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Full text of "Archiv Für Klinische Chirurgie. V. 124.1923"

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ARCHIV 

FÜR 

KLINISCHE CHIRURGIE 

KONGRESSORGAN 

DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR CHIRURGIE 

BEGRÜNDET VON 

DR. B. VON LANGENBECK 

WEIL. WIRKL. GEH. RAT UND PROFESSOR DER CHIRURGIE 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

DR. W. KÖRTE DR. A. EISELSBERG 

PROF. IN BERLIN PROF. DER CHIRURGIE IN WIEN 

DR. 0. HILDEBRAND DR. A. BIER 

PROF. DER CHIRURGIE IN BERLIN PROF. DER CHIRURGIE IN BERLIN 

HUNDERTFÜNFUNDZWANZIGSTER BAND 

MIT 141 TEXTABBILDUNGEN 



BERLIN 

VERLAG VON JULIUS SPRINGER 

1923 


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Druck der Spamerschen Buchdruckerei in Leipzig 


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Inhaltsverzeichnis 


Seite 


Herzen, P. A. Zur Klinik des Fleckfiebers (Fleckfieberparotitis) .... 1 

Ellmer, Georg. Die anatomischen Grundlagen für eine wirksame Herz¬ 
beuteldrainage. (Mit 7 Textabbildungen).13 

Smfdt, Hans. Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen 
Magen über die sekretorische Arbeit der Magendrüsen nach den Re¬ 
sektionen Billroth I und II, sowie nach der Pylorusausschaltung nach 

v. Eiseisberg. (Mit 17 Textabbildungen) ..26 

Galpern, J. Resultate der Magenoperationen wegen Ulcus usw. 1908 

bis 1922 . .. 86 

Nordmann, E. Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür .... 92 

Sehmid, Hans Hermann. Cholelithiasis und Gravidität .121 

Rosenburg, Gustav. Eine ampullenartige Erweiterung des Cysticus. (Mit 

3 Textabbildungen).171 

Schaack, Wilhelm. Zur Frage der nichtparasitären Lebercysten .... 183 
Stahnke, Ernst. Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen (in Unter- 

franken). (Mit 5 Textabbildungen).193 

Volkmann, Job. Anatomische und experimentelle Beiträge zur konser¬ 
vativen Chirurgie der Milz (Gefäßverteilung und Gefäßunterbindung, 
Resektion und Regeneration der Milz). (Mit 16 Textabbildungen) . . 231 

Konrich, F. Über Nachsterilisierung von Catgut.275 

Ssoson-Jaroschewltsch. Die Analyse der Variationen des S romanum. 

(Mit 19 Textabbildungen).283 

Sofoteroff, S. Zur Frage der Ätiologie von intraabdominalen Erkrankungen. 

(Eiu Fall innerer Darmeinklemraung im Mesenterialdefekt.) (Mit 1 Text¬ 
abbildung) .324 

Fischer, Heinrich. Über die Wirkungen der Anionen J, CI und S0 4 sowie 
des Kations-Na auf das Granulationsgewebe (Versuche mit Jodonascin). 

(Mit 2 Textabbildungen).333 

Rieder, Wilhelm. Untersuchungsergebnisse über vorübergehende Glyko- 
surie bei chirurgischen Infektionen und colorimetrische Bestimmung 

der Wasserstoffionenkonzentration . . . . ..362 

Ruef, Herbert. Weiterer Beitrag zur klinischen Verwendung der Cutis- 

Subcutisverpflanzung. (Mit 7 Textabbildungen).366 

Blond, KaspeT. Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. (Mit 4 Text¬ 
abbildungen) .378 

Popow, W. J. Über Altersveränderungen der Rippenknorpel im Zusammen¬ 
hang mit Rippenknorpelentzündung nach Fleck- und Rückfallfieber. 

(Mit 9 Textabbildungen).392 

Walterhöfer und Schramm. Weitere Beobachtungen über Entmarkung 
von Röhrenknochen bei perniziöser Anämie. (Mit 7 Textabbildungen) . 407 

Kazda, Franz. Ungewöhnliche Lage einer beiderseitigen Hydrocele. (Mit 

2 Textabbildungen).414 


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IV 


Inhaltsverzeichnis. 


Seite 


Haberland, H. F. 0. Cholelithiasis.417 

Helling, G. Zur Totalresektion des carcinomatttsen Magens.458 

Girgensohn, R. Zur Kasuistik der akuten Magendilatation ..463 

Wiemann, Otto. Beitrag zur Kasuistik des angeborenen, nicht einge¬ 
klemmten, falschen Zwerchfellbruches.471 

v. Liebermann, Theodor. Wirkungsweise der wässerigen Sulfosalicylsäure- 
Lösungen auf gesundes und krankes tierisches Gewebe. (Experimentelle 

und klinische Studie).482 

Waleker, F. Die Grundtypen der Form und der Lage der Bauchorgane 

des menschlichen Körpers. (Mit 7 Textabbildungen) ........ 490 

Knprijanoff. Über die Lage des Colon transversum. (Mit 1 Textabbildung) . 518 
Kuprljanoff, Peter. Die Bedeutung der anatomischen Verhältnisse in der 
Pathologie und Chirurgie des Colon transversum. Ihre Rolle in der 
Bildung des Ileus.535 


von Tak&ts, G. Über die Wirkung intravenöser Urotropineinspritzungen . 544 
Palugyay, Josef. Die Oesophago-ßastro-Anastomose nach Heyrovsky im 
Röntgenbild. (Ein Beitrag zum funktionellen Verhalten der Speiseröhre 
und des Magens nach der Operation.) (Mit 3 Textabbildungen) . . . 554 
Demel, Rudolf. Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis unter dem 
Bilde des Hirntumors und ein Beitrag zu ihrer Ätiologie. (Mit 3 Text¬ 


abbildungen) .561 

Deucher, G. Walter. Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis 

und Sepsis.578 

Llek, E. Ü ber die chronisch-rezidivierende Appendicitis.597 

Magnus, Georg. Über den Vorgang der Blutstillung. (Mit 1 Textabbil¬ 
dung) .612 

Kosyrew, A. A. über den Darmwandbruch. (Mit 5 Textabbildungen). . 625 

Melchior, Eduard. Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. (Mit 

1 Textabbildung).633 

Kroll, Fritz. Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen an unserer Klinik 
während der letzten 10 Jahre unter besonderer Berücksichtigung der 

Resektionen..681 

Stegemann, Hermann. Die chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalk¬ 
ablagerungen. (Mit 8 Textabbildungen).718 

Haller, Edmund. Zur Verwertung der Senkungsgeschwindigkeit der Blut¬ 
körperchen in der chirurgischen Diagnostik.739 

Hübener, H. Die Zerreißung des Kniescheibenbandes. (Mit 2 Textabbil¬ 
dungen) .744 

Fischer, A. W. Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie, ihre Patho¬ 
genese und zweckmäßige Therapie. (Mit 2 Textabbildungen) .... 749 
Erlaoher, Philipp. Gabelhand bei kongenitaler Lues. (Beiträge zur Ent¬ 
stehung der Madelungschen Deformität.) (Mit 9 Textabbildungen) . . 776 
Autorenverzeichnis.. . . 790 


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(Aus der Chirurgischen Klinik der Medizinischen Hochschule in Moskau [fr. Vorst.: 

Prof. P. Herzen].) 

Zur Klinik des Fleckfiebers. 
Fleckfieberparotitis 1 ). 

Von 

Prof. P. A. Herzen, Moskau. 

(Eingegangen am 7. Dezember 1922.) 

Als eine der häufigsten Komplikationen beim Fleckfieber — ca. 16% 
sämtlicher chirurgischen Komplikationen — präsentiert sich die Er¬ 
krankung der Ohrspeicheldrüse, nur die Haut- und Extremitätengangrän 
übertreffen sie an Häufigkeit. Während der Pandemien der letzten Jahre 
1918—1921 wurden fast 2% sämtlicher Fleckfieberkranken von der 
Parotitis betroffen*). 

Zwar finden wir diese Komplikation auch bei anderen Infektions¬ 
krankheiten, wie z. B. beim Abdominalis, Scharlach, Pneumonie, Sepsis 
usw., hier aber erhält sie ein derartiges charakteristisches Aussehen und 
systematisches Auftreten, daß wir mit einem gewissen Recht von einer 
Fleckfieberparotitis reden dürfen. 

Ihr Beginn fällt gewöhnlich auf das Ende der zweiten und den Beginn 
der dritten Krankheitswoche, etwa auf den 12. bis 16. Krankheitstag; 
häufiger ist sie einseitig, seltener doppelseitig, und wir sehen die um 
diese Zeit schon im Abfallen begriffene Temperatur wieder in die Höhe 
schnellen, wobei sie mitunter recht hohe Grade erreicht. 

Das ganze Krankheitsbild entwickelt sich verhältnismäßig recht 
schnell; gleich nach dem Auftreten der Schwellung in der Parotisgegend 
wird schon der Mund mit Mühe geöffnet, der Kauakt ist bedeutend 
erschwert und schmerzhaft, die Kranken, durch den vorhergegangenen 
Allgemeinprozeß abgeschwächt, machen einen schweren Eindruck, der 
noch duroh die subjektiven Klagen über Schmerzen bei Bewegungen im 
Unterkiefergelenk, in der betreffenden Kopfhälfte, durch die kläglich 
gepreßte Stimme, mit der diese Klagen hervorgebracht werden, bedeu¬ 
tend erhöht wird. 

x ) Vortrag, gehalten in der Moskauer Chirurgischen Gesellschaft 27. VI. 1921. 

*) Die statistischen Angaben sind der Arbeit des Ass. der Klinik Dr. Herzen¬ 
berg „Über chirurgische Pieckfieberkomplikationen“ entnommen. Arch. f. klin. 
Chirurg. 119 , Heft 2. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 

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2 


P. A. Herzen: 


Die Ohrspeicheldrüse ist im anatomischen Sinne recht tief im Gewebe 
der seitlichen Gesichtshälfte eingelagert; ihr Körper füllt den ganzen 
Raum vom hinteren Rande des Masseter bis zumSterno-cleido-mastoideus 
aus; mit ihrem oberen Fortsatz bedeckt sie den auf steigenden Unterkiefer¬ 
ast, ihr hinterer Fortsatz füllt den engen Raum aus, der vorne vom 
hinteren Rande des aufsteigenden Unterkieferastes und dem inneren 
Muse, pterygoideus begrenzt wird, hinten vom vorderen Rande des 
Proc. mastoideus und oben von der Pars tympanica ossis temp. und dem 
äußeren Gehörgang. Vom Drüsenkörper geht ein zugespitzter Ausläufer 
nach innen zum Pharynx hin, der sogenannte pharyngeale Parotisfortsatz. 
Die Drüse selbst ist außen von der Haut und der äußerst derben Fascia 
parotideo-masseterica bedeckt und abgegrenzt; außerdem ist sie von 
allen Seiten von Fascienblättchen eingeschlossen, die eine regelrechte 
Kapsel bilden. 

Aus dieser Topographie ist es .ersichtlich, daß eine unmittelbare In¬ 
fektion, ohne eine äußere Verletzung, nicht in die Ohrspeicheldrüse 
gelangen kann. Die Wege, die die Bakterien zu ihrem Eindringen in 
die Drüse nehmen können wären denkbar folgende: 

1. durch den Blutstrom, 

2. durch die Blutgefäße, 

3. durch die Lymphgefäße, 

4. durch den Ausfuhrsgang der Drüse. 

