ich, dass ich die Mueosa durchquetschte. Ich liess 
dann einen kleinen Halt machen, so dass beim Verschliessen der 
Klemme zwischen den Branchen immer noch Raum für ein Papier¬ 
blatt übrig blieb. Das half aber nicht. Andere Formen gaben 
auch kein Erfolg. Die Pincette glitt ab, wenn ich die Mueosa 
ganz wegschnitt. Sie wollte nun hängen bleiben, und dann sogar 
ziemlich fest, wenn ich einen Streifen Mueosa vor der Klemme 
sitzen liess. Damit war aber das Prinzip der Asepsis verloren 
gegangen und ich war deshalb wohl genötigt doch eine spezielle 
Klemme bauen zu lassen, wenn ich es auch lieber mit einem bei 
jeder Operation vorhandenen Instrumente gemacht hätte. Viel Be¬ 
sonderes hat aber meine Darmklemrae nicht. Sie ist etwas länger 
und schwerer wie eine Kocher'sche Arterienpincette und hat in 
seiner Branche eine ziemlich tiefe Rinne, die den Mucosastreifen 
aufnehmen kann, an welcher das Instrument hängen bleibt. 

Einen Nachteil hat der Gebrauch meiner Klemmen, auf den 
ich hinweisen muss: Wenn man sie mit roher Hand anfasst und 
daran ruckweise zieht, dann läuft man Gefahr, dass man die 
Mueosa durchreisst und dadurch die ganze Methode zu nichte macht. 
Und nicht nur der Chirurg selber, auch sein Assistent muss zart¬ 
händig sein. 

Auch sorge man dafür, dass man den Mucosasehlauch nicht 
zu dünn macht, und lasse lieber etwas von der Muscularis stehen, 
als dass man die Submucosa einschneidet. 

Das Instrument ist zu haben bei der Firma M. Schaerer 
in Bern. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



VII. 


Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor 
Operierten, nebst kasuistischen Beiträgen 
aus den Hamburger Krankenhäusern. 

Von 

Richard Paschen (Hamburg). 

Die Bezeichnung dieser, von Grawitz zuerst beschriebenen, 
Gesehwülste hat sich im Laufe der Jahre verschiedentlich ge¬ 
ändert. Grawitz selbst nannte sie „Strumae suprarenales aber- 
ratae renis“ infolge seiner Anschauung, dass sie den vonVirchow 
so genannten Strumen der Nebenniere entsprächen. Einige Zeit 
später wurde von Birch-Hirschfcld der Name Hypernephrom 
geprägt, in dem sich auch deutlich die Anschauung offenbart, dass 
diese Geschwülste aus Nebennierengewebe bestehen oder entstanden 
sind. Ueberhaupt seitdem Grawitz im Jahre 1883 auf diese Ge¬ 
schwülste aufmerksam machte und ihre Entstehung aus abge¬ 
sprengten Nebennierenkeimen erklärte, ist seine Ansicht von der 
Entstehung dieser Tumoren von der grossen Mehrheit der Patho¬ 
logen geteilt worden. 10 Jahre später griff Sud eck in seiner 
Arbeit „Ueber die Struktur der Nierenadenome. Ihre Stellung 
zu den Strumae suprarenales aberratae (Grawitz)“ diese An¬ 
schauung an und vertrat die ältere Meinung, nämlich dass den 
betr. Geschwülsten die Niere als Matrix diene. Von Lu barsch 
heftig bekämpft, blieb er mit seiner Ansicht vorläufig allein. 
Lange Zeit blieb die Grawitz’sche Theorie nun unangefochten. 
Erst im Jahre 1908 unternahm Stoerk und 1910 Zehbe einen 
Angriff, der, wie Stoerk sich ausdrückt, nunmehr fast ketzerisch 
erscheint. Stoerk wendet sich in seiner Arbeit nacheinander 
gegen die einzelnen Punkte der Grawitz’schen Beweisführung. 
Er bestreitet eine topische Uebereinstimraung zwischen den Fund¬ 
stellen der versprengten Nebennierenkeime und der Grawitz’schen 
Tumoren. 

Die grossen hellen Zellen der Grawitz’schen Tumoren er¬ 
klärt er durch eine hydropische Protoplasmaquellung im Gegen¬ 
satz zu Grawitz, der sie durch den Fettgehalt dieser Zellen 
erklärt. Die doppeltbrechende Substanz, die sowohl in Neben- 

15 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



214 


R. Pasrhcn, 


Digitized by 


nierenrindenzellen als auch in den Zellen der Grawitz’sehen 
Tumoren vorkommt, hält Stoerk für verschiedenartig. Sein 
Hauptargument gegen die Grawitz’sche Theorie ist aber das 
unleugbare Vorkommen von Lumenbildung in diesen Geschwülsten, 
während sich weder bei der gesunden Nebenniere noch bei Tu¬ 
moren derselben jemals einwandfrei festgestellte Lumina ergeben 
haben. 

Ebenso kommt Zehbe auf Grund eines grossen Untersuchungs¬ 
materials zu dem Schlüsse, dass die Grawitz’schen Geschwülste 
nephrogenen Ursprungs sind. Er hebt dabei hervor, dass eine 
Aehnlichkeit mit Nebennierengewebe eigentlich nur hinsichtlich der 
Stützsubstanz bestehe, die aus sehr feinen Kapillaren gebildet wird. 
Die „Hypernephromzellen“ hätten gar keine Aehnlichkeit mit 
Nebennierenzellen. 

Wenn die Anschauung dieser beiden Autoren allgemein ge¬ 
worden wäre, bestände der Ausdruck „Hypernephrom“ heute nicht 
mehr zu Recht. Da ich selbst zu wenig pathologisch-anatomische 
Erfahrung besitze, um mich für eine der beiden Theorien ent¬ 
scheiden zu können, soll im folgenden die Bezeichnung „Grawitz- 
Tumor“ angewandt werden, die sicher immer zu Recht bestehen 
bleiben wird, da Grawitz immer das Verdienst behalten wird, 
der erste gewesen zu sein, der auf diese eigenartigen Geschwülste 
aufmerksam gemacht hat. 

Es ist verschiedentlich versucht worden, aus pathologisch¬ 
anatomischen Besonderheiten, die man während der Operation oder 
nachher am Präparat feststellte, Schlüsse zu ziehen in Bezug auf 
die Heilungsaussichten des betr. Patienten. 

Stoerk kommt dabei zu folgenden Schlüssen: Jene Tumoren, 
welche klinische Symptome machen, sind fast immer schon maligne 
Geschwülste. Andrerseits findet man häufig auch bei sehr alten 
Leuten bei der Obduktion als accidentellen Befund kleine und 
auch grössere, abgekapselte Geschwülste, welche durchaus als gut¬ 
artige aufzufassen sind. Die Grösse des Tumors spielt hinsicht¬ 
lich der Benignität oder Malignität keine Rolle. Es kommt ledig¬ 
lich darauf an, ob der Tumor allseitig von einer bindegewebigen 
Kapsel umgeben ist; in solchen Fällen ist der Tumor noch gut¬ 
artig. Sind irgendwo, auch nur mikroskopisch erkennbare Gc- 
schwulstpartikel in oder durch die Kapsel eingebrochen, so ist 
der Tumor fast immer, jedenfalls im pathologischen Sinne, als 
malign anzusehen. Es sind Fälle berichtet, bei denen kindskopf- 
und noch grössere Tumoren exstirpiert wurden und später niemals 
Metastasen im Gefolge hatten; auf der anderen Seite machten 
Tumoren, die vor der Operation weder durch Palpation noch durch 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Das Schicksal der wegen (irawilz-Tumor Operierten. 


215 


das Böntgenbild festzustellen waren, und die erst während der 
Operation gefunden wurden, sehr bald nachher Metastasen. Die 
Propagationsmöglichkeit besteht nach zwei Seiten, nach dem 
Nierenbecken zu und nach der Nierenoberfläche, resp. ihrer Um¬ 
gebung. Erreicht der Tumor das Nierenbecken, so tritt klinisch 
fast ausnahmslos eine Hämaturie in Erscheinung. Letztere kommt, 
allerdings sehr selten, auch bei völligem Intaktsein des Pelvis- 
epithels vor. 

Gelangt der Tumor an die Nierenoberfläche, so werden 
sehr häufig die Lymphgefässe ergriffen, von denen aus eine 
Metastasierung nicht nur möglich, sondern sehr häufig ist. 
Eine dritte Möglichkeit der Propagation besteht bei einem Ein¬ 
bruch in eine Vene. Es bilden sich zartere oder gröbere Ge- 
schwulstthromben, die man bei der Unterbindung des Nierenhilus 
in die Vena renalis und auch in die Vena cava hineinragen 
sieht. Auf diesem Wege ist natürlich auch eine Metastasierung 
möglich. 

Hinsichtlich der Metastasen bei Grawitz-Tumoren zeigt es 
sich, dass bei ihnen in mancher Richtung ein Unterschied gegen¬ 
über den Metastasen der Carcinome und Sarkome etc. besteht; und 
zwar sind diese Unterschiede für die Prognose teils als gute, teils 
als schlechte anzusehen. Man findet nämlich sehr häufig, dass 
Metastasen eines Grawitz-Tumors sich nur an einer Stelle lokali¬ 
sieren, resp. ein örtliches Recidiv darstellen, wodurch ihre Ent¬ 
fernung und die Aussicht auf dauernden Erfolg sehr erhöht wird. 
Albrecht (Wien) teilt einen Fall mit, wo 4 Jahre p. nephrect. eine 
Metastase in der linken Scapula auftritt. Die Scapula wird ex- 
stirpiert und die Pat. ist 9 Jahre p. exstirp. scapulae noch völlig 
gesund. Aehnliche Fälle sind häufig beschrieben worden. Während 
so trotz Metastasen die Prognose noch relativ günstig sein kann, 
ist auf der anderen Seite auch nach jahrelanger Abwesenheit von 
Metastasen die Prognose nicht absolut günstig. Das machen die 
Fälle von sogenannten Spätraetastasen. So berichtet wieder 
Albrecht (Wien) über einen Patienten, der 7 Jahre p. op. gesund 
war, dann Metastasen im dritten Brustwirbel bekam und daran zu¬ 
grunde ging. 

B. Fischer referiert in der Münchener med. Wochenschrift über 
einen Patienten, der nach der Nephrektomie 6 1 /., Jahre gesund war 
und dann an Metastasen starb. 

Eine schlechte Prognose ist sehr häufig mit Recht dann ge¬ 
stellt worden, wenn sich bereits Tumormassen in der Vena renalis 
oder gar schon in der Vena cava befanden; ferner in den Fällen, 
wo die regionären Lyraphdrüsen verdickt waren oder eine Varico- 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


*216 


li. I’a selten, 


celc bestand. Es sind jedoch einzelne Fälle bekannt, wo bereits 
ein Tumorstück in die Nierenvene hineinragte, die trotzdem 
gerettet wurden. So berichtet derselbe Al brecht über einen 
Fall, bei dem sich während der Operation ein 2 cm langer Ge¬ 
schwulstthrombus in der Vena renalis fand. Die Patientin war 
1913, 11 Jahre p. operat., noch gesund. Man muss allerdings 
sagen, dass ein solcher Erfolg zu den Ausnahmen gehört: die 
meisten derartigen Fälle führen früher oder später zu Meta¬ 
stasen und zum Exitus letalis. Am häufigsten sind die Meta¬ 
stasen kurz nach der Operation noch während der Behandlung bis 
zum Zeitraum von 2—3 Jahren p. op. Ganz besonders schlechte 
Resultate in dieser Hinsicht verzeichnet Berg in den Mount Sinai¬ 
hospital reports. Von 1898 bis Jauuar 1907 wurden im Hospital 
21 Fälle von Hypernephroma renis behandelt. Die Resultate 
sind: 2 Jahre p. op. frei von Recidiv oder Metastasen lebte noch 
ein Patient, vier starben unmittelbar p. op., die anderen sehr 
bald oder doch relativ kurze Zeit nachher an Recidiven oder 
Metastasen. 

Diejenigen, bei denen 3 Jahre p. op. keinerlei Symptome 
irgendwelcher Metastasen aufgetreten sind, bei denen ferner wäh¬ 
rend der Operation weder Lymphdrüsenmetastasen noch Einbruch 
in die Blutbahn beobachtet wurde, können mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit für geheilt angesehen werden. Vor diesem Zeitpunkt ist 
man sicher nicht berechtigt, von einer dauernden Heilung zu 
sprechen. 

Eine andere Gefahr, die nicht speziell bei Grawitz-Turaoren, 
sopdern überhaupt bei jeder Nierenexstirpation einerlei aus welcher 
Ursache besteht, nämlich die Gefahr eines unmittelbaren Versagens 
der anderen Niere und ihre Folgezustände, wie Urämie, sind 
seit der Einführung der Cystoskopie und besonders der Ureteren- 
sondierung, Bestimmung des Blutgefrierpunktes usw. fast gänzlich 
geschwunden. 

Ueber das quantitative Verhältnis der Grawitz-Tumoren zu 
den anderen Nierentumoren schwanken die Angaben ganz erheb¬ 
lich. So erhält Israel bei seinen Operationen bis zum Jahre 1901 
für Grawitz-Tumoren einen Wert von 39,53 pCt. aller Nieren¬ 
geschwülste; Schmieden in seiner Statistik (1902) von 329 
bis zu diesem Jahre wegen Nierengeschwülsten Operierten nur 
8,51 pCt. 

Nach den mir zur Verfügung stehenden Krankengeschichten 
des Eppendorfer Krankenhauses betrug der Prozentsatz 57,35. 

Bei den mir in der Literatur zugänglichen Fällen von ope¬ 
rierten Grawitz-Tumoren mit Hinzurechnung der mir von Herrn 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Das Schicksal der weiten lirawitz-Tuinor Operierten. 


217 


Geheimrat Kümmell und Prof. Sick vom Eppcndorfer Kranken¬ 
haus sowie von Herrn Prof. Wiesinger und Sud eck vom 
St. Georger Krankenhaus gütigst zur Verfügung gestellten Fällen 
war das Endergebnis folgendes. 

Von 268 an Grawitz-Tumor Operierten starben im Anschluss 
an die Operation: 51 = 19,03 pCt.; an Recidiven und Metastasen 
starben: 77 — 28,73 pCt.; an anderen Krankheiten innerhalb 
3 Jahren p. op. starben: 23 = 8,58 pCt.; Geheilt ohne Recidiv 
oder Metastasen bis 1 Jahr p. op. waren: 15 = 5,60 pCt.; 1 bis 

2 Jahre geheilt waren: 13 = 4,85 pCt.; 2—3 Jahre geheilt: 
16 = 5,97 pCt.; über 3 Jahre geheilt waren 46 = 17,17 pCt. 
Fernresultate waren nicht zu erlangen bei: 22 = 8,21 pCt.: noch 
am Leben mit manifesten Metastasen: 5 = 1,86 pCt. 

Aus den von mir im folgenden mitgeteilten Fällen ergibt 
sich folgendes Resultat: Von 54 an Grawitz-Tumor Operierten 
starben im Anschluss an die Operation: 6— 11,11 pCt., an Re- 
eidiven und Metastasen starben: 17 = 31,48 pCt.: an anderen 
Todesursachen: 6 = 11,11 pCt.; nach der Operation waren am 
Leiten ohne Recidiv oder Metastasen bis zu 1 Jahr: 2 = 3,70 pCt.: 
1—2 Jahre: 1 = 1,85 pCt.; 2—3 Jahre: 2 = 3,70 pCt.; über 

3 Jahre: 19 = 35,19 pCt. Bei einem war kein Fernresultat zu 
erhalten. Demnach ergibt sich, dass unsere Fernresultate recht 
günstig zu nennen sind; denn mehr als ein Drittel sämtlicher ope¬ 
rierter Fälle war über 3 Jahre gesund. Es hat sich dabei heraus- 
gestellt, dass diejenigen, die möglichst frühzeitig operiert wurden, 
das beste Resultat abgaben. Es ist daher zu empfehlen, schon nach 
einmaliger Hämaturie, wenn auch weder durch Palpation noch durch 
Röntgenstrahlen ein Tumor mit Sicherheit festzustellen ist, anderer¬ 
seits eine andere Ursache, wie Stein, hämorrhagische Nephritis usw. 
ausgeschlossen werden kann, eine Probeincision zu machen, der ge¬ 
gebenenfalls die Radikaloperation angeschlossen werden kann. 

Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, den Altersklassen, 
bei meinem sowie bei sämtlichen Fällen w r ar folgendes: 

Es wurden hier 40 Männer und 14 Frauen operiert: im 
ganzen 146 Männer und 69 Frauen (bei den übrigen Fällen war 
keine genaue Angabe über das Geschlecht vorhanden). 


Hier wurden operiert: 


im 

Alter 

von 

15—30 

Jahren 

2, 

davon 

1 gesund, 1 gestorben 


n 

71 

30—40 

n 

2, 

V 

1 

„ 1 

71 

71 

75 

71 

40—50 

71 

16, 

yl 

8 

8 

71 


71 

n 

50—60 

71 

21, 

71 

9 

* 12 

71 

71 

71 

71 

60—70 

71 

11, 

71 

2 

„ » 

71 

71 

71 

71 

über 70 

71 

0 

^7 

71 

2 

* o 

71 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



•218 


K. Pas eben. 


Digitized by 


Im ganzen wurden operiert: 


im Alter 

von 

1 

— 15 Jahren 

1 

i n 

71 

15- 

-30 

7) 

11 

r> i 

71 

ao 

-40 

TI 

13 

r> n 

V 

40- 

— 50 

71 

74 

n "i 

7) 

50 

-60 

71 

81 

n v 

V 

60 

-70 

71 

30 

n Ti 

7) 

70 

-80 

>1 

3 


Krankengeschichten. 

1. (L, Mann, 4S .lahm alt. Aufg. 3. 11. 1S98. 

Irn wesentlichen früher gesund. Vor Jahren Gonorrhoe. Seit 1 ; 2 Jahr in 
periodischen Zwischenräumen dunkler, blutiger Urin. Keine Seinnerzen. 

Stal us praesens: Kräftiger Mann. Kochte Nierengegend druckempfindlich. 
Urin fast klar, enthält kein Blut, etwas Eiter. 

Cystoskopie: Beeilte Uretenniindung dureli Blutgerinnsel verstopft: links 
klarer, gut konzentrierter Urin. 

Operation (J\ ü m in e 11): Freilegung der reehten Niere, die eystiseh sein- 
entartet ist und nach Ineision einen eitrig-schmutzigen Inhalt entleert. Exstir¬ 
pation. Heilung. 

Die exstirpierte Niere lässt auf dem Sehnitt makroskopisch kein Nicren- 
gew<‘he mehr erkennen und zeigt ein grosses Kavernensystem, deren einzelne 
llohlräume in das Nierenbecken münden. Am oberen Pol findet sieh ein Tumor 
von Pflaumengrösse, der als Grawitz-Tumor gedeutet wird. 

1912. 14 Jahre p. op. gesund. 

2. A:. Mann, ü() Jahre alt. Aufg. 11. 4. 1S99. 

Früher stets gesund. Seit 4 Jahren vorübergehend blutiger Urin, seit 
1 Jahr trüber Urin, andauernde Stuhl Verstopfung, starke Abmagerung. 

Status praesens: Kachektiseh aussehender, abgemagerter Mann. Unter¬ 
halb des reehten Kippenbogens ein von der Leber und dem Colon abgrenzbarer. 
derber Tumor, der bis zur Bockcnsehaufel reicht. Nach ölten ist das Zwerchfell 
hoehgedrängt. Urin stark bluthaltig. 

Exstirpation des (j Pfund schweren Nierentumors (Kümmel 1). 

Unter zunehmender Kachexie* 13 Tage p. op. Exitus letalis. 

Aus dem Sektionsprotokoll: Zahlreiche Metastasen in Pleura. Peri¬ 
toneum, Lymphdriisen usw. 

3. Joh. E.. Mann. 54 Jahre alt. Aufg. 24. S. 1S99. 

Früher angeblich gesund. Vor 3 Jahren vorübergehende Sehmerzanfälle 
in der linken Nierengegend mit Blutharnen. In letzter Zeit wieder dumpfe 
Schmerzen in der linken Seite, hartnäckige Stuhlverstopfung. Abmagerung. 

Status praesens: Seniler, aber noch rüstiger Mann. Unter dem linken 
Kippenbogen ist ein faustgrosser, hüekriger, etwas verschieblicher Tumor zu fühlen. 

Exstirpation des Nieren!umors (Kümmel!). 

Zunehmende Kachexie. 3 Tage p. op. Exitus letalis. 

4. Frau 1L, 50 Jahre alt. Aufg. 15. 1. 1901. 

Früher gesund. Seit einiger Zeit leichte Hämaturie mit linksseitigen 
Schmerzen. Bei der korpulenten Dame ist kein palpabler Befund zu erheben. 
Urin klar, Spuren von Albuinen, vereinzelte rote und weisse Blutkörperchen. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten. 


219 


Operation (lvümmell): Freilegung der linken Niere. Dieselbe ist in 
einen über faustgrossen, höekrigen Tumor verwandelt. 

Exstirpation. Glatte Heilung. 

Fat. ist nach 2 Jahren gesund und beschwerdefrei. 

5. Frau 11., 53 Jahre alt. Aufg. 18. 1. 1902, 

Hat Blutungen im Frin gehabt mit langen Zwischenpausen, keine Sehmerzen. 

Status praesens: Innere Organe o. B. Links spärliche Lcukocyten 
und Blutschat len. 

Operat ion (Kinn mell): Exstirpation des apfelgrossen Tumors und der 
linken Niere. Geheilt entlassen. 

Ende November 1909, 7 :l /4 Jahre p. op. gesund. 

6. Frau K.. 49 Jahre alt. Aufg. 21. 11. 1902, entl. 25. 12. 1902. 

Fat. leidet seit 1 l i 2 Jahren an einem Prolapsus Uteri et reeti. Vor 
4 Tagen naehts plötzlieli erkrankt mit heftigen Schmerzen in der rechten 

Seite, kein Erbrechen. Stuhlgang nicht gestört. In letzter Zeit Gewichts¬ 
abnahme. 

Status praesens: ln der rechten Abdominalgegcnd findet sich ein 

kindsknpfgrosser Tumor, der vcrsehieblieh und wenig druckempfindlich ist. 
Uterus retrovertiert und fixiert. Sonst an den Adnexen keine Veränderungen. 
Auf dem Röntgenbild kein Schatten. Urin sauer, enthält wenig Blut und 
Spuren von Eiweiss. keine Cylinder, vereinzelte grossen 1 fettkörnrhenhallige 
Zellen. 

Uystoskopie: Blase o. B. Der linke Ureier entleert durch die Sonde 
einen klaren Urin, der keinerlei krankhafte Bestandteile enthält. Blul- 

gefrierpunkt: 0,57. 

Operation (Kinn m eil): Freilegung der rechten Niere, die vergrössert 
ist und deren einer Pol in einen Tumor verwandelt ist. Die Niere wird 
exstirpiert. Normaler Wundverlauf. Geheilt entlassen. 

1911. 9 Jahre p. op.. noch gesund. 

7. K.. Mann, 45 Jahre alt. Aufg. 25. 2. 1903. Entl. 25. 3. 1903. 

Seit 2 Jahren öfters Kolikanfälle: Blut im Urin, das sieli teilweise in 
Klumpen entleert. Vor 3 Monaten plötzliche Urinverhaltung, die 3 Tage an¬ 
hielt. Seit der Zeit etwa 2mal wöchentlich Blut im Urin bemerkt. 

Status praesens: Sonst gesunder, kräftiger Mann. Im linken Hypo- 

chondrium fühlt mail einen doppelfaustgrosscn Tumor, der anscheinend der 
Niere angehört. Im Urin zahlreiche rote Blutkörperchen. Blutgcfrierpimkt: 0.56. 

Operation (lvümmell): Flankenschnitt links. Die Niere ist an ihrem 
oberen Pol von einem grossen Tumor eingenommen, der mit dem Zwerchfell 
fest verwachsen ist. Exstirpation der Niere. Ziemlich glatter Wundverlauf. 
Gute Urinsekretion. Geheilt entlassen. 1 Jahr p. op. Metastasen und Kecidiv. 
Exkochleation des liecidivs. 

Tod 1 Jahr 1 Monat p. op. an Metastasen. 

8. K.. Mann. 60 Jahre alt. Aufg. 13. 9. 1903. 

Kommt wegen starker Blutungen. 

Status praesens: Kräftiger Mann. In der rechten Xicrcngegend ist ein 
Tumor zu palpioren. Bei Sondierung der linken Niere entleert sieh kein Urin, 
nur Spuren eitrigen Sekrets; rechts blutiger Urin. Dei 1 negative Ureterenkathe- 
terismus blieb unbeachtet, da öfters klarer Urin entleert wurde, dieser als links¬ 
seitiger gedeutet wurde. Blulgefrierpiinkt: 0,57. 

Operation (Kumme 11): Exstirpation der vergrösserten rechten Niere. 
Tod an Anurie. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



'220 


R. Paschen. 


Digitized by 


I>«‘i der Sektion zeigt sich, dass dir linke Niere vollständig atrophisch 
ist. etwa die Grösse (*ines Fünfmarkst iieks hat und Spuren von Kiter iin Nieren¬ 
becken enthüll. 

9. S., Mann, 4:) Jahre all. Aufg. 25. 11. 190:3. Kntl. 5. 1*2. 1903. 

Vor () Monaten ohne erkennbare Trsaehen plöt/lieh heftige Blutungen 
beim Wasserlassen, dabei Druekgefühl i n der linken Xicrengegend. Die Blu¬ 
tungen haben sieh seitdem alle 3-4 Wochen wiederholt. Letzte Blutung vor 
1 Woehe. Starke Gewichtsabnahme. 

Status praesens: Sonst gesunder Mann, ln der linken Xicrengegend 
undeutlich palpalder Tumor, der nicht druckempfindlich ist. Der Irin ist 
leicht trübe und enthält weisse und wenig rote Blutkörperchen. Der rechte 
Treter wird sondiert, der I rin der linken Xiere indirekt aufgefangen. Blut- 
gelrierpunkt: 0,57. 

Das Röntgenbild zeigt einen knolligen Schatten der linken Xiere. 

Operation (Kümmell): Freilegung der linken Xiere durch Lurabal- 
selmilt. Auf der Rückseite findet sieh eine wal 1 nussgrosse Geschwulst Von 
gelber Farbe. Auf dem Durchschnitt z^iizt sieh, dass der Tumor in das Becken 
durehirehroehen ist und zum Teil in dieses hineinhängt. In den nächsten Tairen 
sinkt der Blut Gefrierpunkt auf 0.fj35. 

Exitus letalis an Trämie. 

10 . M.. Mann. 47 Jahre alt. Auf«:. 10. 2. 1904, entl. 24. 3. 1904. 

Früher angeblich Gesund. Seit 1 2 Jahr Kräfteverfall. Zu gleicher Zeit 

Blutung im I rin ohne Schmerzen. Seitdem häufiger Blutverlust. Es sollen 
Treterausgüsse im I rin gewesen sein. 

Status praesens: Reduzierter Ernährungszustand. Innere Organe o. B. 
Rechte Xierengegend druckempfindlich. Im I rin viel Blut. 

Tvsloskopie: Normale Blasenverliältnisse. Aus dem rechten Treter 
hängt ein wurstförmiges Coagulum heraus. Der linkt* Sondenurin enthält keine 
Formbestandteile. Blutgefrierpunkt: 0,55. 

< > pe rat io n (K ii m m el 1): Freilegung der reeliten Xiere durch Flanken- 
schnitt. Die* Xiere ist sehr fest verwachsen und zeigt an ihrem oberen Bol 
einen faustgrossen, sehr blutreichen Tumor. Die Xiere wird exstirpiert. Glatter 
Wundverlauf. Die Wunde ist ziemlich verheilt. Bat. hat (> Pfund zugenornmen. 
Die Xierenfunktion ist ausreichend. 

23. 12. 1904 Tod an Metastasen. 

11. J., Mann. 59 Jahre alt. Aufg. IS. S. 1904. Kntl. 2S. 10. 1904. 

Bat. bemerkte seit 3 Jahren das Auftreten von Blut im I rin. Gleich¬ 
zeitig hatte er immer kolikartige Schmerzen in der linken Xierengegend. 

Status praesens: Mässigcr Ernährungszustand. Abdomen weich, keine 
abnorme Pruekcmpfindliehkeit. Trin sauer, enthält Spuren von Albuinen und 
mikroskopisch rote Blutkörperchen. 

Die Röntgenaufnahme gibt keinen Anhaltspunkt für Stein. 

Cyst os kopier Normale Blasenverliältnisse. Blutgefrierpunkt: 0,5(>. 

Erneute Cysioskopie: Aus der linken Treterrniindung kommt deutlich 
blutiger I rin. 

Operation (Kümmell): Die linke Xiere wird von einem Flankensehnitt 
aus freigelegt, ist sehr klein. Am oberen Bol findet sieh ein wallnussgrosser, 
blutreicher Tumor. Die Niere wird exstirpiert. Tnkomplizierter Wundverlauf. 
Geheilt, entlassen. 

Die exstirpierte Niere ist hydronephmtiseh geschrumpft. 

Nachricht vom 20. 7. 1915, 11 Jahre p. op.: Völliges Wohlbefinden. 


Gck 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Das Schicksal der wegen (irawit/-Tumor Operierten. 


221 


12 . S., Mann, 54 Jahre alt. Aufg. 30. 8. 1904, entl. 10. 9. 1904. 

Früher gesund. Vor 4 Wochen starker Blutverlust im Urin, der etwa 

4 Tage anhielt. Der Urin war wechselnd bald triibe, bald klar, ln letzter 
Zeit oft Atemnot und Schwäche. 

Status praesens: Reduzierter Ernährungszustand, keine Driisen- 
schwellungen. Innere Organe o. B. Rechte Nierengegend ausserordentlich 
druckempfindlich, wegen starker Schmerzen nicht palpabel. Urin leicht trübe, 
sauer, enthält Albumen. wenig weisse und rote Blutkörperchen, keine Oylinder. 
Blutgefrierpunkt: 0,57. 

Oysti»skopie wegen hochgradiger Striktur nicht möglich. 

Röntgenaufnahme zeigt in der rechten Xicrengegend nur einen diffusen 
Si-hatten, keinen Stein. 

Operat ion (Kümmel I): Freilegung der rechten Xicrengegend. Die 
Xiere ist sehr stark verwachsen und zeigt an ihrem Pol einen knolligen Tumor. 
Exstirpation der Niere. 

Abends tritt, nachdem der bisherige Verlauf unkompliziert war, plötzlicher 
Exitus ein. Die Sektion ergibt: Schwere Veränderungen des Herzens, parenchy¬ 
matöse Entzündung der rechten Xiere. 

13 . M., Mann, öS Jahre alt. Aufg. 22. 2. 1905, entl. 3. 9. 1905. 

Pat. kommt wegen Blutungen im Urin. 

Status praesens: Leichte Abmagerung. Die linke Xiere ist palpabel. 
Rechte Xiere ist gesund, im Urin der linken Niere finden sieh Blutschatten : 
der Harnstnffgelialt ist gegen rechts herabgesetzt. 

Operation (Kümmel 1): Exstirpation der linken Xiere. Glatter 'Wund¬ 
verlauf. Normale Urinentleerung. Nach l ; 2 Jahr Darmeareinom. Resektion des 
Darmes. Tod. 

14 . Frau 11., 53 Jahre alt. Aufg. 6. 3. 1905. 

Kommt wegen Blutungen im Urin, hat keine Schmerzen. 

Status praesens: Gut genährte Frau. Die rechte Niere ist eben zu 
pal pieren. 

Oystoskopie ergibt links normalen Befund; rechts finden sieh Blut- 
sohatten und Zellen. Der Harnstoff ist gegen rechts herabgesetzt. Blut¬ 
gefrierpunkt: 0,57. 

Operation (Kümmel I:) Exstirpation der rechten Niere. Glatte Heilung. 
1908, 3 Jahre p. op. noch gesund. 

15 . M., Mann, 62 Jahre alt. Aufg. 29. 8. 1906, entl. 14. 10. 1906. 

Früher gesund. In den 20er Jahren Gonorrhoe. Seit 7 Monaten 

Mattigkeit. Appetitlosigkeit und gelbe Gesichtsfarbe. Dann plötzlich Blutung 
aus der Harnröhre. Urin blutig, mit Fetzen vermischt. Keine Beschwerden. 
Medikamentöse Behandlung. Später wiederholt Blutungen, die immer stärker 
werden. Geringe Schmerzen, dagegen im letzten halben Jahr Gewichtsabnahme von 
30 Pfund. 

Operation (Kümmel 1): Exstirpation der rechten Niere, die in einen 
Tumor verwandelt ist. Geheilt entlassen. 

Tod 6. 1. 1907 an Metastasen. 

16 . H., Mann, 66 Jahre alt. Aufg. 16. 9. 1906, entl. 21. 9. 1906. 

Früher gesund. Vor 3 Wochen im Anschluss an ein Ausrutsehen auf 

riner Treppe zuerst Blut im Urin. Vor 14 Tagen mehrere Blutungen, die bald 
wieder aufhörten. Der Urin wurde für einige Tage klar, dann wieder stark 
bluthaltig, mit stetigem Wechsel. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



222 


R. l’aschrn, 


Digitized by 


Status pracst-ns: Innere Organe o. B. ln der rechten Nierengegend 
fühlt man bei dem sehr dicken Mann einen undeutlichen, nicht druckempfind¬ 
lichen Tumor. Der Urin ist zur Zeit klar. Der mit der Sonde aufgefangene 
Urin der linken Niere ist ebenfalls klar und sauer und enthält 23,8 Harnstoff, 
eine leichte Spur Eiwciss. Blutgefrierpunkt: 0,5b. 

Operation (Kümmell): Freilegung der rechten Niere, die stark ver¬ 
wachsen ist; der Tumor ist ausserordentlich brüchig. Kxstirpation der Niere, 
wobei ein sehr starker Blutverlust durch Kinreissen des Tumors eintritt. 

4 Tage p. op. Tod an Lungenembolie. 

17 . BL. Mann. 53 Jahre alt. Aufg. IS. S. 1907, entl. 30, 11. 1907. 

Vor 2 Monaten wegen Nierenblutung behandelt. Neue Blutung vor 
t> Tagen. Urin enthält zeitweilig wurmförmige Gerinnsel. die dann die Harn¬ 
röhre verstopfen, zeitweise vollkommen klar. 

Uystoskopie: Blase enthält blutigen Urin, sodass die Sondierung des 
rechten Ureters schwer gelingt. Der Urin der linken Niere wird daher indirekt 
aufgefangen; Blut links mehr als rechts; rechts Leukocvten und grosse Zellen. 
Blutgefrierpunkt: 0,59. 

Wegen der lebensgefährlichen Blutungen wird trotz des nicht einwand¬ 
freien Gefrierpunktes die Operation vorgeschlagen. 

Operation (Kümmell): Lumbalsehnitt. Kntwieklung der Niere nur 
nach (Querschnitt möglich. Die Niere zeigt (‘inen fast kindskopfgrossen, höekrigen 
J,umor von gelblicher Farbe, der nur an der Hinterfläche und dem oberen 
Fol normales Nierengewebe übrig lä>st. Kxstirpation der Niere. Zuerst völlige 
Anurie. Nach 48 Stunden erst kommt die Urinsekretion in Gang. Urin ist 
frei. Der Verlauf ist etwas verzögert, da die Wunde bei dem grossem Fett¬ 
polster nicht primär heilte. Geheilt entlassen. 

Tod am 8. 3. 1912, 4 ! / 2 Jahre p. op. Woran? 

18 . Ul.. Mann. 49 Jahre alt. Aufg. 13. 5. 1908, entl. 30. 5. 1908. 

Seit 1 Jahr häufig profuse Blutungen mit dem Urin. Ausserhalb wurde 
Sectio alta vorgenommen ohne Erfolg. Die Blutungen wurden immer häufiger, 
so dass Fat. dadurch sehr heruntergekommen ist. 

Status praesens: Aeusserst elender Mann mit wachsbleicher Hautfarbe. 
Starke Oedeme an beiden Unterschenkeln. Schwache, unregelmässige Herz¬ 
tätigkeit. Diffuse katarrhalische Bronchitis. 

Abdomen: Rechts vermehrte Bauchdeckenspannung und Empfindlichkeit 
der Nierengegend. Undeutliche Resistenz am unteren Nierenpol. Urin: Albuinen 
und Blut 

Uystoskopie: Rechts: 3,4pM. Harnstoff, massenhaft Tumorzellen und 
Erythrocyten. Links: 25,2 pM. Harnstoff, kein Blut oder Albuinen. Blut¬ 
gefrierpunkt: 0.57. 

Operation (Kümmel 1): Freilegung der rechten Niere, die stark ver¬ 
wachsen ist. Frofuse Blutungen während der Lösung der Adhäsionen. 
5 Klammern bleiben liegen. Teilweise Naht. Tamponade. Funktion der 
linken Niere gut: aber grosse allgemeine Schwäche. Die Wunde zeigt nicht 
dir geringste Tendenz zur Heilung. 

15 Tage p. op. Tod an Herzschwäche. 

19 . 1L, Mann, 59 Jahre alt. Aufg. 4. (>. 1908, entl. 27. 7. 1908. 

Seit 3 Jahren dumpfes Druckgefühl in der linken Seite. Zunehmende 
Schwäche. Seit 5 Jahren 47 Pfund abgrnommen. Vor 3 Tagen stellte der 
Arzt einen Tumor am linken Rippenbogen fest. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY 0F IOWA 



Das Schicksal der weiten Grawitz-Tumor Operierten. 


223 


Status praesens: Elend aussehender, anämischer Mann, innere Organe 
<i. B. Enter dem linken Rippenbogen grosser Tumor, der bis an die Beeken- 
sHiaufel reicht und bei der Atmung verschieblich ist. 

Cystoskopie: Leichte Cystitis, beide Ureterennuindungen frei. Rechter 
Irin normal: linker Urin enthält hyaline Cylinder, rote und weisse Blut¬ 
körperchen. Blutgefrierpunkt: 0.5t). 

Operation (Kümmell): Freilegung der linken Niere. Der gut kindskopf¬ 
grosse Tumor wird mit der Niere exstirpiert. Naht. Verband. Verlauf nahe¬ 
zu reaktionslos. Die Wunde heilt glatt. Geheilt entlassen. 

Tod am 27. 11. 190S an Metastasen. 

20. 11., Mann. 51 .Jahre alt. Aufg. 8 . 10. 1908. entl. 11. 11 . 1908. AVieder- 
aufg. 20. 9. 1910. Tod 19. 10 . 1910. 

Seit 1 ? Jahr kolikartige Schmerzen in der linken Nierengegend, dabei oft 
starker Blutverlust mit dem Drin. 

Status praesens: Unter dem linken Rippenbogen fühlt man eine 
Resistenz ohne deutliche Grenzen. Urin stark bluthaltig. 

Cystoskopie: Beiderseits Spuren von Eiweiss: wenig Leukocyten : massen¬ 
haft Erythroeyten: rechts reichlich, links wenig Epithelien; links granulierte, 
rechts hyaline Cylinder. Blutgefrierpunkt: 0,57. Das Röntgenbild zeigt einen 
«leutlieh vergib ss ertrn Nierenschatten links. Die Indigo-carminreaktion war 
reelits nach 15. links nach 30 Minuten deutlich. 

Operation (Kümmell): Freilegung der linken Niere, die einen grossen 
Tum*>r aufweist, und Exstirpation der Niere. 

Der Wundverlauf war normal. Geheilt- entlassen. 

Wiederaufnahme: Mehrfaches Reeidiv. Kommt jetzt wieder mit druck¬ 
empfindlichem grossen Tumor. Die Tumormassen werden ausgeräumt. Tod am 
19. 10. 1910. 

Sektion: Pneumonia crouposa lobi sup. dextr. Zahlreiche Metastasen 
in den Lungen und den Mesenterialdrüsen. Rechtsseitige Nephritis parenchy- 
inatosa. 

21. Krau K.. 50 .lahre alt. Aufg. 20. 11. 1908, entl. 29. 3. 1909. 

Seit 4 Jahren heftige Schmerzen in der rechten Nierengegend. Sie wurden 
bisher, da ihre Beschwerden auf eine Retroflexio uteri zurückgeführt wurden, 
dementsprechend behandelt. 

Status praesens: Sehr abgemagerte Frau. In der rechten Nierengegend 
fühlt man eine druckempfindliche, grosse, harte Geschwulst. Auch das Röntgen- 
bild zeigt einen grossen Nierenschatten. 

Cystoskopie: Im Urin rechts massenhaft Blut, Spuren von Albuinen: 
links kaum Blut. Blutgefrierpunkt: 0,57. 

Operation (Kümmell): Exstirpation der rechtem Niere, die wenig ver¬ 
wachsen ist und in ihrem oberen Pol einen knolligen Tumor enthält. Der 
Wundverlauf war durch eine Bronchopneumonie gestört. Ausserdem trat eine 
eigenartig!* Neigung zu Blutungen unter der Haut zu Tage, die 3 Wochen p. op. 
scorhutartig auftraten und eine Woche etwa andauerten. Geheilt entlassen. 

Nachricht vom 17. 7. 1915. 6*2 Jahre p. op., Wohlbefinden. 

22. Frau M.. 25 Jahre alt. Aufg. 9. 12. 1908, entl. 27. 1. 1909. 

Früher stets gesund. Vor 4 Wochen bemerkte Pat. plötzlich Blut im 

Urin. Die Blutungen haben seitdem nur selten aufgehört. Mehrmals kolik- 
artige Anfälle in der rechten Nierengegend. 

Status praesens: Blasse junge Frau. Rechte Nierengegend etwas druck¬ 
empfindlich: ein Tumor ist nicht zu fühlen. I rin enthält massenhaft Blut. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



224 


R. Pasehen, 


Digitized by 


Cystoskopie: n. B. Blutgefrierpunkt: 0.55. 

Operation (Kiimmell): Flankeiisehnitl. Die Niere zeigt in ihrem oberen 
Pol eine tumorartige Verdiekung, wird exstirpiert. Wundverlauf ziemlich un¬ 
gestört, anfangs mehrmals Kollapserseheinungen, Urinsekretion gut. Mit fast 
geheilter Wunde entlassen. 

1912, 3 * 2 Jahre p. op.. gesund. 

23. M., Mann. 45 Jahre alt. Aufg. 1. 5. 1909. 

Starke Blutungen iin Urin und vorübergehende Sehmerzen. 

Status praesens: Hochgradig anämischer, karhektiseh aussehender Mann. 
Linke Niere ist gesund. Im Urin der rechten Niere Blut, der Harnstoff ist gegen 
rechts herabgesetzt. 

Operation (Kiimmell): Exstirpation der rechten Niere und des kinds- 
kopfgrossen Tumors. (Hatte Heilung und starke Gewichtszunahme. Geheilt 
entlassen. 

20. 11. 1909, 1 •> Jahr p. op., noch gesund. 

24. K., Mann. 73 Jahre alt. Aufg. 4. 5. 1909. 

Pal. kommt wegen Schmerzen in der linken Nierengegend. Da die 
Koliken mit Blutungen auftreten, wird Stein angenommen. 

Status praesens: Alter, magerer, sehniger Mann. Im Röntgenbild ist 
kein Stein zu finden. Rechte Niere ist gesund: im Urin der linken Niere finden 
sieh Blutsehatten, der Harnstoff ist gegen rechts herabgesetzt. Blut¬ 
gefrierpunkt: 0.55. 

Operation (Kiimmell): Exstirpation Hier linken Niere. Rekonvaleseenz 
durch Singultus gestört, glatter Wundverlauf. Geheilt entl. Volles Wohl¬ 
befinden, Gewichtszunahme. Ende 1909 gesund. 

25. Frau Kn.. 51 Jahre alt. Aufg. 29. 9. 1909, entl. 2. 12. 1909. 

Seit 1 Jahr Schmerzen in der rechten Stute und Blut im Urin. 

Status praesens: Anämische blasse Frau in schlechtem Ernährungs¬ 
zustand. Grosser fester Tumor der rechten Niere palpabel. 

Cystoskopie: Rechts stark blutiger Urin; ca. 5pM Harnstoff; links 
viel hyaline und granulierte Cvlinder, einzelne Letikoeyten, kein Blut. Harn¬ 
stoff über 25 pM. Blutgefrierpunkt: 0,5S5. 

Operation (Kiimmell): Freilegung der rechten Niere. Exstirpation des 
weit über kindskopfgrossen Tumors mit der Niere. Guter Heilverlauf. Mit ge¬ 
ringer Fistel fast geheilt entlassen. 

Ende 1914, 5 Jahre p. op., gesund. 

26. H. Mann, 50 Jahre alt. Aufg. 29. 3. 1910, entl. 1. 6. 1910. 

Seit 3—4 Monaten Riiekenschmerzen. Vor drei Tagen zuerst Blut im 
Urin, das am nächsten Tage verschwunden war. Dann erfolgte neue Blutung 
mit starkem Harndrang und schmerzhafter Miktion. 

Status praesens: Sehr dicker Mann mit deutlich fühlbarem, etwas 
druckempfindlichem Tumor der linken Nierengegend. Der Urin ist trübe und 
enthält grosse, lange Gerinnsel. 

Uy stosköpie: Balkenblase. Beide Uretermündungen etwas gerötet. 
Blutgefrierpunkt: 0,56. Das Röntgenbild ergibt rechts einen scharfen normalen 
Nierenschatten, links einen grossen, undeutlich begrenzten Schatten, keine Steine. 

Operation (Kümmel 1): Freilegung der linken Niere, die in einen 
grossen Grawitz-Tumor verwandelt ist. Die Niere wird exstirpiert; der Tumor 
sitzt kappenartig am oberen Pol. Wundtamponade. Geheilt entlassen. 
Tod 1911. Woran? 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten. 


225 


27. F., Mann, 54 .fahre alt. Aufg. S. 4. 1 10. cntl. 13.5. 1910. 

Vor 3 Jahren Harnverhaltung, bedingt durch Blutgerinnsel. Die Blutungen 
hielten etwa 3 Wochen an. 1909 Influenza. Im Anschluss daran wieder 
Blutungen mit Fieber und Schüttelfrösten. Im Scpt. 1909 wieder Blutungen, 
ebenso im .lanuar 1910. 

Status praesens: Leidlich ernährter, etwas blasser Mann. In der 
Nierengegend kein Palpationsbefund. Prostata nicht vergrössert. 

Cyst oskopie: Geringe (Zystitis. Im Irin beiMerscils wenig Blut: rechts 
viel Leukocyten und Epithelien, links wenig. Bluigefrierpunkt: 0,50. Küntgen- 
bild: Links scharfer kleiner Nierenschatten, rechts grosser unregelmässiger 
Schatten. 

Operation Kiimmell): Ks wird, da die linke Niere gut funktioniert, 
die rechte Niere freigelegt und ein grosser Tumor gefunden. Der Tumor lässt 
sich wegen starker Yerwaehsungen nur sehr schwer auslösen. Exstirpation der 
Niere. Der Tumor sitzt dem oberen Pol der Niere auf und stellt einen Grawitz- 
Tumor dar. Die Wunde wird tamponiert, (ilatter Verlauf. Heilung. 

Tod Nov. 1914. 4 l 2 •fahre p. op. infolge einer Lymphdriisenetuziindung. 

28. Sch., Mann, 00 .fahre alt. Aufg. 11. 5. 1910. Tod 2<>. 5. 1910. 

Anamnese unbekannt. 

Status praesens: ln der linken Nierengegcnd fühlt man einen grossen 
Tumor. Im I rin grosse Mengen von Blut. 

Sofortige Operation (Kümmellj: Freilegung der linken Niere. 

Sie ist von einem grossen Tumor eingenommen, der in den Gelassen 
weitergewuehert ist; auch innerhalb des Peritoneums sind einige Knoten zu 
fühlen. Die Niere wird entfernt und die "Wunde tamponiert. F.s tritt bald stark 
zunehmender Ascites auf. 

15 Tage p. op. Tod an Herzschwäche. 

Sektion: Zahlreiche Metastasen im Peritonealraum und in der Pleura. 
Ascites. Arteriosklerose. 


29. Frau N\, 4« Jahre alt. Aufg. 2S. (5. 1910. cntl. IS. 7. 1910. 

Seit 7 S Jahren hat Pat. einen grossen Tumor in der rechten Bauchseite 
bemerkt. Blutungen im Urin sind nie bemerkt worden. Keine Schmerzen. 

Status praesens: Kräftig gebaute Frau von gutem Ernährungszustand. 
Der l’rin ist frei von Blut und anderen krankhaften Bestandteilen. Auch die 
Gystoskopie ergibf beiderseits normalen Drin. Der Harnstoffgehalt ist beider¬ 
seits annähernd gleich. Ks wurde daher die Diagnose auf Ovarialtumor gestellt 
und die Laparotomie vorgenommen. Erst jetzt zeigte es sieh, dass es sieh um 
einen retroperiloneal gelegenen, der Niere angchörigen, Tumor handelte, der 
\om Flankensehnitt aus entfernt wurde (Kiimmell). Fs war ein grosser 
Grawitz-Tumor, der in etwa Zweifaustgrösst' dem oberen Nierenpol aufsass. 

Der Wundverlauf war glatt und fieberfrei, sodass die Kranke nach fast 
4 Wochen geheilt entlassen werden konnte. 

Heute. 5 Jahre p. op. ist Pat. gesund. 

30. M.. Mann, 54 Jahre alt. Aufg. 23. S. 1910, cntl. 11. 10. 1910. 

Vor kurzem erfolgte Blutung, von kolikartigen Schmerzen begleitet. 
W’egen "Wiederholung dieser Koliken und Blutungen Aufnahme. Augenblicklich 
keine Beschwerden. 

Status praesens: Gut genährter Mann. Ein Tumor der Nierengegend 
ist nicht palpabel; das Böntgenbild ergibt keine deutliche Yergrüsserung der 
Nierenschatten. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY 0F IOWA 



1L Paschen. 


Digitized by 


226 


C yst oskopic: Irin rechts normal: links wenig Blut, vereinzelte Epithelien. 
Blutgefrierpunkt: 0,55. Nach 8 Tagen fanden sich links Cylinder und Fott- 
körnelienzellen. 

Operation (Kümmell): Exstirpation < 1 ri* linken Niere. Im Centrum der 
Niere findet >ieh ein (irawitz-Tumor. Der Wundverlauf war glatt und ungestört. 
4 \\ iM'lien p. op. geheilt entlassen. 

1 2 dalir p. op. Tod an Reeidiv. 

31. Seh.. Mann. öS Jahre alt. Aufg. ‘28. 10. 1010, entl. 11. 12. 1010. 

llypernephroma ren. sin. Nephrektomie. Heilung. 

Vor r 2 dahr zuerst Blut und Flocken im I rin bemerkt. Schmerzen ini 
Kreuz, keine eigentliche Kolik, auch kein Brennen beim Wasserlassen. Vor 
der Aufnahme schwere erneute Blutungen. 

Status praesens: Blasser Mann, massiger Ernährungszustand. Irin 
dunkelrot fast schwarz. Linke Nierengegend druckempfindlich. Milz nicht ver- 
grössert. Man fühlt in der linken Nierengegend einen derben, etwas druck¬ 
empfindlichen, etwa faustgrossen Tumor, der sich nach unten gut allgrenzen 
lässt, l’rin sauer, blutig: im Sediment frische und ausgelaugte rote Blut¬ 
körperchen. 

Oystoskopie: Vergrösserung der Prostata und in der Blase grosse 
Mengen von Blut, welche eine Sondierung der Nieren unmöglich machen. 

Blutgefrierpunkt O.öO. 

Operation (Kümmell): Flankenschnitt. Pie Niere ist in einen knolli¬ 
gen. kindskopfgrossen Tumor verwandelt. Da der Tumor scheinbar auch auf 
das Peritoneum übergegriffen hat. wird ein Stück reseeiert. Die exstirpierte 
Niere zeigt einen grossen Tumor von (irawitz'sehcm Typus. 

8 'Page nach der Operation traten leichte urämische Erscheinungen mit 
verminderter Harnsekretion auf. die jedoch sehr rasch wieder verschwanden. 
Der Blutgefrierpunkt nahm an Wert zu und betrug 14 Tage p. op. 0.54. Von 
da ab war der Wundverlauf ein glatter. Oelieilt ent lassem. 

Tod am 21. 10. 1014. 4 Jahre p. op. Woran? 

32. W., Mann. (>2 Jahre alt. Aufg. 0. 3. 1011. entl. 24. 4. 1011. 

llypernephroma ren. sin. Nephrektomie. Heilung. 

Vor 8 'Tagen erste Blutung ohne erhebliche Beschwerden, ln den nächsten 
'Tagen verschiedentlich teils blutiger, teils klarer I rin und Schmerzen in der 
linken Nierengegend. 

Status praesens: (lut gcnährtei Mann. Leber nicht palpabel. ln 
der linken Nierengegend ein faustgrosser, beweglicher Tumor, der auf Druck 
schmerzhaft ist. Im I rin finden sieh keim* pathologischen Bestandteile, zur 
Zeit auch kein Blut. 

Cystoskopie: Mässige Vergrösserung der Prostata. Die linke Niere 
sondert auch 20 Minuten nach der Injektion keinen blau-gefärbten Urin ab. 
Während in beiden Sondennrinon minimalste Spuren von Kiweiss sind, finden 
sieh links vereinzelte Cylindcr und Leukoeytcn. rechts nichts Pathologisches. 

Die Magen- und Darmaufnahmen ergaben eine gute Funktion. 

Die Röntgenaufnahme der linken Nierengegend zeigte einen undeutlichen 
vergrüsserten Schatten. 

Operation (Kümmel): Freilegung der linken Niere, auf der ein grosser, 
im Centruin verfallener, <irawitz’seher Tumor aufsitzt. Die Niere wird exstir- 
piert. die Wunde tamponiert. 

Mit ganz geringer Fistel geheilt entlassen. 

Tod am 13. 3. 1013 an Metastasen. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Das Schicksal clor wegen Grawitz-Tumor Operierten. 


227 


33. Fii. AI., 18 Jahre alt. Aufg. 24. 4. 1911, entJ. 29. 6. 1911. 

Vor 1 Jahre plötzlich einsetzende Schmerzen in der linken Seite, die alle 
3 Wochen wiederkehrten, später in noch kürzeren Intervallen. Auch Blutungen 
sind zeitweise aufgetreten. 

Status praesens: Kräftiges junges Mädchen in sehr gutem Allgemein¬ 
zustand. ln der Gegend der linken Niere ist eine schmerzhafte Resistenz zu 
palpieren. Das Röntgenbild zeigt einen grossen Tumorschatten der linken Niere. 

Cystoskopie: Beiderseits wenig Blut und vereinzelte Epithelicn. Blut¬ 
gefrierpunkt: 0,55. Durch Collargulinjektion wurde auf dem Röntgenbild nach¬ 
gewiesen, dass der Ureter links in den Tumorschatten führte. 

Operation (Kümmell): Freilegung der linken Niere, an deren oberem 
Pol ein Grawitz-Tumor sitzt, der mit dem Zwerchfell fest verwachsen ist. 
Exstirpation der Niere. Die Wunde heilt glatt, doch treten bald intensive 
Schmerzen in der ganzen linken Seite auf. Geheilt entlassen. 

Tod 5 Monate p. op. an Kecidiv. 

34. AL. Mann, 62 Jahre alt. Aufg. 29. 5. 1911, entl. 16. 8. 1911. 

Anfang 1910 Blasenblutung, weshalb ausserhalb Sectio alia gemacht 

wurde, ohne Steine zu finden. Dann sollen mehrere Steine abgegangen sein. 
Dann noch mehrere Blutungen. 

Status praesens: Blasser Mann in leidlichem Ernährungszustand. 

Cystoskopie: Rechts triibgclber Urin, wenig Albuinen, einzelne Cylinder 
und Epithelicn; links entleert sieh ein Blutgerinnsel; aus der eingelegten Sonde 
fliesst kein Urin. Blutgefrierpunkt: 0,58. 

Operation (Kümmell): Exstirpation der linken Niere, die in eine grosse 
Tumormasse verwandelt und mit der Umgebung fest verwachsen ist. Sie rcisst 
bei der Lösung ein und wird mit dem Löffel noch vollkommen entfernt. Lang¬ 
same, aber glatte Heilung. 

Nachricht vom 14. Juli 1915, 4 Jahre p. op., völliges Wohlbefinden. 

35. Frau; 44 Jahre alt. Aufg. 26. 9. 1912, entl. 7. 2. 1913. 

Hyperncphroma ren. dextr. Nephrektomie. Tod. 

Seit mehreren Wochen Schmerzen im Rücken, hauptsächlich in der linken 
Nierengegend. Im Urin soll Blut gewesen sein. 

Status praesens: Blasse, in ihrem Ernährungszustand etwas reduzierte 
Pat. Innere Organe o. B. Die Nierengegend ist beiderseits druckempfindlich; 
ein Tumor ist nicht zu fühlen. 

Cystoskopie: Normale Blasenverhältnisse. Die Uretcrcnsondierung er¬ 
gibt beiderseits nahezu gleichen Befund; deutliche Trübung, viel frisches Blut, 
wenig Blutschatten, vereinzelte Leukocyten. 

Das Röntgenbild Lässt einen Stein möglich erscheinen. 

Operation (Kümmell): Nephrotomie. Normale Verhältnisse, Dekap- 
sulation. Nach der Operation erholt sich Pat. etwas, aber die Beschwerden 
bleiben dieselben. 8 Tage p. op. finden sich beim Ureterenkatheterismus rechts 
mit Wahrscheinlichkeit Tumorzcllen. Funktion der linken Niere nicht so gut. 
Blutgefrierpunkt 0,57. 

Operation: Freilegung der rechten Niere, die am oberen Pol in eine 
grosse Geschwulst verwandelt und mit dem Zwerchfell verwachsen ist. Bei der 
Lösung reisst der Tumor ein; er kann nur stückweise entfernt werden. Exstir¬ 
pation der Niere, Tamponade. Die Wunde schliesst sieh relativ schnell. 5 Wochen 
p. sec. op. hat Pat. Schmerzen im Rücken und rechten Bein, ausserdem lässt 
sich ein Reeidiv des Tumors konstatieren. 

3 Monate p. sec. op. Exitus letalis unter Erscheinungen der Niereninsuffi¬ 
zienz. Wahrscheinlich Metastasen in der Wirbelsäule und lieber. 

Archiv für kl in. Chirurgie. Bd. 107. lieft ' 2 . ic 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



228 


R. Pa soll cn 


Digitized by 


36. V., Mann. 48 Jahre alt. Aufg. 23. 10. 1918, entl. 29. 11. 1918. 

Seit 2 Monaten 1>lut im l rin. Keine Schmerzen. 

Status praesens: Kräftiger, leieht aniimiselier Mann. 

Uystoskopie: Reelits blnthaltiger l'rin, der Eiweiss und rote und weisse 
Blutkörperchen enllüilt: links klarer l'rin. 

Operation (Kümmell): Freilegung der rechten Niere, an der ein 
grosser Tumor sichtbar wird. Exstirpation der Xiere. Heilung durch Fasoien- 
nekrose gestört. Pat. wird mit gut granulierender Wunde in Ambulanz 
entlassen. 

Nachricht vom 12. Juli 1915, l 1 2 Jahre p. op.. völliges Wohlbefinden. 

87. Er. Mann, 59 Jahre alt. Aufg. 22. 7. 1SS9, entl. 5. 10. 1SS9. 

Seit 1 Jahre Blutungen irr Urin mit unregelmässigen Intervallen. Seit 
1 4 Jahr bemerkte Pat. in der rechten Bauchseite einen sich allmählich ver- 
grössernden Tumor. 

Status praesens: Leicht abgemagerter Mann. In der rechten Lumbar- 
gegend findet sich ein holmenförmiger Tumor, der nicht mit dem Darm im 
Zusammenhang steht. Urin ist klar, normal. 

Operation (Siek): Exstirpation der stark vergrösserten und dislocierten 
Niere. Tamponade der grossen Wundhöhle. Verband. Guter Heilungsverlauf. 
Pat. wird mit gut granulierender, kleiner Fistel in ambulante Behandlung entlassen. 

Tod am 81. 8. 1S91, 1 :, / 4 Jahr p. op., woran? 

3S. J.. Mann, (14 Jahre alt. Aufg. 7. 11. 1889, entl. 22. 12. 1889. 

Früher stets gesund. Seit 8 Jahren Schmerzen in der rechten Nieren¬ 
gegend und Blut im Urin. Starke Abmagerung; vor 1 Jahr bemerkte Pat. 
einen Tumor in der rechten Xierengegend. 

Status praesens: Stark abgemagerter Mann. In der Gegend der Niere 
fühlt man einen fast kindskopfgrossen, unebenen, sehr beweglichen Tumor, der 
auf Druck schmerzhaft ist. Der Tumor wird vom Darm überlagert, verschiebt 
sich bei tiefer Inspiration und lässt sich deutlich von der Leber abgrenzen. 
Urin stark blutig gefärbt. 

Operation (Sic 10: Exstirpation der rechten Niere und grosser Tumor¬ 
massen. die teilweise mit der Vena cava verwachsen sind. Teilweise Naht und 
Tamponade. Langsamer, aber glatter Heilungsverlauf. Pat. wird 6 Wochen 
p. op. in ambulante Behandlung entlassen. (1 Wochen später ist die Winde 
völlig vernarbt. Pat. hat seit seiner Entlassung 18 Pfund zugenommen. Tod 
am 20. 1. 1898, 3 Jahre p. op. woran? 

39. Frau Br.. 61 Jahre alt. Aufg. 2. 2. 1894, entl. 9. 4. 1894. 

Früher gesund. Seit 7 -8 Wochen starke Blutungen im Urin. Keine 
Schmerzen. 

Status praesens: In der rechten Nierengegend ein kindskopfgrosser 
'rumor, teils fest, teils fluktuierend. Der Urin enthält Blut und wenig Epithelien. 
Ausserdem ist links vom Uterus ein etwa faustgrosser Tumor zu fühlen. 

Operation (Siek): Lumbarschnitt. Die Tumormassen können ohne Ver¬ 
letzung des Peritoneums nicht entfernt werden: es entsteht eine profuse 
Blutung, die Uava ist nicht verletzt. Blutstillung, teilweise Naht und Tamponade. 
Anfangs normaler Heilungsverlauf, dann wird der Urin trübe und Pat. muss 
katheterisiert werden. Bald darauf wird Pat. benommen. .Schliesslich Exitus. 

Aus dem Sek t ionsprotnkoll: Auf der Oberfläche der linken Niere 
finden sich zahlreiche Abseesse, welche sieh in grosser Menge auf dem Durch¬ 
schnitt wieder finden und hier namentlich einzelne Markhügel in ihrer ganzen 
Ausdehnung ausfüllen. Die Rinde, soweit nicht von Herden durchsetzt, ist 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Das Schicksal der wegen Grawilz-Tumor Operierten. 


229 


trübe, und lässt keine Einzelheiten erkennen. Ausserdem finden sieh in beiden 
Lungen einzelne Abseesse. An Stelle des linkeu Ovarium findet sich eine 
eitrige Dermoid ey s t e. 

40. Ft., Mann, 4S Jahre alt. Aufg. 23. S. 1894, entl. 28. 8. 1894. 

Seit 3 Jahren Hämaturie und Schwellung der rechten Nierengegend. 
Zeitweise war der Urin klar. Keine Schmerzen. 

Status praesens: Anämischer Mann von reduziertem Kräftezustand. 
Abdomen rechts aufgetrieben durch einen dicht hinter den Bauchdecken 
liegenden, über kindskopfgrossen Tumor, der von derber Konsistenz und wenig 
verschieblich ist. Der Urin ist trübe, enthält Gewebsfetzen neben spärlichem 
Blutgerinnsel, mikroskopisch massenhaft weisse, wenig rote Blutkörperchen. 

Operation (Siek): Laparotomiesclmitt rechts vom Nabel. Sehr 
schwierige Auslösung des Tumors, profuse Blutungen. Die Vena eava rcisst 
an der Einmündungsstelle der V. rcnalis ein, wird vernäht. Tamponade der 
ungeheuren Wunde. Situationsnähte. Ahends plötzlicher Kollaps; bald darauf 
Exitus letalis. 

41. D.. Manu, 75 Jahre alt. Aufg. 12. (>. 1898, entl. 3. 11. 1898. 

Seit l / 2 Jahr elend und bettlägerig; keine bestimmte Schmerzen. In den 
letzten 5 Wochen entwickelte sich unter dem linken Hippenbogen ein schnell 
wachsender Tumor. Hochgradige Abmagerung. 

Status praesens: Sehr elender, fast moribunder Mann. Zustand 
höchster Abmagerung. Eingesunkene Wange; matte Augen und Sprache. 
Unter dem linken Rippenbogen fühlt man einem kindskopfgrossen Tumor. Bei 
der Palpation kenne Schmerzen. 

Operation (Sick): Lumbarschnit-t links. Exstirpation der linken Niere. 
Boi der Lösung platzt der Tumor, starke Blutung. Tamponade. Kissenverband. 
Die Heilung wird durch eine diffuse Bronchitis verzögert. Die Wunde schliesst 
sich nur sehr langsam, wird mit Arg. nitr. geätzt. Geheilt entlassen. 

Pat. lebte noch eine Reihe von Jahren gesund und munter und starb 
über SO Jahre all. 

42. J., Mann, 52 Jahre alt. Aufg. 27. 9. 1900, entl. 15. 12. 1900. 

Früher stets gesund. Vor 3 Jahren, angeblich 3 Wochen lang, soll Blut 

im Urin gewesen sein. 

Status praesens: Kaehektiseher Mann. Im linken llypochondrium 
grosser, harter, etwas verschieblicher Tumor. Urin sauer, frei von Eiweiss usw. 
Bei der l’reterencystoskopie kann aus dem linken Ureter kein Urin gewonnen 
werden. 

Operation (Sick): Freilegung der linken Niere; hei ihrer Exstirpation 
rcisst das Peritoneum ein, Naht desselben, geringe Blutung. In der Nierenvene 
scheinen grössere Gesehwulstmassen zu sein. Tamponade. Situationsnähte. 
Verband. 

Gute Heilung. Pat. verlässt gegen ärztlichen Rat mit granulierender 
Fistel «las Krankenhaus. 

Tod am 23. 2. 1901. 4 Monate p. op., an Metastasen. 

43. Frau M.. 50 Jahre alt. Aufg. 17. 8. 1908, entl. 4. 12. 1908. 

Vor 20 Jahren Nierenblutung, vor 2[l 2 Jahren wiederum, mit Schmerzen 
in der rechten Seite. Seitdem etwa alle 2 Monate Wiederholung der Blutungen 
mit kolikartigen Schmerzen. Schon vor 0 Jahren wurde eine Geschwulst in der 
rechten Seite bemerkt. 

Status praesens: Gut genährte Frau. In der rechten Nierengegend ist 
ein höekriger Tumor deutlich zu fühlen. 

10* 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


230 K. Raschen, 

Uystoskopie: Links klarer I rin, wenig Leukoovten. Hart. coli. Rechts 
eitriger I rin und Hart. roli. Blutgefrierpunkt: 0,57. 

Operation (Sick): I)rr Tumor wird freigelcgt: er ist ausgedehnt und 
auf das Peritoneum übergegangen. Die Niere und die Tumormassen werden 
entfernt. Der Heilverlauf war glatt. (ieheilt entlassen. 

Nachricht vom 1. Juli 1915. 7 Jahre p. op.. Allgemeinbefinden gut. 

44. 1L, Mann, 49 Jahre alt. Aufg. 19. S. 1912, entl. 20. 10. 1912. 

Seit (> Jahren öfters Xierensteinkoliken: die Steine gingen von seihst ab. 
Keine Schmerzen heim Wasserlassen. 

Status praesens: Kräftiger Mann in entern Ernährungszustand. in der 
linken Nierengegend keine Schmerzen. Drin fast nur Hlut. Zeitweise werden 
Ureterausgüsse unter Schmerzen ausgepresst. 

Uystoskopie lt<‘ 1 inirt erst nach mehrmaligem Versuch: Links sehr viele 
Leukocvten, wenig Erylhrocyten, Hact. coli comin. Linke Niere im Röntgen- 
bild etwas vergrössert, Diagnose nicht sicher zu stellen. Wegen der starken 
Blutungen wird trotzdem operiert. 

Operation (Sick): Freilegung und Exstirpation der vergrössert en. 
matschen, dunkelblauroten linken Niere, an deren vorderer Fläche unten ein 
kleiner Tumor sichtbar ist. Heim Durchschneiden findet sich 1. ein hühnerei¬ 
grosser, massig derber, mit Blutgerinnseln überzogener Tumor, der dem unteren 
Teil der Niere aufsitzt und mit massig dickem Stiel in das Nierenbecken hin¬ 
eingewachsen ist; 2. ein haselnussgrosser wie eine Metastase aussehender Tumor 
von gallertiger Konsistenz, der die Oberfläche um Fingerbreite überragt; 8. ein 

spitzer, wie ein Infarkt aussehender, lM-Stück grosser Tumor an der Oberfläche: 
4. im oberen Teil des Nierenbeckens ein mandelförmiger, harter Stein, der in 
der Mitte aus allem Blutgerinnsel zu bestehen scheint. 

(iuter Heilungsverlauf. Mit geringer Fistel in privatärztliehe Behandlung 
entlassen. 

1915, 2 4 Jahn* p. op.. völliges Wohlbefinden. 

45. M., Mann, 42 Jahre alt. Aufg. 11. (>. 1914, entl. 29. 6. 1914. 

Im Oktober 1918 wegen Nieren bl Utens operiert. Entfernung der linken 
Niere. Seit 2 Monaten bemerkt er, angeblich infolge eines Unfalls, wieder 
Knoten in der (»egend der Narbe* und Schmerzen im Leih. 

Status praesens: Zwischen 12. Hippe und Beckenkamm im Narbenbereicli 
sind knollige Tumoren palpabel; Drurkcmpfindlichkeit der Nierengegend. 
Diagnose: Reeidiv eines (irawitz-Tumors. 

Operation (Sick)' Längsschnitt über der alten Narbe, Ausschälung der 
Tumormassen, dabei wird infolge von Verwachsungen das Bauchfell eröffnet. 
18 Tage später in Ambulanz entlassen. 

Wiederaufnahme S W ochen später. In der linken Seite, entsprechend den 
2 alten Operationsnarben sind mehrere grosse Tumoren zu fühlen; sie werden 
mit Arsen und Röntgenstrahlen behandelt. 2 kleine oberflächliche Metastasen 
in der linken Nierengegend und am linken Oberarm werden im Uhloräthyl- 
rausch exstirpiert. 11. 12. in Ambulanz entlassen. 

Wiederaufnahme 81.8. 1915. 

Elend aussehender Mann. In der alten Nephrektomienarbe links hühnerei- 
grosse Tumoren. Rasch zunehmender Marasmus. 

1. 5. 1915. Exitus letalis an Metastasen. 

4(L M ann, 55 Jahre alt. Reichlich V 2 Jahr vor der Operation einmalige 
Blutung aus der Blase, (’vstoskopisch in der Blase nichts zu finden. Nieren 
nicht vergrößert. Wiederholte Urinuntersuchung ergab völlig normale Ver- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Das Schicksal der weiten Grawitz-Tumor Operierion. 


231 


hältnisse. kommt erst nach 1V 2 Jahren wieder mit der Angabe, in den letzten 
Monaten mehrfach Blut entleert zu haben, abgemagert zu sein und eine An¬ 
schwellung in der rechten Seite zu haben. 

Befund: Mannskopfgrosser Tumor der rechten Nierengegend. 

Operation (Siek): Flankensehnitt, der bis zur Mittellinie verlängert 
werden muss. Exstirpation der rechten Niere, die in einen kopfgrossen Tumor 
verwandelt ist. Das Peritoneum muss bei der Exstirpation eröffnet werden. 
Einige Drüsen an der V. cava, die vergrössert sind, werden entfernt. Naht des 
Peritoneums. Teilweiser Verschluss der enormen Wunde. Tamponade. Geheilt 
entlassen. 

Pat. bekommt V 4 Jahr p. op. Gehirnerscheinungen und geht bei einem 
Tobsuchtsanfall zu Grunde. Metastasen im Gehirn? 

47 . Mann, 45 Jahre alt. Einmal Blutverlust beim I rinlassen. 

Bei der rntersuehung findet sich eine, etwa ums doppelte vergrösserte. 
linke Niere. 

Operation (Sick): Exstirpation der linken Niere, die im unteren Pol 
einen faustgrossen Grawitz-Tumor enthält, der an einer Stelle in das Nieren¬ 
becken perforiert ist. Wunde wird völlig geschlossen. Geheilt entlassen. 

Pat. befindet sich heute noch, 3 Jahre p. op. völlig wohl. 

48 . Frau, 68 Jahre alt. Erkrankt mit starker Darmblutung. 

Man fühlt in der rechten Bauchseite einen apfelsinengrossen, beweglichen 
Tumor, der sich vom Rippenbogen aus bis zum Nabel verschieben lässt. Keine 
Darmstörungen, ausser gelegentlicher Obstipation. Urin völlig normal. 

Diagnose: Tumor des Colon transversum in der Gegend der Flexura 
hepatica. 

Operation (Siek): Laparotomie. Der Tumor erweist sieh als die herab¬ 
gesunkene rechte Niere, die an ihrem unteren Pol einen etwa eitronengrossen 
Tumor enthält. Freilegen der Niere. Da der Tumor kugelig auf dem unteren 
Nierenpol aufsitzt, wird der untere Nicrcnpol keilförmig mit dem Tumor exeidiert, 
das Nierenbecken anscheinend nicht eröffnet und die Wunde der Niere durch 
eine Anzahl Knopfnähte geschlossen. Herausleitung eines Tampons nach hinten, 
sonst Schluss der Wunde. Geheilt entlassen. Die Darmblutung blieb unauf¬ 
geklärt. Niemals mehr Blutabgang. Tod der Pal. an Marasmus senilis etwa 
10 Jahre p. op. 

49 . Mann, 48 Jahre alt. Seit einiger Zeit Unterleibsbesehwerden und 
geringer Blutabgang mit dem Urin. Vom Nervenarzt als Hystericus behandelt. 

Befund: Vergrösserte, palpable rechte Niere. Wegen starker Krümmung 
der Urethra Cvstoskopie nicht möglich. Im Röntgenbild nur vergrösserter 
Nierenschatten. Jm Urin Blut, kein Cvlinder, keine Geschwulstelcmente. Zur 
Radikaloperation kommt Pat. erst l 1 /«» Monate später. 

Operation (Siek): Exstirpation der rechten Niere, die fast auf das 
Dreifache vergrössert ist. Die Drüsen an der V. renalis sind geschwollen und 
werden entfernt. Partielle Naht und Tampon der Wunde. Langsame Heilung. 
1 .fahr p. op. Tod an Darmblutungen. 

50. S.. Mann, 42 Jahre alt. Aufg. 2. 1. 1913, entl. 1. 2. 1913. 

Seit 2 Jahren bemerkt Pat. eine allmählich anwaehsende, mit der Körper¬ 
lage sehr bewegliche Geschwulst unter dem linken Rippenbogen. Im Urin hat 
Pat. nichts bemerkt. 

Status praesens: In der linken Bauchseite ein grosser, grobhöckriger, 
harter, frei beweglicher Tumor ohne Sehmerzempfindliehkeit. Das Uolon desc. 
verläuft vor dem Tumor. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



232 


R. Paschen, 


Digitized by 


Cystoskopie: Rechter Ureter funktioniert normal, linker überhaupt 
nicht, dann Hlui 11 nir. 

Operation (Sudeck): Kxstirpation der linken Niere, an deren unterem 
Pol sich ein gewaltiger Tumor befindet, der sich nur schwer aus seiner Höhle 
lösen lässt. Die radikale Ausräumung der bereits metastatisch infiltrierten 
regionären Drüsen ist nicht möglich. Drainage, teilweise Naht. Geheilt ent¬ 
lassen. Heber das spätere Schicksal ist nichts zu erfahren. 

51. Frau S., 58 Jahre alt. Aufg. IG. 7. 1911, entl. 21. 8. 1911. 

Seit 13 Jahren bemerkte Pat. Blut im I rin; seit mehreren Jahren 
Schmerzen in der rechten Seite. 

Status praesens: Aeltere Frau in gutem Ernährungszustand. In der 
rechten Nierengegend ein Tumor in der Tiefe fühlbar, etwas empfindlich. 

Cystoskopie: Linker Ureter funktioniert in kräftigem, regelmässigem 
Strahl. Rechter Ureter funktioniert gar nicht. Blutgefrierpunkt: 0,60. 

Operation (Wiesinger): Lumbarschnitt. Exstirpation der rechten Niere, 
an deren unterem Pol ein apfelgrosser Tumor sitzt; dabei wird das Peritoneum 
verletzt. Tamponade, teilweise Naht. Verband. Fast geheilt entlassen. 

14. 7. 1915, 4 Jahre p. op., völliges Wohlbefinden. 

52. Frau Gr., 32 Jahre alt. Aufg. 30. 1. 1897, entl. 13. G. 1897. 

Früher stets gesund. Seit \ l l2 Jahren bemerkte Pat. eine Anschwellung 

des Leibes. Keine Schmerzen. 

Status praesens: Derber Tumor von glatter Oberfläche im linken 
Hypochondrium, nicht druck empfindlich. 

Operation: Laparotomieschnitt links. Exstirpation der linken Niere, die 
in einen eyslisehen Tumor verwandelt ist von etwa Mannskopfgrösse. Von der 
Niere ist nur ein kleiner Rest sichtbar. Die Geschwulst erweist sich als Grawitz- 
Tumor. Tamponade und teilweise Naht. Sehr langsame Heilung. Hämoglobin- 
gehalt: 54pUt. Mastkur und Massage, wird mit GSpCt. Hämoglobin entlassen. 
Nach 7 Wochen kommt Pat. wieder wegen Schmerzen in der Narbe. Auf 
Ineision entleert sich eine Menge Eiter, in ambulante Behandlumg entlassen. 

Nachricht vom 15. 7. 1915, 1S V 2 Jahre p. op., Befinden sehr gut. 

53. F., Mann, 32 Jahre alt. Aufg. 17. 6. 1898, entlassen 26. 9. 1898. 

Seit Anfang des Jahres Husten und Blutspucken. Früher Spondylitis. 

Status praesens: Die linke Bauehhälfte wird ausgefüllt von einem 

mannskopfgrossen, nicht druckempfindlichen Tumor, der mit der Atmung nicht 
verschieblich ist. 

Operation. Laparotomieschnitt links. Exstirpation des grossen Tumors, 
der der linken Niere angehört und sich als Grawitz-Tumor erweist. Tampo¬ 
nade. Verband. Es bildet sieh nach etwa 14 Tagen eine Kotfistel, ausserdem 
secerniert die Wunde Eiter. 

Zunehmender Verfall, Ileus, Herzschwäche. Schliesslich Tod. 

Sektion: Metastasen am Peritoneum, Lungen, rechter Niere, rechtem Stirn¬ 
lappen. Abschnürung des Dünndarms durch verwachsene Darmschlingen. 
Thrombose der Mesenterialvenen. Meteorismus. 

54. v. L., Mann, 50 Jahre alt. 

Pat. kommt mit Blutung und kindskopfgrossem fühlbarem Tumor der 
rechten Niere. 

Operation (Sudeok): Lumbale Freilegung der rechten Niere und Exstir¬ 
pation derselben. Geheilt entlassen. 

1915, 4 Jahre p. op., gesund. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten. 


233 


Tabellarische Uebersicht. 


A ii t o r 

Ge¬ 

schlecht 

1 Alter 
Jahre 

' Initial- 
| Symptom 

Operation >) 

1 

1 Fernrcsultat 

1 

A 1 brecht. 

männl. 

! 36 

1 

Schmerzen 

L; rechts 

Tod 24 St. p. op. 


weibl. 

1 44 

Hämaturie 

L: links 

* 7 J. p. op. gesund, dann Metast. Tod. 



i 51 

Schmerzen 

L; links 

Tod 2 J. p. op. an The. pulm. 



1 53 

1 Hämaturie 

L P; links 

4 J. p. op. Metast. Tod an Pneumonie. 


männl. 

42 

rt 

T; rechts 

7 Mon. p. op. Tod an Reeidiv. 


weibl: 

i 35 

Schmerzen 

L; rechts 

9 Mon. p. op. Tod. 


männl. 

45 

Hämaturie 

Ti; links 

; 7 Mon. p. op. Tod an Metastasen. 

— 


43 

„ 

L; links 

1 2 l / 4 J. p. op. Tod an Reeidiv. 



34 

Schmerzen 

T: links 

' Tod im Anschluss an Operation. 



i 47 

Tumor 

L: links 

1 Tod im Anschluss an Operation. 



1 66 

Schmerzen 

T; links 

i 8 Mon. p. op. Tod an Metastasen. 



47 


L; rechts 

Tod 8 Tg. p. op. an Metastasen. 

_ 


40 

y» 

L: links 

1 4 Mon. p. op. gesund. Tod d. Suicid. 


weibl. 

54 

r 

L; rechts 

8 Tg. ]>. op. Tod an Prämie. 



57 

.. 

L; rechts 

Tod im Anschluss an Operation. 


männl. 

45 


L; links 

Tod im Anschluss an Operation. 


weibl. 

. 28 


T; links 

j 12 1 0 J- p. op. gesund. 

_ 

männl. 

44 


L; links 

i Tod 4 J. p. op. an Reeidiv. 


weibl. 

58 

Hämaturie 

L;.links 

12 J. p. op. gesund. 

_ 

männl. 

53 

Tumor 

T; rechis 

1 3 Tg. p. op. Tod an Herzschwäche. 

_ 

weibl. 

5S 


Ij; links 

11 .1. p. op. gesund. 

_ 


43 

„ 

L: links 

; 2 J. p. op. gesund. 

r 

männl. 

36 

Hämaturie 

L: links 

; 13 Mon. p. op. gesund. 

„ 


54 


1 L; rechts 

1 1 2 J. P- op. Tod an Reeidiv. 

K. Br a atz. 

weibl. 

49 

n 

| L; rechts 

1 1 .1. p. op. Tod an Metastasen. 



44 

Schmerzen 

L; links 

3 V 2 J. p. op. gesund. 

V. Calien. 


53 

Tumor 

, T L: links 

i Tod im Anschluss an Operation. 

P. Clairmnnl. 


58 

** 

T; links 

1 Tod im Anschluss an Operation. 


.. 

! 27 


1 T: links 

Tod im Anschluss an Operation. 



1 52 

Sch merzen 

Tj; links 

| Tod 2 Mon. p. op. ? 

„ 

männl. 

1 1V 4 

Tumor 

L P: rechts 

Tod an Urämie. 

.. 


i 40 

Hämaturie 

L P; rechts 

| Tod 3 J. p. op. an Urämie. 


weibl. 

39 

Tumor 

L P; rechts 

1 3 */ 2 J. p. op. gesund. 


männl. 

59 

Schmerzen j 

L P; links 

1 Tod im Anschluss an Operation. 

m 

weibl. 

1 40 

! Tumor j 

T: rechts 

Tod im Anschluss an Operation. 


männl. 

1 48 

Schmerzen j 

L; rechts 

Tod 17 Mon. p. op. an Phthisis. 



54 

r 

L P: rechts 

1 Tod im Anschluss an Operation. 

_ 


54 

Hämaturie 

L P: rechts 

Tod 9 Mon. p. op. an Metastasen. 

* 

weibl. 

1 42 

Tumor 

L P; links 

18 Mon. p. op. gesund. 

m 


1 47 

« 

L P; links 

1 5 Mon. p. op. gesund. 

• Pelgcskamp. 

männl. 

53 

V 

L; links 

1 Tod 1 .1. p. op. an Reeidiv. 



! 63 

Tumor 

L; rechts 

8 1 2 .). p. op. gesund. 

„ 

weibl. 

l 40 1 

?* 1 

L; rechts 

3 .1. p. op. gesund. 


männl. 

63 1 

1 

L: rechts 

I Tod 3 Mon. p. op. an Reeidiv. 

y. 


55 


L; links 

Tod 6 Mon. p. op. an Reeidiv. 


weibl. 

43 

1 

L: links 

1 4 Mon. p. op. gesund. 

_ 

männl. 

47 1 

- 1 

L; links 

1 5 J. p. op. gesund. 


weibl. 

1 431 


T; links 

8 Mon. p. op. Metastasen. 

ff 


, 46 I 

r 1 

L: rechts 

1 J. p. op. gesund. 


1) Lumbale Nephrektomie = L; mit Verletzung des Peritoneums — L P: 
transperitoneale Nephrektomie = T. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 






234 


K. Paschen 


A u i o r 

Ge- | 
schlecht 

Alter i 

Jahre; 

Initial- 1 

Symptom i 

Operation 

Fernresultat 

(i. Delgeskamp. 

männl. 1 

48 

Tumor 

L; rechts 

6 Mon. p. op. gesund. 


- 1 

61 


L; rechts 

Tod im Anschluss an Operation. 

I. Fabricius. 

weibl. 

62 

„ 

L; rechts 

Tod 10 Mon. p. op. an Metastase. 

•» 

„ 

48 

Schmerzen 

L; rechts 

Tod 9 Mon. p. op. an Metasta^ 



46 

Spontanfrakt. 
d. 1. 10 . Kippe 

L; rechts 

Tod 8 Mon. p. op. an Metastabil 


männl. 

55 

Schmerzen 

Res.; links 

4 J. p. op. gesund. 

6 l / 2 J. p. op. Tod an Metastasen. 

1>. Fischer. 


49 

Hämaturie 

L; links 

B. Grobe. 


89 

„ 

T; links 

Tod 4 Tg. p. op. 



46 

V 

T; links 

Tod 4 Tg. p. op. 

.. 

w ei 1 ) 1 . 

44 

Schmerzen 

T; rechts 

Tod 3 Mon. p. op. an Nephritis 


r> 

49 

Tumor 

T; rechts 

2 J. p. op. Tod an Metastasen. 

* 

männl. 

7)6 

Schmerzen 

T; rechts 

l U J- gesund. 


weibl. 

45 

Tumor 

T; links 

2 V 2 J. p op. Tod ? 


männl. 

45 

Hämaturie 

L: rechts 

11 Mon. gesund. 

1 \ Grosheintz. 


43 


L P; links 

Tod im Anschluss an Operation. 


wcibl. 

65 

— 

L 

Tod an Metast. im Anschi, an ü|- 

Hartung. 

männl. 

46 

Hämaturie 

T; links 

Tod im Anschluss an Operation. 

.. 


48 


L; links 

3 Mon. p. op. gesund. 


weibl. 

48 


T: links 

Geheilt entlassen. 

.. 


62 

Gewichtsabn. 

L; links 

Tod 2V 2 Mon. p. op. an Meta* 

II. Heid 1 er. 


25 

Seil merzen 

L; rechts 

5 ,J. p. op. gesund. 

Hein lein. 


28 


T; rechts 

3 J. p. op. gesund. 

« 

männl. 

58 

Hämaturie 

L; rechts 

14 Mon. p. op. gesund. 

K. Hoffman n. 

n | 

47 

Tumor 

L; links 

47-, J. p. op. Tod an Tneumon 



59 

„ 

L; links 

1 V 2 J. p. o]). Tod an Metast. 

„ 


29 


L; rechts 

Tod im Anschluss an Operation. 



56 


Res.; links 

Tod im Anschluss an Operation. 

.1. Israel. 

weibl. 

48 

Druckgefühl 

L; links 

9 .T. 7 Mon. gesund. 


männl. 

61 

Hämaturie 

L; links 

1 53/4 d. p. op. Tod an Herzleider. 


n 

1 58 

Koliken 

L; links 

2 V 4 J. p. op. Tod an Reeidiv. 


weibl. 

1 52 

Gewichtsabn. 

L 

6 Mon. p. op. Tod an Metast. 


männl. 

58 

Koliken 

L; links 

j Tod im Anschluss an Operation 



67 

Hämaturie 

L 

, 1 J. p. op. gesund. 

2 J. p. op. Tod an Nephritis. 


*» 

26 


L; links 


„ 

— 


L P; rechts 

Tod im Anschluss an Operation. 



,r, T 

„ 

L; links 

1 V, J. p. op. Tod an Metast. 

n 


1 48 

Koliken 

L; links 

11 Tg. p. op. Tod an Metast. 


weibl. 

58 

Hämaturie 

L P; rechts 

; 5 J. 10 Mon. p. op. gesund. 


männl. 

i 55 


L; rechts 

Tod im Anschluss an Operation 

^ * 


59 


L; links 

Geheilt entlassen. 



1 56 

Koliken 

L P; rechts 

i Geheilt entlassen. 

v> 


48 

Hämaturie 

L P; rechts 

i Geheilt entlassen. 



f-.;52 

Tumor 

T; links 

3 Mon. p. op. Tod an Metast. 


_ 

64 

Hämaturie 

L; rechts 

: 2 J. p. op. gesund. 

K apsHinmcr. 

V 

27 


L; rechts 

1 Geheilt entlassen. 


„ 

1 42 

Sch merzen 

L; rechts 

3 J. p. op. gesund. 


„ 

■ 45 

Hämaturie 

L; links 

1 J. 8 Mon. p. op. gesund. 

„ 

weibl. 

47 

Schmerzen 

L P; links 

! Geheilt entlassen. 


männl. 

41 

Hämaturie 

L P; rechts 

Geheilt entlassen. 1 


r» 

| 65 


L: rechts 

• Geheilt entlassen. 

„ 

weibl. 

41 

Schmerzen 

L P; rechts 

i Geheilt entlassen mit Metast. 

- 

männl. 

42 

Hämaturie 

| L; rechts 

i Geheilt entlassen mit Metast. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 






Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten. 


235 


Autor 

Ge¬ 

schlecht 

Alter 

.Jahre 

Initial¬ 

symptom 

Operation 

Fernresultat 

Kapsam in er. 

weibl. 

54 i 

Hämaturie 

L; links 

Geheilt entlassen. 


männl. 

66 


L P; rechts 

4 Tg. p. op. Tod an Gasphlegmone. 


weibl. 

54 


L; links 

27 8t. p. op. Tod an Anurie. 


männl. 

65 

„ 

L; rechts 

12 Tg. p. op. Tod an Herzschwäche. 
15 l /2 Mon. P- op. Tod an Roeidiv. 

K rö n 1 e i n. 


39 

— 

L; rechts 



59 

- 

L: rechts 

7 Mon. p. op. Tod an Recidiv. 



59 

— 

L; rechts 

13 Mon. p. op. Tod an Recidiv. 

- 

- 

50 

—• 

L; links 

11 J. p. op. gesund, dann Recidiv 
und 1 .). p. sec. op. Tod. 

_ 


47 

— 

L; rechts 

3 .1, p. op. gesund. 


weibl. 

53 

— 

L; links 

2 V 2 J. p. op. gesund. 


männl. 

55 

- 

L; rechts 

Wenige Mon. p. op. Tod an Recidiv. 



49 

— 

L; links 

16 Mon. p. op. Tod an Recidiv. 



51 

— 

L; links 

4 Mon. p. op. gesund. 

K. Küste r. 


56 

Hämaturie 

L P; links 

9 Mon. p. op. Tod an Mctast. 

P. Kuzmik. 


57 

_ 

L; links 

5 J. p. op. gesund. 


weibl. 

54 


Tj ; rechts 

1 , / 2 J. p. op. Tod an Urämie. 


männl. 

56 

Tumor 

L; links 

26 Tg. p. op. Tod an Mctast. 

Loli nstei n. 

„ 

27 

Hämaturie 

L; rechts 

3 J. p. op. gesund. 

G. Lot heissen. 


20 

Tumor 

T; rechts 

2 1 / 2 J. p. op. gesund. 


weibl. 

56 

Schmerzen 

L; rechts 

V 2 4. p. op. Tod an Recidiv. 

M. Martens. 

männl. 

54 


L; links 

Geheilt entlassen. 


•t 

48 


L; links 

Geheilt entlassen. 

M. Neu. 

weibl. 

76 

Gewichtsabn. 

T; rechts 

5 Mon. ]). op. gesund. 

G p f e r. 

männl. 

52 

Hämaturie 

L; rechts 

1 J. p. op. gesund. 

G. Pirsch ner. 


54 

Schmerzen 

L; links 

! 5 ,J. 2 Mon. p. op. gesund. 


weibl. 

40 


L 1*: links 

1 Mon. p. op. Recidiv. 


männl. 

, 60 

Hämaturie 

L 

1 J. p. op. Tod an Urämie. 

m 


59 

„ 

L; rechts 

1 J. p. 0 ]). Tod an Recidiv. 



1 47 

Schmerzen 

L P; rechts 

1 Mon. p. op. Tod an Herzschwäche. 

m 

weibl. 

1 32 

i w 

. L; links 

2 V 2 4* P- op. viel Recidive. 


männl. 

• 40 

Hämaturie 

L; rechts 

3 V 2 J. p. op. gesund. 



i 51 

Schmerzen 

L; links 

2 3 / 4 J. p. op. gesund. 



! 48 

Hämaturie 

LP; rechte 

Tod im Anschluss an Operation. 



57 

r 

LP; rechts 

2 J. p. op. gesund. 



55 

Schmerzen 

LP; rechts 

Tod im Anschluss an Operation. 



64 

Hämaturie 

1 L: links 

3 Tg. p. op. Tod an Peritonitis. 


weibl. 

54 


j L; rechts 

Tod im Anschluss an Operation. 

m ! 

männl. 

; 59 

Schmerzen 

j L P; rechts 

10 Mon. p. op. Tod an Metast. 


•9 

42 


f L P ; links 

Geheilt entlassen. 


weibl. 

51 

Tumor 

T; rechts 

6 Mon. ]>. op. Tod an Metast. 


männl. 

58 

Hämaturie 

L; links 

5 Mon. p. op. gesund. 


weibl. 

35 

Schmerzen 

1 L ; rechts 

4 Mon. p. op. gesund. 


männl. 

61 

Hämaturie 

LP; links 

2 Mon. p. op. gesund. 

V. Schmieden. 

„ 

1 42 


S L; links 

9 J. p. op. gesund. 

„ 

99 

45 

— 

t L. 

8 J. p. op. gesund. 

\V. Svkow. 

r 

i 63 

Schmerzen 

i LP; links 

1 J. p. op. gesund. 

D. Wallace. 

weibl. 

30 

Hämaturie 

| L ; rechts 

4 V 2 J. ]>. 0 [). gesund. 

„ 

männl. 

!' ,52 


1 L; links 

2 1 2 *L P- op. gesund. 

Weil. 


56 


L 

■ Geheilt entlassen. 

Refer. Jeimke. 


48 

Schmerzen 

T: links 

| Geheilt entlassen. 

Uefer. ITom 1)or«r. 


i 57 

Tumor 

L 

1 Geheilt- entlassen. 

Kefer. Perin au. 

- 

— 

Schmerzen 

L 

1 Geheilt entlassen, später gesund. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 







23 ^ 


K. Pasidien, 


Autor 

(ie- 

sehlei-ht 

Alter 

Jahre 

Initial- 
sv mptom 

Operation 

• 

Fernrcsu ltat 

Kc»f#*r. Perin au. 

iniinnl. 


Schmerz«*!) 


L 


(««•heilt entlassen, später gesun«l. 

Hofer. W. Wendel. 


55 

Hämaturie 

L: 

re« 

hts 

7 Mnn. p. op. Tod an Metast. 

Refer. Kiese. 

Weild. 

29 

Tumor 

T: 

reehts 

6 Wochen p. op. gesund. 

Kefor. F. Peuekert. 


41 



I. 


3 : V 4 ,1. p. op. Tod an Metast. 

_ 

iniinnl. 

4S 

— 


L 


2 J. p. «> p. gas und. 


.. 

50 

— 


L 


2 .1. p. op. gesund. 

Kefer. Tedenat. 

w ei hl. 

57 

Hämaturie 

L 

links 

7 V 2 J. p. op. gesund. 


iniinnl. 

46 



L 


2 .1. p. op. Tod an Metast. 

K. Pa sehen. 


43 


L: 

re» 

hts 

14 .1. p. op. gesund. 



60 

„ 

L: 

re« 

hts 

1 1 -2 Mon. p. op. Tod an Metast. 



54 

Schmerzen 

L 

lii 

ks 

T«»d im Anschluss an Operation. 

_ 

\\eihl. 

50 

Hämaturie 

L 

lii 

ks 

2 .1. p. op. gesund. 



53 


L 

lii 

ks 

7 1 2 J- p- op. gesuml. 



49 

Sehmerzen 

L; 

re« 

Ins 

9 ,1. p. op. gesund. 


iniinnl. 

45 


L 

lii 

ks 

1 .1. p. op. Tod an Metast. 



60 

Hämaturie 

L: 

re« 

hts 

Tod an Anurie. 



45 


L 

lii 

ks 

Tod an Prämie. 



47 


L: 

re« 

hts 

10 M«m. p. op. Tod an Metast. 



59 


L 

lir 

ks 

11 .1. p. op. gesund. 


.. 

54 


L; 

re« 

hts 

Tod im Anschluss an Operation. 



6S 


L 

lit 

ks 

*/, .1. p. op. Tod an Darnu-aroiim: 


weihl. 

53 


L ; 

re« 

hts 

3 .1. p. op. gesund. 


iniinnl. 

62 

_ 

L: 

re« 

hts 

4 Mon. p. «>p. Tod. 



66 


I.; 

re« 

hts 

Tod kurz p. op. an Lungenemh«»l - 



53 


L: 

re« 

hts 

4 l o ,1. p. op. gesund, dann Tod an: 



1 49 


L: 

re« 

hts 

Tod im Anschluss an Operation. 


.. 

1 59 

, 1 >ru«*kgofiihl 

L 

lii 

ks 

Mon. p. op. Tod an Metast. 



, 51 

Seh merzen 

1. 

lii 

ks 

2 ,1. ]). op. Tod an Metast. 


weihl. 

50 


1 L: 

r<*< 

hts 

7 ,1. p. op. g«‘sund. 



25 

Hämaturie 

: L: 

re« 

hts 

3 J. p. oj). gesund. 

• 

iniinnl. 

45 


: L: 

re« 

hts 

1 2 *1- p. op. gesund. 



73 

Sehmerzen 

1 L: 

lii 

ks 

1 2 J. p. op. gesund. 


weihl. 

51 


L: 

re« 

hts 

5 .1. p. op. gesund. 


miinn 1. 

50 


L: 

lii 

ks 

1 1 .1. p. op. Tod an Metast. 



1 54 

Hämaturie 

L: 

re« 

hts 

4 1 * 2 d. p. op. Tod an LymphadeniiS 



60 

Tumor 

1 T - 

lii 

ks 

15 Tg. ]>. op. Tod an llerzsehwä«# 


weihl. 

46 

j — 

L: 

r« 1 « 

hts 

5 J. p. op. gesund. 


mim itl. 

54 

Hämaturie 

L 

: lii 

ks 

1 2 T p. op. Tod an Reeidiv. 


weihl. 

IS 

Seh merzen 

L 

; lii 

ks 

5 Mon. p. op. Tod an Ke«*idiv. 


iniinnl. 

62 

Hämaturie 

L 

; lii 

ks 

4 J. p. op. gesund. 



! 43 


h; 

re« 

hts 

1 :{ / 4 J. |>. op. gesund. 



! 59 


L: 

re« 

hts 

1 :1 4 J. p. op. Tod. 



64 

Sehmerzen 

L: 

re« 

hts 

3 */ 4 .1. p. o]>. To«l. 


weihl. 

61 

Hämaturie 

h P 

: n 

ehts 

2 Mon. ]). op. Tod an Pyonephmv 


iniinnl. 

43 

•• 

1 T ? 

re« 

hts 

Tod im Anschluss an Operation. 


.. 

75 

Kräfte verfall 

L; 

; lii 

ks 

5 .1. p. op. gesund, dann To«l :e 








Marasmus. 


.. 

52 

1 liimaturie 

L 1 

: links 

4 Mon. j). op. Tod. 


Weihl. 

56 

i 

L; 

re« 

hts 

7 J. p. op. gi'sund. 


iniinnl. 

49 


1 ^ 

lit 

iks 

3 J. p. op. gesund. 

_ 


42 


L: 

lii 

ks 

1 l / 2 J. ]). op. Tod. 



55 


L: 

re« 

hts 

V 4 .1. p. op. Tod an Metast. 


- 

45 


! L: 

re« 

hts 

3 ,1. i«. op. gesund. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 






Das Schicksal der wegen Grawitz-Tumor Operierten. 


237 


A utnr 

Ge¬ 

schlecht 

Alter j 

Jahre 

Initial¬ 

symptom 

1 Operation 

Fernresultat 

Paschen. 

weibl. 

68 

Tumor 

Res.; rechts 

i 10 J. p. op. gesund, dann Tod an 
Marasmus. 

.. 

männl. 

48 

llämat urie 

L: rechts 

1 J. p. op. Tod an Darmblutungen. 


weibl. 

58 ! 


L P; rechts 

4 J. p. op. gesund. 

_ 

„ 

31 

Tumor 

T; links 

i 18 Co J. p. op. gesund. 

m 

männl. 

32 


T; links 

4 Mon. ]>. op. Tod an Metast. 



42 

V 

L; links 

, Geheilt entlassen. 



50 

Hämaturie 

L; rechts 

4 J. p. op. gesund. 



58 


L; links 

4 J. p. op. Tod. 



62 i 


L; links 

2 J. p. op. Tod an Metast. 

- 

weibl. 

44 

i 

Schmerzen 

L: rechts 

3 Mon. p. op. Tod an Niereninsuf¬ 
fizienz. 


Kefer. Baradulin berichtet über 8 Fülle von Grawitz-Tumor, von denen 
4 im Anschluss an die Operation starben. 

Refcr. Berg berichtet über 21 Fälle von Grawitz-Tumor, von denen 2 Jahre 
p. op. nur noch einer am Leben war; 4 Patienten starben im Anschluss an die 
Operation, die anderen sehr bald darauf. 

II ly es berichtet über 21 Grawitz-Tumoren. von denen an den Folgen der 
Operation 4 starben. Später starben noch S. Geheilt sind: 1 = t 2 -Jahr: 3 — 1 
bis 2 Jahre; 2 — 2—3 Jahre; 3 = 4—5 Jahre. 


Literatur. 

Albreeht. Beiträge zur Klinik und pathologischen Anatomie der malignen 
Ifvpernephrome. Arch. f. klin. Chir. 1899. Bd. 77. S. 1073. 

E. Braatz, Zur Nicrenexstirpation. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1898. Bd. 48. 

S. 36. 

F. Cahen, Tumor der linken Niere und Nebenniere. Münch, med. Woehenschr. 

1905. Nr. 16. S. 776. 

P. Clairmont, Beiträge zur Nierenchirurgie. Arch. f. klin. Chir. 1906. Bd. 79. 
S. 667. 

G. Delgeskamp. Beiträge zur Nierenchirurgie. Beitr. z. klin. Chir. 1904. 

Bd. 44. S. 1. 

I. Fabricius. Sollen wir die Hypernephrome zu den gut-oder bösartigen Neu¬ 
bildungen rechnen? Verhandl. d. Deutschen Gesellschaft f. Urol. 1911. 
S. 140. 

B. Fischer, Multiple Hypernephrominetastasen 6 C 2 Jahr nach Exstirpation 
eines malignen Nierentumors. Münchener med. Woehenschr. 1910. Nr. 1. 
S. 101. 

Grawitz, Die sogenannten Lipome der Niere. Yirchow's Arch. 1883. Bd. 93. 
— Die Entstehung von Nierentumoren aus Nebennierengewebe. Arch. f. 
klin. Chir. 1884. Bd. 30. S. 824. 

B. Grobe, Unsere Nierentumoren in therapeutischer, klinischer und pathologi¬ 
scher Beleuchtung. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1901. Bd. 60. S. 1. 

P. Grosheintz, Die Hypernephrome der Niere. Zeitschr. f. Und. 1907. Bd. 1. 
S. 545. 

Hartung, Ueber Hypernephrome der Niere. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 1913. 
Bd. 121. S. 560. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 





238 R- Paschen, Das Schicksal clor wegen Grawitz-Tumor Operierten. 


Digitized by 


H. lleidler, Beiträge zur Xierenehirurgie. Prager med. Wochensehr. 1913. 
Nr. 37. 

Hein lein, Zwei Fälle von Hypernephrom. Ref. Münchener med. Wochensehr. 
1910. Nr. 2. 

E. Hof mann, Zur Kasuistik der Xierentumoren. Beitr. z. klin. Chir. 1914. 
Bd. 89. S. 250. 

G. v. 11 ly es, Erfahrungen über Xierenehirurgie. Fol. urol. 1914. Bd. 8. 

J. Israel, Chirurgische Klinik der Xierenkrankheiten. Berlin 1901. 

Kapsammer, Xiercndiagnostik und Xierenehirurgie. 1907. Bd. 2. 

Krön lein, Ueber Nierengeschwülste. Korr.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1905. 

E. Küster, Die Chirurgie der Nieren usw. Stuttgart 1896—1902. 

P. Kuzmik, Hypernephroma renis. Beitr. z. klin. Chir. 1905. Bd. 45. S. 185. 
Lohn stein, Verhandl. d. Deutsch. Gcsellsch. f. Urol. 1911. S. 144. (Diskuss.) 
G. Lot heissen, Ein Beitrag zur Chirurgie der Nieren. Arch. f. klin. Chir. 
1896. Bd. 52. 

Martens, Beiträge zur Nierenchirurgie, v. Lcuthold-Gedenksehr. 1906. Bd. 2. 
M. Neu. Zur Klinik und pathologischen Anatomie der malignen Hypernephrome. 

Zeitschr. f. gynäkol. Urol. 1910. Bd. 6. H. 6. 

Opfer, Fall von Nierentumor. Deutsche med. Wochensehr. 1908. Nr. 14. S. 617. 
11. G. Pies ebner, Beiträge zur Klinik und pathologischen Anatomie der ma¬ 
lignen Hypernephrome. Zeitschr. f. urol. Chir. 1913. Bd. 1. S. 309. 

V. Schmieden, Die Erfolge der Nierenchirurgie. Deutsche Zeitschr. f. Chir. 

1902. Bd. 62. 

O. Stoerk, Zur Histogenese der Grawitz’schcn Nierengeschwülste. • Zieglers 

Beitr. 1908. Bd. 43. S. 393. 

P. Sud eck, Ueber die Struktur der Xierenadennme. Ihre Stellung zu den 

Strumae suprarcnales aberratae (Grawiiz). Virchow's Arch. 1893. Bd. 133. 
S. 405. 

W. Sykow, Ueber einen Fall von Struma aberrans renis. Arch. f. klin. Chir. 

‘ 1899. Bd. 58. 

D. Wallace, Notes upon five cases of renal neoplasm. The Lanc-ct. 1906. Yol. 2. 
Weil, Concerning a distinctype hypernephroma of the kidney, which simulatcs 
various cystic conditions of that organ. Annals of surg. 1907. Sept. 

M. Zehbe, Untersuchungen über Nierengeschwülste. Virchow’s Arch. 1910. 
Bd. 201. 

Referate im Centralbl. f. Chir. 1893, 1900, 1903. 1904, 1905, 1908. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



VIII. 


(Aus der I. Chirurg. Klinik [Prof. Dr. John Berg] und dem Röntgen¬ 
institut [Dr. G. Forssell] des Kgl. Seraphimerlazaretts in Stockholm.) 

Ein Beitrag zur Gastroptosefrage, 
speziell unter radiologischem Gesichtspunkt. 

Von 

Dozent Dr. Abraham Troell. 

(Hierzu Tafel IX und X.) 

Die Frage von der Klinik der Gastroptose ist in neuerer Zeit 
Gegenstand eines recht lebhaften Interesses in der nordischen me¬ 
dizinischen Literatur gewesen. Keiner hat in höherem Grade hierzu 
Anlass gegeben als Rovsing 1 ), und keiner hat mit mehr Konsequenz 
und Eifer eine bestimmte Meinung sowohl über das Wesen, als 
die Therapie der Gastroptose verfochten als er. Für seinen Stand¬ 
punkt bezeichnend ist eine Aeusserung, die er bei einer Diskussion 
vor dem Nordischen Chirurgenkongress in Stockholm 1911, nach 
einem von ihm gehaltenen Vortrag über „Die Indikationen und 
Resultate der Gastropexie“ machte. Die Frage — so fielen hier 
seine Worte — gelte nunmehr nicht, ob er „das Recht habe diese 
Operation auszuführen“, sondern müsse nun in der Weise formuliert 
werden: „Mit welchem Recht vorenthaltet Ihr den auf andere 
Art nicht zu helfenden Ptosepatienten die Chance voller Genesung 
durch eine so wirksame und so wenig gefährliche Operation, wie 
es die Gastropexie ist?“ Der in dieser Frage liegende Vorwurf 
basierte auf einer sehr grossen klinischen Erfahrung. Dass er 
nicht ungehört verklungen, ist bekannt. Rovsing 2 ) selbst hat in 
seinem grossen, 1913 erschienenen Gastroptosewerk mit „grosser 
Befriedigung“ in Erinnerung bringen können, dass Perm an in 5 
Fällen die Gastropexie mit gutem Resultat gemacht hat. Er deutet 

dies dahin, „dass man nun sogar in Stockholm.endlich 

auf die Krankheit aufmerksam geworden ist.“ 

1 ) Rovsing, Verhandl. der 9. Vers. d. Nord. diir. Gesellschaft. 1911. S. 145. 

2) Rovsing, Gastrocoloptoscns patologiske Betydning. 1913. S. 99. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 




240 


A. T v oeil, 


Digitized by 


Es unterliegt gewiss keinem Zweifel, dass man sich auch 
anderswo berechtigt gefunden hat praktisch zu erproben, was mit 
der von Rovsing so enthusiastisch befürworteten chirurgischen 
Therapie zu gewinnen ist bei einer Gruppe von Krankheitsfällen, 
die dieser viel zahlreicher gefunden zu haben scheint, als die 
meisten anderen Kliniker. In der chirurgischen Klinik I des 
Seraphimerlazaretts zu Stockholm sind im Jahre 1913 7 derartige 
Patienten zur Operation gekommen. Von dem Direktor der Klinik, 
Prof. J. Berg, ist dazu während desselben Jahres ein ähnlicher 
Fall im Sophienheim operiert worden. Bei diesen sämtlichen Pa¬ 
tienten — ausgenommen Fall 8 in nachstehender Kasuistik — 
bin ich als Assistent oder Operateur an der Operation beteiligt 
gewesen. Zudem hatte ich Gelegenheit, die 7 Fälle des Seraphimer¬ 
lazaretts wochenlang täglich zu beobachten und zu untersuchen. 
Ich habe Röntgenuntersuchungen von denselben bewerkstelligen 
lassen, der Regel nach sowohl vor wie nach der Operation, und 
ich habe Nachforschungen über ihr späteres Befinden veranstaltet. 
Da folglich eine gewisse Einheitlichkeit in der Beobachtung dieser 
Patienten da ist und exakte x\ngaben darüber vorliegen, in welchem 
Masse der mit der Operation bezweckte Effekt erzielt wurde, war 
ich der Meinung, dass eine Mitteilung der betreffenden Krankenge¬ 
schichten ihre Berechtigung haben möchte. Die Erfahrung, welche 
sie repräsentieren, ist freilich nicht gross, sie dürfte aber doch 
einigermassen ein Gebiet beleuchten, auf welchem die diagnostischen 
und vor allem die therapeutischen Gesichtspunkte noch bei weitem 
nicht geeinigt sind. Die Krankengeschichten für die 8 Fälle sind 
folgende (mit Dankbarkeit habe ich von der mir von Prof. Berg 
bereitwillig erteilten Erlaubnis Gebrauch gemacht, auch den von 
ihm im Sophienheim operierten Fall [Nr. 2 in der Kasuistik] mit- 
aufzunehmen). 

1 ')• (Tat. IX. Fig. 1.) l'nverhoiratetc Krau, 35 Jahre. Ist immer schwäeh- 
lieh gewesen. Blinddarmentzündung wurde vor 4 Jahren diagnostiziert. Die 
gegenwärtigen Magenbesehwerdrn begannen vor 10 Jahren und wurden damals 
als rieus aufgefasst. Seitdem hat das Essen stets mehr oder weniger ein un¬ 
angenehmes Gefühl in der Herzgrube verursacht, die Pat. ist „schnell satt ge¬ 
worden" 1 und hat stets einen nagenden Schmerz empfunden. Ausserdem hat 
sie in Perioden von l 1 /*—3 Mon. gleich nach dem Essen intensive Schmerzen, 
lebelkeiL saures Aufstossen. Blutbrechen bekommen. Der Stuhl ist träge ge¬ 
wesen. der Appetit schlecht. 

Stal, praes. 15. 1. 1913. Schlanke, magere Pat. mit schmalem, lang¬ 
gestrecktem Brustkorb. Costa X sin. libera. Die Loherdämpfung reicht weit 


1) Die Krankengeschichten werden hier der Kürze halber nur zusammen¬ 
gezogen wiedergegeben, unter Auslassung einiger Einzelheiten, die später im 
Text erwähnt werden. Sie finden sich in ausführlicher Form in einem Aufsatz 
des Yerf. auf schwedisch im Nord. med. Arkiv. 1014. Bd. 2. Xr. 20. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kin Beitrag zur Gastroptosefrage. 


241 


hinunter. Lebhafte Druekeuipfindlichkeit an einem Punkt 2 cm links vom 
Nabel. Friktionsauskultation ergibt die untere Magengrenze 2 Finger breit unter¬ 
halb des Nabels. 

ProbefriihstürkUntersuchung: Keine Retention, keine Salzsäure, 
Totalacidität. 35. Weber in den Fäees negativ. 

Röntgenuntersuchung (Dr. G. Forsscll): Sehr grosser und weiter 
Magen. Die Speise sammelte sieh nur im horizontalen Teil des Magens, 
während der vertikale ganz leer von Speise war. Sehr verstärkte Peristaltik 
mit grossen Ringwellen, am Corpus parallell auftretend, und je zwei und zwei 
gegen den Pylorus hin vorgehend. Der Pylorus markierte sieh bei Durch¬ 
leuchtung gut in aufrechter Stellung in gleicher Höhe mit dem Nabel. Kein 
in das Lumen sieh vnrbuchtender Tumor sichtbar. 

Operation 20. 1. (Prof. Berg): Medianschnitt im Epigastrium. Der 
Magen gross, wird mit Leichtigkeit vorgezogen. Keine Anzeichen von entzünd¬ 
lichen Veränderungen hier, am Duodenum oder an der Gallenblase. Der 
Pylorus weit, seine Wand nicht verdickt. Das Duodenum auffallend weit. 
Das Ligamentum hepatogastrieum sehr schwach, besteht zum grössten Teil aus 
einer dünnen Haut mit eingesprengten Fettgewebsinseln. Es wird mit Seiden¬ 
nähten in die Längsrichtung des Körpers gerafft, so dass der Magen deutlich 
höher zu liegen kommt, als zuvor. Vor der Raffung lag der Magen so tief, 
dass die ganze Querfläche des Pankreas oberhalb der Curvatura ininor lag. 
Bauchnaht. — Nachträglich wird ein Me Bumevs - Schnitt gelegt. Das 
Coeriim ist sehr gross und beweglich, wird mit Leichtigkeit vorgrzogen, wobei 
die Appendix mitfolgt. Diese ist 6—7 cm lang, sieht völlig normal aus: 
wird exstirpiert. Das Coeeum wird mit 3 Seidennähten am Peritoneum pariet. im 
lateralen Teil der Eossa idiaea dextra fixiert. Bauohsutur. Mikroskopisch war 
die Appendix völlig normal. - Die Pat. durfte am 7. 2. aufstehen. Sie wurde 
am 13. 2. entlassen, befand sich dann wohl, hatte keinerlei Schmerzen oder 
Beschwerden vom Essen. Geheilt p. pr. 

In einem Brief vom 2b. 5. KL teilte die Pat. mit. dass sie ..ziemlich 
wohl gewesen sei und mit Appetit gegessen habe“, bis sie vor einigem Tagen 
akut erkrankte mit Fieber. Kopfschmerzen etc. Sie war jedoch nun schon besser. 
Nach der Operation hatte sie beständig ein unangenehmes Gefühl im Magen, 
das sie von der Wunde, wo sie möglicherweise eine ,,innere Eiterbildung“ be¬ 
fürchtete. herzurühren meinte. 

Auf Anfrage erklärte die Pat. in einem Brief von» 15. 4. 14, dass sie 
kräftiger und etwas fetter geworden sei und ihre frühere Tätigkeit verrichten 
könne. Es gehe ihr jetzt besser als vor der Operation. Der Stuhl sei träge. Nach 
dem Essen — und auch sonst gelegentlich — bekomme sie „stechende Schmerzen 
unter der Brust etwas nach links". Erbrechen oder Aufstossen kämen nicht 
vor. wohl aber Uebelkeit im und ohne Zusammenhang mit den Mahlzeiten. Der 
Appetit sei schlecht. Die im vorhergehenden Brief erwähnte Unpässlichkeit 
dauerte 3 Wochen an. Dann war sie eine längere Zeit ziemlich gesund, wollte 
gerne essen und bekam keine Beschwerden vom Essen. Im Spätherbst verlor 
sie indessen den Appetit, bekam Schmerzen im Magen und Erbrechen. Ein 
konsultierter Arzt verordnete Medizin und Diät. Sie «musste eine Zeitlang 
nahezu hungern und dann vorwiegend Milchspeisen gemessen, jedes Mal äusserst 
wenig aber häufig. Das Erbrechen, das ungefähr einen Monat angehalten hatte, 
hörte auf/" Die Pat. schliesst ihren Brief wie folgt: „Geheilt bin ich nicht und 
werde wohl nie meine Gesundheit wiederbekommen. Wird der Appetit weiter 
abnehmen und die Schwierigkeit, Speise zu gemessen, zitnehmen, dann weiss ich 
nicht, wie es werden soll." 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



242 


A. Troell. 


Digitized by 


2. (Taf. IX, Fiirg. -• n - 3.) (In der medizinischen Klinik I — Prof. .1. 
Holmgren — des Seraphimerlazaretts während gut 2 Mon. vom 19. 2. 1914 
gepflegt.) Verheiratete Frau. 37 Jahre. Sehr starke nervöse Abstammung. 
III para. Etwas zart gebaut, äusserst mager und mit schmalem, langge¬ 
strecktem Brustkorb. „Schlechter Magen" bereits im Alter von 18 Jahren. 
3—4 Jahre später wurde gelindes Fleus vermutet. Behandelt mit Diät und 
Ruhekuren von in- und ausländischen Magenspezialisten. Von I)r. v. Aldor 
in Karlsbad wurde das beiden im Sommer 1911 als „Enteroptose bei einem 
sehr nervösen Individuum aufgefasst.** Im Herbst desselben Jahres wurde auf 
Wunsch dieses Arztes eine geschrumpfte Appendix entfernt (Dozent (i. Xy ström); 
im kleinen Hecken wurden Adhärenzen angetroffen. Später wurde sie im Salts- 
jöbadcn-Sanatorium gepflegt; vereinzelt wurde dann Blut in den Fäees nach¬ 
gewiesen (Dr. O. Sand borg). 

Bei Rön t ge n u n t e rsu ch u n g am 19.12.1912 wurde notiert (Dr. Fo rsse 11): 
Die Pat. wurde beim (ienuss von 400 g Aktinophorbrei untersucht. Die ersten 
Esslöffel desselben sanken in normaler Weise bis an den unteren Magenpol. 
der sich etwa 5 cm unterhalb der Xabelebene befand. Der Magen kontrahierte 
sich gut um die Speise. Wenn die Pat. den Bauch cinzog, zog sich der untere 
Magenpol ungefähr 3 cm nach oben. (*ule Beweglichkeit auch bei Druck von 
unten auf den Bauch. Verstärkte Canalisperistaltik mit grossen Wellen auf 
den Pylorus zu gehend. Der Magenwinkel ziemlich klein. Keine Anzeichen 
von Sanduhrmagen. Kein in das Lumen sich vorbuchtender Tumor sichtbar. Die 
Speise passierte durch den Pylorus in das Duodenum hinaus, wo sie längere 
Zeit verblich als gewöhnlich, dasselbe ausspannend. Ein hei Palpation des 
Bauches schmerzender Punkt wurde mit Indikator markiert und 2 ein oberhalb 
der Pars horizontales duodeni liegend befunden. Nach 5 Stunden hatte die 
Speise den Magensack völlig verlassen. 

Da diese Untersuchung für den Verdacht auf irgend eine Abnormität 
(Knickung, möglicherweise Ulcus) am Duodenum eine Stütze zu gewähren schien, 
wurde im Jan. 1913 Kelaparo tonne im Epigastrium gemacht (Prof. Berg). 
Ein organisches Leiden wurde indessen hierbei nicht entdeckt. Nur ein paar 
Adhärenzen zwischen der Pylorusgegend und der Gallenblase wurden gelöst 
und das dünne big. hepato-gastrieum wurde mit einigen Seidennähten in der 
Richtung von oben nach unten gerafft. Normale Heilung folgte, aber nach 
Meinung der Pat., keine Verbesserung. 

Da „alle die alten Symptome“ fortbestanden, und sie „schreckliches Sod¬ 
brennen“ hatte, konsultierte sie im Febr. 1914 Prof. Holmgren. Ihre der¬ 
zeitigen Angaben gehen darauf hinaus, dass sie sich nicht „einen einzigen Tag 
gesund“ fühlt. Sie hat eine Empfindung als wäre der Magensack beständig ge¬ 
füllt; der Schlaf ist sehr schlecht, Uebclkeit. Angst stellen sich nachts ein. 
Sie kann kaum etwas essen, ohne Schmerzen zu bekommen. Wenn sie „be¬ 
sonders elend ist, ist blutiger Schleim aussen am Stuhl zu sehen.“. Sie „be¬ 
kommt schwere Schmerzen sowohl von Klysma als gewöhnlicher Temperatur¬ 
messung.“ Zeitweilig hat sie Verstopfung, zeitweilig nicht. Sie bekommt 
niemals spontanen Stuhl jeden Tag. „Die erste Portion des Stuhles ist immer 
hart, nachher kommt lockere Materie“ (in Karlsbad wurde mittels Rektoskops 
Proctitis und Sigmoiditis konstatiert). 

Eine erneute Röntgenuntersuchung (Dr. Forscll) am 5.2. 1914 liess 
erkennen, dass der Magen bedeutend breiter als gewöhnlich war. der t^uer 
magen breiter und mehr quci-gestcllt als es der Fall zu sein pflegt, so dass 
der Magenwinkel in aufrechter Stellung nahezu mehr als 90° war. Der untere 
Pol des Magens in aufrechter Stellung in der Xabelebene. in Bauchlage ,V/ 2 , 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein Beitrag zur Gastroptosefrage. 


243 


in Rückenlage S , ;2 cm oberhalb der Nabelebene. Der Magen gut vers(‘hiebbar. 
Die Pylorusscheibo schien breiter und höher als gewöhnlich, die Pars superior 
dnodeni von Speise» ausgefüllt, aber nicht nennenswert ausgespannt. Keine auf 
Ulcus deutende Ausbuchtung, und kein auf Tumor deutender Defekt sichtbar. 
Nach 4 Stunden vollständige Entleerung des Magens und normale Entleerung 
des Dünndarmes. Eine am 18. 3. wiederholte Röntgenuntersuchung ergab das¬ 
selbe Resultat (Dr. A. Akerlund). Ueber die Pat.. die sehr intelligent ist. 
bei der Untersuchung coneis antwortet und nicht gar zu gewaltig übertreibt, 
ist ausserdem in der medizinischen Klinik Folgendes ermittelt worden : 

Der Harn ist normal, die Fäces bei zahlreichen We her'sehen Proben blutfrei 
und mikroskopisch ohne Besonderheit nach Sch midt-St ras bürge r schwach 
alkalisch. Auf nüchternen Magen sind mehr als 25 ccm reinen, wasserhellen 
Magensaft mit der Sonde auszuhebern, stark sauer von HCl (am 11.2.). Probe¬ 
frühst ückuntersuehung am 20. 2. zeigt keine Retention nach 12 Stunden, das 
Spülwasser ist schwach sauer, klar, das Volumen des Magens 1000 ccm ; der 
ausgeheberte Mageninhalt ist ziemlich gut digeriert, Totalacidität So, freie 
HCl 02. Riegel's Probemahlzeit: 30 ccm Retention nach 6 Stunden, gute 
Digestion. Totalaeidität 39, freie HCl 27. Gewöhnliches Frühstück, ausgehebert 
na<-h 2 Stunden (am 5.3.): Volumen 500 ccm. schlechte Digestion. Totalaci¬ 
dität 88, freie HCl 27. Frühstück, bestehend aus Eiern,. Butterbrot und Milch 
und ausgehebert nach 2 Stunden (am 16. 3.): Volumen 400 cem. Totalaeidität 5S. 
Vom Abendessen, heraufgeholt nach l :i / A Stunden, waren 500 ccm übrig. Früh¬ 
stück, ausgehebert nach 4 Stunden (am 17. 3.): Volumen 100 ccm, ziemlich 
gute Digestion, Totalaeidität 75. freie HCl 56. 

Am 23. 4. 1914 ist notiert. (Prof. Holmgren): Die Patientin ist 
psychisch, suggestiv, diätetisch, in äusserst geringem Masse medikamentös be¬ 
handelt worden. Sie hat für jeden Tag genaue Vorschriften über die Be¬ 
schaffenheit und Menge der Kost erhalten und ist dazu angehalten worden, 
dieselben pünktlich zu befolgen. Anfänglich wurde eine massig strenge Ulcus- 
diät verordnet, die später nach und nach erweitert worden ist ; die Pat. hat 
jedoch noch kein Fleisch erhalten. Die Nahrung ist reichlich und nahrhaft 
gewesen (Mastkur). Der Stuhl ist reguliert worden, anfänglich mit lösenden 
Mitteln (Agarase) und zuweilen Klysma, aber niemals Laxicrmitteln. Die Pat. 
ist dazu angehalten worden, täglich auf eine bestimmte Zeit das Klosett zu 
benutzen. Schlafmittel (Bromural) hat sie nur 2 mal erhalten. Mit dieser Be¬ 
handlung ist ihr Zustand wesentlich gebessert worden. Das Körpergewicht hat 
zugenommen. Sie ist täglich auf und befindet sieh relativ wohl. Sic hat nicht 
mehr das frühere Gefühl, dass der Magen beständig gefüllt ist, klagt selten über 
Schmerzen (es dauerte jedoch lange bis es ihr gelang sieh von der Vorstellung 
schwerer Schmerzen frei zu machen.) Sie schläft gut. hat täglichen und spon¬ 
tanen Stuhl. Sie liegt noch in der medizinischen Abteilung. 

3. (Taf. IN, Figg. 4—7.) Unverheiratete Frau, 46 Jahre. Dyspepsie und 
unbestimmte Magenbeschwerden seit 1913, von lästigerer Art seit 1909. In 
diesem Jahre eine Zeitlang in der med. Klinik des Seraphimcrlazaretts wegen 
„Gastritis ehron.“ behandelt, worauf sie 2 Jahre cinigermaasscn gesund war. 
Dann von neuem hin und wieder Beschwerden. Träger Stuhl. 

Stal, praes. am 5. 2. 1913: Kleine, magere Pat. Gewicht 41,2 kg. Appetit 
schlecht. Die rechte Niere palpabel, die Leber nicht palpabel. Probefrühstück: 
geringe Retention, freie Salzsäure 24, Totalaeidität 40. Röntgenuntersuchung 
am 12. 1. (Dr. E. Saul): Die ersten Löffel der 400 g Aktinophorbreies passierten 
in normaler Weise in den Magen hinunter: die untere Magengrenze lag sehr 
tief (ungefähr eine Handbreit unterhalb der Nabelebene). Der Magen sehr »Tross 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2, 17 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



244 


A. Troeil, 


Digitized by 


uml platt. Vorstärkte Peristaltik. In der Biegungsstellc an der Curvatura 
major war während der ganzen Durchleuchtung eine Einziehung und oberhalb 
davon ein herabhängender Sack zu sehen. Die Beweglichkeit des Gielgens sehr 
gut. Wenn die Pat. den Bauch einzog. wurde die Curvatura inajor 10 ein höher 
als vorher gesehen und der Rönlgenbrei verteilte und breitete sieh nach <ien 
Seiten hin aus. Der Pylorus markierte sieh gut in aufrechter Stellung. Bei 
Druck auf den Magen sah man (‘inen Teil des Breies auch das Duodenum aus- 
fii 1 len. Keine Retention. 

Operation am 7. 2. 191.‘5 (Prof. Berg): Mediansehnilt im Epigastrium. 
Keim* Perigastritis. Der Magen wird mit Leichtigkeit vorgezogen, scheint klein 
und kontrahiert, aber nicht gesenkt. I leus oder Tumor ist nicht zu fühlen. An 
der Gallenblase nichts Abnormes. Das Colon transv. sehr gesenkt. Mit Rück¬ 
sicht auf die radiologiseh naehgewiesene Ptose wie auch auf die Symptome und 
den Habitus der Patientin wird Gastropexie nach Rovsing gemaelit: drei 

mässig dünne Seidennähtc werden <|uer durch Falten der oberfläehliehen 

Schichten der Magenwand in einer Ausdehnung von ca. 5 ein geführt. Bauch¬ 
naht in Etagen in gewohnter Weise, wobei die erwähnten Seidennähte über 
einer wattiertim Glasplatte vor der Bauehwundo geknotet werden. 

Heilung p. pr. Drei Wochen nach der Opercation wurden die Nähte weg¬ 
genommen, und am 1'. 3. durfte die Pat. aufstehen. Bei der Entlassung am 
S. d. war das Allgemeinbefinden gut; die Pat. wog 41,7 kg, hatte keine 
Schmerzen und kein Cnwohlsein nach dem Essen, der Appetit war gut. Drei 
Tage vor der Entlassung w urde eine neue R ö n t ge n u n t ersu e h u n g vorgenomnien 
(Dr. Forssellj: Die untere Magengrenze befand sieh ungefähr 1.5 cm oberhalb 
der Xabelehene bei beginnender Füllung des Magens und in der Xahelebene 
bei 400 g Füllung. Wenn die Pat. den Bauch einzog, stand der untere Pol 

desselben t> ein höher. Die Art und Weise des Magens sieh zu füllen hat sieh 

nach der Gastropexie dahin geändert, dass die Speise sieh nun im ganzen Corpus 
bis in den Fornix hinauf sammelt. Der ijuerlaufende Teil des Magens füllt sieh 
dahingegen unvollständig. Erst bei Druck auf den Magen füllt er sieh ganz 
bis zum Pylorus hinaus. Fortlaufende kleine Wellen sind an der Curvatura 
major. vom unteren Teil des Corpus pyloruswärts zu sehen. Wenn diese Wellen 
bis zur Biegungsstelle vorgeschritten sind, entsteht eine ringförmige Kontraktion, 
welche stehen bleibt. Von der Stelle dieser Kontraktion aus schreiten flache 
und unregelmässige Wellen gegen den Pylorus vor. Am (pierlaufenden Teil 
der Curvatura minor ist keine Peristaltik wahrzunelimen. An der eigentlichen 
Biegungsstelle der Curvatura min. ist hin und wieder eine Einziehung zu sehen. 
W enn die Pat. den Bauch einzieht, erfolgt eine starke winklige Biegung des 
Magens, und der Duermagen — die Curvat. maj. sowohl wie die Curvat. min. — 
hebt sieh bis ganz an den Brustkorbrand hinauf. Gleichzeitig nimmt die Breite 
von Corpus und Fornix zu. Bei Bauchlage senkt sieb der untere Teil des l)i- 
gestionssaekes. während der Canalis auf seiner früheren Höhe verbleibt. Bei 
Rückenlage befindet sieb der (piergehende Teil des Magens ungefähr inmitten 
zwischen dem Nabel und dem unteren Rippenrande (markiert mit Bleimarke). 
Deutliche Retention ist nach 4 Stunden vorhanden. 

Nachuntersuchung am 11. 3. 1914: Nach der Entlassung aus dem 
Krankenliause fing die Pat. sogleich mit leichterer Arbeit an. Durch Ceher- 
anstrengung ein paar Monate später übernahm sie sieh und musste dann zwei 
Wochen zu Bett liegen. Seitdem hat sie sieh völlig gesund gefühlt, nur ver¬ 
einzelt Aufstnssen gehabt. Sie verträgt das Essen gut. Der Stuhl ist etwas 
träge. R ö n t ge n u n t e r s u e h u n g am 12. o. (Dr. E. Svensson): Die Röntgen¬ 
mahlzeit sammelte sieh zuerst im Längsmagen, der gut um den Inhalt kontrahiert 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY 0F IOWA 



Kill Beitrag zur Gastroplosefragc. 


245 


war, und im linken Teil des Quermagens. Erst bei einer Füllung von 400 g 
füllte sich der Magen bis ganz an den Pylorus heran, und nun trat eine leb¬ 
hafte Peristaltik am Anfang des Canalis auf mit typischem Verlauf. Während 
• ler ganzen Durchleuchtung war der Quermagen unvollständiger gefüllt als ge¬ 
wöhnlich, indem er niemals grösser wurde als ein nur fingerdicker rjuorlaufender 
Schatten. Der untere Pol des Magens befand sieh in aufrechter Stellung und 
bei einer Füllung von 200 g 4 cm unter der Xabelebenc, bei 400 g Füllung 
auf gleicher Höhe. Der Magen sehr gut verschiebbar. Nach 4 Stunden keine 
Retention. 

4. (Taf. LN, Figg. S u. 9: Taf. X, Fig. 10.) Unverheiratete Frau, 47 Jahre. 
0-para. Bis zu ihrem 15. Jahre hatte sie häufig Nasenbluten. Hat immer viel 
Arbeit im Stillsitzen gehabt. Im Alter von 21 Jahren nach einem Trauma wegen 
Retroflexio Uteri lange Zeit hindurch behandelt. Zu ungefähr derselben Zeit 
begannen dyspeptische und verschiedenerlei Magenbesehwerden (laut ärztlicher 
Aussagt 4 r Ansatz zu Magengeschwür“). Mit 30 Jahren hörten sie auf und die 
Pat. fühlte sich gesund lös zu ihrem 42. Jahre. Lag dann krank an Blasen¬ 
katarrh während 7 Woehen. Ilat darauf jährlich Perioden von Magenbeschwerden 
gehabt, u. a. Schmerzen, die jedoch niemals irgendwelchen Zusammenhang mit 
oder Beeinflussung durch Aufnahme der Nahrung gezeigt haben. Sie sind meistens 
vormittags aufgetreten. Der Stuhl ist nicht träge gewesen. Gefühl von Mattig¬ 
keit, Herzklopfen und Schlaflosigkeit sind vorgekommen. 

Stal, praes. am 14. 4. 1913: Gewöhnlich gebaut, mager. Gewicht 50,5 kg. 
Kehler Geruch aus dein Munde. Ein massig druckempfindlicher, konstanter 
Punkt befindet sieh 5 cm oberhalb des Nabels 1 ein rechts von der Mittellinie. 
Probefrüh stück: keine Retention. Totalacidität 12, l’ffelmann positiv. 
Weber negativ. BourgeKs Pro hem ah lz eit gibt einen Rest von GO g naeii 
5 Stunden. Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Die Pat. erhielt 400 g 
Wismutbrei. Die ersten Löffel desselben sanken in normaler Weise in den 
Magensack hinunter. Der Magen kontrahierte sieh gut um die Speise. Ver¬ 
stärkte Peristaltik mit grossen Ringwellen, weit hinauf am Corpus einsetzend 
und auf den Pylorus zu fortschreitend. Ziemlich gute. Verschieblichkeit des 
Magens, sowohl wenn die Pat. den Bauch einzog als auch wenn man von unten 
her Druck auf denselben ausiibte. Kein Defekt, sichtbar im Wismutschatten. 
Die Peristaltik war typische Stenoseperistaltik. Nach 4 Stunden befand sieh 
ein grosser Teil der Speise immer noch im Magensack. 

Operation am 28. 4. (Dozent B. Floderus): - Medianschnitt im Epi¬ 
gast rium. Der Pylorus weit, wie auch — und in sehr hohem Grade — der 
zugängliche Teil des Duodenums. Das Ligamentum hep.-gastr. dünn und 
schwach. Alle Viseera des Bauches gesenkt. Die rechte Niere wird gesenkt 
und beweglich gefühlt. Das C’oecum weit, beweglich. Die Appendix wird 
»•xstirpiert; sie ist 11 cm lang, schmal, enthält Fäees. sieht aber nicht krank 
aus. Der Bauch wird geschlossen, 

Heilung p. pr. Die Pat. durfte am 10. 5. aufstehen. Sie fühlte sich dann 
wohl, auch wenn sie auf war. Am 13. 5.: Die Pat. fühlt zurzeit keine Schmerzen 
in (b*r Herzgrube, nur ein unbedeutendes Brennen in der Narbe und rechts 
davon, unabhängig vom Essen. Sie isst Speise aller Art ohne Beschwerden 
davon zu bekommen. Der Bauch ist weich, nicht druckempfindlich. Gewicht 
47.5 kg. 

Röntgenuntersuchung am 14. 5. (Dr. Saul): Die ersten Löffel des 
400 g Aktinophorbreies sanken unmittelbar nach dem unteren Magenpol, der 
ungefähr 10 cm unterhalb der Nabelebene gelegen war. Der Magen sehr gross 
und weit. In aufrechter Stellung war keine Peristaltik zu entdecken. Wenn 

17 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 




246 


A. Troell, 


Digitized by 


die Pat. den Magen einzog, war die Verschieblichkeit gering: wenn man Druck 
von unten her auf denselben ausübte, war sie recht gut. Der Magen in tote mehr 
nach links gelegen als normal. Sehr scharfer Magenwinkel. Auf der Photographie 
erwies sich der Quermagen von vermehrter Breite. Länge des Magens 26 cm. 
Die Konturen der (Tirvatura maj. und min. überall scharf und eben. Nach 
f) Stunden befand sich ein grosser Teil der Speise immer noch im Magen. Hier 
liegt also aller Wahrscheinlichkeit nach ein Hindernis fiir die normale Ent- 
leerung des Magens vor. 

Laut Brief vom 2S. 3. 1914 ist das spätere Befinden der Pat. recht 
gut gewesen. Sie hat 4 kg an Gewicht zugenommen. Uebelkcit und Erbrechen 
kommen nicht vor, ebenso wenig Schmerzen nach dem Essen. Dahingegen hat 
sie ungefähr dasselbe Herzklopfen wie früher, der Schlaf ist nicht immer be¬ 
friedigend. Weitere Arbeit ist sie nicht im Stande auszuführen wegen seil 
langem fortdauernder reichlicher Unterleibsblutungen (Klimakterium). 

5. (Taf. X. Figg. 11 —12.) Unverheiratete Frau, 46 .Jahre. Hat im 
Alter von 20 .Jahren einen normalen Partus durchgemacht (worauf Prolaps¬ 
besehwerden Vorgelegen haben). Im Frühjahr 1912 Blasenkatarrh während 
einiger Wochen. Magenbeschwerden seit 2 Jahren, ohne Zusammenhang mit 
den Mahlzeiten. Hat Blähungen nach salzigem und kräftigem Essen bekommen. 
Die Anwendung einer Leibbinde während des Tages hat die Beschwerden ge¬ 
lindert. Der Stuhl o. B. — Die Pat. vom Arzt eingeliefert mit dem Verdacht 
auf Cancer. 

Stat. praes. vom 5. 3. 1913: Die Pat. scheint etwas nervös, aber recht 
munter. Gewöhnliche Körperfülle. Zarter Körperbau. Der untere Teil des Brust¬ 
korbes schmal. Die Leber unbedeutend gesenkt; die Nieren sehr beweglich, 
die rechte kann ganz hinunter in das kleine Becken geschoben werden. Weber 
positiv (2 Untersuchungen). Probefrühstück: keine Retention, keine Salz¬ 
säure, Totalacidität 9. 

Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Der Aktinophorbrei passierte in 
normaler Weise in den Magensack hinunter, dessen unterer Pol bei einer Füllung 
von 400 g und aufrechter Stellung 10 cm unter der Nabelebene belegen war. 
Der Magen sehr lang, aber gut um die Speise kontrahiert. Lebhafte Peristaltik 
mit grossen Ringwellen, hoch oben am Corpus beginnend. Gute Beweglichkeit, 
sowohl wenn die Pat. den Magen einzog als wenn man von unten her einen 
Druck auf denselben ausübte. Der Canalis und der Pylorus markierten sich 
gut bei Durchleuchtung* wie auf der Photographie. Das Duodenum stand die 
ganze Zeit über mehr ausgespannt als normal. Während der Durchleuchtung 
konnten deutliche regurgitierende Bewegungen im Duodenum beobachtet werden. 
Nach 4 Stunden war der Magensack völlig geleert. 

Bei der Magenspülung, die am Morgen des Operationstages — wie cs 
stets vor Magenoperationen zu geschehen pflegt -- vorgenommen wurde, wurde 
das Spülwasser schwach rot gefärbt von frischem Blut (dasselbe geschah auch 
einige Tage früher). 

Operation am S. 5. (Troell): Medianschnitt im Epigastrium. Der Magen 
ohne palpablc Veränderungen, aber bedeutend gesenkt und schlaff, kann voll¬ 
ständig aus der Bauch-wunde vorgezogen werden. Das Ligam. hep.-gastr. dünn, 
häutchenartig, hier und da mit Fettgewebseinsprcngungen wie im Omentum 
maj. Das Ligament wird mit 3 in der Längsrichtung des Rumpfes gelegten 
Seidennähten gerafft. Das Duodenum ist nicht ausgesprochen weit. Die Gallen¬ 
blase scheint normal. Die rechte Niere wird stark gesenkt und beweglich 
palpicrt. Die Appendix ist nicht zu finden. Der Bauch wird in gewohnter 
X\ eise geschlossen. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kin Beitrag zur Gastroptoscfrage. 


247 


Heilung p. pr. Am 29. 5. durfte die Fat. aufstehen. Der Gesamtzustand 
war dann gut. Irgendwelche Beschwerden vom Magen empfand die Pal. nicht. 
Gewielit 50 kg. 

Röntgenuntersuchung am 30.5. (I)r. Forssell): Die ersten 3 Löffel 
der Röntgenmahlzeit verblieben im Fornix und obersten Teil des Corpus (un¬ 
gefähr bis zur Mitte desselben) in einem langgestreckten, keilförmigen Schatten. 
Nach Verzehren von 400 g stand der Digestionssack vertikal in Röhrenform 
kontrahiert. Der am weitesten nach links gelegene Teil des Canalis war voll¬ 
ständig gefüllt. Bei Druck auf den Digestionssack konnte man einen kleineren 
Teil in den Canalis hineinpressen, der sich sonst die ganze Zeit über kon¬ 
trahiert befand. An der Grenze nach dem Sinus stand die ganze Zeit über 
eine Einziehung und an der linken Wand des Corpus fanden sieh beständig tiefe, 
sowohl längs- wie «juerlaufende Schleimhautfalten. Kontraktionen am Corpus 
waren jetzt nicht sichtbar, dagegen sah man zu wiederholten Malen Kontraktionen 
über den Sinus an der Curv. major passieren. Am Eingang zum Canalis zeigte 
sich dann und wann eine ringförmige Kontraktion, die indessen nicht fort schritt. 
l>ci Untersuchung in Rückenlage befand sich der ganze Inhalt in Corpus und 
Fornix, welche vertikal und stark kontrahiert standen. Auch jetzt traten 
grosse Schleiinhautfalton an der Curv. major hervor. Bei Bauchlage drang die 
Speise ungefähr ebenso weit hinauf wie in aufrechter Stellung: auch jetzt füllte 
sich der Canalis nicht. Auf der Photographie tritt in allen Stellungen die bei 
der Durchleuchtung beschriebene Einziehung abwärts im Schatten des Canalis 
hervor, wie auch die oben beschriebene Faltung der Schleimhaut. Die untere 
Grenze steht nun höher als vor der Operation, ungefähr in gleicher Höhe mit 
den Hüftbeinkämmen und ungefähr 5 cm unter der Nabelebene. Der Pylorus 
war an keiner Stelle während der Durchleuchtung sichtbar, aber kleine Mengen 
der Speise sah man in die Dünndärme hinauspassieren. Nach 5 Stunden voll¬ 
ständige Entleerung. 

Nachuntersuchung vom 14.3. 1914: Die Fat. arbeitet seil 2 Wochen 
nach der Entlassung und kann nun ihren anstrengenden Dienst (Köchin) voll¬ 
kommen besorgen. Gewicht vor einem Monat 55,7 kg. Sie befindet sich wohl, 
sieht gesund aus. verträgt das Essen, hat nur zwischendurch ein „wundiges" 
Gefühl zwischen Bauch und Brust; es ist. als ob es „stocken" wollte, vergeht 
aber bald. Stuhl o. B. Zuweilen kommt Herzklopfen vor. Falpatorisch kann 
im Bauche nichts Abnormes konstatiert werden. 

6 . (Taf. X, Figg. 13—14.) Unverheiratete Frau, 29 Jahre. Magenbeschwerden 
zum ersten Male im Jahre 1905, Schwindelanfälle und in gewissem Grade uleus- 
artige Symptome; sie vertrug den engen Sitz der Kleider nicht. 1900 und 1912 
Perioden von ähnlichen Beschwerden. Der Stuhl oft diarrhöiseh. 

Stat. praes. 5.5. 13: Langer, schmaler Brustkorb. Sehr mager. Weber 
negativ. Probefrühst üek: keine Retention, Congo positiv, Totalacidität 26. 
Rönt gen Untersuchung (Dr. Saul): Der Aktinotorbrei passierte in normaler 
Weise in den Magen hinunter, dessen unterer Fol bei einer Füllung von 400 g 
S cm unterhalb der Nabelebene gelegen war. Der Mägensack gut verschieblich, 
sowohl wenn die Fat. den Bauch einzog als auch wenn man von unten her 
einen Druck auf denselben ausübte. Verstärkte Peristaltik mit grossen Ring- 
wellen. ganz oben am Corpus einsetzend. Canalis und Pylorus markierten sich 
gut sowohl bei der Durchleuchtung als auch bei der Photographie. Der ganze 
Magen schien etwas mehr nach rechts hinüber gezogen als normal. Sowohl 
bei Durch leuch tung als bei der Photographie schien der Anfang des Duo¬ 
denums mehr ausgefüllt als normal. Nach 4 Stunden befand sich alle Speise 
im Darm. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


248 A. Troeil, 

Operation am S. 5. 18 (Trncll): Mmlianselmitt im Epigastriurn. Im 
MciirtMi kann nichts Abnormes palpiert worden. Vom Pylorus und dom Anfang 
des Duodenums gehen einige Bindcgewehsstreifen nach rechts: sic worden 
durehgcschnittcn. Das Duodenum weit. Das Ligam. hcp.-gastr. ausgesprochen 
papierdünn, häutehenartig, hie und da mit Fettgewobsei»Sprengungen wie im 
Omont. maj. Es wird mit 8 Seidennähten in der Richtung von obon nach unten 
gerafft. Dio Gallenblase sohlaff. mit tief nach unten herahhängendem Fundus. 
Die Appendix. 7 ern lang. makroskopisch normal, wird cxstirpiert (mikroskopisch: 
ehronisehe Entzündung in Mueosa und Submueosa). Bauehnaht. 

Heilumr p. ]>r. Am *29. 5. durfte dio Fat. aufstehen. Sie befand sich 
fortdauernd wohl, abgesehen von Stiehgefiihl in der linken Seite am 81.5. Der 
Appetit ist leidlich. Der (iesamtzustand sehr gut. Die Stühle ein paar 
Tage diarrhoiseh. Gewicht 52.2 kg am 80. 5. Röntgenuntersuchung am 
80.5. (Dr. Forssell): Der erste Löffel der Röntgenmahlzeit verblieb oben im 
Fornix, wo er einige Minuten in einem keilförmigen, sehnig nach links gerich¬ 
teten Schatten stand. Bei Füllung mit 200 g, ebenso wie bei 400 g, bildete 
der Magen einen oberen, nahezu 11 cm breiten Behälter und einen unteren 
rohrförmigen Teil, etwa wie unter gewöhnlichen Verhältnissen hei Rückenlage. 
Auffallend war die grosse Breite des Fornix. die ungefähr doppelt so gross war 
wie gewöhnlich bei aufrechter Stellung. Man konnte lebhafte Peristaltik auf 
dem Ganalisgebiet und sogleich eine Entleerung nach dem Darm beobachten. 
Hohe Lage der unteren Magengrenze. Bei Rückenlage sammelte sieh der Inhalt 
in einem mehr langgestreckten Behälter mit stärkerer Kontraktion fies Sinus 
und des Canalis. Sonst ungefähr dasselbe Bild wie bei aufrechter Stellung. 
Nach 4 Stunden befindet sieh noch immer ein kleiner Teil der Speise irn Magen. 

Nachuntersuchung am 11.8. 14. (Brief): Das Befinden «ist wohl seit 
10 Jahren nicht so gut gewesen." Die Fat. verrichtet ihre gewöhnliche Arbeit, 
verträgt aber keine Anstrengungen. Sie fühlt sieh «wie ein ganz anderer 
.Mensch“, „ist nicht sonderlich nervös“. «Die Stimmung ist viel besser.“ Ge¬ 
wicht 60,4 kg brutto. «Die rechte Lunge, welche verdickt gewesen — es war 
keine Luft hinunter gegangen —, ist nach der Operation beinahe gilt geworden.“ 
Gelinder Schwindel kommt zwischendurch vor: es stellt sich unbedeutende 
Uebclkeii ein, wenn sie erschreckt oder aufgeregt wird. Keine Schmerzen im 
Magen nach dem Essen. Aber, wenn sie geht nachdem sie sich satt gegessen, 
fühlt sie an der linken Seite des Magens, als oh irgend etwas zu kurz wäre: 
sie bekommt eine Art Stechen und es fällt ihr schwer, gerade zu gehen. Sie 
isst jede beliebige Art Speise, ausser sehwerverdaulicben und fetten Sachen. 
Obst. Kaffe und Tee. Der Stuhl ist regelmässig. 

7. (Taf. X, Figg. 15 —16.) Verheiratete Frau, 68 Jahre. Magenbeschwerden 
seit dem Alter von 20 Jahren, periodisch auftretend. Mitunter Schmerzen im 
Bauche, meistens nach links: die Schmerzen wurden gelinder, wenn sie die 
Kleider löste. Vor 2 1 2 Jahren ein Anfall von ulcusartigen Symptomen. Stuhl 
in der Regel träge. 

Stat. praes. 80. 5. 18: Mager: Druekempfindliehkeit links im Epigastrium. 
'Weber negativ. Probefrühst iiek: keine Retention. Congo positiv, Totalaci¬ 
dität 50. Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Der Aktinophorbrci passierte 
in normaler Weise nach dem unteren Magenpol, der bei 400 g Füllung unge¬ 
fähr 10 cm unter der Xabclebene gelegen war. Gute Verschieblichkeit dc> 
Magens, sowohl wenn die Fat. den Bauch einzog als auch lud Ausübung von 
Druck auf denselben. Sein* verstärkte Peristaltik, grosse, tiefe Ringwellen von 
ganz oben am Corpus. Bei der Durchleuchtung und auf der Photographie sali 
man eine scharfe Einziehung die ganze Zeit über auf der (Tirvatura major stehen 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ein Beitrag zur Gastroploscfragr. 


241) 


ungefähr in gleicher Höhe mit dom Brustkorbrandc. Diese Einziehung wurde 
in allen Lagen der Pat. beobaehtet und liess sieh durch keinerlei Druckein- 
wirkung verwischen. Normale Entleerung des Magcnsaekes. Aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach liegt hier ein Ficus ventrieuli vor. 

Operation am 31. 5. (Troell): Medianschnitt im Epigastriuin. Der 
Magen bietet sieh sogleich in der Wunde dar und wird in seinem ganzen Ein¬ 
fang mit Leichtigkeit aus der Bauchwunde hervor emporgeholt. Weder in 
seiner Wand noch in der des Duodenums können irgendwelche Veränderungen 
palpiert werden, nicht einmal nach Eröffnung der Bursa omcntalis mit in die¬ 
selbe eingeführtem Finger. Das Lig. hcp.-gastr. in seinem pvlorisehen Teil papier- 
diinn, häuteheuartig, in seinem eardialen Teil etwas dicker. Das Duodenum 
ist nicht auffallend weit. Gallenblase und Appendix sehen normal aus. Das 
Colon ist sehr beweglich. Der Bauch wird geschlossen. 

Heilung p. pr. Die Pat. durfte am 10.3. aufstehen. Pmbefriihstiick- 
un t ers uchung am 13.3.: Keine Retention: das erste Spülwasser nahezu klar, 
neutral. Das Probcfriihstück gut. digeriert, unbedeutend schleimhaltig, für 
Lackmus sauer; Congo und Giinzburg negativ. Totalacidität 30. Weber 
negativ. Die Pat. fühlt bisweilen bei Bewegungen ein -Ziehen in der Gegend 
der Narbe.“ Der Stuhl ist träge. Das Gewicht der Pat. 41).7 kg. Die Pat. 
Dt offenbar sehr neurotisch (hat -kaltes Rieseln“ etc.) 

Nachuntersuchung am 30. 3. 1914: Die Pat. fühlt sich unverhältnis¬ 
mässig besser als vor der Operation, verträgt aber keine harte Arbeit. Sie hat 
keine Eebelkeil, kein Erbrochen und auch keine Schmerzen. Aufstossen und 
dergl., sofern sie einigermaassen vorsichtig ist mit dem Essen. Sie sieht gesund 
aus und hat etwas an Gewicht zugenommen. Rü n t gen u n t e rs uc h u n g 
(Pr. Akerlund): Der Magen hat gewöhnliche Form und Grösse, zeigt keine 
spastische Kontraktion oder verstärkte Peristaltik wie sie .in dem früheren 
Rönlgengutachten erwähnt wurde. Der Magen besitzt gute Verschieblichkeit. 
<h-r untere Pol befindet sieh in aufrechter Stellung S, in Rückenlage 3, in Bauch¬ 
lage 4 cm unterhalb des Nabels. Die Magenkontur überall scharf und eben. 

S. (Taf. X, Figg. 17 —19.) Verheiratete Frau, 34 .fahre. X-Para. Vor 
*20 -30 .fahren -.Magenentzündung". Vor 15 Jahren laut ärztlicher Aussage 
Magenkatarrh. Hat die letzten Jahre Schmerzen gehabt und Gefühl von Auf- 
sioNsen und Blähungen im Magen nach dem Essen. Der Stuhl träge. 

Stal, praes. 5. S. 1913. Mager. Sehr dünne und schlaffe Bauchwand. 
Begrenzte Druekempfindliehkeit etwas über dem Nabel. P robef rü hst iiek: 
Rauminhalt des Magens 1400 ccm, keine Retention, keine Säure. Rü nt gen - 
Untersuchung (Pr. Saul): Der Radiotorbrei passierte in normaler Weise in 
den Magen hinunter, dessen unterer Pol bei 400 g Füllung in aufrechter Stel¬ 
lung 10 cm unterhalb der Nabelebene belegen war. Der Magen war gut ver¬ 
schiebbar, wenn man Druck auf denselben ausübte, dagegen minimal, wenn die 
Pat. selbst den Magern einzog. In jeder Stellung der Pat. war während der 
Durchleuchtung an der Curvatura major gleich unterhalb des Rippenrandes eine 
scharfe Einziehung zu sehen, die sich nicht durch Druck verwischen licss. 
Verstärkte Peristaltik. Das Duodenum mehr gefüllt als normal. Enbedeutcnde 
Retention nach 4 Stunden. Wahrscheinlich liegt ein l’lcus vor. 

Operation am 23. S. 1913 (Dr. O. Aleman): Medianschnilt im Epi- 
gastrium. Der Magert bedeutend gesenkt, wird mit Leichtigkeit vor der Bauch- 
wunde herausgeholt. Keine sichtbaren oder palpablen Veränderungen in der 
Wand desselben, abgesehen von einem kaum haselnussgros>en, verschiebbaren, 
gestielten Tumor, den man von der Innenwand ausgehend fühlt und der sich 
<li>tal bis zum Pylorus und proximal 3—4 cm verschieben lässt. Die Wand 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



250 


A. Trocll, 


Digitized by 


wird inzidirrt, der Tumor exstirpiYrt (mikroskopisch: chronisches (iranulations- 
»rcwebe mit reichlichen Mengen eosinophiler Leukoeyten); die Wunde wird zu- 
sammengeniilit. Ks wird (iastropexie nach Rovsing gemacht mit 3 Seiden¬ 
nähten in Serosa und Muscularis auf 1 ein Abstand von einander. 

Die Rai. durfte am 9. 9. aufstehen. Die Fäden wurden am 1(3. 9. weg¬ 
genommen. Heilung p. pr. Am 23. 9: Die Pat. fühlt sich sehr viel besser. 
Das Allgemeinbefinden ist gut, der Appetit ebenso, der Stuhl normal. Der 
Bauch weich und unempfindlich. Doch bekommt sie schneidende Schmerzen 
im Magen, nachdem sie gegessen hat. Sie fühlt sich ausserdem gebläht 
und gespannt, welches Gefühl gleichwohl bald verschwindet, wenn sie eine 
Weile umhergegangen ist. Zeitweilig fühlt sie bittern Geschmack im Munde. 
Röntgenuntersuchung (Dr. Saul): Der Radiotorbrei sank unmittelbar nach 
dem unteren Magenpol, der ungefähr 8 cm unterhalb der Xabelebene belegen 
war. Der Magen äusserst wenig verschieblich. Es war keine Peristaltik während 
der Durchleuchtung zu entdecken. Nach 4 Stunden Retention von ungefähr der 
halben Speisemenge. 

N ac h u n t e rs u c h u n g am b. 4. 1914 (Brief): Die Pat. hat sich nicht 
wohl gefühlt nach der Operation. Nur die Tage vor Weihnachten hat sie etwas 
leichtere Arbeit verrichten können. Sie hat „Schmerzen im Magen und Rücken"*, 
fühlt Schmerzen nach dem K^en, hat aber kein Aufstosscn, l'ebelkeit oder 
Erbrechen. Sie hat zweimal einen Arzt konsultiert und Medizin erhalten. 

Eine epikritische Durchmusterung der hier mitgeteilten Krank¬ 
heitsfälle gewährt in rein klinischer Hinsicht nur geringe Klarheit. 
In meinem zuvor erwähnten, auf schwedisch erschienenen Aufsatz 
habe ich versucht, durch eine genaue Analyse der Kranken¬ 
geschichten das Bild eines Magenleidens herauszubekommen, das 
klinisch und pathologisch-anatomisch einigermaassen typisch wäre; 
jedoch vergebens. Das Ganze beschränkt sich darauf, dass 
ich bei diesen Frauen — mit in der Regel gracilero 
schmächtigem Körperbau, labilem Nervensystem und oft 
einer nachweisbaren tiefen Lage eines oder mehrerer 
Bauchorgane, einem retroflektierten Uterus oder dergl., 
einer „Asthenia universalis“, wenn man will — ein lang¬ 
wieriges, von den Patientinnen selbst zumeist als ernst 
aufgefasstes Leiden, im wesentlichen von gastralgischer 
Art und oft mit einem intermittenten Charakter, kon¬ 
statiert habe; objektiv ist eine sekretorische Verschlech¬ 
terung der Magenschleimhaut nachgewiesen worden, aber 
nur ausnahmsweise etwas weiteres. 

Die Patientinnen waren zumeist zart gebaut und hatten wenig entwickelte 
Körperfülle:. mit Ausnahme von l'all 5 und K waren es sehr magere Individuen. 
Die Fälle 1, 2 und t> waren hochgradig neurotisch, 4, 5 und 7 in geringerem 
Masse, die Fälle .'1 und S schienen über ein einigermaassen stabiles Nerven¬ 
system zu verfügen. Keineswegs handelte es sieh vorwiegend um Frauen, die 
den Kindruek machten, ihre Symptome stark zu übertreiben. Die Fälle 1, t> 
und 7 gehörten eher dem Typus .stilles Gedulden“ an, der in der Gewissheit, 
ein sehr schweres Leiden zu tragen, wenig Hoffnung liegt, jemals volle Gesund- 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein Beit nur zur G ast rop tos ef rage. 


251 


lu*it wicderzuerlangen. Im übrigen dürften unter den Amraben der Kranken¬ 
geschichten besonders folgende Daten verdienen, hervorgehohen zu werden: 

Uosta deeima flurtuans sin.bei Fall 1 

sehmaler, langgestreckter Brustkorb ..... . 1. 2, 4 u. 6 

selnnaler unterer Brustkorbteil.„ .5 

gesenkte, bzvv. gesenkte und bewegliche Leber. . . 1, 5 u. S 

gesenkte und hewegliehe Niere auf der einen 

oder beiden Seiten.. .*>, 4. 5 u. 8 

weites und bewegliches Coeeum.. .. 1 u. 4 \ o } -Befund 

bewegliches, gesenktes Colon.. 3 u. 7 / 

retreflektierter Uterus.« .4 

Prolapsbesehwerden (nach einem Partus vor 

26 Jahren).. . ö 

Proetitis u. Sigmoiitis (jedoch nicht hochgradig) „ . 2. 

Die subjektiven Symptome — die in einer Abwechslung und Mannig¬ 
faltigkeit vorkamen, welche an diejenigen bei Hetroflexio uteri erinnern — 
deuteten in zwei Fällen (Nr. 1 und S) recht stark auf Ulcus, das sieh je¬ 
doch nicht objektiv naehweisen Hess. Sämtliche Patientinnen klagten mehr 
oder weniger über Schmerzen, Aufstossen, Uebelkeit, Erbrechen usw.: Beklem¬ 
mungen. Herzklopfen, Schlaflosigkeit und dergl. waren keine ungewöhnliche Er¬ 
scheinungen. 

Die Schmerzen wurden meistens nach der Herzgrube verlegt oder 
ausserdem nach der linken oder rechten Seite des Bauches oder nach dem 
Rücken zu. Bald wurden sie Tag und Nacht empfunden (Fall 3). bald ge¬ 
wöhnlich nur vormittags (Fall 4) oder am Tage, wenn die Patientin sieh be¬ 
wegte (Fall 7). Aber mit wenigen Ausnahmen wurden sie weder hervorgerufen 
noch beeinflusst durch die Aufnahme von Speise. Bei den Fällen 2 und 8 
stellten sie sieh gleich nach dem Essen ein, bei Pat. 7 kamen sie zuweilen 
1—2 Stunden nach der Mahlzeit. Letztere Pat. war nebst Fall 3 die einzige, 
welche die Schmerzen durch Aufnahme von Speise gelindert fühlte. Verbesserung 
derselben durch Anwendung einer Leibbinde (Fall 5) oder durch Lockerung der 
Kleider um die Taille (1. 6 und 7) wurde von einigen Patientinnen erwähnt. 
Mehrere der Fälle bekundeten eine distinkt begrenzte Druckempfindliehkeit, in 
der Regel einige Uentimeier oberhall) des Nabels und gleich links (Fall 1 und 7) 
oder rechts (Fall 4) von der Mittellinie; hei Fall 2 wurde bei Röntgendurchleuchtung 
konstatiert, dass der Sehmerzpunkt 2 em oberhalb der Pars horizontalis duodeni 
lag (= Stelle des Ganglion solare?). 

Das Erbrechen war niemals ein besonders hervortretendes Symptom. 
Es wurde nicht als voluminös oder als Ketentionserbrechen beschrieben. 
Ucberliaupt bestand es weniger aus Speiseresten als aus Schleim und Galle. 
Wirkliches Blutbreelien sollte zu wiederholten Malen vorgekommen sein hei 
Pat. 1, zweimal bei Pat. 7. Pat. 4 glaubte einmal in dem Erbrochenen «hell¬ 
rote. schlecht untermengte Streifen“ gesehen zu haben. Und bei Pat. 5 wurde 
schwache Blutuntermengung im Spülwasser hei den beiden Magenspülungen be¬ 
obachtet. die im Krankenhause an den Tagen kurz vor der Operation vorge¬ 
nommen wurden. 

Die Beschaffenheit des Stuhles war träge bei 5 Patientinnen, nor¬ 
mal bei 2 (Fall 4 und 5), häufig diarrhoiseh bei 1 (Fall 6j. Weber's Probe 
fiel negativ aus bei jeder Untersuchung bei f> Patientinnen, war positiv den 
dritten Tag des Krankenhausaufenthaltes bei Fall 3, dann aber negativ. Bei 
Pat. 5 war sie bei zwei Gelegenheiten gleichfalls positiv, aber die diagnostische 


Digitized by Gougle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 








252 


A. Trnrll, 


Digitized by 


B«*<l«*utunL r davon wird ja vollkommen aufgehoben durch di«* soeben mitir<‘teilte 
Angabe von trelindcr Blutuntersuclium; bei Maironspülmu:*)• 

Die objektiv«* F n t c rsuo h uns; der motorischen und s«‘krotorischeii Yer- 
liiiltnisse des Mriimnsaekes erirab, dass der Mairen sieh normal entleerte ausser 
in den Fällen o und 4. wo ein«* Andeutung von Retention vorlas;. Der Mairen- 
saft wurde bei irewdlmlieher Pndiefrühst ii<*kmUersu«*hiini: uiurel'ähr normal bei 
Ü Patientinnen (M, 0 und 7) gefunden. b(*i 4 (1. 4. 5 und S) entbehrte er Salz¬ 
säure: bei 2 (1 und 4} Iatr Milehsäurereaktiuii vor. Pat. »4 hatte .*> Jahre früher 
vollkommen anariden Magensaft imliabt. 

Von grossem Interesse sind die Befunde bei den Röntgen¬ 
untersuchungen, und zwar um so mehr, als sic — nebst dem. 
was später bei den Laparotomien konstatiert wurde — die einzigen 
Momente sind, die dazu berechtigen, wie es hier geschehen, die 
Krankengeschichten zu einer einheitlichen (iruppe zusammenzustellen. 

Die radiologischen Erscheinungen können beurteilt werden 
teils aus den Angaben in dem bei der Röntgenuntersuchung ge¬ 
führten Protokoll, teils aus in einigen Fällen hergestellten Ortho- 

Tabelle 1. 

Dir Fair«* des unt«*ren Mairenpols im Verhältnis zum Nabel bei 



Rüntireinlurohleu 

eilt uni; (400 <; F 

Ü 1 l ll 11 L r ). 


ln 

aufrechter Stelluni; 

ln liegender .Stellunt: 
bei 

Nachuntersuchung 


vor kurz nach 

der Operation 

bri Nach¬ 
untersuchung j 

2 

5 cm unt«*rlialb 
«ler Xabelebene. 

- 

In «ler Xabel- 
«* 1)0 ne. 

Bei Rücken]atro 8,5 cm ober¬ 
halb der Xabeleben«*; l*»*i 
Bauchlai;e 5,5 cm oberhalb 
der Nabelebene. 


Fine Handbreit 
unterhalb der 
Nabeleb«‘in*. 

In der Xabel- 
eb«*ne. 

4 ein unterhalb 
der Nabelebene. 


4 


10 cm unterhalb 
«ler Xahelebcne. 


- 

5 

10 ein unterhalb 
der Nabel eb«*m*. 

5 cm unterhalb 
d«*r Xab«*lebem*. 


- 

<> 

S cm unterhalb 
der Nabelebene. 

„ 1 loch L r el«*iren.“ 


-— 

7 

10 cm unterhalb 
der Xabtdrbene. 


S ein unterhalb 
der Xabelebene. 

Bei Rückenlage ö cm unter¬ 
halb der Nabelebene: bei 
Bauchlaire 4 cm unterhalt' 
der Nabelebene. 

s 

10 «*in unterhalb 
«ler Xabeb*b<*n«\ 

S <*m unterhalb 
«l«*r Xabelebene. 




1) B«*i Fall 2 sollte im Lauf des Jahres vor der Operation bei einzelnen 
(ieleirenhntrii Blut in «len Fäees naelnrewiesen sein. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ein Beitrag zur Gastroptosefrage. 


253 


Tabelle II. 


Magentopugrapbische Masse nach Orthodiagrammen in aufrechter 

Stellung. 


Fall 

Lage des 
Nabels im 
Verhältnis zur 1 

Lage der Curvatura major 
im Verhältnis zur Höhe 
der Crista il. 

Länge des 
Digestionssackes 


Höhe der j 
Crista il. 

.bei 200 g 
Füllung 

bei 400 g 
Füllung 

bei 200 g 
Füllung 

bei 400 g 
Füllung 

2 

(vor der Op.) 

| 

in der Höhe 
der Crista il. 

5 cm unter¬ 
halb 


22,5 cm 


(vor der Op.) 

1 ein ober¬ 
halb 

— 

0.5 cm unter¬ 
halb 

— 

16,5 cm 

3 

(1 Jahr nach 
der Op.) 

2,5 cm ober¬ 
halb 

1 cni unter¬ 
halb 

1 ein unter¬ 
halb 

20,5 cm 


5 

(vor der Op.) 

— 1 

1 cm unter¬ 
hall» 


17,5 cm 


6 

(vor der Op.) 

1,5 cm ober- i 
halb 

3 3 / 4 cm ober¬ 
halb 


15 cm 



diagraniraen, teils nacli den Originalröntgenogranmien. Ueber diese 
sämtlichen Befunde habe ich tabellarische Aufstellungen gemacht 
(s. Tabb. I—III). Die Werte in Tab. III (s. hinten) sind zwar nicht 
absolut exakt in anatomischem Sinne, können aber als relative Masse 
angewendet werden. Sie sind alle unter gleichwertigen Verhältnissen 
erhalten worden und müssen demnach — unter Berücksichtigung 
dass Fehlerquellen nicht gänzlich ausgeschlossen sind — unter¬ 
einander innerhalb gewisser Grenzen *) gut vergleichbar sein. Man 
darf indessen nicht vergessen, dass die anatomische Lage des 
Pylorus — hart an der hinteren Bauch wand und den Rücken¬ 
wirbeln — und der Curvatura major — näher der vorderen Bauch¬ 
wand und weiter hinunter im Bauche — bewirkt, dass die Pro¬ 
jektion des ersteren im Verhältnis zu angegebenen Orientierungs¬ 
punkten auf dem Röntgenbild sich weit mehr der wirklichen Lage 


1) Die photographische Aufnahme ist — wie ich von Dr. Forssell er¬ 
fahren — in einem Antikathodenplattenabstand von ungefähr 60 ein erfolgt. 
Die Ccntrierung ist, wie eine Durchmusterung der Röntge nogram me zeigt, durch¬ 
weg annähernd dieselbe gewesen. Man hat genau nach der Platte abgeblendet 
und inmitten des Gesichtsfeldes centriert. Da es sieh stets um magere Individuen 
gehandelt hat, kann der Abstand zwischen der Platte und dem Magen der be¬ 
treffenden Patientin nicht besonders stark gewechselt haben in den einzelnen 
Fällen; er dürfte in der Regel etwa 5cm betragen haben. Mit Kenntnis hier¬ 
von erfolgt leicht die Ausrechnung der annähernd richtigen Masse für die Länge 

des Digestionssackes, die ich in Tab. III nach der Formel: — = ausgeführt 

a 60 

habe: a bezeichnet hier das auf dem Radiogramm erhaltene Mass. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



254 


A. Troeil. 


Digitized by 


nähert, als die der letzteren 1 ). Der Wismutsehatten der Curvatura 
major ist auf allen diesen Röntgenogrammen (s. Tab. III) tiefer 
projiziert worden, als sie sich bei der Röntgenuntersuchung tat¬ 
sächlich befand. Wie tief sie in einem bestimmten Augenblick 
während der Röntgendurchleuchtung realiter stand, darüber ge¬ 
währen die Orthodiagramme den exaktesten Aufschluss. Wünschens¬ 
wert wäre es gewesen, in allen Fällen • die Lage der Magenteile 
im Verhältnis zu fixen Skelettteilen angeben zu können. Dies 
würde einen offenbaren Vorzug bedingen vor Berechnungen, die 
auf einen bei verschiedenem Ernährungszustand oder verschiedener 
Gasfüllung in den Därmen so verschieden belegenen und bei 
wechselnden Körperstellungen so veränderlichen Punkt, wie ihn der 
Nabel darstellt, zurückzuführen sind. Ein Beispiel hierfür gewähren 
die in Tab. II für Fall 3 angegebenen Masse von der Lage des 
Nabels im Verhältnis zu dem höchsten Punkt der Hüftbeinkämme 
vor und ein Jahr nach der Operation (1 resp. 2,5 cm oberhalb des¬ 
selben). Ich habe daher nach Möglichkeit gesucht, bestimmte 
Skelettteile als Ausgangspunkt für meine Messungen anzuwenden, 
um Ausgangswerte zu erhalten, die als Vergleichsmaterial für das¬ 
selbe oder, unter gewissen Umständen, auch für verschiedene In¬ 
dividuen verwendbar sein könnten. 

Ueber die Grösse des Magens gibt der rein klinische Teil der 
Krankengeschichten sehr wenig Aufschluss (beispielsweise, dass der 
Rauminhalt bei Magenspülung in Fall 8 1400 ccm betrug). Die 
Röntgenprotokolle sprechen von einem grossen und weiten Magen 
für die Fälle 1, 3, 4 und 5; für Fall 4 wird die Länge auf 26 cm 
berechnet. Eine an den Orthodiagrammen vorgenommene Messung 
der grössten Länge des Digestionssackes in der Frontalebene — 
von der Mitte der höchsten Wölbung des Fornix bis zum unteren 
Pol 2 ) des Sinus — ergibt nach Tab. II als absolute Masse 


1) Da der Pylorus und der benaehharte Teil der Wirbelsäule auf ungefähr 
demselben Allst and sowohl von der Lieht quelle (der Kontoren rühre) als auch der 
photographischen Platte liefen, wird dieser letzteren annähernd dieselbe Ver¬ 
schiebung durch die Projizierung der Strahlen zu teil sowohl für den Pylorus 
als für die daneben liegenden Wirbel. 

2) leb folge hier der von Forsscll vorgcschlagenen Terminologie, nach 
welcher der Magensack in Fornix, Corpus, Sinus und Canalis aufgeteilt wird 
und die drei ersten dieser Unterabteilungen zu einem „Digestionssack* zu¬ 
sammengefasst werden, zum Unterschiede von der vierten Abteilung, dem „Ent- 
lecrungskanal.“ Hierüber siehe seine Arbeit : lädier die Beziehung der Rönigen- 
bilder des menschlichen Magens zu seinem anatomischen Bau (Fortsehr. a. d. (ich. 
d. Köntgenstrahlen. Erg.-Bd. 80. 19115). Den Unterschied zwischen einem oberen 
„Reservoir* und Digestionsraume“ und einem unteren, wesentlich motorischen 
Teil des Magensackes macht auch Moritz (.Studien über die motorische Tätigkeit 
des Magens. — Zcitschr. f. Biologie, Bd. M2, Nr. 7, 14, 1895; Ueber die Funk¬ 
tionen des Magens. — Münch, med. Woeli. 1895, Nr. 48. Cit. .lahresk. für arztl. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ein I>ritrair zur (iastroptosefrage. 


255 


14,5—22,5 cm. Grösser sind natürlich die von den Röntgenogrammen 
stammenden mehr relativen Masse (Tab. III). Von Interesse ist es, 
an diesen letzteren die recht grosse Differenz zwischen den Werten 
in aufrechter und liegender Stellung zu beachten. Bei der ersteren 
Körperlage wurde für die Patientinnen 1, 2, 5 und 6 eine Länge 
von resp. 25, 27, 27,5 und 27 cm, bei der letzteren Lage für die 
Fälle 3, 4, 5, 6 und 8 resp. 14,6, 23,9, 20,6, 16,5 und 20,1 cm kon¬ 
statiert. In den Fällen 5 und 6 konnte der Unterschied in der 
Länge des Wismutschattens bei den in Rede stehenden beiden Lagen 
berechnet werden; sie betrug 6,9 resp. 10,5 cm. 

Der untere Magenpol, d. h. der tiefste Punkt der Curvatura 
major bei aufrechter Körperstellung, wurde durchgehends tief be¬ 
legen befunden. Bei der Röntgendurchleuchtung wurde er in der 
Regel 5—10 cm unterhalb des Nabels 1 ) (Tab. I) gesehen und an 
den Orthodiagrammen zumeist mehr oder weniger tief unterhalb der 
höchsten Ebene der Hüftbeinkämrae (Tab. II, 4 Fälle); die Original¬ 
en tgenogram me zeigen die untere Begrenzung des Wismutschattens 
tief hinunter in den Bauch projiziert (2 l / 4 —9 J / 4 cm unterhalb des 
Niveaus der Hüftbein kämme, Tab. III). Ueber die Lage des Pylorus 
lässt die Durchleuchtung für Fall 1 erkennen, dass sic in gleicher 
Höhe mit dem Nabel war. Nach den Radiogrammen (Tab. III) 
wurde der Mittelpunkt des Pylorus bei einer Patientin (Nr. 4) 
unterhalb der Verbindungslinie zwischen den Cristae iliacac ge¬ 
funden, bei den übrigen sieben l 1 /,— 11 1 / 2 cm oberhalb derselben, 
alles in aufrechter Stellung. Im Verhältnis zur Mittellinie des 
Körpers wurde er in den Fällen 1, 3, 5 und 6 1—5 cm nach 
rechts, in den Fällen 2, 4 und 8 2—3,5 cm nach links gesehen. 
Er verschob sich, wenn die Patientin aus aufrechter in liegende 
Stellung überging, 2—10 1 / 2 cm aufwärts (Fall 4, 5, 6, 8) und 
2*/*—3y 2 cm nach rechts (Fall 5, 6, 8). — Der Magensack war 
im Fall 8 gut verschiebbar bei Druck auf denselben von unten her, 
dagegen minimal, wenn die Patientin selbst ihn cinzog. In 
den übrigen sieben Fällen war die Beweglichkeit des Magensackes 
bei diesen beiden Lageveränderungen gut. — Verstärkte Peristaltik 
wurde bei allen Patientinnen konstatiert, bei fünf (Nr. 1, 4, 5, 6,7 > 

Fortl>. 1^10, H. 3, S. 20). Siehe auch Schocmaker: Die motorische Funktion 
des Malens. Centralbl. f. Chir. 1910. Xr. 31, S. 95. 

1) Trotz der Einwände, die, wie ich vorstehend angedeutet, gegen die An¬ 
gabe von photographischen Massen im Verhältnis zum Nabel gemacht werden 
können, habe ich mitunter mich derselben bedienen müssen. End zwar wesent¬ 
lich teils, weil sie für so gut w T ie alle Patienten vorhanden sein, teils, weil in 
der einschlägigen Literatur der Nabel allgemein als Ausgangspunkt für die He- 
stimmungen angegeben wird, um welche es sieh hier handelt. Bei mageren 
Patienten — wie in meiner Kasuistik — wird ausserdem die radiographisehe 
Verschiebung des Nabels unter verschiedenen Verhältnissen nicht so gross. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



256 


A. Troell 


Digitized by 


wurden grosse Ringwellen beobachtet, beginnend ganz oben am 
Corpus und auf den Pylorus zu gehend. Bei Fall 5 — einem 
sehr langen Magen, der sich doch gut um die Speise kontrahierte — 
traten während der Durchleuchtung deutliche regurgitierende Be¬ 
wegungen in der Duodenalwand auf. Die Patientinnen 3, 7 und 8 
zeigten in allen Körperlagen eine während der ganzen Durch¬ 
leuchtung fortbestehende Einziehung an der Curvatura major, die 
im ersten Falle an der Umbiegungsstellc zwischen, dem Längs- und 
Quermagen und in den beiden letzten höher hinauf am Corpus be¬ 
legen war; diese Einziehung Hess sich durch keinerlei Druckein¬ 
wirkung verwischen. — Hochgradige motorische Insufficienz wurde 
in keinem Fall nachgewiesen. Bei zwei Patientinnen (Nr. 4 und 8) 
wurde jedoch 4 Stunden nach Verzehren der Röntgenmahlzeit ein 
geringer Teil derselben noch im Magensack vorgefunden. 

Von der vor der Operation gestellten Diagnose sei einiges hervorge- 
liohen. Pat. 1 war besonders wegen der seit vielen Jahren und zuletzt vor 5 
Monaten wiederholten Magenblutungen im Verdacht eines Ulcus ventriculi, und 
zwar trotz der Achylia und obgleich das Röntgenbild nicht die Zeichen zeigte, 
dir man bei einem chronischen I leus erwarten sollte. Nach der Operation hat 
man vielleicht keine bessere Deutungsmöglichkeit für den Fall, als dass die 
Angaben der Patientin von starkem Blutbrechen unrichtig sind 0: es wäre ja 
eigentümlich, wenn ein Magoivuleus mit so ernsten Symptomen so lange be¬ 
stehen könnte, ohne irgendwelche bei der Autopsie zu entdeckende Anzeichen von 
Peritonealreizung abzugeben. In Fall 2 wurde eine schwache Vermutung ge¬ 
hegt. dass ein I leus duodeni vorliegen könnte. Die Fälle 3, 7 und 8 wurden 
als l’lcus aufgefasst, hauptsächlich wegen des bereits erwähnten röntgenolo¬ 
gischen Nachweises einer bei der Durchleuchtung nicht zu verwischenden Ein¬ 
ziehung an der Curvatura major. Und eine ähnliche Deutung schien für Fall 
4, 5 und b berechtigt, in welchen, .gerade wie hoi Pat. 1 und 7, während der 
Röntgenuntersuchung grosse Ringwellen bis ganz hinauf auf das Corpus auf¬ 
traten. Verdacht auf Cancer war nicht ganz ausgeschlossen in drei Fällen, 
teils infolge des Alters der Patientinnen (4b—47 Jahre), teils weil sieh in zwei 
derselben (Fall 3 und 4) eine geringe motorische Insufficienz zu erkennen gab 
und bei einem (Fall 5) während der Magenspülung etwas frisches Blut herauf- 
kam. Die Anacidität (Fall 1. 4. 5, 8) resp. der normale Säuregehalt (Fall 3, b. 7) 
des Magensaftes gewährte nicht viel Stütze für eine Ficusdiagnose 1 2 ). Für 

1) Ich habe versucht, von dem Lazarett in Falköping, wo Pat. während 
ihrer ersten Ficusattacke vor 10 Jahren behandelt zu sein behauptet. Auskünfte 
über ihren damaligen Zustand zu erhalten. 'Protz sorgfältigen Suehens in den 
dortigen Krankenjournalen während mehrerer Jahre sowohl vor als nach dem 
von der Pat. angegebenen Jahre (1903) hat indessen der betreffende Arzt — 
Dr. A. Hern er sie dort nicht als Patientin aufgenommen finden können. 

2) Es sei - als eine Illustration für den Wert von den Resultaten der 
üblichen Magensaftuntersuchungen — bemerkt, dass bei Pat. 7 vor der Operation 
die Totalacidität 50 und die Menge freier Salzsäure 15 konstatiert wurde, aber 
zwei Wochen nach der Probelaparotomie die entsprechenden Zahlen 30 resp. 0 
wurden. Pat. 3. die kurz vor der Operation die Aciditätswerte 40 und 24 
halle, war drei Jahre zuvor im Krankenhause im Besitz vollständig säurefreien 
Magensaftes befunden worden. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kill Beitrag zur (iastroptosefrage. 


257 


mehrere Fälle (z. B. 2, G, 7) wurde der Gesichtspunkt bestimmend, dass ihr 
langjähriges Leiden und der eigene Wunsch nach Gewissheit betreffs der Art 
der Krankheit zu einer Laparotomie mit explnrativem Zweck zu berechtigen 
schien, da eine sichere Diagnose nicht vor dem Eingriff gestellt werden konnte. 
Zur Beleuchtung der diagnostischen Unklarheit der Fälle sei schliesslich er¬ 
wähnt. dass mehrere derselben früher wegen anderer Bauehleiden ärztlich be¬ 
handelt waren, deren Diagnose offenbar nicht allzu exakt gewesen war. Fall 1 
hatte z. B. vor 4 Jahren .Blinddarmentzündung" und hatte seitdem beständig 
Sensationen davon verspürt. Bei Fat. 2 wurde im Jahre 1911 eine geschrumpfte 
Appendix entfernt. l’nil Fall 3 und S wurden vor 4 resp. 15 Jahren wegen 
Magenkatarrh behandelt. 

Was die differentialdiagnostische Bedeutung der klini¬ 
schen und röntgenologischen Einzelheiten anbelangt, so ist von den 
ersteren nicht viel zu sagen. 

Die schwache Beimengung von Blut zum Spülwasser 
bei Magenspülung, die in Fall 5 vorkam, kann nicht viel zu be¬ 
deuten haben. Fleiner 1 ) erklärt eine solche als die Folge von 
frischen Schlcimhautläsionen durch die Magensonde und nur „unter 
Umständen“ als von Ulcus oder Cancer herstammend. — Wie das 
bei einigen Patientinnen (Nr. 1, 7 und 4?) erwähnte Blutbre<;hen 
beurteilt werden soll, ist schwer zu entscheiden. Sonst müsste 
seine dilTerentialdiagnostische Wichtigkeit gross sein, da es natür¬ 
lich einen weit höheren objektiven Wert hat, als z. B. schwer zu 
kontrollierende Angaben über Schmerzen. Nach Rovsing 2 ) sind 
Hämatemesen keineswegs selten bei Gastroptose. 

Und sie sind, fügt er hinzu, „nicht ganz selten hei solchen Gastroptosen, 
wo bei der Operation keine Uleera nachgewiesen werden konnten. Solche liä- 
mateniesen beruhen wahrscheinlich auf Stasc und Schwellung der Schleimhaut 
an den Stellen, wo die Magenwand eingebuchtet ist. Es sei in Erinnerung ge¬ 
bracht, dass die grossen Gefässe an der kleinen Kurvatur durch die Faltung 
gleichsam geknickt und komprimiert werden, wodurch speziell der Abfluss des 
Vonenblutcs erschwert wird. Und es ist begreiflich, dass leicht Blutung ent¬ 
steht an der venös-hyperämischen, geschwollenen Schleimhaut, die den durch 
die Faltung gebildeten Vorsprung im Magen bekleidet, namentlich bei Durch¬ 
gang und Digestion festerer Speiseteile. Aber ich habe ferner in einer Reihe 
von Fällen naehweisen können, dass solche Kleinläsionen zuweilen zu l leera 
werden, die stark vom Ulcus rolundum-Typus abweichen, indem sie nicht 
kraterfonnig sind, meistens nur Substanzverluste in der Schleimhaut bilden, 
und endlich dadurch charakterisiert sind, dass sie stets an dieser vorspringen¬ 
den, fixierten Falte, in den typischen Knickstellen sitzen : in der kleinen Kur¬ 
vatur, am Uebcrgang zwisehem dem Cardiatcil und dom Corpus ventrieuli, und 
jenseits des Pylorus am medialen Rand des Ligamentum hepatieoduodenale." 

Diese Auffassung mag richtig sein, völlig befriedigende Gründe für dieselbe 
scheinen mir noch nicht vorgebracht zu sein, ln der Gastroptosekasuistik 
Rovsing's — 163 Fälle - - habe ich 22 Fälle ausfindig machen können, wo 

1) Fleiner, Morphologie und Physiologie des Magens. Jahresk. f. ärztl. 
Fortbildung. 1910. fl. 3. S. 32. 

2) S. 49 und 54 nebst den Tabellen in Rovsing*s Arbeit vom .fahre 1913. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



258 


A. Troel 1. 


Digitized by 


die Anamnese von einem oder mehreren, zuweilen unbedeutenden Blutbreehen 
spricht 1 )- Da diese Frage nicht ohne Interesse ist, gebe ich aus Rovsings 
Tabellen die sämtlichen von ihm mitgeteilten diesbezüglichen Details wieder. 

Fall 2. Mehrmals Blutbrechen. Bei der Operation keine Flcuszeichoii 
(Hosp.-tid. 1899. S. 8*55). 

Fall 7: Hämatemese vor 6, 3 und 1 Jahre. Bei der Operation keine 
Zeichen von Ficus, aber bedeutende Pyloroptose. Vorübergehende Besserung. 
Nach gut 2 Jahren eine neue Hämatemese. Bei erneuter Operation wurde ein 
Ficus am Pylorus gefunden. 

Fall 14. Blutbrechen vor 35 und 8 Jahren. Bei der Operation „eine 
Narbe auf den Cardiateil zu.“ 

Fall 25. „Hämatemese und Meläna.“ Freie HCl 33, Totalacidität GS. 
„Verdickung an der Curv. min. Ficus zweifelhaft.“ 

Fall 28. 37jährige Frau, die vor 14 Jahren kleine Hämatcmesen gehabt 

hatte. „Pylorus hart, sehr fibrös.“ 

Fall 4G. 29jährige Frau. Zwei Hämatcmesen. Bei der Operation kein 
Zeichen von Ficus. 

Fall 51. Zwei Hämatcmesen. HCl 10—G2, Ta 28--81. Bei der Operation 
kein Zeichen von Ficus. 

Fall 59. Vor 5 Jahren plötzliches Blutbrechen. 1IC1 18, Ta GO. „Es 
scheint der Anfang eines Sanduhrmagens zu sein. Am Boden der Falte wird 
eine kPfennig grosse, infiltrierte, harte Partie gefühlt (Narben nach Ficus?).“ 

Fall G8. 21jährige Frau mit Blutbreehen vor ca. 4 Jahren. HCl 25—45, 
Ta 25—75. Kein Zeichen von Ficus bei der Operation. 

Fall 84. 2Gjährige Frau. Blutbrechen 2 mal. HCl 0, Ta 18. Bei der 
Operation kein Zeichen von Ficus. Fortschreitende Lungentuberkulose. 

Fall 89. „Eine Hämatemese vor 4 Jahren: sonst nie. 4 * HCl 20, Ta 00. 
Adhärenzen nebst „einem markstückgrossen Ficus nahe dem Pylorus und eines 
an der Mitte der Curv. min.“ 

Fall 90. 53jährige Frau. Einmal Blut brechen vor einem Jahre. HCl 41. 
Ta 73. Sanduhrmagen, kein Zeichen von Ficus, der Pylorus durchgängig. 

Fall 91. 31jährige Frau mit Hämatcmesen vor 9, 7 und 2 Jahren. 
HCl 54, Ta 90. „Die Curv. min. ist ungefähr in der Mitte gefaltet, auch ist hier 
eine beginnende Zusammenwachsung der Serosaflächen vorhanden (beginnender 
Sanduhrmagen). Kein Zeichen von Flceration.“ 

Fall 94. „Hämatemese und Meläna einmal.“ HCl 20, Ta 40. Adhärenzen 
zwischen Pylorus und Duodenum auf der einen, Leber und Gal len blase auf der 
anderen Seite. 

Fall 109. „Mit vielen Jahren Zwischenraum einzelne Hämatcmesen.“ 

HCl 23, Ta 0G. Ficus wird nicht nachgewiesen. Bei Gastroskopie normale 

Schleimhaut. „Starker Faltungsknick mit fibröser Veränderung des Peritoneums 
am Febergang des cardialen Teiles zu dem Corpus.“ Zwei Jahre nach der 
Operation ist notiert, dass Patient besser ist, aber einmal Blutbreehen gehabt 
hat „(Ficus?)“. 

Fall 114. 51 jähriger Mann mit „leichter llämatemcsis“ vor 10 Jahren. 

HCl 15. Ta G5. Operation: „ - — — der Magen ist etwas lose — — 

Der Pylorus ist durchgängig. Kein Ficus im Magen oder Duodenum nach- 

1) In einer kleineren Anzahl anderer Fälle berichteten die Operations- 
Protokolle über Ficus, oberflächlichen Substanzverlust in der Magenschleimhaut 
oder dcrgl.. entbehrten aber einer Angabe über vorhergehendes Blutbreehen. 
Diese Fälle hier wiederzugeben, schien mir nicht angebracht. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ein Beitrag zur Gasiroptosefrage. 


259 


weisbar.“ Tod nach 10 Taigen. Sektion: „Ule. rotund. vontriculi ad curv. min. 
Cicatrix curv. min. l'lcus rotund. duodeni.“ 

Fall 115. 36 jährige Frau. * Ein einzelnes Mal unbedeutende Hämaiemesis; 
niemals Meläna." HCl 38, Ta SO. Kein Zeichen von L'lcus. 

Fall 123. 36jährige Frau mit einem Blutbrechen vor 16 Jahren. I1CI 30, 
Ta 69. Der Pylorustcil hat verdicktes, fibröses Peritoneum, gewährt zwischen 
den palpierenden Fingern den Eindruck von Infiltration; der Zeigefinger kann 
nicht durch den Pvlorus passieren. Bei Gastroskopie ist kein l'lcus zu sehen. 

Fall 134. 28jährige Frau. Wiederholte Hämatemesen. Kein Zeichen von 
l’lcus. Möglicherweise etwas Hypaeidität. 

Fall 136. 30jährige Frau mit einem einzigen grossen Blutbrechen vor 
ca. 11 .fahren. Freie HCl, Ta 85. Auf dem Febcrgang zwischen dem Cardiateil 
und dem Corpus eine talergrosse Wunde, adhärent an Leber und Pankreas; 
wird exeidiert. 

Fall 147. .Eine einzelne Hämatemesis.“ HCl 9. Ta 40. „Im Fundusteil 
findet sich eine 5 pfenniggrosse Narbe, am Febergang zwischen der Pars eard. 
und der kleinen Kurvatur ein typisches Gastroptoseulcus“ (Resektion und Pexie 
wird gemacht). 

Fall 159. 22jährige Frau. Hämalemcse im Alter von 7 Jahren. HCl 52, 
Ta 71. im Operations-Bericht ist nichts über l’leera oder Narben erwähnt. 

Eine Zusammenstellung dieser Angaben zeigt, dass man bei 9 der Patienten 
bei der Operation deutliche l'lcera oder solche Veränderungen in der Magenwand 
fand, dass l'lcus — meines Erachtens - nicht sicher ausgeschlossen werden 
kann. Von den übrigen zeigten 4 folgende anatomischen Veränderungen: Sand¬ 
uhrmagen (Fall 90, 91), Peritonealadhärenzen (Fall 94) und „starken Faltungs¬ 
knick mit fibröser Veränderung des Peritoneums am l'ebergang zwischen dem 
cardialen Teil und dem Corpus“ [Fall 109 0]. Noch 4 andere Patienten hatten 
hohen Säure-, resp. Salzsäuregehalt im Magensaft. End bei einem endlich, bei 
dem operativ ein nicht fixierter Magensack ohne Ficus oder Pvlorusvercngerung 
konstatiert war, wurde bei der Autopsie post mortem 10 Tage später ein Ficus 
rotund um sowohl im Magen als im Duodenum und eine Narbe in der 
Curvatura minor vorgefunden. Ein einziger solcher Fall erfordert die allergrösste 
Beachtung, wenn es gilt, die Zuverlässigkeit eines in Bezug auf l'lcus negativen 
Operatiousfundes zu beurteilen — und zwar nicht nur gegenüber dieser hier 
diskutierten Frage, sondern auch als ein starkes Plus für die röntgenologische 
Flcusdiagnostik: ich kann nicht umhin, dieses hervorzuheben, da ich auch aus 
eigener Erfahrung weiss. wie geneigt der Chirurg ist, auf Grund eines für 
Inspektion und Palpation negativen Operationsbefundes das Vorkommen einer 
Magenwunde kategorisch auszusehHessen, das der Röntgenologe zuvor wegen z. B. 
einer spastischen Kontraktion diagnostiziert hatte. Mit dem. was ich im übrigen 
ange/.ogen habe, glaube ich gezeigt zu haben, dass es notwendig ist. nur mit 
Vorsicht Blutbrechen bei Gastroptosepatienten generell als von „Stasc und 
Schwellung in der Sehleimhaut“ althängig zu deuten. Es wäre wünschenswert., 
dass wenigstens eine positive anatomische Beobachtung als Stütze dafür angeführt 
werden könnte. Aber, soweit ich gefunden, fehlt es noch an einer solchen. 
Rovsing erwähnt keine, obgleich er im Anschluss an die Operation verschiedener 
Gastropexiefälle Gastroskopie gemacht hat. Einmal (Fall 126 in seinen Tabellen) 
fand er „die Duodenalschleimhaut dem Pvlorus zunächst etwas injiziert, aber 
ohne l’lcus", das ist sein diesbezüglicher positivster Befund, sonst wird die 

1) Von dieser Patientin wurde 2 Jahre nach der Operation ermittelt, 
dass sie zwar gebessert war, aber dass sie von neuem ein Blut brechen gehabt 
hatte, das den Verdacht auf Ficus veranlasst hatte. 

Archiv für kliu- Chirurgie. Bei. 107. Heft‘J. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



260 


A. Troeli, 


Digitized by 


Schleimhaut als normal, ohne Anmerkung oder derirl. beschrieben. — Bei der 
vorstehend wiedenroirebcnen Aeusscrung Rovsings von der Neigung zur Ent¬ 
stehung charakteristischer l'lcera an gewissen Stellen in ptotisehen Mägen, habe 
ich hier keine Veranlassung länger zu verweilen. Eine detailliertere Ausführung 
von der Theorie als die oben zitierte Meinung habe ich in seiner Arbeit nicht 
gefunden. 

Ich komme zurück auf die Diskussion über die Röntgen¬ 
befunde in meinen Fällen. Meine nächste Aufgabe wird dann 
ein Versuch des Auseinandersetzens sein, was in den einzelnen 
Fällen in das Gebiet der normalen Variationen gehört und was 
eventuell als pathologisch anzusehen ist. Hierbei zwingt die Natur 
der Fälle in erster Linie dazu, die Topographie des Magensackes 
ins Auge zu fassen. Was diese anbelangt, so gewährt — ich finde 
es ganz klar dargelegt — die Röntgenuntersuchung die besten und 
zuverlässigsten Aufschlüsse. Ein Studium der Literatur ist keines¬ 
wegs geeignet die Ueberzeugung zu geben, dass andere vorge¬ 
schlagene Methoden besser sein sollten, im Gegenteil; neben Luft¬ 
einblasung und Friktionsauskultation erwähne ich hier nebenbei 
elektrische Durchleuchtung des Magensackes, Gastrodiaphanie, Fluoro- 
skopie, Bestimmung der Form des Leichenmagens nach vorher¬ 
gehender Füllung mit Gips durch den Oesophagus 1 )- Denen gegen¬ 
über, die nicht geneigt sind, die auf dem Röntgenbilde hervortretende 
Magenform als mit der bei der Aufnahme gewöhnlicher Speise vor¬ 
handenen übereinstimmend aufzufassen, will ich nur folgende Worte 
von Sahli 2 ) anführen: „Dagegen ist die percussorische Bestimmung 
der Magengrenzen bei Wasser- und Nahrungsfüllung in Parallele 
mit dem Wismutröntgenbilde zu setzen und gibt demgemäss, wie 
ich mich überzeugt habe, in geeigneten Fällen auch entsprechende 
Resultate.“ Diese Worte von einem Nicht-Röntgenologen können 
schwerlich als a priori parteinehmend zu Gunsten der radiologischen 
Untersuchungsmethode ausgelegt werden und doch stellen sie diese 
den anderen klinischen Untersuchungsmethoden eher voran als nach. 
Die Behauptung, dass die Radiographie und die Radioskopie, dank 
einer toxischen Einwirkung des Metallsalzes in der Röntgcnmahl- 
zeit auf die Magenwand, das Bild eines Kunstproduktes abgeben 
sollte, muss als widerlegt angesehen werden. Es ist — u. a. von 
Kuhn Faber 3 ) — gezeigt, dass jeder für die Röntgenstrahlen 

1) Ewald, Magen Verlagerungen (Eulenburg's Realencvklopädie. 1910. 
Bd. 9. S. 3S, mit Literaturangaben); Burekhardt, Splanehnoptose (Ergehn, d. 
Chir. u. Orthop. von Payr u. Küitner. 1912. Bd. 4. S. 335, mit Literatur- 
angaben): Kovsinir, (iastro-rolopto.se (1913), und Batujew, Die Varietäten der 
Form des mensehlichen Malens (Kusski Wratsch. 1913. Nr. 27, 2S; ref. Centralbl. 
f. C hir. 1913. Nr. 40. S. 1571). 

2) Sahli, Klinische Untersucliungsmethoden. 1913. S. 552. 

3) Kulm Faber, Küntgenundersiigelser af Ventrikeln. — Nord. Tidsskr. 
f. Ter. 1911-1912. Bd. 10. S. 203. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein Beitrag zur (iastroji tose frage. 


261 


undurchdringliche Stoff, der einer Mahlzeit beigemischt werden kann, 
sogar Milch allein (Grödel) oder andere gewöhnliche Getränke 
[Kästle 1 )], denselben Kontraktionszustand des Magens herbeiführt; 
und dieser Zustand stimmt, was sowohl den Tonus als die Peristaltik 
anbelangt, genau mit den Beobachtungen bei zahlreichen Tier¬ 
versuchen überein. Forssell hat bei wiederholten Gelegenheiten 
mit Nachdruck denselben Standpunkt geltend gemacht. Ich ver¬ 
weise betreffs früherer und späterer diesbezüglicher Untersuchungen 
auf seine Arbeiten 2 ). 

Die in meinen Fällen ausgeführten Röntgenuntersuchungen 
geben Aufschluss über Grösse und Lage des Magensackes in ver¬ 
schiedenen Körperstellungen, seine Beweglichkeit und seine Motilität. 

Was zunächst die absolute Länge des Digestionssackes 
— orthodiographisch auf zwischen 14,5 und 22,5 cm in aufrechter 
Stellung in einigen Fällen gemessen — anbelangt, so kann diese 
keineswegs besonders hoch genannt werden. Die orthodiagraphischen 
Messungen Forssell’s 3 ) an fünf gesunden Frauen ergaben als 
Mittelwert 25 cm, Grödel’s 4 ) Durchschnittsresultat war 22 cm 
(sein niedrigstes und höchstes Mass 17 resp. 29 cm). Höher sind 
meine entsprechenden, mehr relativen Masse: 25—27,5 cm in auf¬ 
rechter Stellung für einige Fälle und 14,6—23,9 cm in liegender 
Stellung für einige. Die 6,9 resp. 10,5 cm grössere Länge des 
Wismutschattens in aufrechter als in liegender Körperstellung bei 
zwei Patienten ist auch recht beträchtlich. Eine der gesunden 
Frauen Forssell’s 5 ) zeigte eine Längendifferenz von 8 cm in den 
Massen der aufrechten und der liegenden Körperstellung, eine andere 
nur 1,5 cm. Auf die Erklärung dieser Verlängerung des Magen¬ 
sackes komme ich weiter unten zurück. Bei der Beurteilung der 
Lage und Beweglichkeit des Magens gehe ich von der Lage des 
unteren Magenpols und des Pylorus in verschiedenen Körper¬ 
stellungen aus. Der untere Magenpol befand sich in der Regel 
so tief wie 5—10 cm unterhalb der Nabelebcne in aufrechter 
Stellung, nach einem Orthodiagramm 5 cm unterhalb des höchsten 


1) Kästle. Münchener med. Wochenschr. 1910. 8. 1837. 

2) Vcrhandl. der 9. Sitzung des Nord. chir. Vereins in Stockholm. 1911. 
8. 162. Yentrikelrörclserna hos människan (Nord. med. Ark. 1911. Festschrift 
für J. Berg. Nr. 36. S. 11; Ueber die Beziehungen usw. 1913. 8. 99, 121 ff.). 
Betreffs sowohl der anatomischen Untersuchungen Erik Müllers, «Tonnesco's- 
u. a., als auch der radiologischen GrödeTs u. a. vor Forssell wie auch 
sonstiger einschlägiger Literatur wird auf die jüngste Arbeit dieses letzteren 
verwiesen. 

3) Forssell, Die Beziehungen usw. 1913. 8. 234, 102. 

4) Grödel. Deutsches Areh. f. klin. Med. 1907. Bd. 90. 8. 441. (CiL 
Forssell. 1913. 8.234. 

5) Forssell, Die Beziehungen usw. 1913. S. 234, 102. 

IS* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



A. T r o Hl. 


Digitized by 


262 


Punktes der Crista iliaca. Diese — ebenso wie die von den 
Röntgeno^rammen stammenden mehr approximativen — Werte 
erscheinen jedoch vor der röntgenologischen Erfahrung weniger 
frappant. Nach Forssell 1 2 * 4 ) sieht man „unaufhörlich . . . Personen 
mit weiter ßrustapertur, deren Magen keineswegs hoch steht.“ 
Als Beispiel führt er einen jungen, gesunden Gymnasien an mit 
S>6 cm weitem Brustkorb, dessen unterer Magenpol sich in auf¬ 
rechter Stellung 6,5 cm unterhalb der Cristae oss. ilei befand: 
durchgehends fand er die Lage des unteren Magenpols bei mageren 
Individuen relativ tief im Verhältnis zur Lage desselben bei wohl¬ 
genährten Personen. Von der Lage und den Lagevariationen 
des Pylorus gilt im Prinzip dasselbe. In Fall 1 sah man den 
Pylorus bei der Durchleuchtung gerade vor dem Nabel. Nach den 
Radiogrammen — siehe die Reproduktionen — lag er im allge¬ 
meinen gerade vor dem III., IV. oder sogar V. Lendenwirbel, aus¬ 
nahmsweise so hoch wie bei II. Ebenso oft lag er einen oder ein 
paar Centimeter rechts oder links von der Mittellinie des Körpers. Er 
verschob sich recht bedeutend, wenn der Patient aus aufrechter in 
liegende Stellung überging (2— 10 l j 2 cm in der Richtung aufwärts 
in einigen Fällen und *2 l / 4 —3’/ 2 cm in der Richtung nach rechts 
in einigen). Sowohl anatomische als röntgenologische Untersuchungen 
haben indessen gezeigt, dass der Pylorus physiologisch eine recht 
bedeutende Beweglichkeit sowohl in vertikaler als in horizontaler 
Richtung besitzt. Die Gegend gerade vor dem I. Lendenwirbel wird 
meistens als die typische Lage des Pylorus bei horizontaler Körper¬ 
stellung angegeben. Braune-), His :! ) n. a. haben gezeigt, dass 
der Pylorus, bei leerem Magen eine Lage in der Mittellinie des 
Körpers — in liegender Stellung — einnehmend, sich bei gefülltem 
Magen sogar bis zu 7 cm nach rechts verschiebt. Forssell'sL 
Beobachtungen licssen schliessen, dass der Pylorus bei normal ge¬ 
bauten, gesunden Menschen bei l’ebergang aus Rückenlage in auf¬ 
rechte Stellung 4—8 cm sinken kann. Bei Personen mit geringer 
Entwicklung des Mesenterialfettes ist diese Beobachtung Regel 
— so in meinen sämtlichen Fällen —, bei reichlicher Adipositas 
ist die Verschieblichkeit weit geringer. Die Ursache liegt ira we¬ 
sentlichen in einer röntgenologisch wahrnehmbaren Senkung der 
Leber bei der gedachten Veränderung der Körperstellung (Fors¬ 
sell), die anatomische Bedingung liegt in dem muskulären Auf- 

1) FnrssHl. IYImt dir l>rzirhim«;rn rtr. 191#. S. 242. 