1. Das Eindringen von Bakterien in die Parotis auf dem hämato¬ 
genem Wege ist theoretisch nicht ausgeschlossen; es braucht nur irgend¬ 
ein Defekt im Organismus die Eingangspforte für die Infektion abzugeben, 
um den Bakterien den Weg in den Blutstrom freizugeben; dort einge¬ 
drungen vermehren sie sich und müssen bei der Entwicklung eines 
pyämisch septischen Prozesses aus noch nicht geklärten Gründen eben 
in den Capillaren einer der Ohrspeicheldrüsen Platz nehmen. 

Hierbei ist es gerechtfertigt, der Tatsache Erwähnung zu tun, daß bei der 
eitrigen metastatischen Nephritis in der Regel beide Nieren affiziert werden, im 
Gegensatz zur Pyelonephritis ascendens. 

Diese theoretischen Auseinandersetzungen sind voll von unbewiese¬ 
nen Behauptungen; in der Wirklichkeit sind im mikroskopischen Präpa¬ 
rate einer vulgären eitrigen Parotitis die Bakterien weder in den Capil¬ 
laren noch in dem sie unmittelbar anliegenden Gewebe (Nicol fand sie 
sogar nicht in den Endalveolen der Drüse, sondern in Haufen, in den 
Lumina der alveolären Verzweigungen der Drüse) anzutreffen (Orth, 
Nanau, Pillieb, Müller u. a.). 

In einem von mir mikroskopisch untersuchten Falle konnte ich nekrotische 
Veränderungen und Zerfall des Drüsenepithels beobachten; im interstitiellen 
Gewebe waren unbedeutende sekundäre Veränderungen in Form von Odem, 
Hyperämie, und einer geringen leukocytären Infiltration zu bemerken. 


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Zur Klinik des Pieckfiebers (Parotitis). 


3 


Die Einfachheit des Mechanismus der hämatogenen Infektion und 
die Klarheit der embolischen Prozesse sprechen für sie, und es ist wohl 
möglich, daß auf diesem Wege eine Erkrankung der Drüse zustande 
kommen kann, um so mehr, als zuweilen beim Abdominalis im Parotis- 
gewebe Typhusbacillen ( Iwanotvskie) oder bei der Pneumonie Diplo¬ 
kokken ( Duplay ) nachgewiesen wurden. Es fehlt jedoch in der weitaus 
größten Zahl der Fälle der Beweis, daß sich die Parotitis auf hämato¬ 
genem Wege entwickele, um so mehr, als das pathologisch-anatomische 
Bild dagegen spricht. 

2. Eine weitere Annahme wäre, daß die Infektion auf dem 
angiogenen Wege durch die Blutgefäße übertragen werde. Diese An¬ 
sicht stützt sich auf die reichhaltigen Venenplexus, die die Drüse 
umgeben; vorn und außen befindet sich das der Vena facialis ant. 
zugehörige Netz mit ihren zahlreichen Verzweigungen, im Inneren der 
Drüse, zwischen derselben und dem Pharynx befindet sich der Plexus 
pterygoideus. 

Alle Venengruppen anastomisieren miteinander. Daraus wäre es 
ersichtlich, daß ein infizierter Thrombus die Infektion auf das Drüsen¬ 
gewebe selbst übertragen kann. Diesen Infektionsweg absolut auszu¬ 
schließen, ist wohl nicht möglich, jedoch gelang es mir persönlich in 
keinem der von mir operierten zahlreichen Fälle, diese scheinbar charak¬ 
teristische Thrombose zu finden; die Venen bluteten beim Durchschnei¬ 
den; gab es venöse Thromben, so waren sie nur in den Venen, die inner¬ 
halb der Drüse gelagert waren, d. h. in solchen, auf deren Wände sich 
der reaktive Prozeß des Drüsenparenchyms verhältnismäßig leicht ver¬ 
breiten konnte. Somit spielt der angiogene Weg wohl nicht die 
herrschende Rolle in der Entwicklung des Krankheitsprozesses der Ohr¬ 
speicheldrüse. 

3. Die auf dem lymphatischen Wege erfolgte Infektion genügt schon 
mehr der logischen Kritik als die vorigen Wege, jedoch auch hier stoßen 
wir auf neue Hindernisse. 

Die Lymphdrüsen der Parotis sind entweder oberflächlich oder tief 
in das Drüsengewebe eingelagert. Die Lymphgefäße der Zunge, über¬ 
haupt die des Mundes und der Nase ergießen sich in die Lymphdrüsen 
des Trigonum submaxillare und in die oberflächlichen und tiefen Hals- 
lymphdrüsen; nur die Lymphgefäße eines kleinen Teils der Schleimhaut 
des Nasenrachenraumes ergießen sich oder kommunizieren mit den tiefen 
Parotisdrüsen. 

Wir ersehen aus der Topographie dieser Lymphbahnen, daß es kaum 
anzunehmen ist, daß die Infektion durch das Lymphsystem in die Parotis 
gelangen kann, denn sonst wäre es schwer verständlich, warum die 
Lymphdrüsen der Parotis, welche am wenigsten Lymphe von der 
Schleimhaut der Gesichtshöhlen erhalten, vereitern. 

1 * 


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4 


P. A. Heizen: 


Andererseits ist es klinisch festgestellt, daß die Parotitis des Fleck¬ 
fiebers gewöhnlich diffus beginnt, gleichsam aus den tiefer gelegenen 
Teilen, und daß sie sich um so häufiger entwickelt, je exakter die mecha¬ 
nische Mundpflege durchgeführt wird. Diese Beobachtung wurde nicht 
nur in unserer Klinik, sondern auch in größeren hiesigen Krankenhäusern 
gemacht. Dieser Umstand veranlaßt uns, der Bedeutung der Lymph- 
wege bei der Infektion der Ohrspeicheldrüse gegenüber etwas zurück¬ 
haltend zu sein. 

4. Es bleibt uns noch der letzte Weg — der Ductus parotideus. 
Dieser Weg scheint uns der natürlichste, und sprechen die meisten Tat¬ 
sachen für ihn; jedoch auf diesem Wege stehen eine ganze Reihe von 
Fragen, die einer Erledigung bedürfen. < 

a) Warum ist die Parotitis so charakteristisch für das Fleckfieber 
und kompliziert nur in selteneren Fällen andere Infektionskrankheiten ? 

b) Warum infiziert sich beim Fleckfieber die Ohrspeicheldrüse, wäh¬ 
rend die anderen Speicheldrüsen intakt bleiben, jedenfalls nur selten 
ergriffen werden ? 

Zur Erklärung der ersten Frage können die Gefäß Veränderungen im 
Sinne einer herdigen Endovasculitis oder Thrombovasculitis exanthe- 
matica ( Dawydotvskie , Abriko&soff, FraenJcel) herangezogen werden. 
Diese Gefäßveränderungen sind allgemeinen Charakters, die Parotitis 
wird aber am häufigsten einseitig beobachtet, folglich gibt es noch 
andere Faktoren. 

Bekanntlich hat die Erkrankung der Ohrspeicheldrüse keinen Platz, 
solange die Sekretion der Drüse normal verläuft, wird aber diese Funk¬ 
tion reduziert oder aber sistiert, so werden damit günstige Verhältnisse 
zum Vordringen von Bakterien aufwärts in den Ausfuhrsgang zum Paren¬ 
chym hin geschaffen (v. Preuschen, Berth u. a.). Es gelingt zuweilen, bei 
Fleckfieberkranken durch Druck auf den Ductus parotideus aus dessen 
Ausfuhrsgang einige Tropfen schleimig-eitrigen Inhalts zu entleeren. 

Die große Trockenheit der Zunge resp. der Mundhöhle, auf der Höhe 
der Erkrankung beim Fleckfieber, weist auf eine Verminderung der 
Speichelsekretion hin, obgleich auch diese Trockenheit in einer gewissen 
Abhängigkeit von der beschleunigten und noch dazu Mundatmung 
stehen kann. 

Die phylogenetische und physiologische Bedeutung der Ohrspeichel¬ 
drüse bei Wirbeltieren steht in enger Verbindung mit dem Kauakt, 
mithin fehlt auf der Höhe der Erkrankung beim Fleckfieber einer der 
wichtigsten Reflexe für diese Drüse, die sie zur Sekretion veranlaßt, da 
die Kranken in diesem Zustande keine festen Speisen zu sich nehmen 
und der Kauakt ausfällt. 

Eine jede Drüsensekretion hängt von der Tätigkeit der vasomotori¬ 
schen und sekretorischen Nerven ab. Erstere gelangen an die Parotis 


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Zur Klinik des Fleckfiebers (Parotitis). 


5 


vom obersten Halsteil des sympathischen Nerven und dessen Ganglion 
durch den Plexus carotideo-sympathicus, die letzteren aus zwei Quellen: 
die Hauptmasse ist der typische Teil des 9. Gehirnpaares; die im sym¬ 
pathischen Stamme befindlichen sekretorischen Nerven haben eine ge¬ 
ringere Bedeutung. Bezüglich der Fasern der wichtigsten sekretorischen 
Wege, so gelangen sie zur Drüse vom Glosso-pharyngeUs durch den 
N. Jacobsonii und den N. petrosus sup. minor durch das Ganglion oticum 
und durch Anastomosen.mit dem N. auriculo-temporalis, letzterer über¬ 
gibt sie der Drüse. Die feinsten Endigungen des einen und anderen 
Systems versehen ein und dieselben Drüsenzellen. Es erweist sich nun, 
daß das Drüsensekret, welches durch eine Reizung des N. glosso-pharyn- 
geus erhalten, durch eine Reizung des Sympathicus reduziert wird, resp. 
sistiert (Czermak, Moral). 

Die klinische Beobachtung am .Krankenbette zeigt, wie ich auch 
hervorzuheben Gelegenheit hatte, die ungemein wichtige Bedeutung, 
welche das sympathische Nervensystem bei der Entwicklung unseres 
Krankheitsbildes besitzt. Diese Bedeutung ist besonders hervortretend 
in dem Gebiete, welche sich unter dem Einflüsse des Halsplexus des 
Sympathicus befindet, sowohl im Anfangsstadium der Erkrankung 
( Dawydouxkie) wie auch bei den späteren schweren Krankheitssym¬ 
ptomen ( Virchow ); es handelt sich hauptsächlich um Abweichungen von 
den normalen Vorgängen der vasomotorischen Funktion im Gebiete der 
Haut, der Gesichtsorgane (Nasenrachenraum) und im Haupthirn 
( Pleinjeff ). 

Die erwähnte Funktionsstörung der sympathischen Innervation muß 
mit den nachgewiesenen Veränderungen in den Sympathicusganglien, im 
Sinne deren Infiltration (besonderen Charakters beim Fleckfieber) in 
Verbindung gebracht werden. Daraus läßt sich nun leicht die Folgerung 
ziehen, daß eine Verminderung der Sekretion der Ohrspeicheldrüse in 
vielem von einer Reizung der sympathischen Nerven und von einer 
anormalen vasomotorischen Funktion im Organismus selbst abhängt. 

Dem Chirurgen sind diejenigen Parotiden, die sich nach Laparoto¬ 
mien, hauptsächlich nach intraperitonealen Operationen der weiblichen 
Genitalsphäre entwickeln, wohl bekannt. Diese Komplikation ent¬ 
wickelt sich allem Anscheine nach hauptsächlich dank der Tätigkeit 
des sympathischen Nervensystems auf die Vasomotoren der Drüse 
(Möricke, Payet, Bunorn, Ferrier, Schavta, Everlce, Keü, Pawloff u. a.). 
Die Blutzirkulation in der Drüse ist um so mehr gestört, da außer dem 
Gesagten es hier noch Gefäßveränderungen auf Grund der Fleckfieber¬ 
erkrankung gibt. 