2) B r n, u n r. Aivli. f. Hrilk. 1S74. ( i(. FnrssHl. 191#. S. 230. 

# II i s, Arrli. f. Anal. u. IMivs. Anat. Aid. 190#. S. #4j. (Zit. ForssrlL 
191#. S. 2#0. 

4) FnrssHl. I>i«* Br/.irhunirm rtr. 191#. S. 2##. 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein Beitrag zur (iastropiospfrairc. 


263 


hängungsapparat des Duodenums (durch Dissektionen ermittelt von 

Treitz 1 )]- 

Alles dies — die Länge des Digestionssackes bei verschiedenen 
Körperlagen, die Lage der Curvatura major und die des Pylorus 
bei aufrechter Stellung und in horizontaler Lage — ist nicht ohne 
weiteres als pathologisch aufzufassen, sondern muss u. a. von der 
Tatsache aus beurteilt werden, dass der Magen, wie es Forssell 2 } 
ausdrückt, „durch eine Serie anatomischer Vorrichtungen seine 
cranio-caudale Höhe zu vergrössern vermag und dass diese Yer- 
grösserung hauptsächlich nicht durch eine Dehnung der relaxierten 
Wand, sondern durch eine Stellungsveränderung der Magenteile ge¬ 
schieht“. Es lässt sich röntgenologisch feststellen, dass die Ver¬ 
längerung desMagens bei Veränderung derKörperstellungvon liegender 
in aufrechte teils von einer eintretenden Vertikalstellung der Pars 
superior duodeni, teils von einer Verschiebung des Pylorus nach 
links (= einer Verkleinerung des Magenwinkels) herrührt, wodurch 
sowohl der Digestionssack als auch der Entleerungskanal eine mehr 
vertikale Richtung erhält [Forssell 2 )]. Die Forschung hat mehr 
und mehr das Irrige darin dargelegt den Magensack als ein in 
Ligamenten aufgehängtes, hohles, sackförmiges Organ von bestimmter 
Form und Grösse aufzufassen. Man ist — mit voller Berechtigung, 
soweit ich finden kann — dazu übergegangen, nur in dem Sinne 
den Ligamenten eine mechanische Bedeutung beizumessen, als sie 
regulierend wirken, wie Zügel [Quincke, Schwerdt, Meltzing 3 )], 
welche nach Bedarf „den Magen .... an den Platz erinnern, der 
ihm in der Bauchhöhle zugewiesen ist“. „Eine Grösse des Magens 
gibt es sozusagen nicht; sie ist eine Funktion der Füllung“ 
[Holzknecht 4 5 )]. Die Form unterliegt bedeutenden physiologischen 
Schwankungen, gerechnet sowohl unter verschiedenen Individuen 
als auch in bezug auf verschiedene Funktionszustände bei einem und 
demselben Individuum 3 ). Sowohl Form als Lage variieren bei den 


1) Treitz, l ? ebor einen neuen Muskel am Duodenum des Mensehen. — 
Vierteljahrssehr. f. d. prakt. Hcilk. 1853. Bd. I. Cit. Forssell. 1913. S. 232. 

2) Forssell, Uehcr die Beziehungen etc. 1913. S. 240, 238. 

3) Quincke, Th er. d. Gegenw. 1905. N. F. V. 7,3-10. Schwerdt, 

Deutsch, med. Woch. 1896. S. 53, 73 u. 87. Meltzing, Areh. f. Yerdauungskr. 
1S9S. 4, 181 (eit. Burckhardt: Splanchnoptose. — Payr und Küttner's 

Ergehn, d. Chir. und Orthop. 1912. Bd. 4. S. 305). 

4) Holzknecht, Der gegenwärtige Stand der Röntgenuntersuchungen des 
Magens etc. W iener med. W ochensehr. 1913. S. 1966. 

5) Vergl. Simmonds, lieber Form und Lage des Magens unter normalen 
und abnormen Bedingungen. 1907; Froriep, Verhandl. d. Gesellseh. deutscher 
Naturforscher u. Aerzte. Med. Abteilungen. 1907. T. II., H. II. (Fit. Forssell, 
Yentrikelrörelserna hos människan. Nord. med. Ark. 1911. 1. Nr. 36. S. 7); 
De la Camp, Münchener med. AV’oehenschr. 1910. S. 1913: Forssell. Feber 
die Beziehungen usw. 1913. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


264 A. Trocll, 

verschiedenen Kontraktionszuständen des Magens und unter dem 
Einfluss des Füllungsgrades und der Volumenverhältnisse benach¬ 
barter Organe. Und das Vorkommen von Individuen mit tief unten 
im Bauche liegender unterer Magengrenze, aber ohne irgendwelche 
Beschwerden von den Bauchorganen schliesst jede Berechtigung 
aus, eine Senkung des Magens oder nur des Pylorusteiles desselben 
generell als pathologisch zu bezeichnen. Es kann kein Sinn darin 
liegen, ohne zwingende Gründe solche pathologisch-anatomische 
Begriffe zu lancieren, nach welchen 3 / i von allen Mägen abnorm 
sein würden [Forssell 1 )]; man muss das Unwahrscheinliche in 
Hypothesen sehen, die zu einer solchen Aeusserung führen wie die¬ 
jenige Grödel’s: „Ueberhaupt dürften höchstens 50 pCt. der raagen¬ 
gesunden Frauen einen ganz normalen Magen besitzen“ 2 ). 

Diese Gesichtspunkte mögen in grösserem oder geringerem 
Masse zuvor betont sein, sie verdienen nichtsdestoweniger von 
neuem hervorgehoben zu werden. Und berechtigt ist es auch 
hinzuzufügen, dass nicht einmal diejenigen, die mit der Gastroptose 
als einem klinischen Krankheitsbegriff rechnen, bisher eine auch 
nur annähernd übereinstimmende Definition für dieselbe haben ab¬ 
geben können. De Quervain 3 ) fordert, um die Diagnose Ptosc 
stellen zu können, dass die Curvatura minor bei leichter Aufblasung 
„abnorm tief“ stehen soll. Rovsing 4 ) betont an einer Stelle in 
seiner Monographie die Lage der kleinen Kurvatur als von ent¬ 
scheidender Bedeutung für die Diagnose, äussert sich aber nirgendwo 
in derselben — soweit ich habe finden können — darüber, wie tief 
die Lage sein soll um pathologisch genannt zu werden. Und 
Knud Faber 5 ), der klinisch und röntgenologisch das Thema ein¬ 
gehend studiert hat, betrachtet die Mägen als „sicher abnorm .... 
gelagert“, deren kleine Kurvatur bis einen oder mehrere Centimeter 
unterhalb des Nabels reicht. Unsere diesbezüglichen Kenntnisse 
sind offenbar noch sehr unvollkommen. Sie berechtigen uns nicht 
zu weitergehenden gemeingültigen Aeusserungen als was z. ß. 
Flciner 0 ) so formuliert: ein pathologischer Zustand des Magen¬ 
sackes beginnt erst mit einer Funktionsstörung. 

1) Forsscll. Leber die Beziehungen usw. 1913. S. 226: VIII. nord. Komrr. 
f. inv. Med. Lund 1913. 

2) Cit. Forssell, lieber die Beziehungen usw. 1913. S. 245. 

3) De Quervain, Chirurgische Diagnostik. 1911. S. 299. 

4) Rovsing. Gastro-coloplose. 1913. S. 20. Siehe auch Arch. f. klin. Chir. 
1900. S. 812. 

5) Knud Faber, Vcntrikelns normale Leje og Gastroptosen. Bibi. f. Läger. 
1908. S. 243. Siehe auch Nord. Tidsskr. f. Ter. 1913. S. 2(u und VIII. nord. 
Kongr. f. inv. Med. Lund 1913. 

(j) Kleiner, Morphologie und Physiologie des Magens. Jahresk. f. ärztl. 
Forti). 1910. III. S. 29. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein Beitrag zur Gastroptoscfragc. 


265 


Hiermit bin ich bei der Frage von der Motilität des Magen¬ 
sackes und der Auffassung davon angelangt, die die Röntgenunter¬ 
suchung in meinen Fällen ergeben hat. Ich habe bereits bei der 
Besprechung der Probemahlzeituntersuchungen erwähnt, dass ein 
paar Patienten zwar eine etwas verspätete Entleerung 1 ) des Magens 
darboten, dass aber bei keinem von solchen motorischen Stö¬ 
rungen die Rede war, welche die Diagnose organisches Leiden ver¬ 
anlassen konnten. 

Eine Schwächung der Peristaltik — eventuell ein Zeichen von 
atonischer Dilatation 2 ) — war bei keinem Patienten röntgenologisch 
zu konstatieren. Im Gegenteil war es bemerkenswert, in wie ge¬ 
ringem Grade auch die Fälle mit grossem Magen (Ektasie) Zeichen 
von Herabsetzung im Muskeltonus des Organs (Atonie) zeigten. 
Diese letztere wurde als gleichbedeutend mit einer Verschlechterung 
der „peristolischen Funktion“ [Stiller 3 )] aufgefasst, womit gemeint 
ist die Fähigkeit des Magensackes, sich um seinen Inhalt zusammen¬ 
zuziehen, sein Volumen stets dem Rauminhalt dieses letzteren an¬ 
zupassen. Von einer derartigen „peristolischen Funktion“ zu reden 
mag berechtigt sein oder nicht; von einer Schwächung derselben war 
bei meinen Patienten kaum etwas zu verspüren. Für die Fälle 2, 
4 und 5 heben die Röntgenprotokolle ausdrücklich hervor, dass der 
Magensack sich bei der Durchleuchtung gut um die Speise kontra¬ 
hierte — der mittlere dieser Fälle hatte gleichwohl eine etwas 
verspätete Entleerungsfähigkeit —, und meine Rüntgenograrame 
geben Bilder, die in dieser Hinsicht nicht von dem abweichen, 
was Röntgenogramme von unzweifelhaft normalen Mägen aufweisen. 
— In Fall 1 wurde eine Beobachtung gemacht, die von Interesse 
ist gegenüber Grödel’s 4 ) Ueberlegung betreffs der Magenatonie. 
Er fasst die Mägen, die sich nur in ihrem caudalen Teil füllen und 
erweitern, während die Pars media (Corpus) leer und kollabiert 


1) Normale Entlcerungsfähigkcit schreibe ich dem Magen zu, welcher 
5 Stunden nach Einnehmen einer Bourge Cschen Probemahlzeit nicht mehr als 
einen Rest von 50 ccm enthält oder welcher ganz leer ist 4 Stunden nach Ver¬ 
zehren einer ForsselTschcn röntgenologischen Wismuthmahlzeit. Siehe Forssell 
(Ueber die Beziehungen usw. 1913. S. 99 und Münch, med. Wochenseh. 1913. 
S. 2200), wie auch Payr und Küttner, Ergebnisse der Chir. u. Orthop. 1912. 
Bd. 4. S. 337 usw. 

2) Holzkneeht und Jonas. Die Röntgenuntersuchung des Magens und 
ihre diagnostischen Ergebnisse. Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderheilk. von F. Kraus 
u. a. 1909. Bd. 4. S. 471. 

3) Burckhardt in Ergehn, d. Chirurg, u. Orthop. 1912. Bd. 4. S. 333 
(Literatur). Siehe auch E. Maylard, Dilatation of the Stomach. Glasgow med. 
joum. 1913. Nov. Cit. Zentralbl. f. Chir. 1914. S. f>92. 

4) Grüdel, Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderheilk. von F. Kraus u. a. 1909. 
Bd. 4. S. 409 (Literatur). 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


2(56 A. Tr o e 11. 

bleibt 1 ), als muskelsehwach, atonisch im Sinne Stiller’s, auf. Aber 
in meinem hier besprochenen Fall — ein grosser und weiter 
Magensack — sah man die Speise sich im Quermagen sammeln, 
während der Längsmagen völlig leer war, und während, bei der¬ 
selben Durchleuchtung, eine sehr verstärkte Peristaltik mit grossen 
Ringwellen oben am Corpus beobachtet wurde; von Atonie war 
demnach keine Rede. Eine lebhafte Peristaltik, wurde übrigens in 
allen Fällen 2 ) beobachtet, bei fünf derselben traten während der 
Durchleuchtung tiefe circulare Kontraktionen oben am Corpus auf, 
hinunter auf den Pylorus zu fortschreitend. Von der Bedeutung 
dieser Erscheinung gilt indessen die alte Regel, dass selten ein 
einziges Symptom eine Diagnose entscheidet, es muss ira Zu¬ 
sammenhang mit den übrigen in dem einzelnen Falle ermittelten 
Details gesehen werden. Ich begnüge mich damit hier die folgende 
Aeusserung wiederzugeben, welche sicherlich eine allgemeine rönt¬ 
genologische Erfahrung zum Ausdruck bringt: „Die naheliegende 
Annahme, dass eine stark vermehrte Peristaltik (erhöhte Frequenz, 
auffallend hoher Beginn und einschneidende Tiefe der Wellen) für 
Pylorusstenose spreche, muss aufgegeben werden, da wiederholt 
auffallend stark vermehrte Peristaltik gefunden wurde, ohne dass 
sich sonst klinische oder radiologische Zeichen von Pylorusstenose 
auffinden Hessen“ [Holzknecht und Jonas 3 )]. — Die keineswegs 
aufgeklärte Frage von der diagnostischen Tragweite der Einziehungen 
an der Curvatura major, die während der ganzen Röntgendurch¬ 
leuchtung unverändert und ohne sich beeinflussen zu lassen be¬ 
stehen bleiben, übergehe ich an dieser Stelle gänzlich. — Der 
Nachweis von regurgitierenden Bewegungen in der Wand des 
Duodenums in Fall 5 ist von Interesse mit Rücksicht auf den nega¬ 
tiven Operationsbefund und das Wohlbefinden des Patienten lange 
Zeit nach der Operation. Antiperistaltik ist bisher als ein stets 
schweres Symptom aufgefasst worden, auf schwere anatomische 
Veränderungen deutend, wie Stenose, Ulcus, Cancer [Jonas, 
Haudek 4 )]. Kürzlich hat Th. Kocher 5 ) einen Fall von Volvulus 


1) Auf einen entgegengesetzten Typus für die Art und Weise des Magen¬ 
sackes, sieh zu füllen (= «bis in die Pars cardiaca"), machen auch Grüdel 
und Faulhaber aufmerksam (s. Anm. 4 auf voriger Seite). 

2) Nur bei einem Patienten, Fall 8, ausser dem erwähnten Fall 4. wurde 
noch 4 Stunden naeli dem Verzehren der Röntgenmahlzeit ein Rest im Magen- 
saek vorgefunden. 

li) Holz kn echt und Jonas, Die Röntgenuntersuchung des Magens und 
ihre diagnostisehen Ergebnisse. Ergebnisse der inneren Med. und Kinderheilk. 
von F. Kraus u. a. 1909. Bd. 4. S. 471. 

4) Jonas, Haudek, Jahresk. für ärztl. Fortbild. 1911. YI1E S. 100. 
(H o 1 z k n e<• h t. Röntgendiagnostik des Magens.) 

f>) Th. Kocher, Deutsche Zeitsehr. f. Cliir. 1914. Bd. 127. S. 591. 


Gck igle 


Original frnrri 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ein Hritnur zur (iastrojnoscfrap*. 2()7 

eines Sanduhrmagens veröffentlicht, wo man während des Kranken¬ 
hausaufenthaltes des Patienten, fünf Wochen nachdem der Volvulus 
operativ korrigiert worden war, bei einer neuen starken Füllung 
des Magensackes antiperistaltische Bewegungen beobachtete, die 
vom Antrum pvloricum auf den Fundus zu fortschritten. — 

Wollte ich nun versuchen — im Anschluss an das, was oben 
schon betreffs der klinischen Verhältnisse der Krankheitsfälle re¬ 
sümiert ist, — die radiologischen Befunde zu resümieren, 
so ergeben dieselben in der Tat nichts anderes für alle Fälle 
Charakteristisches als eine an den distalen Teilen des 
Magensackes vorhandene hochgradige Senkung und Be¬ 
weglichkeit, deren pathologische Bedeutung sich nicht 
zuverlässig beurteilen lässt. Es ist nicht einmal möglich, 
festzustellen, dass eine ausgesprochenere Senkung oder 
Beweglichkeit des Magensackes gleichzeitig mit schwere¬ 
ren klinischen Beschwerden vorzukommen pflegt oder 
umgekehrt. Zusammen mit den sicher physiologischen, 
sehr bedeutenden Variationen, welche die moderne ana¬ 
tomische und radiologische Forschung über diese Verhält¬ 
nisse nachgewiesen hat, gesehen, ist es daher — wie ich 
denke — am richtigsten, die Lage und Beweglichkeit des 
Magens in meinen Fällen als anatomische Anomalien auf¬ 
zufassen, als eine Entwicklungsvarietät, die an und für 
sich nichts Pathologisches bedeutet oder irgendwelche 
subjektive Symptome verursacht. 

Mit dieser Leberlegung ist jedoch die Ptosefrage keineswegs 
aufgeklärt, am allerwenigsten gegenüber dem Einwande, dass man 
nicht die klinische Erfahrung verneinen kann, dass es Menschen 
gibt, die wirklich von einer vorhandenen Enteroptose (hierin dann 
Gastroptose einbegriffen) Beschwerden zu haben scheinen. Aber 
für eine exakte Beurteilung hierüber fehlen uns noch die nötigen 
Kenntnisse. Wir sind auf fortgesetzte Studien angewiesen und 
dabei auch auf die Schlussfolgerungen, die wir ex juvantibus aus 
unserer therapeutischen Erfahrung entnehmen können. Lässt es 
sich beweisen, dass eine gewisse Behandlungsmethode — intern 
oder operativ — ein zuverlässiges Mittel bildet, um dem Gesund¬ 
heitszustand der hier in Frage kommenden Menschen wesentlich 
oder vollständig aufzuhelfen, so ist damit ein grosser Fortschritt 
gemacht. Dann nicht nur hat diese Methode ihre Berechtigung 
bewiesen — selbst wenn das Verständnis für die Wirkungsweise 
derselben bis auf weiteres unvollkommen sein sollte —, sondern es 
ist uns vielleicht auch eine Andeutung davon gegeben worden, wo 
das ätiologisch und genetisch Wesentliche in der reichen Svmptoma- 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



268 


A. Troell, 


Digitized by 


tologie in diesen Krankengeschichten liegt. Die kritischen An¬ 
forderungen müssen indessen für jede Schlussfolgerung in jener 
Richtung stark sein. Inzwischen mag es berechtigt sein, ver¬ 
schiedene therapeutische Wege zu prüfen — innerhalb welcher 
Grenzen, das wird im wesentlichen von dem Standpunkt des ein¬ 
zelnen Arztes abhängen. 

Ich glaube das Richtige getroffen zu haben, wenn ich behaupte, 
dass es unter dem Eindruck eines derartigen Gedankenganges ge¬ 
schah, wenn wir im Seraphimcrlazarett an den Fällen meiner Ka¬ 
suistik Operation vorgenommen haben. Wir sind zur Laparotomie 
geschritten mit mehr oder weniger starkem Verdacht auf Ulcus 
oder Cancer, haben aber bei derselben keine Zeichen von solchen 
Veränderungen finden können. Die Kenntnis von einer laut Röntgen¬ 
untersuchung tief belegenen unteren Magengrenze oder anderen 
gleichwertigen Umständen schien dann in gewissen Fällen zu einer 
Massnahme zu berechtigen, wodurch der Magensack höher hinauf 
in der Bauchhöhle zu liegen kommen würde als zuvor. Bevor ich 
diese Operationen bespreche, sei zur weiteren Beurteilung der In¬ 
dikationsstellung angeführt, dass in demselben Jahre wo diese Ein¬ 
griffe vorgenommen wurden — 7 in der chirurgischen Klinik I 
des Seraphimerlazaretts — 29 Fälle von Ulcus ventriculi s. duo- 
deni daselbst operiert wurden und 41 Fälle von Cancer ventriculi. 

Wie aus den Krankengeschichten und der Tab. III ersichtlich, 
bestanden die Eingriffe 1 ) in meinen Fällen 

2 mal in nur Laparotomia explorativa (Fall 4, 7), 

4 „ „ Raffung des Lig. hepato-gastricum 2 ) (Fall 1, 2, 5, 6), 

2 „ „ Gastropexie nach Rovsing’s Methode (Fall 3, 8). 

Was den Magensack anbelangt, so wurde bei der Operation 
gefunden, dass er mit Leichtigkeit ausserhalb von der Bauchwunde 
vorgezogen werden konnte in 5 Fällen (Nr. 1, 3, 5, 7, 8). Er lag 
in Fall 1 so tief, dass das Pankreas oberhalb der Curvatura minor 
blossgelegt gesehen wurde. In Fall 3, der bei einer Probefrüh¬ 
stückuntersuchung etwas Retention dargeboten hatte und dessen 
Curvatura major bei der Röntgenuntersuchung unterhalb der Ebene 
der Crista iliaca gelegen hatte, konnte zwar der Magensack bei 

1) Die Entfernung einer oder der anderen harmlosen Appendix lasse ich 
hier ausser acht, ebenso auch die Coeeopexie in Fall 1. 

2) Diese Methode würde insofern eine ideale Gastropexie sein, als sie 
dem Magensack eine hohe Lage gewährt, ohne für ihn die Möglichkeit zu be¬ 
schränken, sich gegen benachbarte Organe zu verschieben. Die Technik ist in 
unbedeutend abweichenden Variationen angegeben von Stengel, Bier und 
B c y e a (siehe Hurck h ardt, Pay r und Kii11ner's Ergebnisse 1D12. Bd. 4, 
8.348). Bier's frühester Fall ist publiziert von Blocher, Beitr. z. chir. Be- 
handl. der Enteroptose (Deutsche Zeitsohr. f. Chir. Bd. 56, S. 374) 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Kin Beitrag zur Gastroptosofragr. 


269 


der Operation leicht ausserhalb der Bauchwunde vorgezogen werden, 
schien aber im ganzen klein und gut kontrahiert zu sein — eine 
neue Illustration dafür, wie schwierig es ist, Atonie und Muskel¬ 
schwäche bei diesem Organ zu diagnostizieren. In Fall 8 wurde 
ein haselnussgrosser Schleimhautpolyp mit chronischen entzünd¬ 
lichen Veränderungen gefunden. Der proximale Teil des Duode¬ 
nums war auffallend weit nicht nur in Fall 6, wo schon die 
Röntgenuntersuchung Anlass gegeben hatte, dies zu vermuten, 
sondern auch bei den Patienten 1 und 4, wo kein entsprechender 
Röntgenbefund gemacht war 1 ). Einige spärliche Bindegewebsstränge 
um den Pylorus herum in den Fällen 2 und 6 waren die einzigen 
wahrnehmbaren Zeichen von Peritonealreiz. Von grösserem In¬ 
teresse war eine andere Veränderung eines Teiles des Peritoneums, 
nämlich die dünne, häutchenartige Beschaffenheit des Ligamentum 
hepatogastricum, die bei allen Patienten ausser den Fällen 3 und 
8 beobachtet wurde und die in guter Uebereinstimmung steht mit 
der bedeutenden Beweglichkeit dieser Mägen [Kuhn Faber 2 ) er¬ 
wähnt das Vorkommen von fettarmem Mesenterium und Omentum 
majus als sehr gewöhnlich bei Individuen mit der Konstitutions¬ 
anomalie, die Stiller Asthenia universalis nennt.] 

Ueber den nächsten postoperativen Verlauf ist nichts besonderes 
zu bemerken. Die Operierten durften nach 2—3 Wochen das 
Bett verlassen und konnten bald darauf bei relativem Wohlbefinden 
entlassen werden. Von grossem Interesse war dagegen der Befund 
bei den Röntgenuntersuchungen zu diesem Zeitpunkt, sowohl 
was die Abweichungen von als auch was die Aehnlichkeiten mit 
dem Bilde vor der Operation anbelangt. Die Fälle 3—6 und 8 
wurden kurz nach der Operation röntgenuntersucht. Eine Be¬ 
sprechung dessen, was dabei konstatiert wurde, dürfte um so 
mehr berechtigt sein, als man bisher, nach der Literatur zu ur¬ 
teilen, diesen Verhältnissen keine eingehende Aufmerksamkeit ge¬ 
schenkt hat 3 ). 

Einerder Patienten, welcher Pro belaparotoraie durchgemacht 
hatten, wurde kurz nach der Operation röntgenuntersucht (Fall 4). Das 
Bild war nicht völlig dasselbe wie vor derselben. Der untere 
Magenpol lag bedeutend tief und die Entleerungsfähigkeit des 
Organs war nach wie vor etwas herabgesetzt. Aber die bei der 

1) Ein mehr als gewöhnlich ausgespanntes Duodenum war ausserdem 
röntgenologisch konstatiert worden bei den Fällen 2, 5 und S. 

2) 1. o. 

o) Von neueren die Gastroptose behandelnden Arbeiten erwähne ieh nebst 
Perman's Publikation in der Hvgiea (1913) die Aufsätze folgender Verfasser: 
Siek (Med. Klin. 1912, S. 735), Disrjuc (Med. Klin. 1913, S. 175), Schmieden 
u. a. m. (Mitteil. a. d. Grenzireb. d. Med. u. Chir. 1914. S. 479). 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



*270 


A. Trncll, 


Digitized by 


vorigen Durchleuchtung konstatierte Nichtübereinstimmung zwischen 
der motorischen Funktion und der sichtbaren Motilität war geschwun¬ 
den. Statt dessen war nun, wie bei einem atonischen Magen zu er¬ 
warten war, keine Peristaltik zu entdecken, und die Verschieb¬ 
lichkeit des Magens war beschränkt, vor allem wenn der Patient 
den Bauch einzog. Der Quermagen hatte eine vermehrte Breite. 
Die Veränderungen sind möglicherweise durch die Annahme zu er¬ 
klären. dass sich nach der Handhabung des Magensackes bei der 
Operation Verwachsungen ringsum das Organ gebildet hatten, vor 
allem mit der vorderen Bauchwand. 

Die Wirkung der Raffung des Ligamentum hepatogastri- 
cura konnte in zw’ei Fällen (5 und 6) kontrolliert werden. Beide 
Male war eine deutliche Hebung des unteren Magenpols zu¬ 
stande gekommen. Gleichzeitig war die vertikale Achse des 
Magensackes verkürzt worden und die Form des Organs wie 
auch seine Art und Weise sich zu füllen hatte sich verändert. Die 
Form in aufrechter Stellung war in Aehnlichkeit mit der 
eines normalen Magens bei liegender Stellung übergegangen. 
Der Fornix war bedeutend breit geworden, der Quermagen 
mehr zusammengezogen und dazu — Fall 5 — unfähig ge¬ 
worden, spontan Speise aufzunehmen; erst bei Druck von 
aussen her konnte eine kleinere Menge des Wisrautbreies in den¬ 
selben hinaus gepresst werden. Abnorm starke Peristaltik wurde 
nicht beobachtet, dagegen wurden in Fall 5 teils tiefe längs- und 
nuerlaufende Schlcimhautfalten, teils eine fort und fort unveränder¬ 
liche, tiefe Einziehung der Curvatura major an der Grenze zwischen 
Sinus und Canalis gesehen. In Fall 6 war die Entleerungs¬ 
fähigkeit des Magens etwas herabgesetzt. 

Prinzipiell derselbe Effekt wurde nach der ersten (Fall 3) der 
beiden Gastropexien nach Rovsing beobachtet. Der untere 
Magenpol hatte eine beträchtlich höhere Lage. Der Fornix 
war breit. Die verschluckte Speise sammelte sich in diesem und 
dem Corpus, während der Quermagen sich nur unvollständig 
füllte und erst bei Druck von aussen her Speise bis an den Pylorus 
heran einliess. Bei Einziehung der vorderen Bauchwand sah man 
den Quermagen mitfolgen, d. h. sich heben, bei Bauchlage des 
Patienten verblieb er in seiner früheren Höhe, obgleich der untere 
Magenpol sich dann senkte — offenbar ein Zeichen davon, dass 
eine Fixation zwischen der vorderen Bauchwand und dem horizon¬ 
talen Teil des Magensackes vorhanden war. Die Beweglichkeit 
des Organs war gut, der untere Pol hob sich 6 cm, wenn der 
Patient den Bauch einzog. Die vor der Operation beobachtete 
Verstärkung der Peristaltik war geschwunden. Die Motilität nahm 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein Dcitrag zur <ia.stm|>tnsi'fratri.‘. 


•271 


sich im Gegenteil deutlich geschwächt aus. der Magen hatte sich 
4 Stunden nach Einnahme der Mahlzeit noch nicht vollständig ge¬ 
leert. — Eine ähnliche Verschlechterung der Motilität wurde bei 
Pat. 8 konstatiert, teils in einer gesteigerten motorischen Insuffi- 
cienz, teils in dem Nichtvorhandensein sichtbarer Peristaltik sich 
äussernd. Ausserdem war die Verschiebbarkeit des Magensackes 
stark beschränkt. Eine augenscheinliche Veränderung in der Höhen¬ 
lage des unteren Magenpols und — wohl damit zusammenhängend — 
die Art und Weise des Magensackes sich zu füllen, war da¬ 
gegen nicht nachzuweisen (diese Patientin hatte, abweichend von 
den ürigen Fällen, wo am Magen selbst etwas vorgenommen war, 
nicht drei, sondern schon zwei Wochen nach der Operation auf¬ 
stehen dürfen). 

Bevor ich eingehender bei der Frage von den Resultaten der 
Behandlung verweile, dürfte zweckmässig ein Bericht gegeben werden 
über den radiologischen Befund bei dreien der Patientinnen im Zu¬ 
sammenhang mit den Nachuntersuchungen. Leider ist es mir 
nicht gelungen, mehr Fälle zur Röntgenuntersuchung zu erhalten, 
im wesentlichen darauf beruhend, dass der Wohnort der Patien¬ 
tinnen soweit von Stockholm entfernt ist. Von den radiulogisch 
Nachuntersuchten war eine (Fall 3) in gleicher Weise bereits ein 
Mal vorher nach der Operation untersucht, die beiden übrigen 
(Fall 2 und 7) dagegen nicht. Ich berichte über die drei Fälle in 
derselben Reihenfolge mit Rücksicht auf die Operationen wie zuvor. 

Die Frau, welche Probelaparotomie durchgemacht hatte 
(Fall 7), bot ungefähr dieselbe Lage des unteren Magenpols dar 
wie vor der Operation — er lag nur 2 cm höher, gerade wie bei 
Pat. 8 vor resp. kurz nach der Gastropexie. Die Verschieblichkeit 
des Magensackes war gut. Die zuvor beobachtete Verstärkung der 
Peristaltik war nicht mehr vorhanden, auch nicht die spastische 
Einziehung der Curvatura major. 

Fall 2, bei welchem Raffung des Ligamentum hepato- 
gastricum gemacht war, stimmte insofern mit den eben be¬ 
sprochenen in gleicher Weise behandelten Fällen überein, als der 
untere Teil des Magens nun in der Nabelebene stand, 5 cm höher 
als zuvor. Der Magen war auch bedeutend breiter, aber dies galt 
auch vom Quermagen und vom Pvlorus; die starke Kontraktion 
des Canalis fehlte somit hier. Die Beweglichkeit des Organs war 
sehr gut. 

Besonderes Interesse bietet Fall 3, da er eine Möglichkeit ge¬ 
währt zu beurteilen, ob Gastropexie nach Rovsing einen 
dauernden Einfluss auf die Lage und Funktion des Magens be¬ 
wirken kann. Tatsächlich scheint dies im grossen ganzen der 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



272 


A. Trocll, 


Digitized by 


Fall zu sein. Zwar lag nun der untere Magenpol 4 cm tiefer als 
gleich nach der Operation (doch etwas höher als vor derselben), 
aber die Art und Weise des Magens sich zu füllen war nach wie 
vor eigentümlich. Die Speise hatte eine gewisse Schwierig¬ 
keit den Quermagen bis ganz an den Pylorus hinaus aus- 
zufüllen und der Canalis präsentierte sich die ganze Zeit hin¬ 
durch als ein gut fingerdicker Schatten. Der Magen war sehr wohl 
verschiebbar und zeigte nun keine Zeichen von verspäteter Ent¬ 
leerung. 

Betreifend sonstige Abweichungen in dem radiologischen Aus¬ 
sehen des Magensackes vor und nach der Operation verweise ich 
auf die Tabellen. Vor allem der Umstand, dass es nicht gelungen 
ist, exakte Angaben über alle Einzelheiten und für sämtliche Fälle 
zu erhalten, beschränkt den Wert der Untersuchung in diesem Teil 
recht erheblich. Ich begnüge mich daher damit über diese Be¬ 
funde zu resümieren, dass die Fälle nach der Operation in der 
Regel eine Hebung (Fall 3, 4, 5, 6) und eine Verschiebung nach 
rechts (Fall 2, 5) des Pylorus und eine Verkürzung des Digestions¬ 
sackes (Fall 4, 5, 6) aufwiesen. Bei Fall 2 sah man den Pylorus 
in gleicher Höhe wie zuvor, obgleich die Curvatura major gehoben 
war, und bei Fall 3 und 6 war gleichzeitig mit der Hebung des 
unteren Magenpols der Pylorus nach links verschoben worden. 
Wenn auch diese Verschiebung ganz unbedeutend war, war sie be¬ 
sonders für Fall 3, wie gleichfalls und vor allem die hier vor¬ 
kommende Verlängerung des Digestionssackes, sehr bemerkenswert. 
Alle übrigen hier erwähnten Veränderungen waren nämlich von 
derselben Art wie sie unter völlig normalen Verhältnissen ein- 
treten, sobald der untere Magen pol, z. B. bei Uebergang aus auf¬ 
rechter in liegende Stellung, sich hebt, indem dann gleichzeitig 
der Pylorus nach rechts geschoben und der Digestionssack ver¬ 
kürzt wird. 

Voller das spätere Befinden der Patienten ist im übrigen Folgendes er¬ 
mittelt worden: 

Fall 1 ist l 1 /.» Jahre naeh der Operation besser. Die ersten Monate 
naeh der Heimkehr aus dem Krankenhause war sie frei von ihren früheren Be¬ 
sehwerden (ulcusartige Erseheinungen). Aber naeh etwa */ 4 Jahren stellten sieh 
Appetit mangei, Schmerzen und Erbrechen ein, welches alles sich besserte nach 
diätetischer Behandlung. Nun klagt sic freilich über Appetitmangel. Vebelkeit 
und trägen Stuhl, aber die Hoffnungslosigkeit, die sie betreffs der Zukunft 
äussert, scheint kaum so berechtigt zu sein, da sie nichtsdestoweniger zugibt, 
bessere Körperfülle und Kräfte erhalten zu haben und ihre früheren Arbeiten 
verrichten könne. 

Veber Fall 2 wird ein Jahr nach der Operation die Auskunft erteilt, 
dass keine Besserung eingetreten ist. Die Patientin fühlt sieh r nieht 
einen einzigen Tag gesund“, alle die früheren Symptome sind noch vorhanden. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ein Beitrag zur Gast rop tose frage. 


273 


Der Magensack fühlt sieh beständig voll an. Ucbelkcit und Beklemmung kommen 
des Nachts, der Schlaf ist schlecht. Alles lassen verursacht Schmerzen. Die 
Patientin bekommt niemals spontanen täglichen Stuhl. Objektiv wird fcstge- 
stellt. dass die Entlecrungsfähigkeit des Magens etwas herabgesetzt ist, und 
dass die Acidität des Magensaftes gesteigert ist; der Bauminhalt des Organs 
ist 1000 cm. 

Im Vergleich mit dieser ausgebliebenen Genesung nach der 
Operation ist die erhebliche Besserung von grossem Interesse, 
welche später auf während einiger Zeit wohl erwogene und sorg¬ 
fältig durchgeführte interne Behandlung folgte. Die Patientin kam in 
weniger als zwei Monaten so weit, dass sie beständig auf sein konnte, so gut 
wie ganz ohne Schmerzen. Im übrigen hatte sie auch keine Beschwerden vom 
Magen. Sie nahm an Gewicht zu, hatte täglichen und spontanen Stuhl 
und guten Schlaf. 

Pat. 3 ist 13 Mon. nach der Gastropexie als gesund zu bezeichnen. Sie 
besitzt volle Arbeitsfähigkeit und leidet nur an trägem Stuhl und vereinzeltem 
Aufstossen. 

Der Gesundheitszustand bei Fall 4 ist 11 Mon. nach der Probelaparo¬ 
tomie gleichfalls gut. Vom Magen hat die Patientin keinerlei Beschwerden. Sie 
hat 4 kg an Gewicht zugenommen. Ihr früheres Herzklopfen und zeitweilig 
auf tretende Schlaflosigkeit bestehen dahingegen fort. 

Pat. f) ist 10 Mon. nach der Operation gesund. Sie hat nur zwischen¬ 
durch ein Gefühl, als wenn es im Magen „sich aufstauen* wollte; „Brennen“ und 
Herzklopfen kommt vor. Der Stuhl ist normal (wie vor der Operation). Das 
Gewicht hat um mehr als 5 kg zugenommen. 

Fall 6 ist wohl auch als gebessert aufzufassen. Sie hat 10 Mon. nach 
der Operation gegen 8 kg an Gewicht zugenommen. Der Stuhl ist normal (vor 
der Operation kam häufig Diarrhoe vor). Die Beschreibung, welche die Pat. 
von ihrem Zustand gibt, bestätigt im übrigen kräftig, dass alle ihre Beschwerden 
im Wesentlichen mehr psychischer als physischer Art sind und über¬ 
haupt nicht der Auffassung von der gefährlichen Beschaffenheit derselben, 
die sie nun wie auch vor der Operation von denselben hegt. Beachtung ver¬ 
dient vielleicht — der gemachten Operation gegenüber — ihre Bemerkung, dass 
es, nachdem sie sich satt gegessen, in der linken Seite des Magens sich anfühlt, 
als ob etwas zu kurz wäre; sie bekommt gleichsam Seitenstechen und es fällt 
ihr schwer gerade zu gehen. 

Pat. 7 ist 10 Mon. nach der Probelaparotomie gebessert und hat etwas 
an Gewicht zugenommen. Sie muss gleichwohl eine gewisse Vorsicht beim Essen 
üben und kann nicht hart arbeiten. 

Pat. tS hält sich, 8 Mon. nach der Gastropexie, für ganz un gebessert. 
Etwas Typisches ist in den Beschwerden, worüber sie klagt, nicht ausfindig zu 
machen. 

Werden die Angaben über den Gesundheitszustand nach den 
vorgenommenen operativen Massnahmen zusammengestellt, so geht 
daraus hervor, dass 

auf die Probelaparotomien subjektive Besserung, aber 
keine objektive Verschlimmerung erfolgt ist; 

nach der Raffung des Ligamentum hepatogastricum 
subjektive Besserung eingetreten ist in 3, aber ausgcblieben ist 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



274 


A. Tn.eil. 


Digitized by 


in 1 Fall: eine noch ein Jahr später fortbestehendc erschwerte 
Entleerung des Magensackes war bei einer der Patientinnen 
(möglicherweise auch bei den beiden anderen) vorhanden; 

auf Gastropexie nach Rovsing subjektive Verbesserung 
in einem Fall folgte, aus blieb in einem: in beiden wurde kurz 
nach der Operation eine Verschlechterung der motorischen Funk¬ 
tion des Magensackes festgestellt, aber bei derjenigen dieser 
beiden Patientinnen, die in dieser Hinsicht Gegenstand für Kon¬ 
trolle während längerer Zeit nach der Operation wurde, war 
diese Motilitätsstörung gehoben. 

Diesem sei die Bemerkung betreffs der beiden ungebesserlen 
Patientinnen hinzuzufügeu, dass die erste derselben (Fall 2, Ligament- 
ralTung!, welche hochgradig neuropathisch war, durch später ein- 
geleitete interne Behandlung wesentlich gebessert wurde, und dass 
die zweite derselben (Fall 8, Gastropexie) eine der zwei Ausnahmen 
in der Kasuistik bildete, die nicht augenscheinlich neurotisch 
schienen. Ich führe dies solchen Einwänden gegenüber an, die 
sonst denkbar sind und die in der Tat bereits gemacht worden 
sind in Bezug auf dieses Moment in der Gastroptosefrage. 
Rovsing 1 2 ) betont nämlich in Bezug auf sein Material, dass die 
Gruppe seiner Operationslalle, die nicht gebessert wurden, zum 
grossen Teil aus neurotischen (hysterischen) Individuen besteht. 
Mein Fall 8 konnte nicht unter den hysterischen geführt werden, 
aber eine Gastropexie brachte ihr keine Genesung. Dieses letztere 
ist kaum ohne weiteres als davon abhängig zu erklären, dass der 
Magen nicht genügend hoch bei ihr fixiert worden war — in 
meinem zweiten, in gleicher Weise behandelten Fall (Nr. 3) lag 
der Magensack ein Jahr nach der Gastropexie unbedeutend höher 
als vor derselben, aber Patientin fühlte sich trotzdem bedeutend 
besser. 

Wo liegt die Ursache dieser Besserung, die in der Mehrzahl 
meiner Fälle nach der einen oder der anderen Operation eingetreten 
ist? In einer Replik an Rovsing hat Berg 1 ) unter Betonung, 
dass die günstige Einwirkung der Gastropexie in manchen Fällen 
von Gastroptose nicht als Beweis für die Richtigkeit der mechani¬ 
schen Ptosetheoric aufgefasst werden darf, bei einer Gelegenheit 
gesagt: „Es lässt sich doch wohl denken, dass die durch die 
Operation gesetzten Adhärenzen für die Arbeit der abnorm reiz¬ 
baren und überangestrengten Magenmuskulatur bessere Bedingungen 

1) Kovsiiur. Yerliandl. der 9. Sit/.uni: des Nord, cliir. Yen-ins. Sto(‘k!n*1 m- 
1911. S. 149. 

2) I*(* rü, Vor)),*111(11. der 9. Sitzung dos Nord, cliir. Vereins. Stockholm. 

1911. s. k;t. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein lieitnu: zur (iastroptnsefriiirc. 


275 


gewähren und so indirekt eine bessere Wirkung ausüben können.“ 
Ich unterlasse es im Anschluss an diese Hypothese des weiteren über 
die Ursache der Verbesserung des Gesundheitszustandes nach z. B. 
meinen beiden Probelaparotomien zu diskutieren. Ueberhaupt muss 
ich meine Unfähigkeit eiugestehen, die von mir gestellte Frage 
direkt zu beantworten. Eine Kasuistik von nur 8 Fällen ist allzu 
unzureichend, um generelle Aeusserungen zu gestatten. Die Ver¬ 
öffentlichung derselben hatte auch nicht den Zweck, solche dar¬ 
zulegen. Aber die Art der Therapie und die Art und Weise, in 
der der eventuelle Effekt derselben kontrolliert wurde, möge gleich¬ 
wohl. meines Erachtens, einen plausiblen Grund bilden, dieselben 
bekannt zu machen. Die Frage der Ptose ist von solcher Wichtig¬ 
keit, dass sie Beleuchtung und Diskussion erfordert. Und da 
scheint es mir undisputabel, dass ein kleines, gut verfolgtes 
klinisches Material seine Berechtigung haben kann auch an der 
Seite eines grossen solchen. Das letztere kann eine wesentlich 
begrenzte Bedeutung erhalten für die Verwertung einer Operation, 
z. B. Gastropexie, wenn — wie es bei u. a. den damit behandelten 
Ptosefällen Rovsing’s 1 ) der Fall ist — viele derselben bei der¬ 
selben Laparotomie Gegenstand einer Magenresektion, Gastro¬ 
enterostomie, Cholecystektomie, Nephropexie oder dergl. geworden 
sind 2 ). Das Unrichtige, bei einer Zusammenstellung über das 
bleibende Operationsresultat hierauf keine Rücksicht zii nehmen, 
liegt ohne weiteres auf der Hand. In demselben .Masse als der¬ 
artige Momente ausser acht gelassen werden, in demselben Masse 
wird die Möglichkeit reduziert, Schlussfolgerungen aus dem Material 
zu ziehen. 

1) Rovsing, Gast roeoloptose. 1918. 

2; IHi habe bei der Durehmusterun«: der Tabellen in Rovsinir's Mono¬ 
graphie (1918) gefunden, dass von seinen 1(>8 mit Gastropexie behandelten 
Patienten die folgenden 88 in einer und derselben Sitzmur oder 4 mal - 

höchstens 2 Mon. vor oder nach derselben Gegenstand anderer Operationen ge¬ 

worden sind: 

11 Patienten Nephropexie. 

1(> r Gastroenterostomie (eventuell mit Knteroanastomo.se), 

2 - Cholecystektomie, 

8 r Maiien resektion. 

1 « Lienopexie. 

Dazu kam Ilepatopexie, Colopexie, Appendektomie etc. in einigen Füllen. 
Bei einem Patienten wurde 8 Jahre nach der ersten Operation die Gallenblase 
exstirpiert. Kin Fall — Nr. 184. schon zuvor von mir erwähnt erlangte 
die Gesundheit- nicht wieder weder nach Gastropexie noch nach einer drei- 
viertel Jahre später ausHefiihrten Appendektomie. Erst nachdem noch nach 
1 Jahre Hysteropexia abdominalis iremacht war, trat rasche Bessern tu: und Ge¬ 
wichtszunahme ein! 


Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2 . 


19 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


276 A. T r o c 11, 

Meine Untersuchung ging in erster Linie darauf hinaus, auf 
der Basis einiger einheitlich verfolgter Krankheitsfälle, zu suchen, 
ein Skelett von pathologisch-anatomischen und klinischen Einzel¬ 
heiten herauszubekommen, die sich gegenseitig so entsprachen und 
erklärten, dass sie die Definition eines Krankheitsbegriffes abgaben. 
In zweiter Linie habe ich danach getrachtet, einen Beitrag zur 
Indikationsstellung und Therapie für diese Gruppe von Fällen zu 
bringen. Was den ersten Gesichtspunkt anbelangt, so ist es mir 
nicht gelungen zu zeigen, dass eine Veränderung der Lage und 
Beweglichkeit des Magensackes an sich irgendwelche Krankheits¬ 
symptome verursacht, oder dass ein gewisser Grad einer derartigen 
Veränderung innerhalb des pathologischen Gebietes liegt. Schon 
hieraus geht es hervor, dass ich auch keine Anhaltspunkte dafür 
habe vorlegen können, wann die Individuen, um die es sich hier 
handelt, Gegenstand operativer Behandlung werden sollen. Meine 
Darlegung ist als das Gegenteil einer Bestätigung des Optimismus 
anzusehen, für welchen Rovsing in seiner am Anfang dieser Arbeit 
angeführten Aesserung eine Lanze gebrochen hat. Ich kann seiner 
Ansicht nicht beipflichten, dass wir den hier fraglichen Patienten 
durch eine „so wirksame und so gefahrlose Operation, wie es die 
Gastropexie ist“ volle Genesung in Aussicht stellen können. Ich 
kann es um so weniger nach dem Nachweis von nicht ganz gleich¬ 
gültigen Mägensackveränderungen (verminderte Länge und vermehrte 
Breite des Digestionssackes nebst verschlechterter Entleerungs- 
fühigkeit) nach Operationen dieser Art. Das demnach zum wesent¬ 
lichen Teil Negative in dem Resultat einer mühsamen Untersuchung 
darf doch von einer Fortführuug der Arbeit nicht abschrecken. 
Besonders die Kategorie von kranken Menschen, die in das Grenz¬ 
gebiet zwischen Medizin und Chirurgie fällt, läuft grosse Gefahr, 
ungeholfen zu bleiben, wenn ihr irrtümlich der Stempel Neurose 
aufgedrückt wird. Und bei einer unnötigerweise ausgeführten 
Operation an solchen Patienten zeigt sich nicht allzu selten als 
Folge, dass das Uebel von dem Kranken nur nach einer anderen 
Stelle lokalisiert wird. Im Nachweis der Aetiologie und Genese 
der krankhaften Symptome liegt der rationellste Fingerzeig für 
die Therapie. 

Für Bauchchirurgen gilt freilich, dass es nur ihre Kunst ist, 
welche die radikale Abhülfe der wichtigeren abdominalen organischen 
Krankheiten und mechanischen Funktionsstörungen gewähren kann. 
Die Chirurgie repräsentiert hier — ich citiere nochmals Fleinerl) 

1 > Klpiiwr, IYIht das Knu|«Tlir|io und Srrdisclie in der Diagnose und 
lVliamiliin^. .Jaluvsk. f. ar/tl. Knrtluld. 1912. II. »S. 19. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ein Beitrag zur (iastroptosefrage. 


277 


— die potissima rationura medicinae. Sie tut es aber nur so lange, 
wie sie mit exakten Indikationen arbeitet, und büsst ihre hohe 
Stellung ein in demselben Masse als sie die Ansprüche auf diese 
aufgibt. Alles Operieren auf Bestellung, jeder Eingriff auf aus¬ 
schliesslich subjektive Symptome ist nicht zu verteidigen, zumal 
da sogar eine Laparotomie nur zu explorativem Zweck ihr Risiko 
bedingt. Die Schwierigkeiten, die uns hier in manchen Fällen 
entgegentreten, müssen wir hoffen, mit der Zeit zu überwinden. 
Der Weg zu diesem Ziel führt durch eine sorgfältige Ausnutzung 
der diagnostischen Hilfsmittel und eine genaue Kontrolle des 
Effektes jeglicher Therapie. Die Bedeutung, welche die Röntgeno¬ 
logie hierbei besitzt, kann von keinem bestritten und darf nicht 
vergessen werden. 


Erklärung der Abbildungen auf Tafel IX und X. 

Wo nicht anders bemerkt, stammen die Radiogramme von l'ntersuehnngen 
in aufrechter Körperstellung. 

Auf den Bildern ist der linke Rippenbogen durch einen Bleistreifen mar¬ 
kiert. der Nabel durch eine viereckige Bleimarke und eine Crista iliaea durch 
einen kleinen nach aufwärts konvexen Querbogen. Die Bilder sind nach den 
Originalröntgenogrammen in einem Massstal) von Vs natürlicher Crosse re- 
pmduziert. 

Fig. 1. Fall 1. Vor der Operation. Grosser, weiter Magensack mit tief¬ 
liegendem unteren Pol; der Pylorus rechts und gerade vor dem Nabel. 

Figg. 2 - 3. Fall 2. Auf ersterer Fig. — vor der Operation — gibt das 
Kreuz oberhalb des Nabels den schmerzenden Punkt 2 cni oberhalb der Pars 
horiz. duodeni an. Fig. 3 stammt von der Untersuchung 1 Jahr nach der Ope¬ 
ration (Raffung des big. hep.-gastr.). Der untere Pol des Magensackes liegt 
höher. Das ganze Organ, sowohl Längs- und Quermagen als auch Pylorus, 
hat vermehrte Breite. 

Figg. 4—7. Fall 3. Fig. 4, vor der Operation, zeigt Ptose: fort- 
bestehende Einziehung der Curv. rnaj. Fig. f>, kurz nach der Operation (Ga- 
stropexie nach Rovsing), zeigt eine Hebung des unteren Poles des Magens 
und eine gegen früher vermehrte Breite des Längsmagens; die schmale Be¬ 
schaffenheit des Quermagens tritt in Fig. 6 (liegende Kürperstellung) hervor. 
Fig. 7 stammt von der Nachuntersuchung: der untere Magenpol hat sich wieder 
etwas gesenkt, der Quermagen ist nach wie vor schmal. 

Figg. 8 10. Fall 4. Fig. 8, vor der Operation, zeigt Ptose und Zeichen 
von verstärkter Peristaltik. Figg. 9—10, kurz nach der Operation (Lap. expl.): 
auf der letzten Figur (liegende Stellung) tritt der scharfe Magenwinkel deutlich 
ln*rvur. 

Figg. 11 —12. Fall 5. Fig. 11, vor der Operation, langer Magen mit 
verstärkter Peristaltik. Fig. 12, kurz nach der Operation (Raffung des Lig. 
hep.-gastr.); erhöhter unterer Pol, breiter Längsmagen, tiefe Schleimhautfalten. 

Figg. 13- 14. Fall b. Fig. 13, vor der Operation, grosser Magen, etwas 
mehr nach rechts gezogen als gewöhnlich. Fig. 14 (kurz nach der Operation 

19 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



278 


A. Troell, Ein Beitrag zur Oaslroptosefragc. 


Digitized by 


Raffung «1«*s Liir. hep.-gastr.): stark gehobener unterer Pol, sehr breiter 
Längsmagcn. besonders was den Furnix anbelangt. 

Figg. l.“>— 1 (>. Fall 7. Erstere Figur zeigt Zeichen von starker Pe¬ 
ristaltik und eine dauernd fort bestehende Einziehung der Curv. rnaj. in gleicher 
Höhe mit dem Brustkorbrande, ln Fi«:, lb, ein Jahr nach der Operation (Lap. 
•expl.). ist keine spastische Kontraktion an der Curv. maj. mehr zu sehen. 

Figg. 17 — 19. Fall S. Vor der Operation tritt eine bedeutende Pl«»e 
des unteren Poies (Fig. 17) und eine scharfe, fort bestehende Einziehung an der 
Curv. maj. hervor, letztere am besten in Fig. IS (liegende Stellung). In Fig. 1U 
(kurz nach der Operation. (iastropexie narb Rovsing) ist der untere Pol un- 
.bedeutend erhöht. 


Gck igle 


Original ftom 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zu A. Troeil, Gastroptosefrage. 


Tabelle III. 


Variationen in der Lage der verschiedenen Magenteile in verschiedenen Körperstellungeii sowie vor und nach verschiedenen chirurgischen Eingriffen: die Masse entnommen von Originalröntgenogrammen 

(Antikathodenplattenabstand ca. 60 cm). 



Art der 
Operation 

Lago der Curvatura major 
(des unteren Magenpols) 
im Verhältnis zur Ebene der 
Crista il. in aufrechter Stellung 

Unterschied 
in der Lage 
des unteren 
Magenpols 
vor und 
nach der 
Operation 
(resp. bei der 
Nachunter¬ 
suchung) 

Lage der 
Verhältnis ; 

Der Pylorus 

Mitte desselben im , Unterschied Lage der Mitte desselben im Verhältnis 

sur Ebene der Crista il. 1 j n d cr j jai r ( . j zur Mittellinie des Körpers 

<lor Mi Ho 1 

'■ i n g 2 ): 

Unterschied 
in der Lage 
der Mitte 
desselben 
bei der ersten 
und der 
letzten Radio- 
I graphierung 


Richtung 






Des D i g e s ti 

onssackes 3 ): 



Breite 

Länge in Längen- 

Länge in 

Längen¬ 

unter¬ 

schied 

auf¬ 

1 schied 

liegender | . ß dißsen 

beiden 

lung ; Lagen 

Lf dem Radiogramm 
lommene Masse 

rechter Ue S ender 

Stellung 

mathematisch redu; 
nähernd exakte 

Fall 

1 kurz 

vor nach der , bei der 

Nach- 
unter- 

Operation suchung 

kurz 

vor nach der 

Operation 

desselben ] curz 

bei der bei der ersten vor nach der 1 bei der 

Nach- und der 1_ 1 Nach¬ 
unter- letzten Radio- j Unter¬ 
suchung 1 graphierung Operation suchung 

kurz 

1 nach der 

Operation 

1 bei der 
Nach¬ 
unter¬ 
suchung 

vor 

1 

Ope. 

kurz 
nach der 

•ation 

, bei der 
Nach¬ 
unter¬ 
suchung 

rechter 

Stel 

direkt ai; 
ontn 

in diesen, 
beiden 
Lagen 

derte, an- 
Masse 

1 

Raffung des 

6 cm u. i) 


2 cm o. 


4 cm rechts. 


Quer. 






27 cm 


25 cm 



Lig.hep.-gastr. 



7 (?) o. 


C— 












2 

do. 

3 cm u. j In gleicher 

3 cm höher 

4 3 / 4 cm o. 


5 cm 0 . Keiner. ; 3,5 cm links. ; 0,5 cm r. 

| 4 cm nacli r. 

Quer. 


s. ab. n. r. 

3 1/2 cm 


5 3 / 4 cm 

29,5 cm 


27 cm 




i Höhe 

bei 



12 .. 0 . - 6 „ r. 




(n. quer) 










damit. 

der N.-u.') 



10.5 „ 0 . I - 5V 4 - 




s.a.n.r. (?) 
s. ab. n. r. 



4 cm 


17,5 cm 

| 16 cm 


3 

Gastropoxie 

g cm u 2 cm o >) 5 cm u 

3 cm höher 

2,5 cm o. 

S(?) cm... 

4,5 cm 0 . | 2 cm höher J 5 cm r. 4 (?) cm l. j 4 cm r. 

i 1 cm nach 1. 

Quer. 

s. a.n.r.*| 

i Vertik. 

4V 2 (?) cm 

2(?) cm 

1 3 /4 cm 


16 cm 

14,6 cm 



nach 


bei 


11(?) » 0 . 

bei der i — | 5 (?) „ r. 


— 






18 cm 

19 „ | 1 cm ; 

16,5 cm 17,4 „ 

1 cm 


Rovsing. 


dor N.-u. 


8(?) „ 0 . 

N-u. - 1 3 V 4 (?) » 1. 



s. ab. n. r. 3 ) 



2(?) ein 


24 „ 


22 .. 


4 

Lap. expl. 

9 l U cm u. 8'/, cm u. 

a / 4 cm höher 

1 V 4 cm u. 

Etwas über 

S 3 / 4 ein. Etwas über 


Quer. 



2 1/2 cm 




26 cm 

i 23,9 cm 





kurz nach 

3/ 4 n 0. 

7,5 cm 0 . 

höher kurz 2,5 cm 1. 


Quer (?). 

— 


2 y*<? .. 




23 ,, 

'21 „ 





der Op. 

4(?) „ 0. 


nach , 4,5 (?) ., r. 


Quer. 

Quer. 


4 













der Op. 2 (?) .. r. 1 2,5 cm 1. 












5 

Raffung des 

6 3 / 4 cm u. 2 cm u. 

4 ‘, .4 cm höher 

11/4 cm 0 . 

Etwas über 

Etwas über 1 cm r. , Etwas über | 

Etwas über 

n. 6 ) quer 

s. ab. n. r. 


21/2 cm 



30 ein 

22,5 cm 7,5 cm 

27,5 cm ; 20,6 cm 

6,9 cm 


Lig.hep.-gastr. 


kurz nach 

11 3/4 - 0 . 

3 V 2 cm 0 . 

21/4 cm höher 3 3 / 4 .. r. 3 cm r. 

2 cm nach r. 

(s. a. n. r.) 



3 



25,5 L 

— — 

23,4 „ 





der Op. 

6 3 / 4 ,. 0 . 


kurz nach 4' 2 >, r. 


s. ab. n. r. 

vertik. 


31/2 •• 












! 8(P) cm 0 . 

der Op. 4 (?) cm r. 


n. quer 


















.(s. a. n. r.) 










t; 

do. 

7,5 cm u. 5,5 cm o. 

13 cm höher 

3,5 cm 0 . 

11 cm 0 . 1 

7,5 cm 3 cm r. 2 cm r. 

1 cm nach 1. 

n. quer 

s. ab. n. r. 


3 V 2 cm 

3 1/2 cm 


29,5 cm 

18 cm 11,5 cm 

27 cm 16,5 cm 

10,5 cm 




kurz nach 



höher kurz 5 3 / 4 „ r. 


(s. a. n. r.) 

— 


2 3 / 4 „ 



21,5 „ 

— — 

19,7 ., 





der Op. 

8,5 cm 0 . 


nach 6 ,, r. 


Quer. 



4 1/4 _ 




— ~ 









der Op. 


s. a. n. r. 











Lap. expl. 

2*/ 4 cm u. 6,5 cm u. 

4 1/ 4 cm tiefer 

11,5 cm 0 . 


7 cm 0 . Etwas über ; 4 l U ein 1. 

2(?)cmnachl. 

Quer. 


Quer. 

2 cm 










bei 



2 (?) cm 1. 








26 cm 


23,9 cm 





der N.-u. 















8 

liastropexie 

9 cm u. 9 cm u. 

Kein Unter¬ 

2 5 cm 0 

Der 

1 2 cm 1. Der Pylorus 


s. ab. n. r. 



3 cm 




22 cm 

20,1 cm 



nacli 


schied kurz 


Pylorus 

ist nicht zu | 





— 




— 

— 



Rovsing. 


nach der Op. 


I ist nicht j 

V 2 cm r. sehen. 


s. ab. n. r. 



2 cm 












zu sehen. 














1) ii. — unterhalb, o. = oberhalb, N.-u. = Nachuntersuchung. 2) Die liier unten für jeden einzelnen Krankheitsfall angegebenen Ziffern bezeichnen die Masse bei resp. aufrechter Stellung, Rückenlage und Bauchlage, in der Richtung von oben nach unten gerechnet. • 3) Die hier für 
|,,,lon ei "* ( 'lnen Krankheitsfall angegebenen Ziffern bezeichnen die Masse resp. vor der Operation, kurz nach derselben und bei der Nachuntersuchung (von oben nach unten). — 4) Schräg aufwärts nach rechts. — 5) Schräg abwärts nach rechts. — 6) n. = nahezu. 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 














































Digitized by 


Go igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



(Aus der Königl. Chirurg. Universitätsklinik zu Berlin. — Direktor: 
Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Bier.) 

Ueber Blaufärbung der Sklera und abnorme 
Knochenbrüchigkeit. 

Von 

Dr. Willy Hofniann, 

Assistent der Klinik. 


Der amerikanische Arzt Eddowes machte zuerst im Jahre 
1900 auf einen Symptomenkomplex aufmerksam, der in einer ab¬ 
normen Knochenbrüchigkeit, verbunden mit einer eigentümlichen 
Blaufärbung der Sklera besteht 1 ). Er beobachtete eine Patientin 
mit tiefblauen Augen, die mehrere Knochenbrüche aufwies, eben¬ 
so litt ihr Vater an häufigen Knochenbrüchen. In einem zweiten 
Falle hatte sich ein Kind mit blauer Verfärbung der Sklera in 
zwei Jahren neunmal an verschiedenen Körperstellen Brüche von 
Knochen zugezogen. Seit jener ersten Mitteilung Eddowes’ sind 
namentlich in der englischen und amerikanischen Literatur eine 
Reihe von Veröffentlichungen erschienen, die seine Beobachtung 
bestätigen. Vor allem wurde auch festgestellt, dass die Anomalie 
vererblich ist. N. BishopHarman 2 ) berichtet von einem Stamm¬ 
baum von fünf Generationen mit blauer Lederhaut. Sie wurde bei 
31 Individuen dieser 5 Geschlechter gefunden, und zwar bei 13 
männlichen und 18 weiblichen. Harm an fand ferner, dass die 
Vererbung durch die weiblichen Mitglieder erfolgt. Freilich hatte 
in seinen Fällen nur ein männliches Mitglied der Familie geheiratet, 
in diesem Zweig kam die Anomalie nicht vor. Er erwähnt übrigens 
nichts von abnormer Knochenbrüchigkeit, gibt aber an, dass es sich 
meist um Individuen von kleinerem Körperbau handelte. Auch bei 
Peters 3 ) findet sich keine Besonderheit des Skelettsystems. Dieser 

1: Eddowes. Dark sclerotics and fragilitas ossium. British medical Journal. 
1900. Yol. II. p. 222. 

2) X. Bishop Barman, A pedigree of five generations of blue sclerotics. 
The ophthalmoscope. August 1910. 

o) A. Peters, Blaufärbung des Augapfels durch Verdünnung der Sklera 
als angeborene und erbliche Anomalie. KIin. Monatsbl. f. Augenheilk. Februar 
190 S. - Die angeborenen Fehler und Erkrankungen des Auges. Bonn 1909. S. SO. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 




280 


\Y. Hof mann 


Digitized by 


führt nur die Geschichte eines Knaben an, bei dem sich in vier 
Generationen Blaufärbung der Sklera nachweisen liess. Seine 
Arbeit ist übrigens, wie ich feststellen konnte, in der deutschen 
Literatur die einzige, die sich bisher mit der in Rede stehenden 
Anomalie befasst hat. Stephenson 1 ) fand unter 32 Personen, 
die 4 Generationen angehörten, 21 mit blauen Skleren. Der Patient, 
den er behandelte, war ein Knabe, dessen Mutter ebenfalls blaue 
Lederhäute hatte. Sie war zweimal verheiratet, und es ist sehr 
interessant, dass sie die Anomalie auf die Kinder aus beiden Ehen 
übertrug. Bei Rolleston 2 ) handelte es sich um ein 9 Monate 
altes Kind mit Blaufärbung beider Skleren. Auch die Mutter hatte 
blaue Skleren, ebenso deren junge Schwester und die Grossmutter 
des Kindes, die Mutter beider. Die beiden Brüder der Mutter 
zeigten dagegen nichts Besonderes an den Augen. Vater und 
Mutter des Kindes waren beide an Lues erkrankt. Mit drei Wochen 
verlor das Kind die Kraft im linken Arme, erlangte sie aber ohne 
spezifische Behandlung in einem Monat wieder. Es bildete sich 
darauf eine Periostitis der linken Ulna, ferner eine Schwellung am 
linken Humerus und eine Spontanfraktur. Es liess sich deutlich 
Krepitation nachweisen. Das Kind hatte ausserdem noch Erosionen 
am After und eine Paronychie am rechten 4. Finger. Nunmehr 
wurde eine energische Hg-Behandlung eingeleitet, worauf sich auch 
die Fraktur bedeutend besserte. Rolleston ist daher der Ansicht, 
dass hier die abnorme Knochenbrüchigkeit und die blauen Skleren 
als Zeichen von kongenitaler Syphilis aufzufassen sind. Wir werden 
hierauf noch später zurückkommen. 

Sehr instruktiv sind zwei Arbeiten über unseren Gegenstand, 
auf die wir nunmehr noch einzugehen haben. Zunächst bringt 
II. Burrows 2 ) einen Stammbaum von 4 Generationen, in denen 
sich mit einer Ausnahme keine Unterbrechung der ßlauäugigkeit 
lindet. Die Individuen mit weissen Skleren hatten wieder Kinder 
mit weissen Skleren und wiesen auch nicht einen einzigen Knochen¬ 
bruch auf. Dagegen litten die Angehörigen mit blauen Skleren 
an häufigen Knochenbrüchen, ausserdem waren diese zum Teil 
durch ganz geringfügige Ursachen bedingt. Im ganzen hatten von 

1) 8. S t e]i li ii son, A peculiar appearenoe of the eyes affeeting twenty 
one mernbers beloniriiur to four genrrations of a fainilv. The ophthalmnseopc. 
Mai 1910. 

2) J. S. Rolleston. Inheritcd svpliilis and blue sclcrolics. Proecedimrs 
of t)ie Royal Society of Medicine 1910/11. Seetion for ehildmi. p. %. 

The American .Journal of Ophthalmologe. .Juli 1911. —- The Ophthalmoseope, 
Mai 1911. 

«•{) li. Ibirrows. IHuc selerotirs and brittle hones. Rritish medical journal. 
1911. J u ly 1. 


Gck 'gle 


Original frem ' 

UMIVERSITY OF IOWA 



l'ebcr Blaufärbung der Sklera und abnorme Knochenbrüchigkeit. 281 


*29 Individuen 13 blaue Lederhäut,e, davon hatten 8 Knochenbrüche, 
7 von diesen hatten mehrere Brüche erlitten. Nachstehend der 
Stammbaum dieser Familie: 


# K.B. $ jK.B. tK.B. • K.B. • K.B. • K.B. 


3 2 ? S ■$ 3 5 2 2 i * ; m 2 # K.B. o 

_I_ _I_ 

$ s 3 ;k.b. s 

K.B. = Kn tielienbriiche. Die Individuen mit weissen Skleren sind weiss. die 
mit blauen schwarz bezeichnet. 


A. Dighton 1 ) bringt gleichfalls einen Stammbaum von 4 Ge- 
nerationen mit blauen Skleren und abnormer Knochenbrüchigkeit. 
Die meisten Patienten hatten mehrere Frakturen aufzuweisen. Ein 
14jähriger Knabe hatte früher eine Operation wegen Genu valgum 
durchgemacht. Er hatte sich einmal das rechte Schlüsselbein, 
zweimal den rechten und einmal den linken Arm gebrochen. Sein 
Vater hatte als Kind beide Beine gebrochen, dann beim Schwimmen 
das rechte Olecranon. 

Stammbaum: 

_ 1 c Q 


# ILB. $ 


•lv.B. 2 • K.B. ^ 1 K.B. # r # K.B. # 2 

i 

Bezeichnung wie oben. 

Von 14 Individuen hatten somit 9 blaue Skleren, 5 von diesen 
litten an Knochenbrüchen. 

Im folgenden seien zunächst als weiterer Beitrag zu unserem 
Thema die Krankengeschichten von 3 Fällen angeführt, in denen 
ebenfalls die Kombination von blauer Sklera und abnormer Knochen¬ 
brüchigkeit beobachtet wurde. 

1. \V. X., lOjähripor Knabe, für sein Aller normal "ross. Körperbau 
etwas schmächtig. Deutliche Blaufärbung beider Skleren. Mit b Jahren erlitt 
Patient (‘inen Bruch des rechten rntorschenkels: mit 12 Jahren Bruch des 
linken Schlüsselbeins: mit 13 Jahren Bruch des rechten Mittclfusscs. der dadurch 
zustande kam, dass ihm ein Kamerad beim Spielen heftig auf den Kuss trat. 


1) A. Dighton, Four generations of blue selorotics. The nplithalmnscnpr. 
April 1912. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



282 


\Y. Hof mann. 


Digitized by 


.)etzt sucht Patient die Poliklinik auf, da ihm wieder jemand beim Spielen mit 
der Faust einen Schlag auf den rechten Arm versetzt hat. Die Röntgenaufnahme 
ergibt einen (Juerbrueh der rechten Ulna. Heilverlauf normal. Somit hat der 
14 jährige Knabe \ier Knoehenbri'ndie an den verschiedensten Extremitäten auf¬ 
zuweisen. 

2. R. K.. ein 24 jähriger Schneider, sucht. <1 io Klinik wegen eines Bruches 
der rechten Kniescheibe auf. Er wollte einen grossen Stuhl fortschieben und 
fiel dabei aufs Knie. Patient, ziemlich klein, zeigt tiefe blaue Verfärbung 
beider Skleren. Mit einem Jahre Bruch des linken Unterschenkels. Seine Mutter 
hat gleichfalls blaue Augen, seine Schwestern dagegen nicht. 

3. F. R.. 31 jähriger Schmied mit intensiv blaugrauen Skleren. Als ein¬ 
jähriges Kind erlitt er durch Fall einen Bruch des rechten Ellbogens. 1913 
durch Fall Bruch des linken kleinen Fingers, ferner erlitt er kurz darauf gleich¬ 
falls nach einem Fall einen Bruch des rechten 4. Fingers. Aus der Familien¬ 
anamnese ist hier hervorzuheben, dass Patient einen Bruder hat, der auch blaue 
Skleren hat. Dieser hat den linken Unterschenkel 7 mal, den rechten 3 mal 
gebrochen. 

Wir befassen uns nunmehr mit der pathologischen Ana¬ 
tomie der Erkrankung. Zunächst ist die Frage zu beantworten, 
wodurch ist die Blaufärbung der Skleren bedingt? Schon Ammon 1 ) 
beschreibt 1836 einen Fall von angeborener Blindheit durch Augen¬ 
wassersucht, bei dem die Sklera tiefblau erscheint. Er führte 
diese Erscheinung auf eine abnorme Verdünnung der Skleren zu¬ 
rück, die durch den erhöhten Druck bedingt ist. v. Ammon bemerkt 
auch, dass dieses Aussehen der Skleren an den Zustand der Fötal¬ 
zeit im 4. bis 5. Monat erinnert. Die Blaufärbung ist also dadurch zu 
erklären, dass die Aderhaut, die unter der Sklera liegt, durch diese 
hindurchscheint. Es sind jedoch noch genauere Befunde erhoben 
worden. Buch an an 2 ) berichtet über ein neunjähriges Kind, dem 
nach einer Verletzung das linke Auge entfernt werden musste. Die 
Untersuchung des Präparates ergab, dass Cornea und Sklera auffallend 
dünn waren. Histologisch zeigte sich, dass die Stützfasern dieser 
beiden Augenhäute in abnorm geringer Zahl vorhanden waren. 
Das rechte Auge des betreffenden Kindes, das noch erhalten war, 
zeigte eine tiefe Blaufärbung der Lederhaut. In ähnlicher Weise 
sah J. Percival Hay 3 ) bei einem neugeborenen Kinde mit Hydro- 
cephalus auf beiden Augen eine dreieckige, mit der Basis der 
Hornhaut aufsitzende, tiefdunkle Zone. Die anatomische Unter¬ 
suchung ergab auch hier eine abnorme Verdünnung der Sklera 
und Durchscheinen des Pigments der Uvea. Wir kommen somit 
zu dem Schluss, dass die Blaufärbung der Sklera in unseren Fällen 

1) v. Ammon. Klinische Darstellung der Krankheilen und Bildunsrsfehler 
der Augen. T. 111. Tafel XV, Xr. 2. 

2; Buchau an, Fase of congenital maldevelopmcnt of the eornea and 
sclerotie. Transactiuns of the Ophthalmological Society. 1913. 

3) Cit. nach d. Ventralhl. f. Augenheilk. Jahrg. 31. S. 343. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ucbrr Blaufärbung der Sklera und abnorme Knoelienbriicliijtrkeit. *283 

auf einer abnormen Verdünnung beruht, die ihrerseits wieder durch 
einen Mangel an Stützfasern bedingt ist. Infolgedessen scheint 
die sehr gefässreiche Aderhaut durch die weissc Lederhaut hin¬ 
durch und verleiht dieser einen blauen Farbenton. 

Weiterhin ist zu fragen, in welchem Zusammenhänge steht 
die abnorme Brüchigkeit der Knochen mit der Blaufärbung der 
Sklera? IJm dies zu verstehen, müssen wir auf die Entwicklungs¬ 
geschichte dieser Organe zurückgehen. Sowohl die Sklera, wie 
das Knochensystem bilden sich aus dem sogen. Mesenchym. 
Diesem Gewebe fällt vorzüglich die Aufgabe zu, das Stützgewebe 
im Embryo zu bilden. Die Mesenchymzellen sind grösstenteils 
ausgewanderte Zellen des mittleren Keimblattes. Die Sklera ent¬ 
wickelt sich aus dem Mesenchym, das zwischen die Linse und 
das sie umgebende Ektoderm eindringt. Demselben Gewebe ent¬ 
stammt auch das gesamte Knochensystem. Auch physiologisch 
haben Sklera und Knochen dieselbe Aufgabe zu erfüllen: die Sklera 
bildet das Skelett des Augapfels. Uebrigens belehrt uns die ver¬ 
gleichende Anatomie, dass bei vielen Tierarten die Sklera in 
Knochen oder Knorpel umgewandclt ist. Die Sklera der Fische 
ist gewöhnlich zum grossen Teil verknorpelt; nicht selten besteht 
sie sogar aus Kalkknorpel oder aus Knochen. Ebenso ist die 
Sklera der Saurier (Eidechsen, Schildkröten, Krokodile) in ihrem 
hinteren Abschnitt knorpelig, bei den Sauriern weist sie einen 
Ring von zierlichen Knochenplättchen auf. Vollkommen ausgebildet 
ist dieser sogen. Skleralring dann bei allen Vögeln. Der Zu¬ 
sammenhang einer gleichzeitigen Alfektion von Sklera und Knochen- 
systera ist somit aus ihrer Entwicklungsgeschichte durchaus er¬ 
klärlich. Es handelt sich offenbar um eine angeborene und, wie 
die Stammbäume zeigen, auch vererbliche Minderwertigkeit des 
Mesenchymgewebes, also wohl auch um eine Degenerations¬ 
erscheinung. 

Was die eigentliche Ursache der Anomalie ist, darüber kann 
man nur schwer etwas sagen. In dem oben erwähnten Falle von 
Rolleston spricht dieser die Lues als ätiologischen Faktor an. 
ln einem der von uns selbst beobachteten Fälle wurde die 
Wassermann’sche Reaktion ausgeführt, ihr Ergebnis war aber 
negativ. In einem ebenfalls in unserer Klinik beobachteten Fall 
handelte es sich um eine schwere Osteomalacie, hei der die 
Patientin ebenfalls blaue Skleren aufwies. Auch ihre Mutter hatte 
blaue Skleren, über die übrigen Familienmitglieder konnten nähere 
Angaben nicht gemacht werden. Hier war eine Störung der 
inneren Sekretion vorhanden, die Patientin hatte eine kleine, kaum 
fühlbare Schilddrüse und war ausserdem abnorm fett. Experimentell 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



284 


W. Hof mann, 


Digitized by 


wurde von Soli 1 ) festgestellt, dass bei Kaninchen, die man der 
Thymus beraubt hat, Störungen des Knochenwachstums auftretcn. 
Die Knochen werden kürzer, dünner, zerbrechlich und weniger 
reich an Kalksalzen. Sie zeigen Neigung zur Porosc, Fehlen von 
osteoidem Gewebe und Knorpelläsionen. Alle diese Erscheinungen 
sind jedoch nur von vorübergehender Natur. Ob es sich bei 
unseren übrigen Fällen um eine Störung der inneren Sekretion 
handelt, möchten wir dahingestellt sein lassen, sehr wahrscheinlich 
will uns dies nicht bedünken. Wir denken vielmehr an eine 
primäre Schwäche des Mesenchyms, die vererbbar ist und, wie 
schon erwähnt, als Degenerationserscheinung aufgefasst werden 
kann. Sie kann den bekannten Fällen von „angeborener Organ¬ 
minderwertigkeit“ an die Seite gestellt werden. So gibt es ja 
Familien, in denen Erkrankungen des Herzens erblich sind, andere, 
in denen besonders Nierenerkrankungen etc. Vorkommen. 

Interessant wäre nun die Feststellung, ob bei den Individuen 
mit blauer Sklera und abnormer Knochenbrüchigkeit auch das 
zweite Organsystem, das aus dem Mesenchym hervorgeht, nämlich 
der Circulationsapparat, irgendwo Veränderungen zeigt, die auf 
eine angeborene Minderwertigkeit hindeuten. In meinen Fällen 
konnte ich nichts derartiges finden, und es Messe sich ja auch 
annehmen, dass allein das Stützgewebe eine Schwäche aufweist. 

Bemerkt sei ferner, dass in den von uns besprochenen Fällen 
von den verschiedenen Frakturen selbstredend auch Röntgenbilder 
verfertigt wurden. Diese Messen jedoch durchaus nichts erkennen, 
was irgendwie auf eine pathologische Knochenstruktur, etwa im 
Sinne einer Rareficierung, hindeutete. Untersuchungen solcher 
Knochen am Sektionstisch sind bisher noch nicht gemacht w'orden. 

Eine eigentliche Therapie kommt kaum in Frage. Da es sich 
oft um schwächliche Individuen handelt, so könnte man an die 
üblichen allgemeinen Kräftigungsmittel denken. Da wir es mit 
einer Schwäche der organischen Knochensubstanz zu tun haben, 
kommen auch die anorganischen Salze, wie wir sie z. B. bei der 
Rachitis anwenden, nicht in Betracht. Prophylaktisch ist es wohl 
empfehlenswert, die Patienten auf das Bestehen einer Schwäche 
des Knochensystems hinzuweisen und sie zu ermahnen, sich auch 
vor geringfügigen Gewalteinwirkungen auf die Knochen, wie leich¬ 
terem Schlag oder Stoss, in acht zu nehmen. 

Endlich sei noch auf zwei praktische Fälle hingewiesen, in 
denen die besprochene Anomalie berücksichtigt werden könnte. 
Einmal könnte sie eine Rolle spielen in der Unfallbegutachtung. 

1) 1'. Soli, lnflurny.il fiel limo sullo sviluppo sehelelriro. Aivli. «1 i ortnp. 
1910. [>. 1. (Cit. nach Yirclinw-Hirseh's .laliresberirht.) 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



IVImt Blaufärbung der Sklera und abnorme Knoehcnbriichigkeit. 2^5 


zum andern in der gerichtlichen Medizin. So könnte man sich 
vorstellen, dass einem solchen Individuum mit blauer Sklera eine 
Körperverletzung beigebracht wurde, bei der sich infolge eines 
geringfügigen Anlasses ein Knochenbruch ergeben hat, mithin also 
eine schwere Körperverletzung. Trotzdem kommen hierbei auf 
Grund der angeborenen Schwäche des Stützgewebes mildernde 
Umstände in Betracht. 

Wir fassen zum Schlüsse das Ergebnis unserer Darlegungen 
kurz in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Es gibt eine angeborene und vererbbare Anomalie, 
die in einer Blaufärbung der Sklera und abnormer 
Knochenbrüchigkeit besteht. Die Vererbung geschieht 
meist durch die weiblichen Familienangehörigen. 

2. Die Symptome der erwähnten Anomalie bestehen 
in der eigentümlichen bleigrauen Färbung der Sklera 
und darin, dass auch schon bei geringfügigen Ver¬ 
letzungen Knochenbrüche entstehen. 

3. Die Anomalie beruht auf einer angeborenen 
Minderwertigkeit des Mesenchymgewebes. Histologisch 
findet sich in der Sklera eine Verminderung der Stütz¬ 
fasern, infolge der Verdünnung der Skleren scheint die 
Aderhaut durch diese hindurch. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



X. 


Digitized by 


(Aus der orthopädischen Heilanstalt des San.-Rats Dr. A. Schanz 

in Dresden.) 

Objektive Symptome der Insufficientia 

vertebrae. 

Von 

A. Schanz (Dresden). 

(Hierzu Tafel XI—XV.) 

Als ich auf die Fälle aufmerksam wurde, welche ich unter der 
Bezeichnung Insufficientia vertebrae beschrieben habe, da er¬ 
schien es mir als ein gemeinsames charakteristisches Merkmal, dass 
ich zu den immer wiederkehrenden subjektiven Sympto¬ 
men objektive Krankheitserscheinungen nicht nachweisen 
konnte. Ich fand subjektive Beschwerden, wie sie bei tuberkulösen 
und anderen Wirbclsäulenentzündungen auftreten, ohne dass ich 
eine tuberkulöse oder eine andersartige entzündliche Erkrankung 
der Wirbelsäule dazu fand. Ich sah, dass der charakteristische 
Komplex subjektiver Symptome immer auftrat, wenn an die Wirbel¬ 
säule abnorm hoh e Tragansprüche herantraten, oder wenn die 
Tragkraft der Wirbelsäule Schädigungen erlitt, also wenn 
das Belastungsgleichgewicht an der Wirbelsäule gestört wurde. Ich 
beobachtete, dass ich die Krankheitserscheinungen lindern und be¬ 
seitigen konnte, wenn ich die Belastung minderte und die Trag¬ 
fähigkeit steigerte, wenn ich das Belastungsgleichgewicht wieder 
herstellte. Ich schloss daraus, dass mein Symptomenkomplex erzeugt 
wurde durch eine Störung des Belastungsgleichgewichts an 
der Wirbelsäule. Ich nannte das Krankheitsbild Insufficientia 
vertebrae nach Analogie des von mir für denselben Krankheits¬ 
zustand am Fuss geprägten Ausdrucks Insufficientia pedis. Ich 
sagte, diese Insufficienzerkrankungen sind physiologische Krank¬ 
heitsbilder. Von anatomischen Krankheitsbildern unterscheiden 
sie sich dadurch, dass ihnen charakteristische anatomische 
Veränderungen nicht zu gründe liegen. 

Wir sind rein pathologisch-anatomisch geschult, ganz be¬ 
sonders soweit wir chirurgisch ausgebildet sind. Es fällt uns sehr 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSUM OF IOWA 



Objektive Symptome der Insufficientia vertebrae. 


287 


schwer, an Krankheitszustände zu glauben, die uns nicht auf dem 
Sektionstisch oder zu mindestens unter dem Mikroskop demonstriert 
werden können. Das Achselzucken, das der Chirurg den Diagnosen 
der Hysterie, der funktionellen Erkrankungen und ähnlichem ent¬ 
gegenbringt, begriisste zu meinem Bedauern, aber unter diesen Be¬ 
dingungen notwendigerweise meine Insufficientia vertebrae: „Erzählen 
kann jeder alles. Lassen Sie mich etwas sehen, etwas fühlen.“ 

Diese Forderung brachte mich in eine gewisse Verlegenheit, 
bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. So charakteristisch 
wie die subjektiven Erscheinungen der Insuffizienz-Er¬ 
krankungen der Wirbelsäule, so charakteristisch finden 
sich auch objektive. Ich hatte sie nur nicht gesehen. Warum? 
Vielleicht entschuldigt mich die Vielgestaltigkeit der objektiven Er¬ 
scheinungen. Ich musste grosse Mengen von Krankheitsfällen sehen, 
ehe ich erkannte, dass Erscheinungen, die am einzelnen Fall zu¬ 
fällig und nebensächlich erschienen, immer und immer wiederkehrten, 
und ich musste grosse Mengen nebeneinander beobachten, um zu 
erkennen, dass diese Erscheinungen zwar unendlich vielgestaltig auf- 
treten, dass sie aber immer nur Variationen einzelner weniger 
Themata sind. 

Auf dem Orthopädenkongress 1914 hatte ich eine Sammlung 
von Rückenphotographien demonstriert, welche als objektives 
Symptom bei Insufficientia vertebrae spastische Spannungen 
der langen Rückenmnskeln zeigten. 

Daran anschliessend habe ich weiter gesucht nach anderen 
bildlich darzustellenden Symptomen. Der Krieg störte mich 
und der Krieg half mir. Ich hatte eine recht schöne Sammlung 
zusammen, als der Krieg ausbrach, aber als ich aus dem Feld 
zurückkehrte, fand ich unter den Kriegsverletzten ein so grosses 
und interessantes Material von lnsuffizienzfällen, dass ich in kurzer 
Frist eine Sammlung von photographischen Aufnahmen zusammen¬ 
brachte, wie ich sie im Frieden wohl nie erhalten hätte. 

Ich will aus dieser Sammlung eine Auswahl hier vorlegen. 
Ich verfolge damit 2 Ziele. Ich möchte wieder und an neuem 
Material auf die Insuffizienzerkrankungen der Wirbelsäule hin weisen 
und zweitens möchte ich ganz besonders auf die Häufigkeit 
dieses Krankheitsbildes unter unseren Kriegsverletzten die 
Aufmerksamkeit lenken. 

Ich will zunächst noch einmal die subjektiven Störungen, 
welche für die Insufficientia vertebrae charakteristisch sind, nennen. 
Es sind Schmerzstellen an der Wirbelsäule und von diesen 
ausgehende Reizungen des Nervensystems; und diese sub¬ 
jektiven Erscheinungen treten in äusserster Variabilität auf. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



288 


A. Sch an/., 


Digitized by 


Objektiv — mit Gesicht und Gefühl — nachweisbare 
Erscheinungen finden sich ein, sowie die Erkrankung 
einigermassen höhere Grade erreicht. Es sind Erscheinungen, 
welche verraten, dass eben eine schmerzhafte Reizstelle in der 
Wirbelsäule vorhanden ist, es sind weiter Erscheinungen, w’elche 
zeigen, dass die Tragkraft der "Wirbelsäule gelitten hat. 

Es treten zuerst auf, was ich auch zuerst beobachtet und 
beschrieben habe, krankhafte Spannungen der langen Riicken- 
muskeln. Es folgen rasch ganz dieselben Kontrakturen auch an 
anderen Muskeln der Wirbelsäule. Es werden Störungen der 
Beweglichkeit sichtbar. Es ist ein Stiitzbednrfnis der Wirbel¬ 
säule zu erkennen. Es kommen endlich Deformhaltungen zur 
Entwicklung. Das Uebergreifen der Reizzustände auf das Rücken¬ 
mark hat auch zum Teil objektiv in Erscheinung tretende Folgen: 
Reflexsteigerungen, Paresen, Lähmungen. Diese Erscheinungen lassen 
sich im photographischenßild nicht oder nur unvollkommen darstellen. 
Ich werde sie deshalb hier nur nebensächlich behandeln. 

Ehe ich an einzelnen Bildern die photographisch darzustellenden 
objektiven Erscheinungen der Insufficientia vertebrae vorführe, 
möchte ich den einzelnen Symptomengruppen noch ein paar Worte 
widmen. 

Die krampfhaften Spannungen der langen Rücken¬ 
muskeln zeigen sich vor allem als zwei neben den Dornfortsätzen 
der Lendenwirbel vorspringende Längswülste. Sie sind von einer 
etwa besonders gut entwickelten normalen Rückenmuskulatur durch 
das Gesicht schon recht deutlich zu unterscheiden. Ein Blick auf 
die entsprechenden Bilder zeigt das. Noch auffälliger aber ist der 
Gefühlsunterschied. Auf normale Muskeln greift man wie auf ein 
elastisches Polster, diese Stränge fühlen sich wie harte Seile an. 

Der Grad der Spannung dieser Muskeln ist sehr verschieden. 
Die besonders charakteristischen Fälle zeigen zwei gleichmässig 
scharf vorspringende Wülste. Dann finden wir Fälle, wo der Strang 
auf einer Seite wesentlich deutlicher ist als auf der anderen. End¬ 
lich kommen die Fälle, wo zunächst bei der Betrachtung und Be- 
fühlung des Rückens von den Strängen nichts zu sehen ist, wo 
sie aber auftreten, sowie der Patient in Rumpfvorwärtsbeugung 
übergeht. Dabei machen wir die Beobachtung, dass in der Lenden¬ 
partie bei der Rumpfbeugung die Lordose bestehen bleibt. 

Diese Beobachtung gibt auch die Erklärung für die Bedeutung 
unseres Symptomes. Diese Muskelspasmen haben den Zweck die 
Druckbelastung der Lendenwirbelkörper zu verhindern. Sie sind 
also eine reflektorische Abwehr gegenüber einer Be¬ 
lastung der kranken, nicht tragkräftigen Wirbelkörper. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Objcktivi’ Symptome der Insuffieientia vertebrae. 


289 

Ein kleiner Kunstgriff, diese Spasmen deutlich zu machen, sei 
noch erwähnt: Reizen der kranken Stellen. Bei der ersten Be¬ 
trachtung des Rückens ist zuweilen keine Muskelspannung zu be¬ 
merken, sie tritt auch bei aktiven Bewegungen nicht hervor. Klopft 
man aber die Dornfortsatzlinie ab, drückt man auf die Lendenwirbel¬ 
körper, man macht ein paar scharfe passive Rumpfbewegungen, so 
sind sehr häufig die harten Muskelstränge in der Lendenlordose auf 
einmal vorhanden. 

Zu den Spasmen der langen Rückenmuskeln treten weitere 
Muskelkontrakturen regelmässig hinzu, wenn der Fall eine 
genügende Schwere erreicht. 

Verhältnismässig frühzeitig beobachtet man besonders bei 
Fällen mit Ischiassymptomen Kontrakturen der Gesässmusku- 
latur. Wenn man diese Leute von rückwärts betrachtet, so er¬ 
scheinen die Gesässbacken auffällig schmal, hinter den Trochanteren 
sieht man grosse Konkavitäten. Die Muskulatur in den Gesäss¬ 
backen ist fest kontrahiert. Ein Stoss gegen die Ischiadicuswurzeln 
ist bei diesen Fällen, die fast immer unter der Firma Ischias 
laufen, stets schmerzhaft. 

Weiter sehen wir Kontrakturen der Bauchmuskulatur 
auftreten. Man sieht scharfe Falten über den Bauch ziehen und 
man fühlt bei Betastung die hart gespannten Muskeln. 

In solchen Fällen finden sich auch die übrigen Rücken- 
muskeln in abnormer Spannung. Man sieht die Konturen des 
Cucullaris, des Serratus auffällig scharf. Auch die Halsmuskeln 
treten ganz auffällig heraus. Schliesslich in excessiven Fällen sieht 
man diese Erscheinung sogar an der Extremitätenmuskulatur. 

Die Bedeutung dieser Kontrakturen ist eine ähnliche, wie die 
der Kontraktur der langen Rückenmuskeln über der Lendenlordose. 
Die Wirbelsäule wird durch muskuläre Fixation vor 
schmerzhaften Bewegungen geschützt. Wo wir nur die 
Lendenstränge haben, handelt es sich nur um die Abwehr schmer¬ 
zender Belastungen von den Lendenwirbelkörpern. Wo weitere 
Spasmen auftreten, da sind nicht nur Belastungen, sondern alle 
Bewegungen der Wirbelsäule schmerzhaft und der Körper wehrt 
sie durch Anspannung der Wirbelsäulenmuskeln ab. Wir erhalten 
eine Fixation der Wirbelsäule durch Muskelspannung genau so, wie 
bei einem spastisch-entzündlichen Plattfuss durch Muskelspannung 
die Gelenke des Fusses fixiert werden. 

Die altbekannte Muskelspannung am spastisch fixierten Platt¬ 
fuss und die hier von mir beschriebene spastische Spannung der 
Wirbelsäulenmuskulatur — der eigenen wie der Hilfsmuskulatur — 
sind natürlich ganz parallele Erscheinungen. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



A. Srh.'inz. 


Digitized by 


290 


Dass wir diese Erscheinung hier wie da auftreten sehen, ist 
ganz selbstverständlich, denn der sogenannte entzündliche Plattfuss 
— die Insuflicientia pedis — ist eben am Fuss genau die Erkran¬ 
kung, welche die Insuflicientia vertebrae an der Wirbelsäule ist. 

Als sichtbares Symptom der Insuflicientia vertebrae habe ich 
an zweiter Stelle genannt: Störungen der Beweglichkeit der 
W i r b e I s ä u I e. 

Zum Teil sind solche Störungen schon genannt und beschrieben, 
nämlich soweit sie von den Muskelkontrakturen bedingt werden oder 
direkt mit diesen in Zusammenhang stehen. Von diesen zu unter¬ 
scheiden sind die Störungen der grossen Körperbewegungen. 

Diese Störungen werden sichtbar, ohne dass man den Patienten 
ausziehen lassen muss. Man sieht sie, wenn er sich niedersetzt. 
Man sieht sie. wenn der Kranke sich legt, wenn er sich im 1 liegen 
aus der Kücken- in die Bauchlage und zurück dreht, wenn er sich 
aus der Rückenlage erhebt. Man sieht sie, wenn er etwas vom 
Boden aufhebt, wenn er sich aus- und ankleidet. 

Bei allen diesen Bewegungen fällt an dem Patienten mit einer 
höher entwickelten Insuffizienz eine ganz eigene Unbeholfenheit 
auf. Und diese findet, wenn wir genau Zusehen, ihre Erklärung 
darin, dass der Kranke bei allen diesen grossen Körperbewegungen 
Bewegungen der Wirbelsäule möglichst meidet. 

Während der Gesunde beim Aufstehen vom Sitz und beim 
Niedergehen zum Sitzen eine weiche Beugebewegung der Wirbel¬ 
säule macht, heben sich unsere Kranken mit steif gehaltener Wirbel¬ 
säule durch eine kräftige Knie- und Hüftstreckbewegung, und ebenso 
gehen sie umgekehrt zum Sitz nieder. 

Der Gesunde, der bequem auf dem Stuhl sitzt, lässt den 
Rumpf mit einer Wirbelsäulenbeugung leicht zusammensinken. Unsere 
Patienten bleiben stocksteif gerade sitzen, wie wenn sie ein Lineal 
im Rücken hätten. 

Ganz in dem Typus, wie sich diese Kranken setzen, legen sie 
sich hin. Sie brauchen auffällig lange, bis sie glücklich auf dem 
Untersuchungstisch liegen. Sie gebrauchen Arme und Beine, wenn 
sie sich vom Rücken auf den Bauch drehen sollen und ebenso bei 
der Rückdrehung. Und immer wieder erkennt man, dass die Ur¬ 
sache dieser Unbeholfenheit eben darin liegt, dass Wirbelsäulen¬ 
bewegungen soviel wie möglich vermieden werden. 

Diese Störungen der grossen Körperbewegungen sind so 
charakteristisch, dass man sehr häufig die Diagnose machen kann, 
wenn man den Patienten das erste Mal im Wartezimmer vom 
Stuhl aufstelien sieht. Man muss nur gelernt haben, diese Be¬ 
wegungsstörungen überhaupt zu sehen und zu beachten. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Objektive Symptome der Insuffii-irntia vertebrae. 


291 


Auch mit dem nächsten Symptome, dem Stützbedürfnis 
der Wirbelsäule verhält es sich so. Dass einer von unseren 
Kranken sagt: „meine Wirbelsäule trägt nicht oder ich habe das 
Bedürfnis, meine Wirbelsäule zu stützen“ — das kommt so gut 
wie niemals vor. Selbst wenn man direkt darnach fragt, wird die 
Frage fast stets verneint. 

Aber wenn man den Patienten beobachtet, dann sieht man ihn 
immer wieder Handlungen ausführen, denen das instinktive Bestreben 
zu Grunde liegt, der Wirbelsäule Last abzunchmen, sie zu stützen. 

Der Kranke, der sich zu mir setzte, und mir seine Klagen 
über, wer weiss welche Beschwerden vorträgt, legt die Hände auf 
die Kniee und streckt die Ellbogen — bald mehr bald weniger. 
Er setzt die Hände beiderseits auf den Sitz und stemmt die straff 
gestreckten Arme auf. Er sucht einen Stuhl mit Armlehnen, setzt 
sich steif hinein und presst die Ellbogen auf die Armlehnen. Er 
sucht Ellbogenauflage auf einem Tisch. Er stützt den Kopf in die 
Hand. Er wechselt diese Haltungen, sodass eine ganz eigene 
Unruhe in Erscheinung tritt. Wenn wir den Patienten bei einer 
Untersuchung verlassen, finden wir ihn bei der Wiederkehr nach 
kurzer Zeit sehr oft liegend wieder, oder er ist wenigstens vom 
Stuhl aufgestanden. Im Stehen kann er die Wirbelsäule leichter 
lordosieren als im Sitzen, die schmerzhaften Wirbelkörper können 
besser entlastet werden. 

Schwerere Formen des Stützbedürfnisses erkennt man auch im 
Gehen, — auf der Strasse. Sehr gern legt der Patient z. B. 
die Hände auf den Rücken, ins Kreuz. Er bringt damit die 
Last der Arme hinter die Schwerlinie des Rumpfes. Vor derselben 
drückt sie auf die Wirbelkörper, hinter derselben trägt die Dorn¬ 
fortsatzreihe diese Last. 

Bei weiterer Steigerung des Stützbedürfnisses greift der 
Patient zum Stock, auf den er sich schwer aufstützt. Nimmt 
er nur einen Stock, so stützt er die zweite Hand gewöhnlich auf 
die Hüfte. Hat ein solcher Patient schwere Beinschmerzen (Ischias) 
und hinkt er, so ist dieses Einstützen der Hand auf die Hüfte ein 
wichtiges differential-diagnostisches Symptom. Es zeigt, dass die 
schlecht tragende Stelle oberhalb des Beckens liegt. Auch zum 
Gebrauch zweier Stöcke, zum Gebrauch von Krücken gehen unsere 
Patienten über, wenn die genannten Stützmittel nicht mehr genügen. 

Gelegentlich führt das Stützbedürfnis der Wirbelsäule zu ganz 
eigenartigen Handlungen. So trifft man z. B. Patienten, die ihre 
Wirbelsäule auf die Bauchblase stützen. Die mit den Eingeweiden 
gefüllte Bauchhöhle ähnelt einer nicht prall gefüllten, allseits ab¬ 
geschlossenen Blase. Presst man eine solche Blase zusammen, so 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft *2. 9() 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



A. Srlianz, 


Digitized by 


>92 


gerät ihre Wandung unterSpannung und die Blase erhält die Fähig¬ 
keit, Belastung zu tragen. Spannt sich die Bauchblase zum festen 
Stand, so kann sie Teile der Rumpflast übernehmen und die Wirbel¬ 
säule entsprechend erleichtern. 

So lindet sich die Erklärung für die recht häufige Beobachtung, 
dass Frauen, die an Spondylitis leiden, in der Gravidität sich ver¬ 
hältnismässig wohl finden. Dieselbe Erscheinung und dieselbe Er¬ 
klärung dafür geben Fälle von Insufficienz. 

Andere Patienten stellen die Spannung der Bauchblase künst¬ 
lich durch gürtelförmige Zusammenschnürung her. Sie 
schnüren sich den Bauch durch Leibriemen, Gürtel und ähnliches 
zusammen, und erzählen, dass sie sich dadurch wohler fühlen. 
Typische Beispiele werde ich abbilden. 

Ich komme nun noch zu den Deformhaltungen. 

Ich schreibe nicht Deformitäten. Es entstehen zwar aus 
Leberlastungen der Wirbelsäule, wenn sie nur lange genug dauern, 
nicht nur die lnsuffizienzsymptome, sondern auch Ueberlastungs- 
deformitäten als Skoliosen und Kyphosen. Diese Fälle habe ich hier 
aber nicht im Auge, sondern die Deformhaltungen, bei denen nor¬ 
mal geformte Knochen in pathologische Zwangsstellungen zueinander 
gestellt werden. Ich will das, was ich meine, wieder durch Verweis 
auf analoge, allgemein bekannte Erscheinungen am Fuss illustrieren. 

Wir haben am Fuss als Produkt langandauernder Ueberlastung 
den echten Plattfuss, bei dem die Knochen des Fusses ihre typischen 
Veränderungen gewonnen haben. Zu diesem Krankheitsbild gehört 
nicht die Fixation durch Muskelspannung. Sie kann vorhanden 
sein, aber sie muss es nicht. 

Dagegen haben wir Fälle, wo die Fussknochen noch keine 
oder wenigstens keine wesentlichen Aenderungen erfahren haben, 
wo uns aber scharfe Muskelkontrakturen den Fuss in der Stellung 
eines Pes valgus straff fixiert halten. 

ln diesen Fällen von entzündlichem Plattfuss oder richtiger 
gesagt, in diesem spastischen Stadium der Insufficienz des Fusses 
haben wir nicht eine Deformität, sondern eine Deformhaltung. 

So ist es auch an der Wirbelsäule: neben den Leberlastungs- 
deformitäten gibt es Deformhaltungen auch hier bedingt durch 
M uskelkontrakturen. 

Nachdem wir schon die Muskelkontraktur als Symptom der 
Insufficienzerkrankung genannt haben, ist es unmöglich eine scharfe 
Grenzlinie zu ziehen zwischen den dort eingcreihten und den hierher 
zu bringenden Fällen. 

Eine Kontraktur der langen Rückenmuskeln in der Lenden¬ 
partie erzeugt eine Lordose oder verhindert wenigstens deren Ver- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Objektive Symptome der Insufficientia vcrtebrac. 


293 


schwinden beim Rumpfbeugeversuch. So haben wir also die Ver¬ 
bindung des Spasmus mit der Deformhaltung. 

Im einzelnen Fall tritt die eine oder die andere Erscheinung aber 
doch deutlicher vor das Auge und wir werden das eine Mal von der 
Muskelkontraktur, das andere Mal von der Deformhaltung sprechen. 

Die bei Insufficienzcrkrankungen auftretenden Deformhaltungen 
sind sehr wechselreich. Sie lassen sich aber in zwei Gruppen 
trennen: Deformhaltungen der Wirbelsäule selbst und De- 
forrahaltungen ausserhalb der Wirbelsäule. 

An der Wirbelsäule selber sehen wir zunächst recht häufig 
abnorm starke Lordosierung. Die Patienten gehen mit „hohlem 
Kreuz.“ Das sind besonders die Fälle, wo die Kontraktur der 
Lendenmuskeln sehr auffällig ist. Dann ist eine charakteristische 
ebenfalls häufige Deformhaltung die Einstellung der Wirbelsäule 
in eine ganz gerade Linie. Es verschwinden also die normalen 
anteroposterioren Krümmungen. 

Eine Steigerung dieser Deformhaltung ist es, wenn an Stelle 
der Lendenlordose eine Kyphose, und an die Stelle der Brust¬ 
kyphose die Andeutung einer Lordose tritt. 

Und als eine noch höhere Steigerung ist anzusehen, wenn die 
ganze Wirbelsäule sich in eine schwere Beugekontraktur zu¬ 
sammenzieht. 

Die Deformhaltungen, die sich mit ihrer Ausschlagsrichtung in 
anteroposterioren Krümmungen bewegen, sind die häufigeren, es gibt 
aber auch recht viele mit seitlichem Ausschlag. Wir wissen, dass be¬ 
ginnende Spondylitisfälle sich zuweilen in Form skoliotischerHaltungen 
ankündigen. Genau solche Haltungen sehen wir bei Insuffizienzen: 
schnell auftretende, schwere skoliotische Haltungen ohne knöcherne 
Veränderungen. Die sogenannten hysterischen Skoliosen, über die 
zeitweise lebhaft debattiert worden ist, sind solche Insuffizienzfälle. 

Die Deformhaltungen der Wirbelsäule mit seitlichem Ausschlag 
sind meistens verbunden mit ausserhalb der Wirbelsäule gelegenen 
Deformhaltungen, ganz besonders oft mit Hüftkontrakturen. An 
diesen Fällen fällt uns zunächst das seitliche Ueberhängen des 
Rumpfes auf; ausserdem Hinken des Patienten. 

Nimmt man den Patienten in einen Suspensionsrahmen, so ist 
die W r irbelsäulenfalschhaltung durch Extension zu beseitigen, wenn 
man dem Patienten erlaubt, das Bein, auf dem er hinkt, nach dem 
Bauch anzuziehen. So sieht man, dass eine pathologische Hüft- 
stellung der Grund der ganzen Deformhaltung ist. 

Die Hüftkontraktur hat ihre Ursache in einer Kontraktur 
des Psoas, verursacht durch Reizungen, welche von der erkrankten 
Wirbelsäule auf die Psoasursprünge übergehen. 

•20’ 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



294 


A. Schanz. 


□ igitized by 


Alle diese Fälle verlaufen mit schweren Schmerzen im Ischia- 
dicusgebiet. Sie gehen fast ausnahmslos unter der Firma Ischias, und 
die Deformitäten sind, wie das Hinken ein typisches Ischiashinken ist, 
typische Ischiasdeformitäten: Scoliosis ischiadiea, Ischias scoliotica. 

Diese Deformhaltungen sind als ischiadischc Deformitäten lange 
bekannt. Der Irrtum ist nur der, dass man eben in der Ischias 
das Primäre gesehen hat. Tatsächlich sind es Wirbelsäulen¬ 
erkrankungen, — Insuffizienzen, bei denen ausstrahlende Schmerzen 
im Ischiadicusgebict uuftreten, weil die Reizstellen der Wirbelsäule 
besonders im Ursprungsgebiet des Isehiadicus liegen. 

Auf den Zusammenhang von Ischias und Insufficientia vertebrae 
will ich nicht weiter eingehen. Als Stützen für meine Erklärung 
will ich nur den therapeutischen Erfolg anführen. 

Alle jene Fälle von „Ischias“ und „Ischiasdeformitäten“, auf 
welche ich meine Anschauung stütze, sind Ischiaskuren unterworfen 
gewesen, — ohne jeden Erfolg. Auf die Insufficienzbehandlung 
ist die ganz unberücksichtigte „Ischias“ ein wie das andere Mal 
prompt geheilt. 

Ich gebe nun eine Auswahl charakteristischer Bilder, mit denen 
ich am Einzelfall zeigen will, was ich im vorstehenden be¬ 
schrieben habe. 

1. Spasmi'ii der langen lt iickeninu.skel n < Fit:. 1 u. 1 a. Taf. XI'. 
Priderscits der Pornfortsatzlinie ziehen über die Lcndenlordose zwei si*liruf 
heraussprin^pnde Muskelwiilste, di«' sich hart wie straff«' Seih* - anfii 1 1 l«*n. 

Ks han« 1<* 11 sich um einen im Fehl an -Ischias’* erkrankten Soldaten. 
Es fand sich 1 )ru«*k <* n 11 » fin« 11 i«*hkeit der Lcndenwirbelkörper. Klopfschmerzen an 
den Dornfurtsiitzrn der Lendenpartie. St«»ss irciren die linke Isehiadieuswur/el 
schmerzhaft. Leichtes Fsehiashinken. Patient war vom Xeuroloiren erfolg!..> 
behandelt, ln Insiiffizienzkur rasche 1 >(*s«*itiiriuiir der -Ischias“. 

2. Spasmen der langen \l ü e k e n m u s k e 1 n (Fier. 2 u. 2a. Taf. XI. 
Der Fall ähnelt dem Fall 1 so. dass ich mich selbst besonders überzeugen 
musste, ob nicht etwa derselbe Mann zweimal photoirraphiert wurde. Di** 
Muskelstrlinue ii 1»er der Lendenlordose treten iranz typisch hervor. 

I)i(* Erkrankung seldoss sieh an eine (iranalverletzung an. Pat. ist v*>n 
Steinen und Sprengstiicken iretroffen worden, ohne blutende Wunde. 

Subj.: Klagen besonders über Seliwiiehe im linken Arm und lsehiassehmerzen 
im linken Pein. 

Pefund: Starker Klopfsrhmerz in der Dornfortsatzlinie vom oberen PruM- 
abselmitt bis aufs Kreuzbein. Druck ueuen Lcndenwirbelkörper wird vor den n 
Frreirlumu unter Schmerzäusserunu ab^ewehrt. Stuss ge^en linkt* lsehiadi»-us- 
wurzeln stark schmerzhaft. Insuffizienzkur erzielt prompten Erfolg. 

An «lern Fall ist interessant die Entstehung t*iner echten traumatisch« n 
Skoliose. Patient beobaelilet, dass seim* linke St*ite -dicker wird“. Der be¬ 
ginnende Pippeidmekel ist auf der c<*rade von hinten angenommenen Ph"t>i- 
L r ra.phic schon zu erkennen. 

3. Spasmen der langen P ii c k e n in u s k e 1 n fFiir. 3. Taf. XD. Wie in 
Fall 1 u. 2 sehen wir hier die Muskelwiilste bridersi*its «ler Leiidend«»rnforl>:it/.e. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Objektive Symptome Oer Insuffieientia vertebrae. 


295 


Wir sollen aber aueli <lic Konturen der breiten Rüekenmuskeln auffällig - 
abnorm - scharf hervor!roten. 

Die Aufnahme, ist von einem meiner Schüler. Dr. Sachs, im Fehle 
herzest el lt. 

Der Patient ist mehrere Wochen vor der Aufnahme von einem Pferd an 
die W and gequetscht worden. Kr suchte ärztliche Behandlung weiten Magen- 
beseliwerden und Stechen in der Brust: sehr häufige Klagen bei Insuff, vertebr. 

An der Wirbelsäule der übliche Schmerzbefund: Klopfsehmerz an der 
Dornfortsatzlinie vom oberen Brustteil bis zum Kreuzbein. Druckschmerz der 
hendenkörper. 

4. Spasmen der langen R ii e k e n m us k e ln und Kontraktur der 
(i esässmusku latur (Fit:. 4. Taf. XI). Wir sehen wieder die beiden Muskel¬ 
wülste beiderseits der Lendendornfortsätze. Dazu tritt deutlich eine Kontraktur 
der (ilutäalmuskulatur: die (iesässhaeken sind schmal, hinter den Trochanteren 
sehen wir lt rosse Konkavitäten. 

Der l > atient hat vor Jahren einen schweren Reitunfall erlitten. Hs soll 
ein Beekenbrueh bestanden haben. Kr irlaubte, von diesem l’nfall v«'»lIiir ge¬ 
nesen zu sein, suchte meine Hilfe wegen Schmerzen in beiden Knien. 

Ks fand sieh dm* typische Insuffizienzbefund an der Wirbelsäule: Klopf- 
.vhmerz in der Dornfortsatzlinie. Druckschmerz der Lendenkürper. Stoss auf die 
Ischiadieuswurzeln beiderseits stark sehmerzliaft. Patient hatte schon wieder- 
liolt Isehiaskuren durehgemaeht. 

Kine Insuffizienzkur führte zum prompten Erfolg. 

5. Spasmen der 1 an gen R iickenm uskeI n und Kontraktur der 
(i esässmusk ulat ur (Fit:. f>, Taf. XI). Ich setze den Fall zum vorigen um 
zu zeigen, wie leicht die (lesässkontraktur dem Auge verd 'ekt werden kann. 
Im vorigen Fall deutlich zu sehen, wird die Kontraktur hier fast völlig dadurch 
verdeckt, dass Patient durch Spreizung der Beine die Hosen hält. 

Im übrigen an der Wirbelsäule der typische Insuffizienzbefund. 

ü. Die Kontraktur der B auch muskulatur (Fiir. b, Taf. XI) zeigt 
sieh durch die Längsfurche an der Seite des Muse, reetus abdominis und durch 
die (^uerfurehe in der Hühe des Nabels. Auch die Kontraktur der (iesä>s- 
muskulatur ist zu erkennen an der Vertiefung hinter dem Trochanter. 

Charakteristisch an dem Bilde ist im übrigen die Winkelstellung des 
Kumpfes zu den Hüften und das Kinstemmen der rechten Hand auf den Hüft- 
kamiii: Deformhaltung und Stützbedürfnis! 

An der Wirbelsäule der typische Insuffizienzbefund: Klopfsehmerzen in 
der Dornfortsatzlinie, Druck gegen Lendenkörper stark schmerzhaft, ebenso Stoss 
gegen die Ischiadieuswurzeln. Schwere Isehiassehmer/.en, Isehiasliinken. 

Ursache: Stauchung der Wirbelsäule. Feldverletzung. 

Insuffizienzbehandiung führte zum prompten Erfolg. 

7. Die Kontraktur der Bauchmuskeln (Fig. 7. Taf. XI) verrät sieh 
auf dem Bilde durch die quer über den Bauch ziehende tiefe Furche. 

Auch hier ist. wie im vorigen Fall, die Kontraktur der (iesässmuskeln 
zu erkennen. 

Die Winkelstellung zwischen Rumpf und Oberschenkel genau wie im 
vorigen Fall. 

Besonders aufmerksam zu machen ist auf die eigentümliche Starre in Kopf¬ 
haltung und (resiehtsausdruek. Auch dies ist typisch für Insuffizienzerkrankungen, 
bei denen die oberen Partien der Wirbelsäule besonders betroffen sind. 

Wir haben an der Wirbelsäule im übrigen den typischen Insuffi/ien/.- 
brfuiid: l\ lupfschmerzen in der ganzem Dornfortsalzlinie, Druck gegen die Lendcn- 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


296 A. Schanz. 

körper und gegen die Ischiadicuswur/eln stark schmerzhaft. Patellareflex«* 
gesteigert. 

Die Erkrankung geht zurück auf (‘ine im übrigen glatt geheilte Granat* 
splitten erwundung. Die Narbe sitzt im Kücken üher der Mitte der Lenden¬ 
wirbels, : iule. 

Insuffizienzbchandlung hat zu promptem Erfolg geführt. Patient wieder 
fclddicnst fällig. 

8. Die Kontraktur der Hau c h in u s k ti 1 at u r (Fig. 8, Taf. XI) zeigt sieh 
im Sitzen durch die scharfe Querfalte oberhalb des Nabels. 

Ks handelt sich um denselben Patienten, den Abbildung 4 von rückwärts zeigt. 

Ich mache aufmerksam auf das Aufstützen beider Hände auf die Sitz¬ 
fläche. Wir werden an späteren Abbildungen sehen, dass dies ein charak¬ 
teristisches Symptom der Insuffizienzerkrankung - ein Ausdruck des Stützbe¬ 
dürfnisses der Wirbelsäule ist. 

1). Störungen in der Beweglichkeit der Wirbelsäule. Abnorme 
Steifhaltung (Fig. 9 u. 9a, Taf. XI). Patient hält seine Wirbelsäule stock- 
gerade. „Wie wenn er einen Ladestock verschluckt hätte.“ 

Auch bei längerem Sitzen sinkt der Kumpf nicht in eine bequeme Kuhc- 
haltung zusammen. Ganz besonders auffällig ist diese Steifhaltung, wenn der 
Patient sich vom Sitz erhebt. Die zweite Aufnahme ist gemacht, während er 
aufsteht. Sie zeigt, dass das Erheben nur durch Beinbewegungen geschieht, 
und dass die stocksteife Kumpfhallung dabei beibehalten wird. 

Es handelt sich um einen Fall aus meiner Zivilpraxis. Nach Sturz auf 
einer Treppe hat sich das typische Insuffizienzbild mit Klopf- und Druck¬ 
schmerz. Muskelspasmen und ausstrahlendcn nervösen Beschwerden in Form von 
Interkostalneuralgien entwickelt. 

Ich bilde den Fall später noch einmal ab zur Demonstration des Stiitz- 
bedürfnisses der Wirbelsäule (Fig. 25, Taf. XIII). 

10. Bewc glichkeitssl ö r u n g d e r \V i r b e 1 s ä ule. A b n o r m e Steif- 
haltung (Fig. 10 u. 10a, Taf. XII). Um zu zeigen, wie typisch die beiden 
Bilder sind, setze ich hinter dieselben diese beiden vorigen. 

Es erübrigt sich jede Erklärung. 

Es handelt sich um einen Patienten der Zivilpraxis mit dem typischen 
Insuffizienzbefund, dessen Kennzeichen ich nun nicht mehr jedesmal wiederhole. 
Besondere Klagen in diesem Fall: Ischias und Intercnstalneuralgien. 

In der Anamnese kein Trauma nachzuweisen. 

11. B e w e g 1 i c h k e i t s s t ü r u n g d e r W i r b e I s ii u I e. A b n o r m e S t e i t - 
halt ung (Fig. 11 u. 11a, Taf. XII). Auch diese Patientin zeigt dieselbe Störung 
wie die Figuren 9 u. 9a, sowie 10 u. 10a. 

Ich gebe die beiden Bilder, um zu zeigen, wie diese Störung verschleiert 
werden kann. 

Die Patientin ist ein Jahr vor Aufnahme der Photographie eine Treppe 
herabgestürzt. Seitdem allgemein »nervöse“ Störungen und besonders Schmerzen 
im Fnterlcib und Mastdarm. An der Wirbelsäule der typische Insuffizienz- 
Befund. Die Steifhaltung der Wirbelsäule erkennt man erst, wenn man über 
die Deformität des hohlrunden Kückens hinwegblickt. Die Patientin, ein* 1 
Bauernfrau, hat den ihren Jahren entsprechenden Bauernrücken. In dessen 
Form hält sic ihre Wirbelsäule im Sitzen und im Aufstehen vom Sitz steif. 

Man muss also lernen, an einer deformen Wirbelsäule eine Bewegungs¬ 
störung zu sehen, die nicht von der Deformität bedingt ist. 

12. Beweglichkeitsstörung der W irbelsäule. Abnorme Sieif- 
haltung (Fig. 12. Taf. XI1). Ich gebe hier ein typisches Sprechstundenbild. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Objektive Symptome der Insuffieientia vertebrae. 


2D7 


Der Patient ist photographiert, während er sich die Stiefel auszieht. Der im 
Hiicken normal bewegliche biegt sich dabei mit einer W ir!><• ls;iulenbeutrii mlt tief 
herunter. Der Wirbelsäulenkranke hebt den Fuss hoch herauf und streckt die 
Arme so lang als möglich herunter. Eine Wirbelsäulenbeugung wird tun liehst 
'vermieden. 

Es handelt sieh um einen Fall mit typischem Insuffi/icnzbefund. Ursache 
Autounfall im Feld. Hauptklage: Schmerzen unter den Schulterblättern, Be¬ 
hinderung der Kumpfbewegungen. bei Versuch, länger mitzumarschieren, Zittern 
am ganzen Körper. 

Insuffizienzkur hat, wie in allen hier vorgeführten Fällen zu promptem 
Erfolg geführt. 

IS. Bcwegliehkcitsstörung der Wirbelsäule. Abnorme Steif- 
hallung (Fig. IS, Taf. XII). Auueh diese Aufnahme zeigt ein charakteristisches 
Sjirechstundenbild. 

Patient ist photographiert, während er das Hemd anzieht. Der Wirbcl- 
säulengesunde kriecht in das Hemd, indem er Kopf und Kumpf nach vorn beugt. 
Di eser Wirbelsäulenkranke hebt das Hemd über den Kopf und hält dabei den 
Kücken steif gerade und den Kopf steif erhoben. 

Patient ist im Feld von durchgehenden Pferden Hingerissen worden. 
Darnach Kiickensehmerzen, allgemeine nervöse Störungen, Schlaflosigkeit, 
Ischias. An der Wirbelsäule typischer Insuffizienzbefund. 

Insuffizienzkur hatte prompten Erfolg. 

14. B e w e g 1 i c h k e i t s s t ö r u n g der Wirbelsäule. I> e1 1 i n< 1 er u iur der 
Kopfdrehung (Fi". 14. Taf. XII). Patient ist aufgefordert. nach dem ihm 
links über sein Ohr gehaltenen Gegenstand zu blicken. Der Wirbelsäulen- 
iresnnde dreht in diesem Fall den Kopf scharf nach der Seite. Dieser Patient 
behält das Gesicht gerade nach vorn gewendet und sucht durch eine exeessive 
Augenbewegung den Gegenstand in den Blick zu bekommen. Würde der Mann 
stehen, so würde er den ganzen Körper nach links herumdrehen. 

Es handelt sich um einen Fall aus meiner Zivilpraxis. Nach einem Sturz 
auf den Kopf klagt Patient über Kopfschmerzen, Parästhesien im Hinterkopf, 
nervöse Störungen. Es finden sieh die typischen Insuffizienzsymptome im 
oberen "Feil der Wirbelsäule. 

15. Bewegungsstörungen der Wirbelsäule. Behinderung beim 
Biieken (Fig. lf), Taf. XII). Alle unsere Lehrbücher schildern in Wort und 
Bild die Behinderung im Bücken beim Spondylitiskranken. 

Diese Erscheinungen sind so bekannt, dass ich mich begnüge, durch eine 
einzelne Darstellung zu zeigen, dass beim Insuffizienzkranken genau dieselbe 
Störung auftritt. 

Patient ist aufgefordert, das rechts seitlich von ihm auf dom Fussboden 
liegende Hemd aufzuheben. Er hält sieh mit der linken Band am Operations¬ 
tisch fest, streckt das linke Bein nach rückwärts und biegt das rechte Bein in 
Knie- und Hüftgelenk. Mit einer Seitenbewegung des Kumpfes greift er nun zu 
dem Hemd herunter. Wie schwer ihm diese Seitenbiegung wird, und wie sieh 
der Körper gegen dieselbe sträubt, zeigt der scharfe Muskelwulst, welcher durch 
Anspannung der Längsmuskeln links neben der Dornfortsatzlinie hervortritt. 

Es handelt sieh um einen Insuffizienzfall aus dem Felde mit dem typi¬ 
schen Wirbelsäuleubefund und typischen Behandlungserfolg. Ursache: Flieger- 
bombenverlctzung, bei der das Becken getroffen wurde. 

16. Bewegungsstörung der Wirbe 1 säulc (Fig. 1 (i, Taf. XII). Patient 
ist im Liegen, während er von der Rückenlage in Bauchlage übergeht, photo¬ 
graphiert. Der Wirbelsäulengesunde dreht sieh rasch und leicht um, ohne sieh von 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



*298 


\. Schanz, 


Digitized by 


der Lagerfläche zu erheben. Fnsere Patienten wälzen sich mühsam unter Hilfe von 
Armen und P>einen und unter Aidieben des Rumpfes von der Lagerfläche herum. 

Es handelt sich um einen Fall schwerer Insuffizienzerkrankung nach 
Sehützengrabenverschüttung. Spasmen der Kückenstrecker, Kontraktur der Ge- 
sässniuskeln. schwere Klopf- und Druekompfindlichkeit in der unteren Hälfte 
der Säule. Zittern an Armen und Keinen. Kopfschmerz, Ohrensausen, Sehlaf- 
losigheit. schwere Isehias. 

Auf Insuffizicnzhrhandlunir prompter Erfolg. 

17. St iit z I)ed iir! nis der Wirbelsäule (Fig. 17, Taf. XU ). Ein sehr 
häufiges und charakteristisches Sprechstundenbild. 

Während der Patient seine Leidensgeschichte erzählt, legt er die Hände 
auf die Knie. Der Kumpf ist leicht nach vorn gebeugt, die Arme sind massig 
belastet. Der Patient liebt ohne Schwierigkeit eine oder auch beide Hände von 
den Knien ab, aber er bringt sie immer wieder auf die Knie zurück. Es sei 
denn, dass er Gelegenheit findet, etwa durch Aufstemmen des Ellbogens auf eine 
Tischplatte oder auf ähnliche Weise eine andere Entlastungsgelegenheit zu erhalten. 
Alle diese Stützungen führt der Patient völlig instinktiv aus. Wenn man ihn 
fragt, warum er die Hände immer wieder auf die Knie legt, ist er ganz erstaunt, 
und erklärt die Handlung für Zufall oder für eine Gewohnheit. Ieh mache bei 
dieser Photographie noch besonders auf die trübselige Miene des Patienten auf¬ 
merksam. Man sieht sie bei Insuffizienzpatienten oftmals als Ausdruek der so 
häufig mit der Insuffieientia vertebrae auftretenden psychischen Depression. 

Es handelt sieh um einen Fall aus meinerZivilpraxis. Typische Insuffizienzsym¬ 
ptome besonders im Hals- und am oberen Brusttoil nach Heben einer schweren Last. 

IS. S t ü t z bed ü r f n i s der Wi rbe 1 siiu 1 e (Eig. 1S, Taf. XII). Wie der 
Patient auf dem vorigen Hihi benutzt dieser die Arme zur Entlastung der 
Wirbelsäule. Der höheren Entwicklung der Erkrankung entsprechend stützt er 
sich aber viel energischer auf. Er setzt die Hände auf die Sitzfläche und stellt 
die Ellbogen in volle Streckung. Einem solchen Patienten ist die Hilfe, welche 
ihm das Aufstemmen der Arme verschafft, bewusst. 

Es handelt sich um einen Fall aus der Zivilpraxis mit schweren lnsuf- 
fizienzsymptomen, ohne dass in der Anamnese ein Trauma naehzuweisen ist. 

19 . Stützbed ii rfnis der Wirbelsäule (Fig. 19, Taf. XII). Ein Gegen¬ 
stück zum vorigen Bild. Ich gebe es. weil die Hand zeigt, wie kräftig sieh der 
Mann auf dieselbe stützt. 

Das Bild zeigt auch die Kontraktur der langen Kückenmuskeln und 
wiederum den trübseligen Gesichtsausdruck des Deprimierten. 

Es handelt sich um einen Fall aus der Zivilpraxis. Dem Patienten ist 
eine schwere Last auf den Kopf gestürzt. Er klagt über gürtelförmige Schmerzen 
im Bauch. Ist in einer Enfallklinik als schwerer Simulant begutachtet. 

An der Wirbelsäule finden sich hochgradige typische Insuffizienzsymptome. 
Behandlung hat nicht stattgefunden. 

20. S t ii t z I) cd ii rfnis d e r Wi r be 1 s ä u 1 e (Fig. 20, Taf. XIII). Wieder (‘in 
häufiges Sprechstunden- oder Wartezimmerbild. Patient setzt sich, wo irgend 
Gelegenheit, in einen Stuhl mit Armauflage. Er stützt sich den Kücken durch 
festes Aufstemmen der Ellbogen. 

Es handelt sich um einen verhältnismässig frischen Fall. Ein Sehrapnell- 
stiiek hat dem in der Schützenlinie liegenden Patienten in den Kücken ge¬ 
schlagen. ohne eine Wunde zu erzeugen. Sehwäehegefiihl im rechten Bein, 
Schmerzen im Kücken machten ihn dienstunfähig. Er wird unter der Diagnose 
„Xervcnzernittung" heimgesehickt. Am Kücken der typische, schwere Insuffi- 
zienzbefund. lnsuffizimizkur führt zu prompten Erfolg. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIV RSITY OF IOWA 



Objektive Symptome der Insufficientia vertebrao. 


299 

21. Stüi zbediirf nis der Wirbe 1 siin 1 o (Fiir- 20a. Taf. XIII). Der 
vorige Patient mich einmal. Er ist aufgcslandcn. Den Stuck, den er auf dem 
vorigen Bild zwischen den Knien licken hat, benutzt er jetzt, um sieh stark 
darauf zu stützen. Er leert den Griff des Stuckes an dem Becken an und 
stemmt den rechten Arm scharf auf. Die linke Hand stützt er in die Hüfte. 
Auch mit dem linken Arm entlastet er dadurch die Wirbelsäule. 

Charakteristisch an dem Bild ist auch die ganze „stocksteife“ Eumpfhallung. 

22. Stützbedürfnis der Wirbelsäule (Fig 21—21a, Taf. XIIL). Wie 
charakteristisch die Benutzung von Stock und Hüftstütze auf dem vorigen Bild 
ist. zeige ich durch einen Patienten, der dieselbe Entlastung seiner Wirbelsäule 
benutzt. Die Vorwärtsneigung des Rumpfes erzwi igt eine Variation im Ge¬ 
brauch des Stockes: derselbe wird vorgesetzt. 

Auch die Gesiehtsziige dieses Patienten lassen wieder einmal die nervöse 
Depression erkennen. 

Es handelt sieh um eine typische Insuff, verleb, anschliessend an einen 
schweren Sturz bei einem Schützenanlauf. 

Ich setze eine zweite Photographie zu dem Fall (Fig. 21a), die aufge- 
nummeji wurde, als die klinische Behandlung beendet war. Sie zeigt die freie, 
ungezwungene Körperhaltung, die mit der Abdämpfung der Insuffizienzsymptome 
zurück kehrte. 

23. Stütz!) e d ii rf n i s d e r Wi r b e I s ä u 1 e (Fig. 22, Taf. X111) b e f r i e d i g t 
durch Gebrauch zweier Stöcke, die Patient beim Gehen abwechselnd vor¬ 
setzt. Auf den feststehenden Stock wird wechselweise durch den straff ge¬ 
streckten Arm ein grosser Teil der Rumpflast übertragen. 

Es handelt sieh um einen verhältnismässig frischen Fall. Patient ist von 
einem Baum gestürzt. Typischer Insuffizienzbefund. Gewohnter Erfolg der 
Behandlung. 

24. S t ii t z b e d ii rf n i s d e r Wirbels ä u 1 e (Fig. 23, Taf. X111). Von < ler 
Benutzung zweier Stücke zur Benutzung zweier Krücken ist ein Schritt, den 
unsere Patienten auch gelegentlich machen. 

Hier handelt es sieh um eine schwere Insuffizienz nach einer SVhiitzen- 
grabenversehiittung. Die gespannten Kiickenstrecker und die kontrahierten 
Gesässrnuskeln zeigen die Erkrankung der Wirbelsäule. Im übrigen hochgradige 
Klopf- und Druckempfindlichkeit der Säule von Mitte des Brustteils nach ab¬ 
wärts. Zittern an Armen und Beinen, Ischiasschmerzen. Kopfschmerz, Ohren¬ 
sausen. Schlaflosigkeit. 

lnsuffizienzhehandlung führt zu üblichen Erfolg. 

25. Stützbedürfnis der Wirbelsäule (Fig. 24, Taf. XIII). Der 
Patient legt sieh instinktiv die zusammengefalteten Hände auf das Kreuz. Er 
bringt dadurch einen Teil der Armlast hinter die Schwerlinie des Körpers und 
er entlastet um so viel die Wirbelkörper. Die hier dargesteilte Haltung 
sieht man von Leuten mit insuffizienter Wirbelsäule unterwegs auf der Strasse 
sehr gerne entnehmen. Sind sie imstande die Lendenwirbelsäule zu lordosieren 
und den Rumpf richtig aufzurichten, so legen sie gern den mehr als auf diesem 
Bild gebeugten Arm in die Lendenhöhlung, 

Den Patienten dieses Bildes habe ich schon in Fig. 7 dargestellt zur 
Demonstrierung der Spannung der Bauchmuskulatur. Ich mache darauf auf¬ 
merksam, wie haarscharf genau in den beiden Aufnahmen dieselbe Rumpf¬ 
haltung und derselbe* Gesicht.sausdruck wiederkehrt. Wie* wenn man eine Holz- 
figur zweimal photographiert hätte! Die starre ITibewcgliehkrit des Patienten, 
nicht etwa eine Absicht des Photeigraphen, ist dafür die Erklärung. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



300 


A. Sr Im nz. 


Digitized by 


29. Si iit zbe»l iirfn is <lr r Wi rh»* 1 sä u I »* (Fiir. ' 2 '). Taf. XIII'). Es ist <!**r 
Patimit. <l»*n wir schon in Ein. 9 darirrstrllt haben. Wie dort, sitzt er auch 
auf diesem Hihi „stoeksbüf“ und mit auf die Sitzfläeh»* eestiitzien Armen. 

Hier ist er aber darL r estellt mit einem iranz merkwürdigen (»»‘bilde. Ks ist 
ein breiter (iiirtel. den er um den Hauch träitt - das Rudiment eines 
(ii|»>kor>ettes -. durch »l»*sM*n Anlegen Patient bedeutend»* Erleiehterum: gewinnt. 

I)i»»s«*r (iiirtel ist natürlich nicht imstamle. direkt eine nennenswerte Stiitz- 
wirkuiur auszuüben. Dieselbe kommt aber indirekt durch Spann uni: der 
Bauch b I ase zustande. 

Die Bauchhöhle ist eine durch ihren Inhalt nicht straff gespannte Blase. 
Presst man die Blase durch einen (iiirtel zusammen, so gewinnt sie Spannung 
und presst nach oben und unten. So erhält sie die Fähigkeit, eine St ützwirkum: 
für den Kumpf zu enthalten. 

27. St ii t z hed iirf n i s der Wirbelsäule befriedigt durch eine Binden- 
wiekeluiiL r um den Bauch (Fiir. 29, Taf. XIII). Kin Scitonstiiek zum vorigen 
Fall. Währ»*ml <h*r Pati<‘nt d<»rt durch ärztliche Verordnung eines (iipskorsetts 
zu einem tiiirtel gekommen ist, hat tli».*ser »lie wohltätii:»* Wirkung der Spannung 
der Bauehblasc durch di»* Bauehbind«* alh*in gefuinlcn. 

Es handelt sich im übrigen um eim*n typis»*hen Insuffizienzfall nach einer 
Fehl Verletzung. 

2S. St iitzbed ii rf n is der Wirbe lsäu le (Fiir. 27, Taf. XIII). Auch <li»‘s»*n 
Fall ulaube ich wi»* di»* v»iriir»*n beiden erklären zu können. Es handelt sich um 
einen typisclum I nsuffizmnzbefuml na»-h eim*r Feldverletzuni:. 

D»*r Patient z«*iirt »*in»* schlaff zusammenircsunkene Kumpflialtumr: »*in bei 
lnsuffici»*ntia v«*rt»*b. s«dl»'ni*r<*s Bild. Mir scheint, dass es entsteht, indem »ler 
Patient mit dem niedersinkenden Thorax Stütze auf der Bauehblas»* sticht. 

Dass die hier darg»*stellte Haltung für »len Patienten pathologisch ist. 
zeiire ich »lmvh Beisetzung einer zw»*it»*n Photographie (Fiir. 27 a\ <li<‘ aufge- 
nommen wimle. mudidem Patient infolge »ler eingel<*iteten Insuffizienzkur wieder 
garnisomlienstfähig gewonlen ist. 

29. St iitz.bed iirfnis d»*r Wirbelsäule (Fig. 2S, Taf. XIV). Ein s»*hr 
seliw»*rer Fall. Der Patient stützt sieh mit beiden Händen mit äuss»*rster Kraft 
auf »lie Stuhllehne. Er braucht aber noch weitere Stützung: eine Person stützt ihn 
von »len Aehs»dhohh*n aus. eine zweite hält und »Iriiekt den Kopf nach oben. 

Patient ist kopfüber in »len Fnt»*rstand bestürzt. Es haben sieh Insuf- 
fizienz»*rsclicinunL r »*n in schmier Schwere entwiek»dt. Besonders behi*rrs»*hen 
nervös»* Störungen das Bild. Die Steiirt*runir »ler Kefh*x«*. die man m»*ist nur an 
den Knies«‘hnenrefb*xen zur Anschauung bekommt, ist so hochgradig. dass eine 
einfach»' Berühruni: Zitt»*rkrämpf»* »h*s ganzen Körp»*rs auslöst. S»*hon lautes 
Spre»*h»*n in <h*r Nähe des Patienten, eine leise Beriihrum: der Bottde»*ko lässt 
eine Zitterwelle über »len Krank»*n lauf»*n. 

B»*son»l»*rs hervorzuheb»»n sind no»*h Sehstörungen. «Es ist. als ob ein 
Gitter vor m»*in»‘n Augen s»*i." Ohivnsausen. 

D»*r ämrstlieh starre, maskenhafte(icsiehlsausdruck g»*hörtzum Krank heit sbihl. 

Fm zu zeig»*n. wi»* sieh »las Aussehen des Mannes unter der lnsuffizienz- 
behandlung gcämlert hat. gebe ich ein zw»*ites Bild (Fiir. 2Sa\ Wir haben zu¬ 
erst in »*in»*m (ii{)sb»*tt die akutesten Erscheinungen zum Abkling»*n gebracht, 
«lann einen Kumpfgipsverban»! angelegt. In di»*sem geht er zur Zeit »ler Auf- 
nahme »b*s 2. Bihb's unter Benutzumr zweier Stöcke lu'rum. Ib'flexsteLoTiing 
an »l»*n Patellarreflexen und in Form von Fusselonus n»»eh nachweisbar. S»*h- 
stürungen, Ohrensausen vers»*hwundcn. Schläft gut. Die Aenderung »les (iesiVhts- 
ausdruckes ist ein eharakteristiselu's Symptom der allir«*m»dnen Besserung. 


Gck 'gle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Objektive Symptome' der Insuffieientia vr*rtel>rae. 


301 


30. $t iitzbedürf nis der Wirbe I sä ule (Fig. ‘29. Taf. XIV). leb bringe 
den vorigen Patienten noch einmal, um eine weitere Variante der Befriedigung 
des Stützbedürfnisses zu zeigen. 

Der Patient, dem im Stehen eine zweite Person den Kopf stützen muss, stützt 
sieh im Liegen den Kopf selbst mit beiden Händen. Es wäre vielleicht richtiger zu 
sagen, der Patient hält den Kopf, mn Bewegungen der Wirbelsäule zu vermeiden. 

31. Stützbedürfnis der Wirbelsäule (Fig. 30, Taf. XIV). Das 
Bild ist ein Gegenstück zu dem vorigen. Der Patient - ich zeige ihn später 
noch in Nr. 3G — ist nicht imstande, auf der harten Fläche in Kückenlage zu 
gehen, ln der von ihm eingenommenen Seitenlage kann er den Kopf nicht auf 
die Tischplatte legen. Er stützt ihn deshalb mit der untergelegten Hand. 

Auch hier ist vielleicht, wie im vorigen Fall, massgebend mehr die Absicht, 
eine schmerzbercitende Bewegung der Wirbelsäule zu vermeiden, als zu entlasten. 

32. I)eformhalt ung der Wirbe 1 säu 1 e (Fig. 31 u. 31 a, Taf. XlV.) 
Patient, der auch im Bett in Lordosierung liegt, bäumt sich aufgerichtet in 
grossem Bogen nach hintenüber. Nur unter starker Stützung ist er imstande 
in aufrechte Körperhaltung zu kommen. Die harten Sträng«* der gespannten 
Kiiekenmuskeln sind auf dem Bild zu erkennen. 

Wie bei dem Patienten von Fig. 28 bestand auch hier eine so hochgradige 
Reflexsteigerung, dass Zitterkrämpfe durch die geringsten Reize ausgelöst 
wurden. Die Photographie ist deshalb kurze Momentaufnahme. 

Im übrigen der typische schwere Insuffizienzbefund. Subjektive Klagen: 
Schmerzen im Fnterleib. Kopfschmerzen, Sehstürungcn, Schlaflosigkeit, Krämpfe. 

Die Erkrankung hat sich angeschlosscn an eine Verschüttung im Schützen¬ 
graben durch eine einschlagende Granate. 

Ich gebe ein zweites Bild von dem Fall (Fig. 31 a), welches zeigen soll, wie 
sich das schwere Krankheitsbild unter der Insuffizienzbehamllung verändert hat. 

Als Ergänzung zu den beiden vorstehenden Bildern bringe ich von dem¬ 
selben Fall noch eine Aufnahme (Fig. 32, Taf. XIV). 

Der Patient liegt auf seinem Bett. Die Aufnahme ist von oben — aus 
der Vogelperspektive — gemacht. Sie soll die eigenartige Beinhaltung zeigen. 
Der Patient schlingt die beiden Beine ineinander. Er hält je das eine Bein mit 
dem anderen fest und schützt sich dadurch gegen die Zitterkrämpfe, welche 
durch die excessive Steigerung der Reflexe immer wieder ausgelöst werden. Diese 
Beinverschlingung ist typisch, die Patienten von Photographie 28. 30. 37 u. 40 
lagen im entsprechenden Stadium der Krankheit genau so. 

Eine Variante der Beinhaltung, welche gern eingenommen wird, wenn die 
Steigerung der Reflexe sieh mindert, besteht in dem Anstemmen der Küsse an 
das Kussbrett des Bettes. 

33. Deformhaltung der Wirbelsäule (Fig. 33, Taf. XIV). Die ab¬ 
norme Lordosierung ist sichtbar gemacht durch das Auflegen des Patienten 
auf einen Operationstisch. Der Patient ist nicht imstande, den Kücken in 
ganzer Länge mit der Tischplatte in Berührung zu bringen. Er liegt nur mit 
dem oberen Brust teil und dem Gesäss auf. Das vom Fenster herkommende, 
sich auf dem Tisch spiegelnde Licht zeigt, wie weit der Kücken sich zwischen 
diesen beiden Stützpunkten von der Tischplatte abhebt. 

Fasst man unter den Rücken, so fühlt man die kontrahierten Längs- 
muskeln wie ein paar mächtige, hart gespannte Taue. 

Patient ist im Feld eine Treppe heruntergestür/t. Es findet sich an der 
Wirbelsäule der typische Befund der schweren lnsuffizienzcrkrankung. Subjek¬ 
tive Klage in erster Linie schwere „Ischiasschmerzen*. 

Der Patient kehrt wieder in Fig. 40 u. 40a. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



302 


A. Schanz. 


Digitized by 


34. Deform ha 11 u ng «1 «m* Wirbelsäule. Aufhebung der antero- 
posterioren K rii m m u n ge n (Fig. 34 u. 34 a, Taf. XIV). Abnorme (ierad- 
haltung der Wirbelsäule zeigen sehen die Fälle 9 und 10, auch Fall 13. 

An der hier wiedergegebenen Aufnahme ist die Lendenlordose ausgeglichen, 
die Brust kyphos«» verschwunden. Die auf diese Weise linealgerade gestellte 
Wirbelsäule >iehl in IVugestellung zu den unteren Extremitäten. 

Der Patient zeigt «leutlieh das Stiitzbediirfnis der Wirbelsäule durch Ein- 
sl«*mm<*n der linken Hand auf den Dannbeinkamm und durch Benutzung des 
Stockes. 

Muskelkontrakturen sind deutlich am (iesäss un«l am Hals (Kopfnicken, 
aber amdi das Relief der abnorm vorspringenden Kiiekenmuskulatur ist zu 
erkennen. 

bin zu demonstrieren, wi«* sieh di«* Leute unter der Behandlung ändern, 
und um eines der wichtigsten Behandlungsmittel (das Korsett) vnrzufiihren. 
gebe ich eine zweite Aufnahme «los Patient«»!! (Fig. 34a). 

35. Deform hal t urig der Wirbelsäule, l'mkehrung der antero- 
posterioren Krümmungen (Fig. 35. Taf. XV). Der Fall gibt dasselbe Bild 
wie der vorige, nur in einer Steigerung. Während dort die Letulenl«»rdose nur 
eben aufg«‘hob«‘n war, ist hier an deren Stelle eine Kyphose getreten, zu der 
im oberen Brust teil eine fla«*he Lordose tritt. 

Recht schön siml auch hier wieder die Spannung der (lesässmuskulatur 
und die dicken Wülste der kontrahierten langen Kiiekcnmuskeln zu sehen. 

Fs handelt sieh um den unter 6 schon abgebildeten Patienten. 

36. D e f«) r m h a 11 u n g d «* r W i r 1) e I s ii u 1 e. K y p h os e n h a 11 u n g. R u m p f- 
beug urig (Fig. 30 u. 36 a. Taf. XV). Wohin die weitere Steigerung der in «len 
vorigen beiden Fällen gezeigten Deformhaltung führt, zeigen diese beiden Auf¬ 
nahmen. 

Die Lomhmkyphose. die in Fall 32 schon weiter hinaufgreift als in Fall 31, 
geht hier bis an die Halslordose heran. Der kyphotiseh gebeugte Rumpf ist 
in eine annähernd rechtwinklig!* Beugestellung zu den Oberschenkeln getreten. 
Die Hüftgelenke sind in dieser Stellung muskulär fixiert. Patient kann deshalb 
nur mit kleinen Schritten aus den Knien gehen. Die erste Aufnahme zeigt ihn 
im Moment des Vursehreitens. 

Das schwere Stützbedürfnis zwingt «len Patienten beide Hände auf die 
Knie zu stemmen. 

Im Sitzen ändert sieh die Körperhaltung nur an den Hüftgelenken, «lie 
bis zum spitzen Winkel weiter gebeugt werden. Das Stützbedürfnis wird j«*tzt 
befriedigt durch Aufstemmen der Ellbogen auf die Oberschenkel. Zum Beispiel, 
bis in wel«*he Einzelheiten diese Bilder typisch sind, bitte ich die Handhabung 
des Sitzenden zu beachten und mit 37 zu vergleichen. 

Es handelt sieh um eine schwere Insuffizienzerkrankung nach einem 
Sturz v«m einer Treppe. Schwere Isehiassehmerzen, Brustschmerzen, Stuhlver¬ 
stopfung, allgemeine nervöse Beschwerden. 

Di«* schwere Deformhaltung ermöglichte ein recht deutlich si«*htbares Be¬ 
handlungsresultat. Die 3. Aufnahme (Fig. 36 b) zeigt den Kranken nach etwa 
örnonatiger Behandlung. Ich mache auf die absolut freie und ungezwungene 
Kumpfhaltung aufmerksam. Der Aenderung «ler Körperhaltung entspricht «las 
Behan«llungsr«‘sultat in allen amlcrn Krankheitserschcinungen. 

37. Deformha 1 tu ng der W irbe Isäu 1 e. Ky phosen h a 11 ung, R u mpf- 
brugung (Fig. 37 u. 37a, Taf. XV). Eine Steigerung «ler D**formhaltung, 
welche «l«*r vorig«* Fall «larstellte. Der höchste firad, den ich bisher gesehen 
habe. 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Objektive Symptome der Insufficientia vertebrac. 


303 


Sehr deutlich zeigen die Bilder die krampfhafte Spannung der ganzen 
Rumpfmuskulatur. Charakteristiseli der starre, leidende Gesichlsausdruck. 

Besonders mache ich auf das Zusammenfällen der Hände aufmerksam, 
welches im Sitzen dieser wie der vorige Patient ganz gleiehmässig ausfiihn. 
Patient ist im Feld über eine Schranke gestürzt. Darnach Schmerzen in Brust 
und Bauch, die aber bald besser wurden. Kam wieder zur Truppe. Nun trat 
erst das Zusammensinken des Rumpfes auf. An der Wirbelsäule der typische, 
schwere Insuffizienzbefund. Zittern an Armem und Beinen, das sich bis zu 
allgemeinen Zitterkrämpfen steigert. Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Sehstürung, 
Schmerzen in Rumpf und Beinen. 

Insuffizienzbehandlung, prompter Frfolg. 

38. D e für m h a 11 u n g eines B eines als Zeichen e i n e r t i e f s i l z e n d e n 
Wirbelsäulenerkrankung (Fig. 38, Taf. XV). Patient stellt das rechte 
Bein im Hüftgelenk in Beugung und Abduktion. Beim (ielien bewegt er das¬ 
selbe von dieser Haltung aus nur in der Richtung der Flexion. Es kommt 
dadurch ein typisches Hinken zustande. Stellt der Patient die Beine parallel, 
so stellt sich das Becken schief und es entsteht eine skoliotische Einstellung 
der Wirbelsäule: das Bild der Ischias seoliotica. Patient ist nach einem Sturz 
mit dem Pferd an „Ischias“ erkrankt. Die üblichen Behandlungen haben die 
Ischias in 1 2 Jahr nicht gebessert. Mit Ruhekur. Gipsbett. Korsett. Beschwerde¬ 
freiheit in 2 Wochen erzielt. An der Wirbelsäule die untersten Lendenwirbel 
druck- und klopfempfindlich. 

39. D e f o r m h a 11 u n g d e s R u in p f c s u n d d c r B e i n c (Fig. 39 u. 39 a, 
Taf. XV). Der Rumpf wird durch straffe Muskelspannung (s. Falten über den 
Bauch) in Beugestellung und Neigung nach rechts gehalten. Beide Hüften 
werden in Bcugcstellung muskulär fixiert, ln den Hüften werden Bewegungen 
nur im Sinne der Beugung ausgeführt. Gang erfolgt mit kleinen Schritten aus 
den Knien. Starke Glutäenspannung. Patient klagt über ausserordentlich 
schwere Ischiasschmerzen, kommt mit der Diagnose „doppelseitige Ischias“ 
in Behandlung. An der Wirbelsäule der typische schwere Insuffizienzhcfund. 
In der Anamnese (Zivilpraxis) kein Trauma. I nter starken Morphiumdosen 
wird die Wirbelsäule gestreckt und ein Rumpfgipsverband angelegt. Nach 
24 Stunden ist die „Ischias“ verschwunden. Fortführung der Kur mit Korsett 
und Gijjsbett. Patient ist seit über Jahresfrist beschwerdefrei geblieben. 

40. Deform h alt ung der Wirbelsäule und einer Hüfte (Fig. 40 u. 
40a. Taf. XV). Die beiden Aufnahmen sollen durch ihre Xebcneinanderstcllung 
zeigen, wie die Deformhaltung des Rückens verdeckt werden kann. 

Auf dem ersten Bild steht der Patient ziemlich gerade. Fr stützt sich 
auf das rechte Bein. Das linke Bein ist in der Hüfte leicht gebeugt und 
abduziert. Der Rücken zeigt eine mässige Neigung nach rechts. 

Auf der zweiten Aufnahme ist die Figur wiedergegeben, die Patient durch 
die Aufforderung gewinnt, beide Heine parallel nebeneinander zu sied len. Fr 
neigt den Rumpf nach vorn, lordosiert in der Lendenpartie sehr stark und 
hängt scharf nach rechts über. Die Erklärung für diese Armierung: Die Wirbel¬ 
säulenhaltung auf der ersten Aufnahme zeigt die pathologische Eigenhaltung 
der Säule und die durch Muskelspannung gegebene 1 liiftstelhing. Nehme ich 
der Hiiftstcllung die Möglichkeit, sieh durch Kniebeugung und Spiizfuss 
auszuglciehcn, so muss der Ausgleich im Rumpf erfolgen und ich erhalte 
zu der pathologischen ’Wirbelsäulenhaltung noch eine sekundäre Ausgleichs- 
Stellung hinzu. 

Fs handelt sich um den Fall, der schon in Figur 33 dargestellt ist. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



A. Sr luili/, 


Digitized by 


304 


Kritik und Schlusswort. 

Es ist eine recht stattliche Sammlung von Bildern und Fällen, 
die ich hier vorgefiihrt habe. 

Beweist sie, was sie beweisen soll? -— Sind das objektive 
Symptome der Insufficientia vertebrae? 

Zu Beantwortung dieser Fragen wird man kommen können 
über die Beantwortung der Vorfragen: 1. Zeigen die Photographien 
überhaupt krankhafte Erscheinungen? 2. Zeigen sie eine Gruppe 
wesensverwandter Krankheitserscheinungen? 3. Sind cs Wirbel¬ 
säulensymptome? 

Die erste dieser Vorfragen darf wohl kurzerhand bejaht werden. 
Es können vielleicht Zweifel an der pathologischen Bedeutung der 
Kontraktur der langen Rückenmuskeln bestehen. Sie verschwinden, 
wenn man einmal die eigene Härte dieser Stränge gefühlt hat und 
wenn man damit vergleicht, wie sich eine normale, stark ent¬ 
wickelte und normal kontrahierte Rückenmuskulatur anfühlt. 

Ks wird vielleicht auch die pathologische Deutung gewisser 
Aeusserungcn des Stützbedürfnisses nicht jedem sofort klar sein. 
Derartiges muss man eben sehen lernen. Am einzelnen Fall geht 
man vorüber. Erst die regelmässige Wiederkehr weckt unsere Auf¬ 
merksamkeit und die regelmässige Verbindung mit anderen Er¬ 
scheinungen ermöglicht die Deutung. 

Damit komme ich an die Beantwortung meiner zweiten Vor¬ 
frage. Habe ich hier eine Gruppe wesensverwandter Krank¬ 
heitserscheinungen abgebildet, oder habe ich ein Sammelsurium von 
Bildern zusammengestellt, die sich innerlich nichts angehen? 

Wenn man meine Sammlung in ihrer Reihenfolge durchgeht, 
so wird man die gruppenweise Anordnung und das gruppenweise 
Zusammenpassen der Fälle zunächst sicherlich anerkennen. Wir 
haben eine Gruppe mit der Kontraktur der langen Rücken¬ 
muskeln mit der Steigerung zur Kontraktur aller Rückgrats¬ 
muskeln. Wir haben eine Gruppe mit Störungen der Wirbel¬ 
säulenbeweglichkeit. Wir haben weiter die Gruppe, welche 
das Stützbedürfnis der Wirbelsäule erkennen lässt, und die 
Gruppe der Deformhaltungen. 

Nun die Frage: Gehören nicht nur die Fälle innerhalb der 
der Gruppen, sondern auch die einzelnen Gruppen unterein¬ 
ander zusammen? 

Auch diese Frage ist zu bejahen. 

Eine ganze Reihe von Fällen wird in mehreren Gruppen an¬ 
geführt. Ich benutze denselben Patienten um die Kontraktur der 
langen Rückenmuskeln und das Slürzbcdürfnis zu demonstrieren. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



305 


Objektive Symptome der Insufficientia vertebnie. 


z. B. 4 und 8, 5 und 10 zeigen an demselben Kranken die Kon¬ 
traktur der Rückenmuskeln und die Deformhaltung und die Be¬ 
weglichkeitsstörungen der Wirbelsäule. 

Im übrigen reihen sich die Fälle wie Stein an Stein. Das 
Symptom, welches an dem einen eben zu erkennen ist, tritt beim 
nächsten wuchtig hervor. Es tritt im dritten Fall wieder zurück, 
aber nicht weil es nicht vorhanden, sondern weil es durch ein neues 
mächtigeres in den Hintergrund geschoben wird. Glied an Glied 
geht durch meine Sammlung eine fortlaufende Kette hindurch. Es 
ist Wesens verwandtes, was zur Darstellung gebracht wird. 

Eingehender muss die Frage beantwortet werden: Zeigt meine 
Sammlung Wirbelsäu 1 ensv m pto m e? 

Wer gelernt hat, eine Spondylitis nicht erst aus dem Gibbus 
zu diagnostizieren, der wird als wirbelsäulenkrank sofort die Fälle 
anerkennen, welche das Stützbedürfnis und die ßewegungsbehinde- 
rung der Wirbelsäule demonstrieren. Alle unsere Lehrbücher er¬ 
zählen, dass an Spondylitis erkrankende Kinder, ehe der Gibbus 
heraustritt, sehr oft über Bauchschmerzen und ähnliches klagen, 
dass sie nach Halt und Stütze für die Wirbelsäule suchen 
und dass sie Bewegungen der erkrankten Partie ver¬ 
meiden. 

Dass auch Deformhaltungen der Wirbelsäule das erste auf¬ 
fällige Symptom einer Spondylitis sein können, ist weniger bekannt. 
Welcher Orthopäd hat aber noch nicht eine Spondylitis in die Hand 
bekommen, die zuerst als Skoliose mit Turnen behandelt worden 
ist? Die Ursache dieser Fehlgriffe liegt darin, dass die beginnende 
Spondylitis eben nicht selten Deformhaltungen erzeugt, die einer 
Skoliose ersten Grades gleichen, wie ein Ei dem anderen. 

Dass Veränderungen der normalen antero-posterioren Krüm¬ 
mungen, also abnorme Streckhaltungen, abnorme Lordosen und 
Kyphosenstellungen bei Wirbelsäulencrkrankungen auftreten können 
und dass ihr Bestehen in erster Linie auf Wirbelsäulenerkrankungen 
hindeutet, braucht nicht bewiesen zu werden. 

Auch die Zwangshaltungcn im Hüftgelenk, wie sie z. B. Fig. 38 
zur Darstellung bringt, wären bei einer Spondylitis lumbalis nichts 
Auffälliges. 

Unbekannt als Wirbelsäulensymptom ist von alledem, was 
ich abgebildet habe, bisher eigentlich nur die Kontraktur der 
langen Rückenmuskeln. 

Wenigstens habe ich sie nirgends beschrieben gefunden. Ab¬ 
gebildet ist sie überall. 

Man suche unsere Lehrbücher durch. Man wird erstaunt sein, 
wie oft auf Abbildungen, welche Spondylitisfälle zeigen, die Stränge 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


30(5 A. Scli ;i n 

zu linden sind, welche die ersten Bilder meiner Sammlung zur 
Darstellung bringen. 

Ganz besonders finden wir diese Kontrakturen auch auf Bildern, 
welche traumatische Spondylitis darstellen. Die beiden Patienten, 
welche Hoffa in der 6. Auflage seiner Orthopädie im Kapitel 
Spondylitis traumatica nach Heidenhain wiedergibt, könnte ich 
ohne weiteres in meine erste Gruppe einreihen. Die Abbildungen 
sind übrigens im Original — .Monatsschrift f. Unfallheilkunde 97. 
Nr. 2 — wesentlich besser. Wir kommen also auch zur Bejahung 
der Frage, ob die vorgeführten Symptome Wirbelsäulen¬ 
symptome sind. 

Sind sie aber richtig gedeutet als Insuffizienzsymptome? 

Ich berufe mich bei dem Beweis, dass es sich um Wirbel¬ 
säulensymptome handelt, darauf, dass wir diese Erscheinungen bei 
Spondylitis sehen. Habe ich damit nicht meinen Fällen schon ihre 
Einordnung in unser pathologisches System gegeben? Sind meine 
Fälle nicht eben Spondylitis fälle? Es brauchen ja nicht tuber¬ 
kulöse Entzündungen zu sein. Wir kennen ja rheumatische und 
ähnliche, und wir kennen auch eine traumatische Spondylitis. 

Diese Schlussfolgerung liegt nahe, aber sie ist falsch. 

Die von mir vorgeführten Symptome entwickeln sich bei einer 
tuberkulösen oder andersartigen Spondylitis. Ich sehe sie als Spät¬ 
folgen von allerlei Wirbelsäulentraumen. Ich sehe sie sich aber 
auch unmittelbar an solche anschliessen. Das Trauma kann eine 
Fraktur erzeugt haben: braucht es aber nicht. 

Ich sehe meinen Symptomenkomplex bei einer osteomalaeischen 
Erkrankung der Wirbelsäule. Ich sehe ihn auch, wo kein Anatom 
mir einen krankhaften Befund an der Wirbelsäule nachweisen kann. 

In allen diesen anatomisch einander so fremden Zuständen 
sehe ich dasselbe scharf umrissene Krankheitsbild. 

Ich kann daneben aber auch Fälle stellen, wo die anatomischen 
Läsionen der Wirbelsäule, die ich genannt habe, das Bild nicht 
erzeugen. Ich verweise nur auf die Wirbelsäulenbrüche. Wo das 
Röntgenbild einen alten Bruch zeigt, braucht von unseren subjek¬ 
tiven und objektiven Symptomen nicht die Spur vorhanden zu sein. 

Wenn ich den Verweis auf das Vorkommen der von mir dar¬ 
gestellten Symptome bei der Spondylitis benutze, um diese Symptome 
als Wirbelsäulensymptome zu kennzeichnen, so war dies richtig. 

Ich hätte ebenso den Beweis führen können, indem ich auf 
ihr Vorkommen bei Wirbelsäulen brächen verwies. Nur ist das 
Symptomenbild der Wirbelsäulenbrüche weniger allgemein bekannt. 
Falsch wäre aber der weitere Schluss, dass jene Symptome 
Spondylitis- oder Wirbel bruchsymptome sind: denn unser 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Objektive Symptome der Insufficientia vertebrae. 


307 


Symptomenkomplex ist zwar in diesen Fällen meist vorhanden, 
aber nicht unbedingt. 

Wir müssen die Erklärung finden, warum unser Symptomen¬ 
komplex bei so verschiedenen Erkrankungen wie Spondylitis und 
Wirbelbruch auftritt, warum er aber nicht in jedem dieser Fälle 
da ist, warum er bei soundsoviel anderen pathologisch-anatomischen 
Zuständen der Wirbelsäule vorkommt, warum aber auch, wo ana¬ 
tomisch nichts nachweisbar ist. 

Die einzig durchschlagende Erklärung gibt die Lehre von der 
statischen Insuffizienz. 

Eine entzündliche Erkrankung, ein Trauma mit oder ohne 
Erzeugung einer Fraktur, eine Osteomalacie ist imstande, die sta¬ 
tische Leistungsfähigkeit der Wirbelsäule herabzusetzen. Es kann 
die Wirbelsäule aber auch ohne sichtbare Veränderungen statisch 
minderwertig sein oder werden. Es können die normale Tragkraft 
weit übersteigende Tragansprüche an sie herantreten. In allen 
diesen Fällen erhalte ich eine Störung des Belastungs¬ 
gleichgewichtes. Eine solche Störung ist ein krankhafter 
Zustand, der an der Wirbelsäule so gut wie am Fuss oder einem 
anderen Teil des Traggerüstes unseres Körpers seine Erscheinungen 
machen muss und macht. 

Gleiche Ursachen, gleiche Folgen! W T ir müssen überall, wo 
das Belastungsgleichgewicht gestört wird, das für diese Störung 
charakteristische Krankheitsbild erhalten. 

Der von mir unter der Bezeichnung Insufficientia vertebrae 
beschriebene Symptomenkomplex ist das typische Bild, 
unter dem die Störung des Belastungsglcichgewichtes an 
der Wirbelsäule in Erscheinung tritt. 

Dieser Symptomenkomplex muss auftreten und tritt auf, wo das 
Belastungsgleichgewicht an der Wirbelsäule aus der Balance kommt. 

Alle Erkrankungen der Wirbelsäule, alle Schädigungen, die 
geeignet sind, ihr Belastungsgleichgewicht zu stören, müssen den 
Symptomenkomplex der Insuffizienzerkrankung auslösen, sowie sie 
den Wagbalken schief stellen. 

Dieselben Erkrankungen und dieselben Schädlichkeiten werden 
spielen und werden nachzuweisen sein ohne die Insuffizienz¬ 
erscheinungen, solange sie die Wage nicht verschoben haben, oder 
sobald deren Balken aus irgend einem Grund wieder ins Gleich¬ 
gewicht zurückgekehrt ist. 

Hier ist die Erklärung für die auffällige Erscheinung, dass der 
Symptomenkomplex def Insuffizienzerkrankung bei so vielerlei im 
pathologisch-anatomischen System so fern von einander stehenden 
Zuständen auftritt, dass er bei denselben pathologisch-anatomischen 

Archiv für kliu. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2. 21 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



308 A. Schanz, Objektive* Symptome der Insuffioicntia vertebrae. 


Digitized by 


Veränderungen in so wechselnder Stärke erscheint, ja dass er bei 
demselben anatomischen Befund in höchster Entwicklung vorhanden 
sein aber auch völlig fehlen kann. 

Hier haben wir vor allem auch Wegweiser und Massstab 
für die Behandlung. 

Wo das Krankheitsbild von den Iftsuffizienzerscheinungen be¬ 
herrscht wird, da bildet die Insuffizienzerkrankung, da bildet 
die Störung des Belastungsgleichgewichtes den Angriffspunkt für 
unsere Therapie. Die Aufgabe der Therapie heisst Herstellung 
des Belastungsgleichgewichtes. 

Ob unsere Massnahmen richtig oder falsch sind, das lesen wir 
ab von der Linderung oder Steigerung der Insuffizienzsymptome. 
Es ist wunderbar, wie scharf diese Reaktionen sind. 

Wenn man diese InsufGzienzerkrankungen der Wirbelsäule zu 
diagnostizieren gelernt hat, wenn man ihre Indikationen zu stellen 
weiss, wenn man die therapeutischen Mittel zu deren Erfüllung 
beherrscht, so sind diese Fälle, die sonst eine so üble Prognose 
bieten, ein Material von seltener Dankbarkeit. 


Literatur. 

A. Sclian/.. Ein Typus von Schmerzen an der Wirbelsäule. Yerhandl. d. 
(>. Kongr. d. Deutsch, orthop. Gesellschaft. — Eine typische Erkrankung 
der Wirbelsäule (lnsufficientia vertebrae). Berl. klin. Wochensehr. 1907. 
Nr. 31. — lnsufficientia vertebrae und Skoliose. Berl. klin. Wochenschr. 
1909. Xr. 43. — Geber lnsufficientia vertebrae. Die Heilkunde. 1909. 
Heft 11. — Kann Gymnastik in der Skoliosenbehandlung schädlich 
wirken? Areli. f. klin. Chir. Bd. 88. Heft 4. — Geber Skoliosen¬ 

behandlung. Arrh. f. klin. Chir. Bd. 102. Heft 3. — Physiologische 
Krankheitsbilder in der Orthopädie. Yerhandl. d. 9. Kongr. d. Deutsch, 
orthop. Gesellschaft. - Zur Diagnostik der Wirbclsäulenerkrankungen. 
Ccntralbl. f. Chir. 1914. Nr. 8; und Yerhandl. d. 13. Kongr. d. Deutsch, 
orthop. Gesc 1 lschaft. 

Zuclzer, Geber lnsufficientia vcrtebrae-Schanz. Med. Klin. 1910. 
Chevalier, Contribution ä Tetude de Tinsuffisance vertebrale. These de Paris. 
191L 

Denuce, I/insuffisance vertebrale. Revue d’orthopedie. 1910. 

May et, Societe des chirurgiens de Paris. Presse mcd. 1910. 

Bardon. Contribution ä Tetude de Tinsuffisance vertebrale. Bordeaux 1911. 
De nur e. Chirurgie et orthopedie du rrane, du rachis etc. Maladics des c-nfants. 
Paris. J.-B. Baillirre & Fils, 1913. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



XI. 


Die Gefahren der Lumbalpunktion. 

Von 

Dr. 0. Schönbeck. 

Die von Quincke (1) ira Jahre 1891 angegebene Lumbal¬ 
punktion war ursprünglich eine rein therapeutische zur Behandlung 
des Hydrocephalus. Nachdem der Zusammenhang der Subarach- 
noidealräumc des Rückenmarkes sowohl mit denen des Hirns, als 
auch mit den Hirnventrikeln durch eine frühere Arbeit Quincke’s (2) 
und durch die berühmten Untersuchungen von Key und Retzius (3> 
erwiesen war, lag der Gedanke nahe, die überschüssigen Liquor¬ 
mengen am tiefsten Punkte des zusammenhängenden cerebrospinalen 
Liquorsackes durch Einstich einer Kanüle gleichsam abzuzapfen. 
Dass dies ohne Verletzung des Rückenmarkes geschehen kann, liegt 
in der anatomischen Eigentümlichkeit begründet, dass schon in der 
Höhe des 1. Lendenwirbels das eigentliche Rückenmark im Conus 
medullaris aufhört. Weiter abwärts erstreckt sich nur ein rudimen¬ 
tärer, funktionsuntüchtigerTeil des Rückenmarks, dasFilum terminale, 
und seitlich davon liegen die Nervenfasern der Cauda equina, zu 
zwei seitlichen Strängen angeordnet. So bleibt in der Mitte zwischen 
ihnen im Cavum subarachnoideale ein Raum frei, in den die Nadel 
durch die Jnterarkualräume hindurch ohne Verletzung der Nerven 
eindringen kann. Diese topographischen Verhältnisse sind gleich¬ 
falls von Key und Retzius beschrieben und abgebildet worden. 

Mit dem Ablassen des überschüssigen Liquors wurde zugleich 
eine Verminderung des Hirndrucks angestrebt. Allmählich wurden 
die therapeutischen Indikationen der Lumbalpunktion weiter aus¬ 
gedehnt. Bekannt sind die Resultate Lenhartz’s (4) bei Chlorose. 
Selbst die bis dahin für unbedingt tödlich gehaltene Meningitis 
tuberculosa wurde therapeutisch in Angriff genommen, nachdem 
ein erster Fall von Freyhan(5) mit Ausgang in Heilung bekannt 
geworden war. Seitdem sind mindestens 20 ähnliche Fälle in der 
Literatur mitgeteilt. Glänzende Erfolge zeigte die Lumbalpunktion 
bei der Meningitis serosa (Quincke), die sogar erst mit Hilfe der 
Lumbalpunktion entdeckt wurde. Aber die therapeutisch günstige 

21 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



310 


O. Srhünberk, 


Digitized by 


Wirkung der Lumbalpunktion war nicht unbestritten, v. Leyden (6; 
nahm von der Lumbalpunktion bei Chlorose Abstand, weil er keinen 
Erfolg sah, und ihm die Berechtigung dieser Punktionen nicht ganz 
zweifellos war. Viel umstritten war auch der Erfolg der Lumbal¬ 
punktion bei Hirntumoren, hier als druckentlastende Operation ge¬ 
dacht. Fürbringer (7), Kieken (8), Fleischmann (9), Stadel¬ 
mann (10), Benischek (11) berichten über ungünstige Erfahrungen, 
während Lenhartz (12), Quincke (13) und Siemerling (14) 
guten Erfolg sahen. Ferner wurde die Lumbalpunktion bei trau¬ 
matischen und nichttraumatischen Blutungen von Hirn und Rücken¬ 
mark mit ähnlich widerstreitenden therapeutischen Erfahrungen an¬ 
gewandt. Neuerdings empfiehlt Klapp (15) häufige und grosse 
Lumbalpunktionen kombiniert mit Bier’scher Stauung am Halse 
bei Meningitis nach Laminektomie wegen Schussverletzung des 
Rückenmarks. Steinebach (16) sah Erfolg bei Delirium pota- 
torura und Schemensky (17) berichtet über günstige Resultate 
bei Typhus. 

Es würde zu weit führen, im Rahmen dieser Arbeit auf die 
therapeutische Bedeutung der Lumbalpunktion näher einzugehen, 
zumal die Meinungen über ihre Wirksamkeit oder Unwirksamkeit 
teilweise noch weit auseinandergehen. 

Wenn die Lumbalpunktion heute ein ungemein häufig aus- 
geführtcr, ganz alltäglicher Eingriff ist, so verdankt sie das weniger 
ihrer therapeutischen Bedeutung als vielmehr ihrer hohen Wert¬ 
schätzung als diagnostisches Hilfsmittel ersten Ranges. Es soll 
hier nur auf die Bedeutung des Lumbalpunktats für die Diagnose 
<ler epidemischen Cerebrospinalmeningitis, die Erkennung von Hirn- 
und subkutanen Schädelverletzungen bei Bewusstlosen, die Unter¬ 
scheidung von Unfallneurose und posttraumatischer Meningitis serosa 
mit ihrer diametral entgegengesetzten Therapie hingewiesen werden. 
Geradezu ausschlaggebend kann der Ausfall der Liquoruntersuchung 
für Tabes und Paralyse sein. Die Literatur über die diagnostische 
Lumbalpunktion hat sich enorm ausgebreitet. Die besonders in 
Frankreich gepflegte sog. Cvtodiagnostik ist ein eigenes Spezial¬ 
gebiet geworden und umfasst doch wieder nur einen Teil der durch 
Lumbalpunktion gewonnenen diagnostischen Ergebnisse. 

Eine weitere wichtige Anwendung hat die Lumbalpunktion als 
Mittel zum Zweck der zuerst von dem Amerikaner Corning, 
später von Bier (18) inaugurierten Lumbalanästhesie erfahren. 

So wird es verständlich, dass die Lumbalpunktion einen ganz 
alltäglichen Eingriff darstellt. Unter solchen Umständen könnte 
die Frage nach den Gefahren der Lumbalpunktion fast seltsam 
berühren, und doch bestehen sie unzweifelhaft, wenn sie auch dem 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


311 


Praktiker bei der Alltäglichkeit des Eingriffs nicht immer im Be¬ 
wusstsein sind. 

Im Folgenden soll nun untersucht werden, welche Belege für 
die behauptete Gefährlichkeit der Lumbalpunktion in der Literatur 
niedergelegt sind, worin die Gefahren begründet sind und wodurch 
ihnen zu begegnen und vielleicht vorzubeugen wäre. 

Die Technik der Lumbalpunktion ist allgemein bekannt. 
(Quincke (1) hat bei seiner ersten Mitteilung auf dem Kongress 
für innere Medizin, 1891, und in späteren Veröffentlichungen 
[Quincke (19) und (20)] die genauesten Anweisungen gegeben. 

Die bei der Lumbalpunktion in Betracht kommenden topo¬ 
graphisch-anatomischen Verhältnisse sind von Juvara (21) und von 
Krönig und Gauss (22) eingehend beschrieben worden. Häckel 
und Bardeleben (23) bringen eine besonders deutliche Abbildung 
in dieser Beziehung. 

Die genaue Kenntnis der Topographie ist wichtig, weil sie 
ein Vermeiden gewisser Schwierigkeiten bei der Lumbalpunktion 
gestattet. 

Stadelmann (24) gibt an, dass bei ungebärdigen Kranken 
die Orientierung über die Einstichstelle wegen der Unmög¬ 
lichkeit, die Dornfortsätze deutlich abzuzählen, sehr misslich sein 
kann. Eine gute Hilfe bietet da die Regel, dass eine Verbindungs¬ 
linie der Dornbeinkämme den Darmfortsatz des 4. Lendenwirbels 
schneidet. Juvara (21) hat das Markieren des Zwischenwirbel¬ 
rauraes durch festes Andrücken einer Pinzette nützlich gefunden. 
Schwierigkeiten, in den Lumbalkanal einzudringen, sah Grunert(25) 
bei sehr fettreichen Individuen und bei Kyphose, Nissl (26) bei 
Lordose und Kyphose und Grober (27) infolge reichlichen Narben¬ 
gewebes, das von häufig ausgeführten Punktionen herrührte. 
Braunstein (28) fand die gebräuchlichen, 10 cm langen Nadeln 
des Quincke’schen Bestecks zu kurz. Er benutzt deshalb solche 
von 13 cm Länge. Fürbringer (7) ist zweimal in das an der 
Aussenfläche der Dura gelegene Bindegewebe geraten, Rieken (8) 
und Stadelmann (24) sind wiederholt auf Knochen gestossen. 
Gumprecht (29) gibt als gewöhnliche Erscheinung an, dass man 
anfangs durch den Lumbalsack hindurch in die Wirbelkörper fährt 
und das richtige Abschätzen der Verhältnisse erst allmählich 
erlernt. Er befürwortet allerdings ein Einstossen der Kanüle mit 
erheblicher Kraftentfaltung. Das dürfte sich namentlich bei 
Kindern im Hinblick auf die von Fürbringer (7) betonte Möglich¬ 
keit eines Durchstechens der Zwischenwirbelknorpel mit eventueller 
Aorten Verletzung nicht empfehlen. Juvara (21) vergleicht das 
Gefühl beim Durchstechen der Dura mit dem, welches man beim 


Digitized by 


Gck igle 


Original fmm 

UNIVERSUM OF IOWA 



312 


0 . S <■ liö n 1 ) eck , 


Digitized by 


Stich durch Pergament hat. Für solche feineren Tastempfindungen 
ist aber langsameres Vorgehen notwendig. Das oben erwähnte 
Aufstossen auf Knochen beruht auf der besonderen Gestaltung der 
Interarkualräume. Die Dornfortsätze zeigen ein individuell ver¬ 
schiedenes Verhalten. Mitunter sind sie mehr schräg abwärts ge¬ 
richtet, häufig stehen sie mehr gerade, haben aber an ihrem unteren 
Rand einen Vorsprung nach unten. Dadurch kann der Einstich in 
der Medianlinie, der bei Kindern wegen der geringen Grösse der 
Dornfortsätze stets möglich ist, bei Erwachsenen unmöglich werden. 
Quincke (19) gibt über diese anatomischen Verhältnisse Abbil¬ 
dungen, und Braun (30), der die Quincke’sche Darstellung be¬ 
mängelt, gibt von Merkel gezeichnete etwas modifizierte Figuren, 
die den tatsächlichen Verhältnissen am besten entsprechen. Am 
zweckmässigsten ist Einstich l / 2 —1 cm seitlich der Medianlinie mit 
Richtung rein horizontal nach der Medianebene zu. Nimmt man 
zugleich die Richtung etwas aufwärts, so kann man bei mehr ge¬ 
rade gestellten Dornfortsätzen schon auf den Bogen des Wirbels 
stossen. Man kann übrigens in der Tiefe die Richtung der Nadel 
noch ändern. 

Wenn nun glücklich die Punktionskanüle den Dural-Arach- 
noidealsack durchdrungen hat, so kann trotzdem der erwartete 
Liquorabfluss ausbleiben. Dieses Ereignis nennt man Punctio sicca. 
Sie wird von zahlreichen Autoren erwähnt. Grunert(31) sah als 
Grund der Punctio sicca sulziges Gewebe im Spinalkanal und Oedera 
der weissen Substanz des Rückenmarks, während Quincke (32) 
sie für einen technischen Fehler hielt. Stadclmann (10) führt 
folgende Gründe für die Punctio sicca an: 1. Verengerung, Ver¬ 
legung, Verstopfung der Kommunikationsöffnungen zwischen dem 
Subarachnoidealraum des Rückenmarks und den Hirn Ventrikeln, 
bedingt durch Tumoren oder Entzündungsprozesse. 2. Der Subarach¬ 
noidealraum ist gleichsam obliteriert, Arachnoidea und Pia sind 
zu einer sulzigen Masse verbacken. 3. Eiterflocken füllen den 
Subarachnoidealraum aus und lassen keine Flüssigkeit in die 
Kanüle gelangen. 4. Man gelangt überhaupt nicht in den Subarach¬ 
noidealraum, sondern in den Subduralraum. Stadelmann hat 
diesen Befund bei Meningitis tuberculosa wiederholt durch Sektion 
erhoben. Der normal nur kapilläre Subduralraum war ausgedehnt 
und enthielt Eiteransammlung. Der letztere Grund für die Punctio 
sicca ist vielfach angezweifelt worden. Fürbringer (33) sah in 
einem Fall von Meningitis tuberculosa die ganze Hirnbasis von 
einer sulzig-ödematösen Masse eingehüllt und fand darin die Er¬ 
klärung für 14, selbst bei Aspiration ergebnislose Punktionen, 
denen am nächsten Tage H weitere, bis auf wenige Tropfen Blut 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


313 


negative Punktionen folgten. Die Sektion zeigte, dass im Spinal¬ 
sack keine Flüssigkeit vorhanden war, trotzdem die Ventrikel reich¬ 
liche Mengen klaren Liquors enthielten. Landon (34) sah bei 
Punctio sicca gelatinöse Flüssigkeit im 4. Ventrikel, Naunyn(35) 
dicken Eiter im Spinalsack und Krönig (36) alte meningitische 
Schwarten und frische fibrinöse Ausschwitzung. Letzterer betont 
das besonders häufige Vorkommen der Punctio sicca bei Potatoren 
und schuldigt hierbei eine schleichend verlaufende Meningitis an. 
Schlesinger (37) führt als Ursache für Punctio sicca bei Me¬ 
ningitis tuberculosa der Kinder ventilartigen Verschluss des Hinter¬ 
hauptloches an, entstanden durch hochgradige Dilatation der Hinter¬ 
hörner infolge von Hydrocephalus internus. Braun (30) erlebte 
bei Meningitis nach Sinusthrombose an einem Tag dreimalige 
Punctio sicca, während am nächsten Tag 32 ccm unter hohem 
Druck ausflossen, und Lenhartz (12) erwähnt die Punctio sicca 
zweimal bei schwerer Meningitis cerebrospinalis. Einen besonders 
interessanten Fall von Punctio sicca teilt Newmark (38) mit, wo 
ein extramedulläres Psammom in der Höhe des Dorsalmarks den 
Wirbelkanal verlegt hatte. Krönig (39) konnte durch Einspritzung 
von 6 ccm steriler Kochsalzlösung einen die Kanüle obturierenden 
Eiterpfropf wegspülen und so doch noch zu einem positiven Er¬ 
gebnis kommen. Den peinlichen Eindruck einer Punctio sicca in 
der Privatpraxis hebt Fleischmann (9) besonders hervor, der 
sonst dem Vorgang, der auch ihm mehrmals begegnete, nicht all¬ 
zugrosse Bedeutung beimisst. Wenn wir bedenken, dass als Ur¬ 
sache der Punctio sicca auch Kommunikationsverlegung am Foramen 
magnum gefunden wurde, dürfte diese Ansicht doch etwas be¬ 
denklich erscheinen, wie weiter unten noch ausführlicher dargelegt 
werden soll. Auch im Falle Newmark, wo die Kommunikations¬ 
verlegung erst weiter unten im Dorsalmark sass, hatten sich im 
Anschluss an die Punctio sicca jedenfalls bedenkliche Lähmungs¬ 
symptome eingestellt. Auch davon soll in einem späteren Ab¬ 
schnitt näher berichtet werden. 

Handelt es sich bei den bisher geschilderten Zufällen mehr 
um Unannehmlichkeiten, so bietet das wiederholt beschriebene Ab¬ 
brechen der Kanüle eine wirkliche Gefahr. Wenn bei noch 
liegender Nadel eine plötzliche Lageveränderung, Aufrichten, Strecken 
der Wirbelsäule oder kräftige Anspannung der Rückenmuskulatur 
stattfindet, so kann die Nadel über dem Wirbelkörper als Hypo- 
mochlion abgebrochen werden. Diese Erklärung gibt Gumprecht 
(40), der einen solchen Fall erlebte. Lenhartz (12) sah 2 Fälle, 
herbeigeführt durch unzweckmässige Behandlung der Punktions¬ 
nadeln in Karbollösungen, wodurch die Nadeln innen arrodiert 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



314 


O. Schön heck, 


Digitized by 


waren. Sehönborn (41) berichtet über wiederholtes Abbrechen 
von Stahlnadeln, und ähnliche Erfahrungen scheint Caille (42) ge¬ 
macht zu haben, denn er warnt dringend vor Lageveränderungen 
während der Punktion. Stadelmann (24) hat zweimal die Nadel¬ 
spitze abgebrochen, die im Knochen sitzen blieb. Torkel (43) 
musste in seinem Falle, wo der Kranke sich aufgerichtet hatte, 
den Processus spinosus des 4. Lendenwirbels abmeisseln, ehe er 
die abgebrochene Kanüle entfernen konnte. Das Bruchstück lag 
unter dem Processus spinosus, 2 cm unter der Haut. Es war 
durch den sich abwärts und vorwärts bewegenden Processus spinosus 
in den Zwischenwirbelknorpel eingepresst worden. Einen weiteren 
Fall von Abbrechen der Kanüle berichtet Anders (44), wo bei 
einem Kind plötzlich spastische Lordose eintrat und die Nadel ab¬ 
brach. Anders resezierte die beiden benachbarten Dornfortsätze 
und Wirbelbogen und eröffnete die Dura, ohne das Bruchstück 
wieder zu finden. Das Kind ging später an Scharlach zugrunde. 
Anders hatte in der Mittellinie punktiert, und Schmitz (45; rät 
daraufhin, die Lumbalpunktion etwas seitlich der Medianlinie zu 
machen, um bei plötzlichem Aufrichten ein Abzwicken der Nadel 
zwischen den Dornfortsätzen zu vermeiden. Eine gründliche Ab¬ 
hilfe stellen die Platiniridiumnadeln dar, wie Schönborn (41) an¬ 
gibt. Diese Nadeln brechen niemals ab, sondern sie verbiegen sich 
nur. Ihr einziger Nachteil ist ihr hoher Preis. 

Eine weitere Gefahr ergibt sich aus der Möglichkeit, mit 
der Punktionsnadel eines der zahlreichen venösen Blutgefässe zu 
verletzen, welche den Wirbelkanal in reichlichen Anastomosen 
auskleiden. Grössere Blutuugen sind verhältnismässig selten, aber 
immerhin in einer gewissen Zahl und von schwerwiegender Art 
beobachtet, ln den beiden Fällen von Henneberg (46) fanden 
sich umfangreiche Blutungen zwischen den Strängen der Cauda 
equina, die von einer Verletzung der das Filum terminale be¬ 
gleitenden Vene herrührten. Im ersten Falle (Meningitis tuber- 
culosa) fanden sich leichte meningitische Verklebungen, welche das 
Filum fixierten. Die Lumbalpunktion war im Hiatus Waldeyeri 
gemacht worden. Im zweiten Fall (Hirnabscess) fand sich an der 
Punktionsstelle Verwachsung einiger Nervenbündel mit der Dura, 
und die Nervenbündel selbst zeigten narbige Veränderungen. Üb, 
wie Henneberg meint, die Punktion im Hiatus wegen der ge¬ 
ringeren Entfernung der hinteren Fläche des Wirbelkörpers aus¬ 
schlaggebend gewesen ist, muss dahingestellt bleiben. Im zweiten 
Fall ist jedenfalls zwischen 3. und 4. Lendenwirbel punktiert worden. 
Auch Grunert(31) hat mehrmals Verletzung stärkerer Blutgefässe 
gesehen. Einmal fand er grössere Mengen geronnenen Blutes ira 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die (iefahren der Lumbalpunktion. 


315 


Lendenteil des Wirbelkanals. Minkowski’s (47) Fall zeigte eine 
bis zum Halsmark hinaufreichende Blutung, ohne dass das Ereignis 
hätte aufgeklärt werden können. In dem Falle von Schultz (48) 
fand sich eine ziemlich abundante, bis in die Gegend des Hals¬ 
marks reichende Subduralblutung. Dieser Fall hatte aber schon 
vor der Lumbalpunktion Zeichen hämorrhagischer Diathese gezeigt. 
Bogdanovici (49) führte seinen Todesfall nach Lumbalanästhesie 
auf die Lumbalpunktion zurück. Eine Entscheidung darüber ist 
schwer zu treffen. Was hier interessiert, ist, dass der ganze 
Wirbelkanal zwischen Pia und Arachnoidea mit Blutgerinnseln er¬ 
füllt war. Von den beiden, kurz aufeinander folgenden Punktionen 
hatte die erste Blut, die zweite klare Flüssigkeit ergeben. Hier¬ 
her gehört auch ein sehr bemerkenswerter Fall, den Quincke (50) 
in seiner bedeutsamen Arbeit: Zur Pathologie der Meningen 
mitteilt. Die Punktion hatte nur 2 ccm Blut ergeben und war 
wegen Auftretens von Schmerzen im linken Bein nicht zu Ende 
geführt worden. Als der Mann nach 3 Wochen entlassen werden 
sollte, stellten sich Lumbalschmerzen ein, die nach einem Spazier¬ 
gang noch heftiger wurden. Der Patient hielt dabei den Rücken 
vollkommen steif. Die Schmerzen besserten sich ganz allmählich 
im Laufe von 6 Wochen. Quincke erklärte den ungewöhnlichen 
Spätfall durch leichte Verletzung eines Blutgefässes bei der Punktion. 
Am Entlassungstage ist bei ausgiebiger Bewegung ein neuer Ein¬ 
riss an der noch etwas schadhaften Stelle aufgetreten. In einigen 
durch Sektion festgestellten Fällen sah übrigens Quincke (20) 
kleine fadenförmige Blutgerinnsel längs der Nervenwurzeln, die gar 
keine klinischen Erscheinungen gemacht hatten. Wenn in Für- 
bringer’s (33) schon erwähntem F'all nach 14 ergebnislosen Lumbal¬ 
punktionen, denen am nächsten Tage noch 6 weitere mit nur 
wenigen Tropfen Blut folgten, sich Blutgerinnsel bis zum Halsraark 
hinauf fanden, so ist ein solcher Befund eigentlich nicht ver¬ 
wunderlich. 

Wenn auch die Nervenwurzeln dank ihrer seitlichen Lage 
und der Möglichkeit, vor der punktierenden Nadel auszuweichen, 
meistens unbehelligt bleiben, so kann doch mitunter eine Zerrung, 
Anspiessung oder auch wohl Quetschung zwischen Nadel und 
Hinterwand des Wirbelkörpers stattfinden. Gewöhnlich kommt es 
dann zu einem blitzartigen, stechenden Schmerz oder schmerz¬ 
haftem Strecken der unteren Extremitäten, auch Gefühl des Ein¬ 
geschlafenseins kann auftreten. Solche Fälle sind von Nissl (26), 
Fürbringer (51), Maystre (52), Quincke (53 u. 20), Mvgind 
(54), Stadelmann (10) und von Bier (18) (an sich selber) beob¬ 
achtet. In einem Falle Fürbringer’s (7) haben ziemlich heftige 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


316 0. Schön heck, 

Schmerzen und Taubsein in einem Bein 2 Tage hindurch ange¬ 
halten. Aber auch schwerere Symptome können die Folge sein. 
Quincke (2) und Ossipow (55) sahen, allerdings nur in Tierver¬ 
suchen, erst im Laufe von Wochen vorübergehende Schwäche in 
den hinteren Extremitäten, Allard (56) berichtet über Ataxie und 
Schwindelgefühl bei einem Tabiker mit vorher nur unsicheren 
Initialsymptomen, die über 2 Wochen hindurch anhielten. Immer¬ 
hin sind durch diese Zwischenfälle keine dauernden Schädigungen 
eingetreten. 

Viel gewichtiger ist dagegen eine andere Kategorie von Para- 
paresen und Paresen, die durch Affektionen des Rücken¬ 
marks selbst zustande kommen. Durch Tumoren des Rücken¬ 
marks bedingte Störungen können durch die Lumbalpunktion enorm 
zunehmen. Oppenheim (57) sah bei einem extraduralen Fibrom 
des oberen Dorsalmarks nach der Lumbalpunktion aus einer 
spastischen Paraparese eine Paraplegic mit völliger Gehunfähigkeit 
und nunmehr vollständigem Verlust der-Kontrolle über Blase und 
Mastdarm entstehen. Newmark (38) erlebte einen ähnlichen Fall. 
Hier hatte nur eine ganz leichte Störung des Ganges und geringer 
Schmerz in der Leistengegend bestanden. Weil der Blutwasser¬ 
mann verschieden ausliel, sollte der Wassermann des Lurabal- 
punktats gemacht werden. Verschiedene Punktionen blieben er¬ 
gebnislos, aber am nächsten Tage traten Kopfschmerzen und 
Schwäche der Beine auf, und in 3 Tagen hatte sich fast voll¬ 
ständige Lähmung der linken und ausgesprochene Parese der rechten 
unteren Extremität herausgebildet. Beiderseits Babinski und Patellar- 
klonus, leichte Blasenstörung. Newmark stellte in Erinnerung an 
einen später mitzuteilenden Fall von Raven die Diagnose auf 
Kompression des Rückenmarks durch Tumor. Operation brachte 
Heilung. Zwischen Dura und Dorsalraark fand sich eine das Mark 
bis weit nach vorn umgreifende Geschwulst und oberhalb derselben 
w r ar der Duralsack mit Liquor gefüllt. In einem anderen Falle 
von Oppenheim (57) entstand bei einer schon fieberfreien Polio¬ 
myelitis acuta anterior im Anschluss an Lumbalpunktion innerhalb 
24 Stunden eine totale Lähmung des linken Beines und schlaffe 
Parese des rechten. Vorher hatte nur unvollkommene Lähmung 
des linken Beines bestanden. Nach 6 bis 8 Wochen war eine ge¬ 
ringe, aber nicht erhebliche Besserung eingetreten. Die hier her¬ 
vortretende Gefährlichkeit der Lumbalpunktion bei entzündlichen 
Affektionen des Rückenmarks soll weiter unten noch näher be¬ 
trachtet werden. Nicht recht aufgeklärt ist der Fall von Wolff 
(58). Hier ergab die Lumbalpunktion anscheinend reines Blut in 
rascher Tropfenfolge. Die beabsichtigte Lumbalanästhesie unter- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Geiahren der Lumbalpunktion. 


317 


blieb deshalb, und es wurde Chloroformnarkose angewandt. Nach 
einigen Stunden traten heftige Rückenschmerzen auf, die krampf¬ 
artig ausstrahlten. Am 2. Tage kamen starke Kopf- und Nacken- 
schraerzen hinzu. Am 5. Tage trat plötzlich rechtsseitige Abdu- 
censlähmung auf, die langsam in 8 Wochen verschwand. Viel¬ 
leicht muss hier die Blutung beschuldigt werden, die aus dem 
Hämatom dann Reizstoffe frei werden liess. Endlich kann nach 
Lumbalpunktion auch eine zerebrale Lähmung auftreten, wie dies 
Marinesco (59) beschreibt. Nach einer Punktion bei Hirntumor, 
die 12 ccm entleerte, trat gleich nachher tiefe Somnolenz ein, die 
bis zum nächsten Morgen andauerte. Nach dem Erwachen zeigte 
sich eine Hemiplegie links, bald darauf auch eine paretische 
Störung rechts. Als Grund zeigte die spätere Sektion einen rechts¬ 
seitigen hämorrhagischen Herd im Stirnhirn. Es handelte sich hier 
also um eine Lähmung, die eigentlich in ein späteres Kapitel 
(Blutung ex vacuo) gehört. 

Bei den bisher erörterten unangenehmen Folgen der Lumbal¬ 
punktion handelte es sich meist um leichtverständliche, grob¬ 
mechanische Wirkungen. Wir müssen jetzt ein viel grösseres Ge¬ 
biet von Schädigungen näher betrachten, bei denen der genauere 
Mechanismus noch nicht ganz aufgeklärt und Gegenstand der ver¬ 
schiedensten Auffassungen seitens der Autoren ist. Es handelt 
sich hier um jene Erscheinungen, die man unter dem Namen des 
Meningismus zusammengefasst hat. Einige Autoren wie Nissl (26), 
Frankhauser (60), Kutner (61) verglichen den Zustand sehr 
treffend mit der Seekrankheit. Die Beschwerden bestehen in Kopf¬ 
schmerzen, Uebelkeit, Erbrechen, Schwindel. Beim Liegen-befinden 
sich die Patienten verhältnismässig wohl, alle Beschwerden steigern 
sich jedoch bei der geringsten Bewegung und namentlich beim 
Aufrichten. Gewöhnlich treten die angeführten Erscheinungen erst 
5 —6—8 Stunden nach der Punktion ein und halten mehrere Tage 
bis zu 14 Tagen an. Sehr interessant sind die Versuche Nissl’s (26 > 
an Aerzten. Es traten hier die typischen Beschwerden auf, bei 
dem einen erst nach der 2. Punktion, bei einem andern, der 
14 Tage arbeitsunfähig war, zeigte sich zugleich eine auffallende 
Charakterveränderung. Nissl (26) und Schönborn (41) geben 
an, dciss die Erscheinungen um so heftiger waren, je weniger ver¬ 
ändert sich der Liquor erwies. Bier (18), der nach einem miss¬ 
lungenen Versuch zur Lumbalanästhesie an sich selbst die Folgen 
der Lumbalpunktion am Gesunden in typischer Weise spürte, hatte 
einen ziemlich bedeutenden Liquorverlust gehabt und schrieb der 
grösseren abgelassenen Menge die grösseren Beschwerden zu. 
Eine solche Beziehung scheint nach Schönborn (41) nicht zu be- 


Digitized 


bv Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



318 


0. Scli n n b r c k , 


Digitized by 


stehen, denn dieser Autor sah die heftigsten Erscheinungen bei 
Entnahme von nur 5 ccm und ein zweites Mal war gar kein 
Liquor entnommen worden. Am wenigsten reagieren solche 
Individuen, welche schon eine schwere Affektion des Ccrebrums 
besitzen, z. ß. die verschiedenen Formen von Meningitis, Basis¬ 
brüche, Paralytiker und Tabiker. Bei letzteren nimmt Milian (63> 
Analgesie als Grund dafür an. Andererseits reagieren nach dem¬ 
selben Autor Hysterische besonders stark, und Chotzen (63) 
meint, dass alle Fälle, wo die Beschwerden heftiger und länger 
dauernd sind, zur Hysterie und Epilepsie gehören. Quincke (64) 
hebt hervor, dass sich bei Unfallpatienten, namentlich älteren, sehr 
viel häufiger Nachwehen zeigen, die er auf grössere Reizbarkeit 
der Meningen solcher Leute zurückführt. Die Angaben über die 
Häufigkeit des sog. Meningismus schwanken. Frankhauser (60) 
gibt 5—10 pCt., Schönborn (41) 10 pCt., Chotzen (63) 1 / i bis 
Vs der Fälle und Dreyfuss (65) 13 pCt. an. Nach Milian (62) 
ruft die Lumbalpunktion fast stets Beschwerden hervor. 

Mitunter kommen zu dem beschriebenen Bild des Meningismus 
noch Nackensteifigkeit, Schmerzen längs der Wirbelsäule, Kernig 
hinzu, das heisst, der Zustand nähert sich mehr der eigentlichen 
Meningitis. Quincke (20) sah in seltenen Fällen Temperatur- 
Steigerung, und andere Autoren führen Veränderungen der Herz¬ 
tätigkeit (Arhythmie, Abschwächung, Verlangsamung) an, so 
Chotzen (63), Braunstein (28) und v. Ziemssen (66). In 
manchen Fällen traten Erscheinungen der beschriebenen Art, 
namentlich die Kopfschmerzen schon unmittelbar nach der Punktion 
oder gar während derselben ein, oder aber die einzelnen Sym¬ 
ptome, besonders wiederum die Kopfschmerzen, erreichten eine ganz 
exorbitante Höhe. Es traten Kollaps und Synkope auf, und da¬ 
mit nahm der ganze Zustand einen bedrohlichen Charakter an. 
Lichtheim (67) beschreibt den Fall eines 17jährigen Mädchens, 
das vorher eine Reihe Hirnzufälle gehabt hatte. Durch die Punk¬ 
tion wurden ca. 55 ccm entleert, wobei der Anfangsdruck 25 mm 
Hg, der Enddruck 0 betrug. Unmittelbar nach der Punktion trat 
heftiger Kopfschmerz, Brustschmerz, Schmerz in den Oberschenkeln, 
sehr heftiges Erbrechen, Pulsverlangsamung ein. Alle Beschwerden 
bildeten sich ira Verlauf von 1—2 Tagen zurück. Einen Parallel¬ 
fall dazu gibt Milian (62). Hier traten die Hauptbeschwerden 
erst am nächsten Tage ein, waren aber so heftig, dass man die 
Kranke verloren glaubte. Dabei waren hier nur 6—7 ccm entleert 
worden. Auch diese Frau wurde wieder hergestellt, allerdings erst 
nach einer Woche. In einem Fall von Oppenheim (57) traten 
unmittelbar nach Entleerung von angeblich nur 2 ccm Liquor (die 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die (irfahivn der Lumbalpunktion. 319 

Punktion wurde andernorts ausgeführt) heftiger Kopfschmerz, Er¬ 
brechen, wachsende Benommenheit und völlige Amaurose auf, 
während das Sehvermögen vorher nicht wesentlich beeinträchtigt 
war. Der Fall wurde operativ zur Heilung gebracht, es handelte 
sich um Meningitis serosa circumscripta cystica unter dem rechten 
Kleinhirn. Die durch Opticusatrophie eingetretene Sehstörung 
bildete sich nur unvollkommen zurück. Rispal et Pujol (68) 
sahen bei einem 20jährigen Mädchen mit schwerer Intelligenz¬ 
störung nach jeder Lumbalpunktion Anfälle von Kopfschmerz und 
Erbrechen, bei der letzten trat sogar lebensbedrohendes Delirium 
auf. In einem Tumor cercbri-Fall von Förster (69) traten im 
Anschluss an die Entleerung von 4 ccm Liquor Zeichen schweren 
Hirndrucks, die früher nicht in dem Masse bestanden, und eine, 
allerdings schon früher einmal vorhanden gewesene Sprachstörung 
auf. Welchen hohen Grad die Schmerzen nach Lumbalpunktion 
annehmen können, illustriert gut ein Fall von Gumprecht (40), 
wo nach Ablassen von 15 ccm Liquor bei einem Paralytiker dieser 
einige Stunden nach der Punktion eine heftige Schmerzattacke 
durchmachte und dabei laut schrie, er müsse sterben. Am nächsten 
Tag zeigte sich Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule und taumelnder 
Gang. Der ganze Zustand verschwand wieder allmählich. 

Die zuletzt angeführten Fälle sind gewissermassen eine Ver- 
grösserung der schon früher erwähnten, welche dadurch herbei¬ 
geführt wird, dass sich die Schädigungen der Lumbalpunktion auf 
einem pathologisch besonders vorbereiteten Boden abspielen. Beide 
konkurrierenden Kräfte sind einer gradweisen Abstufung fähig. 
Es muss schliesslich zu einem Punkte kommen, w’O die Schädigung 
einen solchen Grad annimmt, dass der Fortbestand des Lebens da¬ 
mit nicht mehr vereinbar ist. 

In der Tat sind Todesfälle nach Lumbalpunktion vorge¬ 
kommen. Eine vergleichende Untersuchung dieser Fälle wird 
vielleicht erkennen lassen, welche Rolle die Schädigung durch die 
Punktion gespielt hat, und welche Bedeutung dem pathologisch 
veränderten Boden zukommt. Man darf sich allerdings nicht der 
Täuschung hingeben, dass alle Todesfälle nach Lumbalpunktion 
wirklich veröffentlicht worden sind. Klose (70) meint, so mancher 
Todesfall lurabalpunktierter Kinder sei mit dem Mantel christlicher 
Nächstenliebe zugedeckt worden und Fürbringer (71) sagt in 
dieser Hinsicht: „Wir wissen, wie es mit der Neigung der Aerzte, 
aus ihrer Praxis tragische Ereignisse im Anschluss an ihre Mass¬ 
nahmen zii publizieren, bestellt ist.“ Reichmann (72) vertritt 
sogar die Ansicht, dass von 10 Todesfällen nach Lumbalpunktion 
vielleicht nur einer veröffentlicht worden sei. Ob der Prozentsatz 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



320 


0. Schön heck. 


Digitized by 


wirklich ein so hoher ist, müssen wir dahingestellt sein lassen. 
Vollständigkeit wird sich ohnehin nicht erreichen lassen, da die 
einzelnen Fälle sehr ungleich genau beobachtet und beschrieben 
sind. Der Grund dafür dürfte zum Teil an der Plötzlichkeit des 
Vorganges an sich liegen, andrerseits wird der Arzt in einem so 
kritischen Augenblick in erster Linie von therapeutischen Mass¬ 
nahmen in Anspruch genommen. Eine rein äusserliche Schwierig¬ 
keit bietet die teilweise schwierige Zugänglichkeit einzelner Ver¬ 
öffentlichungen, die dann nur als Referat vorliegen. 

Vielleicht bietet aber auch schon die vorhandene Anzahl von 
Todesfällen nach Lumbalpunktion, wie unvollständig sie auch im 
Einzelfall sein mögen, durch Vergleichung aller zusammen die 
Möglichkeit, den Anteil der Lumbalpunktion an diesen beklagens¬ 
werten Ereignissen aufzudecken und damit vielleicht auch Mittel 
und Wege zu ihrer Bekämpfung und Verhütung für die Zukunft 
zu finden. 

Es sollen nun im Folgenden die einzelnen Fälle von Exitus 
nach Lumbalpunktion in chronologischer Reihenfolge zusammen¬ 
gestellt werden. 

1. Für 1)ri rurer (7 und 71), 1895. 18 jähriger Jüngling. Am Stirn- 

Schädel lokalisierter Kopfschmerz, Stauungspapille, motorische Aphasie, centrale 
Fazialisparese, opileptiformc Anfälle, abgrenzbarer Perkussionsschmerz des 
Schädels. Linkes Stirnhirn wird mit Bestimmtheit als Sitz des Tumors ange¬ 
nommen. Während der Punktion, die 22 ccm entleert, Aeehzen und Stöhnen. 
Darauf für einige Stunden Schlaf. Nach Erwachen Befinden entschieden besser, 
der Kranke ist munterer und blickt klarer. Puls vor der Punktion 48—G2, 
nachher 92. Keine Aenderung im Augenspiegelbefund. Etwa 30 Stunden 
nach der Punktion ganz auffallende Verschlimmerung. Die Hirndruck¬ 
ersrhein ungen treten wieder mit aller Macht hervor. Enorme Kopfschmerzen, 
der Puls sinkt auf 52. Apathie. Sopor, mehrfaches Aufstossen und Erbrechen. 
Zu den früheren Herdsymptomen tritt rechtsseitige Ptosis. Pupillenreaktion 
rechts fast ganz aufgehoben, links sehr träge. Temperatur zwischen 3G.0 0 und 
37,0°. Noch am selben Tage plöt zl ieher Tod unter Respirat ions- 
1 ä h m u n L r . 

Sektion: Der apfelgrosse, teils fibrinöse, teils gelatinöse Tumor 
(Durasarkom) entspricht den hinteren Abschnitten der mittleren und 
unteren Stirnwindung, wird somit nach unten von der oberen Sehläfen- 
windung begrenzt. Die Gehirnsubstanz fühlt sieh nach Herausnahme des Tumors 
in dessen Bereich teilweise etwas weich an, Seiten Ventrikel massig er- 
w e i t e r t, mit k 1 a r e r Flüssigkeit gefii 1 It. 

Der Tumor hätte ungewöhnlich günstige Chancen für Operation geboten. 

2. Fürbringer (7), 1S95. Ein Fall von Hirntumor, bei dem vor 1 .Jahr 
durch Trepanation eine an Heilung grenzende Besserung erzielt war. Während 
eines Rezidivs mit quälenden Kopfschmerzen Lumbalpunktion. Während der 
Entleerung von 50 ccm klarer Flüssigkeit; ungebührliche Steigerung der 
Schmerzen im Schädel. Darnach Besserung. 24 Stunden später plötz¬ 
lich er Tod. 

Sektion: (»(‘schwülst am B o d c n der R au t e n g r u b c. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


321 


3. Fiirbringer (7), 1895. l’rämiker. Es werden 90 com entleert, Sopor 
unverändert. Nach 1 Stunde Krämpfe mit unmittelbarem tödlichem 
Ausiran g. 

Sektion: Chronische diffuse Nephritis, grosse weisse Niere. 

4. Fürbringer (7) 1895. Främiker. Durch Lumbalpunktion werden 
50 ccm entleert. Sopor unverändert. Tod nach 5 Stunden. 

Sektion: Chronische diffuse Nephritis, grosse weisse Niere. 