Sobald die Speichelsekretion sistiert, läßt auch die bakterielle Infek¬ 
tion nicht auf sich warten und verbreitet sich aus der Mundhöhle längs 
des Ausfuhrgangs zu den Verzweigungen desselben und zum Drüsen- 


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P. A. Herzen: 


parenehym. Der Widerstand, den das letztere der Infektion leisten 
könnte, ist jetzt durch die Verminderung des Blutzuflusses zum selben, 
eine direkte Folge der Sympathicusreizung und von resultierendem Sauer¬ 
stoffmangel, geschwächt. Die Infektion verbreitet sich jetzt auf die 
Blut- und Lymphgefäße, auf das interstitielle Gewebe und schließlich 
auf die die Drüse durchziehenden Nervenverzweigungen. 

Der stomatogene Weg der Infektion der Speicheldrüse wird noch 
dadurch erleichtert, daß eine der wichtigsten Funktionen des Speichels, 
die Mundhöhle zu umspülen und der Zunge die Möglichkeit zu geben, 
eine zarte mechanische Reinigung voizunehmen, beim Fleckfieber dar¬ 
niederliegt und damit der Mundflora ein weiter Spielraum zur Entwick¬ 
lung geboten wird. Endlich ergaben noch die bakteriellen Untersuchun¬ 
gen des Eiters, gleich nach der Incision der Wunde entnommen, daß die 
Krankheitserreger der Parotitis gewöhnliche Eiterbakterien sind; in 
4 Fällen fand ich Streptokokken, in 2 Fällen Staphylokokken, die augen¬ 
scheinlich aus der Mundhöhle stammten. Wir wissen, daß bei der genu¬ 
inen eitrigen Parotitis am häufigsten Staphylokokken gefunden werden. 

Angenommen, daß die Infektion per os unter allen oben angegebenen 
verschiedenartigen Bedingungen die wahrscheinlichste ist, so erscheint 
es doch auf den ersten Blick eigentümlich, warum denn die anderen 
Speicheldrüsen nicht so häufig auf diesem Wege affiziert werden. Die 
Voraussetzung, daßdieCarunculasublingualis durch die Zunge geschützt 
ist, während der Ausfuhrgang der Parotis frei daliegt, klärt sehr wenig 
diese Frage, da die Bakterien in den verschiedenen sublingualen Ver¬ 
tiefungen und Spalten ein Unterkommen, genügend zu einer ruhigen 
' und für sie ersprießlichen Vermehrung, finden. Allem Anscheine liegt 
hier das Wesen in der Eigenschaft des Speichels der submaxillären und 
sublingualen Drüsen. Bekanntlich dient der Speichel der Parotis zur 
Verflüssigung der Speise während des Kauakts, während der der anderen 
mehr Klebmaterial abgibt, um den Bissen zu formen, um ihn dann 
formgerecht in die Speiseröhre za befördern. Das Sekret der Ohrspeichel¬ 
drüse ist dünnflüssig, enthält keinen Mucin, während die Sublingualis 
und Submaxillaris ein zähes, klebriges, in großer Menge Mucin enthal¬ 
tendes Sekret absondem. Histologisch hängt dieser Vorgang davon ab, 
daß die Parotis ausschließlich Eiweißzellen enthält, während die beiden 
anderen zur Gruppe der Mischdrüsen gehören und sowohl Eiweiß wie 
Schleimzellen enthalten. 

Im Speichel der Parotis haben die Bakterien die volle Bewegungs¬ 
freiheit, während sie in den anderen durch den zähen Schleim daran ge¬ 
hindert sind; außerdem besitzt das Mucin nach Nicol gewisse bactericide 
Eigenschaften. Der Fermentgehalt im Speichel der einen oder anderen 
Drüse spielt allem Anscheine nach keine Bolle in der Ätiologie der 
Parotitis. 



Original frum 

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Zur Klinik des Fleckfiebers (Parotitis). 


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Gleich nach dem Eindringen der Infektion bis zum Parenchym be¬ 
ginnt die Drüse zu schwellen und zeigt alle übrigen Symptome eines 
reaktiven Vorgangs, einer Entzündung. Diese Erscheinung steigt im 
Verlaufe von 5—8 Tagen crescendo an, bis schließlich eine eitrige Ein¬ 
schmelzung des Drüsengewebes vor sich geht und resultatlich ohne 
Kunsthilfe ein Durchbruch des Eiters irgendwohin nach außen statt¬ 
finden muß. 

Im letzteren Falle ist es interessant, den Weg des Durchbruches zu 
verfolgen. Wie ich schon vorher erwähnte, bildet sioh die Parotiskapsel 
aus mehreren derben Fascienblättchen, die aber zwei schwache Puhkte 
besitzen. Der erste befindet sich oben am pharyngealen Fortsatze der 
Drüse, welcher sich längs dem M. stylo-hyoideus und stylo-glossus hin¬ 
zieht. Hier befindet sich in der Fascienkapsel eine Lücke, die eine 
Kommunikation zwischen dem Drüsenbett und dem ihm immittelbar 
anliegenden Gewebe des Gefäß- und Nervenbündel des Halses herstellt. 
Der Eiter kann sich nur durch diese Öffnung leicht einen Weg in das der 
Parotis anliegende Gewebe bahnen, welcher sich längs den Halsgefäßen 
ununterbrochen zum Mediastinum hinzieht. Eine solche Parapharyn¬ 
gitis kompliziert sich sehr leicht durch ein ödem des Pharynx und 
Larynx, das durch Schluck- und Atmungsbeschwerden dokumentiert 
wird. 

Wir sehen also, daß die Infektion dej der Parotis anliegenden Gewebes 
ein sekundärer Vorgang ist, während primär eine Erkrankung der 
Drüsensubstanz vorliegt. 

Rosenberg und Nikitin sehen diese Erkrankung anders an; sie nehmen 
an, daß eine primäre Retromaxillitis und Periparotitis beim Fleckfieber 
eine Infektion des Drüsenparenchyms zur Folge haben; die retromandi- 
bulären Lymphdrüsen erkranken also primär, auf welchem Wege, geben 
aber diese Autoren nicht an. Rosenberg spricht auch noch von einer 
„Hospitaltropfinfektion“, ohne aber näher auf diese Frage einzugehen. 

Der zweite schwache Punkt der Drüsenkapsel befindet sich längs 
der unteren Oberfläche des äußeren Gehörganges. Letzterer teilt sich 
in einen knorpeligen Teil, der */ 3 desselben, und einen knöchernen, der 1 / 3 
desselben einnimmt. Der vordere und hintere Teil des Kapselblattes 
geht nach oben bis zu den entsprechenden Teilen des Pars thympan. 
über, weiter jedoch bedeckt er nicht völlig die Drüse und geht im Gegen¬ 
teil auf das Periost des Pars thympan. oss. temp. und Perichondrium 
des unteren halbrunden Knorpelteils des Gehörgangs über; folglich kann 
nun der Eiter in der Gegend der äußeren */ 8 des Gehörgangs leicht einen 
Weg in diesen Kanal finden, um so mehr, als der Knorpel hier kein ge¬ 
schlossener ist, sondern Defekte besitzt, jedoch bahnt der Eiter sich 
nicht einen Weg in das Mittelohr resp. Trommelhöhle (wie zuweilen 
angenommen wird), da dieser Weg durch eine Knochenplatte geschützt 


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8 


P. A. Herzen: 


ist. Der durch den äußeren Gehörgang nach außen gelangende Eiter 
ruft in der Mehrzahl der Fälle keine entzündliche Reaktion von seiten 
des Mittelohres hervor, eine Erkrankung, die bei der Fleckfieber- 
parotitis von anderen Ursachen abhängig ist. 

Zuweilen kommt es bei den Prozessen in der Ohrspeicheldrüse nicht 
bis zu einer eitrigen Einschmelzung, sondern die Erscheinungen gehen 
allmählich zurück, das Infiltrat resorbiert sich, und im Verlaufe von 
10—15 Tagen sehen wir wieder normale Verhältnisse an der Parotis, 
ein Vorgang, den ich in vielen Fällen beobachten konnte. 

Vom Zentrum der Parotis aus kann sich der Prozeß auch weiter 
verbreiten, und zwar auf die die Drüse durchsetzenden Venen: hierbei 
wird außer der sekundären Thrombophlebitis, über die wir vorher ge¬ 
sprochen haben, und die den Beginn eines septischen Prozesses abgeben 
kann, eine Erweichung der Gefäßwände, BOgar eine Zerstörung der¬ 
selben beobachtet. 

Von Interesse ist die Übertragung des Entzündungsprozesses auf die 
Nervenverzweigungen. Die Parotitis kompliziert sich häufig mit einer 
Parese oder Paralyse der Gesichtsnerven, deren Zweige das Drüsen¬ 
parenchym durchziehen. Eine periphere Paralyse stellt nichts Beson¬ 
deres dar, folgenreich ist die Erkrankung des zentralen Nervenabschnit¬ 
tes. Ich hatte Gelegenheit, einige schwere Fälle von Fleckfieberparotitis 
zu beobachten, die mit einer Paralyse des weichen Gaumens und allen 
daraus resultierenden Folgen einhergingen. Diese Vorgänge beginnen 
zuweilen nach der Intoxikationsperiode der Medulla oblongata, die auf 
der Höhe der Erkrankung vor sich geht; folglich konnte hier von an¬ 
dauernden Begleiterscheinungen keine Rede sein, meiner Meinung nach 
hat dieses Symptom folgenden Boden: Die Neuritis der Gesichtsnerven 
schreitet zum zentralen Teil des Nerven, zum mindesten bis zum Facialis- 
knie über; hier aber entspringt der N. petrosus superficialis major, 
der als Hauptbestandteil des N. vidianus in die Substanz des Gangl. 
sphenopalatinum fällt; unter den aus diesem austretenden Zweigen be¬ 
finden sich auch motorische Fasern für die Uvula und für die Heber des 
weichen Gaumens; parallel verlaufen aus dem N. petros. minor und 
Gangl. otic. Zweige, die den Tensor veli palatini inner vieren. Auf 
diesem Wege, kommt nun infolge einer entzündlichen Degeneration 
des Gesichtsnerven und dessen erwähnter Zweige, eine Paralyse des 
weichen Gaumens zustande. 

In einigen Handbüchern der Anatomie finden wir die Angaben, daß 
die Heber des weichen Gaumens und die Uvulamuskulatur ihre Inner¬ 
vation vom Vagus erhalten: die Tatsache jedoch, daß sie bei einer Neu¬ 
ritis ascendens des Stammes des Gesichtsnerven paralysiert werden, und 
daß die Muskeln sich auf dem Territorium entwickeln, das aus dem 
zweiten Kiemenbogen hervorgeht, aus dem sich hauptsächlich der 


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Zur Klinik des Fleckfiebers (Parotitis). 


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Gesichtanerv verzweigt, veranlaßt die Annahme, daß die vorher oben 
angegebene Innervation mehr für sich hat, und daß die Komplikation 
sich auf dem von mir angegebenen Wege abspielt. Diese Auseinander¬ 
setzung findet ihre Bestätigung darin, daß eine zentripetale Erkrankung 
des Gesichtsnerven bei der Parotitis eine der Ursachen für die Erkrankung 
des Mittelohres ist, dank der Kommunikation der Höhle desselben mit 
dem Canalis Fallopii durch die Canaliculi chordae tympani und stapedii. 