5. Licht heim (67) 1895. 37 jährige Frau. Vor mehr als 2 Jahren im 

Wochenbett ohne Fieber mit Kopfschmerzen, Erbrechen, Ohnmaehtsanfällen und 
angeblich mit Anschwellung der Lider erkrankt. Nach 6 Wochen Verschwinden 
der Krankheitserseheinungen. 1 Jahr gesund; dann Anfälle von Kopfschmerzen, 
Erbrechen, später plötzliche Schwindelanfälle, bei denen die Kranke hinstürzte. 
Kasch vorübergehende Verdunklungen des (iesichtsfeldos. Seit l'/j Jahren all¬ 
mähliche Verschlechterung des Sehvermögens. Rechts Blindheit, links hoch¬ 
gradige Sehschwache. ln der letzten Zeit Anfälle von Kopfschmerzen und Er¬ 
brechen häufiger, erstere so heftig, dass Fat. laut aufsehrie. Zeitweise während 
der Anfälle bewusstlos und konvulsivische Erscheinungen in den Gliedmassen. 
Anfälle von sehr heftigen Kopfschmerzen, in welchen die sehr hinfällige Kranke 
teilnahmslos daliegt. Doppelseitige, in Atrophie ausgehende Stauungspapille. 
Puls etwas beschleunigt, klein, weich, änderte sich während der Schmerzanfälle 
nicht. Durch Lumbalpunktion werden bei einem Anfangs druck von 40 mm Hg 
25 ccm klarer, hellgelber Flüssigkeit entleert. Der Enddruck beträgt 
5 mm Hg. Unmittelbar nach der Funktion sehr heftige Kopfschmerzen, die 
sich im Laufe des Tages so steigerten, dass Fat. völlig benommen erschien. 
Die Kopfschmerzen verminderten sit*h nachts, um am Morgen mit erneuter 
Heftigkeit einzusetzen. Die Benommenheit steigerte sieh im Laufe des Tages 
zu totaler Bewusstlosigkeit. Die Respiration wurde unregelmässig bei 
u n v e rä nd erd e m Puls. Letzterer blich unverändert, bis unter p 1 ö tz 1 i c h e m 
Herzstillstand der Tod ein trat. 

Sektion: Neben dem linken Rand des Fons und der Medulla oblongata 
wölbt sieh an der Basis ein walnussgrosses, von der Tonsille der linken 
J\ lei n hirnhemisphäre ausgehendes Rundzellensarkom vor. Facialis und 
Aeusticus gehen über die Geschwulst hinweg, ihre Nervenfasern zeigen keine 
Veränderung. Sehr erweiterte Ventrikel mit Inhalt von 55 ecm klarer 
F 1 ii s s i g k e i t. 

6. Fürbringer (71), 1896. 29jähriger Mann, ln den letzten Jahren 

Kojdsehmeiv.cn sehr schwankender Intensität, öfters Erbrechen, unsicherer Gang. 
Seit einigen Tagen unerträgliche Zunahme der Kopfschmerzen, besonders im 
Hinterhaupt: Kräftiger Mann, leicht erhöhte, später normale und subnormale 
Temperatur. 80—90 unverdächtige Pulse. Keine motorische Störung. Trotz 
Jodkali werden die Schmerzanfälle im Laufe der nächsten 3 Wochen immer 
heftiger, beim Aufrichten häufiger Schwindelgefühl, später auch Erbrechen. 
Leichte inkonstante Pupillendifferenz, rechts weiter. Neigung nach hinten und 
rechts zu taumeln. Lumbalpunktion geht leicht und glatt: unter fortdauernder, 
ja gesteigerter Sehmerzäusserung werden 50 cem klarer F1 iissigk eit entleert. 
Puls, welcher zuletzt zwischen 7G und 108 geschwankt hatte, bleibt zunächst 
unverändert. Die Klagen über Kopfschmerzen verstummen, der Kranke liegt 
ruhig und apathisch da. Nach G Stunden Tod durch Respirationsläh¬ 
mung. Puls kurz zuvor nur 5G. 

Sektion: Intaktes Herz, sehr blutreiche Lungen. Fast die ganze rechte 
K lein hi rn hem isphäre von einem, die ursprüngliche Grösse desselben iiber- 
si’hrcitenden weichen Tumor eingenommen, welcher die erhaltene llirnsuh- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



322 


O. Schön bock. 


Digitized by 


stanz auf eine schmale Zone verdrängt hat. Die Xeubildungsmasse greift auch 
auf die linke Hemisphäre über, die indes der Hauptsache nach erhalten ist. 
(iehirnnberfläche stark abgeplattet. Furchen fast völlig verstrichen. Ilirn- 
vent rikel enorm erweitert, reich liehe Mengen klarer Flüssigkeit 
enthaltend. Im subduralen Kaum des Rückenmarks nur sehr wenig 
F 1 ü s s i g k e i t. 

7. Bull (73). 1 S9f>. Ein Fal 1 v<>n M e n i n g i t i s t u b e r c u 1 o s a. Es 
werden b— S ccm abgelasson. 4 Stunde nach der Punktion plötz- 
1 i eher Tod. 

8. Len hart z (12 u. 4). lS9b. Der Kranke hat während der Punktion, 
die 75 mn entleert, heftige Kopfschmerzen. Tod nach 7 Stunden. 

Sektion: Mächtiger, den grössten Teil der Grosshirnrinde ein- 
neh mender Tu mor. 

9. Krönig (74). 1S96. Patient mit Durchbruch eines apopiekti- 
sehen Herdes in d i e V e n t r i k e 1. Bei der Punktion liess man ablaufen 
soviel als wollte, im ganzen 75 ccm einer gleich massig hämorrhagischen 
Flüssigkeit. 3 Minuten hinterher Tod. 

Der Patient war vor der Punktion absolut nicht in Agone, der letale Aus¬ 
gang erst in 2—3 Tagen zu erwarten. 

10. Krönig (74). lS9b. Junges Mädchen mit schweren psychischen Er¬ 
scheinungen. Rechte Papille stark gerötet, Venen geschlängelt. Temperatur 
39,0°. Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Tumor. Zur Differentialdiagnose gegen Me¬ 
ningitis Lumbalpunktion. 15 ccm einer gleiehmässig hämorrhagischen 
Flüssigkeit werden abgelassen. Nach 3 Minuten überzog sich der Ober¬ 
körper mit einer flammenden Röte, die Pupillen erweiterten sich, kurz darauf 
Apnoe unter Fortsetzung der Herztätigkeit. I 1 _> Stunden künstliche Atmung. 
X a e h 2 S t und e n E x i t u s. 

S c k t i o n: G e p 1 a t z t e s A n e u r y s m a ei nes kleinen Astes der A r t e r i a 
fossae Sylvii. Ein ausgebreiteter Blutherd in der Gegend des rechten 
Thalamus und im Corpus striaium. Die ganze Umgebung blutig infiltriert. 
Blut hatte sieh einen Weg in die Ventrikel gebahnt und diese ausgiebig bis 
in den Spinalkanal hinein erfüllt. 

11. Kiek en (S), 1S9G. 2bjähriger Mann erkrankt vor 1 Monat mit plötz¬ 
lichen Kopfschmerzen, später Schwindel. Ohreiterung rechts. Mit 5 Jahren 
nach Otitis media Gehirnhautentzündung mit Krämpfen. Seitdem Taubheit 
rechts und Blindheit. Jetzt mehrfaches Erbrechen. Pulsverlangsamung trotz 
Temperaturanstieg. Durch Punktion werden in 3 Minuten nur 3 ccm entleert, 
trotzdem der Anfangsdruck 120—150 mm ILO beträgt. Enddruck 100 mm 
H,0. Keine Aendcrung des Zustandes. Nach 3 Tagen plötzlicher Tod 
durch neue umschriebene Meningitis mit lokalem Druck auf die Medulla ob- 
longata. 

Sektion: Alter ab gekapselt er Kleinhirn ab s c e s s rechts m i t 
Durchbruch in die Schädel höh Ic. Hydrocephalus chronicus von 
200 ccm. Flüssigkeit klar. Zwischen Tcntnrium und Ccrebel lum 20 bis 
30 ccm Eiter. Hirnwindungen fast verstrichen. Balken stark nach oben ge¬ 
drängt und verdünnt. 

12. Kernig (75). lS9b. Fall von Fobris recurrens, klinisch als Meningitis 
gekennzeichnet. Urin reichlich Albumen. Punktion entleert 50 ccm klarer 
Flüssigkeit mit vereinzelten Leukoeyten und roten Blutkörperchen. Nach der 
Punktion allgemeine Besserung, weniger Kopfweh, freieres Scnsnrium. 2 Tage 
nachher in ganz plötzlicher, unvorhergesehener Weise Exitus letalis. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die (iofahrcn der Lumbalpunktion. 


323 


Sektion: Pia des Hirns, durchsetzt von zahlreichen grossen und 
kleinen Hl u taust ritten, zeigt nur geringe exsudative Erscheinungen (als 
Leptomeningitis acuta haemorrhagica bezeichnet). Aehniiehe Veränderungen in 
der Pia des Rückenmarks. Hämorrhagien in der Capsula interna des 
Gehirns mit Durchbruch in die Ventrikel. Blutungen unter das 
Periost des Wirbelkanals. Endocarditis acuta ulcerativa. Recurrensrnilz 
mit Milzinfarkt, akute parenchymatöse Nephritis. 

13. Fleischmann (9), 1S97. 42 jähriger Mann mit Tumor cerebri. 

Lumbalpunktion: Anfangsdruck 3 mm Hg. Wenige Tropfen werden ab¬ 
gelassen. Bald nach der Punktion Tod. 

S e k t i o n: G 1 i o s a r k o m des linken S <■ h 1 ä f c n 1 a j j p e n s: k e i n H y d r o - 
cepba lu s. 

14. Fleischmann (9), IS97. 30jährige Frau in Koma. Tumor 

cerebri. Durch Punktion bei Anfangsdruck von 11 mm Hg 3 ccm durch 
Blut etwas verunreinigter Flüssigkeit abgelassen. Tod 1 Stunde nach 
der Punktion. 

15. Fleisch mann (9), 1S97. 19jährige weibliche Person. Tumor 
cerebri. Durch Punktion 30 ccm entleert. Anfangs druck GO mm Hg, 
Enddruck 0. Tod nach G Stunden unter Zeichen der Kespirat ions- 
1 ä h m u n g. 

16. Fleischmann (9). 1897. 14jährigcr Knabe. Durch Lumbalpunktion 
20 ccm klarer, wasserheller Flüssigkeit entleert. Druck . Tod am Tage 
nach der Punktion. 

Sektion: T u ni o r e e r e b e 11 i (M y x os a r k o in). 

17. Xölkc (76), 1897. 51jährige Frau. Differentialdiagnose: Hirntumor 
oder Meningitis serosa chronica. Seit mehreren Jahren krank, Kopfschmerzen. 
Erbrechen, Amblyopie. Zuletzt Sopor. Keine Stauungspapille. Lumbalpunktion. 
Anfangsdruck 200 mm H 2 0, bei der Inspiration sinkend auf 140—90 mm ILO. 
Flüssigkeit tropft sehr langsam ab, auch bei Senken der Abfluss¬ 
öffnung auf das Niveau der Punktionsstelle. Nach Entleerung von 5 ccm 
ist der Druck auf 10—40 mm 1I 2 0 gefallen. Die Punktion wird wegen des 
starken Sinkens des Druckes abgebrochen. Gleich darnach Stocken der 
A t m u n g. die vorübergehend durch Hautreize und k ii n s 11 i c h c A t m u n g 
wieder in Gang kommt. Nach 1 2 Stunde Exitus. 

Sektion: Kleinhühnereigrosse Geschwulst am T iirk ensat t el. 
An Stelle der Hypophyse weiche, graurote, zerfliessende Geschwulstmasse, die 
in die Nasenhöhlen und das linke Antrum llighniori eingedrungen ist. Der 
Aquaedukt ist von unten nach oben zusain menge presst. Sehr starker 
chronischer II y d r o e e p h a 1 u s (80 ccm). 

IS. Xölkc (76), 1897. 25jähriger Knecht. Seit 1 Jahre Schwindcl¬ 
anfälle, in letzter Zeit Erbrechen, andauernd heftige Kopfschmerzen. Seh¬ 
störungen. Ensicherer Gang. Schwäche der Extremitäten, geringe Steifigkeit 
des Nackens. Leicht auftretende Schwankungen der Pulsfrequenz. Stauungs¬ 
papille beiderseits, links beginnende Atrophie. Vor 2 Tagen je (‘in Anfall von 
Schwindel und Bewusstlosigkeit. Der letzte mit klonischen Zuckungen in Armen 
und Beinen. Nach einigen Minuten kam Pat. wieder zu sieh. Diagnose: Tumor 
oder Meningitis serosa subacuta. Die Lumbalpunktion zeigte A n fangsdrin- k 
von 440 mm ILO, rasches Absinken bei langsamem Ab tropfen bis 
auf 150 mm ILO. Es wurden dabei 15 rem klarer Flüssigkeit entleert. 
Wegen plötzlich eintretender stärkerer Kopfschmerzen Punktion abgebrochen. 
Die Kopfschmerzen hielten weiter an bis zu dem am nächsten Tage mittags 
Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2. 'J'J 


Digitized by 


Gck igle 


Original frurn 

UMIVERSITY OF IOWA 



324 


0. Schönbcck 


Digitized by 


eintretenden plötzlichen Tode. 3 4 Stunde post mortem ergab Punktion des 
linken Ventrikels unter Zuhilfenahme von Aspiration 80 ccm klarer Flüssigkeit. 

Sektion: Sehr starker Hydrocephalus. Erweiterung aller 4 Ven¬ 
trikel, Inhalt mindestens SO ecrn. Sehr starke zapfenartige Ei npressung 
des Kleinhirns in das Fora men magnum. 

19 . Wil ms (77), 1S97. *25jähriger Pat., starke Stauungspapille, Ataxie. 
Schwindel, Erbrechen, starke Kopfschmerzen, links Abduzens- und Fazialis- 
lähmumr. Trotz, klinischer Zeichen stark erhöhten intrakraniellen Drucks ergab 
die Lumbalpunktion einen A n fangsd ruck von 140 mm H 2 0. Nach lang¬ 
samem Abläufen von 18 ccm Liquor ist der Druck fast 0. Befinden gleich 
nach der Punktion etwas gebessert. Nach 5 Stunden plötzlicher Exitus. 

Se k t io n : Sark n m i m rechten Kleinhirn, st arko Di 1 at at i on der 
Se i t en ve n t ri k e 1. enorme Abflachung der Gyn. 

20. Fiirbri ngor (7S), 1897. Rachitisches, nicht sterbendes Kind 
mit Pneumonie. Tod wenige Stunden nach Lumbalpunktion unter 
allen Kaut eien. 

21 . F ii rbr i n ge r (78), 1897. Mann mit (iliom im linken Mark- 
1 ager. T od w e n i ir e S t u n d c n n ac h L u m b a 1 p u n k t io n unter allen Kautelen. 

Der Zusammenhang zwischen Lumbalpunktion und Exitus war in beiden 
Fällen nicht auszuschliessen. 

22. Krünig (79), 1897. 1 Todesfall ganz unerwartet 2 Stunden 

nach Lumbalpunktion bei einem Urämischen. 

23. Braun (30), 1897. Ein urämisches Kind kam 5 Minuten nach 
L u m 1)a 1 ]>u n k t i o n ad e x i t u m. trotzdem k ei n e F111 ssigk ei t e n 11 eert wurde. 

Ein so rascher Ausgang war nicht zu erwarten gewesen. 

24. Stadel mann (10), 1897. ISjähriger Schneider. Starke Kopf¬ 
schmerzen in Stirn- und Augengegend, auch Nackenschmerzen. Diagnose: Tumor 
cerebelli. Nach einer ersten Lumbalpunktion vor 10 Tagen haben sieh die Be¬ 
schwerden gesteigert. Der Anfangsdruek betrug damals 320 mm ILO. 
2. Punktion: Bei dem ersten Einstich ist die Flüssigkeit stark sanguinolent. 
2. Einstich einen Interarkualraum höher ergibt vollkommen klare Flüssigkeit 
unter ganz geringem Druck. Klagen über plötzlich auftretende starke 
Schmerzen im linken Bein. Deshalb 3. Einstich einen Interarkualraum 
tiefer. Flüssigkeit nur spurweise sanguinolent. Druck steigt auf 130 
bis 140 mm ILO. Es wird keine Flüssigkeit abgelassen. Im ganzen nur 
etwa 5 ccm Liquor entleert. Die Schmerzen im Bein verschwinden bald 
nach der Punktion vollkommen. Im übrigen sind die Klagen unverändert, ln 
der Nacht, ungefähr 12 Stunden nach der Punktion, wird der Pat. auf 
der Erde gefunden: er ist nach Aussage der anderen Kranken aus dem Bett 
gefallen. Nach wenigen Minuten Tod. 

Sektion: Subduralraum des Rückenmarks frei, im Subarachnoidealraum 
geringe Menge leicht hämorrhagischer Flüssigkeit. Enorme Füllung der 
Su barac h n o i d ea I rä u m e des Gehirns. Die Araehnoidea am Trigonum 
intererurale durch Ansammlung von Flüssigkeit prall gespannt, ebenso ist .sie 
am Boden der Fossa Sylvii fast blasig abgehoben. Sei ton Ventrikel und 
mittlerer Ventrikel stark ausgedehnt, prall mit klarer, heller 
Flüssigkeit angefüllt. Aquaeductus Sylvii und 4. Ventrikel enorm 
ausgedehnt, von einer dicken, wulstigen Membran ausgekleidet, ln 
ihr h ase 1 n u ssgrusse Uv st ieereusblase. Die Membran ist direkt in das 
Foramen Magendii und die Aperturae laterales hineingewachsen. ln der 
rechten Apertur sitzt der Stiel der Parasiten blase fest. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die (icfahren der Lumbalpunktion. 


325 


25. Stadelmann (10), 1897. 41 jährige Frau. Seit mehreren Jahren 

Schwäche der linksseitigen Extremitäten, zunehmender geistiger Verfall, hoch¬ 
gradige Demenz, stuporöscr Zustand. 1. Lumbalpunktion erschwert durch lordo- 
lische Krümmung der Lendonwirbelsäule. Es tropft zuerst nichts ab. Nach 
schwachem Ansaugen tropfen ausserordentlich langsam 7—8 ccm klarer Flüssig¬ 
keit heraus. Druck nicht messbar. Punktion ohne Einfluss auf das Befinden. 

7 Tage später 2. Lumbalpunktion. Es strömt gleich ziemlich reichliche 
Flüssigkeit ab. Druck 210—220 mm H 2 0. Nach Abtrupfen von etwa 
15 ccm beträgt der Druck 80—90 mm ILO. Starke Unruhe, Klagen über 
starken Kopfschmerz, Wimmern. Punktion wird abgebrochen. Der soporöse 
Zustand nimmt noch weiter zu. 40 Stunden nach der Punktion plötz- 
1 icher Tod. Diagnose war auf Tumor der rechten Grosshirnhemisphäre gestellt. 

Sektion: Suharachnoidealräume leer. G än se ei grosse r Tu mor, von 
Dura ausgehend, den medialen Teil der beiden rechtsseitigen 
C en t ral Windungen und den Pra-ecuneus einnehmend. Ausserdem noch 
zerstreute kleine Tumoren der Dura. Fi brosarkom. Ventrikel etwas 
ausgedehnt. 

26. Stadelmann (10), 1897. 50jährige Frau. Nephritis, Arteriosklerose. 
Her/verbrcitcrung. Vor 3 Tagen Schwäche der rechten Körperseite, die plötzlich 
zunahm. Alle Arterien hart und geschlängelt. Hechts Parese des mittleren und 
unteren Fazialisastes. Reflexe an den unteren Extremitäten fehlen. Sensibilität 
normal. Subconjunctivale Netzhautblutungen, Papillen verwaschen. Sensorium 
und Sprache frei. Urin reichlich Albuinen und Cylinder. In den nächsten 
Tagen nahmen die Paresen noch zu. Am 3. Tag tiefes Koma. Totale Lähmung 
der rechten Extremitäten. Die Lumbalpunktion ergibt eine stark sanguino¬ 
lent e F Lässigkeit bei einem Druck von nur 50 — 60 m m 1LO. Nach A b - 
lassen von 5 ccm wird die Punktion einen Interarkualraum tiefer wiederholt. 
Dort zeigt die Flüssigkeit denselben sanguinolenten Charakter. Der Druck 
ausserordentlich hoch. 400 -j- x mm ll 2 0. Nach Abläufen von 20 ccm 
Druck noch über 300 min 1I 2 0, Nach Ablauf weiterer 15 rcm beträgt 
der Druck 250 —260 mm ILO. Da fällt die Flüssigkeitssäule plötz¬ 
lich, Pat. wird livido, röchelt, die Atmung zessiert. Nach kurzer Zeit hört 
auch der Puls auf, Pat. ist tot. Im ganzen sind 40 ccm abgelaufen. Die 
Flüssigkeit enthält massige Mengen Blut. 

Sektion: Apoplexia cercbri, Nephritis chronica, Aneurysma arteriae 
fossac Sylvii, Haemorrhagia intrameningealis, Haematoma venlrieuli lateralis si- 
nistri. Haemorrhagia ventriculi IV. Im 4. Ventrikel geplatztes kl (‘ines 
< i c f a s s. 

27. Krönig (36). 1899. Fall L. Klinische Diagnose Tumor cerebelli 
(Kopfschmerz, Schwindel) sollte durch Lumbalpunktion bestätigt werden. An¬ 
fangsdruck 240 mm ILO, Pulsationsschwankungen durchaus normale Höhe. 
Nach Ablassen von 5 ccm werden die Pulsationsscbwankungen entschieden 
geringer. Daher Punktion bei Enddruck von 110 mm ILO abgebrochen. Un¬ 
mittelbar nachher keine Veränderung, Kopfschmerz. Schwindel wie vorher. Nach 
5 S t un den geringes Erbrechen, p 1 öt z 1 icher A t inungsst i 11 stand u nd 
Exitus. 

Sektion: Cysticercus cellulosae ventriculi 1V und H y d rocephal us 
p e r m a g n u s. 

28. Hochhaus (80), 1899. 63jährige Krau. Vor 14 Tagen reissende 
Sehmerzen in Armen und Beinen. Beine etwas schwächer als früher. Urin¬ 
lassen beschwerlich. Menge gering. Vor 5 'Pagen wurde Pat. beim Urinhissen 
schwindlig, fiel zu Boden. Seitdem versagen die Beim' völlig. In den letzten 

22 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



326 


O. Scliönherk, 


Digitized by 


Tagen Urin nur durch Katheter. Bis vor 14 Tagen arbeitsfähig. Sensorium 
frei, Pupillen nnrmal. Beide Beine gelähmt, Sensibilität hochgradig herabgesetzt. 
Patcllarreflcxc beiderseits nur ganz schwach. Urin klar. Nach 3 Tagen ziem¬ 
lich benommen. Vermutung einer cerebralen Komplikation. Lumbalpunktion. 
Anfangsdruck 150 mm H 2 G, nach Entleerung von 25 ccm Enddruck 
= 0. Nach der Punktion Bat. etwas freier, gibt wieder auf Fragen Antwort. 
Klagen über heftige Sehmerzen im Hin! er köpf. Am nächsten Tage 
wieder benommen, Harn ammoniakaliseh und trübe. Im Laufe der nächsten 
Woche leichte Fieberbewegungen. die Lähmung der Beine wird komplett, auch 
der linke Arm wird schlaffer als der rechte, die ganze linke Körperhälfte kälter. 
Nach 11 Tagen vollkommene Lähmung des linken Armes und beider Beine. 
Sensorium benommen, Fieber wird stärker. Am 13. Tage nach der Punk¬ 
tion zunehmende Schwäche, Puls kaum fühlbar. Temperatur 37,0°. Nach¬ 
mittags Exitus. 

Sektion: An der Innenfläche der Dura über Mittel- und Hinterhirn eine 
zarte, \on vielen (iefässen durchzogene und mit vielen Blutpunkten besetzte 
Membran. Hirnwindungen abgeplattet, Hirnsubstanz weich, weisse Substanz etwas 
gerötet. In den Ventrikeln wenig klare Flüssigkeit. Im Brustmark myeliti¬ 
sein* r Herd. Hämorrhagische Uystitis. Ureteritis, Pyelitis, Abscesse und trübe 
Schwellung in beiden Nieren. Thrombose von Aesten der Pulmonalarterie. 

Mikroskopisch über dem gesamten (Zentralnervensystem ausge- 
1)rei t et e starke Hy perämie d er lief ässe mit Entzündung der W ände. 
Die weichen Rückenmarks h ä u t e zeigen diffuse Entzündung und Ibe¬ 
sonder* starke Alteration der (iefässe, die aber merkwürdigerweise die 
Arterien ganz frei lässt, dagegen die kleinsten (iefässe und Venen sehr 
stark ergriffen hat. Aelmliche Erscheinungen an den Meningen des He¬ 
ll im s. wo an einzelnen Stellen Hyperämie und Entzündung auf 
frischere Vorgänge sch Messen lässt. 

29. (iumprecht (40), 1900. 20jährige Wärteifti. Vor l 4 Jahr Sehwindel- 
anfälle mit Bewusstlosigkeit. Vor 2 Monaten plötzlich Nackensteifigkeit, beson¬ 
ders morgens. Bald darauf Schielen des linken Auges und Auftreten von 
Doppelbildern. Etwas später heftige Kopfschmerzen, Uebelkeit, Erbrechen. Kopf 
wird stark nach rückwärts gebeugt gehalten, die Kranke wird bettlägerig, spricht 
nicht mehr, Kopf wird in die Kissen gebohrt. Pal. liegt apathisch da, kann 
sich nur mit Unterstützung aufrichten. Tenip. 35,0°. Puls 90. Ataxie bei Arm¬ 
bewegungen, Beine ohne Ataxie. Gang leicht nach links fallend. Beiderseits 
Stauungspapille. In den letzten Tagen leichte Benommenheit. Erbrechen, 
Fazialisparese rechts. Bei der Lumbalpunktion nach Ausspritzen des ersten 
Strahles der Anfangs druck ISO mm II 2 0. Es werden im ganzen 5 ccm 
leicht getrübter Flüssigkeit entleert. Während der Punktion ausser¬ 
ordentliche Steigerung der Kopfschmerzen, lautes Schreien, Puls unregelmässig 
und klein. Die Punktion wird sofort abgebrochen. Die Schmerzen dauern tin- 
gemindert fort. In den nächsten Stunden Amnesie, Erregung, heftiges Sprechen. 
Puls etwas unregelmässig, bis 112. Abends 9 1 * Uhr (11 1 / 4 Stunden nach 
der Punktion) plötzlich Uv an ose. Puls und Respiration setzen zunächst 
gleichzeitig aus. Puls kehrt aber bald wieder. 1 Stunde lang künstliche 
Atmung, Herz schlägt während dieser Zeit deutlich weiter. 1 P/o Uhr abends 
(13 \ 2 S t und e ri nach d e r P u n k t i o n) Exitus. 

Sektion: Tu m o r (Gliom) d es rechten T h ala m us opticus wölbt sich 
von der medialen unteren Fläche her gegen die Kammer vor. 4. Kammer 
massig weit, Ependym völlig glatt. Sei teil kam me r deutlich erweitert, 
Unterhörner stark erweitert mit Ausnahme des oblitcrierten untersten Endo. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


327 


Centralkanal im Rückenmark nirgends erweitert. Lumbalstielikanal reaktions¬ 
los, an der 4. und 5. Cervikalwurzel Blutgerinnsel. In den Maschen der Kiieken- 
markshäute weniger Flüssigkeit als normal. 

30. Gum p re eilt (40), 1900. 29 jähriger Maler. Seit 9 Monaten krank. 
Taumel beim Gehen. Erbrechen. Zuletzt teilnahmslos, spricht spontan garnicht, 
schwer besinnlich. Deutlicher Bleisaum. Glieder schlaff, aber ohne Lähmung. 
Gesiehtsbeweirungen intakt, rechter Augenfazialis eine Spur schwächer. Durch 
Lumbalpunktion werden 10 ccm klarer, farbloser Flüssigkeit entleert. 
Anfangsdruck 210 mm ILO, Enddruck 120 mm 11 2 0. Zunächst bleibt der 
Zustand unverändert, 2 ,; 4 Stunden später nach plötzlichem Kotwerden 
des Gesichts starke Cyan ose, Atem beweg ungen hören fast augen¬ 
blicklich auf. Puls wird klein und langsam. 2' 2 Stunden nach der 
Punktion Exitus. 

Sek tion: Kleinapfelgrosser IIirnt untor. der die hintcren 2 / ;t der 
Sehhügel, den Balkenwulst und die Yierhügel einnimmt. Seiten¬ 
ventrikel sehr erweitert, ebenso das Unterhorn beiderseits. 4. Ven¬ 
trikel eng. 

31. M i ngazzi ni (81), 1901. 20jähriger Bauer. Vor 4 Monaten anfänglich 
geringe Kopfschmerzen, die sich bald bis zur Unerträglichkeit steigerten. Schmerz¬ 
anfälle stets in der linken Schädelhälfte. In letzter Zeit Schmerzen andauernd, 
auch rechts. Vor 3 Monaten Schatten vor dem linken Auge, Pat. bemerkte, dass 
dies Auge sich manchmal nach aussen drehte. Seit einiger Zeit Ohrensausen, 
Schwindelanfälle, die mit Exacerbationen der Schmerzen zusammenfielen. Bei 
der Aufnahme äusserst bedenklicher Zustand. Linkes Auge dreht sich von Zeit 
zu Zeit nach aussen, Patcllarreflexe schwach, Pupillen mittelweit, linke reagiert 
weniger auf Licht. Schädelperkussion links massig schmerzhaft. Sehr heftige 
Schmerzen auf der linken Seite des Schädels, die sich nach dem Nacken hin¬ 
ziehen. lassen den Kranken laut heulen und schreien. Stauungspapille beider¬ 
seits. links stärker. Bei der Augenuntersuchung wird der Pat. bewusstlos. Am 
nächsten Tage ein Anfall ungewöhnlich heftiger Kopfschmerzen, das Gesicht ist 
links heisser und röter als rechts. Nach 4 Minuten Aufhören des Anfalls. Der 
Kranke verfällt in soporösen Zustand, aus dem er durch Anruf leicht zu wecken 
ist. Die Anfälle wiederholen sieh in kürzeren oder längeren Pausen bis zum 
Morgen. Am Abend hat man die Lumbalpunktion gemacht. Die apo- 
plektiformen Anfälle sind mit der Lumbalpunktion immer heftiger 
geworden, der Kranke ist in plötzlichen Kollaps verfallen und am nächsten 
Morgen trotz künstlicher Respiration gestorben. 

Sektion: Dura zeigt merkliche Spannung. Linke Hemisphäre in der 
hinteren Hälfte vergrössert, Windungen des linken Scheitellappens sehr abge¬ 
flacht. Die 2. und 3. Hinterhauptswindung und die Pariotooccipitalwindungcn 
links sind durch Cystemvand ersetzt. In der Cyste von der Grösse eines Puten- 
eics befindet sich klare Flüssigkeit. An der Innenwand 2 invaginierte Skolices. 
Echinokokkus des Oeeipitallappens. Das Horn des entsprechenden 
Seiten Ventrikels war nach vorne verdrängt. 

32. Braunstein (28), 1902. 48jähriger Mann, früher stets ohrgesund. 

Erkrankt vor V* Jahr angeblich an Influenza. Hechtes Ohr beginnt zu laufen. 
Mitunter Kopfschmerzen, Beschwerden nahmen zu, so dass Pat. sich legen musste. 
Vor 8 Tagen fast bewusstlos, soll seine Angehörigen nicht erkannt haben, da¬ 
bei auch Krämpfe. In den letzten Tagen Befinden etwas besser. Temp. 39°. 
Puls 79. Atmung beschleunigt. Leichter Sopor. Harnverhaltung, Meteorismus. 
Schmerzen in der Wirbelsäule bei Aufrichten. Geringe Druckempfindliehkcit 
über dem rechten Warzenfortsatz. Rechte hintere Gehörgangswand geschwollen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



328 


O. Schön bock, 


Digitized by 


Trommelfell laicht gerötet, al»ireflacht. Diagnose: Akute Meningitis, zweifel¬ 
haft. ob vom Ohr ausgehend. Ks war Herpes labialis aufgetreten. Durch 
Lumbalpunktion werden etwa 40- 50 rem leicht getrübter Flüssigkeit 
im Strahl entleert. Dann tropfenweise* Xaehsiekern. Alsdann wird 
mit Pravazsprit ze aspiriert. Xaeli der ersten Spritze wird die Punktion 
abgebrochen, da der Hat. unruhig und die Atmung auffallend tief und 
aussetzend wird. In Rückenlage wird die Atmung zunächst ruhiger, aber 
nach wenigen Minuten tritt C liey n e - S t o k e s * s e h es Atmen ein. Pat. wird 
Mau und höchstens lf> Minuten nach Beendigung der Punktion tritt 
Exitus ein. 

Sektion: Dura sehr blutreich. Pia stark injiziert. Ventrikel erweitert. 
Inhalt vermehrt, etwas trübe. Kpendym der Ventrikel glatt. Ausgedehnte Eite¬ 
rung im rechten Warzenfortsatz. Eitrige Meningitis, besonders der rechten 
(irosshirnhomisphäre. ausgehend von einem kleinen Thrombus an der 
l’mbiogungsstelle des Sinus transversus in den Sinus sigmoideus. Lungen¬ 
ödem. 

33. Braunstein (2S). 1902. 23jährige Frau. Heftige Schmerzen in der 

linken Kopfseite. Pat. wimmert laut, wird vor Schmerz mehrfach ohnmächtig. 
Xaekenschmerzen. Temp. 3S,7°. Puls Sl. Kräftige Frau mit Otitis media si- 
nistra. Man denkt an intrakranielle Komplikation. Da Meningitis vorhanden 
sein könnte, Lumbalpunktion. Es werden 13 ccm klaren Liquors ohne 
Leukozyten und .Mikroorganismen entleert. Wenige Sekunden nachher 
(es waren bis dahin 2A ee m (’h 1 oroform verbraucht) setzt plötzlich d i •• 
Atmung aus, hochgradige Cyanose des Gesichts tritt ein. Puls gut. Xaeli 
etwa 20 Minuten künstlicher Atmung ging der Anfall vorüber. 
Während der nächsten halben Stunde wieder bei Bewusstsein, keim* 
Klagen über Schmerzen. Plötzlich wird die Atmung wieder oberflächlich* 
hochgradige Cyanose. trotz künstlicher Atmung Exitus (etwa 1 Stunde 
nach der P unkt ion). 

Sektion: Anämie des Gehirns, Lungenödem, massige Verfettung des 
Herzens, Verhütung der Leber, Milztumor, alte und frische Herde im Oberlappen 
der rechten Lunge. 

34. Müller (S2), 1902. 2G j äh riger Mann. Seit längerer Zeit häufige Kopf¬ 
schmerzen. Erkrankte vor 3 Wochen ganz akut an Appetitlosigkeit, Sehwindel¬ 
anfällen, Erbrechen, heftigen Kopfschmerzen, »letzt besteht ausgesprochene Puls- 
verlangsamting (G0), taumelnder Gang, Blieklähmung nach oben und beiderseitige 
Stauungspapille. Diagnose schwankt zwischen eneephalitischem Prozess des Klein¬ 
hirns und Tumor der hinteren Sehädelgrube. Diagnostische Lumbalpunk¬ 
tion: Man liess die unter einem Druck von 200 mm ILO stehende, im 
Steigrohr befindliche klare Flüssigkeit ab. Danach zunächst keim* 
Armierung. Am nächsten Morgen starke Kopfschmerzen in der rechten 
Parietalgegend und am Hinterkopf, fortwährend Brechreiz, stöhnt anhaltend, er¬ 
bricht öfters. Puls bald sehr frequent (140) und klein. Beschwerden steigern 
sich immer mehr, nach etwa 1 l 2 Stunden unter Chey ne-Stok es'seheiu 
Atmen Exitus (etwa 10 Stunden nach der Punktion). 

Sektion: Windungen des Grosshirns abgeplattet. Bei Herausnahme de- 
Hirns quillt reichlich blutig-seröse Flüssigkeit vor. Venen der Pia ziemlich stark 
gefü 11t. Se i t e n ve n tri k e I d u reh b 1 u t i g-seröse F1 iissigk ei t st ar k aus¬ 
gedehnt. Am hinteren Teil der rechten Seitenwand des Ventrieulii' 
medius, im Bereich der Pars anterior thalami optici bis gegen den Linsenkeru 
hin. sitzt walnussgrosses B1 u t k oagu 1 u m . dessen Eingebung aus weichem, 
g ra u rö t I i <• h c m Tumorgewebe besteht. Die Tumormasse ragt in den 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


329 


mittleren Ventrikel frei hinein. Im Subarachnoidealraum des Rücken¬ 
marks blutig-seröse Flüssigkeit. 

Mikroskopisch: (i ef äss reiches Spindel zellen sarkom mit zahl¬ 
reichen frischen Hämorrhagicn innerhalb und ausserhalb seiner Grenzen. 
Auch in ziemlich weitem Umkreis von der Geschwulst sind die kleinen Gefässe 
strotzend mit Blut gefüllt. 

35. Müller (82). 1902. 13jähriger Knabe. Vor 2 Jahren zuweilen An¬ 
fälle von -Absences“, dann Dämmerzustände in Gestalt automatischer Hand¬ 
lungen. Seit etwa S Monaten eigentliche Anfälle mit Konvulsionen, ab und zu 
Enuresis, auch Zungenbiss. Seit mehreren Wochen Kopfweh und Erbrechen, in 
letzter Zeit in verstärktem Masse. Bei der Aufnahme zunächst ganz beschwerde¬ 
frei. Keine Klopfempfindlichkeit des Schädels, beiderseits deutliche Stauungs¬ 
papille mit wcisslichen Herden in der Umgebung. Beiderseitige Abduzens- 
paresc, Gang etwas unsicher. In den letzten Tagen einmal vorübergehend sehr 
heftige Kopfschmerzen, doch am nächsten Tage wieder ganz munter und fast 
beschwerdefrei. Tn dieser günstigen Periode Lumbalpunktion. Unter Druck 
von 200 mm H 2 D entleert sieh klarer Liquor. Während der Punktion keine 
Beschwerden, auch die nächsten 40 Minuten ganz wohl. Dann plötzlich 
furchtbares Stöhnen und Jammern über „schlimmere Kopfschmerzen, denn 
je", heftiges Erbrechen. Pat. wurde leichenblass, Puls kaum zu fühlen. Nach 
einigen Minuten unvermittelt der Tod (etwa 3 / 4 Stunde nach der 
Punktion). 

Sektion: Starke agonalc Stauung in allen inneren Organen. — An der 
Basis des Gehirns einige alte, feine meningitisehc Stränge. Rechte Hemisphäre, 
deren Windungen abgeflacht, stark aufgetrieben im Schläfen- und Hinterhaupts¬ 
lappen, zeigt deutliche Fluktuation. Rechts im Mark 1 ager neben dem Corpus 
eallosum ein etwa walnussgrosser, grauröt lieb er Tumor von weicher 
Beschaffenheit, der das Dach des rechten SeitenVentrikels herabge- 
drückt hat. Lei zterer lateral bedeutend e r w e i t e r t. von frischen B 1 u t - 
gerinnsein erfüllt. Eine augenscheinlich ganz frische Blutung erstreckt 
sich in die nächste Umgebung des Tumors, wo sic die Xervensubstanz 
grösstenteils zerstört hat. Der Tumor ist ein Zollamtes, doch sehr gefäss- 
reiches Gliom mit zahlreichen Psammomkörnern. Die Gliagefässe grössten¬ 
teils prall mit roten Blutkörperchen erfüllt, teilweise auch massig dilatiert. 

36. Gay et (83), 1903. 30jährigcs kräftiges Mädchen. Vor etwa 2 Monaten 
fast vollständige Blindheit. Fixieren der Lichtquelle, geringe Divergenz beider 
Augen, Pupillcnerwciterung. Patellarreflexe abgeschwäeht. Beiderseits Stauungs¬ 
papille. Sehr heftige Kopfschmerzen. Diagnose: Tumor, wahrscheinlich der 
hinteren Schädelgrube. 

Bei der Lumbalpunktion stürzte vollkommen klare Flüssigkeit in 
mindestens 250 mm Höhe hervor. Es werden 20 ccm abgelassen. Tn 
den nächsten Tagen Zustand unverändert. Nach 5 Tagen Erbrechen, das nie¬ 
mals vorher dagewesen. Der zuerst etwas geminderte Kopfschmerz wird wieder 
heftiger. Die Kranke bleibt im Bett, was sie sonst nicht getan hatte. 7 Tage 
nach der Lumbalpunktion verfiel die Pat. in Koma und erlag nach 
einigen Stunden. 

Sektion: Hn rechten Occipit a Happen Tumor von der Grösse 
einer halben Orange, die ganze weisse Substanz ersetzend, die Rinde mit 
Ausnahme einer kleinen Stelle hinten aussen frei lassend. Der Tumor reicht 
nach vorn bis zum Fuss des Parietaliappens, nach oben bis zur Fissura intcr- 
parietalis. An der Oberfläche des Tumors zahlreiche kl (‘ine Krwrielmngshorde 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



330 


0. Schön heck. 


Digitized by 


von schmutzig-gelblichem Aussehen. Der trut abgrenzbare Tumor ist auf dem 
Sohnitt dunkelrot und zeigt alveolären Hau. 

37. .Mayst re (52). 1903. 45 jährige Frau. Vor :2 Jahren Kopfsehrnerz, 
körperliche und geistige Schwerfälligkeit, Krämpfe, auf den linken Arm be¬ 
schränkt. Diagnose: Meningitis syphilitica, da auch sonst unzweifelhafte 
/eichen von Lues. Allmählich nehmen die Krämpfe zu. Alle Reflexe gesteigert, 
Pupillen reagieren normal. In letzten Tagen stärker ermüdet, schleppt das 
linke Hein nach. Andeutung von apoplektischem Insult, Sprachstörung (Kleben¬ 
bleiben und Stammeln), Intelligenzdefckt, Stupor. Inkohärenz. Zur Diffcrential- 
diagnose zwis<*hen Meningitis syphilitica und Paralysis progressiva Lumbal¬ 
punktion. Spannung deutlich erhöht. 20 ccm klarer Flüssigkeit, 
nicht sanguinolent, entleert. Punktion ohne Zwischenfall. Am Abend des¬ 
selben Tages Frbreehen, geringe Kopfschmerzen. Am nächsten Morgen Kopf¬ 
schmerzen leicht verstärkt, Pat. ist niedergeschlagen. Temp. 37,0°. Int 4 Uhr 
nachmittags = 30 Stunden nach der Punktion tritt plötzlich Koma 
ein. Die Wärterin hat in diesem Augenblick einige Bewegungen der (iesiehts- 
muskcln gesehen. Am nächsten Tage kommt die Pat. etwas zu sich, kann 
einige Worte hervorbringen, dann wieder Verschlechterung und am darauf¬ 
folgenden Morgen 3 1 2 I hr bei einer Temperatur von 41,3° Exitus (1V 2 Tag 
nach Fintritt des Komas, 2* 2 Tag nach der Punktion). 

Sektion: In der S c h ä d e 1 h ö li 1 e reichlich Blut, fliesst auch aus 
dem Hinterhauptsloeli hervor. Dura rechts besonders blutreich. Im vorderen 
Teil der rechten Hemisphäre haftet Dura dem Hirn fest an. Kon¬ 
gestion dort exzessiv, za hl reiche d Datierte (ie fasse, welche hier und 
d a ei ngerissen sind. 

I m rechten Stirn lappen sehr gef ässrei eh es Angiosarkom von 
grauvioletter Farbe und dem Volumen einer Orange. Der Tumor lässt sich 
leicht aus der Hirnsubstanz herausschälen. Er hat die Seitenventrikel fast 
ganz ztisam men gepresst. Im Niveau der Prot uberantia oceipitalis 
2 frische hämorrhagische Herde. 

38. Masing (S4), 1904. 22jährige Bäuerin. Früher stets gesund. Vor 
1 Jahre nach Sturz von einer Schaukel 1 Stunde lang bewusstlos, erholte sich 
wieder vollständig. Vor , )2 Jahr Leibsehmerzen und zeitweiliges Erbrechen. 
Seit 4 Monaten Kopfschmerzen, allmählich an Intensität zunehmend. Seit 
(I Wochen Herabsetzung des Sehvermögens, vor knapp 2 Wochen plötzlich fast 
völlige Erblindung. Apathie, heftige Kopfschmerzen, besonders in der rechten 
Stirnhälfte. Doppelseitige ausgesprochene Stauungspapille. Pupillen weit, licht- 
starr. auf Konvergenz reagierend. Die ganze linke Körperhälfte, besonders die 
linke (iesichtshälfte leicht paretiseh. Patellarreflexc fehlen. Puls TS. regel¬ 
mässig. Diagnose: Tumor cerebri mit vermutlichem Sitz im Stirnlappen. Durch 
Lumbalpunktion worden ohne Aspiration 30 ccm einer klaren, schwach 
opaleszierenden Flüssigkeit entleert. Anfangsdruck 100--150 mm H 2 0, 
zum Schluss gar kein Druck vorhanden, die Fliissigkeil tropft langsam 
aus dem herabhängenden Sch lau eh. 

Schon während der */ 4 Stunde dauernden Punktion treten Uebelkeit und 
starke Kopfschmerzen auf, so dass die Pat. vor Schmerz laut schreit. In den 
nächsten Stunden mehrfaches Erbrechen, grosse Unruhe, mehrere An¬ 
fälle von allgemeinen Krämpfen, kleiner, fadenförmiger Puls von 50 p. in. 
Nach einiger Zeit somnol ent er Zustand, in dem die Kranke 15 Stu n d on 
nach der Punktion stirbt. 

Sektion: Im rechten Tein porallappen über h üb nerei grosser 
hämorrhagischer ller«l. der nach innen bis fast an das Corpus Striatum 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


331 


reicht und mit einer grossen Oeffnung in das rechte Unterhorn dureh- 
irebrochen ist. Inhalt des Herdes: schwarzrote, anscheinend noch ziemlich 
frische Blutgerinnsel. Wandungen des Herdes fetzig zerrissen, bräunlich tingiert. 
Makroskopisch kein Tumor zu erkennen. Mikroskopische Untersuchung der 
II erd Wandungen ergibt ein rund zei liges, ziemlich stark pigmentiertes Sarkom, 
wahrscheinlich aus Gliazellen hervorgegangen. Subaraohnoidcalräunie und die 
nicht dilatierten Ventrikel enthalten geringe Menge blutig gefärbten, aber noch 
durchsichtigen Liquors. Subaraeh noidealräume der Basis, besonders 
an Med ul la ob longa ta und Pons mit rotem, anscheinend frischem 
Blut gefüllt. Diese Blutung erstreckt sich, das Rückenmark vorn und 
hinten umhüllend und allmählich schwächer werdend, bis zum Beginn der 
L e n d e n a n s e h w e 11 u n g. 

39. Nonne (S5). 190'). 40jährige Frau mit Symptomen eines Tumors 

der rechten Grosshirnhemisphäre. Diagnostische Lumbalpunktion entleert 15 
bis 20 ecm Liquor. Der Exitus erfolgte unter äusserst heftigen Kopf- 
schmerzen in fast unmittelbarem Anschluss an die Punktion. 

Sektion: Sehr gefäss- und zellreiches R undzel len sarkom im 
rechten Thalamus, mit einem kleinen Anteil frei in den rechten Seiten- 
Ventrikel hinein ragend. Profuse frische Blutung in den rechten 
S e i t e n v e n t r i k e 1. 

40. Ponnfick (SO), 1905. Demonstration eines Präparates von einem 
Kind mit llydrocephalus. bei welchem im Anschluss an eine sehr aus¬ 
giebige L u in b a 1 p u n k t i o n (50 ccm) eine tödliche i n t r ad u r a 1 e B1 u t u n g 
zustande gekommen war. Als Ursache der Blutung nimmt Ponnfick die 
plötzliche, sehr starke Herabsetzung des Hirndrucks im Vergleich zu dem Ge- 
fässdruek an. 

41. Gross (ST), 1905. 27jähriger Gärtner. Vor 5 Monaten angeblich 

im Anschluss an Influenza unter schweren Hirndrucksymptomen erkrankt. Es 
bestehen in schwankender Intensität: Kopfschmerz, Erbrechen, Pulsverlang- 
samung, Stauungspapille, Exophthalmus. Sehr auffällige Beeinflussung des 
Pulses und Steigerung der Hirndrucksymptome durch Lagcweehsol. Beim Bücken 
Puls unregelmässig, bei starkem Hintenüberneigen des Kopfes Schmerzen in der 
Xarkengogend und Schwindel, Puls 96 statt vorher 52. Vorübergehende rechts¬ 
seitige Abduzens-, später auch Trochlearisparcse; angeblich auch rechtsseitige 
Ptosis. leichter Nystagmus, schnellschlägiger Tremor in Armen und Beinen, 
links stärker. Herdsymptome fehlen dauernd. 

Die Diagnose schwankt zwisehern idiopathischem llydrocephalus chronicus 
und Tumor bzw. Tumor mit llydrocephalus. 

Wegen bedrohlicher Zunahme der Ilirndrueksymptome wird die Lumbal¬ 
punktion gemacht. 15 ccm Liquor fliessen klar und unter ziemlich 
hohem Druck ab. Während der Punktion bekommt der Pat. heftige 
Kopfschmerzen, so dass die Punktion abgebrochen wird. Am 2. und 
3. Tag darauf ist der Kranke vollständig benommen. Puls 50, Pupillen 
weit und rcaktionslos. Exophthalmus rechts sehr deutlich. Beiderseits Ptosis. 
Am 4. und 5. Tage nach der Punktion geringe Besserung, Pat. reagiert ab und 
zu auf Anruf, Puls 80—100, dauernd unregelmässig, Cyanose des Gesichts, 
Rasselgeräusche auf den Lungen, grosse motorische Unruhe. Am 6. Tag nach 
der Lumbalpunktion wegen des offenbar gesteigerten Hirndrucks Yentrikel- 
punktion rechts in Chloroformnarkose. Etwa 10 ccm klaren Liquors fliessen 
unter erst massigem, dann hohem Druck ab. 2 Tage nach der Ventrikel¬ 
punktion. S Tage nach der Lumbalpunktion ist Pat. vollständig be- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



332 


O. Soli (inbock. 


Digitized by 


nommon, linke Pupille stark erweitert, starke Cyan ose und Dyspnoe, 
röchelnde Atrium«:. Puls 140, Exitus letalis. 

Sektion: Massig erweiterte Ventrikel, (ieliirn ungewöhnlich gross. 
Sulci verstrichen, Gyri abgeflacht. An der Basis des linken Sehläfen- 
lappens, entsprechend dem Gyrus lingualis, fusiformis und Hippocampi, etwa 
w a l n u ss g ross e (i e s e h willst, an ihrer basalen Fläche mit Dura verwachsen. 
Ein hinterer Ausläufer der Geschwulst liegt dem Kleinhirn unmittelbar 
auf. Die Geschwulst liegt in einer Aushöhlung an der Basis des Sehläfen- 
lappens wie in ei nein Nest, doch setzt sich das G e s e h w u 1 s t g e w e b e durch 
die Hirnsubstanz bis in die medio basale Wand des Seiten Ventrikels 
fort und zieht diesen stark transversal aus, so dass das stark erweiterte 
Fnterhorn mit seinem grössten Durchmesser frontal gestellt direkt über der 
Geschwulst liegt. Der Tumor ist ein gefässreiehes Eibrosarkom, von 
z a h 1 r e i c h e n H ä m o r r h a g i e n d u r e h setzt. 

42. Schönborn (41), 1906. Aelterer Paralytiker mit ausge- 
s proc h e n e r p e ri p h ere r Art e ri os k ler ose. Punktion im Sitzen. Dru c k 
hoch, keine sichtbaren Druckschwan kungen. Es werden 6 ccm ab ge¬ 
lassen. Sofort nach der Punktion dauernde Kückeulage. 6 Stunden nach 
der Punktion Kopf- und Nackenschmerzen, nach 2 Tagen leichte 
Fiebers teigem ng, allmählich zunehmendes Koma, keine ausgesprochen 
meningitisohen, aber auch keine Herdsymptome. Nach 7 Tagen Exitus. 

Sektion verweigert. Wahrscheinliche Todesursache: hirn- 
a r t e r i o s k 1 e r o t i s c h e Blut u n g. 

43. Breton. Mi net. Trambli n (SS), 1906. Bei dem Manne entstanden 
nacheinander im Laufe von 2 Jahren Externusparalyse rechts. Jackson'sche An¬ 
fälle links, die sich ausbreiteten, mehrmals ununterbrochener 16tägiger Schlaf. 
Zuletzt vollständige Amaurose. 

Nach einer 1. Lumbalpunklion während eines Schlafanfalls hatten sich bis 
auf die Amaurose alle Symptome gebessert. 

2. diagnostische L u m b a lp u n k t i o n zur Feststellung des Zuckergehalts 
im Liquor: Es wurden 25 ccm einer unter Druck stehenden Flüssigkeit 
entleert. Klagen über lebhafte Kopfschmerzen während der Punktion. 
Nach 1 Stunde waren die Kopfschmerzen verschwunden. Der Kranke behauptete, 
die vor ihm stehenden Personen zu sehen. Bald darauf verfiel der Kranke in 
Halbschlaf, aus dem er nachmittags nur 2- oder 3mal erwachte, um sich 
über Kopfschmerzen zu beklagen. Die Nacht verging ebenso. Am folgenden 
Morgen (20 Stilnden nach der Punktion) starb der Kranke plötzlich, 
nachdem er kurz zuvor die Wärterin angeredet hatte. 

Sektion: Das Gehirn wiegt ungefähr 2 kg. Die ganze rechte Hemi¬ 
sphäre, deren Volumen vermehrt ist, ist von einem gefässh alt igeu Tumor 
durchwachsen, der gleich massig in das gesunde Nachbargewebe übergeht und 
sich vom untersten Teil des Stirnlappens bis zur Fissura calcarina ausdehnt. 
2 untere Fortsätze erreichen die Schädelbasis im Niveau des Tractus opticus. 
Der Tumor ist ein Gliom. 

44. Huber (89). 1907. Auf Drängen des Pat., der unerträgliche Kopf¬ 
schmerzen hatte. Lumbalpunktion. Darnach S Tage beschwerdefrei. Dann 
wieder Beschwerden genau wie vorher. 2. L umbalpun k t ion. Nach einigen 
Stunden Exitus. 

Sektion: Basaltumor am Pons, vorn unter dem Aquaeductus 
Sylvii. Der Tumor hatte die ganze Gegend komprimiert, so dass der 3. Ven¬ 
trikel b 1 ase n f ö r in i g vorgetrieben war. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


333 


45. De Lapersonnc et Ccrise (90), 1907. 24jähriger Mann stellt sich 
wegen Sehstürung vor. Stauungspapille beiderseits, rechts stärker. Zahlreiche 
hetinalhämorrhagien. Pupillen stark erweitert, links Lichtreaktion fast erloschen. 
Geringe Muskelsteifigkeit. Reflexe normal. Ausgesprochene Neigung, nach 
rechts zu fallen. Vor l / 4 Jahr gastrische Krisen, Kopfschmerzen, vollkommene 
Arbeitsunfähigkeit. Die Kopfschmerzen steigerten sich noch in den beiden letzten 
Monaten, sassen rechts und verschlimmerten sich besonders bei Anstrengung. 
Dann trat Erbrechen ohne Nausea hinzu. Zuletzt schienen sieh alle Symptome 
zu bessern, aber jetzt traten die Sehstürungen auf. 

Obwohl die Diagnose Hirntumor ziemlich feststand, diagnostische 
Lumbalpunktion im Sitzen. Nadel dringt leicht ein, Liquor erscheint 
in der Kanüle, fliesst aber nicht ab. Deshalb Ansaugen der ersten 
Tropfen mit Spritze. Darauf fhessen 100—120 Tropfen pro Minute ab, 
im ganzen kaum 9 ccm. Der Kranke wird horizontal gelegt, gibt leichte* 
Kopfschmerzen an. Nach 24 Stunden sind die Kopfschmerzen allmählich 
heftiger geworden. Leichte Somnolenz. Puls ein wenig langsamer. Der Zu¬ 
stand verschlimmert sieh, Puls 50. Am nächsten Morgen (48 Stunden nach 
der Punktion) Puls 40, Respiration unregelmässig. Temperatur 30,4°. 
Keine Nackensteifigkeit, geringe Kontraktur in den Beinen, vollständige 
Somnolenz, Floekonlesen. Der Kranke hat am Tag 2 asphy ktischc An¬ 
fälle mit Cyanosc, welche einige Minuten dauern. Abends Exit u s in Synkope 
(00 S t unden naeh der P unktion). 

Sektion: Im unteren Teil des rechten Frontal lappe ns Tumor 
von der Grösse eines kleinen Hühnereies. Der hintere Teil des Tumors 
weicher, der übrige Tumor härter als das Hirn. Der Tumor entspricht dem 
Supraorbitallappen, dessen Windungen abgeplattet und medianwärts verdrängt 
sind, er überragt ein wenig das Niveau des Gehirns. Keine Hämorrhagien. 
auch nicht mikroskopisch. 

46 . Klose (70). 1908. 13jähriger Knabe. Vor 2 Jahren stiess ein Lehrer 
den Kopf des Knaben mit dem eines anderen zusammen. Seitdem Klagen über 
allmählich sich verschlimmernde Kopfschmerzen. Später trat Erbrechen hinzu, 
das sich täglich wiederholte. Dann traten Anfälle von Benommenheit mit Er¬ 
brechen und Stuhl Verstopfung ein. die sich alle 6 8 Wochen wiederholten. 
Zuletzt traten die Anfälle alle 8 Tage auf, die Kopfschmerzen wurden stärker. 
Im letzten Vierteljahr krampfartige Verzerrung der rechten Gesichtshälfte, täg¬ 
lich 4 — 5 mal. Vor 4 Monaten vorübergehende Lähmung des rechten Armes. 
In der letzten Zeit mittags stärkere Benommenheit, Stöhnen und andauerndes 
Erbrechen. Boi der Aufnahme Sensorium benommen, Anruf wird mit schmerz¬ 
haftem Stöhnen beantwortet, geringer Nystagmus bei Oeffnen der Augen. Schädel 
auffallend stark entwickelt, kleine Stelle des linken Scheitelbeins neben der 
Sagittalnaht als empfindlichste angegeben. Beiderseits Sehnervenatrophie auf 
der Basis durehgemachter Stauungspapille, Temperatur mitunter 38,0°, Puls 
regelmässig. 

Lumbalpunktion an dem noch somnolcnten Knaben. Druck 410 mm 
ILO. 40 ccm des völlig klaren Liquors abgelassen. Benommenheit 
schwindet. Knabe steht am Nachmittag auf, Gang unsicher, mit Neigung 
nach links zu fallen. 6 Tage ganz wohl. Er verlangt wieder punktiert zu 
werden, «damit ihm wieder leichter werde“. Seitdem wird alle 3 4 Tage 

punktiert. Die geistigen Fähigkeiten heben sieh auffallend. 

Eines Tages reisst der Knabe eine Glühlampe herunter und zieht sieh 
dabei eine bis auf den Knochen reichende Seh ni 11 w unde am rechten llinlcr- 
k<>pf zu. Kurz darauf Klagen über Kopfsehmerzen. l 2 Stunde später klonisch- 


Digitized by 


Gck igle 


Original ffom 

UNIVERSUM OF IOWA 



334 


O. Schönbeek, 


Digitized by 


ionische Krämpfe im rechten Fazialisgebiet und mehrfaches Erbrechen. Starke 
K npfsch m erzen und zunehmende Somnolenz. 1 Stunde nach dem 
l T n f a 11 Lumbalpunktion. E n t1 e e r u n g von *25 ccm k 1 ar e r F 1 ii s s i g k e i t 
bei Druck von 800 mm ILO. Puls dabei kräftig, regelmässig, normal. Während 
der Punktion kommt der Knabe wieder zu sich, meint, dass es ihm nun 
wieder besser gehe. Plötzlich sinkt er tot zurück. Klinische Diagnose: 
Tumor cerebelli? sin ist ri ? 

Sektion: Dura gespannt. Nach Eröffnung fliesst geringe Menge klaren 
Li<|itors ab. llirnoherfläehe trocken glänzend. Windungen stark abgeplattet. 
Hei Herausnahme des Hirns reissen die Ventrikel ein. es strömt 
eine mächtige Flüssigkeils menge ab. Infundibulum hypo p Lysis 
springt als mit Flüssigkeit gefüllte Heere vor. Beide Sei ton ven t rikel 
stark erweitert. In der Tiefe des 3. Ventrikels unter der dünnen 
mittleren Kommissur wölbt sich ein kirschgrosses Gebilde gallertweicher 
Konsistenz vor mit einigen Blutungen an der Oberfläche. Plexus ehorioideus 
blass, nicht besonders gross, (’erebellum ist äusserst weich, der untere 
Wurm wölbt sich ziemlich stark vor. Beim Einschneiden erscheint er 
ziemlich flach, bis 1 cm breit. Darnach quillt eine weisse Masse mit spie¬ 
gelnd glänzender Oberfläche vor. die den stark erweiterten 4. Ventrikel 
fast vollständig ein nimmt. Am Kopf des Xucleus caudatus auf der linken 
Seite 3 linsengrosse, sich flach vorwülbende Flecke; rechts ähnliche kleine Ver¬ 
wölbungen, alle weisslieh aussehend. Oedem des extraduralen Bindegewebes. 
Frische circumscripte Blutung von Kirschgrösse im ITuorhautZellgewebe am 
3. Lumbalwirbel. An der Lurnbalansehwellung linsengrosser prominenter Herd, 
dicht darunter stecknadelkopfgrosser. Pathologisch-anatomische Dia¬ 
gnose: Wal nussgrosses, 4. Ventrikel grösstenteils ausfüllendes 
w e i c h e s E p e n d y in u g 1 i o m. t e i 1 w e i s e c y s t i s e h e s G 1 i o m a m Boden des 
3. Ven t ri kes. Kleinere Ependymome des Xucleus caudatus und des Rücken¬ 
marks. 

47 . Los ne et Rov (91). 190S. 7 jähriges Mädchen. Typischer Fall von 

Kleinhirntumor. Kurz nach der Lumbalpunktion Exitus. 

Sektion: Gliom des Kleinhirns mit einer grossen, flockige Flüssigkeit 
enthaltenden Cyste. 

48 . Serge nt et Greuel (92), 1908. 24jähriger Architekt. Erkrankt 
vor 4 Wochen plötzlich mit Kopfschmerzen, Schwindel, Erbrechen, heftigen 
Schmerzen im Genick. Verliert dabei das Bewusstsein. Puls 52. Dieser Zu¬ 
stand dauerte 5 Tage. Darnach mehrere Tage Gedächtnisstörung. Puls bleibt 
S Tage verlangsamt. Nach scheinbar vollständiger Erholung (nur der Nacken 
war noch etwas steif) nach längerem Klavierspielen ein neuer, dem ersten ähn¬ 
licher Anfall, aber ohne Bewusstseinsverlust. Später noch ein paar kleinere 
Anfälle mit Nackensteifigkeit, Spasmus glottidis und Rotation der Bulbi nach 
oben. Nach einem neuen grösseren Anfall Eintritt in das Krankenhaus. Der 
Kranke ist niedergeschlagen, spricht langsam, klagt über heftige Schmerzen im 
Hinterkopf und beständiges Schlucken. Wirbelsäule wie versteift. Alle Be¬ 
wegungen schmerzhaft. Kernig ungleiche, springende Pupillen. Temperatur 
87.5°. Lumbalpunktion in Seitenlage fordert unter offenbar erhöhtem Druck 
gleich massig hämorrhagische Flüssigkeit heraus. Zustand bleibt unverändert. 
Nach einigen Tagen neue Lumbalpunktion mit demselben Resultat. In den 
folgenden 8 Tagen fortschreitende Besserung, besonders die Kopfschmerzen haben 
beträchtlich nachgelassen. 

Neue Lumbalpunktion in Seitenlage. Flüssigkeit fliesst leicht ah, 
aber Tropfen auf Tropfen, ohne Aspiration. Nur noch leicht gelbliche 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


335 


Färbung der Flüssigkeit. Xaeh Abfluss von kaum 5 ec in klagt der Pal. 
plötzlich über heftige Kopfschmerzen, stösst einen Schrei aus und ver¬ 
liert das Bewusstsein. Puls, einen Augenblick schwach, hebt sich bald wieder 
und bleibt voll und regelmässig. Die Respiration lässt zunehmend nach, 
•die einzelnen Intervalle werden immer grösser, Pat. wird cy anotisch, Pupillen 
erweitern sieh. Künstliche Atmung. Ungefähr 1 / 4 Stunde lang scheint 
Besserung einzutreten, die Pupillen werden normal, einige spontane Atem¬ 
bewegungen erfolgen. Bald sistiert die Atmung von neuem, der bis dahin gute 
Puls wird schwach, Pat. stirbt 2 Stunden nach der Punktion, ohne das 
Bewusstsein wiedererlangt zu haben. 

Sektion: Hirnwindungen abgeplattet. Seit en von t rikel und 4. Ven¬ 
trikel mit Blut gefüllt. In den Seitenventrikeln Blutgerinnsel. An der 
Unterseite des Orebcllmns links der Medianlinie ein Aneurysma am Stamm 
der Artcria eercbelli inferior von der Grösse einer Murmel, welches die 
Medulla oblongaia komprimiert. An der Unterseite des Aneurysma in 
dessen ganzer Ausdehnung ein Längsriss. Die Höhlung ist mit Blutgerinnseln 
ausgefüllt. Weiter nach oben, unmitteldar darüber, eine zweite ancurysmatisehe 
Anschwellung, welche nicht geborsten ist. Herz in Systole, vollkommen blutleer. 

49 . M inet etEtienne Verhaeglic (93), 1908. 36jähriger Mann. Schon 
vor 1 Jahr 6wöchiger Krankenhausaufenthalt. Damals Klagen über tiefsitzenden 
Kopfschmerz, Schwindel. Taumel, der bis zum Umfallen ging. Seitdem Seh¬ 
störungon. Zuletzt stellte sich Wechsel von Somnolenz und Aufregung ein. 
Allgemeine Muskelsteifigkeit, komplette Amaurose, Pupillen ungleich. Kopf¬ 
schmerzen anhaltend und heftig, Antworten unzusammenhängend. 

Diagnostische Lumbalpunktion. 25 ccm entleeren sieh in einigen 
Sekunden unter starker Spannung. Nadel zurückgezogen, als die Spannung 
noch ziemlich stark war. Horizontale Rückenlage. Xaeh V 2 st findiger Ex- 
citalion schlief der Patient ruhig ein. Er wurde einmal von der Schwester 
geweckt, die über den tiefen Schlaf erstaunt war und ihm zu trinken bot. Kr 
weigerte sieb. 6 Stunden narb der Punktion fand man den Patienten tot 
im Bett. 

Sektion: Voluminöses Gehirn. Venöse Stase und stellenweise punktförmige 
Blutungen. A n der Innenseite u n d i m un t e re n Teil d es Fron t a I - 
lappens ein Tumor (kleinzelliges Rundzellensarkom) von der Grösse 
einer Mandarine, welcher in beide Hemisphären und das Corpus eallosum 
cingedrungen ist. Die Grenzen des Tumors sind ziemlich scharf, das Gewebe 
morsch und von hämorrhagischen Inseln durchsetzt. Lh|uor war 
reichlich vorhanden, besonders in den Seitenventrikeln. 

50. Ilennig (94), 1908. 16jähriges Dienstmädchen. Seit 3 Monaten 

Kopfschmerzen, seit 2 Monaten Schwindelanfälle, zuweilen taumelnder Gang. 
In den letzten 4 Wochen Apathie, Kopfschmerzen, Gang immer unsicherer. Pat. 
fiel oft hin. In letzter Zeit häufig Erbrechen, Abnahme 1 des Sehvermögens, 
links mehr als rechts. Beiderseitige Stauungspapille. Pupillen weit, links weiter 
als rechts, reagieren träge. Ptosis beiderseits. Weiterhin häufiges Erbrechen, 
stärkere Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Anfälle von Bewusstlosigkeit mit 
Zuckungen in den Armen. 

Durch Lumbalpunktion in Seitenlage werden bei Anfangsdruck von 
345 m m I1 2 0 15 ccm klarer Fliis s i g k c i t e n 11 c e r t, Enddruck 160 mm 1 Id>. 

Nach der Punktion Unruhe und Klagen über sehr heftigen 
Kopfschmerz, der sich zunächst bessert, bald aber wieder heftiger wird. 
Während der Nacht zunehmende Verschlechterung, Pat. wird sehr unruhig, 
allmählich benommen. Ausgesprochener Druckpuls. Am nächsten Morgen, 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



336 


<>. Schönbeek, 


Digitized by 


11 ) 1 ,2 Stunden nach der Punktion. Exitus im Koma unter plötzlichem 
A t m u ngss ti11 st a nd. Nach Aufhören der Atmung Herztätigkeit noch mehrere 
Minuten erhalten. Klinische Diagnose: Tumor ecrebri ohne Lokalisation. 

Sektion: ln der oberen Wand d es A q u aed u et us S y 1 v i i höckeriger, 
harter, etwa hoh nen nrnss er Tumor. In der Höhe desselben war die Kom¬ 
munikation zwischen den vord e re n Yen t ri k e ln und dem 4. Ventrikel 
vollkommen verlegt, trotzdem bei genauer Untersuchung ein Lumen noch 
vorhanden war. Man konnte jedoch mit feinster Sonde vom 4. Ventrikel aus 
über die verlegte Stelle nicht hinauskommen. 

51. llennig (94), 1908. 38jährigor Mann, wurde vor 1*2 Wochen ohne 
Vorboten von heftigen klonischen Krämpfen des ganzen Körpers befallen. Dabei 
völlige Bewusstlosigkeit und Zungenbiss. Nach dem Erwachen keine Lähmungen, 
Temperatur über 38,0°. Es soll stets Eiweiss im Harn gewesen sein. Nach 
4 Wochen wieder genesen. Vor 20 Tagen ziemlich plötzlich heftige Kopf¬ 
schmerzen, die nun Tag und Nacht anhielten. Häufiger Singultus, Gähnen und 
einige Male Erbrechen, keine Krämpfe mehr. Seit mehreren Jahren Lichtscheu. 
PapiIlitis, rechts stärker als links. Eine gewisse Schwäche des rechten Facialis. 
Vor 2 Tagen plötzlicher Kollaps. Zunahme der Kopfschmerzen, die vom Patienten 
nach rechts verlegt werden. Schwäche des linken Abduzens und gleichnamige 
Doppelbilder. Hirndruckpuls (50—A4—48). Wegen der unerträglichen Kopf¬ 
schmerzen und des Pulses Lu ml>a 1 p u n k t i on zwischen 2. und 3. Lendenwirbel. 
Anfangsdruek 320 mm H 2 D. nach Entleerung von etwa 10 ccm leicht 
gelblich gefärbter Flüssigkeit sinkt der Druck auf ldO—180 mm H_»D. 
Nach der Punktion Zustand unverändert. Kopfschmerzen von unvermin¬ 
derter Heftigkeit, grosse Unruhe, Pat. gibt auf Fragen keine Antwort. In der 
Nacht kein Schlaf (trotz Morphium gegen die Kopfschmerzen). Am nächsten 
Morgen ist Pat. wohl lud Bewusstsein, aller völlig teilnahmslos. Neu aufgetreten 
ist eine starke Miosis des linken Auges, während die rechte Pupille mittelweit 
ist. Nach mit tags 2 1 2 Uhr plötzlicher Atmungsstillstand bei gutem 
Puls, der noch eine Zeit lang fühlbar bleibt. Dann Exitus. 23 V 2 Stunden 
nach der Punktion. Klinische Diagnose: Tumor ecrebri. wahrscheinlich in 
der rechten Hemisphäre, nicht lokalisierhar. 

S e k t i o n: S e li r w e i e lies Sarkom. < I as sieh v o n d e r r e e h t e n u n l e r e n 
Stirn Windung nach hinten wachsend bis unter die G ross hi rngangl ie n 
erstreckt und etwas jenseits der Uorpora quadrigemina endet. Der ganze 
vordere Teil der Geschwulst ist von einer frischen Blutung einge¬ 
nommen. In ihrer Umgebung zeigt die Hirnsubstanz die Erscheinungen der 
akuten Encephalitis. 

52. Bevor (95). 1909. 31 jähriger Bauernsohn. Wegen Gtitis media mit 

Uehergang auf das Antrmn mastoidcum Eröffnung des Antrmns. Defekt im 
Antrum, Dura erscheint unverändert. 

In den nächsten 'Pagen starke Schmerzen in der rechten Kopfseite, die 
Temperatur geht allmählich auf 38.9. Puls um SO. Pat. wird somnolent. Da 
Verdacht auf Hirnabscess bestellt, 4 Punktionen in Aethernarkuse 
durch die freigelegte Dura mit grosser Pravaz' scher Spritze. 
Es mit leert sich lediglich etwas blutig gefärbter Liquor. Unmittelbar nach der 
Operation rmeli in Narkose Lumbalpunktion wegen Verdachts auf Menin¬ 
gitis. Unter deutlich erhöhtem Druck werden etwa 30 ccm leicht 
blutig gefärbten, ziemlich getrübten Liquors entleert. Der Puls ist 
während der Punktion nach kurzdauernder Besehleunigunggleich- 
iiiiissig gut geblieben. Etwa 20 Minuten nach der Operation atmet der 
Pat. plötzlich ziemlich schwach, es tritt rasch hochgradige Uyanose 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


337 


ein, der Puls wird klein und frequent. Trotz Verziehens der Zunge und künst¬ 
licher Atmung innerhalb 5 Minuten Exitus. 

Sektion: An der rechten Hemisphäre hochgradige hämorrhagische 
Durehiränkiing der weichen Häute, besonders stark auf der l'nterseitc des 
recht en Stirn Lappens, zum Teil auch des Occipital Lappens. Kirschkerngrosser 
Abscess, von hämorrhagischem Erweichungsherd umgeben. In der Umgebung 
desselben mehrere punktförmige Blutungen, von den Probepunktionen her- 
riihrend. Der Stichkanal der 4. Punktion endet in der mit Cruor- 
massen dicht gefüllten Fossa Svlvii. Zweifellos hat durch diesen Ein¬ 
stich eine Verletzung eines die Fossa Svlvii durchziehenden Gefässes (kleiner 
Ast oder Vene) stattgefunden. 

Die Lumbalpunktion musste geradezu aspirierend auf das verletzte Gefäss 
gewirkt haben. 

53. Breton et Gachlinger (9G), 1909. Frau von 30 Jahren mit der 
Diagnose Meningitis tuberculosa aufgenommen. Seit 2 Jahren Husten, seit 
einigen Monaten stark abgemagert. Keine Hämoptyse. Seit 8—10 Tagen 
Klagen über intensiven ununterbrochenen Stirnkopfschmerz. Seit 3 Tagen er¬ 
bricht die Frau alles, was sie zu sieh nimmt. Zeichen von Phthise der 
rechten Spitze. 

Stirnkopfsehmerzen unverändert heftig und beständig, Nacken eingezogen, 
passive Bewegung des Kopfes .schmerzhaft. Geringe Lichtscheu, Kernig, 
Trousseau'schcr Streifen. Leichtes Delirium, etwas Floekenlesen. Der Kopf¬ 
schmerz nimmt zu, ist therapeutisch unbceinflussbar. 

Durch Lumbalpunktion werden 15 ccm klarer, unter Druck 
stehender Flüssigkeit entleert. Viele Lymphocyten, keine Leukoeyten. 
Nach der Punktion keine Erleichterung, die Kranke klagt fortgesetzt 
über Kopfschmerzen. Kein Schwindel. 

Xach einer St.unde findet die Wärterin die Kranke tot im Bett. 

Sektion: Geringe Zeichen einer wenig fortgeschrittenen Meningitis tuber¬ 
culosa. Keine Veränderung, die als Ursache für den plötzlichen Tod angesehen 
werden könnte. 

54. Haussen (97), 1910. 40jährige Frau. Diagnose: Vitium org. 

cerebri. Pat. hat sieh immer wohl gefühlt, abgesehen von Kopfschmerzen, die 
seit mehreren Jahren bestehen. Seit 3—4 Monaten Zunahme der Kopfschmerzen, 
Schwindel, Ohnmacht, Gedächtnis lässt nach. Seit 2 Monaten haben die Sym¬ 
ptome ständig zugenommen. In der letzten Zeit nahm das Gehör ab. 

Jetzt bestehen starke Kopfschmerzen und Schwindel. Puls 72, unregel¬ 
mässig. Temperatur 36,0°. Die Pat. ist mitunter unruhig, schreit laut; 
Strabismus, Pupillen ungleich, Wassermann im Blut positiv. Lumbalpunktion 
in Seiten läge. Anfall gsdruck 300 mm H>0 sinkt nach Ablassen von 
12 ecm unter 100 mm H 2 0. Punktion abgebrochen. 

Nach der Punktion war Pat. unruhiger, schrie und jammerte über 
Kopfschmerzen. Nach 5 Stunden bekam sie einen Krampfanfall, der 
Kopf streckte sich hintenüber und die Frau rollte von einer Seite im Bett nach 
der anderen. Unmittelbar darnach wurde der Puls schlecht, die 
Respiration hörte auf. das Gesicht wurde leichenblass. Das Bewusstsein 
war vollkommen aufgehoben. Pupillen stark erweitert, reaktionslos. Patellar- 
refb'xe aufgehoben. Puls und Ilerzaktion 50—G0. U n t e r k ii n s 11 i ch e r 
Atmung wird der Puls etwas besser. Da der Zustand mittlerweile als 
hoffnungslos aufgefasst wurde, sah man von weiterer künstlicher Atmung ab 
und ea. 20 Minuten nach dem Respirationsstillstand hörte unmerk- 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



338 


O. Sehönbcck, 


Digitized by 


lieh die Herzak t ion auf. (Exitus 5 1 ' 2 Stunden nach der Lumbal¬ 
punktion). Icmperatur unmittelbar nach dem Tod 36,S. 

Sektion: Zapfenförmige Verlängerung des (’erebelluins (Photographie.) 
Ausirebreitete gummöse Periostitis des Schädels. Grosshirn zeigt breite flache 
Gyri, schmale Sulci. Oberfläche des Hirns trocken, an die Dura angepresst. 
Medulla oblongata in ihrem obersten Teil ganz flach und breit, 
gleichsam in das Kleinhirn hineingepresst, dessen Tonsillen ziemlich 
stark an der Seite der Medulla oblongata vorspringen. 

Im Lohns temp. sup. sin. ein 7:5:3 cm grosses gummöses Infiltrat, ferner 
ein flaches Oberflächeninfiltrat in der linken C'erebeliarhälfte. 

Seiten ven t rikcl und Hinterhorn etwas erweitert, enthalten aber 
nicht besonders reichliche Flüssigkeit. Aquaeductus Sylvii etwas weit. 
Im 4. Ventrikel keine Hlutung oder Erweichung. 

55. (’ursch mann (98), 1910. 58jährige Frau. Depression. Kein 
Fieber, keine meni ngitischen Symptome. Zur Differentialdiagnose gegen 
Paralysis progressiva Lumbalpunktion unter allen aseptischen Kaut eien. 
Befund der Punktion normal. 3—4 Tage darnach typische meningitische 
Symptome und Fieber, Opisthotonus. Kiiokenstarrc, heftige Kopfschmerzen, 
Kernig, zunehmende Somnolenz und Schluckbeschwerden. 8 Tage nach der 
erstem 1 * u in b a 1 p u n k t i o n ergi bl ei ne zweite eitrig e n L i q u o r. 

Pat. kam ad exitum. 

Sektion: Hochgradige, Konvexität und Basis gleich massig um¬ 
fassende Meningitis. Im Abstrich sehr spärlich kurze Streptokokken. Keine 
Entzündung an der Einstichstelle in Muskulatur, Weichteilen und Rückenmarks¬ 
häuten. Eiterherde, als deren Metastase die Meningitis aufgefasst werden 
könnte, waren nicht vorhanden. 

56. Curschmann (98), 1910. 37jähriger Mann. Seit 2 Jahren Husten. 

Auswurf, Xaclitschwcis.se, bisweilen buchte Hämoptysen. Vor 7 Monaten 
Schmerzen in Hinterkopf-Xackengegend, bisweilen Gefühl von Nackensteifig¬ 
keit. Damals auch nach Aussage der Frau Wackeln der Augen beim Blick 
nach rechts. 

Hauptbeschwerden: enormer Schwindel. Unsicherheit beim Gehen, anfalls¬ 
weise sich steigernd. Pat. begann beim Gehen zu stürzen (nach beiden Seiten). 
Seit 3 Monaten bettlägerig. Zunahme der Kopfschmerzen, die sich zu heftigen 
Paroxvsmen steigerten, rascher Verfall. 

Grosser abgemagerter Mann, vor Schmerzen laut stöhnend. Puls 136 -140. 
Lungentuberkulose. Geringe Nackensteifigkeit, massiger Schwindel beim Auf¬ 
richten, Neigung nach rechts zu fallen, Gehen völlig unmöglich. Schädel auf 
Druck und Beklopfen besonders in der rechten Üecipital- und Stirngegcnd 
ziemlich schmerzhaft. Bald nach der ersten Untersuchung ungemein heftiger 
Schmerzanfall: Sehweiss, Gesichtsröte. Erbrochen. Sehstörungen und hochgradiger 
Druckpuls (40 pro Minute gegen 140 bei der Aufnahme). 

Lumbalpunktion in Seitenlago. Druck 400 mm IU,U. Liquor klar. hell, 
nach Entleerung von 20 ccm ist der Enddruck 120 mm H 2 0. Sofort nach 
der Punktion sehr erhebliche Besserung aller Bosch werden. Die 
Besserung hielt einige Tage an, so dass Morphium ausgesetzt werden konnte. 
Nach etwa einer Woche beginnen die Schmerzanfälle von neuem. Neue 
Punktion: Pat. in leidlich gutem Zustand, afebril. Puls 130. Punktion hei 
tiefgelagertem Kopf in linker Seitenlage. Aufangsdruck 360 nun H 2 n - 
langsames Ablassen von ea. 15 ccm klaren Liquors. Da entstehen 
plötzlich bei Druck von 180 nun ll 2 0 rasche Druckscli wank u ngen und 
rapides Absinken des Druckes. Punktion wird sofort abgebrochen. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


339 


Schon im Moment des Eintritts der Druekschwankiini; klagt Pat. über 
Atemnot und entleert schaumiges Sputum. Der Puls 1P2. leidlich gespannt. 
Die A t mu n g wi rd in den nächsten Minuten i m m er s c h l ec h t e r, lange Atem¬ 
pausen treten auf, schliesslich Apnoe. Trotz künstlicher Atmung, Kampfer, 
Aether. bleibt die Atmung aus, während das Herz S Minuten nach Aussetzen 
der Atmung noch weiter schlägt. Etwa 12—14 Minuten nach der Punktion 
E x i t u s. 

Sektion: Vorgeschrittene uleeröse Lungentuberkulose. — Ki rsehgrosses, 
verkästes Tuberkulom des Verniis cerebelli, das in den 4. Ventrikel 
hi nein ragt und auf dessen Boden auf liegt. Dabei hochgradiger Hydro¬ 
zephalus internus, Erweiterung des Seiten Ventrikels und be¬ 
sonders hochgradig des 3. Ventrikels. Keine Beteiligung der Meningen. 

57. Marinesco (59), 1910. 40jähriger Mann. Vor 25 Tagen Parästhc- 

sien in der rechten Schläfengegend. Pehelkeit, Schwindel, Schwächegefühl. Auch 
vorher gelegentlich Schwindelerscheinungen seit 2 Jahren. In den letzten 
10 Tagen hatte sieh das Gehen verschlechtert, Neigung nach links zu fallen. 

Status praesens: Tcmp. 37.0°, Puls 58—60. Kopf ist nach links ge¬ 
neigt. Gcsichtsfalten links verstrichen, Anisokorie. rechte Pupille weiter, linke 
Lidspalte weiter als rechts, leichter Enophthalmus links. - Perkussion der 
rechten Parietooccipitalgegend empfindlich. Leichte Paresen der linken Extre¬ 
mitäten. Cerebellarschwindel, leichte Deviation des linken Bulbus nach innen, 
glcichsehtägiger Nystagmus, Diplopie. Hemianästhesie links aller Gefühls¬ 
qualitäten, Schmerzempfindung etwas weniger geschädigt. Astereognosie. Der 
Kranke erscheint deprimiert, während der Nacht aufgeregt, lvoprolalie. Babinski 
links. I > atellarreflex links herabgesetzt, Cremaster- und Hauchreflex aufgehoben. 

Lumbalpunktion im Sitzen. 10 ccm einer klaren Flüssigkeit 
werden abgelassen. Der Druck wird dabei erhöht gefunden. Ausser Stei¬ 
gerung der Kopfschmerzen und des Schwindels keine Armierung. Am 
nächsten Morgen verschlimmert, sich der Zustand des Kranken, er lässt I rin 
unter sich, ist somnolent, halluziniert. Es tritt Erbrechen ein, die Temperatur 
■steigt auf 38.7°. Am 3. Tag nach der Punktion Exitus letalis bei Tem¬ 
peratur von 39,3 °. 

Sektion: Tumor im rechten Peduneulus und in der Nähe des 
Tuberculum anterius corporis quadrigemini, der den rechten oberen Peduneulus 
und die Substantia reticularis zerstört hatte. Der Tumor von earei no matöser 
Beschaffenheit ist von einem Kranz starker frischer Hä inorrhagien 
umgeben. 

58. M arinesco (59), 1910. 19 jähriger junger Mann. Vor 2 Monaten 

Kopfschmerzen, gefolgt von Hemiparese links, Schwindel und Parästhesien in 
den linken Extremitäten. 

Status praesens: Auf der linken Seite ziemlich deutliche Hemiparese, 
Seusibilitätsstürungen, Steigerung der Sehnenreflexe, Aufhebung der llautreflexc. 
Klagen über Schwindel und heftige Kopfschmerzen. Durch Lumbalpunktion 
werden ca. 10 ccm Cerebrospinalfliissigkecil entleert. Der Zustand des Kranken 
verschlimmert sich und 3 Tage darnach stirbt er unter Zeichen eines apoplek- 
tisehen Insults. 

Sektion: Hirntumor mit starken frischen Hämorrhagien im Innern, der 
sich als Gliom erwies und beinahe die ganze rechte innere Kapsel einnahm. 

59. Marinesco (59), 1910. Ein Fall von Tumor cerebri. Es wurden 
12 ccm durch Lumbalpunktion entleert. 30 Stunden nachher Exitus. 
Keine Autopsie. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107, Hoft 2 .>•» 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


340 G. Schönbeek, 

60. Spiller (99), 1911. Musketier R. .Seit gestern heftige Kopf¬ 

schmerzen. Temperatur 37,8 °. Puls 02. Puls und Arterien nichts Auffallendes, 
keine Zeichen von Arteriosklerose. Kopf im Nacken versteift, nach hinten ge¬ 
bogen. Passive Bewegung des Ko]>ft*s nach vorn unmöglich, nach der Seite nur 
unvollkommen. Temperatur steift auf 3S.2 °. Wegen Verdachts auf epidemische 
Genickstarre Aus wischen des Nasenrachenraums mit Wattetampon. 
Nächsten Tag wird um Lumhalpunktat und erneuten Abstrich seitens des hyirie- 
nischen Instituts ersucht. Subjektives Befinden hatte sieh inzwischen etwas 
gebessert. 

Lumbalpunktion in linker Seiten läge zwischen 5L und 4. Lenden¬ 
wirbel ging glatt \onstatten. Die L e re b ms p i n a 1 f 1 üssi g k ei t träufelt so 
langsam wie gewöhnlich, stand also wohl nicht unter abnorm hohem Druck- 
Das Austräufeln beirann sofort nach Ilerausziehen des Mandrins. Die Flüssig- 
keit ist ircl bl ich. wie heller Priu. ranz leicht getrübt. Insgesamt wurden 
0,5 ccm abgelassen. Nach der Punktion Aus wischen des Nasen¬ 
rachenraums mit Waltetampon. Hierbei eine Würgbewegung, aber nicht 
gerade auffallend stark. Gleich darauf richtete sich der Patient, der bis 
dahin still gelegen hatte, etwas auf. bekam mit dem Aufschrei „Mein Kopf’* 
einen kurzen St reck kram pf und wollte rückwärts aus dem Bett fallen. Be¬ 
wusstsein war geschwunden, die Atmung stockte, der Puls begann zu 
seliwinden. Bis zu diesem Moment waren seit der Punktion etwa 5 Minuten 
vergangen. Sofortige Wiederbelebungsversuche brachten die Atmung nicht 
mehr in Gang. Aethor und Suprarenin regten die llerzkraft vorübergehend 
an. Nach 2 1 2 Stundrn war die llerzkraft erloschen. Lumhalpunktat keine 
Bakterien, die Färbung rührte von Krythrocyten her. 

Sektion: ln den abhängigen Schädelgruben ziemlich beträchtliche Mengen 
dunkelflüssigen Blutes und reichlich Blutgerinnsel, mit der aus dem Wirbelkanal 
nachflicssendcn Flüssigkeit mindestens 250 ccm. Die Ventrikel mit Aus¬ 
nahme des linken II i n t erb o rn es, wo ein kleines Blutgerinnsel ange- 
troffen wurde, leer. Als Frsaehe der Blutung eine Sch 1 agadergesehw u 1 st 
von Kirschgrösse gefunden, der rechten Vertebralarterie angehörend, an 
der Grenze zwischen Brücke und verlängertem Mark sitzend. Die 
Finrissstelie lag am unteren Pol und war ungefähr 1 cm lang, lrn W’irbelkarial 
war die Blutung bis zur Lauda equina gedrungen. Mikroskopisch handelte cs 
sich um (‘in echtes sackartiges Aneurysma. Die W andung an der Einriss- 
stelle enthielt gar keine elastischen Fasern mehr, sie bestand fast nur 
aus der innen mit Epithel bekleideten Advcntitia, welche an einigen Stellen 
durch zum Teil organisiertes geronnenes Blut verdickt wurde, das schon bis in 
ihre äussersten Faserschichten vorgedrungen war. 

61. van Li er (100), 1912. Bei einem fiel) er losen Kranken mit 
schweren spinalen Frseheinungcn sollt«' die Lumbalpunktion gemacht 
werden. Die Wirbelsäule war durch C'hnndrodystrophie verbildet, so dass 
die Punktion schwierig war. Am Abend desselben Tages stieg di* 1 
Temperatur auf 40°. Der Kranke erlag in einigen W'ochen einer 
P y ä m i e. 

Sektion: Abgesackte eitrig«' Meningitis, längs der Lymphsehriden «I*t 
N erven fortgeschrittene F.iterung. die bilaterale Psoasabseesse erzeugt hatte. 
Metastatische eitrige Periearditis, Lungenabscess. kurz Pyätnie. Keine allge¬ 
meine eitrige Meningitis. 

62. Reich manu (72), 1912. 42jährige Frau. Vor 2 .Jahren heftige 

Kopfschmerzen, zeitweise zum Rasendwerden. Seit 7 Monaten Abnahme des 

Sehvermögens. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY 0F IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


341 


Status praesens: Sensorium frei, Kopf- und Hirnnerven völlig intakt, 
hochgradige Stauungspapille rechts, links weniger ausgesprochen, keine Sensibili¬ 
tät sstörungen 

Die Lumbalpunktion zeigt bei einem Anfangs druck von 350 mm 
ILO ausserordentlich hohe pulsatorische Schwankungen von über 40 mm ll 2 0 
Während der Punktion sinkt der Druck langsam unter Nachlass der Schwan¬ 
kungen bis auf 230 mm H 2 0. Um das Verhalten dieser Schwankungen in anderer 
Lage zu beobachten, wird die Kranke vorsichtig aufgesetzt. Die Puls- 
Schwankungen sistieren momentan, nicht aber die Atmungsschwankungen, 
die vorher nur verdeckt waren. Druck im Sitzen nur 120 mm 1I 2 0. Die 
Kranke wird vorsichtig wieder in Horizontal läge gebracht. Dabei steigt 
der Druck wieder etwas und die Pulsschwankungen kehren wieder, 
jetzt aber nur 3—4 mm hoch. Die im Steigrohr befindliehen 3,8 eem enthalten 
weder Eiweiss noch Zellvermehrung. 

Noch am selben Abend Klagen über heftigste Kopfschmerzen, 
«ler Kopf kann garnicht bewegt werden. In den nächsten beiden Tagen wieder¬ 
holtes Erbrechen. Am 3. Tage nach der Punktion wird die Kranke benommen, 
lässt Harn und Kot unter sich. Kein Fieber, keine Nackensteifigkeit, Gesicht 
maskenhaft, Strabismus divergens. 

Neue Punktion im Liegen ergab Anfangsdruck von 230 mm ILO, End- 
drurk 120 bei einer abgelassenen Lhjuormcnge von 9 ccm. Geringe Pulsations- 
tind Kespirationsschwankungen. Nonne sehr stark positiv. Am selben Abend, 
da die Pat. immer mehr verfiel, nochmals Punktion, die sehr stark ge¬ 
trübte Flüssigkeit zutage fördert. Darauf Ventrikel punktion an zwei 
Stellen des rechten Schläfenbeins. Bei Einstich in den rechten Ventrikel dringen 
unter geringem Druck einige Kubikzentimeter hervor, deutliche, aber nicht sehr 
starke Schwankungen im Steigrohr. Nach 3 Stunden (3 Tage nach der ersten 
Pu nk tion) Exit us. 

Sektion: "Walnuss gross es endotheliales Sarkom des vorderen Pols 
des rechten Sch lüfenlappens, von Dura ausgehend. Abplattung der Hirn¬ 
windungen, Hydroeephalus internus, besonders des linken Seitenventrikcls 
und Einpressung der Kleinhirntonsillen in das Koramen magnum. 
Hochgradiges kollalerales Oedem des ganzen rechten Hinterhauptslappcns und 
Schläfenlappens mit Erweichung im Hinterhauptslappen. — Chronische 
verruköse Endocarditis mitralis. 

63. Raven (101). 1912. 50jähriger Mann. Seit 1 1 •> Jahren anfallsweise 

Schmerzen in der rechten Schulter. Seit 7 Monaten langsam zunehmende 
Schwäche im rechten Arm und Sensibilitätsstörungen im linken Bein. Später 
Schwäche in der linken Schulter und schliesslich im rechten Bein. 

Status praesens: Steife Kopfhaltung, bei Bewegung des Kopfes heftige 
Schmerzen. Wirbelsäule 2 cm rechts des Processus spinosus des 7. Cervikal- 
wirbels umschrieben druckempfindlich. Rechte Pupille eine Spur enger. Reflexe 
in den Armen lebhaft, Bauchdecken-, Cremasterreflexe fehlen, Sohlen-, Patellar-, 
Achillessehnenreflex lebhaft, Andeutung von Fussklonus. Babinski beiderseits. 
Motilitätsstörungen im rechten Bein und beiden Armen. Temperatur- und 
Schmcrzenipfindung links von der 3. Rippe abwärts herabgesetzt. Berühmngs- 
empfindimg verringert am rechten Vorderarm und Unterschenkel. 

Die Lumbalpunktion ergibt bei einem Druck von 260 mm ILO 
klaren, w ass e r he 11 en L i rj uor. Am n äch s l en Abend plötzlich schlaffe 
Lähmung aller 4 Extremitäten, doppelseitige totale Anästhesie bis zur 
3. Rippe und im oberen Drittel des Oberarms. Stuhl- und Urinverhaltung. 
Patellar- und Achillessehnenreflexe jetzt negativ, Babinski erloschen. Plantar- 

23 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



342 


O. Schön heck. 


Digitized by 


rcflexe beiderseits noch schwach positiv. Röntgenbild der 'Wirbelsäule völlig 
normal. Dauernde Schmerzattacken. Anstieg der Tein|ierat-ur und Pulsfrequenz. 
Deshalb Operation: Pia im Geniel des 5.—7. Processus spinosus eervicalis 
ötleinatös, reichlicher Liquorabfluss. Nach Entfernung des 4. Wirbelbogens 
rechts der Me du 11a weicher, glasiger. bläulich schimmernder Tumor 
von Eichelgrösse, der sich wurstförmig nach oben fortsetzt. Er wird leicht 
en uk leiert. 

Trotz komplikationslosen Verlaufs der Operation Exitus am nächsten 
T age. 

Sektion: Leichte Kompression am Rückenmark in der Höhe des 
Tumors, der sich als gefässreiches Myxom erwies. 

64. W einländer (1025, 19DL 12jähriger Knabe. Vor 14 Tagen fieber- 
hafte Erkrankung mit Schnupfen, leichter Angina und beidei*seitiirer ITiterkiefer- 
dnüscnschwellung. Nach S Tagen Kopfschmerzen, mehrmaliges Erbrechen, hohes 
Fieber. Benommenheit, lautes Aufschreien, Schmerzhaftigkeit des Kopfes, moturi- 
sclie Unruhe, Zähneknirschen, Urin sehr spärlich. 

Status praesens: Der Knabe ist sehr anämisch, linker Hirnschädel ver¬ 
kleinert. Oxyeephalie mit auffallend niedriger Stirn. Geringe Bronchitis. Leises 
systolisches Geräusch an der Herzbasis, 2. Pulmonalton aecentuiert. Puls 9t». 
ausgesprochener Kernig und Xackenstarre. keine Dermoirraphie. Urin enthält 
reichlich Albuinen. Erythrozyten. Xierenepithelien. hyaline Uvlinder. In d»n 
nächstem Tagen Pupillendifferenz. 5 mal kurzdauernde tonisch-klonische Krämpfe 
sämtlicher Extremitäten. 

Diagnostische und therapeutische Lumbalpunktion. Es wurden 
15 e c m, d u r c h frische B1 u t u n g stark ge t r ii b t e n Liquors entleert. 
Der Druck wurde nicht gemessen. er war anscheinend etwas erhölit. 
Mikroskopisch nur Blutelemente. 

45 Minuten nach der Lumbalpunktion allgemeine schwere tonische 
Krämpfe von 5 Minuten Dauer. Pupillen weit, ungleich, entrundet. voll¬ 
ständig reaktionslos. Nach 5 Minuten liegt das Kind in moribundem Zu¬ 
stande ohne Atmung mit kaum tastbarem, sehr frequentem Puls. Es 
handelte* sich zweifellos um apoplektischen Insult. Sofort künstliche 
Atmung, wegen der fortdauernden Herztätigkeit 17 Stunden lang: dann 
Exitus (IS Stunden nach der Punktion). 

Sektion: Frische Hämorrhagie in die Hirn Ventrikel, wahrschein¬ 
lich von der Wand des linken Unterhorns ausgehend. Hämorrhagie der 
Leptomeninx. Akute hämorrhagische Xephritis. Verkäsende Tuberkulose der 
rechtsseitigen bronchialen Lymphdriison und des rechten Unterlappens. Miliar¬ 
tuberkulose fast aller inneren Organe. Synostose der linken Frontalnaht. Im¬ 
pression an der Innenfläche des Stirnbeins. 

65. Bensch (Km), 1915. 5()jiihrige Frau. Seit etwa S Wochen stark»- 
Kopfschmerzen. Erbrechen. Harn 4 6 pM. Albuinen, Cylinder. Menge an¬ 
nähernd normal. Cor hypertrophisch. Oedeme fehlen. Blutdruck 250 mm Hg. 
Reflexe sehr lebhaft, Augenhintergrund beiderseits retinitische Herde. 

Xacli 4wöchiger Behandlung bedeutend gebessert. Sensorium völlig frei, 
nur noch immer starke Kopfschmerzen. 

Deswegen Lumbalpunktion. A n f angsd ruck 190 mm 1I L .0 nach 
Entleerung von 15 ccm Liquor Enddruck 110 mm IDO. Die Ent¬ 
nahme erfolgte ganz langsam, tropfenweise. Xacli der Punktion keinerlei 
Unbehagen, Kopfschmerzen etwas gebessert. Abends (16 Stunden nach d»*r 
Punktion) im Bett plötzlicher Exitus. 1 2 Stunde vorher hatte Pat. das 
Klosett aufgesucht und dann wieder über etwas stärkere Kopfschmerzen geklagt. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


343 


Sektion: K lein apfcl grosse frisehe Blutung in der linken 
Capsula interna. Ein blutendes Gefäss wurde nicht gefunden. Makro¬ 
skopische Gefässveränderungen fehlten. — Am Cor starke Hypertrophie des 
linken Ventrikels. Beiderseits grosse weisse Niere. 

66. Barth (104), 1914. Seliad clbrueh mit Blutung in die Ven¬ 
trikel und Hirnhäute. 

Lumbalpunktion im Sitzen. Unmittelbar nach Abfluss von 
25 ccm blutigen Liquors unter h o h e rn 1) r u c k E x i t u s. 

67. Barth (104), 1914. 15jähriger Junge, der sieh eine subkutane 

Schädelverletzung beim Rodeln zugezogen hatte. 

Seit 3 Tagen fieberhafte Meningitis ohne Aufhebung des Bewusstseins. 

L u in b a l p u n k t i o n i m Sitzen. U n t e r h o hem 1) r u c k wären e t w a 
30 ccm trüben, eiterhaltigen Hirnwassers abgeflossen, als der Knabe 
plötzlich bewusstlos wurde und Atemlähmung auftrat. Durch künst¬ 
liche Atmung wurde das Leben 2 Stunden erhalten, dann versagte sie 
und der Exitus trat ein. 

Sektion: Diffuse c e r e b r o s p i n a 1 e P n e u m o k o k k e n m e n i n g i t i s. 

6S. Rispal et Pujol (öS), 1914. 34jähriger Mann mit sehr heftigen 

Kopfschmerzen, Motilitätsstörungen in den Beinen: keine Augenbindegewebsver¬ 
änderungen. Wegen Verdachts auf Hirntumor L u in b a lpu n k t i on. Nach Ab¬ 
lassen von 4 ccm Flüssigkeit 3 Stunden später Kollaps und Exitus. 

S e k t i o n : K l e i n h i r n c y s t e von der Grosse ei ner Walnuss i m W u r m. 

Keine Blutung. 

69. Rispal et Pujol (68), 1914. 48jähriger Mann mit seit mehreren 

Monaten bestehenden schweren Motilitäts- und Intelligenzstörungen. 

Lumbalpunktion ergibt sehr eiweissreiehe Flüssigkeit. Es werden 
5 ccm abgelassen. Bald nachher Kollaps. 12 Stunden später Exitus. 

Sektion: Gliom des rechten Stirn lappe ns. 

70. Fonzo (105), 1914. 8 Monate altes Kind. Keine erbliche Belastung. 
Mit 7 Monaten Störungen seitens der Verdauungsorgane, Erbrechen. Diarrhöen. 

Die jetzige Krankheit brach vor 5 Tagen plötzlich ohne Vorboten aus. 
Fieber massigen Grades, unregelmässig remittierend, welches allmählich immer 
höher stieg. 1 Tag nach Beginn des Fiebers sah die Mutter tonisch-klonische 
Zuckungen im Gesicht, an Armen, Beinen und am Stamm. Die Krämpfe 
dauerten wenige Minuten. Seit Aufnahme in die Klinik keine Krämpfe mehr, 
kein Erbrechen, keine Diarrhöen. 

Status praesens: Das Kind hält den Kopf stark gestreckt. Ober- und 
Unterextremitäten in forcierter Flexion, Augen in konjugierter Deviation, links 
leichte Ptosis, linke Nasolabialfalte leicht verstrichen. Abdomen stark eingezogen. 
Von Zeit zu Zeit tonisch-klonische Krämpfe in den Armen. Intensiver Opistho¬ 
tonus. Muskelrigidität. Steigerung der Patcllarroflexe, Absehwäehung der llaiit- 
und Sehnenreflexe, Babinski negativ. Kernig negativ. Pupillen reagieren träge 
auf Licbteinfall, ab und zu Anisokorie. Inspiratorische Dyspnoe. Schal lvcr- 
kiirzung und rauhes Atmen an verschiedenen Stellen der Lunge. Puls klein, 
frequent (122), irregulär, »rhythmisch. Die Temperatur fiel allmählich bis zur 
.Norm (von 39,5° im Anfang). 

Lumbalpunktion war 3 mal mit negativem Erfolg versucht worden. 
Der Opisthotonus war hinderlich. Vcntrikelpu nktion gleichfalls negativ. 

2 Tage später neue Lumbalpunktion mit positivem Erfolg. Unter 
sehr geringem Druck kamen ei n ige Tropfen Liquor heraus, welche sieb 
bald mit Blut mischten. Keine Bakterien. Um den Abfluss zu begünstigen, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



344 


0. Sohönbock. 


Digitized by 


iril>t man dom Kind eine forcierte Flexion des Rumpfes. Naeh diesem 
Manöver wird das Kind augenblick 1 ich eyanotiseh und stirbt unter Kon¬ 
vulsionen. 

.Sektion: Dura gespannt. Hirn bas is von bet rächtl ielier M e n g o 
rahmigen Fitcrs umspült. Keine besonderen Mikroortranismen. Keine tuber¬ 
kulöse Affektion der (iefässe der Fossa Sylvii. An der ersten Frontahvinduni: 
links eitrige Infiltration der Meningen. An der Innenseite des Lobul. para- 
eentralis hämorrhagische Infiltration. Corpus eallosum erweicht. 3. Ventrikel 
und beide Sei teil ve n t ri k e l mit eitriger Flüssigkeit an gefüllt. Iba 
dos Rüokenmarks mit diekrahmiger Fitersehicht bedeckt. 

Fathologiseli-anatomiselie Diagnose: Meningitis e er ob ros pi n a 1 i s. 

71 . Ginrgi (101), 1914. 45 jähriges Individuum mit schweren und deut¬ 
lichen Symptomen eines Schädelbasisbruchs nach Sturz auf die Erde. Am 
nächsten Morgen war das Bewusstsein noch nicht wiedergekehrt. Es bestand 
Strabismus. Fazialisparese links, Ekchymosen am rechten Processus mastoidcus. 
stertoröse Atmung, gespannter irregulärer Puls, 100 j>ro Minute. Keine Kon¬ 
vulsionen und Lähmungen. 

L u m b a 1 p u n k t i n n liess etwa 5 c c m einer intensiv blutigen F lässig- 
keit unter niedrigem Druck abfliessen. Fast augenblicklich nahm 
d ie s t e r t o r ö s e A t m u n g zu. der P u 1 s wn rde s ehr f r c q u ent, f a d e n - 
förmig, es traten schnelle und flüchtige tonisch-klonische Konvulsionen ein. 
von der linken oberen Extremität ausgehend. Exitus naeh 30 Minuten. 

Sektion: 1 grosse Fraktur mit unregelmässigem Verlauf durch Oeci- 
pitale. Parietale und Temporale rechts und eine 2., weniger ausgedehnte 
Fraktur vom Frontale nach der rechten vorderen Schädelgrube laufend. Be¬ 
deutendes epidurales Hämatom rechts, Zerreissung der Dura und 
subdurales Hämatom. Zahlreiche Blutkoagula haften der Hirnmasse be¬ 
sonders in den unteren Partien an. 

A n h a n gs w e i s e soll noch erwähnt werden, dass F ors t e r ((59) bei Hirn¬ 
tumor eine Blutung in die Geschwulst als Ursache des Exitus letalis nach 
Lumbalpunktion sah. Die Blutung sei sicher auf die Druckschwankung zurück¬ 
zuführen gewesen, da der Exitus ganz kurz nach der Punktion eintrat. Des¬ 
gleichen erwähnt Eich eiberg (107) einen Todesfall bei Tumor der hinteren 
Fchädelgrube, der wohl mit der Lumbalpunktion in Zusammenhang gebracht 
werden müsste. Sehlesi nger (10S) berichtet in der Diskussion zu Mari- 
nesco's Fällen, dass er 3mal nach Lumbalpunktion plötzlichen Exitus gesehen 
habe, und Klose (70) erwähnt eine andernorts ausgeführte Lumbalpunktion, 
die tödliche Streptokokkeninfektion der Meningen zur Folge hatte. Torkel (43. 
berichtet, dass er in einer Klinik rnitangesehen habe, wie ein Kranker bei Aus¬ 
führung der Lumbalpunktion so lebhaft presste, dass der Liquor im Strahl ans 
der Kanüle schoss. Der Pat. sei noch am selben Tag gestorben und die Sektion 
habe eine auffallende Trockenheit der Hirn- und Rückenmarksubstanz ergeben. 

Alle diese Angaben sind nicht nachzuprüfen, insbesondere ist nicht fest¬ 
zustellen, ob nicht am Ende anderweit erwähnte Fälle, bei dene die genanntem! 
Autoren nur Zuschauer waren, vorliegen können. 2 verdächtige Fälle finden 
sieh noch bei Bull und Wilms. Bull's (73) Fall betrifft eine Meningitis 
tuberciilosa, wo nach ziemlich rascher Abzapfung von 4 ccm die Punktion 
unterbrochen werden musste, da der Pat. unruhig und eyanotiseh wurde: nach 
baldiger Erholung trat am nächsten Tage der Exitus ein. Wilms (77) lässi 
für seinen Fall die Frage nach der ursächlichen Bedeutung der Lumbalpunktion 
offen. Hier trat bei einem typischen Fall von Meningitis cerebrospinalis der 
plötzliche Exitus 2 Stunden nach der Punktion ein. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


345 


Wenn wir von den im Anhang erwähnten Fällen absehen, so 
liegen hier also 71 Fälle vor, in denen nach der Lumbalpunktion 
kürzere oder längere Zeit darauf der Exitus letalis eintrat. 

Bei diesen Fällen handelt es sich 37 mal um intrakranielle 
Tumoren, 2 mal um Cysticercus und lmal um Echinokokkus, ins¬ 
gesamt also um 40 raumbeschränkende Prozesse im Schädelinnern. 
Dazu kommen 13 Blutungen, 4 Urämien, 7 Meningitiden, 2 mal 
zapfenförmige Verlängerung des Cerebellums und Einpressung in 
das Foramen magnum. Die restlichen 5 Fälle verteilen sich auf 

1 akute Myelitis, 1 Kleinhirnabscess mit Durchbruch in die Schädel¬ 
höhle und neuer circumscripter Meningitis, 1 rachitisches Kind 
mit Pneumonie, 1 Kompression des Halsraarks durch Tumor, 1 Fall 
Anämie des Gehirns und Lungenödem, als Chloroformtod gedeutet. 

Es zeigt sich also die Erfahrung bestätigt, dass Hirntumoren 
und verwandte Prozesse durch Lumbalpunktion besonders ge¬ 
fährdet sind. 

Von den Tumoren entfallen 7 auf das Kleinhirn (darunter 

2 Affektionen des Vermis, 1 der Tonsille), 6 auf den Frontal¬ 
lappen, 4 auf den Temporallappen, 1 auf den Occipitallappen, 

1 auf Frontal-Parietallappen. 2 Tumoren sassen im Marklager, 
je einer in Pons, Hypophyse und Capsula interna, 3 im Ventrikel¬ 
system, und zwar 1 am Boden der Rautengrube, 1 im Aquädukt, 
schliesslich 2 gleichzeitig im 3. und 4. Ventrikel. Dazu kommen 
5 mit unbestimmter Angabe, nämlich 1 Tumor der Grosshirnrinde, 

3 mal Tumor cerebri, 1 Tumor der Hemisphäre. Die 2 Cysticerken 
sassen im 4. Ventrikel bzw. im 4. Ventrikel und Aquädukt, der 
Echinokokkus im Occipitallappen. 

Die zapfenförmige Einpressung des Kleinhirns in das Foramen 
magnum fand sich 1 mal mit hochgradigem Hydrocephalus ver¬ 
gesellschaftet, das andere Mal war nur massige Erweiterung der 
Seitenventrikel vorhanden. Ausserdem fand sich noch einmal Ein¬ 
pressung der Kleinhirntonsiilen in das Foramen magnum in Fall 63 
bei einem Tumor des Temporallappens. 9 mal fand sich bei den 
Tumoren Blutung in das Turaorgewebe, 1 mal ferner Blutung in 
der Nähe des Tumors und an zwei weit entfernt gelegenen Stellen. 

Die 13 Blutungen umfassen 3 geplatzte Aneurysmen, 1 Durch¬ 
bruch eines apoplektischen Herdes in den Ventrikel, 1 Apoplexie 
mit frischer Blutung eines geplatzten Gefässes im 4. Ventrikel, 
3 frische Apoplexien (1 Febris recurrens, 2 bei Nephritis), 1 intra¬ 
durale Blutung bei Hydrocephalus, 1 Blutung nach vorangegangener 
Hirnpunktion mit Verletzung eines Gefässes der Fossa Sylvii, 

2 Schädelbrüche und schliesslich eine nur klinisch als hirnarterio¬ 
sklerotisch gedeutete Blutung ohne Sektionsbefund. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



346 


O. Schönbrck, 


Digitized by 


Von Meningitiden fanden sich 2 tuberkulöse, 1 purulenta von 
Sinusthrombose ausgehend, 1 cerebrospinalis, 1 cerebrospinale 
Pneumokokkenmeningitis und 2 mal Meningitis purulenta factitia. 

Was nun die Zeit anlangt, die zwischen der Punktion 
und dem Exitus liegt, so trat der Tod während der Punktion 
oder in unmittelbarem Anschluss an dieselbe 7 mal auf, 2 mal 
nach 3—5 Minuten, 2 mal bis 15 Minuten nach der Punktion, 
10 mal nach 15 Minuten bis zu 1 Stunde, 17 mal nach 2 bis 
6 Stunden, 2 mal nach 12 Stunden, 13 mal am nächsten Tag. 
4 mal nach 2 Tagen, 7 mal nach 3 Tagen, 2 mal nach 7 Tagen, 
je einmal nach 8 und 13 Tagen. 

Von Interesse ist auch eine Vergleichung der abgelassenen 
Elüssigkeitsmengen. Ist doch vielfach der Tod nach Lumbal¬ 
punktion auf Ablassen zu reichlicher Mengen zurückgeführt worden. 
Man hat dies auch häufig so ausgedrückt, dass die therapeutische 
Lumbalpunktion zwar gewisse Gefahren habe, dass hingegen die 
diagnostische Punktion, wo man sich mit kleinen Mengen, 3— 5 ccm, 
begnügen könne, ganz ungefährlich sei. 

In den 61 Fällen, wo auf die abgelassene Menge geachtet 
wurde, ist 1 mal gar keine Flüssigkeit, 2 mal wenige Tropfen, 
12 mal 3—5 ccm, 8 mal 6—10 ccm, 17 mal 11—20 ccm, 11 mal 
21—30 ccm, 1 mal 40 ccm, 6 mal 41—50 ccm, 2 mal 75 ccm 
und 1 mal 90 ccm entleert worden. Es sind also 15 mal nur 
bis zu 5 ccm entnommen worden, das heisst, die Menge, die 
gewöhnlich zur diagnostischen Lumbalpunktion für nötig erachtet 
wird. Bei dieser Berechnung ist die Angabe von Fall 34 „die 
im Steigrohr befindliche Menge“ für die Druckhöhe von 260 mm 
ILO auf etwa 5 ccm geschätzt worden und die im Fall 62 von 
Reichmann gemachte Angabe, dass die im Steigrohr befindlichen 
3,8 ccm abgelassen wurden, so aufgefasst worden, dass vorher 
keine Flüssigkeit abgeflossen ist. Diese Annahme ist aber be¬ 
gründet, da Reichraann (109) prinzipiell die Forderung erhebt, 
bei der ersten Punktion von Hirntumoren nur die im Steigrohr 
befindliche Flüssigkeit abzulassen. Es ist also in etwa 1 j i der 
F'älle, in denen überhaupt genaue Angaben vorliegen, die von den 
meisten Autoren geforderte Grenze für die diagnostische Lumbal¬ 
punktion nicht überschritten worden. Damit dürfte die Behauptung, 
die diagnostische Lumbalpunktion sei jedenfalls ungefährlich, nicht 
mehr aufrecht zu erhalten sein. 

Ebenso wichtig, ja in mancher Beziehung noch wichtiger als 
die Menge der abgelassenen Flüssigkeit, ist der Druck, unter 
dem sie vor und nach der Punktion stand und der Druck¬ 
abfall in Beziehung gesetzt zu den abgeflossenen Mengen. Leider 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


347 


sind die Angaben in dieser Beziehung wenig genau. Der Druck 
ist häufig nur abgeschätzt, oder es ist nur der Anfangsdruck an¬ 
gegeben. Völlig unvergleichbar sind die Druckangaben endlich, 
wenn, wie in mehreren der citierten Fälle, im Sitzen punktiert 
wurde. Auffallend ist zunächst, dass der Anfangsdruck nicht 
immer so bedeutend erhöht ist, wie bei den meist bestehenden 
klinischen Zeichen von Hirndruck anzunehmen war. Der Druck 
bleibt in den meisten Fällen unter 300, häufig auch unter 200 mm 
HoO. Nur 2 mal sind wirklich bedeutende Steigerungen von 40 und 
sogar 60 mm Hg da; 2 mal war der Anfangsdruck auch abnorm 
niedrig. 

Die Druckherabsetzung durch die Lumbalpunktion betrug 
am häufigsten zwischen 100 und 150 mm H 2 0, einige Male 
unter 100, einige Male zwischen 150—200 mm H,0. Ungewöhnlich 
grosse Druckherabsetzung fand sich in 2 Fällen, nämlich von 
40—5 mm Hg und sogar von 60—0 mm Hg. 

Am auffallendsten und bedeutungsvollsten ist es jedoch, dass 
starke Druckherabsetzung bei verhältnismässig kleinen Ausfluss¬ 
mengen eintrat, so im extremsten Fall um 60 mm Hg bei Ablass 
von nur 30 ccm Liquor. Gleichfalls- wichtig und im heutigen Sinne 
mangelhaft ist die viermal erfolgte Herabsetzung des Druckes selbst 
von hohen Werten auf 0. — 3 Punktionen sind ferner im Sitzen 
ausgeführt, 1 mal ist zwischendurch aufgesetzt worden. Im Fall 32 
wurde bei so hohem Anfangsdruck, dass der Liquor im Strahl 
hervorkam, nach vollkommenem Auslaufenlassen noch eine Pravaz- 
Spritzc voll aspiriert. Im Fall 45 wurden die ersten Tropfen 
aspiriert, eine Methode, die auch Quincke (19) für erlaubt erklärt 
hat. Im Fall 17 wurde durch Senken des Schlauches leicht aspiriert, 
was gleichfalls von Quincke (53) gebilligt wird. 

Es muss nach dem Gesagten zugegeben werden, dass in 
manchen von den angeführten Fällen technische Fehler begangen 
worden sind. Der Druck ist entweder gar nicht beobachtet oder 
er ist zu brüsk und zu weit herabgesetzt worden. Ob sich aber 
bei vorsichtiger Anwendung der Lumbalpunktion die üblen Folgen 
hätten vermeiden lassen, ist nicht so leicht zu sagen. Es sind 
jedenfalls auch Todesfälle vorgekommen, wo in technischer Hin¬ 
sicht keine Unterlassungen Vorlagen. 

Zur Erklärung der Todesfälle ist es notwendig, sich kurz die 
Aenderung der Druckverhältnisse durch die Lumbal¬ 
punktion vor Augen zu führen. 

Hirn und Rückenmark sind in ihren Hüllen allseits vom Liquor 
cerebrospinalis umgeben, der die vielkammerigen Maschen des Sub- 
arachnoidealraums ausfüllt. Henle (110) vergleicht die Lage des 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



348 


O. Schünbcrk. 


Digitized by 


Gehirns in diesem gewissermassen physiologisch wassersüchtigen 
Gewebe mit einer Art Schwimmen. Als Hauptbildungsstätten des 
Liquors werden die Plexus chorioidei der Ventrikel, daneben in 
geringerem Masse das Ventrikelependym betrachtet. Der Abfluss 
des Liquors erfolgt zum grössten Teil durch die Arachnoidealzottcn 
in die venösen Sinus, wie dies schon von Key und Retzius fest¬ 
gestellt wurde. Ein kleiner Teil fliesst längs der Nervenscheiden 
in die Lymphbahnen ab. Die Ventrikel kommunizieren durch das 
Foramen Magendii und die Foramina lateralia mit den Sub- 
arachnoidealrüumen des Hirns, die sich in der Umgebung des 
Hirnstammes zu grösseren Cysternen ausweiten, einerseits und 
andererseits am Hinterhauptsloch mit den Subarachnoidealräumen 
des Rückenmarks. Diese Lehre von Magendi, Quincke, Key 
und Retzius ist immer wieder bestätigt worden, so in den letzten 
Jahren von Gold mann (111). 

Ueber die Druckverhältnisse herrschen noch einige Unklar¬ 
heiten. Es muss dabei der hydrostatische, auch an der Leiche 
vorhandene, Druck und der von Quincke sogenannte Elastizitäts¬ 
druck unterschieden werden. Beide wirken einander entgegen. Der 
Elastizitätsdruck wird zu 130 mm H 2 0 angenommen. Der hydro¬ 
statische Druck hat nach dem Grashey’schen (112) Schema seinen 
Nullpunkt am Foramen occipitale magnum, da hier der Atmosphären¬ 
druck einwirkt. Im Schädel wird er von da aus zunehmend negativ, 
bei einer Schädelhöhe von 13 cm müsste er am Scheitel also 
— 130 mm H 2 0 betragen. Umgekehrt nimmt der hydrostatische 
Druck nach abwärts vom Foramen magnum aus im positiven Sinne 
zu. Bei einem durchschnittlichen Abstand der gewöhnlichen Punktions¬ 
stelle vom Hinterhauptsloch um ca. 50 cm muss der hydrostatische 
Druck dort mithin 500 mm H 2 0 betragen. Der aus der Differenz 
von hydrostatischem und Elastizitätsdruck Testierende Druck wäre 
am Scheitel also + 130 — 130 mm H 2 0 = 0 und an der 
Punktionsstelle + 500 — 130 = 370 mm H 2 0. Damit würden 
die im Sitzen an der Punktionsstelle gefundenen Druckwerte gut 
übereinstimmen. Propping (113) wirft dem Grashey’sehen Schema 
den Fehler vor, dass der epidurale Raum nicht ein starrwandiges 
Gefäss ist, wie Grashev’s Schema voraussetzt, sondern dass er 
zum Teil dehnungsfähige Wandungen besitzt, so die Membrana 
obturatoria und die Ligamenta flava. Die Venenplexus, welche 
gewissermassen die Flüssigkeit des Grashey’schen Schemas dar¬ 
stellen, in die das innere Gefäss des Liquorsackes eintaucht, 
füllen den epiduralen Raum nicht allseitig aus, gerade die Foramina 
intervertebralia sind durch ein sehr dehnungsfähiges Fettgewebe ver¬ 
schlossen. So lässt sich der Epiduralraum nach Propping mit 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


349 


einer Kombination von Reagenzröhrchen = Schädelhöhle und Gummi¬ 
schlauch = Wirbelkanal vergleichen. In einem solchen System liegt 
der Nullpunkt etwas unterhalb der Oeffnung des Reagenzrohres im 
Schlauchteil des Systems, wobei die Oeffnung des Reagenzrohres 
dem Foramen raagnum entsprechen würde. Walter (114) hat die 
Versuche Propping’s nachgeprüft und im allgemeinen bestätigt. 
Dem entspricht, dass der Nullpunkt bei Leichenversuchen häufig 
im oberen Brustmark gefunden wurde und nicht am Hinterhauptsioch. 
Reich mann (72) spricht den Leichenversuchen allerdings die Be¬ 
weiskraft ab, da infolge postmortaler Blutsenkung und mit ihr 
Schritt haltend der Nullpunkt immer weiter abwärts rückt. 

Ob durch Vermittelung der Membrana obturatoria und unter 
Mitwirkung der von Key und Retzius beschriebenen klappen¬ 
artigen Bildung der 2. Zacke des Ligamentum denticulatum eine 
Liquorströmung im Subarachnoidealraum des Rückenmarks zu¬ 
stande kommt, wie Propping annimmt, ist noch nicht entschieden. 

Bei der Inspiration kollabieren die Venen des Wlrbelkanals, 
Flüssigkeit aus der Schädclhöhle wird angesaugt, bei der Exspiration 
dagegen schwellen die Venen wieder an, der Liquor kann aber im 
vorderen Spatium an der horizontalen Klappe nicht vorbei, kann 
also nur im hinteren Spatium des Subarachnoidealraums des 
Rückenmarks aufsteigen. Es fände sich demnach im hinteren 
Spatium ein aufsteigender, im vorderen Spatium ein absteigender 
Liquorstrom vor. Einen solchen aufsteigenden Strom scheint auch 
die bei der Lumbalanästhesie beobachtete rasche Ausbreitung des 
Anästhetikums zu beweisen. W'alter (114) hat allerdings die 
Kev-Retzius’sche Klappe nicht in allen Fällen vorgefunden. Er 
sah häufig ganz rudimentäre Entwickelung derselben, die zu einer 
Klappenfunktion keineswegs ausreichend war. 

Es ergibt sich also aus dem Dargelegten, dass sowohl die 
Druckverhältnisse wie auch die Strömungsbedingungen des Liquors 
noch nicht geklärt sind. Somit lässt sich auch nichts Absolutes 
über die Druckänderungen, die im ganzen System nach Lumbal¬ 
punktion Platz greifen können, sagen. Wir müssen uns einstweilen 
mit der allgemeinen Tatsache begnügen, dass Flüssigkeitsentnahme 
durch Lumbalpunktion natürlich eine Druckverminderung bedeuten 
muss. Diese Druckverminderung muss nach dem Gesagten in der 
Schädelhöhle, wo schon an sich die geringsten Druckwerte, gleichviel 
welcher absoluten Höhe, bestehen, am ehesten üble Folgen haben 
können. Es muss zu einer Art Vakuum kommen können, das der 
Organismus schnell auszugleichen trachten wird. Dabei könnte, 
einem allgemeinen Gesetz entsprechend, die Reaktion über das 
notwendige Mass hinausgehen, und der Zustand ärger werden als 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



350 


O. Srh ii n beo-k , 


Digitized by 


zuvor. In der Tat hat eine zweite Lumbalpunktion wiederholt er¬ 
höhten Druck ergeben, wo die erstmalige Lumbalpunktion normalen 
Druckwert zeigte. Besonders Maystre (52) weist bei seinen Tier¬ 
versuchen auf diesen Umstand hin. 

Das Vakuum kann aber auch in andererWeise störend wirken. 
Ks kann Hyperämie und sogar Blutung hervorrufen, namentlich 
dann, wenn die Gcfässe schon alteriert sind. Ossipow’s (56) 
Versuche scheinen darauf hinzudeuten. Er sah bei seinen Experi¬ 
menten an Hunden Hyperämie und Blutungen in die Meningen, 
die Ventrikel und in die Rückenmarkssubstanz. Zum Teil war 
allerdings aspiriert worden. Maystre (52) fand ähnliche Befunde 
bei seinen Experimenten an Kaninchen. Wenn nun gar die Blut¬ 
gefässe pathologisch verändert sind, und durch akute Entzündung 
schon Hyperämie besteht, so liegt eine Vergrösserung der Gefahr auf 
der Hand, namentlich, wenn dann auch noch der Blutdruck erhöht 
ist. So erklären sich die Blutungen bei Arteriosklerose, Aneurysma, 
Myelitis, Nephritis, so auch die Blutungen in dem morschen Gewebe, 
namentlich schnell wachsender Tumoren, die erfahrungsgemäss häu¬ 
fig mit mangelhaft entwickelten Gefässon ausgestattet sind. 

Aber auch in ganz anderer Weise kann die Druckherabsetzung 
durch die Lumbalpunktion schädlich wirken. Wenn durch irgend¬ 
einen Prozess, sei es durch fibrinös-eiterige Membran- und Schwarten¬ 
bildung, sei es durch die bei Hydrocephalus weit ausgedehnten 
Hinterhörner der Seitenventrikel oder ferner durch membranöse 
Vorwölbung des 3. Ventrikels, endlich durch Tumorgewebe oder 
sonstwie die Kommunikation zwischen Schädelhöhle und Wirbel¬ 
kanal verringert oder gar aufgehoben ist, so muss sich die Druck¬ 
herabsetzung geradezu in einem Ansaugen der vorliegenden 
Teile geltend machen. Welche Folgen dadurch entstehen können, 
wird weiter unten geschildert werden. — Da der Flüssigkeits¬ 
ausgleich in dem Maschenwerk der Arachnoidealräume nur all¬ 
mählich von statten geht, wird somit einer zu plötzlichen Ver¬ 
schiebung des Liquors etwas vorgebeugt und manch üble Folge 
vermieden werden. Es ist während des allmählichen Ausgleichs 
Zeit vorhanden, dass selbst durch verengerte Kommunikations- 
Öffnung etwas nachsickern kann, statt dass sich bei brüsker Ent¬ 
leerung und sofortigem Eintritt eines Vakuums unterhalb des Foramen 
magnum die vorliegenden Hirnteile einfach wie ein Ventil vor das 
Hinterhauptsloch legen würden. Dieser allmähliche Ausgleich be¬ 
wirkt es auch, dass sich bei Unterbrechung der Punktion der Druck 
immer wieder etwas hebt. — Wenn nun gar in der Schädelhöhle 
ein pathologisch erhöhter Druck besteht, so kann um so leichter 
bei teilweiser Kommunikationsverlegung der Abschluss durch die 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Dip Befahren der Lumbalpunktion. 


351 


Druckverminderung bei der Lumbalpunktion vollständig gemacht 
werden. In diesem Falle müsste das Hineinpressen der vor¬ 
liegenden Teile in das Vakuum mit Ueberdruck von oben her vor 
sich gehen. 

Nach diesen allgemeinen Erörterungen über die Wirkung der 
Druckverminderung durch die Lumbalpunktion soll nun im folgenden 
diese Wirkung bei den einzelnen Krankheitsprozessen unter Berück¬ 
sichtigung der zusammengestellten Fälle erfolgen. 

Zunächst soll hier noch der Einwand erwähnt werden, dass 
von manchen Autoren ein zufälliges Zusammentreffen von 
Lumbalpunktion und Exitus angenommen wird. Der Tod sei 
demnach nur nach Lumbalpunktion, aber nicht durch Lumbal¬ 
punktion eingetreten. Diese Ansicht ist verschiedentlich zurück¬ 
gewiesen worden. Fürbringer, der in seinen Fällen auch zu¬ 
nächst an zufälliges Zusammentreffen dachte, hat diese Ansicht 
sehr bald aufgegeben, und Minet (115), Hennig (94) und Müller (82) 
weisen sie gleichfalls zurück. Es wäre ja auch ein höchst sonder¬ 
barer Zufall, dass nach Lumbalpunktion so relativ häufig der Exitus 
letalis eintrat. Zu dieser Ansicht konnte es auch wohl nur kommen, 
weil die meisten Todesfälle nach Lumbalpunktion in der Tat Krank¬ 
heitsfälle betrafen, bei denen plötzliche Todesfälle auch sonst an 
der Tagesordnung sind. 

Betrachtet man die beschriebenen Fälle im Hinblick auf etwa 
gemeinsame Züge, so zeigt sich eine auffallende Erscheinung. 
Entweder tritt Verschlechterung des Zustandes sofort ein, oder 
aber sie lässt mehrere Stunden auf sich warten, nachdem oft sogar 
eine Periode der Besserung vorangegangen ist. Der Tod erfolgt 
häufig durch Respirationsparalyse, d. h. die Atmung cessiert 
bei noch gutem Puls. Durch künstliche Atmung kann dann das 
Leben noch längere Zeit (z. B. im Fall 64 sogar 17 Stunden) 
erhalten werden. In mehr oder weniger ausgesprochener Weise 
war diese Beeinträchtigung des Atemcentrums 25 mal vorhanden. 

In dem hier mitgezählten Fall 33 (Braunstein) war die 
Lumbalpunktion allerdings in Chloroformnarkose gemacht worden. 
Zwischen der Punktion und dem Eintritt der Respirationslähmung 
waren nur einige Sekunden. Der ganze Vorgang ist so ähnlich 
den nach Lumbalpunktion beobachteten Fällen, dass man vielleicht 
doch eher die Punktion beschuldigen muss. Es waren nur 25 ccm 
Chloroform verbraucht worden, ausserdem hatte die Narkose bis 
dahin anscheinend keinerlei Störung gezeigt. Um die sog. Reflex¬ 
asphyxie kann es sich nicht gehandelt haben, es käme nur der 
Atemstillstand durch Ueberdosierung in Betracht. Der Puls ist 
.aber unverändert gut geblieben. Der Autor gibt selbst zu, dass 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



352 


O. Srliön bock, 


Digitized by 


die Sektion die Todesursache nicht sicher aufgedeckt hat. Eine 
massige Herzverfettung, die aber schliesslich auch aus anderen 
Gründen vorhanden sein könnte, scheint ihm auf Chloroformtod zu 
deuten. Man kann den Fall nach seinem ganzen Verlauf wohl mit 
ebensoviel Recht als Tod nach Lumbalpunktion bezeichnen. 

Diejenigen Fälle, in denen die Beschwerden erst nach 6 bis 
8 Stunden eintraten, erinnern wieder an das früher über Menin¬ 
gismus Gesagte, ln beiden Fällen müssen ähnliche Umstände ob¬ 
walten. Die alte Anschauung, dass das Ablassen des Liquors 
selbst und das Unvermögen des Hirns, ihn genügend rasch zu 
ersetzen, die Ursache für die nach 6—8 Stunden auftretenden Be¬ 
schwerden sei, ist wohl nicht zutrelfend. Man sollte dann eher 
sofortige Störungen erwarten. 

Förster (69) hebt richtig hervor, dass gerade im Gegenteil 
die durch den Stich gereizten Meningen zuviel Liquor produzieren. 
Quincke (20) und Reichmann (116) führen die Kopfschmerzen 
auf passive Hyperämie zurück, Quincke meint auch, dass die 
Kopfschmerzen und das Bild des sog. Meningismus in seltenen 
Fällen durch Kommunikationsverlegung bedingt sein möchten, und 
an anderer Stelle [Quincke (117)] spricht er von „vasomotorischen 
Stürmen“, gibt aber auch eine wirkliche leichte Meningitis zu. 
v. Beck (118) glaubt, dass durch den Reiz des Einstiches eine 
arterielle Fluxion in den Meningen zustande komme, die sich bis 
in das Gehirn hinein fortsetzen und dort vermehrte Liquorproduktion 
erzeugen könne. Durch diese Theorie würden auch die üblen Er¬ 
scheinungen nach der ergebnislosen Lumbalpunktion erklärt werden 
können. Bei Kommunikationsverlegung müsste ein solcher Vorgang 
geradezu deletär wirken können. Auch psychische Einflüsse (ein 
Fall von Angst vor einer Operation wird angeführt) sollen nach 
diesem Autor Hypersekretion des Liquors veranlassen können. 

Wenden wir uns nun einer näheren Betrachtung der 
einzelnen Krankheitsgruppen zu, so sind von den 7 Menin¬ 
gitiden die beiden durch künstliche Infektion erzeugten (Fall 55 
und 61) wahrscheinlich durch verunreinigte Instrumente bedingt 
worden. Die Lumbalpunktion muss natürlich absolut aseptisch aus¬ 
geführt werden. Curschmann vermutet in seinem Fall un¬ 
genügende Sterilisation der Punktionsnadel als Ursache für den 
üblen Ausgang der im übrigen vollkommen aseptisch ausgeführten 
Lumbalpunktion. Andererseits zeigt dieBeobachtung van Lier’sflOOi, 
dass bei der Punktion eingeschleppte Keime nicht unbedingt Menin¬ 
gitis zu erzeugen brauchen. Dieser Autor sah trotz wiederholter 
Punktion durch einen versteckten Abscess im Musculus sacrospinalis 
hindurch keine üblen Folgen eintreten. Er hat allerdings stets den 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


353 


Trokar erst nach Eindringen in den Spinalsack herausgezogen und 
vor Herausziehen der Punktionsnadel nach erfolgter Punktion 
jedesmal den Trokar erst wieder eingeführt. Dank dieser Vorsichts- 
massregel ist der Liquor trotz Punktion durch den Abscess hin¬ 
durch nur wenig verunreinigt worden. — Bei der Meningitis purulenta 
von Braunstein (Fall 32) ist wohl die Aspiration mit der Pravaz- 
schen Spritze, die von Quincke als druckentlastende Operation 
stets verworfen wurde, auch nach der Meinung des Autors an¬ 
zuschuldigen. — Fall 53 (Meningitis purulenta) ist nicht recht auf¬ 
geklärt. Es fand sich nur der erste Beginn einer Meningitis tuber- 
culosa. — Im Fall 67 (Meningitis cerebrospinalis pneumoniea) 
beschuldigt der Autor die Punktion im Sitzen. Besonders inter¬ 
essant ist der Fall von Fonzo (Fall 70). Unter sehr geringem 
Druck wurden nur wenige Tropfen Lumbalflüssigkeit entleert, 
nachdem einige Tage vorher dreimalige Punctio sicca Kommuni¬ 
kationsverlegung nahegelegt hatte. Der Autor erklärt den augen¬ 
blicklichen Tod dadurch, dass bei dem Vornüberbeugen des Kopfes 
die vorhandenen Eitermassen nach der Stirn zu stürzten und bei der 
Kommunikationsverlegung eine Hyperämie ex vacuo in der Medulla 
entstand. Somit hätte ja eigentlich die brüske Flexion des Kopfes 
den Tod verschuldet, und die Lumbalpunktion wäre nur die Veran¬ 
lassung zu dieser Flexion gewesen. Aber man kann auch annehmen, 
dass die Lumbalpunktion die Kommunikaüonsverlegung erst vollstän¬ 
dig gemacht hat, denn einige Tropfen waren vorher noch abgeflossen. 

Die theoretische Befürchtung, dass aus einer circumscriptcn 
Meningitis durch den lebhaften Flüssigkeitsstrom bei der Lumbal¬ 
punktion eine generalisierte entstehen könne [Grossmann (119) 
und Stadelmann (10)], scheint sich nicht bestätigt zu haben. 

Wiederholt ist von der üblen Wirkung der Kommunikations¬ 
verlegung am Foramen magnum die Bede gewesen. Aber auch 
weiter abwärts, im Bereich der Wirbelsäule, kann eine 
Kommunikationsverlegung verhängnisvoll werden, wie der 
Fall von Raven (Fall 63) beweist. Hier ist die Liquorstauung 
oberhalb des im Halsmark sitzenden Tumors, vielleicht infolge 
Verschiebung des letzteren, durch die Lumbalpunktion so ge¬ 
stiegen, dass der Tod herbeigeführt wurde. Der Fall Raven ist 
ein Parallelfall zu dem früher mitgeteilten von Newmark. Der 
tödliche Ausgang im Falle Raven erklärt sich wahrscheinlich 
durch den Sitz des Tumors im Halsmark, von wo aus die Medulla 
oblongata leichter in Mitleidenschaft gezogen werden konnte. 

Der mechanische Vorgang bei den Blutungen nach Lumbal¬ 
punktion ist nach den voraufgegangenen Erörterungen über die 
mit jeder Punktion verbundenen Druckschwankungen ohne Weiteres 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



354 


0. Schönbock, 


Digitized by 


verständlich. Die besondere Rolle, welche pathologisch veränderte 
Blutgefässe, erhöhter Blutdruck und verminderter Liquordruck 
spielen, ist schon früher erwähnt worden. Im Fall 26 (Stadel¬ 
mann) hat die Apoplexie vor der Punktion bestanden, neu ist 
aber nach Meinung des Autors eine tödliche Blutung im 4. Ven¬ 
trikel infolge Zerreissung eines kleinen Gefässes durch die Druck¬ 
erniedrigung seitens der Lumbalpunktion entstanden. — 

Im Falle 60 (Spiller) ist ein Auswischen des Nasenrachen¬ 
raums dem Exitus unmittelbar voraufgegangen, im Fall 65 (Rensch) 
hat die Frau (Nephritis) 1 j 2 Stunde vor dem Tod das Klosett auf¬ 
gesucht. In beiden Fällen können die angeführten Umstände kon¬ 
kurrierend mitgewirkt haben, dass sie aber in erster Linie, nicht 
die Lumbalpunktion, den Tod herbeiführten, ist wohl nicht nach¬ 
gewiesen. Der Einwand Spiller’s, die Flüssigkeit könne bei der 
geringen abgelassenen Menge von 5,5 ccm noch garnicht aus der 
Schädelhöhle stammen, trifft den Kern der Sache nicht, denn es 
kommt nicht so sehr auf die abgelassene Menge, als auf die Druck¬ 
erniedrigung an. — Krönig nimmt in seinen beiden Fällen (Fall 9 
und 10) direkten Zusammenhang zwischen Lumbalpunktion und 
Tod an. In dem einen Fall war der Durchbruch eines apoplek- 
tischen Herdes in die Ventrikel während der Punktion erfolgt, im 
2. Fall sei das Aneurysma wohl vorher geplatzt gewesen, die 
Lumbalpunktion habe aber die Rupturstelle vergrössert. — Im 
Fall 52 (Bever) war durch Probepunktion des Gehirns ein Gefäss 
der F'ossa Sylvii verletzt worden. Die nachfolgende Lumbalpunktion 
musste in diesem Fall besonders verderblich wirken. Ob die 
Probepunktion mit Anstechen des Gefässes allein die tödliche 
Blutung herbeigeführt hätte, muss dahingestellt bleiben. 

Fall 64 und 55 betreffen 2 Nephritiker. Weinländer meint, 
dass in seinem Fall die Lumbalpunktion die Blutung überhaupt 
erst herbeiführte oder jedenfalls verschlechterte. Disponierende 
Momente müssten hinzukommen, wie Konstitutionsanomalien, und 
angeborene Schwäche des Gefässsystems. In seinem Falle sei die 
Herzkraft des Kindes für sein Gefässsystem gewissermassen zu 
gross gewesen. — Rensch (Fall 65) stellt die Hypothese auf. 
dass die Arterienwand durch die Spannung der sie umgebenden 
Lymphscheiden eine gewisse Verstärkung erfahre. Durch Lumbal¬ 
punktion wird wegen des Zusammenhangs der Subarachnoideal- 
räume mit den perivaskulären Lymphgefässen der Druck in den 
letzteren verringert, so dass die Gefässe bei hohem Blutdruck 
reissen können. Er schliesst daran den beachtenswerten Vorschlag 
an, bei Urämie nur Liquor abzulassen, wenn hoher Liquordruck 
bei geringem oder massigem Blutdruck bestehe. 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


355 


Fall 66 und 71 sind üble Ausgänge nach Lumbalpunktion 
bei posttraumatischen Blutungen. Im Fall 66 (Barth) wird die 
Punktion im Sitzen angeschuldigt. — Wiederholt ist vor dem Ab¬ 
lassen von Blutergüssen ira Centralnervensystem gewarnt worden, 
so von Quincke (20), Lenhartz (120) und Stadelmann (10), 
der auf Fürbringer’s (78) Einwand, die Chirurgen räumten die 
Blutergüsse auch prinzipiell aus, mit Recht erwidert, dass die 
■Chirurgen dies nicht im Dunkeln täten. — Der Fall 12 (Kernig, 
Febris recurrens) lehrt, dass bei hoch fieberhaften Krankheiten die 
Lumbalpunktion nur mit Vorsicht zu verwenden ist. Dieser Fall 
wird beleuchtet durch die Befunde, die Krannhals (121) bei einer 
schweren Influenzaepidemie machte. Es fanden sich hier kleine 
Blutungen über das ganze Centralnervensystem zerstreut. Hier 
würde also die Lumbalpunktion einen sehr gefährlichen Boden vor- 
.gefunden haben. 

Wodurch die 4 Todesfälle bei Urämie entstanden sind, ist 
nicht aufgeklärt. Fürbringer denkt für seine beiden Fälle (Fall 4 
und 5) an zufälliges Zusammentreffen, und Gumprecht (40) hat 
deshalb die Fürbringer’sehen Fälle in seiner Zusammenstellung 
der damals bekannten Todesfälle nicht berücksichtigt. Krönig 
dagegen glaubt seinen Fall (Fall 22) nicht als Zufall betrachten 
zu dürfen und beschuldigt die aspirierende Wirkung des Schlauch¬ 
verfahrens. Braun endlich bemerkt zu seinem Urämiefall (Fall 23), 
dass die mit der Lumbalpunktion verbundene Umbettung und die 
sonstigen Manipulationen dabei ungünstig einwirken könnten. — 
Beachtenswert ist, dass bei den Urämien der Tod durchweg in 
wenigen Stunden eingetreten ist, dass der erwartete hohe Druck 
meist nicht vorhanden und die BTüssigkeitsmcnge oft sogar gering war. 
Eine Erklärung für diese Tatsache bietet die Lehre Quincke’s (50), 
dass bei Urämie die Exsudation nicht ventrikulär, sondern über¬ 
wiegend kortikal und parenchymatös ist. Dann kann auch die 
Druckentlastung durch Lumbalpunktion keinen Erfolg haben, im 
Gegenteil könnte womöglich die durch Reizung der Meningen oder 
als Hypersekretion ex vacuo cintretende Liquorvermehrung eine 
deletäre Drucksteigerung herbeiführen, indem nun auch noch ein 
ventrikulärer Druck hinzukäme. 

In Bezug auf Hirnabscesse ist von verschiedenen Autoren 
die Befürchtung ausgesprochen worden, sie könnten durch die Lumbal¬ 
punktion zum Durchbruch gebracht werden [Reichmann (122). 
Oppenheim (123), Borchard (124), Quincke (117)J. Im Fall 11 
(Rieken) lässt sich schwer entscheiden, ob der Durchbruch des 
alten Abscesses auf die Lumbalpunktion zurückzuführen ist. Das 
Befinden war nach der Punktion unverändert, erst 3 Tage hinterher 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 2. .>4 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


356 0. Schön bock, 

erfolgte der plötzliche Tod. Als eigentliche Todesursache wird 
frische circumscripte Meningitis mit lokalem Druck auf die Me- 
dulla angegeben. Der ganze Fall bleibt aber verdächtig genug. 

Das Hauptkontingent der Todesfälle nach Lumbalpunktion 
liefern aber die Tumoren des Hirns und verwandte Prozesse. 
Die genaueren Zahlenverhältnisse dieser Zusammenstellung sind 
schon angegeben. Die meisten Theorien, die sich mit den plötz¬ 
lichen Todesfällen nach Lumbalpunktion beschäftigen, sind ganz 
und gar auf die Tumoren berechnet. Dass schnell wachsende 
Tumoren mit reichlicher und überstürzter Gefässbildung leicht 
Blutungen bei den Druckveränderungen durch Lumbalpunktion er¬ 
leiden, liegt auf der Hand. Wenn gar die Tumoren an einen Ven¬ 
trikel heranreichen, wie die Fälle 34 und 35 von Müller, so wäre 
es geradezu verwunderlich, wenn eine Katastrophe ausbliebe. Fälle 
von Blutung in Tumoren liegen 9 und noch ein 10. mit Blutung 
in unmittelbarer Nähe des Tumors und zugleich an entfernter Stelle 
vor. Zur Erklärung dieser Fälle braucht dem schon Gesagten 
nichts mehr hinzugefügt zu werden. Beachtenswert erscheint, dass 
von den Tumoren (wobei hier Echinokokkus, Cysticercus usw. mit¬ 
gerechnet sind, da sie mechanisch einen Tumor repräsentieren) 
7 im Kleinhirn, 1 im Occipitallappen, 14 in Hirnstaram, Ventrikel¬ 
system oder Hirnbasis sassen, also 22 Prozesse an einem Ort sich 
fanden, von wo aus sie die Medulla oblongata besonders leicht 
affizieren konnten. 

Gemeinsam mit den Tumoren sollen die Fälle von zapfen¬ 
artiger Einpressung des Kleinhirns und der Medulla 
oblongata in das Foramen magnum erwähnt werden. Dieser 
interessante Befund ist 3 mal vertreten. Im Fall 18 (Nölke) ist 
hochgradiger Hydrocephalus damit kombiniert, im Fall Hanssen 
(Fall 54), der sich durch eine sehr anschauliche photographische 
Darstellung auszeichnet, war Hydrocephalus mässigen Grades vor¬ 
handen. Hanssen glaubt, dass dieselbe Hypersekretion, die nach 
Lumbalpunktion so oft Kopfschmerzen und Meningismus macht, 
in diesem Fall, wo Kommunikationsverlegung bestand, die Ein- 
pressung von Medulla und Kleinhirn in das Foramen magnum zu¬ 
stande brachte, der das Respirationscentrurn bald erlag. Der 3. Fall 
von zapfenförmiger Einpressung in das Hinterhauptsloch (Fall 62 
von Reichmann) zeigte sich bei einem Temporaltumor mit Hydro¬ 
cephalus internus und Erweichung des rechten Hinterhauptslappens. 
Reichmann sieht diese Erweichung als Ursache der zapfenför¬ 
migen Einpressung an und nicht die Lumbalpunktion. Man ist 
aber wohl zu der Annahme berechtigt, dass die Erweichung des 
Hinterhauptslappens die zapfenförmige Einpressung allerdings be- 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


357 


günstigt, aber wohl kaum allein verschuldet habe. Als eigentliche 
Ursache wird man auch hier die Lumbalpunktion ansehen dürfen, 
solange nicht ein Fall von zapfenförmiger Einpressung eines er¬ 
weichten Gehirns ohne vorausgegangene Lumbalpunktion be¬ 
schrieben ist. 

Zur Erklärung der Todesfälle nach Lumbalpunktion speziell 
bei Hirntumoren und verwandten Prozessen sind zahlreiche Hypo¬ 
thesen aufgestellt worden. Der erste, der an eine Erklärung ging r 
war Stadelraann (24). Seine Anschauungen über die Kommuni¬ 
kationsunterbrechung sind gelegentlich der Punctio sicca schon 
erwähnt. Er nahm an, dass in einem solchen Falle durch die 
Lumbalpunktion eine Anpressung des Gehirns an die Schädelkapsel 
und damit eine Ernährungsstörung des Gehirns stattfinde. Für¬ 
bringer (71) stimmt Stadelmann bei und fügt noch hinzu, dass 
speziell zur Erklärung des plötzlichen Todes bei Hirntumoren durch 
Ablassen der Oerebrospinalflüssigkeit eine Anpressung der Gebilde 
der hinteren Schädelgrube gegen das Foramen magnum und eine 
dadurch bedingte Ernährungsstörung der dort liegenden lebens¬ 
wichtigen Centren angenommen werden müsse. Die durch die Nach¬ 
barschaft krankhafter Prozesse ohnehin in labilem Zustand befind¬ 
lichen Centren vermögen sich von dieser neuen Schädigung nicht 
wieder zu erholen und damit tritt nach kurzer Zeit der Tod ein. 
Zugleich wies Fürbringer auf den grossen Gegensatz der Flüssig¬ 
keitsmenge in der Schädelhöhle und im Wirbelkanal bei solchen 
Fällen hin. 3 Fälle, in denen dieser Vorgang der Einpressung der 
Kleinhirnsubstanz in das Hinterhauptsloch offensichtlich vorlag, sind 
schon oben angeführt worden. 

Dass zur Herbeiführung eines üblen Ausganges nach Lumbal¬ 
punktion der Sitz der Kommunikationsverlegung am Foramen 
magnum mechanisch besonders geeignet ist, ist schon oben er¬ 
wähnt worden. Es sind aber auch Fälle vorhanden, wo die 
Komraunikationsverlegung höher hinauf, im Aquädukt, ge¬ 
sessen hat. Beispiele dafür sind die Fälle 17 (Nölke), 44 (Huber), 
50 (Hennig). Dabei kommt es zu -einer Erweiterung und Vor¬ 
treibung des 3. Ventrikels, der im Fall 44 (Huber) geradezu 
„blasenförmig vorgetrieben“ genannt wird. Als Folgeerscheinung 
stellt sich eine Senkung von Vierhügel-Ponsgegend ein, die bei 
plötzlicher Entfernung des Liquors aus den abwärts gelegenen 
Teilen durch Lumbalpunktion wohl zu einem Druck auf Medulla 
oblongata bzw. zu einem Anpressen der Medulla an das Foramen 
magnum führen kann. 

Endlich wird von Bönninghaus (125) ein akuter auto¬ 
matischer Abschluss des 3. und 4. Ventrikels bei der Meningitis 

24* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



358 


0. Sehönbeck. 


Digitized by 


serosa angenommen. An der Leiche sind freilich die Verhältnisse 
oft nicht mehr deutlich, da die durch Flüssigkeitsspannung hervor¬ 
gerufenen Verengerungen nach Durchschneiden des Tentorium cere- 
belli bei der Sektion verschwinden. Auch diese Art des Abschlusses 
kann die Lumbalpunktion durch konsekutive Hypersekretion viel¬ 
leicht herbeiführen. 

Grobraechanisch erklärten sich Tuffier (126) und Ray¬ 
mond (127) den plötzlichen Tod nach Lumbalpunktion. Tuffier 
meint, dass die plötzliche Entleerung des vorher prall gefüllten 
4. Ventrikels das Kleinhirn auf den Boden des 4. Ventrikels fallen 
lassen und so durch einfache Kompression oder auch durch arterielle 
Störung zur Synkope führen könne. Raymond stellte auf Grund 
eines mit Potherat zusammen gesehenen Falles die Hypothese auf, 
dass nach Abfluss des Liquors ein Tumor durch direkten Kontakt 
mit dem Boden des 4. Ventrikels Hyperthermie und Tod herbei¬ 
führen könne. Eine Illustration zu dieser Theorie bietet der Fall 56 
(Curschmann). Curschmann fasst hier den Exitus als „reinen 
Atmungstod durch direkte Kompression des Atemcentrums“ auf. 
Hier hatte das auf den Boden der Rautengrube herabfallende 
Vermistuberkulom den tödlichen „Hammerschlag“ ausgeführt. 

Martin (128) dagegen schiebt die Hauptschuld an dem plötz¬ 
lichen Tod sowohl nach Lumbalpunktion als auch bei Hirnaflcktionen 
ira allgemeinen auf einen bulbaren Shock. Ist das Central¬ 
nervensystem intakt, so überwindet das Individuum den Bulbär- 
shock, anderenfalls erliegt es demselben. Deshalb hält Martin 
die Lumbalpunktion für gefährlich bei organischen Affektionen von 
Hirn und Rückenmark. Dieser Meinung schliessen sich auch 
Minet (116) und Lavoix (129) an. 

Bei zusammenfassender Betrachtung der aufgeführten Fälle 
von Hirntumoren und verwandten Prozessen drängt sich die An¬ 
sicht auf, dass die Lumbalpunktion, sofern sie nicht eine Blutung 
in die Tumoren veranlasste, dadurch verderblich wirkte, dass sie 
eine schon drohende Kommunikationsverlegung am Foramen tnagnum 
oder auch höher hinauf komplett machte oder auch erst selbständig 
herbeiführte. Bei dieser Gelegenheit kam es dann in der schon ge¬ 
schilderten Weise zu einem Druck auf die wichtigen Centren der Me- 
dulla oblongata mit nachfolgender Ernährungsstörung. Das Atmungs¬ 
centrum, als das empfindlichste Organ der Medulla, stellte zuerst 
seine Tätigkeit ein und damit trat der Exitus in der typischen 
Form der Respirationslähmung ein. Die überwiegende Mehrzahl 
der Fälle dürfte so zwanglos ihre Erklärung finden. Für die wenigen 
übrig bleibenden Fälle kann man die Hypothesen von Tuffier- 
Raymond und Martin’s Lehre vom ßulbärshock heranziehen. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


355> 


Aus den zusammengestellten Fällen und den bisherigen Er¬ 
örterungen gehen die vielfachen Gefahren der Lumbal¬ 
punktion zur Genüge hervor, und es kann Seiffer (130) nicht 
zugestimmt werden, wenn er 1908 aussprach, dass nachgerade die 
Gerüchte über die Gefährlichkeit der Lumbalpunktion verstummen 
sollten und dass nur immer wieder die alten Tatsachen angeführt 
würden, die offenbar aus den Jugendjahren der Lumbalpunktion 
stammten. Jetzt werden es 25 Jahre, dass die Lumbalpunktion 
durch Quincke zum erstenmal ausgeführt wurde, und auch in 
letzter Zeit haben ‘sich Todesfälle ereignet, auch bei vorsichtigster 
Anwendung. 

Die Ansichten der Autoren über die Gefährlichkeit 
der Lumbalpunktion gehen immer noch ziemlich auseinander, 
aber fast alle betonen, dass gewisse Vorsichtsmassregeln notwendig 
seien. Hoizmann (131) vertritt in einer zusaramenfassenden Arbeit 
aus dem Jahre 1914 den Standpunkt, dass bei Innehaltung der 
notwendigen Vorsichtsmassregeln ernstere Zufälle nicht zu befürchten 
seien. Andererseits verlangt er, dass mehr als bisher die Lumbal¬ 
punktion nur bei strikten Indikationen ausgeführt werden sollte. 

Welche Vorsichtsmassregeln werden nun von den Autoren 
gefordert? Die wichtigste Forderung ist die Beobachtung der 
Druckverhältnisse vor und während der Punktion. Quincke (117) 
rät 1914, dass man bei normalem Anfangsdruck nicht unter 100 mm 
HoO gehen solle, bei höherem Anfangsdruck solle man die Ent¬ 
leerung nur so weit treiben, dass noch 40—60 pCt. des Anfangs¬ 
druckes bestehen bleiben. Stintzing (132) berichtet in der letzten 
Auflage seines Handbuches der Therapie, dass er keine üblen Zu¬ 
fälle mehr gesehen habe, seit er sich streng daran halte, nicht unter 
125 mm H 2 0 herabzugehen. — Besonders wichtig ist die Beachtung 
der von Krönig besonders hervorgehobenen Druckschwankungen 
im Steigrohr. Das Aufhören der Schwankungen zeigt eine Kommuni¬ 
kationsunterbrechung zwischen Schädel- und Wirbelhöhle an und 
erfordert sofortiges Abbrechen der Punktion. Diese Forderung hat 
weitgehende Anerkennung gefunden. — Von Seiffer (133) und 
Schönborn (41) wird darauf hingewiesen, dass Nadeln mit engem 
Lumen die Gefahr vermindern, weil ein langsamer Ausfluss stattfindet. 

Was die abzulassende Menge anbetrifft, so lassen sich 
genaue Vorschriften nicht gut geben. Die meisten Autoren wollen 
sich zur diagnostischen Lumbalpunktion mit einer Menge von 
3—5 ccm begnügen. Wenn zu therapeutischen Zwecken grössere 
Mengen entnommen werden sollen, so ist es nach Lenhartz (12), 
Braunstein (28) und Seiffer (133) empfehlenswert, nach kleinen 
Mengen von je 5 ccm etwa zu unterbrechen und jedesmal den 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



360 


0. Schönbeck, 


Digitized by 


Druck abzulesen. Wie lange so fortgefahren werden kann, wird 
von dem jedesmal abgelesenen Druck abhängen. Nach der 
Punktion wird von Quincke (117) 24 Stunden Bettruhe in hori¬ 
zontaler Lage, Enthaltung von Alkohol und geistiger Anstrengung 
und allmählicher Uebergang in eine andere Körperstellung ge¬ 
fordert. Ihm schliessen sich fast alle Autoren an. Die ambulante 
Lumbalpunktion wird allgemein verworfen. 

Bei Hirntumoren sind die Vorsichtsmassregeln noch 
schärfer zu beachten. Sicard (134) verlangt 24 Stunden vorher 
Bettruhe, Ausführung der Punktion in einer Art' Trendelenburg- 
schen Lage mit leicht abhängigem Kopf und 48 Stunden Bettruhe 
nach der Punktion, davon die ersten 12—24 Stunden in der be¬ 
schriebenen Lage mit leicht tiefliegendem Kopf. Tumorkranke, bei 
denen die Beschwerden in horizontaler Lage stärker werden, sollen 
nach diesem Autor ganz von der Punktion ausgeschlossen sein. 
Reichmann (116) will bei Hirntumoren höchstens 2 ccm auf 
einmal bei Seitenlage entleeren und Neisser (135) will sich 
schliesslich bei Hirntumoren mit der Druckmessung begnügen und 
auf Ablassen der Flüssigkeit ganz verzichten. 

Gegen den einmal eingetretenen Abschluss am Foramen 
magnum und die Respirationslähmung dürfte es kein Mittel 
geben. Quincke (50) schlug vor, den steril aufgefangenen Liquor 
durch Heben des Schlauches und des zu diesem Zweck besonders 
weiten Abflussrohres wieder zurückfliessen zu lassen. Hatzfeld (136> 
empfiehlt theoretisch in gleicher Absicht Einspritzung einer sterilen 
Kochsalzlösung durch die Punktionskanüle. Die von Gumprecht (40; 
geforderte nachträgliche Ventrikelpunktion ist in den Fällen 41 und 62 
ohne Erfolg gemacht worden, allerdings in beiden Fällen viel zu 
spät, erst nach 3 bzw. 6 Tagen. Aber auch die sofort ausgeführte 
Ventrikelpunktion wie auch die von Gumprecht (40) befürwortete 
Trepanation dürften in allen den Fällen zu spät kommen, wo die 
Bulbusschädigung bereits irreparabel geworden ist. Es ist aber 
mehr als fraglich, ob dazu so viel Zeit gehört, wie zur Vorbereitung 
einer aseptischen Operation erforderlich ist. — Dass durch 
Meltzer’s (137) bequemes Verfahren der pharyngealen Insufflation 
ein Rückgang der Respirationslähmung eintreten könnte, ist nach 
dem Gesagten auch nicht recht zu erwarten, und die künstliche 
Atmung ist denn auch stets ohne Erfolg gewesen, trotzdem sie im 
Fall 64 17 Stunden lang fortgesetzt wurde. Uebrigens ist die 
künstliche Atmung wohl nur im Fall 54 als aussichtslos bereits 
vor dem Tode aufgegeben worden. 

Als Resultat dieser Arbeit wird hiermit der Satz auf¬ 
gestellt, dass die Lumbalpunktion einen nicht ungefähr- 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


361 


liehen Eingriff darstellt, so zwar, dass sie einen voll¬ 
kommen Gesunden nur vorübergehend zu schädigen 
vermag, unter pathologischen Umständen aber direkte 
Ursache des Exitus letalis werden kann. 

Absolute Kontraindikationen sind nicht aufzustellen. 

Man unterlässt die Lumbalpunktion am besten ganz 
bei Blutungen in der Schädel-Rückgratshöhle und bei 
intrakraniellen, raumbeschränkenden Prozessen, nament¬ 
lich bei Tumoren der hinteren Schädelgrube. 

Grosse Vorsicht ist geboten bei Tumoren innerhalb des 
Wirbelkanals, bei Urämie, entzündlichen Affektionen des 
Cent ralner vensvstems,Hi rnabscessen,Arteriosklerose und 
auch bei Meningitis purulenta. 

Will man bei intrakraniellen, raum beschränkenden 
Prozessen trotzdem punktieren, so muss man strenge Vor- 
sichtsmassregeln anwenden. Als solche kommen in Betracht: 

1. vorherige 24 stündige Bettruhe, 

2. Punktion bei tiefer liegendem Kopf in Seitenlage, 

3. genaueste Beobachtung der Druckhöhe und der Druck¬ 
schwankungen, permanent oder nach Abfluss von je 2 ccm, 

4. 24—48 Stunden Bettruhe nach der Punktion, die ersten 
12—24 Stunden mit tiefer liegendem Kopf, 

5. Vermeidung von Alkohol und geistiger Aufregung nach 
der Punktion, 

6. allmählicher Uebergang aus der liegenden in andere 
Stellungen. 

Diese Vorsichtsmassregeln gelten auch allgemein für Punktionen, 
nur kann die Tieflagerung des Kopfes fortbleiben. 

Man muss sich aber stets bewusst bleiben, dass auch die 
strengste Innehaltung aller dieser Vorschriften keine 
Gewähr bietet, Todesfälle mit Sicherheit zu vermeiden. 

Vollkommen zu verwerfen ist jede Aspiration und 
die ambulante Lumbalpunktion. 

Die Gefährlichkeit der Lumbalpunktion wird in erster 
Linie durch die mit ihr verbundene Druckerniedrigung 
bedingt, die wiederum sekundär zu verschiedenartigen 
unheilvollen Mechanismen Veranlassung geben kann. Die 
praktisch wichtigsten üblen Folgen der Lumbalpunktion 
sind Blutungen ex vacuo und Kommunikationsverlegung. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



362 


0. Schonbeek, 


Digitized by 


Literatur. 

1. Quincke, Yerhaiull. d. Kongr. f. innere Med. 1891. 

2. Quincke, Zur Physiologie der Cerebrospinalflüssigkeit. Areli. f. Anat. 
u. Physiol. von Reichert u. Dubois. 1872. 

3. Key und Retzius, Studien in der Anatomie des Nervensystems und des 
Bindegewebes I. 1875. 

4. Lenhartz, Ueber den diagnostischen und therapeutischen Wert der Lumbal¬ 
punktion. Yerhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1896. 

5. Freyhan, Ein Fall von Meningitis tuberculosa mit Ausgang in Heilung. 
Deutsche med. Wochenschr. 1894. Nr. 36. 

6. v. Leyden, Diskussion zu dem Yortrag von Stadel mann, Klinische Er¬ 
fahrungen mit der Lumbalpunktion. Deutsche med. Wochenschr. 1897. 
Yereinsbeil. 32. 

7. Fürbringer, Zur klinischen Bedeutung der spinalen Punktion. Berl. 
klin. Wochenschr. Nr. 13. 

8. Ricken, Ueber Lumbalpunktion. Deutsches Arch. f. klin. Med. 1896. 
Bd. 56. H. 1 u. 2. 

9. Fl ei sch mann, Die Ergebnisse der Lumbalpunktion. Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilk. 1897. Bd. 10. 

10. Stadel mann, Klinische Erfahrungen mit der Lumbalpunktion. Mitteil, 
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chir. 1897. Bd. 2. 

11. Benisehek, Ueber 31 Fälle von Lumbalpunktion aus der Erlanger medi¬ 
zinischen Klinik. Disscrt. 1906. 

12. Len hart z, Ueber den diagnostischen und therapeutischen Wert der Lumbal¬ 
punktion. Münch, med. Wochenschr. 1896. Nr. 8 u. 9. 

13. Quincke, Die diagnostische und therapeutische Bedeutung der Lumbal¬ 
punktion. Deutsche med. Wochenschr. 1905. Nr. 46 u. 47. 

14. Sicmerling, Zur Symptomatologie und Therapie der Kleinhimtumoren. 
Berl. klin. Wochenschr. 1908. Nr. 13 u. 14. 

15. Klapp, Ueber Rückenmarkssehüssc und Behandlung der im Gefolge der 
Laminektomic auftretenden Meningitis. Münch, med. Wochenschr. 1915. Nr. 5. 

16. Steinebach, Ueber die Cerebrospinalflüssigkeit und über die Wirkung 
der Lumbalpunktion beim Delirium potatorum. Deutsche med. Wochenschr. 
1915. Nr. 13. 

17. Schemensky, Lumbalpunktion bei Typhus. Deutsche med. Wochenschr. 
1915. Nr. 23. 

18. Bier, Versuche über Cocainisierung des Rückenmarks. Deutsche Zeitschr. 
f. Chir. 1899. Bd. 51. 

19. Quincke, Die Technik der Lumbalpunktion. 1902. 

20. Quincke, Ueber Lumbalpunktion. Deutsche Klinik. 1906. Bd. 6. I. Abteil. 

21. Juvara, Topographie de la region lombaire en vue de la poncthm du 
canal rachidien. La seinaine med. 1907. Nr. 9. 

22. Krönig und Gauss, Anatomische und physiologische Beobachtungen beim 
ersten Tausend Lumbalanästhesien. Münch, med. Wochenschr. 1907. 
Nr. 40 u. 41. 

23. v. Bardelcben, Haeckel und Frohse, Atlas der topographischen Ana¬ 
tomie. 4. Aufl. 

24. Stadelmann, Beitrag zur diagnostischen Bedeutung der Lnmbalpunktion. 
Berl. klin. Wochenschr. 1895. Nr. 27. 

25. Grunert, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Ohrenheilkunde. 
Med. Klinik. 1905. Nr. 24. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


363 


i 

i 

26. Nissl, Zur Bedeutung der Lumbalpunktion für die Psychiatrie. Ccntralbl. 
f. Xervenheilk. u. Psych. 1904. Bd. 27. 

27. Grober, Ueber die Wirksamkeit der Spinalpunktion und das Verhalten 
der Spinalflüssigkeit bei chronischem Hydrocephalus. Münch, med. Wochen¬ 
schrift. 1900. Nr. 8. 

2S. Braunstein, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Diagnose intra¬ 
kranieller Komplikationen der Otitis. Areh. f. Ohrenheilk. 1902. Bd. 54. 

H. 1 u. 2. 

29. Gumprecht, Therapeutische Technik in Mering's Lehrbuch der inneren 
Medizin. 1913. 8. Aufl. 

30. Braun, Ueber Lumbalpunktion. Arch. f. klin. Chir. 1897. Bd. 54. 

31. Grunert, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Ohrenheilkunde. 

Münch, med. Wochenschr. 1905. Nr. 25. 

32. Quincke, Ueber Lumbalpunktion. Deutsche med. Wochenschr. 1895. 

Yereinsbeil. 25. 

33. Fürbringer, Zur Frage der ergebnislosen Lumbalpunktion. Deutsche med. 

Wochenschr. 1895. Nr. 45. 

34. Landon, Lumbar puncturc in meningitis and allied conditions. Lancet. 

1910. 1,2. p. 1056. 

35. Naunyn, Diskussion zu v. Ziemsscn: Ueber den diagnostischen und thera¬ 
peutischen Wert der Punktion des Wirbelkanals. Verhandl. d. Ivongr. f. 
innere Med. 1893. 

36. Krönig, Histologische und physikalische Lumbalpunktionsbefunde und ihre 
Deutung. Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1899. 

37. Schlesinger, Therapeutischer und symptomatischer Wert der Lumbal¬ 
punktion bei der tuberkulösen Meningitis der Kinder. Berl. klin. Wochen¬ 
schrift. 1906. Nr. 25. 

38. Newmark, Ueber iin Anschluss an die Lumbalpunktion eintretende Zu¬ 
nahme der Kompressionserscheinungen bei extramedullären Bückenmarks¬ 
tumoren. Berl. klin. Wochenschr. 1914. Nr. 43. 

39. Krönig, Zur Lumbalpunktionsbehandlung eitriger meningealer Exsudate. 

Deutsche med. Wochenschr. 1902. Vereinsbeil. 7. 

40. Gumprecht, Die Gefahren der Lumbalpunktion, plötzliche Todesfälle dar¬ 
nach. Deutsche med. Wochenschr. 1900. Nr. 24. 

41. Schönborn, Bericht über Lumbalpunktionen an 230 Nervenkranken mit 
besonderer Berücksichtigung der Cytodiagnose. Med. Klinik. 1906. 

Nr. 23. 

42. Caille, Tapping the vertebral canal. New York med. journ. 1895. June. 

43. Torkel, Abbrechen der Kanüle bei Lumbalpunktion. Deutsche med. 

Wochenschr. 1907. Nr. 49. 

44. Anders, Diskussion zu Lunin: Spinalpunktion. St. Petersburger med. 

Wochenschr. 1896. Jahrg. 21. Neue Folge. Bd. 13. S. 241. 

45. Schmitz, Diskussion zu Lunin: Spinalpunktion. St. Petersburger med. 

Wochenschr. 1896. Jahrg. 21. Neue Folge. Bd. 13. 8. 241. 

46. Henneberg, Ueber Verletzungen der Cauda cquina durch Lumbalpunktion. 

Berl. klin. Wochenschr. 1900. Nr. 13. 

47. Minkowski, zitiert in Allard: Die Lumbalpunktion. Ergeb. d. inneren 
Med. u. Kinderheilk. 1909. Bd. 3. S. 100. 

48. Schultz, Ueber das Hydrocephalusstadium der epidemischen Genickstarre. 

Deutsches Arch. f. klin. Med. 1907. Bd. 89. 

49) Bogdanovici, zitiert beiMaystrc: Les aceidents de la ponetion lombaire. 

These de Montpellier. 1903. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



364 


(). S eh (1 n bcc k. 


Digitized by 


50. Quincke, Zur Pathologie der Meningen. Deutsche Zeitsehr. f. Nerven- 
heilk. Bd. 30 u. 40. 

51. Fiirbringer, Zur klinischen Bedeutung der lumbalen Spinalpunktion. 
Deutsche med. Woeliensehr. 1 SO5. Vereinsbeil. 10. 

52. May st re. Les aeeidents de la ponetion lombairc. These de Montpell. 1903. 

53. Quincke. l'eber Lumbalpunktion. Berl. klin. Wuehensehr. 1905. Xr.41. 

54. Mygirid, Die otogene Meningitis mit besonderer Biieksieht auf die opera¬ 
tive Behandlumr derselben. Areh. f. klin. Chir. 1910. Bd. 93. 

55. Ossipow, L'eber die pathologischen Veränderuiuren, welche in dem Central¬ 
nervensystem von Tieren durch die Lumbal]>unktion hervorgerufen werden. 
Deutsche Zeitsehr. f. Xervenheilk. Bd. 19. 

50. Allard, Die Lumbalpunktion. Ergeh. <1. inneren Med. u. Kinderheilk. 
1909. Bd. 3. S. 100. 

57. Oppenheim, Zum ^Nil nucere“ in der Neurologie. Berl. klin. Wochen- 
sehrift. 1910. Nr. 5. 

5S. Wulff, Zur Frage der Abducensliihmung nach Lumbalanästhesie. Berl. 
klin. Woeliensehr. 1907. Nr. 41. 

59) Marineseo. Sur la noeivitc de la ponetion lombairc dans certains eas 
de tumeurs cerebrales. Neund. Centralbl. 1910. Bd. 29. 

G0. Frank hauser. Erfahrungen über Lumbalpunktion hei Geisteskrankheiten. 

Korr.-Bl. f. Schweizer Aerzte. 1907. .lahrg. 37. Nr. 2. 

Gl. Kutner. Die Lumbalpunktion in der Diagnostik der Nerven- und Geistes¬ 
krankheiten und ihre Bedeutung für die allgemeine Praxis. Med. Klinik. 
1905. Nr. 30. 

62. Milian. Les aeeidents de la ponetion lombairc et les moyens de les eviter. 
La semaine und. 1902. Nr. 25. 

G3. Chotzen, Die Lumbalpunktion in der psychiatrischen Diagnostik. Med. 
Klinik. 190S. Nr. 32 u. 33. 

G4. Quincke, Kopltrauma und Spinaldruck. Monatsschr. f. rnfallheilk. u. 
Invalidenwesen. 1910. Nr. 10 u. 11. 

G5. Dreyfuss, Die Bedeutung der Lumbalpunktion für die Diagnostik und 
Therapie. Berl. klin. Woeliensehr. 1914. S. 1S5. 

0G. v. Zicmssen, Leber den diagnostischen und therapeutischen Wert der 
Punktion des Wirbelkanals. Verband!, d. Kongr. f. innere Med. 1893. 

67. Lieht heim. Zur Diagnose der Meningitis. Berl. klin. Wochensehr. 1895. 
Nr. 13. 

OS. Bispal et Pujol. La mort rapide apres la ponetion lombairc. Bef. aus 
Toulouse med.. Annee 10. Nr. 10 u. 11 in der Zeitsehr. f. d. ges. Chir. 
u. ihre Grcn/.geb. 1914. Bd. 0. H. 4. 

09. Förster, Differentialdiagnose zwischen llydrocephalus internus und Tumor 
eerebri. Berl. klin. Woeliensehr. 1907. Nr. 35. 

70. Klose, Zur radiologischen Topik intrakranieller Tumoren im Kindesalter. 
Areh. f. Kinderheilk. 1908. Bd. 48. 

71. Fiirbringer, Plötzliche Todesfälle nach Lumbalpunktion. Centralbl. f. 
innere Med. 1890. Nr. 1. 

72. Beichmann. Der Wert und die Gefahren der Lumbalpunktion. Zeitsehr. 
f. d. ges. Xeurol. u. Psyeh. 1912. Bd. 11. 

73. Bull. Lumbalpunktion. Bef. Xeurol. Centralbl. 1890. S. 759. 

74. Krönig, Diskussion zuLcnhartz (1. e. 4). Verhandl. d. Kongr. f. innere 
Med. 1S90. 

75. Kernig. Diskussion zu Lunin: Spinaljmnktion. St. Petersburger med. 
Woeliensehr. 1890. S. *241. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


365 


7P>. Nölke. Beobachtungen zur Pathologie des Hirndrucks. Deutsche med. 
Wochcnsehr. 1897. Nr. 39. 

77. Wilms, Diagnostischer und therapeutischer Wert der Lumbalpunktion. 
Druckbestimmung mit Quecksilbermanometcr. Münch, med. Wochensehr. 
1897. Nr. 3. 

78. Fürbringer, Zur Klinik der Lumbalpunktion. Yerhandl. d. Kongr. f. 
innere Med. 1897. S. 331. 

79. Krönig, Diskussion zu Fürbringer, Zur Klinik der Lumbalpunktion. 
Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1897. 

80. Hochhaus, Uchcr Myelitis acuta. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 
1899. Bd. 15. 8. 395. 

81. Mingazzini, Klinische und pathologisch-anatomische Beiträge zur Dia¬ 
gnose und Therapie der (lehirngesehwülsle. Deutsche Zeitschr. f. Xerven- 
lieilk. 1901. Bd. 19. 

82. Leo Müller, 2 Fcälle von tödlicher Blutung aus einem Hirntumor im An¬ 
schluss an Lumbalpunktion. Jahrbücher d. Hamburgischen Staatskranken¬ 
anstalten. Jahrg. 1901/1902. Bd. 8. 

83. Gay et, Observation d'une tumeur cerebrale avcc essav de decompression 
par unc ponction rachidienne. Lyon med. 1903. p. 62. 

84. Masing, Zur Anwendung der Lumbalpunktion bei Hirntumoren. St. Peters¬ 
burg. med. Wochcnsehr. 1904. Xr. 1. 

85. Nonne, 29. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen und 
Irrenärzte. Areh. f. Psych. 1905. Bd. 39. 

86. Pnnnfick, Sitzungsber. der med. Sektion der sehlesisehen Gesellschaft für 
vaterländische Kultur. Bcrl. klin. Wochensehr. 1905. Nr. 25. S. 793. 

87. Gross, Kasuistischer Beitrag zur Differentialdiagnose des Tumor eerebri 
und des chronischen Hydroecphalus. Deutsche Zeitsehr. f. Nervenheilk. 
1905. Bd. 29. S. 456.* 

88. Breton, Mi net, Train blin. zitiert bei Lavoix, La mort suite de la 
ponction lombairc. These. Lille 1909. 

89. Hu her, Diskussion zu Förster. Differentialdiagnose zwischen Hydro- 
cephalus internus und Tumor eerebri. Herl. klin. Wochcnsehr. 1907. Nr. 35. 

90. De Lapersone et Cerise, zitiert bei Lavoix, La mort suite de la 
ponction lombairc. These. Lille 1909. 

91. Lesne et Roy. Gliome kysthjue du cervelet. lief, im Centralbl. f. Neurol. 
1909. S. 93. 

92. Sergent et Grenet. zitiert bei Lavoix, La mort suite de la ponction 
lombaire. These. Lille 1909. 

93. Minet et Etienne Verhaeghc, zitiert bei Lavoix. La mort suite de la 
ponction lombaire. These. Lille 1909. 

94. Hennig. Die Lumbalpunktion bei Hirntumoren. Inaug.-Dissert. Greifs¬ 
wald 1908. 

95. Bever, Plötzlicher Exitus letalis nach Hirnpunktion und Lumbalpunktion 
bei einem Fall von otogenem Hirnabscess. Zeitsehr. f. Ohrcnheilk. 1909. 
Bd. 57. H. 4. 

96. Breton et Gaehlinger, zitiert bei Lavoix, La mort suite de la ponction 
lombaire. These. Lille 1909. 

97. Haussen. Om dodsmaaden ved pludseligc dodsfald efter lumbalpunktion 
med kasuistiske bidrag til den letale rcspiratioiisparalvse. Norsk Magazin 
for Laegevidenskaben. 1910. No. 9. 

98. C ursch mann, Einige Indikationen und Kontraindikationen der Lumbal¬ 
punktion. Deutsche med. Wochensehr. 1910. Nr. 39. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frurn 

UNIVERSUM OF IOWA 



366 


<>. Schön bock, 


Digitized by 


99. Spill er, Ein plötzlicher Todesfall nach Lumbalpunktion durch Gehirn¬ 
blutung. Deutsche militärärztl. Zeitschr. 1911. Bd. 40. S. 164. 

100. van Li er, Zur Frage der Sticheiterung nach Lumbalpunktion. Mitteil. a. 
d. Grenzgebieten d. Med. u. Chir. 1912/1913. Bd. 25. S. 132. 

101. Raven, Die Bedeutung der isolierten Ei Weissvermehrung und der Xante - 
ehromie des Liquor cerebrospinalis für die Diagnose von Kompression des 
Rückenmarks. Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1912. Bd. 44. S. 3S0. 

102. Wein 1 and er, Apoplexie mit letalem Ausgang bei Urämie. Wiener klin. 
Wochensehr. 1913. Xr. 48. 

103. Rcnsch, Ein Fall von Exitus nach Lumbalpunktion. Med. Klinik. 1913. 
Xr. 26. 

104. Barth. Chirurgische Behandlung der eitrigen Meningitis. Areh. f. klin. 
Chir. 1914. Bd. 105. S. 651. 

105. Fon zu, Caso di morte in seguito a puntura loinbare in un bambino affetto 
da meningite cerebro-spinale. La Pediatria. 1914. Fase. 4. 

106. Giorgi, Pericoli della puntura lurnbare nelle fratture della base del cranio. 
Rivista ospedaliera. 1914. Yol. 4. No. 1. 

107. Eichelberg, Die Bedeutung der Untersuchung der Spinalflüssigkeit. 
Med. Klinik. 1912. Nr. 29. 

108. Schlesinger, Diskussion zu Marinesco (1. c. 59). 

109. Reichmann, Zur Technik der Lumbalpunktion und der Untersuchung des 
Liquor cerebrospinalis. Münch, med. Woehenschr. 1912. Nr. 9. 

110. Henle, Handbuch der Nervenlehre des Menschen. 1871. Bd. 1. 

111. Goldmann, Experimentelle Untersuchungen über die Funktion der Plexus 
chorioidei und der Hirnhäute. Arch. f. klin. Chir. 1913. Bd. 101. S. 735. 

112. Grashey, Experimentelle Beiträge zur Lehre von der Blutcirculation in 
der Schädel-Rückgratshühle. München 1892. Festschrift f. Büchner. 

113. Propping, Die Mechanik des Liquor cerebrospinalis und ihre Anwendung 
auf die Lumbalanästhesie. Mitteil. a. d. Grenzgebieten d. Med. u. Chir. 
Bd. 19. H. 3. 

114. Walter, Studien über den Liquor cerebrospinalis. Monatssohr. f. Psvch. 
u. Neurol. 1910. 

115. Minet, La mort subito de la ponction lombaire. Journ. de med. de Paris. 
1914. No. 16. p. 312. 

116. Reich mann, Ist die Lumbalpunktion für den Menschen gefährlich? 
Sitzungsbericht d. naturwissenschaftlich-medizinischen Gesellschaft zu Jena. 
Ref. Münch, med. Woehenschr. 1912. Nr. 30. 

117. Quincke, Ueber die therapeutischen Leistungen der Lumbalpunktion. 
Therapeut. Monatshefte. 1914. Juli. 

118. v. Beck, Ueber Punktion der Gehirnscitenventrikel. Mitteil. a. d. Grenz¬ 
gebieten d. Med. u. Chir. 1896. Bd. 1. S. 247. 

119. Gross mann, Kasuistisches zur Lumbalpunktion und zur circumskripten 
Meningitis. Arch. f. Ohrenheilk. 1904. Bd. 64. H. 1. 

120. Lenhartz, Diskussion zu Fürbringer, Zur Klinik der Lumbalpunktion. 
Verhandl. d. Kongr. f. innere Med. 1897. 

121. Krannhals, Zur Kasuistik meningitisähnlicher Krankheitsbilder ohne ent¬ 
sprechenden anatomischen Befund. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 54. 

122. Reichmann, Die Prognose und Therapie der Meningitis. Münch, med. 
Woehenschr. 1913. Nr. 25. 

123. Oppenheim, Encephalitis und Hirnabeess. 1897. 

124. Borehardt, Akute progrediente Encephalitis, akute cireumskripte Meningitis 
und Meningocnccphalitis Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1914. Bd. 127. S. 417. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gefahren der Lumbalpunktion. 


367 


125. Bönninghaus, Die Meningitis serosa aeuta. Wiebaden 1897. 

126. Tuffier, Diskussion /.r Putherat, Fraeture de la base et ponction lom- 

baire. Soc. de chir. 8. Nov. Bull, de la soe. de chir. de Paris. 1905. 

T. 31. 

127. Keymond, zitiert von Pothcrat in der Diskussion zu Potherat, Fraeture 
de la base et ponction lombaire. Soc. de chir. 8. Nov. Bull, de la soc. 
de chir. de Paris. 1905. T. 31. 

128. Martin, De la ponction lombaire; les dangers qu'elle peut presenter dans 

les affections organiques des centres nerveux. Lyon med. 1898. 

129. Lavoix, La mort suite de la ponction lombaire. These. Lille 1909. 

130. Sei ff er, Die Lumbalpunktion bei Geistes- und Nervenkrankheiten. Med. 
Klinik. 1908. Nr. 5. 

131. Holz mann, Diagnostische und therapeutische Lumbalpunktion. Allge¬ 
meine Chirurgie der Gehirnkrankheiten von F. Krause. 2. Teil. (Neue 
deutsche Chirurgie. Bd. 12.) 

132. Stintzing, Handbuch der gesamten Therapie von Penzoldt und 
Stintzing. 5. Auflage. 

133. Sei ff er, Diskussion zu Förster (zit. 69). 

134. Sicard, La ponction lombaire aux tumeurs cerebrales. Presse med. 1908. 
p. 704. 

135. Neisser, Lumbalpunktion und Hirnpunktion. Handbuch der Neurologie 
von Lcwandovrsky. 1910. Allgemeine Neurologie. 2. Teil. 

136. Hatzfeld, zitiert bei Curschmann (zit. 98). 

137. Meitzer, Pharyngeale Insufflation. Berl. klin. Woehenschr. 1915. Nr. 17. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


XII. 

Zar Frage der Hernia pectinea. 

von 

Dr. Friedrich Kempf (ßraunsehweig). 


Von Callisen im Jahre 1777 zuerst beobachtet, durch 
Cloquet 1817 genauer beschrieben und in ihrer Eigenart gewürdigt, 
darf die Hernia pectinea selbst in unserer operations- und schreib¬ 
frohen Zeit noch als pathologische Seltenheit gelten, lässt sich 
doch nach den letzten einschlägigen Arbeiten berechnen, dass seit 
Callisen’s Tagen nicht mehr als 19 Fälle von Cloquet’scher 
Hernia bekannt geworden sind. In einem gewissen Verhältnis zur 
Dürftigkeit dieser Zahl, steht die Summe dessen, was die Erfor¬ 
schung dieser Bruchform zum gesicherten Besitz ärztlichen Wissens 
gemacht hat. Noch immer harren Fragen der Diagnostik und vor 
allem der Pathogenese der Hernia pectinea ihrer erschöpfenden 
Lösung. Ihnen näher zu treten, gab mir ein kürzlich im Helm- 
stedter Krankenhaus St. Marienberg in Vertretung des erkrankten 
Chefarztes Herrn Dr. Denecke behandelter Fall Gelegenheit, der 
folgendermassen verlief: 

Sch, M., 51jährige Ehefrau aus U., aufgen. am 4. 3. 1915, leidet seit acht 
Tagen an Stuhlverhaltung und Erbrechen. In den letzten Tagen war das Er¬ 
brochene sehr übelriechend. Früher ist die Frau stets gesund gewesen, hat 
insbesondere keine Blinddarm- oder Gallenblasenerkrankungen durehgemaeht, 
ist auch in letzter Zeit nicht wesentlich abgemagert. Der behandelnde Arzt 
schickt sie mit der Diagnose: Ileus. 

Befund: Frau in gutem Ernährungszustände, leidet an Aufslossen uml 
zeitweiligem Erbrechen kotig riechender, gelbbrauner Flüssigkeit. Bauch im 
ganzen aufgetrieben, Leber nach oben verschoben. Durch die Bauchdecken 
die gesteiften Dannschlingen fühlbar, sonst nirgends eine deutliche Resistenz. 
Feber dem ganzen Abdomen tvmpanitischer Schall, überall Darmgeräusche von 
metallischem Beiklang hörbar. Blinddarm- und Gallenblasengegend nicht druck¬ 
empfindlich. ln der Gegend des rechten Sehcnkclkanals eine kleiuapfelgrosse, 
bewegliche Geschwulst, die schon lange bestehen soll, sieh auf Druck nicht 
verkleinert, vollständig schmerzlos ist und den Eindruck eines Drüsentuinors 
macht. Die übrigen Bruchpforten leer. Per rectum nichts Abnormes zu fühlen, 
durch Klysma weder Stuhlgang noch Abgang von Blähungen zu erzielen. Die 
"Magenspülung ergibt fäkulenten Inhalt. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Frage der Hernia pectinea. 


369 


Operation: In Narkose wird ein Längsschnitt über den erwähnten Tumor 
geführt und eine aus entzündlich verlöteten Lymphdrüsen und Fettgewebe 
bestehende über walnussgrosse Geschwulst isoliert, die auf dem M. pectineus 
vor dem Schenkelkanal liegt. Da diese Geschwulst keinen Bruchsaek enthält, 
auch keinen Fortsatz in den Schenkelkanal entsendet, wird sie exstirpiert. 
Darunter erscheint jetzt die normal aussehende Faszie des Al. pectineus leicht 
voriretrieben. Nach ihrer Spaltung findet man im Muskelfleisch des Pectineus 
einen bläulich durchscheinenden etwa 5 cm langen Bruchsack, der oben mit 
einem kleinfingerdicken Stiel in den Schenkelkanal mündet. Im Bruchsack 
kein Bruchwasser, aber eine dunkelrot gefärbte Dünndarmschlinge, die sich erst 
nach Einkerbung des Lig. Gimbernati vorziehen Lässt. Alan bemerkt nun 
oberhalb des einen Schnürrings am zuführenden blaurot: verfärbten Darmschcnkel 
eine stecknadelkopfgrosse Porforationsstelle, aus der sieh dünnflüssiger Kot 
entleert. Daher sofort Resektion einer etwa 20 cm langen, hämorrhagisch in- 
farciertcn Diinndarmschlingc und Reposition des circular genähten Darms. Das 
Peritoneum bleibt offen und wird durch die Wunde locker tamponiert. 

Verlauf: Am 5. 3. Puls 80, regelmässig, voll. Temperatur normal. 
Kein Erbrechen mehr. Allgemeinbefinden gut. Daringeräusche hörbar, aber 
kein Abgang von Stuhl oder Blähungen. 7. 3. Bauch bei sonst leidlichem 
Befinden und gutem Puls noch immer aufgetrieben. Einläufe und Physostigmin- 
injektionen gegen die Stuhlverhaltung wirkungslos. 8. 3. Puls frequenter. 
Alle Massnahmen zur Darrnentleerung ohne Erfolg. Beim Verbandwechsel be¬ 
merkt man im Tampon etwas flüssigen Kot. Daher Entfernung desselben, Ein¬ 
führung eines dünnen Glasrohrs in die offenbar an der Resektionsstelle ent¬ 
standene Darmfistel und Versuch einer Darmspülung. Es werden dadurch nur 
ganz geringe Mengen Darminhalt entleert. Danach zunehmender Verfall und 
Tud der Frau am 9 3. Sektion nicht vorgenommeu. 

Den Praktiker interessiert die Hernia pectinea vor allem von 
der diagnostischen Seite. Man würde aber in Verlegenheit kommen, 
wenn man aach nur ein einziges Symptom angeben sollte, das mit 
einigermassen hoher Wahrscheinlichkeit das Vorliegen dieses 
Bruches verriete. Für die Palpation sind die Brüche meistens zu 
klein und zu wenig gegen die Umgebung abgegrenzt, denn sie 
liegen unter einer glatten Faszie und unterscheiden sich in der 
Konsistenz kaum von der sie umschliessenden Muskulatur. Die 
Inspektion versagt unter solchen Umständen gänzlich. Druck- 
erapfmdlichkeit fehlt nach den in der Literatur niedergclegten Auf¬ 
zeichnungen auffallenderweise so gut wie immer. Es ist also kein 
Wunder, wenn man die Hernia pectinea vor der Operation eigent¬ 
lich noch nie sicher festgestcllt hat und bestenfalls zu einer 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose gekommen ist. In meinem Falle habe 
ich diese Erfahrungen nur bestätigen können. Mangels irgend¬ 
welcher anamnestischer Angaben über früher durehgemachte ent¬ 
zündliche Abdominalerkrankungen und bei dem negativen Ausfall 
der ersten flüchtigen Untersuchung war ich geneigt, einen Obturations- 
ileus durch einen malignen Tumor anzunehmen, wenn mich nicht 
das plötzliche Einsetzen der schweren Okklusionserscheinungen 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



370 


F. Kempf. 


Digitized by 


stutzig gemacht und zu einer nochmaligen Revision der Bruch¬ 
pforten veranlasst hätte. Dabei fand ich den erwähnten Tumor 
in der rechten Schenkelbeuge. Zwar konnte ich mich nicht ent- 
schliessen, diesen Tumor selbst als Herniengeschwulst anzusehen, 
denn ein so deutlich fühlbarer Bruch hätte nach seiner Einklemmung 
druckempfindlicher sein müssen, er hätte auch mit einem dünneren 
oder dickeren Stiel dem Schenkelkanal fest aufsitzen müssen, statt 
sich relativ gut über der Unterlage verschieben zu lassen. Auf 
den Gedanken einer Hernia pectinea bin ich auch nicht gekommen, 
weil ich erstens nur sehr unbestimmte Vorstellungen von dieser 
seltenen Hernienart hatte und tiefer Druck, den ich angewandt 
habe, um die mir bekanntere-obturatorisehe Hernie auszuschliessen, 
ganz schmerzlos war. Eine Untersuchung in starker Flexions- und 
Adduktionsstellung des Oberschenkels, wie sie Axhausen empfiehlt, 
habe ich allerdings nicht vorgenommen, vielleicht hätte sie die 
Diagnose nicht wesentlich gefördert, da mein Fall ungünstiger lag, 
als der Axhausen’s, bei dem man von vornherein die erkrankte 
Schenkelregion eine Spur voller als die der anderen Seite und 
unmittelbar unter dem Pou part’schen Bande eine Verdichtung des 
Gewebes fand. Aber so irreführend das Ergebnis meiner genauen 
Untersuchung sein konnte, so konnte es mich doch nicht verleiten, 
die einmal aufgenomraene Spur zu verlassen und den erhobenen 
Befund als gleichgültig für die Deutung des Krankheitsbildes an¬ 
zusehen. Mein Gedankengang war folgender: Im klinischen Bild 
spricht vieles für eine eingeklemmte Hernie. Der Untersuchung 
bietet sich als das einzig Abnorme das Drüsenpaket am rechten 
Schenkelkanal. Es liegt also immerhin nahe, zwischen dieser 
scheinbar harmlosen Anomalie und den schweren Ileussymptomen 
doch einen ursächlichen Zusammenhang anzunehmen. In dieser 
Erwägung führte ich statt der anfangs geplanten Enterostomie die 
typische Herniotomie aus, und die Operation lehrte mich die dia¬ 
gnostische Bedeutung des Drüsentumors, indem sie mir seine Be¬ 
deutung für die Entstehung der Hernia pectinea enthüllte. 

Die Frage, wie entsteht die Hernia pectinea, hat schon 
manches Kopfzerbrechen verursacht. Körte nimmt für das Zu¬ 
standekommen der Hernie eine abnorme Insertion der Fascia 
pectinea am oberen Rande des Schenkelkanals an. Diese Erklärung 
mag für manche Fälle zutreffen, ihre Allgemeingültigkeit darf man 
bezweifeln, weil die Krankengeschichten auch der genauer be¬ 
schriebenen Fälle von Cloquet’scher Hernie den Beweis für das 
häufigere Vorkommen dieser Anomalie vermissen lassen. Aehnlich 
der Körte’sehen und doch in wesentlicher Beziehung von ihr ver¬ 
schieden ist die Anschauung, die sich Harzbecker auf Grund 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Krage <ler Hernia jiretinea. 


371 


eines operierten Falles und nach Leichenuntersuchungen von der 
Entwicklung unserer Hernie gebildet hat. Harzbecker glaubt 
festgestelit zu haben, dass sich die Fascia pectinea in ihrem 
medialsten Abschnitt vom Muskel abhebt und am Lig. Poup. an- 
setzt, nimmt also für einen Teil der Faszie ein Verhalten als 
normal an, das Körte für die ganze Fascie als Ausnahmefall be¬ 
trachtet. Nach Harzbecker kommt dann die Flernia pectinea 
dadurch zustande, dass der ßruchsack das Lig. Gimb. durchdringt, 
wofür die häufig in diesem Ligament anzutreffenden Gefässlücken 
besonders günstige Bedingungen schaffen sollen. In der Forderung 
des Durchtritts durch das Lig. Gimb. liegt die Schwäche der 
Harzbecker’schen Theorie, denn mit dieser Annahme bleibt eine 
grosse Zahl oder besser gesagt die Mehrzahl der Cloquet’sehen 
Hernien unerklärt. Es mag sein, dass eine sieh vergrössernde 
Hernia Ligamenti Gimbernati, wie der von Harzbecker als 
Vorstufe der Hernia pectinea geforderte Bruch meist genannt wird, 
stets unter die Fascia pectinea gelangt. Darauf kommt es aber 
nicht an; was wir wissen müssen, ist, warum sich die gewöhnliche 
Kruralhernie in eine Cloquet’sche Hernie verwandelt, denn man 
braucht nur die einschlägige Literatur aufmerksam durchzusehen, 
— ich empfehle zur Lektüre ausser den wenigen neueren Arbeiten 
besonders die Zusammenstellung von Dege — um zu erkennen, 
dass letzteres die Regel, die Entwicklung aus der erst genannten 
Hernie dagegen die Ausnahme bildet. 

Einfacher stellen sich andere Autoren wie Linhart und 
Tillmanns die Entwicklung der Hernia pectinea vor. Sie sehen 
in Spaltbildungen, besonders in Gefässlücken, die die Faszie des 
M. pectineus durchsetzen, das ursächliche Moment für das Auf¬ 
treten dieses seltenen Bruches. Die präformierten Faszienlöcher 
sollen durch den sich vordrängenden Peritonealkegel allmählich so 
stark ausgeweitet werden, dass der Bruchsack hindurchzutreten 
und sich subfaszial in der nachgiebigen Muskulatur auszudehnen 
vermag. Ich will die Bedeutung dieser Gefässlücken nicht gering 
einschätzen, aber unverständlich bleibt mir doch, warum sich der 
Bruchsack der langwierigen und mühsamen Arbeit der Dilatation 
eines engen Faszienloches unterziehen sollte, wo es viel leichter 
für ihn ist, sich oberhalb der Faszie in dem lockeren Bindegewebe 
des Schenkelkanals zu vergrössern. Auch physikalische Erwägungen 
sprechen dagegen. Dege hat mit vollem Recht darauf aufmerksam 
gemacht, dass der vorwärts schreitende Bruchsack, um subfaszial 
zu gelangen, eine vollständige Aenderung seiner ursprünglichen 
Richtung vornehmen muss. Die den Schenkelbruch vortreibende 
Kraft wirkt nämlich beim aufrecht stehenden Menschen senkrecht 

Archiv für klin. Chirurgie* B<1. 107. lieft *J. 2f) 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



F. KlMHpf. 


Digitized by 


372 

nach unten bzw. parallel zur Pectineusfaszie. Für die Umwandlung 
der Schenkelhernie in die Hernia pectinea ist demnach eine neue 
Kraftkomponente erforderlich, die zur Faszie des Pectin6us senk¬ 
recht gerichtet ist. Dege will also den besagten Faszienlücken 
nur eine prädisponierende Bedeutung zuerkennen. Seine physika¬ 
lischen Ueberlegungen zwingen ihn zu der Annahme, dass die 
Hernia pectinea nur bei stark gebückter Körperstellung auftreten 
könne, und in konsequenter Weiterentwicklung dieser Theorie meint 
er, dass das Leiden hauptsächlich Frauen der unteren Bevölkerungs- 
schichten beträfe, die beim Scheuern und anderen häuslichen Ver¬ 
richtungen zu dieser ungünstigen Haltung gezwungen seien. Ich 
kann mich mit der Degc’sehen Erklärung der Entstehung unserer 
Hernie nicht befreunden. Nach den Literaturangaben scheinen 
zwar Frauen in der überwiegenden Mehrheit von der Hernia pectinea 
befallen zu werden, was natürlich damit zusammenhängt, dass 
Frauen auch häufiger als Männer an Schenkelbrüchen leiden: ob 
es sich aber immer um schwer arbeitende, ihre Tätigkeit vorzugs¬ 
weise in gebückter Stellung verrichtende Frauen gehandelt hat. 
vermag ich nicht mit Sicherheit festzuslellen. So viel darf man 
aber wohl behaupten, dass, wenn die Dege'sehe Erklärung zu¬ 
träfe, die Hernia pectinea viel häufiger sein müsste, als sie es tat¬ 
sächlich ist. Ihr Vorkommen könnte sich auch nicht nur auf die 
arbeitenden Klassen beschränken. Man mache sich doch klar, dass 
dieselben physikalischen Bedingungen, die bei gebückter Kumpf¬ 
haltung eintreten, auch durch Bewegungen der unteren Gliedmassen 
hergestellt werden können. Jede stärkere ßeugehaltung des Beines 
im Hüftgelenk, wie sie z. B. beim Sitzen unvermeidlich ist, müsste 
den Träger eines Schenkelbruchs in Gefahr bringen, eine Hernia 
pectinea zu erwerben, und so müsste dieser Bruch dem Arzt eine 
fast alltägliche Erscheinung sein. 

Mich dünkt also, dass die Dege’sche Anschauung mit den 
Tatsachen schwer in Einklang zu bringen ist. Es wundert mich 
überhaupt, dass Dege für die Erklärung der Hernia pectinea gerade 
diesen Weg gegangen ist, während er eine andere mit den physi¬ 
kalischen Gesetzen gleichfalls gut in Einklang zu bringende Idee, 
die er auch in den Kreis seiner Betrachtung zieht, sofort wieder 
fallen lässt. Dege gibt zu, dass theoretisch die Ausbildung 
der Cloquersehen Hernie auch auf das Auftreten eines erheb¬ 
lichen Widerstandes im Schenkelkanal zurückgeführt werden könne, 
findet aber für ein solches Moment, „das man z. B. in einer durch 
entzündliche Prozesse hervorgerufenen Umwandlung des lockeren, 
den Raum zwischen Faseia lata und Fascia pectinea ausfüllenden 
Zellgewebes und der dadurch bedingten narbigen Verwachsung der 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Krau«' < 1 <■ r Hem in iicrtinca. 


373 


beiden Faszienblätter sehen könnte“, in den Operations- und Ob¬ 
duktionsbefunden der publizierten Fälle keinerlei Anhalt. 

Ich bin entschieden anderer Ansicht als De ge. Den erwähnten 
entzündlichen Vorgängen lege ich nicht bloss eine theoretische Be¬ 
deutung bei, sondern erblicke darin die wahre Ursache der Ilerniu 
pcctinea in meinem sowohl wie in dem Dege’schen Falle. Beim 
Durchlesen der von Doge ausführlich wiedergegebenen Kranken¬ 
geschichte muss doch sofort auffallen, dass das Zellgewebe des 
Schenkelkanals keineswegs normales Verhalten zeigte. Um an die 
Bruchgeschwulst heranzukommen, musste der Operateur einen aus 
Drüsen und dicken Lvmphsträngen bestehenden Tumor von der 
Fossa ovalis abpräparieren. Ist damit nicht der Dege’schen 
Forderung nach einer durch entzündliche Prozesse hervorgerufenen 
Xellgewebsumwandlung vollauf Genüge geschehen? Und ist nicht 
solch’ ein ausgesprochen pathologischer Nebenbefund eher geeignet, 
eine seltene ßruchanomalie zu erklären, als eine durchaus im 
Rahmen des Physiologischen liegende Körperhaltung? Genau das¬ 
selbe abnorme Verhalten des Bindegewebes konnte ich nun bei der 
von mir operierten Kranken feststellen. Auch hier fanden sich die 
Uvmphdrüsen der Fossa ovalis zu einer geschwulstartigen Masse 
verbacken und fest verlötet mit der von der Fascia lata bzw. 
eribrosa nicht mehr zu trennenden Faszie des M. pectineus. Noch 
unter dem frischen Eindrücke dieses Befundes und ohne damals 
die bisherigen Anschauungen über die Genese der Hernia pcctinea 
zu kennen, legte ich mir die Beziehungen zwischen Drüsenpaket 
und Hernie in folgender Weise zurecht: Die Frau hatte früher eine 
wegen ihrer Geringfügigkeit nicht beachtete Infektion im Quell¬ 
gebiet der inneren Inguinaldrüsen durchgemacht, die genügt hatte, 
eine dauernde Schwellung dieser Drüsengruppe mit Fixation an die 
entzündlich verklebten und allmählich narbig veränderten Faszien 
der Fossa ovalis zu bewirken. In der Folge war ein typischer 
Schenkelbruch aufgetreten, der zunächst den üblichen Weg durch 
den inneren Schenkelring nahm, nachdem er aber den Schambein¬ 
kamm passiert hatte, beim Versuche sich weiter abwärts auszu¬ 
dehnen; auf den mit der Unterlage verklebten Drüsentumor stiess. 
S<> war der Weg nach unten verlegt, und ebenso verhinderte die 
entzündlich verdickte straffe Oberschenkelfaszie ein Ausweichen der 
Hernie nach vorn oder um das Big. Poup. herum nach oben. Als 
einzige Möglichkeit, sich zu vergrössern, blieb dem Bruchsack nur 
der Ausweg nach hinten gegen die schwache Faszie des Pectineus. 
Diese zarte Membran konnte dem Druck des wachsenden Bruches 
nicht standhaltcn. Sic gab nach, wurde an einer vielleicht durch 
eine Gefässliicke prädisponierten Stelle perforiert, und nun wühlte 

J.'i - 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



374 


K. Kumpf, 


Digitized by 


sich der Bruch ein Lager zwischen den weichen Schichten der 
Muskulatur. 