Wie wir aus diesen Auseinandersetzungen ersehen, präsentiert sich 
die Parotitis als eine schwere Komplikation des Fleckfiebers. Die frühe 
sogenannte symptomatologische Parotitis, die sich auf der Höhe der 
Erkrankung entwickelt, gibt eine ungünstige Prognose, infolge der all¬ 
gemeinen Schwäche der Patienten und der ansteigenden Infektion. Die 
nach der Krisis oder Lysis einsetzende Parotitis wird bei weitem häufiger 
angetroffen und ist die typische Komplikation des Fleckfiebers; pro¬ 
gnostisch ist sie bedeutend günstiger als die Fxühparotitis. Von den 
64 Fleckfieberparotiden, die wir in unserer Statistik besitzen, hatten 
wir 2 Todesfälle, einer von diesen war eine beiderseitige; von den Früh- 
parotiden gingen alle Patienten zugrunde, die ich zu beobachten Gelegen¬ 
heit hatte. 

Die Behandlung der Parotitis zerfällt in drei Momente: 1. die Prophy¬ 
laxis, 2. die sich gegen die entwickelnde Parotitis richtende Therapie, 
3. der Eingriff bei der sich etablierten Parotitis. 

Wenn hier von einer Prophylaxe die Rede ist, so versteht man gewöhn¬ 
lich darunter die sorgfältige Pflege der Mundhöhle während der All¬ 
gemeinerkrankung. Es werden eine ganze Reihe von Maßnahmen an¬ 
gegeben, wie systematische mechanische Reinigung der Mundschleim¬ 
haut und Zunge, häufiges Bürsten der Zähne usw. Nicht nur meine 
persönlichen Beobachtungen, sondern auch die von vielen anderen 
hiesigen Ärzten war die, daß diese mechanischen Reinigungen nicht 
die Parotis verhüten, sondern provozieren. Bei Kindern ist die Parotitis 
gleichwie andere Komplikationen sehr selten, weniger häufig ist sie bei der 
Landbevölkerung und den Soldaten, häufiger bei den Städtern und am 
häufigsten bei intelligenten Fleckfieberkranken anzutreffen. Diese Beo¬ 
bachtung lehrt uns folglich, daß von einer mechanischen Reinigung wie 
auch von der Zahnbürste Abstand zu nehmen ist. 

Wie wir schon oben gesehen haben, entwickelt sich die Infektion 
im Ductus parotideus dann, wenn die Sekretion der Drüse sistiert. folg¬ 
lich besteht die prophylaktische Aufgabe in einer Steigerung der Diüsen- 
tätigkeit. Pawloff lehrt, daß von der Mundhöhle aus bedingte und 
unbedingte Reflexe auf die Speichelabsonderung losgelöst werden kön¬ 
nen. Letztere beruhen hauptsächlich auf einer Reizung der Mund¬ 
schleimhaut, hauptsächlich durch schwache säuerliche Lösungen, weniger 
akut sind diejenigen Reflexe, die durch eine mechanische Reizung der 


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P. A. Herzen: 


Schleimhaut heivorgerufen werden. Die Gingiva ist hiervon ausge¬ 
schlossen, da sie keine reflektorischen Reflexe auslösen kann ( Pawloff , 
Heymann, Balekin). 

Von diesen physiologischen Prinzipien ausgehend dürfen wir an¬ 
nehmen, daß die Pflege der Mundhöhle bei Fleckfieberkranken nur in 
einer besonders zarten Reinigung der Zunge und des Vestibulum oris 
mit dem Finger oder Spatel, der mit einem in leichte säuerliche Lösungen 
durchtränkten Wattebausch armiert ist, bestehen darf, wie dieses nach 
Küttner schon lange von Philipps und Silcock empfohlen wurde. 

Salzsäure ist ein annehmbares Präparat, jedooh ruft nach Balekin 
ein anhaltender Gebrauch desselben eine Schleimhautreizung hervor; 
von Wagner wird daher eine schwache Citronensäurelösung warm em¬ 
pfohlen. 

Solange die Fleckfieberpatienten imstande sind, selbst die Mund¬ 
spülungen vorzunehmen, sind Lösungen von Borsäure und Pfefferminz 
zu verordnen. Natürlich kann durch die sorgfältigste Mundpflege eine 
Parotitis nicht verhütet werden. 

Schon in den ersten Tagen des Beginns des Prozesses in der Parotitis 
ist eine starke Schmerzhaftigkeit, in dieser Gegend zu verzeichnen; hier 
sind in erster Linie Prießnitz und Wärme anzuwenden; gelingt es mit all 
diesen Maßnahmen — zarte Mundpflege mit Säurespülungen, Umschläge 
(Prießnitz), Wärmeapplikationen — die Drüsentätigkeit herzustellen, 
dann kann dem Entzündung-prozeß resp. der Entwicklung desselben 
Einhalt getan werden. 

Dieser günstige Ausgang kommt leider nicht häufig vor, kommt es 
aber zu einer Resorption, so ist wahrscheinlich außer der Therapie noch 
eine unvollkommene Virulenz der Bakterienart, die die beginnende 
Parotitis nicht entflammen läßt, vorhanden. 

Falls bei der Palpation des Infiltrates das Gefühl einer tiefen Fluktua¬ 
tion erhalten wird, d. h. wenn schon in der Tiefe die Verflüssigung des 
Gewebes begonnen hat, so ist der geeignete Zeitpunkt zur Incision 
gegeben. Ich spreche mich nicht für Frühoperationen aus und führe die 
Incisionen in solchen Fällen nur als Entspannungsschnitte aus. Die 
Frühoperationen geben keine Garantie dafür, daß weitere Eingriffe un¬ 
nötig werden, außerdem gibt sie eine Prädisposition zur späteren Bildung 
von Speichelfisteln. 

Nicol weist schon darauf hin, daß bei der Eröffnung der einzelnen 
Eiterherde in der Frühperiode häufig das gesunde Gewebe in der Schnitt¬ 
linie mitgenommen wird und dieser Umstand zur Verbreitung des Pro¬ 
zesses dienen kann. 

Es ist also am günstigsten, den Operationstermin bis zu dem Moment 
hinauszuschieben, wo eine Tiefenfluktuation festgestellt ist. In meinen 
Fällen gelang es mir, die operative Behandlung ohne Fistelbildung zu 


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Zur Klinik des Fleckfiebers (Parotitis). 


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Ende zu führen. Die Fälle von Fistelbildungen, die mir zu Gesicht 
kamen, hatten Frühoperationen zur Anamnese. In typischen Fällen ist 
die Fluktuation am aufsteigenden Unterkieferast und am Angul. mandi- 
bulae zu finden. 

Die Schnitte müssen den Facialis schonen, die Art. temporalis, die 
Ausfuhrgänge der Drüsenlappen, und ferner müssen sie einen freien 
Zugang zum tiefen Pharynxfortsatz der Drüse schaffen. 

Als Narkose ist der Ätherrausch völlig genügend. 

Der erste Schnitt hat eine vertikale Richtung parallel der Art. 
temporalis und dem N. auriculo temporalis, etwa fingerbreit vom inneren 
Ohrrand entfernt. Dieser Schnitt darf keineswegs nach unten tiefer als 
die Anheftungsstelle der Ohrmuschel geführt werden, denn hier beginnt 
der Facialis mit seinen Ästen. Der zweite Schnitt wird am hinteren 
Unterkieferwinkel, schräg von oben nach unten, parallel der Projektions¬ 
linie entsprechend dem M. stylo-hyoideus und hinteren Bauche des 
Biventer, da, wie schon erwähnt, zu diesen Muskeln das hintere Fascien- 
blatt der Drüsenkapsel hinzieht, geführt. 

Dieser Schnitt ist folglich gegen den peripheren Teil der Drüse gerich¬ 
tet, wo keine bedeutenden Ausfuhrgänge vorhanden sind. Der Schnitt 
geht durch die Haut, das Unterhautzellgewebe mit den Verzweigungen 
des Auricular. mag. und und unbedeutenden Venen und dann weiter 
durch die Fascia parotideo-masseterica. 

Im Drüsengewebe selbst ist ein stumpfes Weitergehen anzuraten, 
womit Verletzungen des Facialis und der Ausfuhrgänge zu vermeiden ist. 

Ein energisches Absuohen in der Tiefe soll ebenfalls vermieden 
werden, da zufällige Verletzungen der etwa erweichten Wände der Vena 
facialis post, oder sogar der Carotis ext. möglich sind, solche 
Maßnahmen können zu letalen Blutungen führen; zuweilen ist es not¬ 
wendig, stumpf zum Pharyngealfortsatz der Drüse vorzudringen. Nach 
der Incision lockere Tamponade der Wunde. 

Der Allgemeinzustand ist nach der Operation sofort besser. Der 
Heilungsprozeß geht verhältnismäßig schnell vor sich, natürlich in Ab¬ 
hängigkeit vom Kräfteverfall oder gutem Allgemeinzustand der Patien¬ 
ten nach möglichst frühzeitiger tamponloser Behandlung. 

Ungeachtet des bedeutenden Speichelquantums, welches die normale 
Parotitis absondert, konnte ich bei meinen Kranken nach der Operation 
keine Klagen über Trockenheit im Munde oder Schluck- und Sprech¬ 
beschwerden hören, die doch nach einer Fleckfieberparotitis, die mit 
fast völliger Zerstörung der Drüse einhergeht, zu erwarten wären. Aller 
Wahrscheinlichkeit nach wurde die Minderproduktion der einen Drüse 
von der anderen kompensiert. 

Schon vorher erwähnte ich, daß ich nach meinen in angegebener 
Weise geführten Schnitten kein einziges Mal eine Speichelfistel zu beo- 


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P. A. Herzen: Zar Klinik des Fleckfiebers (Parotitis). 


bachten Gelegenheit hatte, jedoch hatte ich in 8 Fällen solche zu Gesicht 
bekommen, die das Resultat nicht anatomischer, zuweilen sogar ent¬ 
stellender Schnitte waren. Solche Speichelfistel halten sich ungemein 
lange, ohne eine Heilungstendenz zu zeigen. Während des Essens, beson¬ 
ders trockener Speise oder eines sauren Apfels sondern die Fisteln 
flüssigen durchsichtigen Speichel ab. 

Die Behandlung besteht in einer Excidierung des Fistelkanals, jedoch 
gelingt es oft, die Fistel durch wiederholte Ätzungen mit Arg. nitric., 
welches auf eine Knopfsonde geschmolzen in den Kanal eingeführt wird, 
zu schließen. 

In zwei Fällen konnte ich die Erscheinungen einer bedeutenden 
Ephydrose nach der Ausheilung der Fistel einer Fleckfieberparotitis 
beobachten. Einen dieser Fälle zitiere ich hier seiner interessanten 
Komplikation wegen. 

P&t., jugendliche Pflegerin, operiert wegen beiderseitiger Fleckfieberparotitis 
in einem Feldlazarett. Lange schräge Schnitte an der unteren seitlichen Wangen¬ 
gegend. Nach der Genesung beiderseitige Speichelfisteln in der Narbe hinten an 
der Befestigung des Ohrläppchens. Knopfsonde gleitet l 1 /» cm tief in den Fistel- 
kanal. Argentum-nitr.-Ätzungen im Verlaufe von 2 Monaten bringen den Prozeß 
zur Heilung. Bald darauf folgende Erscheinungen: beim Kauen wird die Haut 
Uber der ganzen Parotitis tiefrot verfärbt bald darauf treten auf der Haut Tropfen 
einer hellen Flüssigkeit auf, welche an der Wange herunterfließen; vorsichtige 
Einreibungen mit Jodkalisalbe bessern den Zustand. 