Also die Entzündung subinguinaler Lvmphdrüsen, vorzugsweise 
der medialen Gruppe, der oberflächlichen sowohl wie besonders 
der tieferen und Verwachsungen des Drüsenpakets mit der Faseia 
peetinca mache ich in dem von mir beobachteten Falle für die 
Ausbildung der Hernia pcctinea verantwortlich. Dabei muss vor¬ 
ausgesetzt werden, dass die Verklebung des Drüsentumors mit der 
Unterlage nicht die ganze Faszie betrifft, sondern dass der obere, 
dem Pecten pubis angrenzende Abschnitt von stärkeren entzünd¬ 
lichen Veränderungen frei bleibt. Bei einer festen Verhütung der 
derben Drüsenmasse mit den obersten Faszienpartien würde ja 
weder ein Schenkelbruch noch eine Hernia pectinea auftreten 
können. Dass diese Voraussetzung in meinem Falle gegeben war. 
brauche ich nicht noch besonders hervorzuheben. 

Wenn ich nun annehme, dass die besprochenen Umstände in 
meinem Falle die Cloquct'sche Hernie bedangt haben, so sasre 
ich damit nicht, dass derartige pathologische Veränderungen immer 
die Ursache solcher abnormen Hernicnbildung sein müssen. Ich 
linde bei einer grossen Zahl der publizierten Fälle keine Notiz in 
der Krankengeschichte, die mir erlaubte, meiner Erklärung Allge¬ 
meingiltigkeit zuzusprechen. Aber muss denn die Hernia pectinea 
immer auf dieselbe Weise Zustandekommen? Ich vermute, man 
darf von ihr dasselbe behaupten, wie von nicht wenigen anderen 
pathologischen Erscheinungen. Je mehr man sich mit den Pro¬ 
blemen ihrer Entstehung beschäftigt, desto mehr gewinnt man die 
Ueberzeugung, dass man den Tatsachen Gewalt antun würde, wenn 
man ihre gewiss mannigfachen Entwicklungsmöglichkeiten in das 
Prokrustesbett einer kurzen Formel zwängt. Immerhin möchte ich 
feststellen, dass der von mir erhobene Befund nicht beispiellos in 
der Literatur dasteht, und dass so, wie ich mir die Entstehung der 
Hernia pectinea denke, sehr wohl auch andere bekannt gewordenen 
Fälle gedeutet werden können. In diesem Sinne habe ich weiter 
oben schon den Fall von Dege besprochen. Auch an die älteste 
Beobachtung einer Hernia pectinea, die von Calliscn, möchte ich 
in diesem Zusammenhang erinnern. In der Beschreibung seine.' 
klassischen Falles lesen wir, dass Calliscn bei der Untersuchuni.' 
der Patientin einen kleinen, gut beweglichen, wenig druckempfind¬ 
lichen Tumor der Schenkelgegend fand. Bei der Operation erwies 
sich diese Geschwulst aber nicht als Hernie, sondern als sub¬ 
kutanes Drüsenpaket. Calliscn wollte nun die Diagnose Schenkel- 
liernie aufgeben und einen Ileus aus anderer Ursache annehmen. 
Do'-h die bestimmten anamnestischen Angaben der Kranken veran- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Frair' 1 der llcrnia |K“rtim , ;i. 


375 

lassten ihn, weiter in die Tiefe vorzudringen, worauf er nach müh¬ 
samem (wohl durch die entzündlichen Veränderungen bedingtem! 
Präparieren den in der Muskulatur gelegenen Bruchsack freilegte. 
Ich denke, das ist genau das Bild, das ich bei meiner Patientin 
gefunden habe, und ich sehe nicht ein, warum Dege in dem 
Callisen'schen Falle eine Stütze seiner Theorie erblickt. Wie 
Calliseu berichtet, traten zwar bei seiner Kranken die zur Ope¬ 
ration führenden Beschwerden nach einer Schmauserei beim Be¬ 
steigen eines Wagens auf, und Dege sehliesst daraus, dass an der 
Entstehung des Bruches der Austritt der Eingeweide bei gebeugtem 
Oberschenkel schuld gewesen sei. Nach meinem Dafürhalten kann 
das Besteigen des Wagens höchstens für die Einklemmung des 
Bruchinhalts verantwortlich gemacht werden, für die Entstehung 
des Bruches dagegen bzw. die Einbettung des Bruchsackes in den 
M. pectineus konnte dies Moment schon deshalb keine Bedeutung 
haben, weil cs sich nach der Krankengeschichte um ein altes Leiden 
gehandelt hat, das bereits mehrfach zu Inkarzerationen Anlass ge¬ 
geben hatte. Ich halte cs auch in dem Callisen’schen Falle für 
viel wahrscheinlicher, dass das Drüsenpaket das Hindernis abge¬ 
geben hat, das den ursprünglichen Schenkelbruch vcranlasstc, seine 
Richtung zu ändern und sich in eine Hernia pectinea umzuwandeln. 

In dem Bericht über einen anderen Fall von Cloquet’.scher 
Hernie, den John Adams im Jahre 1856 beobachtete, fiel mir 
gleichfalls auf, dass die Anwesenheit einiger beweglicher, etwas 
vergrössertcr Lymphdrüsen hervorgehoben wird. Mangels präziser 
Angaben über den Operationsverlauf möchte ich es aber dahin¬ 
gestellt sein lassen, ob der von mir angenommene Mechanismus 
auch hier bei der Ausbildung der Hernie wirksam gewesen ist. 
Dasselbe gilt von den Beschreibungen anderer Autoren, die auf die 
Schilderung der anatomischen Befunde zu geringes Gewicht gelegt 
haben. Wenn aber ein Teil der Fälle von Hernia pectinea auf die 
angegebene Weise am besten erklärt wird, so wird man die ge¬ 
schilderten Verhältnisse bei der Untersuchung und Beurteilung ver¬ 
dächtiger Fälle nicht unberücksichtigt lassen dürfen. Auf die 
Schwierigkeiten der Diagnose und den Mangel jeglicher charakte¬ 
ristischer Symptome der Oloquet/schen Hernie habe ich schon 
hingewiesen. In gewissem Sinne wird der dem Bruch vorgelagerte 
Drüsentumor diese Schwierigkeiten noch vermehren. Er kann sie 
aber auch wiederum erleichtern, wenn man sich in Fällen unklarer 
Darmokklusion erinnert, dass ein Paket entzündlich verbackener 
Drüsen eine der Ursachen darstellen kann, die zu solch abnormer 
Bruchbildung führen. So wird eine bessere Einsicht in das Wesen 
und die Bedingungen der Hernia pectinea auch unseren Kranken 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



376 


F. K cnipf. Zu r Franc der ITernia peetinea. 


Digitized by 


zuiruti* kommen und dazu beitragen, die erschreckend hohe Morta¬ 
lität der Einklemmung dieses Bruches durch eine frühzeitige Dia¬ 
gnose zu verringern. 

Die Literatur iiFer Hrmia periinea i>t Fis zum Jahn* 1907 lud De^e. Ilt*rn:a 
eruralis peciinen sivr Chupieti. Herl. klin. Woelienselir. 1907. >. Uol 
vnllsilimlin zusainmt‘ui:»‘slc||t. Von nnn'mi Arl»eilen nenne ifli: 

O. II a r/ I»ee k er. Fetter die Kntstehunn der llernia peetinea. Deutsche m«*«i 
Wnclieiisrlir. 191.'». \r. Id. S. 744. 

Manlelli. t’andido. Kieerelie anatomielie a proposito dell* ernia pettima. 
(iaz. drnü nsp. i.* delle elin. 1913. Vul. 34. p. 133. (Kef. im (VntralC. 

f. d. n»‘>- Cliir. u. ihn* tiren/nel». 1913. I>d. 1. S. *221. - Dell' eniia 

pettinea. Folielinien. 1913. Amu» 20. No. 5. p. 203. (IM. im Cenirail'I. 
f. d. nes. Cliir. u. ihre (irenznel». 1913. I3d. 2. S. 232.) 

K. \. liedwilz. heiter einen Falt vun llernia peetinea. Ileitr. /.. klin. Cliir. 

1914. IM. SS. S. 725. 


Gch igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



XIII. 


Erwiderung auf Kempf’s Veröffentlichung 
„Zur Frage der Herma pectinea“. 

Von 

0. Harzbeeker (Berlin). 

I. Was zunächst die in der Kein pUschen Arbeit erwähnte • 
Verschiedenheit der Anschauungen Körte’s und der raeinigen an- 
betrilTt, möchte ich folgendes zur Richtigstellung entgegnen: 

Körte nahm an, dass bei dem Bestehen einer Hernia pectinea 
eine anormale Insertion der Fascia. pectinea vorliegt, und zwar der¬ 
art, dass die Fascia pectinea, die normalerweise am Beeten ossis 
pabis ansetzt, im Ausnahmefall, also beim Vorhandensein der in 
Frage stehenden Hernie, ihre Insertion am Poupart’schen Bande hat. 

Durch Leichenuntersuchungen habe ich nachgewiesen, dass der 
vor Körte als anormal angenommene Befund für den medialen 
Teil der Fascia pectinea die Norm ist, d. h., die Fascia pectinea 
verlässt tatsächlich in ihrem medialen Teil den Musculus pectineus 
schon an der vorderen Kante des horizontalen Schambeinastes und 
heftet sich am Ligamentum Pouparti, im spitzen Winkel zum Li¬ 
gamentum Gimbernati an. 

Demnach besteht also keine Verschiedenheit zwischen der 
Körte'schen und meiner Erklärung der Hernia pectinea; denn so¬ 
wohl Körte wie ich sind der Ansicht, dass ein Bruchsack nur 
dann unter die Fascia pectinea gelangen kann, wenn diese Faszie 
am Ligamentum Pouparti inseriert. 

II. Nach dem Obduktionsbefund des von mir veröffentlichten 
Falles von Hernia pectinea im 16. Heft der Deutschen medizinischen 
Wochenschrift 1913 und nach meinen Untersuchungen an der Leiche 
liegt die Bruchpforte der Hernia pectinea garnicht im Annulus cru- 
ralis, sondern median davon im Ligamentum Gimbernati. Die Hernia 
pectinea ist also nicht, wie Kempf in seiner Arbeit noch anzu¬ 
nehmen scheint, eine verwandelte Kruralhernie, sondern eine Hernie 
sui generis. Ein von der Bauchhöhle aus durch das Gimbernat'sehe 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



378 0. Ha r/.brrlx <m\ Krwblmmi: aut Kampfs ViTüflVntlirlmnir usw. 


Digitized by 


Band gestossenes stumpfes Instrument kommt nicht oberhalb, son¬ 
dern unterhalb der Fascia pcctinea heraus und dringt lief in die 
Fasern des Musculus pectineus ein. 

Im Urban-Krankenhause wurden bisher 5 Fälle von Ilernia 
pcctinea operiert, bei denen niemals eine Beeinflussung des vom 
Bruehsackc eingcsehlagenen Weges durch entzündliche Verwachsun¬ 
gen auf der Fascia pcctinea oder durch vorgelagerte Drüsenpakete 
nachgewiesen werden konnte. Diese fünf Hernien blieben nach der 
Kempf'schen Theorie in ihrer Entstehung unaufgeklärt. Sie lassen 
sich aber durch meine Untersuchungen, die sowohl von Körte be¬ 
stätigt, als auch von Waldeyer auf Grund von Nachprüfungen 
für richtig befunden wurden, leicht erklären. 

Die Theorie von Kcmpf, nach der ein zarter Bruchsack eine 
derbe Faszie durchbohrt, ist eine unbewiesene Annahme, da bisher 
noch niemand die Lücke oder den Spalt in der Fascia pectinea 
gefunden hat, durch welchen der Bruchsack sich in die Muskulatur 
des Musculus pectineus einbohrt. Die von mir gegebene Erklärung 
beruht nicht auf Spekulationen, sondern auf anatomischen Tatsachen, 
die von autoritativer Seite (Waldeyer, Körte) als richtig befunden 
worden sind. 


Druck von I,. SrhumMrlirr in Berlin N. 4. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 







" «rfC a I 


Tafel IX. 





























Digitized by 


Original from 

UNIVERSIIY OF IOWA 




























Digitized by 


Google 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 













Digitized by Google 



Fig.5 


Fig.9 


Fig. 9a 


Lichtdruck Neinert-hennig, Berlin S. 42. 


Original from 

UNIVERSIIY OF IOWA 









Digitized by 


| 


i 



( 


i 



Gck 'gle 


Original frnm 

UNIVERS1TY OF IOWA 





Fig. 10a 


Fig. 12 


Fig. 14 



Fig. 11a 


Digitized by Google 


Tafel XU. 



Fig. 13 


Fig. 15 


Fig. 17 


Fig. 18 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 










Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 





Digitized by 


Original from 

UNIVERSIIY OF IOWA 


Digitized by 


Gch igle 



' 

UMIVERSITY OF IOWA 



. vy 


Fig. 21 


Fig. 21a 


Fig. 24 


Digitized by Google 


Tafel XIII. 



Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



















Digitized by 


Go igle 


Original from [ 

UNIVERSITY OF IOW/| 



Digitized by 


Gougle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 























Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 





Fig. 38 


Fig. 39 


Fig. 40 


Fig. 37 


Fig. 39a 


Tafel XV. 


Fig. 37a 


Archiv für klin. Chirurgie 107. Bd. 


Fig. 35 


Fig. 36 


Fig. 36a 


Fig. 36b 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 






















Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



XIV. 


Die Gallensteinkrankheit im Lichte der 
Anfalloperation. 1 ) 

Von • 

Prof. Dr. Sprengel (Braunschweig). 

(Hierzu Tafel XVI—XIX.) 

M. H.! Trotz der Unzahl von Arbeiten, welche im Laufe der 
letzten beiden Jahrzehnte das Gebiet der Gallensteinkrankheiten 
kritisch und kasuistisch beleuchtet haben, harren auch heute noch 
eine Reihe fundamentaler Fragen der definitiven Erledigung. Ins¬ 
besondere werden die pathogenetischen Vorgänge, welche den ein¬ 
zelnen Phasen des klinischen Krankheitsbildes zugrunde liegen, von 
den Autoren so verschieden oder so unklar beantwortet, dass es 
bis auf den heutigen Tag kaum möglich ist, zu einheitlichen und 
folgerichtig entwickelten Anschauungen zu gelangen. 

Ein Fortschritt freilich ist unverkennbar. Vergleicht man z. B. 
die älteren Arbeiten des auf dem Gebiet der Gallensteinkrankheiten 
fruchtbarsten Schriftstellers Kehr mit seinem neuesten und ohne 
Zweifel besten Werk in der „Neuen Deutschen Chirurgie“, so kann 
man auch seinen pathogenetischen Betrachtungen die höchste An¬ 
erkennung darüber nicht versagen, dass er zu einer immer kon¬ 
sequenter durchgeführten Bearbeitung dieses schwierigen Gegen¬ 
standes durchgedrungen ist. Ja, ich muss bekennen, dass ich nach 
Lektüre des einschlägigen Kapitels mit dem ihm zugrunde liegenden 
immensen Material beinahe schwankend geworden bin, ob ich mit 
meinen Untersuchungen vor eine so gewählte Versammlung treten 
und es wagen dürfte, die Kritik meiner kritischen Betrachtungen 
herauszufordern. 

Indessen die Ueberlegung, dass meine, in geduldiger Arbeit 
durchgeführten Studien in manche Einzelheiten Klarheit bringen und 
im ganzen das Problem der Krankheit in ein einfacheres System 

1) Vorstehende Arbeit war vom Verfasser dazu bestimmt, auf der Xatur- 
forseherversammlung in Hannover, Herbst 1914, vorgetragen zu werden. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Hell 3. 2G 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



380 


Sprengel, 


Digitized by 


zu gliedern helfen können, veranlasst mich doch, meinen Entschluss 
auszuführen. 

Ich habe das meiner Darstellung zugrunde liegende Material 
in der Weise gewonnen, dass ich seit mehr als zwei Jahren über 
jeden operativen Fall von Gallensteinkrankheit nicht bloss die 
übliche Krankengeschichte habe anfertigen lassen, sondern mich 
bemüht habe, durch objektive kritische Betrachtung unmittelbar 
nach der Operation das anatomische Bild pathogenetisch zu kon¬ 
struieren und auf die Frage zu prüfen, ob sich der Einzelfall in 
bestimmte, allmählich sich herausarbeitende Gruppen einreihen lässt, 
nach welchen verbindenden oder trennenden Momenten man eine solche 
Gruppierung vorzunehmen hat, und inwieweit die heute üblichen Ein¬ 
teilungen unserer eigenen Beobachtung entsprechen oder widersprechen. 

Dabei habe ich mit besonderer Sorgfalt die akuten Fälle 
studiert. Nicht bloss, weil sie unter der dem Praktiker hand¬ 
gerechtesten Diagnose der akuten Appendicitis in relativ grosser 
Zahl an uns gelangten, sondern weil ich mich überzeugte, dass wir 
über den eigentlichen Charakter des Gallensteinleidens — wie über 
den des Menschen — die zuverlässigste Aufklärung erhalten, wenn 
wir ihn im Zustand der Erregung beobachten. 

Es wird bei der Cholecystitis kaum anders sein, als bei dem 
Studium der Appendicitis, bei dem wir auch erst dadurch die Kette 
der Erkenntnis schliessen konnten, dass wir von der unsicheren 
und trügerischen Untersuchung des chronisch veränderten Wurm¬ 
fortsatzes zu der autoptischen Beobachtung des Organs in den 
einzelnen Phasen des Reizzustandes übergingen. 

Aber nicht bloss nach diesem allgemeinen Gesichtspunkt 
lassen sich die anatomischen und pathologischen Verhältnisse von 
Gallenblase und Wurmfortsatz vergleichen. Die Parallele ist nicht 
neu; trotzdem ist es von Interesse, sie in einigen Einzelheiten zu 
verfolgen, wie ich es schon vor Jahren in mehreren in Braun- 
scliwcig und in Hannover gehaltenen Vorträgen versucht habe. 

Gallenblase und Wurmfortsatz sind mit dem Darm zusammen¬ 
hängende, schlauchförmig gestaltete, blind endigende Hohlorgane 
mit engem Ausführungsgang. 

Beide Organe sind auf ihrer Innenseite mit Schleimhaut aus¬ 
gekleidet, w'elche drüsige, sezernierende Elemente enthält. 

Beide Organe sind in ihrer Wandung mit glatter Muskulatur 
versehen, welche ihnen unter normalen Verhältnissen die Fähigkeit 
verleiht, ihren Inhalt in den Darm zu entleeren. 

Beide Organe sind in ganzer Ausdehnung von Serosa um¬ 
kleidet, gehören im eigentlichsten Sinne zu den intraperitonealen, 
tief in den Bauchfellsack eingesenkten Organen. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Die Gallcnsteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 381 

Beide Organe gehören funktionell oder entwicklungsgeschicht¬ 
lich zu den umstrittenen Einrichtungen des Körpers, beide sind 
entbehrlich. 

Und weiter nach pathologischen Gesichtspunkten. 

Wurmfortsatz wie Gallenblase sind nicht selten Träger von 
mehr oder weniger festen Konkrementen — Kotstein, Gallenstein —, 
welche, wenn auch für beide der Entstehungsmechanismus nicht in 
jedem Punkt geklärt ist, doch in beiden Organen aus dem normalen 
oder veränderten Inhalt abgesintert werden, solitär oder multipel 
Vorkommen und unter der modellierenden Einwirkung der musku¬ 
lären Wandung stehen. 

Am Wurmfortsatz wie an der Gallenblase kommt es 
periodisch zu akut einsetzenden und verlaufenden An¬ 
fällen, welche entweder nach kurzem Bestehen unter Nach¬ 
lass sämtlicher Erscheinungen wieder abklingen oder bei 
ausbleibender Resolution mehr oder weniger schwere 
Destruktion des Organs zur Folge haben. 

Der Widerhall der Erkrankungen beider Organe auf das Peri¬ 
toneum gestaltet sich unter völlig übereinstimmenden Erscheinungen. 
Entweder in der Form umschriebener Entzündung mit Ausschwitzung 
eines fibrinhaltigen, die Agglutination der benachbarten Organe — 
Netz, Därme — begünstigenden, im weiteren Verlauf lokal in Eite¬ 
rung übergehenden Exsudats, oder es erfolgt — mit oder ohne 
offenen Durchbruch der Wandung — eine diffuse Miterkrankung 
des Peritoneums unter den anatomischen und klinischen Erschei¬ 
nungen der Peritonitis. 

Neben diesen akut verlaufenden Attacken gibt es langsam, 
unter unklaren, vieldeutigen Symptomen verlaufende Erkrankungen 
des Wurmfortsatzes und der Gallenblase, welche, ohne jemals 
schwere klinische Symptome hervorzurufen, allmählich wichtige 
organische Veränderungen herbeiführen und ebenso langsam, wie 
sie entstanden und verlaufen sind, ins Quiescenzstadium übergehen 
(subakute, relabierende, rekrudeszierende Formen). 

Dieses Quiescenzstadium ist die dritte Klasse der Ver¬ 
änderungen, in denen man den Wurmfortsatz wie die Gallenblase 
vorfinden kann. Es ist selbstverständlich, dass die Veränderungen 
in diesem Stadium an beiden Organen erheblich sein können. Ob 
es aber deshalb berechtigt ist — bei der Gallenblase wie beim Wurm¬ 
fortsatz —, von einer chronischen Entzündung zu sprechen, 
steht dahin. Es handelt sich vielmehr um reparatorische Vorgänge 
oder um Residuen abgelaufener Entzündung. Höchstens könnte es 
in dem Aschoff’schen Sinne geschehen, dass man chronisch ver¬ 
laufende, entzündliche Vorgänge in den schlauchförmigen Gebilden 

26 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



382 


Sprengel, 


Digitized by 


der Wandung beider Organe (Krypten des Wurmfortsatzes und 
Luschka’schen Drüsen der Gallenblase) annimmt. Ob sie aber 
klinisch erkennbar sind, steht stark zu bezweifeln. 

Selbstverständlich lässt sich der eben angezogene Vergleich 
nicht in jedem Punkte durchführen. Schon anatomisch nicht. Der 
Wurmfortsatz entspringt direkt von einem tief gelegenen Abschnitt 
des Darms, die Gallenblase hängt nur indirekt mit ihm zusammen 
und ist, genau genommen, nur ein Anhängsel an den Ausführungs¬ 
gang eines grossen, drüsigen Organs ohne stärkere, selbständige, 
sekretorische Tätigkeit, während der Wurmfortsatz — den man 
nach den neuesten Untersuchungen von Muthmann (1913) ver¬ 
mutlich nicht als blosse rudimentäre Bildung, sondern als anato¬ 
misch differenzierte Coecaltonsille aufzufassen hat — wahrschein¬ 
lich eine keineswegs belanglose sekretorische Funktion erfüllt. 

Das schränkt die Bedeutung des Vergleichs um etwas ein, 
aber nicht so weit, dass man nicht den Versuch machen sollte, 
manches von dem, was wir durch mühevolle Forschung über die 
Pathogenese der Wurmfortsatzerkrankungen gefunden haben, auf 
die analogen oder mindestens ähnlichen Verhältnisse der Gallen¬ 
blase zu übertragen oder doch als Wegweiser zu benützen, in der 
Art, dass man Paralleluntersuchungen im klinischen und patho¬ 
genetischen Sinne durchführt. 

Im übrigen ist das, was ich im nachstehenden bringe, im 
wesentlichen auf die Gallenblase beschränkt, wenn auch ein ge¬ 
legentlicher Hinweis auf die weiteren Wege des Gallenstroms nicht 
prinzipiell vermieden wird. 

Ich habe eine grössere Reihe der von mir bei der Operation 
gewonnenen Präparate von einer geübten Zeichnerin in Wasser¬ 
farben abbilden lassen; bei den besonders charakteristischen Fällen 
erst von aussen und dann nach breiter Eröffnung von innen her. 
Dazu war es notwendig, das Präparat möglichst intakt zu gewinnen, 
was ohne Schwierigkeit in der Weise gelingt, dass man die Excision 
der Gallenblase nicht, wie gewöhnlich, vom Fundus aus, sondern 
am Ende des Ductus cysticus beginnt (wie es heute wohl viele 
Operateure machen; cf. Haist-Hoffmeister, 1909) und die Gallen¬ 
blase nach Abbindung des letzteren unter Nachhilfe von seichten 
Messerzügen und sanftem Zuge aus ihrem Leberbett ablöst. Die 
sobald wie möglich nach der Operation hergestellten Bilder werden 
der folgenden Besprechung zur Unterlage und Erläuterung dienen. 

Es ist meine Absicht, im Folgenden demjenigen mechanischen 
Moment im Ablauf der Entzündung grössere und allgemeinere 
Geltung zu verschaffen, das, soweit meine persönlichen Beobach¬ 
tungen reichen, in allererster Linie ihren Weg und ihren Ausgang 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallenstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


383 


bestimmt und in der Lehre von den Gallensteinerkrankungen wie 
auch sonst bei weitem nicht genügend berücksichtigt wird, dem 
Moment der Retention. 

Ich glaube nicht zu weit zu gehen, wenn ich den Satz aus¬ 
spreche, dass sich unter angemessener Bewertung dieses mechani¬ 
schen Faktors fast alle Erscheinungen im klinischen und anatomi¬ 
schen Bilde der Gallensteinerkrankung ungezwungener erklären 
lassen, als es nach den heute üblichen Deduktionen möglich ist. 
Der einfache Hinweis, dass bei bestehender Retention sich von 
vornherein drei verschiedene pathogenetisch wirksame Möglichkeiten 
ergeben, je nachdem die Retention sich zurückbildet oder nicht 
zurückbildet oder unvollkommen zurückbildet, und dass diese sieh 
vervielfachen, je nachdem sich diese Modalitäten an einem viru¬ 
lenten oder nicht virulenten oder schwach virulenten Gallenblasen¬ 
inhalt vollziehen, eröffnet eine fast unbegrenzte Anpassungsfähigkeit 
an die mannigfach wechselnden Krankheitsbilder des Gallenstein¬ 
leidens. 

Bevor ich im einzelnen darauf eingehe, seien mir einige, zum 
Teil kritische Bemerkungen über den Begriff der Retention im all¬ 
gemeinen und seine bisherige Berücksichtigung auf dem uns be¬ 
schäftigenden Gebiet gestattet. 

In seiner bekannten Arbeit „Zur Pathogenese und Diagnose 
des Gallensteinkolikanfalls“ (1898) hat Riedel unter Aufwendung 
von viel Mühe und Scharfsinn den Versuch gemacht, den Begriff 
der „Perialienitis“, d. h. der sich akut um die in der Gallenblase 
liegenden Steine entwickelnden „Fremdkörperentzündung“ nicht bloss 
„zum Kardinalpunkt der ganzen Gallensteinfrage“, sondern auch 
für die gesamte Pathologie als ungemein wichtig herauszuarbeiten. 
Die Arbeit liegt 16 Jahre zurück, und ich weiss nicht, ob Riedel 
selbst den damals vertretenen Standpunkt heute noch einnimmt. 
Ich persönlich teile ihn nicht und glaube, dass die meisten der 
von Riedel geführten Argumente sich widerlegen lassen. Der Ver¬ 
such, es zu tun, würde zu weit führen. Auf einen Punkt aber 
möchte ich eingehen, weil er unter allen von Riedel zum Vergleich 
herangezogenen pathologischen Vorgängen das prägnanteste und an 
und für sich am meisten berechtigte punctum comparationis dar¬ 
stellt und weil sich an ihm das Gegensätzliche unserer Auffassung 
gut illustrieren lässt. 

Riedel vergleicht die Verhältnisse der steinhaltigen Gallen¬ 
blase mit infizierten Herden, welche „mittels Fisteln, Kanälen usw. 
entweder direkt mit der Körperoberfläche oder mit Hohlorganen des 
Körpers kommunizieren“, und weist auf die in denselben sich ab¬ 
spielenden, „unter den bekannten Erscheinungen akuter Exacerbation 


Digitized by 


Goi igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



384 


Sprengel, 


Digitized by 


verlaufenden entzündlichen Schübe“ hin. Er will Dicht, wie ge¬ 
wöhnlich geschieht und auch nach seiner Meinung für eine Reihe 
von Fällen zutrifft, zur Erklärung einfach die Retention heran¬ 
ziehen, sondern glaubt, dass das Primäre in diesen Fällen — ebenso 
wie bei den plötzlich in geschlossenen Herden aufflammenden 
Entzündungen — die „Perialienitis“, die plötzliche Vermehrung des 
Sekrets um einen in der Höhle liegenden Fremdkörper sei. 

Selbst wenn ich davon absehe, dass diese Erklärung im gün¬ 
stigen Falle nichts weiter ist als eine Umschreibung, weil man 
weiter fragen muss, auf welchem tieferen kausalen Moment denn 
die „Perialienitis“ ihrerseits beruht, erscheint sie mir als eine 
recht gezwungene Deutung einer im Grunde sehr einfachen Tat¬ 
sache. 

Erwägen wir, dass die „akuten Schübe“ niemals entstehen, so¬ 
lange die Höhlen nicht durch einen engen Gang mit der Körper¬ 
oberfläche kommunizieren, sondern weit nach aussen klaffen, dass 
sie — wie Riedel selbst (etwas willkürlich) für die Anhäufung 
von „serösem Sekret“ zugibt, für die Fälle mit „eitrigem Sekret“ 
bestreitet — gewöhnlich schon durch einfache Drainage, mit voll¬ 
kommener Sicherheit aber durch breite Freilegung der Höhle in 
allen ihren Buchten beseitigt werden kann, dass dieser Vorgang 
sich unter Umständen in durchaus typischer Weise mehrfach an 
demselben Falle wiederholt, so muss man dem mechanischen 
Moment der Retention als solchem zweifellos die ausschlaggebende 
Bedeutung beimessen. Und wollte man theoretisch dem Gedanken¬ 
gang Riedel’s folgen und annehmen, dass in der offenen Höhle 
ebenso wie in der geschlossenen das unklare Moment der Peri¬ 
alienitis den Entzündungsprozess anfachen könnte, so wäre das 
höchstens theoretisch von Interesse, praktisch und pathogenetisch 
käme es doch immer darauf hinaus, dass der entzündliche Vorgang 
nur deshalb deletär wirkt und unter schweren klinischen Erschei¬ 
nungen verläuft, weil die Höhle sich dauernd oder vorübergehend 
schliesst und ihren Inhalt nicht entleeren kann. Die Retention als 
solche ist also auch bei dieser Annahme das ausschlaggebende 
pathogenetische Moment. 

Die letztere Eventualität ist aber nur bedingungsweise gesetzt. 
De facto liegt meines Erachtens kein zwingender Grund vor, nach 
einem besonderen unbekannten Moment zu suchen, solange die in 
ihren Wirkungen bekannten genügen, um die Erscheinungen zu er¬ 
klären. 

Riedel — er muss es sich als vielfach anregender Verfechter 
neuer Hypothesen schon gefallen lassen, dass die weitere Forschung 
sich an seinen Namen hängt — hat an derselben Stelle die Be- 


Gck gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallenstein krank heit im Lichte der Anfalloperation. 


385 


deutung der „Perialienitis“ für die vielumstrittenen Vorgänge an 
einer Reihe anderer röhrenförmig angelegter Organe zu verwerten 
gesucht (Speicheldrüsen, Nierensteine), insonderheit für die Ent¬ 
stehung des Appendicitisanfalls. 

Wenn er sagt, dass in vielen Fällen „die Attacke dadurch zu¬ 
stande kommt, dass der (erkrankte und deshalb empfindliche?) 
Wurmfortsatz durch zufällig eindringende Kotbröckel gereizt wird“, 
so gebe ich ihm die Tatsache dieser Reizung, von der ich mich 
vielfach überzeugt habe, und auch die Möglichkeit zu, dass sie 
eine mittelbare ätiologische Bedeutung auch für die Attacke hat. 
Ich fasse diese Bedeutung aber nicht in dem Sinne auf, dass die 
eindringenden Kotbröckel eine „Perialienitis serosa“ hervorrufen 
und dass, wie Riedel will, auf dieser die Attacke beruht. Das 
ist erweislich unrichtig; denn wir treffen oft genug Kotbröckel in 
kranken oder im übrigen gesunden Wurmfortsätzen an, ohne dass 
etwas anderes auf ihr Vorhandensein im Wurmfortsatz erfolgt, als 
eine massige Hyperämie der Schleimhaut. Oft fehlt auch diese. 
Und wenn auch zugegeben werden soll, dass die Hyperämie ge¬ 
legentlich eine mässige seröse Ausschwitzung in das Lumen des 
Wurmfortsatzes (ebenso wie in seine Wandung) zur Folge hat — 
was soll denn Besonderes erfolgen, solange der Ausgang frei ist 
und das sich bildende Sekret sich unbehindert ins Coecum ent¬ 
leeren kann?! 

Darin liegt der springende Punkt. Ist dieser Abfluss behindert, 
tritt, mit anderen Worten, eine Retention ein, so verändert sich 
das Bild und führt zu den deletären anatomischen Vorgängen, die 
uns in ihrer weiteren Entwicklung so wohlbekannt sind. 

Dass es — am Wurmfortsatz — so ist, wenigstens in vielen 
Fällen so ist, lässt sich heute mit ziemlicher Sicherheit, min¬ 
destens mit einer der Gewissheit nahekommenden Wahrscheinlich¬ 
keit erweisen. An der Hand von Präparaten, deren Abbildung ich 
gebe, und auf Grund der inzwischen erfolgten experimentellen 
Forschung. 

Auf Taf. XVI, Fig. 1 (Sch., operiert Juni 1913) ist ein Wurm¬ 
fortsatz abgebildet, an dessen Endteil man sehr deutlich die Rei¬ 
zung erkennt, welche von den eingelagerten Kotpartikeln auf die 
Schleimhaut ausgeübt wird. Es bestand trotzdem kein eigent¬ 
lich akuter Anfall, aber der Kranke befand sich auch nicht 
vollkommen wohl, hatte vielmehr in den letzten 6 Wochen dauernd, 
auch während der Nacht, Beschwerden in der Blinddarmgegend. 
Er stand offenbar unter dem Einfluss einer unvollkommenen Re¬ 
tention, wie ich sie oft unter ähnlichen anatomischen Bedingungen 
beobachtet habe, so oft, dass ich nicht selten aus den unbestimmten, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



386 


Sprengel, 


Digitized by 


nie zur Ruhe kommenden Empfindungen in der rechten Darmbein¬ 
grube, die nicht selten mit Störungen des Allgemeinbefindens, des 
Appetits u. s. w. einhergehen — ohne dass ein eigentlicher Anfall 
zustande zu kommen braucht —, diese „Unauslässigkeit“ des 
Wurmfortsatzes (wie v. Hansemann ähnliche Zustände bezeichnet 
hat) diagnostiziert und durch die Operation bestätigt habe. 

Vergleicht man mit dieser Abbildung den Typus vollkommener 
Retention des späteren Stadiums im Endteil eines Wurmfortsatzes 
(Taf. XVI, Fig. 2), den ich meiner Monographie über Appendicitis 
(Taf. IV, Fig. 3b) entnehme, so gehört nicht viel Phantasie dazu, 
um sich die pathogenetische Entwicklung zu erklären. Man kann 
sie aus den beiden Figuren geradezu ablesen. Es kann gar nicht 
anders sein, als dass es in irgend einem Augenblick zu einem Ver¬ 
schluss gekommen ist, um aus dem Zustand A — unvollkommener 
Verschluss — in den Zustand B — vollkommener Verschluss — 
überzuführen. Wann dieser Verschluss eintritt und warum gerade 
in einem ganz bestimmten Augenblick, das wird man nicht in 
jedem Falle klarstellen können. Aber einiges können wir doch 
auch hierüber sagen. 

Einmal ist es sehr wohl möglich, dass die langsam verlaufenden 
Veränderungen, welche sich nach den Untersuchungen von Aschoff 
in den Einbuchtungen des Wurmfortsatzes abspielen und zu kleinen 
intramuralen, nur histologisch erkennbaren Veränderungen der Wan¬ 
dung führen, allmählich, wie jedes sich zurückbildende Infiltrat, zu 
umschriebenen Verengerungen des Wurmfortsatzes führen könnten, 
wie wir sie oft genug, ohne dass ernsthafte Anfälle vorangegangen 
zu sein brauchen, antreffen. Des Weiteren kennt jeder mit Appen- 
dicitisoperationen beschäftigte Chirurg die Fälle, in denen sich der 
Wurmfortsatz von aussen her durch einen zarten Narbenstrang an 
umschriebener Stelle fixiert, oder verzogen, oder abgeknickt vor¬ 
findet (cf. Sprengel, Appendicitis und Sprengel, Operationslehre 
von Bier, Braun, Kümmell). Entsteht in diesen Fällen durch 
Koteintritt eine Schleimhautreizung, so ist nicht bloss die „Unaus- 
lässigkeit“, sondern nicht selten auch die absolute Retention ge¬ 
geben. Operiert man solche Fälle, so sieht man, dass der proxi¬ 
male Teil des Wurmfortsatzes vollkommen gesund ist, in dem 
winkelig abgeknickten Teile aber eine Wurmfortsatzentzündung sich 
etabliert hat, die genau bis zur Abknickungsstelle reicht und hier 
in scharfer 'Linie abbricht. Endlich kann auch der Kotstein selbst 
durch sein weiteres Wachstum oder dadurch, dass er durch die 
Peristaltik des Organs aus einem weiteren in einen engeren Teil 
des Organs gedrängt wird, plötzlich zu einem vollkommenen Ab¬ 
schluss des Wurmfortsatzes mit seinen bekannten deletären Folgen 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankbeit im Lichte der Anfalloperation. 


387 


führen. Auch dieses Vorkommnis hat wohl jeder beobachtet; ich 
kannte es längst, habe mich aber im Laufe der Zeit überzeugt, 
dass es viel häufiger ist, als ich selbst früher annahm. Ein cha¬ 
rakteristisches Beispiel habe ich auf Taf. XVI, Fig. 3 (Ka.) ab¬ 
bilden lassen. 

Es illustriert an sich mit voller Deutlichkeit die durch den 
Kotstein bedingte Retention, hinter welcher sich alle charakteristi¬ 
schen Veränderungen der destruierenden Appendicitis entwickelt 
hatten, während der Eingang des Wurmfortsatzes vollkommen nor¬ 
mal war. Am frischen Präparat konnte man sich von der Tat¬ 
sache, dass wirklich der Stein selbst und nicht etwa die proximal¬ 
wärts von ihm liegende Schleimhaut das blockierende mechanische 
Moment darstellte, durch ein einfaches Experiment überzeugen. 
Uebte man zunächst auf den Endteil des prall gefüllten Sackes 
einen Druck aus, so konnte man, auch bei beliebiger Steigerung 
des Drucks, die im Wurmfortsatz befindlichen Detritusmassen nicht 
ausdrücken; kein Tropfen floss neben dem Stein vorbei. Lüftete 
man ihn aber durch Einführen einer Sonde in das Wurmfortsatz¬ 
lumen, so liess sich der Wurmfortsatz mit Leichtigkeit leer 
drücken. Man kann diese Tatsache in geeigneten Fällen, die 
nicht so ganz selten sind und das Vorkommen des blockierenden 
Ventilsteins in allen Teilen des Wurmfortsatzes beweisen, ad oculos 
demonstrieren. 

Dass bei den pathogenetischen Vorgängen im Wurmfortsatz 
sehr gewöhnlich und vielleicht der Regel nach nicht der Kotstein 
selbst, sondern die das Lumen okkludierende akute Verschwellung 
das ausschlaggebende Moment ist, brauche ich nicht zu betonen. 
Ich habe meine Ansicht über diese Frage in meiner Monographie 
ausführlich erörtert und sie seither nicht wesentlich geändert, 
ausser dass ich nach weiterer Erfahrung heute geneigt bin, dem 
mechanischen Einfluss des Kotsteins selbst einen — numerisch be¬ 
trachtet — etwas weitergehenden Einfluss zuzuschreiben, als ich 
früher tat. 

Im übrigen ist das von untergeordneter Bedeutung; worauf es 
mir ankoramt, ist lediglich die Feststellung der Tatsache, dass 
auch für die pathogenetischen Vorgänge am Wurmfortsatz der 
Mechanismus der Okklusion und Retention die allergrösste Bedeu¬ 
tung hat. Will man ihn, wie Riedel und viele andere tun, für die 
vielfach analogen Vorgänge in der Gallenblase gegenüber dem in¬ 
fektiösen Moment (Perialienitis, oder wie es man sonst nennen 
will) zurücktreten oder verschwinden lassen, so darf man diese 
Anschauung wenigstens nicht auf die anatomischen Beobachtungen 
am Wurmfortsatz begründen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



388 


Sprengel, 


Digitized by 


Mindestens steht obige Annahme nach denjenigen anatomischen 
Bildern der akuten Appendicitis als einwandsfrei fest, welche nicht 
in den allerersten Stunden des Anfalls, sondern etwa am zweiten 
Tage im Stadium voller und fertiger Entwicklung gewonnen wurden. 
In den ersten Stunden mag es sich ja gelegentlich auch um eine 
mehr diffuse Schleimhautentzündung handeln. Gewöhnt man sich, 
im Einzelfall auf die mechanischen Vorgänge zu achten, so wird 
man auch bei ihnen recht häufig die Tatsache der Okklusion und 
Retention mit aller Deutlichkeit ablesen können; z. B. sind die be¬ 
kannten Fälle, in denen der Wurmfortsatz wie erigiert vorspringt, 
kaum durch eine andere Möglichkeit zu erklären; aber auch bei 
Abknickungen des Organs an umschriebener Stelle, bei strich¬ 
förmiger Stenosierung des Lumens kann man die scharfe Grenze, 
in welcher sich die gesunde Schleimhaut von der kranken an der 
Stelle der mechanischen Okklusion absetzt, oft genug mit eklatanter 
Deutlichkeit ablesen. 

Ausnahmsweise hat man Gelegenheit, den relativen Wert 
beider Momente, des mechanischen und des entzündlichen, an dem¬ 
selben Präparat gegeneinander abzuwägen. Taf. XVI, Fig. 4a u. b (Si.) 
stellt das Präparat eines im akuten Anfall entfernten Wurmfort¬ 
satzes dar, der im Beginn der Spitzendestruktion stand. Offenbar 
war dieselbe bedingt durch eine Retention, welche hinter einer 
nahe der Spitze gelegenen Stenose (ein nicht seltenes und gut ver¬ 
ständliches Moment) einsetzte. Daneben erkennt man in der Mitte 
des Organs zwei mittelgrosse Kotkonkremente, welche in einer 
flachen, frei nach dem Ausgang geöffneten Höhle liegen. Obwohl 
also, wie man ablesen kann, in der Mitte massenhafte infektiöse 
Stoffe, gegen das Ende deren wenige vorhanden waren, setzte die 
Entzündung jenseits der Kotkonkremente, aber vor der Spitze ein. 
Warum? Weil hier plötzlich ein vollkommener Abschluss zustande 
gekommen war. Es folgt, dass die Okklusion das eigentlich ent¬ 
scheidende Moment ist; kommt sie vor einem auch nur mässig viru¬ 
lenten Infektionsherd zustande, so sind die deletären Folgen unaus¬ 
bleiblich; die offene Infektion ist für das Organ von geringem Belang. 

Was ich im vorstehenden über die Bedeutung der Okklusion 
— im Gegensatz zu Riedel und anderen Vertretern der vorwie¬ 
genden oder reinen Infektionstheorie — zusammengefasst und in 
seinem Wert auch für die frische Entzündung schärfer hervorgehoben 
habe, ist nach Untersuchungen am frischen Präparat schon früher 
von Talamon, dann von Dieulafov in seiner vielgenannten Lehre 
von der Cavitö close behauptet und von mir in meinem Buch aus¬ 
führlich erörtert, anatomisch erhärtet und in gewissen Einzelheiten 
spezialisiert worden. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die (iallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


389 


Der experimentelle Beweis für die Zuverlässigkeit dieser An¬ 
nahmen stand noch aus. Er ist neuerdings (1910) in verdienst¬ 
voller Weise durch Heile erbracht worden. Heile hat in dem 
Blinddarmanhang des Hundes ein Organ gefunden, das dem Wurm¬ 
fortsatz des Menschen ähnlich genug ist, um zur experimentellen 
Erzeugung der Wurmfortsatzentzündung mit Aussicht auf Erfolg 
benutzt werden zu können. 

Die Resultate, zu denen Heile gelangt ist, und die er unter 
ausdrücklichem Hinweis auf die von mir auf klinisch-anatomischem 
Wege gewonnene Deutung der pathogenetischen Vorgänge bei der 
Appendicitis zusammenstellt, halte ich für so wichtig, dass ich sie 
in ihren wesentlichen Sätzen hier folgen lassen möchte. 

1. Einfache Abschnürung des Blinddarmanhanges des Hundes 
führt gewöhnlich zur Wiederherstellung des unterbrochenen Blind¬ 
darmrohres nach eitriger Durchschneidung der Wand und Ab- 
stossung des abschnürenden Seidenfadens. 

2. Setzt man peripher von dem unterbindenden Seidenfaden 
einen Paraffinpfropf in das Blinddarmlumen, so bleibt das peripher 
abgeschnürte ßlinddarmende dauernd abgeschlossen; es kommt nicht 
zur Wiederherstellung des Schleimhautkanals. 

3. Diese dauernde Abschnürung von Blinddarmteilen ist für 
das Tier ohne allgemeinen Schaden, sie führt nie zu Peritonitis 
oder Tod, sondern nur zu umschriebenen entzündlichen Vorgängen 
an der Abbindungs- bzw. Einspritzungsstelle, die nach Wochen nur 
noch als V erwachsungen des Netzes oder anliegender Darmschlingen 
mit dem betreffenden Teile des Blinddarmanhanges nachzuweisen 
sind. Der abgeschnürte Blinddarmanhang ist dann mehr oder 
weniger erweitert und mit einem oft mehr, oft weniger leukozyten¬ 
reichen Inhalt gefüllt (Hydrops oder Empyem), meistens mit zahl¬ 
reichen Bakterien, die aber zu keiner fortschreitenden Entzündung 
führen. Die Wandung ist wenig verändert. 

4. Wird ein Blinddarmteil, in dem normale Kotreste enthalten 
sind, mit Seidenfaden und Paraffinpfropf abgeschlossen, so kommt 
es, von dem normalen Kotinhalt ausgehend, zu einer bakteriell¬ 
chemischen Infektion der Wandteile, die unter ganz ähnlichen 
Bildern wie bei der Entzündung des pienschlichen Blinddarm¬ 
anhangs zu destruierenden Zerstörungen der Wand mit peritoniti- 
schen Folgeerscheinungen führt. 

Diese letztere Form ist ausgezeichnet durch breite Nekroti¬ 
sierung zuerst der Mucosa, dann fortschreitend der übrigen Wand¬ 
teile bis zum Durchbruch in die Bauchhöhle. 

Zweierlei betont Heile bei wiederholter Gelegenheit; einmal, 
dass destruierende Wurmfortsatzentzündung im Experiment nur 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



390 


Sprengel, 


Digitized by 


dann zu erzielen ist, wenn ausser Bakterien auch Kotreste zurück¬ 
gehalten werden und Eiweissfäulnis entsteht; ferner und vor allem, 
dass „der Abschluss für alle Entzündungen der Appendix 
die erste Vorbedingung ist“. 

Also auch nach diesen, wie mir scheint, einwandfreien Experi¬ 
menten ist die Bedeutung der Okklusion und Retention für den 
Wurmfortsatz festgcstellt, ein Anlass mehr, nur diese oder wenig¬ 
stens ganz vorwiegend diese Momente heranzuziehen, wenn man 
nach Analogieschlüssen von den Erkrankungen des Wurmfortsatzes 
aus die analogen Vorgänge an der Gallenblase beurteilen oder er¬ 
klären will. 

Im Anschluss an die Heile’schen Experimente möchte ich die 
neuerdings von Harttung auf Anregung von Tietze ausgeführten 
Untersuchungen erwähnen, die ältere, schon bei Schede erwähnte 
Untersuchungen bestätigend, sich mit dem Einfluss der „Harn¬ 
stauung auf die pyogene Niereninfektion“ beschäftigen. 

Harttung hat an Kaninchennieren experimentiert und seine 
Untersuchungen auf die dreifache Infektionsraöglichkeit des ascen- 
dierenden, hämatogenen und lvmphogenen Modus ausgedehnt. 

In einer ersten Versuchsreihe wurde ein Ureter unterbunden, 
nach einiger Zeit eine bestimmte Bakterienart intravenös injiziert 
und wiederum nach einiger Zeit das Tier getötet. Es gelang be¬ 
sonders mit Staphylokokken in der gestauten Niere schwerste Ver¬ 
änderungen im Sinne einer eitrigen Pyelonephritis auf hämatogenem 
Wege zu erzielen. Die andere Niere erwies sich fast immer als 
normal. 

In der zweiten Versuchsreihe wurde den Tieren wiederum ein 
Ureter unterbunden und in derselben Sitzung in das centrale Ende 
eine gewisse Menge einer Bakterienaufschwemmung injiziert. Es 
gelang mit allen Bakterienarten, schwere eitrige Pyelonephritiden 
zu erzeugen. Das Nierenbecken war bei diesen ascendierenden Formen 
der Infektion viel mehr beteiligt wie bei den descendierenden. 

In einer dritten Versuchsreihe beschränkte man sich auf die 
blosse Unterbindung eines Ureters, um eine sogenannte aseptische 
Hydronephrose zu erzeugen. Es liess sich makroskopisch ein er¬ 
weitertes Nierenbecken, .mikroskopisch Auflockerung des Epithels 
nachweisen. Verfasser betrachtet letztere Veränderung als einen die 
Disposition zur Infektion begünstigenden Umstand, bzw. als eine 
Erklärung dafür, warum die Stauung eine so hervorragende Rolle 
bei der Infektion einer Niere spielt. 

Von besonderer Bedeutung scheint mir für unsere, auf die 
Gallenblase gerichtete Besprechung die zweite Versuchsreihe zu 
sein. Denn wenn auch die anatomischen Verhältnisse von Gallen- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


391 


blase und Nierenbecken insofern erheblich differieren, als auf der 
ersteren nicht so unmittelbar der Sekretionsdruck des zugehörigen 
parenchymatösen Organs ruht, ganz unabhängig ist sie doch sicher¬ 
lich nicht von ihm, und in dem wesentlichen Punkte ist sie dem 
Nierenbecken ähnlich, dass es sich bei beiden um einen elastischen, 
von glatter Muskulatur umgebenen Sack handelt, der durch einen 
relativ engen Kanal seinen Inhalt entleert, und dass diese Ent¬ 
leerung bei beiden durch in dem Sack befindliche Konkremente 
eine Störung erfahren kann. 

Auch hier stimmen Experiment und klinische Erfahrung gut 
überein, wie ich nicht auszuführen brauche. Beide beweisen, dass 
Okklusion und Retention, je nachdem sie vollkommen oder unvoll¬ 
kommen, vorübergehend oder dauernd sind, mit oder ohne Infek¬ 
tion verlaufen, das anatomische und klinische Bild beherrschen, 
und dass demnach auf der Berücksichtigung dieses mechanischen 
Moments jeder Erfolg versprechende Erklärungsversuch beruhen 
muss. Der Schluss ist berechtigt, dass bei allen kanalförmig an¬ 
gelegten Organen des Körpers die analogen Vorgänge sich nach 
demselben Gesetz vollziehen. — 

Es ist nun beinahe selbstverständlich, dass das überaus cha¬ 
rakteristische Bild des im Gallenblasenhals steckenden, die Gallen¬ 
blase stöpselartig verschliessenden Gallensteins der Aufmerksam¬ 
keit der Chirurgen nicht entgehen konnte, namentlich sobald sie 
vor der Operation im akuten Stadium nicht mehr zurückschreckten. 

Der Hinweis auf diese eigenartige Erscheinung findet sich 
oft genug. 

Auch Riedel, der als einer der ersten die Scheu vor der 
Anfallsoperation überwand, hält den Stein im Gallenblasenhals 
nicht für gleichgültig (L c. S. 262); aber er betrachtet den durch 
ihn bewirkten (unvollkommenen) Abschluss gewissermassen nur als 
ein vorbereitendes Moment, durch dessen allmählich und langsam 
wirkenden Einfluss der Inhalt der Gallenblase wässriger (hydro- 
pisch), die Wand derselben verändert und damit der akut entzünd¬ 
liche Anfall, die „Perialienitis acuta“ vorbereitet wird. Warum 
aber dieser Boden für das Einsetzen der Perialienitis „besser prä¬ 
pariert“ ist, als die gewöhnliche Gallenblasenwand und der gewöhn¬ 
liche Gallenblaseninhalt, warum andererseits die bekannten typi¬ 
schen Fälle von Hydrops der Gallenblase einen so stabilen, un¬ 
schuldigen Charakter haben und offenbar zur Entwicklung neuer 
entzündlicher Prozesse in keiner Weise prädisponieren — das er¬ 
klärt Riedel nicht. Lediglich die von ihm supponierte Perialienitis 
mit ihren unerklärt verschiedenen Graden ist das treibende Moment 
im Bilde der Gallensteinerkrankung. Ich vermag nicht zu erkennen, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



392 


Sprengel, 


Digitized by 


wie man auf diesem Wege im günstigsten Falle mehr erreichen 
will, als allenfalls eine Beschreibung des anatomischen Bildes, zu 
einer Erklärung ihres wechselvollen Ausdrucks reicht es unmög¬ 
lich aus. 

Ungleich höher wird das Ereignis des Cysticusverschlusses von 
Körte (1905) bewertet. Die Betrachtungen, die er darüber in dem 
Kapitel von der „Cholecystitis acuta infectiosa“ seiner Monographie 
anstellt, sind meines Erachtens in den modernen Arbeiten über die 
Gallensteinkrankheit kaum genügend gewürdigt und mögen deshalb 
hier eine Stelle finden. Körte schreibt: „Von besonderer Wichtig¬ 
keit für das Zustandekommen der akuten Gallenblasenentzündung 
ist der Cysticusverschluss — in der Regel durch Steine bewirkt, 
welche in den Anfangsteil des Cysticus eingekeilt sind. Oft findet 
man dort einen Solitärstein, der wie ein Zapfen im Spundloch den 
Abfluss des Gallenblaseninhalts verhindert. Der unterste Teil der 
Gallenblase zeigt schon normalerweise da, wo er in den Cysticus 
übergeht, eine posthornartige Krümmung. Gerade dort im Halse 
der Gallenblase liegen häufig Gallensteine, durch diese und durch 
periodische Steigerung des Innendrucks wird die Krümmung noch 
vermehrt, es entsteht dann eine Aussackung, ein Divertikel. Wenn 
dieses durch Steine oder durch flüssigen Blaseninhalt (Galle, Schleim, 
Eiter) unter hohem Druck ausgedehnt wird, so komprimiert es 
ventilartig den Abfluss aus der Blase. Durch die Behinderung des 
Abflusses wird der Innendruck in der Gallenblase immer mehr ge¬ 
steigert. Wenn auch keine Galle mehr hineingelangt, so wird doch 
von der entzündeten Schleimhaut fortgesetzt Schleim bzw. Eiter 
abgesondert und die Spannung der Blasenwand wächst beständig.“ 
„Ferner können sich in dem gestauten Inhalt die Keime, von.denen 
die Entzündung ausging, schrankenlos vermehren und nach Analogie 
mit dem gestauten Darminhalt eine gesteigerte Virulenz erlangen. 
Die Galle besitzt zwar, wie wir jetzt wissen, keine nennenswerten 
baktericiden Eigenschaften, es kommen in ihr pathogene Keime, 
besonders die Darmbazillen, aber auch Eiterkokken ganz gut fort. 
Solange aber der Gallenabfluss offen ist, besteht die Möglichkeit, 
dass die Keime mit der Galle fortgeschwemmt werden und dadurch 
die Vermehrung der Keime gehindert wird. Die Behinderung des 
Abflusses ist also die eine Hauptbedingung für das Zustandekommen 
der akuten Cholecystitis — das Hineingelangen pathogener Infek¬ 
tionskeime in die Gallenblase die zweite. In der Mehrzahl der Fälle 
sind Steine vorhanden und bilden das Hindernis, in einer Minder¬ 
zahl von Fällen fehlen sie. Bei letzteren muss man annehmen, 
dass Schleimhautschwellungen oder Knickungen den Verschluss des 
Ausführungsganges bewirken.“ 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensleinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


393 


Die Veränderungen der Gallenblasenwand, die flüssige und 
fibrinöse Ausschwitzung ins Peritoneum beruhen — wie schon 
Körte von derselben Ideenverbindung aus mit Recht hervorhebt — 
auf Durchlässigwerden der Gallenblasenwand. Für die Verände¬ 
rungen auf der Schleimhaut nimmt Körte zum Teil, namentlich im 
Gallenblasenhals, Druckusur seitens der Steine an, welche „eine 
der Ursachen für die Entstehung von Schleimhautgeschwüren, je¬ 
doch nicht die ausschliessliche ist“. Nekrotischer Zerfall der 
Schleimhaut und geschwüriger Zerfall, punktförmige hämorrhagische 
Infiltrate kommen ursächlich daneben in Betracht. 

Auch den Hydrops der Gallenblase betrachtet Körte als eine 
durch Cysticusverschluss bedingte, an sich ziemlich harmlose Re¬ 
tentionsgeschwulst, die aber durch hinzutretende enterogene oder 
hämatogene Infektion in den gefährlichen Zustand akuter Entzün¬ 
dung übergehen kann. 

Das Empyem hält Körte für einen von der akuten infektiösen 
Cholecystitis nicht prinzipiell verschiedenen Zustand. Ich kann 
ihm in diesem Punkt, wie weiter unten auszuführen sein wird, 
nicht beistimmen. 

Auch darin kann ich Körte nicht folgen, dass er — ebenso 
wie Naunyn — zwischen regulärem und irregulärem Kolik¬ 
anfall unterscheiden will, in dem prinzipiell bedeutungsvollen 
Sinne, dass im ersteren wesentlich der Reiz des Fremdkörpers die 
Gallenblase zu schmerzhaft empfundenen, eventuell mit Steinabgang 
verbundenen Kontraktionen anregt, „ohne dass eine infektiöse Ent¬ 
zündung dabei ist“, während die irreguläre Kolik durch Hinzu¬ 
treten einer Infektion bedingt ist. Der Verlauf der letzteren 
ist dementsprechend schwer, .die Gallenblase bleibt auch nach dem 
Abklingen der Koliken schmerzhaft. Sie „tritt auf in der Form 
der akuten oder chronischen Eiterung“, kann im akuten Anfall zu 
den allerschwersten, phlegmonösen Entzündungen der Gallenblasen¬ 
wand führen oder aber nach Abklingen der Anfälle und vorüber¬ 
gehendem Latentwerden in das chronische Stadium der Chole¬ 
cystitis chronica ulcerosa übergehen, welche einem dauernden 
Reizzustand mit Schrumpfprozessen der Gallenblase entspricht. 

Das Wichtigste und für den Verlauf Ausschlaggebende bleibt 
also auch für Körte die fehlende oder vorhandene, graduell sich 
steigernde Entzündung. Das mechanische Moment der Okklusion 
und Retention lässt er für die eben erwähnten Ausnahmefällc gelten, 
eine durchgreifende prinzipielle Bedeutung will er ihm augenschein¬ 
lich nicht beimessen. 

In einem anderen Sinne als Körte, mehr dem Standpunkt 
Ricdel’s sich nähernd, erwähnt Walzberg (1905) die Okklusion 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



394 


Sprengel, 


Digitized by 


des Gallenblasenausgangs durch Stein oder Verschwellung; aber er 
zieht sie nur zur Erklärung für die im Anfall eintretende Ueber- 
dehnung der Gallenblase heran und betrachtet auch seinerseits als 
das Primäre die spontan einsetzende Entzündung mit der akuten 
Hypersekretion der Schleimhaut, den akuten Hydrops Riedel’s. 
Auch er verwechselt, wie ich glaube, ebenso wie Riedel, Ursache 
und Wirkung, und es ist von seinem Standpunkt (der Entzündungs¬ 
theorie) aus folgerichtig, wenn auch meines Erachtens unzutreffend, 
dass er auch die schwereren Veränderungen der Gallenblasenwand 
einschliesslich der Perforation als die allmähliche Folge immer 
neuer entzündlicher Anfälle und dadurch bedingter ulzerativer Vor¬ 
gänge auf der Schleimhaut betrachtet. 

Aus neuester Zeit möchte ich an dieser Stelle noch die Arbeit 
von Makai erwähnen, weil Makai die Verschwellung am Blasen¬ 
hals, also die Okklusion und dadurch bedingte Retention mit der 
nachfolgenden Vermehrung der Virulenz des Gallenblaseninhalts und 
allmählichen Erhöhung des Innendrucks als wesentliches Moment 
für die Veränderungen der Gallenblasen wand, insbesondere ihrer 
zunehmenden Durchlässigkeit nach dem Peritoneum hin anspricht. 
Ich möchte ihm, und komme später darauf zurück, durchaus zu¬ 
stimmen. ln ähnlichem Sinne ist der mehrfach erwähnte Fall von 
Solieri (1911) zu verwerten, in welchem sich nach Typhuserkran¬ 
kung bei einem 20jährigen Mädchen Ulzerationen der Gallenblasen- 
schleirahaut mit Blutungen in die Gallenblase und typische Koliken 
einstellten, welche Solieri gewiss mit Recht „durch die Dehnung 
der entzündeten Gallenblasenwand und deren Kontraktionen zur 
Austreibung des dicken kruorösen Inhalts“, einfacher gesagt, als 
Okklusion und Retention erklären will. 

In den Arbeiten Aschoff’s, dessen pathogenetische Betrach¬ 
tungen ebenso, wie in der Appendicitisfrage, so bei der Cholecystitis 
weitgehende Bedeutung gewonnen und mehrere Autoren, so Grube 
und Graff, und in wesentlichen Punkten auch Kehr, zu unein¬ 
geschränkter Anerkennung veranlasst haben, spielt der Begriff der 
Okklusion in dem Sinne eines wirklichen Abschlusses der Gallen¬ 
blase von den Gallenwegen nicht die Rolle, welche man nach der 
Einleitung zu seiner bekannten Arbeit aus dem Jahre 1909 er¬ 
warten sollte. 

Aschoff setzt in dieser Einleitung die Tendenz seines Werkes 
mit folgenden Worten auseinander: „Der Cholesterinstein ist die 
Folge der einfachen Gallenstauung und bildet die Grundlage des 
an und für sich harmlosen, der Prophylaxe und inneren Therapie 
zugänglichen, nicht entzündlichen oder einfachen Gallensteinleidens, 
wenn überhaupt hier schon von einem Leiden die Rede sein kann. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


395 


Dadurch aber, dass der Cholesterinstein nicht selten zum Ver¬ 
schluss- oder Ventilstein wird und damit die bakterielle Infektion 
der plötzlich geschlossenen Gallenblase erleichtert, wird er Ursache 
der Gallenblasenentzündung und der multiplen Pigmentkalkstein¬ 
bildung, leitet also zum entzündlichen Gallensteinlciden über, 
welches für den Träger so verhängnisvoll, oft nur noch der chirur¬ 
gischen Therapie zugewiesen werden kann.“ 

Soweit ich mich auf meine eigenen, zum guten Teil durch 
unser pathologisches Institut kontrollierten Beobachtungen verlassen 
kann, möchte ich glauben, dass Aschoff die Bedeutung des 
radiären Cholesterinsteins, schon numerisch betrachtet, überschätzt. 
Nach unseren Erfahrungen ist sein Vorkommen bei den operativen 
Fällen, die doch für die Beurteilung der Pathogenese einen ganz 
besonderen Wert haben, eine Seltenheit. Aber selbst, wenn cs all¬ 
gemein zutreffen sollte, dass, wie Aschoff meint, „über die Hälfte 
der von ihm untersuchten Gallenblasen mit entzündlicher Stein¬ 
bildung offen oder versteckt einen radiären Cholesterinstein be¬ 
herbergten“, so blieben doch immerhin recht viele, vielleicht die 
meisten Fälle übrig, in denen sich die „entzündlichen“ Steine 
allein in der Gallenblase finden; es blieben ferner die Fälle als 
schwer erklärlich übrig, in denen der solitäre Cholesterinstein als 
belangloser Fremdkörper am Lebenden und an der Leiche gefunden 
wird und offenbar sehr lange in der Gallenblase gelegen hat, ohne 
dass er zu „entzündlicher Steinbildung“ Veranlassung gegeben hätte; 
es wäre endlich nicht ohne weiteres klar, wie bei völligem Ver¬ 
schluss der keimfreien Gallenblase durch einen nicht entzündlichen 
Stein die Infektion der Gallenblase mindestens auf enterogenem 
Wege erfolgen sollte. 

Es braucht also, allgemein gesprochen, nicht notwendig oder 
doch nur ausnahmsweise so zu sein, wie Aschoff annimmt. 

Will aber Aschoff der Okklusion'und Retention schon unter 
relativ harmlosen Bedingungen eine so weitgehende Bedeutung bei¬ 
messen — was dem Prinzip nach meiner eigenen Auffassung ent¬ 
gegen käme —, dann ist es schwer verständlich, warum er dem 
gleichen mechanischen Moment in den späteren Stadien der Krank¬ 
heit einen verhältnismässig viel bescheideneren Platz einräumt. 

Mindestens hat er sich über die Art, wie weit und in welcher 
Form die Wirkung des Steinverschlusses bei den weiteren patho¬ 
genetischen Vorgängen zustande kommt, nicht deutlich ausgesprochen. 
Nur für den von ihm sogenannten „primären entzündlichen Hydrops“, 
auf den ich weiter unten zu sprechen komme, präzisiert er seine 
Ansicht dahin, dass er sich im Anschluss an den „primären ent¬ 
zündlichen Anfall“, nach Sperrung durch einen Cholesterinstein 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. 27 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



396 


Sprengel, 


Digitized by 


entwickelt; für das unter recidivierenden Attacken verlaufende 
„chronisch entzündliche Gallensteinleiden“ (Aschoff), zu welchem 
„in der Mehrzahl der Fälle der primär entzündliche Anfall über¬ 
leiten“ soll, lässt er den Mechanismus der Okklusion und Retention 
im einzelnen ungeklärt. 

Aschoff stellt sich vor, dass in allen Fällen, wo „die durch 
den radiären Cholesterinstein begünstigte bakterielle Entzündung 
der Gallenblase nach einer oder nach wiederholten Attacken ent¬ 
weder zur Vergrösserung des radiären Cholesterinsteins durch An¬ 
lagerung kalkhaltiger Mäntel oder zur Bildung multipler kalkhaltiger 
Cholesterinpigmentsteine führt“, oder wo die Bildung der multiplen 
Pigmentkalksteine als Folge einer posttyphösen oder ähnlichen 
Gallenblasenentzündung anzuschen ist, — eine Raumbeengung 
der Gallenblasenlichtung eintritt. Diese Raumbeengung ist 
nach Aschoff das wesentliche ätiologische Moment für das Auf¬ 
treten der „recidivierenden Cholecystitis“, weil sich in der mehr 
stagnierenden Galle die Erreger für längere Zeit halten, um unter 
dem Einfluss von Traumen, Diätfehlern und anderweitigen Erkran¬ 
kungen des Organismus zu frischer Virulenz zu gelangen. 

Neben diesem Vorgang wird die Möglichkeit, dass auch 
„durch Einklemmung der Steine eine neue ascendierende und 
descendierende Infektion herbeigeführt wird“, ausdrücklich zuge¬ 
geben. 

Demnach ist meine Auffassung, die ich im Nachstehenden ent¬ 
wickeln werde und die darauf ausgeht, das mechanische Moment 
der Okklusion durch Stein oder Verschwellung als das primum 
agens zu erweisen, von der Aschoff’s, wenn ich ihn recht ver¬ 
standen habe, vielleicht nicht prinzipiell verschieden. Insofern be¬ 
steht allerdings ein immerhin wesentlicher Unterschied zwischen 
Aschoff’s Auffassung und der meinigen, als ich nach meinen Be¬ 
obachtungen die Entzündüng bei offenem Ausführungsgang der 
Gallenblase nicht hoch anschlage, besser gesagt, ihr für die patho¬ 
genetischen Veränderungen des Organs bei weitem nicht den Wert 
beimesse, wie Aschoff es augenscheinlich tun will. Ich habe bei 
der oft wiederholten Lektüre seiner Arbeit und einem Vergleich 
mit seiner bekannten Schrift über die histologischen Vorgänge bei 
der Appendicitis immer wieder den Eindruck bekommen, als ob er 
sie zu ausschliesslich vom Standpunkt der Histologie betrachtet 
und das grob anatomische Bild, wie es sich dem Chirurgen un¬ 
mittelbar nach der Operation oder während der Operation bietet, 
nicht hinlänglich berücksichtigt. Das ist kein Vorwurf, sondern 
eigentlich selbstverständlich. Insofern ich bemüht gewesen bin, im 
wesentlichen das grob anatomische Bild, und zwar vorwiegend seine 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die (rallonsteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 


397 


mechanischen Züge auf mich wirken zu lassen, mögen meine Aus¬ 
führungen keine ganz wertlose Ergänzung der Aschoffschcn, mehr 
histologisch-deskriptiv gehaltenen Darstellung sein. Ich halte cs 
nicht für ausgeschlossen, dass wir uns auf mittlerer Linie be¬ 
gegnen können und damit vor allem dem Kliniker einen Dienst 
erweisen. 

Kehr hat in seiner eben erschienenen, für die „Neue Deutsche 
Chirurgie“ (1914) gearbeiteten „Chirurgie der Gallenwege“ den 
gegenwärtig von ihm vertretenen Standpunkt dargclegt. Er schliesst 
auch seinerseits das Moment der Stauung für die pathogenetischen 
Vorgänge in der Gallenblase — ähnlich wie Asehoff, aber doch, 
w T ie ich glaube, in einem etwas anderen Sinne — keineswegs aus. 

Wenn er z. B. (S. 291) bei der Schilderung der Vorgänge, wie 
sie sich beim Uebergang des „latenten“ in das „manifeste“ Gallen- 
steinleidcn (des nicht entzündlichen in das entzündliche nach 
Asehoff) abspielen sollen, sagt: „Da plötzlich kommt ein Anfall, 
der dadurch bedingt ist, dass eine Infektion im Gallenblaseninnern 
eingetreten ist, und dass der Stein in Verbindung mit der Schleim¬ 
hautschwellung den Abfluss des infektiösen Gallenblasensekrets 
hemmt“ — so muss man annehmen, dass er der Okklusion und 
Retention einen wesentlichen Einfluss auf die klinischen und ana¬ 
tomischen Vorgänge in der Gallenblase zuschreibt. 

Aehnlich S. 294: „Schmerzen kommen jedenfalls beim latenten 
Stadium nicht vor. Ja, ich möchte annehmen, dass das latente 
Stadium überhaupt keine Beschwerden macht, immer vorausgesetzt, 
dass der Ductus cysticus offen bleibt. 

Nun ist es sehr wohl denkbar, dass bei weiterem Wachstum 
des Cholesterinsteins im Halse der Gallenblase oder im Anfangs¬ 
teil des Ductus cysticus eine plötzliche Verlegung des Gallen¬ 
blasenausgangs zustande kommt. Diese plötzliche Verlegung 
bewirkt eine akute Dehnung der Gallenblase und eine Zerrung an 
den im Lig. hepato-duodenale verlaufenden Nerven: der Gallenstein¬ 
träger bekommt eine Kolik.“ 

Oder S. 295: „Es kann auch eine Verschwellung des Gallen¬ 
blasenausgangs einen Schmerz hervorrufen, den wir nicht von der 
Gallensteinkolik unterscheiden können“. 

Man wird aber zweifelhaft an seiner Auffassung, wenn man 
Sätze wie die folgenden liest (S. 283): „Der sogenannte Gallenstein¬ 
kolikanfall ist möglicherweise in allen Fällen infektiösen Ursprungs; 
aber es wird dabei auf die Zahl und Art der Bakterien ankommen, 
ob die Cholecystitis als ganz milde — seröse — Form oder als 
schwere — gangränöse — Form verlaufen wird; ob sie wie ein 
Strohfeuer aufflackert, das bald erlischt, oder ob sie wie eine 

27 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


398 Sprengel, 

Feuersbrunst die ganze Gallenblase in Brand steckt. Der Sitz 
und die Grösse der Steine spielen hierbei eine unter¬ 
geordnete Rolle“. 

Oder S. 284: „Ich glaube deshalb, dass die mechanische Ver¬ 
legung des Ductus cvsticus überhaupt keine Schmerzen macht oder 
wenigstens nur sehr geringe, während die entzündliche immer, 
manchmal mehr, manchmal weniger schmerzhaft empfunden wird“. 

Oder S. 284 bei Darstellung der Entwicklung des Hydrops der 
Gallenblase: „Der Vorgang ist gewöhnlich der: ein Cholesterinstein 
hatte im Verein mit Bakterien eine akute, serös-eitrige Cholecystitis 
hervorgerufen. Das entzündliche Exsudat hat den Stein in den Hals 
der Gallenblase hineingetrieben, so dass er nunmehr fest wie ein 
Pfropfen im Flaschenhals sitzt“. 

OderS. 294: „Also kann doch das nicht entzündliche Gallen¬ 
steinleiden Schmerzen machen? Das habe ich nie bestritten, ich 
habe immer nur behauptet, dass dazu eine Verlegung des Ductus 
cvsticus nötig sei, und dass diese Verlegung viel häufiger entzünd¬ 
licher als mechanischer Natur ist“. 

Nach solchen Sätzen muss man annehmen — ich kann nicht 
anders schliessen—, dass Kehr das mechanische Moment des Ver¬ 
schlusses hinter den Faktor der Entzündung zurücksetzt, mindestens 
den letzteren für das primum agens erklären will. 

Dafür spricht auch der Umstand, dass er mit der chronischen 
Entzündung, für welche er die Aschoff’sche Einteilung in die 
Cholecystitis phlegmonosa simplex, die Ch. ulcerosa, die Ch. com¬ 
plicata, die Ch. phlegmonosa gravis, die Ch. ulcerosa gravis und 
die Ch. cicatricans übernommen hat, als mit einem selbständigen 
Begriff in dem Sinne operiert, dass es auf den verschiedenen 
Grad der chronisch verlaufenden Entzündung ankommt, um die 
verschiedenen Bilder derselben hervorzurufen. Kehr setzt zwar 
auch — wie Asch off — den Ausdruck „recurrens“ den verschie¬ 
denen Formen voran. Das könnte darauf hindeuten, dass er nicht 
den Vorgang der anatomischen Veränderung als einen chronischen 
Prozess betrachtet, sondern nur die Tatsache des Rekurrierenden, 
des Recidivs, als etwas in gewissem Sinne Chronisches ansehen 
will, dagegen die Veränderungen als solche auf den relativ kurzen 
Akt des sich immer wiederholenden Anfalls bezieht. Das wäre 
möglich, und dann hätte ich ihn trotz aller Bemühung miss¬ 
verstanden; für wahrscheinlich kann ich aber nach der ganzen Art, 
wie er die „chronische Cholecystitis“ beschrieben, einen solchen 
Irrtum meinerseits nicht halten. 

Auch nach der Lektüre der Kehr’schen Arbeit im „Handbuch 
der praktischen Chirurgie“ (1913) habe ich den Eindruck, dass 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


399 


Kehr für die pathologischen Veränderungen in der Gallenblase in 
gleichem Masse akute und chronische Entzündungsprozessc ver¬ 
antwortlich macht, und dass er dem mechanischen Akt des Stein¬ 
verschlusses nur die Bedeutung einer Gelegenheitsursache oder eines 
verschlimmernden Momentes beimessen will, dass aber die Ent¬ 
zündung als solche unabhängig vom Steinvcrschluss einsetzen, be¬ 
stehen und sich verschlimmern, ebenso so selbständig aber auch 
wieder zurückgehen kann. 

Mir scheint, die Auffassung über die vielleicht wichtigste Frage 
in der Lehre von den Gallensteinkrankhciten, nämlich über die 
Deutung der Gallensteinkolik, ist zum guten Teil Sache der rich¬ 
tigen Fragestellung. Wenn Kehr sagt: „Der Streit, ob die Kolik 
auf rein mechanische oder entzündliche Vorgänge zurückgeführt 
werden muss, ist eigentlich ein Streit um des Kaisers Bart“, so 
trifft er damit den Kernpunkt der Sache nur insofern, als wohl 
Einigkeit darüber besteht, dass beide Momente eine Rolle spieleu. 
Aber die Fragen, unter welchen Bedingungen sic ihre Wirksamkeit 
entfalten, welches das erste, welches das nachfolgende im Bilde 
der pathogenetischen Vorgänge ist, ob und unter welchen Voraus¬ 
setzungen es Verschluss gibt ohne Koliken und Koliken ohne Ver¬ 
schluss, ob und welche anatomischen Veränderungen auf den Akt 
des Verschlusses zu beziehen sind oder der chronischen Ent¬ 
wicklung zufallen, — alle diese Fragen sind doch von wesent¬ 
licher Bedeutung und können nur durch logische Verwertung und 
sachgemässe Gruppierung der Einzelbeobachtungen beantwortet 
werden. 

Es ist der Zweck dieser Arbeit, auf dem eben bezeichncten 
Wege dieser Aufgabe einen Schritt näher zu kommen. 

Der nachstehenden Zusammenstellung sind 104 Fälle zugrunde 
gelegt, die vom Januar 1912 bis Ende Juni 1914 zur Operation 
kamen. Von ihnen sind als wertlos für unsere Untersuchungen 
bei Seite zu lassen 14 Fälle, weil es sich bei ihnen ganz vor¬ 
wiegend um Erkrankungen der Gallenwege oder um alte peri- 
cholecystitische Vorgänge handelte, während die Veränderungen an 
der Gallenblase im Krankheitsbilde zurücktraten. Es bleiben also 
90 Fälle übrig, von denen sich 43 im Zustand florider Erkran¬ 
kung befanden. Mit diesen in erster Linie möchte ich mich be¬ 
schäftigen. 

I. Teil. 

Veränderungen der Gallenblase im akuten Anfall. 

Ich stelle in die erste Reihe die am meisten charakteristische 
und in meinem Material am häufigsten vertretene Form: 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



400 


Sprengel, 


Digitized by 


A. Cholecystitis destructiva, d. h. unlösbarer Steinverschluss 
der Gallenblase bei virulentem Inhalt. (27 Fälle.) 

Zwei besonders charakteristische Präparate seien hier an der 
Hand der gut gelungenen Abbildungen zunächst beschrieben. 

Der erste Fall (Taf. XVI, Fig. 5 a, b, Kö.) betrifft eine 49jährige Frau, 
die am 26. 6. 1914 mit Fieber von 38,2° lind Puls von 96 ins Krankenhaus 
aufgenommen und am 27. 7. entlassen wurde. Sie hatte vor 2 und 1 Jahr an 
Gallensteinkoliken gelitten und jetzt seit 3 Wochen gehäufte Anfälle mit typi¬ 
schen .Schmerzen, die sieh aber immer wieder zurüekgebildet hatten, bis vor 
2 X 24 Stunden ein Anfall einsetzte, der nicht wieder zurückging. 

Die Untersuchung der im übrigen gesunden Frau ergab einen deutlich 
fühlbaren, sehr empfindlichen Tumor der Gallenblasengegend. 

Diagnose: Akuter Steinverschluss der Gallenblase- mit Destruktion. 

Die von mir sofort ausgeführte Operation bestätigte die Diagnose und 
verschaffte uns das auf Taf. XVI, Fig. 5a in etwa 3 4 der natürlichen Grösse 
abge b i kle t e P rä p arat. 

Die Gallenblase stellt sieh als ein 14 cm langer, 6 cm breiter Körper dar, 
hochrot gefärbt; auf der Oberfläche durehseheinend mehrere graugrün gefärbte 
Stellen, besonders ausgeprägt an einer Stelle vorn über der Mitte, wo sieh ein 
grüner Fleck befindet. Wandung der Gallenblase sulzig verdickt, auf dem 
Durchschnitt ödematös. 

Die Gallenblase ist umhüllt von agglutiniertem Netz, das etwa dem Lig. 
gastro-colicum entspricht, ebenfalls ödematös und entzündlich verändert ist und 
sich der Kuppe der Gallenblase, ihrer Form entsprechend, wie eine flach ge¬ 
formte Schiissel ansehliesst, aus welcher die Gallenblase durch ein paar rotierende 
Bewegungen mit dem Zeigefinger leicht herausgehoben werden kann. Im freien 
Peritoneum der Umgebung hellgelbes klares Frühexsudat. 

Inhalt der Gallenblase: Ueber 20 facettierte Pigmentkalksteine, in einer 
trüben, graugrünen, jaucheähnlichen Flüssigkeit schwimmend; ein etwas grösserer 
Stein steckt hinter einer Querfalte am Eingang des Ductus cysticus. 

Die Innenwand der Gallenblase zeigt über einer unebenen roten Fläche 
landkartenähniieh verstreut graugrüne Flecken, die sieh scharf von der roten 
Fläche abheben und das charakteristische Bild der Flächengangrän darbieten; 
an der vorgenannten Stelle, neben welche ich die Inzision gelegt habe, greift 
die Gangrän an die Aussenflüehe der Gallenblase durch, die Serosa mit¬ 
beteiligend. 

Der Ductus cysticus erscheint jenseits von dem festgeklemmten Stein blass 
und völlig frei von jeder Entzündung. 

Ein Analogon zu dem vorstehenden ist der folgende Fall, 
dessen Präparat ich ebenfalls in 3 / 4 der natürlichen Grösse habe 
abbilden lassen: 

Es handelte sich um eine 42jährige Frau Mö. (Taf. XVI, Fig. 6), die am 
28. 3. 1914 von der medizinischen auf die chirurgische Abteilung verlegt 
wurde; entlassen am 28.4. Sie hat seit 1 Vo Jahren alle 3 Monate an Gallen¬ 
steinkoliken gelitten, niemals Ikterus gehabt, kam aber nicht aus diesem 
Grunde, sondern wegen der um jene Zeit hier umgehenden Impetigo contagiosa 
ins Krankenhaus. 

Auf der medizinischen Abteilung, wo sie bei der Aufnahme methodisch 
durchuntersucht war und sicher keinen abdominalen Tumor gehabt hatte, er- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallcnstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


401 


krankte sie vor 2 Tagen mit den typischen Erscheinungen einer Gallenstcinkolik, 
die sicli nicht zurückbildeten. 

Bei der Aufnahme auf die chirurgische Abteilung hatte die Kranke Tem¬ 
peratur von 38,6°, Puls 90 und einen enormen, bis unter den Nabel reichenden, 
sehr empfindlichen (iallenblasentumor. 

Diagnose: Akuter Steinverschluss der Gallenblase mit Destruktion. Die 
sofort von mir ausgeführte Operation bestätigte die Diagnose. 

Die Gallenblase war 15 cm lang, etwa S cm breit und bot im übrigen das 
auf Tat. XVI. Fig. 6 dargestellte groteske Bild, das in allen Punkten dem ersten, 
gtenau beschriebenen gleicht, nur dass es sich um einen kolossalen Solitärstein 
handelt, der in einem oberen Rceessus der Gallenblase, diesem genau ausfüllend, 
festgekeilt ist. 

Scheimhaut destilliert, graugrün verfärbt, Wand stark ödematüs, kolossal 
verdickt. 

Ductus cysticus (auf der Allbildung schwer erkennbar) eng, aber durch¬ 
gängig , nicht e n t z ii n d e t, mit nur m a ler, d ii n n e r W a n düng v e r s e h e n. 

Die im pathologischen Institut (Prof. Dr. W. H. Sch ult ze) ausgeführte 
Untersuchung ergab folgenden Befund: „Im Gallenblaseninhalt grampositive un¬ 
bewegliche Stäbchen, nicht näher zu klassifizieren. Wand auffallend dick. 
Schleimhaut, abgesehen vom Hals, nicht mehr vorhanden. Auf der dünnen 
Muskelschicht liegt reichlich Eiter und Fibrin, Subserosa stark ödematüs: zeigt 
überall frische Entzündungen. Im Halsteil selbst ist die Schleimhaut, erhalten 
(also hinter dem Stein), die Luschka’schen Gänge tief, frei von Entzün¬ 
dungen. Im Halse ein taubeneigrosser Jvombinationsstcin“ (A sc ho ff); radiärer 
Cholesterinstein mit Kalkmantel.“ 

Pat hol.-anat. Diagnose (W. H. Schnitze): „Frische, hämorrhagische, 
eitrig-fibrinöse Entzündung bei Stcinverschluss, früheres, nicht entzündliches 
Gallcnsteinleiden." 

Ich brauche nicht zu sagen, dass die grob-anatomische Dia¬ 
gnose nach meiner Auffassung lauten musste: Cholecystitis de- 
structiva bei unlösbarem Steinvcrschluss und virulentem Gallen¬ 
blaseninhalt. Die Begründung soll weiter unten im Zusammenhang 
gegeben werden. 

Als besonders charakteristisch will ich noch den auf Taf. XVI, 
Fig. 7 abgebildeten Fall beschreiben: 

L. L., 4S Jahre, Ehefrau, aufgen. 22. 11., cntl. 19. 12. 1918. Früher angeb¬ 
lich gesund; nur gelegentlich Druck in der Magengegend. Seit 2 Tagen mit 
rasch zunehmenden allgemeinen Leibsehmerzen erkrankt, die dann rechts oben 
sich lokalisierten. Temperatur 88,7°, Puls 96. Kein Ikterus. 

Bei Hippenrandperkussion deutlich Dämpfung rechts oben. Gallenblase 
bewegt sich bei der Atmung. 

Operation sofort. Schrägschnitt mit komplementärem Medianschnitt. 

Im Peritoneum wenig klare Flüssigkeit. Oedein des Ketroperitoneums. 
Gallenblase am Hals leicht verlötet; enthält 4 grosse facettierte Steine; der 
eine steckt fest im oberen Reecssus hinter einer queren Schleimhautfalte, lässt 
sich aber zurück drängen, worauf die Gallenblase sich ausdriieken lässt. 

Die bakteriologische Untersuchung des Inhalts ergab Colibazillen in 
Reinkultur. 

Gallenblasonwand hochgradig ödematüs, grünlich verfärbt; Schleimhaut tief 
dunkelrot mit eingestreuten grünen Flecken. Ductus cysticus von normaler Be¬ 
schaffenheit. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



402 


S j) r (* n lt o 1, 


Digitized by 


M ik rnskoj)isclu*r He f und (Prüf. Dr. W. H. Sch ult ze): „Die (lalLenbla.se 
zeiirt mikroskopisch stark verdickte Wand, Schleimhaut teilweise nekrotisch; in 
der Wand mehrere gallehaltige Abscesse. Schleimhaut stark ödematüs. 

1. Fundus: Epithel auf der Höhe der Falten fehlt, in der Tiefe 
irrüsst c n t e i ls erhalten. Schleimhaut und Muskulatur ziemlich frei von Ent¬ 
zündung. Suhscrosa stark ddematös. enthält reichlich Fibrin, an einzelnen 
Stellen stärken? Leuknzytenanhäufunir, eine Art intrainuraler Abseess. 

2. Hals: Intramuraler Abseess nach aussen von der Musctilaris in die 
Subsernsa. Enthält neben Leukozyten und Fibrin cnsinirefärbte Kuireln. viel¬ 
leicht <lureh Eindringen von Galle in den Abseess entstanden (Druek<:eschwür 
vom Verschlussstein aus? Schnitze).“ 

Die drei eben beschriebenen und abgebildeten Fälle stellen 
besonders charakteristische Typen für das anatomische Bild der 
Cholecystitis destructiva dar, wie sie sich in allen von uns beob¬ 
achteten Fällen, wenn auch nicht immer mit gleicher Deutlichkeit, 
erkennen lassen. 

Als das besonders charakteristische und in erster Linie 
imponierende Merkmal der Cholecystitis destructiva betrachte ich 
den obturierenden oder blockierenden Gallenstein im Blasenhals; 
unter meinen 26 Fällen liess er sich nicht weniger als 21 mal mit 
aller Deutlichkeit feststellen; in 2 Fällen war ich zweifelhaft, ob 
die vorhandenen Steine tatsächlich obturierten oder sich nur in der 
Nähe des Blasenhalses aufhielten; in 3 Fällen bestand zwar sicher 
ein Verschluss am Eingang in den Cysticus, er war aber nicht 
durch Stein bedingt und wird besonders zu betrachten sein. 

Die Stellung, welche der Stein im Blasenhals bzw. im Cysticus- 
eingang einnimmt, ist im allgemeinen überaus typisch. Man kann 
fast immer — cf. z. B. Taf. XVI, Fig. 5 — erkennen, dass der 
Stein in einer Art Nische festsitzt, welche von einer querverlaufenden 
Falte gebildet wird und den Stein selbst in der aufgeschnittenen 
Gallenblase noch festhält, und aus welcher er bei geschlossener 
Gallenblase und bei der Operation oft nur unter Schwierigkeit, 
zuweilen überhaupt nicht, luxiert werden kann. Auch bei grösseren 
Steinen — Taf. XVI, Fig. 7 — ist die Ouerfurche angedeutet, bei 
ganz grossen erscheint sie verwaschen, während sich der wachsende 
Stein neben dem Ductus cysticus einen nach oben ragenden Recessus 
bildet. Der letztere Zustand kommt in Taf. XVI, Fig. 6 deutlich 
zur Erscheinung, während man zugleich neben dem Recessus den 
unveränderten, mit enger Lichtung in das Cavum der Gallenblase 
einmündenden Ductus erkennt. 

Für diese ganz grossen Steine mag es dahingestellt bleiben, 
durch welche Kraft sie im Gallenblasenhals festgehalten werden. 
Es wäre denkbar, dass die Austreibungskraft der Gallenblasen¬ 
muskulatur sie allmählich gegen den Ductus hindrängt, dass dabei 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die (iallonsteinkrankheii im Lichte der Anfalloperation. 


403 


nach und nach sich ein oberer Recessus bildet und die Steine, der 
Wandung desselben sich genau adaptierend, in ihm wie in einem 
Lager festgehalten werden. 

Für die kleineren und mittelgrossen Steine liegt die Annahme 
näher, dass sie hinter einer Barriere verankert sind, und dass die 
Barriere ein präformiertes Gebilde darstellt. Ich bekenne mich 
mit aller Bestimmtheit zu der Annahme, dass es sich bei dieser 
Barriere um die unterste oder eine der untersten Klappen des 
Ductus handelt; nicht bloss wegen ihrer charakteristischen Lage 
und Anordnung, sondern weil man in anderen Stadien der Krank¬ 
heit (cf. unten) die Einlagerung eines oder mehrerer Steine hinter 
diesen Klappensegeln völlig einwandfrei ablesen kann. Betrachtet 
man einige der weiter unten zu besprechenden Abbildungen — 
z. B. Taf. XVII, Fig. 10 — so wird kaum jemand im Zweifel 
darüber sein können, dass die Steine sich hinter den Klappen 
gefangen haben und durch die vorspringenden Ränder derselben 
am Zurücksinken in das Cavum der Gallenblase verhindert sind. 
Der Rückschluss ist gestattet, dass cs bei den destruktiven Formen 
nicht anders ist. 

Als zweites nicht weniger wichtiges Merkmal der destruierenden 
Cholecystitis ist die Eigenart des flüssigen Gallenblaseninhalts zu 
bezeichnen. 

In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind ihm die Eigen- • 
schäften der Galle völlig verloren gegangen, manchmal noch an¬ 
deutungsweise erhalten; der Regel nach ist aus der Galle eine 
ausgesprochen trübe, braunrot gefärbte, jauchige Brühe geworden, 
nicht selten von deutlich brandigem Geruch. Es ist auffallend, 
dass selbst neuere Schriftsteller diese charakteristischen Eigen¬ 
schaften des Gallenblaseninhalts bei den destruierenden Formen 
nicht erwähnen, noch weniger prinzipiell von dem eitrigen Inhalt 
bei Empyem unterscheiden (Grube und Graff u. a.). Körte, 
dem wir die weitaus genaueste Schilderung dieser Form verdanken, 
spricht allerdings von „missfarbiger Galle“ und erwähnt auch den 
mehrfach beobachteten „üblen Geruch“, will aber die Beimischung 
von Eiter und Schleim für etwas Gewöhnliches halten und über¬ 
haupt das Empyem nicht prinzipiell von den destruierenden Formen 
trennen. 

Man kann ja wohl verschiedener Ansicht darüber sein. Ich 
für meine Person möchte glauben, dass wir zu grösserer Klarheit 
gelangen, wenn wir das Empyem im eigentlichen Sinne von der 
Cholecystitis destructiva abtrennen. Schon die anatomischen Bilder 
sind doch sehr deutlich verschieden, wie weiter unten auseinander¬ 
gesetzt werden soll, und wenn wirklich Uebergänge Vorkommen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



404 


S p r c n g c. 1, 


Digitized by 


sollten, so könnte es höchstens in dem Sinne sein, dass beim 
Empyem, für dessen Entstehung ich nicht einen dauernden, unlös¬ 
baren, sondern einen wechselnden Verschluss supponiere, gelegent¬ 
lich der Verschluss plötzlich ein unlösbarer werden kann. Dann 
müsste aus dem Empyem eine Cholecystitis destructiva acuta 
werden, und es wäre verständlich, wenn von dem eitrigen Inhalt 
etwas zurückgeblieben und der sich nunmehr akut bildenden Jauche 
beigemischt wäre. Aber daran ist nach meiner Auffassung der 
Vorgänge festzuhalten, dass zu dem Bilde des akuten unlösbaren 
Steinverschlusses mit anschliessender Destruktion allein das trübe, 
jauchige Resultat als wesentlich gehört. 

Es ist genau dasselbe, wie bei der analogen Erkrankung des 
Wurmfortsatzes. Auch hier besteht bei den Autoren bis heute 
kein klares Verständnis dafür, dass das Empyem etwas prinzipiell 
anderes ist, als der unlösbare Verschluss des Wurmfortsatzlumens 
mit dadurch bedingter akuter Destruktion und Bildung einer 
jauchigen Brühe. Sonnenburg bespricht noch in seiner neuesten 
Darstellung der Appendicitislehre im „Handbuch der praktischen 
Chirurgie“ (1913) beide Affektionen in einem so bunten Durch¬ 
einander, dass der Lernende, für den das „Handbuch“ doch be¬ 
rechnet ist, schwerlich zu der Anschauung durchdringen wird, 
dass cs sich um pathologisch und genetisch verschiedene Dinge 
handelt. 

Und doch muss es so sein. Die Jauche in dem akut und 
unlösbar verschlossenen Wurmfortsatz — und ebenso in der akut 
und unlösbar verschlossenen Gallenblase — ist weiter nichts als 
die akut zerfallene und verflüssigte Schleimhaut, der Eiter beim 
Empyem dagegen wird von der chronisch entzündeten, teilweise 
des Epithels beraubten Schleimhaut sezerniert. Es ist derselbe 
Unterschied, um an einem nicht ganz analogen, auch weniger 
alltäglichen, aber mehr einleuchtenden Beispiel zu zeigen, was ich 
meine, als wenn es bei schweren Auktionen der Harnblase in dem 
einen Fall zu purulentem Blasenkatarrh, in dem anderen zum 
gangränösen, fetzigen Zerfall der Blasenschleimhaut kommt. Ich 
komme bei Besprechung des Empyems an der Hand von charak¬ 
teristischen Abbildungen darauf zurück. 

Entsprechend diesem jauchigen, aus der destruierten und ver¬ 
flüssigten Scheimhaut gebildeten Gallenblaseninhalt muss das Bild 
der Innenfläche der Gallenblase — und das betrachte ich als das 
dritte Charakteristikum der Cholecystitis destructiva — in typischer 
Weise verändert sein. 

Die eben gebrachten Abbildungen geben eine gute Vorstellung 
davon. Namentlich illustrieren sie nach Wunsch, wie sich fleck- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Liehtc der Anfalloperation. 


405 


weise von dem Dunkelrot der hämorrhagischen Schleimhaut die 
grauen bis graugrünen Flecken der eigentlich brandigen Partien 
abheben. 

In der Mehrzahl der Fälle bleibt der nekrotische Zerfall auf 
die eigentliche Schleimhaut beschränkt, bisweilen — cf. z.B. Taf. XVI, 
Fig. 5 — kommt es zu tiefergreifender Nekrose, welche auch 
Muskularis und Serosa beteiligt und auf der Aussenfläehe der 
Gallenblase als grüner Fleck sichtbar wird. 

Für alle diese nekrotischen Flecken ist die Unregelmässigkeit 
der Gestalt typisch. Sie entsprechen bis ins Einzelne den unregel¬ 
mässigen Nekrosenfiguren, wie sic sich beim Wurmfortsatzverschluss 
— cf. Taf. XVI, Fig. 3 — ergeben und auch dort bald auf die 
Schleimhaut beschränkt bleiben, bald, alle Schichten der Wand 
beteiligend, auf der Aussenfläehe der Serosa zu Tage treten. 
Anatomisch und histologisch handelt es sich — an Gallcnblasen- 
wand und Wurmfortsatz — um denselben Vorgang, der sich überall 
im Körper abspielt, sobald innerhalb seiner Gewebe die Retention 
septischer Substanzen stattfindet, d. h. um Einschmelzung distal- 
wärts von dem septischen Herd. Ich glaube mich, sowohl bei 
mikroskopischen Präparaten vom Wurmfortsatz, wie bei solchen 
von der Gallenblase, hinlänglich oft davon überzeugt zu haben, 
dass die Infiltration und Mortifikation schichtweise von innen nach 
aussen fortschreitet, und dass die Zeichen der Erkrankung allmäh¬ 
lich von innen nach aussen abnehmen. 

Davon, dass die Luschka’schen Gänge — bei diesen akuten 
Prozessen — in besonderem Masse beteiligt sein sollen, habe ich 
mich ebenso wenig überzeugen können, wie am Wurmfortsatz von 
der besonders intensiven Erkrankung der Wurmfortsatzkrypten. 
Damit will ich die Aschoff’schen Angaben selbstverständlich nicht 
in Zweifel stellen; cs kann mir nicht einfallen, mit einem so er¬ 
fahrenen Histologen in eine Kontroverse über feinere histologische 
Vorgänge treten zu wollen. Nur das wird mir zu bemerken 
gestattet sein, dass die von Aschoff beschriebenen Vorgänge in 
der Umgebung der Luschka’schen Gänge einem anderen, d. h. 
früheren Stadium der Veränderungen in der Gallenblasen wand an¬ 
gehören dürften, als den akut destruierenden Vorgängen, von denen 
ich spreche. Für diese sind sic meines Erachtens bedeutungslos. 
Es entzieht sich meinem Studium und meinem Urteil, ob in langsam 
chronischem Fortschreiten die auf der Gallenblasenschleimhaut sich 
abspielenden entzündlichen Veränderungen gelegentlich die Krypten 
in Mitleidenschaft ziehen, vielleicht auch in dem Sinne, dass in 
diesen feinen Gängen Sekretretentionen mit kleinen intramuralen 
Infiltrationen und Abscesschen der Wandung auftreten; dass aber 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



406 


S p r o n IT c 1 


Digitized by 


die*e Veränderungen in schweren destruierenden, das ganze Organ 
betreffenden Vorgängen zum Ausdruck kommen sollten, kann ich 
nach dem, was ich gesehen habe, nicht glauben. Diese letzteren 
sind nur unter der Vorbedingung der Organ-Okklusion und Retention 
möglich. 

Die Fälle von scharf demarkierter, ringförmiger Nekrose, 
Taf. XVI, Fig. 8, die ich in meiner Monographie über Appendieitis 
beschrieben und abgebildet habe (cf. Taf. IV, Fig. 16), habe ich 
bei den destruktiven Prozessen der Gallenblase nie beobachtet. 
Ich möchte sogar behaupten, dass sie hier gar nicht Vorkommen 
können. Sie beruhen offenbar auf thrombotischen Vorgängen, 
die sich, im Anschluss an den entzündlichen Vorgang auf der 
Schleimhaut, in den Gefässen abspielen (cf. Sprengel, Appendieitis, 
S. 166). Im Wurmfortsatz ist die Blutgefässverteilung eine seg¬ 
mentär gegliederte, ganz ebenso wie in jedem anderen Darm- 
abschnitt; kommt es zu einer schweren Zirkulationsstörung, so 
muss die Nekrose des zugehörigen Wurmfortsatzabschnittes die 
unweigerliche Folge sein und in genau demarkierter Form erfolgen. 
An der Gallenblase ist die Blutgefässverteilung bekanntlich eine 
prinzipiell andere; sie erfolgt nicht nach der Art der Endartcrien 
(wie Czerny, nach Körte citiert, vermutet hat) und unter segmen¬ 
tärer Anordnung der Gefässe, sondern wird in regelloser Form 
von den Verzweigungen der A. cystica besorgt. Wenn es richtig 
ist, dass die eigenartigen, regelmässigen, scharf abgegrenzten Nekrose- 
liguren., wie man sie im Wurmfortsatz bei einiger Aufmerksamkeit 
keineswegs selten beobachten kann, mit Gefässthrombosen Zusammen¬ 
hängen, so wird man ihnen in der Gallenblase, selbst bei schwer 
destruktiven Vorgängen, unmöglich begegnen können. 

Es ist selbstverständlich, dass in allen Fällen, in denen die 
Nekrose zu einer alle Schichten der Gallenblasenwand durch¬ 
greifenden geworden ist, die Möglichkeit, ja die Notwendigkeit der 
tatsächlichen Perforation gegeben ist. Wenn wir mit ihr nicht als 
mit etwas Typischem rechnen, so bestimmt dazu der gleiche Um¬ 
stand, wie bei dem analogen Vorkommnis beim Wurmfortsatz, dass 
nämlich die gefährdete Wandpartie der Gallenblase von dem agglu- 
tinierten Colon transversum und namentlich von Teilen des Lig. 
gastro-colicum gegen die freie Bauchhphle fest abgeschlossen wird. 
Noch häufiger als beim Wurmfortsatz dürfte diese Schutzvorrichtung 
mit vollkommenem Erfolg deshalb funktionieren, weil die Virulenz 
des abgeschlossenen Gallenblaseninhalts weniger hochgradig ist als 
die des kothaltigen Wurmfortsatzes, und weil die Gallenblase halb 
von der Leber gedeckt und in einer Nische hinter dem Colon 
transversum liegend, von vornherein besser gegen die freie Bauch- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die frallensteinkrankheit ira Lichte der Anfalloperation. 


407 


höhle abgeschlossen ist, als der Wurmfortsatz, der keineswegs 
selten nach unten, nach hinten oder fast quer durch die Bauchhöhle 
nach links hinüber verlaufend, mitten zwischen die Dünndarm¬ 
schlingen hineinragt. 

Dagegen lässt sich die „Durchlässigkeit“ der Gallenblasenwand 
gegen Bakterientoxine und gegen Bakterien in allen Fällen an dem 
im Frühstadium der Destruktion rein serösen, später sich trübenden 
Exsudat in der freien Bauchhöhle erkennen, dem man ziemlich 
regelmässig begegnet. Die peritonealen Veränderungen spielen sich 
offenbar genau so ab, wie wir cs durch unsere operativen Er¬ 
fahrungen im Frühstadium der Appendicitis kennen gelernt haben, 
d. h. es folgt auf die entzündliche Hyperämie in allen Wandschichten 
der Gallenblase der vermehrte Austritt von seröser Flüssigkeit in 
die Wandung (Gewebsödem) und ins freie Peritoneum (seröses 
Frühexsudat), und aus dieser fibrinreichen Flüssigkeit wird das 
Fibrin ausgeschieden, wodurch die jedem Chirurgen bekannten 
Agglutinationsvorgängc zwischen Gallenblase und den benachbarten 
Organen in die Wege geleitet werden. Für alle weiteren Stadien 
ist das Auftreten getrübter oder rein eitriger Flüssigkeit, um¬ 
schrieben oder diffus, charakteristisch und zweifellos durch dieselben 
bakteriellen Einflüsse bedingt, wie bei allen analogen entzündlichen 
Vorgängen der intraperitoneal gelegenen Organe. Es würde den 
Rahmen unserer Arbeit überschreiten, auch einigermassen über¬ 
flüssig sein, ausführlicher auf diese Dinge einzugehen. 

Worauf es mir an dieser Stelle ankomrat, ist die Feststellung 
der für die destruktiven Vorgänge typischen Veränderungen, und 
diese lassen sich folgendermassen zusammenfassen: Destruktion 
der Gallenblasenwand in von innen nach aussen abnehmender 
Intensität, Verflüssigung der destruierten Schleimhaut zu einer die 
Gallenblase füllenden trüb-jauchigen Flüssigkeit, entsprechende 
pericystitische, peritoneale Veränderungen und Steinverschluss des 
Cysticus durch einen blockierenden Gallenstein. 

Es entsteht die Frage — und entsprechend dem in erster 
Linie auf die Pathogenese der Gallensteinkrankheit gerichteten 
Zweck meiner Arbeit möchte ich sie etwas eingehender besprechen 
— wie sich die vorstehend beschriebenen anatomischen Verände¬ 
rungen genetisch erklären, und ob dem Stein eine für die Krank¬ 
heitsentwicklung besondere Bedeutung beizumessen ist. 

Zweierlei wäre möglich. 

Entweder es könnte unter dem Einfluss einer spontan, d. h. 
durch ascendiercnd oder descendierend erfolgendes Eindringen von 
Mikroorganismen bedingten Gallenblasenentzündung eine schwere 
(phlegmonöse) Entzündung der Gallenblasenwand einsetzen, unter 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



408 


Sprengel, 


Digitized by 


ihrem Einfluss ein stärkerer Erguss in die Gallenblase mit ent¬ 
sprechender Steigerung des Innendrucks erfolgen und dadurch ein 
Stein im Gallenblasenhals bis zu völligem Abschluss festgeküemrat 
werden. Manche Autoren wollen die Tatsache so oder ähnlich 
erklären. Oder aber das Primäre ist die Verankerung des Steins 
hinter einem Klappensegel des Ductus cysticus und erst, wenn der 
Stein eine genügende Grösse erlangt hat, oder wenn unter seinem 
die Schleimhaut reizenden Einfluss aus der Beengung des Abflusses 
eine völlige Behinderung bewirkt wird, erfolgt das Einsetzen der 
schweren Erscheinungen. 

Im ersten Fall würde man das Moment der Entzündung in 
den Vordergrund stellen, dem eventuell durch „einen Wechsel in 
der Lage des Steins“ (Kehr) eine Schwenkung nach der ungünstigen 
Seite aufgeprägt wird; im zweiten Fall würde man zwar auch eine 
Entzündung der Gallenblase als bestehend voraussetzen, aber das 
Accidens des vollkommenen Abschlusses als das wesentliche und 
primäre, mit anderen Worten als dasjenige mechanische Moment 
ansehen, welches die Okklusion und Retention und damit die 
Steigerung der Virulenz bedingt. 

Nach dem, was ich oben gesagt habe, brauche ich nicht zu 
betonen, dass ich durchaus Anhänger der letzteren Theorie bin, 
der ich durch meine Beobachtungen einige weiteren Stützen geben 
möchte. 

Meine Gründe für diese letztere Annahme lassen sich in 
Folgendem zusammenfassen: 

1. Die grosse Regelmässigkeit, mit der sich der Steinverschluss 
bei den destruktiven Formen der Gallenblasenerkrankung im Blasen¬ 
hals vorfindet, spricht für die ätiologische Bedeutung dieser Er¬ 
scheinung. Wenn nicht der Stein Verschluss, sondern lediglich die 
aus beliebigem anderen Grunde erfolgende Steigerung der Virulenz 
die Ursache für die Destruktion wäre, so liesse sich nicht einsehen, 
warum mit solcher Regelmässigkeit die Einklemmung erfolgen 
sollte. Das entzündliche Sekret, als welches man bei dieser Auf¬ 
fassung den Gallenblaseninhalt ansehen müsste, könnte sich nach 
Eintritt der Entzündung ebensogut wie vor demselben zwischen den 
Steinen durchdrängen und den Ausgang in den Ductus cysticus 
gewinnen. Es ist aber auch nicht anzunehmen, dass die schwer 
entzündlich veränderte Gallenblasenwand überhaupt imstande sein 
sollte, einen starken Druck auf ihren Inhalt auszuüben und einen 
Stein im Gallenblasenhals festzukeilen. Die Erfahrung an anderen 
mit Schleimhaut ausgekleideten Organen, insonderheit am Darm, 
spricht dagegen. Die Peristaltik des Darms funktioniert nur. so 
lange die Darmwandung gesund ist. Wird die Schleimhaut erheb- 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkranklieit im Lichte der Anfalloperation. 


409 


lieh verändert, die Wandung ödematös uud durchlässig, so erlischt 
die Funktion der Muscularis; es entsteht das Bild, wie wir es in 
allen späteren Stadien der Peritonitis und bei den Endstadien der 
Okklusion und Inkarzeration sehen. Diese Endstadien bedeuten 
eben nichts anderes, als die passive Dehnung der funktionell un¬ 
tüchtig gewordenen Darmwand. Bei der Gallenblase wird es 
schwerlich anders sein. Dass eine gesunde Gallenblasenmuscularis 
einen Stein in den Cysticus drängen kann, ist dagegen selbst¬ 
verständlich und entspricht lediglich ihrer alltäglichen austreibenden 
Kraft; die Arbeitsleistung der kranken Gallenblasenwand muss 
naturgemäss erlöschen. Schon daraus folgt, wie mir scheint, mit 
Notwendigkeit, dass die Einkeilung des Steins das Primäre, die 
Veränderung und Ansammlung des Gallenblaseninhalts das Sekundäre 
sein muss. 

2. Den zweiten Grund für meine Auffassung möchte ich der 
Analogie mit dem — mechanisch betrachtet — sehr ähnlichen 
Bilde des Gallenblasenhydrops entnehmen. Ich werde seine Be¬ 
deutung weiter unten im Zusammenhang besprechen. Aber das 

Uebereinstimraende im Bilde des Steinverschlusses — um zunächst 

» 

nur dies zu erwähnen — muss doch Jedem auffallen, der die eben 
beschriebenen Bilder mit den z. ß. auf Taf. XVIII, Fig. 17 u. 19 
dargestellten vergleicht. Der Mechanismus der Steinokklusion ist 
offenbar ganz der gleiche, und wenn die Wirkung eine verschiedene 
ist, so muss das besondere Ursachen haben. Wenn aber heute — 
und zwar gewiss mit Recht — der Hydrops der Gallenblase 
ziemlich allgemein als „eine relativ harmlose Retentionsgeschwulst“ 
(Körte) aufgefasst wird, bedingt eben durch die Steinokklusion am 
ßlasenhals, so liegt kein Grund vor, die gleiche Erscheinung bei 
der destruktiven Form anders zu beurteilen; denn auch beim 
Hydrops muss das Primäre der Steinverschluss, das Sekundäre 
die wässrige Ansammlung in der Gallenblase sein, weil die atro¬ 
phische Muscularis des Hydrops der Gallenblase unmöglich die 
Kraft besitzt, den Stein im Gallenblasenhals festzukeilen. 

3. Noch einen weiteren Analogieschluss möchte ich anführen, 
und zwar im Hinblick auf die einschlägigen Fälle bei der destruk¬ 
tiven Appendicitis. Man kann nämlich dasselbe Experiment, das 
ich oben (S. 387) für den durch Kotstein blockierten Wurmfortsatz 
beschrieben habe — Entleeren des Wurmfortsatzes nach Lüften 
des Steins — auch in den Fällen von Steinverschluss bei destruk¬ 
tiver Cholecystitis nicht selten ausführen. Uebt man bei der 
Operation, nachdem man den Gallenblasenhals freigelegt und den 
Stein in ihm festgestellt hat, einen kräftigen Druck auf den Fundus 
aus, so gelingt es der Regel nach nicht, auch nur eine Spur des 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



410 


S p r e m: e 1, 


Digitized by 


Inhalts in den Cysticus hineinzudrängen; schiebt man dann den 
Stein zurück, so gelingt es gewöhnlich ohne Schwierigkeit, die 
Gallenblase zu entleeren. Man kann danach schwerlich etwas 
anderes als einen mechanischen Verschluss durch Stein annehmen. 

4. In dem gleichen Sinne lässt sich die Tatsache verwerten, 
dass man die mit Steinverschluss einhergehenden und nach meiner 
Auffassung durch ihn hervorgernfenen und unterhaltenen Fälle von 
Cholecystitis destructiva durch Beseitigung der Retention, d. h. 
durch einfache Cholecyslostomie heilen kann. Handelte es sich 
bei diesen Vorgängen lediglich um besonders heftige, unabhängig 
vom Steinverschluss verlaufende Entzündungen, so wäre das nicht 
verständlich. Beseitigt aber die Inzision der Gallenblase das Fort¬ 
schreiten der Destruktion mit derselben Sicherheit, wie die Inzision 
eines gespannten Abscesses die begleitenden entzündlichen Er¬ 
scheinungen. so wird man in dem mechanischen Moment der 
Okklusion und Retention die Erklärung für das Entstehen und 
Fortbestehen der entzündlichen Vorgänge suchen dürfen. 

5. An letzter Stelle möchte ich eine Beobachtung verwerten, 
welche man mit voller Deutlichkeit dann machen kann, wenn man 
die Exzision der Gallenblase in’toto mit der Freilegung und Durch¬ 
trennung des Ductus cysticus dicht am Choledochus beginnt und 
das Organ mit dem im Anfangsteil des Ductus cysticus fest- 
sitzenden Stein herausnimmt. Schneidet man nun auf, so ist es 
geradezu frappierend, wie die entzündlichen Veränderungen der 
Gallenblase genau am Sitz des Steins abschneiden, d. h. den 
Ductus cysticus absolut intakt lassen. Ich habe diese Erscheinung 
in mehreren meiner Abbildungen (Taf. XVI, Fig. 5 und t») zur 
Darstellung bringen lassen; bei Betrachtung des frisch aufge¬ 
schnittenen Präparats ist sie noch frappanter und genau der 
scharfen Demarkation entsprechend, mit welcher beim okkludierten 
Wurmfortsatz die normale Schleimhaut des gesunden proximalen 
Abschnitts vom abgeschlossenen distalen Ende des Organs ab¬ 
schneidet. 

Auch anderen Autoren ist diese eigenartige und meines Er¬ 
achtens bedeutungsvolle Erscheinung aufgefallen; so Kehr, der 
diese Tatsache erwähnt, um aus ihr Riedel gegenüber die Un: 
müglichkeit zu beweisen, dass die Entzündung der Gallenblase sich 
auf die tiefen Gänge fortleitet, und dass die Schleimhautschwcllung 
der Gallenblase sich auf den Choledochus fortsetzt. 

Eine Täuschung auf meiner Seite ist demnach ausgeschlossen; 
die Tatsache steht fest, dass in den Fällen von destruktiver Chole¬ 
cystitis die Entzündung erst jenseits des okkludierenden Steins 
beginnt. Sie kann also gar nichts anderes bedeuten, als dass die 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


411 


okkludierende Wirkung des Steins die Entzündung der Gallenblasen¬ 
schleimhaut bedingt. 

Und das ist — aus allen diesen Gründen — allerdings die 
Meinung, die ich, in voller Uebereinstimmung mit Körte, der 
sich meines Wissens zuerst klar über diesen Punkt ausgesprochen 
hat, vertrete. Die destruktiven Vorgänge in der Gallenblase, unter 
denen ich das im Vorstehenden geschilderte, sehr charakteristische, 
von dem eigentlichen Empyem prinzipiell zu sondernde Bild ver¬ 
stehe, beruht auf dem unlösbaren Verschluss im distalen Teil des 
Cvsticus. Seine Wirkung ist die Retention des virulenten Gallen¬ 
blaseninhalts mit der unvermeidlichen destruierenden Einwirkung 
auf die ihn umschliessenden Bestandteile der Gallenblasenwand. 

Körte nimmt an, dass „vor dem Einsetzen der akuten Ent¬ 
zündung in vielen Fällen ein chronischer Hydrops der Gallenblase 
bestanden hat; denn es fand sich häufig nur Eiter und missfarbiger 
Schleim, keine Galle in der Blase“. Er meint, „dass der Zufluss 
der Galle schon vor der akuten Erkrankung durch einen Ventilstein 
abgesperrt gewesen sei, dass aber, wenn auch keine Galle mehr 
durchdringe, doch die Mikroorganismen noch eindringen können 
und dann in dem gestauten Inhalt der Blase einen sehr geeigneten 
Nährboden finden“. 

Nach meiner Auflassung muss das Hineinziehen des chroni¬ 
schen Hydrops die Frage komplizieren, und zwar, wie ich glaube, 
unnötiger Weise. Ich habe schon oben erwähnt, dass auch ich 
Fälle gesehen habe, in denen sich als Inhalt der in Destruktion 
begriffenen Gallenblase neben der mehrfach erwähnten trüben, 
jauchigen Flüssigkeit Eiterreste vorfanden. Ich nehme an, dass 
in diesen Fällen aus einem chronischen Empyem — cf. weiter 
unten — durch plötzlichen Steinverschluss eine Cholecystitis 
destructiva hervorgegangen ist. Dass das Gleiche, wie Körte 
will, auch beim Hydrops geschehe, halte ich nicht für wahrschein¬ 
lich. Mindestens fehlt für -diese Annahme der strikte Beweis. 
Ich betrachte den Hydrops — cf. unten — als das Endprodukt 
des dauernden Steinverschlusses der Gallenblase bei avirulentem 
oder avirulent gewordenem Gallenblaseninhalt und kann mir keinen 
Grund denken — wenn wir nicht auf den schwer definierbaren 
Begriff der descendierenden Infektion zukommen wollen — weshalb 
in die abgeschlossene Gallenblase vom Darm her virulente Keime 
von Neuem eindringen sollten. 

Aber, wie gesagt, dieser Umweg ist zur Erklärung auch min¬ 
destens nicht nötig. Wenn auch die Frage des sozusagen physiolo¬ 
gischen Keimgehaltes der Gallenblase vielleicht heute noch nicht 
als definitiv beantwortet gelten kann, so sind wir allmählich doch 

Archiv Air kl in. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. 9<^ 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



412 


Sprengel 


Digitized by 


zu grösserer Klarheit gelangt und wissen, dass „bei Gegenwart 
von Konkrementen im Gallengangsystem die Galle stets infiziert 
und infektiös ist.“ Mivake, dessen aus dem Jahr 1913 stam- 
inender Arbeit ich diesen Satz entnehme, hatte Gelegenheit, in 
38 operativen Fällen den Gallenblasen- und Choledochusinhalt. 
sowohl mikroskopisch als kulturell zu untersuchen. Er fand ihn 
dabei nur einmal mikroskopisch und kulturell steril, zweimal 
mikroskopisch bakterienhaltig und kulturell steril, in allen übrigen 
35 Fällen war er infiziert und zwar wurden mit einer einzigen 
Ausnahme immer Colibazillcn allein oder mit anderen Bakterien¬ 
arten gemischt angetroffen. 

Nach den Untersuchungen von Aschoff und Bacmeister 
muss man zu sehr ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen. Be¬ 
kanntlich haben die letztgenannten Autoren im Gegensatz zu der 
früher allgemein anerkannten Lehre Naunyn’s vom infektiösen 
„steinbildenden Katarrh“ der Gallenblasenschleimhaut auf Grund 
ihrer Studien über Morphologie und Zusammensetzung der Steine 
den Satz aufgestcllt, dass Entzündung für gewisse Steinformen. 
nicht für alle Vorbedingung ihrer Entstehung ist, dass vielmehr 
schon die einfache Stauung in der Gallenblase genügt, um den 
von ihnen sogenannten radiären Cholesterinstein auskrvstallisieren 
zu lassen. 

Ist aber einmal der Cholesterinstein da, so führt er — sei es 
durch Motilitätsstörungen der Gallenblase oder durch wirklichen 
Verschluss — zur bakteriellen Entzündung der Gallenblase unter 
Umwandlung des Cholesterinsteins zum Kombinationsstein oder 
unter Bildung multipler kalkhaltiger Cholesterinpigmentsteine. „Das 
Gleiche trifft zu, wo wir ohne primären radiären Cholesterinstein 
eine Entzündung der Gallenblase (im Anschluss an Typhus usw. 
annehmen müssen, wo die multiple Pigmentkalksteinbildung als 
Folge dieser Entzündung anzusehen ist.“ 

Also auch nach der Aschoff’schen Theorie dürfen wir — 
wenn wir von dem radiären Cholesterinstein absehen — überall da 
auf bakterienhalligen Gallenblaseninhalt rechnen, wo wir die „ent¬ 
zündlichen“ Kombinations- oder Pigmentkalksteine antreffen. 

Wenn es demnach richtig ist, dass die Galle bei Anwesenheit 
von „entzündlichen“ Konkrementen als infiziert gelten kann, so 
bedürfen wir für die Entstehung eines akuten Anfalls nicht der 
Annahme einer Neuinfektion vom Darm oder vom Blut aus; wir 
brauchen aber auch nicht anzunehmen, wie Miyake sich aus¬ 
drückt, dass „die vorhandenen Bakterien durch Erlangung ihrer 
Virulenz krankheitserregend wirken“, sondern die Virulenz als 
solche ist vorhanden, und es bedarf lediglich eines mechanischer. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfallopcration. 


413 


Moments, um sie auf die einhüllende Gallenblasenwand destruierend 
wirken zu lassen — und dieses-Moment ist der Verschluss des 
Ductus cysticus. 

Was ich im Vorstehenden auf Grund meiner Untersuchungen 
am frischen Präparat niedergelegt habe, ist, wie schon oben an¬ 
gedeutet, im Wesentlichen eine Uebertragung meiner Beobachtungen 
am dauernd abgeschlossenen und destruierten Wurmfortsatz und 
eine Anwendung der seiner Zeit namentlich von Dieulafoy in 
seiner Lehre von der Cavite close aufgestellten Theorie, die in 
ihren allgemeinen Zügen auf den Experimenten von Klecki be¬ 
ruht, neuerdings in den oben erwähnten Experimenten von Heile 
eine, wie ich glaube, einwandfreie Begründung erfahren hat. 

Ob es nötig ist, eine Steigerung der Virulenz des abgeschlossenen 
Wurmfortsatz- und Gallenblaseninhalts anzunehmen, oder ob es sich 
lediglich um eine Anhäufung der Bakterien und Bakterienprodukte 
handelt, vermag ich nicht zu entscheiden. Einen auch in meiner 
Monographie über Appendicitis angeführten Versuch Dieulafoy’s 
— cf. Sprengel, Appendicitis S. 155 — möchte ich nochmals 
bringen. Der genannte Autor impfte von zwei Bouillonröhrchen 
das eine mit einem Partikelchen aus dem freien, das andere mit 
einem Partikelchen aus dem verschlossenen Teil des Wurmfort¬ 
satzes. Es entwickelten sich in beiden reichliche Massen von 
Colibazillen. Darauf wurden je 6 Meerschweinchen mit den beiden 
Kulturen durch Einspritzen von 15 Tropfen unter die ßauchhaut 
geimpft und zwar so, dass nicht alle Meerschweinchen gleichzeitig, 
sondern jeden Tag zwei von jeder Sorte geimpft wurden. Wah¬ 
rend nun die Meerschweinchen der ersten Serie gesund blieben 
bis auf ein kleines hartes Knötchen an der Impfstelle, kam es bei 
denen der zweiten Serie zu gangränösen Abscessen, und alle Tiere 
gingen zu Grunde. Das würde ceteris paribus für eine Steigerung 
der Virulenz in der abgeschlossenen Höhle sprechen, ebenso wie 
die Experimente von Klecki, der schon im Jahr 1895 den Be¬ 
weis zu erbringen suchte, dass in einer abgeschnürten Darmschlinge 
die Mikroben wuchern, und flass im Besonderen die Colibazillen 
im Innern der Darmschlingen virulenter werden, bevor sie durch 
die Darmwand wandern. Da es festzustchen scheint, dass bei den 
einschlägigen Prozessen der Gallenblase gerade die Colibazillen 
eine bedeutungsvolle Rolle spielen (Miyake), so scheinen mir die 
experimentellen Untersuchungen für die Annahme einer Virulenz¬ 
steigerung einigermassen wertvoll zu sein. Auch die Untersuchungen 
von Heile sprechen, soviel ich sehen kann, nicht dagegen. 

Indessen erlaube ich mir über diese bakteriologische Frage 
kein Urteil. Es kommt mir lediglich darauf an, festzustellen, 

28 * 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



414 


Sprengel, 


Digitized by 


dass meine epikritischen Untersuchungen am frisch herausgenom¬ 
menen Präparat mit grosser Sicherheit für die Annahme sprechen, 
dass für die akut destruierenden Prozesse an der Gallenblase das 
mechanische Moment des unlösbaren Steinverschlusses als das 
Primum agens anzusehen ist, und dass sich nur unter dieser ur¬ 
sächlichen Vorbedingung die akut entzündlichen Prozesse im Galien- 
blaseninhalt und in der Gallen blasen wand vollziehen. 

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Steineinklem¬ 
mung erfolgt, möchte ich weiter unten im Zusammenhang besprechen, 
sie lässt sich nur vermutungsweise beantworten. 

An dieser Stelle muss ich, um vollständig zu sein, noch kurz 
derjenigen Fälle gedenken, bei denen es sich nicht um Steinver- 
schluss im eigentlichen Sinne handelte, sei es, dass überhaupt kein 
Stein vorhanden war, sei es, dass er nicht fest eingekeilt im Ductus 
cysticus sich yorfand, während doch der Verschluss der Gallen¬ 
blase als solcher über allem Zweifel feststand. 

Wir haben diesen Verschluss einesteils gefolgert, indem wir 
aus der gleichen Wirkung — den destruktiven Vorgängen an der 
Gallcnblasenwand — auf die gleiche Ursache schlossen; wir glauben 
uns aber auch durch direkte Beobachtung überzeugt zu haben, 
dass es sich nicht in allen Fällen von destruktiver Cholecystitis 
um Steinverschluss im eigentlichen Sinne zu handeln braucht, 
sondern dass entweder der am Gallenblasenhals der Schleimhaut 
anliegende Stein eine Verschwellung derselben hervorruft, welche 
schliesslich den Ausgang versperrt, oder dass — ausnahmsweise 
— auch spontan eine absperrende Verschwellung am Gallen¬ 
blasenhals eintreten kann, ohne dass überhaupt ein Stein in der 
Gallenblase vorliegt. 

Als Beispiel möchten wir den Fall eines 67jährigen, am 27. 2. 1913 ope- 
vierten, am 6. 3. gestorbenen Mannes mitteilen, dessen Gallenblase auf Taf. XVII, 
Fig. 9 (Fi.) abgebildet ist. 

Er war, früher stets gesund, 8 Tage vor der Aufnahme mit allgemeinem 
Uebelbefinden und unbestimmten Untcrleibssymptomen erkrankt, die sich erst 
am Tage vor der Aufnahme zu heftigen, konstanten, nicht kolikartigen Schmerzen 
der rechten Oberbauchgegend steigerten. Temp. 38,6°, Puls 112. Kein Ikterus. 
Kein Erbrechen. Diffuse Bronchitis. 

Es fand sich unter der normal stehenden Leber die Gallenblase als grosser 
Tumor fühlbar, fast bis zum Nabel herabreichend. 

Bei der sofort vorgenommenen Operation fand sich die Gallenblase mit 
Netz agglutiniert; sie enthielt über 300 ccm braunrote, stark getrübte, nicht 
gallige Flüssigkeit und 15—20 erbsen- bis bohnengrosse, ziemlich weiche 8teine, 
von denen keiner im Gallenblasenhals fixiert- war. 

Gallcnblasensehleimhaut in fleckweiser Destruktion (s. Abb.). 

Die mikroskopische Untersuchung im pathologischen Institut ergab: 
Schleimhaut vollkommen destruiert, keine Epithelien mehr nachweisbar, stellen¬ 
weise Granulationsgewebe mit Fibrinauflagerung. Muscularis nur in Spuren 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 


415 


vorhanden. Scrosa: starkes Ocdem. In allen Schichten starke Entzündung; mehr¬ 
fach intramurale Abscesse, von der Innenfläche zur Serosa reichend. Makrosko¬ 
pisch als gelbliche, durchscheinende Flecke auf der Serosaseito erkennbar. 

Was nun dem Falle für die Beurteilung der mechanischen Ver¬ 
hältnisse eine grosse Bedeutung gibt, ist der Umstand, den ich in 
analogen Fällen auch sonst mehrfach beobachtet habe, dass sich 
die Gallenblase in situ, obwohl der Hals sicherlich frei von Steinen 
war, nicht ausdrücken liess. Es muss also der Abfluss durch ein 
anderes Hindernis gehemmt gewesen sein. 

Dass als Abflusshemmung nur eine akute Schwellung der 
Schleimhaut in Frage kommen kann, beweist ausser dem Aspectus 
des hochroten, ödematösen Eingangs der aufgeschnittenen Gallen¬ 
blase noch eine weitere Beobachtung, die man an den Fällen 
machen kann, in denen man unter sonst gleichen Umständen die 
Operation auf die Drainage der Gallenblase beschränkt. Wir 
glauben uns wiederholt mit aller Sicherheit überzeugt zu haben, 
allerdings in einer etwas zurückliegenden Zeit, wo wir lediglich 
die Drainage der Gallenblase vorzunehmen pflegten, dass die Galle 
erst nach einigen Tagen anfing, durch den Schlauch abzulaufen. 
Offenbar geschah es erst, nachdem die Verschwellung am Eingang 
in den Ductus cysticus rückgängig geworden war. 

Uebrigens kann auch in diesem Punkte die Analogie mit den 
übereinstimmenden Verhältnissen des Wurmfortsatzes herangezogen 
werden. Ich habe an einschlägiger Stelle durch zahlreiche Prä¬ 
parate den Beweis erbracht und schon oben darauf verwiesen, 
dass keineswegs immer der Kotstein durch Blockade des Wurm¬ 
fortsatzlumens die Okklusion herbeiführt, sondern nicht selten 
durch Anregung einer Schleimhautverschwellung bzw. im Verein 
iftit einer solchen das Lumen abschliesst. Es ist nur folgerichtig, 
dass an den sehr übereinstimmenden Verhältnissen am Gallenblasen¬ 
hals ähnliche Erscheinungen sich abspielen. 

Fasse ich das in diesem ersten Abschnitt Gesagte zusammen, 
so könnte es in folgendem Satze geschehen: 

Die akut destruktiven Vorgänge in der Gallenblase 
werden bedingt durch den akuten unlösbaren Stein¬ 
verschluss der mit virulentem Inhalt gefüllten Gallen¬ 
blase; in relativ seltenen Ausnahmefällen kann der me¬ 
chanische Verschluss auch durch Schleimhautverschwel¬ 
lung am Gallenblasenhals — unter dem irritierenden 
Einfluss eines Steins oder ohne einen solchen — erfolgen. 
Wie ich den Vorgang der Perforation der Gallenblasen¬ 
wand erkläre, bedarf nach dem Gesagten keiner ausführ¬ 
lichen Deduktion. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



416 


Sprengel, 


Digitized by 


B. Cholecystitis Simplex, d. h. lösbarer, vorübergehender Stein- 
verschluss bei virulentem Inhalt; typische Gallensteinkolik 

(16 Fälle). 

Um gleich eingangs dieses Abschnitts prägnant auszusprechen, 
was ich meine, so geht meine Ansicht dahin, dass es sich auch 
bei dem typischen Gallensteinkolikanfall lediglich um einen Stein¬ 
verschluss am Eingang in den Ductus cysticus handelt, der zu 
einer Retention in der mit virulentem Inhalt gefüllten Gallenblase 
führt. Während aber bei der unter A. beschriebenen Form der 
Verschluss ein unlösbarer, dauernder war und eben deshalb mit 
Notwendigkeit zur Destruktion der Gallenblasenwand führte, kommt 
es in den Fällen vorübergehenden Verschlusses zur Lösung der 
Okklusion und zu relativ schnellem und vollständigem Rückgang 
aller Symptome. 

Die Gründe, w r elche mich zu dieser Auffassung bestimmen, 
denke ich an der Hand von instruktiven Abbildungen darzulegen. 
Vorher möchte ich einige der gangbarsten Anschauungen der Au¬ 
toren über die Erklärung des typischen Kolikanfalls wiedergeben, 
bzw. versuchen, es zu tun. Es ist mir trotz eifrigen Bemühens 
keineswegs leicht geworden, die eigentliche Meinung der Autoren 
festzustellen, ein Missverständnis auf meiner Seite ist somit nicht 
ausgeschlossen. 

Um wieder mit Riedel zu beginnen, so habe ich dessen An¬ 
schauungen über „Perialienitis“ schon oben besprochen. Ich füge 
hinzu, dass er — wenn ich ihn recht verstehe — den im Blasen¬ 
hals steckenden Gallenstein zwar auch nicht als etwas völlig Be¬ 
langloses betrachtet; aber die Bedeutung eines akut okkludicrenden 
Momentes schreibt er ihm offenbar nicht zu. Der Stein begünstigt 
oder bewirkt nur die langsame Entwicklung eines Hydrops in der 
Gallenblase. Der „Kolikanfall ist stets eine akute Entzündung um 
einen Fremdkörper herum, eine Perialienitis, gleichgültig, ob der 
Stein in der Gallenblase, oder im Ductus cysticus, oder im Ductus 
choledochus steckt“. Diese „Entzündung“ ist das primum agens: 
sie „führt zur Vermehrung der in der Gallenblase befindlichen 
hydropischen Flüssigkeit, und der vermehrte Flüssigkeitsdruck 
treibt den Stein, wenn er klein ist, in den Ductus cysticus“. Je 
nach der relativen Grösse des Steins und den Druckverhältnissen 
in der Gallenblase kann der Stein durch Ductus cysticus und 
choledochus „geworfen“ werden — Riedel nimmt an, dass Steine 
bis zu 1 cm Durchmesser glatt die grossen Wege und die Papille 
passieren können (!) — oder der Stein bleibt ruhig im Blasenhals 
stecken, während sich die Entzündung ebenso selbständig und 


Go^ gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 


417 


spontan, wie sie entstanden ist, unter Rückgang der Koliksymptome 
wieder zurückbildet. Die bei den akuten serösen Ergüssen meist 
fehlenden (?), bei den späteren Anfällen mit serös-eitrigen oder 
rein eitrigen Ergüssen gewöhnlich vorhandenen Mikroorganismen 
betrachtet Riedel als ein ätiologisch unwichtiges Accidens. 

Ich habe schon oben die Gründe angegeben, warum ich den 
Begriff der „Perialienitis“ nicht anerkennen kann und auch durch 
Riedel’s Analogieschlüsse nicht für erwiesen ansehe. Folgendes 
möchte ich hinzufügen. Wenn die Steine, was nicht zu bezweifeln 
ist, in vielen Fällen symptomlos ein halbes Menschenleben in der 
Blase liegen können, um schliesslich als zufälliger Befund in der 
kaum veränderten Gallenblase angetroffen zu werden, so können 
sie nicht an sich und auch nicht im Sinne Riedel’s den eigentlichen 
Anlass für den „akuten Anfall“ abgeben. Im Gegenteil, die Tat¬ 
sache des symptomlosen Verweilens .müsste a priori gegen 'die 
Wirkung des corpus alienum, gegen die Annahme einer Perialienitis 
sprechen. Wenn andererseits feststeht, dass so ziemlich in allen 
Fällen, wo Konkremente in der Gallenblase liegen, auch das Vor¬ 
handensein von Mikroorganismen vorausgesetzt werden darf, so ist 
die einfache Annahme einer potenzierten Entzündung unmöglich 
als eine ausreichende Erklärung für die Entstehung des Kolikanfalls 
anzusehen. Denn immer wird man weiter fragen müssen und nur 
dann zu klarerer Anschauung gelangen können, wenn man die 
Frage beantworten kann, durch welches Moment denn die plötz¬ 
liche, blitzartig einsetzende Steigerung der Entzündung ausgelöst 
wird. Mit der vagen Unterstellung des Trauma oder einer vom 
Darm oder vom Blut her eingeleiteten Virulenzsteigerung ist nichts 
gewonnen. Die Forschung nach dem Trauma lässt in der Anamnese 
der Gallensteinkolik genau ebenso im Stich wie bei der Appendicitis, 
und in der Untersuchung der Virulenzsteigerung sind wir lediglich 
auf Vermutungen angewiesen. 

Auch das ist mindestens nicht allgemein richtig, dass der 
Kolikschraerz sich durch die Tatsache der Entzündung erklärt. 
Wenn Riedel den Satz aufstellt, „wo Schmerz ist, da ist Ent¬ 
zündung“, so kann er damit zwar anscheinend auf einem der alten 
Kardinalsätze über den Entzündungsbegriff fussen; trotzdem frägt 
es sich, wie weit der Satz haltbar ist. Wenn man sich gegenwärtig 
hält, wie die offenen Enzündungen in weiten Körperkanälen, also 
z. B. bei typhösen Erkrankungen des Darms oder bei schweren 
katarrhalischen oder dysenterischen Prozessen fast ohne nennens¬ 
werte Schmerzen sich abspielen, wenn man daran denkt, dass wir 
heute die allerschwersten entzündlichen Prozesse, z. B. bei der 
Peritonitis, verlaufen sehen, ohne dass die Schmerzempfindung das 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



418 


S p r c n g e i, 


Digitized by 


Krankheitsbild zu beherrschen braucht, so wird man an der Zu¬ 
verlässigkeit des Axioms zweifelhaft. Und wenn man andererseits 
einen akuten Strangulationsileus in den ersten Stadien mit seinen 
wüsten Schmerzparoxysmen beobachtet hat, so möchte man mit 
grösserer Ueberzeugung sagen, dass nicht die Entzündung den 
Schmerz verursacht, sondern die Okklusion und Retention. Schliess¬ 
lich beweist ja jeder Stirnkopfschmerz beim gemeinen Schnupfen, 
der nachlässt, sobald der Abfluss aus den Nebenhöhlen der Nase 
sich herstellt, jede Eiterverhaltung hinter dem gespannten Trommel- . 
feil und die Erlösung nach der Paracentese, dass nicht die offene, 
sondern die abgeschlossene Entzündung, d. h. das Moment der 
Retention den Schmerz hervorruft. Ich kann es nicht beweisen, 
habe aber oft genug die Vermutung gehabt, und glaube damit 
fremde Beobachtungen bestätigen zu können, dass auch bei der 
Appendicitis der meist sehr heftige Anfangsschmerz so lange 
besteht, als der okkludierte Wurmfortsatz seinen Inhalt fest um¬ 
schlossen hält. Kommt es zur Perforation, vorausgesetzt, dass sie 
nicht ganz frei in die ungeschützte Bauchhöhle erfolgt, so pflegt 
der.Schmerz zunächst nachzulassen; die von Dieulafoy sogen, 
accalmie traitresse, d. h. ein spontaner Nachlass der Schmerzen 
am 2. oder 3. Tage der Appendicitis, den wir Chirurgen heute im 
Zeitalter der Frühoperation nur noch aus der Erinnerung kennen, 
ist vielleicht nichts weiter als die durch spontane Perforation des 
Wurmfortsatzes sich lösende Retention. Wenn ich den Satz auf¬ 
stellen wollte — und ich bin sehr geneigt, es zu tun — wo Schmerz 
ist, da ist Retention, so glaube ich damit der Wahrheit näher zu 
kommen, als es der Riedel’sche Ausspruch tut, und auf den 
„akuten Anfall“ im Gallensteinleiden angewendet, würde er sehr 
wohl geeignet sein, unsere Anschauungen von dem unbestimmten 
Begriff der spontanen Virulenzsteigerung auf das sehr exakte 
mechanische Moment der Retention hinüberzuleiten. 

Die Riedel’schen Deduktionen, die ich trotz meiner ab¬ 
lehnenden Haltung doch als anregend und wertvoll betrachte, 
haben bei den Chirurgen keine sehr eingehende Diskussion hervor¬ 
gerufen; von den Internisten hat Strümpell sie in seinem be¬ 
kannten Lehrbuch zum guten Teil acceptiert. Die „Perialienitis^ 
will er allerdings nicht voll anerkennen, aber doch den langsam 
sich entwickelnden Hydrops im Riedel’schen Sinne mit dem auf i 

ihm sich auf bauenden akut entzündlichen Anfall, wobei er nicht 1 

die „Perialienitis“, sondern das vom Darm her erfolgende Ein¬ 
dringen und die pathogene Wirksamkeit gewisser Bakterien suppo- , 
niert. Ebenso hat er die Riedel’sche Lehre von dem erfolglosen ' 
und erfolgreichen Anfall, sowie den Riedel’schen „Einklemraungs- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallensteinkrankhcit im Liebte der Anfalloperation. 


419 


schmerz“, der sich dem Entzündungsschmerz zugesellen soll, an¬ 
genommen. Ich habe mehrfach betont, dass ich darin ebenso 
wenig eine Aufklärung der pathogenetischen Vorgänge erkennen 
kann. 

Andere Internisten haben sich weniger bedingungslos auf die 
Riedel’schen Anschauungen eingestellt. 

Ewald (Erkrankungen der Gallenblase und Gallengänge) 
wendet sich ausdrücklich gegen die „entzündlichen Sekretions¬ 
koliken“, wie er sie nennt. „Eine entzündliche Schwellung“, — 
die Riedel übrigens weniger ira Sinne haben dürfte, als das akut 
entzündliche Exsudat der Gallenblase mit Dehnung der Wand — 
„wenn sie auch noch so stark ist, kann nur dauernde Schmerzen, 
aber nicht Koliken machen, deren Charakteristikum das plötzliche 
Ansteigen und Zurückgehen der Schmerzen ist“. Auch der sofortige 
Nachlass, bzw. das dauernde Fehlen derselben nach Abgang eines 
Steins, bzw. bei einem nicht erfolgreichen Anfall nach Rückfall 
des Steins in die Blase, spricht gegen die Auffassung der Koliken 
als eines rein entzündlichen Vorganges. Man kann unmöglich an¬ 
nehmen, dass mit dem Moment des Steinabganges auch die Ent¬ 
zündung der Blasenwand aufhört. Die Entzündung'der Blase wird 
zunächst nicht geändert, wäre sie aber die Ursache der Kolik, so 
könnte letztere nicht so plötzlich nachlassen, wie sie es in Wahr¬ 
heit bekanntermassen tut.“ Ewald meint, dass Koliken im eigent¬ 
lichen Sinne nur dadurch entstehen können, dass die Muskulatur 
durch erfolgreiche oder erfolglose Kontraktionen gegen ein Hindernis 
anzukämpfen sucht. Dass „dieses Hindernis indirekt durch die 
Entzündung der Blase oder der Gänge eingeleitet wird“, will Ewald 
nicht bestreiten. 

Die Ewald’schen Einwendungen scheinen mir durchaus be¬ 
achtenswert und sind mir aus dem Grunde besonders sympathisch, 
weil er zur Erklärung des Kolikanfalls das mechanische Moment 
in den Vordergrund drängt. Dass ich seine Beweisführung nicht 
für ausreichend halten kann, ist nach dem Gesagten einleuchtend. 

Naunyn unterscheidet, wie ich der Arbeit Körte’s entnehme, 
zwischen regulärer und irregulärer Cholelithiasis und versteht unter 
der ersteren die ohne wesentliche Entzündung verlaufende, unter 
der zweiten die durch den Hinzutritt von Entzündung komplizierte 
Form der Krankheit. Er hat sich, wie Kehr (1899) ausführt, zur 
Erklärung des Kolikanfalls mehr und mehr der Entzündungstheorie 
zugewandt und gegen die ältere Erklärung ausgesprochen, wonach 
die mit der Wanderung der Steine verbundenen physiologischen 
und physikalischen Vorgänge die Symptome der Gallensteinkolik 
ausmachen, und die Schmerzen der Ausdruck der Reizung und des 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



420 


Sprengel, 


Digitized by 


Zwanges sein sollten, welche die Wand des Ductus cysticus oder 
choledochus durch den eingeklemmten Stein erleidet. 

Körte, dessen Anschauungen über die destruktiven Formen 
der Cholecystitis ich oben eingehend gewürdigt habe, neigt für die 
Erklärung des akuten vorübergehenden Kolikanfalls zu einer prin¬ 
zipiell anderen Erklärung, als bei den oben geschilderten Formen. 
Er meint, „dass beim normalen oder regulären Gallensteinkolik¬ 
anfall, welcher mit Abgang von Steinen endet, und nach dessen 
Beendigung sich die Patienten sehr schnell, oft unmittelbar nach 
Aufhören der Schmerzen wieder wohl fühlen, wesentlich der Reiz 
des Fremdkörpers die Gallenwege zu schmerzhaft empfundenen 
Kontraktionen anregt, ohne dass eine infektiöse Entzündung dabei 
ist. Nach dem Abklingen eines solchen Anfalls wird die vorher 
kaum zu berührende Gallenblasengegend sofort schmerzfrei. Den¬ 
selben Vorgang sehen wir bei den Nierensteinen, solange der Urin 
aseptisch ist. Tritt eine Infektion hinzu, oder bestand schon vor¬ 
her eine Infektion in den Gallenwegen, dann ist der Verlauf ein 
viel schwererer, die Gallenblasengegend bleibt dann auch nach 
dem Abklingen der Koliken schmerzhaft.“ 

Die letztere Unterscheidung, auf die Körte mit Recht beson¬ 
deres Gewicht legt, ist gewiss bedeutungsvoll; seiner Erklärung 
kann ich mich aber nicht anschliessen. Wenn der „Reiz des 
Fremdkörpers“ in den Gallenwegen als solcher die schmerzhaften 
Kontraktionen hervorriefe, so wären die nachweislich nicht so 
seltenen Fälle unerklärlich, in denen man kleine und selbst 
grössere Steine im Ductus cysticus findet, die, offenbar aus der 
Gallenblase in ihn einwandernd, hinter den Klappensegeln stecken 
bleiben, ohne dass im Moment der Operation ein Anfall bestände. 
Ich werde weiter unten solche Fälle abbilden und verweise auf die 
Taf. XVII, Fig*. 11 und 12. Der „Reiz des Fremdkörpers“ allein 
kann es nicht machen, sonst müssten Kranke mit so gelagerten 
Steinen nicht aus den Anfällen herauskomraen. 

Und ferner: bei den infektiösen Formen, die Körte — ent¬ 
gegen meiner Anschauung — prinzipiell von den Gallenstein¬ 
koliken im engeren Sinne scheiden will, wandelt sich allerdings 
das Bild der Kolik im Laufe der klinischen Entwicklung um. Aus 
der Kolik mit den schmerzhaften, wehenartigen Kontraktionen der 
Gallenblasenwand wird das Bild des intraperitonealen Exsudats; 
aber nicht, weil eine Infektion hinzutritt — eine solche entwickelt 
sich immer, und zwar mit dem Moment der Okklusion der mit 
virulentem Inhalt gefüllten Gallenblase, mit anderen Worten , so¬ 
bald aus der „offenen“ Entzündung eine „geschlossene“ wird —, 
sondern weil die Gallenblasenwand, sobald die Lösung der Okklu- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallcnsteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


421 


sion und Retention ausbleibt, ödematös und entzündlich infiltriert 
wird und damit ihre Kontraktionsfähigkeit verliert. 

Den Vergleich mit dem aseptischen Nierenstein möchte ich 
allgemein nicht für zutreffend halten, soweit es sich um die von 
der Gallenblase ausgehende Kolik handelt. Nach meinem Dafür¬ 
halten könnte man höchstens den Verschluss durch den nicht ent¬ 
zündlichen Gallenstein (den radiären Cholesterinstein Aschoff’s) 
bei aseptischem Gallenblaseninhalt in Analogie setzen, zumal auch 
bei seiner dauernden Einklemmung — ebenso wie beim dauernden 
Verschluss durch aseptischen Nierenstein — eine hydropische An¬ 
schwellung des Organs zustande kommt. Wir kommen bei Be¬ 
sprechung des Hydrops darauf zurück. Im übrigen scheint die 
Meinung der Autoren dahin zu gehen, dass auch für die Harn¬ 
leitersteine nicht sowohl der „Reiz des Fremdkörpers“, sondern 
die Okklusion und Retention das schmerzauslösende Moment ist, 
oder, wie Küster sagt, dass „die Ursache der Schmerzen in den 
sehr kraftvollen peristaltischen Bewegungen des Harnleiters zu 
suchen ist, welche reflektorisch ausgelöst werden, um das Hinder¬ 
nis für den Urinabfluss zu beseitigen“. 

Grube und Graff wollen für manche Fälle die Riedel’sche 
Theorie von der Fremdkörperentzündung zulassen, betrachten sie 
aber nicht als das einzige ätiologische Moment. Neben ihm soll 
die mechanische Reizung, welche „die Durchpassierung eines oder 
mehrerer Konkremente aus der Gallenblase nach dem Darm“ her¬ 
vorruft, zur Entstehung der Kolikschmerzen beitragen. „Bei den 
grossen Kolikanfällen summieren sich eine ganze Anzahl von Mo¬ 
menten, um die Wirkung hervorzubringen: Entzündung, Dehnung 
der entzündeten Gallenblase durch das entzündliche Exsudat, Ein¬ 
tritt von Konkrementen in den Gallengang und Durchtritt derselben 
in den Darm oder Zurückgleiten aus dem Ductus cysticus in die 
Gallenblase. Nicht alle Momente spielen bei jeder Kolik eine 
Rolle.“ 

Zum Beweis, dass mechanische Reizung allein heftige Schmerz¬ 
anfälle hervorrufen kann, führen die Verfasser eine Mitteilung von 
Bertelsmann an, der bei Choledochusverschluss durch Tumor 
(ohne Stein) typische Kolikanfälle beobachtet haben will, sowie 
einen Fall von Blutung in die Gallenblase bei Typhus (Solieri), 
in welchem die Austreibung der Blutgerinnsel aus der Gallenblase 
unter schmerzhaften Kontraktionen erfolgt sein soll. 

Die Ansichten Kehr’s über die Erklärung des Kolikanfalls 
habe ich schon oben unter den allgemeinen Vorbemerkungen skizziert. 
Wenn man — ähnlich wie es bei der Theorie des appendicitischen 
Anfalls zulässig ist — die Autoren in zwei Gruppen teilen kann, 


Digitized by 


Go», igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



422 


Sprengel, 


Digitized by 


je nachdem sie sich mit der Annahme einer Infektion begnügen, 
oder sie mindestens ganz vorwiegend in Betracht ziehen, während 
die zweiten ein mechanisches Moment als einleitend oder ver¬ 
stärkend oder konkoraitierend heranziehen wollen, so darf man ihn, 
wie ich glaube, der ersteren Gruppe zurechnen. Auch die Ein¬ 
teilung Kehr’s der akuten Gallenblasenentzündungen in seröse, 
serös-eitrige, phlegmonös-gangränöse Cholecystitis spricht für diese 
Beurteilung der von ihm vertretenen Anschauung. 

Aehnliches dürfte von Aschoff gelten, der sich übrigens 
gerade dieser Frage nicht eingehend angenommen hat. 

Interessant war mir, was vor kurzem Schultze (Posen) in 
der Vereinigung der südostdeutschen Chirurgen über die „Aetiolo- 
gie der akuten Cholecystitis“ ausgeführt hat. Er nennt sie „keine 
einheitliche“. „In einem Falle sind die Steine bzw. die durch sie 
hervorgerufene Stauung das Primäre, dem dann die Infektion des 
Blaseninhalts folgt; im anderen Falle tritt, unabhängig vom Vor¬ 
handensein von Steinen als Metastase entfernter Entzündungsherde 
eine Phlegmone der Blasenwand zuerst auf. Dazwischen viele 
Mischfälle.“ Ich nehme an, da Schultze für seine Fälle die 
„Frühoperation“ vorschlägt in demselben Sinne, wie bei der ana¬ 
logen Behandlung der Appendicitis, dass er nur die schwer de¬ 
struktiven Fälle in Betracht ziehen, die Fälle von typischer Gallen¬ 
steinkolik beiseite lassen will. Aber auch mit dieser Einschränkung 
kann ich ihm nicht zustimmen. Ich habe trotz ziemlich reicher 
Erfahrung keinen einzigen Fall gesehen, in dem ich die Erkran¬ 
kung der Gallenblasenwand als „Metastase eines entfernten Ent¬ 
zündungsherdes“ hätte vermuten können. Immer hatte ich den 
Eindruck, dass das schwere Krankheitsbild primär und ausschliess¬ 
lich durch die Erkrankung der Gallenblase bedingt war. Für diese 
Auffassung spricht im übrigen auch der geradezu koupierende Ein¬ 
fluss der sofortigen Operation. Die Frage scheint mir ähnlich zu 
liegen, wie bezüglich der Bedeutung der Angina tonsillaris als In¬ 
fektionsquelle der Appendicitis; die Analogie ist freilich keine 
vollständige, da die Möglichkeit der Uebertragung von virulentem 
Bakterien material durch Verschlucktwerden (Kretz) selbstverständ¬ 
lich ausfällt,, aber auch die hämatogenetische Uebertragung einer 
schweren Infektion auf die Gallen blasen Wandung müsste mindestens 
durch Einzelfälle näher gerückt werden, wenn man sie anerkennen 
sollte. Bis auf weiteres wird man für die allenfalls in Betracht 
kommenden seltenen Ausnahmen wohl nur eine Zufälligkeit an¬ 
nehmen dürfen. 

Gehe ich nach dieser Besprechung einiger von den neueren 
Autoren vertretenen Anschauungen auf eine Darlegung dessen über, 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lielite der Anfalloperation. 


423 


was ich bei den von mir operierten einschlägigen Fällen von 
akutem, vorübergehendem Steinverschluss der Gallenblase gesehen 
habe, so muss ich von vornherein bemerken, dass das Material 
wesentlich hinter den Fällen der ersten Gruppe zurücksteht. Aus 
einem sehr einfachen Grunde. Der Anfall geht meist vorüber, bevor 
die Kranken sich zur Operation entschliessen. Sie haben nach ihren 
eigenen Erfahrungen ja schliesslich recht, wenn sie darauf bauen, 
dass der schwere Zustand ebenso plötzlich, wie er gekommen ist, 
abklingt. Das geschieht, wie jeder und namentlich jeder Kranke 
weiss, nach einer oder mehreren Stunden, in ungünstigen Fällen 
nach einem halben oder ganzen Tage, und erst, wenn nach dieser 
Zeit die Beschwerden nicht nachlassen, wenn Fieber einsetzt, und 
in der Oberbauchgegend ein typisches Exsudat unter der Leber 
sich bildet, mit anderen Worten, wenn aus dem vorübergehenden 
Steinverschluss eine unlösbare Okklusion und Retention mit den 
deletären Folgen für die Gallenblasenwand wird, entschliesst man 
sich zur Operation. Es würde auch dann noch nicht geschehen, 
wenn nicht in der Ueberzahl der Fälle die falsche Diagnose Appen- 
dicitis ausgesprochen oder vermutet würde, deren schroffere Indi¬ 
kation im Laufe des letzten Jahrzehnts in das Bewusstsein der 
Aerzte und des Publikums eingedrungen ist. Wir glauben es auch 
für die Fälle der zweiten Gruppe mehrfach dieser Fehldiagnose zu 
verdanken zu haben, dass charakteristische Fälle von Cholecystitis 
siniplex (vorübergehender Steinverschluss) im Anfall oder se früh 
nach demselben zur Operation kamen, dass wir die typischen ana¬ 
tomischen Veränderungen studieren konnten. Es kommen im ganzen 
16 in Betracht. Versuchen wir an der Hand einiger besonders in¬ 
struktiver Abbildungen das anatomische Bild zu zeichnen. 

Als typisch betrachte ich den auf Taf. XVII, Fig. 10 abge¬ 
bildeten Fall, der zugleich recht gut illustriert, dass zwischen der 
im ersten Kapitel beschriebenen destruktiven Form und dem unter 
dem Bilde der oberflächlichen Gewebserkrankung verlaufenden lös¬ 
baren Steinverschlusse kein prinzipieller, sondern nur ein gradueller 
Unterschied besteht. 

Die Kranke, E. KL, 40 Jahre alt (amgen. 16. G., entl. 7. 7. 1914), leidet 
seit 15 Jahren an typischen Anfällen von Gallenslcinkolik, die meist * 2 bis 
1 Stunde, ausnahmsweise länger — bis zu 2 Tagen — dauerten. Einmal be¬ 
stand ein Ruhezustand von 5 Jahren, worauf die Anfälle erneut in der alten 
\Y eise einsetzten. In den letzten 4 Wochen gehäuft, wöchentlich etwa 6 mal, 
1 / 2— 3 4 »Stunde. Jetzt trat 2 Tage vor der Aufnahme ein besonders heftiger 
Anfall auf, der nach Morphium an Intensität abnahin und bei der Aufnahme 
augenscheinlich im Abklingen begriffen war. 

Status: Temp. 38,2°, Puls 100. Sehweisshedcoktes (iesieht. Gallenblase 
spontan und auf Druck empfindlich, resistent, in Narkose deutlicher Tumor, der 
bis Nabelhöhe herabreieht. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



424 


Sprengel, 


Digitized by 


Operation am nächsten Tage, wo die Erscheinungen in noch deutlicherem 
Abklingen sind. Schrägschnitt durch den rechten Rectus. Gallenblase mit der 
Leber leicht vorzuwälzen, enthält viele, deutlich facettierte Steine. Der flüssige 
Inhalt gallig gefärbt, etwas trübe, reichliche Fibrinausscheidung, von der auch 
die Schleimhaut bedeckt ist (cf. Abb.). Auf der untersten Falte des Ductus 
cystieus steckt ein facettierter Stein; von ihm ab nach der Gallenblase zu ist 
die Gallenblase hochrot verfärbt, cysticuswärts blass und ohne entzündliche 
Erscheinungen. In der Gallenblasenwand der Halsgegend mehrere deutlich ge¬ 
schwollene Drüsen. Wandung der Gallenblase üdematös, ziemlich stark ver¬ 
dickt, im übrigen nicht nennenswert verändert, nirgends Destruktion. 

Der nächste Fall -- L. B., 28 Jahre alt, aufgen. 1. 4., entl. 14. 4. 1914 — 
lässt schon aus der Abbildung (Taf. XVII, Fig. 11) des Präparats ein weniger 
schweres Krankheitsbild erkennen. Patient war vor 2 Jahren unter ähnlichen 
Beschwerden erkrankt und stand jetzt wieder seit 3 Tagen unter dem Zeichen 
eines deutlichen, aber nicht sehr schweren, nicht fieberhaften Anfalls. S Stunden 
vor der Aufnahme sollen die Beschwerden sich gesteigert haben. Als Appendi- 
eitis geschickt. 

Stat us: Terap. 37,6°, Puls 75—SO. Kein Ikterus. Resistenz in der Gallen¬ 
blasengegend. stark empfindlich. Dämpfung bei Rippenrandperkussion. 

Operation: Schrägschnitt. Umgebung der Gallenblase nicht verändert. 
Gallenblase vergrüssort; lässt sich »ausdrücken. Im Innern eine grössere Zahl 
maulbeerförmige, schrotkorngrossc Pigmentkalksteine, von denen der oberste 
hinter einer Falte des Ductus cystieus sitzt. Galle olivenfarbig; kein seröses 
Exsudat. Wandung deutlich üdematös und ziemlich stark verdickt, nicht 
destruiert. 

Die Untersuchung im pathologischen Institut ergab im Fundus wie im 
Hals gut erhaltene Schleimhaut; es handelte sich also sicher nicht um destruk¬ 
tive Vorgänge. 

Die folgende Abbildung (Bi., Taf. XVII, Fig. 12a, b) steht der 
des eben beschriebenen Präparats nahe, unterscheidet sich aber 
von ihr durch die etwas geringere Markierung der pathogenetischen 
Vorgänge. 

Die 54jährige Frau (aufgen. 4. 12. 1913, entl. 2. 1. 1914) hat seit einem 
Jahr (> Anfälle von Gallensteinkolik durchgcmaclu; kurzdauernd, mit typischen 
Rippenrandschmerzen rechts, nach dem Rücken ausstrahlend. Im Intervall 
Wohlbefinden. Jetzt bestehen seit 2 Tagen wieder Sehmerzen, die durch Mor¬ 
phium bekämpft werden müssen. 

Status: Temperatur und Puls normal. Kein Ikterus. Gallenblasengegend 
spontan und auf Druck empfindlich; resistent. Kein deutlicher Tumor; Dämpfung 
unbestimmt. 

Operation 0. 12.: Schrägschnitt. Gallenblase massig gross, dünnwandig, 
nicht verwachsen. Enthält grünbraune Galle und massenhaft kleine und mittel- 
grosse, zum Teil facettierte Steine. Inhalt schwer ausdrüekbar. Schleimhaut 
etwas üdematös, stellenweise gallig verfärbt, nicht destruiert. 

Die Untersuchung im pathologischen Institut ergibt das Fehlen schwererer 
E n t z ü n d un g s v o rgä n ge. 

Von den Abbildungen lässt die erste die Rötung und Schwellung der 
Schleimhaut erkennen; die zweite zeigt das Festsitzen der kleinen, facettierten 
Steine in den Haustra des Ductus cystieus. Die Veränderungen sind denen 
der vorhergehenden Abbildungen analog, namentlich bezüglich der Rötung und 
üdematösen Schwellung der Schleimhaut, aber weniger ausgesprochen. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfallopcration. 


425 


Die eben dargestellten Fälle und Präparate mögen genügen, 
um meine eingangs dieses Kapitels ausgesprochene Ansicht zu illu¬ 
strieren, dass es sich auch bei dem kurzdauernden typischen Gallen¬ 
steinkolikanfall anatomisch um Steinokklusion mit vorübergehender 
Retention eines virulenten Gallenblaseninhalts handelt. Sie zeigen 
ein sehr übereinstimmendes Bild. Einen oder mehrere, und zwar 
meist kleinere Steine hinter den untersten Falten des Ductus 
cysticus, die Gallenblase gefüllt mit veränderter, manchmal leicht 
getrübter Galle, oft mit entzündlichem, fibrinhaltigem Exsudat, dem 
unter Umständen (cf. Taf. XVII, Fig. 10) Fibrinflocken oder grössere 
Fibrinklumpen beigemischt sind. Die Wandung ist entweder in 
allen Schichten oder nur die Schleimhaut ödematös und dadurch 
verdickt, zeigt aber keine makro- oder mikroskopischen Zeichen 
von Destruktion, und das Peritoneum der Nachbarschaft lässt 
keine Spuren von Durchlässigkeit der Gallenblase — flüssiges 
Frühexsudat, Agglutination mit der Umgebung — erkennen. Der 
Ductus cysticus nach oben vom Gallenblasenhals ist intakt. Nach 
welchen Gesichtspunkten sind diese und gewisse klinische Beob¬ 
achtungen im Sinne der oben vertretenen Erklärung zu verwerten? 

Halten wir uns an das anatomische Bild, um an ihm die 
Reihenfolge der pathogenetischen Vorgänge zu studieren, so ist das 
Vorhandensein einer akuten, bzw. im Abklingen begriffenen Ent¬ 
zündung nicht zu bezweifeln; ebenso erscheint es nicht zweifelhaft, 
dass das Festsitzen eines oder mehrerer Steine oder Steinchen im 
Anfangsteil des Ductus cysticus keine Zufälligkeit sein kann. Ein 
Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen ist wahrscheinlich. 
Welches ist der primäre? 

Ich habe schon oben die Gründe angegeben, welche mich 
a priori gegen die Supposition einer Perialienitis im Riedel’schen 
Sinne einnehmen,* unter deren Einfluss die in der Gallenblase sich 
bildende hydropische Flüssigkeit den Stein durch den Cysticus und 
eventuell auch sofort durch den Choledochus in den Darm treiben 
soll. Auch die unbefangene Betrachtung der Präparate spricht da¬ 
gegen. Vor allem der Umstand, dass der entzündliche Prozess 
genau an dem Sitz der im Anfang des Cysticus sitzenden Steine 
abschneidet und den Cysticus selbst vollkommen unbeteiligt lässt. 
Und doch sollte man genau das Gegenteil erwarten. Denn woher 
sollte die akut einsetzende Infektion anders kommen, als vom Darm 
und Choledochus, und wo sollte sie intensiver einsetzen, als um 
den eng von den Cysticuswänden eingcschlossenen Stein? Wenn 
das nicht der Fall ist — wie ich mich, seit ich darauf achte, mit 
aller Sicherheit überzeugt habe (cf. Taf. XVII, Fig. 10), und wie es 
auch anderen Beobachtern (Kehr) aufgefallen ist —, so hat man 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



426 


Sprengel, 


Digitized by 


nur die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten; entweder man entscheidet 
sich für die Annahme einer aus unbekannter Ursache einsetzenden 
entzündlichen Affektion der Gallenblasenschleimhaut mit ihren 
Folgen, wie Riedel u. a. wollen, oder man hält sich an das hand¬ 
greiflich erkennbare mechanische Moment, das in dem Abschluss 
des Cysticuseingangs gegeben ist und in der Retention des viru¬ 
lenten Gallenblaseninhalts die Ursache der entzündlichen Schleim¬ 
hautveränderungen sieht. 

Aber man kann noch weiter folgern. 

Wenn es für die im ersten Abschnitt besprochenen schwer 
destruktiven Formen — nach der Augenscheinlichkeit des Befundes 
und nach der Ansicht sehr massgebender Autoren — kaum mehr 
zweifelhaft sein kann, dass die Steinokklusion für das Zustande¬ 
kommen der Erscheinungen die mechanische Ursache abgibt, wenn 
jede unbefangene Betrachtung unserer Abbildungen und ihr Ver¬ 
gleich mit der ersten Gruppe zu dem Schluss gelangen muss, dass 
es sich um überaus ähnliche, nur graduell verschiedene Verände¬ 
rungen handelt, so liegt es nahe, auch ätiologisch an überein¬ 
stimmende Vorgänge zu denken. Wie sollte es zugehen, dass in 
der einen Gruppe von Fällen der im Cysticusanfang vor der ober¬ 
flächlich entzündeten Gallenblase steckende Stein etwas prinzipiell 
anderes bedeutete, als in der anderen, bloss weil hier die Ent¬ 
zündungserscheinungen ausgeprägter und tiefer greifend sind? 

Dazu kommen aber, um die Beweisführung eindringlicher zu 
machen, noch einige andere UeberlegUDgen, die sich zum Teil aus 
der Eigenart der klinischen Bilder herleiten. 

Schon Ewald weist darauf hin, dass sich das plötzliche An¬ 
steigen und Zurückgehen der Schmerzen, die man mit gutem Recht 
als wehenartig charakterisieren kann, nur durch die an- und ab¬ 
schwellenden Muskelkontraktionen erklärt. Das ist gewiss zu¬ 
treffend und findet sein Analogon in den gleichartigen Vorgängen, 
z. B. bei Verschluss eines Ureters und ganz besonders in den be¬ 
kannten wehenartigen Kontraktionen der gegen ein Hindernis an¬ 
kämpfenden Darmmuskulatur. Auch bei den Gallensteinkoliken 
kann man in besonders typischen Fällen die wechselnden Stei¬ 
fungen der unter den Bauchdecken palpablen Gallenblase nicht 
selten deutlich wahrnehmen. Ein Rückschluss auf gleichartige 
anatomische Vorbedingungen erscheint schon aus diesem Grunde 
berechtigt. 

Es ist aber auch weiter zutreffend, wenn derselbe Autor das 
plötzliche Auftreten und Verschwinden des ganzen Anfalls als 
gegen einen einfachen entzündlichen Vorgang sprechend hervor¬ 
hebt. Mag man sich diesen, in klassischen Fällen geradezu über- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Uallcnsteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 


427 


raschenden Wechsel mechanisch erklären, oder wie man will, zu 
dem, was man unter dem Bilde einer Entzündung zu begreifen 
pflegt, passt er in keiner Weise; dagegen begreift er sich sehr 
einfach nach der Vorstellung, dass ein Hindernis plötzlich eintritt 
und beseitigt wird. 

In einer ähnlichen Ideenverbindung könnte man die Wirkung 
der Morphiuminjektion im akuten Kolikanfall verwerten. Sie reicht 
nach meiner Ansicht über die Bedeutung eines symptomatisch den 
Schmerz bekämpfenden Mittels hinaus und hat nicht selten einen 
geradezu koupierenden Einfluss. Wie erklärt sich das? Wer den 
Kolikanfall als akut einsetzenden Entzündungsprozess auffasst, 
dürfte wegen der Deutung einigermassen in Verlegenheit kommen; 
denn wie soll die Wirkung auch des kräftigsten Narkotikums die 
Entzündung beeinflussen?! 

Verständlicher könnte es erscheinen, dass der „Reiz des 
Fremdkörpers“, den manche Auroren für die schmerzhaft empfun¬ 
denen Kontraktionen der Gallenwege verantwortlich machen wollen, 
durch das Morphium günstig beeinflusst würde. Aber auch das 
scheint mir angesichts der beigegebenen Abbildungen unwahrschein¬ 
lich, aus denen doch geschlossen werden muss, dass der blosse 
Aufenthalt von kleinen Konkrementen im Ductus cysticus ohne 
ernsthafte Symptome vertragen wird. Auch ist es aus den früheren 
Beobachtungen bekannt, die uns heute, in der Zeit der im allge¬ 
meinen früher einsetzenden Operation seltener zu Gesicht kommen, 
dass der Stein lange Zeit im Cysticus liegen und wachsen kann, 
ohne erkennbare klinische Erscheinungen, insbesondereReizsymptome, 
von seiten der Cysticuswand hervorzurufen. 

Noch plausibler und zugleich eine Stütze für unsere Anschau¬ 
ung von dem Wesen des Kolikanfalls wäre die Annahme, dass das 
Morphium durch Lähmung der Gallenblasenmuskulatur wirkt. 

Um klar zu machen, wie ich mir das vorstelle, möchte ich 
auf den physiologischen Vorgang hinweisen, wie er sich bei der 
periodischen Füllung der Gallenblase abspielen muss. Leichtcn- 
stern hat ihn, wie ich der Monographie von Kehr entnehme, in 
überzeugender Weise dargestellt; jeder, der über diese Dinge nach¬ 
denkt, muss fast notwendig auf dieselbe Ideenverbindung kommen. 
Leichtenstern weist darauf hin, dass die physiologische Füllung 
der Gallenblase nur unter der Voraussetzung eines zeitweise phy¬ 
siologisch gesteigerten Kontraktionszustandes des anatomisch nach¬ 
gewiesenen Sphincters am Choledochusausgange denkbar ist. Die 
Galle wird, abhängig von gewissen Stadien der Verdauung, im 
Ueberfluss produziert und in den Darm ergossen. Hört der Be¬ 
darf — so darf man sich vorstellen — auf, so schliesst sich der 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. .m 


Digitized by 


Go», igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



428 


S p r c n g c 1, 


Digitized by 


Sphinctcr choledochi, und die nachsickernde Galle würde in den 
Choledochus und die feineren Galienwege zurückdrängen, wenn 
sich nicht der Ductus cysticus unter dem Einfluss dieses Druckes 
erweiterte und den Eingang in die Gallenblase freimachte. 

Dass die Sache so ähnlich, wie Leichtenstern zuerst dar¬ 
gestellt hat, liegen muss, kann ich an drei Beobachtungen dem 
Verständnis näher bringen, die ich hier mit den recht charakte¬ 
ristischen Abbildungen einschalten möchte. 

1. L. H., 43 Jahre alt. Witwe, aufgen. 4. 2., entl. 5. 3. 1914. 

Anamnese: Vor 3 Jahren erster akuter Anfall mit Ikterus. Vor 2 Jahren 

sollen o Steine ab lt<‘lt ariden sein. Letzter Anfall am 1. 2. 1914, etwa 4 Stunden 
dauernd. Kein Ikterus. 

Status: Temperatur und Puls normal. Kein Ikterus. Undeutliche druek- 
empfindlirhe Resistenz in der Gallenblasengcirend. 

Operation am 7.2.: Winkelsrhnitt. Gallenblase ziemlich gross. schwer 
ausdriickbar; enthält goldgelbe Galle und mehrere facettierte, kleinhasclmiss- 
grossc Steine. (Taf. XVII, Fig. 13.) 

Ein Stein steckt fest am Eingang des Cysticus; der letztere ist rhole- 
dochuswärts sehlaurhartig erweitert. Im Choledochus, der darmähnlieh erweitert 
erscheint, finden sieh nach Inzision 5 ziemlich grosse Steine, von denen mehrere 
nur mit grosser Mühe aus dem unteren Recessus extrahiert werden. Chole¬ 
cystektomie von rückwärts. Hcpaticusdrainagc. Galle läuft sofort. Verlauf glatt. 

Epikrise. Es handelte sich im Augenblick der Operation um 
einen Ruhezustand, obgleich die Möglichkeit vollkommener Okklu¬ 
sion sowohl am Cysticuseingang wie an der Papille nahelag und 
augenscheinlich mehrfach bestanden hatte. Im Moment der Opera¬ 
tion bestand Abflusshemmung an der Gallenblase, worauf die 
schwere Ausdrückbarkeit derselben hinwies, und Abflusshemraung 
im Choledochus, was die Erweiterung des letzteren selbst und des 
Cvsticusausgangs bis zu dem im Eingang des letzteren steckenden 
Stein beweist. 

2. 0. T., G2 Jahre alt, Rentner, aufgen. 15. 1., gest. März 1914. 

Anamnese: Seit 20 Jahren gallenslcinleidcnd. Typische, sehr heftige 

Koliken von langer Dauer mit freien Intervallen bis zu einem Jahr. Jetzt seit 
3 Wochen fast ununterbrochen Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen. 

Status: Temperatur normal, Puls langsam. Ikterus angedeutet. Gallen- 
blasengegend druckempfindlich. Urin frei. 

Operation am 17. 1.: Winkelsehnilt. Gallenblase geschrumpft, kaum 
erreichbar; rcisst beim Freimachen ein, wobei sich normale Galle entleert. Im 
Ductus cysticus (cf. Taf. XVII. Fig. 14) bei + ein Stein hinter einer Querfalte 
nahe der Gallenblase. Beim Einschneiden auf denselben fliesst reichlich Galle 
vom Choledochus her. In letzterem mehrere Steine, von denen der letzte nach 
langem, vergeblichem Bemühen nur durch die transduodcnale Choledoehotomie 
entfernt werden kann. Abtragung der Gallenblase von rückwärts. Ductus 
cysticus vom Stein ab stark dilatiert. 

Verlauf langsam schlechter werdend. Exitus 2 Monate p. op. unter lang¬ 
samem Verfall. 

A u t op s i e: Pankreasabseess. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


429 


3. A. 1L, 31 Jahre alt, Ehefrau, aufgen. 11. 7., entl. 4. 8. 1914. 

Anamnese: Vor 10 Jahren im Wochenbett Anfall mit schwerem Ikterus. 
Seitdem jedes Jahr heftige Anfälle: jetzt fast täglich heftigste kolikartige Be¬ 
sch werden. 

Status: Auch während zweitägiger Beobachtung mehrfach kurzdauernde 
Anfälle. Abends 40°. Leichter Ikterus. Objektiver Befund —. 

Operation am 13. 7.: Winkelschnitt. Gallenblase klein, geschrumpft; 
hat nur etwas schleimigen Inhalt; Exzision samt dem Ductus eystieus. Auf der 
Abbildung (Taf. XVII, Fig. 15) erkennt man am Eingang in den Ductus eystieus 
hinter einer Querfalte festsitzend einen bohnengrossen Stein. Jenseits desselben 
Ductus eystieus stark ddatiert bis zum Choledochuseingang. Der Stein Hess 
sich nicht in den Choledoehus eindrängen. 

Epikrise. Der Fall ist nicht völlig aufgeklärt. Ein Stein in 
oder neben der Papille fand sich trotz allen Suchens nicht, Pan¬ 
kreaskopf auffallend hart. Ein Hindernis muss bestanden haben. 
Choledoehus anscheinend erweitert. 

Den drei vorstehenden Fällen gemeinsam ist die Erweiterung 
des choledochuswärts gelegenen Cysticusabschnitts bei festsitzendem 
Stein im Anfangsteil des letzteren. Gleichzeitig fand sich der Chole- 
dochus erweitert, einmal mit Papillarstein, einmal mit Steinen im 
unteren Recessus, einmal mit einem zweifellosen, aber nicht deut¬ 
lich definierbaren Hindernis. 

Ich halte diese Erweiterung des Ductus eystieus für typisch 
und, wenn ausgesprochen und dauernd, für einen Beweis, dass eine 
Einengung an der Papille bei gleichzeitigem Abschluss nach der 
Gallenblase hin besteht. Wenn das zutrifft, so muss auch der vor¬ 
übergehende Sphincterverschluss eine vorübergehende Rückstauung 
nach der Gallenblase hin hervorrufen. Das würde für die Berechti¬ 
gung der Leichtenstern’schen Erklärung der Gallenblasenfülluug 
sprechen, und aus diesem Grunde hielt ich mich berechtigt, die 
Fälle hier einzuschalten. Andere haben vielleicht Aehnliches ge¬ 
sehen; an instruktiven Abbildungen fehlt es, soweit ich urteilen 
kann. 

Geht man diesen Gedanken verallgemeinernd nach, so wird 
man zu der Vorstellung gelangen müssen, dass eine Art Widerspiel 
der Kräfte besteht zwischen dem Sphincterverschluss einerseits und 
dem Sekretionsdruck der Leber Kontraktionskraft der Gallen- 
blasenmuscularis andererseits. Die letzteren beiden treten in Aktion, 
d. h. sie entleeren den Inhalt der Gallenwege und der Gallenblase 
in den Darm, sobald der Sphincterverschluss am Choledochusende 
nach lässt. 

Und weiter. Wenn ein Kolikanfall eintritt, wenn also — nach 
unserer Vorstellung — nach Verschluss des Cvsticuseingangs die 
Gallenblasenmuscularis mit gesteigerter Kraft sich bemüht, gegen 
ias Hindernis anzuarbeiten und ihren virulenten Inhalt zu entleeren, 

29* 


Digitized by 


Go», igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



430 


Sprengel, 


Digitized by 


so wäre die Lösung der Kolik nur auf zwei Wegen zu erwarten: 
entweder es gelingt der Kraft der Gallenblase, den Stein durch 
den Ductus cysticus durchzutreiben — was manche Autoren (nach . 
meiner Ueberzeugung mit Unrecht) für ein sehr gewöhnliches Er¬ 
eignis halten — oder der Stein wird unter Rückfluten des Gallen¬ 
stroms in die Gallenblase zurückgedrängt, bzw. in seiner Lage so 
verändert, dass der virulente Gallenblaseninhalt sich wieder ent¬ 
leeren kann. Und dazu, meine ich, könnte die Morphiuminjektion 
beitragen, sobald man sich vorstellt, dass sie die Gallenblasen* 
museularis lähmt. Denn geschieht das, so wird, den fortbestehen- 
den periodischen Verschluss des Sphincter choledochi vorausgesetzt, 
der Sekretionsdruck in den Gallenwegen gross genug sein, um 
einen Teil der sezernierten Galle durch den Cysticus abfluten zu 
lassen und den Verschluss am Eingang desselben aufzuheben. 

So denke ich mir den Vorgang, der die Lösung der Kolik¬ 
anfälle herbeiführen kann. Er hat als schwachen Punkt die Voraus- I 
Setzung, dass da^ Morphium nur auf die Gallenblasenmusculari> 
wirken soll, während es doch gleichzeitig auch den Sphincter 
lähmen könnte. Trotzdem kann man, wie ich glaube, mit dieser 
Hypothese eine gesundere Vorstellung über die Morphiumwirkung 
verbinden, als mit der Annahme, dass die Kraft der Gallenblasen¬ 
wand die Steine durch den Cysticus hindurch triebe, womit dann 
der Anfall „erfolgreich“ würde, d. h. erlöschen soll. Denn bei 
dieser Annahme müsste die Morphiuminjektion, die doch auf alle 
Fälle den objektiv nachweisbaren Effekt hat, die krampfhaften 
Kontraktionen der Gallenblase aufzuheben, einen geradezu nach¬ 
teiligen Einfluss ausüben. ( 

Für unsere Auffassung von der mechanisch bedingten Ent- i 
Stellung der Gallensteinkolik mit nachfolgender Retention des viru¬ 
lenten Gallenblaseninhalts würde endlich noch die Beobachtung 
sprechen, dass die Cholecvstostomie die Gallensteinkolik mit 
grosser Promptheit beseitigt. Fälle, wie den folgenden, die nicht 
allzu selten sind, betrachte ich in dieser Beziehung als beachtens¬ 
wert : 

Paula L., Ehefrau, '22 Jahre alt. aufiren. 4. 3., cntl. im April 1913. 

Anamnese: Seit 3 Monaten, kurz nach der ersten Entbindung. Schmer;» 1 '', 
unter dem rechten Rippenbogen, um die Taille verlaufend. Mehrmals t i i u 1; * - ■. 
kurzdauernde akute Kulikanfiille. die die Kranke kaum zur .Ruhe komn:' 1 : 
lassen. 

Status: Gallenblase auf Druck empfindlieh, keine Resistenz. Kein Ikterus. 
Puls und Temperatur normal. 

Operation: Winkelschnitt. Gallenblase ziemlich tiefliegend, prall ir»'- 
fiillt. Durch Punktion werden 75 ccm gelbe, nicht getrübte Galle entleert. In¬ 
zision. 15 halberhsenirrossp Steine, zum Teil im Gallenblasenhals steckend. 
Tiefe Wege frei. Schleimhaut nicht destruiert, gerötet, sammetartig. 


Gck igle 


Original ffom 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallenstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


431 


Durch typische Drainage der Gallenblase werden alle Beschwerden prompt 
und dauernd beseitigt. 

Aus der Nachbehandlung ist von Interesse, dass die Galle erst vom 
dritten Tage an und auch dann nur kurze Zeit ablief; der Schlauch konnte 
schnell entfernt werden, worauf die Schlauchstellc sich in kürzester Zeit de¬ 
finitiv schloss. 

Solche Fälle, die nach meiner Erfahrung eine Art Typus für 
die schnell verlaufenden, häufigen Koliken bilden, können doch nur 
so erklärt werden, dass der periodisch behinderte Abfluss die Be¬ 
schwerden hervorruft, und diese Behinderung 'wiederum kann nur 
auf dem Andrängen der kleinen, offenbar jungen Steine gegen den 
Cysticus und momentanen Verschluss desselben beruhen; denn das 
Durchtreten der unveränderten Galle kann unmöglich von Belang 
sein. Entfernt man die Steine, ohne sonst irgend etwas an der 
Schleimhaut der Gallenblase vorzunchmen — Spülungen der Gallen¬ 
wege nehme ich niemals vor —, so hören alle Erscheinungen auf. 
Ich bin überzeugt, dass man sich auf die Entfernung der Steine 
mit sofortigem Verschluss der Gallenblase beschränken könnte, wie 
die von sehr beachtenswerter Seite gerühmten Resultate der Chole- 
cystendysc beweisen. Also auch die Adjuvantia, mögen sie nun 
in chirurgischen oder in gewissen, zweifellos nicht bloss symptoma¬ 
tisch, sondern kupierend wirkenden internen Mitteln bestehen, 
sprechen für die Berechtigung unserer Auffassung. 

Wenn ich somit bemüht gewesen bin, für diese mechanische 
Theorie eine ganze Reihe von Gründen anzuführen, so bin ich mir 
doch bewusst, dass sie alle nicht vollkommen schlüssig sind und 
gewisse Einwände zulassen. 

Schon die Frage, durch welche mechanische Aktion die Steine 
in den Cysticuseingang gelangen und sich hier festsetzen, oder 
anders ausgedrückt, warum es ungezählte Fälle von sog. latenter 
Gallensteinerkrankung gibt, in denen die Steine überhaupt keine 
oder nur selten und unter langen Ruhepausen' Okklusionserschei¬ 
nungen machen, ist höchstens vermutungsweise zu beantworten. 
Nach diesem Gesichtspunkt, so könnte es scheinen, wäre die An¬ 
nahme einer Infektion, die unter gewissen, nicht bekannten Um¬ 
ständen vom Darm oder vom Blut her die Gallenblasenschleimhaut 
befällt, das Näherliegende. Nach dem oben Gesagten kann ich das 
nicht zugeben; ich sehe aber auch nicht ein, warum die Vorstellung, 
dass ein Gallenstein sich nur relativ selten hinter einer Falte des 
Ductus cysticus festsetzt, resp. zu Verschlusserscheinungen Anlass 
gibt, befremdlicher sein soll, als dass z. B. eine Darmschlinge, die 
bei einem invariablen Bruch vielleicht Jahre lang in den Leisten¬ 
oder Schenkelkanal gleitet, sich doch nur in einem ganz bestimmten 
Augenblick inkarzeriert; oder warum ein kleiner Choledochusstein sich 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



432 


Sprengel, 


Digitized by 


nur ganz ausnahmsweise in der Papille festsetzt, während er wahr¬ 
scheinlich Monate und Jahre lang in ihrer Nähe hin- und hergleitet. 
Es handelt sich eben wahrscheinlich nicht um einen einzigen mechani¬ 
schen Faktor, sondern um das Zusammentreffen mehrerer, und diese 
zu fordernde Koinzidenz kommt nur ganz ausnahmsweise zustande. 
Gewisse „erschwerende Umstände“ sind uns im übrigen bekannt: 
wir wissen — und etwas Aehnliches gilt auch für den Choledochus¬ 
stein —, dass sich neben dem Eingang in den Ductus cvsticus und 
meist nach oben von ihm nicht selten ein Recessus bildet, der 
offenbar durch die beständige Arbeit der Gallenblasenwand all¬ 
mählich ausgeweitet wird. Der Druck der letzteren muss erheblich 
sein, wie schon die Facettierung der Gallensteine beweist, die doch 
nur durch das beständige Gegeneinanderkneten der Gallensteine 
erklärt werden kann. Wird die Masse der Steine durch den kon¬ 
zentrischen Druck der Gallenblasenmuscularis gegen die Stelle des 
geringsten Widerstandes, d. h. nach dem Ausgang zugedrängt, so 
ist cs an sich begreiflich, dass nur selten ein Stein genau in den 
Ductus cvsticus passt, sich in ihm festsetzt und hinter der ersten 
oder zweiten Querfalte eingeklemmt wird. Jedenfalls ist es durch¬ 
aus verständlich, dass, wenn ein solcher Recessus neben dem 
Gallcnblasenausgang erst einmal gebildet ist, die Steine immer 
wieder in ihn hinein, statt in den Ductus cysticus gelangen. Im 
übrigen braucht man sich hierüber wohl kaum den Kopf zu zer¬ 
brechen; die Tatsache, dass die Steine sich gelegentlich, aber doch 
nur ausnahmsweise am Eingang festsetzen können, wird kaum 
bestritten. 

An zweiter Stelle könnte es gegen die im vorstehenden ver¬ 
tretene Auffassung einnehmen, dass die Steine am Cysticuscingang 
nicht selten so klein sind, dass man sie kaum als ausreichend für 
den hermetischen Abschluss desselben betrachten möchte. Diese 
Schätzung ist nun freilich von relativer Bedeutung. Wer der An¬ 
sicht ist, dass durch den Cysticus Steine bis zu 1 cm Durchmesser 
oder bis zu Haselnussgrösse (Grube und Graff) getrieben werden 
können, wird den Steinen vom Durchmesser einer Erbse oder 
weniger kaum eine erhebliche mechanische Bedeutung beimessen 
wollen. Ich kann einer solchen Annahme nicht zustimmen. Wäre 
sie richtig, so müsste man im Anfall oder gleich nach demselben 
häufiger diesen grösseren Steinen im Cysticus begegnen, und man 
müsste weniger häufig ganz kleine Steine im Cysticus stecken 
bleiben sehen, als es tatsächlich der Fall ist. Ich habe den be¬ 
stimmten Eindruck, ohne es freilich statistisch beweisen zu können, 
dass die Steine, welche die kurzdauernden häufigen Anfälle be¬ 
dingen, im allgemeinen kleiner sind als die, welche der unlösbaren 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallcnsteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 


433 


Okklusion mit nachfolgender destruktiver Cholecystitis das charakte¬ 
ristische Gepräge aufdrücken; es wäre demnach verständlich, dass 
jene leichter durch den zurückflutenden Gallenstrom in die Blase 
zurücksinken, als die letzteren. Ich möchte aber auch weiter 
glauben, dass wir diese ganz grossen Steine im Cysdcus heute 
überhaupt nicht mehr so häufig sehen wie früher, w'eil die Leute 
sich heutzutage früher operieren lassen, als bis die Steine eine 
erhebliche Grösse erreicht haben; diese grossen Steine wachsen 
erst im Cysdcus und zwar, wie ich annehme, namentlich in jenen 
Fällen, in denen die kleine geschrumpfte Gallenblase ihre Aus¬ 
treibungskraft eingebüsst hat, aber immer noch die aus dem 
Choledochus in den Cysdcus zurückstauende Galle das Material 
für die Vergrösserung des Steines darbietet. 

Endlich aber darf jenem Hinweis entgegnet werden, dass nicht 
der Stein für sich allein den Verschluss herbeizuführen braucht. 
Ebenso wie es ganz zweifellos feststeht, dass es absolute dauernde 
Verschlüsse ohne Stein gibt — ich habe oben solche Fälle an¬ 
geführt und werde weiter unten bei Besprechung des Hydrops eine 
weitere einschlägige Beobachtung abbilden —, ebenso kann man 
sich, und zwar- mit noch grösserer Zuversicht, vorstellen, dass ein 
kleiner Stein, der in einer Falte des Cysdcus hin- und hergewälzt 
wird, hier eine Schwellung hervorruft, welche den mechanischen 
Verschluss vollenden hilft. Wir können auch hier auf die von uns 
wiederholt urgierte Verschwellungsfalte im Wurmfortsatz rekurrieren, 
welche entweder für sich allein oder im Verein mit einem Kotstein 
den Wurmfortsatzverschluss zustande bringt. In der Gallenblase 
lassen sich die Verhältnisse allerdings weniger übersichtlich dar¬ 
legen. 

Mit der alten Aunahme freilich, dass gleich nach dem Anfall 
Gallensteine im Stuhlgang gefunden werden, dass diese Steine aus 
der Gallenblase stammen und glatt durch Cysdcus, Choledochus 
und Papille geworfen werden sollten, kann ich meine Auffassung 
nicht in Einklang bringen. Indessen nach allem, was ich bei 
meinen Operationen unter bewusster epikritischer Würdiguug dieser 
Möglichkeit gesehen habe, ist mir der Glaube an diesen Vorgang 
allmählich geschwunden, abgesehen von ganz minimalen Partikelchen, 
die allenfalls mit diesem beschleunigten Verfahren entleert werden. 
Diese Anschauung ist nicht so revolutionär, wie sie manchem er¬ 
scheinen mag. Kehr urteilt sehr ähnlich, wenn er in seiner 
neuesten Monographie sagt: „Was die Auswanderung der Steine 
anlangt, so stehe ich ganz auf dem Standpunkt Langenbuch’s, 
dass grössere Steine nur auf dem Wege der Fistelbildung abgehen, 
und dass mit dem sog. „Gallengries“ und den verseiften Oelklumpcn 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



434 


Sprengel, 


Digitized by 


ein grosser Unfug getrieben wird.“ Viel eher, als dass die im Stuhl 
gefundenen grösseren Steine aus der Gallenblase durch die Gallen- 
wege auswandern sollten, möchte ich glauben, dass gelegentlich 
eine grössere Zahl von Steinen aus dem Choledochus auswandert. 
Ich habe gelegentlich den Choledochus mit 20—30 mittelgrossen 
Steinen gefüllt gesehen und könnte mir allenfalls vorstellen, dass 
der lange zurückgchaltene Gallenstrom schliesslich die Papille 
sprengt oder langsam erweitert, ähnlich wie die Portio uteri inter 
partum von dem vordringenden Kopf allmählich aufgebraucht wird. 
Am Cysticus glaube ich nur einmal eine Art „Aufbrauchen“, d. h. 
eine schlauchartige Erweiterung des ganzen Cysticus bei kleinen 
Steinen gesehen zu haben. 

Es handelte sich um die ,‘M) jährige Ehefrau C., aufiren. 0. l. ; entl. 2o. 1. 1914, 
die seit über 1 2 Jahr an (iallensteinkoliken litt, welche 1—5 Stunden anhi' , lt-:i, 
Intervalle von 1—5 Wochen machten und seit fi Wochen gehäuft auftraten. 

Status: Puls und Temperatur normal. Kein Ikterus. GalhMiblaseriLo^nd 
leicht resistent und etwas empfindlich: Dämpfung bei Kippeni\andperkussi"ii. 

Operation am 7. 1.: Winkelsehnitt. (iallcnhlasc (cf. Taf. XVII. Ei«:. P* : 
gross und lantr. sehlauehartig. zartwandig. Cysticus sozusagen atifgebraucht: er 
wurde dicht am Choleduchus durchtrennt, ist also auf der Abbildung kaum a:> 
besonderes Oruan erkennbar. 

In der (iallenblase klare, gelbbraune Halle und 10—12 linsemrrosse rin* 
incntkalksteine. 

Man könnte allenfalls denken, dass in Fällen frischer Stein¬ 
bildung in sozusagen jungfräulichen Gallenblasen der Ductus cysticus 
sich relativ schnell unter dem austreibenden Druck der Gallenblasen- 
muskulatur „schlauchförmig“ erweiterte und gewissermassen „auf¬ 
gebraucht“ würde. Ein okkludierender Stein des Cysticus nahe dem 
Choledochus wäre Vorbedingung. 

Indessen habe ich diese Beobachtung nur dies eine Mal — 
und zwar bei nicht floriden klinischen Symptomen — gemacht und 
möchte keine verallgemeinernden Schlüsse daraus ziehen. 

Der vorstehende zweite Abschnitt ist etwas umfänglicher aus¬ 
gefallen, als dem Verständnis dienlich sein mag; ich halte es nicht 
für überflüssig, seinen Inhalt in einem kurzen Satze zusammen¬ 
zufassen: Zur Erklärung des akuten vorübergehenden Kolik¬ 
anfalls ist die Annahme spontan auftretender Entzündungs¬ 
vorgänge nicht ausreichend. Es handelt sich vielmehr 
auch hier um Steinokklusion, aber um eine solche, kom¬ 
biniert mit Schleimhautverschwellung am Blasenausgang 
und dadurch bedingte Retention des virulenten Gallen¬ 
blaseninhalts mit der Folgeerscheinung einer Oberflächen¬ 
entzündung der Schleimhaut. Kommt es nicht zur Lösung, 
so muss die Destruktion mit Notwendigkeit folgen. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 435 

Was geschieht, wenn Abschluss bei avirulentem oder schwach 
virulentem Inhalt erfolgt, soll im folgenden Abschnitt besprochen 
werden. 

C. Der Hydrops der Gallenblase: Verschluss der Gallenblase 

bei avirulentem Inhalt. 

Ich möchte meine Ausführungen an die beigegebenen Abbil¬ 
dungen knüpfen, welche nach drei, in letzter Zeit von mir operierten 
typischen Fällen hergestellt sind. Niemand wird ihre Auffassung 
als Hydrops der Gallenblase bestreiten (Taf. XVIII, Fig. 17 a, b, 
18, 19a, b). Von ihnen sehen sich in Fig. 18 und 19 die Gallen¬ 
blasen von aussen so ähnlich, dass sie kaum zu unterscheiden 
wären, während Fig. 17 zwar nach dem blassen, absolut reizlosen 
Verhalten der Gallenblase von aussen und innen, dem Fehlen aller 
Verwachsungen usw. auch unzweifelhaft dem Hydrops zugerechnet, 
bzw. als ihm sehr nahestehend betrachtet werden muss, aber doch 
nach seinem Inhalt insofern differierte, als derselbe nicht rein wässrig, 
mehr schleimig und nicht ganz frei von eitriger Beimischung war. 

Allen drei Fällen gemeinsam ist der Umstand, dass ein voll¬ 
kommener Abschluss des Ductus cysticus besteht — das Aus¬ 
drücken des Gallenblaseninhalts war selbst bei Anwendung kräftiger 
Gewalt nur nach Lüften des Verschlusses möglich —; aber dieser 
Verschluss war in jedem der drei Fälle durch eine verschiedene 
Ursache bedingt. In Fig. 19 hatte sich einer von den die Gallen¬ 
blase füllenden facettierten Cholesterinpigmentkalksteinen hinter 
einer Querfalte des Ductus cysticus festgesetzt und zum völligen 
Verschluss des Ganges geführt. In Fig. 18 fand sich überhaupt 
kein Stein, sondern der Abschluss der Gallenblase war ganz offen¬ 
bar durch Abknickung des sehr langen Ductus cysticus und An¬ 
lötung desselben an die Gallenblasen wand bedingt; er war an sich, 
sobald man ihn ablöste und in die Länge zog, durchgängig. In 
Fig. 17 endlich fanden sich zwei grosse Steine von dem Charakter 
der Cholesterinkalksteine (pathol. Institut), von denen der eine sich 
hinter der untersten Querfalte des Ductus cysticus festgesetzt und 
den Ductus cysticus so fest verschlossen hatte, dass ein gewalt¬ 
sames Ausdrücken der Gallenblase erst nach Luxation des Steins 
aus seinem Lager möglich war. 

Der Inhalt der Gallenblasen von Fig. 17 und 19 wurde bak¬ 
teriologisch untersucht (pathol. Institut) und keimfrei befunden: in 
Fig. 18 war die bakteriologische Untersuchung versehentlich unter¬ 
blieben, es dürfte aber nach sonstigen Erfahrungen gerade bei 
diesem besonders reinen Fall von Hydrops ein Zweifel an der 
Keimfreiheit nicht erhoben werden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



436 


Sprengel, 


Digitized by 


Auch die histologische Untersuchung der Gallenblasenwand 
steht mir durch die gefl. Bemühung von Herrn Prof. Dr. Schultze 
von allen drei Fällen zur Verfügung. 

Sie ergab für Fig. 19: Gallenblasenwand dünnwandig, aus¬ 
gekleidet mit ganz flachem Cylinderepithel; Falten der Drüsen nicht 
mehr vorhanden, nur am Halse noch leichte Einsenkungen. Ent¬ 
zündungserscheinungen fehlen vollkommen. Muskulatur, namentlich 
im Fundus, stark verdünnt. 

Fig. 18: Die vergrösserte Gallenblase zeigt eine vollkommen 
glatte Innenfläche. Die Schleimhaut ist ganz glatt; überall findet 
sich flaches, einschichtiges Epithel, keine typischen Luschka’schen 
Gänge, keine Zeichen von Entzündung. Muskulatur sehr kräftig. 
(? nach dem makroskopischen Befund scheint diese Schätzung schwer 
verständlich. S.) 

Fig. 17: Gallenblasenhals: Oberhalb des Steins Epithel gut er¬ 
halten, Luschka’sche Gänge deutlich und tief, auch in der Tiefe 
das Epithel intakt. Muskulatur kräftig. Am Ort des Steins fehlt 
das Epithel. Fundus: Epithel fehlt; an Stelle der Schleimhaut 
findet sich derbes, faseriges Bindegewebe, das dicht auf der Mus¬ 
kulatur aufliegt. Muskulatur erhalten, aber schwach. Die Gefässe 
zeigen reichlich obliterierende Endarteriitis. 

Also auch in diesem Falle bestätigt die histologische Unter¬ 
suchung, dass das Präparat, obwohl nicht ganz so rein, doch dem 
Hydrops zuzurechnen ist. 

Vergleicht man diese unter sich sehr übereinstimmenden Be¬ 
funde mit denen der Gruppe A, so stimmen sie mit ihnen in dem 
Punkte, dass ein relativ grosser Stein sich hinter einer Querfalte 
des Ductus cvsticus unlösbar festgesetzt hat, vollkommen überein; 
sie stimmen auch in dem Punkte überein, dass die Gallenblase ge¬ 
spannt und erheblich vergrössert, ihr Inhalt vermehrt ist. Dagegen 
besteht eine sehr deutliche und sofort in die Augen fallende Diffe¬ 
renz bezüglich des Inhalts und der Wandveränderungen. In Gruppe A 
bestehen alle Zeichen der Destruktion mit den oben geschilderten 
Folgen, in Gruppe C fehlen sie vollkommen. 

Der Grund dieser Differenz scheint mir einleuchtend. Wenn 
bei demselben Organ derselbe mechanische Vorgang einen so fun¬ 
damental verschiedenen Effekt hat, so muss in dem einen Falle ein 
Faktor hinzukommen, der in dem anderen fehlt, und dieser Faktor 
kann nach dem Augenschein und dem Resultat sachverständiger 
Untersuchung nur der entzündliche sein. 

Wir können aber noch weiter schliessen. Wenn in Gruppe A 
der entzündliche Prozess nachweislich in scharfer Linie von dem 
eingeklemmten Stein an beginnt, choledochuswärts von demselben 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallcnsteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


437 


aufhört, so müssen in der Gallenblase selbst die ursächlichen Fak¬ 
toren für das Aufflammen der Entzündung gesucht werden, sic 
können nicht vom Darm her in sie eingedrungen sein. Anders aus¬ 
gedrückt: Die Okklusion macht die Retention, die in beiden Gruppen 
in die Augen springt, die Retention führt aber nur dann zu ent¬ 
zündlichen Veränderungen der Gallenblase, wenn die letztere mit 
virulentem Inhalt gefüllt ist, die Entzündung bleibt aus, wenn der 
Inhalt keimfrei ist. 

Die Vorgänge der Gruppe B sind schwerer zu deuten, prin¬ 
zipiell lassen sie sich, wie ich ausführlich dargelegt habe, durch¬ 
aus unter dieselben Grundsätze subsumieren. 

Die Deutung des Hydrops der Gallenblase als ein mit 
dem Stein Verschluss zusammenhängender Vorgang ist, soviel ich 
sehe, von einer Reihe Autoren akzeptiert. Im einzelnen gehen die 
Meinungen auseinander. 

Körte (1. c.) betrachtet den Hydrops vesicae felleae als eine 
durch Cysticusverschluss bedingte, in vielen Fällen unschädliche 
Retentionsgeschwulst, aus der aber durch hinzutretende Keime ein 
gefährlicher Zustand hervorgehen kann (S. 56). 

Courvoisier: „Bei Obstruktion des Cysticus findet eine all¬ 
mähliche Umwandlung der zuerst noch in der Blase vorhandenen 
Galle in wässerigen, farblosen Liquor statt.“ Kugel ventilsteine ge¬ 
statten noch den Eintritt, hindern aber den Austritt der Galle 
(eine ähnliche Ueberlegung, wie die oben nach Leichtenstern 
zitierte). 

Walzberg unterscheidet mit Riedel den akuten Hydrops, d. h. 
die verstärkte Sekretion der Schleimhaut infolge von Entzündung 
und den chronischen Hydrops infolge von Einklemmung eines Steins 
im Cysticus. Riedel legt auf diesen akuten „entzündlichen“ 
Hydrops der Gallenblase das Hauptgewicht „in der Pathogenese 
der Gallensteinkolik“ und spricht das Verdikt aus, dass, „wer die 
kardinale Bedeutung des Hydrops vesicae felleae leugnet, noch 
wenig Verständnis vom Gallensteinleiden hat“. Trotz dieses Ana- 
thems kann ich ihm in der Deutung der akut entzündlichen Er¬ 
scheinungen beim akuten Anfall nicht beistimmen. Nach dem oben 
Gesagten bedarf das keiner weiteren Ausführung. Ich bestreite 
nicht die Tatsache, bin aber der Ansicht, dass er Ursache und 
Wirkung verwechselt. 

Grube und Graff halten es für unwahrscheinlich, dass „der 
Hydrops allein auf rein mechanischem Wege durch Steinverschluss 
entstehen kann“, und wollen für seine Entwicklung „ausser der 
Stauung noch eine Entzündung in der Gallenblase mit vermehrtem 
Exsudat, das sich nicht entleeren kann“, annehmen. Darüber lässt 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



438 


Sprengel, 


Digitized by 


sich reden. Sie sagen dann weiter: „Bleibt der Zustand längere 
Zeit bestehen, und vermindert sich der Inhalt durch Aufsaugung, 
sodass die Spannung geringer wird, so hypertrophiert die Mtis- 
cularis infolge der anhaltenden fruchtlosen Versuche und Kon¬ 
traktionen, das Hindernis aus dem Wege zu räumen. Die Wand 
wird dadurch verdickt, die Schleimhaut noch stärker ödematüs. 
und mikroskopisch findet man sie mit Leukocyten und geringen 
frischen Blutungen durchsetzt.“ Wenn die Verfasser, was man 
nach dem Zusammenhang annehmen muss, nicht von dem Hydrops 
im Riederschen Sinne, sondern von dem chronischen Hydrops der 
Gallenblase in der sonst üblichen Bedeutung sprechen, so kann ich 
den letzteren Ausführungen in keinem Punkt beistimmen. Beim 
chronischen Hydrops ist von Oedem der Gallenblasenwand nicht 
die Rede, es ist charakteristisch für ihn, dass entzündliche Ver¬ 
änderungen in der Wand fehlen, es liegt kein greifbarer Anlass zu 
frischen Blutungen vor, und es würde den physiologischen An¬ 
schauungen über das Zustandekommen der Muskelhypertrophie au 
anderen Organen widersprechen, wenn eine atrophische Muscularis 
bloss deshalb ihre Kraft nicht wiedergewänne, sondern sogar hyper- 
trophierte, weil die Spannung durch Resorption des Inhalts etwas 
nachlässt. Ein Muskel kann nur dann hypertrophieren, wenn er 
zwar gegen einen Widerstand, aber einen nicht völlig unüberwind¬ 
lichen arbeitet; anderenfalls erlischt seine Kraft ziemlich schnell, 
und der Muskel wird atrophisch. So sehen wir die Darmmusku¬ 
latur hypertrophieren hinter einer Stenose des Darms, die Blasen¬ 
muskulatur hinter einer Stenose der Urethra, aber Darm- wie 
Blasenmuskulatur werden unter dem Einfluss der Wanddehnung 
arbeitsunfähig und atrophisch, sobald aus der Stenose eine absolute 
Okklusion wird. Verfasser verwechseln, wie ich glaube, die Beob¬ 
achtungen an der Muskulatur an der hydropischen Gallenblase mit 
denen beim Empyem. Bei letzterem, wenn man es, wie ich es 
weiter unten zu tun gedenke, als unvollkommenen Verschluss bei 
virulentem Inhalt definiert, muss es allerdings zu einer Hyper¬ 
trophie der Muscularis kommen, und kommt es tatsächlich dazu. 
Gerade in diesem, wie ich glaube, konstanten Unterschied in der 
Wandung der empvematösen und hydropischen Gallenblase darf 
ich meinen Widerspruch gegen Grube und Graff begründet sehen. 
Ein Analogon könnte ich im Hydrops und Empyem des Wurm¬ 
fortsatzes anführen. Ich komme bei Besprechung des letzteren 
darauf zurück. 

Sehr eingehend hat sich Asch off mit der Pathogenese des 
Gallenblasenhydrops beschäftigt. Ich muss etwas ausführlicher dar- 
legcn, aus welchen Gründen ich ihm nicht völlig beistimmen kann. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 


439 


Aschoff will mit grosser Bestimmtheit, obwohl anscheinend 
lediglich auf hypothetischer Basis (S. 43) einen primär entzünd¬ 
lichen Anfall unterscheiden, der, vorzugsweise unter dem bewegungs¬ 
hemmenden Einfluss des radiären Cholesterinsteins dann entstehen 
soll, wenn pathogene Keime in die Gallenblase gelangen. 

Dieser primäre entzündliche Anfall kann entweder ausheilen 
oder zum chronisch entzündlichen Gallensteinleiden überführen, oder 
den Hydrops der Gallenblase zur Folge haben. Das letztere, so¬ 
bald sich — unter dem Einfluss plötzlicher Kontraktionen der 
Gallenblase oder ähnlichem — der (nicht solitäre) Stein im Gallen¬ 
blasenhals einklemmt. 

Die von vielen angenommene abakterielle Entstehung des Hy¬ 
drops will Aschoff nicht zugeben, vornehmlich auf Grund der 
experimentellen Tatsache, dass — ähnlich wie bei anderen sezernie- 
renden Organen (Nieren) — die Unterbindung des Ductus cysticus 
keinen Hydrops hervorzurufen pflegt. Er hält deshalb daran fest, 
dass in allen Fällen von Hydrops eine Entzündung der Gallen¬ 
blasenwand die Ursache desselben gewesen sein muss, wobei „unter 
dem Einfluss des entzündlichen Exsudats und der in ihm vorhandenen 
Bakterien oder Toxine eine mehr seröse Exsudation unterhalten 
wird und unter allmählicher Klärung die hydropische Flüssigkeit 
entsteht“. 

Die Möglichkeit, dass hydropische Veränderungen sich „auch 
in späteren Stadien des Gallensteinleidens, wenn sich bereits mul¬ 
tiple Pigmentkalksteine gebildet haben“, einstellen können, will 
Aschoff nicht bestreiten, nimmt aber an, dass sich in diesen 
letzteren Fällen „ein Unterschied gegenüber dem Hydrops beim 
Cholesterinstein ergibt“, darin bestehend, dass „stärkere, durch das 
chronische Gallensteinleiden bedingte Veränderungen der Wand be¬ 
stehen, und dass andere (d. h. spätere „entzündliche“) Steinformen, 
Cholesterinkalksteine usw. vorhanden sind. 

Aschoff geht so weit, auf diese theoretischen Erwägungen 
hin einen „primär entzündlichen“ und einen „sekundär entzünd¬ 
lichen“ Hydrops unterscheiden zu wollen. 

Aus den vorstehenden Aschoff’schen Deduktionen gebe ich 
das eine Moment als bedeutungsvoll zu, dass es bisher nicht ge¬ 
lungen ist, mittels einfacher Unterbindung an der tierischen Gallen¬ 
blase das Bild des Hydrops experimentell zu erzeugen, und dass 
hiernach eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die entzündliche Genese 
oder wenigstens für die Mitwirkung eines entzündlichen Moments 
zu supponieren sein könnte. Üb das ausreicht, allen übrigen 
beim Hydrops des Menschen beobachteten Tatsachen die Beweis¬ 
kraft abzusprechen, lasse ich dahingestellt sein. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



440 


Sprengel, 


Digitized by 


Diese Tatsachen — das darf behauptet werden — sprechen, 
an sich und objektiv betrachtet, gegen die entzündliche Genese, 
mindestens gegen die prinzipielle Bedeutung einer solchen in dem 
Asch off’sehen Sinne. 

Es spricht gegen eine solche das nach unseren Erfahrungen 
völlig regelmässige Fehlen entzündlicher Substrate in der Gallen- 
blasenwand; 

es spricht dagegen die regelmässige Keimfreiheit des hydro- 
pischen Gallenblaseninhalts; 

cs spricht dagegen das Zurücktreten aller ernsthaften klinischen 
Erscheinungen im Krankheitsbilde ; 

es sprechen dagegen Fälle, wie der in Taf. XVIII, Fig. 18 
dargestellte, in welchem überhaupt kein Stein vorhanden und keine 
Spur von Entzündung nachweisbar war und trotzdem unter klinisch 
minimalen Unbequemlichkeiten (der Fall wurde als Wanderniere 
eingeliefert) ein grosser hydropischer Tumor zur Entwicklung kam. 

Es sprechen endlich dagegen — wiederum rein objektiv be¬ 
trachtet —, dass das anatomisch völlig übereinstimmende Bild des 
Hydrops entstehen kann bei jeder beliebigen Steiiiformation. Wenn 
Aschoff aus diesem Umstand den entgegengesetzten Schluss zieht 
und, je nachdem es sich um einen radiären Cholesterinstein oder 
um einen „entzündlichen“ Stein handelt, einen „primär entzünd¬ 
lichen“ und einen „sekundär entzündlichen“ Hydrops konstruieren 
will, so macht er diese Unterscheidung — abgesehen davon, dass 
sie keineswegs leicht verständlich ist, seiner Theorie zu Liebe, die 
vorläufig mehr interessant, als strikt bewiesen ist. 

Aus allen Tatsachen kann ich für meine Person schliessen, 
dass für die Genese des Gallenblasenhydrops die entzündlichen 
Momente, wenn sie überhaupt in Betracht zu ziehen sind, im 
klinischen und anatomischen Krankheitsbild gegenüber allen übrigen 
Phasen der Gallensteinkrankheit zurücktreten, dass dagegen als 
das immerwiederkehrende, als präpotent zu betrachtende genetische 
Moment der vollkommene Verschluss des Ductus cysticus zu be¬ 
trachten ist. 

Der Hydrops ist der Verschluss der mit sterilem 
Inhalt gefüllten Gallenblase. 

Will man Fällen wie dem in Taf. XVIII Fig. 17 abgebildeten 
— Beimischung von etwas schleimigem Eiter — eine prinzipielle 
Bedeutung beilegen, so kann man sagen: Hydrops ist der Ver¬ 
schluss der mit sterilem oder steril gewordenem Inhalt ge¬ 
füllten Gallenblase. Man erkennt damit an, dass bei der Ent¬ 
wicklung des Hydrops in irgend einem Sinne die Entzündung eine 
Rolle spielen, resp. eine Entzündung voraufgegangen sein kann, 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallenstcinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


441 


dass aber der fertige Hydrops das Fehlen oder das volle Ab¬ 
gelaufensein der Entzündung voraussetzt. 

Der Hydrops ist nach meiner Ansicht das Gegenteil der Ent¬ 
zündung, der Verschluss der Gallenblase ist das Wesentliche. Und 
gerade weil der Verschluss bei Fortbestehen der Entzündung 
die Möglichkeit eines Hydrops ausschliesst, sollte der Ausdruck 
„entzündlicher Hydrops“ oder gar, wie Asch off will, „primär 
und sekundär entzündlicher Hydrops“ vermieden werden. 

Die letzten Sätze geben zugleich die Erklärung, warum ich 
den Hydrops der Gallenblase in der ersten Gruppe der Gallen¬ 
blasenerkrankungen unterbringe, obwohl er zu den schwereren Er¬ 
scheinungen der destruktiven und akut entzündlichen Cholecystitis 
bei unlösbarem und vorübergehendem Verschluss in auffälligem 
Gegensatz steht. Ich gebe zu, dass man im Zweifel sein kann. 
Will man nach den Folgeerscheinungen einteilen, so könnte es 
richtig erscheinen, den Hydrops unter die Endausgänge im III. Teil 
zu versetzen. Hält man es, wie ich es durchzuführen versucht 
habe, für richtiger, die Einteilung nach dem wichtigsten patho¬ 
genetischen Moment zu treffen, so musste der Hydrops in Teil I 
seine Stelle haben. Denn kaum irgendwo tritt die Tatsache des 
absoluten Verschlusses mit gleicher Deutlichkeit hervor, wie bei 
ihm, nur dass er beim Hydrops nicht einen virulenten, sondern 
einen keimfreien oder keimfrei gewordenen Gallenblaseninhalt hinter 
sich hat. 

II. Teil. 

Veränderungen der Gallenblase imStadinm chronischer Erkrankung. 

Unvollkommener Verschluss: Empyem. 

Einleitende Bemerkung. 

Ich habe der vorstehenden Arbeit den Titel vorangesetzt: 
„Die Gallensteinkrankheit im Licht der Anfalloperation.“ Mit 
gutem Bedacht. Was ich an selbständigen Anschauungen über die 
pathogenetischen Vorgänge an der Gallenblase gewonnen habe, be¬ 
ruht ganz vorwiegend auf der epikritischen Betrachtung des im 
Anfall erlangten anatomischen Präparats. Aber meine Arbeit 
würde unvollständig sein, w r enn ich nicht darzulegen versuchte, ob 
und inwieweit diese Anschauungen sich mit jenen gleichfalls nicht 
seltenen Befunden in Einklang bringen lassen, welche ich ausser¬ 
halb des akuten Krankheitsstadiuras erhoben habe. 

Ich fasse meine Betrachtungen in den nachfolgenden beiden 
Abschnitten zusammen, von denen Teil II die Veränderungen der 
Gallenblase im Stadium chronisch entzündlicher Erkrankung, Teil III 
die Residuen abgelaufener Erkrankungen in sich begreifen wird. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



442 


Sprengel, 


Digitized by 


Indem ich in Teil II nur das Empyem unterbringe, das bis 
heute im allgemeinen zu den akuten Erkrankungen gerechnet zu 
werden pflegt, dagegen unter den Residuen abgelaufener Erkrankung 
(Teil III) diejenigen Prozesse aufzähle, welche, gemeinhin als 
chronisch entzündlich bezeichnet, in den Darstellungen mehrerer 
neuerer Autoren — namentlich bei Aschoff — einen grossen 
und wichtigen Platz einnehmen, setze ich mich in Widerspruch zu 
der herrschenden Anschauung. Zur Rechtfertigung meiner Auf¬ 
fassung möchte ich folgendes hervorheben. 

Der Begriff der chronischen Entzündung ist in der Pathologie 
der höhlenförmig gestalteten Organe bis auf den heutigen Tag un¬ 
klar und schwankend. Ich habe schon in meiner Monographie 
über Appendicitis hervorgehoben, dass in der Gruppe der chro¬ 
nischen Appendicitis manches untergebracht wird, was mit grösserem 
Recht als Residuen abgelaufener Entzündungen, als reparatorische 
Vorgänge nach denselben aufgefasst werden sollte. Seither ist es 
nicht viel anders geworden. Wenn ich sehe, was Sonnen bürg 
in seiner neuesten Bearbeitung des Gegenstandes ira Handbuch der 
praktischen Chirurgie alles in der kurzen Pathologie der chronischen 
Appendicitis — von den Oxyuren des Wurmfortsatzes bis zur 
Typhlocolitis — eingefügt hat, so muss ich annehmen, dass wir 
von einer bewussten kritischen Gliederung der pathologischen Grenz¬ 
gebiete auch heute noch weit entfernt sind. 

Bei der literarischen Beschäftigung mit der Frage der chro¬ 
nischen Cholecystitis habe ich so ziemlich denselben Eindruck ge¬ 
wonnen. 

Manche Autoren (Kehr) sprechen sich ausdrücklich dahin aus, 
dass — ebenso wie bei der Appendicitis — „meist dem akuten 
Stadium der Infektion ein chronisches vorangehe, das mit gar 
keinen oder keinen merkbaren Symptomen einhergeht“, involvieren 
aber für die „chronische Cholecystitis“ die Entwicklung der aller¬ 
schwersten Veränderungen; andere lassen die Abgrenzung der 
chronischen Cholecystitis völlig im Unklaren. 

Aschoff, dessen Gruppierung Kehr in seiner neuesten Mono¬ 
graphie (Neue Deutsche Chirurgie, 8. Bd.) angenommen hat, lässt 
das „chronisch entzündliche Gallensteinleiden“ (ebenso wie den 
Hydrops der Gallenblase) aus den von ihm mehr theoretisch kon¬ 
struierten als tatsächlich fundierten „primären entzündlichen Anfall“ 
hervorgehen, der seinerseits wieder aus der gestauten Gallenblase 
oder bei Verschluss derselben durch den nicht entzündlichen radiären 
Cholesterinstein entstehen soll. 

Das Wesentliche ira Bilde des „chronisch entzündlichen 
Gallenstcinleidens“ ist nach Aschoff das Moment des Reeidi- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte *der Anfallopcration. 


443 


vierens. Unter seinem Einfluss kommt es zu mannigfachen Ver¬ 
änderungen der Gallenblasenwand, die Aschoff als Cholecystitis 
phlegmonosa simplex, ulcerosa, complicata, phlegmonosa gravis, 
ulcerosa gravis unterscheiden will. 

Da Aschoff neben diesen ausdrücklich als rekurrierend 
bezeichneten Formen die zwar nicht prinzipiell, aber doch tatsäch¬ 
lich verschiedenen recenten Cholecystiden in etwa eben so viele 
Gruppen sondern will, so ergibt sich eine Summe von Subtilitäten, 
die man allenfalls dem ständig am Mikroskop arbeitenden patho¬ 
logischen Anatomen, unmöglich aber dem Praktiker auf bürden 
kann. Ich glaube, es gibt nicht zwei Chirurgen in Deutschland, 
welche die Aschoff’sche Einteilung sinngemäss beherrschen. 

Indessen dieser Einwand, obwohl ich ihn als schwerwiegend 
betrachte, ist nicht der Grund, weshalb ich gerade an dieser Stelle 
die Aschoff’sche Einteilung bemängele, sondern das Bedenken, 
dass Aschoff die recidivierende Cholecystitis als „chronisch ent¬ 
zündliches Gallensteinleiden“ bezeichnet. Das muss fast mit Not¬ 
wendigkeit zu Unklarheiten führen. Was Aschoff, wenn ich ihn 
recht verstehe, beschreiben will, jedenfalls tatsächlich an seinen 
Präparaten beschreibt, ist doch die Wirkung des Recidivs, d. h. die 
Wirkung eines umschriebenen, akut destruierenden Vorgangs, und 
das müsste, denke ich, auch in der Bezeichnung der histologischen 
Bilder hervorgehoben werden, wenn man nicht die Vermutung ge¬ 
winnen soll, dass Aschoff die schweren anatomischen Verände¬ 
rungen als Folge unablässig wirkender, also im eigentlichen Sinne 
chronisch entzündlicher Vorgänge auffassen will. Soviel ich seinen 
Ausführungen entnehmen kann, ist das tatsächlich seine Ansicht, 
w r as ich freilich nicht unterschreiben könnte. 

Es scheint mir des Weiteren nicht folgerichtig, wenn Aschoff 
in demselben Kapitel, in welchem er die histologischen Bilder des 
Recidivs, also, wie ich wiederhole, die Wirkungen eines akuten 
Stadiums schildert, unvermittelt eine Cholecystitis cicatricans unter¬ 
bringt. Die Cholecystitis ist im akuten Stadium niemals, im repa- 
ratorischen immer eine cicatricans, und schon deshalb kann dieser 
Name nichts Unterscheidendes haben; sie muss aber auch deshalb 
von den übrigen Formen grundsätzlich getrennt werden, weil der 
Begriff des reparatorischen sich von dem des inflammatorischen mit 
aller Schärfe — zeitlich und histologisch — abhebt. 

Nach dem, was ich an meinen Präparaten abgelesen und durch 
Reflexion weiter entwickelt habe, sollte man in der Pathogenese 
der Appendicitis und Cholecystitis diejenigen Bilder, welche nur 
auf dem Wege akuter, mechanisch bedingter Störungen entstehen 
können, mit aller Bestimmtheit — dem Namen und dem Wesen 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. *jq 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



444 


Sprengel, 


Digitized by 


nach — von denjenigen absondern, welche langsam, durch ununter¬ 
brochene, also im eigentlichen Sinne chronische Vorgänge sich ent¬ 
wickeln. Die letzteren sind ganz offenbar von untergeordneter 
Bedeutung und entsprechen damit dem pathologischen Gesetz, das 
man in der Pathologie aller grösseren röhrenförmigen Organe im 
Gegensatz zu den Erkrankungen parenchymatöser Organe bestätigt 
findet, dass nämlich in dem komplizierten anatomischen Gefüge 
der letzteren jede Störung mechanischer oder entzündlicher Natur 
ungleich schwerer ihren Ausgleich findet, als bei den ersteren. 
Auch für diesen Unterschied ist, wie ich überzeugt bin, die Re¬ 
tention das im letzten Ende ausschlaggebende Moment. Es ist 
begreiflich, um ein Beispiel zu nennen, dass jedes infizierende 
Agens, das die Niere passiert, in dem zarten Maschenwerk der 
Glomeruli und Nierenkanälchen einen leichten Haftpunkt findet, 
während diese Wahrscheinlichkeit um so geringer wird, je weiter 
sich dieses Agens den terminalen Anhängseln der Niere nähert. 
Dem entsprechend gehören die parenchymatösen Entzündungen der 
Niere zu den alltäglichen Erscheinungen, während wir mit selb¬ 
ständigen, chronisch entzündlichen Erkrankungen der Ureteren 
und der Harnblase, wenn wir von gewissen, völlig anders zu be¬ 
wertenden Erkrankungen (Tuberkulose usw.) absehen, kaum zu 
rechnen pflegen. 

Das Gleiche gilt vom Darm; wir wissen (cf. die neuesten 
Untersuchungen von Katzen st ein), dass für die Lokalisation des 
wichtigsten chronisch entzündlichen Prozesses im Darmkanal, das 
Magenulcus, die besonderen mechanischen Verhältnisse am Pylorus 
mitbestimmend sind, und auch für die Erkrankungen des Wurm¬ 
fortsatzes ist in seiner Enge und sackförmigen Formation ganz 
zweifellos die Ursache zu suchen, weshalb er bei im wesentlichen 
gleicher anatomischer Gestaltung so unendlich viel häufiger er¬ 
krankt, als die benachbarten Darmabschnitte. 

In demselben Masse, wie sich für die Deutung der klinischen 
Symptome, insonderheit für die Erklärung des Fiebers, die neuesten 
Anschauungen mehr und mehr dahin entwickeln, dass der Begriff 
des „Resorptionsfiebers“ (cf. Hamm) zugunsten des „Retentions¬ 
fiebers“ aufgegeben wird, in demselben Masse wird man den Ein¬ 
fluss der offenen Entzündung gegen die geschlossene, den Begriff 
der „reinen“ Entzündung gegenüber dem mechanischen Moment der 
Retention mit ihren Konsequenzen zurücktreten lassen müssen. So¬ 
viel ich sehe, ist das auch bei Asch off nicht mit überzeugender 
Klarheit geschehen. 

Indem ich die vorstehenden Bemerkungen niederschreibe, bin 
ich mir des Wagnisses bewusst, mit dem ich an einer Reihe ein- 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


445 


gewurzelter Vorstellungen Kritik übe. Es mag sein, dass ich 
manches, was die Autoren sagen wollen, nicht richtig aufgefasst 
habe. In diesem Falle hat es an meinem guten Willen nicht -ge¬ 
fehlt; ich bin der Belehrung zugänglich, darf aber meinerseits be¬ 
haupten, dass wir in den Kapiteln der Cholecystitis und auch der 
Appendicitis zu grösserer Klarheit und Uebereinstimraung gelangen 
müssen, als auf beiden Gebieten in der einschlägigen Literatur bis 
heute herrscht. 

Ich habe bereits bemerkt, dass ich in Teil II meiner Darstellung 
nur das Empyem unterbringe, weil es nach meiner Auffassung unter 
allen Phasen des Gallensteinleidens allein dem Begriff der chroni¬ 
schen Erkrankung entspricht. Als Beleg meiner Auffassung will 
ich zunächst wiederum einige charakteristische Präparate beschreiben 
und zum Teil abbilden. Ich bemerke im Voraus, dass reine Fälle 
von Empyem nicht eben häufig sind. Uebergänge nach der ein¬ 
fachen und destruktiven Form der Cholecystitis (vorübergehender 
oder dauernder vollkommener Verschluss) verwischen nicht selten 
das anatomische Bild. 

1. S. Wa., 61 Jahre, aufgen. 19. 8., entl. 19. 9. 1914. 

Anamnese: Seit etwa 5 Monaten häufig kurz und länger dauernde An¬ 
fälle. Jetzt seit einer Woche fast ständig Sehmerzen. 

Status: Puls und Temperatur normal. Kein Ikterus. Gallenblasengegend 
empfindlich. Kein Tumor. 

Operation am 20. 8.: Winkelsehnitt. Gallenblase klein, stark verwachsen. 
Zahlreiche kleine facettierte Steine; nicht eingeklemmt. Galle gelb, mit Eiter 
gemischt. Wand verdickt. Schleimhaut ausgesprochen granulierend, welche Be¬ 
schaffenheit sich auch auf den Ductus eysticiis fortsetzt. 

2. M. Th., 56 Jahre, Ehefrau, aufgen. 4. 7., entl. 31. 7. 1912. 

Anamnese: Seit 20 Jahren leichte Anfälle von Gallensteinkolik, die 

während der letzten drei Schwangerschaften zuerst einsetzten. 

Status: Puls und Temperatur normal. Kein Ikterus. Unter der nicht 
nachweislich veränderten Leber ein mit der Atmung beweglicher Tumor. 

Operation am 6.7.: Gallenblase mit trüb-eitriger Flüssigkeit gefüllt, 
enthält 50 erbsen- bis haselnussgrosse gelbbraune Steine, von denen einer aus 
dem Blasenhals herausgedrückt wird. Drainage der Gallenblase. Die Galle 
läuft sofort. Die Wandungen der Gallenblase erscheinen ausserordentlich 
verdickt. 

3. M. Mo., 49 Jahre, Ehefrau, aufgen. 7. 2., entl. 26. 2. 1913. 

Anamnese: Seit wenigen Monaten etwa 20 kurzdauernde Kolikanfälle; 

zwischen den Anfällen dumpfe Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen. 

Status: Gallenblascngcgend druckempfindlich, undeutlich resistent. 

Operation am 8. 2.: Gallenblase enthält ungefähr 100 cem mit Eiter 
vermischte Galle, daneben kleine, offenbar nicht blockierende Steine. Schleim¬ 
haut zeigt stellenweise etwas tiefergreifende Veränderungen. Auch beweist 
leichte Verleitung mit der Nachbarschaft, dass die Wandung nicht mehr völlig 
undurchlässig war. 

30* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



446 


Sprengel, 


Digitized by 


4. L. Sa., 40 Jahre, Witwe, anfgen. 11. 7., entl. 4. 8. 1914. 

Anamnese: Bis zum 20. Lebensjahre mitunter Gallenbrechen; dann an¬ 
geblich nie mehr Beschwerden (?), bis sie vor etwa 5 Tagen mit Schmerzen 
rechts oben und nach dem Rücken zu und Erbrechen erkrankte. 

Status: Puls und Temperatur normal. Gallenblase als Tumor deutlich 
fühlbar. 

Operation: Winkelschnitt. Keine Verwachsungen oder akuten Erschei¬ 
nungen in der Umgebung. Massenhaft kleine und grössere facettierte Steine. 
Schleimhaut bis zu dem im Ductus steckenden facettierten Stein stark ge¬ 
rötet, wie granulierend aussehend. Inhalt: Reichlich alter Eiter, etwas Galle 
und frisches seröses Exsudat. Museularis stark verdickt (Taf. XVIII, Fig. 20). 

Ich betrachte als den klinischen Ausdruck des Gallenblasen- 
empyems jene Fälle, in denen die Krankheit niemals vollständig 
zur Ruhe kommt. Die Kranken klagen über dumpfe, nach dem 
Rücken ausstrahlende Schmerzen unter dem Rippenbogen, die für 
gewöhnlich nicht den Charakter der typischen Kolikanfälle haben, 
obwohl solche als Zwischenerscheinung nicht ausgeschlossen sind. 

Aus dem letzteren Grunde sind die reinen Fälle selten; unter 
unseren Bildern ist kein typischer Fall abgebildet. Eine relativ gute 
Vorstellung gibt Fig. 20 auf Taf. XVIII. 

In den eigentlich typischen Fällen, wie z. B. die Kranken¬ 
geschichte Wa. darstellt, trifft man die Gallenblase mit Eiter oder 
schleimigem Eiter gefüllt, die Schleimhaut sammetartig, gegen den 
Ductus cysticus in der Farbe nicht scharf abgegrenzt; meist er¬ 
scheint auch die Schleimhaut des letzteren wie eine granulierende 
Wundfläche. Auffallend und als charakteristisch zu betrachten ist 
die starke Verdickung der Museularis, die auf der Schnittfläche 
der Wandung, ohne ödematös zu sein, bisweilen förmlich vor¬ 
quillt. 

Die Gegend des Gallenblasenhalses ist meist etwas ver- 
schwollen, beherbergt auch wohl einen kleineren oder grösseren, 
nicht eigentlich festgeklemmten Stein. 

Die Umgebung der Gallenblase zeigt keine frischen Verände¬ 
rungen, keine frische Agglutination mit der Nachbarschaft, kein 
seröses peritoneales Exsudat. 

Ich erkläre mir das anatomische Bild durch die Annahme 
eines unvollkommenen Verschlusses, eines Hindernisses am 
Gallenblasenhals, das zwar die normale Entleerung des Gallen¬ 
blaseninhalts erschwert, aber nicht völlig aufhebt. Es muss also 
eine Stagnation in der Gallenblase eintreten, die weder für die 
Schleimhaut noch für die Museularis gleichgültig ist. Die erstere 
versetzt sie in einen chronischen Reizzustand, durch den sie eine 
eigentümlich sukkulente, sammetartige Beschaffenheit bekommt, und 
die letztere muss wie jede gegen ein Hindernis arbeitende Muscu- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinbranklieit im Lichte der Anfalloperation. 


447 


laris mit der Zeit einen ausgesprochen hypertrophischen Charakter 
bekommen. 

Das Bild ist den typischen Fällen von Wurrnfortsatzempyera 
überaus ähnlich. Auf Taf. XVIII, Fig. 21 bilde ich ein vor kurzem 
durch Operation gewonnenes Präparat ab, welches alle typischen 
Eigentümlichkeiten eines Wurmfortsatzempyems in besonders charak¬ 
teristischer Weise wiedergibt. Man sieht die leichte Stenose am 
"Wurmfortsatzeingang, den eitrigen Inhalt, die sammetartige Schleim¬ 
hautoberfläche und die enorm verdickte Muscularis. 

Das klinische Bild des Falles war folgendes: 

Frl. B., operiert am 1. 7., entl. 14. 7. 1914. 

Schon mehrmals leichte Anfälle in den letzten Wochen; eigentlich dauernde 
Beschwerden. Seit gestern abend krank mit heftigen Schmerzen. 

Puls und Temperatur normal. Druckempfindlichkeit rechts unten. 

Auch insofern ist die Analogie des Wurmfortsatzempyems mit 
dem der Gallenblase eine vollständige, als seine Definition, wie ich 
schon in meiner Monographie der Appendicitis ausgeführt habe, bei 
den Autoren offenbar schwankend ist. Die einen wollen es als etwas 
relativ Häufiges, die anderen als eine Seltenheit betrachten; die 
einen vergleichen es mit einer geladenen Bombe, deren Platzen 
todbringend sein kann, während es von anderen als eine relativ 
harmlose Abnormität betrachtet wird, „auf deren Boden es keine 
schweren Attacken gibt“. Ich gehe also nicht zu weit, wenn ich 
folgere, dass die Autoren unter dem Namen Empyem etwas dem 
Wesen nach Verschiedenes verstehen. 

Eine Verwechslung — und das gilt zugleich von dem Empyem 
der Gallenblase, wie denn überhaupt bei so gleichartig gebauten 
und funktionierenden Organen auch in diesem Punkte von den Er¬ 
krankungen des einen auf die des anderen geschlossen werden 
darf — ist nach zwei Richtungen möglich. 

Einmal würde man zu weit gehen, wenn man jede minimale 
eitrige Beimischung zum Inhalt mit dem Namen Empyem be¬ 
zeichnen wollte. Es ist gar nicht zu bezweifeln, dass auch bei der 
einfachen, schnell nachlassenden Wurmfortsatzentzündung mit vor¬ 
übergehender Retention auf der geschwollenen und geröteten Schleim¬ 
haut die Bestandteile des Eiters nachgewiesen werden können, und 
dasselbe möchte ich von so ziemlich allen Phasen in dem wechsel¬ 
vollen Bilde der Gallenblasenerkrankungen behaupten. Das Charak¬ 
teristikum ist aber neben dem Eiter, und zwar dem Eiter in 
grösserer Ansammlung die dauernde Erschwerung des Abflusses 
mit den charakteristischen Veränderungen für Schleimhaut und Mus¬ 
cularis, und unter dieser Voraussetzung darf das Empyem an beiden 
Organen allerdings als etwas Seltenes betrachtet werden. 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



448 


Sprengel, 


Digitized by 


Vielleicht noch häufiger wird das Empyem — auch das gilt 
gleicherraassen von beiden Organen — mit den akut destruktiven 
Vorgängen konfundiert. Und doch ist die Unterscheidung, wenn 
man sich gewöhnt, auf gewisse bestimmte Merkmale zu achten 
und die prinzipielle Verschiedenheit in der Pathogenese beider Er¬ 
krankungen in Betracht zu ziehen, relativ einfach. Bei der de¬ 
struktiven Cholecystitis (unlösbarer, vollständiger Verschluss bei 
virulentem Gallenblaseninhalt) ist der flüssige Inhalt — ich ver¬ 
weise auf das oben in Teil I Gesagte — ausgesprochen jauchig, 
meist von deutlich brandigem Geruch, dünnflüssig, nicht eitrig, die 
Schleimhaut zerstört und verflüssigt; bei dem Empyem (unvoll¬ 
ständiger Verschluss bei virulentem Inhalt) ist die Schleimhaut 
zwar auch verändert, teilweise ihres Epithels beraubt, aber in einen 
der granulierenden Wundfläche nahestehenden Zustand versetzt und 
deshalb imstande, reinen Eiter abzusondern. Ich meine, wenn man 
das im Auge behält, dann in etwas das klinische Gesamtbild be¬ 
rücksichtigt, so muss man mindestens die typischen Krankheits¬ 
bilder auch im Präparat differenzieren können. 

Nun gibt es freilich genug Uebergangsformen. Gerade für die 
Vorbedingung des Empyems, d. h. für den unvollständigen Stein¬ 
verschluss ist es nicht bloss verständlich, sondern sogar recht nahe¬ 
liegend, dass aus dem unvollständigen Verschluss ein vollständiger 
wird, dass der Stein, der vielleicht längere Zeit locker im Gallen¬ 
blasenhals oder Anfangsteil des Ductus cysticus sass und unter 
dem langsam arbeitenden Druck der Muscularis den Gallenblasen¬ 
inhalt passieren liess, sich fester einkeilt und so in einem ge¬ 
gebenen Moment die Passage vollkommen aufhebt. Je nachdem 
dieser vollkommene Verschluss sich schnell wieder löst, oder zu 
einem unlöslichen wird, müssen, im ersten Fall die charakteristi¬ 
schen Erscheinungen der Cholecystitis simplex, im zweiten die der 
Cholecystitis destructiva eintreten. 

Ich glaube mich überzeugt zu haben, dass diese Ueberlegung 
nicht bloss theoretisch konstruiert ist, sondern durch die tatsäch¬ 
liche Erfahrung bestätigt wird. 

Als Beispiel kann der Fall Sa. dienen. Er war insofern nicht 
rein, als sich in der Gallenblase neben dem Eiter auch etwas 
seröses Exsudat vorfand. Wie soll man es deuten? Zweierlei ist 
möglich. Entweder ein ursprünglich seröses Exsudat der Gallen¬ 
blase hat sich allmählich in Eiter umgesetzt, bzw. es hat sich 
neben dem serösen Erguss zugleich ein eitriger gebildet, oder aber 
der eitrige Erguss hat bereits längere Zeit bestanden und unter 
dem Einfluss einer akuten Okklusion mit nachfolgender Retention 
eines virulenten Gallenblaseninhalts ist dem eitrigen Inhalt ein 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Die Gallenstcinkrankheü im Lirlitc der Anfallopcration. 


449 


akuter seröser Erguss sozusagen aufgesetzt. Wenn ich die Abbil¬ 
dung Sa. auf Taf. XVIII, Fig. 20 mit dem vorher abgebildeten 
Präparat Kl. (Taf. XVII, Fig. 10) vergleiche, so muss ich selbst 
die Berechtigung eines Zweifels in der Auffassung zugeben; denn 
die Bilder gleichen sich tatsächlich sehr. Aber weil sie in wesent¬ 
lichen Punkten — Vergrösserung der Gallenblase, seröser Erguss 
in dieselbe, okkludierender Stein im Ductus cysticus — überein¬ 
stimmen, muss man, um zur Klarheit zu gelangen, auf die Differenz¬ 
punkte ganz besonderes Gewicht legen. Diese sehe ich an zwei 
Stellen. Einmal besteht in dem Fall Kl. (Taf. XVII, Fig. 10) — 
den ich als frische, kurzdauernde Okklusion bei virulentem Inhalt 
auflasse — sehr ausgeprägtes Oedem aller Wandschichten und 
Agglutination mit der Umgebung, was beides in dem Präparat Sa. 
{Taf. XVIII, Fig. 20) fehlt, und andererseits enthält das letztere 
Eiter im Innern, der beim ersten fehlt. Für meine Ueberzeugung 
liegt da die Folgerung nahe, dass der Eiter im Fall Sa. schon 
längere Zeit vorhanden war, und dass das seröse Exsudat sich als 
Folge des akuten vollständigen Verschlusses schnell hinzubildete; 
denn hätte sich der Eiter gleichzeitig gebildet, so würde das eine 
besonders starke Virulenz des gestauten Inhalts beweisen, und be¬ 
stand eine solche, so hätte die Gallenblasenwand im Fall Sa. ebenso 
gut durchlässig werden müssen wie im Fall Kl. Da das erweislich 
nicht der Fall ist, so muss man eine verschiedene Pathogenese, 
nach meiner Auffassung ein frisches, seröses Exsudat bei länger 
bestehender Eiterung annehmen. 

Eine weitere Ueberlegung kommt hinzu. Ich habe eben die 
Möglichkeit angedeutet, dass sich auch die destruktive Form der 
Gral len blasenerkrankung auf einem Empyem aufbauen kann, sobald 
sich aus dem unvollkommenen Verschluss, der das Empyem be¬ 
dingt, der unlösliche, vollkommene Verschluss entwickelt. Die Fig. 22 
auf Taf. XIX stellt einen Fall dar, den ich in diesem Sinne 
auffasse. 

0. Ba., 47 Jahre, Ehefrau, auf gen. 2G. G., entl. 17. 7. 191#. 

Anamnese: Die Kranke litt seit mehr als 10 Jahren an Gallenstcin- 
koliken, mit freien Intervallen bis zu 1 Jahre. Mehrmals Ikterus. Schmerzen 
im Anfall sehr heftig, sonst mehr dumpfes Schmerzgefühl. Jetzt seit 5 Tagen 
krank. 

Status: Tcmp. 37,6°, Puls 110. Rechte Bauchseite sehr empfindlich und 
deutlich gespannt. Gallenblase ragt weit unter der tiefstehenden Leber als prall 
elastischer Tumor vor. 

Operation sofort. Winkelschnitt. Im Peritoneum etwas klares Exsudat. 
Gallenblase sehr gross; enthält etwa 200 ccm Eiter -f- wässriges Exsudat. Stein 
im Gallenblasenhals hinter einer Querfalte des Ductus cysticus; lässt sich nicht 
ausdrücken. Gallenblase mit der Umgebung nicht verwachsen. 


Digitized by 


Gck gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



450 


Sprengel, 


Digitized by 


Die Steine, von denen sieh mehrere frei im Inhalt fanden, hatten den 
Charakter der Kombinationssteine. 

Die Untersuehumr ergab starke Wandverdickung, bis zu 8 mm, starkes 
Gedern der Serosa und Subserosa und ausgesprochen hämorrhagische BesehaiDTi- 
heit der Schleimhaut. Dabei deutlicher Epithelverlust. 

Auch in diesem Falle ist der zugleich eitrige - und seröse Er¬ 
guss für die Deutung entscheidend. Hätte sich das anatomische Bild 
in der gleichen Weise entwickelt, wie es oben die typischen Bilder 
der destruktiven Erkrankung darstellen, so würde der Inhalt nicht 
aus Eiter und entzündlichem, serösem Exsudat, sondern aus dem 
Produkt der verflüssigten, brandig gewordenen Wandschichten, d. h. 
aus brandiger Jauche bestehen. Der vorhandene Eiter beweist, 
dass sich die Wandung eine Zeit lang in einem der Granulations¬ 
fläche ähnlichen Zustand befunden hat, und das entzündliche Ex¬ 
sudat ist nach den Erscheinungen bei den Fällen von kurzdauerndem 
vollständigen Verschluss als ein frisch hinzugekommenes entzünd¬ 
liches Produkt aufzufassen. Da die Wandung nicht mehr intakt, 
sondern hämorrhagisch verändert und, wie das frische Exsudat in 
der Umgebung beweist, nicht mehr undurchlässig war, so nehme 
ich beginnende Destruktion an. 

Ich habe den Eindruck, dass die Fälle von Empyem, in denen 
aus dem unvollkommenen Verschluss ein vollkommener wird, einen 
langsameren Verlauf haben, dass mit anderen Worten die Wan¬ 
dungen der Gallenblase der destruierenden Wirkung des zurück¬ 
gehaltenen virulenten Inhalts einen stärkeren Widerstand entgegen¬ 
setzen, als wenn in einer bis dahin nicht empyematösen Gallen¬ 
blase mit unveränderter Wandung sich ein unlösbarer Verschluss 
entwickelt. In den Fällen Sa. und Ba. bestanden die schweren 
klinischen Erscheinungen bereits 5 Tage; sie mussten nach dem 
anatomischen Bilde zweifellos als Verschlusserschcinungen aufgefasst 
werden, trotzdem waren die Veränderungen der Gallenblasen wand 
vergleichsweise unbedeutend. 

Natürlich kann man mit demselben Recht auch eine geringere 
Virulenz des Inhalts für den langsameren Verlauf verantwortlich 
machen; ich habe nichts dagegen, glaube aber, dass wir damit 
nicht viel weiter kommen. 

Nach der vorstehenden Darlegung erhellt es ohne weiteres, 
dass ich die auf der Basis eines Empyems langsam sich ent¬ 
wickelnden Veränderungen der Gallenblasenwand als nicht sehr 
hochgradig betrachte. Verdickung der Gallenblasenwand durch 
Hypertrophie der Muscularis und infiltrative Entzündungsprozesse, 
die sich von der Schleimhautoberfläche nach der Tiefe zu aus- 
breiten, sind ihre wesentlichen Komponenten. Der Endausgang 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankhcit im Lichte der Anfalloperation. 451 

dieser Wandveränderungen wird uns im nächsten Teil beschäftigen. 
Die interessante Frage, ob die Veränderungen, wie sie sich beim 
Empyem in langsamer Entwicklung vollziehen, einer Rückbildung 
zum normalen Verhalten der Gallenblasenwand zugänglich sind, 
vermag ich nicht zu entscheiden. Wenn die Auffassung richtig 
ist, dass der Grund der empyematösen Erkrankung auf unvoll¬ 
kommenem, periodisch wechselndem Abschluss des virulenten 
Gallenblaseninhalts beruht, so wäre dieser günstige Ausgang, wenn 
auch nicht gerade wahrscheinlich, so doch theoretisch denkbar. 
Strikte Beweise werden sich schwerlich dafür erbringen lassen. 

III. Teil. 

Residuen abgelanfener Erkrankung. — Reparatorische Vorgänge. 

Stadium der Quiescenz. 

Wer dem im Vorstehenden entwickelten Gedankengang gefolgt 
ist, wird es selbstverständlich finden, dass der letzte Teil meiner 
Ausführungen einen sehr bescheidenen Umfang einnimrat. Aus dem 
einfachen Grunde, weil ich — im Gegensatz zu den meisten Be¬ 
arbeitern der Gallensteinfrage — der Ansicht bin, dass die Ver¬ 
änderungen, welche sich an der Gallenblase im Stadium der Ruhe 
vollziehen, ganz vorwiegend reparatorischen Charakters sind, und 
dass alle wichtigen Zerstörungen des Organs als Folgen eines vor¬ 
übergehenden, oder unlösbaren, akut einsetzenden Verschlusses auf¬ 
gefasst werden-müssen. Im übrigen kann es mir nicht beifallen, 
in diesem Punkt die eingehenden histologischen Untersuchungen, 
welche Aschoff über die Ausheilungserscheinungen nach den ver¬ 
schiedenen Formen der recidivierenden Cholecystitis angewendet 
hat, ergänzen zu wollen. 

Nur einige allgemeine Bemerkungen zu demselben Gegenstand 
seien mir gestattet. 

Ich betrachte es — gerade nach dem von mir vertretenen 
Standpunkt — als selbstverständlich, dass die reparatorischen Vor¬ 
gänge, wie sie sich an der Gallenblase nach Rückgang der akuten 
(Verschluss-) Erscheinungen im langsamen Abklingen gestalten, 
nach Intensität, Dauer und Ausdehnung der vorangegangenen akuten 
Erkrankung sehr verschieden ausfallen werden. 

Eine Restitutio ad integrum halte ich nach kurzdauernden An¬ 
fällen von Steinverschluss mit den entsprechenden vorübergehenden 
entzündlichen Folgeerscheinungen für wahrscheinlich; selbst in 
höherem Grade wahrscheinlich, als für die analogen Vorgänge am 
Wurmfortsatz. Aus mehreren Gründen. 

Einmal bietet der ungleich grössere Rauminhalt der Gallenblase 
an sich eine grössere Gewähr für den Ausgleich entzündlicher Pro- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



452 


Sprengel, 


Digitized by 


zesse. Ferner kann man annehmen, dass die Retention der infi¬ 
zierten Galle im allgemeinen von weniger deletärer Bedeutung für 
die Wandung des Organs ist, als der Abschluss des kothaltigen 
Wurmfortsatzinhalts; es ist gewiss kein Zufall, dass die Entwick¬ 
lung eines Hydrops — also Retention eines avirulenten oder aviru- 
lent gewordenen Inhalts — an der Gallenblase zu den ziemlich 
häufigen, am Wurmfortsatz zu den seltensten Vorkommnissen zählt. 

Und endlich lehrt die Beobachtung bei Gallenblasenoperationen, 
dass die entzündlichen Erscheinungen schon kurz nach heftigen, 
aber kurzdauernden Kolikanfällen einem fast normalen Vorhalten 
Platz machen. Vielleicht hat die schnell wieder einsetzende Uebcr- 
flutung der Gallenblasenwand mit der wieder zuströmenden nor¬ 
malen Galle ihren Teil an diesem schnellen Ausgleich, für welchen 
es dem Wurmfortsatz an entsprechenden Hilfsmitteln fehlt. 

Für alle tiefergreifenden akuten Prozesse ist die Narbenbildung 
der charakteristische Spätbefund. Die Gestalt der Narben ist über¬ 
aus verschieden, je nachdem es sich um einen flachen, aber relativ 
weitgreifenden Defekt der Mucosa, oder um eine tiefe Destruktion 
der Wandschichten gehandelt hat, wie wir oben nach unseren Prä¬ 
paraten haben darstellen lassen. Im ersteren Fall sieht man sie 
als hellere Flecken, bisweilen von exquisit strahligem Charakter, 
von der Gallenblasenwand sich abheben, im zweiten dürfte nicht 
selten jene eigentümlich strangartige Form resultieren, bei der die 
Gallenblasenwand von scharf vorspringenden, das Organ schräg 
oder quer verlaufenden Leisten durchzogen wird. Sie sind das Ana¬ 
logon der Strikturen des Wurmfortsatzes; letzteren auch in ihren 
Folgeerscheinungen insofern nicht unähnlich, als sie mitunter die 
Gallenblase in mehrere beutelartige Divertikel abteilen, in denen 
die Steine wie in einem Netz abgeschlossen liegen. Die Abbildun¬ 
gen Sch. (Taf. XIX, Fig. 23) und Bu. (Taf. XIX, Fig. 24) geben 
charakteristische Beispiele wieder; auf der ersteren lässt sich auch 
die Kombination beider Narbenformen nebeneinander erkennen. 

Als die Vorstufe jeder Narbe und zweifellos als der wichtigste 
Teil aller reparatorischen Vorgänge überhaupt ist die Granulations¬ 
bildung zu betrachten. Jeder oberflächliche oder tiefe Substanz¬ 
verlust kann nur auf dem Wege der Granulationsbildung ausgefüllt 
und von den gesund gebliebenen Partien der Nachbarschaft her 
mit Epithel überwachsen werden. Auch ist hierfür die Analogie 
mit anderen, kanalförmig angelegten Organen, ganz besonders 
wiederum mit dem Wurmfortsatz, einleuchtend. Gewisse Besonder¬ 
heiten in diesen Ausheilungsvorgängen hat Asch off in seiner be¬ 
kannten Arbeit in dem Abschnitt „Cicatrices ex cholecystitidc“ 
instruktiv beschrieben. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


453 


Sind durch den destruktiven Prozess sämtliche Schichten der 
Gallenblasenwand, einschliesslich der Serosa, in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen, so muss das Resultat — virtuell betrachtet — die Per¬ 
foration der Gallenblase sein. Tatsächlich kommt es bekanntlich 
in der Ueberzahl der Fälle trotzdem nicht zur Perforation, 
wenigstens nicht in dem Sinne, dass der Gallenblaseninhalt sich 
frei nach aussen entleerte, weil in demselben Masse, als die Wan¬ 
dung defekt wird, die Nachbarschaft sich durch Verklebung an¬ 
lagert und die Lücke schliesst. Es ist anzunehmen, dass selbst 
grosse Defekte, vielleicht des gesamten Gallenblasenfundus, durch 
diesen reparatorischen Vorgang fast latent ausgeglichen werden, 
und dass es sich bei den minimalen Resten der Gallenblase, denen 
man bei Operationen im Stadium der Quiescenz mitunter begegnet, 
nicht immer um einen einfachen Prozess der Schrumpfung, obwohl 
diese wohl immer eine Rolle spielt, sondern um eine Art Neu¬ 
formation der Gallenblase handelt, in der Weise, dass der Fundus 
durch den destruktiven Prozess eingeschmolzen und allmählich 
aufgesogen wird, während sich aus den gesund gebliebenen, dem 
Gallenblasenhals naheliegenden Resten unter dem reparatorischen 
Einfluss der Granulation und Vernarbung eine Art Miniaturgallen¬ 
blase neu formiert. Auch in diesem Punkt wird der Vorgang sehr 
ähnlich sein, wie bei der Appendicitis destructiva, nach welcher 
bekanntlich keineswegs selten ein normaler Abschluss des Wurm¬ 
fortsatzes zustande kommt. 

Nach dem, was ich oben über die Cholecystitis destructiva 
gesagt habe, brauche ich nicht zu betonen, dass nach meiner Auf¬ 
fassung die Perforation der Gallenblase als solcher im Stadium 
der Quiescenz keinen Platz findet. Ich halte es ebenso wenig für 
die Gallenblase für denkbar, dass ein in ihr befindlicher Stein 
durch langsame Verschwärung, Drucknekrose, oder wie man es 
sonst nennen will, ausgestossen wird, wie ich es für die analogen 
Verhältnisse am Wurmfortsatz annehme. 

Für letzteren glaube ich bewiesen und auch wohl in weiteren 
Kreisen zur Anerkennung gebracht zu haben, dass es lediglich auf 
falscher Auslegung des anatomischen Krankheitsbildes beruht, wenn 
man das Loch im Wurmfortsatz, in welchem ein Kotstein frei zu 
Tage liegt, als durch den Druck des Steins bedingt, auffasst. Der 
Kotstein usuriert nicht die Wand, sondern die infolge der Retention 
geplatzte Wand legt sich auf den Stein. Schon nach der Analogie 
mit dem Wurmfortsatz dürfte für die Verhältnisse der Gallenblase 
die gleiche Annahme zutreffen. Sie wird es in um so höherem 
Grade, als die ungleich weiteren Raumverhältnisse der letzteren, 
die Umspülung mit Galle und die Tatsache, dass wir in der Gallen- 


Digitized by 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSUM OF IOWA 



454 


Sprengel, 


Digitizer! by 


blase so überaus gewöhnlich die Steine als zufälligen, offenbar 
vielfach belanglosen Befund erheben, a priori gegen die „Druck- 
usur“ sprechen müssen. 

Trotzdem begegnen wir der Vorstellung, dass durch den Druck 
der Steine ein „Dekubitalgeschwür“ gebildet wird, „bei dem durch 
den Druck des Steines zuerst die Schleimhaut, dann die Muscularis, 
schliesslich auch die Serosa zerstört wird“, selbst in den neuesten 
Spezialwerken der Gallensteinchirurgie; so bei Grube und Graff, 
deren Werk die letzten Worte entnommen sind. 

Aschoff spricht iu dem Kapitel der Cholecystitis ulcerosa 
gravis zwar einerseits von einer schnell fortschreitenden „Nekro¬ 
tisierung oder eitrigen Einschmelzung“, bezeichnet sie aber zugleich 
als Ursache der „breiten oder ulcerösen Perforation, durch welche 
ganze Steine austreten können“, braucht also die Ausdrücke 
Nekrotisierung und Ulceration offenbar in gleichem Sinne, so 
dass ich auch aus diesem Abschnitt seiner Darstellung nicht 
klar zu erkennen vermag, ob er die entzündlichen Vorgänge an 
der Gallenblase als einen akuten oder chronischen Prozess auf¬ 
fassen will. 

Meines Erachtens sollte man eine bestimmte Anschauung über 
diese Dinge auch in der Bezeichnung zur Geltung bringen, was 
keineswegs auf blosse Wortklauberei hinausläuft, sondern ganz 
vorwiegend der begrifflichen Klarheit zugute kommt. Wenn es 
dem allgemeinen Gebrauch entspricht, dass wir mit dem Begriff 
der Ulceration das Merkmal des langsamen, molekularen, oft auf 
der Basis einer septischen Infektion geschehenden Gewebszerfalls, 
mit Nekrose und Gangrän den unter akuten Erscheinungen er¬ 
folgenden Tod grösserer Gewebspartien bezeichnen, so sollte man, 
möchte ich glauben, beide Ausdrücke nicht promiscue gebrauchen. 
Jedenfalls wäre es ein Gewinn, wenn in einer Arbeit von der Be¬ 
deutung der Aschoff’schen jede Möglichkeit einer irrtümlichen 
Auffassung (auch in der Bezeichnung) ausgeschlossen wäre. 

Ich muss bekennen, dass es mir nicht gelungen ist, trotz 
eifriger Bemühung darüber klar zu werden, ob Aschoff die Per¬ 
foration der Gallenblase als einen akuten oder chronischen Vorgang 
aufgefasst haben will. Für mich ist es, wie gesagt, nicht zweifel¬ 
haft, dass eine langsame Durchschwärung des Organs nicht vor¬ 
kommt. Höchstens könnte man in dem besonderen Sinne die 
Perforation als einen reparatorischen Vorgang bezeichnen, als sie 
den Ausgleich einer bestehenden Retention darstellt, dass 
sie also, so deletär sie auch in ihren Folgen sein kann, doch 
einen Heilungsmodus bedeutet, durch welchen das Organ von seinem 
Inhalt befreit wird. Aber daran wird man festhalten müssen, dass 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. .455 

die Perforation ein akut nekrotisierender, nicht ein chronisch ulce- 
rativer Prozess ist. 

Etwas Aehnliches gilt von den Vorgängen, durch welche 
schliesslich eine Kommunikation der Gallenblasenlichtung mit be¬ 
nachbarten Organen, am gewöhnlichsten mit dem Darm, zustande 
kommt. Auch hier wird in erster Linie die Vorstellung zu Recht 
bestehen müssen, dass die Wandung der okkludierten und ge¬ 
spannten Gallenblase an umschriebener Stelle akut perforiert wird, 
während gleichzeitig die benachbarten Organe sich wie ein 
schützender Wall um die geschädigte Stelle herumlegen. Nach 
welchen Gesetzen aber die nach und mit der Perforation alsbald 
einsetzenden reparatorischen Vorgänge sich vollziehen, aus welchem 
Grunde gerade der jeweilig vorliegende und nicht ein beliebig 
anderer Weg dem putriden Gallenblaseninhalt vorgeschrieben wird, 
ist bis heute nicht geklärt. Dass Differenzen im Gewebsdruck 
eine Holle spielen müssen, scheint mir klar, und deshalb sind die¬ 
jenigen, übrigens seltenen Fälle am leichtesten verständlich, in 
denen die perforierte Gallenblase mit der retroparietalen Serosa 
verwächst, letztere durchbrochen wird und nun der Eiter im lockeren 
Zellgewebe des Retroperitoneums weiterwandert. Wann im Einzel¬ 
fall das Duodenum oder der Dickdarm für die Perforation bevor¬ 
zugt wird, hängt bis zum gewissen Grade von der Apposition 
dieser Organe an die Gallenblase ab; warum aber der Eiter nach 
Perforation der Gallenblase in einer bestimmten Richtung weiter¬ 
wandert, während man doch annehmen sollte, dass nach Per¬ 
foration der Gallenblasenwandung und dadurch beseitigter Re¬ 
tentionsspannung der in der Abscesshöhle herrschende Innendruck 
nach allen Seiten gleichmässig wirkt, ist schwer erklärlich. Man 
•wird sich bis auf weiteres mit der Vorstellung einer verschie¬ 
denen Widerstandsfähigkeit der anliegenden Wandungen begnügen 
müssen. 

Ob neben dem eben geschilderten Modus für gewisse 
besondere Fälle die festliegenden Steine in Nachbarorgane 
langsam „durchschwären“ können, muss vorläufig dahingestellt 
bleiben. 

Riedel hat sich mit dieser Frage in einer Arbeit über „partielle 
oder totale Zerstörung von Ductus cysticus und Choledochus durch 
Stein“ vor kurzem damit beschäftigt. Er nimmt mehrere, unter 
sich sehr verschiedene Möglichkeiten für die Fortbewegung 
dieser fixierten Steine an. Insbesondere soll der Cysticusstein 
sowohl durch „Arrosion“ der Cysticus- und Choledochuswand in 
den letzteren Gang gelangen, als auch durch eine Attacke im 
Riedel’schen Sinne, welche „in der Gallenblase und im Ductus 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



456 


Sprengel, 


Digitized by 


cvsticus“ einsetzt, in den Ductus choledochus geworfen werden 
können. Endlich wird auch ein Fall beschrieben, in welchem „ein 
Abscess an die Stelle des Ductus cysticus getreten war“ und „in 
diesem Abscess setzte die entzündliche Attacke ein, durch welche 
innerhalb 24 Stunden mehrere sehr grosse Steine in den Ductus 
choledochus geworfen wurden“. 

Ich möchte glauben, dass Riedel bei dieser letzteren Auf¬ 
fassung selbst für diejenigen zu weit geht, welche an sich geneigt 
sind, seine Theorie von der um die Gallensteine sich entwickelnden 
akut entzündlichen Attacke anerkennen wollen, und kann schlechter¬ 
dings nicht verstehen, wie — wohlgemerkt nach Zerstörung des 
Ganges — der gleiche Mechanismus, der, so lange der Gang be¬ 
steht, mechanisch allenfalls verständlich ist, noch fortwirken und 
die grossen Steine akut in einen präformierten Ausführungsgang 
vorwärtstreiben sollte. 

Viel eher scheinen die Riedel’schen Fälle dafür zu sprechen, 
dass unter der Mitwirkung einer langsam sich entwickelnden Eite¬ 
rung der Fremdkörper, welcher sich einen Ausweg sucht, in ein 
benachbartes Organ Übertritt. Wenn irgendwo, so konnte die 
Riedel’sche Lehre von der „Perialientis“ hier auf Verständnis 
rechnen, wenn sie auch freilich eiue wirkliche Erklärung niemals 
bringen kann. Es wird also — auch nach den Riedel’schen 
Fällen — bei der Perforation die Annahme einer „Durchschwürung“, 
d. h. eines reparatorischen Vorgangs im Sinne einer arrodierenden 
und schliesslich perforierenden LJlceration, gegenüber der Wahr¬ 
scheinlichkeit eines mindestens subakuten Entzündungsprozesses 
zurücktreten müssen. 

Wölfler und Lieblein wollen die Lehre von der sog. direkten 
Fistelbildung, d. h. auf dem Wege langsamer ulcerativer Vorgänge 
aufrecht erhalten. 

Die Frage gehört vielleicht zu denjenigen, die nicht mehr 
aufgeklärt werden können. Man hat sozusagen die Zeit verpasst, 
wo man den Prozessen an den Gallenwegen beliebig lange untätig 
zusah und Gelegenheit gehabt hätte, sich über manche Einzelheiten 
im Mechanismus ihres Ablaufs zu instruieren. 

Als reinstes Beispiel für die langsam sich vollziehenden repa¬ 
ratorischen Vorgänge in der Gallenblasenwand darf man wohl die 
Endausgängc des Empyems in dem von mir vertretenen Sinne 
eines unvollkommenen Gallenblasenverschlusses bei virulentem Inhalt 
betrachten. Von ihnen bis zu den schwer destruktiven, alle Schichten 
der Gallenblasenwand beteiligenden, aber weniger gleichmässig ver¬ 
laufenden Prozessen werden alle möglichen Uebergänge Vorkommen 
müssen. Der Endausgang ist immer die Narbe oder, sobald sie 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die (iallensteinkrankheit im Lichte der Anfallopcration. 


457 


sich, wie beim Empyem, gleichmässig über die ganze Dicke des 
Organs verteilt, die Schrumpfung der Gallenblasenwand. Zu 
einer vollkommenen Obliteration, die am Wurmfortsatz in der Ueber- 
zahl der nicht operativ behandelten Fälle den Endausgang der 
Okklusions- und Entzündungsprozesse und zugleich den definitiven 
Heilungsprozess darstellt, kommt es an der Gallenblase un¬ 
gleich seltener als am Wurmfortsatz. Aber augenscheinlich genügt 
die Schrumpfung in sehr vielen Fällen, um die Heilung anzu¬ 
bahnen. 

Stellt man sich auf den von mir vertretenen Standpunkt, so 
kann man sich vorstellen, dass mit der fortschreitenden Schrumpfung 
des Organs auch der Anlass zu neuem Steinverschluss eingeschränkt 
werden muss, weil es der Gallenblasenlichtung sozusagen an Raum 
zu einer Retention putriden Inhalts und ihrer Wandung an funktions¬ 
fähigen muskulären Elementen fehlt, welche den Stein im Gallen¬ 
blasenhals fixieren und dadurch die Okklusion herbeiführen könnten. 
Was entsprechend der zunehmenden Wandschrumpfung und Ver¬ 
kleinerung des Organs übrig bleibt, ist ein festes, nicht ver¬ 
schlossenes, mit Steinen gefülltes, die Bewegung der Steine aus- 
schliessendes Gebilde, das den Untergang der Funktion der 
Gallenblase, aber auch den Untergang der verhängnisvollen Neben¬ 
wirkung dieser Funktion — der Okklusion und Retention — be¬ 
deutet. 

Einem Einwurf muss ich am Schluss dieser pathogenetischen 
Betrachtungen begegnen. 

Wenn ich dem Einfluss der offenen oder, wenn man lieber 
will, chronischen Entzündung einen untergeordneten Platz einräume, 
wie es auf diesen Blättern geschieht, so begebe ich mich damit 
anscheinend in Widerspruch gegen gewisse Erfahrungen der kli¬ 
nischen und operativen Beobachtung. Denn ebenso wie es am 
Wurmfortsatz auffällt, dass wir in einem anscheinend ersten Anfall 
bisweilen schwereren Veränderungen begegnen, die unbedingt den 
Eindruck des Inveterierten, des nicht frisch Entstehenden machen, 
ebenso treffen wir bei Gallenblasenkranken, die wegen „chronischer“ 
Beschwerden zur Operation kommen und angeblich niemals einem 
akuten Insult unterlegen sind, bisweilen auf recht beträchtliche 
Verärfderungen. Auch das will ich durchaus nicht leugnen, dass 
man, wie Kehr sagt, gelegentlich einen ganz frischen Fall mit 
allen Erscheinungen akuter Erkrankung vor sich zu haben glaubt, 
während die mikroskopische Untersuchung der Gallenblase das 
Vorhandensein alter Veränderungen aufdeckt. Denn dass gewisse 
Veränderungen an den Luschka’schen Gängen und ihrer Umgebung 
in langsamer Entwicklung sich abspielen mögen, habe ich ebenso 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



458 


Sprengel, 


Digitized by 


wenig Anlass zu bestreiten, wie ich die chronischen Veränderun¬ 
gen im Sinne der empyematösen Gallenblasenerkrankung in Ab¬ 
rede stelle. 

Wenn aber Kehr weiter die Meinung ausspricht — wobei er 
sich zweifellos vielseitiger Zustimmung erfreut —, dass auch tiefe 
Ulcerationen auf dem Wege „chronischer Entzündung“ ohne klinisch 
erkennbare Symptome sich entwickeln könnten, so möchte ich das 
mindestens nicht für erwiesen halten oder, besser gesagt, von der 
Vorfrage abhängig machen, ob man nicht den Begriff der chronischen 
Entzündung auch klinisch etwas vorsichtiger anwenden sollte, als 
bis heute geschieht. 

Ich erkläre mir den scheinbaren Widerspruch des Vorhanden¬ 
seins alter Veränderungen und Fehlen prägnanter klinischer Sym¬ 
ptome durch folgende Ueberlegung. 

Einmal sind die anamnestischen Angaben gerade der Gallen¬ 
steinkranken unzuverlässig. Es hat lange gedauert, bis man den 
vielgenannten „Magenkrampf“ durch die richtige Bezeichnung Gallen¬ 
steinkolik ersetzte, und noch heute suchen viele Patienten durch 
jenen gutartiger klingenden Ausdruck ihr Leiden zu verschleiern. 
Ebenso ist es begreiflich, dass bei einem Leiden, das sich in 
einzelnen Attacken meist über eine ganze Reihe von Jahren, nicht 
selten durch ein halbes Menschenleben hinzieht, die einzelnen Phasen 
der Erkrankung in der Erinnerung verblassen. Gewöhnt man sieh, 
die Anamnese genauer aufzunehmen, so findet man doch nicht 
selten sehr bemerkenswerte klinische Daten, welche mitunter ein 
bei der Operation gefundenes anatomisches Bild nachträglich scharf 
beleuchten. So ist es zwar bekannt und auch meiner persönlichen 
Erfahrung entsprechend, dass der Gallenblasenhydrops unter gering¬ 
fügigen Erscheinungen sich entwickelt; findet man aber auf der 
Schleimhaut der hydropischen Gallenblase alte Narben und sonstige 
Zeichen einer überstandenen tieferen Destruktion, so hat man allen 
Anlass, die Anamnese nochmals eingehender aufzunehmen, und 
wird nicht so selten umschriebene Attacken als Ursache jener 
Veränderungen nachweisen können. Nebenbei bemerkt, eine weitere 
Begründung der auch von mir geteilten Ansicht, dass es sich beim 
Hydrops nicht bloss um den dauernden Verschluss bei avirulentcm, 
sondern auch bei avirulent gewordenem Inhalt handelt. * Aber 
selbst wenn in einem Fall die in der eben angedeuteten Richtung 
angestellte Anamnese tatsächlich versagen sollte, so würde ich 
mich deshalb noch nicht zu einer Aenderung meiner Anschauung 
entschliessen. Und zwar weil ich glaube, dass unter Umständen 
selbst ziemlich schwere und zweifellos akut, d. h. anatomisch ge¬ 
sprochen akut sich vollziehende Prozesse in der Bauchhöhle klinisch 


Go^ 'gle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Die (iailensteinkranklieit im Lichte der Anfalloperation. 


459 


unter wenig prägnanten Symptomen verlaufen können. Wenn man 
erlebt hat, dass der Wurmfortsatz bis auf einen kleinen Bürzel 
destruktiv aufgezehrt ist, ohne dass in der Anamnese eine An¬ 
deutung von Appendicitis nachzuweisen wäre, wenn in der Um¬ 
gebung des Wurmfortsatzes bei der gleichen negativen Anamnese 
schwere Verwachsungen und sonstige Spuren akut entzündlicher 
Prozesse sich vorfinden, so kann man nach unseren ganzen Vor¬ 
stellungen doch nicht zweifeln, dass die Wandungen des Organs, 
in dessen Umgebung sich diese Veränderungen finden, zu irgend 
einer Zeit durchlässig geworden und nicht imstande gewesen sind, 
die hinter ihnen sich abspielenden entzündlichen Vorgänge gegen 
die Bauchhöhle abzuschliessen. Man muss also eine im anatomischen 
Sinne akute frühere Erkrankung annehmen. Mit der Gallenblase 
wird es insofern nicht anders sein, als sie, in der Lebernische 
versteckt und dem Netz und Lig. gastro-colicum unmittelbar an¬ 
liegend, sich durch Agglutination mit der Nachbarschaft leicht 
von der freien Bauchhöhle abschliessen kann und es, wie die all¬ 
täglichste Erfahrung beweist, so regelmässig und so sicher tut, 
dass die Perforation der Gallenblase in die freie Bauchhöhle zu 
den seltensten Ereignissen gehört, während die allerschwersten 
destruktiven Prozesse hinter den sehr dichten Verklebungen einen 
rein lokalen Charakter behalten. Unter der Voraussetzung, dass 
der akute Vorgang vom parietalen Bauchfell abgesondert bleibt, 
ist die geringe Schmerzhaftigkeit begreiflich, und es versteht sich 
auch für die Gallenblase, dass destruktive Prozesse, welche — 
nach unserer Auffassung — immer als Folge von Okklusion und 
Retention eines virulenten Inhalts aufzufassen sind, gelegentlich 
unter wenig prägnanten Symptomen verlaufen, und dass ein Schmerz¬ 
anfall von wenigen Stunden, oder eine länger dauernde stärkere 
Unbequemlichkeit in der Oberbauchgegend der klinische Ausdruck 
eines tiefer greifenden Zerstörungsprozesses sein kann. Aber — 
daran allerdings möchte ich festhalten — ohne jeden Schmerz 
kann es nicht abgegangen sein, sobald die Spuren ernsthafter 
Destruktion in Gestalt von Narben usw\ nachweisbar sind. Nur 
der unkomplizierte Hydrops, d. h. die einfache Retention eines 
von Anfang an avirulenten Gallenblaseninhalts mag wohl ohne 
nennenswerte Empfindungen verlaufen. Je virulenter der Inhalt 
eines verschlossenen Organs, um so intensiver der Spannungs¬ 
schmerz, um so eindringlicher die entzündliche Reaktion auf die 
Nachbarschaft. 

Noch eine weitere Reflexion führt zu demselben Resultat. 
Wenn es schon schwer ist, sich vorzustellen, aus welchem Grunde 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft B. ‘{] 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



460 


S p r e n g e 1, 


Digitized by 


ein Hohlorgan mit offenem Ausführungsgang plötzlich und ohne 
den Hintergrund einer spezifischen Diathese einem chronisch ent¬ 
zündlichen, von Vielen geradezu als ulcerativ bezeichneten Prozess 
verfallen sollte, so fehlt erst recht jede Erklärung dafür, aus 
welchem Grunde und in welchem Augenblick der entzündliche 
Prozess sein Ende finden und in den reparativen übergehen sollte, 
anders ausgedrückt, durch welchen Vorgang sich nach geschehener 
Destruktion eine glatte weissliche Narbe auf der sonst gesunden 
Gallenblasenschleimhaut entwickelt. Nehme ich dagegen an. dass 
die Destruktion nur dann entsteht, wenn bei eintretendem und 
länger bestehendem Verschluss Abschluss eines virulenten Inhalt> 
erfolgt, so ist die Antwort leicht. Die Reparation beginnt, sobald 
die Okklusion aufhört oder ausgeglichen wird. Es ist derselbe 
Grund, aus welchem ein Abscess vernarbt, d. h. reparativ aus¬ 
geglichen wird, sobald man ihn incidiert. Recht alltägliche patho¬ 
logische Vorgänge dürften somit für die von uns dargelegte Auf¬ 
fassung sprechen. 

Indem ich sie vertrete, muss ich den Einwurf zulassen, dass 
auf ihrer Basis die klinische Abgrenzung der akuten Vorgänge 
von den chronischen nicht immer durchführbar sein wird. Das 
mag sein. Ich behaupte nicht, dass das anatomische Bild immer 
in dem klinischen Verhalten seinen schablonenmässigen Ausdruck 
finden muss. Trotzdem werden wir nur an bestimmten und zweifels¬ 
frei erklärten anatomischen Bildern unsere klinische Auffassung 
weiter entwickeln können. Und wenn es mir gelungen sein sollte, 
festzustellen, dass die Okklusion und Retention in einer erheblichen 
Zahl von Fällen das anatomische Bild der Destruktion tatsächlich 
bringt, und dass die Bilder von vorübergehendem und von unvoll¬ 
kommenem Verschluss auf dem Untergründe einer ähnlichen Ent¬ 
wicklung sich darstellen, so wäre dieses Resultat immerhin auch 
nach klinischen Gesichtspunkten fruchtbar. 


Literatur. 

A sclioff. Die Wurmfnrtsatzentziindung. Jena, Fischer. IDOS. 

Asehoff und Haemeister, Die Cholelithiasis. Jena, Fischer, 1909. 

Aschoff. Wie entstehen die reinen Cholesterinsteine? Münchener med. Winden - 
schrift. 1918. Nr. 8*2. 

Daniele hon, Erfahrungen über Cholecystektomie und Chnleevsteniernstimilc. 
.Jena, Fischer, 190h. 

Barsen, Feber die Struktur und die Pathogenese der Gallensteine. Berlin. 
Karner, 1909. 

v. Brunn, Was wissen wir von der Actiolngie der Appendieitis und den I r- 
Sachen ihres gehäuften Auftretens? Ergehn, d. Chir. u. Orthnp. Bd. 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


461 


Co u rvuisi er, Kasuistisch-statistische Beiträge zur Pathologie und Chirurgie 
der Gallenwege. Leipzig, Vogel. 1890. 

Ewald, Erkrankungen der Gallenblase und Gallengänge. Moderne ärztl. Bild. 
Berlin. Simion, 1904. 

Ehrhardt, Beiträge zur pathologischen Anatomie und Klinik des Gallenstein¬ 
leidens. Areh. f. klin. Chir. Bd. S9. 

Grube und Graff, Die Gallensteinkrankheil und ihre Behandlung vom Stand¬ 
punkt des inneren Mediziners und Chirurgen. Jena, Fischer, 1912. 
Hurtig, Beiträge zur Perforation und Nekrose der Gallenblase. Bruns* Beitr. 
Bd. 68. 

Hai st. Erfahrungen über Cholecystitisoperationen und Leberchirurgie. Bruns* 
Beitr. Bd. 63. 

Hamm, Resorptionsfieber oder Retentionsfieber? Münchener med. Wochenschr. 

1914. 

Harttung, Der Einfluss der Harnstauung auf die Entstehung der pyogenen 
Niereninfektion. Bruns* Beitr. Bd. 93. 

Heile, Zur Klärung der Pathogenese der Wurmfortsatzentzündung auf Grund 
experimenteller und bakteriologischer Untersuchungen. Mitteil, aus den 
Grenzgeb. Bd. 22. 

Käppis, Beiträge zur Frage der Sensibilität der Bauchhöhle. Mitteil, aus den 
Grenzgeb. Bd. 26. 

Katzenstein, Beitrag zur Entstehung des Magengeschwürs. Arch. f. klin. 
Chir. Bd. 100, 101. 

Kehr, Die chirurgische Behandlung der Gallensteinkrankheit. Berlin 1896. - 
Anleitung zur Erlernung der Diagnostik der einzelnen Formen der Gallen¬ 
steinkrankheit. Berlin 1899. — Die Praxis der Gallemvege-Chirurgie in 
Wort und Bild. München, Lehmann, 1913. — Chirurgie der Gallenwege. 
Neue Deutsche Chirurgie. 

Klecki, Recherehes sur la pathogenie de la peritonite d'origirie intestinale; 

etude de la virulence du eolihacille. Ann. de Einst. Pasteur. 1895. T. 9. 
Kürte, Beiträge zur Chirurgie der Gallenwege und der Leber. Berlin, Hirsch¬ 
wald, 1905. -- Weitere Erfahrungen über Operationen an den Gallen¬ 
wegen. Arch. f. klin. Chir. Bd. 89. 

Kretz, Untersuchungen über die Aetiologie der Appcndieitis. Mitteil, aus den 
Grenzgeb. Bd. 17. 

Küster, Chirurgie der Nieren. Deutsche Chirurgie. 

Lieblein und Hilgenreincr, Die Geschwüre und die erworbenen’Fisteln des 
Magen-Darmkanals. Deutsche Chirurgie. 1905. 

Makai. Uehor Frühoperationen bei Gallenblasenentzündungen. Yirrhow s Areh. 
Bd. 213. 

Miyake, Studien zur Aetiologie der Gallensteine. Archiv f. klin. Chirurgie. 
Bd. 101. 

Muthmann, Beiträge zur vergleichenden Anatomie des Blinddarms und der 
lyinphoiden Organe bei Säugetieren und Vögeln. Anat. Hefte. Bd. 48. 
Wiesbaden, Bergmann, 1913. 

Riedel, Zur Pathogenese und Diagnose des Gallensteinkolikanfalls. Mitteil, 
a. d. Grenzgeb. 1898. Bd. 3. — Partielle oder totale Zerstörung von 
Ductus eysticus und choledochus durch Stein. Münchener med. Wochen¬ 
schrift. 1912. — Wodurch entsteht vorwiegend der reell litlmgene Ikterus? 
Deutsche med. Wochenschr. 1914. 

Srhullzc, Zur Chirurgie der akuten Cholecystitis. Ccniralbl. f. Chir. 1914. 
Sick, Gallcnblasenpcritonitis. Centralbl. f. Chir. 1914. 

31* 


Digitized by 


Gck igle 


Original frurn 

UMIVERSITY OF IOWA 



462 Spr(*nirel. Die Gallensteinkrankheit im Lichte der Anfalloperation. 


Digitized by 


Solieri, lieber ein pathogenetisches Moment der Gallensteinkolik bei einigen 
Formen der Cholecystitis ohne Stein. Deutsche med. Woehenschriit. 

1911. 

Sprengel, Appendicitis. Deutsche Chirurgie. 1906. — Operative Behandlung 
der Appendicitis und Peritonitis. Operationslehre von Bier, Braun un i 
K ii rn me 11. 

Toi da, Zur Frage von der Sterilität der Galle unter normalen Verhältuis>en 
und über ihre bakterieide Wirkung auf pathogene Bakterien. Aivli. 1. 
klin. Chir. Bd. 103. 

Walzberg. Die Gallensteinkrankheit und ihre Behandlung. Minden i. W.. 
.Bruns* Verlag, 1905. 


Berichtigung. 

Auf S. MST lies: Tab XVI, Fig. 3a und h. 
Auf S. 3SS lies: Taf. XVI, Fig. 4. 


Gck 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



XV. 


Eine bisher unbekannte Gesehlechtsteil- 
missbildung beim Mann, 

Von 

Dr. Felix Danziger, 

Chirurg in Berlin. 

(Mit 2 Textfiguren.) 

Am 15. September 1914 beobachtete ich bei einem russischen 
Verwundeten in Sosnow nahe der Weichsel eine Missbildung am 
Geschlechtsteil. 

Es handelte sich um einen sonst völlig normal gebauten, sehr kräftigen 
;->.■>jährigen Mann. Derselbe trug unter dem Penis genau in der Mittellinie zwei 
voll ausgebildete Praeputia, von denen das erste der (iWisse nach für den dar¬ 
über liegenden Penis gepasst hätte, das zweite reichlich gross gewesen wäre. 
Zwischen Penis lind erstem Praeputium sowie dem ersten und zweiten Prae- 
putium bestanden gut ausgebildete, derbe Frermla. Der Penis seihst besass 
keine Vorhaut, sondern war von einer wenig verschieblichen, zarten Haut 
bedeckt, die Aehnliehkeit mit dem inneren Platt eines Praepiitiums hatte. 
Die Praeputia waren leer. Die Innenwand, die sieh nur wenig auskrempeln 
liess. erschien - soweit sichtbar — von der gleichen kutanen Beschaffenheit 
wie die Aussenseite. Beide Praeputia hatten unterhalb der Peniswurzel ein ge¬ 
meinsames Ursprun gsge b io t. 

Die eingeführte Sonde konnte von dem einen nicht in das ändert 1 Prae¬ 
putium geführt werden. Andererseits bestand offenbar keine Kommunikation 
mit der Prethra des Penis: es befanden sich keine Ekzeme an den Hoffnungen 
der Gebilde, die von sickerndem Urin hätten herriihren können. Die Vorhäute 
konnten im ganzen völlig frei vom Penis abgehoben werden, ohne dass an 
irgend einem Teil eine Fixierung an den Penis ersichtlich gewesen wäre. Die 
leeren Praeputialliiil len stellten also Blindsäcke dar. 

Der Penis selbst war normal und keinerlei Andeutung einer Urethramiss¬ 
bildung vorhanden; Sehwellkörper kräftig und beiderseits gleich; die Glans 
kräftig. Dagegen bestand — wie schon erwähnt Aplasie des Praeputiums 
an gewöhnlicher Stelle. Das Serotum war gleichfalls regelrecht gebildet, die 
Raphe in der Mitte, Hoden beiderseits von normaler Grösse, Sehamhaar kräftig 
entwickelt, am Damm keine Besonderheit. 

Der Mann gab durch Dolmetscher an, dass er die Missbildung von Geburt 
an habe, er sei verheiratet, habe 5 Kinder: bei keinem derselben sei eine Miss¬ 
bildung vorhanden. Angaben über Missbildungen in der Aseendenz konnte er 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 





Kino bisher unbekannte Gesehlechtsteilniissbildun^ beim Mann. 465 


den Befund schematisiert einigormassen anschaulich wieder. Der Mann, der 
durch einen Streifschuss an der Glans verwundet worden war, kam uns bei dem 
Rückmarsch unseres Heeres von der Weichsel bald aus den Augen. 

Aus der Literatur ist ein ähnlicher oder gleicher Fall nicht 
ersichtlich. Es handelt sich — um kurz zu wiederholen — 
um die Bildung zweier leerer Praeputia unterhalb des 
normalen aber vorhautlosen Penis genau in der Mittel¬ 
linie, die untereinander und mit dem Penis durch Frenula 
verbunden sind, blind endigen und ein gemeinsames Ur¬ 
sprungsgebiet unter dem Penis haben. 

Zwei Praeputien um zwei vorhandene Pencs sind allerdings be¬ 
kannt. Küttner erwähnt bei seinem Fall von Penis duplex, dass 
„das Praeputium beiderseits gut entwickelt“ war. Bei Küttner 
handelte es sich um eine Missbildung, bei der aus einer gemein¬ 
samen Peniswurzel sich zwei nebeneinander verlaufende Penisschäfte 
entwickelt hatten. Beide Penisschäfte besassen je eine Glans und 
je eine Urethra. Lange spricht bei Beschreibung seines Falles 
von kompleter Verdopplung des Penis zwar nicht direkt von dem 
Bestehen zweier Praeputia; doch lässt seine Angabe, dass „zwei 
völlig normale Penes“ Vorlagen, darauf schliessen. Albrecht’s 
besonders interessanter Fall, bei welchem neben dem an normaler 
Stelle sitzenden Penis noch ein perinealer, kleinerer Penis hinzukam, 
wies auch an diesem ein Praeputium auf. 

Fälle doppelter Praeputiumbildung sind also mehrfach be¬ 
schrieben. Aber hierbei handelte es sich stets um eine Verdopp¬ 
lung des Penis, wobei das Vorhandensein des Praeputiums als 
sekundär und nebensächlich in den Hintergrund trat.. 

Eine kurze Uebersicht über die bisher bekannten Anomalien 
des Praeputiums dürfte hier am Platze sein. Roth hat eine aus¬ 
führliche und mit zahlreicher Literatur belegte Arbeit hierüber ver¬ 
öffentlicht. Danach gibt es Aplasie, Hypo- und Hyperplasie des 
Praeputiums bei sonst normalem Penis vielfach und bei allen 
Völkern. Atresie des Praeputiums kommt selten vor. 

Eine Missbildung, an der auch das Praeputium beteiligt ist, 
beschreibt Kirmisson als Virga palmata, eine Anomalie, die darin 
besteht, dass „der abnorm gekrümmte Penis durch eine drei¬ 
eckige, fixierte Hautfalte an das Scrotum in dieser Lage gehalten 
wird“. 

Ein in bezug auf ihre entwicklungsgeschichtliche Herkunft 
noch ungeklärtes Kapitel in der Pathologie des Praeputiums stellen 
die Praeputialgänge dar, die Stieda ausführlich beschrieben hat. 
Stieda sieht in diesen, gestützt auf die Arbeit von Jadassohn, 
abnorme Gebilde, Missbildungen. Jadassohn spricht diese Gänge 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


466 K. Danzijjcr, 

als verlagerte Tysson’sehe Drüsen an. Rona 1 ) hat folgende 
Einteilung dieser Gebilde vorgenommen: 1. praeputiale Para¬ 
urethralgänge, 2. praeputiale Hautgänge, die an der Innenseite des 
Praeputiums ausraünden, 3. Paraurethralgänge im Frenularkörper 
selbst. 

Einen sehr interessanten Bildungsfehler des Praeputiums hat 
Ellenbogen veröffentlicht. Es handelte sich um einen 27jährigen 
Mann; diesem „fehlte die Dorsalpartie des Praeputiums vollständig, 
während sich die untere Partie wie eine Tischplatte ausziehen liess. 
Im Inneren ist die Spalte leucht, rötlich und mit Schleimhaut be¬ 
deckt, ihre Ränder berühren sich im allgemeinen, der Sulcus 
glandis ist normal, doch wird er von der Rinne gekreuzt, die sich 
bald in einen blind an der Schambeinsymphyse endigenden Kanal 
fortsetzt. Auf Druck tritt aus diesem Gang eine weissliche Flüssig¬ 
keit aus, die unter dem Mikroskop Fettklümpchen und Epithel¬ 
zellen zeigt. Urin hat sich niemals aus ihm entleert! Ellen¬ 
bogen selbst fasst den Fall als Epispadie auf, zumal an der Glans 
dorsal eine Einkerbung vorhanden war, den Kanal als Folge einer 
Hemmungsmissbildung der Corpora cavernosa. Wahrscheinlicher 
ist die Bezeichnung des Ellenbogen’schen Falles als eben einen 
dieser praeputialen Gänge im Sinne Jadassohn’s. 

Wenn man auch diesen praeputialen Gangbildungen eine ge¬ 
wisse Aehnlichkeit mit meinem Fall zusprechen kann, so darf man 
andererseits doch feststellen, dass derselbe in der Art der Bildung 
zweier völlig ausgebildeter Praeputia ein Novum darstellt. 

Es entsteht nunmehr die Frage allgemein nach der entwick¬ 
lungsgeschichtlichen Herkunft des Praeputiums, speziell seiner Ent¬ 
stehung aus einer paarigen oder unpaarigen Anlage. Hertwig 
schildert die Entwicklung des Praeputiums folgendermassen. „Wie 
die Clitoris besitzt auch der Penis eine vordere knopfartige An¬ 
schwellung, die Eichel, welche von einer Hautfalte, dem Prae- 
putium, umfasst wird.“ Und weiter: „eine zweite Verwachsung 
gehen beim Manne die Geschlechtswülste ein. Sie legen sich um 
die Wurzel des Penis herum und verwachsen dabei in der Median¬ 
ebene, an welcher die Vereinigungsstelle auch später noch durch 
die sogenannte Raphe scroti angedeutet wird.“ Nach Orth erhebt 
sich das Praeputium in der ersten Hälfte des dritten Monats als 
kleine Falte — Praeputialfalte — am hinteren Rand der Glans 
und wächst allmählich immer weiter nach vorn, indem zugleich 
eine epitheliale Verklebung der einander zugekehrten Flächen der 
Glans und der Praeputialfalte eintritt. 

1) (’itiiTl nach JS t i cd n. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Eine bisher unbekannte (ieselileelusteilinissbildung beim Mann. 467 


Ausführlich wird die Frage der Entstehung des Praeputiums 
von Felix in Keibels Handbuch der Entwicklungsgeschichte er¬ 
örtert. Die Entwicklung des Praeputiums erfolgt aus dem soge¬ 
nannten Praeputialfeld. Dieses entsteht aus drei Teilen: „den 
Grossteilen des analen, des linken und des rechten Phallusabfalls.“ 
Danach aber wird die Entstehung des Praeputiums der Clitoris und 
die des Penis scharf auseinander gehalten. „Das Praeputium penis 
lässt sich nicht ohne weiteres mit dem Praeputium clitoridis homo- 
logenisieren.“ „Dem Praeputium penis entspricht nur das kleine 
mittlere, ringförmige echte Praeputium clitoridis.“ Das Praeputium 
des Mannes entwickelt sich nach dem gleichen Autor aus der so¬ 
genannten Glandarlamelle, welche als ein vom Epithel der 
ausseren Oberfläche in die Glans eindringender epithelialer Cylinder 
einwächst und allmählich ein Lumen annimmt. Das Praeputium 
clitoridis wird aus drei solcher Lamellen angelegt. Folgende Er¬ 
örterung von Felix scheint uns nun für die Erklärung des vor¬ 
liegenden Falles von besonderem Interesse zu sein. „Ob die beiden 
seitlichen Lamellen, wie die mittlere,-wirklich als Lamellen angelegt 
werden und erst dann sich aushöhlen, oder ob sie von Anbeginn 
an als Furchen auftreten, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.“ 

Wenn die Entstehung des männlichen Praeputiums aus einer 
Lamelle sichergestellt ist, so scheint mir der Schluss wahrschein¬ 
lich, dass bei unserem Falle der Entwicklungstyp des weiblichen 
Praeputiums gegeben ist, der hier besonders ausgeprägt zur Aus¬ 
bildung gelangt ist. 

Andererseits ist die Frage angezeigt, ob es hier zur Bildung 
eines unpaaren Praeputialfeld es überhaupt gekommen ist, und ob 
nicht rechter und linker „Phallusabfall“ gesondert ihre Entwick¬ 
lung zu einem Praeputium durchgemacht haben. 

Ganz lösen würden freilich beide Hypothesen das Rätsel des 
vorliegenden Falles nicht. Denn sie würden ein Wachstum beider 
Praeputien nebeneinander leichter verständlich machen als das 
hier gegebene untereinander. 

Die derbe Beschaffenheit des Frenulums zwischen erstem und 
zweitem Praeputium und das Uebergehen der Raphe scroti in die 
Mittellinie des zweiten Praeputiums lassen erwägen, ob nicht in 
den Geschlechtswülsten bzw. Scrotalwülsten die abnorme Keim¬ 
anlage für eines oder beide Praeputia sich befunden habe. Diese 
Möglichkeit lässt sich angesichts des Lange’schen Falles, nicht 
von der Hand weisen: denn dort lagen zwei ausgebildete Scrota 
mit je einer Raphe vor. 

Diese Annahme von selbständigen Keimen in Ektodcrmteilcn 
widerspricht einer Theorie, die Robert Meyer aufgestellt hat, der 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



468 F. Dan ziger, Unbekannte (icschlechtsteilmissbildung beim Mann. 


Digitized by 


Theorie des „formbildendcn Einflusses des tieferen Mesenchvms“ 
einerseits und „der sekundären und abhängigen Differenzierüng 
der Haut an der Stelle, an welcher das kavernöse Gewebe mit dem 
Ektoderm zusammentrifft“ andererseits. Albrecht, dessen schon 
erwähnter Fall diese These wirksam unterstützt, drückt den gleichen 
Gedanken folgendermassen aus: von besonderer Bedeutung dabei ist 
der für die endliche Form entscheidende Einfluss des Mesenchvms. 
dessen selbständig mögliche Differenzierung und die korrelative 
abhängige Differencierung des Ektoderms zusammen mit oberfläch¬ 
lichem Mesenchym zu Praeputium und Eichelüberzug an beliebigen 
Stellen der Körperoberfläche. 

Diese leicht fassliche These erscheint uns durch die neue be¬ 
schriebene Anomalie in ihrer Allgemeingültigkeit sehr gefährdet. 
Entgegen jener Anschauung haben sich hier zwei Praeputia ohne 
Bestehen zweier Penes oder einer sonstigen Andeutung kavernösen 
Gewebes gebildet, überdies beide, ohne den „formbildenden“ vor¬ 
handenen Penis benutzt zu haben. Gleichermassen sprechen auch 
die Fälle von Aplasie des Praeputiums gegen die genannte Theorie. 


Literatur. 

1. Köl liker, Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Tiere. 

II. Aufl. Leipzig 1879. 

2. Hertwig, Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere. 189S. 

3. K ei bei und Mall, Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen. 

1911. 

4. Orth, Lehrbuch der speziellen pathologischen Anatomie. 1893. Bd. II. 

5. Kaufmann, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. 1911. G. Aufl. 

G. Albrecht, Frankfurter Zeitsehr. f. Pathologie. 1910. 

7. H. Meyer, Patholog. (L 1909. XIII. 

8. Langt 1 , Ziegler's Beitr. 1898. Bd. 24. 

9. Chiari, Prager mcd. Wochensehr. 1889. 

10. llosehler, Prager Yierteljahresschr. f. prakt. Heilk. 1859. Bd. 63. 

11. Ellenbogen, Wiener med. Presse. 1888. Nr. 51. 

12. Küttner. Beitr. z. klin. Chirurgie. 1S9G. 

13. Steck motz, a. Bruns* Beitr. 1896. 

14. A. Stieda, Archiv f. klin. Chirurgie. 1905. Bd. 77. 

15. Roth. Korrespondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1898. 

IG. Kammstedt, Handbuch der prakt. Chirurgie. 1914. Bd. IV. 

17. Kirmisson. Lehrbuch der chirurgischen Krankheiten angeborenen Ur¬ 
sprungs. 1S99. 


Go^ 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



XVI. 


(Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Zürich. — Vorstand: 

Prof. Dr. F. Sauerbruch.) 

Entstehung eines grossen Hautwassersackes 
nach subkutaner Ascitesdrainage. 

Von 

Prof. Dr. K. Henschen, 

Oberarzt der Klinik. 

(Mit 4 TextGguren.) 

Das Problem der operativen Behandlung des Ascites steckt 
noch mitten in der Ausprüfung. Von den physiologisch denkbaren 
und zulässigen Lösungsraöglichkeiten, welche der Erfindersinn der 
Chirurgen bis heute bot, Omentopexie, Hepatopexie, Cholecysto- 
pexie, Splenopexie, Anastomose zwischen Vena mesenterica und Vena 
ovarica (Villard und Tavernier), direkte Cava-Portaanastomose 
(Eck’sche Fistel), Ableitung in die Vena saphena nach Ruotte und 
subkutane Drainage, haben letztere und die Talma’sche Operation 
noch am ehesten auch im klinischen Erfolg standgehalten. 

Die Vielheit der technischen Vorschläge zur bestmöglichen 
Verwirklichung einer Dauerableitung des Ascites in das Unterhaut¬ 
gewebe zeugt, dass die Unvollkommenheit der Wirkung haupt¬ 
sächlich in einer Unvollkommenheit der Technik gesucht wurde. 
Die Frage, ob nicht am Ende der Aufsaugung des unter die Haut 
geleiteten Ascites anatomisch-physiologische Grenzen gesteckt seien,- 
ist meines Wissens bisher nicht gestellt worden. Klinische Dauer¬ 
erfahrungen lagen darüber bislang nicht vor. Erst Schepelmann 
berichtete vor kurzem über eine durch 3 1 /, Monate anhaltende 
Wirkungsdauer: „es stellte sich gewissermassen ein Gleichgewichts¬ 
zustand zwischen Ausscheidung und Absaugung des Ascites ein.“ 
Aus einer kritischen Zusammenstellung der Wirksamkeit der ver¬ 
schiedenen Verfahren schloss Schepelmann 1 ), dass die Glas- und 

1) E. Schepelmann, Klinische Erfahrungen mit meiner Methode der 
plastischen Ascitesdrainage. Archiv f. kiin. Chir. Bd. 106. II. 4. S. 663—687. 
— Experimente zur plastischen Ascitesdrainage, zugleich ein Beitrag zur Histo¬ 
logie implantierter Formolgefässe. Virchow's Areh. Bd. 214. S. 279. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



470 


K. Ile ns dien, 


Digitized by 


Gumrnidrainagc nach Paterson, Tavcl und Mauclaire sowie der 
Silberdrahtbügel Franke’s am besten zu funktionieren’ schienen. 
Da die Kranken aber sämtlich bald starben, lasse sich die Dauer¬ 
wirkung nicht absehen; es sei sehr wohl denkbar, dass diese zum 
Teil recht grossen Fremdkörper einen Reiz ausüben, der zu ihrer 
Einkapselung und damit zum wasserdichten Verschluss der Peri¬ 
tonealöffnung führe; auch spätere Ausstossung sei keineswegs aus- 
zuschliessen. Letzteres Ereignis ist übrigens von Mauclaire 1 ! 
gesehen worden. 

Der Zufall hatte vor zwei Jahren eine der von Tavel nach 
seiner Methode operierten Kranken in die Züricher chirurgische 
Klinik gebracht. Die Untersuchung ergab dabei ein ebenso inter¬ 
essantes wie für die praktische Seite des Problems wichtiges Er¬ 
gebnis des Eingriffes. Ich bringe zunächst die Beschreibung des 
Falles, wie sie Tavel 2 ) in seiner Mitteilung im Korrespondenzblatt 
für Schweizer Aerzte (1911) niedergelegt hat. 

Dir 14 jährige A. T. war von der inneren Abteilung wegen „Ascites prae¬ 
menstrualis** auf die TaveLsehe Abteilung verlegt worden. Operation am 
2H. 7. 1910: Da beabsichtigt war, wegen Verdaelits auf Peritonitis uiberoulusa 
eine Auswasehung des Peritoneums vorzunehmen, wurde in Allgemeinnarkose 
operiert. Da von tuberkulösen Veränderungen im Peritoneum keine Spur zu 
finden war. wurde in der Mittellinie eine subkutane Drainage mit der Tav»d- 
sehen (ilasspule ausgeführt. deren einer Rand in die Bauchhöhle, deren anderer 
in eine im subkutanen Gewebe geschaffene Hohle zu liegen kam; der zwischen 
den beiden Endplatten gelegene Röhrenteil der Spule wurde im Gewebe der 
Linea alba dicht eingenaht. Die Wunde heilte glatt. Die Kranke wurde am 
2S. S. 1910 wieder auf die innere Abteilung zurüekverlegt. April 1911 war d«*r 
Ascites entschieden geringer: «Die Haut in der Eingebung der Spule ist ödematös; 
also funktioniert offenbar die Spule ganz gut. Man kann jedoch in diesem Fall»- 
nicht von einem vollständigen Erfolg sprechen. Möglicherweise ist die Hoffnung 
nicht genügend frei geblieben. Es kann sehr leicht Vorkommen, dass ein Stin k 
Netz in dir Hoffnung eindringt und auf diese Weise einen störenden Zapfen 
bildet. Es wird also jedenfalls angezeigt sein, in jedem derartigen Falle si<h 
zu überzeugen, ob das Netz eindringen kann und in diesem Falle dasselbe zu 
verlagern“. 

• Die Kranke kam drei Jahre nach der Operation, am 14. 6. 1913, zur Auf¬ 
nahme in die Züricher chirurgische Klinik. Aus der Vorgeschichte sei hervor¬ 
gehoben, dass der Vater der Kranken an Magenkrebs, die Mutter an Lung**n- 
und Hirntuberkulose verstorben waren; eine Schwester der Kranken war im Alt<*r 
von IG Jahren fiir kurze Zeit an ..Bauchwassersucht“ erkrankt, doch verschwand 
dieses Leiden dann mit dem Eintreten der ersten Periode wieder spontan. Die 
nunmehr 17 jährige Kranke war noch nie menstruiert. Zu Ende des Jahres 1909 
trat eine mit periodonweisen Sehmerzanfällen verknüpfte Lmfangszunahme do> 
Leibes ein, so dass die Kranke schliesslich beim Bücken kaum mehr atmen 

1) Mauclaire, Essai de drainage de Faseitc dans le tissu cellulaire sous- 
eutane. Auch, göner. de ohir. 1911. 

2) E. Tavel, Leber die subkutane Drainage des Ascites. Korresp.-Bl. f. 
Schweizer Aerzte. 1911. S. SOG—Slö. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Entstehung eines grossen Hautwassersackes usw. 471 

konnte. Im Januar 1910 wurde durch ärztliche Untersuchung Ascites fest- 
gestellt und durch mehrfache Punktionen in der Folgezeit eine grosse Menge 
klarer gelber Flüssigkeit abgelassen. Nach der Entlassung aus dem Berner 
Spital fiel der Kranken auf, dass, während der Leib vordem gleichmässig rund- 

Fig. 1. 



TaveFsche Ascitesdrainage 3 Jahre nach der Operation. 


lieh aufgetrieben war, sich nunmehr mehrere grosse, an Umfang verschiedentlich 
wechselnde „Beulen“ oder „Knoten“ in der Bauchwand bildeten. Bis Juni 1913 
musste in wechselnden Zwischenzeiten etwa 20 mal der immer aufs neue bedroh¬ 
lich aufgesammelte Ascites punktiert werden: das Punktat soll klar, grünlich 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



472 


K. IIensollen, 


Digitized by 


schimmernd und stets blutfrei gewesen sein. Appetit, Allgemeinzustand, Schlaf 
und Arbeitsfähigkeit waren durch die Schwankungen des Ascites beeinflusst, 
der Stuhl meist diarrhoiseh; in den letzten Jahren bestand gelegentliches Oedcrn 
beider Heine. Die klinische. Untersuchung im Juli 1913 ergab eine mächtige 
l’mfangszunahme des Leibes (Hauchumfang 10 cm oberhalb des Nabels 91 cm} 
und einen hochgradigen freien Ascites. Unterhalb des Nabels fanden sich un¬ 
mittelbar unter der Haut durch kerbenartige Einziehungen kammerartig abge¬ 
lebte, schwappende mächtige Flüssigkeitssäcke. Alle Kammern dieses Sackes 
waren zwar durch ein System halbmondförmig einspringender Zwischenwände 
gegeneinander etwas abgesetzl. jedoch unter sich in weit offenem Zusammen¬ 
hang, da Flüssigkeitswellen das ganze Sacksystem durchliefen. Dieser mächtige 
extraabdominelle Wassersack überdeckte beiderseits symmetrisch die seitlichen 
Hauehfelder und hing, einem mehrkammerigen Hängebauch ähnlich, abwärts weit 
über den Mons pubis bis vor die Vulva und über die beiden Leistenbeugen bis 
gegen die Oberschenkel herab. Durch ein siebartiges System mehrerer, fast 
kreisrunder und annähernd gleich grosser Lücken in der muskulär-fibrösen 
Hauchwand, deren scharfe harte Ränder deutlich durehzufiihlcn waren, stand 
der subkutane Wassersack durch diesen durchlöcherten „Boden“ hindurch mit der 
Hauchhöhle in mehrfacher breit offener Verbindung. Sein dünnflüssiger Inhalt 
liess sich im Liegen zu einem Teil in das Hauchinncre ausdrücken, während sich beim 
Stellen der Saek mächtig anfüllte und prall wurde. In einer der seitlichen Kam¬ 
mern war die TaveUsclie Glasspule als freibeweglicher Fremdkörper durchzufühlen. 
Die weitere Untersuchung erwies ausser einem Hochstand der unteren Luiuren- 
ränder und einer deutlichen Hölierdrängung des Herzens bei dem mittelgroßen 
und sonst ausserordentlich kräftig aussehenden Mädchen nichts krankhaftes, ins¬ 
besondere nicht am Herzen und seitens des Urins. Puls 76 -96, Körpertempe¬ 
ratur normal. Die durch Punktion gewonnene grünlich schimmernde und klare 
Ascitesflüssigkeit hatte chemisch folgende Zusammensetzung: 


Spezifisches 

Gewicht 1020 

Reaktion 

. . . alkalisch 

Albumin 

. 4,90 pCt. 

Globulin 

. . . 1.05 pUt. 

Harnstoff . 

. . . 0,33 pCt. 

Harnsäure . 

. . . positiv 

Chloride 

. . . 0,56 pUt. 


Ein Tierversuch blieb hinsichtlich einer Tuberkulose negativ (intraperi¬ 
toneale Impfung eines Meerschweinchens mit 4 ccm; spontaner Tod des Tieres 
5 l / 2 Wochen nach der Impfung). 

Trotz mehrfacher Punktionen, methodischer elastischer Einwicklung des 
Leibes, Diuretin- und Kalomclmedikation sammelte sieh der Ascites immer wieder’ 
aufs neue. Im Anschluss an die erste Punktion hatte sich während zweier Tilge 
eine „Aseitesfistel“ gebildet, wonach die Bauchhöhle vorübergehend klinisch 
ascitcsfrei wurde und der Hautsack schlaff und leer in Falten zusamnicnfiel. 
Kurz nach der Aufnahme erkrankte die Patientin an Diphtherie; davon genesen, 
wünschte sie Entlassung nach Hause. 

N ach u n tcrsu ch u n g am 6. 12. 1915: Seit August 1913 wurde, wie mir 
der behandelnde Arzt Herr Dr. Bieri mitteilte, die anfänglich allmonatliche 
Punktionsentlcerung des Ascites schliesslich nurmehr alle 3--4 Monate not¬ 
wendig. Anfangs September 1915 trat zum ersten und bisher einzigen Male 
eine allerdings nur spärliche Menstrualblutung auf, wonach spontan ein erheb¬ 
licher Rückgang des Ascites und eine bedeutende subjektive Hesserung folgte. 
Das jetzt bald 2üjährige Mädehen ist inzwischen gross und stark herangewachsen : 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 




Entstehung eines grossen Haut wassersack es usw. 


473 


Gesicht und Hände zeigen eine deutliche Cyan ose. Der beschriebene subkutane 
Wassersack ist eher etwas kleiner, fast wie etwas narbig geschrumpft; durch 
drei tiefere Einkerbungen ist er in zwei symmetrische untere, inguinale und 
einen dritten median dicht unter dem Nabel gelegenen, etwas flacheren Sack 


Fig. 3. 



Fig. 4. 



TaveFschc Ascitesdrainage 5 Jahre nach der Operation. 


kleeblatt-förmig abgeteilt. Alle drei Hauptkammern stehen untereinander in 
breiter Verbindung. Bei der Durchtastung dieser drei Säcke fühlt man im 
rechtsseitigen inguinalen Sack die freibewegliche TaveFschc (ilasspule, an den 
Einkerbungsstellen kulissenartig einspringende, halbmondförmige Septen, am 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 











474 


K. Ilensdicn, 


Digitized by 


„Boden“ des Sackes neben mehreren harten fibrösen Höckern die früher geschil¬ 
derten rundlichen Kommunikationslücken in der Bauchwand. Dünndarmselilingcn 
oder Netz sind in den Sack nicht mit ausgetreten. Der Bauchumfang beinurt 
über dem Nabel TS. über den beiden Leistensäeken 72 cm. In der Bauchhöhle 
bestellt ein freier Ascites mittlerer Menge. Heim Stellen füllt sich der äussen- 
Sack zu einem prallen, ballonartigen Gebilde von Aussehen und Form eine> 
übergrossen Lipoms: beim Liegen lässt sich der grösste Teil seines Inhalts in 
die Bauchhöhle zurückdrücken. An den Unterschenkeln besteht ein geringe 
Gedern. Während die Mammae auffallend stark entwickelt sind, ist die Entwick¬ 
lung der Genitalorgane noch sehr rückständig, die Behaarung der äusseren 
Genitalien eine nur spärliche: der Uterus ist vom Mastdarm aus als kleines 
hypoplastisches Gebilde eben zu tasten. Wassermann'sehe Reaktion negativ. - 
Da aus einer fortschreitenden Nachreifung der Genitalorgane schliesslich eine 
endgültige Heilung mit völligem Verschwinden des Ascites zu erwarten ist, riet 
ich der Kranken, diese spontane Heilung abzuwarten und erst nach Eintritt der 
Heilung eine operative Beseitigung des Hautsackes und einen Verschluss der 
Bauchwandlücken vornehmen zu lassen. 

Diese Beobachtung scheint jede Möglichkeit einer dauernd 
wirksamen Aufsaugung der in die Unterhaut abgeleiteten Ascites¬ 
flüssigkeit zu verneinen. Jedenfalls zeigt sie, dass ein gegenseitiger 
Ausgleich und ein geradliniges Verhältnis zwischen ascitischer Ab¬ 
sonderung und subkutaner Aufsaugung, wie es wohl erhofft wurde, 
durch diese indirekte Ableitung kaum erreicht wird. Wohl fast 
alle Chirurgen gingen so vor, dass nach Herstellung des trans¬ 
parietalen Ableitungskanales durch Ablösung der Haut um die 
äussere Auslauföffnung eine sackartige Sammeltasche gebildet 
wurde, welche die weitere ödematöse Durchtränkung der Unter¬ 
haut der weiteren Umgebung vorbereiten und begünstigen sollte. 
Es folgt denn auch regelmässig der Operation ein zuweilen recht 
erhebliches Oedern der Unterhaut zunächst nahe dem Auslauf. 
Erst weich und leicht wegdrück bar, wird es späterhin derber und 
praller. Die weitere Ausbreitung dieses künstlichen Oedems wird 
durch die Eigenart des anatomischen Gefüges des Unterhautgewebes 
in bestimmte anatomische Bahnen festgelegt. Nach Untersuchungen 
von Spalteholz 1 ) ist die Fettschicht der Haut durch starke 
Scheidewände in einzelne Fächer und Kämmerchen geteilt. Diese 
der Hauptsache nach aus elastischen Fasern gebildeten Wände 
sind senkrecht zur Cutis und meist auch zur Fascie gestellt, ln 
der Mitte der Fettschicht oder etwas tiefer sind sie durch quer 
verlaufende Wände miteinander verbunden, wodurch eine fortlaufende 
Membran entsteht, welche zuweilen ganz eben und genau der Ober¬ 
fläche parallel, meistens aber in leichten Zickzacklinien verläuft. 
Bei spärlicher Fettschicht kann sie teilweise fehlen, bei dicker 

1) W. Spalt (‘bolz, Die Verteil uni; der Blutgefässe in der Haut. Aivh. 
f. Anal. ii. Fhysiol. Anat. Abteil. Sonderabdruek S. 22. Leipzig lSÜÖ. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



475 


Entstehung eines grossen Hautwassersaekes usw. 


Fcttlage doppelt und dreifach vorhanden sein. In ihr fliessen die 
von Coriura und Fascie kommenden senkrecht gestellten Scheide¬ 
wände zusammen, welche über dieser Spalteholz’schen Membran, 
also unter dem Corium, regelmässig viel enger stehen als in der 
zwischen dieser Membran und der Fascie gelegenen Unterschicht. 
Es ergibt sich daraus eine leichtere und stärkere Quellbarkeit und 
Durchtränkungsfähigkeit dieser gröberfächerigen Unterschicht. Die 
oberflächliche kutane Fettschicht wird nach Spalteholz anschei¬ 
nend fast ausschliesslich von Gefässen versorgt, welche aus dem 
kutanen Netz wieder fascienwärts, also rückläufig herabsteigen: 
die Unterschicht, das eigentlich subkutane Fett, wird direkt aus 
den gerade oder mehr schräg durch das subkutane Gewebe auf¬ 
steigenden Gefässen versorgt. Beide Netze anastomosieren teil¬ 
weise miteinander. Die Anordnung der Venennetze geht derjenigen 
der arteriellen ungefähr parallel. Die Abgrenzung des Subkutan¬ 
fettes gegen die Unterlage geschieht durch eine der Spalteholz¬ 
sehen gleiche Membran, welche über dem Sehnenteil des M. obliques 
externus etwas ansehnlicher ist als über dem muskulösen Abschnitt 
dieses Muskels [Merkel 1 )]. 

Die Spalteholz ? sche Zwischenlamelle nähert sich gegen das 
untere Ende der Bauchwand immer mehr der Unterlage, sodass 
sie schliesslich an den Darmbeinkämmen und den Leistenbändern 
mit dem sogenannten tiefen Blatt der oberflächlichen Bauchfascie 
zusamraenfliesst und sich hier mit ihm gemeinsam, fest der Unter¬ 
lage verwoben, anheftet. Nur die oberflächliche unter dem Corium 
gelegene Fettgewebslage kann sich demnach über diese Grenzlinien 
hinweg in die entsprechende Schicht der Schcnkelhaut fortsetzen. 
Auch in der Mittellinie zwischen Nabel und Symphyse ist das 
Unterhautgewebe durch Einwebung fester Bindegewebszüge, der 
Luschka ? schen „Retinacula cutis“, plattenartig verdichtet und mit 
den unterliegenden Gewebsschichten verwachsen. Zwischen Sym¬ 
physe und Schambeinhöcker bleibt in diesem Grenzzaun 
eine Lücke, durch welche beispielsweise eine aus dem Scrotum 
aufsteigende Urininfiltration zwar in die Bauch- und Brustwand 
gelangen kann, während ihr die erwähnte Anheftung der Fascie 
an den Leistenbändern den Weg nach den Oberschenkeln sperrt. 
„Ergüsse, welche unter der Zwischenlamelle liegen, machen Halt 
am Beckenrand und am Ligamentum inguinale; die über ihr ge¬ 
legenen können sich über diese Grenzmarken hin ausbreiten“ 
(Merkel). Aehnlich verhalten sich Hämatome und Emphysem¬ 
infiltrationen der ßauchwand. 

1) Merkel. Topographische Anatomie. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft .‘L 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



476 


K. II en sehen 


Digitized by 


Ein ascitischcs Drainageödem bleibt darum, wenn nur eine 
seitliche Auslauföffnung geschaffen worden war, zunächst halbseitig 
und feldartig begrenzt; späterhin senkt es sich, namentlich wenn 
der Kranke herumgeht, tief gegen den Unterbauch, das Scrotum 
oder die Vulva, wohin ihm ja durch die Lücke im Grenzzaun der 
oberflächlichen Fascic der Weg offen ist, und gelangt nach der 
anderen Seite entweder unter allmählicher Ueberwindung des Wider¬ 
standes der Luschka’schcn Hauthaften der Mittellinie oder indirekt 
durch Wiederaufsteigen des ins Scrotum oder die Vulva gesenkten 
Oedems nach der Gegenseite. Bei median gelegenem hypogastri¬ 
schen Auslauf kommt es zur symmetrischen Quellung des ganzen 
unterhalb der Nabelquerlinic gelegenen Unterhautfeldes. Dieses 
eigenartige Gefüge des Unterhautgewebes und insbesondere der 
oberflächlichen Bauchfascie erklärt uns zur Genüge, warum cs im 
vorliegenden Fall zur Bildung eines leistenwärts beiderseits so 
scharf begrenzten hypogastrischen Hautwassersackes kam. 

Die Quellbarkeit und die Fähigkeit passiver Oedematisierung 
ist demnach auch für die verschiedenen Schichten wie auch für die 
verschiedenen hypogastrischen Felder der Unterhaut der Bauch¬ 
wand keine gleichmässige. Im Laufe dieser künstlichen Durch¬ 
tränkung der Unterhaut weichen die zelligen, die kollagencn und 
elastischen Elemente des Gewebes nicht nur unter Bildung von 
Sprenglücken auseinander, sondern sie quellen dabei selbst hydro- 
pisch auf. In einem lamellar spaltbaren Gewebe erweitern sich 
solche Sprenglücken zu eigentlichen Höhlen und grösseren Fliissig- 
keitskammern, deren Bildung und Fortbestehen teils durch de gene¬ 
rative Veränderungen der Zellen, teils durch eine Wucherung und 
kapselartigc Verdichtung des auseinandergedrängten Bindegewebes 
begünstigt wird. Bei längerem Bestände eines Oedems kommt es 
nach Untersuchungen von Klcmensiewicz 1 ) zu mikro-chemischen 
Veränderungen der kollagencn und elastischen Fasern, zum Ein¬ 
gehen von Zellen unter dem Bilde hydropischer und fettiger De¬ 
generation, zu Wucherungen des Bindegewebes und endlich einer 
bedeutenden Störung im Chemismus des Gewebes. Die daraus 
folgende Abkapselung und anatomische Abdichtung solcher Ab¬ 
lösungshöhlen wird die Aufsaugung des flüssigen Höhleninhalts mit 
der Zeit immer ungünstiger gestalten müssen. Der für einen asci- 
tischen Erguss recht hohe Eiweissgchalt und das infolgedessen 
hohe spezifische Gewicht (1020) sind im vorliegenden Falle der 
chemisch-physikalische Ausdruck der fortschreitenden Resorptions¬ 
erschwerung. 

1 "> K 1 1 * in c n s i e w i <• z. Zioirlcr's Boitr. B<1. d*2. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Kntstehung eines "rossen llautwassersarkes usw. 


477 


Die Aufsaugung interstitiell in die Gewebe gepresster und hier 
fcstgesperrter Ergüsse ist nicht nur von der biologischen Unver¬ 
sehrtheit des Gewebes selbst, in welchem die Aufsaugung sich ab¬ 
zuspielen hat, und von den besonderen anatomischen Verhältnissen 
und der physiologischen Funktion der Umgebungsgewebe abhängig, 
vielmehr steht in erster Linie die Frage, ob eine Rücktranssudation 
in die Blutbahn überhaupt noch möglich ist und wirksam werden 
kann. Der bekannte Cohnheim'schc') Versuch, wonach eine selbst 
totale Sperre der gesamten Lymphbahn eines einzelnen Körperteils 
nie Oedem zur Folge hat, solange die Lymphabschcidung normal 
und die Venenbahn frei ist, ist ja der klassische Beweis für die 
Rolle der Blutbahn bei der Resorption. Je ungehemmter der Venen¬ 
strom, je grösser das Druckgefälle zwischen Gewebe- und venösem 
Blutdruck, je niedriger der intraabdominale Druck und je unver¬ 
sehrter die Blutbahn im engeren und weiteren Resorptionsbezirk, 
um so günstiger sind die Bedingungen dieser Rücktranssudation. 
Die anatomische Beschränkung des Drainageödems auf die Untcr- 
nabelgcgend, namentlich die Ocdemsperre an den beiden Leisten, der 
hohe intraabdominelle Druck des Ascitesbauches, die Druckbelastung 
gerade der Bauchwandvenen von aussen durch das Drainageödem, 
von innen durch den erhöhten intraabdorainellen Druck, die örtliche 
und allgemeine Schwäche des Gefässap parat es von Ascitesträgern 
überhaupt sind in ihrer Zusammenwirkung Ursachen genug der im 
ganzen schlechten und ungenügenden Aufsaugefähigkeit der Unter¬ 
baut gerade des Bauches. Ob eine transparietale Drainageableitung 
des Ascites statt in die Unterhaut des Hypogastriums in diejenige 
der beiden Oberschenkel, welche ja mit gleicher Technik leicht 
ausführbar wäre, bessere Resorptionsbedingungen schüfe und an¬ 
träfe, wäre immerhin weiterer Versuche wert. 

Handlev-) hat eine solche peritoneo-femorale Drainage in der 
Weise ausgeführt, dass von einem kleinen Laparotomieschnitt einige 
Uentimeter über der Symphyse mit einer Kornzange die Gegend 
des Schenkelringes nach aussen hin am Oberschenkel vorgetrieben 
und auf die Kornzange von einem Bogenschnitt eingegangen wurde; 
der Peritonealtrichter wurde subkutan eingenäht, llandley waren 
damit unter fünf Operierten zwei Erfolge beschieden, wovon der 
eine 2 J / 2 Jahre hindurch gehalten haben soll. Technisch einfacher 
ist es wohl, beiderseits von grösseren Lappenschnitten aus den 
Scheukelring freizulegen, das Peritoneum zu öffnen und eine forma- 
linisierte Kalbsaorta als Drainröhre einzulegen, welche innen l 1 ^ 
bis 2 cm weit in die Bauchhöhle hineinzuragen hätte und deren 

1) Cu hn he im. AI l^emrine Pathulo&iir. 

2 ) Händler, Semaine medieale. 11)10. p. 

:\2 ♦ 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF 10UVA 



Digitized by 


478 K- II en sc hon . Kntstchum: eines grossen Hautwassersaekes usw. 

äusseres Ende subkutan einzunähen wäre. Schcpelraann hat ja 
im Experiment und am Menschen diese formalinisierten hetero¬ 
plastischen Arterienrohre anatomisch ausgezeichnet und klinisch 
wirksam einheilen sehen. 

Aus denselben Ueberlegungen hatte ich schon früher eine 
lumbale Drainage in das retroperitoneale Gewebe vorgeschlagen 1 ). 
In jüngster Zeit hat Axel Blad 2 ) gleichfalls die lumbale Drainage 
des Ascites empfohlen, welche er aus colloid-chemischen Gründen 
am besten am Muskel ausgeführt sehen will. 

Auf jeden Fall gelangen interstitielle und namentlich höhlen¬ 
artig abgekapselte Gewebsergüsse bei hohem Gewebsdruck kaum 
oder nur schwer zur Aufsaugung, da bei überhohem, extravasku¬ 
lärem Druck die Rücktranssudation nach der Blutbahn •wohl nicht 
mehr wirksam werden kann. 


1) II e ii sc h ni . Dauerd radiale stagnierender Ascitescrgüsse in da.s miI>- 
kutane oder retroperitoneale Zellgewebe mit Hilfe von Gummi- oder Kischblasen- 
eondoins. Central bl. f. Chir. 1913. Xr. 2. 

2) Axel Hl ad, Ascites und seine chirurgische ttchanrilunir. l’izoskrift :'i»r 
L.äirer. 1915. Xr. 2S u. 29. 


Gch igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



XVII. 


(Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Greifswald. — 
Direktor: Prof. Pels-Leusden.) 

Neue Experimente zur Frage der homo¬ 
plastischen Transplantationsfähigkeit des 
Epiphysenknorpels und des Gelenkknorpels. 1} 

Von 

Privatdozent Dr. Fr. H. von Tappeiner, 

Assistenzarzt der Klinik. 

(Mit 7 Textfiguren.) 


Im 1. Band der Zeitschrift für die gesamte experimentelle 
Medizin habe ich die Resultate einer Arbeit veröffentlicht, deren 
Zweck das Studium des Verhaltens autoplastisch und homoplastisch 
transplantierter halber Gelenke war, mit besonderer Berücksichti¬ 
gung des Epiphysen- und Gelenkknorpels. Die Versuche waren 
an den Metatarsalknochen von Hunden angestellt worden. Bei 
der Autoplastik konnte ich hinsichtlich des Verhaltens des Ge¬ 
lenkknorpels damals feststellen, dass ein grosser Teil der Knorpel¬ 
zellen am Leben geblieben und eine erhebliche Gelenkveränderung 
im Sinne der Arthritis deformans nicht eingetreten war. Auch die 
Zellen des Epiphysenknorpels hatten grösstenteils ihre Vitalität 
behalten und das Längenwachstum des Knochens war nicht nach¬ 
weisbar beeinträchtigt. Bei der Homoplastik ergaben sich wesent¬ 
lich andere Verhältnisse. Vom Gelenkknorpel waren die Zellen 
der tieferen Schichten abgestorben und wurden von den am Leben 
gebliebenen Gelenkknorpelzellen aus ersetzt. Je jünger das Tier 
war, desto weniger war zugrunde gegangen. Arthritische Verände¬ 
rungen traten nur in relativ geringem Masse ein. Vom Intermediär¬ 
knorpel war stets ein grosser Teil verloren gegangen und nur kleine 
Teile hatten sich mit stellenweise regelmässiger Zellanordnung er- 

1) Die Drucklegung dieser Arbeit, die schon vor Ausbruch des Krieges 
fast ferliggestcllt war, verzögerte sich durch meine Einberufung in den ersten 
.Mobilmachungstagen. Ein lleimatsurlaub setzte mich jetzt in die Lage, die 
Arbeit zu vollenden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



480 


Kr. H. von Tappe inor. 


Digitized by 


halten. Die Knochenapposition an diesen Teilen war eine ganz 
geringe geblieben und spielte für das Längenwachstum des Knochens 
kaum eine Rolle. Zusammenfassend musste ich deshalb 
damals sagen, dass eine klinisch brauchbare Transplan¬ 
tationsfähigkeit des homoplastisch überpflanzten Epi- 
ph ysenknorpels nicht besteht. 

Meine Resultate stimmten mit den von Helferich (Enderlen), 
Borst und Axhausen gewonnenen gut überein, die auch nur ein 
teilweises Erhaltenbleiben des verpflanzten Epiphysenknorpels und 
eine geringe von diesen Resten ausgehende Knochenneubildung be¬ 
obachten konnten. 

Rehn dagegen berichtete über ganz erheblich bessere Resul¬ 
tate. Bei seinen homoplastisch transplantierten halben Gelenk¬ 
abschnitten blieb, wenn nur die Stellung des Transplantates eine 
anatomisch gute und richtige war, auch der ganze Epiphysenknorpel 
anatomisch und physiologisch erhalten. An dem Gelenkknorpel 
der transplantierten Stücke dagegen sah er, wenn er im allgemeinen * 
auch gut erhalten blieb, häufig arthritische Veränderungen mehr 
oder minder hohen Grades. 

Günstige Resultate hatte auch Pucci bei seinen Gelenkknorpel¬ 
transplantationen. Er ging so vor, dass er bei zwei Kaninchen 
typische Gelenkresektionen des Ellbogengelenks ausführte und die 
resecierten Teile zwischen den. Tieren austauschte. In 18 Fällen 
unter 20 Versuchen fand er die transplantierten Gelenkenden gut 
eingeheilt mit tadelloser Funktion des Gelenkes. Ebenso günstige 
Resultate erzielte er sogar bei einer Versuchsanordnung, bei der 
eine vorherige achttägige Konservierung der resecierten Stücke auf 
Eis stattgefunden hatte. 

Seit der Publikation meiner ersten Versuchsreihe halber Ge¬ 
lenktransplantationen sind meines Wissens weitere experimentelle 
Arbeiten ausser von Giani nur noch von Heller erschienen. 

Giani fand bei seinen autoplastischen und homoplastischen 
Transplantationen immer Degenerationserscheinungen des lnter- 
mediärknorpels und betont, dass der überpflanzte Knorpel in keiner 
Weise zum Wachsen des betreffenden Knochens beitrug. 

Heller hatte schon auf dem Chirurgenkongress 1912 über 
die Ergebnisse einer Serie von 19 auto- und homoplastischeu 
halben Gelenktransplantationen berichtet. Seine Resultate waren 
besonders hinsichtlich des Längenwachstums der operierten Knochen 
wenig ermutigend. Diese erste Serie hat Heller dann durch eine 
zweite Versuchsreihe (im ganzen nun 49 Versuche) ergänzt. Dabei 
wurde, um genaue Anhaltspunkte für ein eventuelles Längenwachs¬ 
tum von der transplantierten Epiphyse aus zu gewinnen, bei einem 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Fnuu* der linmoplastischen Transplantationsfähiirki'it usw. 481 


Teil der Versuche eine Drahtmarke an der Diaphvse, 5 mm proxi¬ 
mal entfernt von der Durchsägungsstelle, angebracht. Aus der 
veränderten Entfernung der Drahtmarke vom Gelenkspalt — die 
Länge des Transplantates in jedem einzelnen Fall war ja bekannt — 
konnte nun genau eine eventuelle Zunahme des Längenwachstums 
von der transplantierten Epiphyse aus verfolgt werden. Bei ein¬ 
fachen Reimplantationen von halben Kaninchengelenken konnte 
Heller auch ein geringes Längenwachstum von der verpflanzten 
Epiphyse aus beobachten, während bei der Homoplastik jedes 
Längenwachstum ausblieb, ja meistens sogar eine mehr oder minder 
hochgradige Resorption des Transplantates eintrat. Noch schlechtere 
Resultate bekam Heller bei Verwendung von grösseren Objekten 
als Kaninchengelenken. Bei vier Versuchen an Ziegen fand auch 
bei einfachen, sofortigen Reimplantationen kein Wachstum in die 
Länge mehr statt, und bei der Homoplastik wurde auch hier das 
Transplantat stellenweise bis vollständig resorbiert gefunden. Und 
so kommt Heller auf Grund seiner ausgedehnten Versuche zu 
demselben Schluss, zu dem ich auch kam, dass eben die 
homoplastische Transplantation des Intermediärknorpels zu thera¬ 
peutischen Zwecken nicht verwertbar ist. Auch hinsichtlich des 
<.Telenkknorpels sind die Resultate seiner Versuche wenig er¬ 
freulich, denn er fand fast immer sehr weitgehende degenerative 
Veränderungen in ihm. Genauere Angaben fehlen jedoch, da die 
Arbeit sich itn wesentlichen nur mit dem Iotermediärknorpel be¬ 
schäftigt. 

Noch bevor ich von der zweiten Versuchsreihe Hell er’s 
Kenntnis hatte, habe ich selbst zur Vervollständigung meiner ersten 
Arbeit neue Versuche gemacht, deren Mitteilung in Kürze erfolgen 
soll. Die Anstellung weiterer Versuche schien mir um so not¬ 
wendiger, als die so sehr von einander abweichenden Resultate 
Rehn’s von denen der anderen Untersucher noch der Er¬ 
klärung bedürfen. Als Objekte dienten mir vier Wurfe junger 
Kaninchen, und zwar habe ich ausschliesslich homoplastisch trans¬ 
plantiert. Die W’ürfe stammten aus ganz verschiedenen Quellen, 
sodass eine Verwandtschaft so gut wie ausgeschlossen war. Der 
erste Wurf umfasste 5, der zweite 3, der dritte und vierte je 
4 Tiere. 

Zur Transplantation gelangte immer die proximale Radius¬ 
epiphyse in Form einer halben Gelenkverpflanzung. Sechs von 
den 16 Versuchen waren Verwandtentransplantationen, und zwar 
bei vier Tieren des ersten und zwei Tieren des zweiten Wurfes, 
bei den übrigen Versuchen wurde zwischen Tieren verschiedener 
Würfe ausgetauscht. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



482 


Fr. II. von Tappeiner, 


Digitized by 


Die Technik war im wesentlichen dieselbe, wie sie Rehn be¬ 
schrieben hat. Nach sorgfältigem Rasieren und Desinfektion mit 
fünfprozentigem Thymolalkohol wurde das Ellbogengelenk zweier 
Tiere am gleichnamigen Vorderlauf mit einem kurzen, bogenförmi¬ 
gen Schnitt auf der radialen Seite freigelegt, der so geführt wurde, 
dass nach der Naht die Hautwunde nicht direkt über das implan¬ 
tierte Stück zu liegen kam. Nach der Durchtrennung der Kapsel 
und der feinen Bänder gelang es immer leicht, das Radiusköpfchen 
aus dem Gelenk so weit zu luxieren, dass eine feine Drahtsäge 
dahinter durchgezogen werden konnte, mit der die Durchtrennung 
des Radius immer so weit distal von der Epiphysenlinie ausgeführt 
wurde, dass das Transplantat eine Länge von 1 cm bekam. Die 
Durchtrennung mit der Säge gelingt bei den leicht splitternden 
Knochen der Kaninchen viel leichter und schonender als mit dem 
Meissei oder einer Knochenzange. Nach Austausch der Trans¬ 
plantate genügten zur Fixation stets einige Kapsel- und Muskel¬ 
nähte. Selbstverständlich wurde dabei jedes unnötige Berühren 
des Transplantates mit scharfen Pincetten usw. besonders an der 
Epiphysenlinie vermieden. Die Haut wurde exakt fortlaufend ver¬ 
näht. Als Verband bewährte sich mir immer am besten etwas 
Mull mit Heftpflaster; von Schienung habe ich stets abgesehen. 
Von grosser Wichtigkeit ist es, dass die ausgetauschten Trans¬ 
plantate von genau gleicher Länge sind und dass auch die Epi¬ 
physen gleich gross sind, damit der Gelenkabschnitt des Spenders 
gut in das Gelenk des Empfängers hineinpasst. Für die Funktion 
und für das Auftreten bzw. Ausbleiben von arthritischen Erschei¬ 
nungen spielt dieser Punkt eine sehr wesentliche Rolle. Ebenso 
wichtig ist es, dass das Transplantat die ihm bei der Operation ge¬ 
gebene Stelle unverrückbar beibehält, da zweifellos nur bei wirklich 
guter Stellung die späteren Ergebnisse Schlüsse hinsichtlich der 
Transplantationsfähigkeit zulassen. Es wird darauf bei der Be¬ 
schreibung der einzelnen Versuche noch besonders hingewiesen: 
in den Fällen, in denen die Stellung des Transplantats nicht als 
ideal bezeichnet werden konnte, oder das Implantat nicht so recht 
ins Gelenk passte, wurden stets schwere Veränderungen des Ge¬ 
lenkes konstatiert. 

Wenn es auch unzweifelhaft ist, dass die Operationsteehnik 
entschieden von allergrösster Bedeutung für das Gelingen jeder 
Transplantation ist, so kamen mir doch auch eine Reihe von Fällen 
vor, bei denen ich das mehr oder minder schlechte Resultat nicht 
auf Kosten der Technik schieben konnte; denn die von Zeit zu 
Zeit vorgenommenen Röntgendurchleuchtungen ergaben manchmal 
kurze Zeit nach der Operation ein tadelloses Resultat, und einige 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Kraire <k*r hnmuplastisHim Transplantationsfälii^rki'it usw. 483 


Wochen später waren dann trotz der gut gebliebenen Stellung des 
Transplantates deutliche Veränderungen an Epiphyse und Gelenk 
zu sehen, die dann später bei der Untersuchung des Präparates 
bestätigt wurden. In anderen Fällen, die ganz genau so operiert 
waren, blieben dagegen solche Veränderungen aus, und bei der 
späteren Untersuchung konnte man kaum die operierte Extremität 
von der gesunden unterscheiden, so unverändert sahen Gelenk und 
Epiphyse aus. 

Eine Erklärung für dieses ganz auffallend verschiedene Er¬ 
gebnis meiner einzelnen homoplastischen Operationen kann ich nicht 
geben; es gelingt eben einmal eine Homoplastik gut, das andere 
Mal,, und das ist meistens der Fall, versagt sie mehr oder minder 
völlig. Im ganzen kann ich sagen, dass ich bei meinen Kaninchen- 
Gelenktransplantationen in bezug auf den Epiphysenknorpel nur in 
ein paar Fällen günstigere Resultate erhalten habe als bei meinen 
Hundeversuchen, indem unter den 16 Versuchen doch einige sind, 
bei denen der Knorpel erhalten geblieben war und durch die Trans¬ 
plantation auch das Längenwachstum des Transplantates keine 
nennenswerte Einbusse erlitten hatte. 

Besser wie am Epiphysenknorpel waren die Resultate immer 
am Gelenkknorpel, der in fast allen Fällen grösstenteils unver¬ 
ändert am Leben blieb und auch seine normale Funktion weiter 
ausübte. Sicher ist, dass bei allen Transplantationen die Grösse 
der zu transplantierenden Objekte eine gewisse Rolle spielt, indem 
kleinere Stücke sehr viel bessere Aussichten geben als grössere; 
wie ich dies auch schon in meiner ersten Arbeit betont habe. 
Auch das Alter der Versuchtiere ist ein sehr wesentlicher Faktor; 
denn je jünger die Tiere sind, desto besser gelingen, wie alle 
Transplantationen, so auch die Gelenktransplantationen. 

Die Operationsresultate wurden durch kurze Röntgendurch¬ 
leuchtungen kontrolliert; häufigere Durchleuchtungen oder Auf¬ 
nahmen wurden absichtlich vermieden, um durch die Strahlen 
keine Schädigungen der Transplantate, insbesondere der wachsenden 
Epiphysenknorpel eintreten zu lassen. Alle Tiere — sie kamen 
alle im Alter von fünf Wochen zur Operation — überstanden den 
Eingriff gut, und von den 16 Versuchen heilten 14 primär, wäh¬ 
rend es bei zweien zu einer Fistelbildung kam, aus der sich all¬ 
mählich das Transplantat ausstiess, sodass zur Verwertung nur 
14 Experimente dienen konnten. 

Nach Ablauf von 2—4 Monaten wurden die Tiere durch 
Nackenschlag getötet und beide Vorderextremitäten nach Entfernung 
der Haut und der hauptsächlichsten Weichteile in Formol gehärtet, 
entkalkt, in Celloidin eingebettet und die Gelenkabschnitte im 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



484 


Fr. H. von Tappei iu'r, 


Digitized by 


ganzen in Serien geschnitten. Gefärbt wurde mit Hämatoxvlin- 
Eosin und nach van Gieson. Die operierte Extremität wurde 
immer mit der entsprechenden gesunden verglichen. Die Angaben 
über den mikroskopischen Befund beruhen auf der Durchsicht 
einer grossen Anzahl von Schnitten. 

* Versuchsprotokolle. 

1. Homoplastik bei Blutsverwandten. 

6 Versuche. 

Versuch 1. Austausch zwischen Kaninchen 1 und 2 vom ersten Wurf. 

Kaninchen 1. Versuchsdauer 87 Tage. 

Operation am 1. 4. 1913. Das Transplantat heilte reaktionslos ein. Die 
ersten 10 Tage schonte das Tier sein Bein, nach Ablauf dieser Zeit aber sprang 
es munter umher und an seinen Vorderextremitäten war irgend welcher Unter¬ 
schied in der Funktion nicht mehr zu bemerken. Die Callusbildung an der 
Vereinigungsstelle beider Knochenteile war am Ende der zweiten Woche deut¬ 
lich fühlbar und nahm bis Anfang der vierten Woche dauernd zu. Von da ab 
blieb sie gleich und nahm später eher wieder etwas ab. Am 30. 4. (4 Wochen 
nach der Operation) wurde eine Röntgendurchleuchtung gemacht, die eine tadel¬ 
lose Stellung des Transplantats erkennen Hess. Die Epiphysenlinie war genau 
so schmal gezeichnet wie am anderen Lauf. 

Am 2G. G. wurde das Tier getötet (87 Tage nach der Operation). Das 
Gelenk war normal beweglich, und nach Ablösen von Haut und Wcichteilen an 
beiden Vorderextremitäten ergab sich ein Resultat, über das ich selbst über¬ 
rascht war. Es zeigte sich, dass die Länge des Radius auf beiden Seiten voll¬ 
kommen gleich war, dass die Knochenenden genau End zu-End standen und 
dass die Verdickung an der Berührungsstelle durch Callus nur gering und ganz 
gleichmässig war. Das Periost: überzog in glatter Lage Radiusdiaphyse und 
Transplantat ganz gleich massig. An den Gelenkflächen von Radius und Ulna 
des operierten Beines konnte irgend eine Verschiedenheit im Vergleich mit der 
anderen Seite nicht wahrgenommen werden. Der Knorpel war überall glatt und 
glänzend, ohne Auflagerung oder irgend eine Unregelmässigkeit. Nirgends fanden 
sieh irgend welche Zeichen einer Arthritis (Jeformans. Die Gelenkkapsel letzte 
fest und an richtiger Stelle an dem Transplantat an. Die Intermediärknorpel¬ 
scheiben waren auf beiden Seiten gleich deutlieh zu erkennen. An der Operations¬ 
stelle bestand zwischen Radius und Ulna eine geringe Synostose. Eine abnorm»* 
Krümmung des Radius war nicht vorhanden. 

Die operierte und zum Vergleich auch die nicht operierte vordere Extremität 
wurde in frischem Zustand gezeichnet *), und auf dem Bilde (Eig. 1) ist gut zu 
sehen, dass nur durch die geringe (’allusverdiekung die operierte Extremität von 
der nicht operierten unterschieden werden kann. 

Auf dem nach Fixation und Entkalkung läugsdurehschnittenen Präparat 
findet sich die Markhöhle des Implantats an der Berührungsstelle mit der Radius¬ 
diaphyse des Empfängers teilweise durch Callus, der im übrigen nur eine geringe 
Ausdehnung hat, verschlossen. 

Mikroskopischer Befund: Das Periost ist im Bereich des Transplan¬ 
tats et Weis dicker als an der Radiusdiaphyse. zeigt aber überall normale Struktur. 

1) Alle Zeichnungen sind von dem Universitätszeichner, Herrn Häger in 
Greifswahl, hergestellt worden. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 


485 


Die ursprüngliche Markhöhle des Transplantats ist grösstenteils mit spongiösem 
Knoehengewebe ausgefüllt, nur an einzelnen Stellen finden sich kleine Inseln 
normalen Markes. An der Grenze des Transplantats und der Radiusdiaphyse ist 
die Markhöhle durch Callus vollständig abgeschlossen, nur von einzelnen Strängen 
gefässreichen Bindegewebes durchzogen, in denen stellenweise kleine Partien 
Knochenmarkes liegen. Der Epiphysenknorpel ist grösstenteils in normaler Weise 
erhalten und zeigt regelmässige Struktur. Die Zellkerne sind gut gefärbt und 
nur im Centrum findet sieh eine Partie, die offenbar nekrotisch geworden war 


Fig. 1 



a b 


Kaninchen 1. Versuchsdauer 87 Tage. Die operierte Extremität a ist von der 
nicht operierten b nur an der geringen Verdickung durch den Callus zu erkennen. 
Man sieht deutlich, dass die Gelenk flächen glatt und ohne jegliche Inregel- 
mässigkeiten sind, t Transplantat. 

und stellenweise schon von jungem Bindegewebe durchzogen ist. Man sieht 
hier noch die schwach gefärbte Knorpelgrundsubstanz, aber nur wenige ge¬ 
schrumpfte Kerne mit intensiver Färbung. Die Höhe des erhaltenen Epiphysen- 
knorpels ist im wesentlichen dieselbe wie auf der gesunden Seite, an diesen 
Partien ist überall neugebildeter Knochen angesetzt. An den Rändern ist es 
stellenweise zu geringer unregelmässiger Knochenwucherung gekommen. Der 
alte Knochen ist teilweise schon durch jungen ersetzt, überall ziehen, nament- 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 




F r. H. vo n T appe i n c r, 


Digitized by 


48G 

lieh vom Periost aus, in ihn neue, junge Knoehenhiilkehen hinein, die v-n 
Osteoblasten regelmässig umsäumt sind. Die Zellen des junsren Knochengewebcs 
sind bedeutend grösser als die alten und ihre Kerne heller gefärbt. Der alte 
Knochen zeigt nirgends mehr normale Knochenzellen, sondern seine Höhlen sinn 
grösstenteils leer, nur in manchen sieht man noch Kerntrümmer liegen. Der 
Gelenkknorpel ist vollständig erhalten. Nur ganz wenige Zellen in der Tiefe 
zeigen Kernveränderungen, die sieh durch unregelmässige Konturen und tiefere 
Färbung äussern. Die Knorpeloberfläehe ist vollkommen glatt und nirgends 
finden sieh L'suren. Die Gelenkkapsel setzt an normaler Stelle an und an keiner 
Stelle geht von ihr Bindegewebe auf den Knorpel über. 

Versuch 2. Kaninchen 2 bekam das Radiusköpfchen von Tier 1 implan¬ 
tiert. Versuehsdauer 123 Tage. 

Operation am 1. 4. 1913. Die Heilung verlief ohne Störung: na«*h 
S Tagen konnte das Tier die operierte Extremität ebenso gut ansetzen wie die 
andere. Bei einer nach 3 Woehen vorgenommenen Röntgendurchleuchtung fand 
sich das Transplantat in guter Stellung und irgend etwas Besonderes oder Ab¬ 
weichendes von der anderen Extremität wurde nicht bemerkt. Mehrere Wochen 
später fiel auf, dass das Tierchen auf der operierten Extremität etwas hinkte 
und sie nicht so frei gebrauchte. Bei der Untersuchung wurde ein leichtes 
Schlottergelenk konstatiert. Bei der zweiten Röntgendurchleuchtung, (> Wochen 
später, ergab sieh nun ein ganz anderes Bild wie bei der ersten. Das Trans¬ 
plantat stand noch in guter Stellung, zeigte aber Unregelmässigkeiten an der 
Gelenkfläche, die Kpiphysenlinie war kaum mehr zu sehen und das ganze Trans¬ 
plantat erschien verkürzt und atrophisch. 

Am 1. S. wurde das Tier getötet (123 Tage nach der Operation). Bei der 
Präparation der operierten Extremität fand sich, dass das Transplantat voll¬ 
kommen zugrunde gegangen und durch Bindegewebe ersetzt war: vorn Radius 
aus war es zu einer geringen Knochenwueherung gekommen, die aber lange 
nicht ausreichte, um den Defekt knöchern zu decken, der etwas über 1 * cm 
betrug und von Bindegewebe ausgefüllt war, in dem sich vereinzelte Knochen¬ 
inseln fanden. 

Auch bei der mikroskopischen Untersuchung konnten in dem Binde¬ 
gewebe nur einzelne alte, abgestorbene Knoehenstüekc nachgewiesen werden, in 
die von allen Seiten das junge Bindegewebe hineinwucherte. An den Rändern 
war es von dem erhaltenen Periost aus zu Knochenneubildungen gekommen. dU 
in unregelmässiger, zackiger Form gegen das Gelenk zu wucherten. Vom Epi- 
i»ii ysen- und vom Gelenkknorpel waren nur am Rande einzelne Partien erhalten 
mit lebhafter, aber vollkommen unregelmässiger Zellwueherung. Dieses weit¬ 
gehende Absterben des Implantats und sein Ersatz durch unregelmässigen 
jungen Knochen und Bindegewebe war naturgemäss auch nicht ohne Einfluss 
auf das Ellbogengelenk geblieben. Die Gclcnkfläche der Ulna und des Humerus 
wiesen erhebliche Veränderungen auf. Das Bindegewebe war an vielen Stellen 
auch auf ihren Gelenkknorpel übergewuchert, der Knorpel war usuriert und 
seine Oberfläche, wo sie noch erhalten war, aufgelockert und nicht so glänzend 
und glatt wie normal. An den Rändern fanden sich Knochen- und Krmrpel- 
wucherungen mit ausgesprochener Usteophytenbildung. Die Gelenkkapsel war 
ebenfalls gewuchert und verdickt. Das ganze Gelenk zeigte das typische Aus¬ 
sehen einer schweren Arthritis deformans. 

Irgend welche Anhaltspunkte für eine stattgefundene Infektion konnten 
nicht nachgewiesen werden. Dagegen sprach ja auch die vollkommen aseptische 
Einheilung des Transplantats und die anfangs gute Funktion des Gelenks, die 
klinisch festgestellt und durch die Röntgendurchleuchtung kontrolliert war. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSITY OF IOWA 



Zur Knurr der honu>iilastisehen Transplantationsfähigkcit usw. 


487 


Für das schlechte Ausfallen dieses Versuchs kann ich keinen 
anderen Grund angeben, als eben die homoplastische Transplanta¬ 
tion. Das Transplantat verfiel in diesem Falle der Resorption, 
trotzdem es sich um eine Verwandten-Transplantation gehandelt 
hatte. Dieser Versuch illustriert, mit dem vorhergehenden zu¬ 
sammen, gut, wie verschieden das Endresultat beim Organaustausch 
sogar unter Geschwistern sein kann; da in einem Falle das Trans¬ 
plantat in voller Funktion erhalten blieb, im anderen Falle voll¬ 
kommen verloren ging trotz guter Einheilung. 

Versuch 3. Austausch des Radiusköpfehens zwischen Kaninchen 3 und 4 
vom ersten Wurf. 

Kaninchen 3. Versuchsdauer 122 Tage. 

Operation am 1. 4. 1913. Das Transplantat heilte sehr gut ein. Die 
Nähte, die am <5. Tage entfernt wurden, waren vollkommen trocken. Hei der an 
diesem Tage ausgeführten Röntgendurchleuchtung zeigte sieh, dass das Trans¬ 
plantat in guter Stellung stand. Nach S Wochen wurde zum zweiten Mal eine 
Durchleuchtung vorgenommen, die bewies, dass das Transplantat nach wie vor 
gut stand und sich nicht sichtbar verändert batte. Die Epiphysenlinie war 
ebenso gut zu erkennen wie am anderen Hein. Die Callusbildung an der Ver¬ 
einigungsstelle war gut zu sehen, war auch an einer geringen Verdickung noch 
deutlich zu fühlen. Von der 3. Woche an, nach der Operation, war die operierte 
Extremität wieder vollkommen gebrauchsfähig. 

Am 30. 7. wurde das Tier getötet (122 Tage nach der Operation). Nach 
Abpräparieren der Weichteile zeigt sieh, dass die Vereinigungsstelle des Radius 
mit dem Transplantat kaum mehr zu erkennen ist: an der Uebergangsstelle 
fand sieh eine kleine Knoehenspange, die den Radius mit der l'lna verbindet. 
Die Länge des operierten Radius war genau so gross wie die des Radius der 
anderen Extremität. Das Transplantat mass 12 nun Länge (bei der Operation 
betrug es 10 mm), es war also eine geringe Verlängerung, jedenfalls aber keine 
Verkürzung eingetreten. Von der Epiphysenlinie war äusserlieh nichts mehr zu 
erkennen (ebenso auch nicht mehr am nicht transplantierten Radiusköpfehen 
der anderen Extremität). Eine abnorme Krümmung der Knochen an der ope¬ 
rierten Gliedmasse war nicht vorhanden. Die Gelenkkapsel inserierte ganz 
gbdehmässig an der Knorpelknoehcngrenze, das Periost zeigte am Transplantat 
keine F n rege lniässigk eit und keine Verdickung. Das Ellbogengelenk des ope¬ 
rierten Heines unterschied sieh in keiner Weise von dem der anderen Seite. Die 
Golenkflächen waren überall glatt und regelmässig, der Knorpel spiegelnd, von 
normaler Farbe; nirgends fanden sieh irgend welche Auflagerungen. 

An dem längshalbierten Radius sah man. dass sieh die Markhöhle fast 
vollkommen wieder hergestellt hatte und dass sie nur noch durch ganz geringen, 
überschüssigen Callus etwas eingeengt wurde. Die Verbindung der Markhöhle 
des Transplantats mit der der Diaphyse ist fast völlig frei; von der Epiphysen- 
1 inir sind eben noch Reste zu erkennen. 

Das Präparat wurde in frischem Zustande zusammen mit der Kontroll- 
extremität gezeichnet (Fig. 2). Man erkennt auf der Zeichnung gut die Yer- 
einigungsstelle des Implantats und siebt vor allem, dass das Gelenk in keiner 
Weise geschädigt ist. 

M i k ros k o p i se h er Befund: Das Periost überzieht gleiehmässig das ganze 
Präparat, ist aber im Hereich des Implantats etwas dicker. Der alte Knochen 
ist fast völlig durch jungen ersetzt; man sieht nurmehr ganz wenige, haupt- 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



488 


Fr. H. von Tappei ner. 


Digitized by 


sächlich in der Cortiealis gelegene, schmale Kiioehcnbälkchen mit leeren Knorhcn- 
höhlen. Von dem Kpiphysenknorpel ist nichts mehr zu erkennen, seine ur¬ 
sprüngliche Lage wird nur noch dureli Reste intensiv gefärbter (irandsubMan z 
gekennzeichnet; auch auf der nicht operierten Seite ist der Epiphysenknorp»-! 
schon fast vollständig verschwunden. Der (ielenkknorpel ist fast überall als 
vollständig normal zu bezeichnen. Weder in bezug auf Grösse und Form seiner 
Zellen und deren Kerne, noch hinsichtlich ihrer Färbbarkeit findet sieh irgend 
eine Verschiedenheit gegenüber dem Kontrollpräparat. Nirgends bestehen Auf* 


Fig. 2. 



Kaninchen Ö. Versuelisdauer 122 Tage. Die operierte Kxtremität b ist von der 
nicht operierten a kaum zu unterscheiden. Fs ist gut zu erkennen, dass die 
operierten Fllbogengclenke keinerlei art-britische Veränderungen aufweisen. 

t Transplantat. 


lagerungen von Bindegewebe und die oberflächlichen Zellen liegen lückeni«* 
glatt aneinander. Auch an den Rändern sind keinerlei Wucherungen oder l'n- 
regelmässigkeiten wahrzunehmen. Nur an einer kleinen Stelle, ungefähr in der 
Mitte der Gelenkfläche, ist eine ganz kleine Knorpelnekrose entstanden, und 
man erkennt deutlich an der lebhaften Zellteilung der darunter liegenden 
Knorpelzcllen das Bestreben der lebenden Zellen, das tote Knorpelstückchen zu 
regenerieren. Die Zellen liegen hier auch in grösseren Abständen voneinander. 


Gck igle 


Original ffom 

UMIVERSITY OF IOWA 




Zur Frage der homopl&stisehen Transplanlationsfiihigkcit usvv. 489 


als in den übrigen Teilen des Knorpels. In Kpiphyse und Diaphysc finden 
sieh zahlreiche Inseln normalen Markgewebes (Fig. 3). 

Das Ergebnis dieses Transplantationsversuchs ist als ein durch¬ 
aus befriedigendes zu bezeichnen. Jedenfalls hat sich das Trans¬ 
plantat vollständig erhalten, bzw. haben sich seine Elemente aus 


Fig. 3. 



KaX Knorpelnekrose, darunter Knorpelzellen in lebhafter Wucherung. MJ Mark¬ 
insel. RvG Reste verkalkter (irundsubstanz. atKn alter toter Knochen. IhKh 
lebender neuer Knochen. (Vergrösserung 91 fach, Zeiss Oc. 4, Obj. aa.) 


den erhaltenen Teilen zur alten Form regeneriert. Es scheint auch 
in diesem Falle ein Weiterfunktionieren des Epiphysenknorpels statt¬ 
gefunden zu haben; denn die Länge des Transplantats hat sicher 
gegen die, die es bei der Operation hatte, zugenommen. Ob die 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



490 


F r. U. v o n T a p p e i n e r. 


Digitized by 


Leistung des Knorpels eine normale oder eine verminderte gewesen, 
ist dadurch natürlich nicht bewiesen, da nicht bekannt ist, wieviel 
Knochen in derselben Zeit die entsprechende Epiphyse der Gegen¬ 
seite gebildet hat. 

Versuch 4. Kaninchen 4 bekam das Radiusköpfchen von Tier im¬ 
plantiert. Yersuchsdauer 97 Tage. 

Operation am 1.4. 191 ft. Heilung ohne Komplikation. Nach 14 Tagen 
war die normale Gebrauehsfähigkeit der operierte» Kxtremität wieder vorhanden. 
Die in der dritten Woche vor^nonimcne Rüntgendurehleuehtung ergab eine ein¬ 
wandsfreie Stelluni: des Transplantats, und an der Epiphysenlinie und am Ge- 
lenk keine sichtbaren Veränderungen. Hei der zweiten Durchleuchtung, 10 Wochen 
nach der Operation, fanden sich dagegen deutliche Enterschiede. Die Epiphysen- 
linie des transplantierten Radiusköpfchens war nicht mehr so scharf konturiert 
wie die der gesunden Seite und die Knoehenstruktur des ganzen Transplantats 
sah wie verwischt aus. Die Markhöhle war nur undeutlich zu erkennen. 

Am 25. 7. wurde das Tier getötet (97 Tage nach der Operation). Nach 
Eröffnung des Ellbogengelenks der operierten Extremität sieht man, dass das 
Radiusköpfchen nicht bis zum Capitulum humeri heranreicht und bei Bewegungen 
nicht artikuliert. Offenbar ist das Transplantat in seinem Längenwachstum zu¬ 
rückgeblieben und die Elna hat sich an ihm etwas vorbeigeschoben. Der Gelenk¬ 
knorpel selbst ist gut erhalten, glatt und glänzend, nur an einer Stelle hat er 
eine bindegewebige Auflagerung. An den Gelenkflachen von Ulna und Humerus 
ist nichts Abnormes zu erkennen. Die Länge des operierten Radius betragt 
1 ho mm weniger als die der gesunden Seite; die Länge des Transplantats selbst 
9 mm, also etwas weniger als bei der Verpflanzung. Von der Epiphysenlinie ist 
nichts mehr zu sehen, während sie am anderen Radius noch vorhanden ist. Die 
Vereinigung des Transplantats mit dem lladiusschaft ist fest knöchern: das 
Periost. etwas verdickt. Auf dem längshalbierten Präparat sieht man die Mark¬ 
höhle abgeschlossen und grösstenteils mit einem ziemlich derben Gewebe au>- 
gefiillt. Die Diaphyse ist nicht so schmal und glatt wie gewöhnlich, sondern 
verdickt und unregelmässig konturiert. Eine altnorme Krümmung der Knochen 
ist nicht vorhanden. 

Mikroskopischer Befund: Der Knochen des Transplantats ist teilweise 
schon durch neuen jugendlichen Knochen ersetzt. Von lebendem Epiphysenknnrprl 
finden sich nur noch an den Rändern ganz spärliche, unregelmässige Reste mit 
grossen, ziemlich blass gefärbten Zellen, in denen oft mehrere Kenn* zusammen- 
liegen. Dieser Knorpel zeigt keinerlei Andeutung einer Struktur und erinnert 
in nichts an den normalen intermediärknorpel. (An dem anderen Radius isi 
der Knorpel noch in normaler Tätigkeit.) In der Mitte dagegen sieht man nur 
noch schmale, schwach gefärbte Partien kernloser Grundsubstanz, in die von 
allen Seiten Bindegewebe und junges osteoides Gewebe mit reichlichen Osteo¬ 
blasten eindringt. Dazwischen finden sich noch zahlreiche, zackige, tief blau 
gefärbte Trümmer der alten, verkalkten, noch nicht vollständig resorbierten 
Grundsubstanz. Das Knochenmark des Transplantats ist so gut wie ganz ge¬ 
schwunden, und an seine Stelle ist sehr gefässreiehes Gewebe getreten, das von 
jungen Knochen bäIkchen durchzogen ist. Nur ganz vereinzelt findet man in 
ihm noch kleine Inseln myeloischer Zellelemente. Das Periost ist gut erhalten, 
nur etwas verdickt und befindet sich in voller Tätigkeit. Man sieht überall 
von ihm gebildetes neues Knochengewebe mit grossen jugendlichen Zellen. Au 
einzelnen Stellen, so besonders gegen die Verwachsungsstellc des Tran>plantat> 
mit der Diaphyse. liegen einzelne hyaline Knorpelzellanhäufungen. Sehr gut 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 491 


sieht der Gelenkknorpcl aus, der bis in seine tiefsten Schichten normale An¬ 
ordnung aufweist. Seine Zellen unterscheiden sich sowohl morphologisch wie 
tinktoriell nicht von denen der gesunden Seite. Nur auf der einen Seite hat 
sieh vom Kandc her zungenförmig in dünner Lage Bindegewebe auf ihn hinauf- 
geschoben und ist hier an einzelnen Stellen auch oberflächlich zwischen die 
Knorpelzellcn eingedrungen. 

Dieser Transplantationsversuch hat hinsichtlich des Inter¬ 
mediärknorpels ein absolut negatives Resultat ergeben. Auch hin¬ 
sichtlich des Gelenkknorpels ist er infolge des Hinüberwachsens 
von Bindegewebe nicht als vollkommen gelungen zu bezeichnen. 

Versuch 5. Austausch des Radiusköpfchens zwischen 2 Kaninchen des 
zweiten Wurfes. 

Kaninchen 5. Versuchsdauer 90 Tage. 

Operation am 3. 4. 1913. Das implantierte Stück passte gut und sein 
Oelenkabschnitt artikulierte ohne sichtbare Differenzen. Die Extremität war in 
der zweiten Woche wieder voll gebrauchsfähig und blieb es auch während der 
ganzen Dauer des Versuchs. Eine Verkürzung konnte am lebenden Tier nicht 
nachgewiesen werden. 

Arn 2. 7. wurde das Tier getötet (90 Tage nach der Operation). Die 
Stellung des Implantats erwies sicli als sehr gut. Seine Länge betrug ebenso¬ 
viel wie zur Zeit der Transplantation. Die Verdickung an der Vereinigungsstelle 
war gering, und nur durch eine kleine Knochenspange bestand eine Verwachsung 
mit der l’lna. Das Periost des Transplantats hatte etwas an Dicke zugenommen, 
zeigte aber sonst nichts Besonderes. Das Ellbogengelenk der operierten Ex¬ 
tremität unterschied sich in nichts von dem der gesunden Seite. Die Gelenk¬ 
knorpel w r aren glatt, spiegelnd, von zarter bläulicher Farbe, ohne makroskopisch 
sichtbare Nekrosen und ohne Auflagerungen. Auch an den Rändern fanden sich 
keine Wucherungen. Die Gelenkkapsel war zart und setzte an normaler Stelle 
am Radiusköpfchen an. Von der Epiphysenlinie war nur noch in der Mitte ein 
Teil als schmaler Streifen zu sehen, während sie auf dem Knntrollpräparat noch 
normal vorhanden war. Auf dem längsdurchschnittenen Präparat konnte man 
erkennen, dass an den Rändern grosse Partien des Intermediärknorpels völlig 
verschwunden waren und dass von der Markhöhle her, die fast vollkommen von 
derbem Gewebe ausgefüllt w'ar, ein Strang sich gegen und durch den Knorpel 
nach der Epiphyse hin vorschob. Die Diaphyse des Transplantats war nicht so 
glatt und gleichmäßig wie normal, sondern überall mit reichlichen knöchernen 
Auflagerungen bedeckt. 

Mikroskopischer B e f u n d: Vom Gelenkknorpel ist der allergrösste Tci 1 
lebend erhalten und nur an einer Stelle ist es zu einer grösseren Nekrose ge¬ 
kommen. in deren Bereich weder Zellen noch Kerne mehr gefärbt sind. In der 
Umgebung dieser Partie zeigen die am Leben gebliebenen Zellen häufige Mitosen. 
Vom Rande her dringt in diesen nekrotischen Knorpelteilen Bindegewebe ein, 
während ein Hinüberwachsen auf die Oberfläche des abgestorbenen Abschnitts 
nicht stattgefunden hat. In den übrigen Teilen des Knorpels zeigen Zellen und 
Kerne gewöhnliche Grösse und Färbung (Fig. 4). Die alten Knochenbälkchen 
der Epiphyse sind teilweise bereits durch neuen Knochen ersetzt: man sieht 
aber noch reichlich alten, kernlosen Knochen zwischen dem neugebildeten. 
Ueberall ziehen in Netzform angeordnete Stränge osteoiden Gewebes. Vom Mark- 
gewebc findet sich nur eine kleine, nahe am Rande gelegene Insel, die inmitten 
eines Zuges sehr blutgefässreichen, feinen Bindegewebes liegt, das von aussen 
her in die Epiphyse eingewachsen ist. Vom Intermediärknorpel ist noch die 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. ^ 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



492 


Fr. H. von Tapp ein er, 


centrale Partie als nekrotische kernlose Masse erhalten, die an ihrer Streifung 
noch die frühere Säulenknorpelstruktur erkennen lässt. Von der Diaphyse her 
drängt junges Bindegewebe gegen ihn vor. An den Rändern ist der Knorpel 
schon vollständig verloren gegangen und von Bindegewebe, osteoidem Gewebe 
und einzelnen neugebildeten Knochenbälkchen verdrängt. Reste verkalkter 
(irundsubstanz sind noch in geringer Menge vorhanden. Im Diaphysenteil des 
Transplantats ist der alte, abgestorbene Knochen schon weitgehender als im 
Epiphysenabschnitt durch neuen ersetzt. Normales Mark ist nur ganz wenig 
vorhanden, statt dessen füllt die Zwischenräume zwischen den neugebildeten 

Fig. 4. 


IKn 


tKn 


IKn lebender junger Knochen. tKn toter alter Knochen. KnX Knorpelnekrose. 
B Bindegewebe. tEKn toter Epiphysenknorpel. RrG Reste verkalkter Grund* 
Substanz. M Markgewebe. (Vergrüsserung 28fach, Zeiss, Oc. 2, Obj. a 2 .) 

Knochenbälkchen zellreiches, jugendliches Bindegewebe aus. Sehr reichliche 
Knochenneubildung hat von seiten des Periosts aus stattgefunden. An Periost 
und Kapsel ist sonst kein besonderer Befund zu erheben. 

Kaninchen 6. Versuchsdauer 67 Tage. 

Operation am 3. 4. 1913. Das von Tier 5 stammende Implantat passt* 
sich gut in das Ellbogengelenk ein. Die Extremität war nach wenigen Tagen 
wieder voll gebrauchsfähig und blieb es auch. Eine Veränderung des Trans¬ 
plantats konnte beim lebenden Tier nicht festgestellt werden. 

Am 9. 6. wurde das Tier getötet (67 Tage nach der Operation). Das Tran>* 
plantat stand in guter Stellung; die Verkürzung des Radius, die in diesem Falle 



Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 




Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 493 


vorhanden war, betrug 1 min; während das Transplantat selbst, genau wie bei 
der Operation, 10 mm mass. Eine Verlängerung war also jedenfalls nicht ein¬ 
getreten. In diesem Falle fanden sich an den Gelenkknorpeln einzelne kleine 
Schleifstellen und am Radiusknorpel ein kleiner Bezirk unmittelbar am Rande, 
der durch eine von der Kapsel herkommende Bindegewebswucherung bedeckt 
war. An einzelnen Randstellen war es auch zu beginnender Knorpel- und 
Knoehenwucherung gekommen. Die Gelenkkapsel selbst war verdickt und be¬ 
sonders um das Radiusköpfchen herum ziemlich massig; sonst war der Gelenk- 
knorpel gut erhalten, glatt, spiegelnd und von normaler Farbe. Der Epiphysen- 
knorpel schien erhalten zu sein. Auf dem längsdurchschnittenen Präparat 
konnte man aber schon makroskopisch, sehr deutlich bei Lupenvergrössorung 
erkennen, dass er teilweise von der Epiphyse abgehoben war und dass vom 
Rande her sich neues Gewebe wie ein Keil zwischen ihn und den Knochen 
hineingeschoben hatte. Auch die Farbe des Knorpels war verändert, mehr 
gelblich-weiss geworden. Die Markhöhle war abgeschlossen und die Diaphysen- 
wand etwas verbreitert und namentlich auch auf der Aussenseite unregelmässig 
verdickt. Das Periost war gleichfalls etwas verdickt und mit dem Knochen im 
Bereich des Transplantats fester verwachsen als sonst am Transplantat. 

Mikroskopischer Befund: Am Radiusköpfchen findet sich an der 
Stelle, die schon makroskopisch durch die Bindegewebsauflagerung gekenn¬ 
zeichnet war, eine kleine nekrotische Partie. In ihrer Umgebung sieht man die 
am Leben gebliebenen Knorpelzellen etwas vergrösserl, mit häufigen Mitosen. 
Von der bindegewebigen Auflagerung gehen ganz feine Züge oberflächlich bereits 
in den Knorpel hinein. An allen übrigen Stellen zeigt der Gelenkknorpel nor¬ 
male Beschaffenheit. Der Knochen im Bereich der Epiphyse ist überall kernlos, 
und allenthalben findet sieh zwischen den Fältehen der Spongiosa an Stelle des 
normalen Markes gefässrciches Bindegewebe. Normales Mark ist in der Epiphyse 
kaum mehr zu sehen: nur ganz vereinzelt sicht man ganz kleine Partien, die 
erhalten sind und deren Zellen scharf konturierte und gut gefärbte Kerne auf- 
weisen. An den Rändern der Epiphyse findet sich schon reichlich jugendlicher 
Knochen, während nach der Mitte zu noch der tote vorherrscht, und im Centrum 
und namentlich dicht unterhalb des Gelenkknorpels erst ganz spärliche lebende 
Knochenbälkehen angetroffen werden. Derlntermediärknorpcl ist ganz abgestorben; 
man sieht nur kernlose Zellen mit verwaschenen Grenzen. Die Höhe des Knorpels 
ist nicht grösser geworden. Nur am Rande ist eine kleine Stelle erhalten mit 
lebenden Knorpelzellen, die durch die regelmässige Anordnung derselben auch 
noch eine Andeutung an die alte Struktur erkennen lässt. An dieser Stelle 
sind auch neue lebende Knochenbälkehen angesetzt. Im übrigen hat sich 
zwischen den Knorpel und die Epiphysenspongiosa eine vom Periost herkommende 
Bindegewebswucherung eingeschoben, die ihn von der Epiphyse abtrennt. Von 
dieser Bindegewebswueherung gehen Fortsätze in die Spongiosa hinein, ganz 
oberflächlich auch in den Knorpel selbst. Im Diaphyscnteil des Transplantats 
ist ebenfalls noch reichlich alter, stets kernloser Knochen vorhanden, an den 
sich aber überall, namentlich auf der Aussenseite, schon junger Knochen angc- 
leirt hat. Die ursprüngliche Markhöhle des Transplantats ist ausgefüllt mit 
osteoidem Gewebe und jungen Spongiosabälkehen. Vereinzelt finden sieh zwischen 
ihnen Inseln normalen Markgewebes. Im Bereich der Uebergangsstelle von Im¬ 
plantat auf Radiusepiphyse sieht man dicht unter dem Periost und auch mitten 
im Gallus mehrere kleine Häufchen hyaliner Knorpelzellen mit zahlreichen Kern¬ 
teilungen. Das Periost ist am tranzen Transplantat etwas verdickt. 


33* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



494 


Fr. H. von Tapp ein er, 


Digitized by 


2. Homoplastik bei Nichtblutsverwandten. 

10 Versuche. 

Versuch 7 und 8. Austausch des Radiusköpfchens zwischen einem 
Kaninchen des ersten Wurfes und einem des zweiten Wurfes. 

Tier 7. Versuchsdauer 118 Tage. 

Operation am 3. 4. 1913. Das implantierte Radiusköpfchen passte sehr 
gut in das Ellbogengelenk hinein. Die feste Anheilung erfolgte sehr schnell, 
und nach kaum einer Woche war die Extremität wieder voll gebrauchsfähig. 
Bei der Kontrolle mit Röntgenstrahlen fand sich, dass die anfangs ebenso deut¬ 
lich und scharf abgesetzte, vielleicht etwas verbreiterte Epiphysenlinie von der 
7. Woche an unregelmässig wurde und ihre gleichmässige Struktur verlor, wäh¬ 
rend sie am anderen Radius unverändert aussah. Eine Verkürzung konnte 
während des Lebens nicht wahrgenommen werden. 

Am 29. 7. wurde das Tier getötet (118 Tage nach der Operation). Das 
Transplantat war im ganzen gut erhalten, nur etwas verdickt; die Gelenkkapsel 
zart, ohne stärkere Wucherungen, ihre Innenseite glatt und glänzend ohne jede 
Unregelmässigkeit. Der Knorpel des Radiusköpfchens zeigte dieselbe fein bläu¬ 
liche Färbung wie die übrigen Gelenkknorpel; Randwucherungen oder Auflage¬ 
rungen fanden sich nirgends. An der Vereinigungsstelle des Transplantats mit 
dem Radius bestand eine ziemlich starke knöcherne Verwachsung mit der Ulna, 
eine zweite, aber geringe dicht unterhalb des Gelenks. Das Periost ging glatt 
vom Radius auf das Transplantat über und zeigte keine besonderen Verdickungen. 
Vom Intermediärknorpel war makroskopisch auch auf dem längsdurchschnittenen 
Präparat nichts mehr zu sehen. An seine Stelle war ein, auch die Markhöhle 
zum grössten Teil ausfüllendes, derbes Bindegewebe getreten. An der Vor¬ 
einigungsstelle war die Markhöhle durch einen schmalen Brüekencallus abge¬ 
schlossen. Die normalerweise schmale Cornpacta war im Bereich des Diaphvscn- 
teils des Transplantats erheblich und unregelmässig verdickt. Die Länge des 
operierten Radius war ein klein wenig geringer als die des anderen, das Trans¬ 
plantat hatte noch eine Länge von 8 mm. 

Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpel zeigt ganz normales Aus¬ 
sehen, und an seiner Oberfläche liegen die Zellen glatt, ohne jede Unterbrechung 
aneinander. Nirgends ist vom Rande her Bindegewebe auf ihn übergewuchert. 
Die Zellen haben normale Grösse und Form, sind gut gefärbt, mit runden, scharf 
konturierten Kernen; nirgends finden sieh Anzeichen von Zerfall, und leere 
Knorpelhöhlen sind ebensowenig zu sehen. Die Dicke des Gelenkknorpels ist 
überall völlig gleich und nicht anders als auf der gesunden Seite. Das Periost 
ist im ganzen verdickt, liegt dem Transplantat fest auf und man siebt, dass cs 
schon reichlich jungen Knochen erzeugt hat; denn das Transplantat ist verdickt 
und die Reste der alten Corticalis, die an den leeren Knochenkohlen noch gm 
zu erkennen sind, sind ziemlich weit nach innen zu abgerückt. Die ursprüng¬ 
liche Mark höhle ist mit spongiösem und osteoidem Gewebe ausgefüllt, Markinseln 
sind nirgends zu sehen. Von dem Intermediärknorpel finden sich noch Spuren 
in Gestalt kernloser, ganz blass gefärbter Grundsubstanzreste: grösstenteils ist 
er schon ersetzt durch osteoides Gewebe. Auch in der Epiphyse ist der meiste 
alte Knochen schon durch neuen jugendlichen substituiert. An einer Stell»* 
findet sich, subperiostal gelegen, eine kleine Anhäufung hyaliner Knorpelzellen. 

Bei diesem Versuch hat sich der Gelenkknorpel vollkommen 
erhalten oder ist'jedenfalls, wenn Teile von ihm zugrunde gegangen 
sein sollten, vollkommen wieder regeneriert worden. Der Inter- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 495 

mediärknorpel dagegen ist nekrotisch geworden und von ihm hat 
sich nichts regeneriert. Da das Transplantat aber sogar etwas 
kürzer wie bei der Verpflanzung gefunden wurde und doch keine 
nennenswerte Verkürzung des Radius zu erkennen war, muss die 
distale Epiphyse auch in diesem Falle vikariierend eingetreten sein 
und das Fehlende ausgeglichen haben. 

Kaninchen 8. Versuchsdauer 110 Tage. 

Operation am 3. 4. 1913. Das von Kaninchen 7 stammende Radius¬ 
köpfehen passte exakt in das Ellbogcngclenk hinein. Die HciLung erfolgte ohne 
Komplikation. Die Stellung des Implantats blieb dauernd gut, und die Ge- 
brauehsfähigkeit der Extremität war nach 10 Tagen eine ganz normale. Das 
Ellbogengelenk blieb auch während des ganzen Versuchs gleich gut beweglich 
und zeigte keine Verdickung oder sonstige Veränderung; auch eine Verkürzung 
der Extremität war während des Lebens nicht nachzuweisen. Bei der Unter¬ 
suchung mit Röntgenstrahlen war die Knorpelfuge anfänglich ebenso gut zu sehen 
wie auf der gesunden Seite, späterhin aber verschwand sic immer mehr, während 
sie auf der Kontrollseite gleich blich. 

Am 22. 7. wurde das Tier getötet (110 Tage nach der Operation). Das 
operierte Ellbogengelenk sah ebenso gut aus wie das der anderen Seite. Die 
tielenkknorpel waren glatt und spiegelnd, mit normaler Farbe. Randwuclferungen 
fanden sich nirgends, und die Gelenkkapsel zeigte nur geringe Verdickungen, 
war auf der Innenseite aber ebenfalls vollkommen glatt und zart. Nirgends 
konnte man makroskopisch Defekte oder nekrotische Stellen am Knorpel des 
Transplantats erkennen. Das Implantat war mit dem Radiusschaft fest knöchern 
verwachsen, und an dieser Stelle auch in grösserer Ausdehnung mit der Ulna. 
Sein Periost erschien, ebenso wie das Transplantat selbst, verdickt, das beson¬ 
ders in seinen distalen Teilen grösseren Umfang angenommen hatte, während 
«las Köpfchen eher etwas atrophisch aussah. Von der Epiphysenfuge war nichts 
mehr zu erkennen (am Radiusköpfchen der anderen Extremität war sie noch 
eben zusehen), auch nicht auf dem längsdurchschnittenen Präparat. Die Mark¬ 
höhle war grösstenteils von derbem Gewebe ausgefüllt und an der Vereinigungs¬ 
stelle durch Callus abgeschlossen. Eine Verkürzung des Radius war nicht nach¬ 
zuweisen. 

Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpel ist im ganzen von nor¬ 
maler Beschaffenheit. Die oberflächlichen Zellschichten liegen glatt aneinander, 
überall haben die Zellen normale Grösse und Form und nur an einer Stelle, 
nahe der Mitte, sind sie zugrunde gegangen und lassen keine Kernfärbung mehr 
erkennen. An dieser Stelle ist die Grundsubstanz auch aufgelockert und sieht, 
bei stärkerer VergrÖsserung betrachtet, wie zerfasert aus. Bindegewebe ist nicht 
vorhanden. Die um diese Partie herum liegenden Knorpelzellen sind in lebhafter 
Wucherung begriffen, und man sieht hier sehr grosse, vielkernige Zellen. Es 
handelt sich dabei wohl um Regenerationsvorgänge zum Ersatz des zugrunde 
gegangenen Knorpelabschnitts von den erhaltenen Zellen aus (Fig. 5). Die 
Spongiosa ist vollkommen durch neue Knochenbälkehen ersetzt; nur geringe 
Mengen alten Knochens sieht man noch in Form von kleinen, zackigen, kern¬ 
losen Stückchen in ihr eingeschlosscn, und zwar am meisten noch in der Epi- 
P h yse, während im Diaphysenabschnitt des Transplantats nur noch ganz ver¬ 
einzelte Reste alten Knochens vorhanden sind. Die Stelle des intermediärknorpels 
ist nurmehr an vereinzelten Resten verkalkter Knorpelgrundsubstanz zu erkennen, 
Knorpelzellen selbst sind nirgends mehr sichtbar. Auf der gesunden Seite ist 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



496 


Fr. H. von Tapp ein er 


der Intermcdiärknorpel noch vollständig erhalten, aber bedeutend niedriger als 
sonst, und befindet sich offenbar dicht vor dem Abschluss seiner Waohstums- 
periode. Normales Markgewebe findet sich in der Epiphyse nur als einzelne 
kleine Inseln. Die Markhöhle des Transplantats ist ausgefüllt von spongiösem 
Knochen und sehr zell- und capillarreichem Bindegewebe mit spärlichen 
Markresten. Das Periost ist etwas verdickt, zeigt aber sonst regelmässige 
Schichtung. 

Fig. 5. 


KnX 

KnzRetj 


atKn 

M 

1 Kn 


RvG 


B 


KnX Knorpelnekrose. KnzRetj. Knorpelzellen in Regeneration. atKn alter toter 
Knochen. IKn lebender neuer Knochen. RvG Reste verkalkter Grundsubstanz. 

B Bindegewebe. M Mark insei. (Vergrößerung 54 fach, Zeiss, Oe. 2, Obj. aa. 

Versuch 9 und 10. Austausch des Radiusköpfchens zwischen je einem 
Tier des dritten und vierten Wurfes. 

Kaninchen 9. Versuchsdauer 90 Tage. 

Operation am 8.4.1913. Das Radiusköpfchen des Transplantats von 
Kaninchen 10 war etw r as grösser als das eigene; doch Hess es sich noch ganz 
gut implantieren. Die Einheilung erfolgte tadellos und nach 14 Tagen war die 
Extremität wieder gut gebrauchsfähig. In der Folge aber konnte man deutlich 
sehen, dass, je älter das Tierchen wurde, es seinen linken Vorderlauf immer 



Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Frage der homoplastisehen Transplantationstähigkeit usw. 497 


mehr schonte: und auch durch Palpation war festzustollen, dass das Ellbogen- 
irelenk dicker wurde, und kurz vor Beendigung des Versuchs fühlte man ganz 
■deutliches Reiben in ihm. Die Durchleuchtung ergab unregelmässige Gelenk¬ 
linien mit ausgesprochenen Randwucherungen. 

Präparatentnahme am 7. 7. (90 Tage nach der Operation). Das Ellbogen- 
gelenk zeigt eine ausgesprochene Osteoarthritis, nicht nur dos Radiusköpfehens, 
sondern auch an Ulna und Humerus. Die Gelenkflächen sind stellenweise usuriert 
und an einzelnen Stellen des Radiusköpfehens ist der Gelenkknorpel vollständig 
zu Verlust gegangen. Die Gelenkkapsel ist stark verdickt und wuchert mit ein¬ 
zelnen Fortsätzen auf die Gelenkflächen über. Am Rande der Gelenkflächen ist 
-es zu teilweise ziemlich erheblichen unregelmässigeu Knochenwucherungen ge¬ 
kommen. Die Stellung des Transplantats, das im ganzen verdickt ist, ist, ab¬ 
gesehen von einer geringen Verschiebung nach der Seite, im allgemeinen gut. 
Eine Verkrümmung der Ulna ist nicht vorhanden. Der operierte Radius ist um 
etwa 3 mm verkürzt. Vom Intermediärknorpel, der am anderen Radius noch 
vollständig erhalten ist, finden sich makroskopisch auch auf dem längsdureh- 
sehnittenen Präparat nur noch Reste. Die Markhöhle ist im ganzen verengt 
und an der Vereinigungsstelle grösstenteils durch Markcallus verschlossen. 

Mikroskopischer Befund: Der Knochen des Transplantats ist etwa zur 
Hälfte durch neuen jungen ersetzt, der stellenweise schon eine beträchtliche 
Dicke erreicht hat. Die Markhöhle ist ausgefüllt von osteoidem Gewebe mit 
spärlichen Knochenmarksinseln. Der Intermediärknorpel, der eine fast voll¬ 
ständig nekrotische, eben noch gefärbte Masse darstellt, ist nicht verdickt, son¬ 
dern eher verschmälert; seine Zellen sind schattenhaft eben noch zu erkennen. 
Ueberall wuchert in ihn sehr gefässreiehes Bindegewebe mit zahlreichen, grossen, 
mehrkernigen Zellen hinein, so dass er schon in viele kleine Teile zerlegt er¬ 
scheint: nur an einem Rande findet sieh noch lebender Knorpel mit vielfach 
mehrkernigen, grossblasigen Zellen und hyaliner Grundsubstqjiz. Die Zellen 
liegen ohne jede regelmässige Anordnung in Haufen subperiostal zusammen. 
Das Periost und die Gelenkkapsel sind verdickt, und von beiden Seiten gehen 
bindegewebige Wucherungen von ihr aus auf den Gelenkknorpel über. Stellen¬ 
weise gehen auch Bindegewebsknospen in ihn hinein und dringen durch ihn bis 
zur Spongiosa vor. Die Grundsubstanz sieht auf der Oberfläche wie aufgoloekert 
aus: an einer Stelle ist der Gelenkknorpel auch verdickt und mit vermehrter 
Zellanhäufung offenbar in Regeneration begriffen. Am Rande der Knorpel¬ 
knochengrenze sind zahlreiche unregelmässige Wucherungen von jungem Knochen¬ 
gewebe zu erkennen. 

Bei diesem Falle ist das Resultat der Transplantation als 
durchaus mangelhaft anzusehen, denn sowohl Intermediär- als auch 
Gelenkknorpel zeigen weitgehende Veränderungen. 

Kaninchen 10. Versuchsdauer 12S Tage. 

Operation am 8. 4. 1913. Das Radiusköpfchen des Transplantats von 
Kaninchen 9 war etwas kleiner, so dass es das Ellbogengelenk nicht vollständig 
ausfüllte, deshalb artikuliert auch seine Gelenkfläche nicht ganz anatomisch 
genau mit dem Humerus. Nach anfänglicher, auch durch die Röntgendurch¬ 
leuchtung bestätigter tadelloser Stellung des Transplantats entwickelte sieh 
auch hier eine langsam fortschreitende Arthritis des Ellbogengclenks. die in 
diesem Falle sogar eine deutlich nachweisbare Beschränkung der Beugefähigkeit 
zur Folge hatte. 

Am 14. 8. wurde das Tier getötet (128 Tage nach der Operation). Es be¬ 
stätigte sich, dass eine erhebliche Ellbogengelenksveränderung vorhanden war. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



498 


Fr. H. von Tapp ein er, 


Digitized by 


Die Gelenkknorpcl von Humerus, Ulna und besonders Radius waren an den 
Rändern mit unregelmässigen Knochen- und Knorpel Wucherungen umgeben, die 
im Verein mit der stark verdickten und massigen Gelenkkapsel, von der aus 
auch zottige Fortsätze in das Gelenk hineingingen, das typische Bild der chro¬ 
nischen deformierenden Gelenkentzündung ergaben. Der Knorpel des Radius¬ 
köpfchens war stellenweise vollständig verloren gegangen. Der knöcherne Teil 
des Transplantats war als eine unregelmässige Knochenmassc erhalten. Die Ver¬ 
kürzung des Radius betrug etwas über 1 1 / 2 mm, und die Krümmung der Ulna 
war vielleicht etwas stärker als auf der gesunden Seite. An der Vcreinigumrs- 
stclle des Transplantats mit dem Radius fand sieh nur noch eine ganz geringe 
Verdickung. Eine eigentliche Markhöhle war nicht vorhanden, nur stellenweise 
sah man lichtere, von lockerem Gewebe ausgefüllte Partien. Vom Intermediär¬ 
knorpel war nichts mehr zu erkennen. Auf der gesunden Seite war er makro¬ 
skopisch eben noch als schmale Linie zu erkennen. 

Mikroskopischer Befund: Unter dem verdickten Periost des Tran>- 
plantats finden sich an mehreren Stellen kleine Inseln lebenden hyalinen 
Knorpels, der aber in keiner Hinsicht an den Intermediärknorpel erinnert. Auch 
sieht man nirgends, dass es an ihnen zur Apposition von neuem Knochen ge¬ 
kommen ist. Die Bildung neuen Knochens, der den alten fast vollständig er¬ 
setzt hatte, geht im wesentlichen nur vom Periost und von jungem osteoidem 
Gewebe aus, das in die alte Markhöhle des Transplantats vorgedrungen ist und 
sie grösstenteils ausfüllt. Zahlreiche Züge mit reihenweise gelagerten Osteo¬ 
blasten sind überall zu sehen und auch fertige jugendliche Knochen bä lkchcn 
sind reichlich vorhanden. In dem gefässreiehen Bindegewebe liegen verschiedent¬ 
lich kleine Anhäufungen myeloider Zellelemente, aber zur Bildung einer zu¬ 
sammenhängenden Markhöhle mit Knochenmark ist es noch nicht gekommen. 
Vom Intcrmediärknorpel ist nichts mehr zu erkennen, ausser kleinen Teilen 
nekrotischer, kernloser Grundsubstanz mit Resten der alten Verkalkungszone. 
Nur an einer kleinen Stelle ganz am Rande hat sich ein Rest von ihm erhalten, 
der auch noch Andeutung eines regelmässigen Aufbaues aufweist. Hier sind die 
Zellen in lebhafter Vermehrung begriffen, und oft liegen zwei Kerne in einer 
Zelle. Auf der nicht operierten Seite war der Knorpel noch wohl erhalten, nur 
hatte seine Höhe abgenommen, da das Längenwachstum des Knochens von dieser 
Epiphyse aus nahezu beendet war. Der Gelenkknorpel zeigt da, wo er erhalten 
ist, normale Struktur und Zellen von gewöhnlicher Grösse und Form mit gleich- 
massigen, gut gefärbten Kernen. An den Stellen, wo er zugrunde gegangen ist. 
findet sich gefässreiches Bindegewebe, das auch sonst in grösserer Ausdehnung 
seine Oberfläche bedeckt, von den Rändern her auf ihn überwuchernd, ln den 
erhaltenen Knorpclzellen finden sich in der Nähe der nekrotischen Abschnitte 
häufigere Mitosen, auch liegen die Zellen hier dichter gedrängt aneinander. 

Aus dem Ergebnis der beiden letzten Versuche geht besonders 
deutlich hervor, wie enorm wichtig es ist, dass das zu implan¬ 
tierende Gelenkstück genau gleiche Grösse und gleiche Konfigura¬ 
tion seiner Gelenkfläche hat, wie das entfernte. Ich kann die 
Deformation des Ellbogengelenks bei diesen beiden Versuchen nur 
als eine Reaktion auf die nicht vollständig kongruenten Epiphysen 
auffassen, denn die Stellung des Transplantats war gut, und in 
den anderen Versuchen, in denen die Transplantate hinsichtlich 
Grösse und Form besser übereinstimmten, blieb eine solche starke 
chronisch entzündliche Gclenkveränderung aus. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Frage der homoplastischcn Transplantationsfähigkeit usw. 499 

Versuch 11 und 12. Austausch der Radiusküpfchen zwischen je einem 
Tier des dritten und vierten Wurfes. 

Kaninchen 11. Versuchsdauer 88 Tage. 

Operation am 8. 4. 1913. Das Implantat fügte sich gut in das Gelenk 
ein und nach kurzer Zeit setzte das Tier die operierte Extremität wieder wie 
gewöhnlich an. Irgend welche Unterschiede zwischen den beiden Vorderläufen 
waren während der ganzen Dauer des Versuchs nicht wahrzunehmen. 

Am 5. 7. wurde das Tier getötet (88 Tage nach der Operation). Die 
Stellung des Transplantats war gut, es stand genau End zu End mit der Radius- 
diaphvsc; die Vereinigungsstelle war noch etwas verdickt, aber deutlich abge¬ 
grenzt. Ara Ellbogengelenk war im grossen und ganzen nichts Abweichendes 
von dem der anderen Seite zu erkennen; nur an der Gelenkfläche des Radius 
war der Gelenkkapselansatz an einer Stelle etwas auf den Knorpel übergegangen. 
Der übrige Teil war vollkommen glatt und glänzend, von normaler Farbe. Rand¬ 
wucherungen waren nicht vorhanden. Der Intermediärknorpel war schon teilweise 
verschwunden. Auf dem längsdurchschnittenen Präparat konnte man schon mit 
Lupenvergrösserung sehen, dass er keine zusammenhängende gleichmässige Masse 
mehr darstellte, sondern zu einzelnen kleineren und grösseren Partien zerfallen 
war. Diese waren durch ein Gewebe voneinander getrennt, das auch die Mark¬ 
höhle fast vollkommen erfüllte. Auch zwischen den Spongiosabälkclien des 
Radiusköpfchens, die viel dichter als auf dem Kontrollpräparat standen, war das 
Gewebe derber und von anderem Aussehen als normales Mark. 

Mikroskopischer Befund: An der Stelle, wovon der Gelenkkapsel her 
sich Bindegewebe auf den Gelenkknorpel hinaufgeschoben hatte, findet sich eine 
oberflächliche Knorpelnekrose, in der weder Zellen noch Kerne zu erkennen sind. 
Diese abgestorbene Partie reicht von der Oberfläche bis nahe zur Mitte der 
Knorpeldicke und vom Rande her bis etwa an die Grenze des äusseren Knöchels. 
Eine zweite, kleinere nekrotische Stelle findet sich noch auf der anderen Seite 
am Rande; doch war es hier zu keiner Bindegcwebsauflagerung gekommen. An 
der ersten Stelle sieht man, wie sich vom Bindegewebe ganz feine Fortsätze in 
die Oberfläche der Knorpelpartie hineinsenken. Sonst ist der Knorpel überall 
gut erhalten, mit normaler Zellanordnung. Der Knochen im Bereich der Epi¬ 
physe ist überall abgestorben und teilweise, namentlich am Rande, schon durch 
jungen Knochen ersetzt. Der Intermediärknorpel ist bis auf eine ganz kleine 
Stelle am Rande, wo noch ein paar lebende Zellen erhalten sind, abgestorben, 
l'eberall sieht man nur unscharf konturierte, leere Knorpelhöhlen ohne jede 
Kernfärbung. Die Dicke der blass gefärbten Grundsubstanz ist im ganzen die¬ 
selbe wie normal, jedenfalls nicht grösser. Durch hineingewuchertes Bindegewebe 
ist sie schon in mehrere Teile zerlegt. Reste der alten, verkalkten Grundsub- 
stanz. sind noch reichlich vorhanden. In der Diaphyse des Transplantats ist 
ebenfalls aller alter Knochen abgestorben; die Substitution durch neuen Knochen 
ist hier aber schon weiter fortgeschritten, als in der Epiphyse. Die ganze Mark¬ 
höhle ist ausgefüllt von Bindegewebe und jugendlichem Knochengewebe, das 
weiterhin direkt in den Callus der Vereinigungssteile übergeht. Markgewebe ist 
nur sehr spärlich, in ganz kleinen Inseln vorhanden, die in den Bindegewcbs- 
zügen liegen. Das Periost ist etwas verdickt und unregelmässig geschichtet. 

Kaninchen 12. Versuchsdauer 65 Tage. 

Operation am 8.4. 1913. Das Implantat passte sehr gut in das Gelenk 
hinein. Das Tier überstand den Eingriff gut und konnte seine operierte Ex¬ 
tremität schon nach 10 Tagen wieder wie die gesunde gebrauchen; irgend etwas 
besonderes war an ihr während des Lehens nicht zu konstatieren. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



500 


Fr. H. von Tapp ein er, 


Digitized by 


Am 12. 6. wurde das Tier getötet (G5 Taste naeh der Operation). Das 
Ellbogengelenk der operierten Seite machte makroskopisch einen vollkommen 
normalen Eindruck. Alle Gelenkknorpel, auch der des Radiusköpfchens, waren 
glatt und spiegelnd, mit zartbläulicher Farbe. Nekrotische Stellen oder Wuche¬ 
rungen an den Rändern konnten nicht nachgewiesen werden. Die Gelenkkapsel 
setzte am Radius an normaler Stelle an und war auf der Innenseite vollkommen 
glatt und glänzend. Der Gelenkspalt zwischen Radius und Humerus schien 
etwas erweitert. Die Epiphysenlinie war als schmale, etwas unregelmässige 
Linie zu erkennen, wahrend sie auf dem Kontrollpräparat viel deutlicher und 
auch etwas höher war. Das Transplantat stand an der Vereinigungsstelle mit 
dem Radius naeh der Seite der Ulna hin, etwa um die Breite der Compacta 
verschoben; die Callusbildung war deshalb in diesem Falle auch stärker als 
sonst und das Transplantat durch eine breite Knochenspange mit der Ulna ver¬ 
bunden. Die Länge des Transplantats betrug 10 mm, ein Längenwachstum 
hatte also sicher nicht stattgefunden; die Markhöhle war abgeschlossen. Auf 
dem längshalbicrtcn Präparat konnte man mit Lupenvergrösserung erkennen, 
dass der lntermediärknorpel seine regelmässige Anordnung verloren hatte, dass 
seine Ränder ausgezackt und seine Farbe eine mehr gelbliche geworden war. 
An einer Randstelle schien die Veränderung am stärksten zu sein. Hier war 
die Knorpeldieke auch geringer als im übrigen Teil. Der Diaphysenabscbnin 
des Transplantats war im ganzen durch auf der Aussenseite erfolgte Knochen¬ 
auflagerungen verbreitert. Eine Verkürzung des Radius bestand nicht, auch 
keine abnorme Verkrümmung der Ulna. 

Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpel ist vollkommen normal 
erhalten und nirgends findet sich eine nekrotische Stelle; überall sind die Zellen 
wohl geformt und in gewöhnlicher Anordnung. Auch die Kerne zeigen keinerlei 
Abweichung hinsichtlich Form und Grösse, sowie in ihrem tinktoriellen Verhalten. 
Auch bei genauester Durchsicht vieler Schnitte konnte nirgends eine Unregel¬ 
mässigkeit des Knorpels oder Randwucherungen w r ahrgcnommcn werden. Im 
ganzen Transplantat ist der alte Knochen abgestorben und kernlos geworden. 
Nur in einzelnen Knochenhöhlen in der Spongiosa, der Epiphyse und der Com¬ 
pacta sieht man noch hier und da kleine tiefgefärbte Reste von Kcrntrümniern. 
Der Ersatz des abgestorbenen Knochens durch neuen Knochen ist in der Dia- 
physe am weitgehendsten fortgeschritten. Am meisten alte Knocheubälkchcn 
sind noch in der Epiphyse vorhanden, wo noch mehr toter als lebender Knochen 
zu sehen ist. Vom Intermediärknorpel ist die Grundsubstanz in ihrer äusseren 
Form noch fast vollständig vorhanden, nur an einer Stelle reicht sie nicht 
mehr bis ganz an den Rand heran; hier ist sic auch beträchtlich niedriger ge¬ 
worden, so dass der ganze Knorpel die Form eines stumpfen Keils angenommen 
hat. Nirgends im Knorpel sieht man noch lebende Zellen; alle Zellen sind 
kernlos, ihre Grenzen zum Teil sehr verwischt; nur in manchen Zeilen lassen 
sich noch Kerntrümmer feststellen. Dicht unter dem Periost, mitten im neu- 
gebildeten Knochengewebe, liegt eine kleine Knorpelinsel mit grossen, korn¬ 
reichen Zellen. Diese Zellen liegen aber regellos und ohne Andeutung an 
Säulenknorpelstruktur; auch steht diese Knorpelinsel nicht mit dem Intermediär¬ 
knorpel in Verbindung, so dass es fraglich erscheint, ob sie von ihm abstammt, 
oder vom Periost herriihrt. Eine ähnliche Knorpelzellansammlung liegt auch 
im Callus der Vereinigungsstelle von Transplantat und- Radiusdiaphyse, eben¬ 
falls nahe unter dem Periost. Die ganze Markhöhle des Transplantats ist mit 
jugendlichem Bindegewebe ausgefüllt und durchzogen von zahlreichem Netzwerk 
osteoiden Gewebes und feinen Bälkehcn neuen Knochens. Vom Mark ist im Be¬ 
reich des Transplantats sehr wenig zu sehen; nur ganz vereinzelt finden sich. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 


501 


in der Diaphyse häufiger als in der Epiphyse, kleine Anhäufungen myeloider 
Zellelemente. Das Periost ist überall verdickt, namentlich an der Vereinigungs- 
Stelle und besonders im Bereich der Diaphyse des Transplantats. 

Versuch 13 und 14. Austausch der Radiusköpfehen zwischen je einem 
Tier des dritten und vierten Wurfes. 

Kaninchen 13, operiert am 10. 4. 1913. In diesem Falle trat keine primäre 
Heilung ein; der Verband war am dritten Tage mit Wundsekret getränkt, und 
beim Verbandwechsel zeigte sich, dass die Hautwunde nicht aseptisch geblieben 
war. Das Implantat stiess sich dann, nachdem einige Tage nachher die Wunde 
vollkommen aufgegangen war, im ganzen aus. Der Defekt schloss sich durch 
sekundäre Heilung ziemlich langsam. 

Kaninchen 14, operiert am 10. 4. 1913. Auch hier kam es nach vorüber¬ 
gehender primärer Heilung nach 10 Tagen zu einer Fistelbildung; aus dieser 
Fistel kam bald das Diaphyscnende des Transplantats zum Vorschein, und nach 
einigen Tagen stiess sich das ganze Transplantat in toto aus,- worauf die Fistel 
langsam ausheilte. 

Warum es in diesen beiden Fällen, die genau so behandelt 
und operiert worden waren wie alle anderen, zu einer Eiterung ge¬ 
kommen wal", konnte nicht festgestellt werden. 

Versuch 15 und 16. Austausch der Radiusköpfchen zwischen je einem 
Tier des dritten und vierten Wurfes. 

Kaninchen 15. Versuchsdaucr 112 Tage. 

Operation am 12. 4. 1913. Das Transplantat stellte sich gut ein und 
seine Gelenkfläche passte glatt in das Ellbogengelenk des Empfängers hinein. 
Die Extremität war nach 12 Tagen vollkommen gebrauchsfähig und blieb es bis 
zum Ende des Versuchs. 

Am 12. 8. wurde das Tier getötet (112 Tage nach der Operation). Das 
Ellbogengelenk sah vollkommen normal aus, und auch am Gelenkknorpcl des 
Radiusköpfchens war nirgends ein Defekt oder eine nekrotische Stelle zu sehen. 
Die Gelenkkapsel setzte an gewöhnlicher Stelle an und war nirgends auf den 
Gelenkabschnitt übergegangen, auch Randwucherungen waren nicht vorhanden. 
Das ganze Transplantat war aber erheblich kürzer, als es bei der Operation 
gewesen war; es hatte nur eine Länge von 7 mm (gegen 10 mm bei der Opera¬ 
tion). Die Dicke des Transplantats hatte dagegen ziemlich bedeutend zugenommen 
und seine Oberfläche war nicht mehr glatt und regelmässig, sondern durch be¬ 
trächtliche Knochenauflagerungen verunstaltet (Fig. 6). Vom Intermediärknorpel 
war auf dem längsdurchschnittenen Präparat nichts mehr zu erkennen. Eine 
Markhöhle fehlte vollständig, ebenso jede regelmässige Knochenstruktur. Mit der 
Ulna bestand an der Vereinigungsstelle des Transplantats mit der Radiusdiaphyse 
eine zarte knöcherne Verwachsung. Die Gesamtlänge des Radius war genau so 
gross wie auf der gesunden Seite. Offenbar hatte auch hier die distale Epiphyse 
durch vermehrte Arbeitsleistung eine Verkürzung des Knochens verhindert, die 
sonst bei der teilweisen Resorption des Transplantats und dem Xichtfunktionieren 
der proximalen Epiphysenlinie unbedingt hätte eintreten müssen. Das Periost 
des Transplantats war erheblich verdickt und fester mit dem Knochen verwachsen 
als es sonst normalerweise der Fall ist. Die geschilderten Veränderungen sind 
auf der Zeichnung deutlich zu erkennen. 

Mikroskopischer Befund: Der Gelenkknorpcl des Radiusköpfchens 
lässt nirgends irgend eine Unregelmässigkeit erkennen. Alle seine Zellen sind 
W’ohl gestaltet und mit scharf konturierten, gut gefärbten Kernen versehen. 
Nirgends findet sich auch nur die kleinste nekrotische Partie. An den Rändern 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



502 


Fr. H. von Tappciner, 


sind keinerlei Wucherungsvorgänge wahrzunehmen, überall sieht der Gelenk¬ 
knorpel genau so aus wie auf der gesunden Seite. Der Knochen der Epiphyse 
ist grösstenteils schon durch neuen ersetzt. Vom Intermediärknorpel ist nurmehr 
ein ganz kleines Stückchen kernloser, gleichmässig mattgefärbter Grundsubstanz 
vorhanden und geringe, intensiv gefärbte Reste der alten präparatorischen Ver¬ 
kalkungszone. Der Abstand zwischen dem Gelenkknorpel und dem Intermediär¬ 
knorpelrest ist kleiner, als er in normaler Weise sein dürfte, und die dazwischen¬ 
liegende Spongiosa ist dadurch auch niedriger als gewöhnlich, zeigt aber schönen, 

Fig. 6. 


t 


a b 

Kaninchen 15. Versuchsdauer 112 Tage. Der Gelenkknorpel des Transplantats 
ist tadellos erhalten; dagegen ist eine erhebliche Verkürzung des Transplantats 
eingetreten, während die Gesamtlänge des Radius der operierten Extremität b «ier 
der anderen Seite a vollkommen gleich ist. t Transplantat. 

feinmaschigen Bau mit zahlreichen Inseln normalen Markgewebes. Distal vom 
Intermediärknorpelrest liegt eine fast ausschliesslich aus neugebildetem Knochen 
bestehende, niedrige Schicht, die unmittelbar als Gallus in die Diaphyse des 
Radius übergeht. Nur wenige alte kernlose Knochcnstückchen sind hier noch 
vorhanden. Auch hier finden sich zwischen dem jugendlichen Spongiosanetzwerk 
zah lreiche Marki n se 1 n. 




Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 




Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 


503 


Kaninchen 16. Versuchsdauer 117 Tage. 

Operation am 12.4. 1913. Das Transplantat fügte sich gut in das Ge¬ 
lenk ein und liess sieh leicht in guter Stellung fixieren. Die operierte Extremität 
war nach 10 Tagen wieder voll gebrauchsfähig und das Tier unterschied sich 
von da ab in nichts mehr von einem gesunden. 

Am 7. 8. wurde das Tier getötet (117 Tage nach der Operation). Am Ell¬ 
bogengelenk der operierten Extremität war ein deutlicher Unterschied gegen das 
der anderen Seite zu erkennen. Die Knorpel waren zwar überall glatt und 
glänzend, auch am Radiusköpfchen, und ein Knorpeldefekt oder eine Nekrose 
konnte nicht nachgewiesen werden, aber der Abstand der Radiusgelenkfläche 
vom Humerus war deutlich vergrössert und die etwas verdickte Gelenkkapsel 
hatte sich an einem Rande auf den Knorpel hinaufgeschoben. An dieser Stelle 
war der Knorpel auch etwas gewuchert und unregelmässig. Das Transplantat 


Fig. 7. 



KnN Knorpelnekrose. KnW Knorpelwucherung. B Bindegewebe. iKn Reste 
alten toten Knochens. IKn lebender neugebildeter Knochen. M .Markgewebe. 
HvG Reste verkalkter Grundsubstanz. (Vergrösserung 54fach, Zeiss, Oc.2, Obj.aa.) 


war im ganzen etwas verdickt und sein periostaler Ucberzug nicht so glatt und 
gleichraässig wie sonst. Mit dem Radius war es fest knöchern verheilt, jedoch 
konnte sein Ende noch deutlich auf dem längsdurchschnittenen Präparat im 
Callus erkannt und so seine Länge bestimmt werden. Sie betrug knapp 9 mm; 
das Transplantat war jedenfalls verkürzt. Vom Epiphysenknorpel war nichts 
mehr zu sehen. Die Markhöhle des Transplantats war ausgefüllt teils durch 
Knochenbälkchcn, teils durch Bindegewebe. Die Gesamtlänge des Radius am 
operierten Bein war ungefähr 1 mm kürzer als die des gesunden. 

Mikroskopischer Befund (Fig. 7): An einer Randstcllc des Radius¬ 
gelenkknorpels sieht man eine kleine, aber ziemlich tief gehende Knorpelnekrose, 
in die der gesunde Knorpel zapfenförmige Fortsätze hineinschickt. Bindegcwebs- 
auflagerung ist hier nicht vorhanden. Am anderen Rande ist es zu einer be¬ 
trächtlichen Knorpelwucherung gekommen, die zu einer erheblichen wallartigen 
Erhebung geführt hat. An dieser Stelle liegt der Knorpeloberfläche eine dünne 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 





504 


Fr. H. von Tapp ein er, 


Digitized by 


Bindegewebs läge auf, die nach der Mitte zu fein ausläuft. Tm übrigen zeigt der 
Knorpel regelmässige Struktur. Der knöcherne Anteil der Epiphyse hat ein fast 
vollkommen normales Aussehen und feinen spongiösen Bau aus jugendlichem 
Knochen mit zahlreichen Einsehliessungen von Markgewebe, das alle gewöhn¬ 
lichen myeloiden Elemente enthält. Nur ganz vereinzelt sind noch kleine, 
zackige, kernlose .Stückchen alten Knochens aufzufinden. Vom Intermediär¬ 
knorpel ist nichts mehr vorhanden. An seine Stelle ist faseriges Bindegewebe 
getreten, das in niedriger Schicht das ganze Präparat quer durchzieht (auf der 
Kontrollextmnität ist der Intermediärknorpel ebenfalls schon fast völlig ver¬ 
schwunden, aber an seine Steile ist hier Knochengewebe getreten). Es i>t an- 
zunehmen, dass dieses Bindegewebe, das auf beiden Seiten mit dem Periost im 
Zusammenhang steht, schon frühzeitig in den nekrotischen Knorpel liinein- 
gewuchert, ist und ihn ersetzt hat. Reste der ehemaligen, präparatorischen Ver¬ 
kalkungszone sind noch in geringer Menge vorhanden. Die Diaphvse des Trans¬ 
plantats besteht aus einem Netzwerk feiner, junger Knochenbälkchen. zwischen 
denen Mark und Bindegewebe liegt; eine eigentliche Compacta, ist nicht da. 
Die Spongiosamasse geht unmittelbar in den Callus über, und erst von hier an 
lässt sieh wieder die Compacta der Radiusdiaphyse erkennen, die weiter proxirnai 
bald normale Form annimmt mit normal weiter Markhöhle. 


Ueberblick über die Versuchsergebnisse. 

Uebereinstimmend bei allen Versuchen wurde gefunden, dass 
die Transplantate in den ersten drei bis vier Wochen ihre äussere 
Formen ziemlich genau beibehalten und dass sie in dieser Zeit 
wenigstens für die Untersuchungen mit Röntgenstrahlen irgend eine 
Veränderung nicht erkennen lassen. Später traten dann aber in 
dem grösseren Teile der Fälle so weitgehende Umgestaltungen der 
Form auf, dass sie auch im Röntgenbild stets auffielen. Nur in 
ein paar Versuchen (Kaninchen 1, 3 u. Fig. 1, 2) blieben sie aus. 

Der geringsten Veränderung war stets der Gelenkknorpel unter¬ 
worfen. In allen Fällen, wo das Transplantat gut in das Gelenk 
hineinpasste und weder grösser noch kleiner war als das entfernte 
Gelenkstück, kam es, wenn überhaupt, zu relativ geringfügigen 
Umformungen, die sich in Knorpelwucherungen der Ränder, in 
Nekrosen kleiner Knorpelabschnitte und in Ueberwuchern von Binde¬ 
gewebe auf und in dem Knorpel äusserten. Die Knorpelnekrosen 
sind in der Regel auf die Oberfläche beschränkt und wohl als Re¬ 
aktionen auf mechanische Insulte aufzufassen; denn die Oberflächen 
der Knorpelschichten stellen sich doch hinsichtlich des Anschlusses 
an die ernährende Gewebsflüssigkeit des neuen Bodens am 
günstigsten und müssten also am sichersten am Leben bleiben. 
In der Umgebung der nekrotischen Partie waren die erhaltenen 
Zellen meist in lebhafter Vermehrung begriffen, kenntlich an den 
häufigen Mitosen und daran, dass die Zellen dichter gedrängt lagen. 
Freie, abgestossene Knorpelstückchen habe ich in den Gelenken 
nie gefunden. Wenn die Implantate aber von vornherein nicht 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Frage der homoplastischeu Transplantationsfähigkcit usw. 