Eine so enorme Ephydrose wird selten beobachtet. In leichter Form 
— Rötung und Feuchtwerden der Haut — ist dieser Vorgang nach 
Fleckfieberparotitis nicht selten. In meinem Falle trat erst nach Monaten 
eine Besserung ein, allem Anscheine nach erst nach einer Atrophie des 
erhalten gebliebenen Drüsenparenchyms. In verzweifelten Fällen könnte 
etwa der Vorschlag einer Resektion des N. auriculo-temporalis hinter 
dem Gelenkfortsatz des Unterkiefers gemacht werden, da dieser Nerv 
der sekretorische Nerv der Parotis ist. Zwar ist diese Operation, wie ich 
mich mehrfach an der Leiche überzeugen konnte, technisch ausführbar, 
( Leriche ), aber sie ist äußerst delikat und läßt außerdem noch eine neue 
Narbe im Gesicht nach. 

Am Lebenden habe ich diese Operation bei der Speichelfistel einmal 
erfolgreich ausgeführt 1 ). 

’) Aus dem russ. Manuskript für den Verfasser übersetzt von Dr. Rob. Herzen¬ 
berg, fr. Assistent der Klinik. 


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(Aus der Dr. SenckenbergiBohea Anatomie der Universität Frankfurt a. M. [Direktor: 

Prof. Dr. U. BlunUchli].) 

Die anatomischen Grundlagen für eine wirksame 
Herzbeuteldrainage. 

Von 

Cand. med. Georg Ellmer. 

Mit 7 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 27. März 1923.) 

Die Geschiohte der Operationen an Organen der Brust- und Bauch¬ 
höhle ist schon sehr alt. Sie reicht bis auf die Hippokratiker zurück. 
Dagegen ist es kaum ein Jahrhundert her, daß man es wagte, auch die 
dritte größere seröse Höhle, den Herzbeutel, operativ anzugreifen. 
In der Hauptsache waren es wohl diagnostische Schwierigkeiten, die 
einen solchen Versuch verhinderten, dann aber auch wahrscheinlich 
die unbestimmte Furcht, daß irgendwelche chirurgische Eingriffe in 
den Herzbeutel auf die Tätigkeit des Herzens selbst‘störend ein wirken 
könnten. 

Der erste, der die Möglichkeit eines Eingriffes in den Herzbeutel 
erwog, war Riolanus (1653). Er wollte durch Trepanation des Ster¬ 
nums zum Ziele gelangen. Selbst ausgeführt hat er jedoch eine solche 
Operation nicht. Auch Senac, der über ein Jahrhundert später (1794) 
den Gedanken wieder aufnahm, seinerseits • jedoch die Punktion des 
Herzbeutels vorschlug, kam nicht über theoretische Erwägungen hinaus. 
Sein Verdienst jedoch ist es, die Frage endgültig in Fluß gebracht zu 
haben, denn an seinen Vorschlag knüpft sich in den nächsten Jahren 
eitle lebhafte Diskussion, an der sich eine große Anzahl Chirurgen von 
Ruf, Benjamin BeU, Camper, Justus Arnemann, Conradi, DesauU, 
Larrey, Richter, van Sudeten, Skieideroup, Laennec, Corvisart, Kreysig 
und wahrscheinlich noch andere teilnahmen, und in der die verschie¬ 
densten Vorschläge über einen Operationsweg gemacht wurden. 

Nun ließ auch der erste Operationsversuch nicht lange auf sich 
warten. DesauU war es, der das Wagnis unternahm. Jedoch gelang es 
ihm nicht, den Herzbeutel zu eröffnen, da er, wie sich später bei der 
Sektion herausstellte, ein vor demselben liegendes, abgekapseltes 
Pleuraexsudat eröffnet hatte. 

Einige Jahre später (1819) gelang es Romero in Barcelona zum ersten¬ 
mal, den Eingriff erfolgreich durchzuführen. Er ging durch den 5. In- 


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6. Elimer: 


tercostalraum ein, zog eine kleine Falte des Perikards hervor und schnitt 
sie ab. Auf diese Weise operierte er 3 Männer, von denen zwei genasen. 

Aber auch die nächsten Jahrzehnte blieben die Fälle, in denen man 
eine solche Operation wagte, sehr vereinzelt, und erst nach 1840 wurde 
öfters über ausgeführte Paracentesen des Herzbeutels berichtet. 

1875 erschien die erste Zusammenfassung über das Gebiet der Herz¬ 
beutelchirurgie von Roger in Paris. Er hält die Operation für indiziert 
bei größeren perikardialen Exsudaten und bei den primären, eitrigen 
Perikarditiden. Die Statistik, die er aufstellt, ist aber noch sehr un¬ 
günstig: 3 Todesfälle, 4 mal ein unvollständiges Resultat und nur eine 
Genesung. Er kommt daher zu dem Schluß, daß dieser Eingriff immer 
„ein verwegenes Unternehmen“ sei. 

An gegnerischen Stimmen hat es denn auch nicht gefehlt. Es mutet 
uns heute eigentümlich an, wenn wir BiUrolha Urteil hören, der noch 
1882, also zu einer Zeit, als die Berechtigung des Eingriffes schon fast 
allgemein anerkannt war, schrieb: „Die Paracentese des hydropischen 
Herzbeutels ist eine Operation, welche meiner Ansicht nach schon sehr 
nahe ah dasjenige heranreicht, was einige Chirurgen Prostitution der 
chirurgischen Kunst, andere chirurgische Frivolität nennen.“ 

Schon einige Jahre vorher, 1879, war die erste zusammenfassende 
Arbeit über dieses Thema in der deutschen medizinischen Literatur 
erschienen. Hinderüang stellt darin, anläßlich eines eigenen Falles, 
65 Fälle von Paracentese des Herzbeutels zusammen und findet dabei 
in 32% der Fälle einen Erfolg. Dementsprechend will er die Paracentese 
nicht nur als Palliativmittel angesehen wissen, sondern als Heilmittel 
in all den Fällen, die auch Roger als Indikation ansieht. An Hand der 
Fälle weist er nach, daß die Paracentese ein ungefährlicher Eingriff 
ist, da in keinem Fall der Tod durch den Eingriff selbst verursacht, 
oder auch nur beschleunigt wurde. Als damals allgemein geübtes Ver¬ 
fahren ergibt sich aus seinen Ausführungen die Punktion des Herz¬ 
beutels mit der Hohlnadel oder dem Troikart mit anschließender Aspi¬ 
ration. Als Einstichstelle wird ein Intercostalraum (4., 5., oder 6.) 
empfohlen, und zwar kann der Einstich medial (häufiger) oder lateral 
von der Arteria mammaria interna ausgeführt werden. Alle anderen, 
damals schon bekannten Methoden werden von Hinderdang ab unge¬ 
bräuchlich zurückgewiesen. 

Auch West, der 1883 die erste größere Arbeit auf diesem Gebiet in 
England veröffentlichte, stellt sich auf den Standpunkt, daß „die Para¬ 
centese des Perikardiums nicht nur eine berechtigte Operation sei, son¬ 
dern auch eine Operation, die bei Beobachtung der gewöhnlichen Vor¬ 
sichtsmaßregeln sicher ausgeführt werden könne. Auch er empfiehlt 
im allgemeinen die Punktion, nur bei eitrigen Perikarditiden kommt 
für ihn allein die Incision und Drainage des Herzbeuteb in Frage. 


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Die anatomischen Grundlagen für eine wirksame Herzbeuteldrainage. 15 

Seitdem hat sich, vor allem auch mit dem Fortschreiten der chirur¬ 
gischen Technik die Perikardiotomie als Operationsmethode mehr 
und mehr Boden erobert, so daß die Punktion zu therapeutischen 
Zwecken heute auf die Fälle mit rein serösem Exsudat beschränkt ist. 
Für diese Fälle gibt wohl die Punktion in der Art, wie sie Curschmann 
bechrieben hat, die beste Gewähr für eine vollständige Entfernung des 
Exsudates. 

Unentbehrlich dagegen ist die Punktion auch heute noch in fast 
allen Fällen von Perikarditis in der Form der Probepunktion zur Siche¬ 
rung der Diagnose. Für die Probepunktion kommen nach Klose nur die 
linksseitigen intramam mären Methoden dicht am Sternair and in Frage, 
da nur diese eine Pleuraverletzung vermeiden lassen. Als am empfehlens¬ 
wertesten bezeichnet Klose jedoch die Punktion vom Epigastrium, 
d.h. vom linken Angulus costoxyphoideus aus, wie sie schon L. Kehn 
u. a. empfohlen haben. 

Aber auch die von West angegebene einfache Incision in einem 
Intercostalraum ist heute fast allgemein verlassen, da diese Methode 
eine ausgiebige Freilegung des Herzbeutels nicht gestattet. An ihre 
Stelle ist die Freilegung des Herzbeutels durch Rippenresektion getreten. 

Die erste Operation dieser Art habe ich bei Sievers gefunden, der einen 
Fall erwähnt, den Körte 1892 operiert hat, wobei er ein 5 cm langes 
Stück der 5. Rippe resezierte 1 ). 

In den darauf folgenden Jahren häufen sich nun die Vorschläge 
für eine ausgiebige Freilegung des Herzens außerordentlich, so daß in 
einer Zusammenstellung von Wendel aus dem Jahre 1906 schon 12 ver¬ 
schiedene Methoden aufgeführt werden. Es seien hier nur die wich¬ 
tigsten genannt. Delorme und Mignon halten die Resektion des 5. und 
6. Rippenknorpels für unbedingt notwendig, dagegen begnügt sich 
Oüier mit der Resektion des 5. Rippenknorpels, während Kocher wieder¬ 
um die des 6., Mintz die des 7. Rippenknorpels vorschlugen. 

Die einzige Methode ohne Rippenresektion, die heute noch ange¬ 
wendet wird, ist die von L. Rehn angegebene, der unterhalb des Rippen¬ 
bogens eingeht und durch die Lücke zwischen dem costalen und ster- 
nalen Teil des Zwerchfells, dem Trigonum stemocostale, Morgagni sehe 
oder Larrey sehe Spalte, zum Zwerchfell vordringt. 

Es ist klar, daß man keine dieser Methoden als absolut gültige Norm 
hinstellen kann, sondern daß die Wahl des Operationsweges sich immer 
nach der Lage des einzelnen Falles richten muß, besonders ist dies der 
Fall, wie L. Rehn ausdrücklich betont, bei Operationen im Anschluß 
an Verletzungen. 

*) Körte, Verband!, d. Fr. V. d. Chirurg. Berlins X. 1. 101. Brentano, 
ibidem X. 2. 73. 


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16 


G. Ellmer: 


Über die postoperative Drainage des Herzbeutels finden sich in der 
Literatur nur sehr spärliche Angaben, obwohl diese ja gerade bei eitrigen 
Perikärditiden die Hauptsache ist. Aber auch bei den meisten Ope¬ 
rationen, die aus anderen Gründen vorgenommen werden, ist sie 
nicht zu umgehen, da wohl nach jeder Freilegung des Herzens eine 
seröse Perikarditis mäßigen Grades folgt. So sagt Klose mit Recht: 

„Die größte Bedeutung für die Nachbehandlung hat eine ausgiebige 
Drainage, die einen dauernden Abfluß des Sekretes gewährleistet, da¬ 
mit Verwachsungen vorbeugt.“ 

Für die Drainage des Herzbeutels sind verschiedene Vorschläge 
gemacht worden. 