505 


anatomisch genau in die Gelenke hineinpassten, reagierten die Ge¬ 
lenkflächen auf diese Inkongruenz stets mit starken destruktiven 
Veränderungen, verbunden mit unregelmässigen Knorpel- und Binde¬ 
gewebswucherungen (Kaninchen 9, 10), so dass Bilder entstanden 
genau von der Form, wie sie bei der Osteoarthritis deformans 
chronica des Menschen bekannt sind, ln allen übrigen Fällen blieb 
der Knorpel aber gut erhalten (s. Fig. 1, 2, 6); auch seine Struktur 
erlitt keine wesentlichen Veränderungen; immer konnte man die 
ihm, ähnlich wie die IntermediäFknorpel, eigentümliche Dreischich¬ 
tung in ruhenden Knorpel, Säulenknorpel und Verkalkungszone 
gut unterscheiden. Der Gelenkknorpel spielt ja für die Epiphyse 
eine ähnliche Rolle, wie der Intermediärknorpel für die Diaphyse, 
und auch an seiner Knorpelknochengrenze geht enchondrales Wachs¬ 
tum vor sich. Durch die Transplantation wird aber der Knorpel, 
trotzdem er s"eine Vitalität erhält, doch so geschädigt, dass ein 
Wachstum in die Dicke an ihm zu keiner Zeit beobachtet werden 
konnte. Ein solches müsste sich aber doch einstellcn, da ja durch 
das Absterben des darunterliegenden spongiösen Knochens und des 
grössten Teils des Markgewebes die weitere enchondralc Verknöche¬ 
rung sehr lange aufgehalten wird. Erst längere Zeit nach der 
Transplantation lässt sich erkennen, dass in der Epiphyse des 
Transplantates teils vom alten regenerierten, teils vom neuen in 
sie hineingewachsenen Mark- und Bindegewebe aus neue Knochen¬ 
bildung erfolgt, und zwar, je w r eiter nach der Mitte zu, um so 
später. Noch mehrere Wochen nach der Transplantation sieht 
man in allen Versuchen der Verkalkungszone des Gelenkknorpels 
fast ausschliesslich alte, kernlose Knochensubstanz anliegen; zu 
einer neuen enchondralen Verknöcherung ist es in dieser Zeit noch 
nicht gekommen. Es müsste daher, vorausgesetzt eben, dass der 
Knorpel seine volle Wachsturaskraft ungeschädigt durch die Ver¬ 
pflanzung beibehalten hat, zu einem Höhenwachstum kommen. Da 
das aber nicht der Fall ist, muss, wenn man nicht in dem Aus¬ 
bleiben der enchondralen Verknöcherung und einem dadurch fehlen¬ 
den Anreiz die Ursache sehen will, angenommen werden, dass der 
Knorpel doch, trotz der Erhaltung seiner äusseren Form, trotz der 
normalen Gestaltung seiner Zellen und der guten Färbbarkeit seiner 
Vitalität in seiner Proliferationsfähigkeit gelitten hat. Dass einzelne 
kleinere Abschnitte, besonders in der Umgebung der nekrotischen 
Knorpelpartieen eine lebhaftere Kernteilung aufweisen, als Zeichen der 
einsetzenden Regeneration, widerspricht dem nicht. Die von x\x- 
hausen beschriebene Dreischichtung des Knorpels, auf die ich in 
meiner ersten Arbeit auch mehrfach hingewiesen habe, sah ich 
bei dieser Versuchreihe nicht; und zwar deshalb, weil zwischen der 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



506 


Fr. H. von Tapp einer. 


Digitized by 


Verpflanzung und der Präparatentnahme immer schon mehrere 
Monate vergangen waren und dadurch die cellulare Substitution 
der tiefer gelegenen Knorpelschichten schon weit fortgeschritten 
bzw. vollendet war, vorausgesetzt, dass überhaupt ein Absterben 
dieser Schichten stattgefunden hat. Nur einmal sah ich noch einen 
Rest einer Knorpelnekrose in einer tieferen Schicht (Kaninchen 8 
und Fig. 5). Einen Unterschied im Verhalten des Gelenkknorpels 
bei Transplantation zwischen Blutsverwandten und Nichtbluts¬ 
verwandten habe ich nicht feststellen können. 

Was den Intermediärknorpel betrifft, so waren die Resultate 
mit ihm bei weitem ungünstigere. Einen vollen Erfolg hatte ich 
nur zweimal (Kaninchen 1 und 3); denn das eine Mal war er fast 
vollkommen erhalten geblieben (Fig. 1), nicht nur anatomisch, son¬ 
dern auch physiologisch, und hatte in normaler Weise weiter 
gearbeitet. Das zweite Mal musste es ebenso gewesen sein, wenn 
auch der Knorpel selbst bei der Präparatentnahme schon ver¬ 
schwunden war, denn das Transplantat war deutlich in die Länge 
gewachsen (Fig. 2). Diese beiden Fälle waren Verwandten-Trans- 
plantationen. Ich möchte aber auf die Blutsverwandtschaft als 
Ursache für das gute Gelingen dieser beiden Versuche kein be¬ 
sonderes Gewicht legen, da die anderen Ueberpflanzungen bei bluts¬ 
verwandten nicht anders ausgefallen sind als bei den nicht bluts¬ 
verwandten -Tieren. In all diesen Fällen war der Intermediär¬ 
knorpel entweder vollständig zugrunde gegangen oder es hatten 
sich nur ganz minimale Teile von ihm erhalten, die noch Zell- 
und Kernfärbung annahmen. Der abgestorbene Knorpel, bei dem 
dann auch allmählich die Zellgrenzen verschwinden, wird langsam 
durch Bindegewebe ersetzt, das teilweise durch die Diaphvse in 
ihm vordringt, teilweise direkt von aussen aus dem Periost oder 
dem Gewebe des umgebenden Mutterbodens an ihn gelangt. Er 
wird angenagt, zerfällt in einzelne Stücke und wird endlich ganz 
resorbiert; an seine Stelle tritt Bindegewebe, das später auch durch 
jungen Knochen ersetzt werden kann. Von den meist sehr kleinen 
erhaltenen Partien aus kommt es nur zu unbedeutenden unregel¬ 
mässigen Knorpelwucherungen, die keine deutliche Struktur mehr 
erkennen lassen. Für das Längenwachstum kommen diese Teile 
nicht mehr in Betracht. Eine Verbreiterung des Intermediärknorpels 
durch Quellung habe ich, wenigstens bei der Untersuchung durch 
Röntgenstrahlen, nie sehen können, weder bald nach der Trans¬ 
plantation noch später. 

Wenn trotz des Zugrundegehens des Zwischenknorpels und 
des damit verbundenen Ausbleibens des Längenwachstums von 
dieser Epiphyse aus eine Verkürzung des ganzen Radius sehen, 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Frage der homoplastischen Transplantationsfähigkeit usw. 507 

und wenn, dann nur in ganz geringem Grade eintrat, so kann ich 
das nur dadurch erklären, dass die distale Epiphyse durch ver¬ 
mehrte Arbeitsleistung den Ausfall der proximalen deckte. Es ist 
ja bekannt, dass am Radius das Längenwachstum schon normaler 
Weise überwiegend durch den distalen Epiphysenknorpel gewähr¬ 
leistet wird, während der proximale nur eine geringe Rolle dabei 
spielt. Dass der Epiphysenknorpel im Gegensatz zum Gelenk¬ 
knorpel in der Form der halben Gelenkverpflanzung soviel schlech¬ 
tere Transplantationsfähigkeit besitzt, obwohl er doch ein diesem 
sehr ähnliches Gewebe darstellt und dieselben Elemente wie dieser 
enthält, kann im wesentlichen nur dadurch begründet sein, dass 
die ernährende Gewebsflüssigkeit des neuen Bodens schwerer an 
ihn herankommt, während der Gelenkknorpel gleich von vornherein 
wieder von Synovialflüssigkeit umgeben ist. 

Nur bei zwei Fällen dieser Versuchsreihen war, wie schon ge¬ 
sagt, das Resultat ein wesentlich besseres. Warum bei diesen 
beiden Tieren sich die Implantate so vollständig erhalten haben 
und bei allen andern genau so behandelten so wenig gut, kann 
ich nicht erklären. Vielleicht reagierten zufällig bei diesen beiden 
Tieren die Gewebsflüssigkeiten mit ihren Eiweisskörpern weniger 
giftig aufeinander als bei den andern. Möglich ist es jedenfalls, 
und eine andere Erklärung dafür habe ich nicht. 

Vom Markgewebe haben sich in allen den Fällen, in denen 
die Transplantate nicht vollständig zugrunde gegangen waren, 
immer wenigstens kleine Reste erhalten. Von diesen aus ist dann 
im Verein mit Markelcmenten, die mit dem Bindegewebe aus dem 
Mutterboden in das Transplantat hineingekoramen waren, der Auf¬ 
bau grösserer Markinseln und auch zusammenhängender Marklager 
erfolgt, die alle normalen Bestandteile aufwiesen. 

Das Knochengewebe geht immer zugrunde. Im Anfang färben 
sich seine Kerne noch gut und haben gewöhnliche Form, dann 
aber schrumpfen sie, zerfallen in einzelne Trümmer, die sich in¬ 
tensiver färben, endlich aber nach zwei bis drei Monaten ver¬ 
schwinden sie ganz; man findet dann nur mehr leere Knochen¬ 
höhlen. Die tote Knochensubstanz wird allmählich aufgelöst und 
resorbiert; an sie legt sich zunächst osteoides Gewebe an, von 
dem aus dann die Bildung von jugendlichem Knochengewebe er¬ 
folgt, dass an die Stelle der alten Knochenbälkchen tritt. Die 
Zellen und Kerne des neuen Knochens sind anfangs immer etwas 
grösser und färben sich nicht so intensiv, mit der Zeit werden sic 
dann kleiner, bis sie die gewöhnliche Grösse erreicht haben, und 
färben sich auch stärker. Das Periost bleibt stets zum mindesten 
grösstenteils am Leben und behält seine knochenbildende Fähigkeit. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107 Heft 3 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



508 Fr. H. von Tappeiner, Homoplastischc Transpiantationsfähigkeit usw. 


Digitized by 


Die Frage der homoplastischen Transplantation ist noch durch¬ 
aus ungenügend geklärt. Es ist zwar erwiesen, dass hie und da eine 
homoplastische Ueberpflanzung gelingt, aber irgend eine Gesetz¬ 
mässigkeit für das Gelingen ist noch nicht gefunden. Weitere Ver¬ 
suche in dieser Richtung sollen gemacht werden, und der Knorpel 
scheint mir für das Studium dieser Verhältnisse besonders geeignet 
zu sein, weil er in Form der halbseitigen Gelenkverpflanzung sich 
so ausgezeichnet in ein adäquates Bett überpflanzen lässt und jede 
Veränderung an ihm besonders deutlich in Erscheinung tritt. 


Literatur. 

1. Axliausrn, Feber den histologischen Vorgang bei der Transplantation von 
Gelenkenden, insbesondere über die Transpiantationsfähigkeit von Gelcnk- 
knurpel und Epiphysenknorpel. Areh. f. klin. Chir. Bd. 99. H. 1. 

2. Borst, Versuche zur Transplantation von Gelenken. Verhandl. d. Deutschen 
pathol. Gesellschaft. 1912. 

3. Kn der len. Zur Keimplantation des resezierten Intcrmcdiärknorpels beim 
Kaninehen. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. Bd. 51. 

4. Galeazzi, Kieerehe clinichc e sperimentali sub trapianto della eartilairini 
iuterepifisaria. Atti dcl XX. eongresso della soeieta italiana di chirurgia. 
Koma 1907. Ref. Hildebrand's Jahresber. f. d. Jahr 1907. 

5. Giani, R., Del trapianto della rartilagine eoniugale. (Transplantation von 
Gelenkknorpel.) Areh. di ortop. T. 30. Xo. 3. p. G23. Ref. Centralbl. f. 
d. ges. Fhir. u. ihre Grenzgeb. Bd. 4. Nr. 11. S. 7G5. 

G. Gill, Transplantation of entire boncs with their joint surfaees. Annals «>f 
surg. 1915. Juni. Xo. G. Ref. Centralbl. f. Chir. 1915. Nr. 42. S. 7G0. 

7. Helferich, Zur Biologie wachsender Röhrenknochen. Verhandl. d. Deutschen 
Gesellsch. f. Chir. 1S94. 

8. Heller, Experimentelle Untersuchungen über die Transplantation des Inter- 
mediärknorpels in Form der halbseitigen Gelenktransplantation. Areh. f. 
klin. Chir. Bd. 104. S. 843. 

9. Heller, Transplantation des Intermediärknorpels an den distalen Epiphysen 
der Vorderarmknochen. Freie Vereinig, d. Chir. d. Kgr. Sachsen. 3. 5. 1913. 
Centralbl. f. Chir. Jahrg. 40. Nr. 35. S. 137G. 

10. Fucei, Ni colo, Innesti parziali e eompleti articolari in resezioni ulm- 
radio-omcrali in animali da esperimento. (Teilweise und vollständige Auf- 
pfropfurnr von (ielenkflächen bei ulno-radio-humeralen Resektionen im Ti*-r- 
cxperimenl.) Clinica ehir. Annee 21. No. 4.' p. 805. Ref. Centralbl. f. d. 
«res. Chir. u. ihre Grenzgeb. Bd. 2. S. 1GS. 

11. Kehn, Die homoplastische Transplantation des Intcrmcdiärknorpels im 
Tierexperiment. Areh. f. klin. Chir. Bd. 97. H. 1. 

12. von Tappeiner, Studien zur Frage der Transplantationsfähigkeit des Epi¬ 
physenknorpels und des Gelenkknorpels. Zeitsehr. f. d. ges. exper. M«*L 
Bd. 1. H. 5. S. 491. 

13. Zoppi, Del tropianto della eartilagine interepifisaria. Areh. per le seien;'»* 
mediehe. 1900. No. 21. Ref. llildebrand's Jahresber. 1900. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



XVIII. 


Ueber Bauchschüsse, insbesondere über 
Schussverletzungen der Leber. 

Von 

Dr. E. Liek, 

Stabsarzt <1. Res. i» einem Feldlazarett. 


Die ärztlichen Beobachtungen der letzten grossen Kriege — 
Burenkrieg, russisch-japanischer Krieg, die beiden Balkankriege — 
haben die Entwicklung der modernen Kriegschirurgie gewiss ausser¬ 
ordentlich gefördert. Umsomehr waren wir Chirurgen im Felde 
überrascht, in wie vielen und grundlegenden Anschauungen wir in 
diesem grössten aller Kriege umlemen mussten. 

Hatte man uns z. B. nicht gelehrt, die Schusswunden seien in 
ihrer Mehrzahl als aseptische Wunden anzusehen? Und war dies 
nicht noch in den ersten Wochen des Krieges in voreiligen Publi¬ 
kationen behauptet worden? Wie waren wir in unserem Feld¬ 
lazarett erstaunt, als wir, einmal eingerichtet, fast nur infizierte 
Schusswunden sahen. Mindestens drei Viertel unserer chirurgischen 
Tätigkeit bestand in der Spaltung von infizierten Schusskanälen, 
Behandlung von Phlegmonen, Freilegen vereiterter Knochenschüsse 
und dergleichen. 

Dieser Widerspruch zwischen dem, was wir erwartet hatten, 
und dem, was wir in Wirklichkeit sahen, zeigte sich auch in andern 
wichtigen Fragen. Von kompetentester Seite lasen wir in unsern 
Fachblättern Aufsätze über Verletzungen durch Dumdumgeschosse. 
Aus der Grösse des Ausschusses im Verhältnis zum Einschuss 
wurde nach Analogie der Wirkung von Jagdwaffen die Diagnose 
auf Dumdum gestellt. Wir draussen sahen aber oft täglich An¬ 
gehörige des feindlichen Heeres mit genau solchen Wunden, obwohl 
unsere Soldaten Dumdumgeschosse nicht verwenden. Wir lernten, 
sehr bald, dass selbst aus einer erheblichen Differenz von Aus- 
und Einschussgrösse allein in keiner Weise auf Dumdum, selbst 
nicht immer auf Nahschuss geschlossen werden darf. 

34 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



510 


E. Lick, 


Digitized by 


Wie sind solche Widersprüche zu erklären? Die Menge Ver¬ 
wundeter, die einer Sanitätsformation nach einem grösseren Gefecht 
Zuströmen, zwingt zu rascher, fortdauernder Evakuation. Daher 
sieht der einzelne Arzt die Verwundeten im allgemeinen nur in 
einer kurzen Spanne Zeit. Die Eindrücke, die er gewinnt, sind 
verschieden, je nach dem Zeitpunkt, in dem er die Verletzten 
sieht. Ein Beispiel: es sind eine Anzahl frischer, gut geschienter 
Knochenschüsse in das Feldlazarett eingeliefert. Müssen wir sie 
am zweiten, dritten Tage weitertransportieren, so behalten wir 
durchaus den Eindruck, die überwiegende Mehrzahl verlaufe asep¬ 
tisch. Bleiben die Verletzten aber länger im Lazarett, über den 
vierten, fünften, sechsten Tag hinaus, so beginnt das Fieber, Abszesse 
stellen sich, es werden Eingriffe notwendig usw. 

Bis Schwerverwundete wirklich in stationäre Behandlung 
kommen, kann eih grosser Teil schon ausgesiebt, d. h. in den 
vorderen Sanitätsformationen gestorben sein. Ganz besonders wird 
dies der Fall sein beim Bewegungskrieg über grosse Entfernungen 
hin, wie wir ihn im Osten mehrfacli mitgemacht haben. 

Der einzelne Arzt verliert also im allgemeinen den Ver¬ 
wundeten, den er versorgt hat, sehr bald aus dem Auge. Das 

Fehlen einer umfassenden Uebersicht, die Unmöglichkeit, das Er¬ 
gehen seiner Verwundeten und Operierten weiter zu verfolgen, er¬ 
schwert die wissenschaftliche Verarbeitung des Gesehenen ausser¬ 
ordentlich, mahnt aber auch ferner zu grosser Vorsicht. Wenn 

z. B. Heimatlazarette berichten, dass ihre Oberschenkelschüsse aus¬ 
nahmslos heilten, so ist das ein gewiss sehr erfreuliches und 

beneidenswertes Resultat. Nur darf daraus nicht der Schluss ge¬ 
zogen werden, die Schussfrakturen des Oberschenkels hätten eine 
gute, selbst leidlich gute Prognose. Wir draussen sehen die Fälle, 
die gar nicht mehr in die Heimat gelangen. 

Und umgekehrt, wie selten hören wir von dem weitern Er¬ 
gehen unserer Schädelschüsse, die wir operiert haben, der Lungen¬ 
schüsse, die wir unter günstiger Prognose rückwärts transportierten. 

Hier wartet eine gewaltige, aber auch lohnenswerte und wich¬ 
tigste Arbeit, eine Arbeit, die wohl erst Jahre nach dem Kriege 
vollendet sein wird: eine Zusammenfassung, ein Rechnunglegen in 
grossen Zahlen über das, was in diesem Kriege ärztlich geleistet 
ist, über das Verhältnis von Erfolgen und Misserfolgen. Bis dahin 
können wir nur Einzelheiten, persönliche Eindrücke und Erfahrungen 
bringen, Bausteine für das spätere Werk. Aber auch diese Bei¬ 
träge können, sofern sie nicht die nötige Vorsicht und Selbstkritik 
vermissen lassen, das ihre tun, unsere bisherigen Anschauungen zu 
revidieren, Irrtümer zu berichtigen. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungcn. der Leber. 511 


Das Kapitel der Kriegschirurgie, in dem wir mit am meisten 
haben umlernen müssen, ist das der Bauchschüsse. Wir alle sind 
mit der lleberzeugung ins Feld gegangen, Bauchschüsse des Krieges 
würden im allgemeinen nicht operiert. Der Ausspruch McCormac’s 
„in diesem (Buren) Kriege stirbt ein durch den Bauch Ge¬ 
schossener, wenn er operiert wird; er bleibt am Leben, 
wenn man ihn in Ruhe lässt“, war zum Gemeingut fast aller 
Chirurgen geworden. 

Eine Reihe von Veröffentlichungen aus der ersten Zeit des 
Krieges schienen den Grundsatz zu bestätigen. 50, ja TOpCt. 
(Rehn) Heilung der Bauchschüsse bei konservativer Behandlung, 
mehr konnte man nicht verlangen. Allmählich wurden andere 
Stimmen laut. Rotter 1 ) sah von 88 Bauchschüssen 81 sterben 
bei nichtoperativer Behandlung. Perthes 2 ) folgerte aus seinen 
Beobachtungen, dass von 100 Bauchschüssen nur 21 lebend das 
Feldlazarett verlassen. Von diesen 21 waren aber 11 Bauch¬ 
schüsse ohne Organverletzung und nur 7 solche mit Verletzung 
von Magen oder Darm (7 waren Leberschüsse). Ob diese 7, 
namentlich die Fälle mit Kotfisteln, am Leben blieben, sei zweifel¬ 
haft gewesen. 

Friedrich 3 ) berichtete, dass auf einem Hauptverbandplatz von 
38 Bauchschüssen bis zum zweiten Tage 28 starben. Von 30 Dünn¬ 
darmschüssen in einem Feldlazarett starben 30. Friedrich empfahl 
daher die konservative Behandlung nur bei Leber-, Magen- und 
lateralen (Colon-) Schüssen. 

Kraske 4 ) sah keinen einzigen Bauchschuss mit sicherer Darm¬ 
verletzung bei konservativer Behandlung durchkommen. Böhler 5 ) 
beobachtete 300 perforierende Bauchschüsse, die bis auf 6 operierte 
konservativ behandelt wurden. Fast alle waren innerhalb der ersten 
24 Stunden nach der Verwundung eingeliefert. Es starben 95pCt., 
der Rest wurde in hoffnungslosem Zustand zurückgelassen. Böhler 
rechnet, dass etwa lOpCt. aller Schusswunden den Bauch betreffen. 
Von den in die Divisions-Sanitätsanstalt (unserer Sanitätskompagnie 
entsprechend) Eingelieferten waren aber nur 2 pCt. Bauchschüsse; 
die übrigen müssen also schon auf dem Schlachtfelde und den 
vordersten Verbandplätzen gestorben sein. Böhler zitiert 
ferner einen Etappenarzt, der unter 10 000 Verwundeten nur 
35 = 0,35 pCt. mit sicherer Darm Verletzung, davon viele mit 

1) Rotter, Münchener med. Wochensehr. 1914. Nr. 49. Feldär/.tl. Beilage. 

2) Perthes, Münchener med. Wochenschr. 1915. Nr. 15. Fcldärztl. Beilage. 

3) Friedrich, Verhandlungen der Kriegschirurgentagung in Brüssel am 
7. April 1915. 

4) Kraske, Münchener med. Woclicnschr, 1915. Nr. 22. Fcldärztl. Beilage. 

5) Böhler, Med. Klinik. 1915. Nr. 45. 


Digitizeit by 


Goi igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



512 


E. Lick, 


Digitized by 


Darmfisteln, sah; auch ein Beweis, wie wenig Bauchschüsse mit 
dem Leben davonkommen. 

Also bei kritischer Nachforschung geradezu trostlose 
Resultate der konservativen Behandlung. Diese Erkenntnis 
bereitete den Umschwung vor. Es wurde erst vereinzelt, dann 
immer mehr über günstige Erfolge der Operation von Bauch¬ 
schüssen berichtet. Und wie wir es in der Entwicklung der Friedens¬ 
chirurgie sehen, wurde auch hier die Indikation allmählich erweitert. 
So wurde die anfängliche Vorschrift nur in den ersten 8 bis 
10 Stunden (Enderlen) oder innerhalb der ersten 12 Stunden 
[Schmieden 1 ), Kausch 2 ) u. a.] zu operieren, nicht mehr ein¬ 
gehalten.. Gewiss haben Operationen innerhalb dieser Zeit bessere 
Aussichten; aber auch spätere Eingriffe haben manches, ohne 
Operation verlorene Menschenleben erhalten können. 

Die Schwere der Kriegsverletzungen — von den ungünstigeren 
äusseren Umständen ganz abgesehen — erklärt, dass wir bei der 
Operation der Bauchschüsse im Felde nicht so günstige Resultate 
erwarten dürfen als bei Friedensverletzungen. Sieht man die 
neueren Veröffentlichungen durch, so kann man sagen, dass etwa 
ein Drittel der operierten Bauchschüsse geheilt wird. 
Eine Zahl, gewiss verbesserungsbedürftig, aber doch ausgezeichnet 
und ermutigend im Vergleich zu den ganz schlechten Resultaten 
der konservativen Behandlung. 

Unser Feldlazarett ist während der ersten 14 Monate des 
Krieges nicht in der glücklichen Lage gewesen, Schussverletzungen 
des Bauches so frisch und in solchem Zustande eingeliefert zu 
sehen, um noch mit einiger Aussicht auf Erfolg operativ eingreifen 
zu können. So schöne und ermutigende Erfolge, wie sie von 
anderer Seite [Kraske 3 ), Läwen 4 5 ), Enderlen 6 ), Sauerbruch 6 ). 
Kausch 7 ) u. a.] berichtet sind, haben wir daher nicht aufzu¬ 
weisen. 

Nur 4 mal konnten wir in dieser Zeit bei Bauchschüssen primär 
operieren, lmal bei einem Durchschuss mit mehrfachen Dünndarm- 
und Dickdarmverletzungen, 3mal bei Darmprolaps mit Darra- 
perforation. Bei allen 4 Verwundeten waren mehr als 24 Stunden 

1) Schmieden, Verhandlungen der Kriegsehirurgentagung in Brüssel am 
7. April 1915. 

2) Kausch, Med. Klinik. 1915. Nr. 51. 

3) Kraske, Münchener mcd. Wochensehr. 1915. Nr. 33. Feldärztl. Beilage. 

4) Läwen, Münchener med. Wochensehr. 1915. Nr. 22. Feldärztl. Beilage. 

5) Enderlen. Verhandlungen der Kriegsehirurgentagung in Brüssel am 
7. April 1915. 

6) .Sauerbruch, Verhandlungen der Kriegsehirurgentagung in Brüssel am 
7. April 1915. 

7) Kausch, 1. c. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 513 

zwischen Verletzung und Operation verflossen; sämtliche starben 
kurze Zeit nach dem Eingriff. 

6mal mussten wir bei Bauchschüssen sekundär operieren, um 
Kotabsccsse oder inflzierte Hämatome zu entleeren. 3 der Ope¬ 
rierten starben. Die andern 3 konnten wir zwar lebend abtrans¬ 
portieren, aber zum mindesten einer ist noch im Heimatlazarett 
gestorben. 

Alle übrigen ßauchschussverletzten wurden konservativ be¬ 
handelt, unter Morphium und vorsichtiger Diät. Ich erwähnte, mit 
welch hohen Erwartungen bezüglich der konservativen Behandlung 
•der Bauchschüsse wir alle ins Feld gegangen sind. Es hat mehrerer 
Monate und noch längerer Zeit bedurft, um unsere Anschauungen 
hier wie in andern Gebieten der Kriegschirurgie zu modifizieren. 

Was uns bei unsern Bauchschussverletzten sehr bald auffiel, 
war der ausserordentliche Wechsel des klinischen Bildes, die krassen 
Gegensätze zwischen einzelnen Verletzten. Den ersten Bauchschuss¬ 
verletzten, einen jungen. kräftigen Unteroffizier, sahen wir Ende 
August 1914 auf dem Bahnhof S. Diagnose „Magenschuss“, Ein¬ 
schuss zwischen Nabel und Schwertfortsatz, Ausschuss in gleicher 
Höhe hinten. Es waren 10 bis 12 Stunden seit der Verwundung 
vergangen. Man sah aber dem Manne nichts von seiner schweren 
Verletzung an. Sehr vergnügt sass er auf seinem Stuhl und wurde 
2 mal dabei betroffen, wie er trotz strengsten Verbots eine dicke 
Butterstulle vertilgte. Und dann wieder die Kehrseite des Bildes: 
in den schweren Kämpfen in Polen Ende Januar 1915 wurden 
oines Abends 6 Bauchschüsse, alle beim Sturmangriff am Morgen 
dieses Tages verletzt, auf meine Station gebracht. Alle boten das 
gleiche, ganz trostlose Bild des dem sichern Tode Verfallenen. 
An einen operativen Eingriff war gar nicht zu denken. 5 starben 
in derselben Nacht, der sechste am nächsten Morgen. 

Wir haben uns bemüht, diese Unterschiede im klinischen Bild 
der Bauchschüsse — einmal denkbar gutes Wohlbefinden, ein anderes 
Mal das trostlose Bild schnellsten Verfalls — aufzuklären. Einblick 
durch Operation oder Sektion war uns nur in wenigen Fällen ver¬ 
gönnt. Unser Hauptaugenmerk richteten wir daher auf die genaue 
Untersuchung und Beobachtung der Geheilten oder richtiger gesagt, 
der Abtransportierten. Welchem glücklichen Umstande verdanken 
diese ihr Leben? 

Bei dem ausserordentlich wechselnden Material, das je nach 
der Kampfesart — ob Stellungs- oder Bewegungskrieg — und 
nach dem Ort der jeweiligen Einrichtung einem Feldlazarett zu¬ 
strömt, muss man sich natürlich hüten, die Schlüsse aus solchen 
Beobachtungen zu verallgemeinern. Andererseits scheinen mir die 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



514 


K. Lick, 


Digitized by 


von uns beobachteten Fälle zahlreich genug, um auf beschränktem 
Gebiet unsere Kenntnisse zu erweitern. 

Ich gebe zunächst einige Zahlen. Unser Feldlazarett war in 
den ersten 14 Kriegsmonaten 267 Tage eingerichtet. A r on den Ver¬ 
wundeten starben 6pCt. in dieser Zeit. Unter den Verwundeten waren 
2,5 pCt. Bauchschussverletzte. Davon starben 55 pCt. Der Rest. 
45 pCt., wurde in rückwärtige Lazarette abtransportiert. Für diese, 
wenn nicht Geheilten, so doch lebend Weitertransportierten, habe ich 
mich besonders interessiert und den Bedingungen nachzugehen ver¬ 
such^ denen sie ihr Leben verdanken. 

6 von diesen Verwundeten scheiden noch aus. Es sind dies 
weiter vorn operierte Bauchschüsse, die grösstenteils unser Lazarett 
nur passierten, um auf den nächsten Lazarettzug zu warten. 
Bleiben 89 übrig, bei denen anscheinend die konservative Be¬ 
handlung zum Erfolg geführt hat. 

Von diesen 89 Bauchschüssen waren aber 46, d. i. über die 
Hälfte, keine richtigen Bauchschüsse, sondern sichere Bauch¬ 
deckenschüsse. Sie scheiden bei der Bewertung der Behandlungs¬ 
methoden von Bauchschüssen natürlich vollkommen aus. Als 
Bauchschüsse können wir nur solche Verletzungen rechnen, die mit 
einer Eröffnung der Peritonealhöhle einhergehen. Bauchschuss 
und Bauchdeckenschuss sind Diagnosen, die sehr häufig nicht 
genügend auseinander gehalten werden. So bekamen wir an einem 
Tage 7 Verwundete mit der Diagnose „Bauchschuss“ eingeliefert, 
davon waren nicht weniger als 4 absolut sichere Bauchdecken¬ 
schüsse. Dem Arzt an der Front ist daraus natürlich kein Vor¬ 
wurf zu machen. In den Feldlazaretten muss aber die Diagnose 
korrigiert werden, um das Zustandekommen eines ganz falschen 
Bildes unserer Erfolge bei Bauchschüssen zu verhüten. 

Also fast ein Viertel aller in unser Lazarett mit der Dia¬ 
gnose „Bauchschuss“ Eingelieferten waren Bauchdeckenschüsse. 
Andere Autoren geben noch grössere Zahlen an, so Kraske (eben¬ 
falls für Feldlazarette) nahezu 50 pCt. Ziehen wir die Bauch- 
deckenschiisse in unserer Statistik ab, so erhöht sich die Morta¬ 
lität der Bauchschüsse in unserem Feldlazarett schon 
auf 70pCt., eine Zahl, die mit den von anderen Feldlazaretten 
raitgcteilten gut übereinstimmt. 

Es bleiben also nur noch 43 eigentliche Bauchschüsse übrig, 
die bei konservativer Behandlung lebend das Lazarett verlassen 
haben. Aber auch diese Zahl ist noch zu günstig. Eine ganze 
Reihe von Bauchschussverletzten — ich kann die Zahl nicht genau 
angeben, ich schätze sie auf etwa 10—12 — musste wegen Auf¬ 
lösung unseres Lazaretts in höchst zweifelhaftem Zustand weiter 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



l>ber Bauchschüsse, insbesondere über Sohussverletzungcn der Leber. 515 


transportiert werden. Der grösste Teil ist sicher in den rück¬ 
wärtigen Lazaretten gestorben. 

Es bleiben dann, alles in allem, etwa 30 Fülle übrig, bei 
denen eine Schussverletzung des Bauches zur Heilung führte, oder 
vorsichtiger ausgedrückt, 30 nichtoperierte Bauchschüsse konnten 
mit einiger Aussicht auf Heilung in die Etappenlazarette abtrans¬ 
portiert worden. 

Von diesen waren einige — leider kann ich auch hier genaue 
Zahlen nicht nennen; es werden etwa 6—8 gewesen sein — 
zweifellos extraperitoneale Darmverletzungen. Es sind dies Fälle, 
bei denen das Colon an seiner hinteren, vom Peritoneum nicht 
überzogenen Fläche durch Tangential- oder Steckschuss verletzt 
ist. Die Kotfistel beweist die Darmverletzung mit aller Sicherheit. 
Peritoneale Erscheinungen fehlen. Die drohende Kotphlegmone ist 
immerhin weniger gefährlich als die Peritonitis bei intraperitonealen 
Darmverletzungen. Etwa die Hälfte, darunter die mit bereits vor¬ 
geschrittener Kotphlegmone Eingelieferten,' starb. Die anderen, 
wie gesagt 6—8, wurden in zweifelhaftem Zustand, mit Kotfisteln, 
in rückwärtige Lazarette abtransportiert. Da die Bauchhöhle in 
diesen Fällen unverletzt ist, kann man im Zweifel sein, ob man 
diese Verwundungen nicht zu den Bauchdeckenschüssen rechnen 
soll. Jedenfalls lassen auch sie die llesultate der konservativen 
Behandlung der Bauchschüsse günstiger erscheinen, als es der 
Wirklichkeit entspricht. 

Ebenso zweifelhaft ist, ob man die nicht seltenen Kontur¬ 
schüsse des Bauches mit breiter Eröffnung der Bauchdecken ein¬ 
schliesslich Peritoneum und Darmprolaps, jedoch ohne Verletzung 
der Eingeweide zu den Bauch- oder Bauchdeckenschüssen rechnen 
soll. Zählt man als eigentliche Bauchschüsse nur die mit 
perforierender Verletzung des Magendarmkanals, so wird 
die Prognose der Bauchschüsse bei konservativer Be¬ 
handlung sicherlich ganz schlecht. 

Wir wissen ferner, dass in vereinzelten Fällen ein Geschoss die 
Bauchhöhle durchsetzen kann, ohne den Darm zu verletzen. Rotter 1 ) 
fand bei 34 Operationen wegen perforierenden Bauchschusses 4 mal 
keine Organverletzung, Körte 2 ) bei 29 Sektionen von Bauch¬ 
schüssen ebenfalls 4 mal den Darm unverletzt. Böhler (1. c.) be¬ 
obachtete unter 300 perforierenden Bauchschüssen 8 ohne jede 
Verletzung eines Organs der Bauchhöhle; 4 davon wurden durch 
Obduktion sichergestellt. Ob unter unseren Ab transportierten solche 

1) Rotter, Med. Klinik. 1915. Nr. 1. 

2) Körle, Verhandlungen der Kricgschirurgentairunir in Brüssel am 
7. April 1915. 


Digitized by 


Go^ 'gle 


Original ffom 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



516 


E. Lick, 


Digitized by 


Fälle waren, ist möglich, aber beim Fehlen eines Operationsbefundes 
nicht sicher zu sagen. 

Ich bin auch der Ansicht, dass in der obengenannten Zahl 
noch weitere Bauchdeckenschüssc enthalten sind. Aus der Lage 
von Ein- und Ausschuss den Schusskanal, in unseren Fällen also 
die Durchquerung der Bauchhöhle zu rekonstruieren, ist nicht 
immer angängig. Die Leute können in so ungewöhnlicher Stellung 
verletzt sein, dass nur ein Konturschuss vorliegt, wo uns in hori¬ 
zontaler ßettlage ein Durchschuss sicher erscheint. So berichtet 
Böhler über Fälle, in denen nach Lage der Wunden eine Ver¬ 
letzung der Leibeshöhle absolut sicher erschien. Erst die Ob¬ 
duktion lehrte, dass das Peritoneum nicht eröffnet war, vielmehr 
der ungünstige Ausgang anderweitigen Verletzungen (z. B. der 
Wirbelsäule) zuzuschreiben war. 

Das erklärt uns den eingangs der Arbeit erwähnten, sehr auf¬ 
fallenden Unterschied im Aussehen und Verhalten der Verletzten. 
Der erste ist munter und kommt durch, nicht weil sein ver¬ 
meintlicher Magenschuss konservativ behandelt wird, 
sondern weil sein Magendarmkanal unverletzt geblieben 
ist. Der zweite sieht verfallen aus und geht zugrunde, 
weil er eine perforierende Wunde des Magens oder 
Darms hat. 

Auffallend war, dass die Mehrzahl der geheilten (oder richtiger, 
der lebend abtransportierten) Bauchschüsse den Oberbauch betraf. 
Dass Schussverletzungen im Oberbauch eine weit bessere Prognose 
haben sollen als solche unterhalb des Nabels, ist vielfach behauptet 
worden. So hält Boit 1 ), um nur ein Beispiel anzuführen, die 
Magenschüsse für besonders gutartig. Von 13 Magenschüssen verlor 
er bei konservativer Behandlung nur 2 = 15pCt., von 50 Darm¬ 
schüssen dagegen 42 = 84pCt. Ich möchte dieser Schlussfolgerung, 
die unseren Erfahrungen ira Frieden durchaus widerspricht, nicht 
beistimmen. Den Unterschied in der Prognose von Schüssen im 
Oberbauch zu denen im Unterbauch gebe ich zu, erkläre ihn aber 
anders. Die Prognose jedes Bauchschusses ira Feldlazarett hängt 
meines Erachtens davon ab, ob der Magendarmkanal eröffnet ist 
oder nicht. Mit anderen Worten, die drohende Peritonitis be¬ 
herrscht vollkommen das Bild. Schüsse im Oberbauch haben 
aber viel mehr Chancen, den Darmkanal zu umgehen, als solche 
im Unterbauch. 

Da die Leute in allen nur denkbaren Stellungen getroffen 
werden, muss man sicli sehr hüten, aus der Lage der Wunde auf 

1) Boit, Deutsche med. Wochensrlir. 1915. Nr. 24. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 517 


eine Verletzung der dahinter liegenden Organe zu schliessen, wie 
es bei den von ßoit mitgeteilten Magenschüssen geschehen ist. 
Namentlich bei Steckschüssen kann man seltsame Ueberraschungen 
erleben; dafür ein Beispiel: 

Ein etwa 30jähriger Landwehrmann wird unter einem Transport Leicht¬ 
verwundeter ins Lazarett gebracht mit der Angabe, er sei vor einigen Stunden 
beim Stehen von einem verirrten Gewchrgeschoss getroffen worden, anscheinend 
aus weiter Entfernung. Es handele sich nur um einen leichten Streifschuss. 
In der Tat findet sich an der Innenfläche des rechten Oberschenkels eine ganz 
oberflächliche Schürfung, und an der tiefsten Stelle des Hodensacks, etwa in 
gleicher Höhe mit der ersten Wunde, ein minimaler Blutschorf. Der Mann ging 
zu Fuss in seinen Saal, klagte über keinerlei Beschwerden. Kein Erbrechen, 
kein Fieber; spontane Urincntlecrung. Puls 70, kräftig. Appetit ungestört. Be¬ 
handlung: Bettruhe. 

Am nächsten Morgen das gleiche Bild. Abends 38,2° Temperatur, Puls 
etwas beschleunigt (90—92). Druckempfindlichkeit und reflektorische Spannung 
in der linken Unterbauchgegend. Die genaue Besichtigung der Umgebung der 
Wunden ergibt ein massiges Hämatom am Damm. 

Erneutes Befragen des etwas schwerfälligen Mannes bringt jetzt heraus, 
dass die Art der Verwundung doch von der ersten Schilderung etwas abweieht. 
Der Verletzte hat in Rückenlage mit leicht eingezogenen Beinen geschlafen und 
ist in dieser Stellung getroffen. 

Jetzt ist die Diagnose klar: Bauehsteckschuss mit perforierender 
D arm Verletzung. Die scheinbare Streifwunde am Skrotum ist der 
s t r i c h f ö r m i g e Eins c h u s s. 

Ganz schnell entwickelte sich das Bild schwerster septischer Peritonitis: 
rascher Verfall, Cvanose, Delirien. 

Tod nach weiteren 30 Stunden. 

Sektion: Schuss durch Hodensack und Perineum in das kleine Becken. 
In der Flexura sigmoidea ein grosser Schussdefekt (Aufreissung der Darmwand). 
Kein Ausschuss; das Geschoss steckt in der tiefen Rückenmuskulatur. Diffuse 
eitrige Peritonitis. 

Man könnte fragen, weshalb wir diesen Fall nach Stellung der 
richtigen Diagnose nicht operiert haben. Wir waren aber damals, 
wenige Monate nach Kriegsbeginn, noch überzeugt von den Vorteilen 
der konservativen Behandlung. Ausserdem wäre ein Eingriff bei 
dem foudroyanten Verlauf und nach dem Sektionsbefund kaum 
mehr zu rechter Zeit gekommen. 

Ich kehre zu den Magenschüssen Boit’s zurück. Nur bei 2 
von den 13 Magenschüssen ist die Diagnose durch Sektion erhärtet. 
Wenn Boit sagt „die Diagnosenstcllung (bei Bauchschüssen) erfolgte 
aus der Richtung des Schusskanals und aus den peritonealen Reiz¬ 
erscheinungen“, so erklärt dieser Standpunkt wohl seine günstige 
Prognose bei Magenschüssen, lässt aber sehr berechtigte Zweifel 
offen, ob der Magen in diesen Fällen auch wirklich verletzt war. 

Wie wenig man sich auf die Rekonstruktion des Schusskanals 
verlassen kann, davon sprach ich eben. Dass ferner die Symptome 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



518 


E. Lick, 


Digitized by 


peritonealer Reizung auch bei absolut intaktem Bauchfell auftreten 
können, wissen wir schon aus der Friedenschirurgie; ich erinnere 
an die scheinbare Appendicitis bei Affektionen der Lunge und Pleura. 
Gerade bei unseren Kriegsverletzten wird die „peritoneale Reizung“ 
besonders oft vorgetäuscht. Das wichtigste Anzeichen der peri¬ 
tonealen Reizung ist meines Erachtens die reflektorische Bauch¬ 
deckenspannung. Nun untersuche man unsere Verwundeten: sie 
kommen oft noch mit deutlichen Shockerscheinungen ins Lazarett 
(namentlich bei Artillerieverletzungen), erschüttert, erschreckt, 
frierend, zitternd, mit Hypertonus der gesamten Muskulatur. Dann 
sind es meist junge, rauskelkräftige Männer. Wie häufig findet man 
da nicht brettharte aktive Bauchdeckenspannung. Ist es schon im 
Frieden, in aller Ruhe, schwer, manche Menschen zum Entspannen 
der Bauchdecken zu bringen, so ist es bei diesen shockierten Leuten 
oft geradezu unmöglich. Bei ganz sicheren Bauchdeckenschüssen 
sah ich brettharte Spannung bisweilen bis zum zweiten Tage. Man 
muss sich dann von anderen Symptomen leiten lassen: Puls, Aus¬ 
sehen (Anämie?), Gesamteindruck u. dergl. In jedem zweifelhaften 
Falle wird eine Probeincision, Erweiterung der Schusswunde, ent¬ 
scheiden. 

Häufig fand ich reflektorische Bauchdeckenspannung bei Brust¬ 
schüssen. Das ist auch von anderer Seite mitgeteilt worden. So 
beobachtete von Brunn 1 ) bei einem Brustschuss peritoneale Reizung 
mit reflektorischer Bauchdeckenspannung. Die Laparotomie ergab 
keine Verletzung des Bauches, von Brunn erklärt die Bauch¬ 
deckenspannung durch den Bluterguss über dem Zwerchfell. 

Eine wichtige Beobachtung teilt Böhler mit: 

Sagittaler Durchschuss durch die linke Oberbauchgegend. Anfänglich be¬ 
stellen starke peritoneale Heizerscheinungen, die aber in einigen Tagen zurib-k- 
gehen. Der Verwundete wird abtransportiert und stirbt drei Wochen später in 
einem Wiener Krankenhaus. Sektion: Darm unverletzt; Pankrcasabscess. 

Solche Fälle, die zunächst durchaus für die konservative Be¬ 
handlung zu sprechen scheinen, zumal w T enn sie nicht lange genug 
beobachtet werden, sind sehr lehrreich. Sie beweisen, dass weder 
die Richtung des Schusskanals noch eine peritoneale Reizung 
sichere Schlüsse auf Verletzung eines bestimmten Organs erlauben. 
Sie zeigen, welche Fälle die konservative Behandlung „heilt“. 

Auch bei sicher eröffneter Bauchhöhle und allen Symptomen 
schwerer Peritonitis kann eine perforierende Verletzung des Darm¬ 
kanals oder anderer Baucheingeweide fehlen. Das bewies mir nach¬ 
stehende Beobachtung: 


1) von Brunn, Deutsche ined. Woclicnschr. 1915. Nr. 45. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Uoher Bauchschüsse, insbesondere über Sohussverletzun^en der Leber. 519 


22 jähriger Infanterist, eimrcliefcrt HO Stunden nach seiner Verwundung mit 
<ler Diagnose ^Bauchsteekschuss“. Einschuss in der linken mittleren Axillar¬ 
linie zwischen 9. und 10. Rippe, mit Fraktur beider Rippen; aus der Wunde 
hängt ein etwa 10 cm langer Metzzipfel heraus. Kein Ausschuss. Bauch auf- 
getrieben, überall brett hart gespannt und Kuss erst druckempfind¬ 
lich. Dauernde l'ehclkeit und Erbrechen. Puls um 120, sehr klein und weich 
A engst lieh er, verfallener Gesichtsausdruck. 

Diagnose: Diffuse Peritonitis (Dar mver 1 et z u ng). 

Von einer Operation wurde bei dem desolaten Zustande des Patienten ab¬ 
gesehen. Gegen die furchtbaren Bauchschmerzen Morphium. 

Tod am 4. Tage. 

Sektion: Keine Peritonitis. Peritoneum überall glatt und spiegelnd. 
Irn Douglas geringe Blutansammlung. Keine Verletzung der Baucheingeweide. 
Der Schusskanal verläuft nach hinten oben, durchsetzt das Zwerchfell und endet 
in dem zertrümmerten Unterlappen der linken Lunge. 

In diesem Falle hätte eine Laparotomie natürlich nichts 
genützt. 

Nicht die Magenschüsse bedingen also die bessere 
Prognose der Oberbauchschüsse, sondern die Ver¬ 
letzungen des Oberbauchs, die ohne Eröffnung des Magen¬ 
darmkanals einhergehen. Dazu gehören vor allem auch die 
Schussverletzungen der Leber. Unter unseren Bauchverletzten, die 
bei konservativer Behandlung das Lazarett in gutem Zustand ver- 
liessen, waren nicht weniger als 14 glatte Durchschüsse der 
Leber. 

Die Leberschüsse sind es, die neben den Bauch- 
•deckenschüssen in erster Linie die Prognose der Ober¬ 
bauchschüsse und damit die Prognose der konservativ 
behandelten Bauchschüsse überhaupt anscheinend günstig 
gestalten. Sie verdienen schon aus diesem Grunde eine ge¬ 
sonderte Besprechung. Nebenbei haben die Kriegsbeobachtungen, 
auch was die Leberschüsse anlangt, unsere im Frieden gewonnene 
Erfahrung in verschiedenen Punkten korrigiert. 

Im ganzen haben wir 27 Leberschüsse gesehen. Das sind 
13 pCt. der unter der Diagnose „Bauchschuss“ Eingelieferten, 
16,4 pCt. der eigentlichen Bauchschüsse, 0,3 pCt. der Verwundeten 
überhaupt. 

In Wirklichkeit sind es weit mehr gewesen. Von 115 Bauch¬ 
schüssen, die in unserem Lazarett starben, viele unmittelbar nach 
der Einliefcrung, haben wir nur einen kleinen Teil (11) obduzieren 
können, darunter 3 Leberschüsse, 1 Milzschuss. Ohne Zweifel 
sind unter den Nichtobduzierten noch eine Reihe von Leber¬ 
schüssen gewesen. 

Ferner sind bei unserer Aufstellung nur diejenigen Leber¬ 
schüsse berücksichtigt, bei denen die Leberwunde die Hauptver- 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



520 


E. Liek, 


Digitized by 


letzung darstellte. Bei der anatomischen Lage der Leber sind 
gleichzeitige Verletzungen benachbarter Organe natürlich recht 
häufig. So fand Th öle 1 ) in einer Sammelstatistik bei 200 Leber¬ 
schüssen 117 mal Verletzungen anderer Eingeweide. 

Unter unseren 27 Fällen war8mal die rechte, lmal die linke 
Lunge verletzt, 2 mal anscheinend nur die rechte Pleura eröffnet 
(Tangentialschüsse); in einem Fall fand sich eine gleichzeitige Ver¬ 
letzung der rechten Niere, in einem weiteren war das Pankreas mit 
durchbohrt. Alle Fälle, in denen neben der Leberwunde noch eine 
Verletzung des Magendarmkanals bestand, habe ich ausgelassen. 
Im klinischen Bild dieser Verwundungen dominiert durchaus die 
Darm Verletzung und ihre Folge, die diffuse eitrige Peritonitis. 

Es ist nach dem Gesagten klar, dass unter den zahlreichen 
Brustschüssen, die in unser Lazarett eingeliefert wurden, be¬ 
sonders unter den Schussverletzungen der rechten unteren Lunge, 
gewiss noch eine Anzahl gleichzeitiger Leberverletzungen unerkannt 
blieb. Auch das ist bei dem obengenannten prozentualen Verhält¬ 
nis der Leberschüsse zu berücksichtigen. 

In unseren 27 Fällen handelte es sich grösstenteils um Ver¬ 
letzungen durch Gewehrgeschoss; nur 3mal lag eine Verletzung 
durch Granate vor. 

Die Wirkung des modernen Infanteriegeschosses auf die Leber 
haben wir aus exakten Schiessversuchen und gelegentlichen Un¬ 
glücksfällen auf Scheibenständen usw. kennen gelernt Thöle (1. c.) 
fasst die Beobachtungen wie folgt zusammen: „Schüsse aus dem 
militärischen Dienstgewehr mit Kleinkalibergeschoss erzeugen meist 
sehr erhebliche Verletzungen. Bei Nahschüssen (Selbstmord) ist 
die Leber so zerrissen, dass ein Schusskanal nicht zu erkennen ist. 
Erst von 1200 m an ist eine erhebliche Abnahme der Wirkung zu 
konstatieren. Am Einschuss, der stets grösser als das Geschoss¬ 
kaliber ist, findet man einen Defekt mit radiären Rissen, an¬ 
schliessend einen Schusskanal, der sich trichterförmig bis zu einem 
grossen Ausschuss erweitert. Seine Wandungen sind zerfetzt und 
zerklüftet, öfters findet man Leberfetzen frei zwischen den Därmen, 
auch zur Hautausschusswunde heraushängend. Auch jenseits 1200 m 
sind Leberschusskanäle noch viel weiter als das Geschosskaliber: 
die radiären Einrisse um den Einschuss sind weniger zahlreich und 
kleiner, die Trichterform des Schusskanales ist nicht mehr so deut¬ 
lich. Aber noch bei 2000 m Schussdistanz sind die Wandungen 
zerrissen und zerklüftet“. 


1) Thöle, Verletzungen der Leber und der Gallenwegc. Neue Deut sehe 
Chirurgie. 1 ( J 12. Bd. 4. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der lieber. 521 

Th öle schliesst daraus, dass „wir im Kriege in den gewöhn¬ 
lichen Gefechtsdistanzen mit zu Spontanheilung neigenden und 
wenig blutenden Durchbohrungen der Leber nicht zu rechnen 
haben“. 

Die Erfahrungen der letzten Kriege scheinen aber diese 
Schlussfolgerung doch nicht ganz zu bestätigen. Vereinzelte Fälle 
von Spontanheilung eines Leberschusses sind schon früher be¬ 
richtet worden (Langenbuch, Frcsson). Makins (nach Thöle) 
hat von 8 Leberschüssen 6 bei konservativer Behandlung durch¬ 
gebracht. Auch v. Oettingen hält die einfache feine Durch¬ 
löcherung der Leber durch Kleinkalibergeschoss für möglich. In 
seinem „Leitfaden der praktischen Kriegschirurgie“ (1912) schreibt 
er: „bei Entfernungen über 800 m bohrt das Mantelgeschoss (in 
der Leber) einen ganz engen Kanal“. 

Ich habe 17 Fälle beobachtet, bei denen eine spontane 
Heilung des Leberschusses erfolgte (15 mal) oder nach 
dem Verlauf und Sektionsbefund (2 mal) wenigstens mög¬ 
lich war. Die beiden Todesfälle waren auf die gleichzeitige Ver¬ 
letzung der grossen Ausführungsgänge der Leber zurückzuführen 
(Gallenperitonitis durch Eröffnung der Gallenblase bzw. des Ductus 
choledochus). 

Ueber die Schussdistanz können uns die Verwundeten nicht 
immer genaue Angaben machen. Aber so viel erscheint mir nach 
meinen Erfahrungen sicher, dass das moderne Kleinkaliber¬ 
geschoss auch auf weit geringere Distanz als 1200 m die 
Leber durchsetzen kann, ohne grosse irreparable Zer¬ 
störungen zu bewirken. So gab ein später zu erwähnender 
Patient (mit Gallenfistel am Halse), der geheilt wurde, mit aller 
Bestimmtheit an, den Schuss aus einer Entfernung von 400 bis 
500 m erhalten zu haben. 

Was uns bisher noch fehlt, sind Sektionsbefunde von Ver¬ 
letzten mit gutartigen Leberschüssen, wirklich einfachen Durch¬ 
bohrungen der Leber, die keine oder nur ganz geringe klinische 
Erscheinungen machen. 

Unter unseren Sektionen waren nur 3 solche von Leberver¬ 
letzten. In einem Falle, den ich später noch genauer beschreibe, 
war die Leber in der Richtung von der Kuppe nach der Basis 
(Einschuss oberhalb der rechten Mamilla) durchschlagen. Der Ein¬ 
schuss war etwa kleinfingerstark, der Ausschuss an der Basis etwas 
grösser, etwa für einen Daumen durchgängig. Von den beiden 
Schussöffnungen gingen kleine Risse ins Gewebe hinein. Ich hatte 
den Eindruck, dass diese Verletzung hätte spontan heilen können. 
Es bestand aber gleichzeitig eine Verletzung des Ductus choledochus 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



522 


E. Lick, 


Digitized by 


und dadurch bedingt eine Gallenperitonitis, der Patient 9 Tage nach 
seiner Verwundung erlag. 

Bei dem zweiten zur Sektion gelangten Fall war der Schuss 
durch die Gallenblase und dann durch den hinteren Leberlappcn 
gegangen. Auch dieser Schusskanal war etwa für einen Kleinfinger 
durchgängig: tiefere Leberrisse fehlten. Die Leberwunde wäre 
meines Erachtens ebenfalls einer spontanen Heilung fähig gewesen. 

Eine weitergehende Zerstörung der Leber sahen wir bei einem 
21 Stunden nach der Verwundung gestorbenen Manne. Er hatte 
beim Sturmangriff aus etwa 300 m Entfernung einen Gewehrschuss 
quer durch den unteren Brustkorb erhalten, wurde 20 Stunden 
später mit den Symptomen schwerster innerer Blutung ins Lazarett 
gebracht und starb nach 1 Stunde. Das Geschoss hatte die linke 
Brusthöhle eröffnet unter Durchbohrung des Unterlappens der linken 
Lunge, dann das Zwerchfell durchschlagen und die Leber in ganzer 
Breite von links nach rechts durchsetzt. Die Leber zeigte zahl¬ 
reiche tiefe Risse, ihre Basis war vollkommen zertrümmert. Ver¬ 
einzelte losgerissene Leberfetzen lagen zwischen den Darraschlingen. 

Wie bei Schädelnahschüssen bisweilen aus relativ kleiner 
Knochenwunde das Gehirn vorgeschleudert wird, sehen wir eine 
derartige Explosivwirkung gelegentlich auch beim Lebernah¬ 
schuss: 

Ein 22jähriger Infanterist soll im Schutze des Morgennebels eine zer¬ 
schossene Stelle des Drahtverhaus ausbessern. Er wird dabei durch einen tie- 
wehrschuss aus etwa 80 m Entfernung verwundet. 3 Stunden später mit Auto 
ins Lazarett gebracht. 

Sehr anämischer Mann: Puls 110, klein, leicht zu unterdrücken. Häufiges 
Erbrechen gallig gefärbten Schleims. Der Verband ist sehr stark mit Blut 
durchtränkt. Einschuss klein, rechts hinten neben der Wirbelsäule, in Hohe 
des zweiten Lendenwirbels. 

Ausschuss etwa zweimarkstückgross, vorn in der Mittellinie, dicht unter¬ 
halb des Schwertfortsatzes. 

Der ganze linke Leberlappen, gut zweifaustgross, zerfetzt und stark 
blutend, liegt vor der Wunde. 

ln Aethernarknse wird die Ausschusswunde erweitert, der zertrümmerte 
linke Leberlappcn abgetragen. 

Auch der rechte Leberlappen zeigt tiefere Hisse. Viel flüssiges und ge¬ 
ronnenes Blut in der freien Bauchhöhle. Keine Verletzung anderer Eingeweide. 
Tamponade der Leberwunde; Bauclideckcnwunde teilweise genäht. 

Trotz Kampfer, Digalen, reichlicher Kochsalzinfusion stirbt Patient 

12 Stunden nach der Operation, 15 Stunden nach der Verletzung. 

In unseren 27 Fällen war die Diagnose „Lebersehuss” 

13 mal mit Sicherheit zu stellen, 4 mal durch Operations¬ 
befund (1 Leberprolaps, 3 Tangentialschüsse der Leber). 2 mal 
durch Sektion, 7 mal durch Gallenfluss aus dem Schuss¬ 
kanal. Die gallige Absonderung trat in etwa der Hälfte der 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



l T ebcr Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 523 


Fälle nicht sofort, sondern erst nach einigen Tagen auf; sie ist 
daher als Frühsymptom nicht immer zu verwerten: Von unseren 
27 Fällen zeigten im ganzen 10 = 37 pCt. Gallenfluss. Andere 
Beobachter geben noch höhere Zahlen an. So sah Edler (nach 
Thöle) unter 116 exspektativ behandelten Leberschüssen 48 mal 
(= 41,3 pCt.) Auftreten von Galle in der Wunde. 

In 14 Fällen konnte die Diagnose nur mit grosser Wahrschein¬ 
lichkeit gestellt werden. Es handelte sich hier um glatte Durch¬ 
schüsse der Leber, bei denen Ein- und Ausschuss so weit ausein¬ 
ander lagen, dass die Leber bei jeder denkbaren Stellung getroffen 
sein musste. Die Fälle haben etwas Typisches: Einschuss meistens 
an der unteren Thoraxapertur, Gegend der Mamillarlinie, Ausschuss 
hinten neben der Wirbelsäule. Wahrscheinlich ist, wie schon er¬ 
wähnt, die Zahl der glatten Leberdurchschüsse noch grösser. Bei 
Schüssen, die den Unterlappen der rechten Lunge treffen, wird 
häufig genug die Leberkuppe verletzt sein, entsprechend den ana¬ 
tomischen Verhältnissen; nur wird diese Wunde von den Erschei¬ 
nungen der Lungen- und Pleuraverletzung verdeckt. 

Das klinische Bild des Leberschusses wechselt ausserordent¬ 
lich. Am günstigsten verlaufen die eben erwähnten glatten 
Durchschüsse der Leber. 16 solcher Durchschüsse wurden von 
nns beobachtet, die Diagnose 2 mal durch gallige Sekretion aus 
der Wunde gesichert, 14 mal durch den Verlauf des Schusskanals 
wahrscheinlich gemacht. Die klinischen Symptome in diesen Fällen 
können ganz gering sein: leichte Schmerzen, bisweilen in die rechte 
Schulter ausstrahlend, etwas Zurückbleiben der rechten Thorax¬ 
hälfte bei der Atmung, das ist alles, sofern nicht eine gleichzeitige 
Verletzung der Lunge oder Pleura (die wir in 5 von diesen 
16 Fällep sahen) stärkere Erscheinungen machte. Peritoneale Er¬ 
scheinungen fehlen oder sind nur wenig ausgesprochen. Nur 2 von 
diesen Verwundeten starben. Der eine hatte ausser der Leberwunde 
eine Verletzung der rechten Niere mit Urinfistel und Urininfiltration; 
der andere erlag der gleichzeitigen Verletzung der rechten Lunge. 
Leider wurden diese Fälle nicht seziert. Die übrigen 14 wurden 
in gutem Befinden aus dem Lazarett entlassen; von einigen haben 
wir auch später günstige Nachrichten erhalten. 

Ungünstiger wie einfache Durchschüsse verliefen Tangential¬ 
schüsse der Leber. Es sind dies ebenfalls ganz charakteristische 
Verletzungen, ähnlich den Tangentialschüssen des Schädels. Der 
Schusskanal durchsetzt in schräger Richtung den rechten unteren 
Brustkorb, unter Fraktur einer oder, wie es am Ausschuss meistens 
der Fall ist, mehrerer Rippen. Der Ausschuss zeigt fast stets 
eine erhebliche Grösse. Gelegentlich sieht man richtige Furchungs- 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 3. 35 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



524 


E. Lick, 


Digitized by 


schüsso, besonders bei Granatverletzungen; die Leber ist gleichsam 
aufgepflügt. Wir konnten 6 solche Tangentialschüsse beobachten, 
3 davon sicher durch Granate. In allen Fällen bestand starke 
Gallensekretion aus der Wunde. 3 mal war die rechte Pleurahöhle 
miteröffnet, darunter 1 mal auch die rechte Lunge verletzt. Der 
Verlauf war immer langwierig, infolge starker Eiterung, Abstossung 
von Rippensequestern und Lebernekrosen. 3 der Verletzten starben, 

2 an Sepsis und Entkräftung, 1 an Pleuraempyem. Bei einem der 

3 aus dem Lazarett Abtransportierten blieben wir in grosser Sorge 
um den weiteren Verlauf. 

In 2 Fällen von Leberschuss sahen wir ausser der Leber¬ 
wunde eine gleichzeitige Verletzung der grossen Ausführungs¬ 
gänge. 

Der erste Patient wurde am 4. Tage nach seiner Verwundung zu uns ein* 
geliefert-. Aus dem Einschuss, vorn unterhalb des Kippenbogens, entleerten >ieh 
grosse Mengen (.Kille, die alle paar Stunden einen Verbandwechsel notwendig 
machten. Der Verwundete war schwer kollabiert und ging HG Stunden nach der 
Aufnahme zugrunde. 

Die S e k t i o n zeigt e einen glatten D u r e h s e li u ss d u r e h Gail e n b I a > e. 
den hinteren Leberlappen und das Pankreas; in der Bauchhöhle sehr viel gallige 
Flüssigkeit (Gallenperitonitis). Magen und Darm waren intakt. 

Ebenso hoffnungslos war der zweite Fall: 

33jähriger Landsturmmann, durch Gewehrschuss beim Angriff verwundet, 
wird zunächst in einem anderen Feldlazarett behandelt, S Tage nach der Ver¬ 
letzung zu uns eingeliefert. 

Kleiner, versehorfter Einschuss dicht oberhalb der rechten Brustwarze, 
kein Ausschuss. 

Verfallener Gesichtsausdruck, Nase spitz und kalt. Allgemeiner lkteru> 
mittleren Grades. Puls 110, klein und weich. Euphorie. 

Leib sehr stark aufgetrieben, besonders durch den enorm geblähten Magen, 
nicht druckempfindlich, nicht reflektorisch gespannt. 

Dauerndes Erbrechen trotz wiederholter Magenspülung. 

Tod 22 Stunden nach der Aufnahme.. 

Sektion: Glatter Durchschuss durch den LTitcrlappen der rechten Lunge. 
Einschuss auf der Hohe der Leberkuppe, kleinfingerstark: Ausschuss an der 
Leberbasis mit isolierter Verletzung des Ductus eholedor hus. D»*r 
Gang ist etwa in halber Ciremnfercnz eröffnet, ln der Bauchhöhle mehrere 
Liter Galle, leichte Verklebungen zwischen den unverletzten Dannsehlingen: 
keine eitrige Peritonitis. 

Während die 9 bisher erwähnten äusseren Gallenlistein (2 bei 
glattem Durchschuss, 6 bei Tangentialschuss, 1 bei Schuss durch 
die Gallenblase) entweder in der rechten Oberbauchgegend oder an 
der rechten hinteren Thoraxfläche bzw. Lendengegend sich fanden, 
haben wir in einem merkwürdigen Fall eine Gallenfistel hoch 
oben an der rechten Halsseite beobachtet. Ein Analogon zu 
dieser seltsamen Lokalisation habe ich in der Literatur nicht ge- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



roher Baurhsrlmsse, insbesondere über ^ehussverletzun^cn der lieber. 525 


funden und gebe daher die Krankengeschichte etwas ausführlicher 
wieder: 

F.. Wöhrmann. wird beim Schanzen in gebückter Hailunir von einem In- 
fanterieiresehoss ans 4 -500 m Entfernung getroffen. ÖO Stunden später kommt 
er in unser Feldlazarett. 

Das (iesehoss hat das rechte Ohrläppchen gestreift, ist 2 Qucrfimror tiefer 
in den Hals cinsjodrun^on, hat den Hals, die ganze rechte Kumpfhälfte dureh- 
schlagen und ist hinten durch die rechte Darmbeirisehaufol, etwa 1 t^uerfinger 
lateral der Spina posterior, wieder ausgetreten. Muss also nach dem Verlauf 
die rechte Lunge und die Leber in ganzer Höhe durchschlagen haben. Ein¬ 
schuss etwa pfennigstückgross, Ausschuss markstiiekgross. Aus der Halswunde 
strömt massenhaft grii nge 1 be (i al 1 e, so dass in der ersten Zeit alle 2 bis 
Ö Stunden ein Verbandwechsel nötig ist. Auch beim Husten bricht Patient 
viel schleimige (»alle aus. Der Stuhl war in den ersten Tagen nur ganz schwach 
gefärbt. 

Anfangs ging es dem Verwundeten nicht gut. Er hatte Atemnot und war 
kollabiert. Zahl der Atemzüge 24 in der Minute, Pids IM», klein und weich. 
In der rechten Pleurahöhle bestand ein etwa handbreiter Erguss. Eine Probe¬ 
punktion am 7. Tage ergab reines IHut. 

Allmählich erholte sich Patient; die Temperaturen (anfangs bis ÖS.5°) 
gingen zurück. Husten und Auswurf wurden geringer, Appetit und Kräfte nahmen 
zu. 14 Tage nach der Verwundung konnte E. in gutem Zustand in ein rück¬ 
wärtiges Lazarett abtransportiert werden. Die (iallensekretion aus der Halswunde 
bestand noch, war aber geringer (nur zweimaliger Verbandwechsel täglich). Der 
Erguss in der rechten Pleurahöhle war bis auf einen kleinen Rest resorbiert. 
Der Ausschuss war nahezu verheilt. 

Ö Wochen später erhielten wir von F. die erfreuliche Mitteilung, dass es 
ihm gut gehe, die Fistel am Halse sei geschlossen. 

Wie gesagt, habe ich in der Literatur einen ähnlichen Fall 
einer Gallenfistel am Halse nicht auffinden können. Dabei ist 
ein analoger Verlauf des Schusskanals nicht selten. Die heutige 
Kampfesart mit liegenden Schützenketten hat eine Häufung der 
sogenannten Körperlängsschüsse zur Folge. Schon aus dem Buren¬ 
krieg ist über eine Reihe von Körperlängsschüssen ähnlich unserem 
falle berichtet: Einschuss in der rechten Oberschlüsselbeingrube 
und als todbringende Wunde eine Verletzung der Leber. 

Bei den so häufigen Brustbauchschüssen mit gleichzeitiger Ver¬ 
letzung von Lunge und Leber sollte man öfter die Entstehung einer 
Gallengangbronchusfistel erwarten. Und doch ist das nicht der 
Fall. Die seltenen Gallengangbronchusfisteln, die wir im Frieden 
sehen, sind fast immer nichttraumatischen Ursprungs. Nur wenige 
Autoren (z. B. Tyrmann) haben eine solche Fistel nach Ver¬ 
letzungen beobachtet. Das Eigentümliche in unserem Falle ist 
nicht nur, dass eine Gallengangbronchusfistel (gallig-schleimiger 
Aaswurf) sich bildete, sondern dass der Schusskanal in seiner 
ganzen Länge von der Leber bis zum Halse wochenlang 
offen blieb und die Galle frei ablaufen liess. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



526 


L Lick, 


Digitized by 


Ferner spricht dieser Fall deutlich gegen die Anschauungen 
Thöle’s über die Wirkung der Kleinkalibergeschosse auf die Leber, 
insbesondere gegen seinen Satz, „wir haben im Kriege in den ge¬ 
wöhnlichen Gefechtsdistanzen mit Spontanheilung neigenden und 
wenig blutenden Durchbohrungen der Leber nicht zu rechnen“. Hier 
haben wir einen absolut sicheren Leberschuss, kompliziert 
durch Verletzung der ganzen rechten Lunge, bei einer 
Schussdistanz von 4—500 m; trotzdem spontane Heilung 
in etwa 6 Wochen 1 ). 

Dass Leberschüsse (im Feldlazarett!) eine bessere Prognose 
haben als die übrigen Bauchschüsse, ist auch von anderer Seite 
berichtet, so von Kraske, Perthes, Körte, Läwen, Boit. 
Letzterer z. B. hat von 8 Leberschüssen nur einen, der mit Lungen- 
und Nierenverletzung kompliziert war, verloren. Körte (1. c.) sah 
23 Leberschüsse, davon starben 9; 14 = 60,8 pCt. heilten. Von 
unseren 27 Leberschüssen starben 8 = 29,4 pCt. 

Die Mortalität der Leberschüsse im Frieden ist weit höher. 
So starben von 200 Fällen der Thöle’schen Saramelstatistik 
98 = 49 pCt. Das hat zwei Gründe. Erstens handelt es sich 
fast ausnahmslos um Nahschüsse: fast die Hälfte Selbstmorde, 
ferner Duelle, Unglücksfälle u. dgl. Die Verletzungen sind infolge 
der Sprengwirkung der Nahschüsse von vornherein schwerer. Der 
zweite Grund ist der, dass im Frieden die Verletzten schnell, oft 
unmittelbar nach der Verletzung, ins Krankenhaus gelangen und 
dort der Blutung erliegen. Unter den 98 Todesfällen der Thöle- 
schen Statistik waren nicht weniger als 27 durch diese primäre 
Blutung bedingt. Im Kriege sterben diese durch Blutung Bedrohten 
schon auf dem Schlachtfelde oder auf den vorderen Verbandplätzen; 
in die Feldlazarette gelangen sie nur ausnahmsweise. 

Aus der Zahl von 29,4 pCt. Todesfällen in unserem Lazarett 
etwa folgern zu wollen, die Leberverletzungen verliefen von allen 
Bauchschüssen mit am günstigsten, wäre natürlich falsch. Wie bei 
den Bauchschüssen mit Darmverletzung die Peritonitis das 
Bild beherrscht, so bei den Leberschüssen die Blutung. 
Die schwersten Fälle von Leberschusswunden, vielleicht 
die überwiegende Mehrzahl, erliegen der Blutung noch 
auf dem Schlachtfelde selbst oder auf den vordersten Vor- 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Wie ich aus einer inzwischen ver¬ 
öffentlichten Arbeit DobbcrtiiTs (Münchener med. Wochenschr., 1916, Nr. 1. 
FeldarztI. Beilage) ersehe und durch Anfrage bei dem Autor bestätigt erhalte, 
ist die Heilung doch nicht ganz spontan erfolgt. Die Gallenfistel am Halse wurde 
von I). etwa 4 Wochen nach der Verwundung durch „versenkte Tamponade“ mit 
bestem Krfolg geschlossen. Der Verletzte hat sich dann ganz ausgezeichnet erholt 
und ist nach Ansicht von D. inzwischen wieder felddienstfähig geworden. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Ueber Bauchschüsse, insbesondere über Schussverletzungen der Leber. 527 


bandplätzen. Das Feldlazarett wird diese Verletzten nur aus¬ 
nahmsweise zu Gesicht bekommen. Daher finden wir unter unseren 
8 Todesfällen auch nur 2mal die primäre Blutung als Todesursache. 
Ein Verletzter war 3 Stunden nach der Verwundung eingeliefert und 
starb nach 12 Stunden. Der zweite wurde 20 Stunden nach der 
Verwundung eingebracht und ging eine Stunde später zugrunde. 

Unsere ganze Statistik der Kriegsverletzungen krankt über¬ 
haupt daran: es fehlt die Uebersicht, die Zusammenfassung, das 
Verfolgen der Verletzten vom Schlachtfelde bis in die Heimat¬ 
lazarette. Daher die viel zu günstig lautenden Publikationen der 
ersten Kriegszeit. Im Bewegungskrieg sind freilich solche Sta¬ 
tistiken, die eine Sektion oder mindestens eine genaue Untersuchung 
aller auf dem Schlachtfelde Gefallenen umgreifen müssten, un¬ 
möglich. Anders im Stellungskriege. Hier sind solche Statistiken 
schon begonnen und geben auch bei kleinen Zahlen sehr interessante 
und wertvolle Aufschlüsse. Ich erwähne, um nur ein Beispiel an¬ 
zuführen, die Arbeit von Mätyäs 1 ). M. sah im Stellungskrieg 
59 Bauchschüsse. Davon waren 11 sofort tot, 20 starben in den 
nächsten 2—8 Stunden an Verblutung und Peritonitis, 28 wurden 
abtransportiert. Von diesen 28 starben weitere 18 in der Divisions- 
Sanitätsanstalt (unserer Sanitätskompagnie entsprechend). Nur 10 
erreichten ein Feldspital. Das Schicksal dieser 10 Uebriggebliebenen 
konnte M. leider nicht weiter verfolgen. Doch nimmt er an, dass 
darunter auch noch Bauchwandschüsse gewesen sind. Fügen wir 
nach Analogie mit den Beobachtungen unseres und anderer Feld¬ 
lazarette noch einige Leberschüsse hinzu, vielleicht auch noch 
einige Durchschüsse des Bauches ohne Darmverletzung, so bekommt 
die Bewertung der konservativen Behandlung doch ein anderes 
Gesicht. Das sieht anders aus, als wenn uns über 50—70 pCt. 
Heilung der Bauchschüsse bei konservativer Behandlung berichtet 
wird. Und wir verstehen, wenn Kraske sagt, nach seinen Beob¬ 
achtungen sei kein Fall von sicherer Darmverletzung bei konser¬ 
vativer Behandlung durchgekommen. 

Ich möchte nicht ganz so weit gehen. Dass gelegentlich, 
wenn auch gewiss selten, eine Schussverletzung mit Darmperforation 
spontan heilen könnte, schien mir ein vor kurzem beobachteter 
Fall zu zeigen: 

B., 20jähriger Infanterist, wird im Graben durch eine Mine verletzt, 
6 Stunden nach der Verwundung ins Lazarett eingeliefert. Pfennigstück grosser 
Einschuss in der linken Unterbauchgegend, 3 Querfinger nach innen vom linken 
oberen Darmbeinstachel. Umgebung in Kleinhandtellergrösse aufgetrieben. Linke 


1) Maty&s, Ueber Bauchschüsse. Feldärztl. Beilage z. Münchener med. 
Wochensehr. 1915. Nr. 39. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



528 


E. Lick, 


Digitized by 


Baudihälfto ilrurkcmpfiiullieli, mit wenig ausgesprochener reflcktorisrhorSpannum;- 
Kein Erbrechen, spontane iTincntleenmg. Keine Anzeichen innererBlutung. Puls9S. 

Enter der Diagnose «perforierende Bauehverletzung~ Operation, G 1 > Stunden 
nach der Verwundung: Sehrägschnitt über dem Einschuss. Zwischen Haut und 
Muskulatur vorgefallenes Netz. In der Bauchhöhle etwas flüssiges Blut im 
Douglas, im übrigen kein fremder Inhalt. Peritoneum überall glatt und spiegelnd. 
Die Revision der Darmsehlingen ergibt einen Durchschuss durch den Dünndarm, 
etwa zwischen oberem und mittlerem Drittel. Einschuss ganz klein. Ausschuss 
etwa linsengross. Beide verklebt, erst beim Manipulieren kommen aus den; 
Ausschuss einige Tropfen Danninhalt. Uebernähung. Bauchfell ganz gosohlosvii, 
Muskulatur und Haut etwa zur Hälfte vernäht. 

Vollkommen glatter Verlauf bis auf geringe Temperatursteigerung an den 
beiden ersten Tagen. Stuhl bereits am 2. Tage. Am 11. Tage wird B. in bestem 
Befinden, mit oberflächlicher, gut granulierender W unde in ein Etappenlazarett 
transportiert. 

In diesem Falle hätte nach dem Operationsbefund höchstwahr¬ 
scheinlich auch eine konservative Behandlung trotz sicherer Üarm- 
verletzung zur Heilung geführt. Die Schussöffnungen des Darmes 
erwiesen sich nach Stunden als gut verklebt, Darminhalt in 
der Leibeshöhle oder Zeichen von beginnender Peritonitis wurden nicht 
gefunden. Freilich lag der Fall insofern sehr günstig, als die Ver¬ 
letzung durch einen augenscheinlich sehr kleinen Minensplitter erfolgt 
war. Das Gewehrgeschoss setzt, wie uns andere Operationsbefunde 
und Sektionen lehrten, in der Regel viel schwerere Verletzungen. 

Hätten wir für die Leberschüsse auch eine ausreichende Sta¬ 
tistik, d. h. eine Statistik, die auf dem Schlachtfelde beginnt, wir 
würden zweifellos eine viel höhere Mortalität erhalten, als die Zahlen 
unserer Beobachtungen im Feldlazarett (29,4 pCt.). 

Es sterben sicherlich Leberverletzte in noch höherem Prozent¬ 
satz auf dem Schlachtfelde und den vorderen Verbandplätzen als 
Leute mit Magendarm wunden. Den Leberverlctztcn bedroht vor 
allem die Blutung, sein Schicksal entscheidet sich daher in den 
ersten Stunden. Das Schicksal der Magendarmverletzten hängt von 
der Peritonitis ab, entscheidet sich also oft erst am zweiten und 
dritten Tage. Ist bei Leberverletzten die Gefahr der Blutung vor¬ 
über, kommen diese Verwundeten also überhaupt einmal in die 
Feldlazarette, so sind ihre Aussichten günstiger als die der übrigen 
ßauchschussverletzten. Und diese Leberschüsse sind es dann, die 
die Prognose der Bauchschüsse bei konservativer Behandlung in 
einem zu günstigem Licht erscheinen lassen. Will man hier Klar¬ 
heit, so muss man die Leberschüsse von den mit Magendarm¬ 
verletzung cinhergehenden Bauchschüssen scharf trennen. 

Die Blutung ist bei Leberschüssen die hauptsächlichste Gefahr, 
aber nicht die einzige. Von der gleichzeitigen Verletzung benach¬ 
barter Organe — die rechte Lunge und rechte Niere kommen 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



529 


lobet - Bauchschüsse, insbesondere über .Sclmssverletzuniren der Leber. 


besonders in Betracht — abgesehen, können noch Wochen und 
Monate hindurch Nekrosen und Abscesse der Leber, Throm¬ 
bosen der grosen Blutgefässe, Nachblutungen das Leben bedrohen. 
Die Gefahr des Leberabscesses liegt namentlich bei Steckschüssen 
vor. Diese Spätkomplikationen werden noch in den Heimat¬ 
lazaretten manches weitere Opfer unter den Leberverletzten fordern. 

Leber die Behandlung der Leberschüsse kann ich mich kurz 
fassen: Die einfachen glatten Durchschüsse heilen unter Bettruhe 
und Morphium. Bei den Symptomen starker Blutung Revision der 
Wunde, Tamponade oder Naht der Leberwunden, je nach dem Be¬ 
fund. Ob ein Eingriff überhaupt noch möglich ist, wird nur von 
Fall zu Fall zu entscheiden sein. 

Bei Tangentialschüssen, besonders bei den durch Artillerie- 
geschoss, haben wir die unregelmässig gerissene, buchtenreiche 
Wunde übersichtlich freigelcgt, Knochensplitter der Rippen und nekro¬ 
tische Leberfetzen entfernt, die Wundhöhle locker tamponiert. 
Komplikationen seitens der mitverletzten Pleura sind nach bekannten 
Regeln zu behandeln. 

Bei den Verletzungen der grossen Ausführungsgänge der Leber 
wird eine rechtzeitige Operation Aussicht auf Erfolg bieten. Uebcr 
Naht der durchschossenen Gallenblase mit Ausgang in Heilung ist 
von anderer Seite bereits berichtet, z. B. von Läwen (1. c.). Bei 
Schussverletzungen des Ductus choledochus wird eine sachgemässe 
Hepaticusdrainage mit Tamponade die Galle nach aussen ableiten 
und so einer Gallenperitonitis Vorbeugen können. So glaube ich, 
hätten beide hier erwähnten Fälle (Schuss durch die Gallenblase, 
Schuss durch den Ductus choledochus) beim Fehlen anderer Organ¬ 
verletzungen durch frühzeitige Operation vielleicht gerettet werden 
können. 

Die Spätkomplikationen — Lebersequester, Leberabscesse — 
wurden nach allgemeinen chirurgischen Grundsätzen behandelt. 
Wir haben zweimal Gelegenheit gehabt, bei Tangentialschüssen in 
der zweiten und dritten Woche nach der Verletzung Lebersequester 
zu entfernen. Der erste Fall endete tödlich (Sepsis), der zweite 
wurde 14 Tage nach der Operation in leidlichem Zustand nach 
einem Heimatlazarett abtransportiert. Es bestand noch mässiges 
Fieber, starke Wundsekretion; die Lebensgefahr schien uns hier 
noch nicht abgewendet. 

Die Behandlung der Spätkomplikationen wird selten Aufgabe 
der Feldlazarette sein. Es sind dies spätere Sorgen, Sorgen der 
Heimatlazarette. Für eine erspriessliche Arbeit in den Feld¬ 
lazaretten wird bei Leberschüssen genau wie bei den 
anderen Bauchschüssen alles davon abhängen, dass wir 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



530 


E. Lick, Uebcr Bauchschüsse usw. 


Digitized by 


die Verwundeten möglichst frühzeitig in unsere Behand¬ 
lung bekommen. 

Während des Bewegungskrieges'wird dies Prinzip wohl meistens 
ein frommer Wunsch bleiben müssen, im Stellungskrieg wird es 
durchgeführt, zum Wohl der Verwundeten, zur Freude des Chirurgen. 
In den letzten beiden Monaten (Stellungskrieg) haben wir 7 Bauch¬ 
schüsse gesehen, die alle 2 bis höchstens 6 Stunden nach der Ver¬ 
letzung zu uns kamen. Die Verwundung war 2 mal durch Gewehr¬ 
geschoss, lmal durch Mine, 4mal durch Artilleriegeschoss ver¬ 
ursacht. 2mal lag ein Bauchdeckenschuss vor; beide Fälle heilten 
ohne Operation. Ein Leberschuss mit Prolaps ging 15 Stunden 
nach der Verletzung an den Folgen der Blutung zugrunde. 2 Ver¬ 
wundete starben trotz Operation. Der erste hatte ausser dem 
Bauchschuss (mit 10 Perforationen im Dünndarm) eine schwere 
Kopfverletzung mit Zertrümmerung des rechten Grosshirns; er 
starb 10 Stunden nach der Operation. Der andere, ebenfalls mit 
10 Schusslöchern im Dünndarm, 2 Löchern im Mesenterium und 
zahlreichen Askariden in der freien Bauchhöhle, kam fast aus¬ 
geblutet ins Lazarett. Er wurde 3 Stunden nach der Verletzung 
operiert und starb 53 Stunden später. Sektion: Keine Nahtinsufli- 
zienz, keine ausgesprochene Peritonitis, viel Blut in der Bauchhöhle. 

Zwei operierte Bauchschüsse gingen in Heilung aus, davon 
einer mit 2 Dünndarmperforationen (durch Mine), der andere mit 
9 bis pfennigstückgrossen Dünndarm- und 2 Dickdarmperforationen 
(durch Artilleriegeschoss). Beim ersteren lagen ö 1 /», beim zweiten 
3 Stunden zwischen Verwundung und Operation. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



XIX. 


Nachtrag zu der Arbeit „lieber Blaufärbung der 
Sklera und abnorme Knochenbrüchigkeit“ in Heft 2 

dieses Bandes. 

Von 

Dr. Willy Hofmann (Berlin). 

Herr Geheimrat Peters in Rostock macht mich darauf auf¬ 
merksam, dass ausser den beiden von mir zitierten Arbeiten von 
ihm noch eine weitere erschienen ist unter dem Titel: „Blaue Sklera 
und Knochenbrüchigkeit“ (Klin. Monatsbl. f. Augenheilk., 1913, Mai). 
Peters weist auch hier auf den von uns besprochenen Symptomen- 
komplex als eine erbliche Keimesanomalie hin. In praktischer Hin¬ 
sicht rät er bei diesen Fällen zu Befreiung vom Militärdienst und 
Turnunterricht. Auch er ist der gleichen Ansicht wie wir, dass 
eine therapeutische Beeinflussung der Anomalie nicht in Frage 
kommt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


Digitized by 



Original frnrri 

UNIVERSITY OF IOWA 




Taf.XVT. 



Fig.7. 


Fig.Sb. 

Original fförn 

UNIVERSITY OF IOWA 















Digitized by Gougle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 







UNIVERSITY OF IOWA 














dun /' klm . Chirurgie !07..Bd. 




Taf.XW. 






















Digitized by Gougle 


Original fro-m 

UMIVERSITY OF IOW, 





’ßfc? f. klin,. Chirurgie 707.Bd. 



Taf.XM. 



Big. / 9. cb 


I from 

UNIVERSITY OF IOWA 


Blaue.LUh Inst Berlin 

















Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Arvhiv f. Jdin. Chirurgie 107. Bd. Taf. XIX. 



Fig.Z't. 


F.Iaue^Züh Inst Seron, 


Digitized by Go gle 


Original from 

UNIVERSIIY OF'iOWA 




Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



XX. 


(Aus der ehirurg. Universitätsklinik der Künigl. Charite in Berlin. 

— Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.) 

Die operative Behandlung 
der supralaryngealen Pharynxstenose durch 
Pharyngotomia externa und Lappenplastik. 

Von 

Prof. 0. Axhausen. 

(Mit 12 Textfiguren.) 

Von den postluetischen Narben Verengerungen des Rachens be¬ 
anspruchen die tiefen, im Hypopharynx dicht über dem Kehlkopf¬ 
eingang gelegenen Stenosen wegen ihrer schweren Störungen be¬ 
sondere chirurgische Beachtung. Sie kommen dadurch zustande, 
dass bei der Vernarbung der Geschwürsprozesse der Zungengrund 
(meist nach partieller oder totaler Zerstörung der Epiglottis) sowie 
die Schleimhaut der hinteren Rachenwand und der seitlichen Pharvnx- 
abschnitte konzentrisch nach der Mitte zu zusammengezogen werden. 
Es entsteht dadurch ein aus narbig veränderten Schleimhautfalten 
gebildetes Diaphragma, das nur an einer Stelle nahe der Mitte eine 
lochförmige Oeffnung aufweist; diese Oeffnung steht allein noch der 
Nahrung und der Atmungsluft zum Durchtritt zur Verfügung. Be¬ 
sitzt sie noch eine genügende Weite, so gelingt es manchmal, in 
der Tiefe der Oeffnung noch einen kleinen Abschnitt des Kehlkopfes 
zu überblicken. Die Beschwerden halten sich in diesen Fällen in 
bescheidenen Grenzen oder fehlen auch ganz. Mit der Verkleinerung 
der Oeffnung nehmen aber die Störungen rasch zu, um bei hoch¬ 
gradiger Stenose lebensgefährliche Grade zu erreichen. Die Nahrungs¬ 
aufnahme ist in solchen schweren Fällen auf das Aeusserste beein¬ 
trächtigt. Die Atmungserschwerung lähmt jede Tätigkeit; sie kann 
sich bei geringfügigen Anlässen bis zum Erstickungsanfall steigern. 
Es erweist sich schliesslich die Vornahme der Tracheotomie und der 
Gastrostomie in solchen Fällen zur Erhaltung des Bebens nicht selten 
als unumgänglich nötig. 

Archiv für klin. Chirurgie*. B«i. 107. Heft 4. ‘}(J 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



534 


(i. Axhausen. 


Digitized by 


Aber aucli nach Vornahme dieser Operation befinden sich die 
Patienten in einem kläglichen Zustande. Besser als mit diesen 
Palliativoperationen würde den Patienten mit der Beseitigung der 
Stenose gedient sein. Zieht man über die therapeutischen Möglich¬ 
keiten die führenden Lehrbücher zu Rate, so findet man als einzige 
Behandlungsart die allmähliche Erweiterung der Stenose durch syste¬ 
matische Bougierung. Man darf es wohl offen aussprechen, dass 
diese Behandlung, so mühselig und belästigend sie ist, in ihren Er¬ 
folgen mehr als zweifelhaft ist. Die Dehnung des starren Narben¬ 
ringes ist immer schwierig, oft unmöglich; sie führt leicht zu Ein¬ 
rissen, die ebenso wie die therapeutischen Incisionen nur neues 
schrumpfendes Narbengewebe schaffen. Nicht selten treten an den 
Einrissstellen neue syphilitische Eruptionen auf. Aber selbst wenn 
eine Erweiterung erreicht ist, ist sie, sich selbst überlassen, nicht 
von langer Dauer. So kommt der Patient sein Leben lang aus der 
qualvollen ärztlichen Behandlung nicht heraus. 

Auch bei meinen beiden Patientinnen hat die fortgesetzte Bougie- 
behandlung, obwohl von fachkundiger Seite ausgeführt, völlig im 
Stich gelassen. In einem meiner Fälle kam es sogar im unmittel¬ 
baren Anschluss an die Bougierung zu einer Zunahme der Ver¬ 
engerung, so dass die Tracheotomie zur Erhaltung des Lebens vor¬ 
genommen werden musste. 

Unter diesen Umständen muss der Wunsch nach einer radi¬ 
kalen operativen Therapie als dringlich empfunden werden. Nach 
meiner Durchsicht der Literatur und nach bestätigenden Angaben 
von laryngologischer Seite (Geh. Rat Killian) scheint aber ein 
solcher Versuch bis zur Zeit nicht gemacht worden zu sein. 
Nur an einer Stelle habe ich den Vorschlag einer aktiveren The¬ 
rapie überhaupt gefunden. In der Bearbeitung der Stenosen in 
dem im Erscheinen begriffenen Handbuch der Laryngologie von 
Preysing und Katz, die durch Pieniazek erfolgt ist, findet sich 
der Vorschlag, in schwierigen Fällen, in denen die Bougierung und 
Lösung der Verwachsungen von innen nicht zum Ziele führt, die 
stenotische Stelle durch Pharyngotomia lateralis zu spalten, von 
aussen her die Verwachsungen zu lösen und dann die Wunden bei 
entsprechender Nachbehandlung von innen unter Tamponade durch 
Granulation zur Ausheilung kommen zu lassen. 

Abgesehen davon, dass dieser Vorschlag bisher kaum je prak¬ 
tisch zur Durchführung gelangt sein dürfte (Killian), kann man 
ihn nicht wohl als radikal bezeichnen. Auch nach diesem Eingriff 
tritt wieder Narbengewehe an die Stelle der Verengerung und be¬ 
darf von neuem der therapeutischen Beeinflussung von innen her. 
Eine radikale Behandlung hat zur unerlässlichen Voraussetzung. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



535 


Die operative Behandlung der supralaryngealeu IMiarynxstenose usw. 

dass nach operativer Beseitigung der Stenose reichlich 
gute Haut an die Stelle der Verengerung gebracht wird, 
so dass die Wiederkehr der Stenose ohne jede weitere Nachbehand¬ 
lung ein für allemal ausgeschlossen ist. 

Die technische Durchführung dieser operativen Forderung hat 
mir in zwei Fällen dieser Art einen recht erfreulichen Erfolg ge¬ 
bracht. Es konnte nicht nur eine völlige Beseitigung der Pharynx¬ 
stenose erreicht werden, sondern es trat — aus später noch anzu¬ 
führenden Gründen — eine gleichzeitige, weitgehende Besserung der 
komplizierenden Verengerung des Larynxeinganges ein, so dass in 
beiden Fällen die Kanüle für die Dauer entfernt werden konnte. 

Das in beiden Fällen geübte Verfahren stellt nichts weiter dar, 
als die Uebertragung der bewährten pharyngoplastischen und üso- 
phagoplastischen Prinzipien v. Hacker’s auf die supralarvngeale 
Pharvnxstenose. 

«f 

Ich darf diese Prinzipien als bekannt voraussetzen. Das 
Schwergewicht der v. Hacker’schen Arbeit betrifft allerdings das 
Gebiet des plastischen Pharynx- und Oesophagus-Ersatzes nach 
der Resektion innerhalb dieser Organe. Hier hat v. Hacker ge¬ 
zeigt, dass die Neubildung des fehlenden Verbindungsstückes aus 
der äusseren Haut der Umgebung auf dem Wege der „gedoppelten 
Türflügelplastik“ ein erfolgsicheres und dankbares operatives Ver¬ 
fahren darstellt. Nach diesen Prinzipien ist von v. Hacker, 
Gluck, Helferich, Narath u. a. eine grosse Anzahl von Plastiken 
rach Resektion wegen Carcinoms mit bestem Ergebnis zur Aus¬ 
führung gebracht worden. Einigemal ist die gleiche Operation auch 
•wegen gutartiger Oesophagusstenose (Verätzungsstriktur) mit Erfolg 
zur Ausführung gelangt. 

Diese radikale Excision kann für die supralaryngealen Pharynx- 
stenosen nicht in Betracht kommen. Das Verfahren wäre hier 
technisch schwer durchführbar, recht eingreifend und daher un¬ 
zweckmässig. v. Hacker hat aber neben dem Ausbau seiner Tür¬ 
flügelplastik einen weiteren technischen Vorschlag gemacht, der 
weniger beachtet worden zu sein scheint. Er hat empfohlen, 
„bei auf den Halsteil beschränkten, kurzen, röhrenförmigen Strik- 
turen, die nicht zu dilatieren sind, statt der Resektion die ein¬ 
fache Spaltung der verengten Stelle durchzuführen und das, was 
dem Rohr dann an Umfang fehlt, also das ganze vordere Halb¬ 
rohr, durch eine Plastik aus äusserer Haut — Bildung einer langen 
Lippenfistel, und späteres Hineinschlagen der äusseren Haut — zu 
ersetzen“ 1 ). 

1) v. Hat* kor, lYbor «lio narli Wrälzurur enlstoliemlnn Speiscröhrm- 
verpnirermiirrn. Wien 1SS9. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



536 


(i. Axhausen, 


Digitized by 


Dieser Vorschlag, der sich auf die Strikturen der Speise¬ 
röhre bezog, ist, wie v. Hacker selbst in einer kürzlich publizierten 
Arbeit 1 ) hervorhob, erst ein einziges Mal zur Ausführung gelangt 
und zwar durch Rokotzkv 2 ), der eine Verätzungsstriktur der 
Speiseröhre auf diese Weise zur Ausheilung brachte. Ungleich 
häufiger ist das gleiche operative Vorgehen bei den Strikturen des 
Larvnx in Anwendung gebracht worden: der Laryngofissur folgt 
das Einlegen der seitlichen, mobilisierten Hautlefzen in den Wund¬ 
spalt zur Erzielung einer weiten Lippenfistel (Laryngostoma); wird 
dann die äussere Haut an der Einmündung in die Lippenfistel Um¬ 
schnitten und w'erden die in der Fistel liegenden Teile der äusseren 


Fig. 1 a. 



Schematischer Frontalschnitt durch die llalsgegend. 

U Unterkiefer, Gl Glandula submaxillaris, Z Zungenbein. X Nervus Inryugous 
sup., Sch Schildknorpel, St Pharynxstenuse. 

Haut nach Ablösen von der Unterlage nach innen umgeschlagen 
und unter sich vereinigt, so ist an der Stelle der Larynxstenosc 
ein Epithelrohr genügender Weite geschallen; die äusseren Wund¬ 
flächen der nach innen gekehrten Hautlappen können leicht durch 
Lappenplastik von der Seite geschlossen werden. 

Es lag nahe, diese Technik auch auf die supralarvngeale 
Pharynxstenose in Anwendung zu bringen. 

1) v. Hacker, Feber Oesophagoplastik im allgemeinen usw. Dieses Archiv. 

Bd. 105. s. dt;;. 

2) Hnkntz kv. Zur Fraire von der Ocsophagusplastik. Dieses Arclm. 
Rd. S2. S. <>00. 


Gck 'gle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Die operative Behandlung der supralaryngealen I’liarynxstenose usw. 


537 


Gibt Fig. la in einem grobschematischen Frontalschnitt die 
supralaryngeale Pharynxstenose bei St. wieder, so musste in einem 
ersten Operationsakt durch Pharvngotomia lateralis, Spaltung der 
Stenose und Lappenplastik ein grosses Pharyngostoma an der 


Fis;. 1 b. 



Stelle der Stenose geschaffen iverden (Fig. 1 b). In einem zweiten 
Akt musste dann der Hautanteil der Lippenfistel Umschnitten (etwa 
bei J und J x in Fig. lb), nach innen umgeklappt und an der zu- 
sarnmenstossenden Stelle vereinigt werden (Fig. lc); dann waren 
die umgebenden Weichteile darüber zu schliessen. Es tritt da¬ 
durch an die Stelle der einen Hälfte des trennenden Diaphragmas 


Digitized 


bv Google 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



538 


G. Axhausen. 


eine geräumige Pharynxtasche, die zum Teil von äusserer Haut ge¬ 
bildet wird. 

Die zur Pharyngotomia externa notwendige ergiebige Frei¬ 
legung der äusseren Pharynxfläche konnte auf Schwierigkeiten nicht 
stossen. Bei der Lage der Stenose dicht über dem Larynx, also 
etwa in Höhe des Zungenbeins, war es klar, dass das grosse 
Zungenbeinhorn entfernt werden musste, um die Stenose spalten 
zu können; der am unteren Rande des Zungenbeinhorns verlaufende 
N. laryngeus sup. war zu schonen. Weiter musste zur Erzielung des 
Pharyngostomas die submaxillare Speicheldrüse geopfert werden. 

Fig. 2. 



Fig. 2 zeigt halbschematisch das Bild nach der Entfernung 
der Drüse: Zur Freilegung des Pharynx müssen die Mm. biventer, 
stylohvoideus, hyoglossus und stylo-thyreoideus durchschnitten, die 
Mm. mylohyoideus und omohyoideus eventuell eingekerbt xverden: 
die Aa. maxillaris ext. und lingualis müssen durchtrennt, der 
N. hypoglossus nach oben abgedrängt werden; der N. laryngeus 
sup. muss aufgesucht und nach unten gedrängt werden. Wird 
dann das Zungenbeinhorn exstirpiert, so liegt der Pharynx grade 
an der Stelle der Stenose in grosser Ausdehnung zur Eröffnung 
frei (Fig. 3). 

Bei der nun folgenden Hautlappenplastik musste von vorn¬ 
herein von dem einfachen Ilineinschlagen der seitlichen mobili- 


Digitized by Gougle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die operative Behandlung der supralarvngealen Pharynxstenose usw. 539 


sierten Hautlefzen — nach Art der Bildung eines Laryngostomas — 
abgesehen werden. Bei der Tiefe des Pharynx — namentlich in 
der Gegend unterhalb des Kieferwinkels — wäre bei dieser Technik 
eine Spannung im Bereich der Schleimhaut-Hautnaht unvermeid¬ 
lich gewesen; eine Heilung dieser Naht per primam war aber nur 
beim Fehlen jeder Spannung zu erwarten. Fs musste daher die 
Schnittführung so gelegt werden, dass Haut in reichlicher Menge 
und ohne jede Spannung zum Einschlagen in die Tiefe zur Ver¬ 
fügung stand. Ich habe dies so zu erreichen gesucht, dass ich 


Fig. 3. 



erstlich einen nach unten konvexen Lappenschnitt führte, ähnlich 
wie zur typischen Unterbindung der A. lingualis, nur etwas weiter 
lappenförmig nach unten gehend (Fig. 4, s. auch Fig. 2). Dieser 
Lappen musste sich um den Unterkieferwinkel herum bequem in 
die Tiefe legen und mit dem oberen Rand der Pharynxölfnung 
vereinigen lassen. Die direkte Vereinigung des unteren, zurück¬ 
tretenden Schnittrandes mit dem unteren Rand der Pharynxöffnung 
■war danach naturgemäss unmöglich; zur Erzielung einer spannungs¬ 
losen Verbindung musste es aber ein Leichtes sein, einen gestielten 
Hautlappcn von der Seite des Halses (Fig. 4) zwischen dem unteren 
Hautschnittrand und dem unteren Rand der Pharynxölfnung einzu- 


Digitized by 


Go igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



540 


(i. Axhausen, 


fügen. Kig. 6 lässt die Lage dieses Lappens nach der Einfügung 
gut erkennen; sein freies Ende taucht in die Tiefe der Fistel. 

Nachdem ich mich am Kadaver von der Ausführbarkeit des 
operativen Vorgehens überzeugt hatte, habe ich die Operation in 
dem folgenden Falle vorgenommen, der mir von Herrn Geh. Kal 
Killian zur Operation freundlichst überwiesen wurde: 


Fig. 4. 



19 jähriges Mädchen. Als Kind Hornhautentzündung, die mit diffusen Horn¬ 
hauttrübungen geheilt i . Seitdem 15. Jahre dauernde gesell würige Prozesse im 
Halse, die an verschiedenen Stellen, darunter auch in der Hautklinik der Charite, 
energisch antiluetisch behandelt wurden. Oktober 1914 stellten sich zunehmende 
Beschwerden beim Atmen und beim Schlucken ein. Die in der Halsklinik der 
Charite durchgeführte konsequente Bougiebehandlung führte keine dauernde 
Besserung herbei. 

Befund: Mageres, blasses Mädchen von elendem Aussehen und in geringem 
Ernährungszustände. 

Lungen: Ueber der rechten Spitze Bronchialatmen und klingendes Hasseln, 
über der linken Spitze verschärftes Exspirium und vereinzelte Hasehelgeräusche. 
Mässige Dämpfung beiderseits. Auswurf ziemlich reichlich. Tuberkelbazillen: 
positiv. 

Hat. kann nur Flüssiges zu sich nehmen, das sie langsam und vorsichtig 
schluckend aufnimmt. Die Atmung ist von einem dauernden Stridor begleitet. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die operative Behandlung der supralaryngealen Pharynxstenose usw. 541 


Rachenraum: Es besteht eine breite Verwachsung des weichen Gaumens 
mit der hinteren Rachenwand; als Kommunikation zwischen Nasenrachen und 
Mundhöhle ist nur eine kleine, etwa für einen Bleistift durchgängige Oeffnung 
nahe der Mittellinie vorhanden. 

Mit dem Kehlkopfspiegel ist von der Tiefe des Pharynx nichts zu er¬ 
kennen. weil sich zwischen dem der hinteren Rachenwand angenäherten Zungcn- 
grund. der hinteren Rachenwand und den seitlichen Rachenabschnitten eine 
Schleimhautbrücke herüberspannt und den Einblick in die Tiefe verlegt (Fig. 5). 
Diese sonst geschlossene Membran zeigt nur in der Mittellinie eine Oeffnung, 
etwa von der Dicke eines Notizbleistiftes, die zum Einblick in die Tiefe nicht 
genügt. Die unmittelbare Umgebung der Oeffnung erscheint leicht verdickt und 
etwas blasser in der Farbe, anscheinend infolge Narbenbildung (Fig. 5). 

Noch während der Beobachtung in der Klinik nimmt der Stridor zu und 
die nächtlichen Anfälle von Atemnot werden stärker, so dass in einer Nacht in¬ 
folge eines Anfalls die Tracheotomie vorgenommen werden muss. 


Fig. 5. 





I)cr Versuch der radikalen Operation war in diesem Falle in¬ 
diziert, nicht nur wegen der Schwere der Störungen und der Er¬ 
gebnislosigkeit der Bougiebehandlung, sondern auch deswegen, weil 
eine Ausheilung der bestehenden Lungentuberkulose nur bei Erzie¬ 
lung einer ungestörten Ernährungsmöglichkeit zu erhoffen war. 

7. 7. 15. I. Operation in Chloroformnarkose (Injektion von Novocain- 
Adrenalinlösung ins Operationsgebiet). 

Nach präliminarer Gastrostomie Hautschnitt in einem stark nach unten 
gekrümmten Bogen von der Gegend fingerbreit unterhalb des Kinnes bis nahe 
an den Proc. mastoideus (s. Fig. 4). Durchtrennung der Haut und des Platysma. 
Frei präparieren des Haut-Platysmalappens bis zum Unterkiefer. Spaltung der 
Faseic unterhalb der submaxillarcn Speicheldrüse und Lösung der Drüse von 
der Unterlage. Spaltung der Faseic oberhalb der Drüse bis auf den Unterkiefer 
unter doppelter Unterbindung und Durchtrennung der A. maxillaris externa. 
Lösung der oberen Fläche der Drüse. Trennung der Drüse an der Aussenseite 
von der Umgebung unter doppelter Unterbindung und Durchschneidung der 
V. facialis communis (nahe der V. jugularis interna) und der A. maxillaris ex¬ 
terna (nahe der A. carotis). Vollendung der Exstirpation der Stibmaxillardrüse. 


□ igitized by Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 


542 


(i. Axhausen, 


Digitized by 


Durehsehneidung des hinteren Biventerbauches und des M. sty 1«*liy««i*I imi> 
dicht am Zumrenhcin. Doppelte Unterbindung und Durchtrennung der A. lin- 
gualis am hinteren Rande des M. hyoglossus, Durchtrennung des M. hyoglossm 
dicht am Zungenbeinhorn und Einkerbung des Randes des M. mylohyoideus 
ebenda. Die Eröffnung des Pharynx im oberen Bereich der freigelegten Stellt- 
fülirt in den Pharynxanieil oberhalb der Stenose. Der Striktureingang wir! 
sichtbar: er. lässt eine dicke Empyemsondc eben passieren. Spaltung des ver¬ 
engerten Pharynxabsrhnittos in der Längsrichtung; die durchschnittene Partie 
ist in der (legend der Striktur stark verdickt und verhärtet. Um bis ans untere 
Ende der Striktur zu gelangen, muss das Zungenbeinhorn exstirpiert werden. 
Nachdem der X. larvngeus sup. aufgesucht und stumpf vom Pharynx nach unten 
abgedrängt worden ist, kann die Längsspaltung fortgesetzt werden, bi:> «i*r 
unterhalb der Striktur gelegene normal weite Pharynxanteii erreicht ist. D-r 
eingeführte Finger gelangt über den Ringknorpel ohne Schwierigkeiten in •: i* 
Speiseröhre. 

Der obere Hautlappen wird nunmehr in die Wunde hereingeklappt und 
sein freier Rand lässt sich ohne jede Spannung mit dem oberen Rande der 
Pharynxöffnung durch Catgut-Knopfnähte verbinden. Alsdann wird von der 
linken Halsgegend ein nach oben gestielter Lappen entnommen (Fig. 4). der in 
den unteren Anteil der Wunde eingeschlagen wird; sein oberer Rami wird mit 
dem unteren Rande der Pharynxöffnung und sein unterer Rand mit dem unteren 
Rande des ursprünglichen Hautbogensehnittes lückenlos vernäht. Die Ent nah um¬ 
stelle wird durch Hautknopfmähte sofort geschlossen. Nachdem noch einige 
Hautnähte an den beiden Winkeln der Pharyngotomiewunde gelegt sind, ist 
eine lückenlose Verbindung zwischen dem Pharynx und der äusseren Haui. 
ein breites Pharyngostoma, hergestellt. Einige dünne Drains werden in 
die Wundwinkel gelegt, ein Jodoformtampon in das Pharyngostoma eingelegt. 
Airolpaste auf die Nahtlinie; Zinkpastelappen auf die umgebende Haut. 
Verband. 

Die Heilung ging ungestört vor sieh. Die kleinen Drains in den Winkeln 
wurden am dritten Tage entfernt und der Pharynxtampon erneuert. Ueberall 
prima intentio. Nur an der Basis der Entnahmestelle des seitliehen Hautlappens 
entsteht durch Durchschneiden der Nähte ein kleiner Granulationsbezirk. der 
per seeundam ausheilt. 

Fig. <> zeigt das Bild der Patientin nach diesem ersten Opcrationsakl. 

Io. S. II. Operation (Lokalanästhesie): Umschneidung des Hauteingango 
des Pharyngostoma gut daumenbreit von der Hautsehleimhaut entfernt. Die 
beiden umsehnittenen Ilautlappen werden von der Unterlage abpräpariert bi> 
zur Hautsehleimhautnarbe, stellenweise sogar darüber hinaus. Dann werden die 
Ilautlappen naeh innen umgeschlagen und durch einige subkutane Catgut nähte 
lückenlos vereinigt. Ueber dieser Nahtlinie werden die angefrisehten Muskeln 
und Faseien durch Uaigutknopfnähte vereinigt. Darauf werden die Aussenlef/en 
der llautumsehneidung naeh Mobilisierung durch Hautknopfnähte vereinigt. 
Dünnes Drain in den hinteren Winkel. 

Die Heilung erfolgte glatt. Das Drain im hinteren Winkel wird am fünften 
Tage entfernt; der kleine (iranulationsgang, der niemals Mundschleim hindureh¬ 
lässt, ist bald darauf geschlossen. 

Fig. 7 zeigt das Bild der Patientin naeh dem zweiten Operationsakt. 

Nach Beendigung der Heilung wurden die Sehluckxersuche begonnen, di»* 
binnen kurzem so weit gediehen, dass Pat. alle Nahrung auf natürlichem Wege 
zu si«*h nehmen konnte, so dass der Gastrostomiesehlauch entfernt werden 
konnte. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 













544 


G. Axhausen, 


Während «les llcilungsverlaufs dieser Operation zeigte es sieh nun, da>> 
die Atmung mehr und mehr von der Kanüle unabhängig wurde: die Luftpassan * 
erfolgte zum Teil neben der Kanüle durch den Kehlkopf; das Einlegen einer 
Loehkanüle ergab die ausreichende Durchgängigkeit des Kehlkopfeinganges. Da 
auch der larvngoskopische Befund günstig war, wurde die Kanüle entfernt, 
und die Atmung erfolgte ohne Stridor und ohne Störung auf natürlichem 
Wege. 

Der larvngoskopische Befund zwei Monate nach der Operation war 
der folgende (Fig. 8): Von dem den tiefen Pharynx abschliessenden inembranösen 
Schleimhautdiaphragma (s. Fig. 5) ist nur mehr die rechte Hälfte — und auch 
diese nicht unerheblich verkleinert — zu sehen. Die rechte Umgrenzung der 
ursprünglichen stenotischen Oeffnung ist, etwas zurückgetreten und erheblich 
abgeflacht, als hogiger Schleimhaut ran d nach Art einer Kulisse sichtbar; das 
hintere Ende dieses Kulissenrandes geht in die hintere Bachenwand über, »las 
vordere verliert sich unter dem Zungengrund. Der ganze übrige Anteil des ab- 

Fig. 8. 



schliessenden Diaphragmas ist verschwunden, so dass etwa in zwei Dritteilrn 
des ganzen Baumes die Tiefe des Pharynx frei übersichtlich vorliegt. Die Seiten¬ 
fläche des Pharynxraumes wird hier von den beiden eingeschlagenen Lappen 
der äusseren Haut (Fig. 8, H) gebildet, die durch ihre auffallend helle Farbe 
sich von der umgebenden Schleimhaut sofort erkennbar abheben und die in der 
Mitte die sie vereinigende Nahtstelle noch als schmale Narbe erkennen lassen. 
In der Tiefe des Pharynx ist der noch etwas verengte, aber für die Luftpassage 
völlig ausreichende Glottiseingang sichtbar. Die Epiglottis fehlt vollständig. Die 
Stimmlippen sind bei Phonation im Glottiseingang deutlich sichtbar; sie sind 
von normaler Beschaffenheit und normal beweglich. 

In diesem Zustande ist der Pharynx bis zum gegenwärtigen Augenblick 
geblieben. 

Es hat also in diesem Falle die Durchführung der geplanten 
Operation den gewünschten Erfolg in vollem Umfange herbeigeführt: 
Der Pharynx hat an seiner engen Stelle etwa zwei Dritteile der 
normalen Weite wiedergewonnen, so dass alle Störungen beseitigt 
sind und das Schlucken selbst grosser Bissen auf irgend welche 
Schwierigkeiten nicht mehr stösst. Dass dieser Zustand von Dauer 
sein wird, dürfte wohl bei dem mit dem Kehlkopfspiegel erhobenen 


Difitized by 


Gck igle 


Original frn-m 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die operative Behamllunir der supralarynirealen Pharynxstenose usw. 545 


örtlichen Befund keinem Zweifel unterliegen. Dass an dem w'eiten, 
überall mit Haut bzw. Schleimhaut ausgekleideten Raume, der an 
die Stelle der Stenose getreten ist, durch sekundäre Schrumpfung 
eine "Wiederkehr der Verengerung eintreten sollte, wird auch von 
laryngologischer Seite (Geh. Rat Killian) für ausgeschlossen ge¬ 
halten. 

Leider hat sich aber meine Hoffnung, durch Regelung der 
Ernährung die Lungentuberkulose günstig zu beeinllussen, nicht 
erfüllt. Es hat sich vielmehr eine deutlich progrediente Lungen¬ 
phthise entwickelt, die die Prognose quoad vitara nicht günstig 
stellen lässt. Unter dem Einfluss des reichlichen bazillenhaltigen 
Auswurfs hat sich leider auch nach Entfernung der Kanüle eine 
tuberkulöse Infektion der Trachealfistel eingestellt, die den 
Schluss derselben verzögert. Zu dem kleinen Eingriff einer An¬ 
frischung des Fistelganges hat sich die Patientin bisher nicht ver¬ 
stehen können. 

Die Frage der operativen Lösung des therapeutischen Problems 
wird indessen durch diese ungünstigen Begleitumstände in keiner 
Weise beeinflusst. 

Von besonderem Interesse war die nach der Operation ein¬ 
tretende Besserung des Atmungszustandes. Ursprünglich hatte 
ich die Ansicht, dass die Behinderung der Atmung ebenfalls durch 
die Pharynxstenose bedingt sei, deren Enge nicht genügend Luft 
passieren lasse. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte gleich nach 
der ersten Operation das Hemmnis mit einem Schlage beseitigt 
sein müssen. Dies war aber keineswegs der Fall; sondern die 
Besserung der Luftpassage trat allmählich im Verlauf der Heilung 
der Operationswunde auf. Es musste danach das Hemmnis nicht 
in der Pharynxstenose, sondern tiefer, etwa im Larynxeingang, an¬ 
genommen werden; hier musste sich die Verengerung unter dem 
Heilungsvorgang der Wunde allmählich gebessert haben. Welcher 
Art die Verengerung und worauf die allmähliche Besserung zurück¬ 
zuführen war, konnte in diesem Falle nicht eruiert werden. Die 
genaue laryngoskopische Untersuchung wurde erst nach Abschluss 
der Wundheilung vorgenommen; zu dieser Zeit zeigte der Larynx¬ 
eingang schon die zur Atmung völlig ausreichende Weite. Ich 
stellte mir mutmasslich den Vorgang so vor, dass durch Heran¬ 
ziehung der seitlichen Schleimhaut infolge der Stenosierung des 
Fharynx ein Ueberfluss an Schleimhaut in der Umgebung des 
Larvnxeinganges entstanden sei, so dass die Wulstungen der über¬ 
hängenden Schleimhaut den Larynxeingang verengten, und dass 
später durch die operativen Eingriffe die Schleimhaut nach der 
Operationsstelle an der seitlichen Pharynxwand herangezogen wurde, 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



546 


Ci. Axhausen. 


wodurch die Wulstungen der den Larynxeingang begrenzenden 
Schleimhaut beseitigt und der Eingang selber freier werden musste. 
Diese Vorstellung wurde durch meine Beobachtungen in dem fol¬ 
genden Falle bestätigt, den ich ebenfalls der Freundlichkeit des 
Herrn Geh. Kat Killian verdanke: 

lojähriges Mädchen. In früher Kindheit setzte ein Ohrleiden ein. das zur 
Taubheit führte, und eine Augenentzündung, die mit diffuser Hornhauttriibung 
leichten Grades zur Ausheilung irelangte. Im neunten Lebensjahre bildeten sieh 
Geschwürsprozesse im Rachen heraus, die trotz sorgfältiger antiluetischer Be¬ 
handlung unter starker Xarbcnbildung zur Ausheilung gelangten. Seit dieser 
Zeit kam Bat. sehr herunter, konnte nur mit Mühe Flüssigkeiten zu sich nehmen 
und wurde durch starkes Röcheln beim Atmen in allen Leistungen und beirr. 
Schlafen gestört. 1914 operative Freilegung der Choanen (Dr. Sturmann : 


Fig. 9. 



März 1915 Bougiebehandlung der PharynxstoDose. Im Anschluss an die Bou¬ 
gierung trat eine so heftige Zunahme des dauernd vorhandenen Stridors auf. 
dass die Tracheotomie vorgenommen werden musste. 

Bef und: Kleines, schwächliches Mädchen, in massigem Ernährungszustände 
und von blasser Gesichtsfarbe. 

Kachcnbefund: Vom Gaumensegel fehlt die L’vula und noch ein Stück: 
das übrige ist vernarbt und mit der hinteren Rachenwand verwachsen. An Stelle 
der linken Tonsille Xarbengewebe. Mit dem Spiegel sieht man zwischen dem 
Zungengrunde und dem übrigen Pharynxabschnitt ein membranartiges Dia¬ 
phragma sich ausbreiten, das den Einblick in die Tiefe vollkommen unmöglich 
macht (Fig. 9). Bei genauem Zusehen ist in diesem Diaphragma unmittelbar am 
Zungrngrund eine etwa für einen Xotizblcistift durchgängige Oeffnung wahr¬ 
nehmbar. Doch ist sie im vollen Umfang nicht zu überblicken: vielmehr >in< ( 
nur die hinteren zwei Dritteile bei der laryngoskopisehen Untersuchung zu 
sehen (Fig. 9). 

30. 10. Operation in Aethcrtropfnarkose (Injektion von Xovocain-Adrenalin¬ 
lösung ins Operationsgebiet). 

Xach präliminarer Gastrostomie wird die Freilegung des Pharynx genau 
in der gleichen Weise wie im vorigen Falle vorgenommen. Die Bildung d»*> 
oberen llautlappens ist erschwert durch eine Xarbcnbildung, die von der Er- 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Die operative Behandlung der supralaryngealen Pharynxstenose usw. 547 

Öffnung einer früheren Drüseneiterung herrührt. Die Eröffnung des Pharynx 
und die Spaltung der Striktur wie im vorigen Falle. Doch -wird nach der 
Spaltung der Striktur in diesem Falle noch die Durchtrennung einer band¬ 
artigen Verbindung zwischen den Rändern der Stenose vorgenommen, und es 
wird weiter der auf der rechten Seite scharf vorspringende konkave Rand der 
stcMiotischen Oeffnung nach Art der Pyloroplastik längs eingespalten und quer 
vernäht. Danach sinkt der Rand ein gutes Stück nach der rechten seitlichen 
Rachenwand zurück. Bei dem Aufsuchen des K ehlkopfcingangcs wird 
dieser zunächst überhaupt nicht gefunden: erst nach längerem Suchen 


Fig. 10. 



und Ileriiberstrcielien mit dem Finger sicht man zwischen wu Ist artigen 
Schleimhautlefzen einen feinen Spalt; die in ihn eingeführte Empyem¬ 
sonde gelangt dann mühelos hindurch in das Larynxinnere. 

Die Bildung des Pharyngostoma wird genau in derselben W eise wie im 
vorigen Falle vorgenommen. Die Entnahmestelle des seitlichen Hautlappens 
wird durch einige Plattennähte gesichert. Versorgung der Wunde wie im 
vorigen Falle. 

Heilung erfolgt ohne jede Störung per primam; nur an der Basis der Ent- 
nahmestelle entsteht ein kleiner Granulationsbezirk, der per secundam heilt. 
Fiir. 10 zeigt den Befund nach der Heilung. 

*28. 11. Zweite Operation. Der zweite Akt mit Einschlagung der um- 
schnittenen llauilefzen wird genau in derselben Weise vorgenommen wie im 
vorigen Falle. 

Die Heilung erfolgt ohne Störung, die W unde ist nach 14 Tagen voll¬ 
kommen geschlossen. Fig. 11 zeigt diesen Befund. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 





548 


G. Ax hausen. 


Schon unmittelbar nach dieser Operation ist eine Besserung der Atmung 
bemerkbar, die- im weiteren Heilungs\erlauf anhält. Die Luft passiert neben 
der Kanüle den Larvnx. Eine Lochkanüle bei Verstopfung der Eiirenöffnun^ 

Fig. 11. 



Fig. 12. 



wird mühelos vertragen, so dass am 10. 12. die Kanüle gänzlich entfernt werden 
kann. Die Atmung ist völlig ausreichend mit einem leisen, eben wahrnehm¬ 
baren Stridor. 

Die l’ntersuchung mit dem Kehlkopfspiegel (Fig. 12) zeigt, da>s von 
der abschliessenden Membran nur noch ein Teil der rechten Seite wahrnehmbar 
i>t. Man sieht hier von der hinteren Rachenwand nach der rechten seitlichen 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 






Die operative Behandlung der supralarvn^ealen lMiJirynxsleno.se usw. 549 


TMiarynxwand und dem Zun^en^rund einen queren Wulst hinüberziehen, tior 
dnn leizlen Best des Steposenrandes darstellt. Durch das Fehlen der ab- 
srhliessenden Membran ist jetzt der Kiniran^ zu dem tieferen Pharynx reichlich 
weit. Man erkennt in der Tiefe den narbig verengten Kehlkopfeini^anjr. Der 
freie Teil des Kehldeckels fehlt vollkommen. Durch die Hoffnung des Kelil- 
kojifes sind Narben in der liegend der Taschenriinder wahrnehmbar. In der 
Tiefe sind die Stimmlippen gut zu sehen, liier ist keine Verengerung 1 mehr 
vorhanden. Die Stenose dos Kehlkopfeinganges ermöglicht eine leidlich gute, 
nur von geringfügigem Stridor begleitete Atmung. In dem weiten Baume, der 
an Stelle der Stenose getreten ist, sieht man die beiden eingeschlagenen, durch 
ihre weisso Farbe deutlich wahrnehmbaren äusseren Hautlappen, die die linke 
seitliche Begrenzung des hier jetzt geräumigen Baumes bilden. 

In diesem zweiten Falle einer noch etwas hochgradigeren 
Pharynxstenose, der schon als Kanülenträger in meine Behandlung 
kam, wurde durch den gleichen Eingriff der Pharyngotomia externa 
mit nachfolgender Lappenplastik in relativ kurzer Zeit (6 Wochen) 
der gleiche erfreuliche Erfolg erzielt, so dass der ganze Eingriff 
den Charakter einer typischen Operation gewinnt. Nur wurde in 
diesem Falle ausserdem noch von der Pharynxöffnung aus der 
scharfe Stenosenrand der gegenüberliegenden Seite (im Sinne einer 
Pvloroplastik) längs gespalten und vernäht — ein Vorgehen, das 
sich vielleicht prinzipiell empliehlt. Auch in diesem Falle entstand 
an der Stelle der Stenose nach Ausweis der laryngoskopischen 
Untersuchung eine genügende Pharynxweite, an deren Bildung die 
eingeschlagenen Hautlappen Anteil hatten. Und auch hier blieb die 
günstige Besserung auf die LarynxVerlegung nicht aus. Es war 
sogar möglich, nicht nur die Natur der Verlegung sicher zu 
stellen, sondern auch die Art der postoperativen Besserung zu be¬ 
obachten. Es konnte durch die Autopsia intra operationem fest¬ 
gestellt werden — was im vorigen Falle nur vermutet werden 
konnte —, dass die Verlegung des Kehlkopfeinganges haupt¬ 
sächlich auf die durch die Pharynxstenose herangezogene, gc- 
wulstete und überhängende Schleimhaut zurückzuführen war, und 
es konnte in der Nachbehandlung durch wiederholte larvngoskopi- 
sche Untersuchung nachgewiesen werden, dass sich während des 
Heilungsvorganges der Operationswunde der Kehlkopfeingang 
durch Straffung und Retraktion der umgrenzenden Schleimhaut 
nach der Operationswunde hin zunehmend vergrösserte, bis schliess¬ 
lich das für die Atmung notwendige Lumen freilag. Die Straffung 
und Retraktion ist offenkundig teils durch die infolge der Ope¬ 
ration völlig veränderte Lage der angrenzenden Pharynxschleim¬ 
haut, teils durch den bei der Heilung auftretenden Narbenzug nach 
der seitlichen Pharynxwand hin hervorgerufen. Zweifellos liegt 
hierin ein grosser Vorteil des geschilderten radikalen Operations¬ 
verfahrens. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4. ;J7 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



550 


0. A xhausen, Supralarvngealt* Pliary nxstcnnse. 


Digitized by 


Nach diesen Erfolgen glaube ich sagen zu dürfen, 
dass die hochgradige supralaryngeale Pharynxstenose durch 
die Pharyngotomia externa mit nachfolgender Lappenplastik in 
typischer Weise operiert werden kann, 

dass dadurch in kurzer Zeit mit Sicherheit eine radikale Be¬ 
seitigung der Pharynxstenose zu erreichen ist, 

dass gleichzeitig eine begleitende Larvnxverlegung bis zur 
Ermöglichung oraler Atmung gebessert werden kann. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



XXI. 


(Aus der Chirurg. Universitätsklinik der Königl. Charite in Berlin. 

— Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.) 

Zur Technik der Schädelplastik. 

Von 

Prof. 0. Axhausen. 

(Hierzu Tafel XX und XXI und 12 Tcxtfiiiureii.) 

Die überwiegende Mehrzahl der Chirurgen hat sich nach den 
bisherigen Erfahrungen des Feldzuges bei den Schädelhirn-Trümmer¬ 
schüssen und ganz besonders bei den „Tangentialschüssen“ zur 
primären operativen Anfrischung bekannt, die die günstigsten Be¬ 
dingungen für den Heil verlauf schafft. Aber auch nach Abschluss 
der Wundheilung ist der Zustand der Verletzten — ganz abgesehen 
von etwaigen nervösen Störungen — von dem Ideal einer Restitutio 
ad integrum weit entfernt. An der Stelle der Verletzung findet sich 
eine breite, oft sehr entstellende Narbe, deren stark verdünnte Mittcl- 
partie dieHirnpuIsation erkennen lässt: der pulsierende Schädeldefekt. 

Wir wissen, dass infolge der kümmerlichen osteogenetischen 
Fähigkeit des Schädelknochens ein spontaner knöcherner Verschluss, 
selbst bei kleinen Defekten, nicht erfolgt. In allen von mir ope¬ 
rierten Fällen, auch in den ältesten, ist die Knochenneubildung 
über eine gewisse Abrundung der scharfen Defektränder nicht 
hinausgekommen. Häufig liegen die Ränder trotz langer Heilzeit 
noch fast gerade so scharf und klar vor uns, wie unmittelbar nach 
der operativen Anfrischung der Wunde. Zur grösstmöglichsten 
Wiederherstellung des normalen Zustandes ist demnach die opera¬ 
tive Deckung des Defektes notwendig. 

Sieht man, was selbstverständlich ist, von den Fällen ab, in 
denen erhebliche irreparable Lähmungserscheinungen fortbcstehen 
oder in denen irgend welche Symptome die Möglichkeit eines in¬ 
fektiösen Prozesses im Schädelinnern nahelegen, so dürfte diese 
Forderung der plastischen Nachoperation gegenwärtig wohl unbe¬ 
stritten sein. Diskutabel dagegen ist die Frage, welches opera¬ 
tive Verfahren den Vorzug verdient. 

Es bietet sich uns die Möglichkeit der Lappcnplastik nach 
Müller-König mit ihren Varianten und die freie Transplan- 

37* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



552 


(i. Axhausen, 


Digitized by 


tation. J3ei der letzteren steht uns wieder das verschiedenste 
Transplantationsmaterial zur Verfügung; es gibt in der Tat nur 
wenig feste Stoffe, die in dieser Richtung nicht schon versucht 
worden sind — ich verweise auf die Angaben der Lehrbücher. 
Welchem Verfahren der Vorzug zu geben ist, diese Frage wird 
meines Erachtens mit der dauernd zunehmenden Zahl der Defekt¬ 
träger dringlich. 

Die Frage wurde bisher nur gestreift 1 ), v. Eiseisberg hat 
sich auf der Tagung der Kriegschirurgen in Brüssel dahio ausge¬ 
sprochen, dass „die Müller-König’sche Plastik in erster Linie 
empfehlenswert wäre“; und zu dem gleichen Urteil kommt Hertle 
in seiner monographischen Bearbeitung des Kapitels „Sehädel- 
plastik“ in den Küttner-Payr’schen Ergebnissen. Nach ihm muss 
„das Müller-König’sche Verfahren auch heute noch als das 
Normalverfahren zur Deckung von Schädeldefekten angesehen 
werden“. Ich kann diesen Angaben nicht beistimmen; und dieser 
Umstand veranlasst mich zu den folgenden Mitteilungen. 

Meine Kenntnis der Lappenplastik gründet sich auf zahlreiche 
Fälle, die ich in der chirurgischen Klinik zu Kiel (Helferich) und 
in der chirurgischen Klinik der Charite zu Berlin (Hildebrand) 
mit beobachtet habe. Meine Kenntnis der freien Transplantation 
basiert auf 28 Fällen, von denen 26 im letzten Jahre an Kriegs¬ 
verletzten zur Ausführung gelangten. Von diesen 28 Fällen muss 
1 Fall ausgeschaltet werden, weil er infolge eines Versehens in der 
Nachbehandlung für die Beurteilung der Methodik nicht in Betracht 
kommt 2 ). Es stehen also 27 Fälle zur Vergleichung und Bewertung 
der Methode zur Verfügung. 

Ich bin nach meinen Erfahrungen im Gegensatz zu v. Eiseis¬ 
berg und Hertle der Ansicht, dass bei Schädeldefekten die 
freie autoplastische Deckung der Lappenplastik durch¬ 
aus überlegen ist, und dass sie zurzeit als das Normal- 
verfahren zu betrachten ist. Es haften dem Vorgehen Müller- 
König’s, so genial es ersonnen ist, Nachteile an, die der Methode 
der freien Transplantation fehlen. 

Die Müller-König’sche Plastik ist in vollendeter Ausführung 
technisch schwierig. Jeder, der die Operation oft ausgeführt hat. 
wird mir zugeben, dass die Gewinnung einer zusammenhängenden 
Knochenplatte einigen Umfanges und einiger Dicke von der be¬ 
nachbarten Schädeloberfläche nahezu, wenn nicht ganz unmöglich 

1) A n m. bei der Korrektur: Die Verhandlungen der Mittelrheinisehen 
('hirurgentagung über diesen Gegenstand sind erst nach Drucklegung dieser 
Arbeit erschienen. 

2 ) Die Krankengeschichte dieses Falles ist am Schluss der Arbeit kur. 
aufgeführt. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Technik der Sehiidelplastik. 


553 


ist. Wenn es gelingt, eine dünne Platte, die aus vielen Bruch¬ 
stücken besteht, herauszumeisseln, muss man zufrieden sein. Der 
Zusammenhang der Knochenplättchen mit der deckenden Haut ist 
nur locker und daher gefährdet. Eine genaue Einpassung der 
dünnen Knochenplatte in den Defekt ist äusserst schwierig, meist 
gar nicht möglich; man begnügt sich grösstenteils mit dem unge¬ 
fähren Einpassen bzw. Auflegen der Knochenplatte. Es kann daher 
nicht sofort eine feste Vereinigung des defektdeckenden Knochens 
mit dem. umgebenden Schädel erzielt werden. Infolge der geringen 
osteogcnetischen Fähigkeit des Schädelknochens dauert es auch 
weiterhin lange, bis eine knöcherne Festigkeit an der Defektstelle 
erreicht ist, und auch dann noch bleibt die Knochendecke dünn. 

Damit Hand in Hand gehen kosmetische Nachteile: Nicht nur 
bleibt die ursprüngliche Hautnarbe, sondern es wird neue ausge¬ 
dehnte Narbenbildung erzeugt; dies ist kosmetisch besonders dann 
bedeutungsvoll, wenn die Stimgegend betroffen ist. Die Lappen¬ 
drehung erzeugt Hautwulstungen, die hässlich sind und manchmal 
erst durch einen neuen Eingriff beseitigt werden müssen. Ist nach 
Beschaffenheit der defektdeckenden Narbe Excision und Lappen¬ 
deckung nötig, so lässt sich die Entnahmestelle des Lappens oft 
nicht durch direkte Naht, schliesscn und bedarf dann der Deckung 
durch Thiersch’sche Epidermislappen; es entsteht danach eine breite, 
eingesunkene, glänzende Narbe, die auf der behaarten Kopfhaut 
durch ihre Haarlosigkeit auffällt. 

Ein Teil der Nachteile wird vermieden, wenn man statt der 
ursprünglichen Müller-König’schen Plastik das Verfahren nach 
v. llacker-Durante wählt, bei dem die Lappenplastik nur Periost 
und Knochen, nicht aber gleichzeitig die deckende Haut betrifft. 
Abgesehen davon, dass das Verfahren dem Umfang nach seine 
natürliche Grenze hat, so bleiben auch in vollem Umfange die er¬ 
wähnten Schwierigkeiten der Entnahme und der Einfügung des 
Knochens bestehen. Das Gleiche gilt für das kürzlich angegebene 
Verfahren von Hofmann 1 ), der nach Freilegung der Schädelober¬ 
fläche das Deckstück vom umgebenden Schädel entnimmt und es 
an einem periostalen ßrückenlappen hängen lässt. Wozu alle diese 
technischen Schwierigkeiten der Perioststielung zuliebe, wenn man 
durch vielfache Erfahrung weiss, dass dieser periostale Stiel für 
den Vorgang der Einheilung wirklich unnötig ist! 

Von allen den erwähnten Nachteilen ist die freie autoplasti¬ 
sche Transplantation völlig frei. 

Die Entnahme des einzufügenden Knochenstückes von der 

1) Hof mann. Die Terhnik der Sehiidelplastik. Münchener med. Wochen¬ 
schrift.' 19IG. Xr. 2. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



554 


(1. Axliaiiscn, 


Digitized by 


vorderen Tibiafläche ist technisch äüsserst einfach. Es ist stets 
möglich, eine dem Defekt genau entsprechende Knochenscheibe in 
einem Stück und in jeder gewünschten Dicke zu gewinnen, beson¬ 
ders wenn man dem Defekt vorher durch Anfrischung mit der 
Luer’schen Zange eine annähernd (juadratische oder rechteckige, 
bzw. trapezoidc Form gegeben hat. Man bedarf dazu keiner be¬ 
sonderen Instrumente — ich habe in allen meinen Fällen nur den 
scharfen Bildhauermeissei benutzt, der jedem Chirurgen zugänglich 
ist. Man ist bezüglich der Grösse der Knochenscheibe völlig un¬ 
gebunden. Reicht die Breite der Tibia nicht aus — was wohl nur 
selten der Fall sein wird —, so legt man zwei Stücke nebeneinander 
ein (Fall 6, Taf. XXI, Fig. 2), womit wohl jeder in Betracht kom¬ 
mende Defekt zu decken ist. 

Die Einfügung kann unter Zurechtstutzen des Stückes bzw. 
des Defektes stets so erfolgen, dass durch knappes Einpassen das 
Stück sofort festen Halt gewinnt: ein fester Verschluss ist dann 
sofort erreicht. Aber auch in den Fällen, wo das knappe Ein¬ 
fügen nicht geglückt ist und das Stück zunächst beweglich im 
Defekt liegt, ist, wie meine Erfahrungen in den ersten Fällen mir 
gezeigt haben, die feste Verbindung mit dem umgebenden Knochen 
in spätestens 14 Tagen stets erreicht. Die zuweilen empfohlenen 
fixierenden periostalen Nähte habe ich dabei nie angewendel. 

Es entstehen nicht nur keine neuen Narben und Hautwulstun- 
geu, sondern es verschwindet sogar die vorhandene unschöne, breite 
und eingesunkene Narbe und an ihre Stelle tritt eine lineare, im 
Niveau der umgehenden Haut liegende Narbe. In 27 von unseren 
28 Fällen war es möglich, nach Excision der Narbe die umgebende 
gute Haut direkt über dem Transplantat zu vereinigen. Nur ein¬ 
mal (Fall 12, Fig. 6) war es nötig, einen seitlichen Entspannungs¬ 
schnitt zur Gewinnung eines Brückenlappens anzulegen. Es hat 
sich mir gezeigt, dass man vor Spannung der Hautnähte nicht zu¬ 
rückzuschrecken braucht; gelingt es, durch weitgefasste Hautnähte 
die Hautlefzen ohne allzu gewaltsamen Zug zusammen zu bringen, 
so heilen sie auch ohne Störung aneinander. Selbst wenn die Narbe 
Vförmig oder -f-förmig ist und die gefährdeten Wundwinkel direkt 
über dem Transplantat zu liegen kommen, habe ich Störungen der 
lückenlosen prima intentio nicht beobachtet. Es besitzt eben die 
Kopfschwarte kraft ihrer Dicke, ihrer Festigkeit und reichlichen 
Durchblutung eine besonders günstige Heilfähigkeit. Der kosmeti¬ 
sche Wert dieser Nachoperation wird durch einige der beigefügten 
Abbildungen illustriert. Die Entnahmestelle am Unterschenkel hat 
niemals zu Klagen Veranlassung gegeben; insbesondere wurden 
Frakturen in keinem Falle beobachtet. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur Technik der Schiidelplastik. 


000 


Diesen unleugbaren Vorteilen der freien Transplantation stehen 
Nachteile nicht gegenüber, wenn man nur das geeignetste 
Trans plan tationsniaterial benutzt. 

Die Frage des geeignetsten Transplantationsmatcrials dürfte 
nach den Feststellungen des letzten Jahrzehnts als entschieden zu 
bezeichnen sein. Die Ueberlegenheit frisch entnommenen, eigenen, 
periostgedeckten Knochens, die in meinen Untersuchungen 1 ) an 
menschlichen und experimentellen Transplantationen eine sichere 
histologische Stütze erhielt, ist zurzeit als nahezu allgemein an¬ 
erkannt zu betrachten. Besonders wertvoll sind in dieser Richtung 
die bestätigenden Erfahrungen Lindemann’s, über die er ganz 
neuerdings auf Grund von 97 Unterkieferplastiken berichtete 2 ). 

Die Gründe der Ueberlegenheit, die in dem Ueberleben von 
Periost- und Markteilen und in dem darauf basierenden raschen 
Eintritt einer festen organischen Verbindung zwischen Transplantat 
und Mutterboden gipfeln, habe ich in der erwähnten Arbeit ausführ¬ 
lich zur Darstellung gebracht, so dass sich ein weiteres Eingehen 
auf diese Frage an dieser Stelle erübrigt. Spätere histologische und 
experimentelle Feststellungen anderer Autoren haben — von wenigen 
Ausnahmen abgesehen — die Bestätigung jener histologischen Ge¬ 
setze ergeben. Und die Arbeiten, die abweichende Auffassungen 
vertreten, bieten jedesmal der Kritik eine breite Angriffsfläche. 

So gelangten, um nur ein Beispiel zu geben, Baschkirzew 
und Petrow 3 ) in der Deutung ihrer ausgedehnten Knochenimplan¬ 
tationen zu ganz eigenartigen Schlüssen. 

Bei der Einheilung von Knochenstücken, deren Periost abge¬ 
schabt worden war, fanden sie nach längerer Beobachtungszeit 
gleichwohl Auflagerungen neugebildeten Knochens auf der periostalen 
Oberfläche, die den Umbau des überpflanzten absterbenden Knochens 
einleiteten. B. und P. schlossen daraus, dass das Periost zur Re¬ 
generation des Knochens entbehrlich sei. 

Bei der Einheilung von Röhrenknochen, aus denen das Mark 
vorher beseitigt worden war, fanden sie gleichwohl myelogenen 
Callus und Bilder des Knochenumbaus. B. und P. schlossen daraus, 
dass auch das Markgewebe zur Regeneration des Knochens entbehr¬ 
lich sei. „Lebend überpflanzte Knochen können regeneriert werden, 
auch wenn sie ohne Periost und Mark transplantiert werden“. 


1) A xliause n, Die histohurisehen (ieselze der freien Osteoplastik. Dieses 
Archiv. Hfl. SS. 

2) Lindemann. Leber die Hescitiirimir der traumatiselien Defekte der Oe- 
siehtsknoehen. Kiirebnisse aus dem Düsseldorfer Lazarett für Kieferverletzte. 
1916. Heft 4-6. 

3) Basehkirzew und Petrow, Beiträge zur freien Knoelienüberpflanzun^. 
Deutsche Zeitsehr. f. Cliir. 1912. IM. 1153. S. 490. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



556 


(i. Ax hausen, 


Digitized by 


Wovon soll denn nun die Regeneration ausgehen? Dass sie 
von den Knochenzellen selber ausginge, schliessen selbst B. und P. 
aus. Es bleibt ihrer Ansicht nach nur die Entstehung aus dem 
umgebenden Bindegewebe übrig. Höchst merkwürdiger Weise 
aber tut das umgebende Bindegewebe gar nichts, wenn ausge¬ 
kochter oder mazerierter Knochen verpflanzt wird. ß. und P. 
fanden in Versuchen dieser Art niemals Spuren von Regenerations¬ 
tätigkeit. Flugs helfen sich die Autoren mit der Hypothese, dass 
der lebend überpflanzte, selber absterbende Knochen auf das um¬ 
gebende Bindegewebe einen spezifischen Reiz zur Knochenneubildunsr 
ausübe, der tote Knochen aber nicht! 

Die beiden Autoren hätten sich alle diese Trugschlüsse er¬ 
spart, wenn sie einmal einen ihrer „periostlosen“ oder „marklosen“ 
Knochen vor der Transplantation mikroskopisch untersucht hätten. 
Sie hätten dann gefunden, dass die makroskopisch so glatte Ober¬ 
fläche re vera gar nicht glatt ist, sondern durch zahlreiche grössere 
und kleinere Nischen und Spalten unterbrochen wird, die durch 
eintretende Gefässe hervorgerufen werden und in denen — in 
jedem Schnitt sichtbar — reichliche Zellen der tiefen osteo- 
blastischen Schicht des Periosts gelegen sind. Ebenso 
würden sie bei ihren „entmarkten“ Knochen in den Unregelmässig¬ 
keiten der Knochenwandungen der Markhöhle nicht unerhebliche 
Mengen anhaftender Knochenmark- und Endostzellen ge¬ 
funden haben. In streng histologischem Sinne ist periostloser 
und markloser Knochen auf mechanischem Wege gar nicht zu er¬ 
zeugen! Und selbst wenn man höchst komplizierter Weise das 
Knochenstück aus dem Inneren einer Röhrenknochencorapacta ent¬ 
nehmen wollte, würden einzelne Markzellen der Havers’schen Kanäle 
und Räume an den Schnittflächen freiliegen. Von solchen anhaf¬ 
tenden osteoblastischen Zellen des Periosts und Marks entstehen 
die Auflagerungen neugebildeten Knochens nach der Transplanta¬ 
tion, die B. und P. gefunden haben, nicht aus dem umgebenden 
Bindegewebe. Ihr Schluss ist um so kühner, als sie nach ihrer 
eigenen Angabe eine Färbung der elastischen Fasern des Periosts, 
die es allein ermöglichen könnte, die Beziehungen neugebildeten 
Knochens zum Periost zu beurteilen, nicht gemacht haben. Mit 
solchen Argumenten lässt sich das festgegründete Gebäude der 
histologischen Transplantationsgesetze nicht erschüttern! 

In dem Haftenbleiben lebender Periost- und Markteile liegt 
eben die enorme Ueberlegenheit des frisch entnommenen Knochens, 
auch wenn er „periostberaubt“ und „entmarkt“ ist. Ich habe auf 
diese Verhältnisse in der bereits zitierten Arbeit ausdrücklich hin¬ 
gewiesen. 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Zur Technik der Schädelplastik. 


557 


Es ist daher auch ganz zweifellos, dass solcher „periostloser“ 
oder richtiger „nackter“ Knochen ein recht brauchbares Trans¬ 
plantationsmaterial darstellt. In einem meiner Fälle wurde infolge 
seiner Eigenart ein mächtiges Stück pcriostlosen Schädelknochens 
mit bestem Erfolg replantiert (Fall 5, Fig.8 u. 9, Taf. XXI, Fig. 3—5). 
Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Knochenneubildung 
bei den periostgedeckten Knochenstücken rascher und umfangreicher 
einsetzt, besonders wenn man von den von mir empfohlenen Ein¬ 
schnitten in das Periost Gebrauch macht, deren Zweckmässigkeit 
Lindemann bestätigt; durch sie werden „Zufahrtstrassen“ für die 
ernährende Flüssigkeit und die Blutgefässe des Mutterbodens ge¬ 
schaffen. Die reichliche Knochenneubildung und die rasche Verbin¬ 
dung mit der Umgebung bewirkt bei vergleichender Untersuchung 
die Ueberlegenheit des periostgedeckten Knochens gegenüber dem 
periostberaubten Knochen. 

Dass homöoplastisches Material ebenfalls brauchbar ist, ist 
durch zahlreiche histologische und klinische Erfahrungen, nament¬ 
lich der Extremitätenchirurgie, sichergestellt; aber es ist nach den 
vergleichenden Feststellungen infolge der Minderarbeit des Periosts 
und Markes dem körpereigenen Knochen nachweislich unterlegen. 

Erneut möchte ich aber betonen, dass die Benutzung hetero- 
und alloplastischen Materials als Fremdkörperimplantation mit allen 
ihren Nachteilen durchaus unzweckmässig ist, so dass solche Ver¬ 
suche, die immer wieder vorgenommen werden und bei denen der 
Stolz über die gelungene Einheilung die Fähigkeit vergleichender 
kritischer Beurteilung trübt, endlich aufgegeben werden sollten. 

Da uns zur Schädelplastik das geeignetste Material wohl 
immer zur Verfügung steht, müssen wir es nehmen; es ist der 
frisch entnommene, eigene, periostgedeckte Knochen, und zwar — 
wegen der geringeren osteoblastischen Fähigkeit des Schädelperiosts 
— der Extremitätenknochen, der sich an der vorderen Tibialläche, 
besonders in der Nähe des oberen Gelenkendes in einfachster Art 
zur Entnahme darbietet. 

Unter der Benutzung dieses Materials ist mir von irgend welchen 
Nachteilen der Transplantationsmethode nichts bekannt geworden. 

Solche Nachteile könnten erstens in der grösseren Gefährlich¬ 
keit der Methode liegen. 

Nach Art desEingriffs scheint dies von vornherein ausgeschlossen; 
dementsprechend habe ich von meinen Fällen keinen verloren. 

Nachteile könnten zweitens in der Möglichkeit leichteren Miss- 
lingens durch Hinzutreten von Infektion begründet sein. 

Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht der Fall ist: In allen 
meinen Fällen trat — trotz der Mächtigkeit des Transplantats in 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



558 


<i. Axhausen, 


Digitized by 


manchen Fällen — eine reaktionslosc Heilung der Operationswunden 
auf. Diese Tatsache muss ich besonders Hofmann gegenüber her¬ 
vorheben, der in seiner zitierten Arbeit sich dahin ausspricht, dass 
„die freie Transplantation keine reaktionslose Einheilung gewährt". 
Weder Spannung der Hautnähte, noch das Zusammentreffen kreuz¬ 
förmiger Nahtlinien über dem Transplantat, noch auch Sekretion 
eines Stichkanals störte die Heilung, selbst dann nicht, wenn die 
unter den Nahtwinkeln liegenden Knochenstücke ganz erhebliche 
Dimensionen besassen, wie es z. B. im Falle 6 der Fall war. 

Allerdings habe ich Wert darauf gelegt, dass die Periostseite 
der Knochenstücke nach aussen zu liegen kam, so dass die Naht¬ 
stelle nicht gerade auf dem nackten, absterbenden Knochen, son¬ 
dern auf dem überlebenden Periost ruhte. Dass dadurch die 
Meisseifläche des Knochenstückes — selbstverständlich nach Ent¬ 
fernung etwaiger Splitter — der angefrischten Hirnoberlläehe auf¬ 
lag, hat mich in keiner Weise beunruhigt. Die Knochenfläche ist 
ziemlich glatt und legt sich, wenn man dem Stück die genügende 
Dicke gibt, in ganzer Fläche dem Hirn auf, so dass keine Gelegen¬ 
heit zu umfangreicher Narbenbildung gegeben ist. Dazu kommt, 
dass nach der Excision des im Defekt gelegenen Narbengewebes 
die vorliegenden Hirnmassen noch von einer dünnen, merubran- 
artigcn Narbenschicht überzogen sind, deren Dünne durch die 
Deutlichkeit der Pulsation erwiesen wird. Nur selten drang die 
Excision so tief ein, dass Liquor abfloss; aber auch in diesen 
Fällen blieb der grösste Teil der Hirnmasse noch von einer dünnen, 
membranartigen, piaähnlichen Membran überzogen. Das nach der 
Operation hinzutretende spärliche dünnschichtige Narbengewebe hat 
zu irgend welchen Störungen keinen Anlass gegeben. 

Auch in dem Falle (Fall 5), in dem das ausgemeisselte, mäch¬ 
tige Knochenstück nach seiner Umdrehung ohne Periostbekloidung 
unter der Haut lag, trat keine Störung auf; allerdings lag in diesem 
Falle die Nahtlinie etwas abseits des Transplantats. Auch in dem 
Falle 12, in dem zur Deckung des Hautdefektes ein seitlicher 
Brüekenlappen genommen werden musste, trat ungestörte Heilung ein, 
obwohl doch die Wundhöhlc mit der Entnahmestelle des Lappens, 
die durch Epidermislappen gedeckt wurde, aber am Rande einiire 
sezernierende Granulationen aufwies, in freier Kommunikation stand. 
Ebensowenig vermochte die Anwesenheit von Fremdkörpern — be¬ 
sonders Geschossteilen — und die Anwesenheit von kleinen Se- 
questerchen, die mehrfach — allerdings ohne Eiter — eingebettet in 
Granulationsgewebe oder eingekapselt in Narbengewebe vorgefunden 
wurden, die prima intentio zu stören. Einige Male wurden beim 
ersten Verbandwechsel kleine Hämatome der Operationsgegend be- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Twlinik der .VrliädclplasliL 


559 


obachtet, die durd) einmalige Punktion beseitigt wurden. Voraus¬ 
setzung für die infektionslose Heilung ist nur, dass vor der Ope¬ 
ration jede Fistelbildung an der Defektstelle beseitigt ist. Versuche, 
auch bei Fistelung die autoplastische Deckung unter dem Schutze 
des überlebenden Periosts und Markes vorzunehmen, erscheinen mir 
leichtsinnig und verwerflich. Unter dieser Voraussetzung aber ist. 
von irgend welcher Infektionsgefahr bei der freien Autoplastik nicht 
zu sprechen. Auch Spätinfektionen oder sekundäre Ausstossungen 
des Transplantats, wie sie sich erfahrungsgemäss zuweilen bei der 
Alloplastik ereignen, blieben in meinen 27 Fällen aus. 

Ein letzter Nachteil könnte darin liegen, dass nervöse Störun¬ 
gen (besonders epileptische Zustände) im Anschluss an die Trans¬ 
plantation in Erscheinung treten könnten. 

Krampfzustände im Anschluss an die Operation wurden in 
keinem Falle beobachtet; auch in der Folgezeit ist mir von keinem 
Patienten, soweit ich Nachrichten erheben konnte, über Krampf¬ 
anfälle berichtet worden. Dagegen ist es zweimal gelungen (Fall 25), 
durch die Operation — einmal bei gleichzeitiger Eröffnung einer 
traumatischen Meningealcyste — die vorher schon vorhandenen 
epileptischen Anfälle zum Verschwinden zu bringen. Vorüber¬ 
gehende Lähmungserscheinungen im Anschluss an die Operation 
wurden bei Patienten mit vorher intakter Hirnfunktion nicht beob¬ 
achtet. Dagegen stellten sich in zwei Fällen, bei denen unmittel¬ 
bar nach der ursprünglichen Verletzung Lähmungserscheinungen 
vorhanden waren — einmal kombiniert mit Aphasie —, die allmählich 
fast völlig zurückgegangen waren, nach der Transplantation eine deut¬ 
liche Zunahme der cerebralen Störungen, besonders der Aphasie ein, 
die aber sehr bald wieder verschwand, um dem Zustand vor der 
Operation Platz zu machen. Solche vorübergehenden Verschlechte¬ 
rungen hängen aber nicht von der Methodik der Transplantation, son¬ 
dern vom Operieren am Hirn überhaupt ab; sie werden in gleichen 
Fällen bei der Deckung mit Lappenplastik auch zu erwarten sein. 

Nach alledem kann daher füglich von irgend welchen Nach¬ 
teilen gegenüber der Lappenplastik, die die grossen Vorteile zu 
beeinträchtigen imstande wären, nicht gesprochen werden. — 

Die Frage des besten Zeitpunktes der Operation soll hier 
nur gestreift werden. Im allgemeinen wird der (Jesichtspunkt 
obwalten müssen, nicht zu früh an diese Plastiken heranzu¬ 
gehen; andererseits soll man nicht zu lange mit der Herstellung 
des definitiven Zustandes warten. Man muss Knochenverletzungen, 
die ohne cerebrale Ausfallserscheinungen verlaufen sind, von solchen 
mit cerebralen Störungen (Lähmungen, Aphasie usw.) trennen. Bei 
ersteren gehe ich an die plastische Operation, sobald die Wunde, je 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



560 


Ci. A x li ausen, 


Digitized by 


nach der Schwere der vorausgegangenen Verletzung, mindestens 2 bis 
6 Monate völlig heil ist. Bei solchen Patienten, die die Operation 
wegen des kosmetischen Effektes oder aus Beunruhigung über die 
Hirnpulsation wünschen, gehe ich früher heran als bei anderen. Bei 
Patienten, die cerebrale Komplikationen aufweisen, warte ich, bis nach 
Urteil des Neurologen in der Rückbildung der cerebralen Störumr 
ein Dauerzustand erreicht ist und noch einige Monate länger; dabei 
darf der Dauerzustand nur unerhebliche Reststörungen aufweisen. 
Bei andauernden erheblichen Lähmungserscheinungen, ebenso wie 
bei leisestem Verdacht auf Hirnabscess wird selbstverständlich von 
der plastischen Nachoperation überhaupt abgesehen. In epileptischen 
Zuständen erblicke ich jedoch eine besondere Indikation zur baldigen 
Vornahme des Eingriffs. 

Ich habe sämtliche Operationen in Allgemeinnarkose ausgeführt 
und halte dies auch für zweckmässig, obwohl ich gewiss nicht in 
Abrede stellen will, dass die Operation in Lokalanästhesie technisch 
möglich ist. Ich scheue die Lokalanästhesie bei der Osteoplastik 
überhaupt — wegen der möglichen Beeinträchtigung des Mutter¬ 
bodens, sei es durch die Anämie, sei es durch die nachträgliche 
Blutung, die gerade am Schädel zuweilen nicht gering ist und die 
das Transplantat von der Umgebung trennt und den Zutritt der er¬ 
nährenden Gefässe hemmt. Auf der anderen Seite kann ich bei den 
jungen kräftigen Soldaten in der Anwendung der Allgemeinnarkose 
eine Gefahr nicht erblicken. 

Die Operation vollzieht sich stets in der gleichen typischen Weise: 

Umschneidung der vorhandenen Narbe in gesunder Haut. Vertiefung der 
Sehnitte bis zum Knochen, wobei inan sieh mit Sicherheit ausserhalb der tast¬ 
baren Defektstellen zu halten hat. Zurückdrängen der umgebenden Haut samt 
Perirranium in genügender Ausdehnung mit dem Elevatorium. Freilegung der 
Defcktründer mit dem Flevatoriuni zunächst an der Oberfläche, dann am Defekt¬ 
rand und schliesslich an der Innenfläche des Knochenrandes: an letzterer Stelle 
vermag die Spitze eines unter den Hand geschobenen, stark gebogenen Elrva- 
toriums bei seitlicher Verschiebung die Verbindungen zwischen Narbengewebe 
und Knochen fast stets leicht zu trennen. Ist diese Freilegung im ganzen Be¬ 
reich des Defektes — auch in den Winkeln — sauber beendigt, so wird da- 
gesamte im Defekt liegende Narbengewebe samt der Haut narbe entsprechend 
dem Niveau der inneren Schädelfläche excidiert. Jetzt liegt das Hirn, nur noch 
von einer dünnen Membran, die Durareste cinschlicsst, bekleidet, deutlich pul¬ 
sierend frei. Manchmal dringt die Exeision etwas tiefer, so dass Liquor abfliesst; 
kleine, blasige Verwölbungen zeigen dann die Anwesenheit von Piagewebe an. 
Erscheint die Hirnpulsation noch zu schwach oder die Membran bei Betastung 
noch zu dick, so wird noch ein weiteres Stück flächenhaft excidiert. Sind ror- 
likale Keizsymptome vorhanden, so wird die Exeision bis in die Hirnsubstanz 
vorgenummen und etwa gefundene cystisehc Räume der Pia entfernt: oder eröffnet. 

Fs folgt: die Anfrischung der meist abgerundeten Defektränder mit der 
Fuehr'schcn Zange, wobei dem Defekt eine regelmässige quadratische, recht¬ 
winklige oder trapezoide Form gegeben wird. Die Ausmasse werden mit «lern 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Technik * Irr Srhädelplastik. 


561 


Zirkel bestimmt. Dann werden die Hautlappen zur Xahtvcrcinigung präpariorl: 
Zur Entfaltuni: der meist etwas geschrumpften seit liehen 1 laut lappen werden 
einige parallel verlaufemle Lüngsinrisionen in ganzer Ausdehnung der Wunde 
in die Wundflärhr der Lappen (Galra und Perirranium) gelegt; die letzte In¬ 
zision verläuft ganz nahe dem Wundrand. wodurch allein die Ausrollung der 
meist stark eingerollten llauträndrr und damit die ideale Adaptierung bei der 
Xalitvereinigung ermöglicht wird. Kompression der M unde. 

Zur Entnahme des Knochens wird ein nach innen konvexer IJogensehnitt 
über die vordere Tibiafläeho, dicht unterhalb der Tuberositas geführt: die 
Uasis entspricht der vorderen Tibiakante. Der Lappen wird nach der Basis zu¬ 
rück präpariert, wobei das mehrschichtige Easciengewebe streng in den Lappen 
genommen wird. Gehen dabei einige Schnitte in bzw. durch das Ecriost, so tut 
das nicht das Geringste. Entsprechend den Läiurenmassen des Defektes wird das 
Periost cingeselinitten; eine Längsfläche entspricht der vorderen Tibiakante. Die 
abseitigen Eeriostlefzen werden mit dem Elevatorium zurückgedrängt, entlang der 
inneren Periostränder wird das Knochenstück mit dem Meissei umgrenzt. Der 
Meissei w ird mit der Ecke der Schneide schräg zum Knochen aufgesetzt und diese 
Ecke wird durch die llammersehläge vorgetrieben und in den Knochen eingetrieben. 
Bleibt man mit der Entnahme in der Gegend der Metaphvse, so gelingt dies 
sehr leicht; am Sehaftteil ist es etwas schwieriger, aber immer gut ausführbar. 
Xaeh Beendigung der Eingrenzung wird die äussere Tibiafläche von anhaftender 
Muskulatur freigemaeht und nun auf ihr, in d e r Entfernung von der Tibiakante, 
die der gewünschten Dicke des Knoehcnstüeks entspricht, ein Bildhauermeisset 
parallel zur vorderen Tibiafläeho aufgesetzt. Die Breite des Meisseis entspricht, 
wenn möglich, der Länge des zu entnehmenden Stückes. Ein Tupfer wird auf 
das Stück sanft aufgedrückt, um das plötzliche Herausspringen und den etwaigen 
Verlust des Stückes zu verhindern. Mit wenigen kräftigen llamtnersehlägen wird 
dann das umgrenzte Stück in toto aus seinem Lager gelöst. 

Während der Assistent die Entnahmestelle durch Easeion-Eettnähte und 
Hautnähte seldiesst, wird das Knochenstück durch Zurechtstutzen mit der 
Liston'sehen Knochenzange, bzw. durch weitere Port nähme von Knochen am 
Defektrand genau dem Defekt angepasst. Xaehdem einige kreuzförmige In- 
cisionen in das deckende Periosl gemacht worden sind, wird das Stück durch 
kräftigen Fingerdruck fest in den Defekt eingefügt, so dass selbst bei llusten- 
slössen das andrängende Hirn das Stück nicht herauszudriieken vermag. Einige 
weitfassende Entspannungsnähte bringen die llautlefzen zusammen und dicht 
gelegte Adaptionsnähte sorgen für die gute Lage der Wundlefzen. 

Ans der Zahl der 28 Operationen greife ich einige zur Illu¬ 
stration der obigen Ausführungen heraus. 

Als Schulbeispiel dieser Osteoplastiken mögen die beiden folgen¬ 
den Fälle dienen, die zugleich den kosmetischen Effekt demonstrieren. 

Fall 14. Ersatzrosorvist K. Tangcntialschuss durch infanteriogesehoss. 
1. 11. sofortige operative Anfrisefnmg im Feldlazarett. Keine Hirnsymptome. 
A 11 mähliehe Heilung. 

ln die Klinik aufgenommen am S. 7. 15. Kig. 1 a und h lassen die Be¬ 
schaffenheit der Xarbe. besonders die Breite und die Einsenkung, gut erkennen. 

17.7. Operation in üblicher Weise. Der Defekt hatte etwa Markstüekgrösse. 

Fig. und b zeigen den Zustand nach der Operation, wobei zu berück¬ 
sichtigen ist, dass die Einzelheiten der linearen Xarbe in der photographischen 
Aufnahme gleich nach der Operation noch etwas zu scharf heraustreten. Dir 
Xarbe wird im Laufe der Zeit nahezu unsichtbar werden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



562 


(i. Ax hausen. 


Fig. la. 



Fig. lb. 



Digitized by Google 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 













Zur Technik der S< 


















Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 


Digitized by 

















566 


G. Ax hause n, 


Digitized by 


Fall 15. Musketier B. 20. 12. 14 Selmssverletzung durch lnfantcric- 
gesehoss. Tangentialsehuss. Zuerst Bewusstlosigkeit. Keine primäre operative 
Anfrischung. Feber Feldlazarett und Kriegslazareit ins Keservelazarett Moabit 
überführt. Entfernung von 2 Knochensplittern. Bald darauf Ueberfiihrung in 
die chirurgische Klinik Ziegebtrasse, wo die sekundäre Trepanation wegen mul¬ 
tipler Knochensplitter vorgenommen wurde. 

Aufnahme am 24. 4. 15. Die beigegebenen Abbildungen (FiL r . 3 a und : 
lassen die tirdssc 1 der entstellenden Narbe deutlich erkennen. 

50. 4. Operation in üblicher Weise. Der Knoehcndcfekt ist kreisrund unc 
besitzt einen Durchmesser von 4.9 ent. Deekung in üblicher Weise. Dur-h 
weitgehende Mobilisation a^elinprt es, die Haut über dein Defekt durch direkt-' 
Naht zu vereinigen. 

(Hatte Heilunir. Fit;. 4a und b zeigen den Befund nach der Operation. 
Der kosmetische Kffekt ist in die Augen springend. 

Die typischen Röntgenbefunde vor und nach der Operation 
zeigen sehr deutlich die beiden folgenden Fälle: 

Kall 13. Ersalzn-sm ist X. 6.2.15 Sehäilelverletzun*; durch Gewehr- 
scluiss: Tangentialschuss. Drei Tage bewusstlos. Behandlung im Feldlazarett 
ohne primäre Anfrischung. In der folgenden Zeit wurden mehrfach kleine Se¬ 
quester extrahiert. Am 2S. 2. wurde in der chirurgischen Klinik Ziegelstrasse 
wegen multipler Knochensplitter die radikale Trepanation vorgenommen. 

Aufnahme am 15.5. 12 ein lange, bis 2 ’/o em breite Narbe, über dem 

lateralen Augenwinkel beginnend, über dem Ohr hin verlaufend. Am hinteren 
Knde kleine Fistel. Nach Fntfernung eines kleinen Kestscquesterchens Heilung 
der Fistel. Im Mai zwei epileptische Anfälle. 

IS. (>. Operation in üblicherweise. Der Sehädeldefekt hat eine kreisrunde 
Form. Nach Anfrischung der Knochenränder wird dem Defekt eiae quadratische 
Form gegeben, dessen Masse 4:4 cm betragen. Deckung in üblicher Wei>e. 
Vereinigung der Haut direkt durch die Naht. 

(»hatte Heilung. 

Das Küntgcnhild vor der Operation lässt bei seitlicher Aufnahme (Fig. 1. 
Taf. XX) den kreisrunden Defekt gut erkennen, neben einigen deutlich sicht¬ 
baren (icschosssplittcrchcn. Im liüntgcnhild nach der Operation (Fig. 2, Taf. XX 
sieht man die quadratische Form des Defektes und das eingelegte, gut ab¬ 
schliessende Knochenstürk mit grosser Deutlichkeit. 

Ein entsprechender Befund bei Aufnahme von vorn nach hinten 
war in einem Falle von Knoehendefekt der rechten Stirngegend zu 
erheben. 

Fall 9. Hornist B. 29. 10. 14 (iranatsjditterverletzung des SrhüdeN 
Längere Zeit Bewusstlosigkeit. Verband im Feldlnzarctt ohne primäre Anfrischung. 
Im Lazarett Frban in Zehlendorf wurde der Granatsplitter, im Oskar-Urb-ro n- 
lleim nachträglich weitere Geschoss- und Knochensplitterchen entfernt. 

Aufnahme am <>. 4. 15. Tiefe, etwa 10 em lange Narbe, die bog.-nfnn' u 
von der Mi11»* der Stirn zum lateralen linken Augenbrauenrandc verläuft. 

S. 4. Operation in üblicherweise. Es werden bei der Fxeision der Narh- 
einige kleine, dem Aussehen nach Seqiiesterehen gleichende KnoehensplitimvE.;i 
entferni. Der kreisrumle Knoehendefekt wird zu einem nahezu reehleckigen ur.i- 
gestallet. dessen Masse etwa 3:4 ein betragen. 

Glatte Heilung. 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur Technik der Schädelplastik. 


567 


Das Rüntgcnbild vor der Operation (Fig. 3, Taf. XX) zeigt den Defekt der 
Stirngegend mit grosser Deutlichkeit. Das Röntgenbild nach der Operation (Fig.4, 
Taf. XX) zeigt die Form des angefrischten Defektes und darin in idealer Adap¬ 
tierung das transplantierte Knochenstück, »las in der Mitte eine ganz feine 
Fissur aufweist. 

Der einzige Fall, bei dem die direkte Vereinigung der Haut- 
lefzen nicht möglich war, so dass ein Brückenlappen genommen 
werden musste, ist der folgende: 

Fall 12. Musketier R. 27. 8. 14 Kopfverletzung durch Gewehrschuss; 
Tangentialschuss. Längere Zeit Rcwusstlosigkcit. Behandlung ohne primäre 











A.x hausen 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 


Digitized by 











Zur Technik der Schädelplastik. 


569 


Glatte Heilung. Den Befund nach der Operation gibt Fig. ß wieder. 

Das Böntgenbild vor der Operation (Fig. 5, Taf. XX) zeigt den grossen 
Defekt der Scheitelgegend mit grosser Deutlichkeit; auf dem Röntgenbild nach 
der Operation (Fitr. ß, Taf. XX) ist das transplantierte grosse Knochenstück in 
idealer Adaptierung im Knoehendefekt zu sehen. 

Schon in diesem Falle ist das überpflanzte Knochenstück 
ziemlich umfangreich; noch erheblich grösser war es jedoch im 
folgenden: 

Fall ß. Reservist M. Verwundet am 7. S. 14 dureh Granatsplitter. Lange 
Zeit Bewusstlosigkeit. Keine primäre Anfriseliung. An verschiedenen Stellen 
operative Eingriffe zur Kntfernung von Sequestern. 

Aufnahme in die Klinik am 29. 12. Auf der rechten Stirnseite mächtige, 
breite, sich winklig kreuzende und tief deprimierte Narben. Am unteren Ende 
eine sezernierende Fistel. Nach Kntfernung von zwei Sequestern und einer de¬ 
formierten Blechöse tritt allmählich Heilung ein. 

Kino Photographie des Patienten in diesem entstellenden Zustande ist- 
leider nicht angefertigt worden. Den Röntgenbefund gibt Fig. 1, Taf. XXI wieder. 
Das im Defekt liegende grosse Knochenstück war tief imprimiert (s. Operations¬ 
befund). 

4. 3. 15 Operation in üblicher Weise. Bei der Xarbenexcision entstehen 
3 Hautlappen, die sieh in der Mitte des Defekts treffen. Der Sehädeldefekt ist 
von erheblicher Grösse, aber unregelmässiger Form. Nach der Freilegung zeigt 
sieh, dass der nach aussen gelegene Knochenabschnitt in etwa Kinderhandgrössc 
tief in das Hirn imprimiert ist. Zwischen den beiden Defekträndern besteht 
infolgedessen eine Niveaudifferenz von fast 3 cm. Es wird deshalb das im- 
primierte Knochenstück nach Durchmcisselung der Basis in toto herausgehoben. 
Nach der Glättung der Ränder hat nunmehr der Defekt eine dreieckige Form 
mit abgestumpften Winkeln, die Basis nach aussen gerichtet. Die Basis ist 
9 cm lang, die Höhe des Dreiecks beträgt etwa ß cm. Die einfache 
Zurück lagern ng des imprimierten Stückes füllt den Defekt so wenig aus, dass 
ein wirksamer Abschluss dadurch nicht erreicht werden kann. Es wird daher 
ein 9 cm langes Knochenstück der Tibiavorderfläche in ganzer Breite der Tibia 
entnommen. Dieses Stück w4rd in den Basal teil des Defekts eingelegt. Der 
danach übrig bleibende Defektrest wird durch ein zweites grösseres Tibiastück 
geschlossen. Direkte Vereinigung der llautlefzen über den transplantierten 
K nochenstiieken. 

Glatte Heilung. Fig. 7a und 1) zeigen den Zustand des Patienten einige 
Zeit nach der Operation. Die Einsenkung des Schädels und die breiten Narben 
sind verschwunden; der kosmetische Effekt ist höchst befriedigend. 

Das Röntgenbild nach der Operation (Fig. 2, Taf. XXI) zeigt die beiden 
Knocbenstückc im Defekt mit grosser Deutlichkeit. 

Hieran schliesst sich, was die Mächtigkeit des Transplantats 
anlangt, ein Fall, bei dem allerdings eine starke Narbenbildung der 
Haut fehlte. 

Fall 5. Jäger X. Am 29. 9. 14 traf eine Schrapnellknirel den Tschaeko 
und drückte ihn tief in den Schädel hinein. Tiefe Depressionsfraktur bei gleich¬ 
zeitiger kleiner Weiehteilverletzung. Langsame Verheilung der Hautwunde. An¬ 
dauernde Kopfschmerzen, die durch innere -Mittel nur vorübergehend gebessert 
werden können. 

Aufnahme am lß. 1. 15. Von tief* Mächtigkeit und der Tiefe der Im- 
pressionsfraktur gibt am besten die beifolgende Abbildung (Fig. N) eine Vor- 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



570 


G. Axhausen, 


Fig. 8. 



Fig. 9. 



Digitized by Google 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 








Zur Technik der Schädelplastik. 


571 


Stellung. In der Mitte der tiefen Delle eine unbedeutende Hautnarbe. Wegen 
der bestehenden Kopfschmerzen war der operative Eingriff indiziert. 

13. 2. Operation. Grosser Bogenschnitt zur Bildung eines über den Im¬ 
pressionsbezirk hinausreichenden Haut-Weichteillappens mit der Basis nach 
hinten. Der ganze vertiefte Knochenbezirk, der sich aus vielen, vollständig 
knöchern verheilten Bruchstücken zusammensetzt, wird in toto nach l'mmeisse- 
lung herausgenommen. Die Dura ist unverletzt. Das Stück hat eine weit über 
die Norm hinausgehende Dicke und Schwere. Zur Beseitigung der Depression 
scheint es am einfachsten, das Knochenstück herumzudrehen und um¬ 
gekehrt wieder in den Defekt ein zu legen. Es wurde dadurch an der 
Stelle der Konkavität die Konvexität des Schädels wiederhergestellt. Die Dura- 
fläche wurde zur subaponeurotisehen Fläche und umgekehrt. Der Weichteil¬ 
lappen wird zurückgeklappt und vernäht. 

Beim ersten Verband Wechsel wird ein Hämatom in der Operationsgegend 
bemerkt, bei gleichzeitiger Temperatursteigerung. Punktion desselben. Darauf 
glatter Verlauf. Nach 4 Wochen erscheint das Knochenstück mit der Eingebung 
fest verbunden. 

Die Abbildung (Fig. 9) lässt den ausgezeichneten kosmetischen Erfolg deut¬ 
lich erkennen. Das Küntgenbild (Fig. 3, Taf. XXI) zeigt die schwere Depressions¬ 
fraktur vor der Operation; das Rontgenbild (Fig. 4, Taf. XXF) in gleicher Auf¬ 
nahme den Zustand nach der Operation; das Küntgenbild (Fig. 5, Taf. XXI) bei 
der Aufnahme von vom nach hinten gibt ein gutes Bild des mächtigen Defektes. 

In zwei Fällen reichte die eingesunkene Narbe von der Haar¬ 
grenze über die Stirn und Augenbraue bis zum Oberlid, das eben¬ 
falls gespalten war. Der Orbitalrand beteiligte sich am Knochen¬ 
defekt. In diesen Fällen habe ich, um zunächst zur Sicherung der 
Asepsis bei der Transplantation einen zuverlässigen Abschluss gegen 
die Augenhöhle zu erreichen, in einem ersten Operationsakt die 
breite Narbe des Lides und der Augenbrauengegend excidiert und 
die seitlichen Lefzen nach Mobilisierung in guter Adaptierung ver¬ 
einigt. In einem zweiten Akt wurde dann die übrige Narbe ex¬ 
cidiert, der Knochendefekt plastisch gedeckt und gleichzeitig die 
Narbe der Orbitalgegend durch ein weiteres untergeschobenes 
Knochenstück etwas eleviert. Der eine dieser Fälle ist der 
folgende: 

Fall 23. Kriegsfreiwilliger Th. Am 30. 10. 14 mehrfache SchussverletZun¬ 
gen: Oberschenkel- und Yorderarmweiehteilschüsse, linker Schultergelenkschuss, 
Tangentialschuss der linken Stirngegend. Primäre Anfrischung des Schädel¬ 
schusses im Feldlazarett-. Glatte Heilung, während Schultergelenkschuss wegen 
Infektion Resektion notwendig machte. 

Das Bild des Defektes vor der Operation zeigt Fig. 10. Der Fffekt der 
ersten Operation (Lidplastik) ist in F'ig. 11 (nach der zweiten Operation aufge¬ 
nommen) sichtbar. Bei der zweiten Operation wurde die Deckung des De¬ 
fektes, dessen Masse nach Anfrischung l.S : 2 cm betrugen, in üblicher Weise 
gedeckt und die Augenbrauengegend durch ein untergeschobenes Knochenstück 
erhoben. 

Glatter Verlauf. 

Fig. 11 zeigt den Befund nach der zweiten Operation. Der kosmetische 
Effekt ist evident. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 




A x li a u s e n 



















Zur Technik <ler Srhiulclplastik. 


573 


Von besonderem Interesse war der Fall, bei dem der Schädel¬ 
defekt durch epileptische Krämpfe kompliziert war, die durch 
Exstirpation einer Meningealcyste zum Verschwinden kamen. 

Fall 25. Kriegsfreiwilliger B. Am 5. 11. 14 Schrapnellkopfschuss. Mehrere 
Tage Bewusstlosigkeit. Primäre Anfrischung nicht erfolgt: erst 3 Wochen nach 
der Verletzung wurden Knochensplitter entfernt. Allmähliche Heilung der Wunde 
und Besserung der zunächst vorhandenen rechtsseitigen Parese nebst Aphasie. 
Am 12. 7. erster epileptischer Anfall. Seitdem monatlich einen: im Oktober und 
November zwei Anfälle. 

Befund: (»rosse, eingesunkene und pulsierende Narbe links G cm von der 
Mittellinie. Keine Lähmungserscheinungen mehr, nur geringe Beschwerung der 
Sprechfähigkeit. 

Am 12. 11. 15 operative Freilegung des Defektes in üblicherweise. Seine 
Ausmasse betragen nach Anfrischung 2.7 cm im Quadrat. Die vorliegende Mem¬ 
bran erscheint bei Betastung dick und die Pulsation des Hirns ist noch gering. 
Es wird daher in die Membran ein Einschnitt gemacht: sie hat eine Dicke von 
2—4 mm, und unter ihr wird eine etwa haselnussgrosse Cyste eröffnet, die mit 
goldgelb gefärbter Flüssigkeit angefüllt ist. Fxeision der Membran irn ganzen 
Bereich des Defektes. Danach liegt in dem Defekt eine weiche, hirnähnliche 
Masse, die nunmehr sofort deutlich pulsiert. Plastische Deckung in üblicher 
Weise. (Hatte Heilung. 

In den ersten Tagen nach der Operation Wiederkehr der rechtsseitigen 
Parese und nahezu vollständige Aphasie. Im Laufe der nächsten Wochen bilden 
sich diese Symptome langsam zurück, so dass zwei Monate nach der Operation 
der vor der Operation vorhandene Nervenzustand wieder hergestellt ist. Krampf¬ 
anfälle sind nach der Operation nicht wieder aufgetreten. 

Schliesslich bedarf der Fall der Erwähnung, bei dem, wie ein¬ 
gangs der Arbeit angegeben, durch ein bedauerliches Versehen in 
der Nachbehandlung eine Störung hervorgerufen wurde, der aber 
eben deswegen für die Beurteilung der Methode nicht in Betracht 
kommen kann. 

Fall 22. Musketier St. Am 1(L 7. 15 Segmentalschuss. Primäre An¬ 
frischung im Feldlazarett. Glatte Heilung. Im Anfang vorhandener linksseitiger 
Schwäehezustand ging zurück. 

Auf der rechten Kopfseite zwei voneinander getrennte, pulsierende Schädel- 
defekte. Keine Hirnsymptome. 

Nach Exeision der Narbe autoplastische Deckung der Defekte, die nach 
der Anfrischung 2,8 : 3,6 bzw. 2,6:5 ein betragen, in üblicher Weise. Direkte 
Hautnaht über dem Transplantat. 

Völlig glatter Heilverlauf, wie aus der beigefügten Kurve in Fig. 12 her- 
vorgeht. 

10 Tage p. op. erster Verband. Wunde per primam verheilt. Nähte 
entfernt. Ein kleines Hämatom der Operationsgegend wird, wie mehrfach bei 
anderen Fällen, durch Punktion entleert. Bedauerlicherweise ist die Punktions- 
nadel durch ein Versehen, das nur durch die Hast des Kriegsbetriebes erklärbar 
ist, kurz vorher mit infiziertem Material in Berührung gekommen, was gleich 
nach der Punktion bemerkt wurde. So konnte die Infektion des Hämatoms nicht 
ausblciben. Gleich irn Anschluss an die Punktion trat rascher Temperaturanstieg 
auf (Fig. 12 P), und es kam nicht nur zur Vereiterung des Hämatoms, sondern 
auch zu einer Vereiterung der regionären Nackendrüsen, die incidiert werden 


Digitized by 


Google 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



574 G. Axhausen, Zur Technik der Schädclplastik. 

mussten. Wegen der Fortdauer der Eiterung am Schädel mussten die beiden 
Knochenstücke entfernt werden. Dann Heilung per secundam. Die Elastik 
wurde später mit gutem Erfolge wiederholt. 

Nach dem Verlauf dieses Falles, wie er sich besonders in der Temperatur¬ 
kurve wiederspiegelt, steht cs ausser jedem Zweifel, dass die späte akute In¬ 
fektion einzig und allein durch die nachträgliche fehlerhafte Punktion hervor¬ 
gerufen worden ist. 

Es muss daher dieser Fall für die Beurteilung der Methode völlig ausge- 
schaltet werden. 



Nach den Erfahrungen an diesen 27 Fällen von Schädelplastik 
muss ich an der Ueberzeugung festhalten, dass zur Deckung von 
Schädeldefekten die freie Autoplastik unter Benutzung eigenen 
periostgcdeckten Knochens das Normalverfahren darstellt und ins¬ 
besondere der Müller-König’schen Lappenplastik in jeder Be¬ 
ziehung überlegen ist. 


Digitized by Gougle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 


































XXII. 


Zur Kenntnis und operativen Behandlung 
des multiplen callösen Magengeschwürs. 

Von 

Dr. E. Liek (Danzig). 

(Mit 5 Textfiguren.) 

Die Erfolge der operativen Behandlung des chronischen Magen¬ 
geschwürs können auch strenger Kritik standhalten. Wo ein mecha¬ 
nisches Moment, d. i. die Pylorusstenose oder der Sanduhrmagen, 
vorliegt, kann von einer anderen Therapie als der operativen heute 
nicht mehr die Rede sein. Anders sind die Verhältnisse bei den 
Magengeschwüren ohne Stenose und bei den pylorusfernen Ge¬ 
schwüren. Hier müssen wir Chirurgen ohne weiteres zugeben, dass 
wir die Erfolge der Gastroenterostomie zunächst überschätzt haben, 
dass hier oft genug die Heilung des Patienten nur auf die durch 
unseren Eingriff gesetzte Wunde zu beziehen war; von einer kli¬ 
nischen Heilung blieben viele Fälle weit entfernt. 

Auch aus unseren Misserfolgen müssen wir lernen. Als man 
sich nicht mehr damit begnügte, die wegen Ulcus Gastroenterosto- 
mierten „geheilt“ aus dem Krankenhause zu entlassen, sondern sie 
weiter genau beobachtete, ihren Beschwerden nachging, motorische 
Funktion und Chemismus des Magens in regelmässigen Abständen 
kontrollierte, zeigte sich eine überraschend grosse Zahl von nicht¬ 
befriedigenden Resultaten. Fortbestehen von Schmerzen und Blu¬ 
tung, Symptome eines neugebildeten Ulcus pepticum jejuni, dauernde 
Unterernährung und vielfache sonstige Beschwerden enttäuschten 
den Patienten ebenso sehr wie den Operateur. Ein gründlicheres 
Verständnis der Aetiologie und des klinischen Verlaufs des chro¬ 
nischen Magengeschwürs, Verbesserungen der operativen Technik, 
eine sorgsamere diätetisch-medikamentöse Nachbehandlung, die sich 
über Monate und Jahre erstreckte, waren die unmittelbaren Folgen. 
Zu einem abschliessenden Urteil sind wir trotz aller Fortschritte 
aber auch heute keineswegs gekommen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



576 


E. Eick, 


Dass die Gastroenterostomie nicht das Allheilmittel bei jeder 
Form des chronischen Magengeschwürs ist, diese Erkenntnis ist uns 
im letzten Jahrzehnt geworden. In seinem bekannten Referat auf 
dem Deutschen Chirurgenkongress 1906 empfahl Krön lein noch die 
Gastroenterostomie für alle chronischen Magengeschwüre; gerade 
die Ulcustumoren, die mit Leber, Pankreas und anderen benach¬ 
barten Organen verwachsen sind, sollten vorzüglich auf die Gastro¬ 
enterostomie reagieren. Im ganzen hatte Krönlein 85 pCt. erfreu¬ 
liche Operationsresultate (61 pCt. geheilt, 24 pC’t. gebessert). 

Wir wissen heute, dass das Operationsresultat in erster Linie 
abhängig ist vom Sitz des Geschwürs. Clairmont 1 ) konnte an 
dem grossen Material der Klinik v. Eiselsberg’s nachweisen, dass 
die Gastroenterostomie beim pylorusnahen Ulcus 62 pCt., beim 
pylorusfernen nur 47 pCt. gute Resultate ergibt. Andere erfahrene 
Chirurgen, wie die Mayos, erklärten die Gastroenterostomie beim 
Ulcus des Magenkörpers für zwecklos, wenn nicht gar schädlich. 
Auf dem Chirurgenkongress 1914 zeigte Perthes sehr instruktiv, 
woran das liegt. Das Ulcus des Magenkörpers löst Spasmen aus 
(die Röntgenphotographie zeigt das Bild des spastischen Sanduhr¬ 
magens). Infolge dieser Spasmen wird durch die am tiefsten Punkt 
des Magens vor dem Pylorus angelegte Gastroenterostomie nur der 
periphere Magenabschnitt entlastet und alkalisiert, nicht aber der 
centrale. So ist z. B. beim Ulcus der kleinen Kurvatur der Spasmus 
die Ursache der ausbleibenden Heilung, trotz guter Funktion der 
Gastroenterostomie; der Spasmus entzieht das Ulcus der Wirkung 
der Gastroenterostomie. 

Man ist in verschiedener Weise vorgegangen, um auch beim 
pylorusfernen, nicht stenosierenden Geschwür die Operationsresultate 
zu verbessern. Der Gastroenterostomie wurde die Pylorusausschal- 
tung (nach v. Eiseisberg) oder die Pylorusumschnürung (nach 
Kelling, Parlavecchio u. a.) hinzugefügt. Die Ansichten über 
die Zweckmässigkeit des Verfahrens sind noch geteilt. 

Eine temporäre, aber auch totale Ausschaltung des Magens 
wird durch die Jejunostoraie erreicht, und doch haben wir erfahren 
müssen, dass selbst jahrelanges Aussetzen jeglicher oraler Ernäh¬ 
rung die Heilung eines Magengeschwürs keineswegs gewährleistet. 
So berichtet v. Haber er 2 ) von einer Kranken, die sich über 
4 Jahre lang nur durch die Jejunumfistel ernährte; trotzdem hörten 
die Schmerzen nie vollständig auf, eine Magenblutung zwang 
schliesslich zu erneutem operativen Eingriff. 

1) Clairmont, .Mitteilungen aus den Grcnzirebicten der Medizin und 
Chiruri'ir 1 . 1909. ßd. 20. 

2) v. Haberer, Arch. f. k 1 in. Chir. 1915. ßd. 106. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen eallösen Magengeschwürs. 577 

Von den radikalen Operationsmethoden ist die Excision des 
Geschwürs heute wohl allgemein verlassen; ihre Resultate waren 
unbefriedigend. Grosse Anerkennung fand die von Riedel (1904) 
empfohlene Querresektion bei Geschwüren des Magenkörpers, die 
von vielen namhaften Chirurgen als Methode der Wahl bei diesem 
Sitz des Ulcus angesehen wird. Andere Chirurgen gingen noch 
weiter und empfahlen die Resektion für jedes callüse Geschwür 
des Magens, gleichgültig wo es sitzt. Die Lokalisation des Ulcus 
sei massgebend nur für die Technik, ob Querresektion oder Re¬ 
sektion nach den ßillroth’schen Methoden und ihren Modifika¬ 
tionen (Miculicz, Krönlein, Reichel, Hofmeister, Polya). 
Die letzten Chirurgenkongresse haben über diese Fragen ausgiebige 
und anregende Diskussionen gebracht. Eine Einigung ist bisher 
noch nicht erzielt, wenn auch die Anhänger der radikalen Methoden 
sichtlich mehr und mehr Boden gewinnen. 

Nur noch wenige Kliniken, wie die von Hochenegg, Kocher, 
Poncet, halten an der Gastroenterostomie als dem Normalver¬ 
fahren für alle Ulcusformen fest. Küttner 1 ), der früher einen 
radikaleren Standpunkt vertreten hat, reseziert prinzipiell nur noch 
die eallösen Ulcera, wegen der Gefahr, ein Carcinom zu übersehen. 
Hofmann, v. Eiseisberg, Körte haben darauf hingewiesen, dass 
auch bei eallösen Geschwüren und bei Ulcustumoren die Gastroentero¬ 
stomie genügende Heilerfolge biete, andererseits die Resektion nicht 
immer ein Rccidiv verhütet. Payr 2 ) reseziert die torpiden, eallösen 
Pylorusulccra und alle extrapylorischen Geschwüre, eine Indikation, 
die viele Chirurgen, z. B. Perthes, die Mavos, mit ihm teilen. 

Den radikalsten Standpunkt nimmt v. Habcrer (1. c.) ein: 
„Beim Ulcus, welcher anatomischen Form es auch angehören mag, 
ist die Resektion die Methode der Wahl.“ v. Haberer, dessen 
Erfahrung sich auf eine ungewöhnlich grosse Zahl schwerer Fälle 
stützt, reseziert also prinzipiell; die Gastroenterostomie bleibt nur 
noch für die einfache narbige Pylorusstenose reserviert. Neben 
der Querresektion bevorzugt er die Resektion nach Billroth II 
und scheut selbst vor ganz grossen Eingriffen, subtotalen Magen¬ 
resektionen, nicht zurück. In einem, freilich letal verlaufenden Falle 
hat er sogar die Totalresektion des Magens w r egen Ulcus callosum 
ausgeführt. Die primäre Mortalität bei allen Resektionen w-egen 
Ulcus betrug 9 pCt. Die Fernresultate waren gut; so ergaben 
Nachuntersuchungen bei der Gruppe nach Billroth II operierter 
Kranker (86 Ueberlebende) in 77 pCt. völlige Heilung, in 12 pCt. 
wesentliche Besserung, in 10 1 / 2 pCt. unbefriedigende Resultate. 

1) Küttner, Verband!, der Deutschen Ges. f. Chir. 1910 u. 1914. 

2) Payr, Yerhandl. der Deutschen Ges. f. Chir. 1909 u. 1910. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


578 I- 

Dass auch nach Resektionen Recidive des Geschwürs vor- 
kommen, gibt v. Haberer zu. Er hält sie aber für selten und 
weist auf die Möglichkeit hin, dass es sich dabei nicht immer um 
echte Recidive, sondern um zweite Ulcera handelt, die bei der 
Operation übersehen wurden. Die Fcrnresultatc der Resektion 
würden noch besser sein, wenn man den multiplen Geschwüren 
grössere Aufmerksamkeit schenkte und sie bei der Operation nicht 
zurückliesse. 

Die Häufigkeit multipler Magenulcera haben wir sicher unter¬ 
schätzt. Schon 1895 hat v. Hacker auf das Vorkommen mehr¬ 
facher Stenosen am Magen aufmerksam gemacht. Payr teilte auf 
einem der letzten Chirurgenkongresse mit, dass sich unter seinen 
operierten Fällen 5 pCt. multipler Geschwüre fänden, v. Haberer 
kommt zu weit höheren Zahlen. Er sucht bei jeder Laparotomie 
den ganzen Magen sorgfältig ab und achtet dabei besonders auf 
charakteristische Drüsenanhäufungen entlang den Kurvaturen. 
Unter 132 Resektionsfällen fand er nicht weniger als 32mal, d. h. 
in 26 pCt., multiple Geschwüre. Gleichzeitige Ulcera duodeni sind 
mitgerechnet; 3 Fälle verlor v. Haberer, weil bei der Operation 
das zweite Ulcus übersehen wurde. 

v. Haberer demonstrierte auf dem Chirurgenkongress 1914 
einige durch Resektion gewonnene Präparate mit mehrfachen Ge¬ 
schwüren, die sehr instruktiv waren, so z. B. Fall 39: ein steno- 
sierendes Ulcus des Pylorus, in das Pankreas perforiert, erklärt bei 
der Laparotomie vollständig die Hypertrophie und Dilatation des 
Magens. Die methodische Absuchung des Magens ergibt hoch im 
cardialen Teil der kleinen Kurvatur ein zweites, grösseres und 
ebenfalls penetriertes Ulcus. Jetzt wird anstatt der einfachen 
l’ylorusrcsektion eine fast totale Magenresektion mit vorzüglichstem 
Erfolge ausgeführt. 

Sieht man solche Präparate, liest man Krankengeschichten, 
wie die des Falles 10 bei v. Haberer (multiple Ulcera des Ma¬ 
gens; 2 malige Laparotomie, zuletzt eine jahrelang zu ausschliess¬ 
licher Ernährung benutzte Jejunostomie, bringt nur vorübergehende 
Besserung; erst die dritte radikale Operation, Ausschneidung von 
mehr als zwei Dritteln des Magens, führt Dauerheilung herbei), ich 
sage, liest man derartige Krankengeschichten, so leuchtet der Vor¬ 
teil radikaler Operationen, und zwar der primären Resektion, gerade 
bei multiplen Geschwüren des Magens ganz besonders ein. Kommt 
hinzu, dass die Resektion das Ulcus und damit die Gefahr eines 
schon bestehenden oder zukünftigen Carcinoms ausschaltet, statt 
das Geschwür nur zu umgehen; die Fläche der salzsäureprodu¬ 
zierenden Drüsen wird verkleinert, die sekretionsanregenden Nerven 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen eallösen Magengeschwürs. 57^ 


durchschnitten, damit auch die Spasmen beseitigt; das gefürchtete 
Ulcus pepticum jejuni scheint ferner nach der Resektion seltener 
aufzutreten als nach Gastroenterostomie. Alles gewichtige Gründe 
für die Resektion. 

Sollen wir nun auf diese Erwägungen und praktischen Ergeb¬ 
nisse hin jeden Fall von multiplen Magengeschwüren prinzipiell 
resezieren? Erleichtert wird der Entschluss zu radikaler Operation 
für den Chirurgen durch die allgemeine Erfahrung, dass selbst sehr 
heruntergekommene Ulcuspatienten auch grosse Eingriffe über¬ 
raschend gut vertragen, im Gegensatz zu Carcinomkranken, für 
den Patienten durch die langjährigen, sehr quälenden Schmerzen, 
denen gegenüber die Gefahr des grossen Eingriffs zurücktritt. 

Meine persönlichen Erfahrungen bezüglich der Resektion beim 
Magenulcus sind bisher gering. Unter 24 operativ behandelten 
Fällen mit Magengeschwüren — die Kranken gehörten durchweg 
der Privatklientel an — waren 4 Resektionsfälle. 3 mal handelte 
es sich um callösc Geschwüre, die ich resezierte unter dem Ein¬ 
druck zweier eklatanter Misserfolge (Ulcusrecidive), die ich kurz 
vorher bei der Gastroenterostomie in ähnlichen Fällen erlebt hatte, 
lmal um eine tumorartige Verdickung des Pvlorusringes. 1 mal 
wurde die Querresektion ausgeführt, 1 mal die Resektion nach 
Billroth I, 2mal nach Billroth II in der Modifikation von Hof¬ 
meis t er-Polya. 

Primär habe ich keinen dieser Kranken verloren, ebensowenig 
wie bei den übrigen 20 Magenoperationen, was natürlich bei einer 
so kleinen Zahl wenig besagen will. Die Fcrnresultate der Magen¬ 
resektionen waren weniger gut: 

Einer 55 jährigen Krau, die seit 1 Jahn 1 an Stenosenerseheinungen und 
starker Abmagerung litt, halte irli einen hiihnereigiossen Pleustumor des Pylorus 
weit im Gesunden (da für Careinom gehalten) entfernt. Die mikroskopische 
Pntersuehung ergab ein I leus, kein Carcinom. Glatter Verlauf: Patientin wurde 
11 Tage nach dem Eingriff besrhwerdefrei entlassen und erholte sieh zusehends. 
Sehon vor der Operation hatte sie ein eigentümlich apathisch-melancholisches 
Wesen gezeigt. Diese Erscheinungen nahmen draussen zu: 7 Woelnm narb der 
Operation starb Patientin, wie mir der Hausarzt mitteilte, unter den Symptomen 
einer Apoplexie; irgendwelche Beschwerden seitens des Malens hat sie nicht 
mehr «jehabt. Da der Khemann an Paralyse gestorben und die Khe kinderlos 
geblieben war, vermutete der behandelnde Kollege eine luetisehe Gefüsserkran- 
kuiiLT. Vielleicht ist auch das I leus gummöser Natur gewesen. 

Der zweite Kranke, ein 3Sjähriger kräftiger Manu, litt seit, (> Woehen an 
Erbrechen, Magendrücken, Abmagerung. Die Pöntgenphotographie zeigte eine 
lletention über 12 Stunden hinaus. Die Operation ergab einen «Trossen Tumor 
des Pylorus, der weit auf die kleine Kurvatur i'iheririnir. Puter dyr Diagnose 
Careinom ausgiebige llesektion nach H of m ei s t er-Pol y a. Mikroskopische 
Pntersuehung: Pleus. Glatter Verlauf: nach 11 Tagen Entlassung aus der 
Klinik, ln den folgenden 4 Monaten 42 Pfund Gewichtszunahme. Arbeits- 


Digitized by 


Gck igle 


Original ftom 

UMIVERSITY OF IOWA 



580 


K. Lick, 


Digitized by 


fähigkcit und gutes Befinden hielten fast zwei Jahre an, dann Symptome der 
Bauchfell- und Lcbercarcinuse. Tod 2 1 / 4 Jahre nach der Resektion. 

Der dritte Fall betraf eine Frau von 44 Jahren, die seit Jahren an 
Magenbeschwerden litt und in den letzten Monaten von 111 Pfund Gewicht auf 
95 Pfund heruntergegangen war. Gut walnussgrosser Tumor fühlbar. Probo- 
frühstück ergibt keine freie Salzsäure, Milchsäure positiv. Operation: Ver¬ 
wachsungen der Gallenblase mit Magen und Duodenum. Der Pylorusring ist 
glciehmüssig stark verdickt (Ficus?). Resektion nach Bi 11 rot hl, Cholecystek¬ 
tomie. Das aufgeschnittene Präparat des resezierten Pylorus ergibt erhebliche 
Verdickung der Schleimhaut und Muskulatur, enge Stenose, kein Ficus. Glatter 
Verlauf: die Kranke wurde 15 Tage post operat. beschwerdefrei entlassen, ln 
den nächsten Wochen 12 Pfund Gewichtszunahme. Frau D. ist jetzt, 2F 2 .Jahre 
nach der Operation, frei von Beschwerden; sie kann alles essen. 

Das gleiche Krankheitsbild (stenosierende Pylorusringver- 
dickung) hat v. Habe rer achtmal beobachtet. 

Mein vierter Resektionsfall betrifft einen Kranken mit mul¬ 
tiplen Geschwüren und wird später ausführlicher beschrieben. 

Nicht unerwähnt möchte ich lassen, dass unter den übrigen 
20, grösstenteils mit Gastroenterostomie behandelten Fällen zwei 
mit callösem Geschwür des Magenkörpers waren, die ausgezeichnet 
auf die Gastroenterostomie reagierten: Schwinden jeglicher Be¬ 
schwerden (die 10 und 12 Jahre bestanden hatten), erhebliche Ge¬ 
wichtszunahme (einmal 33 Pfund in 6 Monaten). Das gute Resultat 
hält jetzt 3 bzw. 3*/ 2 Jahre an. Selbstverständlich sind die Beob¬ 
achtungen zu gering an Zahl, um daraus weitergehende Schlüsse 
ziehen zu können. Immerhin zeigen sie, dass auch bei lange be¬ 
stehenden, callösen Geschwüren des Magenkörpers die einfache 
und relativ ungefährliche Gastroenterostomie von grossem Nutzen 
sein kann. 

Wenn ich im Folgenden 3 Fälle mit multiplen Magengeschwüren 
eingehender mitteile, so geschieht es, um zu zeigen, wie schwierig 
auch hier die Entscheidung sein kann, selbst für einen Anhänger 
der Resektion. Die einfache Gastroenterostomie kann, wie die 
Krankengeschichten zeigen, dauernde Heilung herbeiführen, anderer¬ 
seits können radikale Methoden versagen. 

Unter 24 operierten Fällen von Magengeschwüren fanden sich 
3mal (12,5 pCt.) multiple callüse Ulcera. Dass ich weitere Ulcera 
übersehen habe, ist möglich; jedoch wurde der Magen in allen Fällen 
systematisch abgesucht. Ich gebe zunächst die Krankengeschichte 
eines Falles wieder, der mir viel Kopfschmerzen verursacht hat und 
der trotz viermaliger Laparotomie nicht geheilt wurde: 

M., 19jähriger Mann. Seit etwa 4 Jahren Magenbesehwerden: Schmerzen, 
besonders nach dem Essen, Aufstossen, Erbrechen, ab und zu Bluterbreehen. 
Filler der Diagnose ..Magengeschwür** ist er in den beiden letzten Jahren «Dual 
monatelang in verschiedenen grossen Krankenhäusern behandelt worden (G Wochen, 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen callösen Magengeschwürs. 581 


S Wochen, 14 Wochen). Kiner geringen Besserung folgte jedesmal sehr bald 
ein Wiederauftrcten heftiger .Schmerzen. Dahei will Patient die ihm aufgegebene 
Diät auch zuhause streng befolgt haben. Kräftezustand und Körpergewicht 
nahmen ständig ab. Patient war in den beiden letzten Jahren nur vorüber¬ 
gehend arbeitsfähig. Zuletzt hat ihn sein Kassenarzt unter dem Verdacht der 
Simulation arbeitsfähig geschrieben. 

Krste Untersuchung am 9. 12. 12: Mittelgrosser, grazil gebauter Mann, 
stark abgemagert (10S Pfund in Kleidern). Haut und Schleimhäute anämisch. 
Epigastrium druckempfindlich. Patient hat angeblich so heftige Schmerzen, 
dass er sieh zusammenkrümmt und die Untersuchung mehrfach unterbrochen 
werden muss. 

Fig. 1. 



Die Höntgenphotographie fs. Fig. I) nach Wismut mahlzeit ergibt eine 
fingerförmige Vorwölbung im cardinlen Teil der kleinen Kurvatur mit (iasblase 
(Haudeek'sehe Nische) und eine starke Einziehung des gegenüberliegenden 
Teils der grossen Kurvatur. Ausserdem ist der Magen erheblich erweitert und 
gesenkt, der Fundus steht drei (Juerfingcr unterhalb der Nabelmarke. Grenz¬ 
linie am Pvlorus flach gebogen, unregelmässig (zweites Ulcus?). Nach 12 Stunden 
noch viel Wismutbrei im Magen. 

Diagnose: Ulcus perforans der kleinen Kurvatur, Stenose des 
Py 1 orus, se h e i n bal*e r (spast isc h er) Sa n d u h r m age n. 

Erste Laparotomie am 11. 12. 12: Magen sehr gross, Magenwand ver¬ 
dickt. Am cardialen Teil der kleinen Kurvatur ein walnussgrosser Ulrustumor. 
Das Ulcus scheint nach hinten oben die Magenwand durchbrochen zu haben. 
Vereinzelte Wismutbröekelehen sind im benachbarten sulzigen Gewebe sichtbar. 
Ein Nctzzipfel zieht von links her <juer über den Magen und plombiert (bis 
Ficus. Am Pvlorus ein zwoiti*r, stenosierender Uleustumor, fast hühnereigross. 

Der Xetzsirang übt keine mechanische Schnürung auf den Magen aus; die 
im Höntgenbild sichtbare Einziehung ist spastischer Natur. Das Netz wird vor¬ 
sichtig zwischen zwei Ligaturen durchtrennt. Der Nctzzipfel bleibt, auf dem Ulcus. 

Dann Gastroent erostornia retrocolica post, mit kurzer Schlinge. 
Die Operation ist schwierig. Der Magen ist fixiert; man hat das Gefühl, bei 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Holt 4. 39 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 




582 


E. Lick, 


Digitized by 


stärkerem Zuge würde das morsche (jewebe in der Gegend des Ulcus perforans 
einreissen. Daher kann die Sehleimhautnaht nicht so exakt angelegt werden, wie 
es sonst geschieht: auch erscheint die neue Verbindung nicht genügend weit. 

Ganz glatter Verlauf; die Schmerzen, die den Patienten Jahre hindurch fast 
ununterbrochen gequält haben, sind vom 2. Tage ab verschwenden. Am 19. 12. 12, 
acht Tage nach der Operation, verlässt M. die Klinik. 

ln den nächsten Wochen ausgezeichnetes Befinden. Patient hat nach 
14 Tagen 6 Pfund, nach 5 Wochen 11 Pfund zugenommen und ist ohne Be* 
sch werden. Kr befolgt eine vorsichtige, in erster Reihe lakto-vegetabile Diät 
und nimmt regelmässig Alkalien. 

Am 24. 2. 13, 10 W ochen nach der Operation, kommt M. wieder zur 
Sprechstunde: Schmerzen in der Magengegend seit einigen Tagen. Die Röntgen¬ 
photographie nach Wismutmahlzeit zeigt den Magen nach 6 Stunden leer, 
die Fistel funktioniert demnach gut. In den nächsten Tagen rasche Ver¬ 
schlimmerung. Rasende Schmerzen Tag und Nacht, Patient erbricht alle Nah¬ 
rung, ab und an auch Blut. 11. 3. 13 erneute Aufnahme in die Klinik. 

Zweite Laparotomie 12.3. 13: Das Ulcus der kleinen Kurvatur ist 
grösser geworden, der Uleustumor am Pylorus nahezu geschwunden. Q ucr- 
resektion des Magens. Das Ulcus der kleinen Kurvatur ist in das Pankreas 
perforiert und bildet hier eine walnussgrosse, glatte Höhle. Der Magen wird 
rings um das Ulcus Umschnitten, das Pankreas selbst nicht berührt, die Ulcus- 
hühlc mit Netz tamponiert. Die alte Gastroenterostomie erweist sich als hoch¬ 
gradig verengt, sie ist kaum für einen Finger durchgängig. Quernaht des 
Magens. Neue Gastroenterostomia antecol. anterior, 6 cm lang, am 
oralen Fundusrest. Bauehdocken völlig geschlossen. 

Patient ist nach der durch ausgedehnte Verwachsungen sehr erschwerten, 
zweistündigen Operation kollabiert, erholt sieh aber schnell unter Kochsalzein¬ 
läufen. Wiederum ganz glatter Verlauf. Nach 10 Tagen wird M. beschwerde¬ 
frei aus der Klinik entlassen. 

Das gute Befinden hält einige Monate an, Patient nimmt erheblich an 
Gewicht zu. seine Anämie schwindet. Mitte August 1913, 5 Monate nach der 
zweiten Operation, kommt er mit erneuten Schmerzen, die angeblich seit 4 Tagen 
aufgetreten sind. Diesmal lokalisiert er die Schmerzen unterhalb des linken 
Rippenbogens. Man fühlt dort deutlich ein etw r a hühnereigrosses, druckempfind¬ 
liches Infiltrat. Das Röntgenbild ergibt 3 Stunden nach Wismutmahlzeit, den 
Magen leer. Leib etwas aufgetrieben; gelegentlich sichtbare Peristaltik. 

Diagnose: Ulcus j ej un i pcp t i cu m p erforat u m. 

Dritte Laparotomie 26.8. 13: Die alte mediane Narbe wird wieder 
eröffnet, dann aber, da ausgedehnte Verwachsungen die Ucbersicht erschweren, 
ein Querschnitt durch den linken Rectus und die übrigen Bauchdecken bis zur 
Nierengegend hin zugefügt, der linke Rippenbogen temporär reseziert. Unter 
dem Rippenbogen findet sich, dem oben erwähnten Infiltrat entsprechend, ein 
perforiertes Ulcus peptieum an der zuletzt angelegten vorderen Gastro¬ 
enterostomie. Es bildet eine gut walnussgrosse, glatte Hohle zwischen Magen¬ 
darm einerseits, Brust- und Bauehwand andererseits. Das Geschwür betrifft in 
erster Linie die Magenwand. Resektion der ganzen Gastroenterostomie; 
erneute, exakte Naht in zwei Schichten. Von der als infiziert anzusehenden 
Stelle aus wird ein Uigarettendrain nach vorn geleitet, ein zweites nach Resek¬ 
tion eines Stückes der linken 9. Rippe nach aussen, in der Gegend der linken 
mittleren Axillarlinie. Der zuführende Schenkel der zur vorderen Gastroentero¬ 
stomie führenden Dünndarmschlinge ist erheblich dilatiert; daher Knteroana- 
stomnse zwischen zu- und abführender Darmschlinge. Um den Magen eine 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen ealLüsen Magengeschwürs. 583 

Zeitlang auszuschalten, wird in der medianen Lapamtomiewunde eine Jejuno- 
stomic angelegt. Dauer der Operation zwei Stunden. Abends Puls 96; am 
ersten Tage noch Schmerzen. Dann guter Verlauf, ln der ersten Zeit starke 
Sekretion an den drainierten Stellen. Ernährung erfolgt zuerst nur durch die 
Jejunumfistel, nach 14 Tagen wird vorsichtig die orale Ernährung wieder auf¬ 
genommen. Pat. nimmt schnell an Gewicht zu und wird am 13. 9., 18 Tage 
nach der Operation, mit fast geheilter Wunde, beschwcrdefm entlassen. 4 Tage 
später ist die Jejunostomie ganz geschlossen, die Ernährung erfolgt nur von 
oben. Mitte Oktober 1913 ausgezeichnetes Aussehen. Pat. ist ohne Schmerzen, 
nimmt regelmässig Alkalien in grossen Dosen. Ende Oktober 1913 wieder ein¬ 
setzende Sehmerzen. Pmbcfriilistiiek ergibt gute Entleerung des Magens, nor¬ 
male Mengen freier Salzsäure. Enter Bettruhe. Diät und Termophor schwinden 
die Schmerzen : Pat. erholt sieh zusehends. 

Ende November 1913 wird wegen furchtbarer Sehmerzen. die auf Pantopon 
und Morphium kaum reagieren, erneute Aufnahme in die Klinik notwendig. Die 
Schmerzen werden vorn, in der linken Seite und hinten lokalisiert. 

Vierte Laparotomie 29. 11. 13: Winkelschnitt mit Aufklappung des 
linken Rippenbogens gibt leidlich gute Eebersieht. Ausgedehnte, sehr feste 
Verwachsungen. An der vorderen Gastroenterostomie wieder ein gut hühnerei- 
grosser Elcustumor des Magens; der obere Pol der Milz ist mit dem Tumor 
innig verwachsen. Ausgedehnte Re sc k t i o n de r M age n w an d weit im Ge- 
sunden, Resektion des verlöteten Milzstückes. Dann wird die Magen wunde 
wieder mit dem Darmlumen vereinigt (Gastroenterostomie). Eine neue Gastro¬ 
enterostomie oberhalb der alten anzulegen, ist unmöglich. Der Magen ist durch 
ausgedehnte Verwachsungen fixiert und lässt sieh nicht herunterziehen. Bauch- 
wunde bis auf einen kleinen Tampon, der zur Milz führt, geschlossen. 

In den ersten Tagen klagt M. noch über Schmerzen; dann reaktionsloser 
Verlauf. Patient wird 21 Tage post operat. gut erholt und beschwerdefrei ent¬ 
lassen. Er nimmt in den nächsten Wochen rasch an Gewicht zu. Aber auch 
diesmal ist der Erfolg leider nur vorübergehend. Schon im März 1914, etwa 
4 Monate nach dem letzten Eingriff, beginnen die alten Schmerzen wieder. 

Ebne Röntgenphotographie im April 1914 ergibt gute Funktion der Gastro¬ 
enterostomie, Magen nach 1 Stunde leer. Gesamtazidität 50. reichlich freie 
Salzsäure. Nachuntersuchung am 23. 1. 16, 2 .Jahre und 2 Monate nach dem 
letzten Eingriff: M. klagt über ständige Schmerzen in der Magengegend, be¬ 
sonders unter dem linken Rippenbogen, und nimmt dauernd Morphium. Er hat 
mehrfache Versuche, wieder zu arbeiten, nach kurzer Zeit aufgehen müssen. 
Trotz guten Appetits ist er erheblich abgemagert. Auffallend ist die starke 
Anämie. Das Epigastrium ist links druckempfindlich. Kein Erbrechen, keine 
Blutungen. Nach den Beschwerden, Aussehen und Befund ist an einem neuen 
Goschwürsrecidiv nicht zu zweifeln. 

Soweit die Beobachtung. Wenn ich nochmals kurz zusammen¬ 
fasse, so handelt es sich um einen 19jährigen Mann, der seit 
4 Jahren die Erscheinungen eines Ulcus ventriculi aufweist. Das 
Röntgenbild nach Wisrautmahlzeit zeigt ein perforierendes Ulcus 
der kleinen Kurvatur, ausserdem eine Stenose des Pylorus. 
Erste Operation: Ulcus perforans der kleinen Kurvatur, zweites 
stenosierendes Ulcus des Pylorus. Gastroenterostomia retrocol. 
post. Wiederkehr heftiger Schwerzen. Daher nach 13 Wochen 
zweite Operation: Stenose der 1. Gastroenterostomie, wahr- 

39* 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



584 


E. Liek 


Digitized by 


scheinlich bedingt durch nicht exakt angelegte Schleimhautnaht. 
Querresektion des Magens, Gastroenterostomia anterior. 
Erneute Beschwerden nach vorübergehender Besserung. Daher nach 
ö 1 /« Monaten dritte Operation: grosses Ulcus pepticum an der 
Stelle der zweiten Gastroenterostomie, Abknickung und Dilatation 
der zuführenden Schlinge. Resektion des Ulcus pepticum, 
Gastroenterostomie, Enteroanastomose, Jejunostomie. 
Auch diesmal nur vorübergehende Besserung. Vierte Operation 
nach 3 Monaten: erneutes Ulcus pepticum an der Gastroenterostomie. 
Ansgedehnte Resektion der geschwürigen Magenwand wie bei der 
vorigen Operation, Gastroenterostomie. 3—4 Monate Wohl¬ 
befinden, dann wieder Beschwerden, die bis jetzt, 2 Jahre und 
2 Monate nach dem letzten Eingriff, anhalten. 

Vier grosse Operationen innerhalb eines Jahres haben bei 
unserem Kranken also nur vorübergehende Besserung erzielt. Immer 
wieder kam es zu neuer Geschwürsbildung. Ist hier nicht radikal 
genug vorgegangen? Die Querresektion des Magens mit Gastro¬ 
enterostomie war offensichtlich nicht ausreichend, der Wiederkehr 
peptischer Ulcera vorzubeugen. 

Vergleiche ich die interessanten Krankengeschichten, die 
v. Habe rer in seiner ausführlichen Arbeit mitteilt, so scheint mir, 
auch in meinem Fall wäre die primäre ausgiebige Resektion, die 
beide Geschwüre umfasste, angebracht gewesen, zum mindesten 
aber nach dem Misserfolg der ersten Gastroenterostomie an Stelle 
der Querresektion plus erneuter Gastroenterostomie. Technisch 
hätte die Resektion keine übermässigen Schwierigkeiten geboten, 
und ausgehalten hätte der 19jährige Mensch diesen grossen Eingriff 
voraussichtlich auch. Was mich damals von der primären Resek¬ 
tion abhielt, war neben dem instinktiven Wunsche, dem elenden, 
sehr heruntergekommenen Patienten keine übergrosse Operation 
zuzumuten, vor allem die Erinnerung an einen l J / 4 Jahre vorher 
operierten, ganz ähnlichen Fall, bei dem die einfache Gastroentero¬ 
stomie ein glänzendes Resultat gegeben hatte. Ich lasse einen 
Auszug dieser Krankengeschichte folgen: 

K., 42jähriges Fräulein, leidet seit 22 Jahren an „Magen- und Darm¬ 
geschwüren". Sie hat oft Blut gebrochen, ebenso ist häufig der Stuhl teerfarben 
gewesen. Ständige Unterernährung; in den letzten Jahren 18 Pfund Gewichts¬ 
verlust. Seit einigen Monaten enorme Schmerzen in der Magengegend, Tag und Nacht. 
Interne Behandlung von kompetentester Seite ohne Einfluss; Nareotiea bringen 
nur vorübergehend Linderung. Eine vor.lahren von einem namhaften Chirurgen 
vorgesrhlagene Operation wurde damals abgelehnt. Patientin ist so ungeberdig, 
jede Berührung der Magengegend angeblich so ausserordentlich schmerzhaft, dass 
zunächst eine Untersuchung in Narkose vorgenommen wird (4. 7. 11): faustgrosser, 
harter, höckriger Tumor unter dem linken Rippenbogen, ganz unverschieblieh. 

Patientin ist hochgradig abgemagert; im Urin eine Spur Albumen. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen eallösen Magengeschwürs. 585 


Röntgenphotographie (s. Fig. 2): eigentümlich plumpe Form des Magens; 
sehr erhebliche Yergrösserung. besonders auch der Breite nach, ln der Mitte 
der grossen Kurvatur eine tiefe Einschnürung. 

Nach 20 Stunden noch viel Wismutbrei im Magensack. 

10. 7. 11 starkes Bluterbrechen. 

11.7. 11 Laparotomie: an der kleinen Kurvatur des Magens, nahe der 
Uardia, ein über faustgrosser, harter Tumor, mit den Bauehdeeken und der Leber 
ausgedehnt verwachsen, unverschieblich. Ein zweiter, apfelgrosser, hückriger, 
harter Tumor am Pylorus, stenosierend. Zahlreiche harte Drüsen entlang der 
kleinen Kurvatur und im Netz. 

Diagnose: inoperables Magencareinom. 

Hintere (J ast r o e n t e ro s t o m i e mit ganz kurzer Schlinge. Die Opera- 
tion ist schwierig, da kaum genügend gesunde Magenwand vorhanden und 
ausserdem der Magen sehr fixiert ist. 


Fig. 2. 



Die mikroskopische Untersuchung einer bei der Operation herausgeschnit¬ 
tenen Drüse ergibt kein Carei nom. 

Glatter Verlauf; G Tage nach der Operation wird Patientin in gutem Be¬ 
finden aus der Klinik entlassen. 

Nach 10 Wochen ist Fräulein K. nicht mehr wiederzuerkennen, sieht 
blühend aus, hat 12 Pfund an Gewicht zugenommen. Sie lässt sich jetzt ohne 
Schwierigkeit untersuchen. Der Tumor im linken Kpigastrium ist völlig ge¬ 
schwunden. Die Röntgenaufnahme ergibt gute motorische Funktion des Magens. 

Die Besserung hat erfrenlich angchalten. l ] /4 Jahr nach der Operation 
wiegt Patientin 20 Pfund mehr, sieht ausgezeichnet aus und ist ohne alle Be¬ 
schwerden. Dieser gute Zustand besteht bis jetzt, 4 1 / 2 Jahre nach dem 
Eingriff. 

Also auch hier ein Fall von multiplen, tumorbildenden Ge¬ 
schwüren, davon das pylorusferne perforierend, seit etwa 22 Jahren 
bestehend. Die einfache Gastroenterostomie beseitigt alle Beschwer¬ 
den, lässt die Tumoren schwinden und macht die Kranke auf Jahre 
hinaus gesund. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



586 


E. Liek, 


Digitized by 


Verlauf und Befund dieses und des zuerst erwähnten Falles 
gleichen sich ausserordentlich. Weshalb, frage ich, führt nun die¬ 
selbe Operation im ersten Fall zu einem absoluten Misserfolg, im 
zweiten zu einem guten und dauerhaften Resultat? Doch davon 
später. Zunächst noch die Krankengeschichte des dritten, auch 
geheilten Falles von multiplen Magengeschwüren: 

Frau G., 63 Jahre alt. leidet seit 7 Jahren an „Magensehwäehe“. Seil 
etwa einem Jahre erhebliche Verschlimmerung: kolikartige Schmerzen, ständiges 
Druckgefühl in der Magengegend, Gewichtsverlust. In den letzten Wochen hat. 
Patientin kaum noch etwas gemessen können. 


Fig. 3. 


▼ 




28. 10. 13: sehr elende, abgemagerte Frau. Magen stark dilaticrt und 
gesenkt; die grosse Kurvatur reicht bis zur Symphyse. Kein Tumor fühlbar. 

Lebhafte Peristaltik des Magens. Durch die papierdünnen Bauchdecken 
ist eine erhebliche Verdickung der Magenwände leicht naehzuweisen. 

Höntgenphotographie: ausgesprochener Sanduhrmagen (s. Fig. 3); entlang 
der kleinen Kurvatur ist vom cardialen Sack aus eine strangförmige Verbindung 
eine Strecke lang zu verfolgen. Nach 12 Stunden noch reichlicher Inhalt im 
unteren Magensack. 

Diagnose: Sanduhrmagcn (durch Ulcus), Py lorusst cnose. 

Operation am 30. 10. 13: Befund dem Röntgenbilde entsprechend. Gal- 
loses und in die Leber perforiertes Ulcus der kleinen Kurvatur, am aufstei¬ 
genden Teil des Magenkörpers. Ausgedehnte Verwachsungen, narbige Schrumpfung 
der benachbarten Magenwand (Sanduhrmagen). Am Pylorus ein zweites callöses 
Geschwür, stcnosicrend. Auch liier erhebliche Perigastritis, besonders an der 
hinteren Wand. 

Die Resektion wäre ohne grössere technische Schwierigkeiten möglich ge¬ 
wesen. Mit Rücksicht jedoch auf das hohe Alter der Kranken und den redu- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen ca 1 lösen Magengeschwürs. 587 

zierten Ernährungszustand wird von der Resektion als dem grösseren Kingriff 
abgesehen. Die beiden Magensäcke werden durch eine etwa 6 cm lange, quere 
tiastro-Gastrostomie verbunden, am Pylorussaek eine etwa S em lange, 
hintere Gastroenterostomie mit kürzester Schlinge hinzugefügt. Dabei 
erweist sieh der pylorisehe Magensack noch prall mit Wismutbrei gefüllt 
(48 Stunden nach der Probemahlzeit!). 

Vom 2. Tage an ist Patientin stundenlang ausser Bett. 

4 Tage post operat. schwere Pneumonie des linken Untcrlappcns. die ganz 
langsam abklingt. 3 Wochen nach «1er Operation weitere Komplikation durch 
eine fieberhafte Thrombose am rechten Unterschenkel. Dann glatter Verlauf. 

Am 26. 11. 13 verlässt Patientin geheilt und ohne Beschwerden die 
Klinik. 

Nachuntersuchung 7 Wochen später: Frau G. ist kaum wiederzuerkennen. 
Sie hat erheblich an Gewicht zugenommen, sieht blühend aus und ist ohne Be¬ 
schwerden. 

Die Heilung hat bis jetzt, 2 1 / 2 Jahre nach dem Eingriff, angehalten. 
Patientin hat weiter zugenommen, kann alles essen und hat nie wieder die 
geringsten Beschwerden seitens ihres Magens gehabt. 

Die drei mitgeteilten Fälle haben viel Gemeinsames: jahre¬ 
lange, starke Beschwerden; multiple Ulcustumoren, davon je einer 
den Pylorus stenosierend, der zweite im Bereich des Magenkörpers 
und in ein Nachbarorgan perforiert. Die gleiche Therapie, eine 
hintere Gastroenterostomie, führt in den beiden letzten Fällen zu 
gutem, dauerndem Erfolg, Schwinden der Tumoren und Fortfall 
jeglicher Beschwerden; im ersten Fall dagegen erweist sich weder 
die primäre Gastroenterostomie noch die sekundäre Querresektion 
mit erneuter Gastroenterostomie imstande, den Zustand des Kranken 
dauernd zu bessern, weiteren Ulcusrecidiven vorzubeugen. 

Wie ist das zu erklären? Bei der ersten Gastroenterostomie 
im Fall M. war wohl ein technischer Fehler — zu kleine OefTnung, 
nicht exakte Schleimhautnaht — unterlaufen. Die Folge war eine 
Verengung der neuen Magendarmverbindung und Rückkehr der 
früheren Beschwerden. Aber auch die nun ausgeführte Querresektion 
und erneute, diesmal vordere Gastroenterostomie führten nicht zur 
Heilung. Es entwickelte sich am Anastomosenring ein neues grosses 
penetrierendes Ulcus der Magenwand, das trotz zweimaliger aus¬ 
giebiger Resektion recidivierte. Eine Verengung der zweiten Gastro¬ 
enterostomie trat dabei, wie Röntgenbilder zeigten, nicht ein. Muss 
man nicht annehmen, dass diesen hartnäckigen Recidiven eine Dis¬ 
position zugrunde liegt, über deren Elemente wir bisher nur wenig 
wissen? Schwarz 1 ) hat treffend von einer „Magengeschwürs¬ 
krankheit“ gesprochen. Es ist gewiss kein Zufall, dass unter 
meinen Beobachtungen operierter Magenulcera Misserfolge bzw. 
Recidive nur bei Männern vorkamen. Wissen wir doch seit langem 

1) Schwarz, Archiv f. klin. Cliir. 1914. Bd. 104. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


588 K- Liek, 

und durch vielfach bestätigte Erfahrungen, dass gewisse sehr 

hartnäckige Geschwürsformen wie das Ulcus duodeni, das Ulcus 
pepticum jejuni viel häufiger bei Männern als bei Frauen auf- 

treten. 

Worauf diese Disposition zu hartnäckiger und recidivierender 
Geschwürsbildung beruht, ist zurzeit noch nicht bekannt. Bei 

Männern wird der Alkoholismus für das Ausbleiben des Erfolges 
verantwortlich gemacht. Das ist plausibel, wenn auch der Alkohol¬ 
missbrauch gewiss nicht der einzige Grund ist. Meine beiden vorher 
erwähnten eklatanten Misserfolge bei Behandlung caliöser Magen¬ 
geschwüre durch Gastroenterostomie betrafen Männer, die dem 
Alkohol, mehr als ihnen gut tat, zusprachen. Auch in dem an 
erster Stelle beschriebenen Falle von multiplen Magengeschwüren 
(Fall M.) lag begründeter Verdacht auf Alkoholabusus vor, obwohl 
Patient selbst ihn leugnete. 

Die in unserem Fall M. auftretenden postoperativen Geschwüre 
waren keine eigentlichen Ulcera peptica jejuni, sondern Ulcera der 
Magenwand an der Gastroenterostomiestelle. Wilkie hat auf den 
Unterschied dieser beiden Formen hingewiesen. Nach Schwarz 
zeigen ferner gerade die in die Bauchwand perforierten postopera¬ 
tiven Geschwüre eine ausserordentliche Neigung zu Recidiven: „Von 
53 Fällen blieben 13 ungeheilt oder recidivierten immer, trotzdem 
9 mal 2 Laparotomien gemacht wurden, in 4 Fällen 3 mal, in 
1 Falle 4 mal laparotomiert wurde; erlegen sind der Krankheit, 
zum Teil infolge der vielen Laparotomien, 7 Fälle. 

Da in unserem Falle das postoperative peptische Geschwür 
fast ausschliesslich die Magenwand betraf, habe ich mich auf die 
Resektion der erkrankten Stelle beschränkt und die alte Gastro¬ 
enterostomie wieder hergestellt. Vielleicht ist das ein Fehler. 
Schwarz verlangt unter allen Umständen Kassierung der alten 
Gastroenterostomie und Anlegen einer neuen hinteren Gastroentero¬ 
stomie. Er selbst hat bei diesem Vorgehen unter 9 Fällen 8 mal 
Erfolg gehabt, v. Haberer hat durch radikale Resektion und Neu¬ 
anlegen einer Gastroenterostomie (4 mal davon nach Koux) von 
6 Fällen 5 geheilt, 1 gebessert. Andere Autoren wieder, wie z. B. 
Clairmont, haben über weniger gute Resultate, über Recidive 
trotz radikaler Operation berichtet. 

Die Beobachtungszeit — und das gilt auch von vielen Re¬ 
sektionsfällen — ist freilich oft sehr kurz, in den Fällen v. Ha- 
berer’s höchstens 2 Jahre, um schon ein definitives Urteil abgeben 
zu können. Beschrieb doch Kocher 1 ) einen Fall, bei dem noch 

1) Th. Kocher, Mitteil, aus den (irenzgcb. der Medizin und Chirunrie. 
1909. Hd. 20. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen eallosen Magengeschwürs. 589 


9 Jahre nach einer vorderen Gastroenterostomie ein Ulcus pepti- 
cum sich entwickelte. 

Auf Grund einiger weniger Beobachtungen soll man gewiss 
kein abschliessendes Urteil fällen. Aber wenn ich überlege, wie ich 
mich im nächsten ähnlichen Falle von multiplen Magengeschwüren 
verhalten würde, so sehe ich nicht ein, weshalb ich die Gastroentero¬ 
stomie zugunsten der Resektion aufgeben sollte. Meine beiden 
letzten Fälle zeigen doch evident, dass grosse callöse, penetrierende 
Magenulcera, auch wenn sie multipel auftreten, nach einfacher 
Gastroenterostomie heilen können unter völligem Schwinden der 
Tumoren und jeglicher Beschwerden, vorausgesetzt freilich, dass 
eine Stenose des Pvlorus mit vorliegt. 

Die Gefahr der Verwechslung von Ulcus und Carcinom, selbst 
bei geöffnetem Leibe, wird zurzeit sehr verschieden gewertet. 
Während einige Chirurgen eine Fehldiagnose nur ausnahmsweise 
für möglich halten, wird sie von anderen als relativ häufig hin¬ 
gestellt. Zahlen wie die von Payr, der bei 26 pCt. der resezierten 
callösen Geschwüre mikroskopisch Carcinom findet, von Küttner, 
bei dem diese Prozentzahl sogar 43,4 beträgt, werden natürlich 
jedem Chirurgen zu denken geben und ihn veranlassen, das callöse 
Magenulcus beim geringsten Verdacht auf Carcinom zu resezieren. 
Bei multiplen Geschwüren, die hier in Frage kommen, liegt die 
Gefahr einer Verwechslung weniger vor; multiple Carcinome des 
Magens sind nicht häufig. 

Noch ein Gesichtspunkt erscheint mir wichtig. Es liegt der 
Gedanke nahe, dass das Auftreten multipler Geschwüre an sich 
auf eine grössere Disposition, auf eine bestimmte Bösartigkeit der 
Geschwürsbildung hinweist. Das braucht nicht notwendig der Fall 
zu sein. v. Haberer macht darauf aufmerksam, dass die Anamnese 
bei Fällen mit multiplen Geschwüren stets ein jahrelanges Leiden 
aufweist. Wahrscheinlich sind die Geschwüre nicht gleichzeitig ent¬ 
standen, sondern das primäre Geschwür hat allmählich durch An¬ 
regen der Säurebildung, durch Pylorospasmus usw. den Boden vor¬ 
bereitet für die Entwicklung eines zweiten Ulcus. Ist nun eines 
von diesen Geschwüren ein den Pylorus stenosierendes — und nur 
von dieser Form multipler Geschwüre ist hier die Rede —, wes¬ 
halb kann da, sobald eine rationelle Gastroenterostomie die Magen¬ 
stauung beseitigt, durch Alkalisation die Hyperacidität paralysiert, 
die Spasmen aufhebt, mit anderen Worten die Disposition für se¬ 
kundäre Geschwürsbildung wegschafft, weshalb, frage ich, sollte da 
nicht auch das sekundäre Ulcus spontan ausheilen? 

Die hier besprochene Form der multiplen Magengeschwüre: 
ein (stenosierendes) Geschwür am Pylorus, das zweite am Magen- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



590 


E. Liefe, 


Digitized by 


körper, ist relativ häufig. So finde ich unter 32 Fällen der Arbeit 
v. Haberer’s nicht weniger als 15 mal diese Lokalisation. 

Nehmen wir nun unter den Beobachtungen v. Haberer’s B. 
den Fall 39, dessen Präparat v. Haberer auf dem Kongress 1914 
demonstrierte: ein stenosierendes und perforiertes Ulcus des Pylorus; 
ein zweites callöses Ulcus am cardialen Teil der kleinen Kurvatur; 
fast totale Magenresektion, Heilung. Wer sagt uns, dass dies 
zweite Geschwür nicht auch nach einfacher Gastroenterostomie ge¬ 
heilt wäre, wie es in meinen Fällen K. und G. geschah? 

v. Haberer führt freilich 3 Fälle an, in denen diese Heilung 
des zweiten Geschwürs nicht erfolgte. 2 Patienten sind jedoch so 
bald nach der ersten Operation gestorben, dass sie für die hier 
berührte Frage nicht verwendbar sind. 

Fall 5 starb 4 Tage nach der schwierigen Resektion eines perforierten 
Pylorusuleus an Blutungen und Perforation eines übersehenen zweiten Ulcus in 
der Nähe der Cardin. 

Fall 2 (Querrcseklion) wurde bereits nach 14 Tagen relaparotomiert wegen 
intensiver Magenbeschwerden. Es wird ein zweites Ulcus an der kleinen Kur¬ 
vatur gefunden. Erneute Resektion. Tod infolge Deliiscenz der vorderen 
Magen naht. 

Im dritten Falle endlich scheint die Gastroenterostomie nicht 
hinreichend funktioniert zu haben. 

Fall 16. Gastroenterostomie wegen narbiger Pylorusstenose, o Monate 
später ergibt die Röntgendurchleuchtung „eine entschieden schwere Verzögerung 
der Austreibung durch die Gastroenterostomie* 4 . Hei erneuter Laparotomie 
finden sich zwei Geschwüre, an der kleinen Kurvatur und hinteren Magenwand. 
Am 6. Tage stirbt Patient infolge Perforation des letztgenannten Geschwürs. 

Und weiter, der Fall 10 bei v. Haberer, beweist er wirklich 
die Ueberlegenheit einer ausgiebigen Resektion? v. Haberer hat 
hier durch radikale Operation Heilung erzielt, nachdem zwei, von 
einem anderen Chirurgen vorher ausgeführte palliative Operationen 
nur vorübergehenden Erfolg gebracht hatten: 

45jährige Frau, die seit dem 16. Lebensjahre an Ulcusbeschwenlen leidet. 

1. Operation Juni 1905: Hochgradiger Sanduhrmagen mit narbiger Ver¬ 
engerung auch des Pylorus. Hintere Gastroenterostomie am cardialen Magen¬ 
sack. Glatte Heilung: nach Ö Monaten Wiedereinsetzen der Beschwerden, er¬ 
neute Abmagerung. 

2. Operation Mai 1906: Verhältnisse am Magen wie bei der ersten Ope¬ 
ration, nur schien die Pylorusstenose infolge Xarbenbildung noch weiter zuge¬ 
nommen zu haben, und ausserdem fiel eine nicht unbeträchtliche Blähung des 
pylorischen Magensackes auf. die auf eine nachweisbare Verengerung der seiner¬ 
zeit angelegten Gastroenterostomie bezogen werden musste. Pyloroplastik, Gastro- 
plastik im Bendel» der Sanduhrstenose. Die Magenaustastung ergibt kein neues 
Ulcus. Trotzdem wird zwecks vorübergehender Ausschaltung des Magens noch 
eine Jejunostomie hinzugefügt. 

Glatte Heilung. Im Oktober 1906 mit Beginn der oralen Ernährung Rück¬ 
kehr der Schmerzen. Erbrechen. Trotzdem Patientin nunmehr nahezu 4 Jahre 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur operativen Behandlung des multiplen callösen Magengeschwürs. 591 


sich ausscldiesslich durch die Jejunumfistel ernährte, schwanden die Beschwer¬ 
den nie vollkommen. Im Dezember 1910 starke Magenblutung. 

3. Operation 2.1.1911: Sanduhrmagen durch ein grosses Ulcus der 
kleinen Kurvatur bedingt, ausserdem ein zweites, hochgradig stenosierendes 
Ulcus am Pvlorus. Cardialer Magensack sehr klein; Ulcus an der Kurvatur mit 
der Lebeninterfläche verwachsen, Ulcus am Pvlorus ins Pankreas perforiert, 
tiastroenterostomieöffnung völlig verschlossen, ohne dass sich hier eine Härte 
oder eine derbere Narbe findet. Resektion von mehr als - 3 des Magens. Heilung, 
die bis jetzt, 3 3 / 4 Jahre post Operationen!, anhält. 

Ich wiederhole, spricht dieser Fall in der Tat unbedingt gegen 
die Gastroenterostomie und für die Resektion? Ich glaube nicht. 
Mir scheint von vornherein die Entleerung des pylorischen Anteils 
des Sanduhrmagens nicht in ausreichendem Masse gewährleistet 

Fig. 4. Fig. 5. 




worden zu sein. Die Gastroenterostomie entleerte nur den cardialen 
Sack sicher; da die Sanduhrstenose keine vollständige war und 
weiter eine Pylorusstenose bestand, musste notwendig im pylori¬ 
schen Sack eine Verhaltung eintreten. Dass dem so war, ergibt 
der Befund bei der zweiten Operation: „nicht unbeträchtliche 
Blähung des pylorischen Sackes.“ Dass bei der zweiten Laparo¬ 
tomie Plastiken in einem narbig schwer veränderten Gewebe nicht 
dauernd zum Ziel führten, ist auch verständlich. 

Mein eigener, an dritter Stelle mitgeteilter Fall G. hat grösste 
Aehnlichkeit mit dem eben beschriebenen. Auch hier lag eine 
doppelte Stenose vor, am Pylorus und in Form einer Sanduhr¬ 
stenose. Ich habe zunächst beide Magensäcke durch eine breite 
Gastrogastrostomie verbunden und dann im pylorischen Sack die 
hintere Gastroenterostomie hinzugefügt. Den Unterschied gegen das 
Vorgehen im Fall v. Haberer’s erläutern die schematischen 
Skizzen 4 und 5. Ich hatte in meinem Falle die Freude eines 
ausgezeichneten Erfolges, der bis jetzt, 2 1 j 2 Jahre nach der Opera¬ 
tion, andauert. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 


592 


E. Lick, 


Digitized by 


Ob demnach im Falle v. Haberer’s auch die primäre Re¬ 
sektion angebracht gewesen wäre, erscheint mir zweifelhaft. Anders, 
nachdem bereits zwei vergebliche Eingriffe am Magen gemacht 
waren. Hier konnte nur die ausgiebige Resektion klare und aus¬ 
sichtsvolle Verhältnisse schaffen. Und ich bedauere, in meinem 
zuerst erwähnten Falle M. nicht auch nach der ersten, erfolglosen 
Gastroenterostomie, zum mindesten aber nach dem zweiten, gleich¬ 
falls erfolglosen Eingriff so radikal wie v. Haberer vorgegangen 
zu sein, anstatt Zeit und Kräfte an weitere Anastomosen zu ver¬ 
schwenden. 

Mein Vorschlag geht also dahin: bei multiplen Geschwüren am 
Magenkörper primäre Resektion, bei multiplen Geschwüren mit 
Pylorusstenose zunächst hintere Gastroenterostomie mit kürzester 
Schlinge; erst bei Misserfolg dieser Operation bzw. Ulcusrecidiv 
Resektion. 

Ich gebe zu, es sind dies Fragen und Schlüsse, über die man 
streiten kann. Was für die primäre Resektion oder Gastroentero¬ 
stomie in diesen Fällen entscheidend sein wird, ist die Gefahr der 
Operation. Und da ist doch nicht zu übersehen, dass die Mor¬ 
talität der Resektion wesentlich höher ist. Riedel verlor 
von seinen ersten 25 Querresektionen 7 = 28 pCt. Küttner gibt 
noch 1914 für die Resektion 20 pCt. Mortalität an, für die Gastro¬ 
enterostomie dagegen nur 4 pCt. Selbst ein so erfahrener Opera¬ 
teur wie v. Haberer, der an einem ungewöhnlich grossen Material 
schwerer Fälle seine Technik vervollkommnen konnte, hat bei der 
Resektion 9 pCt. Mortalität, bei der Gastroenterostomie etwas über 
3 pCt. Dabei ist freilich nicht zu vergessen, dass v. Haberer 
nur die leichten Fälle, vornehmlich die mit narbiger Pylorusstenose, 
mit Gastroenterostomie behandelt hat. 

Payr hat 465 Fälle von Ulcusresektion aus der Literatur bis 
1910 gesammelt mit 10 pCt. Mortalität; die Sterblichkeit der 
Gastroenterostomie beim Ulcus schätzt er auf 3—6 pCt. Mir er¬ 
scheint die Zahl für die Magenresektion eher zu günstig. Ver¬ 
öffentlicht werden vor allem die Zahlen aus grossen Kliniken, an 
denen unsere Meister der Chirurgie arbeiten. Kleinere Statistiken 
würden, wenn bekannt gegeben, wohl ein ungünstigeres Resultat 
zeigen. 

Wie dem auch sei, die Mortalität der Magenresektion übertrifft 
sicher um das Zwei- bis Dreifache die der Gastroenterostomie. Die 
Gefahr, bei letzterer ein Carcinom zu übersehen, kann nicht als 
gleichwertige Gegenindikation eingeschätzt werden. Bei den Zahlen 
von Payr, Küttner u. a. ist ferner zu bedenken, dass darunter 
doch von vorneherein eine grosse Anzahl verdächtiger Ulcera sind. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Zur operativen Beliamlluni: des multiplen eallosen Ma^eniresehwürs. 593 


Nur die schweren Fälle werden reseziert. Forscht man nach, wie 
viel eigentlich von den wegen Ulcus Gastroenterostomierten später 
an Carcinom erkranken, so ist man erstaunt über die geringe Zahl: 
Gressot 2,3 pCt., Kocher 1,6 pCt., Küttner 1,7 pCt. Entwickelt 
sich wirklich auf dem Boden eines Ulcus so häufig ein Carcinom, 
wie z. B. Wilson (Klinik Mayo) es behauptet (von 153 Magen- 
carcinomen konnte er 109mal, d. i. in 71 pCt., nachweisen, dass sie 
sich auf dem Boden eines Ulcus entwickelt hatten), gut, sagen 
die Anhänger der Gastroenterostomie, so beweisen die oben ge¬ 
nannten kleinen Zahlen, dass die Gastroenterostomie das Ulcus 
heilt und damit den Boden für die Entwicklung eines Carcinoms 
beseitigt. 

Anders wäre es noch, wenn die Resektion des Magencarci- 
noms bessere Resultate ergäbe. Aber wieviel von unseren Ope¬ 
rierten bleiben denn dauernd gesund? Mit 10 pCt. scheint mir 
schon ein gutes Durchschnittsresultat geschätzt zu sein; von nam¬ 
hafter Seite werden viel kleinere Zahlen genannt. 

Die höhere Mortalität der Resektion wird daher nicht durch 
eine höhere Carcinomgefahr bei der Gastroenterostomie aus¬ 
geglichen. Auch die Resektion heilt nicht jeden Fall von 
Magengeschwür. Grössere Statistiken geben etwa 70 pCt. Hei¬ 
lungen an, 10 pCt. Mortalität; der Rest sind Besserungen oder 
Misserfolge. Zahlen, die bis auf die höhere Sterblichkeit ungefähr 
mit den Resultaten der Gastroenterostomie (z. B. bei Kocher) 
übereinstimmen. Freilich ist zu betonen, dass durch Resektion 
durchschnittlich weit schwerere Formen des Magengeschwürs an¬ 
gegriffen werden, als es bei den durch Gastroenterostomie Be¬ 
handelten der Fall ist. 

Der nicht unbedingt sichere Erfolg der Resektion und die 
sicher grössere Gefahr des Eingriffs — ich übersehe nicht, dass 
Ulcuskranke auch grosse, langdauernde Operationen oft überraschend 
gut vertragen, -weit besser als Carcinomkranke — werden es vor¬ 
sichtigen Chirurgen noch auf lange Zeit schwer machen, die Gastro¬ 
enterostomie in jedem Falle von Magengeschwür, wie v. Haberer 
es fordert, zugunsten der Resektion aufzugeben. 

Ein vermittelnder Standpunkt zwischen den Verfechtern radi¬ 
kaler Methoden und den der Gastroenterostomie Treugebliebenen 
käme in folgenden Schlusssätzen zum Ausdruck: 

1. Callöse Geschwüre des Magens sind bei pylorus- 
fernem Sitz und bei geringstem Verdacht carcinoma- 
töser Entartung zu resezieren. 

2. Bei stenosierenden Geschwüren des Pylorus ist auch 
bei Vorhandensein eines zweiten Geschwürs des 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


594 K. Liek, Operative Behandlung des multiplen callüsen Magengeschwürs. 

Magenkörpers zunächst die hintere Gastroentero¬ 
stomie mit kürzester Schlinge auszuführen. 

3. Bewirkt das zweite Geschwür eine Sanduhrstenose, 
so ist die Gastrogastrostomie zwischen den beiden 
Magensäcken plus hinterer Gastroenterostomie am 
pylorischen Sack indiziert. 

4. Wenn die unter 2 und 3 genannten Operationen nicht 
zum Ziel führen, wird unter Verzicht auf weitere 
palliative Methoden der ganz.e erkrankte Magen¬ 
abschnitt reseziert. 


Druckfehlerberichtigung. 

In meiner Arbeit „Ucber Bauchschüsse, insbesondere über Schuss¬ 
verletzungen der Leber“ im vorliegenden Bande dieses Archivs S. 527, 
Zeile 16 muss es heissen: von unseren 27 Leberschüssen starben 9 — 33 1 3 pC’t. 

Dr. E. Liek. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



XXIII. 


(Aus der chirurg. Abteilung des städt. Krankenhauses St. Georg in 
Leipzig und dem Reservelazarett II, 1. Abteilung b.) 

Leitungsanästhesie am Oberschenkel durch 
Infiltration des incarcerierten Querschnitts. 

Von 

Dr. R. Sievers, 

Kriegs/, leitendem Arzt der Abteilung und ordinierendem Arzt tim Kcservelnzarett II. 1 b. 

(Mit 2 Textfiguren.) 


Das in etwa 20 Fällen von Zivil- und Militärkranken erprobte 
Verfahren besteht kurz in folgendem: um den Oberschenkel werden 
in mittlerer Höhe zwei breite feste Gummibinden zur Unterbrechung 
des Kreislaufs so umgewickelt, dass ein 2—3 cm breiter ring¬ 
förmiger Streifen zwischen ihnen frei bleibt. Von ihm aus wird 
der Oberschenkelquerschnitt mit einer Novocain-Suprareninlösung 
niedriger Konzentration (1— 1 / 2 proz.) infiltriert. Dadurch erzielt 
man in 20—30 Minuten vollständige Anästhesie in dem abwärts 
von dem Injektionsring gelegenen Extreraitätenabschnitt, die so lange 
anhält, wie die Unterbrechung des Kreislaufs unterhalb der Injek¬ 
tionsstelle belassen wird. Wie die nachher kurz wiedergegebenen 
Protokolle zeigen sollen, lassen sich auf diese Weise alle Weich¬ 
teil- und Knochenoperationen am Rein auch von längerer Dauer bis 
über anderthalb Stunden ausführen. 

„Jede Infiltration einer Gewebsschicht, die Leitungsbahnen ent¬ 
hält, bewirkt nicht nur Infiltrationsanästhesie im infiltrierten Gebiet, 
sondern auch Leitungsanästhesie im Verbreitungsbezirk der be¬ 
treffenden Nerven“ sagt Braun in seinem Lehrbuch (1), muss 
aber an anderer Stelle einschränkend ausführen, dass die Gesetze 
der Hautinfiltration sich nicht ohne weiteres auf alle anderen Ge- 
websarten übertragen lassen, da die injizierte Flüssigkeit stets der 
Richtung des geringsten Widerstandes folgt, und so zwar die Ge- 
websspalten füllt, aber nicht in die Nerven und Gefässe umhül¬ 
lenden straffen Bindegewebszüge eindringt, ebensowenig wie in die 
die Fascie bedeckenden Bindegewebslagen. Die Muskeln zeigen 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



596 


R. Sievers, 


Digitized by 


dasselbe Verhalten wie das Unterhautzellgewebe, so dass eine 
gleichmässige Durchtränkung eines Muskelquerschnitts mit Flüssig¬ 
keit nicht möglich ist: „die Flüssigkeit verbreitet sich zwischen 
den Fibrillen, dringt aber in die dickeren Nerven und Gefässe 
führenden Bindegewebssepten gar nicht ein“. So haben sich die 
perineuralen Methoden der. Leitungsanästhesie entwickelt, bei 
denen besondere Depots der Anästhetica um die Hauptstämme der 
Nerven angelegt werden und durch gleichzeitige Verwendung höherer, 
bis 4proz. Konzentrationen das Mittel gezwungen wird, in die Binde- 
gewebsscheiden der Nervenstämme zu diffundieren. Andererseits 
musste von vornherein jeder Versuch, Leitungsanästhesie durch 
einfache Infiltration des Extremitätenquerschnitts zu 
erreichen, wenig Aussicht auf Erfolg haben, wenn man nicht mit 
ganz besonders hochkonzentrierten Lösungen arbeiten wollte, die 
noch dazu in grossen Quanten eingespritzt werden müssten. Und 
doch hat vielleicht manchen anderen Chirurgen wie mich der 
Wunsch beseelt, an Stelle der mühsamen und nur bei feinst ge¬ 
schulter Technik zuverlässigen perineuralen Methoden es mit der 
technisch natürlich viel einfacheren queren Infiltration zu ver¬ 
suchen. 

Noch in den Kinderjahren der Leitungsanästhesie — d. h. vor 
Einführung der Nebennierenpräparate durch Braun — hat sich 
Hölscher (7) um das Problem der Querschnitts-Leitungsanästhesie 
bemüht: unter Zuhilfenahme der Esraarch'sehen Blutleere infil¬ 
trierte er handbreit oberhalb des Kniegelenks den Oberschenkel¬ 
querschnitt mit 50 ccm einer 0,2proz. Eucainlösung, erreichte aber 
nach 47 Minuten nur eine unvollkommene Schmerzlosigkeit. Seit 
diesem Misserfolge sind keine weiteren Versuche mit der Methode 
bekannt geworden. Erst in neuester Zeit hat Hohmeier die Frage 
wieder aufgegriffen, unserer Ansicht nach aber nicht gelöst. Das 
„Umspritzuugsverfahren“ Hohmeier’s stellt nach seinen ersten 
Mitteilungen (5) eine Kombination aus perineuralen Injektionen, 
Infiltration des Extremitätenquerschnitts und örtlichen Infiltrationen 
des Hautschnitts und des Periosts der beteiligten Knochen vor. 
Diese Vielseitigkeit seiner Injektionstechnik lässt schon durch- 
blicken, dass er auf die Querschnittsinfiltration keinen grossen Wert 
legt. Dass er ihrer Wirksamkeit jedenfalls nur eine sekundäre, 
ergänzende Bedeutung beimisst, geht aus den Mitteilungen des 
Autors auf dem Chirurgenkongress 1914 (6) hervor, wonach er für 
die perineuralen Injektionen jetzt 1 proz., d. h. höherkonzentrierte 
Lösungen verwendet. Der ausschlaggebende Faktor bleiben also 
auch bei seiner Anästhesie die perineuralen Injektionen, und man 
vermag nunmehr überhaupt keinen grundsätzlichen Fortschritt in 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



F*eiiiimrsaniisih«_*sie am ObeiM-ln'iikel usw. 


597 


seinem Verfahren mehr zu erkennen gegenüber dem bewährten 
Läwen’schen (9, 11). Denn den Umstand, dass Hohmeier sich 
gezwungen sieht, die perineuralen Injektionen in die Nähe des 
Operationsgebietes zu verlegen, um ihre Wirkung zu verstärken 
und zu beschleunigen, möchten wir eher als einen Nachteil aus¬ 
legen, da eine Einengung des Operationsgebietes stets hinderlich 
ist. Auf keinen Fall aber hat Hohmeier eine Vereinfachung der 
Technik oder eine nennenswerte Verminderung der Injektionsdosis 
erreicht, auch können wir kaum annehmen, dass die Belästigung 
der Kranken durch die vielfältigen Einstiche eine geringe ist. 

Die Misserfolge der beiden Autoren mit der queren Leitungs¬ 
anästhesie beruhen — das ergibt sich klar aus dem eingangs Aus¬ 
geführten — auf der unbehinderten Ausbreitung des Anästhetikums 
in den grossen Weichteillagern des Oberschenkels, die ein genü¬ 
gendes Durchdringen der dicken Nervenstämme mit ihren kräftigen 
Scheiden nicht ermöglicht. 

Wir haben uns nun bemüht, die Diffusion bis auf ein Mini¬ 
mum einzuschränken durch Abschliessung des zu infiltrierenden 
Gewebsquerschnitts mittels zweier Gummibinden, durch „Incarce- 
ration ul ). So entstand das in seinen Grundzügen bereits kurz 
skizzierte Verfahren. 

Ich unterlasse es, auf die einzelnen Entwickelungsphasen 
meiner Methode im Zusammenhang näher einzugehen, da es sich 
nur um Vereinfachungen und Vervollkommnungen der Technik 
handelte, die besonders auf eine Ausschaltung aller Belästigungen 
des Kranken hinzielten, während das Grundprinzip der Erzeugung 
einer Druckdifferenz im Gewebe zur Arretierung der anästhe¬ 
sierenden Lösung das gleiche blieb. Das für Nachprüfungen 
Wissenswerte mag aus den folgenden Protokollen entnommen 
werden: 

1. K. St., *25jähriger Unteroffizier d. Res. 

() [»erat i o n: Narbenexeision. Auskratzung. Knoohenanfri schling, Lappen- 
jilastik am Untcrsohenkelamputationsstumpf. 

Technik der Anästhesie: Expulsionsbindc bis handbreit über das Knie¬ 
gelenk, :2 Querfingerbreit' über ihrem oberen Kami Es m are li -Schlauch. Zwischen 
beiden quellen die Weichteile stark heraus und zeigen eine sulche Stauung, 
dass die Injektion nicht riskiert wird. Deshalb Neuanlegung des Schlauches 
dicht an den oberen Kand der unteren Binde, deren oberer Hand abwärts ge¬ 
klappt wird. In den dabei frei werdenden, etwa o cm breiten King wird von 
S Quaddeln aus mit langer Kanüle radiär auf den Knochen rund um den Ober- 
sohen k e lq uerseh ni tt 1 proz. Novocain-,Suprareninlösung ohne Rücksicht auf 
die Lage der Ilauptnervenstämme injiziert (10 Uhr 58 Min.). 

1) Die r Inoarccration" Oorning's (4) zielt nur auf eine Kreislaufsuiitor- 
hrecliung ab. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4. 40 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



598 


R. Sic vors, 


Digitized by 


Verlauf der Anästhesie: 11 Ihr 10 Min. bis auf einen umschriebenen 
Bezirk vorn innen vollkommene Analgesie gegen Nadelstich. 11 l’hr 1 3 Min. 
Abnahme der unteren Binde und gleich darauf des Schlauches: das Einströmen 
des Blutes in den Stumpf wird nicht gefühlt, ebensowenig die Kälte der Aether- 
wasrhung. Die Analgesie hat noch zugenommen. 11 Uhr 20 Min. bis 11 Uhr 40 Min. 
Operation: bis auf die genannte Stelle, die noch einer besonderen Infiltration 
bedarf, besieht vollkommene Analgesie. 

Beurteilung: Der Fall ermutigte zu weiteren Versuchen, da über die 
Ausführung der Anästhesie keinerlei Klagen geäussert wurden und das Resultat 
ein fast vollkommenes war. Der kleine Fehler liess sich wohl mit einer nicht 
genügenden Uleiehmässigkeit der Injektion oder auch mit der fehlenden sub¬ 
kutanen Einspritzung erklären. 

2. W. L.. 17jähriger Handlungsgehilfe. 

Operation: Blutige Reposition eines 2 Wochen alten supramallculümt 
Bruches. 

Technik: Expulsionsbinde bis zur Mitte des Unterschenkels, ober¬ 
halb anschliessend zweite (iummibinde, Umkrempolung der beiden einander zu¬ 
gekehrten Ränder zur Bildung des Injektionsringes. Von 10 Quaddeln aus tiefe 
radiäre Injektion von 75 ccm 1 proz. Lösung und subkutane Injektion von einigen 
Kubikzentimetern l / 2 proz. Lösung. 

Verlauf: Nach 10 Minuten Abnahme der Expulsionsbinde, nach 20 Minuten 
unter Belassung der oberen Esmarch-Binde Ausführung der Operation, die ohne 
jede Klage vor sieh geht. 

,‘L ,). M., 23jähriger Soldat. 

Operation: Reamputation aller Zehen wegen Frostgangrän. Plastische 
Deckung mit der vorhandenen Zehen haut. 

Technik wie in Fall 2: Injektion handbreit über dem Fusse. 

Verlauf: 11 Uhr 25 Min. Injektion beendet, 11 Uhr 40 Min. Abnahme der 
peripheren Binde. Operation 11 Uhr 50 Min. bis 12 Uhr 15 Min. vollkommen 
schmerzlos. 

4. F. E.. 2(>jähriger Reservist. 

Operation: Splitterextraktion am unteren Oberschenkel naeh Sehrap- 
nel Ist eckseh uss, Resektion periost bischer Osteophyten. 

Technik wie in Fall 2; die vielfältigen Hinstichstellen werden von dem 
allerdings recht ängstlichen Verwundeten lästig empfunden. 

Verlauf: Operation 12 Uhr 50 Min. bis 1 Uhr 15 Min. ganz schmerzfrei. 

1 Uhr 20 Min. ergibt eine Nadeluntersuchung, dass am äusseren Knöchel wieder 
Empfindung zurück kehrt. 

5. K. K.. 22jähriger Reservist. 

Operation: Resektion, Reposition und Drain naht der Fibula nach Zer- 
triimmerungsschuss des Unterschenkels mit Defekt der Tibia. 

Technik: Behandlung der Binden wie bei Fall 2; die subkutane In¬ 
jektion von 15 ccm 1 ■» proz. Lösung wird der tiefen von 50 ccm 1 pro/.. 
Lösung vorausgeschickt und die Zahl der Injektionsstellen vermindert (Oher- 
s c h eil k e I). 

Verlauf: 10 Uhr 37 Min. Abnahme der unteren Binde. Nadelstiche am 
Kuss werden teilweise noch als Schmerz empfunden. 10 Uhr 45 Min. Operation, 
die völlig schmerzlos verläuft. Zuletzt wird zunehmend über die Es march- 
sehe Konstriktion geklagt, so dass die Faseien- und Hautnähte in Sch lei eh- 
Rauschmirkusc ausgefiihrt werden müssen. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Lcitungsanästhesic am Oberschenkel usw. 


599 


6. K. Scli.. 57jälirii^or Dümgerhändler. 

Operation: Doppelte Pseudarthrose der Tibia; Mobilisierung der stark 
dislozierten Fragmente, schräge. Anfrischung und Drahtnalit. 

T e e h n i k wie in Fall 5 (< > I) e r s r h e n k e 1). 

Verlauf: Völlig schmerzlos, über den Ksmareh-Schlauch wird nicht ge¬ 
klagt. Nach Abnahme der Binde kehrt die Sensibilität schnell wieder. 

7. O. B., 5öjähriger Presser. 

Operation: Knochenplastik bei stark dislozierter frischer Fraktur des 
ersten Metatarsus: Reposition und Verkeilung zweier xöllig losgelöster Diaphysen- 
stiieke zwischen Basis und Köpfchen. 

Technik wie in Fall 5: 15 ccm 1 pro/.. Lösung subkutan, 45 ccm 1 proz. 
Lösung in die Mitte des l'nterschenkels. 

Verlauf: 10 I hr 41 Min. Anlegung der Binden, 10 Flir 49 Min. Injektion 
beendet, 11 Uhr Abnahme der distalen Binde, 11 Uhr 10 Min. bis 11 Uhr 45 Min. 
Operation ohne irgend welche spontane Schmerzäusserung des Kranken. Zum 
Schluss gibt er auf Befragen an, dass er an der Stelle des Schlauches Druek- 
gcfiihl habe, „als wenn das Bein eingeschlafen wäre". 

Beurteilung: Der schmerzlose Verlauf ist in diesem Falle von beson¬ 
derem Wert für die Beurteilung, weil der Kranke durch lebhafte Abwehr bei 
den ersten Nadelstichen seine nicht geringe Fmpfindlichkcit demonstrierte. 

S. A. P., 2(>jähriger Reservist. 

Operation: Reamputation des Oberschenkels: Xarbenexeision und Resek¬ 
tion eines grossen Osteophvten, der die nach 0 rittUscher Operation seitlich 
luxierte Patella enthält, wie die Untersuchung des Präparats festst<*l 11. 

T e c h n i k wie in Fal 1 5 (0 b e rsc h e n k e l). 

Verlauf: Fast völliges Versagen der Analgesie. 

Beurteilung: Kine Erklärung des Misserfolgs liess sieh nicht gehen. Fs 
handelte sieh allerdings um einen jener übertrieben empfindlichen, ängstlichen 
Menschen, die man am besten von vornherein von jeder Lokalanästhesie aus¬ 
schalten soll, zumal sie in ihrer Angst vor jedem noch so unbedeutendem Ein¬ 
griff auf Zureden und Erklärungen nicht hören und über ihre Empfindungen 
sich und dem Arzte keine zuverlässige Rechenschaft zu geben vermögen. 

9. 0. Z.. 2Sjähriger Ersatzreservist. 

Operation: Ausräumung einer Knoehcntriimmerhöhle zwischen erstem 
und zweitem Metatarsus. 

T e c h n i k wie in Fal 1 5: Mitte des U n t e rs c h e n k e I s 15 ccm '/ 2 proz. 
Lösung subkutan, 55 ecm 1 proz. Lösung in die Tiefe. 

Verlauf: Schluss der Injektion 12 Uhr S Min., Operation 12 Uhr 2(> Min. 
bis 12 Uhr 40 Min. vollständig schmerzlos. Nach Abnahme der Binde wird das 
ZurückstTomen des Blutes nicht wahrgenommen. Binnen kurzem ist aber an 
der Innenseite des Busses wieder (icfiihlsverrnügen vorhanden. 

10. K. S ch.. 57jähriger Düngerhändler. 

Operation: Knochennaht bei Pseudarthrose der Tibia (vgl. Fall 0). 

Technik wie in Fall 5. Oberschenkel: von 4 (Quaddeln subkutan 
15 ccm 1 2 proz. Lösung, von S Einstichen aus die tiefe Injektion mit 1 proz. 
Lösung. 

Verlauf: Abnahme der unteren Binde nach 10 Minuten, wegen starker 
Uvanose Neuanlegung eines Schlauches an Stelle der proximalen Binde. Während 
der 1 ,; 2 Stunden dauernden schwierigen Mobilisierung, Formung der Bruehenden 
und Naht , die mit sehr gewaltsamen Hebelungen einhergelit, wird keinmal der 
geringste Schmerz geäussert. 

40 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY 0F IOWA 



R. Sievers. 


Digitized by 


«00 


11 . K. V., 22 jähriger Reservist. 

Operation: Amputalio diiriti I — V pedis sin. 

Technik wie in Fall 5. Unterschenkel: 15 ccm 1 2 pro/.. Lösung sub¬ 
kutan, 50 ccm 1 proz. Lösung in die Tiefe von S Quaddeln aus. 

Verlauf: 9 Uhr 8 .Min. Fertigstellung der Injektion, 9 Uhr 20 Min. Ab¬ 
nahme der distalen Binde, Operation 9 Uhr 30 Min. bis 9 Uhr 45 Min. ohne die 
geringsten störenden Kmpfindumren. Nach Abnahme der proximalen Binde kehrt 
9 Uhr 55 Min. bereits Sensibilität zurück. 

12 . M. 24jähriger Gefreiter. 

Operation: Ausräumung eines grossen Aneurysma der Art. puplitea. das 
weit in die Muskulatur des Oberschenkels hinaufreicht (Infantcriedurchsehu.ss 
des Oberschenkels). 

Technik wie in Fall 5. Oberschenkel: subkutan 20 ccm l ‘-> proz. 
Lösung, tief 35 ccm 1 proz. Lösung. 

Verlauf: Injektion fertig 10 Uhr 30 Min., Abnahme der Expulsionsbinde, 
die schmerzlos über das Aneurysma gewickelt werden konnte, 10 Uhr 40 Min.: 
Umwandlung der proximalen Binde in einen Es m areh'sehen Schlauch wegen 
Stauung. 10 Uhr 50 Min. Operation, diese dauert 1 * 2 Stunden und verläuft ohne 
die geringsten Schmerzen. Nur über die für die Operation notwendige Bauch¬ 
lage wird gelegentlich geklagt. 

13 . O. K., 25jähriger Vizefeldwebel. 

Operation: Arthrotomie des Fussgelenks mit äusserer Aufklappung und 
Resektion des äusseren Knöchels wegen Infektion des Oelenks bei jauchigem 
U n t e r sc 1 1 e n k e 1 s eh us s b r u c h. 

Technik: Expulsionsbinde fällt wegen der Infektion weg. Umlegung von 
zwei Gummibinden am O be rs c h e n k e I. Umklappcn der einander zugekehrten 
Bänder. Das Bein bleibt bei der Umlegung und weiteren Injektion ruhig auf 
der Unterlage liegen. Subkutane und tiefe Injektion mit 'A proz. Lösung nur von 
vorderen und seitlichen Einstichen und Quaddeln aus. 10 Minuten nach Fertig¬ 
stellung der Injektion wird die proximale Binde zur Stauungsbinde gelockert. 

Verlauf: Die l / 4 Stunde danach begonnene Operation verläuft vollkommen 
schmerzlos. 

Beurteilung: Auf den von Braun stammenden Kunstgriff der Umwand¬ 
lung der Es mar eh sehen Konstriktion in eine Stauungsbinde oberhalb der In¬ 
jektion kommen wir weiter unten nochmal zurück. Er dient zur Minderung der 
durch die Konstriktion verursachten Schmerzen. Auch in der Richtung wurde 
in diesem Falle besonders schonend vorgegangen, als man das sehr empfindliche 
Bein während der ganzen Anästhesierungsmassnahmen auf der Unterlage liegen 
liess. Es wurde das dadurch ermöglicht, dass die Injektionen nur von vorn und 
beiden Seiten von je zwei Quaddeln her vorgenommen wurden. Dass der sehr 
schwache und von woehenlangen heftigen Schmerzen geplagte Mann die Opera¬ 
tion ohne Klagen ertrug, beweist die Güte der Analgesie. 

14 . O. K., 25jähriger Vizefeldwebel. 

Operation: Amputatio eruris bei Fall 13 in mittlerer Höhe an der Bruch¬ 
stelle mit Bildung eines hinteren Lappens. 

Technik wie in Fall 13. Wegen der gesteigerten Empfindlichkeit de> 
Kranken wird die Anlegung der Binden in kurzem Rausch mit Seh 1 eich‘schein 
Siedegemisch ausgeliihrt. 8 Uhr 22 Min. am Oberschenkel von (i Funkten aus 
t>() ccm 1 /•> proz. Xovocain-Suprareninlösung subkutan und in die Tiefe. 

Verlauf: S Uhr 42 Min. kann mit der Amputation begonnen werden, die 
zunächst ohne eigentliche Schmerzäusserungen verläuft. Dann aber wird der 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Leitungsanästhesie am Oberschenkel usw. 


601 


Krankt* derartig aufgeregt, dass nochmals Rauschnarkose gereicht werden muss. 
Ob wirklich durch Mangelhaftigkeit der Anästhesie oder nur durch die aufs 
höchste cesteiferte Aengstlichkeit des Kranken das Versagen in diesem Falle 
bedingt ist, lässt sich nicht entscheid«*!). Fs waren jedenfalls nur kleinste Dosen 
des Sch 1 eich'schon Siedeireniisches (3 mal 5 ccm) notwendig, um den Kranken 
vollkommen ruhig /u halten. 

15. (r. II., 40jähriger Bodenarbeit er. 

Operation: Fxstirpatiim eines kinderfaustgrossen verkalkten Hygroms der 
Rursa poplitea der rechten Kniekehle. 

Technik wie in Fall 13. Oberschenkel. 

Verlauf: Die 55 Minuten dauernde Operation ist schmerzlos. 

16. M. F., IS jähriger Arbeiter. 

Operation: Wundversorgung mit Resektionen nach Abquetschung der 
rechten Hand im Bereiche des Metaearpus. 

Technik wie in Fall 5. Vorderarm: 60 ccm tVproz. Lösung. 

Verlauf: 11 Uhr 2S Min. Beendigung der Injektion, 11 Uhr 40 Min. Ab¬ 
nahme der peripheren Binde und Beginn der Operation, die bis 11 Uhr 55 Min. 
dauert und vollständig schmerzlos verläuft. Das Anlegen von Uefässklemmen 
nach Abnahme der Fs m areh'sehen Binde wird bemerkt, aber nicht, als Schmerz 
empfunden. 

17. 0. S., 31 jähriger Dachdecker. 

Operation: Mobilisierung, Drahtnaht und Deckung mit gestieltem Periost- 
knochenlappen hei Pseudarthrosis tibiae. 

Technik wie in Fall 13. Oberschenkel: 10 Uhr 20 Min. Anlegung der 
Fxpulsionsbinde bis über das Kniegelenk und unter Ueberspringung einer Tour 
Weiterwickeln de.selben Binde zur Bildung des Tncarcerationsrings, wobei die 
Binde an der Hinterseite weitergeführt wird, wo nicht injiziert zu werden braucht. 

10 Uhr 24 Min. bis 10 Uhr 30 Min. Injektion von G Quaddeln aus. 10 Uhr 30 Min. 
Abwickeln der distalen Binde vom Fusse aufwärts und statt ihrer Umlegung 
einer neuen dicht unterhalb des Injektionsringes. Ersatz der proximalen Blut¬ 
leerebinde durch eine Staunngsbindc. 

Verlauf: Operation von 11 — 12 Uhr schmerzlos. Nach Anlegung eines 
aseptischen Kompressionsverbandes Abnahme der beiden Binden; zirkulärer 
(iips\ erband. 

18. A. K., 31 jähriger Besen ist. 

Operation: Mobilisierung und Verkeilung einer im Fxtensionstyp dis¬ 
lozierten Fractura femoris supracondylica. 

Technik wie in Fall 13 (17). Oberschenkel. 

Verlauf: Injektion 10 Uhr 35 Min. bis 10 Uhr 42 Min., Abnahme der 
distalen und Umwandlung der proximalen Binde 10 Uhr 52 Min., Operation von 

11 Uhr 10 Min. bis 12 Uhr 20 Min. schmerzlos. Aseptischer Kompressionsverband, 
Abnahme der Binden, Oipsverband. 

In den 18 Fällen hat unsere Anästhesie 15 mal vollen Erfolg 
gehabt. In Fall 1 war die Technik erklärlicherweise noch nicht 
zuverlässig und daher ein kleiner Bezirk empfindlich geblieben, in 
den beiden anderen Fällen 8 und 14 ist das Ausbleiben der Wir¬ 
kung vielleicht dem Umstand zuzuschreiben, dass sich die Kranken 
nicht zur Vornahme von örtlichen Anästhesierungsmethoden eigneten. 
Jedenfalls muss ich auf Grund der übrigen Erfahrungen mich zu 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



602 


K. Sievors. 


Digitized by 


der Versicherung berechtigt halten, dass bei genauer Einhaltung 
der einfachen Vorschriften ein Versagen der Anästhesie nicht zu 
erwarten ist. 

Bestimmt ist die Methode in erster Linie zur Anwendung am 
Oberschenkel, und zwar ganz besonders da, wo eine möglichst 
hohe Anästhesie erwünscht ist, wie z. B. in Fall 12, wo das weit 
in den Hunter’schen Kanal hinaufreichende Aneurysma der Femo¬ 
ralis (Poplitea) eine Ausdehnung des Operationsgebietes bis nahe 
an die Mitte der Oberschenkelhöhe erforderte. Sehr zweckmässig 
hat sich die Anästhesie ferner bei allen Operationen in der Nähe 
des Kniegelenks erwiesen. Indes haben wir uns nicht auf diese 
Begrenzung beschränkt, da es uns daran lag, ein möglichst viel¬ 
seitiges, in stets gleicher Weise ausführbares Verfahren zu er¬ 
halten. Es ist wohl kaum zu bemerken, dass wir es bei kleineren 
Operationen an Fuss und Hand prinzipiell nicht verwenden würden, 
da wir hier ja einfachere örtliche Methoden besitzen. Indes möchten 
wir doch auf solche Fälle verweisen, wo phlegmonöse Prozesse die 
örtlichen Leitungsanästhesien verbieten, wie in Fall 14, wo eine 
jauchige Unterschenkelschussfraktur mit ausgedehnten phlegmonösen 
Prozessen und „Röhrenabscesscn“ (Payr) vorlag, die zu einer Ver¬ 
eiterung des Sprunggelenks geführt hatte. Schliesslich ist gegen¬ 
über der perineuralen Leitungsanästhesie am Oberschenkel der 
Vorteil zu betonen, dass die Extremität bei unserer Methode ruhig 
in ihrer Lage bleiben kann, nur zur Anlegung der Binden etwas von 
der Unterlage erhoben zu werden braucht, dass also die manchmal 
lästige und die Anästhesie verbietende Bauchlage nicht erforderlich 
wird, da ja die Aufsuchung des Ischiadicus in Wegfall kommt. 

Bezüglich der Auswahl der Operationen zur Querschnitts¬ 
leitungsanästhesie haben wir uns keinerlei Beschränkungen auf¬ 
erlegen müssen, da ja eine vollständige Analgesie der ganzen, 
abwärts von der Injektionsstelle gelegenen Extremität erreicht 
wird, deren Dauer nur von derjenigen der Incarceration abhängt. 
So findet man in der Zusammenstellung zwei Eingriffe von andert¬ 
halb Stunden Dauer. In dieser Beziehung hat man bei unserer 
Anästhesie fast grössere Ruhe, als bei der perineuralen Methode, 
die manchmal bei unerwartet langer Dauer der Operation zuletzt 
nachlässt, so dass die Hautnaht zum Beispiel schmerzhaft wird. 

Die absolute Zuverlässigkeit des Eintritts und der 
Dauer der Anästhesie ist also eine wertvolle Eigenschaft 
unseres Verfahrens, die in ihrem Wesen begründet liegt: bei rich¬ 
tiger Legung der beiden schnürenden Binden ist das injizierte An- 
ästhetikum gezwungen, seinen Weg zu den grossen Nervenstämmen 
des betreffenden Querschnitts zu nehmen, da es nicht nach oben 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



LeituriLTsaniisthesio am Oberschenkel usw. 603 

und unten ausweichen kann und die Aufhebung des Kreislaufs 
andererseits jede Resorption hindert. Der Eintritt der Analgesie 
ist dann nur eine Frage der Zeit und des injizierten Giftquantums, 
nicht der Technik der Injektion, bei der man nicht einmal beson¬ 
ders sorgfältig auf eine möglichst gleichmässige Verteilung zu 
achten hat, jedenfalls sich nicht an die anatomische Lage der 
Nerven zu halten braucht. Sie müssen zwangsmässig durch den 
DifTusionsstrom im Incarcerationsbezirk erreicht werden. 

Aus demselben Grunde spielt auch die Konzentration der 
Lösung keine ausschlaggebende Rolle, wie bei der perineuralen 
Injektion, da wir ja wissen, dass für die Leitungsunterbrechung 
eines Nerven sehr schwache Lösungen genügen, vorausgesetzt 
immer, dass sie wirklich in den Nerven gelangen. Indes wird 
natürlich auch bei der Injektion unter Druckdifferenz das Gift¬ 
gefälle ein um so grösseres sein und damit die Wirkung um so 
schneller eintreten, je höher die Konzentration ist. Auch muss die 
Konzentration in der Hinsicht eine massgebende Rolle spielen, als 
die Menge des im Nervenquerschnitt verankerten Giftes von ihr 
direkt abhängt und damit wahrscheinlich die Dauer der Analgesie 
nach Abnahme der Schnürung. 

Betreffs der ersten Frage, der Schnelligkeit des Eintretens der 
Anästhesie haben wir nun auch die Erfahrung gemacht, dass die 
Wartezeit nach abgeschlossener Injektion bei Benützung halb¬ 
prozentiger Lösungen durchschnittlich etwa 1 J. 3 länger ist als bei 
einprozentigen Injektionen. Im ersteren Falle haben wir bis zu 
einer halben Stunde warten müssen, mit der einprozentigen nur 
20 Minuten. Wenn also aus diesem Grunde auch die Verwendung 
der höheren Konzentration von Vorteil ist, so haben wir uns einst¬ 
weilen doch bemüht, mit den halbprozentigen Lösungen auszu¬ 
kommen, weil uns daran lag, mit möglichst geringen Gift¬ 
mengen grosse Wirkungen zu erzielen und weil es uns ferner 
um eine einwandsfreie Beweisführung zu tun war für die Hypothese 
der Beeinflussung der Diffusion durch künstliche Druck¬ 
differenz im Gewebe. 

Hinsichtlich der festeren und dauerhafteren Verankerung des 
Novocains im Nerven durch Benützung stärkerer Konzentrationen 
vermögen wir noch keine zuverlässigen Angaben zu machen, sind 
aber damit beschäftigt, diese Frage zu studieren. Bisher haben wir 
nur beobachten können, dass meist nach Abnahme der Binden die 
Sensibilität am peripheren Ende ziemlich schnell zurückkehrt, dass 
nach längerer Dauer der Operation sogar das Gefühl für das Zu¬ 
rückströmen des Blutes im Moment der Lösung der Esmarch’schen 
Blutleere vorhanden war. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



604 


|{. Sirvers, 


Digitized by 


Vor der Kenntnis der Nebennierenpräparate war es eine be¬ 
kannte Tatsache, dass die unter Blutleere ausgeführte Anästhesie 
meist in kurzer Zeit — die Angaben schwanken zwischen 5 und 
15 Minuten und „manchmal auch viel länger“ (Braun) — nach 
Abnahme der Konstriktion aufhörte. Wir haben aber unsere An¬ 
ästhesien trotz der Anwendung der Konstriktion stets mit Zusatz 
von Suprarenin ausgeführt, so dass die obige Beobachtung ent¬ 
schieden etwas Ueberraschendcs hat, das wir uns bisher nicht haben 
erklären können, l'eber eine Beeinträchtigung der Wirksamkeit der 
Nebennierenpräparate durch die Esmarch’sche Blutleere war bisher 
nichts bekannt. 

Es ergeben sich also auch in dieser Richtung neue Frage¬ 
stellungen, an deren experimentelle Lösung wir bereits herangetreten 
sind. Mag aber die Antwort ausfallen wie sie will, so glauben wir 
doch mit Sicherheit annehmen zu dürfen, dass die Nachhaltigkeit 
der Anästhesie durch Verwendung höherer Konzentrationen gesteigert 
werden kann, so dass man auch aus diesem Grunde schliesslich 
wohl wieder auf die cinprozentigen Lösungen hinauskommen wird. 
Trotzdem werden bei unserer Methode immer noch recht kleine 
absolute Giftmengen erforderlich sein: für die subkutane Injektion 
genügen stets 15—20 ccm 1 j 2 proz. Lösung, d. h. in maximo 0,1 g 
Novocain, für die tiefen radiären Injektionen verwandten wir 35 
bis 50 ccm, was bei 1 / 2 proz. höchstens 0,25 g, bei 1 proz. Lösung 
0,5 g ergeben würde. Die Gesamtmenge beträgt also selbst bei 
Benutzung der höheren Konzentration für die tiefen Injektionen nur 
0,6 g bei grösserem Umfang der Extremität. Sollte es sich auf 
Grund weiterer Versuche als wünschenswert herausstellen, sogar 
noch stärkere Lösungen zu verwenden, so würde man selbst mit 
der 2proz. noch nicht einmal diejenigen Mengen erreichen, mit denen 
die anderen Autoren arbeiten. Für die Läwen’sche Anästhesie haben 
wir durchschnittlich 1,22 g gebraucht (11), Koppler (10) gibt als 
Höchstsatz 1,2 g an; Hohmeier, der für eine Kniegelenksresek¬ 
tion 270 ccm Flüssigkeit injiziert, hat dabei früher bereits 1,35 g 
Novocain verwandt, jetzt, wo die perineuralen Injektionen mit 
1 proz. Lösung vorgenommen werden sollen, steigt die Menge 
auf 1,6 g. 

Ich möchte durch diese Ausführungen nicht den Verdacht 
aufkommen lassen, als wenn ich in der Verwendung grosser 
Dosen Novocain besondere Gefahren sehe. Wir sind durch die 
verschiedenen neuen Leitungsanästhesieverfahren vom Gegenteil 
überzeugt worden und scheuen sic nicht, sobald sie notwendig 
sind. Sind sie aber entbehrlich, so ist das kein Nachteil. Es lag 
uns aber daran, den strikten Nachweis zu führen, dass man tat- 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Lcitungsauästhcsic am Oberschenkel usw. 


605 


sächlich die hohen Konzentrationen durch das Druckdifferenz- 
verfahren ersetzen kann. 

Wir verkennen nun nicht, dass den verschiedenen Vorzügen 
unseres Verfahrens ein nicht unbeträchtlicher Nachteil in der An¬ 
wendung der Konstriktion gegeuübersteht. Wenn auch eine 
grosse Zahl Menschen die Blutleere bei nicht zu langer Dauer ohne 
Klagen erträgt, so ist sie doch stets als eine Belästigung anzusehen, 
die man seinen Kranken nicht ungezwungen zumutet. Es würde mit 
Recht unserer Methode ein Vorwurf daraus gemacht werden müssen, 
dass sie die durch die Xebennierenpräparate glücklich überwundene 
Esmarch’sche Blutleere wieder aufnimmt, wenn wir uns nicht von 
vornherein mit Erfolg bemüht hätten, die durch sie verursachten 
Belästigungen auszuschalten. 

Es galt sowohl die mit der ersten Anlegung der Blutleere¬ 
binden verbundenen Unannehmlichkeiten möglichst zu vermeiden, 
als auch die während der Dauer der Konstriktion immer nach ver¬ 
schieden langer Zeit einsetzenden, bekanntlich sehr lebhaften 
Schmerzen zu verhindern. Die Umlegung der Konstriktion ist nur 
dann mit nennenswerten Beschwerden verbunden, wenn einmal ein 
Esmarch’scher Schlauch benutzt und zweitens eine unnötig feste 
Umschnürung ausgeführt wird, die zu einem zu starken Druck auf 
die nicht gedeckten Nervenstämme führt. Beides lässt sich bei 
unserem Verfahren vermeiden. Wir kommen stets mit einer breiten 
(iummibinde aus und legen sie eben nur so fest um, dass gerade 
eine Kreislaufsunterbrechung erzielt wird. Die obere Binde muss 
allerdings immer so gelegt werden, dass im Injektionsring — vor 
der Einspritzung — keine Stauung verursacht wird. Es würde 
sehr vorteilhaft sein, wenn wir das Perthes’sche Kompressorium 
benutzen könnten. Wir machten aber die Erfahrung, dass damit 
ein brauchbarer Ring nicht herzustellen war. Es ist zu hoffen, 
dass es noch gelingt, ein geeignetes Instrument zu schaffen, mit 
dem gleichzeitig beide Umschnürungen ausgeführt werden können. 

Die Dauerwirkung der Umschnürung wird offenbar schon durch 
die zwischen beiden Binden vorgenommene Querschnittsinfiltration 
gemildert, da ja eine vollkommene Aufhebung der Diffusion des 
Anästhetikums in die allernächsten Nachbarbezirke nicht wahr¬ 
scheinlich ist. Damit darf man es sich erklären, dass wir anfäng¬ 
lich eine ganze Anzahl von Anästhesien, die ohne weitere Kunst¬ 
griffe vorgenommen wurden, durchführen konnten, ohne dass die 
geringsten Klagen geäussert wurden. Indes bewies uns vor allem 
Fall 5, wo wir zum Schluss wegen der sehr lebhaften, durch die 
Konstriktion hervorgerufenen Beschwerden eine kurze Rauschnarkose 
geben mussten, dass auf diesen glatten Verlauf kein Verlass ist. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


f»06 !’• Sicvcrs, 

So kam uns ein von Braun (3i angegebener Kunstgriff sehr 
gelegen, der darin besteht, dass man die schmerzende Esmarch- 
Binde durch eine Stau binde ersetzt. Sie genügt, um die Resorp¬ 
tion soweit zu hemmen, dass die Dauer der Anästhesie nicht ver¬ 
kürzt wird. Wir sind daher von Fall 13 ab in der Weise vorgegangen. • 
dass wir 10 Minuten nach der Ausführung der Injektion stets diese 
Umwandlung der Blutleere in Stauung vorgenommen haben. Selbst¬ 
verständlich bleibt die untere Binde unverändert liegen. Sie kann, 
da sie unterhalb des infiltrierten Bezirks sich befindet, keinen 
Schmerz machen, wenn man sich davor hütet, sie zu dicht in der 
Nähe des Kniegelenks anzulegen. Seit wir den genannten Kunst¬ 
griff verwandt haben, haben wir keine störenden Erlebnisse mit der 
Konstriktion mehr gehabt. 

Freilich kommen wir natürlich nicht ganz ohne sie aus, da 
sie die Grundlage der Incarceration ist. Doch genügen nach 
unseren Erfahrungen 10 Minuten, um das Anästhetikum ausreichend 
die Nervcnstämme durchdringen zu lassen. 

Bei empfindlichen Kranken empfiehlt es sich, die Anlegung der 
Binden und die Injektion in oberflächlicher Rauschnarkose vor¬ 
zunehmen, die so lange zu dauern hat, bis die Umwandlung der 
Konstriktionsbinde in die Staubinde ausgeführt ist. Es genügt zu 
diesem Zwecke eine einmalige Dosis von 15—20 ccm des Schleich- 
schen Narkosegemisches. Wenn die Kranken aus der Rauschnarkose 
allmählich wieder zu sich kommen — die Maske wird zweckmässig 
ohne neuen Aufguss noch eine Zeit lang liegen gelassen —, sind 
alle lästigen Manipulationen erledigt, und man vermeidet so die 
bei sensiblen Kranken durch längere Anästhesierungsvorbereitungen 
immer hervorgerufenen Angst- und Erregungszustände, die die ruhige 
Durchführung der Anästhesierung und Operation gelegentlich be¬ 
einträchtigen können. 

Im einzelnen ist unser Vorgehen jetzt folgendes: die Extremität 
wird durch einige Minuten langes Erheben oder Anlegung einer 
Expulsionsbinde blutleer gemacht. Gut handbreit oberhalb des 
Kniegelenks werden einige sich deckende Kreistouren einer festen, 
breiten Gummi binde gewickelt, indem man den Konstriktionsdruck 
allmählich steigert. Dicht an ihren proximalen Rand anschliessend 
wird eine zweite, ebensolche Bindenwicklung vorgenommen, beide 
Binden durch Unterstecken der letzten Tour an den einander nicht 
zugewandten Rändern befestigt. Die einander zugekehrten Ränder 
werden darauf soweit umgeschlagen, dass ein möglichst schmaler, 
etwa 2 cm breiter, ringförmiger Hautstreifen zwischen ihnen sicht¬ 
bar wird (s. Fig. 1 und 2), der nun sofort unter dem beidseitigen 
Druck wulstartig vorquillt. Die Haut wird, nachdem sie schon vor 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Leitungsaniisthcsie am Oberschenkel usw. 


»507 


Anlegung der Binden mechanisch gesäubert war, mit Aetheralkohol 
gereinigt und mit einem zarten Jodtinkturanstrich versehen. Das 

Fig. 1. 



Fig. 2. 



Bein bleibt dabei, soweit nicht das Umlegen der Binden ein geringes 
Erheben von der Unterlage erfordert, in seiner Lage, in der es 
auch bei der nun folgenden Injektion verharren kann. 


Digitized by Gougle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 











K. Sie vors. 


Digitized by 


608 


Zur Ausführung der Injektion stellen wir uns entweder 
75 ccm ^/o proz., oder bei Verwendung der stärkeren Konzentration 
für die tiefe Infiltration 20 ccm Qaproz. und 50 ccm lproz. Lösung 
bereit. Zunächst werden 6 Quaddeln gebildet, von denen je zwei 
an der Vorderseite und an den beiden seitlichen Circumferenzen 
angelegt werden. Damit kommt man in der Mehrzahl der Fälle 
aus. Je seltener Durchstechungen der Haut notwendig, um so 
besser, und diese führt man zweckmässig mit ganz feinen kurzen 
Kanülen aus, deren Stich kaum bemerkt wird. Von ihnen aus 
wird nun mit langen Kanülen die subkutane Unterspritzung des 
ganzen Kreises vorgenommen. Dann folgt die tiefe Infiltration des 
übrigen Querschnitts bis in die Nähe des Knochens. Hierbei wird 
durch radiäre und mehr tangentiale Injektionsrichtungen (vergl. 
Fig. 1 u. 2) für eine einigermassen gleichmässige und vollständige 
Durchtränkung des ganzen Querschnitts gesorgt. Besondere An¬ 
weisungen sind kaum notwendig, sie sind aus der Hackenbruch- 
Braun ? schen Umspritzungsanästhesie zur Genüge bekannt. Nur ist 
bei unserer Querschnittsanästhesie darauf zu achten, dass die Tiefe 
besonders reichlich mit der Flüssigkeit durchtränkt wird, da der 
Druck im Inneren unter dem Bindendruck beträchtlich ansteigt und 
der Diffusionsstrom also auswärts gerichtet ist. 

Gefässverletzungen sind bekanntlich nicht zu fürchten, wie 
insbesondere die Kulenkampff’sche Plexusanästhesie vielfach be¬ 
wiesen hat, bei der ein Anstechen der Subclavia nicht so selten 
ist und stets ohne schlimme Folgen bleibt. Uebrigens konnte ich 
mich kürzlich bei einer Gefässoperation selbst von der Unschädlich¬ 
keit eines Kanülenstichs überzeugen: 

Xa<*h einer (iefässnaht der Arteria femoralis nach querer Resektion wegen 
Aneurysma spurium nach Srhussverletzung war im Ucfässrohr oberhalb (Irr 
Nahtstelle eine grössere Luftblase sichtbar. Ich hielt es für. zweckmässig, sie 
durch Aspiration zu entfernen. Von dem durch die Kanüle erzeugten Loch, 
das sich oberhalb der Naht, also im Rondell des vollen Blutdrucks der Femo¬ 
ralis befand, sah man nach Freigabe des Blutstroms nicht die geringste St (innig, 
weder HervoP|uellen von Blut, noch eine Hcrausstiilpung der Innenwandung. 

Bei unserem Verfahren brauchen wir uns vor Verletzungen der 
grossen Arterien um so weniger aus dem Grunde zu fürchten, weil 
wir nicht gezwungen sind, mit der Injektionsnadel jede Stelle des 
Querschnitts zu treffen, wir also ohne Schwierigkeit die Gegend 
der Femoralis umgehen können, denn die injizierte Flüssigkeit ver¬ 
teilt sich automatisch dem Druck- und Konzentrationsgefälle 
entsprechend in dem beschränkten Gewebsquerschnitt. Uebrigens 
sehe ich die angedeutete Vorsichtsmassregel nicht als eine unbedingt 
erforderliche Vorschrift an, da wir in keinem Falle weder bei noch 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



LcMtun^Siinnsthcsit* am Obrrsi’honkcl usw. 


609 


nach der Injektion irgend welche Schädigungen gesehen haben, die 
durch Verletzung grosser Gefässe zu erklären waren. 

Der weitere Verlauf der Anästhesie ist der, dass die beiden 
Konstriktionsbinden 10 Minuten unverändert liegen gelassen werden, 
um den Querschnitt genügend von dem Anästhetikum durchdringen 
zu lassen. Dann ändert man die proximale Binde in eine Staubinde 
um, nimmt eventuell die Expulsionsbinde ab, um den Operations¬ 
bezirk nunmehr endgültig vorzubereiten. Nach weiteren 10 Minuten 
(bei Verwendung 1 proz.), nach 20 Minuten (bei 1 j 2 proz. Lösungen) 
kann, wie aus den Protokollen zu entnehmen ist, mit der Opera¬ 
tion begonnen werden. Nur vereinzelt wird man, wie das ja auch 
bei anderen Anästhesierungsverfahren immer beobachtet wird, etwas 
länger warten müssen, indes braucht man ja bei Operationen am 
Oberschenkel oder oberen Unterschenkel keineswegs eine vollkom¬ 
mene Analgesie der Fiisse, die natürlich zuletzt eintritt, abzuwarten. 

Unser Verfahren ist für die Zwecke der Oberschenkelleitungs¬ 
anästhesie erdacht, eignet sich aber, wie schon erwähnt, ebenso für 
alle anderen Extremitätenabschnitte, ist hier sogar wegen des ge¬ 
ringeren Durchmessers noch sehr viel einfacher in seiner Ausführung, 
die aber in ihren einzelnen Phasen an allen Querschnitten prinzi¬ 
piell genau die gleiche ist. 

Die mitgeteilte Methode ist nicht bestimmt, andere bewährte 
Verfahren der Leitungsanästhesie zu verdrängen, wie wir auch 
selbst daneben zu unserer vollen Befriedigung die Läwen’sche 
Anästhesie der unteren Extremität und die Kulenkampff’sche 
Plexusanästhesie verwandt haben. Es mag nur auf die kürzlich er¬ 
schienene Dissertation von unserem Assistenten Dr. Walther (11) 
hingewiesen werden, der über unsere neueren Erfahrungen mit der 
Läwen’schen Leitungsanästhesie am Beine berichtet. Wir glauben 
aber doch ein praktisch brauchbares Verfahren gefunden zu haben, 
das seine Berechtigung neben den bekannten Methoden besitzen 
und eine Bereicherung unseres Schatzes an örtlichen Schmerz¬ 
betäubungsverfahren darstellen wird. Seine Vorzüge bestehen in 
der Einfachheit der Durchführung, die von jedem Praktiker leicht 
erlernt werden kann, wie ich sie auch durch meine Assistenten 
habe ausführen lassen, in der Gleichmässigkeit der Technik für 
alle Extremitätenquerschnitte und in der grossen Zuverlässigkeit 
des Eintritts und der Dauer der vollständigen Analgesie der ganzen 
Extremität. Die mit dem Prinzip der Incarceration der anästhe¬ 
sierenden Lösung zusammenhängenden Unannehmlichkeiten für den 
Kranken glauben wir in völlig befriedigender Weise ausgeschaltet 
zu haben, wenngleich in dieser Richtung weitere Untersuchungen 
noch Verbesserungen anbringen werden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


H10 1L Sic vors. Leitungsanästliesie am Oberschenkel usw. 

Theoretisch werden unsere Mitteilungen insofern einiges Inter¬ 
esse bieten, als sie die Möglichkeit der Herstellung einer die Diffu¬ 
sion im lebenden Gewebe beeinflussenden Druckdifferenz beweisen. 
Auch regen sie zu einigen neuen Fragestellungen an: ich erwähne 
nur die Abhängigkeit der Verankerungsfestigkeit des Anästhetikums 
im Nerven gegenüber der Beeinflussung durch die zurückkehrende 
Zirkulation von dem Prozentgehalt der infiltrierten Lösung und die 
ebenfalls bereits gestreifte Frage der Beziehungen zwischen Supra- 
reninwirksamkeit und Fsmarch’scher Konstriktion. 


Literatur. 

1. Braun, Die Lokalanästhesie, ihre wissenschaftlichen (iruudlagcn und prak¬ 
tische Anwendung. 3 . Aufl. Leipzig. J. A. Barth, 1913. 

2. Braun, l eber den Einfluss der Vitalität der (inwebe auf die örtlichen und 
• allgemeinen Giftwirkungen lokalaniisthetischer Mittel und über die Bedeutung 

des Adrenalins für die Lokalanästhesie. Areh. f. klin. Chir. 1903. Bd. t>9. 

3 . Braun, Experimentelle l'ntersuchiingen und Erfahrungen über Lcitungs- 
aniisthesie. Arch. f. klin. Chir. 1903. Bd. 71. 

4. Corning. lTolongcd local anaesthetization by incarceration of the an- 
aest'hetic fluid in the field of Operation. Employmenl of eoeainc Solutions 
of low pereentage. New York med. journ. 1SS(>. 

5. Hohmeier. Die Anwendungsweise der Lokalanästhesie in der Chirurgie. 
Berlin. A. llirschwald, 1913. 

(>. Hohmeier, Die Lokalanästhesie der Extremitäten. 43 . Kongr. d. Deutschen 
(iescllsch. f. Chir. 1914. Teil I. S. S3. 

7. Hölscher. Beiträge zur regionären Anästhesie. Münch, med. Wochonsehr. 
1S99. .lahrg. 4(>. S. *245. 

S. Läwen, Experimentelle rntersuehungen über die Gefässwirkung von Supra- 
renin in Verbindung mit örtlich anästhesierenden .Mitteln. Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Chir. Bd. 74. — (Quantitative LTitersuehungen über die (iefäs>- 
wirkung von Suprarenin. Arch. f. exp. Bathol. u. Pharmakol. 1904. Bd. 51. 

9. Läwen, Leber Leilungsanästhesie an der unteren Extremität mit Bemer¬ 
kungen über die Technik von Injektionen an den Nervus isehiadieus bei 
Behandlung der Ischias. Deutsche Zeitsehr. f. Chir. 1911. Bd. 111. 

10. Kcppler, Die Anästhesierung der unteren Extremität mittels Injektion auf 
die grossen Ncrvenstämme. Arch. f. klin. Chir. 1913. Bd. 100. 

11. Walther, leber Leilungsanästhesie an der unteren Extremität. Inaug.- 
Disscrt. Leipzig 1915. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



XXIV. 


Aus der ehirurg. Klinik, derzeit klin. Reservespital in Innsbruck. — 
Vorstand: Prof. Dr. H. v. Haberer, k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse.) 

Kriegsaneurysmen. 

Von 

Professor Dr. II. v. Haberer, 

k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse. 


Bei der Durchsicht der schon zu ganz beträchtlicher Grösst 
angewachsenen Literatur über Kriegsaneurysmen ergeben sich, so¬ 
weit sie sich auf die Erfahrungen des gegenwärtigen Krieges be¬ 
zieht, Schwierigkeiten. Dieselben liegen einmal darin begründet,, 
dass viele, sehr wichtige Einzelbeobachtungen nur in wissenschaft¬ 
lichen Vereinen mitgcteilt, dem Leserkreise schwer oder gar nicht 
zugänglich sind, zweitens aber auch darin, dass, offenbar unter den 
durch den gegenwärtigen Krieg geänderten Verhältnissen ein grosser 
Teil von Arbeiten in unseren vornehmsten Referatenwerken bisher 
unberücksichtigt geblieben ist, so dass eine lückenlose Literatur¬ 
zusammenstellung füglich nahezu ausgeschlossen erscheint. 

Umsomehr verdient es Anerkennung, dass eine Arbeit von- 
Zahradnitzkv 1 ) die einschlägige Literatur der allcrjüngstcn Zeit 
nach Kräften genau verfolgt und gesichtet hat, wodurch diese 
Publikation zu einem wichtigen Fusspunkt für weitere wissenschaft¬ 
liche Mitteilungen wird. Ich möchte daher schon hier auf das 
Literaturverzeichnis dieser Arbeit verweisen. Es erspart mir, auf 
einzelne Publikationen im folgenden einzugehen. 

Wenn ich heute auf meine Erfahrungen bei den Operationen- 
von Kriegsaneurysmen näher zurückkomme, wiewohl schon drei 
einzelne Publikationen meinerseits vorliegen, so geschieht es vor¬ 
nehmlich im Hinblick auf mein für Innsbruck auffallend grosses- 
Material, an dem ich langsam meine eigenen Ansichten heranbildete 
und vervollkommte, im Hinblicke auf einzelne ganz besonders 

1) Zahradn it zky, Die ndiandhinir der unechten Aneurysmen. Wiener 
klin. Wochensehr. 1915. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



612 


II. v. llabcrer. 


Digitized by 


lehrreiche Fälle, die geeignet sind, zu strittigen Fragen in der 
Aneurysmenbehandlung Stellung zu nehmen, wie nicht zuletzt des¬ 
halb, weil ich mit zunehmender Erfahrung den ursprünglich ein¬ 
genommenen Standpunkt wesentlich zu verändern gezwungen war. 
Da ich heute glaube, eine unverrückbare Meinung über die zweck- 
massigste Behandlung der Kriegsaneurysmen zu besitzen, möchte 
ich im Zusammenhänge über die bisherigen Erfahrungen berichten, 
und werde im Anhänge alle, auch die bereits in drei Einzelpubli¬ 
kationen in der Wiener klin. Wochenschrift mitgeteilten Kranken¬ 
geschichten zur leichteren Orientierung und als Beleg für die in 
der Publikation zu erörternden Anschauungen beibringen. Ich kann 
mich dabei im ganzen auf 72 operierte Fälle von Aneurysmen be¬ 
ziehen. Wenn ich der Arbeit alle diese Krankengeschichten, freilich 
mehr in Schlagworten und nur soweit als eben unbedingt nötig, 
anfüge, so geschieht es deshalb, weil unter Hinweis auf die ein¬ 
zelnen Fälle der Text kürzer und übersichtlicher gehalten werden 
kann, und weil ich es selbst so häufig bei dem Studium der Literatur 
als einen Nachteil empfunden habe, wenn man sich über Fälle nicht 
genauer orientieren kann, und sich nur an Zahlen halten muss, 
die doch im allgemeinen so wenig sagen. Jeder Fall hat bis zu 
einem gewissen Grade sein eigenes Gepräge, als blosse Nummer in 
grösseren Zahlenreihen geht er verloren 1 ). 

Formen lind anatomische Beschaffenheit der Schussaneurvsmen. 

Bei Gefässschüssen tritt entschieden als häufigste Form des 
Aneurysmas das Aneurysma spurium traumaticum auf, wobei es 
also zum Austritt von Blut aus der verletzten Arterie kommt, so 
dass ein mehr minder grosses Hämatom entsteht, das, da es mit 
dem Gefässlumen in offener Kommunikation steht, svnchron mit 
dem Gefässe pulsiert. Die Wand, oder besser gesagt, die äussere 
Begrenzung dieses Hämatoms ist durch die umgebenden Weichteile 
gegeben, und erst durch Gerinnung des Blutes an der Peripherie, 
durch schwielige Veränderung der umliegenden Weichteile und durch 
Bindegewebsneubildung kommt es zur Ausbildung eines Aneurysma¬ 
sackes, der zu seiner Entstehung daher gewisse Zeit beansprucht. Doch 
dürfte es zu weit gegangen sein, wenn man, wie es Oehlecker-) 

1) Hs wird dem Leser (irr Krankengeschichten vielleirlit auffallen, dass sic 
nicht durchaus chronologisch anireordnct sind. Das hat seinen Grund darin, dass 
ich in meiner ersten Publikation die Fülle nach nicht infizierten und infizierten 
Aneurysmen schied. Hierher gehören die Fülle 1-13. Dann fol^t das erste ireniihte 
(’arotisaneurvsma. In meiner zweiten grosseren Arbeit habe ich die Fülle nach 
Unterbindungen, lateralen und eireuliiren Gefiissnähten gesondert. Sie hat die fol¬ 
genden Fülle bis 4*2 umfasst. Von da ab sind die Fülle rein chronologisch anireoidnor. 

2) Oehlecker, Zur Operation der sogenannten falschen Aneurysmen. 
Centralld. f. Uhir. 1914. Xr. 50. 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kriegsaneurysmen. 


613 


empfiehlt, in frischen Fällen von vornherein den Standpunkt ver¬ 
tritt, dass dabei ein wirklicher Aneurysmasack noch nicht vorhanden 
sein kann. War es mir von jeher sehr wahrscheinlich, dass die 
Ausbildung des Sackes individuellen Schwankungen unterworfen 
sein dürfte, so habe ich mich an dem eigenen Material überzeugen 
können, dass gelegentlich unglaublich früh ein wahrer, binde¬ 
gewebiger Sack vorhanden sein kann. In einem meiner Fälle (41) 
war ein solcher rein bindegewebiger Sack, den man sehr wohl 
exstirpieren konnte, bereits 17 Tage nach der erfolgten Verletzung 
vorhanden. 

Eine für die operative Therapie sehr wichtige Tatsache ist die 
ausserordentlich verschiedene Lage, die der Aneurysmasack bzw. 
schon das pulsierende Hämatom zur Lage der Gefässverletzung 
einnehmen kann. 

Bedingt ist ja die Ausbreitung des Hämatoms durch die 
normalen Gewebsspalten, durch die Anordnung umgebender Musku¬ 
latur, und diese ist wieder abhängig von der jeweiligen Lage, in 
der sich der betroffene Körperteil befindet. Daher kommt es, dass 
gelegentlich selbst bei kleiner Gefässverletzung der spätere aneurys¬ 
matische Sack das Gefäss auf grosse Strecken völlig umgibt, dass 
also, mit anderen Worten, ein grosses Stück des normalen Gefässes 
durch den Aneurysmasack hindurchziehen kann. Andererseits 
können selbst aussergewöhnlich grosse Aneurysmasäcke rein seit¬ 
lich einer kleinen Arterienverletzung aufsitzen. Der Sack kann 
sich auch ausschliesslich nach oben oder nach unten von der 
Gefässverletzung ausbreiten. Dass die Kenntnis solcher Möglich¬ 
keiten für die anatomische Präparation, die in jedem Falle von 
operativem Eingreifen gefordert werden muss, wichtig ist, wird 
jeder zugeben müssen, der selbst Aneurysmen operiert hat. 

Die zweite Form des Aneurysmas bei Schussverletzungen ist 
das arteriovenöse Aneurysma. Es kommt durch gleichzeitige Ver¬ 
letzung von Arterie und Vene zustande, wodurch beide Gefässe in 
offene Kommunikation miteinander gesetzt werden. Dabei kann 
diese Kommunikation eine direkte sein, sie kann aber auch durch 
einen mehr oder minder grossen zwischengelagerten Sack vermittelt 
werden. Die arteriovenösen Aneurysmen sind seltener als die zuerst 
geschilderte Form, wie dies aus allen Literaturangaben erhellt. 

Eine einfache Ueberlegung lehrt, dass sich selbstverständlich 
bei einer Schussverletzung grosser Gefässe mehrere aneurysmatische 
Säcke an ein und demselben Gefäss finden können, entweder weil 
das Gefäss durch einen Schrägschuss mehrfach in seinem Stamme 
verletzt wurde, oder aber weil neben dem Stamme auch ein grösserer 
Ast des Gefässes getroffen wurde. Aus demselben Grunde können 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107 . Heft 4 . 41 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



614 


II. v. Haberer, 


Digitized by 


sich auch rein arterielle Aneurysmen mit arteriovenösen im selben 
Falle kombinieren. Auch die Kenntnis dieser Tatsache ist wichtig, 
sie wird es nicht so leicht dazu kommen lassen, dass der Operateur 
ein zweites vorhandenes Aneurysma übersieht. 

Endlich dürfen wir nicht vergessen, dass sich bei Streifschüssen 
von Arterien auch echte Aneurysmen entwickeln können. Aus 
naheliegenden Gründen werden sie wohl ausserordentlich selten sein, 
aber mit der Möglichkeit ihres Vorkommens müssen wir rechnen. 
Wenn bei einem Streifschuss Teile der Gefässwand stark beschädigt 
werden, kann sich der Rest der stehengebliebenen Artcrienwand 
als echtes Aneurysma ausstülpen, und zwar gleichgültig, ob die 
Verletzung die Adventitia und Media, oder ob sie durch Erschütterung 
die Intima betroffen hat. In jedem solchen Falle liegt ein Aneurysma 
traumaticum verum vor, im Falle der zuletzt genannten Ent¬ 
stehungsart müssen wir das Aneurysma als Aneurysma dissecans 
bezeichnen. Diese echten Aneurysmen werden in der Regel natür¬ 
lich nicht im unmittelbaren Anschluss an die Verletzung in Er¬ 
scheinung treten, sie entwickeln sich unter dem Einflüsse des, den 
stehengebliebenen Rest der Arterienwand ausbuchtenden Blutstromes 
erst allmählich. 

Aus diesem Grunde sind alle Schussverletzungen, welche in 
der Gegend grösserer Gefässe vorbeiführen, auch dann mit Vor¬ 
sicht zu beurteilen, wenn eine gröbere Läsion zunächst ausgeschlossen 
werden kann. Sy ring 1 ) hat in letzter Zeit ein durch Gewehr¬ 
schuss entstandenes Aneurysma traumaticum verum der Arteria 
subclavia mitgeteilt, wobei allerdings die ausserordentlich kurze 
Zeit von 11 Tagen, welche vom Moment der Verletzung bis zur 
tödlichen Blutung, die aus dem schon fertigen Aneurysma erfolgte, 
auffällt. Ich möchte es doch für möglich halten, dass auch in 
diesem Falle ein traumatisches Aneurysma spurium Vorgelegen 
haben kann. Ich kann mir wenigstens vorstellen, dass ein Ge¬ 
schoss die Arterie so trifft, dass letztere an einer kleinen Stelle 
penetrierend verletzt wird, während in grösserem Umfang nur 
einzelne Schichten der Arterie geschädigt w’urden, so dass daraus 
für die rein makroskopische Beurteilung ein dem Aneurysma verum 
traumaticum ganz ähnliches Bild entstehen kann. Auch die starke 
Blutung gleich nach der Verletzung und die sich wiederholenden 
Blutungen in dem Falle liessen eher an Aneurysma spurium denken. 
Ich will mir aber gewiss kein Urteil über den von Syring mit¬ 
geteilten Fall anmassen, sondern bloss auf die Bedenken hinweisen, 
die mir bei der Lektüre entstanden sind. 

1) Sy rin". Traumatisches Aneurysma verum der Sehlüsselbeinsidilairader. 
Münch. iikmI. Woehensehr. 191. r >. Xr. IS. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



K ri ciT.sa neu rv s me n. 


615 


Auch das Aneurysma spurium braucht bei einer Gefäss- 
verletzung durchaus nicht gleich im Anschluss an die Verletzung 
als pulsierendes Hämatom kenntlich zu sein. Es gibt Aneurysmata 
spuria traumatica, die sich ganz bestimmt erst längere Zeit, ja 
gelegentlich erst viele Wochen nach der positiv stattgehabten Gefäss- 
verletzung entwickeln. Kommt es doch vor, dass bei kleiner Wand¬ 
verletzung einer Arterie das Arterienloch zunächst durch einen 
Thrombus verstopft wird, der sich erst löst, wenn bei stärkerer 
Inanspruchnahme des betroffenen Körperteiles durch die sich ver¬ 
schiebenden Weichteile die Gefässwunde gelüftet oder gescheuert 
w T ird. Ich habe Beweise dafür in der Hand, dass wenigstens 
zu Beginn des Krieges dieser Tatsache zu wenig Rechnung ge¬ 
tragen wurde, und dass Leute mit rasch heilenden, nicht infizierten 
Weichteilschüssen in der Nähe grosser Gefässe zu schnell auf Urlaub 
geschickt wurden. Oft entwickelte sich da ein Aneurysma während 
der längerdauernden Eisenbahnfahrt. Diese spät auftretenden 
Aneurysmen können plötzlich, zumeist unter starken neuralgiformen 
Schmerzen als grosse pulsierende Tumoren in Erscheinung treten, 
sie können sich aber auch ganz langsam entwickeln, und dann 
deuten oft nur Schmerzen oder motorische Störungen in einem 
oder mehreren Nervengebieten auf ihre Entstehung hin bzw. es 
treten eigentümliche Kontrakturen auf, für die sonst in der Art 
der bestandenen Verletzung kein genügender Grund gefunden werden 
kann. Diese allgemeinen Tatsachen finden auch in dem von mir 
beobachteten Material ihre Belege. 

Was zunächst das Verhältnis der arteriellen zu den arterio¬ 
venösen Aneurysmen anlangt, so stehen 47 Fällen von arteriellen 
Aneurysmen nur 17 arteriovenöse gegenüber. Unter den 47 arteriellen 
Aneurysmen finden sich 3 (11, 35, 59), bei denen je zwei Aneurysmen¬ 
säcke vorhanden waren. Dazu kommen dann noch 8 Fälle (14, 22, 
38, 50, 64, 65, 66, 70), bei denen ein Aneurysma arteriovenosum 
dadurch kompliziert war, dass daneben noch ein Aneurysma spurium 
vorhanden war. 

Für das späte Auftreten von Aneurysmen nach sicheren Gefäss- 
verletzungen penetrierender Art durch Schuss möchte ich aus 
meinem Material ganz besonders 2 Fälle herausgreifen (39 und 46). 
In dem einen Fall (39) lag ein Schuss durch beide Oberschenkel 
im oberen Drittel vor. Die Schusskanäle lagen so, dass beiderseits 
die Arteria femoralis getroffen sein konnte. Während die Schuss¬ 
wunden des rechten Oberschenkels glatt heilten, kam es links zu 
einer Infektion des Schusskanals, von da zu mehrfacher Abscess- 
bildung, so dass in dem Spitale, in dem Patient lag, vielfache 
Incisionen nötig geworden waren. Ungefähr l 1 / 2 Monate nach der 

41 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



616 


II. v. Haberer, 


Digitized by 


Verletzung war der Patient imstande, mit Krücken herumzugehen, 
wobei er, wie er selbst angibt, natürlich das gesunde rechte Bein 
besonders beanspruchte. Bald stellten sich intensive Schmerzen im 
rechten Bein ein, und es entwickelte sich an der Innenseite des 
rechten Oberschenkels eine rasch an Grösse zunehmende Geschwulst, 
während Unterschenkel und Fuss kalt und taub wurden. Dazu 
gesellte sich Fieber und deshalb kam Patient in meine Klinik. 
Es lag ein mannskopfgrosses Aneurysma vor, das ich durch die 
Operation mit circulärer Arteriennaht heilen konnte. Im zweiten 
Fall (46) lagen die Verhältnisse ganz ähnlich. Der Patient hatte 
einen Schrägschuss durch den rechten Oberschenkel erhalten, der 
glatt heilte. 3 Wochen nachher, als der Kranke schon heruraging, 
entwickelte sich plötzlich unter heftigen Schmerzen und Fieber ein 
kindskopfgrosses Aneurysma im Adduktorenschiitz, das ich dann 
in einem deutschen Feldlazarett ebenfalls mittels circulärer Gefäss- 
naht in Ordnung bringen konnte. 

In beiden Fällen trat das Aneurysma erst in Erscheinung, ja, 
man darf mit Recht sagen, es entwickelte sich erst, nachdem die 
Kranken die betroffene Extremität ausgiebiger in Anspruch ge¬ 
nommen hatten. Ich will es bei diesen Beispielen, die besonders in 
die Augen springen, bewenden lassen; wer sich für die Frage inter¬ 
essiert, findet gewiss in meinem Material noch den einen oder anderen 
hierher gehörigen Fall, sie sollen uns in ihrer Gesamtheit, wie ge¬ 
sagt, nur ein Memento sein dafür, dass wir Verletzungen, die in der 
Richtung grösserer Gefässstämme verlaufen, in den ersten Wochen 
unter allen Umständen mit gewisser Vorsicht beurteilen müssen. 

Endlich bin ich auch in der Lage, über ein Aneurysma verum 
zu berichten. Es lag in meinem Fall 69 vor. Der Patient war 
ira Mai 1915 verletzt worden durch Durchschuss durch den rechten 
Oberarm im unteren Drittel. Der Operation wurde er, wie die 
Krankengeschichte lehrt; erst im Februar 1916 zugeführt. Anlass 
zur Operation war weniger die sicher vorliegende Gefässverlctzung, 
als vielmehr eine schwere Beugekontraktur des Ellbogengelenkes 
durch unzweckmässige Behandlung bzw. durch Ausserachtlassung 
einer Behandlung überhaupt. Dabei fand sich die Arteria brachialis 
durchschossen und in ihren beiden Enden verödet, wie dies auch 
Hotz 1 ) und andere beobachtet haben, wie ich es schon 1914 in 
einem besonders markanten Fall unter dem Titel „Eine sehr seltene 
Varietät des Nervus ulnaris“ im Anatomischen Anzeiger beschreiben 
konnte, und daneben fand sich ein echtes Aneurysma der Arteria 
cubitalis. 

1) Hot z, Zur Hnrurgisehen Hehandluru: der Aneurysmen. Feldheil. 7 zur 
Aliineh. mrd. Woeliensehr. 1915. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



K riegsaneurvsim'n. 


617 


Symptomatik der Schussaiieurysmen. 

Die Symptomatik der Schussaneurysmen wird eeteris paribus 
etwas verschieden sein bei den Aneurysmata spuria und den arterio¬ 
venösen Aneurysmen. Ganz abgesehen davon, dass die Aneurysmata 
spuria meist grössere Aneurysmensäcke bilden, als dies begreif¬ 
licher Weise bei den arterio-venösen Aneurysmen der Fall ist, 
sind auch die subjektiven Beschwerden und die jeweiligen Ausfalls¬ 
symptome bzw. konsekutiven Symptome beim Aneurysma trauma- 
ticum spurium meist stärker in die Augen springende, als beim 
Aneurysma arteriovenosum. Im allgemeinen kennzeichnet sich das 
Aneurysma spurium traumaticum durch den meist sicht- und fühl¬ 
baren Sack, der expansiv pulsiert, das Aneurysma arteriovenosum 
durch das deutliche Schwirren infolge des Flüssigkeitswirbels, der 
an der Stelle der Arterien- und Venenkommunikation zustande 
kommt, den die aufgelegte Hand ebenso fühlt, wie ihn das auf¬ 
gelegte Ohr hört, und der so charakteristisch ist, dass darüber 
wohl heute keine Worte mehr verloren zu werden brauchen. 

Fast immer klagen die Kranken über eine geringere Brauch¬ 
barkeit, bis völlige Functio laesa ihrer Extremität, wenn eine solche 
betroffen ist, nahezu regelmässig werden ausstrahlende Schmerzen 
in einem bestimmten Nervengebiet angegeben, die der Ausdruck 
von Kompression durch das Aneurysma sind, gelegentlich sind 
Paresen oder Paralysen zu konstatieren, die nicht auf gleichzeitiger 
Nervenläsion durch den Schuss zu beruhen brauchen, sondern be¬ 
dingt sein können durch Druck von Seiten des Aneurysmasackes 
oder ab er dadurch, dass die betreffenden Nervenstämme in die 
Wand des aneurysmatischen Sackes einbezogen sind. Muskel¬ 
kontrakturen, die entweder rein mechanisch durch Grösse und Aus¬ 
breitung des aneurysmatischen Sackes ausgelöst sind oder aber 
ihre wahre Ursache in Circulationsstörungen lokaler Natur haben, 
sind in sehr vielen Fällen nachzuweisen. Je nach dem Grade der 
durch das Aneurysma gesetzten allgemeinen Circulationsstörung 
wird in den peripher vom Aneurysma gelegenen Gefässen der Puls 
mehr oder minder deutlich tastbar sein. Ganz hohe Grade von 
Ernährungsstörung, die bis zur Gangrän führen, sind meiner Erfahrung 
nach beim Schussaneurysma sicher selten, da, abgesehen von col- 
lateraler Blutversorgung, selbst bei total zerschossener Arterie der 
Sack sich sehr häufig so lagert, dass Blut noch in den abführen¬ 
den Gefassabschnitt gelangt. Daher ist es auch ganz falsch, etwa 
allein aus dem Vorhandensein von Puls in der Peripherie auf ge¬ 
nügende Collateralen schliessen zu wollen, dabei kann man schweren 
Täuschungen unterliegen. Beim Aneurysma arteriovenosum ist es 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



618 


II. v. Haberer. 


Digitized by 


sogar die Regel, dass der Puls peripher sich kaum vom Puls der 
anderen, normalen Seite unterscheidet, wohl ist dem Aneurysma 
dafür fast regelmässig eine gewisse venöse Stauung in der Peri¬ 
pherie eigen, die sich in mehr oder minder ausgesprochener Cyanose 
äussert. 

Demnach muss in der Mehrzahl der Fälle die Diagnose des 
Schussaneurysraas, und zwar gleichgültig, welche Form desselben 
vorliegt, eine leichte sein und ist es in der That auch. Aber 
diese Regel hat ihre gar nicht so seltenen Ausnahmen, an die 
man denken muss. 

Zunächst kann ein deutlicher Sack fehlen, oder er liegt so 
tief, dass er der oberflächlichen Untersuchung entgeht. Dies gilt 
auch für das so charakteristische Schwirren des arteriovenösen 
Aneurysmas, wenn es sich um ein in der Tiefe der Weichteile ge¬ 
legenes handelt. In anderen Fällen ist ein Sack da, der aber 
weder das palpatorische Phänomen der expansiven Pulsation, noch 
ein charakteristisches auskultatorisches Geräusch gibt. 

Ich möchte aus meiner Beobachtung 4 solche Fälle (2, 29, 
55, 68) hier anführen, ln dem einen Falle (2) lag ein hoch hinter 
der Pektoralmuskulatur gelegenes Aneurysma der Axillaris vor. 
das absolut keine Aneurysmasyraptome machte, so dass wir an 
eine direkte Nervenläsion wegen der bestehenden Symptome von 
Seiten des Radialis (Schmerzen bei gleichzeitiger Lähmung) dachten. 
Der Schusskanal entsprach auch einer solchen Annahme und wir 
schienen umsomehr recht zu behalten, als sich im Verlauf von 
einem Monat diese Lähmungserscheinungen spontan ganz wesent¬ 
lich rückbildeten. Da trat plötzlich ohne jedwede äussere Ursache 
unter sehr heftigen Schmerzen neuerlich eine vollständige Radialis- 
lähmung auf. Jetzt mussten wir die Diagnose auf Aneurysma 
stellen, wiewohl auch diesmal weder von einer abnormen Pulsation 
an irgend einer Stelle, noch von einem auskultatorischen Phänomen 
die Rede sein konnte, das unsere Diagnose gestützt hätte. Und 
doch fand sich bei der Operation ein walnussgrosses Aneurysma, 
das sich ganz nach der thorakalen Seite hin ausgebreitet hatte. 

Im zweiten Falle (29) hatte der Patient, als ich ihn gelegent¬ 
lich einer Inspektionsreise sah, bereits einen mannskopfgrossen 
Tumor, der das obere Oberschenkeldrittel bis in das Perineum 
hinein spindelförmig aufgetrieben hatte. Dieser Tumor pulsierte 
nur ganz undeutlich, die peripheren Arterien pulsierten gut, Aus¬ 
kultation ergab kein Gefässgeräusch. Ohne Berücksichtigung des 
bereits verheilten Schusskanales, der den Oberschenkel im oberen 
Drittel durchquerte, und der Anamnese, die in diesem Falle, wie 
die Krankengeschichte lehrt, eine sehr charakteristische war, hätte 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



K ri c* trs a n e u ry s m e n. 


619 


man an ein Sarkom denken können, wie es in der Tat auch von 
einigen Aerzten geschehen war. Die Operation erwies die Richtig¬ 
keit der Diagnose auf Aneurysma, das von einem grossen Aste 
der Arteria profunda femoris ausgegangen war. 

Sehr interessant war der Fall 55, bei dem die Operation einen 
apfelgrossen Aneurysmasack der Arteria subclavia aufdeckte, der 
weder pulsatorische noch auskultatorische Symptome gemacht 
hatte, geschweige denn, dass er sich durch eine abnorme Vor¬ 
wölbung verraten hätte. Die Symptome, die nach der Schuss¬ 
richtung auch durch eine direkte Plexusstörung hervorgerufen sein 
konnten, waren neben intensiven Schmerzen einzig und allein Läh¬ 
mungen im Bereiche des Plexus brachialis. Der grosse Aneu¬ 
rysmensack, der einerseits durch die Clavicula gedeckt war, hatte 
sich andererseits direkt nach hinten entwickelt, und das war offen¬ 
bar die Ursache, dass er trotz mehrfacher Untersuchung von den 
verschiedensten Aerzten nicht nachgewiesen werden konnte. 

Im vierten Falle endlich (68), bei dem es sich um ein älteres 
kindskopfgrosses Aneurysma der Arteria femoralis handelte, fehlte 
jede Pulsation, auskultatorisch konnten selbst erfahrene Chirurgen 
kein Gefässgeräusch nachweisen, da dasselbe, wie ich mich über¬ 
zeugte, nur als leichtes pfeifendes Geräusch, und zwar nur bei 
tiefem Einsenken des Stethoskopes zu vernehmen war. Das 
Aneurysma war ja trotzdem im gegebenen Falle leicht zu diagno¬ 
stizieren, aber das, was wir als typische Aneurysmasymptome be¬ 
zeichnen, fehlte eben. 

Trotzdem werden wir auch in solchen Fällen die Diagnose immer 
stellen können, wenn wir unter Berücksichtigung der Symptome, 
die sonst vorliegen, der Anamnese und des Verlaufes des Schuss¬ 
kanales den Fall einer Analyse unterziehen. 

Vor allem haben wir dabei, wie schon angedeutet, auf Muskel- 
und Nervenstörungen, die so häufig als Folgezustände eines Aneu¬ 
rysma auftreten, zu achten. Ich habe wiederholt auf diese Weise 
in Eisenbahnziigen, bei der Revision von auf Urlaub fahrenden 
Soldaten Aneurysmen entdeckt und einer entsprechenden Behand¬ 
lung zuführen können. 

Ich habe andererseits — und das ist der Grund meiner etwas 
breiteren Ausführungen über diesen Punkt — nach unglaublich 
langer Zeit noch Aneurysmen an meine Klinik bekommen, von 
denen man es kaum begreifen kann, dass sie so lange Zeit un- 
diagnostiziert geblieben sind. Ich möchte diesbezüglich namentlich 
eines Falles gedenken: Fall 63, der im September 1914! verletzt 
worden war, einen Schuss durch das untere Drittel seines rechten 
Oberarmes erhalten hatte, wobei der Einschuss genau im Sulcus 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



620 


II. v. Habe rer, 


Digitized by 


bicipitalis internus gelegen war, das Bild bester Kraft und Ge¬ 
sundheit, kam wegen seines Aneurysma der Arteria brachialis erst 
im November 1915 zur Operation seines Aneurysma an meine 
Klinik. Auch jetzt erst kam er zur Konstatierung seines Leidens! 
Vor einem Jahre war sein Leiden als Abscess gedeutet worden, 
und als er schon behufs Incision desselben auf dem Operations¬ 
tisch lag, fiel den Aerzten die abnorme Pulsation auf, und darauf¬ 
hin wurde nach Angabe des Patienten die Meinung ausgesprochen, 
dass es da eine Heilung nicht gebe. Ich betone ausdrücklich, 
dass ich diese Angaben nur aus der Anamnese besitze, sie klingen 
ja nahezu märchenhaft! Die traurige Tatsache aber besteht zu 
Recht, dass dieser sonst ganz gesunde Mann eben doch auf ein 
Jahr! superarbitriert worden war. Nachher musste er einrücken, 
und da machte ihm sein Aneurysma Beschwerden. Deshalb kam 
er an die Klinik. Das Aneurysma, ein Schulfall, hat einer meiner 
jüngsten Studenten in der Vorlesung beim Praktikum glatt diagnosti¬ 
ziert, ich hätte ihm das Gegenteil auch sehr übel genommen. Ich habe 
dabei die Resektion und circulare Gefässnaht ausgeführt und Pa¬ 
tient war nach 3 Wochen kriegsdiensttauglich! Derartige Dinge, 
die kaum mehr durch Unkenntnis, sondern nur durch Ungenauig¬ 
keit und Leichtfertigkeit mehrerer in Betracht kommender Berufs¬ 
kollegen verursacht werden, dürften heute denn doch kaum mehr 
Vorkommen! Man darf wohl ruhig behaupten, dass dieser Mann 
seiner natürlichen Bestimmung als Vaterlandsvcrteidiger durch 
mehr als ein Jahr künstlich und völlig ungerechtfertigt entzogen 
worden war. 

Ich will es bei dieser Gelegenheit nicht unterlassen, auf einen 
zweiten Fall hinzuweisen, bei dem allerdings rascher Hilfe ge¬ 
schaffen wurde, bei dem aber der erteilte ärztliche Rat für den 
Patienten sehr verhängnisvoll hätte werden können. Es ist dies 
Fall 22 meiner Beobachtung. Dem Patienten mit Aneurysma 
arteriovenosum und spurium an der Teilung.->st.elle von Art. tib. 
ant. und post, war wegen der Schwellung seiner Wade intensive 
Bewegung! verordnet worden. Glücklicherweise hat Patient diese 
Therapie nicht ausgehalten und kam zur Operation, die ihn von 
der Wadenschwellung ebenso wie von seinen Beschwerden befreite. 

Auch ein dritter hierher gehöriger Fall (54) darf nicht ver¬ 
schwiegen werden. Bei diesem Patienten war nach einem Ober- 
schenkeldurchschuss eine Gangrän mit nachfolgender Phlegmone 
im Bereiche der Zehen .aufgetreten. Es waren ihm nach Lisfranc 
die Zehen enukleiert worden, die Phlegmone hatte Incisionen bis 
auf den Unterschenkel hinauf nötig gemacht. Das Aneurysma 
war, bis ich den Kranken nach Wochen sah, unberücksichtigt ge- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Krioirsani’urvsmen. 


621 


blieben, obwohl die Gangrän weiterzusehreiten drohte, die Phleg¬ 
mone nicht abklingen wollte und die Incisionswunden nicht die 
geringste Heilungstendenz zeigten! Als ich dann innerhalb der 
nächsten 24 Stunden trotz des fieberhaften und recht elenden All¬ 
gemeinzustandes des Patienten die circulare Gefässnaht der zer¬ 
schossenen Femoralarterie ausgeführt hatte, heilte die Phlegmone 
des rechten Unterschenkels sehr rasch und die Circulation wurde 
auch in den Partien der Extremität wieder eine ausgezeichnete, 
die vorher schon gefährdet erschienen waren. 


Komplikationen im Verlauf von Schussaneurysmen. 

Eine der allerwichtigsten Komplikationen des Aneurysmas ist 
die Infektion des Aneurysmasackes. Trotzdem fast alle Autoren, 
die sich mit der Bearbeitung von Aneurysmen beschäftigt haben, 
auf diese Komplikation hinweisen, wird sie immer noch nicht 
hinlänglich gewürdigt. Im allgemeinen müssen wir bei jedem 
Schussaneurysma mit der Möglichkeit einer Sackinfektion rechnen, 
so lange noch der Ein- und Ausschuss eitriges Sekret absondern. 
Und auch nach völliger Ausheilung von Ein- und Ausschuss sind 
wir noch lange nicht sicher, dass ein sogenannter blander Aneu¬ 
rysmensack vorliegt. Ich habe gleich Bier 1 ) die Erfahrung gemacht, 
dass trotz völliger reaktionsloser Wundheilung und trotz afebrilen 
Verlaufes der Aneurysmensack infiziert sein kann, wie dann nicht 
nur die vorhandenen entzündlichen Drüsen gelegentlich der aus¬ 
geführten Operation, sondern vor allem auch unliebsame Störungen 
im postoperativen Verlaufe beweisen, die sicher eintreten, wenn 
man an diese schleichende Form von Infektion nicht denkt und 
bei der Operation nicht die daraus sich ergebenden Konsequenzen 
zieht. Doch davon soll bei der Therapie die Rede sein. Nicht 
diese leichten Grade von Infektion des Aneurysmasackes habe ich 
hier im Auge, sondern leicht kenntliche, die sich bald unter einem 
der typischen Phlegmone sehr ähnlichen Bilde präsentieren. Das Ver¬ 
hängnis liegt dabei gerade darin, dass der phlegmonöse Prozess so 
in den Vordergrund tritt, dass darüber das Aneurysma nur zu leicht 
übersehen wird, wenn man nicht genau untersucht und nicht daran 
denkt. In der entzündlichen Schwellung oder, besser gesagt, durch 
sie wird die abnorme Pulsation verschleiert und undeutlicher, und 
so kann es geschehen, dass ein wenig erfahrener Arzt die Incision 
eines solchen entzündeten Aneurysmas ausführt, und erst durch 
die lebensbedrohende Blutung seines unheilvollen Irrtums ein- 

1) Bier, lieber Krieirsaneurysinen. Deutsche med. Wochensohr. 1915. 
Nr. 6. — Deutscher K rutsch iruriron tag 1 in Brüssel. 1915. Ccntralbl. f. Cliir. 
1915. Xr. 20. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



622 


II. v. liaberer, 


Digitized by 


sichtig wird. Die Gefahr der Verblutung ist in solchen Fällen 
darum ganz besonders gross, weil im Glauben, dass es sich um 
eine einfache Incision des phlegmonösen Prozesses handeln wird, 
von vornherein die Vorbereitung nur für eine kleine Operation ge¬ 
troffen wird, in der Regel auch nicht genügend Assistenz zur 
Hand ist, um dann mit entsprechender Schnelligkeit der Blutung 
Herr zu werden. Gegen diesen verhängnisvollen Irrtum wird 
erstens genaue Untersuchung schützen, wie vor allem auch die 
genaue Berücksichtigung des Schusskanales bezüglich seiner Lage 
zu den in Frage kommenden Gefässen. 

Fieber ist kein Anhaltspunkt für das Vorhandensein einer In¬ 
fektion. Es kann bei beträchtlich infizierten Aneurysmen fehlen, 
bzw. nicht dem Grade der Entzündung entsprechen, andererseits 
bis 39° bei blanden, namentlich bei rasch wachsenden Aneurysmen 
vorhanden sein, wie ich das vielfach gesehen habe, und wie dies 
auch aus einer Reihe meiner Krankengeschichten zu ersehen ist. 

Auch mir wurde an der Klinik einmal ein Fall zur Absccss- 
incision vorgeschlagen (9), bei dem es sich um ein phlegmonöses 
Aneurysma handelte. Aus der Krankengeschichte geht hervor, 
dass der Irrtum von mir rechtzeitig richtig gestellt wurde, und 
dass die gerade durch den entzündlichen Prozess dringend ge¬ 
wordene Aneurysmaoperation mit vollem Erfolg ausgeführt werden 
konnte. Ich werde bei der Frage nach der Wahl des Zeitpunktes 
für die Aneurysmaoperation noch darauf zurückkommen, hier nur 
soviel, dass gerade dem entzündeten Aneurysma eine zweite Kom¬ 
plikation sehr gerne folgt, die Nachblutung, bzw. die einmalige 
schwere Blutung aus dem Aneurysmasacke. 

Damit komme ich auf diese zweite Komplikation der Aneu¬ 
rysmen zu sprechen. Die Blutung aus dem bestehenden Sacke 
kann jederzeit, bei jedem Aneurysma eintreten, eine Ausnahme 
davon bilden, wenigstens in der Regel, die rein arteriovenösen 
Aneurysmen. Auch bei schon geheilter Ein- und Ausschussöffnung 
kann unter Aufbrechen der jungen Narbe eine ganz schwere Blu¬ 
tung nach aussen erfolgen, noch häufiger kommt ein solches Vor¬ 
kommnis bei sezernierendem Schusskanal, oder gar bei ausgesprochen 
phlegmonösen Aneurysmen vor. Es ist klar, dass jede einmalige 
Blutung, namentlich wenn für diesen Zufall nicht genügend vorge¬ 
sorgt ist, rasch zum Tode führen kann, besonders wenn es sich 
um central gelegene, grosse Gefässstämme handelt. 

Einer einmaligen Blutung, die natürlich auch wieder stehen 
kann, können mehrere weitere Nachblutungen folgen, so dass sich 
Patienten auf diese Weise chronisch verbluten können. Auch die 
mehrmaligen Nachblutungen beobachten wir am häufigsten bei den 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Krieiisancurvsmen. 


623 


infizierten Aneurysmen. Ich möchte auch nicht verfehlen, darauf 
hinzuweisen, dass langer Bestand eines Aneurysmas die Nach¬ 
blutung durchaus nicht ausschliesst, wie ich an meinem eigenen 
Material erfahren musste. 

Ich habe mehrfach schwere Blutungen aus Aneurysmen ge¬ 
sehen, will aber nur einige ganz besonders typische Beispiele hier 
anführen: 

Wohl den tiefsten Eindruck hat mir ein Fall gemacht, den 
ich gar nicht mehr zu behandeln Gelegenheit hatte, und der eigent¬ 
lich in das Kapitel der früher schon erwähnten, aus unbegreiflichen 
Gründen nicht diagnostizierten Fälle gehört. Es handelte sich um 
einen Russen, der mit einem grossen Verwundetentransportzuge in 
Innsbruck eintraf. Zwei Aerzte und reichlich Pflegepersonal hatten 
den Zug durch Tage begleitet. Ich war zur Musterung der Ver¬ 
wundeten am Bahnhof und besprach mich sofort mit den Aerzten, 
die mir versicherten, dass kein schwer Verwundeter im Zuge sich 
befinde, kein Fall darunter sei. welcher klinische Behandlung nötig 
machen würde. Der Russe, der einen besonders durchtränkten, 
stinkenden, eitrigen Verband am Oberschenkel hatte, auch schwer 
krank aussah, sollte eben mit blosser Unterstützung zweier Leute 
vom Transportpersonal aus dem Wagen steigen, als ich seiner an¬ 
sichtig wurde und das wenigstens noch verhindern konnte. Er 
wurde auf eine Trage gebettet und sofort in das Spital überführt. 
Bei seinem Eintreffen daselbst verblutete er aus einem kopfgrossen 
Aneurvsma der Femoralis, ehe ihm noch ärztliche Hilfe zuteil 
werden konnte! Hätten die beiden, den Zug führenden Aerzte ein¬ 
mal während mindestens 48 ständiger Fahrt, wenn nach ihrer 
Meinung ohnehin keine schweren Fälle im Zuge lagen, den Verband 
bei dem in Rede stehenden Kranken gewechselt, so hätten sie die 
drohende Gefahr des Platzens dieses übergrossen, schwer infizierten 
Aneurysmas sehen müssen, und hätten wohl Gelegenheit gehabt, 
den Fall an einer Zwischenstation auszuladen, oder wären imstande 
gewesen, bei seiner Ankunft in Innsbruck auf die Schwere des 
Falles aufmerksam zu machen. Dann wäre noch im stehenden 
Zug der Verband zu wechseln gewesen und es wäre vielleicht 
der letale Ausgang verhindert worden. (Von dem Falle findet 
sich keine Krankengeschichte im Anhang, da er nicht an der 
Klinik lag.) 

Ein sehr gutes Beispiel von chronisch rezidivierender Blutung 
ist mein Fall 19. Es handelte sich um ein infiziertes Aneurysma 
der Subclavia. Schon während des Transports mit der Bahn soll 
es zu einer schweren Blutung aus dem. Schusskanal gekommen 
sein, dieselbe wiederholte sich in dem Spital, in welchem der 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



«24 


H. v. Hab er er, 


Digitized by 


Kranke zunächst in Innsbruck untergebracht worden war, weshalb 
er dann meiner Klinik zugewiesen wurde. Zu dieser Zeit war der 
Kranke hochfiebernd, sehr anämisch und hatte einen ganz kleinen 
fliegenden Puls. Ich habe damals zugewartet — ich muss sagen, 
nach meinen jetzigen Erfahrungen würde ich das nicht mehr tun — 
in der Hoffnung, vielleicht doch durch entsprechende Pflege und 
Wundbehandlung günstigere Verhältnisse für die Operation zu er¬ 
zielen. Als in den nächsten Tagen die Temperaturen einen aus¬ 
gesprochen septischen Charakter annahmen, wollte ich erst recht 
zuwarten. Da trat wieder eine Blutung ein, die jedoch gar nicht 
abundant erschien, trotzdem aber den Collaps des Patienten zur 
Folge hatte, so dass ich jetzt mit der Unterbindung des verletzten 
Gefässes central und peripher vom Aneurysmasack vorging und 
den Sack, der vereiterte Coagula enthielt, eröffnete und drainierte. 
Der Patient erholte sich aber nicht mehr und starb im Shock. In 
diesem Falle hatten sich die ersten Blutungen schon relativ bald 
nach der Verletzung eingestellt, von der Verwundung bis zum 
schliesslich eingetretenen Tod waren 26 Tage vergangen. 

Ein zweiter Fall, bei dem auffallend spät die Blutung eintrat, 
sei auch hier angeführt: In meinem Fall 48 war die Verwundung 
durch Schuss in die rechte Halsseite am 13. Juni 1915 erfolgt. 
Einschuss knapp neben dem Schildknorpel, Ausschuss am hinteren 
Sternoclcidomastoideusrande, tiefer als der Einschuss gelegen. 
Patient konnte vom Moment der Verletzung an das linke Bein und 
den linken Arm nicht mehr bewegen, war also halbseitig gelähmt, 
zumal auch im linken unteren Facialis und im linken Hvpoglossus 
eine Parese bestand. Er hatte ein apfelgrosses Aneurysma im Be¬ 
reiche der rechten Carotis, Ein- und Ausschuss eiterten beträcht¬ 
lich, als der Patient am 30. Juni in meine Klinik kam. Der Um¬ 
stand, dass seit der Verletzung bereits 17 Tage vergangen waren, 
liess die Prognose bezüglich der Wiederherstellung der Gehirnfunk¬ 
tion unter allen Umständen sehr schlecht erscheinen, da ja sicher 
bereits Nekrosen eingetreten sein mussten. Deshalb wollte ich mit 
der ja unter allen Umständen indizierten Operation womöglich bis 
zum Abflauen der Schusskanaleiterung abwarten. Ich verfolgte da¬ 
mit noch einen zweiten Zweck. Ich wollte sehen, ob nicht durch 
vikariierendes Eintreten der zweiten Hemisphäre Besserungen im 
Zustande der Lähmungen eintreten würden, die man im Gefolge 
einer Operation mit Gefässnaht dann nur zu leicht geneigt gewesen 
wäre, auf das Konto der Operation zu setzen. Das Zuwarten 
schien ganz gerechtfertigt, da es dem Patienten sonst ganz gut 
ging. Die Eiterung aus dem Schusskanal wollte aber nicht zum 
Stillstand kommen, wenn sie sich auch innerhalb sehr bescheidener 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



lvriegsaneurysmcn. 


625 


Grenzen hielt. Wir konnten trotzdem weiter ruhig zuwarten, da der 
Patient sieh sehr guten Allgemeinbefindens erfreute und afebril war. 
An den Lähmungen änderte sich nichts. Ohne jedwede äussere 
Ursache kam es nun am 3. August, also nach mehr als einmona¬ 
tigem Aufenthalt in der Klinik, fast 2 Monate nach der Verletzung, 
zunächst zu einer leichten, nach wenigen Stunden aber zu einer 
sehr bedrohlichen Blutung aus dem Aneurysmasack nach aussen, 
die schleunigst Digitalkompression nötig machte. Ich wurde ge¬ 
rufen und nahm sofort die Operation vor, die durch die Digital¬ 
kompression wegen der daraus resultierenden Raumbeengung des 
Operationsfeldes recht schwierig wurde. Dazu kam noch die diffuse 
Entzündung um den Aneurysmasack. Schliesslich gelang es doch, 
das Loch in der Carotis communis darzustellen, ich nahm noch 
zur Vorsicht wegen der langdauernden Eiterung vom centralen und 
peripheren Lumen der Carotis etwas weg, um dann die circulare 
Gefässnaht auszuführen, die gar keine Schwierigkeiten machte. Die 
Weichteilwunde musste natürlich drainiert werden. Am 9. Tage 
nach der Operation kam es zu einer neuerlichen schweren Blutung, 
und es musste die Carotis unterbunden werden. Es war dies der 
einzige Fall meiner Beobachtung, wobei eine Gefässnaht undicht 
geworden war. Man konnte sich zur Unterbindung um so leichter 
entschliessen, als auch die Gefässnaht, wie ja von vornherein wahr¬ 
scheinlich war, bezüglich der Lähmungen gar keinen Erfolg aufzu¬ 
weisen hatte. Die Unterbindung hatte Erfolg, der Patient ist ge¬ 
sund geworden, die Lähmungen blieben bestehen. Der Fall zeigt, 
wie spät Nachblutungen speziell bei infizierten Aneurysmen auf- 
treten können und wie hartnäckig eine solche Infektion verlaufen 
kann. 

Eine weitere Komplikation, die besonders bei arteriovenösen 
Aneurysmen eintreten kann, ist die Thrombosierung der Vene mit 
der Gefahr der Embolie. Ich halte die Kenntnis dieses Vorkomm¬ 
nisses nicht nur für die allgemeine Beurteilung der Prognose, son¬ 
dern vor allem für eine strittige Frage in der Therapie, auf die 
ich bei Besprechung der letzteren zurückgreifen werde, für sehr 
wichtig. 

Ich habe in meinem Material sowohl einmal eine Thrombose 
der Vene gesehen (8), als ich auch einmal neben der Thrombose 
einen Lungeninfarkt beobachten konnte (62). In beiden Fällen 
hatte es sich um Komplikationen gehandelt, die sich vor Vornahme 
einer operativen Therapie eingestellt haben, das sei besonders be¬ 
tont, weil ich auch einmal eine ausgedehntere Thrombose in einem 
Falle von Aneurysma gesehen habe, bei dem eine unzweckmässige 
Operation stattgefunden hatte, die von anderer Seite ausgeführt 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



626 


11. v. llabercr, 


Digitized by 


worden war (56). Das kann aber natürlich nicht als Komplikation 
eines Aneurysmas aufgefasst werden, weshalb dieser Fall hier nicht 
weiter besprochen werden soll. Von den beiden hier in Frage 
kommenden Fällen betraf der eine (8) ein arteriovenöses Aneurysma 
der Arteria und Vena tibialis posterior, wobei trotz kleiner Kom¬ 
munikation von Arterie und Vene letztere in sehr bedeutender Aus¬ 
dehnung thrombosiert war und daher weitgehend reseziert werden 
musste. Die Diagnose auf Venenthrombose konnte erst während 
der Operation gestellt werden. Zwischen Verletzung und Operation 
war ein Zeitraum von mehr als einem Monat verstrichen. Die Ope¬ 
ration brachte glatte Heilung. 

Im zweiten Fall (62) handelte es sich um ein arteriovenöses 
Aneurysma der Iliaca externa und der gleichnamigen Vene. Der 
Patient hatte wenige Zeit nach der Verletzung eine sichere Lungen¬ 
embolie mit Infarktbildung durchgemacht, von welch letzterer ich 
mich bei seiner später erfolgten Einlieferung an meine Klinik noch 
einwandfrei überzeugen konnte. Sie war auch die Ursache, wes¬ 
halb ich mit der Durchführung der Operation bis über 3 Wochen 
nach der Verletzung zögerte. Bei der Operation, bei welcher ich 
wegen starker Verletzung der Arterie diese nach Resektion circular 
mit bestem Erfolg nähte, fand sich die gleichzeitig verletzte Vene 
peripher von der Verletzungsstelle thrombosiert. Sie wurde daher 
central umstochen und peripher von der Thrombose unterbunden. 
Jedenfalls geht aus dem Umstande, dass ich unter 72 Aneu¬ 
rysmen zweimal ausgedehntere Venenthrombose erlebt habe, her¬ 
vor, dass es sich da um kein gar zu seltenes Vorkommnis handeln 
kann. 

Hingegen muss ich nach meinen Beobachtungen die Gangrän 
im Anschluss an Schussaneurysmen und als direkte Folge derselben 
als sehr seltenes Ereignis bezeichnen. Einwandfrei habe ich sie 
nur einmal gesehen. 

Der Komplikationen von seiten des Nervensystems bei 
Aneurysmen wurde schon bei der Symptomatik gedacht, es sei 
hier nur noch wiederholt, dass sie ebensowohl durch Druck von 
seiten des Aneurysmasackes auf angelagerte Nerven hervorgerufen 
sein können, wie sie auch in Erscheinung treten können, wenn 
die Nerven in die Wand des Aneurysraasackes einbezogen, ich 
möchte sagen, in sie gleichsam eingemauert sind. Sowohl Reizungs¬ 
ais auch Lähmungserscheinungen kommen vor, die nach der Be¬ 
seitigung des Aneurysmas vollständig schwinden können. Ein gutes 
Beispiel für Drucklähmung ist mein Fall 2, bei dem die ursprüng¬ 
liche Radialislähmung in bestem Rückgang war, als plötzlich, offenbar 
unter gleichzeitigem Wachstum des Aneurysmas, neben intensivsten 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Kriegsaneurysmen. 


627 


Schmerzen eine komplette Radialislähmung auftrat, die erst zur 
Diagnose des Aneurysmas führte. 

Ebenso wie der Nerv durch das wachsende Aneurysma nicht 
geschont wird, wird sogar der Knochen durch den Druck von 
seiten eines grösseren, prallen aneurysmatischen Sackes usuriert, 
und es finden sich unter den Fällen meiner Beobachtung so viele 
Beispiele dafür, dass es wohl nicht angcht, sie alle hier im Text 
anzuführen. 


Therapie. 

Fragen wir uns zunächst, ob eine konservative Therapie der 
Schussaneurysmen Aussicht auf Erfolg hat, so müssen wir die 
Möglichkeit ins Auge fassen, dass auch eine Gefässverletzung aus¬ 
heilen kann. Zahradnitzky (1. c.), Hotz (1. c.), Mühsam 1 ), 
Bier (1. c.) und andere haben diesen Vorgang beobachtet, und 
dass ein solches Vorkommnis nicht nur bei leichten seitlichen Ver¬ 
letzungen der Arterie eintreten kann, sondern auch bei totaler 
Durchtrennung der Arterie, dafür kann ich selbst aus dem eigenen 
Material auf Fall 69 verweisen, den ich schon früher anführte und 
bei dem es sich neben einem Aneurysma verum der Cubitalis um 
eine total durchschossene, central und peripher verödete Brachialis 
handelte. Ich darf dabei auch den schon gelegentlich der Be¬ 
sprechung von Form und anatomischer Beschaffenheit der Schuss¬ 
aneurysmen kurz angedeuteten Fall nochmals ins Treffen führen, 
der, weil es sich um kein Aneurysma handelte, in den Kranken¬ 
geschichten dieser Arbeit nicht vorkommt, bei dem ich ebenfalls 
gelegentlich einer Nervenoperation die Art. brachialis vollkommen 
durchschossen und verödet vorfand. (Es handelt sich um den unter 
dem Titel „Eine sehr seltene Varietät des Nervus ulnaris“ im 
Anatomischen Anzeiger, 1914, mitgeteilten Fall.) 

In solchen Fällen kommt offenbar entweder die starke Torsion 
der Enden der durchschossenen Arterie, wie sie ja auch sonst ge¬ 
legentlich zur Blutstillung angewendet wird, oder aber die Eigen¬ 
schaft des Gefässes in Betracht, durch rasche Einkrempelung der 
Intima einen Verschluss des Lumens herbeizuführen, dem dann die 
Thrombosierung folgt. Bei einfach seitlichen Gefässverletzungen 
kann ein Thrombus, namentlich wenn er unter einem gewissen 
Gewebsdruck von aussen her steht, das Loch im Gefäss ver¬ 
schlossen halten, und es kann zur Heilung der Gefässverletzung 
kommen. In beiden Fällen aber ist die Prognose mit gewisser 
Vorsicht zu stellen, da sich noch nachträglich eine schwere Blutung 


1) Mühsam, Die zweite Ui lfs«‘Xpedit ion nach Serbien. Bcitr. z. Kriegsbeil k. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSUM OF IOWA 



628 


11. v. Haberer, 


Digitized by 


einstellen oder ein Aneurysma verum bzw. auch spurium entwickeln 
kann. Will doch Orth 1 ) noch 7 Monate nach der Zerreissung der 
Arterie einen Spätverblutungstod beobachtet haben! 

Dass sich bei seitlicher Verletzung einer Arterie nach Lockerung 
des die Verletzung verschliessenden Thrombus ein Aneurysma spurium 
entwickeln kann, geht meines Erachtens nicht zum mindesten aus 
der Tatsache hervor, dass sich nach Gefässverletzungen die Aneu¬ 
rysmen oft erst auffallend spät, zu einer Zeit entwickeln, in der 
der Patient nach erfolgter äusserer Wundheilung die Extremität 
stärker belastet. Ich erinnere aus dem eigenen Material bloss an 
meine schon früher genauer angeführten Fälle 39 und 46. 

Dass das Aneurysma verum Zeit zu seiner Entstehung braucht, 
ist selbstverständlich, handelt es sich doch dabei immer nur um 
eine teilweise Wandschädigung der Arterie, wobei der Blutdruck 
erst allmählich die noch stehengebliebenen Schichten ausbuchten muss. 

Jedenfalls dürfte das spontane Ausheilen von traumatischen 
Aneurysmen immerhin so selten sein, dass man damit nicht 
rechnen darf. 

Von den konservativen Massnahmen, um ein Aneurysma zum 
Verschwinden zu bringen, möchte ich bloss die Kompression des 
aneurysmatischen Sackes und die systematische Kompression der 
zuführenden Arterie erwähnen, wobei in der Tat Verkleinerungen 
des aneurysmatischen Sackes beobachtet wurden, es sind ja mit 
dieser Methode sogar Heilungen mitgeteilt. Bevor ich noch näher auf 
diese Kompressionstherapie eingehe, sei doch nachdrücklich darauf 
hingewiesen, dass die Spontanheilung von Gefässverletzungen, wie 
ich sie unter anderem selbst bei vollkommen durchschossenen Arterien 
gesehen habe, absolut nicht mit der Heilung von Aneurysmen ver¬ 
glichen werden kann. Denn im ersteren Fall handelt es sich um 
eine Art Blutstillung, wie sie auch gelegentlich vom Arzt aus¬ 
geführt wird, wie sie im gegebenen Fall das Gefäss, wenn ich so 
sagen darf, dank einer ihm eigenen Eigenschaft durch starke 
Retraktion selbst ausführt. Die Heilung eines Aneurysma spurium 
setzt aber voraus, dass nicht nur die mit dem Gefäss in offener 
Kommunikation stehende Nebenhöhle verödet, sondern daneben auch 
der Defekt im Gefäss selbst sich schliesst. Es Hesse sich nun 
theoretisch denken, dass durch Kompression vor allem des Aneu¬ 
rysmas selbst, vielleicht auch des zuführenden Gefässes allmählich 
eine Verkleinerung des aneurysmatischen Sackes eintritt, weil da¬ 
durch die Blutgerinnung im Aneurysma begünstigt wird. Wie aber 
dabei auch eine Verletzung des Gefässes schUesslich zur Ausheilung 

1) Ort h, Feber Spät verblut un^stod nach früher bestandenem traumatischem 
Aneurysma. Münch, med. Woehenschr. 1915. Nr. oo. Feldärztl. Beil. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



Kricjisanciirvsiiicn. 


62!) 


gelangen soll, das kann ich mir um so weniger vorstellen, je mehr 
Aneurysmen ich zu operieren Gelegenheit hatte. Sind doch regel¬ 
mässig bei halbwegs längerem Bestand die Ränder der Schuss¬ 
verletzung des Gefässes stark kallös verändert, so dass alles eher 
als eine Heilungstendenz der Wunde vorliegt. Ich glaube nach 
den Erfahrungen, die ich mit nachträglichen Operationen gemacht 
habe, zu dem Schlüsse berechtigt zu sein, dass die im Anschluss 
an Kompression, speziell des aneurysmatischen Sackes selbst, beob¬ 
achtete, gelegentliche Verkleinerung des Aneurysmas fast lediglich 
dadurch bedingt ist, dass unter dem Einflüsse des chronischen 
Traumas eine Art chronischer Entzündung der oberflächlicheren 
Partien des Aneurysmas und seiner Umgebung eintritt, wodurch es 
zu Schwielenbildung mit der ihr eigenen Tendenz der Schrumpfung 
kommt. Ich möchte also glauben, dass zumeist eine Selbsttäuschung 
über den Erfolg der Kompressionstherapie vorliegt, und von einer 
Heilung nicht die Rede sein kann. Wie schon angedeutet, sind 
die Schwierigkeiten der operativen Freilegung von aneurysmaiischcn 
Säcken, die einmal mit Kompression systematisch vorbehandelt 
wurden, gerade wegen der ausgedehnten Schwielen an der Ober¬ 
fläche oft ausserordentliche, und ich möchte da ganz besonders auf 
meinen Fall 66 verweisen, bei dem es sich um ein Subclavia- 
aneurysma handelte, das zunächst schon dadurch ungünstig lag, 
dass es erst Monate nach der Verletzung in klinische Behandlung 
kam, so dass es zu dieser Zeit nach den Symptomen, die Vor¬ 
lagen, schon als inoperabel angesprochen werden durfte. Dass in 
einem solchen Fall jeder Versuch einer konservativen Behandlung 
volle Berechtigung hat, liegt auf der Hand, und so wurde hier der 
systematische Kompressionsverband angewendet, unter dem sich das 
Aneurysma anfangs zu verkleinern schien. Alsbald trat aber ein 
Stillstand ein, und ich durfte mit Erlaubnis meines hochverehrten 
Lehrers v. Eiseisberg das Aneurysma operieren. Dabei fanden 

sich die intensivsten Schwielen an der Oberfläche des aneurvsma- 

* 

tischen Sackes, unter deren Einfluss es auch zu ganz besonderer 
Ausdehnung der Venen gekommen war, deren Wand hingegen sich 
als besonders zerreisslich erwies. Es war dies der einzige Fall 
meiner Beobachtung, bei dem ich, wie aus der Krankengeschichte 
hervorgeht, die Operation schliesslich abbrechen und zur Tamponade 
schreiten musste, doch hatte der Patient trotz intravenöser Koch¬ 
salzinfusion so viel Blut verloren, dass er bald nach dem Eingriff 
ad exitum kam. 

Dem Gesagten zufolge wird also unsere Therapie beim 
Schussancurvsma im allgemeinen eine aktiv chirurgische sein 
müssen. 

Arrhiv fiir klin. Chirurgie. Btl. 107. Heft 4. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



630 


11. v. IIaborer, 


Digitized by 


Von den dabei in Betracht kommenden Methoden ist die 
Unterbindung der Arterie herzwärts vom Aneurysma ausgeführt 
worden, ferner die Unterbindung des Gefässes central und peripher 
vom aneurysmatischen Sack, wobei letzterer entweder unberührt 
gelassen, eröffnet und tamponiert, oder schliesslich exstirpiert 
wurde, endlich in letzter Zeit immer mehr und mehr die ideale 
Gefässoperation, die Naht bzw. bei allzu grossen Defekten die 

Gefässtransplantation 1 )- 

Was die blosse Unterbindung der Arterie herzwärts vom 
Aneurysma anlangt, so ist sie eine höchst unvollkommene Methode 
zu nennen, weil sie wohl nur in Ausnahmefällen wirklich Erfolg 
haben wird, während sie zumeist bloss eine Verlegenheitsoperation 
bedeutet, die zwar vorübergehend die Symptome des Aneurysmas 
zum Schwinden bringen, auch zu wesentlicher Verkleinerung des 
aneurysmatischen Sackes führen kann, der aber sekundär wohl 
meist auf dem Wege der vorhandenen Kollateralen, mit denen ja 
die Operation rechnen muss, wieder gefüllt werden wird. Mein 
Fall 70 ist ein Beweis dafür. Bei dem Patienten war die Arteria 
femoralis im unteren Drittel des Femurs wegen eines blutenden 
Aneurysmas der Arteria poplitea anderwärts unterbunden worden, 
zunächst gingen die Erscheinungen zurück, dann kam es aber 
wieder zu intensiven Beschwerden, als deren Ursache das Aneurysma 
der Arteria poplitea angesprochen werden musste, dessen Symptome 
sich nicht von denen eines überhaupt nicht operierten Aneurysmas 
unterschieden haben. Der Sack war als grosser pulsierender 
Tumor tastbar, der das typische Gefässgeräusch sehr gut hören 
liess. Gefässnaht brachte Heilung. 

v. Frisch 2 ) hat bei Aneurysmen der Arteria glutaealis die 
Unterbindung der Arteria hypogastrica als Methode der Wahl an¬ 
gegeben, doch möchte ich auch dabei glauben, dass das Aneurysma 
nach einiger Zeit aus den oben angegebenen Gründen wieder in 
Erscheinung treten kann, nur entziehen sich seine Symptome viel¬ 
leicht wegen der tiefen Lage des aneurysmatischen Sackes länger 
oder dauernd der Beobachtung. Ich habe demnach in einem Fall 
von Glutäalaneurysma der Unterbindung der Art. hypogastrica die 

1) Allo übrigen gelegentlich angewendeten Methoden, welche das Aneurysma 
durch operative Verkleinerung von aussen her oder durch Deckung zur Heilung 
bringen sollen, übergehe ich. weil es sich um Verlegenheitsoperationen handelt, 
die nicht die Bedeutung einer kausalen Therapie des Aneurysmas haben können. 
Hierher gehört auch die von 11. F. U. Haberl an d im Centralbl. f. Ghir.. 1915. 
Ar. 17, beschriebene Methode der Deckung eines Aneurysmas durch Fasrirn- 
lappen, wie sie von Friedrich ausgeführt wurde. 

2) v. Frisch. Offizielles Protokoll der Gesellschaft der Aerzte Wiens. 
Wiener klin. Worhensohr. 1915. Xr. 1(5. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 




K rieusaneiirvsiiicn. 


631 


Ausräumung des aneurysmatischen Sackes angeschlosscn, und die 
Lumina der Art. glutaea unterbunden (Fall 47). 

Dieser sonst sehr schwierige Eingriff der Operation eines 
glutäaleu Aneurysmas hat sich nach der Unterbindung der Hypo¬ 
gastrica als ausserordentlich einfach erwiesen und nahezu blutleer 
ausführen lassen. Ich möchte daher in Ergänzung der von v. Frisch 
vorgeschlagenen Methode, der Unterbindung der Hypogastrica, un¬ 
bedingt die radikale Operation des Glutäalaneurvsmas anschliessen. 

Mit diesen Ausführungen möchte ich nun nicht die einfache 
Unterbindung der Arterie herzwärts eines Aneurysmas unter allen 
Umständen als unzweckmässig bezeichnet haben, wenngleich ich 
selbst nicht in die Lage kam, sie auszuführen. Wie dieser Ein¬ 
griff, der doch wohl als Unterbindung der Arterie am Orte der 
Wahl bezeichnet werden muss, bei frischen Gefässverletzungen 
lebensrettend werden kann, so kann er gewiss gleich segensreich 
wirken, wenn es sich um Komplikationen bei Aneurysmen handelt, 
namentlich um unvorhergesehene schwere Blutungen, zumal wenn 
sich dieselben in weniger gut eingerichteten Spitälern ereignen, 
die auch nicht über genügend geschultes Personal, gelegentlich 
nicht einmal über einen in der Technik der Aneurysmaoperationen 
hinlänglich bewanderten Chirurgen verfügen. Ich kann mir auch 
vorstellen, dass bei schwer infizierten Aneurysmen die Methode 
gelegentlich einmal in Frage kommen kann, um den phlegmonösen 
Aneurysmasack spalten und dem Eiter Abfluss verschaffen zu können. 
Auch dabei mag die Methode gelegentlich eine Extremität vor der 
Amputation schützen. Im übrigen aber darf sie nach unseren 
heutigen Kenntnissen nicht mehr als eine Methode bezeichnet werden, 
welche geeignet ist, Heilung beim Aneurysma herbeizuführen. 

Die Unterbindung der Arterie central und peripher vom Aneu¬ 
rysma ohne Inangriffnahme des aneurysmatischen Sackes selbst 
ist zwar wesentlich radikaler als die einfache, herzwärts vorgenom¬ 
mene Unterbindung, aber auch sie ist nicht geeignet, eine radikale 
Heilung des Aneurysmas sicher herbeizuführen, weil auch hierbei 
der aneurysmatische Sack durch Collateralen weiter gespeist werden 
kann. Aus naheliegenden Gründen wird diese Methode gewiss 
recht selten in Anwendung gekommen sein. Denn wer einmal die 
Arterie central und peripher vom aneurysmatischen Sack gefunden 
hat, der kann sie auch hier und dort provisorisch abklemmen und 
dann den Sack eröffnen, oder ihn entfernen. 

v. Frisch 1 ) empfiehlt z. B. prinzipiell den Sack zu eröffnen, 
weil er nach seinen im Balkankrieg gesammelten Erfahrungen die 


1) v. Frisch, Kriegschirurgische Erfahrungen über Ancurvsmen. Boitr. 
z. klin. Chir. 1914. Bd. 91. 


42 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


632 II. v. Ilab e re r, 

Ligatur des verletzten Gefässes vom Sackinnern her vornimmt, 
wie dies Kikuzi 1 ) als intrakapsuläre Unterbindungsmethode an¬ 
gegeben hat. Es ist auch naheliegend, dass diese Methode vor 
jeder anderen Unterbindungsmethode den Vorteil haben muss, dass 
sie die Collateralen am besten schont, weil sie ja gerade am Orte 
der Gefässverletzung angreift, und somit, wenn schon unterbunden 
wird, noch immer die besten Garantien fiir Erhaltenbleiben der 
Ernährung peripher von der Gefässverletzung gewährleistet. In 
der Tat hat v. Frisch in seinen so behandelten 15 Fällen aus¬ 
gezeichnete Resultate erzielt. Selbstverständlich ist es bei Bei¬ 
behaltung des gleichen Vorganges auch möglich, schliesslich den 
Aneurysmasack, wenn ein solcher bereits voll entwickelt ist, zu 
exstirpieren. Wenn man den Aneurysmasack lieber tamponieren 
und ihn so zur Verödung bringen will, bzw. wenn man durch 
Infektion des Sackes zu dieser Massnahme gezwungen ist, so lässt 
sich das ebenfalls mit dieser eben beschriebenen intrakapsulären 
Unterbindung des Gefässes gut in Einklang bringen, v. Frisch 
ist empirisch zu dieser Methode gelangt, die Kikuzi (1. c.) als 
Methode der Wahl angegeben hat, und so dürfte es wohl den 
meisten Operateuren, die Gelegenheit hatten, Aneurysmen mit 
Unterbindung zu behandeln, ergangen sein, dass sie sich selbst 
eine Methode zurecht legten, ohne darüber im klaren zu sein, ob 
dieselbe schon von anderer Seite in gleicher Weise geübt wurde. 
Ich hatte bereits 13 Aneurysmen mit Unterbindung in anderer 
Weise operiert, und bin dann diesem Verfahren bei Unterbindungen 
treu geblieben, weil cs sich mir gut bewährt hatte, als ich aus 
der Arbeit von v. Frisch entnehmen musste, dass die Methode 
der intrakapsulären Unterbindung von ihm so besonders warm 
empfohlen wird. 

Wenn ich gleich hier das von mir eingehaltene Verfahren 
schildern darf, so bin ich stets so vorgegangen, dass ich das ver¬ 
letzte Gefäss central und peripher vom Aneurysma aufgesucht 
habe, und dass ich dann unter möglichster Schonung aller Col¬ 
lateralen mich ebensowohl central als auch peripher bis hart an 
den Sack herangearbeitet habe. Knapp an diesem habe ich dann, 
wie ich dies schon in meiner ersten einschlägigen Publikation ge¬ 
schildert habe, die Unterbindung ausgeführt. Es dürfte dieser Vor¬ 
gang wohl nahezu ebenso schonend sein, wie die Unterbindung 
vom Sackinnern aus, und in der Tat waren ja auch die Erfolge, 
die ich bei meinen ersten 13 Fällen, welche ausschliesslich mit 


1) Kikuzi. Die traumatischen Aneurysmen hei Schusswunden, lieitr. z. 
klin. (’Jiir. I5d. AO. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kriegsiuicurvsmen. 


633 


dieser Methode der Unterbindung behandelt worden waren, erzielte, 
vorzügliche. 

Die ideale Methode der Aneurysmenoperation aber bleibt 
natürlich die Gefässnaht als laterale oder circulare Naht, je nach¬ 
dem das Gefäss bloss eine seitliche Verletzung aufweist, beziehungs¬ 
weise vollständig durchtrennt, oder aber bei seitlicher Verletzung 
derart zerfetzt ist, dass man deshalb die Resektion mit folgender 
circularer Naht vorzieht. Diese Methode schafft physiologische 
Verhältnisse, sie garantiert, richtig ausgeführt, gute Ernährung, 
ihre Technik ist nicht so schwer, dass sie nicht von jedem 
geübteren Chirurgen beherrscht werden könnte. Die Schwierig¬ 
keiten der Operation hat der, der richtig unterbinden will, 
nahezu in gleicher Weise, wie der die Naht wählende, denn die 
Hauptschwierigkeit liegt in der anatomischen Präparation der 
Gefässe und des aneurysmatischen Sackes, welche bei beiden Me¬ 
thoden in gleicher Weise exakt ausgeführt werden muss. Ob man 
die Naht als fortlaufende anlegt, oder aber Knopfnähte vorzieht, 
halte ich für vollständig gleichgültig, die Naht muss nur exakt 
Intima an Intima bringen, ebenso wie es bei der Darmnaht wichtig 
ist, dass sich Serosaflächen dabei decken. Die Naht muss dicht 
sein, und sie muss so durchgeführt werden, dass sie das Gefäss- 
lumen nicht wesentlich einengt. Ich möchte daher schon an dieser 
Stelle betonen, dass ich bei mittelweiten Arterien bei der Indika¬ 
tionsstellung zur lateralen Naht sehr rigoros vorgehe, weil diese 
nur allzuleicht das Gefäss in seiner Lichtung einengt. Ich kann 
mich der Ansicht einiger Autoren, dass selbst eine wesentliche 
Einengung der Gefässlichtung nicht schadet, nicht anschliessen, 
ich glaube, dass es dabei häufig genug zu nachfolgender Throm¬ 
bosierung des Gefässes kommen wird, die eben doch gelegentlich 
einmal noch im späteren Verlauf Cireulationsstörungen im Gefolge 
haben kann. 

Die CareH’sche Gefässnaht ist in ihren Einzelheiten so be¬ 
kannt, lass sie hier nicht näher geschildert zu werden braucht. 
Einzelne kleine Abweichungen, wie sie sich wohl jeder Operateur 
im Laufe der Zeit angeeignet hat, sind dabei bedeutungslos. 

In Fällen allzugrosser Gefässdefekte wurden auch Transplan¬ 
tationen von Venen in den Defekt vorgenommen, deren Erfolg 
aber, wie ich schon einmal nachwies, mit Recht angezweifelc wird. 
Freilich berichtet in jüngster Zeit in seiner oben erwähnten Arbeit 
Zahradnicky (I. c.), dass im ganzen 13 Fälle von Venentrans¬ 
plantation bei Aneurysmen vorgenommen wurden — er hat dabei 
offenbar nur die Schussaneurysmen im Auge —, von denen 11 
heilten, während bei zweien Thrombose mit folgender Gangrän 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



634 


H. v. Habe rer, 


Digitized by 


cintrat. Unter die geheilten Fälle rechnet er auch die Fälle von 
Bier (1. c.), der aber selbst sich recht ungünstig über die Venen¬ 
transplantation bei Aneurysmen ausgesprochen hat. Die Nachteile, 
welche eine in den arteriellen Kreislauf eingefügte Vene schon 
wegen ihres anatomisch anderen Charakters bringen muss, sind 
klar, jedenfalls sind unter allen Umständen die Resultate der 
Venentransplantation von vornherein weit mehr unsicher als die 
der Gefässnaht, schon auch deshalb, weil hierbei zwei Nähte nötig 
sind, die das Transplantat mit den Arterienstümpfen verbinden 
müssen. Da jede Gefässnaht wenigstens teilweise thrombosieren 
kann, so verdoppelt sich schon dadurch die Gefahr bei der Venen¬ 
transplantation, und doch ist diese Rechnung falsch, weil die peri¬ 
phere Naht noch weit mehr zur Thrombose neigt als die centrale, 
da sie am unteren Ende der eingepflanzten Vene liegt. Es bleibt 
also die Venentransplantation eine unsichere Methode, die man so¬ 
weit als möglich vermeiden soll. 

Haben wir nun die einzelnen Methoden der Aneurysmaopera¬ 
tion hier angeführt, so ergibt sich als nächste ganz allgemeine 
Frage naturgemäss die Wertung der einzelnen Methoden gegenein¬ 
ander. Dabei scheiden nach dem oben Gesagten die einfache cen¬ 
trale Unterbindung der Arterie oberhalb des Aneurysmas sowie 
die Unterbindung central und peripher, ohne Inangriffnahme des 
aneurysmatischen Sackes aus, auch über die Transplantation von 
Venen ist nichts Wesentliches mehr zu sagen, es bleibt also der 
Wert der Unterbindungsmethode und der der Naht einander gegen¬ 
überzustellen. 

Es ist natürlich fraglos, dass die Naht, welche normale ana¬ 
tomische und physiologische Verhältnisse herstellt, der Unter¬ 
bindung, welche mindestens eine Aenderung der Circulationsver- 
hältnisse, zumeist aber doch auch eine wesentliche Einengung des 
Blutzuflusses bedeutet, überlegen sein muss. Es ist aber ebenso 
fraglos, dass die Naht den weit grösseren Eingriff darstellt, der 
nicht nur an sich mit grösseren Gefahren für den Operierten ver¬ 
bunden ist, sondern auch im weiteren Verlauf nach der Operation 
gewisse Gefahren in sich birgt, wie z. B. das Aufgehen der Naht 
mit folgender bedrohlicher Blutung, wiewohl dieses Ereignis nach 
meinen Erfahrungen nicht zu fürchten ist, wenn man eine richtige 
Indikationsstellung einhält. Gerade aber die Indikationsstellung ist 
für die Naht eine viel heiklere und erfordert weit grössere Er¬ 
fahrung, als wenn man sich mit Unterbindung begnügt. 

Wenn ich ganz davon absehe, dass man es unbedingt aus 
eigener Erfahrung lernen muss, welchen Grad von Spannung man 
einer Gefässnaht Zutrauen kann, und es ist ganz erstaunlich, wie 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



KrieirMiiieurysmen. 


«35 


weit man dabei entgegen der mehr theoretischen Auffassung, dass 
die Naht nur gerechtfertigt sei, wenn sie ohne Spannung ausge- 
führt werden kann, gehen darf, so bleibt doch die Frage von ganz 
eminenter Bedeutung, wie weit man berechtigt ist, die Naht bei 
nicht ganz blanden Aneurysmen auszuführen. Ich habe schon ein¬ 
mal darauf hingewiesen, dass es ausserordentlich schwierig ist, zu 
entscheiden, ob ein Aneurysma infiziert ist oder nicht, und darf 
diesbezüglich auf das bei den Komplikationen von Aneurysmen 
Gesagte hinweisen. Und gerade in der Schwierigkeit dieser Ent¬ 
scheidung liegt auch die Schwierigkeit der Entscheidung für die 
Naht; denn eine Reihe von Autoren, von denen ich als Vertreter 
hier nur Kirschner 1 ), Liebert 2 ) uud Hotz 3 ) anführe, verlangen 
für die Arteriennaht ein absolut aseptisches Operationsfeld. Ein 
solches ist nun, wenn wir früh operieren, fast nie gegeben, wie 
Bier (1. e.) mit Recht betont. Wie aber Bier und ich beobachten 
konnten, ist ein absolut aseptisches Operationsfeld für die Gefäss- 
naht glücklicherweise nicht unbedingt nötig, sie kann auch bei 
leicht infizierten Wunden an Aneurysmasäcken mit Erfolg ausge¬ 
führt werden, wenn wir nur so vorsichtig sind, dabei die Wunden 
nicht vollständig zu schliessen, sondern sie zu drainieren. Dass 
man den Standpunkt vertreten muss, bei schwer infizierten Aneu¬ 
rysmen keine Gefässnaht auszuführen, also bei Aneurysmen, bei 
denen uns gerade die Infektion das Messer in die Hand drückt, 
ist über jeden Zweifel erhaben, so dass in solchen Fällen die Ent¬ 
scheidung für das einzuschlagende Verfahren nicht schwer fällt. 
Zwischen den oben geschilderten leichtesten Graden von Infektion, 
die uns vorsichtshalber nach ausgeführter Gefässnaht drainieren 
lassen, und den leicht erkennbaren schweren Formen von Infektion 
eines Aneurysmasackes liegen aber viele Zwischenstadien, und hier 
kann nur persönliche Erfahrung die richtige Indikationsstellung treffen. 

Nach alledem wäre also die einfachere, leichtere, weniger 
Technik erfordernde, bezüglich der Indikationsstellung weit weniger 
heikle Unterbindung der Gefässnaht unbedingt vorzuziehen, wenn 
sie dieselben Resultate gewährleisten könnte wie eben die Gefäss¬ 
naht. Das aber tut sie nicht, wie man mit aller Bestimmtheit 
sagen kann. 

Wer Erfahrungen über beide Methoden hat, wird jedesmal 
staunen, wenn man immer wieder Stimmen laut werden hört, dass 

1) Kirschner, Berichte über die erste Expedition nach (irieehenland. 
Beitr. z. Kriegsheilk. 

2) Liebert, Die erste Expedition nach Konstantinopel. Beitr. z. Krieirs- 
heilkunde. 

oj llotz, Zur Chirurgie «ler Blutgefässe. Beitr. z. Ulin. Chir. Bd. 1)7. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



♦536 


II. v. Ilahcrpr, 


Digitized by 


die Gefiissnaht bei Schussaneurysmen gar nicht nötig sei, ja dass 
sie in der Regel eine Spielerei sei, wie Oehlecker (1. c.) sogar 
sagt. Andere, wie Honigmann 1 ), halten dafür, dass die Naht 
nur selten nötig sei, Rychlick 2 ) meint, dass sie nur bei grossen 
Gefässen am Platze sei. Dem gegenüber betont Bier (1. c.), dass 
die eine Unterbindung erheischenden Operationen so selten indiciert 
sind, dass sie einer Entschuldigung oder Erklärung bedürfen! Diese 
wenigen Beispiele aus der Literatur genügen, um zu zeigen, wie 
weitgehende Mcinungsdifferenzen heute noch über die Wahl der 
operativen Methode bei den Aneurysmen bestehen. Da nun oben¬ 
drein diejenigen Chirurgen, welche mit der Unterbindung gute Re¬ 
sultate aufzuweisen haben, darauf hinweisen können, dass wir nicht 
wissen, wie oft im Gefolge einer Gefässnaht an der Nahtstelle 
eine Thrombose auftritt, die das Lumen wieder verstopft, so ist 
es begreiflich, dass alle, welche von der Unterbindung keine üblen 
Folgen gesehen haben, diese der Gefässnaht vorziehen wollen. Dass 
ein Operateur in der Tat bei einer Serie von Fällen mit der Unter¬ 
bindung insofern vollen Erfolg erzielen kann, dass er keine Gangrän 
erlebt, beweist am besten die von v. Frisch (1. c.) aus dem Balkan¬ 
feldzug mitgeteilte Serie von 15 Fällen, wobei in dem eben an¬ 
gegebenen Sinne durchaus ein voll befriedigender Erfolg erzielt 
wurde. In ähnlicher Weise ist es ja auch mir bei den ersten 13, 
ausschliesslich mit Unterbindung behandelten Fällen ergangen. Ich 
glaube aber, dass bei grösseren Zahlen jeder, der nur unterbindet, 
Misserfolge durch die Unterbindung erleben muss, und das habe 
auch ich bei meinem Material in einem Fall erfahren. 

Ob im Anschluss an eine Gefässnaht ein Thrombus auftritt 
oder nicht, entzieht sich in der Tat unserer Beurteilung, es ist 
auch die Qualität des Pulses peripher von der Nahtstelle kein 
verlässlicher Gradmesser dafür. Es frägt sich nur, ob schwerere 
Circulationsstörungen, die bis zur Gangrän führen, nach Gefäss- 
nähten ebenso oft Vorkommen wie nach Unterbindungen. Das muss 
ich nun nach meinen eigenen Erfahrungen absolut verneinen, und 
ich habe dabei naturgemäss nur jene Fälle im Auge, bei denen es 
sich um Verletzungen von Hauptarterien handelte. Noch eine Ueber- 
legung muss hier angeführt werden. Verletzungen der Carotis 
communis und der Arteria carotis interna führen fast ausnahmslos 
zu vorübergehenden oder schweren dauernden Gehirnstörungen auch 
bei jungen Leuten, so dass für dieses Gefässgebiet auch von den 
Anhängern der Unterbindungsmethode die Gefahr derselben zu- 

1) Hon iirrnan n, Breslauer chir. Ges. 14. 12. 1914. 

2) Rychlick, Die Therapie <ler traumatischen Aneurysmen. i>. Kohlt. 
tseheeh. Xaturf. u. Aerzte 1914. 


Gck igle 


Ürigiral from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Krir^sancurvsmon. 


637 


gegeben werden muss. Hierbei ist sie also unter allen Umständen 
der Naht weit unterlegen! Daraus ergibt sich also von selbst, 
dass die Naht überall dort, wo sie anwendbar ist, der Unterbin¬ 
dung vorgezogen werden soll. 

Nun liest man in kasuistischen Mitteilungen sehr oft, dass 
in dem gegebenen Fall oder den Fällen die Naht wegen des be¬ 
stehenden Defektes im Gefässe gar nicht in Betracht gekommen 
wäre. Mit zunehmender Krfahrung bin ich solchen Konstatierungen 
gegenüber immer skeptischer geworden, um so mehr, als ich selbst 
offen bekennen muss, dass ich anfänglich sehr oft derselben 
Meinung war und jetzt gerne zugebe, dass ich in vielen der Fälle, 
bei denen mir die Naht unmöglich erschien, heute bestimmt die 
Naht ausführen würde! Man kann sich, ohne es geübt zu haben, 
gar nicht vorstellen, dass Arteriendefekte von über 5 cm, einer 
exakten und sicher haltenden Naht gar kein Hindernis in den Weg 
legen, bis man nicht einmal, durch die Not gezwungen, auch in 
solchen Fällen die Gefässnaht forciert! Ganz abgesehen davon, 
dass man der Gefässnaht eine ganz gehörige Spannung Zutrauen 
darf, ist durch richtige Mobilisierung des centralen und peripheren 
Arterienstückes, durch Naht bei gebeugten Gelenken Unglaubliches 
zu leisten. Ich werde bei der Besprechung meines Materiales dar¬ 
auf zurückkoramen. 

Hier muss aber ganz allgemein noch eines besonders wichtigen 
Punktes Erwähnung getan werden. Es bezieht sich das zu Sagende 
auf das weitere Schicksal der Operierten. Wenn wir diesbezüglich 
die mit Unterbindung und mit Gefässnaht behandelten Fälle weiter 
verfolgen, so ergeben sich sehr eingreifende Unterschiede. Verglichen 
seien dabei selbstverständlich zunächst nur Fälle, bei denen es sich 
um die Verletzungen von Ilauptgefässstämmen handelte. Da kann 
ich nun aus eigener Erfahrung sowohl wie aus dem Vergleich von 
Fällen anderer Chirurgen, die mir während des Krieges entweder 
zufällig uuterkamen, oder aber deren Dienstfähigkeit ich zu be¬ 
stimmen hatte, aussagen, dass die mit Naht behandelten Fälle 
längst voll diensttauglich waren und keine Spur von Circulations- 
störungen aufwiesen, wenn die mit Unterbindung behandelten Fälle 
noch immer eine mehr weniger ausgesprochene Cyanose der peri¬ 
pheren Teile der betroffenen Extremität und eine gewisse Kühle 
zeigten, so dass man sie z. B. für den Winterfeldzug nicht als taug¬ 
lich bezeichnen konnte. Hand in Hand mit dieser objektiven 
Beobachtung ging auch ein verschiedenes subjektives Verhalten der 
Träger von unterbundenen und genähten Blutgefässen. Während 
die letzteren keinerlei Beschwerden klagten, gaben erstere fast 
durchwegs in einer oder mehreren Muskelgruppen ziehende Schmerzen 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



(538 


H. v. II ab (»rer. 


Digitized by 


an, die ab und zu auch zu leichten Kontrakturstellungen geführt 
hatten, wobei an der unteren Extremität der Spitzfuss vorwiegend 
war. Ich halte diese Schmerzen, wie Hotz (1. c.), ebenfalls durch 
leichte Circulationsstörungen hervorgerufen. Es ist klar, dass ich 
bei dem Gesagten nur unkomplizierte Fälle, die also sicher keine 
gleichzeitige Nervcnläsion davongetragen hatten, im Auge habe. 
Der Unterschied ist aber ein so auffallender, dass jeder, der Ge¬ 
legenheit hat, die Fälle nach langer Zeit zu sehen, mir recht 
geben wird 1 ). 

Es ist sehr interessant, dass man nach der Unterbindung nur 
einer Arterie des Vorderarmes, bzw. des Unterschenkels, und zwar 
namentlich des letzteren, gelegentlich die gleichen leichten Störungen, 
wenn auch in geringerem Grade, feststellen kann, wie ich sie für die 
Unterbindung der Hauptarterien geschildert habe, wobei sie ja viel 
begreiflicher sind. Es ist also auch von dem eben angegebenen 
Gesichtspunkte aus die Naht der Unterbindung vorzuziehen. Ich bin 
überzeugt, dass sich zu dieser Ansicht jeder durchringen muss, 
der über ein genügend grosses Material verfügt und sowohl die 
Unterbindung als auch die Naht verwendet hat. Und um es noch¬ 
mals zu unterstreichen, mit der Uebung mehren sich die Fälle, in 
denen man noch die Naht ausführen kann, Fälle lassen sich aus¬ 
gezeichnet nähen, die man früher, bei noch geringer Erfahrung, 
unter allen Umständen von der Naht ausschlicssen zu müssen ge¬ 
glaubt hatte. 

Ich kann das wohl am besten am eigenen Material zeigen, 
wie sich die Auffassung verschiebt. Die 72 von mir operativ be¬ 
handelten Kriegsaneurysmen zerfallen in 3 Perioden. In der ersten 


1) Ich möchte cs übrigens nicht unterlassen, darauf hin/.uweisen, dass 
ernste F.rnährungsstörungen nach Fnterbindungen noch nach so langer Zeit ein* 
treten können, dass sie der Operateur, wenn er den Fall relativ frühzeitig ab- 
schichcn muss, trat* nicht mehr zu (iesicht bekommt. Ich will diesbezüglich 
folgenden Fall hier erwähnen: Kadett J. Pf., ‘21 Jahre alt. verwundet am 7. Juli 
1915 durch Durchschuss durch das untere Fnde des linken Oberschenkels. 
Wurde in Kniin am *2. August 1915 wegen Aneurysmas der Art. pnplitea operiert, 
wonach dem Kranken gesagt wurde, dass bei ihm die Arterie genäht worden 
sei. Am 2S. September 1915 kam der Kranke in meine Klinik mit beginnender 
(iangrän der Zehen. Puls war peripher keiner tastbar, der Patient hatte lanei- 
nierende Schmerzen in Wade und Fuss. Die (iangrän nahm langsam zu. und 
führte am 50. Oktober 1915 zur Oberschenkclamputation. Die Präparation am 
amputierten Deine ergab, dass die Arterie unterbunden war! 

Der Fall ist wohl besonders lehrreich dafür, wie spät noch nach der 
Arteriemmterbindung schwere rirculationsstürungen mit (iangrän auftreten können. 
Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass die operationsnarbe nicht per primam 
geheilt war. dass der Kranke aller im Zustande guter (iranulationsbildung an 
meine Klinik gekommen war. Mag auch dem I mstande, dass eine prima in- 
•entio ausgeb]icben war. eine die (iangrän begünstigende Kollo zufallen, so ist 
doch das späte Auftreten derselben dadurch allein gewiss nicht erklärt. 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 





639 


habe ich 1 ) mit sehr gutem Erfolge 13 Aneurysmen ausschliesslich 
mit Unterbindung behandelt, und damals daraus den Schluss ge¬ 
zogen, dass die Unterbindungsmethode bei den Schussaneurysmen 
fast stets genügen wird. Meine Fälle schienen mir weiter zu be¬ 
weisen, dass die Gefässe durch Schussverletzungen stets so weit zer¬ 
stört sind, dass eine Naht nur in den seltensten Fällen möglich 
sein dürfte. 

In der zweiten Periode habe ich 2 ) 29 Aneurysmen zu beob¬ 
achten und zu operieren Gelegenheit gehabt. Von diesen wurden 
16 mit Unterbindung, 13 mit Naht behandelt, und zwar 5 mit 
lateraler, 8 mit circulärer Naht. Ich kam infolge der erzielten 
Resultate zu dem Schlüsse, dass die Arteriennaht bei Aneurysmen 
möglichst oft zu versuchen ist, und dass sie weit öfter ausgeführt 
werden kann, als man im allgemeinen bisher angenommen hat. 
Immerhin glaubte ich aber auch damals noch, dass die Zahl der 
möglichen Gefässnähte eine beschränkte sei. 

In der dritten Periode endlich habe ich 30 Aneurysmen operiert, 
dabei aber nur in 6 Fällen unterbunden und in 24 die Naht, und 
zwar 7 mal als laterale, 17 mal als circuläre ausgeführt. Heute bin 
ich der Ansicht, dass man die kleinen Arterien ruhig unterbinden 
kann, dass man aber bei allen grösseren Gefässen die Gefässnaht 
ausführen soll, und in der Regel auch ausführen kann. Ich glaube, 
die Zahlen, die ich hier ohne weitere Erläuterung nur einander 
gegenüber stellen wollte, sprechen für sich. Sie zeigen, wie ich 
mit zunehmendem Können von selbst die Indikationsbreite der Naht 
ausdehnte, und wie die Unterbindungen immer seltener und seltener 
werden. 

Von ganz allgemeiner Bedeutung sind noch zwei Fragen, die 
sich auf die operative Therapie der Aneurysmen beziehen: Die 
erste zielt darauf ab, wie wir uns bei gleichzeitiger Venenverletzung, 
also bei den verschiedenen Formen der arteriovenösen Aneurysmen, 
der Vene gegenüber zu verhalten haben, die zweite beschäftigt sich 
mit dem günstigsten Zeitpunkte der Aneurysmenoperationen. 

Was die erste Frage anlangt, so ist klar, dass beim rein 
arteriellen Aneurysma die unverletzte Vene zumeist abpräpariert 
und geschont werden kann, den Chirurgen also nicht weiter inter¬ 
essiert. Anders beim arteriovenösen Aneurysma, bei dem nicht 
nur eine gleichzeitige Verletzung von Arterie und Vene vorlicgt, 

1) v. Haberer, Bericht über 13 Aneurysmen aus dem gegenwärtigen 
Kriege. Wiener klin. Woehensehr. 1914. Xr. 4G. 

2) v. Haberer, Circulare Naht der Carotis communis. Wiener klin. Wochen¬ 
schrift. 1914. Nr. 4S. — Weiten 1 Krfahru ngen über Kriegsaneurysmen mit be¬ 
sonderer Berücksichtigung der (iefässnaht. Wiener klin. Wochensehr. 1915. 
Xr. 17 u. IS. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



(540 


II. v. Halte rer, 


Digitized by 


sondern bei dem auch in der Regel weit über die Verletzungsstelle 
hinaus Arterie und Vene miteinander verwachsen sind. In diesen 
Fällen muss also die Vene ebenfalls chirurgisch versorgt werden. 
Wer in solchen Fällen als Anhänger der Unterbindungsmethode die 
Arterie unterbindet, wird in der Regel mit der Vene in gleicher 
Weise verfahren, und es sind sogar Stimmen dafür laut geworden, 
dass die Gefahr der Gangrän bei gleichzeitiger Unterbindung von 
Arterie und Vene geringer sei, als wenn man bloss die Arterie 
unterbindet. Wolff 1 ), Plöger 2 ) und Oehlecker (1. c.) möchte ich 
hier citieren, von denen letzterer, wie schon früher angegeben, 
überhaupt ein besonderer Verfechter der Unterbindungsmethode ist. 
Er rät sogar, bei Aneurysmen die gesunde Vene mit zu unter¬ 
binden, weil dadurch die Circulationsverhältnisse verbessert werden. 
Jene, welche zur Aneurysmabehandlung die Naht vorziehen, können 
ebenso wie die Arterie, auch die Vene nähen. Es liegt dies 
sogar sehr nahe, weil an der Vene meist eine laterale Naht ge¬ 
nügen wird. Dass bei genähter Hauptarterie die Ligatur der Vene 
nicht schadet, braucht weiter nicht diskutiert zu werden, es sind 
also beide Möglichkeiten gegeben. Ich habe stets die Vene central 
und peripher vom Aneurysma unterbunden, und dabei nicht den 
geringsten Nachteil gesehen. Ich muss sogar vor der Venennaht 
warnen und die Unterbindung empfehlen, weil, wie ich schon bei 
den Komplikationen der Aneurysmen auszuführen Gelegenheit hatte, 
in meinem Material zwei Fälle (8, 62) vorkamen, bei denen die 
Vene Thromben aufwics. Die daraus resultierende Eraboliegefahr 
ist für mich Veranlassung genug, die Vene beim arteriovenösen 
Aneurysma prinzipiell zu unterbinden. 

Was nun den Zeitpunkt anlangt, in dem man am besten ein 
Schussaneurysma der operativen Therapie unterzieht, so gehen dies¬ 
bezüglich die Meinungen wohl am weitesten auseinander. Dass die 
Anhänger der Ligatur warten wollen, weil sie damit auf die Aus¬ 
bildung eines besseren Kollateralkreislaufes hoffen, läge nahe, aber 
auch bei ihnen ist das Lager geteilt. So sind Kirschner (1. e.) 
und Coenen 3 ) für ein möglichst spätes Operieren, während v. Frisch 
die Operation schon in der 3. bis 5. Woche nach der Verletzung 
rät und mit ßornhaupt 4 ) der Ansicht ist, dass um diese Zeit die 
Verhältnisse für die Operation am günstigsten liegen. Ich habe 

1,) Wulff. Iliiufiirkrit der Kxtrcmitätcnnrkmse mich rnterhinduni: irrusser 
Artericnstämmc. Bcitr. z. klin. Chir. Bd. AS. 

2) P I o lt c r. IVbcr traumatische Ancurvsmon. Münch, med. Wnt*hcus<*hr. 

15115. Xr. IS). 

3) Cm»neu, Hilfscxjicditimi nach (iricchenland. Beiträge zur Kririis- 
hrilkunde. 

4) Burnhaupt. (icfiissverlctzunijrn und traumatische Aneurysmen. Bcitr. 
z. klin. Chir. Bd. 77. 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



K riesxsani’iirvsinen. 


641 


schon bei Abschluss meiner ersten einschlägigen Arbeit mich voll 
und ganz dieser Auffassung angeschlossen; erstens, weil während 
des Zuwartens durch längere Zeit der Sack sich unverhältnismässig 
vergrössern und damit schon ausgebildete Kollateralen an die Wand 
pressen, also illusorisch machen kann, weil er in dieser Zeit auch 
weitgehende andere Veränderungen durch Druck wie Xervenschädi- 
gung und sogar Usurierung des Knochens herbeiführen kann, und 
zweitens, weil, wie ich in einer späteren Publikation (1. c.) ausge¬ 
führt habe, bei zu langem Zuwarten die Verwachsungen und Schwielen 
in der Umgebung des Aneurysmas so intensive werden können, 
dass dadurch die Operation unnötig und ungemein erschwert wird. 

Der Chirurg, welcher die Naht anstrengt, braucht beim Aneu¬ 
rysma auch keine drei Wochen mit der Operation zu warten, wenn 
er sicher ist, dass keine Infektion vorliegt. Für ihn wird also der 
Zeitpunkt der Operation ausschliesslich durch die Möglichkeit einer 
aseptischen Operation bestimmt, soweit sie sich nach den früher 
angeführten Gesichtspunkten überhaupt entscheiden lässt. So habe 
ich in zwei Fällen schon wenige Tage nach der Verletzung operiert 
(57, 60), ohne davon einen Schaden zu sehen; in beiden Fällen lag 
aber eine strikte Indikation zum raschen Eingriff vor. Das muss 
eben überhaupt hervorgehoben werden, dass die freie Wahl des Zeit¬ 
punktes zum Eingriff in einem sehr grossen Prozentsatz der Fälle 
gar nicht in Betracht kommt, sondern dass Komplikationen oder 
sehr rasches Wachstum, intensive Schmerzen und dergleichen den 
Zeitpunkt der Operation einfach diktieren. Nach alledem stehe 
ich heute auf dem Standpunkt, womöglich sehr früh zu operieren 
und nur in jenen Fällen zuzuwarten, bei denen eine Infektion 
manifest oder nicht ausgeschlossen ist. 

Andrerseits kann gerade eine schwere Infektion des aneurys¬ 
matischen Sackes zum operativen Eingreifen zwingen, weil die Ge¬ 
fahr einer allgemeinen Sepsis droht. Gerade in solchen Fällen 
muss jede prinzipielle Wahl des Zeitpunktes für die Aneurysma¬ 
operation ausser acht gelassen werden, und müssen dabei ebenso¬ 
wohl die Anhänger der Früh- wie der Spätoperation zum Messer 
greifen. Nur werden die Anhänger der Naht dabei auf eine solche 
selbstverständlich verzichten müssen. 

Endlich steht für die Therapie der Aneurysmen noch eine 
Frage zur Diskussion, die ebensowohl bei der Unterbindung 
wie bei der Gefässnaht in Betracht kommt. Soll man die Aneu¬ 
rysmen mit oder ohne von Esmarch’scher Blutleere operieren? 
Auch hier 6tehen sich zwei Ansichten gegenüber, v. Frisch, 
Bier und andere fordern für die Operation die Blutleere; Bier 
betont, dass man in Blutleere die Seitenäste der Arterie weit 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



II. v. IIaber e r, 


Digitized by 


«42 

besser schonen kann, was natürlich, namentlich wenn man unter¬ 
binden muss, von grösster Bedeutung ist. Ich habe den Stand¬ 
punkt vertreten, den auch Zahradnickv jetzt einnimmt, dass 
man ohne Blutleere operieren soll. Ich hatte meinerseits immer 
den Eindruck, dass man gerade ohne Blutleere weit sorgfältiger 
operiert und gerade dadurch Verletzungen von Nebenästen, die man 
auch besser sieht, vermeiden kann. Ich habe auch den Standpunkt 
vertreten, dass man bei multiplen Aneurysmen in künstlicher Blut¬ 
leere weit leichter einen Sack übersehen kann, als wenn man ohne 
Blutleere operiert. Ich habe nun auch, um mich praktisch zu über¬ 
zeugen, einige .Male in v. Esmarch’scher Blutleere operiert, konnte 
aber keinen Vorteil finden, und operiere jetzt wieder, nach wie vor, 
ohne Blutleere. Ich möchte vielmehr den schon angeführten Argu¬ 
menten, welche meines Erachtens gegen die Blutleere sprechen, 
noch drei weitere hinzufügen: Zunächst können wir gerade dort, 
wo wir die Blutleere am meisten wünschen würden, beim Aneu¬ 
rysma der Carotis und der Subclavia, dieselbe nicht anwenden, 
und werden uns doch auch bei Iliakalaneurysmen nicht leicht zu 
der immerhin gefährlichen Moraburg’schen Blutleere entschliessen. 
Warum sollen wir dann gerade bei Gefässen in Blutleere operieren, 
wo wir es viel leichter haben? wo wir jederzeit durch Digital¬ 
kompression, wenn es stärker bluten sollte, auch zum Ziele ge¬ 
langen? Der zweite Grund aber, den ich gegen die Blutleere als 
bisher nicht ausgesprochen ins TretTen führen möchte, scheint mir 
noch stichhaltiger zu sein. Gerade wenn wir die Gefässnaht aus¬ 
führen wollen, halte ich es durchaus nicht für gleichgültig, ob wir 
den Eingriff, der doch namentlich in seiner Voroperation, der Prä¬ 
paration, gelegentlich sehr lange dauern kann, in künstlicher Blut¬ 
leere vornehmen oder nicht. Ich glaube, dass durch lange Anämi- 
sierung die Verhältnisse an der Nahtstelle ungünstig beeinflusst 
werden können, dass dabei weit eher eine Thrombose an der Naht¬ 
stelle auftreten kann, als wenn wir ohne Blutleere operieren. Aus 
dieser Ueberlegung heraus lege ich auch die Höpfner’schen 
Klemmen immer sehr spät an und lasse sie lieber durch Finger¬ 
kompression ersetzen. Endlich muss ich drittens nach meinen Er¬ 
fahrungen über Venenthrombose bei Aneurysmen wegen der Embolie¬ 
gefahr zur Vorsicht mit der künstlichen Blutleere raten. 

Wenn es auch schwer hält, diesen Standpunkt gegenüber dem 
gegenteiligen von Bier, der über so ungleich grössere Erfahrungen 
verfügt, zu vertreten, so konnte ich mich doch bisher nicht be¬ 
kehren. Vielleicht lässt sich die Frage aber überhaupt prinzipiell 
nicht nach der einen oder anderen Richtung glatt beantworten. Ich 
muss ja absolut zugeben, dass z. B. Chirurgen, die noch nicht viele 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Kric^saneurysmon. 


643 


Aneurysmen operiert haben, sicher gut daran tun, die Blutleere 
überall anzuwenden, wo es möglich ist, um bei der langen Ope¬ 
rationsdauer möglichst Blut zu sparen. Damit komme ich nun 
zur Besprechung des eigenen Materiales. 

Eigene Beobachtungen. 

Wenn ich in den Rahmen der allgemeinen Besprechung mein 
eigenes Material einfügen soll, so wird cs sich, da ich bei den 
einzelnen Kapiteln bereits entsprechende Beispiele angeführt habe, 
im wesentlichen um die eingeschlagene Therapie und die damit 
erzielten Misserfolge und Erfolge handeln. Da ich anfangs fast 
durchweg unterbunden, später immer mehr und mehr genäht habe, 
so verfüge ich über annähernd gleiche Zahlenreihen für beide 
Methoden. Dabei möchte ich besonders betonen, dass ich bei den 
ersten 13 Unterbindungen keine Misserfolge erlebt habe, dass sich 
ein solcher erst vielmehr später eingestellt hat und gerade die 
Veranlassung war, die Unterbindung zu Gunsten der Naht einzu¬ 
schränken. Ich betone dies deshalb, weil der Einwand sonst ge¬ 
rechtfertigt wäre, dass ich ungleichwertiges Material vergleiche, 
solches, bei dem ich noch als Anfänger mit technischen Schwierig¬ 
keiten mehr zu kämpfen hatte, und solches, bei dem mir bereits 
reichlichere Erfahrung und Uebung zu Gebote gestanden hat. Dieser 
Einwand sei also damit von vorneherein entkräftet. 


Sitz des 

Aneurysmas 

Zahl 

Beh 

n 

ZJ 

andlungs- 

lethodc 

] i 

£ « 15 W 
3 s £ = 

a 

« 

o 

w 

t/2 

O 

Geheilt 

Anmerk ung 

Carotis communis . 

5 

s 

1 

2 _ 


5 

1 Fall später unterbunden. 

Carotis interna . . . 

1 

— 

1 

— 

1 

— 

Subclavia. 

14 

3 

0 5 

2 

12 

— 

Axillaris. 

5 

2 

2 1 1 


5 

— 

Brachialis. 

s 

2 

1 5 

— 

8 

— 

Radial is. 

1 

— 

1 

— 

1 


Iliaca. 

3 

3 

— — 


3 

— 

Femoralis. 

18 

10 

— 8 

3 

15 

1 Fall später amputiert. 

Poplitea 

4 

2 

_ 2 

— 

4 

da. 

tibialis anlica . . . 

4 

— 1 

4 

— 

4 

— 

Tibialis postica . . 

4 


4 

— 

4 

— 

Tibialis ant. u. post. 

2 

— ! 

1 1 

— 

2 

— 

Maxillaris interna . 

1 

— i 

1 

— 

1 


Temporalis. 

1 

— 

1 


1 

— 

Glutaea. 

1 


1 


1 



72 | 

25 | 

12 35 

5 

67| 


37 


□ igitized by Google 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 












Digitized by 


(-(44 H. v. llabcrcr. 

Bei meinem Aneurysmenmaterial von 72 Fällen habe ich 35 mal 
unterbunden, in 37 Fällen die Naht angewendet, die 12 mal als 
laterale, 25mal als circulare zur Anwendung kam. Vorstehende 
Tabelle gibt sowohl die Verteilung der zur Beobachtung gelangten 
Aneurysmen nach ihrem Sitz, sowie nach der dabei eingeschlagencn 
Therapie und deren Erfolg übersichtlich. 

Es zeigt sich, dass ich bezüglich der Verteilung der Aneu¬ 
rysmen auf verschiedene Gefässabschnittc ein sehr mannigfaltiges 
Material zu beobachten Gelegenheit hatte, in dem besonders die 
Aneurysmen der Subclavia (14 Fälle) und der Femoralis (18 Fälle) 
voranstehen. Danach kommen die Brachialisaneurysmen mit 8, die 
Carotisaneurysmen mit 5 Fällen, die übrigen verteilen sich auf ver¬ 
schiedene Gefässbezirke. Von den 72 Fällen sind 5 gestorben, 
67 geheilt. Mit den Misserfolgen wollen wir uns zuerst beschäftigen. 
Die Todesfälle betreffen 2 Subclaviaaneurysmen und 3 Aneurysmen 
der Femoralis. 4 von den unglücklichen Ausgängen betreffen Unter¬ 
bindungen, nur ein Fall mit Naht kam ad exitum. 

Analysieren wir diese 5 Todesfälle etwas genauer. Es handelt 
sich um die Fälle 19, 27, 43, 56 und 66. Zwei von diesen Todes¬ 
fällen betreffen, wie gesagt, Aneurysmen der Subclavia (19 und 66), 
drei, Aneurysmen der Femoralis, und zwar handelte es sich zwei¬ 
mal um die Profunda femoris (27 und 56), einmal um die Femo¬ 
ralis nach dem Abgang der Profunda femoris (43). 

In Fall 19 handelte es sich um ein schwer infiziertes zwei¬ 
faustgrosses Aneurysma der linken Subclavia bei einem septischen 
Kranken, das schon mehrfach nachgeblutet hatte. Die Verletzung 
lag erst ungefähr 3 Wochen zurück, so dass wir wegen des elenden 
Zustandes zuwarten wollten, in der Hoffnung, dass die Sepsis ab- 
klingen könnte. Unser Vorhaben wurde durchkreuzt durch eine 
neuerlich auftretende Blutung, welche sofortiges Eingehen nötig 
machte. Es gelang die cenirale und periphere Ligatur der Arteria 
subclavia und die Eröffnung und Tamponade des aneurysmatischen 
Sackes, ohne dass der Patient weiter Blut verloren hätte. Trotzdem 
erholte er sich aus dem Kollaps nicht mehr und starb eine Stunde 
nach beendeter Operation. 

In Fall 66 lag ein inoperables Aneurysma der rechten Arteria 
subclavia vor, wie die Obduktion und schon vorher die versuchte 
Operation zeigte. Inoperabel dürfte das Aneurysma durch den 
langen Bestand von über 6 Monaten geworden sein. Venen von 
einer Weite und Zerreisslichkeit, wie man sie wohl selten sehen 
wird, deckten den aneurysmatischen Sack, mit dem sie durch derbe 
Schwielen verwachsen waren. Es kam bei der Operation zu schwerer 
Blutung, die auch durch die Unterbindung der Arteria anonyma, 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



645 


KriogsanVurysmon. 

Artcria subclavia und Vena subclavia und Vena jugularis nicht zu 
beherrschen war. Der Eingriff blieb unbefriedigend und musste 
durch Tamponade beendet werden. Patient starb eine halbe Stunde 
nachher. 

Lag in dem ersten der geschilderten Fälle die Sache so, dass 
wir gegen unseren Willen, durch eine schwere Blutung gezwungen, 
bei dem septischen Kranken zum Zwecke der Blutstillung ein- 
greifen mussten, wobei die ganz glatt verlaufende Operation keinen 
Erfolg mehr hatte, so dass der Fall weder für, noch gegen die 
Leistungsfähigkeit der Methode verwertbar ist, so kann ich mir im 
zweiten Fall den Vorwurf nicht ersparen, eine Operation forciert 
zu haben, die von vornherein sehr aussichtslos genannt werden 
musste, die ich aber, einmal begonnen, gewiss in einem früheren 
Stadium hätte abbrechen sollen. Liegt mithin im ersten Fall ein 
Todesfall vor, der auch durch die sachgemässe und glatt ver¬ 
laufende Operation nicht aufzuhalten war, so handelt es sich im 
zweiten Fall um einen operativen Misserfolg, hervorgerufen durch 
falsche Indikationsstellung. Man muss sich eben daran gewöhnen, 
dass es auch inoperable Schussaneurysmen geben kann, von denen 
man lieber die Hand lässt. 

Im dritten Fall (27) lag ein grosses Aneurysma arteriovenosum 
der Art. profunda femoris vor, das über 2 Monate alt war, wobei 
Ein- und Ausschuss längst vernarbt waren. Nichts deutete auf 
eine etwa durchgemachte oder gar bestehende Infektion hin, nur 
gestaltete sich die Operation deshalb schwieriger, weil das Aneurysma 
— neben arteriovenöser Verbindung lag auch noch ein Aneurysma 
spurium der Art. profunda femoris vor t— tief in die Adduktoren- 
muskulatur eingegraben, in seinem Sack chronisch entzündlich ver¬ 
ändert war. Auf Entzündung deutete auch das Verhalten der 
Inguinaldrüsen. Leider liess ich diese Symptome ganz unberück¬ 
sichtigt, und schloss nach der Unterbindung mit Exstirpation des 
Sackes die Wunde primär vollkommen. Sekundäre Eiterung machte 
die Eröffnung der Naht notwendig, und nun schien alles gut gehen 
zu wollen. Da trat plötzlich am 12. Tage nach der Operation 
eine schwere Arrosionsblutung auf, die zwar noch beherrscht werden 
konnte, doch erholte sich der Kranke nicht mehr und starb 4 Stunden 
danach. Die Arrosion lag nicht in der unterbundenen Art. prof. 
femor., sondern in der Arteria femoralis. Der Fall beweist das, 
was ich früher über die diagnostische Schwierigkeit der Infektion 
eines Aneurysmas sagte. Immerhin hätte ich aber die bei der Ope¬ 
ration Vorgefundenen und geschilderten Veränderungen richtig deuten 
sollen. Dann hätte ich drainiert und auf diese W eise wahrscheinlich 
den schlechten Ausgang hintanhalten können. 

Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. lieft 4. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



646 


H. v. Habe rer, 


Digitized by 


Im vierten Fall (43) musste ich bei einem schwer septischen 
Kranken 25 Tage nach der Verletzung wegen eines zu platzen 
drohenden, übergrossen Aneurysmas der Arteria femoralis unter¬ 
halb des Abganges der Profunda den Eingriff machen. Das 
Aneurysma war obendrein durch eine Fraktur des Oberschenkels 
kompliziert und unterhielt wütende Schmerzen. Ich habe in diesem 
Fall die Arterie genäht, was sich leicht und rasch machen liess. 
Sofort waren auch die Schmerzen geschwunden. Trotzdem erlag 
der Kranke nach 48 Stunden seiner Sepsis. Vor allem lässt sich 
der Einwand erheben, dass ich bei schwerer Sepsis eine Gefäss- 
naht ausgeführt habe, und ich habe mir auch selbst diesen Ein¬ 
wand sofort nach der Operation gemacht. Immerhin glaubte ich 
mich im gegebenen Fall doch dazu berechtigt, weil lokal keine 
erheblichere Infektion mehr da war, und die Obduktion bestätigte 
dies insofern, als eine schwere universale Sepsis vorlag und die Ge- 
fässnaht durchgängig geblieben war. Nach allem aber, was ich in den 
allgemeinen Betrachtungen gesagt habe, verurteile ich heute doch 
unter allen Umständen mein Vorgehen, wenngleich nach dem Obduk¬ 
tionsbefunde an eine Rettung des Patienten nicht zu denken war. Ich 
würde in einem ähnlichen Fall unbedingt mit der hohen Amputation 
Vorgehen, zumal man nie wissen kann, ob nicht eine schon weit 
fortgeschrittene Sepsis dadurch doch noch günstig beeinflusst wird. 

Der letzte Fall (56) endlich war anderwärts wegen eines doppel¬ 
seitigen Femoralaneurysmas operiert worden. Während nach der 
mit Unterbindung ausgeführten Operation das linke Bein in Ordnung 
kam, blieben rechts Schmerzen bestehen, die den Patienten nahezu 
dauernd an das Bett fesselten. Die in der Höhe des Adduktoren¬ 
schlitzes gelegene Narbe war sehr druckempfindlich, das Bein 
dauernd cvanotisch, und die Untersuchung ergab das Vorhanden¬ 
sein eines Aneurysmas, das tief liegen musste, und dessen lautes 
svstolisches Schwirren am deutlichsten im oberen Oberschenkel- 
drittel an der Hinterseite hörbar war. Leider waren von der in 
einem Fcldspital ausgeführten Operation keine Daten zu erhalten, 
nicht einmal das Datum der Operation selbst, die ungefähr 
6 Wochen nach Angabe des Patienten zurücklag. Bei der jetzt 
von mir vorgenommenen Operation handelte es sich zunächst um 
eine Revision des alten Operationsbereiches, darin bestehend, dass 
ich die Femoralgefässe im ganzen Bereich der alten Operations¬ 
narbe und darüber hinaus auspräparierte. Arterie und Vene waren 
in derbe Schwielen und in ein eigentümlich sulziges Gewebe ein¬ 
gebettet, die Arterie erwies sich bis in den Adduktorenschlitz hinein 
überall frei und durchgängig, trug auch in dem ganzen Verlauf 
kein Aneurysma. Hingegen war die Vene stark erweitert, im 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Kriegsancurvsiiu'n. 


647 


Adduktorenschlitz einfach unterbunden und oberhalb der Ligatur 
thrombosiert. Ohne sie zu berühren, suchte ich jetzt, da der Sach¬ 
verhalt eine andere Deutung nicht zuliess, die An. profunda femoris 
auf, und komprimierte sie. Sofort hörte das Schwirren auf. Ich 
unterband daher die Profunda femoris doppelt und durchschnitt 
sie, weil einer ihrer Seitenäste in der Tiefe das Aneurysma tragen 
musste, ohne mich um das letztere zu kümmern. Ich hatte bei 
der Eigenart des Befundes, den ich bei der Operation im alten 
Narbengebiete erheben konnte, nicht den Mut, mehr zu machen, 
eine grössere Wunde zu setzen, als unbedingt nötig war. Nicht 
zum mindesten bestimmte mich das Vorhandensein der Venen¬ 
thrombose zu besonderer Vorsicht. Nachdem der Verlauf durch 
3 Tage ganz befriedigend war, Schmerzen und systolisches Schwirren 
verschwunden waren, trat plötzlich am 4. Tage unter heftigsten 
Schmerzen in der Wade, Temperatur bis 40,8° auf, die am nächsten 
Tage noch auf 41,3° stieg. Trotz hoher Oberschenkelamputation 
war der tödliche Ausgang nicht aufzuhalten, der unter dem Bilde 
einer akuten Gasphlegmone eintrat. Die abgesetzte Extremität 
erwies die Richtigkeit der Diagnose sowohl über die Art der 
ersten, anderwärts ausgeführten Operation (Venen- statt Arterien¬ 
unterbindung), wie auch darüber, dass das Aneurysma einem Aste 
der Profunda femoris angehörte und hart an der Hinterseite des 
Oberschenkelknochens sass. Die bakteriologische Untersuchung des 
alten Venenthrombus ergab den Gehalt an gasbildenden Bakterien. 
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die von mir vorgenommene und 
indizierte Operation, in einem alten infizierten Gebiete zum Auf¬ 
flackern der Infektion, und infolge der hohen Giftigkeit der dabei 
beteiligten Bakterien zum Tode des Patienten geführt hat. 