Die capüläre Drainage, wie sie Brentano u. a. vorschlugen, wird heute 
abgelehnt, da sie dem Sekret nur imgenügend Abfluß verschafft und so 
zu den lebensgefährlichen Erscheinungen des Herzdruckes führen kann. 
Auch sind Fälle erwähnt, in denen sich die Gazestreifen durch die Be¬ 
wegungen des Herzens um dieses wickelten und so zu bedrohlichen Zu¬ 
ständen führten (Klose). 

Auch der immer wiederholte Versuch, das Sekret durch den Inter - 
costalschnitt nach außen zu leiten, mußte zu Mißerfolgen führen, da dabei 
die Abflußbedingungen außerordentlich ungünstige sind. 

Diese Mißerfolge führten dazu, daß eine Reihe von Vorschlägen 
gemacht wurden, die alle den Zweck hatten, diesen Weg zu umgehen 
und bessere Abflußmöglichkeiten zu schaffen. 

So schlägt Souligoux eine Discision des Zwerchfells vor, um das 
Sekret aus dem Herzbeutel in die Bauchhöhle zu leiten. 

Oorse empfiehlt, die Perikardwunde offen zu lassen, die Hautwunde 
darüber aber zu verschließen, um so das Sekret in das lockere Gewebe 
des vorderen Mediastinums abzuleiten, damit es von dort aus resorbiert 
werden könne. 

Läwen endlich will das Sekret durch ein in der hinteren Perikard¬ 
wand angebrachtes Fenster in die Pleurahöhle leiten, um es von dort aus 
evtl, später chirurgisch zu entfernen. 

Diese Methoden sind für die eitrige Perikarditis von vornherein 
nicht anwendbar. Aber auch für andere Perikarditiden bezeichnet sie 
Klose wegen der unberechenbaren Folgen mit Recht als gefährlich. 

Auch das von Tiegd 1913 angegebene Verfahren, das Exsudat durch 
ein Drain mittels eines zweiten Intercostalschnittes nach hinten abzuleiten 
und die vordere Operationswunde primär zu verschließen, hat sich keinen 
Eingang verschaffen können, da es technisch außerordentlich schwierig 
ist. Auch hebt wohl der Nachteil einer zweiten großen Operationswunde 
und der Pleuraverletzung den Vorteil eines besseren Sekretabflusses 
auf, besonders da sich bei eitriger Perikarditis eine Infektion der ver¬ 
letzten Pleura wohl kaum vermeiden lassen dürfte. 


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Die anatomischen Grundlagen für eine wirksame Herzbeuteldrainage. 17 

Nach diesen vergeblichen Versuchen, einen besseren Drainageweg 
zu finden, bleibt wohl nur der Weg nach vom übrig, da alle anderen 
Methoden infolge der anatomischen Verhältnisse auf zu große Schwierig¬ 
keiten stoßen. 

Daher wird heute wohl allgemein die Drainage nach L. Rehn an¬ 
gewendet. Danach wird der Herzbeutel am Vorderrande seiner Basis 
vom linken Angulus costoxyphoideus aus eröffnet, und das Drain durch 
die Larreysche Spalte nach außen geführt. Der Abfluß des Sekretes 
kann unterstützt werden durch erhöhte Lagerung des Oberkörpers 
und durch tägliche Anwendung von Überdruck. Nach den Angaben der 
Literatur hat diese Methode wesentlich bessere Erfolge aufzuweisen 
als die früheren. Genauere statistische Aufstellungen fehlen jedoch 
noch. 

Bei einer genaueren Untersuchung dieser Methode muß man jedoch 
zu dem Schluß kommen, daß auch sie noch keine ideale Methode dar¬ 
stellt, da sie den physikalischen Gesetzen der Entwässerung, die ja für 
eine wirksame Drainage allein maßgebend sind, nicht entspricht. 

Rehn war der Meinung, durch seine Methode den tiefsten Punkt des 
Herzbeutels zu eröffnen. Er selbst sagt, im Anschluß an eine Beschrei¬ 
bung seines Operationsweges (s. o.), wörtlich: „Man muß den Herz¬ 
beutel an seiner vorderen Basis abtasten, bei emporgedrängten Herzen 
punktieren und beliebig quer einschneiden. Man hat den Herzbeutel 
an seinem tiefsten Punkt eröffnet .“ Und in derselben Arbeit gibt er neben 
anderen als geeignete Punktionsstelle an, „eine Stelle an der Basis des 
Herzbeutels, und zwar in dem Winkel, den der Ansatz der 7. linken 
Rippe mit der Basis des Processus xiphoideus bildet.“ 

Diese Darstellung und Ansicht Rehns deckt sich jedoch nicht mit 
den anatomischen Tatsachen. 

Die leichtgewölbte Pars diaphragmatica des Herzbeutels ist eine 
Fläche, die sich von rechts nach links ungefähr um 16° neigt. Gleich¬ 
zeitig besteht durch die Verwachsung der Basis des Herzbeutels mit dem 
Zwerchfell auch eine Wölbung und Neigung von dorsal nach ventral, 
die mit den Bewegungen des Zwerchfells wechselt. Diese Neigung muß 
sich verstärken, wenn der Patient mit erhöhtem Oberkörper gelagert 
wird, wie das ja nach solchen Operationen die Regel ist (Kolb). Bei 
aufrechter Haltung steigt das Zwerchfell mit der Herzbeutelbasis hinter 
dem Sternum beinahe senkrecht nach unten, so daß die Umschlagsfalte 
des Perikards nach oben meist um 1—2 cm tiefer liegt als der Herzrand 
(Merkel). Bei der Betrachtung eines Medianschnittes sieht man, daß 
durch dieses Herabsteigen des Perikards hinter der vorderen Brust¬ 
wand ein spaltiger Reserveraum entsteht (Merkel), analog dem komple¬ 
mentären Pleurasinus (Joessel- Waldeyer, Corning , Rehn). Dieser 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 


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18 


G. Elimer: 



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Die anatomischen Grundlagen für eine wirksame Herzbeuteldrainage. 19 

Spaltraum erweitert sich an der Herzspitze zu dem Sinus pericardiaco- 
diaphragmaticus (pericardiaco-phrenicus, Klose) dessen tiefster Punkt, 
gleichzeitig der tiefste des Herzbeutels, ungefähr 2 cm unterhalb der 
Herzspitze liegt (Klose). 

Diese Verhältnisse habe ich durch topographische Untersuchungen 
an der Leiche nachgeprüft, und sie vollkommen bestätigt gefunden. 

Es wurde zu diesem Zweck an der Leiche eines erwachsenen, muskel¬ 
kräftigen Mannes, die durch Arterienfüllung mit Formalin konserviert 
war, ein Fenster angelegt, das nach rechts etwa 2 Finger breit über die 



Medianlinie, nach links etwa handbreit über die Mamillarlinie hinaus¬ 
ging. Der Befund ist auf den Abb. 1—3 in sukzessiven Abbildungen 
mit sorgsamer Beachtung der genauen Topographie dargestellt. Zur 
leichteren Orientierung ist auf allen drei Abbildungen die Mamille 
eingezeichnet worden. 

Abb. 1 soll zur Orientierung über die topographischen Beziehungen 
der obersten Muskelschicht zur Lage der Rippen dienen. Die Rectus- 
scheide ist eröffnet, die Pars abdominalis des Musculus pect oral is major 
aber erhalten geblieben. 

Es wurden die vorliegenden Teile des Musculus pectoralis major und 
minor entfernt. Ebenso die Musculi intercostales des 3.—7. Intercostal- 
raumes. Nach Resektion des 4.-7. Rippenknorpels einschließlich der 
linken Hälfte des Sternums erhalten wir Verhältnisse, wie sie in Abb. 2 

2 * 


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20 


G. Ellmer: 


zur Darstellung gebracht worden sind. Die Umschlagsfalte der linken 
Pleura costalis in die Pleura mediastinalis liegt in ihrem unteren Ende 
frei. Kranialwärts ist sie noch vom Musculus transversus thoracis be¬ 
deckt, aber in der Abb. 2 bereits angedeutet. Die einzelnen Zacken 
des Musculus transversus thoracis, die leicht schräg nach lateral empor¬ 
steigen, inserieren sehnig an der Unterseite der Rippenknorpel. Eine 
Verwachsung der sehnigen Fasern dieses Muskels besteht weder mit 
der Pleura noch mit dem Perikard. Die Mammargefäße liegen in ihrer 
typischen Lage etwa 1—1 1 / 2 cm vom linken Stemalrand entfernt. Die 
Nervi intercostales sind mit Absicht etwas zu stark gezeichnet, um sie 
in ihrer Lage deutlich hervortreten zu lassen. 

In Abb. 3 endlich sind die Mammargefäße und der Musculus trans¬ 
versus thoracis weggenommen. Der Pleurasack ist frei präpariert und 
soweit zurückgeklappt, daß der ganze vordere Rand der Herzbeutel - 
basis von der Medianlinie an freiliegt. Hier läßt sich deutlich erkennen, 
daß der tiefste Punkt des Herzbeutels fast am lateralen Ende dieses 
Randes liegt, etwa fingerbreit medianwärts von der Mamillarlinie. 
Doch muß bemerkt werden, daß diese Lagebeziehung zur Mamillar¬ 
linie kein untrügliches Zeichen ist, und ohne weiteres als Norm gelten 
darf, da bekanntlich sowohl die Lage der Mamille selbst ziemlich stark 
variiert, als auch die Größe des Herzbeutels sehr wechselt, besonders 
wenn er durch Ergüsse praller gespannt oder gar vergrößert ist. Unsere 
Abb. 3 gibt im Vergleich mit Abb. 2 ferner noch Aufklärung über die 
Beziehungen der Lärreyschen Spalte zum Vorderrand der Herzbeutel¬ 
basis. Die Entfernung dieser Spalte vom tiefsten Punkt des Herz¬ 
beutels ist so groß, daß ein Erreichen dieses Punktes durch das oben 
erwähnte Re An sehe Verfahren wohl als ausgeschlossen gelten muß. 

Über die topographische Lage des tiefsten Punktes des Herzbeutels 
in normalem Zustande dürfte nach dem Gesagten also kaum ein Zweifel 
bestehen. 


Wie liegen nun die Verhältnisse beim pathologisch gefüllten Herz¬ 
beutel? Diese Frage ist von Schaposchnikoff und Damsch eingehend 
untersucht, die Ergebnisse ihrer Untersuchungen sind von Cursckriianv 
nachgeprüft und in ausgezeichneter Weise zusammengestellt worden, so 
daß ich mich in diesem Punkte seinen Ausführungen anschließen darf. 

Betrachtet man den Herzbeutel in bezug auf die Gebilde, die ihn 
umgeben, so sieht man, daß er sich bei Ergüssen nur in ganz bestimmten 
Richtungen, nämlich denen des geringsten Widerstandes, auszudehnen 
vermag. Dabei ist eine Ausdehnung nach vorne und hinten nur in ge¬ 
ringen Grenzen möglich, da der Widerstand der hier liegenden Gebilde, 
des Sternums einerseits, der Wirbelsäule mit der davorliegenden Aorta 
andererseits, einer Ausdehnung bald ein Ziel setzt. 


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Die anatomischen Grundlagen für eine wirksame Herzbeuteldrainage. 21 

Die Ausdehnungsmöglichkeit besteht also im wesentlichen nur nach 
den Seiten und nach unten. 

„Die weitaus größte Ausdehnung gewinnt der Herzbeutel natürlich 
stets in seinem unteren, auch physiologisch geräumigsten Teile unmittel¬ 
bar über dem Zwerchfell, mehr nach der linken als nach der rechten 
Seite, die ja die weitaus kleinere Hälfte des Herzens und Herzbeutels 
birgt“. ( Curschmann.) 

Hinter dem Sternum ist nur ein schmaler Spalt mit Flüssigkeit 
gefüllt, häufig verklebt aber auch dieser. Legt man also einen Horizon¬ 
talschnitt dicht oberhalb des Zwerchfells durch den Herzbeutel, so stellt 
sich die Verteilung der Flüssigkeit ungefähr so dar, wie Abb. 4 zeigt. 

Ein Tiefertreten des Zwerchfells findet nach Curschmann nur bei 
größeren Exsudaten statt, und dann auch nur auf der linken Seite. 
„Das Exsudat sammelt sich also nicht allein seit¬ 
lich und hinten, sondern auch unterhalb des 
Herzens und namentlich seines Spitzenteiles 
an.“ (Curschmann.) 

Diese Ausführungen bestätigen, was nach 
den anatomischen Bedingungen von vornherein 
erwartet werden muß, da ja der Herzbeutel fest 
mit dem Zwerchfell verwachsen ist. Die Lage 
des tiefsten Punktes des Herzbeutels ist sowohl 
unter normalen als unter pathologischen Verhältnissen die gleiche, 
bzw. nur abhängig von der Größe eines perikardialen Exsudates. 
Eine Drainage, die wirksam sein soll, d. h. dem Exsudat einen mög¬ 
lichst vollständigen und dauernden Abfluß ermöglichen soll, muß also 
gerade an diesem tiefsten Punkte angreifen. 

Eine Operationsmethode, die den Herzbeutel freilegt, um ihn in 
der Nachbehandlung zu drainieren, hat also vor allen Dingen darauf 
Rücksicht zu nehmen, daß dieser Punkt mit freigelegt wird. Das wird 
sich bei den heute gebräuchlichen Methoden der Rippenresektion leicht 
durch eine Erweiterung der Operationswunde nach der Herzspitze zu 
erreichen lassen. Eine Methode, die nur den tiefsten Punkt freilegt, 
um den Herzbeutel zu entleeren und anschließend zu drainieren, gibt 
es bisher nicht, da eben der tiefste Punkt bisher immer in der Nähe des 
linken Angulus costoxiphoideus gesucht wurde. 

Ich habe daher versucht, an der Leiche diesen tiefsten Punkt durch 
ein operatives Vorgehen zu erreichen und stelle dieses Verfahren auf 
den Abb. 5—7 dar. 

Als Hautschnitt wählte ich den bereits von Kocher angegebenen. 
Von der Medianlinie beginnend führte ich ihn entlang der 6. Rippe 
bogenförmig verlaufend, ungefähr bis in die Mamillarlinie. Haut, 



Abb. 4. a = rechte, 6 = linke 
(größere) Herzbeutelhälftc, 
C- retrosternaler Spalt, 
d =Kaum für den Herzmuskel. 
(Nach Curschmann.) 


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22 


(t. Ellmer: 



Medianlinie Mpecforalis major 


M intercosi 
ext 


M inlercosf 


H-Proc. xiphoides 

Abb. 6. 


t\. intercosi. inl. 


AuV/ 

| mammana 


fericardium 


Abb. 6—7. Darlegung meiner Methode iut Frei 
legung der Herzbeutelspitze in sukzessiven Dar¬ 
stellungen. 


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Die anatomischen Grundlagen für eine wirksame Herzbeuteldrainage. 23 

3. Resektion des 5. und 6. Rippenknorpels. 

4. Unterbindung der Mammargefäße. 

5. Entfernen des vorliegenden Teiles des Muse, transv. thoracis. 

6. Aufsuchen der Umsehlagfalte der Pleura und Zurückschieben 
derselben. 

7. Eröffnen des Herzbeutels. 

Die große Schwierigkeit bei diesem Verfahren ist das Lösen und 
Zurückschieben der Pleura, ohne sie zu verletzen, worauf auch schon 
Rehn ausdrücklich hingewiesen hat. An der Leiche gelingt dieses Vor¬ 
gehen bei einiger Sorgfalt ohne Schwierigkeiten, wenn man die Um¬ 
schlagsfalte richtig aufgesucht hat. Es kann daher dasselbe beim Leben¬ 
den erwartet werden, sofern nur die nötige Vorsicht geübt wird, obgleich 
hier mit verschieden leichter bzw. schwerer Ablösbarkeit gerechnet 
werden muß, je nachdem ob ein frisches Exsudat im Herzbeutel vorliegt, 
oder schon pathologische Veränderungen an Herzbeutelwand und Pleura 
eingetreten sind. 

Im übrigen ist zu bedenken, daß der hier den Herzbeutel überlagernde 
Pleurateil schon in normalen Zustande zum größten Teil nicht von der 
Lunge ausgefüllt wird, sondern einen sog. Komplementärraum darstellt, 
(Sinus pericardiaco-costalis). Dieser Komplementärraum verklebt durch 
den Druck eines pathologisch gefüllten Herzbeutels meist so weit, daß 
unbedeutende Einrisse wohl kaum Schaden anrichten können. 

Als Drain kommt, wie oben schon festgestellt wurde, nur ein Gummi¬ 
rohr in Betracht. Bezüglich der Frage, wie dieses Drain am besten 
nach außen zu leiten wäre, ist die in der Nachbehandlung übliche, er¬ 
höhte Lagerung des Oberkörpers im Auge zu behalten. Die besten 
Abflußbedingungen würden dann zweifellos dadurch geschaffen sein, 
wenn es gelänge, das Drain nach lateral zu leiten. Dem steht aber der 
zurückgeschlagene Pleurasack im Wege. Er würde komprimiert, nach 
lateral verdrängt und bei der Inspiration wohl behindert werden. Die 
Bewegungen des Herzens einerseits und das Wiedervordringen des vorher 
durch das perikardiale Exsudat verdrängten Lungenteiles in den Sinus 
pericardiaco-costalis andererseits sind Faktoren, die zu Schädigungen 
der zarten Pleurablätter führen könnten. Diese Nachteile lassen sich 
vermeiden bzw. stark vermindern, wenn das Drain in medialer Rich¬ 
tung nach außen geführt wird, und zwar in der Weise, daß es möglichst 
im tiefsten Punkt des bogenförmigen Hautschnittes liegt. 

Durch das Einschieben des Drains ist eine Verletzung der vorderen 
Herzwand kaum zu befürchten, obwohl das Herz, wie Schaposchnikoff 
und Darnach gezeigt haben, durch ein perikardiales Exsudat nach vom 
gedrängt wird. Aber die chirurgische Erfahrung lehrt, daß mit der 
Entspannung des Perikards beim Einschneiden das Herz in seinen be¬ 
weglichen Teilen tief in den linken Brustraum hinabsinkt. (Rehn.) 


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24 


6. Bllmer: 


Wie oben schon angedeutet, kann dieses Verfahren nur bei der 
eitrigen Perikarditis oder perikardialen Ergüssen, die eine Operation 
notwendig machen, angewendet werden, da in solchen Fällen die Frei¬ 
legung des ganzen Herzbeutels und eine Inspektion des ganzen Herzens 
wohl kaum erforderlich ist, sondern es in der Hauptsache nur auf eine 
Entleerung des Herzbeutels ankommt. 

Bei Herzverletzungen müssen zur Freilegung des Herzens andere 
Methoden angewendet werden, aber auch in diesen Fällen ist eine Drai¬ 
nage nach der ausgeführten Methode wohl immer möglich. 

Wenn wir die Ergebnisse unserer Untersuchungen noch einmal zu¬ 
sammenfassen, so läßt sich folgendes sagen: 

1. Die bisher gebräuchlichen Methoden der Drainage des Herzbeutels 
werden den streng physikalischen Anforderungen, die für eine wirk¬ 
same Drainage maßgebend sind, nicht gerecht, weil durch sie nicht eine 
dauernde Ableitung des Exsudates vom tiefsten Punkt des Herzbeutels 
erreicht wird. 

2. Der tiefste Punkt des Herzbeutels liegt bei erhöhtem Oberkörper 
am linken Ende des Vorderrandes der Herzbeutelbasis unterhalb und 
etwa« lateral der Herzspitze. 

3. Eine Drainage an dieser Stelle läßt sich erreichen durch eine 
Operationsmethode, bei der nach Resektion des 5. und 6. Rippen¬ 
knorpels die Pleura freigelegt, der Pleurasack nach links abgedrängt, 
und so der Herzbeutel an seinem tiefsten Punkt freigelegt wird. 

4. Die günstigste Lage des Drains dürfte diejenige sein, bei der das 
Drain durch den tiefsten Punkt des Hautschnittes nach außen ge¬ 
leitet wird. 

Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß diese von rein 
anatomischen Gesichtspunkten aus an der Leiche gewonnene Methode 
ihre klinische Brauchbarkeit erst durch die Erprobung in der chirur¬ 
gischen Praxis erweisen kann. 

Nach Fertigstellung der Arbeit machte Herr Prof. Dr. Klose mir die 
Mitteilung, daß er veranlaßt durch meine Untersuchung das in der 
Arbeit beschriebene Drainageverfahren vor ganz kurzem einmal mit sehr 
gutem Erfolge angewendet habe. 

Literaturverzeichnis. 

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Herzbeutels. Arch. f. klin. Chirurg. 98. 1912. — Bacon, Verfahren zur Eröffnung 
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Handbuch der Anatomie 2. 1912. — Brentano, Zur chirurgischen Behandlung der 
Perikarditis. Dtsch. med. Wochenschr. 1898. — Coming, Lehrbuch der topo- 


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1903. — Curschmann , Zur Beurteilung und Behandlung der Ergüsse des Herz¬ 
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1896. — Durand, De la r&ection du 6. cartilage costale. Ref. Zentralbl. f. Chirurg. 
1896. — Gluck , Zur Chirurgie des Herzbeutels. Arch. f. klin. Chirurg. 1907. — 
Henle , Anatomie. Bd. 1. 1871. — Hindenlang , Ein Fall von Paracentesis Peri- 
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Chirurg. 1916, Heft 4. — Klose-Strauß , Die eitrige Perikarditis und die Erfolge 
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V. d. Chirurg. Berlins X 1. 101. — Kolb, Die chirurgische Behandlung der 
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Anatomie 1899. — Mintz , Drainage des Herzbeutels. Ref. Zentralbl. f. 
Chirurg. 1904. — Mintz , Zur Frage der chirurgischen Behandlung der eitrigen 
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Chirurgie des Herzbeutels. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 1917, Heft 39 (Kriegs¬ 
chirurg.). — Rehn , Ludw ., Zur Chirurgie des Herzens und Herzbeutels. Arch. f. 
klin. Chirurg. 1907. — Schmieden , Der chirurgische Operationskurs. «— Sievers , 
Über Inciaion und Drainage bei Pyoperikardium. Dtsch. Zeitschr. f. klin. Med. 
1893. — Souligoux , Sur la p4ricardiotomie. Ref. Zentralbl. f. Chirurg. 1911. — 
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Zentralbl. f. Chirurg. 1913. — Wagner , Beiträge zur Chirurgie des Herzens. Dtsch. 
Zeitschr. f. Chirurg. 1911. — Wendel , Zur Chirurgie des Herzens. Arch. f. klin. 
Chirurg. 89. — Woynitzsch, Die Perikardiotomie und ihrJ anatomischen Grund¬ 
lagen. Ref. Zentralbl. f. Chirurg. 1897. 