Der Fall lehrt nicht nur aufs neue, wie schwierig die Ent¬ 
scheidung werden kann, ob eine Infektion vorliegt oder nicht, denn 
vor der Operation war kein Anhaltspunkt dafür zu gewinnen. Er 
lehrt auch, dass es nicht zweckmässig ist, wenn Aneurvsmen- 
operationen in nicht sehr gut eingerichteten Feldspitälern, von nicht 
entsprechend geschulten Aerzten ausgeführt werden. Was der be¬ 
treffende Arzt im geschilderten Fall gemacht hatte, war völlig 
kritiklos. Die Vene einfach mit einer Ligatur zu versehen, weil 
man das Aneurysma nicht findet, das weit höher oben an einer 
anderen als der freigelegten Arterie sitzt, ist doch absolut zwecklos. 
Von den 5 Todesfällen, welche ich absichtlich ganz kritisch be¬ 
sprochen habe, sind zwei (66 und 27) falscher Indikationsstellung 
zuzuschreiben, in den übrigen 3 Fällen war wohl der tödliche 
Ausgang nicht hintanzuhalten. Keiner der Todesfälle ist für oder 
gegen die Unterbindung bzw. die Naht bei Aneurysmen zu verwerten. 

Ui* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



648 


H. v. Habe rer, 


Digitized by 


Wenn die übrigen 67 Fälle geheilt sind, so ist doch noch zu 
betonen, dass ich in 2 Fällen gezwungen war, nachträglich zu 
amputieren. Es sind das die Fälle 13 und 18. 

Im ersten Fall (13) handelte es sich um ein schwer infiziertes 
Popliteaaneurysma, bei dem ich am liebsten wegen des septischen 
Zustandes des Patienten, der erst 7 Tage vor der Spitaleinlieferung, 
verwundet worden war, sofort die Amputation des Oberschenkels 
ausgeführt hätte, wozu der Kranke aber seine Einwilligung nicht 
gab. Ich wartete also zunächst zu. Aber 3 Wochen nach der 
Verletzung trat bei dem Patienten, der sich kaum irgend erholt 
hatte, eine starke Blutung aus dem aneurysmatischen Sack ein. 
die längeres Zuwarten nicht gestattete. Ich operierte deshalb unter 
centraler und peripherer Ligatur von Arterie und Vene und Aus¬ 
schälen des infizierten Sackes. In der Folge entwickelte sich bei 
dem Patienten ein bis in inguine reichender Eitergang, der mehr¬ 
fach inzidiert werden musste. Endlich machten Ernährungsstörungen 
und anhaltendes Fieber am 20. Tage nach der Aneurysmaoperation 
die Amputation im halben Unterschenkel notwendig. Daraufhin 
trat vollkommene Heilung ein. Man darf bei diesem schwer septischen 
Fall, der eigentlich von vornherein hätte im oberen Drittel des 
Oberschenkels amputiert werden sollen, den erzielten Erfolg einen 
guten nennen, da dem Patienten ein bewegliches Knie und der 
halbe Unterschenkel erhalten werden konnte. Die Unterbindung 
hat hier geleistet, was sie leisten konnte, eine Naht wäre in dem 
vollkommen vereiterten Operationsgebiet gewiss nicht in Betracht 
gekommen. 

Anders liegt die Sache im zweiten Fall (18). Hier handelte 
es sich um ein Femoralaneurysma oberhalb des Abganges der 
Profunda femoris. Wegen intensiver Schmerzen wurde die Operation 
schon in der dritten Woche nach der Verletzung vorgenommen. 
Die Arterie war in grösserer Ausdehnung- zerrissen, und zwar 
handelte cs sich um eine totale Querschnittsläsion. Sie musste 
knapp unter dem Poupart’schen Bande und knapp über dem Ab¬ 
gang der Profunda unterbunden werden. Die Unterbindung wagte 
ich deshalb, weil es aus der Profunda stark arteriell blutete, mithin 
genügend Kollateralen da zu sein schienen. Trotzdem kam es zur 
Gangrän, die mich 3 Tage nach der Operation bestimmte, da sie 
erst angedeutet war, die Wunde nochmals zu öffnen, und in den 
Defekt der Arterie ein entsprechendes Stück der nebenliegenden 
Vena femoralis (in umgekehrter Anordnung, um die Klappenwirkung 
auszuschalten) einzupflanzen. Wie aus der Krankengeschichte zur 
Genüge hervorgeht, hörte im peripheren Arterienstück nach be¬ 
endeter Naht die ursprünglich sehr schöne Pulsation nach wenigen 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Krifirsanourvsmcn. 


G49 


Minuten auf, weil im transplantierten Venenstück das Blut geronnen 
war. Seitliche Schlitzung der Vene, Hcrausholen des Thrombus mit 
folgender seitlicher Venennaht hatte wieder nur vorübergehend Er¬ 
folg, 2 Wochen später kam’ es zur Oberschenkelaraputation knapp 
oberhalb des Kniegelenkes, worauf dann Heilung eintrat. 

Zunächst ist zu bemerken, dass der eben näher geschilderte 
Fall meine einzige Erfahrung über Venentransplantation vorstellt, 
die natürlich nichts weniger als ermutigend ist. Freilich darf ich 
den Versuch der Venentransplantation nicht gleich setzen jenen 
Fällen, in denen dieser Eingriff primär ausgeführt wird, weil ich 
ja erst 3 Tage nach der Ligatur der Arterie an die Transplanta¬ 
tion gegangen bin. Zahradnicky mag ganz recht haben, wenn 
er behauptet, dass dieser Umstand sicher einen grossen Einfluss 
auf die Blutgerinnung in meinem Falle gehabt hat, immerhin aber 
war zur Zeit der Transplantation die Vene mit flüssigem Blut ge¬ 
füllt, und kam aus der Arterie in ihrem peripheren Abschnitt 
ebenfalls flüssiges Blut, so dass also die Bedingungen für die 
Transplantation eigentlich nicht ungünstige waren. Jedenfalls 
könnte ich mich nach dieser Erfahrung nicht leicht mehr zur 
Transplantation einer Vene cntschliessen, über deren Unsicherheit 
ich mich ja ohnehin oben im allgemeinen Teil geäussert habe. 

Der Fall war es aber, der mich bestimmte, die Gefässnaht 
von da ab überall, wo eine Ernährungsstörung zu fürchten war, 
auszuführen, und ich kann sagen, dass sie bestimmt auch in dem 
eben geschilderten Falle primär möglich gewesen wäre. Ich habe 
seitdem bei weit grösseren arteriellen Defekten die Naht mit 
bestem Erfolg ausgeführt. Damals aber erschien sie mir mangels 
entsprechender Erfahrung unmöglich, die Unterbindung des posi¬ 
tiven Collateralzeichens wegen gestattet. 

Ich glaube auch. heute, dass es kein absolut sicheres (’ol- 
lateralzeichen gibt, weil nach der erfolgten Unterbindung die Cir- 
culation sich noch in unberechenbarer Weise ändern kann. 

Der Fall ist ein Misserfolg der Unterbindungsmethode, der 
erste, aber auch der einzige, der mir unterlief, denn von da ab 
habe ich nie mehr ein Hauptgefäss unterbunden, wenn es nicht 
unbedingt nötig war, und an der unteren Extremität hatte ich es 
auch wirklich nicht mehr nötig, das Hauptgefäss zu unterbinden, 
worin ich einen sehr guten Gradmesser dafür erblicken möchte, 
dass man die Naht weit öfter ausführen kann, als man dies auf 
Grund weniger Beobachtungen annehmen möchte. 

Die Erfolge einzeln zu schildern, die in allen übrigen 
65 Fällen durch die Operation erzielt wurden, halte ich nicht für 
nötig, sie ergeben sich aus den Krankengeschichten. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



650 


H. v. Habt*rer. 


Digitized by 


Dass ich die circulare Naht mehr als doppelt so oft ausgeführt 
habe, wie die laterale, erklärt sich daraus, dass ich sehr oft cir¬ 
culare Arteriendefekte gesehen, andererseits auch bei weitgehenden 
seitlichen Defekten lieber die circulare Naht ausgeführt habe, um 
das Gefässlumen nicht zu verengern. 

Es ist wohl kein Zufall, dass ich bei der Naht nie einen 
durch sie bedingten Misserfolg erlebt habe, wenn ich von einem 
gleich zu schildernden Fall absehe, bei dem ich primär hätte 
unterbinden können, was sekundär mit Erfolg geschah. Es han¬ 
delt sich um das eine der 5 genähten Carotisaneurysmen (Fall 48). 
Hier lag ein infiziertes Aneurysma vor. Gleich nach der Ver¬ 
letzung, Schuss durch die rechte Halsseite, war bei dem Patienten 
eine linksseitige Lähmung aufgetreten. Patient kam mit infiziertem 
Aneurysma am 30. Juni 1915 an meine Klinik und lag hier, weil 
wir auf ein Abklingen der Eiterung hofften, bis zum 3. August. 
Die Eiterung kam aber nicht zum Stehen, und am besagten Tage 
kam es zu einer so schweren Blutung aus dem Aneurysmensack, 
dass sofortige Operation nötig wurde. Bei dem langen Bestände 
der Lähmungen hätte ich die Carotis einfach unterbinden können, 
da ja eine Erholung des geschädigten Gehirnes kaum mehr zu 
erhoffen stand. Um bei der Jugend des Patienten, der man ja 
ein besonderes Regenerationsvermögen Zutrauen durfte, ja nichts 
unversucht zu lassen, habe ich trotzdem die Naht ausgeführt. 
Trotz Drainage stand auch jetzt die Eiterung nicht, und es kam 
am 9. Tage nach der Operation zu einer Nachblutung, die die 
Unterbindung der Carotis communis nötig machte. Da sich in der 
Zwischenzeit an den Lähmungen nichts geändert hatte, wäre die 
primäre Unterbindung sicher am Platze gewesen. Es trat dann 
völlige Heilung ein, die Lähmungen blieben aber weiter bestehen. 
Der Fall beweist, dass man bei stärker eiternden Wunden die 
Naht nicht ausführen darf, wie das schon im allgemeinen Teil 
gesagt wurde. Von einer Spannung der Naht war in diesem Falle 
gar keine Rede, die Eiterung hatte zur Arrosion geführt. 

Alle übrigen Gefässnähte gaben ein vorzügliches Resultat, 
wiewohl, wie aus den Krankengeschichten hervorgeht, leichte, selbst 
mittelschwere Infektionen nicht selten noch zur Zeit der Gefäss- 
naht vorhanden waren. Hierher gehört vor allem ein Aneurysma 
der Carotis communis (60), welches ich schon am 3. Tage nach 
der Verletzung trotz eiternder äusserer Wunden zu operieren ge¬ 
zwungen war, weil es bei raschem Wachstum zu Erstickungs¬ 
anfällen infolge Verdrängung des Larvnx geführt hatte. Der Sitz 
des Aneurysmas und der Mangel jeglicher Ausfallssymptome von 
Seiten des Gehirns hatten die Gefässnaht indiziert. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



K riegsaueury smen. 


651 


Dass die Gefässnaht unter Spannung mit Erfolg ausgeführt 
werden kann, dafür könnte ich eine Reihe von Beispielen bei- 
bringen. Ich habe wiederholt Defekte von 5 und mehr Centi- 
metern der Arterie durch die Gefässnaht ausgleichen können, ohne 
den geringsten Nachteil davon zu sehen. Allerdings möchte ich 
nochmals darauf aufmerksam machen, dass man die Arterienenden 
weithin mobilisieren kann, wenn man sie, ohne ihre Seitenäste zu 
verletzen, stumpf aus dem umliegenden lockeren Gewebe aus¬ 
präpariert. Was dann noch an Spannung übrig bleibt, ist wenig¬ 
stens teilweise durch richtige Stellung der Extremität unter Beu¬ 
gung ihrer Gelenke zu korrigieren. Ich möchte hier nur zwei 
schlagende Beweise für die Leistungsfähigkeit der Gefässnaht an 
der unteren Extremität anführen: 

Das eine Beispiel gibt mein Fall 37. Hier musste ich bei 
gleichzeitig bestehender Fraktur mit erheblicher Beinverkürzung 
und vollständiger Zerreissung der Arteria femoralis, wegen ge¬ 
fetzter Ränder der Lumina noch etwa 3,5 cm Arterienrohr weg¬ 
nehmen, und konnte erst dann die circuläre Gefässnaht ausführen. 
Wegen schlechter Stellung der Fraktur, die, sollte die Gefässnaht 
Wert für den Patienten haben, gleich korrigiert werden musste, 
liess ich nach der Gefässnaht, noch bei offener Wunde extendieren, 
und da ich sah, dass die Gefässnaht den Zug aushielt, wurde so¬ 
fort ein Extensionsverband in Suspension und Semiflexion des 
Beines angelegt, und derselbe gleich mit 3 kg belastet. Diese 
Belastung wurde in der nächsten Zeit noch erheblich vermehrt 
und ich erlebte die Freude nicht nur dauernd tadelloser Funktion 
der Gefässnaht, sondern auch einer Frakturheilung mit nur 2 cm 
Verkürzung. Ich möchte es bei dieser Gelegenheit nicht uner¬ 
wähnt lassen, dass mich besonders dieser Fall veranlasst hat, 
Beugestellungen, die ich den Gelenken zur Entspannung der Naht 
gebe, sehr früh wieder aufzuheben, dass ich also etwa vom 6. Tage 
nach der Operation an solche Stellungen schon langsam auszu¬ 
gleichen beginne. Ich lasse auch einen Patienten mit Gefässnaht 
in der Regel nicht länger als 14 Tage ruhig liegen, gestatte vom 
10. Tage an leichte Bewegungen und lasse nach dem genannten 
Zeitpunkt aufstehen. 

Der zweite Fall, den ich hier anfiihren möchte, betrifft meinen 
Fall 68. Dabei musste ich wegen eines bereits 4 Monate alten 
Aneurysmas der Arteria femoralis, wie aus der Krankengeschichte 
hervorgeht, nicht nur 5 cm des Arterienrohres resezieren, sondern 
auch die Arteria profunda femoris unterbinden. Die circuläre Naht 
war also in diesem Falle streng indiziert. Das Collateralzeichen 
war auch negativ ausgefallen. Gerade in diesem Falle liess sich 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Digitized by 


652 H. v. H allerer, 

die Arterie, die in recht beträchtliche Schwielen gebettet war, aus 
diesem Grunde nicht wesentlich mobilisieren, und die circulare Nähr 
stand, trotz Beugung von Hüft- und Kniegelenk unter bedeutender 
Spannung. Ich hatte allerdings den Fehler gemacht, die centrale 
Höpfner-Klemme nicht nahe genug an das centrale Arterienende 
zu legen, sondern Hess sie etwa 10 cm höher die Arterie ab- 
klemmen. Der Fehler kam mir erst nach Beendigung der Naht 
zum Bewusstsein, während deren Ausführung natürlich der 
Assistent die Klemme unter sehr starkem Zug gehalten haben 
musste. In dem Moment nämlich, als die Naht beendet war, riss 
die centrale Klemme die Arterie ab. Nach entsprechender An¬ 
frischung der Arterienränder musste ich eine zweite circuläre Naht 
ausführen, so dass schliesslich ein 10 cm langes Arterienstück frei 
transplantiert war, nachdem dieses Arterienstück keinen Seitenasi 
besass. Trotz der in diesem Falle besonders starken Spannung 
beider Gefässnähte trat vollkommene Heilung ein. Dabei licss ich 
allerdings durch mehr als zwei Wochen Beugestellung in Hüfte 
und Kniegelenk beobachten. Der Fall ist nicht nur durch die 
freie Transplantation eines längeren Arterienstückes, die ich dabei 
unfreiwillig ausführte, sehr interessant, er lehrt vor allem auch, 
welche Spannungsverhältnisse man Gefässnähten Zutrauen darf! 

Hinzufügen möchte ich nur noch, dass der Fall mir einen 
guten Beleg für die Richtigkeit der im allgemeinen Teil aus¬ 
gesprochenen Ansicht gab, dass bei der Transplantation eines Ge- 
fässstückes die periphere Naht nicht so gut funktioniert als die 
centrale. Was ich dort für das Venentransplantat annahm, zeigte 
hier das Arterientransplantat. Ich konnte mich noch am Ende 
der Operation davon überzeugen, dass im eingeschalteten Mittel¬ 
stück die Arterie genau dieselbe gute Pulsation aufwies, w'ie im 
centralen, unveränderten Arterienrohr. Peripher aber von der 
unteren Naht pulsierte die Arterie wesentlich schwächer. 

Als Beispiel für die Möglichkeit, bei grossen Defekten auch 
im Bereiche der Subclavia noch die circuläre Gefässnaht aus¬ 
führen zu können, verweise ich auf die Krankengeschichte meines 
Falles 42. 

Ganz allgemein zeigt es sich, dass die Retraktionsfähigkeit 
der Arterien mit ihrem Durchmesser zunimmt, so dass man ge¬ 
rade bei den ganz grossen, also den central gelegenen Arterien¬ 
abschnitten immer den Eindruck hat, als müsse die Naht unter 
besonderer Spannung stehen. Für den weniger Geübten resultiert 
daraus, dass er gerade bei diesen Gefässen, bei denen ja die Ge¬ 
fässnaht besonders indiziert ist, nur zu leicht in den Irrtum ver¬ 
fällt, die Naht lasse sich nicht anwenden. So hatte ich bei allen 


Gck igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 



Kri(‘<rsaneurvsmcn. 


653 


Carotisancurysmen, deren ich ja 5 zu operieren Gelegenheit hatte, 
und zwar waren es ausschliesslich Aneurysmen der Carotis com¬ 
munis, ausser im Fall 48, stets den Eindruck, dass die Spannung 
eine besonders starke sein werde, die Naht liess sich aber doch 
in 3 Fällen (14, 48, 60) ohne erhebliche Schwierigkeiten als cir¬ 
culare durchführen, zwei Fälle (31, 53) konnten mit lateraler 
Naht ohne wesentliche Verengerung des Carotislumens versorgt 
werden *). 

Das eine Aneurysma der Carotis interna, das ich beobachtet 
habe (7), musste allerdings mit Unterbindung behandelt werden, 
weil das periphere Ende der Arterie zu kurz war, schon hinter 
dem Unterkiefer lag. Hier konnte ich mich zur Ligatur leichter 
entschliessen, weil bei dem Patienten die Arterie total zerschossen 
war und von der Verletzung an Ausfallssymptome der contra¬ 
lateralen Körperhälfte bestanden. Es war also, zumal die Opera¬ 
tion erst 1 , / 2 Monate nach der Verletzung ausgeführt werden 
konnte, auf eine Regeneration nicht mehr viel Hoffnung. 

Von Subclaviaaneurysmen habe ich 14 zu operieren Gelegen¬ 
heit gehabt. Zumeist muss man, um entsprechenden Zugang zu 
gewinnen, die Clavicula temporär auf klappen. Zwei Fälle (19 und 
66) sind gestorben, sie wurden oben näher besprochen, die anderen 
sind geheilt. Von den Geheilten sind 3 (15, 23, 24) mit der 

1) Ich möchte hier, wiewohl der Fall nicht zu den Kriegsverletzungen 
gehört, seiner relativen Seltenheit wegen eines Falles Erwähnung tun, den ich 
vor kurzer Zeit zu operieren Gelegenheit hatte, und der das sechste mit Gefäss- 
nalit behandelte Carotisaneurysma betrifft. Es handelte sich um einen 45jäh¬ 
rigen Herrn, der vor 17 Jahren Lues überstanden hatte, der seit einiger Zeit 
an einer Geschwulst der rechten Halsseite litt, die ohne äussere Frsache auf- 
trat und dem Kranken durch ihr Klopfen Beschwerden machte. Die Geschwulst 
wurde von einem Arzte, den er konsultierte, als Drüsengeschwulst aufgefasst. 
Fs handelte sich aber in Wirklichkeit um ein Aneurysma verum der Carotis 
communis von Grosskirschengrösse. Operation am 28. Februar 191G, nachdem 
eine Schmier- und Jodkur ohne Erfolg geblieben war. Die Carotis lässt sich 
sehr leicht präparieren, das Aneurysma sitzt an der Carotis communis, knapp 
unter dem Abgang der Carotis externa, die noch teilweise in das Aneurysma 
einbezogen ist. Die Carotis externa muss deshalb doppelt ligiert und durch¬ 
schnitten werden, desgleichen die hindernd im Wege stehende Arteria thvreoidea 
superior. Dann wird nach Anlegen von Klemmen der dickwandige Aneurvsma- 
sack, der seitlich der Carotis aufsitzt, im Niveau der normalen Carotislichtung 
abgetragen, und nun wird die laterale Naht mit Wanddoppelung in der Weise 
ausgeführt, dass die beiden Wundlefzen übereinandergeschlagen und durch 
Nähte fixiert werden. Es lässt sich dies sehr leicht dadurch erreichen, dass 
zuerst der innere Wundrand der Carotis an die Intima des äusseren Wund¬ 
randes einige Millimeter von letzterem entfernt, lumenwärts angenäht, dann 
der äussere Wundrand über die Nahtlinie geschlagen und an der Adventitia der 
Carotis festgenäht wird. Im ganzen werden 21 Kopfnähte benötigt. Auf diese 
Weise bekam das Gefäss eine tadellose anatomische Form, die Heilung vollzog 
sich glatt, ohne die geringsten Ausfallserscheinungen. Die histologische Unter¬ 
suchung ergab ein Aneurysma auf arteriosklerotischer Basis. Ich habe den 
Fall der Seltenheit seiner Lokalisation wegen doch hier einfiigen wollen. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 



654 


H. v. II ab er er, 


Digitized by 


Unterbindungsraethode behandelt worden, 3 (41, 42 und 45) wurden 
circular, 6 (33, 34, 49, 50, 55 und 64) wurden lateral genäht. 
Die Operation der Subclaviaaneurysmen gehört zu den schwierig¬ 
sten, wie ich mit Bier behaupten möchte, namentlich dann, w T enn 
sie intrathorakal gelegen sind. Mein schwierigster Fall ist wohl der 
Fall 42, der aber gleich den anderen geheilten Fällen ein aus¬ 
gezeichnetes Resultat zeitigte. Gerade bei den Aneurysmen der 
Subclavia linden wir besonders häufig begleitende Plexusstörungen, 
welche oft nach der Gefässnaht. ganz schwinden, weil sie nicht 
auf begleitende Nervenschüsse, sondern auf Druck von Seiten des 
Aneurysmas zurückzuführen sind. Ich will die einzelnen Fälle hier 
nicht genauer durchsprechen, alles Wissenswerte findet sich in den 
Krankengeschichten. Dass diese Aneurysmen im allgemeinen die 
schlechteste Prognose geben, hat Bier schon hervorgehoben, der 
bei 9 Operationen 4 Todesfälle hatte. Wenn ich bei 14 Fällen 
nur 2 Todesfälle zu beklagen habe, bei denen nach dem oben 
Gesagten der eine wirklich ausscheidet, weil der Patient nicht den 
Folgen der Operation erlegen ist, so ist das ein bemerkenswert 
gutes Resultat. Es läge vielleicht nahe, die Frage aufzuwerfen, 
ob dieser Unterschied zwischen den Resultaten bei Subclaviaaneu¬ 
rysmen zwischen Bier und mir nicht vielleicht doch bis zu einem 
gewissen Grade dadurch bedingt sein könnte, dass ich gewohnt 
bin, bei allen Aneurysmen ohne künstliche Blutleere zu operieren. 
Solche Ueberlegungen haben gewiss keine Berechtigung, da es sich 
um Verschiedenheiten im Material oder um einen Zufall handeln 
kann. 

Von 5 Aneurysmen der Axillaris habe ich nur eines (Fall 2) 
mit Unterbindung behandelt, 2 (57, 65) habe ich circulär, 2 (32, 61) 
lateral genäht. Von den circulär genähten verdient Fall 57 be¬ 
sonderes Interesse, weil ich hier trotz noch bestehender Infektion 
und trotz gleichzeitigen Hämatothorax gezwungen war, der ganz 
enormen Schmerzen wegen schon 8 Tage nach der Verletzung zu 
operieren. Die circuläre Gefässnaht gab ein vorzügliches Resultat, 
trotzdem ich später wegen des in ein Empyem übergegangenen 
Hämatothorax eine Rippenresektion ausführen musste, die ebenfalls 
Heilung brachte. 

Von 8 Aneurysmen der Arteria brachialis habe ich 5 unter¬ 
bunden (1, 16, 26, 28, 69), 2 circular genäht (36, 63), 1 durch 
laterale Naht versorgt (52). Die Brachialis wird man in der 
Regel ungestraft unterbinden dürfen, wenn sie unter dem Abgang 
der Profunda brachii vorletzt ist. Sic lässt sich aber, wie mein 
Material beweist, meist sehr gut nähen, und die Naht der Bra¬ 
chialis ist leicht. Da wir nach Unterbindungen oft später leichte 


Gck igle 


Original fro-m 

UNIVERSUM OF IOWA 



Circulationsstürungen sehen, wird sich die Naht überall, wo sie 
ausführbar ist, empfehlen 1 ). 

Die Radialis sah ich nur einmal von einem Aneurysma be¬ 
troffen. Da dasselbe ganz peripher lag, habe ich es natürlich mit 
Unterbindung behandelt, ohne die geringste Störung zu sehen. 

An der unteren Extremität habe ich drei Aneurysmen der 
Iliaea operiert, und in allen drei Fällen mit der circulären Naht 
ausgezeichneten Erfolg erzielt. Ich kenne keine Arterie, die sich 
leichter zwecks Vermeidung von Spannung der Naht aus ihrer Um¬ 
gebung herauspräparieren lässt, als gerade die Arteria iliaea. In 
allen 3 Fällen (51, 62, 67) lag das Aneurysma zum grössten Teile 
intrapelvin, und da hat zunächst die Präparation der Arterie und 
Vene oberhalb des aneurysmatischen Sackes immerhin etwas Un¬ 
heimliches, weil im Falle des Platzens des Sackes mindestens sehr 
erhebliche Schwierigkeiten für den weiteren Verlauf der Operation 
erwachsen würden. Es ist mir dieser Zufall, mit dem ich jedesmal 
rechnete, glücklicherweise nicht passiert. 

Weitaus am häufigsten sah ich Aneurysmen der Femoralis. Ich 
habe im ganzen 18 solcher Fälle zu operieren Gelegenheit gehabt. 
Dass mir dabei 3 Fälle (27, 43, 56) tödlich verlaufen sind, und in 
einem Falle sekundär amputiert werden musste (18), ist oben genau 
auseinandergesetzt. Mit Unterbindung wurden 8 Fälle (5, 17, 18, 
20, 27, 29, 44, 56) behandelt, die übrigen 10 mit circulärer Naht 
(37, 38, 39, 40, 43, 46, 54, 59, 68, 71). Es ist auffallend, dass 
gerade bei den Schussverletzungen der Femoralis die Verletzungen 
immer so hochgradige waren, dass laterale Nähte dabei nie in Be¬ 
tracht kamen. 

Von den Femoralisaneurysmen sassen 5 über dem Abgang der 
Profunda femoris (18, 37, 38, 54, 68). 8 Aneurysmen betrafen den 
Hauptstamm der Arterie unter dem Abgang der Profunda femoris 
(5, 17, 39, 40, 43, 46, 59, 71). Die Profunda femoris selbst war 
5 mal betroffen (20, 27, 29, 44, 56). 

Recht schwierig kann sich die Operation der Poplitealaneu- 
rysmen gestalten, wenn die Fossa poplitea sehr reichlich von Fett 

1) Von den seit Abschluss dieser Statistik operierten Fällen möchte ich 
hier einen Fall von ßrachialaneurysma erwähnen, der im Zustande der Blutung 
einireliefert, sofort operiert werden musste. Wiewohl in keiner Weise von einer 
Anämie des Patienten die Rede sein konnte, liess ich doch eine reine Aether- 
narkose ausführen, weil der Patient einen exquisit lymphatischen Habitus darbot. 
Kr war erst 19 Jahre alt. Trotv. ganz kurz dauernder, sehr leichter Operation, 
während welcher der Patient kein Blut verlor, trat ein echter Xarkosetod un¬ 
mittelbar nach Beendigung des Eingriffes ein. Die Obduktion ergab einen Status 
thymolymphaticus, wir ich ihn in so vollkommener Weise nie ausgebildet ge¬ 
sehen habe. Der Fall lehrt, wie selbst die reim* Acthernarko.se nicht vor üblen 
Zufällen beim Status thymolymphaticus schützt. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


(?56 H. v. liabcrer, 

ausgefüllt ist. Dann liegt die Arterie sehr tief und wird von dem 
meist sehr grossen Aneurysmasack derart überlagert, dass ihre 
Darstellung central und peripher vom Aneurysma auf erhebliche 
Unbequemlichkeit stösst. Ich habe 4 solcher Aneurysmen zu ope¬ 
rieren Gelegenheit gehabt, zweimal unterbunden, einmal circular 
genäht. Die Erfolge waren in allen 4 Fällen voll befriedigende, 
wenn auch in dem einen Falle (13) der beiden Unterbindungen 
(4, 13) später amputiert werden musste. Es ist der früher genau 
mitgeteilte Fall, der im Zustande schwerster Infektion eingeliefert 
wurde, der ursprünglich sofort hätte der hohen Oberschenkelampu¬ 
tation unterworfen werden sollen, bei dem schliesslich noch der 
halbe Unterschenkel, und damit ein bewegliches Knie hatte gerettet 
werden können. Die circulare Naht in Fall 70 war trotz der schon 
vorher von anderer Seite ausgeführten Unterbindung der Arteria 
femoralis im Adduktorenschlitz, also am Orte der Wahl, streng 
indiziert, da das Aneurysma trotz dieser Unterbindung lebhafteste 
Pulsation, die Arteria poplitea einen sehr hohen Blutdruck zeigte. 
Die Unterbindung hätte sicher hier die Extremität gefährdet. Die 
Präparatiön war etwas schwierig, weil der Unterschenkel und Ober¬ 
schenkel ausserordentlich fettreich waren, und infolge des langen 
Bestandes des Aneurvsmas derbe Schwielen bereits vorhanden waren. 
Zudem lag neben dem Aneurysma arteriovenosum noch ein eigenes 
Aneurysma spurium vor. Trotzdem gelang die circulare Naht sehr 
gut und brachte vollen Erfolg. 

Besonders schwierig war die Naht in dem vierten Falle von 
Poplitealaneurysma (72), und zwar deshalb, weil das untere Ende 
der Arterie gerade knapp über der Teilungsstelle der Arteria popli¬ 
tea in die tibialis antica und postica lag und sich deshalb so gut 
wie gar nicht mobilisieren liess. Man konnte kaum eine Höpfner- 
klcmmc anlegen. Die circuläre Naht war hier umsomehr indiziert, 
als aus dem peripheren Arterienlumen Blut nur rückläufig, nicht 
arteriell ausfloss 1 ). 

In 4 Fällen von Aneurysma der Arteria tibialis antica (9, 11. 
12, 30) habe ich ohne Nachteil die Unterbindungsmethode ange- 


1) Ich habe seit Abschluss dieser Statistik noch einen Fall von Poplitcal- 
anrurysma mit besinn Frfolgc durch die circulare (iefiissnaht behandelt, wobei 
ebenfalls die Naht ganz besonders schwierig dadurch war, dass der periphere 
Stumpf bereits im Teilungsgebiet der Poplitea in Tibialis antica und postica 
lag und sich aus diesem (irunde nicht mobilisieren liess. Der Fall kam wegen 
sehr intensiver Schmerzen schon lo Tage nach der Verletzung zur Operation. 
Das vor der Operation vorhandene Fieber fiel sofort nach dem Kingriff dauernd 
zur Norm ab. Der Fall ist auch dadurch bemerkenswert, dass bei ihm wie in 
zwei anderen Füllen meines Materiales eine ausgedehnte Yoncnthrombose vor¬ 
handen war. Interessant ist es, dass hier schon D> Tage nach der Verletzung 
der Aneurvsmasack voll entwickelt war. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



K riegsan cury s men. 


657 


wendet, ebenso in 4 Fällen von isoliertem Aneurysma der Arteria 
tibialis postica (3, 8, 10, 12). 

In zwei Fällen (22, 35) lagen Aneurysmen der Arteria tibialis 
antica und postica vor. In einem der beiden Fälle (22) habe ich 
beide Arterien nach der Aneurysmenexstirpation unterbunden, ohne 
dass irgend welche Circulationsstörungen aufgetreten wären. Im 
zweiten Falle (35) wollte ich deshalb nicht unterbinden, weil vor 
der Operation in ihren peripher von den Aneurysmen gelegenen 
Abschnitten der Puls so gut wie auf der gesunden Seite zu fühlen 
war. Aus diesem Grunde habe ich die Arteria tibialis antica seit¬ 
lich genäht. Der Erfolg war vorzüglich. 

Ein Aneurysma der Arteria maxillaris interna (21) wurde in der 
Weise behandelt, dass die Carotis externa unterbunden, der Aneu- 
rvsmasack eröffnet und tamponiert wurde, wodurch völlige Heilung 
zu erzielen war. 

Das Aneurysma der Arteria temporalis (25) war selbstverständ¬ 
lich mit Unterbindung zu behandeln. 

Wie ich in dem einzigen Falle von Glutäalaneurysma, das ich 
zu beobachten Gelegenheit hatte, vorgegangen bin, habe ich schon 
gelegentlich der allgemeinen Erörterungen über die Therapie aus¬ 
einandergesetzt. Es ist dies mein Fall 47. Ich kann nur noch¬ 
mals wärmstens empfehlen, nach der Unterbindung der Hypogastrica 
auf retroperitonealem Wege das Aneurysma selbst zu exstirpieren. 
Die Operation gestaltete sich sehr übersichtlich wegen der Blutleere 1 ). 

Das Gesamtresultat lässt sich also dahin zusammenfassen, 
dass 72 Aneurysmen operativ behandelt wurden. Davon sind 
5 Fälle gestorben, 67 geheilt. Von den Geheilten sind 2 noch 
nachträglich amputiert worden, in 65 Fällen brachte die Aneu¬ 
rysmaoperation Heilung ohne Verstümmelung 2 ). 

Ich komme zu der Auffassung, dass die richtige Behandlung 
jedes Schussaneurysmas die operative ist. Meine Erfahrungen be¬ 
stimmen mich zu folgenden Schlusssätzen: 

1) Seit Abschluss dieser Arbeit hatte ich Gelegenheit, ein über kindskopf- 
grosses Aneurysma der Arteria glutaea superior zu operieren, das seit S Monaten 
bestand und einen fast l 1 2 em dicken Sack hatte. Auch liier habe ich un¬ 
mittelbar nach Unterbindung der Arteria hypogastriea das Aneurysma exstirpiert 
und wieder mich überzeugt, dass man da fast blutleer operieren kann. Eine 
stark blutende Vene war das einzig störende Element. Eine Operation des 
Aneurysmas ohne vorherige Unterbindung der Hypogastriea aber hätte wahr¬ 
scheinlich in diesem Falle Verblutung im Gefolge gehabt, so ausgedehnt war 
die GefässVerletzung. 

2) Die angeführten Resultate erreichen wohl nicht die Höhe der von 
Küttner erzielten. Kiittner kommt in einem mehr allgemein gehaltenen Yor- 
.trage „Meine Erfahrungen in der Chirurgie der grossen Blutgefässstämme" (Berl. 
klin. AVoehensrhr.. 1916, Xr. 5 u. 6) auch auf seine Erfolge zu sprechen. Aus 
der kurzen Notiz darüber gebt hervor, dass er erst nach der S5. Operation einen 
Todesfall erlebte. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 




658 


II. v. Ha he rer 


Digitized by 


1. Die ideale Operation jedes Schussaneurysmas ist die Gefäss- 
naht. 

*2. Die Gefässnaht lässt sich weit häufiger ausführen, als man 
zunächst anzunehmen geneigt ist. 

3. Die Gefässnaht wird häufiger eine circuläre als eine laterale 
sein müssen, weil die laterale bei grösseren, seitlichen De¬ 
fekten eines Gefässes das Lumen zu sehr einengt und da¬ 
durch, als ebensowohl durch die grössere Gefahr der Throm¬ 
bosierung im Nahtbereich die Funktion der Naht gefährdet. 

4. Die Gefässnaht ist bei ganz kleinen Arterien, bei deren Unter¬ 
bindung ein genügender Collateralkrcislauf sichergestellt ist, 
nicht indiziert. 

5. Es wird immer Fälle geben, in denen auch bei grossen Ar¬ 
terien mit der Unterbindung vorgegangen werden muss. Ueber- 
grosse Defekte im Gefässbereiche, vor allem aber stärkere 
Infektion, deren Abklingen nicht abgewartet werden kann, 
verbieten die Gefässnaht. 

t>. Im Falle der notwendigen Unterbindung soll entweder vom 
Sackinneren her, oder ganz hart am Sacke selbst die Unter¬ 
bindung unter möglichster Schonung der Collateralen vorge¬ 
nommen werden. 

7. Aneurysmen sollen in gut eingerichteten Spitälern, und wo¬ 
möglich nicht in Feldlazaretten, unter geschulter Assistenz 
von einem geübten Chirurgen operiert werden. Es ist dabei 
selbstverständlich, dass bei dringender Indikation, wie beson¬ 
ders bei Blutung und ganz schwerer Infektion das Aneurysma 
dort operiert werden muss, wo es eben liegt. 

8. Der beste Zeitpunkt zur Operation eines Aneurysmas liegt 
zwischen 14 Tagen und 3 Wochen nach der Verletzung, ln 
dieser Zeit lässt sich ein Urteil darüber gewinnen, ob eine 
schwerere Infektion vorliegt oder nicht, ist das einmal klar, 
dann hat längeres Zuw r arten keinen Zweck. 

9. Leichte Infektionen lassen sich selbst nach Wochen und nach 
vollständiger Wundheilung nicht sicher ausschliessen, sie ver¬ 
bieten weder die Operation noch speziell die anzustrebende 
Gefässnaht, man muss nur in zweifelhaften Fällen vorsichts¬ 
halber für einige Tage drainicren. 

10. Alle Spätoperationen sind durch die mittlerweile entstandenen 
Schwielen unnötig erschwert. 

11. Aus demselben Grunde sind vorbereitende Massnahmen, wie 
Kompression des Aneurysmas, eher schädlich als nützlich. 
Sie erzeugen nur Schwielen und entzündliche Veränderung 
des Sackes. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



K rieirsaneurvsmen. 


659 


12. Bei allen Schussverletzungen, welche ein grösseres Gefäss in 
ihrer Bahn getroffen haben können, muss man mit der Be¬ 
urteilung sehr vorsichtig sein, weil selbst noch nach Wochen, 
wenn der Patient mehr Bewegung macht, ein Aneurysma 
manifest werden kann. 

13. Infizierte Aneurysmen können Abscesse Vortäuschen, daher ist 
grösste Genauigkeit bei der Untersuchung geboten. 

14. Während bei gelungener Gefässnaht der Patient etwa nach 
einem Monat als geheilt bezeichnet werden kann, ist das 
bei der Unterbindung nicht der Fall, weil hier gerne leichte 
Circulationsstörungen sehr lange Zurückbleiben, welche die 
Diensttauglichkeit bei grösserer Anstrengung, namentlich aber 
im Winter (Erfrierung) in Frage stellen. 

15. Die Erfolge der Venentransplantation bei grösseren Arterien¬ 
defekten sind mindestens fraglich. 

16. Die Belastungsfähigkeit einer Gefässnaht ist ausserordentlich 
gross, wie die Möglichkeit beweist, eine gleichzeitige Fraktur 
unmittelbar nach der circularen Gefässnaht in Extension legen 
zu können. 

17. Aneurysmen begleitende Nervenlähmungen sind sehr häufig 
nicht auf Läsion der Nerven durch den Schuss, als vielmehr 
auf Drück von Seiten des Aneurysmas zurückzuführen. Sie 
gehen dann meist nach der Aneurysraaoperation zurück. 

18. Die Frage, ob man die Aneurysmen in Blutleere operieren 
soll oder nicht, lässt sich meines Erachtens nicht prinzipiell 
entscheiden, ich operiere sie nach wie vor ohne Blutleere. 

Krankengeschichten. 

1. Infanterist A. K., 26 Jahre alt, wurde in der Schlacht bei Lublin am 
29. August 1914 vorletzt. Sehrägschuss durch den rechten Oberarm. Einschuss 
im oberen Drittel entsprechend dem Sulcus bicipitalis, Ausschuss an der Aussen- 
soite, in der Mitte des Oberarmes. Die Hand sei ihm sofort eimreschlafen und 
herabgesunken. Keine wesentliche Blutung. Nach mehreren Etappen langte 
er in Innsbruck am IS. September an. Wunden bereits vollständig vernarbt. 
Starke Schmerzen im Arme, Fnmögliehkeit die Finger zu beugen, dabei llyp- 
ästhesie und Pariisthesie im Bereiche des ganzen Verbreitungsgebietes des Nervus 
medianus. Die genaue l’ntersuelning und Feststellung der nervösen Störung 
wurde auf der neurologischen Klinik vorgenommen. Etwas unterhalb des Ein¬ 
schusses wird im Sulcus bicipitalis ein etwa nussgrosses, stark schwirrendes 
A n eurv s m a n ae 1 1 ge w i e se n. 

Operation, am 2.‘K September 1914. ergibt, den Nervus medianus in stark 
sulziges. zum Teil schon schwieliges dewebe eingebettet, aus dem er sieh aber 
sehr leicht hcrausprüparieren lässt. Exstirpation des nussgrossen Aneurysma 
aricriovcnosum der Arteria und Vena brachialis. Heilung per primam. Am 
9. Oktober die Medianusläsion schon in vollem Rückgänge. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


660 H. v. Ilaberer. 

2. Kusse C. S., 23 Jahre all, verwundet am 14. August 1914. Durelisehuss 
durch die linke Schulter und zwar Einschuss vorne im Mohrenlieim'schen Dreieck. 
Ausschuss rückwärts, etwa der Mitte des Schulterblattes entsprechend. Auf¬ 
nahme in die Innsbrucker Klinik am S. September. Wunden vollkommen geheilt. 
Lähmung aller vom Radialis versorgten Muskeln am Vorderarm, Parese des Triceps 
und Supinator longus. I)a sich diese Lähmungserscheinungen bis zum IS. Sep¬ 
tember ganz spontan wesentlich zurück bilden, wurde von uns eine Kontusion 
des Nervus radialis angenommen. Da plötzlich am 19. September vollkommene 
Radialisläh mutig und Auftreten sehr heftiger Schmerzen im ganzen Arm. Wahr¬ 
schein liehkeitsdiagnose auf Aneurysma der Arteria axillaris, trotz vollständig 
negativem Palpationsbefund, der allerdings durch die Schmerzen des Patienten 
nicht gut erhoben werden kann. 

Operation am 21. September. Völlige Durehrcissung der Arteria axillaris, 
walnussgrosses Aneurysma, das nach hinten zu, den Nervus radialis der Länge 
nach gespalten und aufgefasert hat. sodass der Sack aus den Nerven heraus¬ 
präpariert werden muss. Exstirpation tles Sackes, von dem auch noch die übrigen 
grossen Armnerven gelöst werden müssen, da sie mit ihm innig verwachsen sind. 
Ligatur der Arterie central und peripher vom Aneurysma. Heilung per primam. 
Zunächst vollständige Lähmung der Hand, die im Verlaufe der Zeit allmählich 
schwindet, sodass der Patient jetzt, am 10. Oktober, bereits alle Finger bewegt. 
Henau so wie im zuerst besprochenen Falle keinerlei Ernährungsstörung. 

3. Infanterist .1. V., 27 Jahre alt. verwundet am 10. September 1914 in der 
Scldaelu bei Grodek. Er traf am 13. September vom Sehlachtfelde in Innsbruck 
ein. Er hatte einen Durchschuss durch den rechten Unterschenkel erhalten, 
derart, dass der Einschuss knapp unterhalb des Kniegelenkes aussen, der Aus¬ 
schuss unterhalb der Mitte der Wade an der Innenseite sass. Die Wunden 
waren schon beim Eintreffen des Patienten fast geheilt, doch bestanden starke 
lanzinierende Schmerzen im Unterschenkel. Im oberen Drittel der Wade fand 
sich eine apfelgrosse Geschwulst, die in den folgenden Tagen immer deutlicher 
expansive Pulsation zeigte, während nach lind nach der Puls in der Arteria 
tibialis postiea vollständig verschwand. An der Diagnose eines Aneurysmas der 
Arteria tibialis postiea konnte kein Zweifel bestehen. 

Operation am 23. September. Es findet sich ein kindskopfgrosses 
Aneurysma der Arteria tibialis postiea, wobei die Arterie knapp unterhalb des 
Kniegelenkes aufgesucht werden muss. Ligatur des central und peripher vom 
Sacke gelegenen Anteiles der Arterie. Ausräumen des grossen Sackes, der im 
wesentlichen von zerwühlter Muskulatur gebildet wird. Die Arterie ist in einer 
Ausdehnung von ungefähr 5 cm zu mehr als zwei Drittel ihrer Circumfcrenz 
zerrissen. Nach Beendigung der Operation blutet es aus einem venösen Plexus 
im Bereiche des oberen Arterienstumpfes sehr stark, so dass eine Reihe von 
tiefen Umstechungen nötig werden. Ich hatte gleich die Besorgnis, bei diesem 
'teile der Operation auch die Arteria tibialis anterior umstochen zu haben und 
tatsächlich pulsierten nach der Operation weder Arteria tibialis antiea noch 
postiea. Heilung per primam, ohne dass auch nur vorübergehend Uiivulationsstö- 
ningcn aufgetreten wären. Die Schmerzen schwinden bald nach der Operation. 

4. Kadett II. Sch., 23 Jahre alt, verwundet am 2S. August 1914 auf dem 
nördlichen Kriegsschauplätze. Kam von dort in das Garnisonspital I in Wien und 
am 15. September von dort in ein Reservespital nach Innsbruck. Neben einem 
queren Durchschuss durch beide Obersehenkel im oberen Drittel, der dem Pa¬ 
tienten gar keine Beschwerden verursachte, war auch ein querer, bereits voll¬ 
ständig verheilter Durchschuss im Bereiche des rechten Kniegelenkes und zwar 
hinter demselben, ohne Verletzung von Gelenk und Knochen vorhanden. Das 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



K riegsaneury smen. 


661 


Gelenk in Beugekontraktur, Schmerzen hei dem Versuche zu strecken. Ich sah 
den Kranken am 23. September und konnte sofort ein apfelgrosses Aneurysma 
der Arteria poplitea nachweisen. 

Operation am 25. September. Es findet sich ein faustgrosses, arterio¬ 
venöses Aneurysma der Poplitealgefässe, welches nicht nur zur Entblössung 
des Planum popliteum vom Periost, sondern auch bereits zur Usurierung 
des Knochens geführt hat. Der Nervus popliteus, durch schwielige Verwach¬ 
sungen in den Aneurymasack einbezogen, muss auspräpariert werden. Ligatur 
der Arterie und Vene central und peripher vom Aneurysmasacke, sehr schwierige 
Ausschälung des letzteren. In den ersten Tagen nach der Operation sind die 
peripherstcn Abschnitte der Zehen etwas cyanotisch, doch schwindet dieses 
Zeichen leichter Ernährungsstörung sehr bald vollkommen. Heilung per primam. 
Am 10. Oktober kann Patient das Bein schon fast vollkommen strecken, die 
Kontraktur im Kniegelenk, die selbst in der Narkose nicht zu beseitigen war, 
ist also durch Uebung des Patienten geschwunden. 

5. Infanterist M. 0., 25 Jahre alt, verwundet am 31. August 1914. Ein Infan¬ 
teriegeschoss hat ihm den rechten Oberschenkel in dessen oberstem Anteil durch¬ 
schossen, was zu einer sehr heftigen Blutung geführt haben soll. Die Wunde 
des glatten Durchschusses heilte schnell. Am 2. Oktober passierte er auf dem 
Wege in die Heimat Innsbruck. Da es sehr auffiel, dass der Patient trotz 
vollständiger Heilung seiner Wunden so gut wie gar nicht gehen konnte und 
über starke Schmerzen im Bereiche des Nervus obturatorius beim Auftreten, 
aber auch in der Ruhe klagte, nahm ich ihn auf die chirurgische Klinik auf. 
Es fand sich bei ihm ein geheilter Durchschuss durch das rechte Obersehenkel- 
dreieck, handbreit unter dem Ligamentum Poupartii. Ein- und Ausschuss vorne 
Das Oberseitenkeldreieek ausgefüllt durch einen kindskopfgrossen, deutlich pul¬ 
sierenden Tumor, der bei blosser Annäherung des Ohres ein lautes Schwirren 
hören liess. 

Operation am 3. Oktober 1914. Es gelingt das Aneurysma arteriovenosum 
so zu stielen, dass die Arteria femoralis knapp unterhalb des Abganges der 
Profunda femoris unterbunden werden kann. Knapp darunter beginnt der grosse 
aneurvsniatisehe Sack, der Arterie und Vene in sich begreift. Es muss deshalb 
auch die Vene knapp oberhalb des Aneurysmas unterbunden werden. Arterie 
und Vene werden auch knapp unterhalb des Aneurysmas unterbunden und dann 
kann der grosse Sack, der auf 10 cm den Oberschenkelknochen von Periost 
cntblösst hat, exstirpiert worden. In den Sack münden noch 2 daumendicke 
Venen, die hart an der Sackwand unterbunden werden. Heilung per primam. 
Es kam auch nicht vorübergehend zu Circulationsstörungen, die Schmerzen im 
Nervus obturatorius waren mit dem Moment der Operation dauernd verschwunden. 

6. Infanterist G. Tseh., 34 Jahre alt, verwundet am 8. September 1914 
durch Durchschuss des rechten Vorderarmes. Die Heilung von Ein- und Ausschuss 
vollzog sich sehr rasch, so dass der Patient vom Spital in Klagenfurt aus schon 
nach 8 Tagen in die Heimat auf Urlaub gehen konnte. Am 10. Oktober suchte 
er in Innsbruck um eine Urlaubsvcrlängerung nach, weil er seine Hand noch 
nicht gebrauchen könne. Im unteren Drittel des Vorderarmes findet sich auf 
der Bcugcscite der Durchschuss vollkommen vernarbt. Der Einschuss lag an 
der radialen Seite, der Ausschuss ungefähr in der Mitte des Vorderarmes. 
Zwischen beiden findet sich eine pulsierende, taubeneigrosse Geschwulst, die 
auf Druck sehr empfindlich ist. Pat. klagt über „elektrisierende“ Schmerzen 
bei Streckung des zweiten und dritten Fingers, welch letztere nicht in vollem 
Umfange möglich ist. Ausserdem besteht Hyperästhesie und Paräslhcsie im 
Bereiche des Nervus radialis superficialis und des Nervus medianus. 

Archiv für kl in. Chirurjpe. Bei. 107. Heft 4. 44 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



662 


II. v. llaber er 


Digitized by 


Operation am 12. Oktober. Freilegen des ancurysmatisehen Sackes, der 
sich als taubencigrosscs Aneurysma arteriovenosum der Arteria und Vena ra- 
diaiis erweist. Der Nervus radialis, Ramus superficialis ist in der Narbe des- 
Einschusses festgewachsen, aus der er sich leicht lösen lässt, der Nervus mr- 
dianus wird einerseits durch das Aneurysma medianwärts verdrängt, anderseits 
ist er mit seiner ulnaren Partie in die Narbe des Ausschusses ein bezogen. Er 
wird gelöst und mit einem Muskellappen umscheidet. Exstirpation des aneu- 
rysmatisehen Sackes, wobei von Arterie und Vene ein 5 cm langes Stück wegfällt. 
Trotzdem pulsiert auch der periphere, unterbundene Stumpf der Arteria radialis 
tadellos. Heilung per primam. Nervenfunktion bald in vollem Umfang hergestellt. 

7. Infanterist D. \V., 32 Jahre alt, verwundet am 28. August 1914. Ein¬ 
schuss in die linke Gesichtshälfte, Ausschuss rechte Halsseite. Starke, aber nicht 
lange anhaltende Blutung. Vom 9. September bis 3. Oktober in Graz, von wo 
Patient auf eigenen Wunsch nach Innsbruck in die Klinik geschickt wurde. 
Nach dem Schüsse war Pat. ohnmächtig geworden, und er gibt an, dass er 
nach dem Erwachen sogleich bemerkt habe, dass seine linken Extremitäten 
„eingeschlafen* seien. Dieses Gefühl besteht seither dauernd. Daneben oft 
Schwindelgefühl und dauernder allgemeiner Kopfschmerz. Vom rechten Kiefer¬ 
winkel abwärts bis in die halbe Länge des Sternocleidomastoideus findet sich 
eine kleineigrosse, stark schwirrende Geschwulst, unterhalb pulsiert die Carotis 
ganz normal. Nervenbefund: Rechtsseitige Sympathicuslähmung, rechtsseitige 
Vagusschädigung (verschluckt sich leicht), Hypästhesic im Bereiche der Haut- 
und Schleimhautempfindung der linken Seite. Parese der linken Extremitäten 
und des linken Mundfacialis. 

Operation am 8. Oktober. Aneurysma arteriovenosum zwischen Carotis 
interna und Vena jugularis interna. Freilegung der Carotis communis, die be¬ 
reits in Schwielen eingebettet ist. Sie ist gedeckt durch die abnorm erweiterte 
schwirrende Jugularis interna. Der Aneurysmasack überlagert zum Teil die 
Teilung der Carotis communis, lässt sich aber so weit ab präparieren, dass man 
noch deutlich sieht, dass die Verletzung im Bereiche der Carotis interna liegt. 
Es wird sehr vorsichtig operiert, um, wenn möglich, die Gefässnaht auszuführen. 
Es erweist sieh aber das obere Stück der Carotis interna als zu kurz, die Ge- 
fässverletzung ist zu ausgedehnt. Unverletzt ist nur jener Teil der Carotis in¬ 
terna, der schon hinter dem Unterkiefer liegt. Es muss daher auf die (iefäss- 
naht verzichtet, und sowohl Arteria carotis interna als auch Vena jugularis in¬ 
terna reseciert, der Aneurvsmasaek exstirpiert werden. Gleich nach der Ope¬ 
ration behauptet der Kranke, dass seine Kopfschmerzen geschwunden seien, die 
Lähmungserseheinungen der linken Körperhälfte gehen allmählich, aber voll¬ 
ständig zurück. Heilung per priiuam. (28. Oktober völlig geheilt.) 

8. Ilauptrnaim V. F., 38 Jahre alt, verwundet am 7. September 1914 durch 
einen Streifschuss in die rechte Wade, und zwar in das obere Drittel hinten 
und aussen. Es dürfte sieh um eine Sehrapnellverletzung gehandelt haben, da 
aus der Wade ein Stück Haut und Fleisch herausgerissen war. Beim ersten 
Verbandwechsel soll rhythmisch rotes Blut aus der Wunde gequollen sein. Die 
Wunde hat sehr stark geeitert, ist aber in kurzer Zeit zugeheilt. Während nun 
in der ersten Zeit der Patient sein Bein vollkommen gebrauchen konnte, stellten 
sich im Laufe der Zeit Besehwerden ein, die der Patient als ein Gefühl schildert, 
als hätte er einen Sack in seinem Bein, der sich nach allen Seiten hin erweitere 
und drücke. Namentlich beim Gehen und Sitzen ist das Gefühl vorhanden, 
weniger beim Liegen. Seit dem 2. Oktober befindet sieh der Patient in meiner 
Beobachtung in Innsbruck, und seither ist der Zustand immer schlechter ge¬ 
worden, obwohl sieh der Patient sehr geschont hat. Er konnte schliesslich nur 


Gck igle 


Original frorn 

UMIVERSITY OF IOWA 



K riegsan eu ry s men. 


663 


mehr mit Krücken gehen, im Kniegelenk stellte sieh allmählich eine Kontraktur 
ein. Dabei war äusserlich am Beine nichts wahrnehmbar, keine Schwellung, 
kein Oedem, nur der Puls in der Tibialis postica auffallend schwach. Keine 
Pulsation, kein hörbares Gefässgeräusch. Ich neigte nach dem Symptomcnbild 
doch immer mehr zur Annahme eines Aneurysmas der Tibialis postica. 

Operation am 13. Oktober. Typische Freilegung der Tibialis postica. 
Es findet sich die Vena tibialis postica vom oberen bis in das untere Unter- 
schenkeldrittel vollständig thrombosiert, auf Kleinfingerdicke angeschwollen. 
Arteria tibialis postica und Veno unzertrennlich miteinander verschmolzen. Beide 
müssen in grosser Ausdehnung reseeiert werden. Das Präparat zeigt einen Riss 
in der Arterie, durch welchen diese mit der Vene kommuniziert. Es handelt 
sich also um ein Aneurysma arteriovenosum, wobei der Sack kaum über bohnen¬ 
gross ist, mit sekundärer Thrombosierung der Vene. Heilung per primam. Völlige 
Beschwerdefreiheit. 

9. Fähnrich T. Sch., 24 Jahre alt, durch Gewehrschuss in knieender Stel¬ 
lung am 8. September 1914 verwundet. Der Patient wird am 15. September in 
fixem Verbände der Klinik eingeliefert. Es findet sich ein Einschuss im unteren 
Drittel des rechten Oberschenkels, an dessen Innenseite, klein und reaktionslos. 
Ausschuss fünfkronenstückgross, im unteren Drittel des rntcrschenkels, zwischen 
Tibia und Fibula. Die rmgebung etwas gerötet, schmerzhaft, die Wunde eitert 
sehr stark. Fuss ödematös, Bewegungen im Sprunggelenke sowie die Bewegungen 
der Zehen eingeschränkt und unbeholfen. Temperatur 38,3, keine Lymphangitis. 
Am 17. September zeigt sich beim Verbandwechsel die Aussenseitc des unteren 
Drittels des Unterschenkels halbkugelig vorgewölbt, stark gerötet, welche Er¬ 
scheinung am 18. September noch zunimmt. Da der Stationsarzt wegen der 
stark zunehmenden Eiterung aus der Wunde an eine Erweiterung derselben 
durch Ineision denkt, wird mir der Fall vorgestcllt. Auf den ersten Blick im¬ 
poniert die Geschwulst als circumseripte Phlegmone, doch stimmt dazu weder 
die minimal erhöhte Temperatur, noch der Mangel an grösseren Schmerzen. Da 
auch jedwede Erscheinung von seiten der Lymphdriisen und Lymphgefässe fehlt, 
und die Sekretion aus dem in der Mitte der Vorwölbung liegenden Ausschuss 
eine geradezu abundante ist, untersuche ich die Vorwölbung genau und kann 
Pulsation nachweisen, womit die Diagnose eines Aneurysmas der Arteria tibialis 
anterior gestellt ist. 

Operation wegen des rapiden Wachstums der Geschwulst, auftretender 
lancinierender Schmerzen und zunehmender Einschränkung der Beweglichkeit 
des Kusses am 19. September. Unterbindung der Arteria tibialis anterior ober¬ 
halb des aneurysmatischen Sackes, exakte Naht der Operationswunde. Exeision 
ilcs phlegmonösen Ausschusses und Exstirpation des faustgrossen Aneurysmas, 
an dessen peripherster Stelle wieder die Arteria tibialis anterior unterbunden 
wird. Tamponade dieser Wundhöhle. Afcbriler Verlauf, sofortige Schmerzfrei¬ 
heit, die Bewegungen des Kusses kehren rasch in vollem Umfang zurück. Am 
10. Oktober kann Pat. mit kleiner granulierender Wunde entlassen werden. 

10 . Infanterist F. G., 25 Jahre alt, verwundet durch eine Schrapnellkugel 
am 9. September 1914. Er war bis zum 20. September unterwegs im Transport 
nach Innsbruck. Er hatte einen Durchschuss durch die Mitte des linken Unter¬ 
schenkels in annähernd querer Richtung erhalten. Wegen sehr starker An¬ 
schwellung des Beins und intensiver Schmerzen am 21. September auf die chir¬ 
urgische Klinik verlegt. Bei der Untersuchung, die infolge besonderer Schmerz¬ 
haftigkeit auf grossen Widerstand des Kranken st (isst, zeigt sich, dass der Puls 
in der Arteria tibialis posterior der linken Seite fehlt. Die pralle Geschwulst in 
der Wade pulsiert etwas, der Sehusskanal eitert stark. Fieber um ÖS,5. 

44 * 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



664 


H. v. Habe rer, 


Digitized by 


Wegen beträchtlicher Grössenzunahme der Geschwulst und weiterer Zu¬ 
nahme der Schmerzen Operation am 23. September. Aufsuchen des Stammes 
der Arteria tibialis posterior oberhalb des Aneurysmas, was einigerraassen er¬ 
schwert ist, da die Arterie in sulzig-schwieliges Gewebe eingebettet war. Aus- 
räumen des fast faustgrossen Aneurysmasackes, der nach vorne bereits zu einer 
leichten Usurierung der periostentblössten Tibia geführt hat. Am unteren Ende 
des Sackes wird die stark blutende Arteria tibialis posterior ebenfalls unter¬ 
bunden. Drainage dureh ein Glasdrain, sonst exakte Naht der grossen Ope¬ 
rationswunde. Heilung erfolgt bis auf die Drainage per primam. Temperatur 
von der Operation an normal, Schmerzen- sofort-nach*der Operation.geschwunden. 

11 . Gefreiter S. S., 26 Jahre alt, verwundet am 13. September 1914 durch 
Schuss aus einem Revolver. Gelangte in fieberndem Zustande am 20. September 
nach Innsbruck. Bei seiner Ankunft 38,S Temperatur. Patient sieht sehr 
anämisch aus. Es findet sich unmittelbar unter dem rechten Kniegelenk ein 
eiternder Durchschuss dureh die Wade. Schusskanal tamponiert! Da bei an¬ 
haltendem Fieber am 20. und 26. September je eine sehr heftige Nachblutung 
aus dem Schusskanal erfolgt, wird Patient, der auch über zunehmende Schmerzen 
klagt, am 28. September auf die chirurgische Klinik verlegt. 

29. September Operation wegen des an Grösse zunehmenden Aneurysmas 
der Arteria tibialis anterior. Das Aneurysma reicht so hoch hinauf, dass die 
Arteria tibialis anterior gerade in ihrem Ursprünge unterbunden werden muss, 
was recht schwierig ist, da die Unterbindung hart unter dem Kniegelenk in be¬ 
trächtlicher Tiefe erfolgen muss. Die Unterbindung peripher, unterhalb des 
Aneurysmasackes leicht. Sack selbst faustgross, reicht zwischen Tibia .und 
Fibula nach rückwärts bis an die Haut der Wade. Yorne noch ein kleiner, 
zweiter Sack. Beide Säcke werden ausgeräumt, und da inficicrt, drainiert. 
Heilung per primam bis auf die stark eiternden Drainstellen. Im Anfänge noch 
Schmerzen und Temperatursteigerungen, die nach Ablauf weniger Tage voll¬ 
kommen schwanden. 

12 . Korporal K. A., 23 Jahre alt, verwundet am 7. September 1914 durch 
Schuss in den rechten Unterschenkel. Einschuss vorne im oberen Drittel. Aus¬ 
schuss aussen im unteren Untcrschenkcldrittel. Fünf Tage nach der Verwun¬ 
dung traf der Kranke in Innsbruck ein. Schusskanal eitert beträchtlich. Pat. 
klagt über sehr heftige Schmerzen in der Tibia und in der Wade, Gehen und 
Stehen unmöglich. Da sich der Zustand des Patienten nicht bessert, wird er 
am 3. Oktober auf die chirurgische Klinik transferiert. Unterschenkel stark ge¬ 
schwollen, lateral von der Mitte der Tibia pulsiert die Geschwulst deutlich. 

Operation am 5. Oktober. Die Arteria tibialis anterior muss knapp unter¬ 
halb des Kniegelenkes ligiert werden, da sich gleich darunter ein sehr grosser 
aneurysmatiseher Sack findet, an dessen peripherem Ende, im unteren Drittel 
des Unterschenkels, ebenfalls die Arterie ligiert wird. Nach Auslösen des Sackes 
tritt eine abundante Blutung auf. Digitalkompression der Arteria femoralis. 
Es zeigt sich das Ligamentum interosseum durch das Aneurysma zerstört und 
in der Hinterwand des Aneurysmas, die sich nahe der Wadenhaut befindet, zeigt 
sich hart an der Tibiahinterfläehc die Arteria tibialis posterior zerrissen. Es 
muss also auch die Arteria tibialis posterior im Aneurysmasack central und 
peripher unterbunden werden. Dabei zeigt es sich auch, dass die Tibia durch¬ 
schossen ist. Das Aneurysma hat sich aus zwei, annähernd gleich grossen, 
einem vor und einem hinter dem Ligamentum interosseum gelegenen Saek zu¬ 
sammengesetzt. Beide werden drainiert, der rückwärtige Sack durch Gegcn- 
ineision in der Wade. Am zweiten und dritten Tage Fieber bis 38.5: es muss 
auch im oberen Wundwinkel noch ein Drain eingeführt werden. Von da ab 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



K r i egsan e u ry s in e n. 


665 


»febriler Verlauf, Sehnierzen schwinden, keinerlei Ernährungsstörungen. Heilung 
per primani bis auf die Drainage. 

13. Zugführer F. St., 2(5 Jahre alt, verwundet am 7. September 1914. Sehrap- 
nellsteeksehuss mit Einschuss im Bereiche des Adduktorenschlitzes am linken 
Oberschenkel. Es soll stark geblutet haben. Patient wurde mit Notverband in 
siebentägiger Fahrt direkt nach Innsbruck gebracht. Wegen des-schwer fieber¬ 
haften Zustandes und schlechten Aussehens Aufnahme direkt an die chirurgische 
Klinik. Pat. fiebert bis gegen 39, hat trockene Zunge und sieht sehr mit¬ 
genommen aus. Dabei bestehen starke Durchfälle. In der Höhe des linken 
Adduktorenschlitzes findet sich ein stark zerfetzter Einschuss, Ausschuss fehlt. 
Die Wunde eitert ausserordentlich stark und erfordert sehr häufigen Verband¬ 
wechsel. Es bestehen dabei heftige, auch durch Morphin nicht zu bändigende 
Schmerzen ziehender Natur iin ganzen Unterschenkel. Im Bereiche des Ein¬ 
schusses findet sich ein kindkopfgrosses Aneurysma, das auch noch die ganze 
Fossa poplitea ausfüllt und sich hinter dem Femur bis an die laterale Seite 
des Oberschenkels erstreckt. Ueberall sehr starke Pulsation. Wegen des aus- 
sproehen septischen Zustandes wird zunächst unter Kuhigstellung des Beines 
zugewartet, da Patient die vorgeschlagene Ablatio ablehnt. Da erfolgt am 
30. September plötzlich eine starke Nachblutung. Deshalb kann nicht gewartet 
werden. Mit der Nachblutung kam auch das Projektil aus der Wunde. 

Operation am 1. Oktober. Arterie und Vene müssen im Adduktoren¬ 
schlitz aufgesucht werden. Es findet sich ein kindskopfgrosscs Aneurysma der 
Arteria und Vena poplitea, an dessen peripherem Ende Arterie und Vene eben¬ 
falls ligiert werden. Ausschälen des grossen Sackes, der nach oben das 
Planum poplitcum des Oberschenkels usuriert hat. Daneben findet sich auch 
ein Durchschuss durch den Oberschenkelknochen im Bereiche der Kondvlen. 
Arterie und Vene sind total zerrissen, Gogenincision an der lateralen Seite 
des Oberschenkels, Tamponade der Wundhöhle. Drainage nach beiden Seiten. 
Noch am Tage der Operation färbt sich die erste bis dritte Zehe blau und es 
kommt im Bereiche derselben schon am nächsten Tage zu einer scharfen De¬ 
markationslinie. Bis dahin bleibt das ganze Bein vollkommen ernährt. Das 
Fieber hält indessen an, weshalb ich am dritten Tage nach der Operation die 
ganze Wunde öffne, ln der Folgezeit wird es noch nötig, einen bis in die 
Inguinalgegend reichenden subkutanen Eitergang zu incidieren, aber die Wund¬ 
heilung vollzieht sieh unter kräftigen Granulationen und das Bein behält seine 
Ernährung. Die Sohlcnhaut bis in die Zehen hinein ist tadellos ernährt, Pat. 
kann sogar die Zehen gut bewegen, so dass vielleicht auch liier bloss eine 
oberflächliche Ernährungsstörung zustande kommt. 15. Oktober muss wegen 
anhaltenden Fiebers und heftiger Schmerzen die Enukleation im Chopart’schen 
Gelenk vorgenommen werden. Die Absetzung erfolgt überall im ernährten Ge¬ 
biete. Doch zeigen sieh die Venen thrombosiert, so dass aus diesem Grunde 
wie auch wegen der intensiven Schmerzen in der Wade einige Ineisionen am 
Unterschenkel vorgenommen werden, die sehr gut bluten. 

17. Oktober. Das Fieber hält an. Eine Blutuntcrsuehnng ergibt Steri¬ 
lität des Blutes. Der plantare Lappen ist gut ernährt, es blutet auch etwas 
durch, die Ineisionen der Wade beginnen zu granulieren und zu bluten, Fieber 
schwankt noch immer zwischen 3S und 39, 

20. Oktober. Fieber weiter anhaltend, dabei Zunge feucht, Puls gut. 
Im Bereiche der Malleolcn beginnt Nekrose der Haut, im Bereiche der hier am 
15. Oktober ausgeführten Incisionen beginnt die Muskulatur zu nckrotisieren. 
Daher Ablatio in der Mitte des Unterschenkels, woselbst die Arterien pulsato- 
risch spritzen und auch die Venen intensiv bluten. Zum erstem Male sinkt 
nach diesem Eingriffe die Temperatur auf 37,4. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



666 


H. v. Habe rer, 


Digitized by 


Der präparierte ablaticrto Teil des Unterschenkels zeigt die Arterien frei, 
die Venen ausgedehnt thrombosiert. Die Muskeln bereits in Nekrose. Ktwa 
handbreit wurde die Absetzung in vollständig normalem Gewebe vorgenommen. 

Ich hätte die Obersehenkelamputation ausgeführt, wenn der Patient seine 
Einwilligung dazu gegeben hätte, um ganz sicher zu geben. Nach den Kr- 
nährungsverhältnissen aber dürfte die Amputation im halben Unterschenkel 
genügen, zumal hier auch die Venen durchgängig sind (28. Oktober in voller 
Heilung). Ist Februar 1915 geheilt entlassen worden. 

14 . 8. St., 25 Jahre alt, wurde am 28. August 1914 in der Sehwarni- 

linie durch einen Gewehrschuss verletzt, wobei der Einschuss fingerbreit ausser¬ 
halb des linken Nasenflügels erfolgte. Der Schuss ging durch den Oberkiefer, 
durchbohrte den Mundboden der rechten Seite und der Ausschuss kam in dir 
Mitte des rechten Musculus sternoeleidomastoideus zu liegen. Die Blutung- 
soll angeblich nicht stark gewesen sein. Ausser einer leichten Heiserkeit und 
Steifigkeit des Halses hat der Patient nichts Abnormes wahrgenommen. 

Der Patient lag dann längere Zeit in einem Militärspital, wo er darauf 
aufmerksam gemacht wurde, dass er ein Aneurysma der Carotis dextra habe, 
das operiert werden müsse. Da er von der Geschwulst nichts anderes be¬ 
merkte, als dass sie stark schwirre, wollte er von der Operation nichts wissen, 
obgleich die Anschwellung seiner rechten Halsseite immer mehr und mehr 
zu nahm. 

Ich sah den Kranken zum ersten Male am 24. Oktober, wobei sofort eine 
stark pulsierende Geschwulst seiner rechten Halsseite in Ganseigrösse auffiel. 
Der aufgelegte Finger fühlte ein ausserordentlich starkes Schwirren, so dass 
an der Diagnose eines Aneurysma arteriovenosum nicht gezwcifelt werden 
konnte. Die Geschwulst lag am Halse so hoch und reichte so weit medialwärts, 
unter leichter Verdrängung des Larynx nach links, dass ich ein Aneurysma 
der Arteria carotis externa annahm und das um so mehr, als trotz der be¬ 
trächtlichen Grösse des Aneurysmas gar keine Ausfallssymptome von Seiten der 
eontralatcralen Körperhälfte bestanden. 

Die einzigen Symptome, die Vorlagen, waren die einer Vagusschädigung 
(Heiserkeit) und einer unverkennbaren Heizung des Sympathieus der betroffenen 
Seite, da die rechte Pupille weiter war als die linke. 

Operation am 2f>. Oktober 1914 in der klinischen Vorlesung. Ineision 
vom rechten Unterkiefcrwinkcl beginnend, bis in das Jugulum herab, längs des 
vorderen Randes des Musculus sternoeleidomastoideus. 

Hautblutung auffallend stark. Der grosse aneurysmatische Sack, der in 
der Mitte des Sternoeleidomastoideus beginnend bis unter den Unterkieferwinkel 
reicht, gehört der unheimlich geblähten Vena jugularis interna an, welche die 
Carotis zunächst infolge ihrer Erweiterung vollständig zudeckt. Die Klärung 
der Situation ist zunächst durch ausgedehnte entzündliche Schwielenbildung, 
welche den aneurysrnatischen Sack nach oben und unten weit überschreitet, 
sehr erschwert. Endlich gelingt es, die Carotis communis in ihrem Stamme 
weit unten im Jugulum freizulegen und hier für alle Fälle eine Fadenschlinge 
um das Gefäss zu führen, welche im Falle stärkerer Blutung jederzeit zugezogen 
werden konnte. Dadurch kann auch mit mehr Ruhe jetzt die Isolierung der 
Vena jugularis interna und Carotis oberhalb des aneurysrnatischen Sackes vor¬ 
genommen werden. Es gelingt schliesslich eine tadellose anatomische Präpara¬ 
tion, welche zeigt, dass sowohl die Carotis interna als auch die Carotis ex¬ 
terna. frei von der Verletzung geblieben sind, während die Carotis communis, 
und zwar etwa 1 cm unterhalb ihrer Teilung in breiter Verbindung mit dem 
aneurysmatischen Sack steht, der, wie sich zeigt, nur zum Teile von der Vena 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Kriegsaneurysmen. 


667 


]iiirularis interna gebildet wird, nach hinten, wirbelsäulenwärts, als Aneurysma 
spurium sich ausbreitet. Vene und Arterie werden nun, nachdem je eine 
Höpfner-Klemme central und peripher die Carotis abklemmt, von einander 
getrennt. Dabei muss die periphere Klemme nahezu die Teilungsstelle der 
Carotis fassen, weil das Aneurysma eben knapp unter der Teilung am Stamm 
der Carotis communis sitzt. Die Vene zeigt ein so grosses Loch, das nach 
hinten direkt in das Aneurysma spurium überhöht, dass es am zweekinässig- 
sten ist, die Vene samt dem Aneurysma zu exstirpieren, nachdem sie vorher 
central und peripher unterbunden ist. Durch den aneurysmatischen Sack hin¬ 
durch zieht, mit ihm unzertrennlich verwachsen, Nervus vagus und Nervus 
sympathicus, so dass ich nicht anders konnte, als beide Nerven in grosserer 
Ausdehnung zu resezieren. Nur dadurch war es nämlich einwandsfrei möglich, 
die wirbelsäulcnwärts verlagerte Arteria carotis communis so weit zu mobili¬ 
sieren, dass der Defekt ihrer Wand genau übersehen werden konnte. 

Letzt (Ter stellte sich als (‘in bis auf einen 1 mm breiten Saum an der 
medialen Wand der Carotis circularer dar, und es zeigte sich weiter, dass ein 
Stück der Wand der Carotis ganz fehlt, weil die Drücke zwischen centralem 
und peripherem Lumen, bei einer Breite von, wie gesagt, etwa 1 mm die 
Längi 1 von etwa 1 J) cm hatte. Die Länder der beiden Lumina waren derart 
gefetzte, dass ich von beiden noch ein Stück resezieren musste, und so kam 
schliesslich ein 3 cm langer Defekt des Arterienrohres zustande, der nur an 
der Innenseite durch eine 1 mm breite, 3 cm lange Spange überbrückt war. 
Ich habe diese Spange zunächst absichtlich nicht weggesclmitten, weil ich nicht 
wusste, ob ich sie nicht bei dm* folgenden (iefässnaht brauchen könnte. Unter 
starker Neigung des Kopfes nach der kranken Seite gelang es nach ausgiebiger 
Mobilisierung des centralen Abschnittes der Carotis communis die (iefässlumina 
so weit zu nähern, dass die circulare (iefässnaht mittels zwölf Kopfnähten an¬ 
gelegt werden konnte. Nach Beendigung derselben lag die ursprünglich ge¬ 
schonte schmale (iewebsbriieke als zarte Schlinge an der Innenseite, neben der 
circularen (iefässnaht. Mehr als die Naht in einer Schiebt war wegen der 
Spannung infolge des ausgedehnten Defektes nicht möglich. Schon wollte ich 
die überflüssig erscheinende, bisher, wie gesagt, absiehtlieli erhaltene Schlinge 
wegschneiden, als ich doch lieber früher die peripher angelegte Höpfnersche 
Klemme abnahm. Da zeigte es sich, dass aus der vorderen Halbcireumferenz 
der Carotisnaht an 2 Stellen Blutung auftrat, l’nd nun kam mir die erhaltene 
Schlinge sehr zustatten, denn sie ermöglichte mir eine l'ebernähung der Gefäss- 
naht, wozu ich sonst anderes Material, etwa Fascie, hätte nehmen müssen. 
Nach dieser Uebcrnähung stand die Blutung sofort und trat auch nicht mehr 
auf, als ich die central liegende Höpfner’sehe Klemme entfernte. Nach Ab¬ 
nahme der Klemme fingen Carotis communis im Bereiche der Naht und ebenso 
Carotis interna und externa normal zu pulsieren an, ein Zeichen, dass die 
Naht durchgängig war. Im Bereiche der circularen (iefässnaht wurde die 
Carotis communis nun noch durch einen Muskellappen aus dem Sternooleido- 
mastoideus umseheidet und darauf die Hautwunde durch Klammern geschlossen. 
Aus dem untersten Wundwinkel leitete ich den um die Carotis communis ge¬ 
legten, aber nicht geknüpften Faden heraus, den ich zur Sicherheit wegen der 
Möglichkeit einer Nachblutung zunächst liegen liess. Verband des Kopfes mit 
Neigung auf die kranke Seite. 

Als der Patient aus der Narkose erwachte, war er stark heiser und die 
vor der Operation bestandene Pupillendifferenz hatte sieh umgekehrt, in¬ 
sofern jetzt die rechte Pupille wesentlich enger war als die Linke. Die Arteria 
ternporalis der operierten Seite pulsiert ebenso kräftig wie die der linken Seite. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



668 


II. v. Ha he rer, 


Digitized by 


ln den nächsten Tagen wird die Pupillendifferenz noch deutlicher, dazu kommt 
auch eine Andeutung von Enophthalmus. Ausfallserscheinungen der linken 
Körperhälfte traten auch nicht vorübergehend ein, auch subjektiv hatte der 
Pat. zu keiner Zeit irgendwelche Sensationen seiner linken Körperhälfte. Am 
vierten Tage entfernte ich den zur Sicherheit um die Carotis gelegten Faden, 
am sechsten Tage die Hautklammern, es war bei afebrilem Verlauf Heilung- 
per primam eingetreten. Der Puls in der Tcmporalis ist auf beiden Seiten 
für den tastenden Finger gleich geblieben, eine am zwölften Tage nach der 
Operation vorgenommene, vergleichsweise durchgeführte Blutdruckbestimmunir 
in beiden Temporales nach der v. Hasch'sehen Methode ergibt kaum einen 
Unterschied zwischen rechts und links, ein Weniges ist der Druck in der 
rechten Tcmporalis geringer. (Das gleiche Ergebnis hatte eine zu späterer Zeit 
ausgeführte vergleichsweise Blutdruckmessung.) Jetzt wird der Kopf vom Pat. 
bereits ganz frei nach allen Seiten bewegt, frei gegeben haben wir ihn vom 
achten Tage nach der Operation an. Die Stimme des Pat. bessert sich all¬ 
mählich, wie wir das aueli nach Keeurrcnsverleizungen bei Strumaoperationen 
sehen. Pat. geht bereits herum und fühlt sich völlig gesund. Im Bereiche der 
Carotisnaht ist keine abnorme Pulsation zu tasten, die Carotis pulsiert wie die 
der anderen Seite. Der Patient kann nunmehr in den nächsten Tagen in seine 
Heimat abgehen. (Beobaehtungsdauer drei Wochen nach der Operation, er hat 
am 16. November geheilt die Klinik verlassen.) Ein Jahr nach der Operation 
ausgezeichnetes Befinden, rechte Carotis wie linke. 

15. J. K„ Infanterist, 26 Jahre alt, verwundet am S. September 1914 
durch Schuss. Einschuss 2 Querfingcr unter der linken Clavieula in ihrem 
äusseren Drittel, Ausschuss entsprechend dem äusseren Scapularrande links. 
Drei Tage nach der Verletzung setzte eine allmählich zunehmende Lähmung 
der linken oberen Extremität ein. In einem Spitale in Ungarn untergebracht, 
wurden bei dem Patienten passive Bewegungen, Massage und elektrische Be¬ 
handlung versucht, der Kranke danach auf Urlaub (!) entlassen. In Innsbruck 
zuriiekgehalten, wurde der Kranke in das klinische Reservcspital aufgenommen. 
Es fand sich eine über faustgrosse, pulsierende Vorwölbung der linken Mohren- 
heinrschcn Grube, über welcher auskultatorisch ein überaus intensives Rauseiten 
und Sausen nachweisbar war. Auch die linke Achselhöhle herab bis zur 
vierten Rippe war von einer pulsierenden Geschwulst ausgefüllt. Die linke 
obere Extremität, mit Ausnahme der Brust-Armmuskeln, motorisch vollkommen 
gelähmt, schwere llypästhcsie bis Anästhesie vom oberen Drittel des Oberarmes 
an abwärts. Faradisch sämtliche Muskeln der oberen Extremität, mit Aus¬ 
nahme des Musculus deltoideus, unerregbar. Puls in der Braehialis und Ra¬ 
dial is nicht tastbar. 

Operation 4 Tage nach der Spitalsaufnahmc am 4. November 1914. 
Der über mannskopfgrosse Aneurysmasaek reicht bis an den Angulus seapulae 
nach hinten, durch die Axilla bis in die Mitte des Oberarmes. Es muss die 
Clavieula temporär durchsägt werden, um die Subclavia central vom Aneurysma 
aufsuchen zu können. Die Subclavia selbst ist auf etwa 8 cm vollkommen 
zerstört, fehlt im Bereiche des Aneurysmas. Sie muss central und peripher 
vom Aneurysma unterbunden werden, wobei das periphere Arterienende tBra¬ 
ehialis) stark arteriell blutet. Ausräumen des von einer unglaublichen Menge 
Uoagula erfüllten Sackes und Drainage desselben am Angulus seapulae, als 
dem tiefsten Punkte. Naht der Clavieula. 

Während der Heilung treten leichte Decubitalgesehwüre der Haut durch 
den Verband auf, die aber relativ rasch heilen. Stärkere Ernährungsstörungen 
der Extremität treten auch nicht vorübergehend ein. Die Nerven des Plexus 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Kri e gs a n c u ry smcn. 


669 


bracJiialis verliefen, wie sich hei der Operation gezeigt hatte, sämtlich durch 
die schwielige Wand des aneurysmatischen Sackes, konnten mühsam gelöst 
werden und erwiesen sich in der Kontinuität nicht getrennt. Trotzdem hat sich 
die Motilität in den vom Plexus versorgten Gebieten bis heute nicht eingestellt, 
ln der allerletzten Zeit beginnen Fingerbewegungen. 

16 . A. F., Infanterist, 29 Jahre alt, verwundet am 28. August 1914. 
Schuss durch den rechten Oberarm mit Fraktur an der Grenze zwischen oberem 
und mittlerem Drittel. Sehr starker Blutverlust. Er wurde wegen seiner 
Fraktur in Ungarn behandelt und dort vom Arzte aufmerksam gemacht, dass 
er sich wegen eines Aneurysmas operieren lassen müsse. Zu dieser Operation 
wurde er in das klinische Rcservespital in Innsbruck am 5. November 1914, 
als der Schusskanal bereits vollständig vernarbt und die Fraktur ausgehcilt 
war, aufgenommen. Der Einschuss findet sich an der Vorderseite- des Ober¬ 
armes im oberen Drittel, der Ausschuss hinten, knapp neben der Achselfalte. 
An der Frakturstelle findet sich eine deutliche Stufe mit starker Callusbildung, 
der Arm weist eine Verkürzung zon 1,5 em auf. Im Bereiche des Schuss- 
kanalc& ein sehr ausgedehntes, arteriovenöses Aneurysma mit deutlichem Ge- 
fässsohwirren. Radialispuls nicht tastbar. Hand stark eyanotiseh. 

Operation am 6. November 1914. Das Aneurysma sitzt knapp unter 
dem Abgänge der Artcria profunda huineri, welche mithin geschont werden 
kann. Der Sack ist mit der Frakturstcllc schwielig verwachsen, in seiner 
Wand verlaufen die Armnerven, die sieh alle unschwer auspräparicren lassen. 
Die Vene ist bis zu einer Klappe in der Mitte des Oberarmes sehr stark ge¬ 
bläht, von da nach unten enge. Da die Artcria profunda liumeri geschont 
werden kann, wird die Gefässverbindung von Arterie und Vene reseziert, mit 
centraler und peripherer Ligatur der Gerfassenden. Der Sack wird exstirpiert. 
Glatte Heilung. Schon am Tage der Operation ist der Radialispuls tastbar. 

17 . F. V., Dragoner, 28 Jahre alt, verwundet am 22. Oktober 1914. 
Schräger Durchschuss durch beide Oberschenkel. Links findet sich im Bereich 
des Ein- und Ausschusses eine je handtellergrosse granulierende Wunde an der 
Aussen- und Innenseite des Oberschenkels, etwa in dessen Mitte, rechts sind 
Ein- und Ausschuss verheilt. Die eine der beiden Schussnarben entspricht genau 
dem Adduktorenschlitz. Hier findet sich distal von der Hautnarbe eine faust- 
grosse, deutlich pulsierende Geschwulst, deren Pulsation auf Kompression der 
Artcria femoralis unter dem Poupart'schen Bande stellt. Peripher der Puls 
in der Dorsalis pedis gut palpabel. Motilität des Beines nicht wesentlich be¬ 
einträchtigt. 

Operation am 13. November 1914. Freilegen des ancurysmatisehen 
Sackes. Die Gefässverletzung sehr ausgedehnt, entspricht gerade dem Verlaufe 
der Arterie durch den Adduktorenschlitz. Centrale und periphere Ligatur, 
Exstirpation des aneurysmatischen Sackes. Heilung per primam. Bein auch 
nicht vorübergehend in .seiner Ernährung gestört, ist nach erfolgter Wundheilung 
voll gebrauchsfähig. 

18 . St. 0., Infanterist. 33 Jahre alt, verwundet am 29. Oktober 1914. 
Durchschuss durch den rechten Oberschenkel derart, dass der Einschuss der 
Mitte des Poupart’schen Bandes entspricht, während der Ausschuss in der Mitte 
der Glutäalgegend liegt. Er hatte vom Momente des Schusses an sehr heftige 
lanzinierendc Schmerzen im rechten Beine, das er aus diesem Grunde auch in 
Beugestellung halten muss. Im Oberschenkeldreieck findet sieh ein klein faust- 
grosses, typisches Aneurysma. 

Operation am 14. November 1914. Es finden sich um das Aneurysma 
herum schwere entzündliche Verwachsungen, die Inguinaldrüsen alle gerötet und 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



-670 


II. v. Habe rer, 


Digitized by 


geschwellt. Arterie in grösserer Ausdehnung zerrissen, muss central in der Höhe 
des Poupart'sehen Bandes, peripher knapp oberhalb des Abganges der Profund» 
femoris unterbunden werden. Da es aus letzterer stark arteriell blutet, wird 
die Unterbindung gewagt, um so mehr, als so ausgesprochene entzündliche 
Veränderungen im Opcrationsbereiehe vorgefunden worden sind. .Sack exstirpiert. 
Gleich nach der Operation ist das Bein sehr blass, die ursprünglich noch mög¬ 
lichen Bewegungen der Zehen schwinden im Verlaufe von 24 Stunden. Durch 
Wechselbäder, Heissluft und Blutegel scheint sich die Ernährung im weiteren 
Verlaufe von 24 Stunden zu bessern, .doch hält diese Besserung nicht an, so 
4 lass ich mich drei Tage nach der Operation entschliesse, nochmals die Wunde 
zu öffnen, um eine Vene als Zwischenstück einzuschalten. Diese Operation 
führte ich am 18. November aus. Da sich centraler und peripherer Arterien¬ 
stumpf stark retrahiert hatten, musste ein 10 cm langes Stück transplantiert 
werden. Ich wählte dazu die unmittelbar benachbarte Vena femoralis, deren 
Aeste vorerst alle sorgfältig unterbunden worden waren. Dann wurde die Vene, 
um die Klappenwirkung auszuschalten, umgekehrt in den Arteriendefekt oin- 
gepflanzt, was sich wegen der grossen Aehnlichkeit der Lumina sehr leicht 
ausführen liess. Nach Abnahme der Hopfner-Klemmen blähte sich die Vene 
spindelförmig auf, pulsierte stark, und schon schien alles in bester Ordnung, 
da auch die Arterie peripher tadellos pulsierte und in ihrem Bereiche die Haut¬ 
wunde gut zu bluten anfing. Während hier nun die nötige Blutstillung vor¬ 
genommen wurde, beobachtete ich durch etwa fünf Minuten das Verhalten des 
Implantat es. Es hatte sieh an der Pulsation gar nichts geändert, als ganz 
plötzlich, nach Ablauf der genannten Zeit, jede Spur von Pulsation wie mit 
einem Schlage aufhörte. Die Palpation ergab, dass in der Vene das Blut ge¬ 
ronnen war. Ich schlitzte deshalb die Vene, zog den Thrombus heraus, vernähte 
durch seitliche Naht das Venenloch, es trat sofort wieder Pulsation ein. Aber 
schon nach kurzer Zeit wurde die Pulsation wieder schwächer und ich schloss 
die Operation mit dem sicheren Gefühl, dass die Cireulation durch die trans¬ 
plantierte Vene nicht in Gang kommen werde. So kam es auch. Am 1. Dezember 
mussten wir die Oberschenkelamputation knapp oberhall) des Kniegelenkes aus- 
fiihren. Danach trat Heilung ein. 

19. H. H., Offiziersdiener, 22 Jahre alt, verwundet am 20. Oktober 1914. 
Schuss in die linke Schulter von hinten mit Schrapnell, und Durchschuss durch 
•die rechte Ferse. Die Kugel aus der Sehultcrwunde soll dem Patienten von einer 
nebenstehenden Person mit den Fingern entfernt worden sein. Auf dem Trans¬ 
port nach Innsbruck soll es zu einer sehr schweren Blutung aus der Sehultcr¬ 
wunde gekommen sein, die aber auf Tamponade stand. Hier kam der Patient 
zunächst in ein Keservespital, wo sieh diese Blutung wieder in abundanter 
Weise wiederholte, weshalb »der Kranke in äusserst anämischem Zustand und 
hoch fiebernd in meine Klinik transferiert wurde. Es fand sich bei dem sehr 
blassen Kranken mit fliegendem, schwachem, «likrotem Puls eine sehr stark 
eiternde Wunde an der Hinterseite der linken Schulter über der linken Achsel¬ 
falte, Temperatur 39. Die linke Fossa infraclavieularis ist von einem faust- 
grossen, stark .schwirrenden, pulsierenden Tumor eingenommen. Links oben ist 
<l?ts Atemgeräuseh der Lunge von dem Geräusche des Aneurysmas gans verdeckt. 
Audi der Schuss durch die rechte Ferse eitert stark. Die Temperaturen halten 
auch in den nächsten Tagen an und zeigen einen ausgesprochen septischen 
Typus. Wegen des septischen Zustandes konnte ich mich bei dem elenden 
Kranken nicht gleich zur Operation entschliessen, zumal augenblicklich die 
Blutung stand. Am 15. November kam es abermals, diesmal jedoch zu einer 
ganz leichten Blutung, die den Typus der septischen Blutung hatte. Trotzdem 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



K riegsaneurysmen. 


671 


kollabierte der Kranke sofort und musste mittels Herzmittel anfgcpulvert werden. 
Als am IS. November aber wieder eine ganz abundante Blutung auftrat, war es 
klar, dass man nicht länger zuwarten könne und den Versuch der wenn auch 
sehr wenig aussichtsreichen Operation machen müsse. 

Nachdem sich der Kranke in den nächsten Stunden scheinbar etwas erholt 
hatte, nahm ich die Operation vor. Es musste die Clavicula aufgeklappt 
werden, um an den centralen, nicht verletzten Teil der Arteria subclavia heran- 
zukommen. Trotzdem bleibt die Hräparalion in dem eiterig-infiltrierten (iewebe 
ausserordentlich schwer. So gelingt cs endlich central und peripher vom Aneu¬ 
rysma die Arteria zu unterbinden. Der Sack, der sich als fast zweifaustgross 
erweist, wird eröffnet und von den vereiterten Coagula .befreit. Blutung fast 
keine. Ausgiebige Drainage beendet den Kingriff. Trotz aller angewendeten 
Excitantien und trotz intravenöser Infusion von Kochsalz ist das schwindende 
Leben nicht zu erhalten, es tritt ungefähr eine Stunde nach beendeter Operation 
der Exitus letalis ein. 

Die Obduktion ergibt: Schwere Anämie. Phlegmone des Oberarmes der 
linken Seite und Phlegmone der Ferse rechts. Spitzentuberkulose beider Lungen. 
Pleuritis adhaesiva. Akuter und follikulärer Milztumor. Hcrzdilatation. Schwel¬ 
lung aller Drüsen. 

20 . F. V., Infanterist, 22 .Iahre alt, verwundet am 17. November 1914. 
Schuss in den rechten Oberschenkel, nach welchem sofort Bewusstlosigkeit ein¬ 
trat. Patient langte schon nach 10 Tagen in Innsbruck ein. Ks handelt sich 
um einen Steckschuss, wobei der Einschuss im Bereiche der grossen Oberschenkel- 
gefässe etwa Ö Finger breit unter dem Poupart'sehen Bande gelegen ist. An 
der Innenseite des Oberschenkels bis herab zum Hunterschcn Kanal findet sich 
ein fast kopfgrosses Aneurysma, über dem deutliche Pulsation besteht und lautes 
Schwirren zu hören ist. Nach dem Böntgenbefund liegt die Kugel nahe der 
Haut der Kniekehle. 

Ks bestehen so intensive Schmerzen im Oberschenkel und so schmerzhafte 
Muskelkontraktionen, dass ich schon am 28. November die Operation ausführe. 
Sorgfältige, sehr mühsame Präparation ergibt, dass es sich um ein Aneurysma 
der Arteria profunda femoris handelt, wobei die Arterie gerade dort, wo sic 
bereits das Femur überkreuzt hat, ein daumengrosses Loch aufweist. Da der 
Hauptstamm der Arterie intakt ist, wird die Arteria profunda central und 
peripher von ihrer Verletzung unterbunden, der Aneurvsmasack ausgeräumt, 
wobei auch die Kugel unschwer gefunden und entfernt werden kann, dann der 
grosse Sack am tiefsten Punkte nach hinten (trainiert. Es erfolgt glatte Heilung. 

21 . J. N., Landesschütze, 29 Jahre alt, verwundet am 18. Oktober 1914. 
t^uersehuss durch den Gesichtsschädel mit Einschuss links knapp vor der Ohr¬ 
muschel unter dem Processus zygomaticus und Ausschuss rechts etwas tiefer 
unter dem Kicfergelenk. Kiefersperre und Schmerzen in einer dem Einschuss 
entsprechenden, nussgrossen, deutlich pulsierenden Geschwulst. Die Pulsation 
wird auch bei der Palpation vom Munde her deutlich wahrgenommen. 

Operation am 3. Dezember 1914. Es zeigt sich, (biss cs sich um ein 
Aneurysma der Arteria maxillaris interna handelt, dem man nur durch Unter¬ 
bindung der Carotis externa und Tamponade des Sackes beikommen kann. 
Heilung glatt. Eine nach der Operation unverkennbare Parese des oberen 
Eacialisastes bessert sich allmählich. 

22 . H. W., 21 Jahre alt, Patrouillenführer. Verwundet am 29. Oktober 
1914. Hat handbreit unter dem rechten Kniegelenk einen Durchschuss durch 
die rechte Wade erhalten. Einschuss knapp neben dem Fibulaköpfchen, Aus- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



672 


H. v. Habe rer 


Digitized by 


schliss hart an der medialen Tibiakante. War zuerst drei Tage in Krakau, dann 
durch drei Wochen in Prag. Wegen der schon damals beträchtlichen Schwellung 
der Wade wurde dem Patienten intensive Bewegung geraten, die er aber wegen 
Funktionsstörung des Beines (Behinderung der Beugung und vollkommenen 
Streckung) nicht ausführen konnte. Am 5. Dezember 1914 wurde der Kranke 
in Innsbruck im klinischen Reservespital aufgenommen. Es findet sich eine 
mächtige Schwellung der ganzen Wade bis in die Fossa poplitea hinein. Diese 
ganze Schwellung pulsiert und schwirrt auf das deutlichste. 

Operation am 9. Dezember 1914. Es findet sich ein kindskopfgrosses 
Aneurysma spurium und arteriovenosum gerade an der Teilung der Arterie in 
die Arleria tibialis anterior und posterior. Beide Arterien verletzt, die vordere 
Arterie derart, dass es hier zu einem Aneurysma arteriovenosum gekommen war. 
Beide Arterien müssen central und peripher unterbunden werden, was hier 
wegen der Lage der Gefässe einige Schwierigkeit bereitete. Die über daumen¬ 
dicke Vena tibialis antica muss reseziert werden. Durch das grosse Aneurysma 
spurium, das exstirpiert wurde, war bereits die hintere Tibiafläche arrodiert 
worden. Drainage. Die Heilung erfolgte glatt, ohne jede auch nur vorüber¬ 
gehende Cireulationsstorung. 

23 . J. F., 34 Jahre alt, Infanterist. Verwundet am 28. Oktober 1914. 
Schuss in die rechte Achselgegend, Einschuss vorne, entsprechend der Achsel¬ 
falte, Ausschuss hinten, entsprechend der hinteren Achselfalte. Schwere Schä¬ 
digung sämtlicher Armnerven, fast; alle Beweglichkeit in der oberen Extremität 
aufgehoben. In den peripheren Arterien fast keine Pulsation nachweisbar. Ein 
Aneurysma nicht mit Sicherheit zu diagnostizieren. 

Operation am 4. Januar 1915. Nach mühsamer Lösung ausserordentlich 
derber Schwielen findet sich ein etwa 7 cm langer Plexusdefckt. Central er¬ 
scheinen drei zwiebelartig angeschwollene Plcxusstümpfe, peripher finden sich 
die degenerierten, peripheren Stümpfe von Radialis, Medianus und Ulnaris. ln 
der Arleria subclavia findet sich ein ebenso langes Stück durch einen spindel¬ 
förmigen Aneurysmasack ersetzt, der aber nur mehr mit Seitenästen in offener 
Kommunikation sieht, so dass eine Unzahl von Einzelligaturen nötig sind, ehe 
man den Sack exstirpieren kann. In zwei der centralen Plcxusstümpfe gelingt 
es, nach entsprechender Anfrischung peripher abgespaltene Brücken des Medianus 
und Ulnaris einzupflanzen. Heilung per primam. März 1915 hat sich die Xervcn- 
funktion noch nicht gebessert, Ernährung der Extremität normal. 

24 . J. 0., 23 Jahre alt, Infanterist, verwundet am 22. Oktober 1914. Ein¬ 
schuss ober- und innerhalb der linken vorderen Achselfalte, Ausschuss medial 
vom linken Schulterblattrand. Sofort nach dem Schuss war die Extremität ge¬ 
lähmt. Laut neurologischer Untersuchung bestand beim Patienten zur Zeit der 
Spitalsaufnahme — auch dieser Kranke war schon längere Zeit beurlaubt! — 
eine motorische Lähmung im Musculus cutamms, Medianus und Ulnaris, partielle 
Lähmung im Radialis. Dementsprechend auch sensible Lähmung. In Brachialis 
und Radialis fehlt der Puls. Hin Aneurysma nicht mit Sicherheit nachweisbar. 

Operation am 5. Januar 1915. Die Arteria subclavia ist durch ein Aneu¬ 
rysma auf 4,5 cm unterbrochen, welches eine ausserordentlich derbe, schwielige 
Wand aufweist, in welche die Armnerven eingebettet sind. Von ihnen ist nur 
der Ulnaris so sehr verändert, dass eine Kontinuitätsresektion von 3 cm mit 
folgender Nervennaht nötig wird, die übrigen Nerven erscheinen nach ihrer 
Lösung in einem Zustande, der eine Resektion nicht rechtfertigen würde*. Es 
finden sich in der Umgebung des Aneurysmas ausserordentlich viele und grosse 
Venen, die sehr stark bluten und unterbunden werden müssen. Nach Exstirpa¬ 
tion des aneurysmatischen Sackes muss die Arterie, die offenbar total durch- 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITÄT OF IOWA 



Kriegsaneurysmen. 


673 


schossen war, zentral und peripher unterbunden worden. Heilung erfolgt per 
primam ohne Ernährungsstörung. 

25. A. L., 24 Jalire all, Landessehiitze, verwundet am IS. Oktober 1914. 
Seliuss in <lie rechte Gesichtshälfte mit teilweiser Zerstörung der Ohrmuschel, 
llaselnussgrosses Aneurysma des Stammes der Arteria temporalis und kirsch- 
kerngrosscs, davon unabhängiges Aneurysma des hinteren Astes der Arteria 
temporalis. 

Operation am IS Januar 1915. Exstirpation beider Aneurysmen mit 
centraler und peripherer Ligatur der Arterien. Heilung per primam. 

2C>. A. M., 37 Jalire alt, Landsturmmann, verwundet am 14. Oktober 1914. 
Schräger Durchschuss durch den rechten Oberarm. Einschuss im Sulcus bieipi- 
talis internus, in Höhe der vorderen Achselfalte, Ausschuss unter der Mitte des 
Oberarms auf der dorsalen Seite. Gleich nach dom Schuss sei Schmerz im He¬ 
reiche der Beugeseite des Vorderarms aufgetreten, der zweite und dritte Finger 
waren von dem Moment ab gefühllos und konnten nicht mehr gebeugt werden, 
ln das klinische Reservespital in Innsbruck abgegeben am 19. Januar 1915. Es 
bestellt eine ausgesprochene Mediannsparcsc. Hand eyanotisch, in Itadialis und 
1'Inaris kein Puls tastbar. 

Operation am 23. Januar 1915. Der Nervus medianus ist durch Schwielen 
und abgosprengton Knochen umscheidet und in die Wand eines über haselnuss¬ 
grossen Aneurysmas der Arteria brachialis ein bezogen. Central und peripher 
vom Aneurysma ist die Arterie durch knorpelharte Gerinnsel auf etwa 1,5 cm 
vollständig verstopft, so dass also der stark arteriell blutende Sack nur mehr 
durch Iudlateralen gespeist war. Exstirpation des •aneurysmatischen Sackes, 
Aushiilsung des Nervus medianus und Entscheidung mit intaktem Muskelgewebe. 
Heilung per primam. Keine Ernährungsstörung. 

27. J. IL. 29 Jahre alt. Infanterist, verwundet am 14. November 1914. 
Schuss durch die linke (iesässhaeke mit Ausschuss in inguinc links, knapp 
unter dem Poupart'sehen Bande. Daselbst ein Aneurysma arteriovenosuin von 
beträchtlicher Grösse. Zur Operation dem klinischen Reservespitalc am 20. Januar 
1915 übergehen. Ein- und Ausschuss verheilt. 

Operation am 25. Januar 1915. Es findet sich ein tief in die Adduk¬ 
torenmuskulatur eingegrabenes, schwer entzündlich verändertes Aneurysma von 
Apfelgrössc, ausgehend von einer seitlichen Verletzung der Arteria profunda 
femoris, daneben noch eine arteriovenöse Verbindung zwischen dieser Arterie 
und der benachbarten Vene. Die Drüsen in inguine akut entzündlich verändert. 
Recht mühsame Aushiilsung des »Sackes, centrale und periphere Ligatur von 
Arterie und Vene. Leider habe ich ohne Drainage die Wunde vernäht. Es kam 
zu einer Eiterung, welche die sekundäre Eröffnung der Naht nötig machte, und 
schon schien alles erledigt, der Patient fühlte sich ganz wohl, als plötzlich am 
<>. Februar eine Arrosionsblutung auftrat, die aus der in der Wunde frei liegenden 
Arteria femoralis stammte. Ich konnte die Blutung beherrschen durch Enter¬ 
bindung des (iefässes im Bette, und in den nächsten Stunden erholte sich der 
Patient zusehends. Vier Stunden nach der Blutung musste Patient erbrechen, 
kollabierte dabei und starb innerhalb weniger Minuten. Die Obduktion zeigte 
die seitliche Arrosion der Arteria femoralis, die wir schon gelegentlich der Enter¬ 
bindung feststellen konnten. 

2H. J. P„ 32 Jahre alt, Infanterist, verwundet durch Schuss am 23. No¬ 
vember 1914. Einschuss unter der Mitte der rechten Clavieula, Ausschuss 
rechte hintere Achselfalte. Seit dem Schuss sei die rechte Hand gelähmt. Es 
seien bald sehr starke Schmerzen im Arme aufgetreten, die sogar die Naeht- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



674 


]1. v. Habe rer, 


Digitized by 


ruhe raubten. Kam in das klinische Rescrvespital am 5. Februar 1915. Neuro- 
logiseh findet sieh eine schwere Läsion des Nervus radialis und musculoeutaneus. 

Opcration am S. Februar 1915. Die beiden Nerven zeigen dort, wo sir 
durch den Schusskanal verlaufen, derbe kolbige Anschwellungen, die reseeiert 
werden. Naht beider Nerven und Umscheidung der Nähte mit Fascie. Bei der 
Lösung des Radialis aus den Schwielen zeigt sich, dass er mit einem kirschen- 
grossen Aueurvsma der Arteria profunda brachii innig verwachsen ist. Resektion 
des aneurysmatisehen Sackes mit Unterbindung der Arterie central und peripher. 
Heilung per primam. 

29. Tm. K., ;12 Jahre alt, Russe. Verwundet am 10. Dezember 1914 durch 
(iewehrsehuss. Einschuss links vier Querfinger unter dem Trochanter major. 
Ausschuss an der Innenseite des linken Oberschenkels. Der Schuss durchquerte 
auch das rechte Bein, setzte den Einschuss an der Innenseite vier Querfinger 
unter dem Perineum, den Ausschuss an der Aussenseite des Oberschenkels in 
fast derselben Höhe. Pat. lag nur einen Tag nach der Verletzung und konnte 
von da ab gut umhergehen, die Wunden heilten sehr rasch. Am achten Tage 
nach der Verletzung spürte er beim Gehen plötzlich Schmerzen im rechten Knie, 
sehr bald darauf klopfende Schmerzen in den oberen Partien des rechten Ober¬ 
schenkels, musste sich zu Bette legen und das Bein in der Hüfte gebeugt halten. 
Die Schmerzen nahmen immer mehr zu, und gleichzeitig sei das Bein im oberen 
Drittel des Oberschenkels sehr stark angeschwollcn. Von da ab leide er an 
sehr starken ausstrahlenderi Schmerzen in der ganzen rechten unteren Extremität, 
und die Geschwulst nehme auch immer mehr an Umfang zu. Ich nahm den 
Patienten gelegentlich einer Inspektionsreise nach Salzburg aus einem dortigen 
Spital an meine Klinik nach Innsbruck mit. Es bestand ein bis an das Perineum 
heranreichender mannskopfgrosser Tumor, der nicht nur zu starker Beugung im 
Hüftgelenke, sondern auch zu sehr starker Adduktion des Oberschenkels geführt 
hatte. Pulsation des Tumors nur undeutlich, Puls in den peripheren Arterien 
sehr deutlich. 

Operation am 11. Februar 1915. Sie gestaltet sich sehr schwierig wegen 
intensiver Verwachsungen. Bei der Präparation der grossen Gefässe in inguinc 
reisst die Gabelung der Arteria femoralis beim Abgänge der Profunda femoris 
etwas ein, so dass liier zwei Gefässnähte nötig sind, worauf die Blutung sofort 
steht. Das mannskopfgrosse Aneurysma, das mit seiner Sackwand bis auf die 
Haut der Hinterfläehe des Oberschenkels reicht, ist ausgegangen von einer 
Schussverletzung eines grossem Astes der Profunda femoris. knapp nach ihrem 
Ursprung. Unterbindung central. Umstechung peripher. Ausräumendes mächtigen 
Sackes, Drainage nach der Hinterseite des Oberschenkels. Heilung per primam. 
Patient kann nach 14 Tagen tadellos umhergehen. Pie Beugekontraktur ist zu 
dieser Zeit schon vollständig behoben. 

*10. A. W.. 25 Jahre alt, Infanterist, verwundet am 21. August 1914. 
Schräiiscluiss fast durch die* ganze Aussenseite des linken Unterschenkels. Ein¬ 
schuss knapp unter dem Fibulaköpfehen, Ausschuss im unteren Drittel hart an 
der Tibiakante. Nach dreiwöchiger Behandlung war Patient mit stark ge¬ 
schwollenem Unterschenkel auf Urlaub entlassen worden. Da aber die Schmerzen 
in seinem Beine nicht schwanden, Pat. gar nicht gehen konnte, und sieh schliess¬ 
lich auch ein Kältegefühl in dem verletzten Bein einstellte, so wurde» er neuer¬ 
lich Spitalsbchandlung zugeführt, ln meine Klinik kam der Kranke, sonst ein 
ausserordentlich kräftiger Mann, am 7. März 1915! Es fand sieh ein die ganze 
Aussenseite* des Unlcrsehenkels einnehmendes Aneurysma der Arteria tihialis 
ant iea. 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



K ri egsa n e a ry s m o n. 


675 - 


Operation am S. März 1915. Apfelgrnsses Aneurysma, dessen Operation 
ausserordentlich schwierig wird durch derbste Verwachsungen und Schwielen uni 
den Sack herum. Centrale und periphere Unterbindung der Arterie mit Sack¬ 
exstirpation. (Hatte Heilung. 

31 . M. G.. 31 Jahre alt. Landsturmmann. Verwundet am 27. Oktober 
1914. Kr hatte neben einem rasch heilenden Durchschuss durch den linken 
Unterschenkel auch einen solchen durch den Hals erhalten, und zwar lag liier 
der Einschuss links neben dem Kehlkopfe, der Ausschuss in der rechten Supra- 
<*la\iculargrube hinter dem Sternoeleidomastoidcus. Die starke Blutung aus der 
llalswunde hatte sofort nach der Verwundung eine länger dauernde Ohnmacht 
zur Folge. Am 16. November 1914 langte der Kranke im klinischen Reserve- 
spitale in Innsbruck ein, und damals waren alle Schusswunden, bis auf den 
Ausschuss am Halse, der noch eiterte, verheilt. Entsprechend der rechten 
Carotis, bis hoch gegen den Kiefer reichend, findet sieh eine eigrosse, stark 
pulsierende und schwirrende Geschwulst, die auch recht druckempfindlich ist. 
Keinerlei Ausfallserscheinungen. 

Operation am 17. November 1914. Dieselbe ist durch den vorhandenen. 
Kropf des Patienten nicht unerheblich erschwert. Zudem ist der rechte Schild¬ 
drüsenlappen stark durchblutet und mit der Umgebung verwachsen, als Aus¬ 
druck seiner Verletzung durch den seinerzeitigen Schuss. Endlich gelingt es, 
tief im Jugiilum die Carotis communis und die Vena jugularis freizulegen und 
um beide Gefässe provisorische Ligaturen, die nicht zugezogen werden, zu 
schlingen. Die Vene ist besonders stark geschwellt und zeigt arterielle Pulsation,, 
als Ausdruck eines Aneurysma arteriovenosmn. -Die weitere Präparation des 
aneurysmatischen Sackes, die sieh infolge entzündlicher Verwachsungen sehr 
schwierig gestaltet, ergibt, dass der Sack bis unter den Unterkiefer nach auf¬ 
wärts reicht, so dass schliesslich nach peripherer Ligatur der Vena jugularis 
die Eröffnung des Sackes zwecks Klärung der Verhältnisse nötig wird. Jetzt 
zeigt sieh, dass die Kommunikation zwischen Arterie und Vene im Bereiche der 
Carotis communis ziemlich nahe ihrer Teilung in die Carotis externa und interna 
liegt. Nach Anlegen einer Höpfnerklemme peripher an der Carotis und Digital¬ 
kompression des centralen Carolisabsehnittes wird zunächst die Vena jugularis 
auch kopfwärts unterbunden. Dann zeigt sich, dass die Verletzung der Carotis 
communis in der medialen und hinteren Arterienwand sitzt und ein über bohnen¬ 
grosses Loch vorstcllt. Dieser Defekt lässt sich in Form einer lateralen Naht 
durch zehn Knopfnähte sehliessen. Sofort nach beendeter Naht funktioniert die¬ 
selbe vorzüglich, in allen peripheren Aesten der Carotis ist der Puls tadellos. 
Trotzdem am dritten Tage ein vereitertes Hämatom entleert werden muss, heilt 
die Wunde tadellos, der Temporalispuls bleibt andauernd so wie auf der ge¬ 
sunden Seite, irgendwelche Nervenstörungen sind auch nicht vorübergehend auf¬ 
getreten. 

32. J. W., Kanonier, 24 Jahre alt, verwundet am 6. Oktober 1914. Ein¬ 
schuss etwas medial vom höchsten Punkte der Achselfalte links vorne, Aus¬ 
schuss in der Höhe des linken Angulus seapulac. Sofort nach dem Schuss war 
die Beweglichkeit des Armes fast vollkommen aufgehoben. Pat. war zunächst 
in einem ungarischen Spitale, von wo er am 25. November 1914 dein klinischen 
Kescrvcspitale in Innsbruck überstellt worden war. Es findet sieh ein eigrosses 
Aneurysma der Arteria axillaris der linken Seite. Sämtliche Armnerveil leicht 
geschädigt. Kein vollkommener Ausfall. Radialpuls vorhanden, nur etwas 
schwächer als auf der gesunden Seite. 

Operation am 26. November 1914. Der Sack lässt sich unschwer aus¬ 
präparieren. wobei es gelingt, alle Nerven des Armes, die in die Sackwand ein- 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



676 


II. v. Haberer 


Digitized by 


bezogen sind, zu befreien und zu konstatieren, dass keiner eine gröbere Läsion 
aufweist. Xaeh Entfernung des ancurvsmatisehen Sackes weist die Axillaris 
einen Defekt auf, der etwa zwei Drittel ihrer ganzen Cireumferenz entspricht. 
Der Defekt lässt sich durch acht Knopfnähte im Sinne einer seitlichen Naht 
vcrsehlicssen. Heilung per primam. Die Bewegungen des Armes und der Hand 
werden sichtlich besser, nur die Abduktion des Armes bleibt behindert. 

33. A. Th., 42 .Iahre alt, Landsturmmann. Verwundet am 11. November 
1914. Einschuss hart unter der Mitte des rechten Schlüsselbeines, Ausschuss 
entsprechend dem oberen medialen Schulterblattwinkel. Pat. wurde am t». De¬ 
zember 1914 dem klinischen Reservespital in Innsbruck überwiesen. Entsprechend 
dem Mohrenheinfsehen Dreieck rechts findet sich eine halbkugelige, stark 
pulsierende Vorwölbung, über welcher die aufgelegte Hand ein deutliches 
Schwirren neben der Pulsation fühlt. Radialpuls rechts bedeutend schwächer 
als links, die Kraft des rechten Armes und der rechten Hand bedeutend herab¬ 
gesetzt. Desgleichen ist die Sensibilität der rechten oberen Extremität gestört. 
Neurologisch findet sich eine schwere Schädigung des Nervus radialis, ulnaris 
und medianus. 

Operation am 11. Dezember 1914. Es findet sich ein Aneurysma von 
Apfolgrösse der Arteria subclavia. Nur nach Aufklappen der Clavieula ist es 
möglich, an die Arterie oberhalb des Aneurysmas heranzukommen. Die Nerven 
ziehen durch den Sack, die Vene ist zu einem faustdicken Gebilde angebläht. 
Nach centraler und peripherer Unterbindung der Vene wird der aneurysmatische 
Sack durch mühsame Präparation freigelegt, wobei es sich zeigt, dass die Arterie 
ein 2,5 cm langes Loch davongetragen hat, das mehr als zwei Drittel ihrer 
Cireumferenz beträgt. Dieses Loch wird durch zwölf Nähte im Sinne einer seit¬ 
lichen Naht der Arterie geschlossen. Nachdem die Nerven alle befreit sind, 
wird die Clavieula genäht. Glatte Heilung. Puls in der Radialis nach der 
Operation sehr gut. Zur neurologischen Nachbehandlung nach beendeter Wund¬ 
heilung an die Neurologische Klinik abgegeben. 

34. F. S., 21 .Jahre alt. Infanterist. Verwundet am S. Februar 1915. Ein¬ 
schuss in der Mitte der linken Mohrenheim'sehen Grube, Ausschuss Mitte der 
linken Scapula. Gleich nach deni Schuss war der Arm gelähmt. Pat. kam 
bereits am 23. Februar in das klinische Reservespital nach Innsbruck. Neuro¬ 
logisch fand sich eine diffuse Schädigung der ganzen linken oberen Extremität. 
Am schwersten geschädigt das Medianus-Ulnarisgebict. Starke Pulsation der 
gan z e‘ n Inf rar 1 av i c u 1 argeg« *n d. 

Operation am 2(5. Februar 1915. • Es findet sich ein kaum mehr als 
kirschengrosses Aneurysma der Arteria subclavia infolge Verletzung ihrer hinteren 
Wand, in welches die Acstc des Plexus brachialis eingebettet sind. Sie können 
sehr leicht befreit werden. Exstirpation des Aneurysmas, seitliche Naht des 
kleinen Arterienloches, wozu drei Nähte reichen. Heilung per primam. 

35. .1. P., 21 Jahre alt, Infanterist. Verwundet am 14. Februar 1915. 
Wurde sofort nach Innsbruck transportiert. Leicht eiternder Durchschuss durch 
das obere Drittel des rechten Unterschenkels. Einschuss hart hinter der me¬ 
dialen Tibiakante, Ausschuss hart an der hinteren Fibulakante. Er kam in 
ein Reservespital, wo an dem Patienten bis zum 2. März nichts Auffälliges zu 
finden war. Von da ab entwickelte sich im Verlauf von drei Tagen ein an 
Grösse rapid zunehmendes Aneurysma, das starke Pulsation und Schwirren 
naehweisen liess. Deshalb wurde der Patient an die chirurgische Klinik ver¬ 
legt. Die Wade, auf das Doppelte angeschwollen, pulsiert ausserordentlich stark. 
Dieselbe Pulsation ist auch vor der Tibia zu tasten. Die Art der Schwellung 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kriegen curysmen. 


677 


und des Schusskanalcs lassen dir Diagnose nicht stellen, welches (iefäss ver¬ 
letzt ist. es ist nur zu sagen, dass die Verletzung in der Höhe der Trilungs- 
stelle in die Arteria tibialis anterior und posterior sitzen muss. Es findet sich 
ein Aneurysma spurium von bedeutender (irüsse der Arteria tibialis posterior, 
die central und peripher unterbunden werden muss. Der Sack lässt sieh un¬ 
schwer exstirpirren. Darauf aber zeigt sich rin zweiter Aneurysmasack, zwischen 
Tibia und Fibula gelegen, der sehr stark blutet. Bei der deshalb vorgenommenen 
Freilegung der Arteria tibialis antiea findet sieh in dieser ein seitliches, mit 
dem in Frage stellenden Sacke kommunizierendes Loch, das durch seitliche 
Arteriennaht verschlossen wird. Da es aus dem Sacke aber noch immer blutet, 
wird er tamponiert. Eine Enterbindung der Arteria tibialis antiea durfte nicht 
gewagt werden, da die Postica schon unterbunden ist, und vor der Operation 
peripher in beiden Arterien Puls nachweisbar war. Es erfolgt glatte Heilung. 

3tL F. B., Infanterist, 2S Jahre alt. verwundet am 11. September 1914. 
Schuss in den rechten Oberarm. Der Kranke konnte sofort nach der Ycrwun 
düng den Arm nicht mehr erheben. Der Blutverlust soll ein sehr erheblicher 
gewesen sein und zur Bewusstlosigkeit geführt haben. Als Patient zu sich kam, 
hatte er die heftigsten Schmerzen in der rechten Hand, deren Finger er nicht 
bewegen konnte. Nachdem er vorübergehend in zwei Spitälern war, wurde er 
beurlaubt, und erst, als er nach abgelaufenem Erlaub sielt wieder meldete, 
wurde die Schwere der Verletzung erkannt und der Patient am 1(E November 
1914 dem klinischen Beservespital in Innsbruck überwiesen. Fs findet sich bei 
dem Patienten ein Durchschuss durch das rechte Oberarmdrittel, der bereits 
verheilt ist. Einschuss entsprechend dem vorderen Deltoideusrand, Ausschuss 
medial, etwas tiefer im Sulcus bicipitalis internus. Hier findet sich ein über 
walnussgrosses, stark pulsierendes Aneurysma der Arteria braehialis. Die ganze 
obere rechte Extremität ist atrophisch und weist weitgehende Lähmung im El- 
naris- und .Medianusgebiet auf. Trophisehe Storungen im Bereiche der Hand. 

Operation am 19. November 1914. Der Elnaris ist durchschossen und 
zeigt am centralen Stumpf ein kleinfingerdickes Neurom, das reseziert wird. 
Nervennaht mit Eascienumseheidung. Exstirpation des Aneurysmasackes, wobei 
<1 ie Arterie in einer Ausdehnung von 3 ein reseziert werden muss, da ihre Ver¬ 
letzung so ausgedehnt ist. Circulare Arteriennaht mittels Knopfnähten. Der 
Nervus medianus, der durch die hintere Wand des aneurvsmaüsclien Sackes 
verlief, konnte gut auspräpariert werden. Die Naht der Arterie funktioniert gut, 
peripher davon tadellose Pulsation. .Medianus noch mit Muskulatur umseheidot. 
Heilung per primam. Keinerlei Cireulationsstürung. Die Besserung der Nerven- 
funktion konnte im Spital nicht abgewartet werden. Patient wurde am 9. De¬ 
zember 1914 zur Superarbitrierung geschickt. 

37. E. H., Zugsfiihrcr, 31 Jahre alt, verwundet am 17. November 1914. 
Schuss durch den linken Oberschenkel derart, dass der Einschuss knapp unter¬ 
halb des PouparCsehen Bandes, in der Mitte der Vorderseite des Oberschenkels 
liegt, während der Ausschuss sich etwa 6 Fingerbreiten unterhalb des Trochanter 
major, an der Aussenseite des Oberschenkels findet. Es soll sofort nach der 
Verletzung stark geblutet haben. Patient bekam in der Sanitätsdivisionsansialt 
einen (ripsverband und wurde im Verlaufe der nächsten 7 Tage nach Innsbruck 
gebracht. Typische Fraktur im oberen Drittel des Oberschenkels mit starker 
winkeliger Knickung an der Frakturstelle und erheblicher Verkürzung des Beines. 
Kopfgrosses, sehr stark pulsierendes Aneurysma der Arteria femoralis, das zu 
platzen droht. Intensivste ausstrahlende Schmerzen im Bein. Ein Rüntgcnbild 
zeigt die äusserst schlecht stellende Fraktur, es liegt auch nach dem Küntgen- 

Archiv für kliu. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4. 4.5 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



678 


H. v. Haber er, 


Digitized by 


bild eine sehr bedeutende Verkürzung der Extremität vor. Starke Achsen- und 
I, ä n ge n ab w ei e 1 1 w n g. 

Operation am 26. November 1914. Es findet sieh ein kopfgrosses Aneu- 
rvsma infolire vollständiger Xerreissung der Arteria femoralis, oberhalb des Ab¬ 
ganges der Profunda femoris, wobei die Ränder der beiden Arterienstümpfe so 
zerfetzt gefunden werden, dass von beiden noch ein kleines Stück, im ganzen 
etwa 3,5 ein, reseziert werden muss. Circulare Naht der Femoralis, teils mit 
fortlaufender Naht, teils mit Knopfnähten. Da die Arteriennaht vorzüglich 
funktioniert, der Puls im peripheren Anteile der Arterie ebenso stark ist wie 
im centralen, lasse ich bei noch offener Weichteilwunde zuerst einen vorsich¬ 
tigen, dann einen energischeren Versuch machen, das Bein zu extendieren, weil 
die besonders schlechte Stellung der Fraktur eine baldige Extension erheischt. 
Dabei streckt sich das Arterienrohr, ohne dass die Naht dadurch irgend undicht 
würde. Deshalb lasse ich sofort nach beendeter Operation eine Extension in 
Semiflexion anlogen und dabei das Bein mit 3 kg belasten. Die Belastung wird 
in den kommenden Wochen bis auf 8 kg vermehrt. Auf diese Weise ist es ge¬ 
lungen, nach tadelloser Heilung der Operationswunde die Verkürzung des Beines 
bis auf 2 cm auszugleichen. Fraktur anfangs Januar vollkommen konsolidiert. 
Ein kleiner Decubitus durch die Heftpflasterextension zeigt gute Heilungstendenz, 
wie denn auch das Bein vom Moment der Operation an stets tadellose Ernährung 
und gute periphere Pulsation zeigte. 

3S. M. I\, Russe, 28 Jahre alt, verwundet am 20. Dezember 1914 durch 
Schuss, welcher lateral vom linken Trochanter major des Oberschenkels einge¬ 
drungen war. während der Ausschuss hart unter dem Poupart'sehcn Bande in 
der liegend der grossen Gcfiis.se erfolgte, ln das klinische Reservespital kam 
Patient mit vollkommen verheilten Wunden am 2. Februar 1915. Es findet sieh 
an der Innenseite des Oberschenkels ein grosses, stark sch wirremies Aneurysma, 
das dem Patienten lanzinierende Schmerzen an der Innenseite, entsprechend 
dem Gebiete des Nervus obturatorius, verursacht. Puls in den peripheren Ar¬ 
terien tadellos. 

Operation am 5. Februar 1915. Es findet sieh die Arteria femoralis und 
die Arteria profunda femoris verletzt, und zwar gerade in der Höhe der Teilung 
des llauptslamines in die beiden Gefässe. Es handelt sieb auch um zwei ganz 
getrennte Aneurysmen, ein eigrosses Aneurysma spurium der Femoralis und ein 
faustgrosses Aneurysma arteriovenosum der Profunda femoris. Exstirpation des 
letzteren aneurysmatischen Sackes recht schwierig, Arterie und Vene müssen 
central und peripher unterbunden werden. Das Aneurysma spurium der Arteria 
femoralis lässt sieh leicht exstirpieren, und es zeigt sieh die Arterie auf mehr 
als drei Viertel ihrer Cireumferenz zerrissen, und sind die Ränder des S-lmss- 
loehes so gefetzt, dass ich 3 cm des Arterienrohres resezieren muss. Hier scheint 
die eirculäre Naht dringend geboten, die sieh auch anstandslos durchführen lässt 
und sofort nach Abnahme der Klemmen tadellos funktioniert. Heilung per pri- 
marn. Puls auf Oer kranken Seite nahezu stärker als links. Patient geht nach 
14 T agen xorziiglich. 

39. K. K., 24 Jahre alt. Landesschütze, verwundet am 10. Dezember 1914. 
Schuss durch beide < »hersehcnkel. so dass dieselben in ijucrer Riehtung im oberen 
Drittel vom Projektil durchschossen wurden. Während die Schusswunden des 
rechten Oberschenkels glatt heilten, entwickelte sich links eine Eiterung, die in 
dem Spitale, in welchem Patient lag. mehrfache Abseessincisionen nötig machte. 
Pngcfälir anderthalb Monate nach der Verletzung konnte der Patient aber schon 
mit Knicken einhergehen, wobei er das gesündere Bein besonders in Anspruch 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



K ri cgsan e u r y s in en. 


679 


nahm. Haid aber stellten sieh sehr heftige Schmerzen im reehten Hein ein und 
es entwickelte sieh an der Innenseite des Oberschenkels eine rasch an Grösse 
zunehmende Geschwulst, während der Unterschenkel und Fuss kalt und taub 
wurden. Wegen der intensiven Schmerzen, auftretendem Fieber und starker Be¬ 
einträchtigung des Allgemeinbefindens wurde der Patient mit der Diagnose Aneu¬ 
rysma an meine Klinik abgegeben. Es fand sich bei dem Patienten ein manns¬ 
kopfgrosses Aneurysma, das fast circular nahezu den ganzen Oberschenkel um¬ 
gab, seinen grössten Einfang ungefähr handbreit unter dem Ligamentum Pou- 
partii hatte. Patient konnte nur auf der Seite liegen, musste das Bein in Hüfte 
und Kniegelenk gebeugt halten und litt entsetzliche Schmerzen. Dabei bestanden 
Temperatursteigerungen bis 3S°. Enterschenkel üdematös, eyanotisch und kühl. 
Puls in den peripheren Arterien nicht tastbar. An einer Stelle an der Innen¬ 
seite des Oberschenkels, ungefähr in der Mitte, erscheint die Haut verdünnt 
und ist hier Pulsation und Schwirren so stark, dass ein Durchbruch des Aneu¬ 
rysmas nach aussen zu befürchten ist. 

Operation am 19. Februar 1915. Das Aneurysma geht vom Hauptstamm 
der Arteria femoralis aus, welche vollkommen in ihrer Kontinuität getrennt ist, 
reicht um den ganzen Oberschenkel herum, hat die Hinterseite des Femur- 
knochens bereits usuriert und sieh durch die Muskulatur hindurch den Weg 
bis zur Haut an der Hinterseite des Oberschenkels gebahnt. Von der Arterie 
müssen 4,5 cm reseziert werden, worauf nach Ausräumen des Sackes und Drainage 
nach hinten die circulare Arteriennaht ausgeführt wird. Tadellose Funktion. 
Heilung per primarn. Sehr bald konnte mit der Bekämpfung der Kontrakturen 
begonnen werden, die Ernährung des Heines blieb eine tadellose. Jetzt, M ärz, 
ist völlige Heilung eingetreten, Streckung bereits in vollem Ausmasse möglich, 
die Oedeme schwanden schon in den ersten Tagen nach der Operation. 

40. St. B., 20 Jahre alt, Infanterist, verwundet im August 1914. Schuss 
«liier durch das linke Obersehenkeldreieck. Deutliches Aneurysma arteriovenosum. 
Kam in meine Klinik am 10. März 1915 (!), nachdem ich den Kranken gelegent¬ 
lich einer Inspektionsreise wegen des Aneurysmas ausgehoben hatte. 

Operation am 13. März 1915. Es findet sich ein kleinfaustgrosses, in 
derbe Schwielen eingebettetes Aneurysma arteriovenosum der Arteria femoralis, 
knapp nach dem Abgänge der Arteria profunda femoris. Die Vene auf Darm¬ 
dicke angeschwollen. Resektion der Vene, Resektion von 3,5 cm der stark zer¬ 
fetzten Arterie, Ligatur der Vonenstümpfe. circulare Arteriennaht mit 2S Knopf¬ 
nähten. Letztere funktioniert tadellos. Heilung per primarn. Puls peripher vom 
Moment der Operation an ausgezeichnet. 

41. E. L, 22 Jahre alt, Russe. Wurde verwundet durch Schuss in den 
rechten Oberarm am 25. März 1915. Sofort intensive Blutung und Schmerzen 
in den Fingern der rechten Hand. In den nächsten Tagen nahmen diese Schmerzen 
sehr zu, störten namentlich die Nachtruhe des Kranken. Mit der Zeit stellte 
sich auch eine Beweglichkeitsbehinderung von Hand und Fingern ein. Einschuss 
in der rechten vorderen Achselfalte, Ausschuss am lateralen Scapularrand. 
Einschuss vernarbt, Ausschuss granulierend. Hoch in der Achsel ein eigrosses 
Aneurysma tastbar. Leichte Störung im Elnaris- und Medianusgebiet der reehten 
lland. Puls in der Radialis gut fühlbar. 

Operation am 10. April 1915. Da sich das eigrosse Aneurysma gerade 
am Ecbergang von Subclavia in Axillaris befindet, muss der Museulus pecto- 
ralis major durchtrennt werden, um die Situation genügend zu klären. Es zeigt 
sich nun, dass das Aneurysma einen veritablcn bindegewebigen Sack besitzt, der 
sich in »tu ausschälen lässt und die Arterie allseits umgibt. Die stark durch¬ 
bluteten Nervi medianus und ulnaris verlaufen in der Sackwand, lassen sich 

45* 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



680 


H. v. 11 ahere r, 


Digitized by 


lösen und sind niehl verletzt. Der aneurysmatische Sack wird erst abpräpariert. 
nachdem central und peripher je eine liüpfner-K lemme an der Arterie angelegt 
ist. Im Bereiche des Aneurysmas weist die Arterie einen etwa 3 cm langen 
Defekt mit stark zerfetzten Bändern auf. Centrales und peripheres Artericnstiirk 
sind nur durch eine fadendünne (iefässwandbriieke verbunden, die bei der fol¬ 
genden Naht natürlich vernachlässigt werden muss. Circulare (iefässnaht mit 
1(> Knopfnähten nach entsprechender Anfrischung der Arterienwand. Kadialis- 
puls sofort nach der Operation von gleicher Stärke wie auf der gesunden Seito. 
(iWitte Heilung. 

42. A. Chw., Korporal, 2S Jahre alt, verwundet am nördlichen Kriegs¬ 
schauplatz am 25. November 1914. Schuss <juer durch die obere Brustpariie. 
Patient hat sehr viel Blut verloren, konnte zunächst die rechte Hand gar nicht 
gebrauchen, welche, wie er angibt, ganz schwarz gewesen sein soll. Offenbar 
hat es sich um ein sehr starkes Hämatom gehandelt. Die (iebrauehsfähigkeit 
<k*s rechten Armes hat sieh mit der Zeit fast völlig hergestellt, doch blieb ein»* 
intensive Cvanose der Extremität zurück. In der ersten Zeit nach der Verlet¬ 
zung hatte der Patient auch Bluthusten, wohl als Folge der durch den Schus> 
erfolgten Lungenverletzung. Patient kam dann nach Linz, wo sieh allmählich 
bei ihm ein Aneurysma im Bereiche der rechten Arteria subclavia entwickelte, 
das nach aussen nicht fühlbar war, wohl aber daran erkannt werden konnte, 
dass im rechten unteren Halsdreieck ein sehr deutliches Schwirren bestand, das 
mit dem Stethoskop sehr laut über der ganzen oberen Brustpartie wahrgenommen 
werden konnte. Das Punctum maximum des Geräusches war im Bereiche des 
Manubrium sterni nachzuweisen. Der l'instand eines Fehlens abnormer Pulsation, 
der Mangel eines Nachweises eines pulsierenden Tumors Hessen im Zusammenhalt 
mit der Richtung des Schusskanales (Finschuss in der Mitte der rechten Schultcr- 
hölie, Ausschuss an der Kuppe der linken vorderen Achselfalte) wohl die Diagnose 
stellen, dass es sich um ein Aneurysma der Subclavia mit vorwiegender Ent¬ 
wicklung in intrathorakaler Richtung handeln müsse. Der Puls in der rechten 
Arteria radialis war bei dem Patienten dauernd fühlbar, wenn er auch schwächer 
war als in der linken. Ich sah den Kranken gelegentlich einer Aerztesit/.ung 
in Linz, wo mir auch die Frage der Operabilität des Aneurysmas vorgclcgt 
wurde, das ich nach dem Ergebnis der l’ntcrsuchung in den Winkel zwischen 
Carotis und Subclavia lokalisieren zu können glaubte. Der Fall lag wohl von 
vornherein schwierig, durfte natürlich nur mit Gefässnaht behandelt werden, 
schien mir aber eine absolute Indikation abzugeben, weil er, sich selbst über¬ 
lassen, ähnlich wie ein Aortenaneurysma verlaufen konnte. 

Der Freundlichkeit der Linzer Kollegen danke ich, dass der Fall an meine 
Klinik zur Operation kam. welche ich dann am 19. April 1915 ausführle. 
Schnitt längs des vorderen Randes des rechten Stemocleidomastoidcus, bogen¬ 
förmig über das innere Drittel der Clavieula nach abwärts bis in die vordere 
Achscifaltc weitergeführt. Temporäre Durchsägung der Clavicula an der Stelle, 
wo der Ilautschnitt über sie hinwegläuft, teuere Durchtrennung von Sternocloido 
und Pectoralis major in seiner oberen Hälfte. Die Subclavia am Ccbergang in 
die Axillaris ganz eng, schwach pulsierend. Vena subclavia und Vena jugu- 
laris stark schwirrend, enorm gebläht. Trotz vorsichtigster Lösung reisst in die 
.Jugularis heim Zusammenfluss mit der Subclavia ein winziges Loch und cs 
dringt auch mit lautem Geräusch Luft ein, ohne dass sich das Befinden des 
Patienten ändert. Sofortige Unterbindung von Vena jugularis und subclavia. 
Das eigrosse Aneurysma der Arteria subclavia sitzt gerade hart neben dem 
Abgang der Vcrtebralis, der Truncus thyrcocervicalis ist im Aneurysma auf¬ 
gegangen. Der Sack selbst in Schwielen eingebettet, in die auch die Pleurakuppe, 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kriegsaneury.smcn. 


681 


die seinerzeit sicher verletzt war, mit einbezogen ist. Sn* muss bei der Lösung 
an einer kleinen Stelle eingerissen werden. Es dringt nur wenig Luft ein, 
offenbar wegen vorhandener Verwachsungen zwischen Lunge und Pleura. Nach¬ 
dem die Aeste des Truncus thyrcncervicalis unterbunden sind, zeigt es sieh, 
dass die Arteria subclavia einen 4 ein langen, vollkommenen Wanddefekt, das 
heisst einen circularen in der genannten Ausdehnung aufweist, von dem peripher 
die Subclavia blind durch Narben verschlossen ist. Kontrolle der Hand zeigt 
diese jetzt kadaverös. (Offenbar ist durch Unterbindung des Truncus thyreoeer- 
vicalis der Kollateralkreislauf gestört.) Central liegt an der Anonyma die 
Hopfner-Klemme! Nach Lösung und Mobilisierung des peripheren Arterienab- 
sehnittes wird unter scheinbarer Spannung, trotz grosser Ungleichheit der Lumina, 
die eireuläre Gefässnaht zwischen centralem und peripherem Abschnitt der Suh- 
clavia ausgeführt (24 Knopfnähte). Schliesslich wird die fast in den Bereich der 
circularen Naht fallende Yertcbralis 4 ein ober ihrem Ursprung durchschnitten 
und als Plombe in aufgeschnittenem Zustand auf die Gefässnaht gelegt. Naht 
der zerschnittenen Muskeln und der Clavicula, Drain am tiefsten Punkte der 
Operationswunde. Heilung vollzieht sieh in tadelloser Weise, am Abend nach 
der Operation ist jede Cvanose der Hand verschwunden, Hand und Finger sind 
vorzüglich beweglich. In den nächsten Tagen nach der Operation ist der Kadi- 
alispuls deutlich tastbar. 

43. K. N., 26 Jahre alt, Kusse. Am 2. April 1915 verwundet durch 
Schrägschuss durch den linken Oberschenkel mit Zertrümmerungsbruch des 
Schaftes. Sehr heftige Blutung, vom Zeitpunkte der Verwundung an stets hohes 
Eicher. Das Bein sei sehr schnell stark angeschwollen. Es bestehen seit der 
Verletzung Schmerzen klopfenden Charakters im Bein von unerträglicher Heftig¬ 
keit. Sehr anämischer graziler Mensch, mit ausgesprochen septischem Habitus. 
Zunge vollkommen trocknen. Puls klein zwischen 120 und 140. Der linke 
Oberschenkel in toto unförmlich angeschwollen bis 50 cm Umfang. An der 
innen- und Hinterseite ein kopfgrosses, prall gespanntes, zu platzen drohendes 
Aneurysma. Gedern des Unterschenkels. Derselbe auffallend blass, kein Puls 
in den Arterien peripher fühlbar. Zertrümmerung des Oberschenkels mit hoch¬ 
gradigster Verschiebung der Fragmente. Fraktur in der Höhe des Ueberganges 
vom oberen in das mittlere Drittel des Schaftes. Trotz des ausgesprochen sep¬ 
tischen Zustandes und der schlechten Prognose entschloss ich mich in Anbetracht 
der wütenden Schmerzen des Kranken und der grossen Gefahr der Blutung aus 
dem Aneurysma zur Operation. Nach Angabe des Patienten und einiger seiner 
Kameraden war derselbe 3 Wochen in Ungarn in einem Spital ungesehient und 
unbehandelt gelegen! • 

Operation am 27. April 1915. Freilegung des Sackes und der Arterie 
ergibt, dass letztere unmittelbar nach Abgabe der Profunda femoris total zer¬ 
rissen ist. Nach Ausräumen des Sackes, der scheinbar keinen infizierten Inhalt 
enthält, eireuläre Gefässnaht. die gut und leicht gelingt. Ausgiebige Drainage, 
entsprechende Lagerung der Fraktur. Nach 48 Stunden Exitus unter zunehmen¬ 
der Herzschwäche. Schmerzen vom Zeitpunkte der Operation an geschwunden. 

Obduktion ergibt universale Sepsis. Gefässnaht durchgängig. 

44. A. F.. 35 Jahre alt, verwundet am 3. Dezember 1914. Einschuss 
Mitte der rechten Glutäalgcgend, Ausschuss rechtes Obcrschenkeldrcieck. ungefähr 
in dessen Mitte. Bei dem Patienten, der viele Monate hindurch in verschiedenen 
Spitälern der Monarchie zubraehte, wurde erst gelegentlich einer Nachmusterung 
am 6. Mai 1915 ein Femoralaneurysma in oben genannter Gegend festgestellt. 
Im ganzen Obersehenkeldreieck deutliches Schwirren fühlbar. 


Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


682 H. v. Habe rer, 

Operation am S. Mai 1915. Aneurysma arteriovenosum zwischen Arteria 
profunda femoris und der Hauptvene. Arterie unterbunden, Sack exstirpiert. 
Vene central und peripher unterbunden. Glatte Heilung. 

45. J. M., 20 Jahre alt, verwundet: am 23. März 1915. Einschuss hart 
unter der Mitte der linken Clavicula. Ausschuss entsprechend der linken 7. Hippe 
hinten am Thorax, 3 Querfinger lateral der Wirbelsäule. Der Arm sei gleich 
nach der Verwundung gelähmt herabgesunken, der Blutverlust war ausserge- 
wöhnlich stark. Hochgradige Atembesehwerden im Anschluss an die Verletzung. 
Patient machte dann eine Nephritis durch und kam erst am 10. Mai in die 
chirurgische Klinik. Infraclavieulargegend links deutlich vorgewölbt und pul¬ 
sierend, deutliches Schwirren über der genannten Vorwölbung. Puls in der 
Kadialis links bedeutend schwächer als rechts. Parese hohen Grades aller vom 
Plexus brarhialis versorgten Muskeln. 

Operation am 20. Mai 1915 mit Spaltung des Pectoralis major ent¬ 
sprechend seinem Faserverlaufe. Es findet sich ein kleinbirngrosses Aneurysma 
der Subclavia, durch das die Gebilde des Plexus brarhialis hindurch ziehen. 
Die Stämme des letzteren lassen sich mühsam auspräparieren und erweisen sich 
bis auf blutige Imbibition und leichte Verdickung nicht verändert. Die Vene 
nicht verletzt, lässt sich unschwer aus den Verwachsungen mit dem aneurys¬ 
matischen Sack lösen. Letzterer wird unter Resektion von 5 cm der vollkommen 
zerrissenen Arterie exstirpiert, die Arterie circular genäht, wobei bloss das 
Anlegen der centralen Klemme wegen Kürze des Arterienstückes einige Schwierig¬ 
keit bereitet. Die Naht funktioniert sofort tadellos. Heilung und langsame 
Besserung der Paresen unter orthopädischer Behandlung. 

46. Im deutschen Feldlazarett in Bozen operierte ich über Aufforderung 
der deutschen Kollegen und in ihrer Gegenwart bei einem 29 Jahre alten deut¬ 
schen Soldaten ein kindskopfgrosses Aneurysma der Arteria femoralis dextra im 
Adduktorenschlitz. Er halte 3 Wochen zuvor einen Schrägschuss durch den 
rechten Oberschenkel erhalten, der glatt geheilt war. Am 17. Juli 1915 trat 
ganz plötzlich unter rasenden Schmerzen das Aneurysma auf, das seither rapid 
wuchs. Seither Fieber bis 3S,6. 

Operation am 24. Juli 1915. Aneurysma in sulzige Schwielen einge¬ 
bettet, Arterie gerade im Adduktorcnschlitz verletzt, weist einen 3 cm langen, 
fast circularen Defekt auf. Nach entsprechender Anfrischung der Artericncnden 
wird die circulare Gefässnaht ausgeführt, die sofort funktioniert. Glatte Heilung, 
bis auf die Drainage des grossen Aneurysmasackes am tiefsten Punkte des 
Oberschenkels. 

47. B. Sz., 22 Jahre alt, operiert am 28. Juli 1915. Verwundet am 
9. Juli 1915. Einschuss in der rechten Gesässbaekc, 3 cm lateral vom Anus 
entfernt, Ausschuss hart an der rechten Crista ilei, in deren Mitte. Ein- und 
Ausschuss verheilt. Starke Schwellung und Pulsation der ganzen Gesässbaekc. 
lautes Schwirren mit dem Punctum maximum in der Gegend des Foramcn 
ischiadicum. Ausstrahlende Schmerzen bis in die Kniegelenksgegend, Parese 
der Hüftstrecker. Zweifelloses Aneurysma der Arteria glutaea superior. 

Operation am 28. Juli 1915. Transperitoneale Cnterbindung der rechten 
Arteria hypogastrica, darauf fast blutleere Exstirpation des Aneurysmasackes 
von über Faustgrösse und Cnterbindung der Arteria glutaea superior. Sofort 
nach der Operation schmerzfrei, glatte Heilung. 

48. T. G., 21 Jahre alt, verwundet am 13. Juni 1915. Schuss durch die 
rechte Halssoitc. Einschuss knapp neben dem Schildknorpel, Ausschuss am 
hinteren Rande des Sternoclcidomastoidcus derselben Seite etwas mehr eaudal- 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kriegsaneu rysmen. 


6S3 


>viirts . Patient war angeblich sofort bewusstlos geworden. Als er 

wieder zu sieh kam. konnte er das linke Hein und den linken Arm nicht mehr 
bewegen. Anfänglich konnte er auch nicht spontan urinieren, das geht jetzt 
wieder, aber die Lähmung der linken Extremitäten habe sieh nicht geändert. 
Patient kam am 30. Juni in die Klinik. Die Lähmungen bestanden zur Zeit 
Her Spitalaufnahme im angegebenen Einfang, Ein- und Ausschuss sezernierten 
eitrig. Beträchtliche Herabsetzung der Sehschärfe links bei gleichzeitigem 
Fehlen des Cornealrcflcxes am linken Auge. Es bestellt auch eine Parese im 
linken unteren Facialis und im Ilypoglossus. Zwischen Ein- und Ausschuss 
liegt ein apfelgrosses Aneurysma. Wegen der Eiterung wird zunächst abge¬ 
wartet. Trotz Zuwartens durch einen ganzen Monat will die Eiterung aus dem 
Sehusskanal nicht abnehmen, wiewohl der Patient schon seiner Lähmung wegen 
die ganze Zeit hindurch das Bett hüten musste. Ohne äussere Ursache tritt 
nun bei dem Patienten am 3. August zunächst eine leichte Blutung aus der 
Einschussstelle auf, die aber alsbald einen sehr bedrohlichen Charakter an- 
niinint, so dass Digitalkompression der Carotis nötig wird. 

Deshalb sofortige Operation. Die Freilegung der Carotis machte mir 
in diesem Falle grosse Schwierigkeiten, weil infolge der notwendigen Digital¬ 
kompression «las Operationsfeld sehr eingeengt war, und weil die ganze rechte 
Ilalsseite von schwieligem Gewebe eingenommen war. Die Carotis selbst lag 
in einem sulzigen, wenig differenten Gewebe. Die Carotis communis weist un¬ 
weit ihrer Teilung in die Carotis externa und interna einen Durchschuss auf, 
so dass dadurch ihre Kontinuität nahezu vollständig unterbrochen erscheint. 
Die Bänder der Schusslöcher sind so zerfetzt, dass ein 1C 2 cm langes Stück 
<ler Arterie reseziert werden muss, worauf ich die circulare Gefässnaht aus¬ 
führte. die keine Schwierigkeiten machte. Sofort pulsieren nach Fertigstellung 
der Naht sowohl Carotis externa als interna tadellos. Drainage der Wunde. 
Am 12. August plötzlich abends Blutung aus der Drainage. Mein Assistent 
l)r. Chiari. der gerade anwesend war, eröffnete sofort die Wunde und unter¬ 
band die Carotis communis. Er fand dabei eine Dehiscenz der eireulären Ge¬ 
fässnaht. Es eiterte noch lange weiter, so dass der Patient erst am 25. Oktober 
entlassen werden konnte. An den Paresen hatte sieh, wie vorauszusehen war, 
nichts geändert. 

49. J. S.. 30 Jahre alt, verwundet am 18. Juli 1915. Einschuss hart 
unter dem lateralen Ende des rechten Schlüsselbeines, kein Ausschuss. Sofort 
nach der Verletzung Lähmung des rechten Armes. Sehr starker Blutverlust. 
Nach vorübergehender Unterbringung in einem Feldspitale wird Patient am 
30. Juli in die chirurgische Klinik transferiert. Ohne dass eine deutliche Yor- 
wölbung zu konstatieren wäre, ist über der ganzen rechten Inlraelavieular- 
gegend bis hinauf an den Hals und abwärts bis zur El len beuge ein deutliches 
Schwirren wahrnehmbar, so dass an der Diagnose eines Aneurysmas nicht zu 
zweifeln ist. 

Operation am (>. August 1915 in Gegenwart meines verehrten Lehrers 
v. Eiseisberg, der damals gerade auf einer an die Südwestfront unternom¬ 
menen Fahrt Innsbruck passierte. Freilegung des aneurysmatischen Sackes 
der Arteria subclavia mittels breiter Spaltung des Musculus pcctoralis major. 
Es findet sieh ein arteriovenöses Aneurysma der Subclavia mit sehr beträcht¬ 
licher Erweiterung der Vene. Die Arterie kann gerade noch central vom 
Aneurysma hart unter der Clavicula abgeklemmt werden. Nach sorgfältiger 
Präparation kann Arterie und Vene getrennt werden, wobei sich in der Arterie 
ein wandständiges Loch von über Linsengrösse zeigt, das leicht durch laterale 
Naht geschlossen werden kann. Unterbindung der Vene peripher und central. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



684 


H. v. Habe rer. 


Digitized by 


Umstechung einiger blutender venöser Seitenäste. Primärer Nahtversehliiss 
der Wunde, Heilung per primani. Die Lähmung der Extremität geht langsam 
aber vollständig zurück. 

50. .1, Selm.. 81 Jahre alt, verwundet am 6. Juli 1915. Einschuss 5 ein 
unterhalb des rechten Seliulterblatlwinkels, Ausschuss hart unter dem sternalen 
Ende der rechten Clavieula. Beweglichkeit im Schultergelenk zur Zeit der Ein- 
liefermur an die Klinik, am 10. August. eingeschränkt durch ein starkes, bis auf 
die seitliche Thoraxwand herabreichendes Hämatom, Typische Symptome eines 
Aneurysma arteriovennsum der Subclavia. 

Operation am 1(J. August. Da das Aneurysma hinter der Clavieula 
sitzt, muss neben der Spaltung des Museulus pectoraiis major auch die tem¬ 
poräre Aufklappung dm* Clavieula ausgeführt werden. Infolge selir derber 
Schwielen gestaltet sich die anatomische Präparation recht schwierig. Es findet 
sich nicht nur eine arteriovenöse breite Kommunikation, sondern daneben auch 
ein Aneurysma spurium der Arterie, es handelt sich demnach um einen dop¬ 
pelten Aneurysmasack. Trotzdem ergibt sich nur eine allerdings breite seit¬ 
liche Verletzung der Artcria subclavia, die sich durch seitliche Naht sch Hessen 
lässt. Vene central und peripher unterbunden. Naht der Clavieula und des 
Pectoraiis. Heilung per primam. Ich sah den Patienten zufällig im Februar 
191 f) wieder. Es erscheint mir wichtig, festzustellen, dass bei dem Patienten 
nicht nur der periphere Radial puls und die Kraft der Extremität sich in nichts 
von der linken Seite unterscheidet, sondern dass auch alle Bewegungen im 
Schultergelenk vollständig frei sind, dass der Mann wieder voll kriegsdienst¬ 
tauglich ist. Der Fall beweist, dass die vollständige Durchtrennung von 
Pectoraiis und Clavieula nicht den geringsten dauernden Schaden zu machen 
braucht. 

51. R. R.. 24 Jahre alt, italienischer Kriegsgefangener. Verwundet am 
9. Juni 1915. Durchschuss durch das rechte Bein in der Höhe des Eig. Pou- 
partii. Mit faustgrossem, zum Teil intrapelvin gelegenem Aneurysma einge¬ 
liefert am 15. August 1915. Leichte l’ntcrcrnährung der Extremität, das 
Aneurysma gehört sicher wenigstens teilweise der Artcria iliaca externa an. 

Operation am 20. August. Tntrapelvine, retroperitoneale Aufsuchung 
der Artcria iliaca, erschwert dadurch, dass der faustgrosse Aneurysmensack 
weit über das Eig. Poupartii hinauf in das Becken reicht. Vene unverletzt. 
Hisst sich abpräparieren. Die Artcria iliaca externa vollständig durchtrennt, 
ilire Lumina liegen frei im Aneurysmasacke. Das periphere Lumen liegt 3 cm 
oberhalb des Abganges der Profunda femoris, das centrale oberhalb des Lig. 
Poupartii intrapelvin. Circulare Gefässnaht, die unter ziemlicher Spannung 
ausgeführt worden muss. Die Weite des Gefässes erfordert 30 Einzel nähte. 
Naht funktioniert sofort. Heilung per primam. Patient naeli 3 Worhen voll¬ 
ständig beschwerdofrei, Gang ganz normal. 

52. J. A.. 19 Jahre alt, verwundet am 3. Juli durch Minoncxplosimi. 
Nebst einet* Reihe anderer, kleinerer Verletzungen erlitt der Patient durch tön 
Sprrngstiirk eine perforierende Verletzung des linken Oberarmes, derart, dass 
das Geschoss oberhalb der Mitte des Oberarmes im Sulcus bieipitalis einge- 
dmngcn und an der Aussensoite des Oberarmes in ungefähr gleicher Höhe aus¬ 
getreten war. Sofort merkte der Patient eine Schwäche des Armes. An die 
Klinik kam er am 17. August 1915. Es findet sich im Sulcus bieipitalis an 
oben bezeichncter Stelle ein walnussgrosses Aneurysma, das nach den Sym¬ 
ptomen als arteriovenös bezeichnet werden muss. Starke Cyanose der Hand, 
schwere Störung im Medianusgcbiet in Fnrm hochgradiger Parese, leichtere 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



685 


Kriegsaiieurvsmcn. 


Parese in» Ulnurisgehiet. sensible Störungen im Bereiche des X. eut. antibraeh. 
lat., medianus und ulnaris. 

Operation am 23. August 1915, Die Oberarmvene auf Daumendieke 
geschwellt hinab bis zur niielislen Vcncnklappe. Nervus medianus und ulnaris 
sind durch derbe Schwielen an den Aneurvsmasaek herangezogen, mit ihm 
innig verwachsen. Nach ihrer Lösung erweisen sie sieh aber als normal. Re¬ 
sektion der Vene, in der Arterie besieht ein seitlicher Wanddefekt, der sich 
durch laterale Naht schlossen lässt. Sofort guter Radialpuls. Die (’yanose 
schwindet rasch, die Xervenfunktion bessert: sich allmählich. Heilung per 
primam. 

53. A. 0.. *20 Jahre alt. verwundet am 4. August 1915. Schuss durch 
die linke Halsseite. Einschuss in Kehlkopfhöhe links am vorderen Rande 
des Slernocleidomastoideus. Ausschuss über dem Processus spinosus des 
7. Brustwirbels. Apfelgrosses Aneurysma arteriovenosum dt'r Carotis communis 
mit starker Verdrängung des Kehlkopfes. Keine Ausfallserscheinungen. 

O j) erat i on am 23. August 1915. Dieselbe gestaltet sich durch unge¬ 
wöhnlich derbe Schwielen, die nicht nur um den Aneurvsmasaek herum sieh 
gebildet haben, sondern weit am Halse auf- und abwärts reichen, ausserordent¬ 
lich schwer. Die Carotis ist in ein starres Rohr verwandelt, wie man dies 
sonst nur bei schwerer Arteriosklerose' sieht. Endlich gelingt es aber doch, 
die Vene, die mächtig angcschwollen ist, ober- und unterhalb des Aneurysma 
zu isolieren und zu unterbinden. Nach Trennung von Arterie und Vene weist 
die Carotis communis ein über hohnengrosses, in der hinteren Wand gelegenes 
Loch auf, das durch seitliche Naht verschlossen wird. Die Naht funktioniert 
sofort. Das Aneurysma war in diesem Falle wesentlich kleiner, der apfegrosse 
Tumor war zum grossen Teile durch die mächtigen .Schwielen bedingt. Hei¬ 
lung per primam. 

54. H. W., deutscher Soldat, 27 Jahre alt, verwundet durch Schuss durch 
den rechten Oberschenkel. Ich sah den Kranken eonsiliaritcr in einem Feld¬ 
lazarett, nachdem ihm bereits wegen Gangrän der Zehen ein Lisfrane und 
später wegen Phlegmone eine Ineision am rechten Cnterschenkel gemacht wor¬ 
den war. Patient hatte sehr grosse Schmerzen und eine Kontraktur im rechten 
Kniegelenk, die Gangrän drohte weiterzuschreitcn, die Temperaturen waren 
hohe. Es fand sich ein äusserst prall gespanntes Aneurysma von Kindskopf¬ 
grösse an der Innenseite des rechten Oltersehenkeldrittels, so dass ich den 
Patienten mit umgelegtem, aber nicht zugezogenem Esmarch-Sehlaueh im Auto 
nach Innsbruck iiherführte. 

Am 16. September in Gegenwart der Aerzte des deutschen Feldlazarettes 
Operation. Sehr schwierige Klärung der anatomischen Verhältnisse wegen 
der besonderen Grösse des Sackes, der hinter der Muskulatur vielfache Aus¬ 
stülpungen zeigt. Eine Arteria profunda femoris kann in dem Falle nicht ge¬ 
funden werden. Um die Gefässe peripher vom Aneurysma zu finden, müssen 
sie im Adduktorensehlitze aufgesucht werden. Die Vene wird central und peri¬ 
pher unterbunden, die Arterie weist im oberen Oberschenkoldrittel einen fast 
circularen Defekt auf, so dass die eirculäre Gefässnaht ausgeführt wird. Sofort 
tadellose Funktion der Xald, die vorher sehr matsehen Granulationen im Be¬ 
reiche des seinerzeitigen Lisfrane röten sich gut. Heilung per primam. Die 
Kontraktur im Kniegelenke schwindet sehr rasch, die Wunden am Vorfuss und 
die Ineisionswunde am Unterschenkel Indien überraschend schnell, von einem 
Fortsehreiten der Gangrän keine Rede mehr. Patient kann Ende Oktober mit 
gehfähigem Bein in die Heimat entlassen werden. 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



686 


11. v. Habe rer. 


Digitized by 


55. F. Sch.. 23 Jahre alt, am <>. September durch einen Lungensehuss 
auf der linken »Seite verwundet. Er hustete sofort viel Blut aus. und konnte 
den linken Arm nicht mehr bewegen. Die Schmerzen in der linken oberen 
Extremität steigerten si<*h immer mehr und nahmen in der letzten Zeit einen 
geradezu unerträglichen Charakter an, so dass reich lieber Morphingeiuiss sieh 
einstellte, ln die Klinik wird Patient am 30. September, also mehr als drei 
Wochen nach der Verletzung eingelieferl. Es findet sich ein Einschuss knapp 
unterhalb der linken Sehultermitle. ein vernarbter Ausschuss knapp über der 
Mitte der linken t’lavieula. Ein Aneurysma ist weder palpatoriseh noch aus¬ 
kultatorisch festzustellen. Es findet sieh eine vollständige Lähmung des ganzen 
Medianus-llnarisgcbietes und Parese im Radialisgebiete. 

Operation wegen der unerträglichen Schmerzen am 1. Oktober. Nach 
Aufklappung der Clavicula findet sieh ein apfelgrosser Aneurysmensack, von 
der Subclavia ausgehend, der si<-li direkt nach hinten innen, zum Teil intra¬ 
thorakal ausbreitet. Es muss daher sofort die Anonyma aufgesueht und temporär 
al»geklemmt werden. In der Saekwand des Aneurysmas verlaufen die Gebilde 
des nervösen Plexus, mit denen auch die Vena subclavia schwielig verwachsen 
ist. Ausserordentliche Schwierigkeiten stellen sieh dabei durch die derben Ver¬ 
wachsungen der Präparation entgegen. Schliesslich gelingt es aber doch, Vene 
und Plexus ohne Verletzung abzupräparieren und den Aneurysmasack zu ex- 
stirpicrcn. In der Arterie bleibt ein lern langes, auf Vo ein klaffendes Loch 
zurück, das lateral genäht werden kann. Nabt der Clavietila und der Weieh- 
teilwunde. Heiluni: .per seeundam. Die Xcrvcnläsion geht langsam, aber stetig 
zurück. Funktion der Gefässnaht tadellos. 

51). R. (i.. 25 Jahre alt, verwundet am 12. Juli 1915. Durchschuss durch 
beide Oberschenkel. Er wurde in einem Keldspitale angeblich wegen Aneu¬ 
rysmen an beiden Oberschenkeln operiert und kam an meine Klinik am 29. Sep¬ 
tember 1915. An beiden Oberschenkeln finden sich, entsprechend dem Verlaufe 
der Kcmoralarterien. geheilte Oporationsnarben. Während links alles in Ordnung 
zu sein scheint, ist die rechte Operationsnarbe in der Höhe des Adduktoren¬ 
schlitzes ausserordentlich druckempfindlich, das Hein eyanotiseh, und der Pat. 
hat im ganzen Heine spontane Schmerzen, die ihm das Gellen ausserordentlich 
erschweren. Genaue l’ntersuchung ergibt, dass rechts noch ein Aneurysma vor¬ 
handen sein muss, und zwar ist ein lautes systolisches Schwirren besonders an 
der Hinterseite des oberen Obersehcnkeldrittels in der Tiefe der Muskulatur 
hörbar. Manchmal macht es auch den Eindruck abnormer Pulsation daselbst. 
Ein- und Ausschussnarbe finden sich am rechten Oberschenkel genau in dessen 
Mitte medial und lateral. 

Trotz Bettruhe schwinden die Schmerzen hei dem Patienten nicht, so dass 
ich mich am S. Oktober zur Revision der alten Operat ion entsehliesse. um so 
mehr, als ein Operationsbcfund nicht zu erhalten war. Freilegung der Arterie 
und Vene im ganzen Hereiehe der Operationsnarbe. Ausserordentlich derbe 
Schwielen erschweren das Präparieren erheblich; endlich aber gedingt cs doch, 
die Arterie und Vene darzustellen, und zwar im ganzen Verlauf der alten Ope¬ 
rationsnarbe. Es zeigt sieh nun, dass die Arterie bis in den Adduktorensehlitz 
durchgängig ist und nirgends ein Aneurysma trägt. Hingegen ist die sehr stark 
erweiterte Vene im Adduktorensehlitz unterbunden und oberhalb der L’nterbin- 
dung thrombosiert. Sie liegt in einem auffallend sulzigen Gewebe. Auf diesen 
Befund hin lege ich die Arterie an der Stelle des Abganges der Profunda fe- 
moris bloss, und da bei Kompression der Arterie sofort das Schwirren aufhört, 
so unterbinde ich die Profunda femoris. Von dem Momente ab keine abnorme 
Pulsation mehr. Das Aneurysma in der Tiefe der Hinterseite des Oberschenkels 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Kriegsaneurysmen. 


687 


aiifzusuchcn, halt^ ich mich nach der schon immerhin über 1 Stunde dauernden 
Operation für nicht berechtigt. Die ersten o Tage «ranz befriedigender Verlauf, 
am 4. Tage unter heftigen Schmerzen plötzlicher Temperaturanstieg bis 40,8. 
auffallende livide Verfärbung des Kusses und der Weichteile an der Aussenseite 
der Tibia. Da am 5. Tage die Temperatur auf 41,5 steift, und der Patient 
leicht benommen ist, hohe (>berschcnkclamputation, trotz sicherer arterieller Er¬ 
nährung der Kxtremitiit. Die Präparation des abgesetzten Peines ergibt nun 
eine Durchgängigkeit der Hauptarterie, wie ich das schon bei der ersten Ope¬ 
ration festgestellt hatte, sie ergibt ferner einen alten vereiterten Thrombus ober¬ 
halb der Ligaturstclle der Vene und frische, ausgedehnte Thrombose der LTiter- 
schenkelvenen in grosser Ausdehnung. Die bakteriologische Untersuchung des 
alten Thrombus in der Vene cr*ril>t den Gehalt an gasbildenden Bakterien. Das 
Aneurysma sass in der Tat in der Tiefe der Obcrschenkelmuskulatur hart am 
Knochen an der Profunda femoris. Exitus letalis am Tage nach (h*r Amputation 
an Sepsis, Pneumonie. 

57. J. E., 21 Jahre alt. verwundet am f». Oktober 1015 durch Schuss durch 
dir rechte Mohrenhcim'sche (irube mit Eungcnverletzung. Einschuss hart unter 
der Mitte der rechten Clavicula. Ausschuss 4 cm unter dem rechten Angulus 
scapulae. In die Klinik eingcliefcrt am 10. Oktober. Rechte Extremität kühl 
und cyanotisch. Puls in der Radialis kaum fühlbar. Parese in den vom Plexus 
brachialis versorgten Muskeln. Ausserordentlich intensive Schmerzen in der 
«ranzen rechten oberen Extremität, die reichliche (iahen von Morphin nötig 
machen. Rechtsseitiger llämatothorax bis an die Spina scapulae. Trotzdem 
und trotz der dauernden Fieberbewegung kann ich wegen der (‘normen Schmerzen, 
die Patient leidet, und die ihm trotz grosser Dosen Morphin gar keine Nacht¬ 
ruhe gestatten, nicht mit der Operation zuwarten. 

Operation am 14. Oktober 1915. Freilegung der Arteria und Vena sub¬ 
clavia mit Durchschneidung der Pectoralmuskcln. Es findet sich ein faust- 
grosses bis hinter die Scapula reichendes Aneurysma, dessen Präparation in den 
zur Unkenntlichkeit durchbluteten Geweben recht schwer fällt. Die Arterie 
total zerfetzt, gerade dort, wo sie unter die Plexusgabel tritt. Distanz der stark 
zerfetzten Arterienlumina auf 5 cm. Periphere Arterie sehr eng. Nach ent¬ 
sprechender Anfrischung circuläro Arteriennaht, die sofort gut funktioniert. 
Heilung der Wunde per primam. Der llämatothorax geht langsam in ein Empyem 
über, dessentwegen am 10. November die Rippenresektion ausgefiihrt werden 
muss. Heilung des Empyems per secundam. Januar 1916 kann Patient voll¬ 
ständig geheilt entlassen werden. Die Paresen der oberen Extremität sind voll¬ 
sten d i g gesellwunden. 

58. L. S., 22 Jahre alt. verwundet am 50. September 1915. Durchschuss 
durch die Mitte der linken Wade. In die Klinik eingeliefert am 5. Oktober 
1915. Starke Schwellung des ganzen linken Unterschenkels, Ocdeni des Kusses, 
Pediaca pulsiert, Art. tib. post, pulsiert nicht. Deutliches Schwirren über dem 
ganzen Unterschenkel hörbar. 

Operation wegen starker Schmerzen am 14. Oktober 1915. Die Arteria 
tibialis posterior weist in der Milte des Unterschenkels ein faustgrosses Aneu¬ 
rysma auf, das bereits zur Usurierung der hinteren Tibiafläche geführt hat. 
Centrale und periphere Unterbindung der Arterie, Exstirpation des Sackes. 
Heilung per primam ohne Funktionsstörung. Anfangs noch Schmerzen in der 
Wade. 

59. G. F., 20 Jahre alt, italienischer Kriegsgefangener. Verwundet am 
6. September 1915. Durchschuss durch den rechten Oberschenkel und den linken 


Digitized by 


Gck igle 


Original frorn 

UNIVERSITY OF IOWA 



688 


H. v. llaherer, 


Digitized by 


Unterschenkel, komplizierte Fraktur des linken Unterschenkels. In die Klinik 
mit noch eiternder Fraktur cingeliefert am 12. Oktober 1915. Der rechte Ober¬ 
sehenkel weist einen sehnigen Durchschuss derart auf, dass sich der Einschuss 
in der Mitte an der Aussenseite, der Ausschuss im oberen Ohersehenkeldrili'd 
an der Innenseite findet, Kindskopfgrosses Aneurysma der Arteria femoralis. 

Operation am 19. Oktober 1915. Durch Schwielen sehr erschwerte Frei¬ 
legung der Arterie. Dieselbe erweist sich in der Mitte des Oberschenkels total 
durchschossen, und weist einen Defekt von 3 ein auf. Die Künder der Lumina 
sind so zerfetzt, dass noch weitere 2 cm der Arterienenden reseei'ert werden 
müssen. Fs finden sich 2 Aneurysmensüeke, ein lateraler, über faustgross, lind 
ein medialer, wal missgross. Beide lassen sich exstirpieren. Circulare (iefäss- 
naht. Sofort tadellose Funktion, Puls peripher ausgezeichnet. Hoilunir per 
prim am. Keinerlei Störung. 

60. A. D., 27 Jahre alt, verwundet am IS. Oktober 1915. Schuss durch die 
linke Halsseite. Einschuss am Nacken links in der Höhe des 7. Halswirbels, 
Ausschuss am vorderen linken Sternoeleidomastoideusrande in dessen unterem 
Drittel, beide eiternd. Mit Ausnahme von Heiserkeit keine Lähnumgserschei- 
nungen, hingegen durch Verdrängung des Larynx starke Atemnot. Deshalb 
wurde ich zu dem Kranken 2 Tage nach der Verletzung in das Feldlazarett 
gerufen. Es fand sich eine faustgrosse Vorwölbung der ganzen linken Halsseite, 
mit deutlichster Pulsation und lautem .Schwirren, und eine dadurch bedingte 
hochgradige Verdrängung des Larynx. Da die Atembeschwerden es gestatteten, 
überführte ich in 3ständiger Fahrt den Kranken per Auto nach Innsbruck. 

Operation am 21. Oktober unter Assistenz des Chefarztes vom Feld¬ 
lazarett, Herrn Dr. Hupp. Die Identifizierung der stark und frisch durch¬ 
bluteten (iewebe nicht leicht, gelingt jedoch. Vena jugularis auf Dünndarm¬ 
dicke angeschwollen, pulsiert und schwirrt deutlich. Sie wird central und 
peripher unterbunden. Trennung des Sackes von der Arterie, wobei die Carotis 
communis ungefähr 3 cm unter ihrer Teilung in externa und interna ein l l 2 em 
langes, mehr als die Hälfte der Cireumferenz des Arterienumfanges einnehmendes 
Loch aufweist, das nur nach Art der circularen Arteriennaht mit Vernachlässi¬ 
gung der kleinen stehen gebliebenen Brücke genäht werden kann. 16 Knopf¬ 
nähte sind nötig. Drainage. Heilung nach leichter Eiterung, Erfolg ausge¬ 
zeichnet. Temporalis pulsiert sofort nach der Operation tadellos. Heilung. 

61. F. L., 39 Jahre alt, verwundet am 4. Oktober 1915. Einschuss unter 
der linken Clavieula in der Höhe des Processus coracoideus, Ausschuss in der 
Höhe des linken Angulus seapulac. Starker Blutverlust im Anschluss an die 
Verletzung. Mittclschwere Schädigung der vom Plexus brachialis versorgten 
Muskeln, mit ausgesprochenen Paresen. Sehr intensive Schmerzen in der linken 
oberen Extremität. Deutliches Aneurysma der Arteria subclavia. 

Operation am 22. Oktober 1915. Sehr ausgedehnte Sehwielenbildung, 
weit über den Schusskanal hinausreichend. Dies«' Schwielenhihlung haben Arterie 
und Vena subclavia, ebenso wie die Gebilde des Plexus ganz gegen den Humerus¬ 
kopf hin verzogen und daselbst fixiert. Dieser Umstand gestaltet die Präpara¬ 
tion sehr schwierig. Die Vene muss central und peripher unterbunden werden. 
In der Arterie findet sich in der Höhe ihres Durchtrittes unter der Nervengabel 
ein 1 cm langes, 1 3 ihrer Uiivumfercnz einnehmendes Loch, das sieh durch 
6 seitliche Nähte sehliessen lässt. Sofort sehr gute Pulsation unter der Naht¬ 
stelle. Heilung per primam. Lähmungen alle zurüekgegangen. 

62. S. v. Schm. Verwundet durch einen Revolverschliss am 12. Oktober 
1915. Einschuss knapp unter dem rechten Ligamentum Poupartii, oberhalb 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



K ri e gs an e u r v s nie n. 


689 


desselben ein grosses, intrapclvin reichendes Aneurysma, das sehr stark sehwirrt. 
Da Patient bald nach der Verletzung eine sichere Lungenembolie durehgemaeht 
hat. ist schon aus diesem (irunde die gleichzeitige Verletzung der Vena iliaca 
externa wahrsehein 1 ieh. 

Operation am 5. November 1915. Nach Freilegung der Iliaca externa 
retroperitoneal wird das Aneurysma aus den frischen blutigen Schwielen recht 
sorgsam frcigelegt, und da die Arteria iliaca externa 2 grosse einander gegen¬ 
überliegende Löcher aufweist, lind die stehengehliebenen schwachen Gefässbrücken 
obendrein sehr zerfetzte Ränder aufweisen, wird die Resektion von 3 cm Arterien¬ 
länge ausgeführt, und dann die circulare (iefässnaht mit 21 Nähten vorgenommen. 
Die verletzte Vene, die peripher lliromhosiert erscheint, wird central umstochen, 
peripher von der Verletzungsstelle unterbunden. Heilung per primam. Funktion 
tadellos, Arterie pulsierte sofort nach der Naht peripher. 

63. F. 11., 31 Jahre alt. im September 1914 durch Schuss in den rechten 
Oberarm verwundet. 3 Querfinger über der Fllenbeuge im Sulcus bicipitalis 
int. Einschuss, gerade gegenüber im Sulcus bicipitalis ext. Ausschuss. Keinerlei 
Ausfallserscheinungen. Patient das Bild von Kraft und Gesundheit-. Eine ent¬ 
sprechend dem Einschuss vorhandene pflaumengrosse Vorwöllmng wurde bald 
nach der Verletzung in einem Spitale als Abseess gedeutet und dem Patienten 
die Ineision vorgeschlagen. Als er schon auf dem Operationstisch lag, merkte 
der Arzt, dass die Vorwölbung pulsiere, worauf dem Patienten gedeutet worden 
sein soll, dass es da eine Heilung nicht gebe: tatsächlich wurde der sonst so 
gesunde Mensch auf 1 Jahr superarbitriert. Als er wieder einrücken musste, 
machte ihm die Geschwulst bei stärkerer Inanspruchnahme des Armes Be¬ 
schwerden, deshalb wird er an die Klinik transferiert. Es handelt sich um 
einen Schulfall von Aneurysma der Arteria hrachialis. 

Operation am 11.November 1915. Resektion des pflaumengrossen Braehial- 
ancurysmas, an dem die Vene ganz unbeteiligt ist, und eirculäre Gefässnaht, 
die sofort tadellos funktioniert. Heilung per primam. Patient in 3 Wochen 
frontdienst-tauglich. 

64. G. J., 23 Jahre alt, verwundet am 15. Oktober 1915. Einschuss 2 cm 
unter der Mitte der linken Clavicula, Ausschuss am Thorax links hinten, etwas 
auswärts vom Processus spinosus des 2. Dorsalwirbels. Deutliches Aneurysma 
der Art. subclavia, und zwar Aneurysma arteriovenosum. Peripherer Puls so 
gut wie rechts, keine Nervenstörung. 

Operation am 12. Novemcer 1915. Es findet sich nach Claviculaauf- 
klappung der walnussgrosse Aneurysmensack, gerade an der Uebergangsstellc 
von Anonyma in Subclavia. Vene peripher und central unterbunden. Nach 
ihrer Lösung von der Arterie findet sich noch ein zweiter aneurysmat isolier 
Sack als Aneurysma spurium, der sieli nach hinten gegen die Scapula aus¬ 
breitet. Die Arterie weist einen l l / 2 cm langen, auf l / 4 cm klaffenden Riss auf, 
der sieh gut durch laterale Naht verschliessen lässt. Tadellose Funktion der 
Naht. Heilung per primam. 

65. S. F., 28 Jahre alt, verwundet vor 3 Monaten. Einschuss hart unter 
dem äusseren Drittel der rechten Clavicula, Ausschuss hintere rechte Tliurax- 
wand. ein Querfinger unter dem Angulus scapulae. Deutliches Aneurysma der 
Subclavia. Radialpuls rechts kaum tastbar, starke (Zyanose und Kälte der Hand. 
Beträchtliche Nervenstörung im Plexusgebiete. 

Operation am 25. November 1915 in Gegenwart von 22 Schweizer Aerzten. 
welche eine Studienreise nach Innsbruck unternommen hatten. Spaltung von 
Fcctoralis inajor und minor. Es findet sich die Arteria axillaris geradehin der 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



690 


11. v. Hah er er, 


Digitized by 


Höhe der Xervcngabelung durchschossen, und zwar handelt cs sieh um einen 
totalen Defekt der Arterie von 4 ein. Dazwischen liegt ein eigrosses, mit der 
Vene kommunizierendes Aneurysma. Die Vene wird central und peripher unter¬ 
bunden. Nach ihrer Lösung zeigt sich ein zweiter, nach hinten bis an die Sca¬ 
pula reichender, faustgrosser Sack eines Aneurysma spurium, der mit dem Aneu¬ 
rysma arteriovcnosum in keinem direkten Zusammenhang steht. Die Arterien¬ 
lumina sind so zerfetzt, dass von beiden noch je ein Stück reseziert werden 
muss. Die folgende circulare Arteriennaht, welche 18 Nähte beansprucht, ist 
durch besondere Brüchigkeit der (iefässwand erschwert, gelingt aber schliesslich 
vollkommen mit tadelloser Funktion. Radialpuls am Ende der Operation aus¬ 
gezeichnet. Heilung per primarn. Xervenliision geht überraschend schnell 
zurück. 

6b. A. B., 24 Jahre alt, verwundet am 14. Juli 1915. Schrapnellsteck¬ 
schuss in die rechte .Schulter, Einschuss inneres Drittel der Spina seapulae. 
Patient verbrachte Monate in Feldspitälern, bis er am 4. Oktober 1915 nach 
Wien an die erste chirurgische Klinik zur Operation geschickt wurde. Der da¬ 
mals dortselbs! aufgenommene Status enthält folgende wichtige Einzelheiten: 
Die ganze rechte Supra- und Infraelavieulargegend, Oberarm und Hand mächtig 
geschwollen. Im Jugulum und in der Supraclaviculargegcnd der rechten Seite 
fühlt man ein heftiges Schwirren, das fast über den ganzen Thorax auskultato¬ 
risch wahrnehmbar ist. ln der rechten Kadialis ist der Puls nicht tastbar. 
Pupillarrcflex rechts eingeschränkt, Pupille viel enger als links. Heringe Ptosis 
und Exophthalmus am rechten Auge. Das Projektil liegt nach Röntgenaufnahmen 
entsprechend dem rechten Sternoelavieulargelenk. Enter Kompressionsverbänden, 
die systematisch angewendet werden, scheint das Aneurysma kleiner zu werden. 
Die Haut des Halses und des Thorax ist von unheimlich dicken Venen durch¬ 
zogen. 

Operation am 23. Dezember 1915 an der v. EiseisbergVhen Klinik in 
Wien, die ich mit Erlaubnis meines verehrten Lehrers v. Eiseisberg unter 
seiner Assistenz vornehmen durfte. Bogenförmiger Schnitt von der Mitte des 
Sternoeleidomastoideus über das innere Clavieuladrittel herab bis in die vordere 
Aehselfalte. Nach Unterbindung mehrerer subkutaner Venen von Fingerdicke 
temporäre Aufklappung der Clavieula und Durehsehneidung der Pectoralmusku- 
latur. Die Vena jugularis und subclavia sind auf Dünndarmdicke angeschwcdlcn. 
Der ganze aneurysmatische Sack, der gerade im Winkel zwischen Subclavia und 
Uarotis zu liegen .scheint, ist von mächtigen Schwielen gedeckt. Bei dem Ver¬ 
suche, diese abzupräparieron. reisst der Sack mehrfach ein, wobei es jedesmal 
zu sehr starken Blutungen kommt, die nur durch manuelle Kompression be¬ 
herrscht werden können, da jedes Instrument zur Abklemmung von (iofässen 
weitere Einrisse in dem morschen Gewebe verursacht. Aufsuchen der Arteria 
anonyma und Ligatur derselben. Trotz Umstechungen aber gelingt es nicht, die 
Blutung aus den grossen Venen und ihren vielen Unilateralen zum Stehen zu 
bringen. Bei dreistündiger Dauer der Operation hatte der Patient trotz fort¬ 
gesetzter intravenöser Infusion von Kochsalz so viel Blut verloren, dass die Ope¬ 
ration in einem ganz unbefriedigenden Stadium abgebrochen, die grösst* Wund- 
hohle tamponiert werden musste. Stunde später starb der Kranke, ohne das 
Bewusstsein wieder erlangt zu haben. 

Obduktion (Doz. Dr. Wies net*): Unterbindung der zuführenden Vena 
subclavia und jugularis, der Arteria anonyma und subclavia bei arteriovenösem 
Aneurysma im Bereiche der Subclavia. Der Aneurysmasack in seinem vorderen 
Anteil zerrissen, nach rückwärts unter Usur an der ersten Rippe angelötet, 
kleinapfelgross, starrwandig. Die Arteria subclavia war von hinten nach vorm* 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



K ricgsaneu ry smen. 


691 


durchschossen, kommunizierte nach rückwärts mit dem beschriebenen Sack, 
nach vorne findet sich ein hellergrosses Loch, das mit der Vena subclavia kom¬ 
muniziert haben dürfte. Obliteration an der Einmiindungsstellc der Vena ano- 
liyma in die cava superior durch organisierten Thrombus. Mächtige Erweiterung 
der oberflächlichen Hals-, Thorax- und Armvenen. Allgemeine hochgradige 
Anämie, .Hyperplasie der Follikel des Dünndarms und Zungengrundes, im Oeso¬ 
phagus angedeutet. 

67. ,1. B., 31 Jahre alt, verwundet am 20. Januar 1916. Operation am 
B. Februar 1916. Durchschuss durch das linke Bein, Einschuss knapp oberhalb 
des linken Ligamentum Poupartii, Ausschuss in der linken Gesässbaeke knapp 
neben dem After. Grosses Aneurysma arteriovenosum, das zum Teil intrapelvin 
siel egen ist. Noch leichte Eiterung des Sehusskanalos. Sehr schwierige Präpa¬ 
ration wegen ausgedehnter Sehwielenbildung. Da diese auch noch weit intra¬ 
pelvin reicht, ist auch die Aufsuchung von Arteria und Vena iliaea externa recht 
erschwert. Die Vene muss central und peripher vom Aneurysma urnstoehen und 
ligiert werden, da eine Präparation der Vene in den Schwielen ohne Verletzung 
der Vene nicht gelingt. Endlich steht dann die recht erhebliche Blutung. Die 
Arterie zeigt zwei Löehnr, eines am Uebergang von Iliaea externa in die Femo¬ 
ralis, ein zweites knapp oberhalb des Abganges der Profunda femoris. Die 
beiden, je bohnengrossen Löcher der Arterie liegen so nahe, dass es zweck¬ 
mässiger erscheint, diesen Arterienbezirk, im ganzen 4 ein, zu resezieren und die 
circulare Gefässnaht vorzunehmen. 19 Knopfnähte. Der noch am Operations¬ 
tisch geprüfte Puls in Arteria pediaea und tibialis posterior ist ebensogut wie am 
gesunden Bein. Heilung per primam bis auf die Drainage, die wegen der noch 
bestehenden Eiterung angewendet wurde. 

68. .). Th.. 19. Jahre alt. wurde Anfangs Oktober 1915 durch einen .Schräg¬ 
schuss durch den linken Oberschenkel verwundet. Jetzt besteht- an der Mitte 
der Innenseite des Oberschenkels ein kindskopfgrosser Tumor, der etwas fluktu¬ 
iert, keine Spur von Pulsation zeigt, bei oberflächlicher Auskultation auch kein 
Gcfässgeräusch erkennen lässt, sich aber wohl bei tiefer Auskultation mit stark 
eingedrücktem Hörrohr durch ein pfeifendes pulsatorisehcs Geräusch als Aneu¬ 
rysma verrät. Beweglichkeit des Beines hochgradig eingeschränkt, peripher 
kein Puls tastbar. 

Operation am 4. Februar 1916. Die Grösse des Tumors erheischt einen 
Schnitt vom Poupart’sehen Bande bis in den Adduktorenschlitz. Die Arterie 
muss aus unglaublich dicken Schwielen, die fast der ganzen Länge des Arterien¬ 
rohres nach bis in den Adduktorenschlitz reichen, auspräpariert werden. Bei 
der Präparation pflügte ich von der Arterienverletzung aus, die in der Höhe des 
Abganges «1er Profunda femoris liegt, auf 4 cm «las Arterienrohr, so dass nach 
Ausräumung des Aneurysmasackes die Profunda unterbunden und von der Arteria 
femoralis 5 ein reseziert werden müssen. Da die Arterie durch die angelagerten 
Schwielen in ein sehr starres Bohr verwandelt ist, lässt sie sieh nicht sehr gut 
mobilisieren und wird die folgende eireulärc Naht unter beträchtlicher Spannung 
trotz Beugung in Hüfte und Knie ausgeführt. Sie gelingt mit 16 Knopfnähten. 
Die Naht ist schon beendet als 10 cm höher, im Bereiche der cent-ral angelegten 
Hopfner-Klemme, die Arterie abreisst. Die sofort einsetzende Blutung wird im 
Momente beherrscht, dadurch, dass das Gefäss mit den Fingern gefasst wird. 
Nach entsprechender Anfrischung der zerrissenen Bänder wird auch jetzt wieder 
die circulare Gefässnaht mit 16 Knopfnähteu und einigen losen IVbernähungen 
mit Gefasseheide ausgeführt. Das Mittelstück zwischen den beiden circularen 
Nähten, 10 ein lang, ist vollkommen frei implantiert, da von ihm kein einziges 
Seitengefäss abgeht, bzw. solche zwecks Mobilisierung der Arterie vorher untcr- 


Digitized by 


Go. igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



692 


II. v. Haherer, 


Digitized by 


bumlen -werden mussten.- Drainage der kindskopfgrossen Aneurysmahöhle nach 
dem tiefsten Punkte. Leichte Cireulationsstürimgen am Tage der Operation 
gelten sich schon nach 24 Stunden. 

69. (LS., 25 .Jahre alt, verwundet am 5. Mai 1915. Durchschuss durch 
den rechten Oberarm. Einschuss lateral entsprechend dem l’ebergang von 
mittlerem in unteres Oberarmdrittel, Ausschuss medial im Sulcus bieipitalis 
internus, knapp oberhalb des medialen Epicondylus. Durch monatelanges Tragen 
einer Mitella hat Patient eine schwere rein muskuläre Kontraktur des Ellen¬ 
bogens, der kaum bis zum rechten Winkel gestreckt werden kann. Radialpuls 
nicht tastbar, keine Nervenstörungen. 

Op erat ion am 7. Februar 1916. Typischer Schnitt zur Aufsuchung von Bra- 
ehialis und Cubitalis. Die Arterie ist knapp oberhalb des Feberganges in die 
Fubitalis vollstämlig durchschossen, die beiden obliterierten Enden liegen schriige 
neben einander, durch eine derbe 1 l j 2 cm lange bindegewebige Schwiele mitein¬ 
ander verbunden. Knapp darunter trägt die Arteria cubitalis an der medialen 
Seite ein erbsengrosses Aneurysma verum, offenbar als Folge eines Streifschusses 
dieser Gefässpartie. Nach Resektion der Schwiele bis in die normalen Gefäss- 
partien hinein und Mitnahme des kleinen Aneurysmas würde die circuläre Ge- 
fässnaht ganz leieht möglich sein. Doch nehme ich deshalb davon Abstand, 
weil die blosse Mobilisierung des centralen Arterienrohres, die ohne jede Gewalt¬ 
anwendung leicht vor sich geht, genügt, um zu einer Verlegung des Gefässrohrcs 
derart zu führen, dass nach probeweiser Abnahme der Hopfner-Klemme das 
Gebiss bis an sein Ende gut pulsiert, ohne dass ein Tropfen Blut ausfliesst. 
Die Intima hat sich derart eingekrempelt! Da andererseits das periphere 
Lumen daraufhin geprüft, stark arteriell blutet, werden beide Lumina unterbunden. 
Durchtrennung aller Schwielen macht vollständige Streckung des Ellenbogen- 
gelenkes möglich, arterielle Blut Versorgung der Hand ausgezeichnet. 

70. F. R., verwundet am 18. November 1914 durch Querschuss durch 
den linken Oberschenkel knapp oberhalb des Kniegelenkes. Am 5. Tage nach 
der Verletzung, als der Kranke eben aus dem Lazarett abtransportiert werden 
musste, trat eine schwere arterielle Blutung ein, die sofortige Operation nötig 
machte. Es wurde die Arterie am Orte der Wahl, knapp oberhalb des Aneu¬ 
rysma, nämlich im Adduclorenschlitz, unterbunden. Sofort stand die Blutung, 
Ein- und Ausschuss vernarbten bald. Patient erholte sich, konnte aber nie 
recht gehen, weil es ihm beschwerlich war, das Kniegelenk zu strecken, vor 
allem aber, weil er bei längerer Belastung des Beines Wadenkrämpfe bekam. 
An meine Klinik kam er Mitte Februar 1916! Es findet sich ein grosses 
Poplitealancurysma. Der Kranke ist sehr fettleibig, trotzdem lässt sieh das 
Aneurysma gut nach weisen. 

Operation am 1. März 1916 gestaltet sieh wegen der starken vorhan¬ 
denen Schwielen recht schwierig. Es findet sieh ein eigrosses Aneurysma spu¬ 
rium der Arteria poplitca. daneben noch ein Aneurysma arteriovenosum. Ex¬ 
stirpation beider Säcke mit doppelter Fnterbindung der Vene, in der Arterie 
bleibt ein 4 cm langen*, seitlicher Defekt zurück, der mehr als - der Circum- 
ferenz einnimmt, so dass sich die Resektion von 5 cm Arterie und die circuläre 
Naht empfiehlt. Letzten*, mit IS Knopfnähtcn ausgeführt, funktioniert aus¬ 
gezeichnet. Heilung per primam. 

71. P., verwundet vor 5 Wochen, meiner Klinik am 2. Februar 1916 
cingelicfcrt. Kindskopfgrosses Aneurysma der Art. femor. im Adductnrenschlitz, 
stark eiternde Wunde, sehr heftige Schmerzen und Eicher. Keine Pulsation 
tastbar, Gefässgcräuseh sehr gut hörbar. In v. Ksmareh'seher Blutleere Eröff- 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



I\ riegsaneurvsmen. 


693 


mini; dos aneurysmatischcn Sackes, der sich in der Tiefe bis in das obere 
(tberschenkeldrittol hinaufzieht und in Wirklichkeit Mannskopfgrösse besitzt. 
Der Femurknochen periostent blösst rauh. Frei durch den Sack ziehen die 
grossen Gebisse. Die Arterie erweist sieh gerade im Adduetorenschlitz verletzt, 
weist zwei einander gegenüberliegende grosse Löcher auf, deren Ränder schwielig 
verdickt sind. Die Intima der Arterie hier so verändert, dass ich lieber die 
Resektion von 3 cm Arterie und dann die cireiiläre Naht ausführe. Diese 
funktioniert sofort sehr gut. Vene unverletzt. Drainage des grossen Sackes 
am tiefsten Funkte. Heilung per secundam. 

72. «I. I.., 38 Jahre alt, verwundet am 21. Februar 191 (>. Durchschuss 
knapp unterhalb des rechten Kniegelenkes. Der Klinik am 11. März 191G ein- 
goliefort mit leichter Anirina. Intensivste Schmerzen in der rechten Kniekehle, 
Oedem des ganzen rnterschenkels und des Fusses, peripher kein Puls tastbar. 
Temperatur, anhaltend bei 38, durch die Angina nicht erklärt, Fin- und Aus¬ 
schuss völlig vernarbt. Morphin bändigt die Schmerzen nicht. In der Fossa 
poplitea ein eigrossos. stark pulsierendes Aneurysma tastbar, das ein lautes 
systolisches Geräusch gibt. 

Operation am 16. März 191 (>. Freilegung der Arteria poplitea, was 
durch ein grosses Convolut starker Venen erschwert wird. Knapp unterhalb 
des Kniegelenkes komme ich auf ein über eigrosses Aneurysma, das sich gegen 
die Tibia hin eine Höhle gewühlt und zum Schwunde des Periostes der hinteren 
Tibiafläche geführt hat. Die Arteria poplitea weist in dom Bereiche- des Aneu¬ 
rysmas einen 4 cm langen seitlichen Defekt auf, der so breit ist, dass die 
beiden Lumina nur durch fönen ganz schmalen Gewebs>anm noch in Verbindung 
stehen. Deshalb kann von einer lateralen Naht nicht die Rode sein. Die 
circulare Naht aber wird ausserordentlich erschwert dadurch, »lass der periphere 
Arterienstumpf sehr kurz ist und sich deshalb nicht mobilisieren lässt, weil er 
schon der Teilungsstolle der Poplitea in Tih. antiea und postiea angehört. Die 
Naht gelingt mit 21 Knnpfnähten. Heilung per primam. 


Archiv für klin. Chirurgie. Bd. 107. Heft 4. 


46 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UMIVERSITY OF IOWA 



Digitized by 


_ ^ 

Druck von L. Schumacher in Berlin N. 4. 


Gck 'gle 


Original frnrri 

UMIVERSITY OF IOWA 




LICHTDRUCK VON ALBERT FRISCH, BERLIN W. 


Digitized by Google 


Original from 

UNIVERSIIY OF IOWA 






Digitized by 




Go igle 


Original frnm 

UNIVERSUM OF IOWA 




Digitized by Google 


Taf. XXI. 



4 


Original from 

UNIVERSIIY OF IOWA 



Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 



ARCHIV 


FÜR 

KLINISCHE CHIRURGIE. 

BEGRÜNDET VON 

Dr. B. von LANGENBECK, 

weil. Wirklichem Geh. Rat and Professor der Chirurgie. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Dr. w. körte, d r . a. Fre. h . von eiselsberg, 

Prof, in Berlin. Prof, der Chirurgie in Wien. 

Dr. 0 . HILDEBRAND, Dr. A. BIER, 

Prof, der Chirurgie in Berlin. Prof, der Chirurgie in Berlin. 


HUNDERTUNDSIEBENTER BAND. 

VIERTES HEFT. 

(Schluss des Bandes.) 

Mit 2 Tafeln und rahlreichen Textfiguren. 


* 

BERLIN 1916. 

VERLAG VON AUGUST HIRSCHWALD. 

NW. Unter den Linden 68. 




Ausgegeben am 26. April 1916. 










Digitized by 


Verlag voll Angast Hirschwald in Berlin. 


Soeben erschien: 

Diagnostische und therapeutische 
Ergebnisse der Hirnpunktion. 

Eine kritische Studie von Dr. W. Pincns. 
1916. gr. 8. 6 M. 

Ueber die Versorgung unserer 

Verwundeten im Felde. 

Vortrag, 

gehalten am 11. April 1915 im Saale des 
Abgeordnetenhauses 

von 

Dr. W. Körte, 

Generalarzt, beratender Chirurg des III. Reservekorps. 

1915. 8. 1 M. 

Der Ertrag ist nun Besten der Hinter* 
bliebenen des in.Heservekorps bestimmt. 

Die Chirurgie 

der 

Blutgefässe und des Herzens 

von Dr. Ernst Jeger. 

1913. gr. 8. Mit 231 Textfiguren. 9 M. 

Die 

Verletzungen der Wirbelsäule 

durch Unfall. 

Ein Beitrag zur Versicherungsmedizin. 

Auf Grund von Eigenbeobachtungen 
von Dr. med. P. 0. Quetsch. 

1914. gr. 8. Mit 103 Textfig. 4M. 50 Pf. 

Die Anwendungsweise 

der 

Lokalanästhesie in der Chirurgie. 

Auf Grund anatomischer Studien 
und praktischer Erfahrungen dargestellt 

von Prof. Dr. Fritz Hohmeier. 

Mit Einführung von Prof. Dr. Fritz König. 

1913. gr. 8. Mit 54 Textfiguren. 4 M. 


Die Sanitätsausrüstung 
des Heeres im Kriege. 

Hit Genehmigung des Kgl. preußischen Kriegs- 
minlsterlums unter Benutzung amtlicher Quellen 

bearbeitet von 

Oberstabsarzt Dr. W. Niehues. 

1913. gr.8. Mit239 Abbild. 24M.,geb. 25M. 
(Bibi. v. Coler-v. Schjerning, XXXVII. Bd.) 


Verlag von Anglist Hirschwald in Berlin. 


Die Fäzes des Menschen 

im normalen und krankhaften Zustande 
mit besonderer Berücksichtigung der kli¬ 
nischen Untersuchungsmethoden 
von Prof. Dr. Ad. Schmidt 
und Prof. Dr. J. Strasbnrger. 
Vierte neu bearbeitete und erweiterte Aufl. 
Mit 15 lithogr. Tafeln und 16 Textfiguren. 

1915. gr.8. 22 M. 

Die experimentelle Diagnostik, 
Seromtherapie und Prophylaxe 

der Infektionskrankheiten 

von Oberstabsarzt Prof. Dr. E. Mari. 
Dritte Aufl. gr. 8. Mit 2 Taf. u. 4 Textfig. 

1914. 12 M. 

(Bibliothek v. Coler-v. Schjerning, XI. Bd.) 

Grundsätze 

für den Ban von Krankenhäusern 

von Obergeneralarzt Dx. Thel. 
Zweite vermehrte Auflage. 

1914. gr.8. Mit 4Tafelnu. 84 Textfig. 6M. 
(Bibliothek v. Coler-v. Schjerning, XX. Bd.) 

Soziale Pathologie. 

Versuch einer Lehre von den sozialen 
Beziehungen der menschlichen Krankheiten 
als Grundlage der sozialen Medizin und 
der sozialen Hygiene 
von Prof. Dr. med. Alfred Orotjahn. 
Zweite neubearb. Aufl. 1915. gr.8. 15 M. 

Röntgen«Therapie 

(Oberflächen- und Tiefenbestrahlung) 
von Dr. H. E. Schmidt. 

Vierte neubearb. und erweiterte Auflage. 

1915. 8. Mit 83 Textfiguren. Gebd. 6 M. 

Lehrbuch der Unfallheilkunde 

für Aerzte und Studierendo 
von Dr. Ad. Silberstein. 

1911. gr.8. 13M. 

Die chronische Entzündung 

des 

Blinddarmanhanges 

(Epityphlitia chronica) 
bearbeitet von Dr. Fritz Colley. 

1912. gr.8. 6 M. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



r 


Verlag von AUGUST HIRSCHWALD in Berlin NW. 7. 

(Durch alle Buchhandlungen zu beziehen.) 


Handbuch 

der allgemeinen und speziellen Arzneiverordnungslehre. 

Auf Grundlage des Deutschen Arzneibuches 5 . Ausgabe 
und der neuesten ausländischen Pharmakopöen 

bearbeitet von 

Dr. C. A. Ewald, \ Dr. A. Heffter, 

Geh. Med.-Rat, ord, Honorarprofessor, Geh. Med.-Rat, ord. Professor 

dirig. Ar*t im Augustahospital in Berlin u. Direktor des pharm&kol. Instituts in Berlin. 

Mit einem Beitrag von Prof. Dr. E* Friedberger* 

Vierzehnte, gänzlich umgearbeitete Auflage. 1911. gr. 8. Preis geb. 18 M. 

Die vorliegende neue Auflage ist auf Grundlage des neuen Deutschen Arznei¬ 
buches und der neuesten fremden Pharmakopöen mit Berücksichtigung der neuen Arznei¬ 
mittel ergänzt und vermehrt worden. Das Erscheinen dieser neuen Auflage der Arznei¬ 
verordnungslehre ist daher im ärztlichen Publikum allgemein freudig begrüsst 
worden. Dieselbe ist von Geh. Rat Ewald für den therapeutisch-klinischen Teil und 
von Geh. Rat Heffter* für den pharmakologischen Abschnitt neu uragearbeitet und durch 
einen Beitrag des Prof. Dr. Friedberger über „Sera therapeutica“ erweitert worden. 

Das Handbuch der Arzneiverordnungslehre ist dem praktischen Arzte 
vollkommen unentbehrlich geworden, da es mit seinen ausführlichen, nach den Krank¬ 
heiten und nach den Arzneimitteln geordneten, so praktischen Registern einem 
unzweifelhaften Bedürfnisse für die ärztliche Praxis vollkommen entspricht. 


Klinik der Nervenkrankheiten. 

Ein Lehrbuch für Aerzte und Studierende. 

Mit einem Vorwort von Prof. G. KLEMPERER. 

Von Dr. Leo Jacobsohn (Charlottenburg). 

Mit 367 Textfig. u. 4 Tafeln in Farbendruck. 1913. Preis brosch. 19 M., geb. 21 M. 

... Es ist ein verdienstvolles Unternehmen von Jacobsohn die reichen Erfahrungen, 
welche er am grossen neurologischen Material des Krankenhauses Moabit unter Anregung 
von Gofdscheider und G. Klemperer im eifrigen und jahrelangen Studium gesammelt hat, 
einem grösseren Kreise zugänglich zu macheu und als Niederschlag seiner Beobachtungen 
und Untersuchungen uns ein Werk vorzulegen, welches das Wort „Lehrbuch“ im besten 
Sinne des Wortes verdient. 

Aus der Praxis für die Praxis zu schreiben, ist dem Verfasser vortrefflich gelungen. 
Die Vermeidung alles Theoretischen, die Berücksichtigung der pathologischen Anatomie 
immer im Hinblick auf das klinische Verständnis, die starke und wohl gelungene Betonung 
des Klinischen und Therapeutischen sind ganz besondere Vorzüge dieses Buches. Aus¬ 
gezeichnet in seiner knappen, präzisen und klaren Darstellung finde ich den allgemeinen 
Teil mit der Darstellung der Untersuchungsmethoden, der allgemeinen Symptomatologie, 
Diagnostik und Therapie. Das Gleiche gilt vom speziellen Teile. Auch hier in jedem 
Kapitel eine gedrängte und doch eingehende Schilderung der verschiedenen Krankheits¬ 
bilder. Die'reichhaltigen, gut ausgewählten Abbildungen machen die Darstellung anschaulich 
und beleben sie. Die Verlagsbuchhandlung hat keine Opfer an der Ausstattung gescheut. 
Format und Druck sind von angenehmer Grösse und Form, die Abbildungen vorzüglich 
reproduziert. Geh. Med.-Rat Siemerling-Kiel. (Arch. f. Psych. u. Nervenkr., 52. Bd., H. 2.) 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSUM OF IOWA 



Inhalt 


Seite 


XX. Die operative Behandlung der supralaryngealen Pharynxstenose 
durch Pharyngotomia externa und Lappenplastik. (Aus der 
chirurgischen Universitätsklinik der Königl. Charite in Berlin. — 
Stellvertr. Direktor: Prof. Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen. 


(Mit 12 Textfiguren.) 


533 


XXI. Zur Technik der Schädelplastik. (Aus der Chirurg. Universitäts¬ 
klinik der Königl. Charite in Berlin. — Stellvertr. Direktor: Prof. 
Axhausen.) Von Prof. G. Axhausen. (Hierzu Taf. XX und 


XXI und 12 Textfiguren.) 


551 


XXII. Zur Kenntnis und operativen Behandlung des'multiplen cailösen 

Magengeschwürs. Von Dr. E. Liek. (Mit 5 Textfiguren.) . . 575 

XXIII. Leitungsanästhesie am Oberschenkel durch Infiltration des in- 
carcerierten Querschnitts. (Aus der chirurg. Abteilung des städt. 
Krankenhauses St. Georg in Leipzig und dem Reservelazarett II, 

1. Abteilung b.) Von Dr. R. Sievers. (Mit 2 Textfiguren.) . 595 

XXIV. Kriegsaneurysmen. (Aus der chirurg. Klinik, derzeit klin. Reserve¬ 
spital in Innsbruck. — Vorstand: Prof. Dr. H. v. Haberer, 
k. u. k. Oberstabsarzt 1. Klasse.) Von Prof. Dr. H. v. Haberer 611 


Einsendungen für das Archiv fiir klinische Chirurgie wolle 

man an die Adresse des Herrn Geheirarat Professor Dr. W. Kürte 
(Berlin W., Kurfürstenstrasse 114) oder an die Verlagsbuchhandlung 
Anglist Hirschwald (Berlin NW., Unter den Linden 68) richten. 


Druck von L. Schumacher io Berlin N. 4. 







Original from 

UNIVERSITY OF IOWA 












• Digitizes by 


Go igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA 





Digitized by 


Gck igle 


Original frnm 

UMIVERSITY OF IOWA