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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik Jena [Direktor: Professor Dr. Guleke\) 

Experimentelle Stadien am nach Pawlow isolierten kleinen 
Magen über die sekretorische Arbeit der Magendrüsen nach 
den Resektionen Billroth I und 11, sowie nach der Pylorus- 
ausschaltung nach y. Eiseisberg. 

Von 

Priv.-Doz. Dr. med. Hans Smidt, 

Assistent der Klinik. 

Mit 17 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 2. April 1923.) 

Der kühne Aufschwung, den die Magenchirurgie in den letzten drei 
Dezennien genommen hat, findet seinen Grund nicht zum wenigsten 
in den glänzenden Erfolgen, welche unsere operativen Maßnahmen bei 
den ulcerösen Prozessen des Magens und Duodenums gezeitigt haben. 
Mit diesen Erfolgen hat sich die Chirurgie einen bleibenden Platz in 
der Therapie des Magen- und Duodenalgeschwürs errungen, obgleich 
auch heute in Chirurgenkreisen noch keine völlige Einigung über die 
Indikationsstellung für die einzelnen operativen Eingriffe erzielt worden 
ist. Die Ursache hierfür ist wohl darin zu suchen, daß dieser hervor¬ 
ragende Aufstieg, den die chirurgische Behandlung gutartiger Magen¬ 
erkrankungen aufzuweisen hat, nicht von Fehl- und Rückschlägen 
verschont geblieben ist. 

Im wesentlichen stehen sich heute zwei Ansichten gegenüber. Die 
einen Operateure stehen auf einem mehr konservativen Standpunkt. 
Sie bevorzugen den indirekten Weg der chirurgischen Behandlung, die 
Gastroenteroanastomose mit oder ohne Pylorusausschaltung, jedoch 
ohne Entfernung des Geschwürs selbst, das seiner eigenen Heilungs¬ 
tendenz überlassen wird. Die anderen hingegen fordern, wenn möglich, 
in jedem Falle die radikale Entfernung des Geschwürs. 

Zur Zeit läuft diese Kontroverse im wesentlichen auf die Frage nach 
der Vermeidung des postoperativen peptischen Jejunalgeschwürs hinaus. 
Diese unerfreuliche Folgeerscheinung in unserer chirurgischen Therapie 
hat daher zur intensiven experimentellen Erforschung der Ursachen 
geführt, welche die Entstehung eines solchen Geschwürs zur Folge 
haben können. Eine Klärung dieser Frage ist bei weitem noch nicht 


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H. Smidt: Experim. Stadien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 27 

erfolgt. Dies kann aber auch nicht wundernehmen, denn noch bedarf, 
ehe man an diese Frage mit Hoffnung auf Erfolg herantreten kann, 
die Physiologie unserer typischen Magenoperationen einer weit ein¬ 
gehenderen Bearbeitung. Erst wenn wir die charakteristischen Ände¬ 
rungen kennen werden, welche die Magenphysiologie durch unsere ope¬ 
rativen Maßnahmen erfährt, werden wir auch von einer kausalen In¬ 
dikationsstellung in der Magenchirurgie überhaupt sprechen können. 

Verhältnismäßig klargestellt sind die Veränderungen, welche die 
motorische Funktion des Magens unter dem Einfluß unserer typisohen 
Operationen erfährt. Hier hat uns die röntgenologische Nachunter¬ 
suchung operierter Patienten in einfacher Weise das Studium der neuge¬ 
schaffenen Austreibungsverhältnisse ermöglicht, so daß wir schon heute 
einen guten Einblick in die motorische Funktion operierter Mägen be¬ 
sitzen. 

Anders liegen die Verhältnisse in Hinsicht auf die chemisch-physio¬ 
logische Funktion des Magens. Hier leidet unsere Beobachtung unter 
dem Mangel geeigneter Methodik, um am Menschen zu einem einwand¬ 
freien Ziel zu gelangen. Die Resultate der Ausheberungsuntersuchungen 
des Magenchymus nach Probefrühstück oder -mahlzeit genügen nicht, 
um uns einen tieferen Einblick in die sekretorischen Leistungen der 
Magendrüsen nach den gesetzten chirurgischen Eingriffen zu geben. 
Daher mußte hier das Tierexperiment zu Hilfe genommen werden, um, 
wie so oft, unsere Erkenntnis zu fördern. 

Von verschiedenen Untersuchen! ist die Änderung der verdauungs¬ 
chemischen Vorgänge am Tier nach Vornahme typischer Magenope¬ 
rationen studiert worden. Und zwar bedienten sich die Autoren solcher 
Versuchshunde, denen am Magen und Duodenum, evtl, noch an tieferen 
Darmabschnitten, Fisteln zur Gewinnung von Speisechymus angelegt 
waren (sog. Polyfistelhunde). Es wurden dann die typischen Ope¬ 
rationen, denen die Untersuchungen galten, vorgenommen und am 
Fistelchymua die Veränderung der Verdauungsprozesse beobachtet. 
Auf diesem Wege studierte Dagoew 1 ) die Änderungen der Verdauungs- 
prozesse nach den Methoden Kocher (Biüroth /), BiUroth II, sowie nach 
der totalen Magenresektion, v. Redwitz # ) hat in ganz ähnlicher Weise 
die physiologische Wirkung der Querresektion einer eingehenden Unter¬ 
suchung unterzogen. 

In allemeuester Zeit haben Enderlen, Frendenberg und v. Redwitz *) 
die typischen Magenoperationen einem eingehenden experimentellen 
Studium unterzogen. Außer den kurz zusammengefaßten Resultaten 
dieser Arbeiten liegen Berichte über die Einzelversuche zur Zeit noch 
nicht vor. Von den Ergebnissen dieser Arbeit interessieren uns be- 

*) Diese Arbeit ist mittlerweile in der Zeitschrift für die gesamte ex¬ 
perimentelle Medizin $£, Heft 1/4, erschienen. 


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28 


H; Smidt: 


sonders die Befunde bei der Pylorusausschaltung nach v. Eiseisberg- 
Doyen. In den ausgeschalteten Teilen, im Duodenum und Pylorus- 
magen, kommt es einerseits zeitweilig zur Stauung hochwertiger tryp- 
tischer Verdauungssäfte, und andererseits wurde nach Ausschaltung 
des antralen Magenteils das Auftreten einer zweiten chemischen Phase 
zu einer Zeit beobachtet, in der die Speisen den Magen bereits verlassen 
haben [Enderlen, v. Redwitz 1 )]. Auf diesen sehr wichtigen Befund werden 
wir unten noch näher eingehen. 

Es besteht jedoch.bei dieser Methodik, wie v. Redwitz selbst sagt, 
nicht die Möglichkeit, Änderungen in der Sekretion in reiner Form zu 
erkennen. Will man aber dieses Ziel erreichen, also den sekretions- 
ändemden Effekt typischer Magenoperationen beobachten, dann gibt es 
nur einen Weg und dieser ist das Studium der sekretorischen Verhältnisse 
am kleinen nach Pawlow isolierten Magen. Nur mittels dieser Methode 
ist die Gewinnung reinen Magensaftes in quantitativ und qualitativ 
festgelegter Form möglich, (cf. physiol. Vorbemerkungen). 

Ich habe diesen experimentellen Weg beschritten und mir die Auf¬ 
gabe gestellt, zu ermitteln, ob und in welcher Weise die sekretorischen 
Leistungen der Magendrüsen, deren physiologischen Ablauf wir aus 
den Arbeiten PawUnvs und seiner Schule kennen, durch unsere typischen 
Magenoperationen eine Änderung erfahren. Denn erst nach Lösung 
einer großen Reihe von Einzelfragen, die uns beim Studium der Ope¬ 
rationsmethoden in physiologischer Hinsicht entgegentreten, wird es 
möglich sein, an die Bearbeitung der weit komplizierteren Fragen, 
wie der Genese des Ulcus pepticum jejuni, heranzutreten. 

Dabei ergaben sich für diese Arbeit zwei Untersuchungsreihen; 
einmal die dem Studium der Magenresektion gewidmete und ferner die, 
welche sich mit den sog. Ausschaltungsmethoden zu befassen hat. Von 
den ersteren sind in folgendem dem experimentellen Studium unter¬ 
zogen worden: Die Resektionen der gesamten Pars pylorica nach Bill- 
roth I und nach Billroth II, die Resektion des Pylorusmuskels und eines 
kleinen Antrumteils. Von den Ausschaltungen ist die nach Eiseisberg 
in zweifacher Weise bearbeitet worden, einmal als partielle und dann 
als totale Antrumausschaltung. 

Es blieben noch die Untersuchungen am Pawlowschen Fistelhund 
nach Gastroenterostomien. Diese Untersuchungen sind bereits von 
Kaizenstein durchgeführt worden, so daß auf ihre Wiederholung verzichtet 
werden konnte. Katzenstein stellt auf Grund seiner Experimente fest, 
daß der Säuregrad des Sekrets im Magen nicht nur rein chemisch- 
physiologisch infolge Einfließens der transpylorischen Verdauungs¬ 
sekrete in den Magen herabgesetzt wird, sondern daß auch eine direkte 
(reflektorische) Hemmung der sekretorischen Leistung der Magendrüsen 
als Folge der angelegten Gastroenteroanastomose eintritt. Er führt 


i 


t 



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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


29 


den günstigen Einfluß dieser Operation auf die Geschwürsprozesse im 
Magen hierauf zurück. Eine besonders starke Hemmung der Magen¬ 
sekretion bewirkte bei diesen Versuchen eine Fettbeigabe zur Nahrung 
der Versuchstiere. 

Bevor ich mich der Besprechung meiner eigenen Versuche zuwende, 
seien kurz die bekannten physiologischen Tatsachen, soweit sie zum 
Verständnis der Versuchsauswertung nötig sind, im folgenden zu¬ 
sammengestellt. 


Physiologische Vorbemerkungen. 

In zehnjährigen mühevollen, geistreich angelegten experimen¬ 
tellen Arbeiten, ist es Pawlow und seinen Schülern gelungen, die physio¬ 
logischen Grundlagen der sekretorischen Arbeit der Verdauungsdrüsen 
weitgehendst zu klären, und so an Stelle der damals noch recht unklaren 
Vorstellungen von der Tätigkeit und wechselseitigen Abhängigkeit der 
einzelnen Abschnitte des Verdauungstraktus feste, wissenschaftlich 
begründete Tatsachen zu setzen. Bei der aufgeworfenen Fragestellung 
interessiert hier aus diesem weiten Forschungsgebiet nur ein Teil, die 
Arbeit der Verdauungsdrüsen des Magens. Es soll dahet in diesen 
physiologischen Vorbemerkungen eine kurze zusammenfassende Dar¬ 
stellung nur dieses Abschnittes aus den Arbeiten Patdows und seiner 
Schule gegeben werden. 

Bei seinen experimentellen Untersuchungen, die dem Studium der 
sekretorischen Arbeit der Magehdrüsen galten, bediente sich Pawlow 
hauptsächlich operierter Hunde, denen ein willkürlich gewählter Teil 
des Magens derartig ausgeschaltet und zu einem Blindsack geformt war, 
daß die nervöse Verbindung dieses Teiles mit dem übrigen Magen er¬ 
halten blieb, während die sekretorischen Schleimhautflächen beider 
Magenteile völlig voneinander getrennt waren. Das von diesem ab¬ 
getrennten Teil des Magens gelieferte Sekret wurde durch eine Bauch- 
fistel nach außen geleitet. (Über die Technik siehe Näheres unten.) 
Die abgetrennte Magenpartie bezeichnet man als den „isolierten kleinen 
Magen“. Auf diese Weise gelang es, die Sekretionsprodukte des ge¬ 
wählten Magenabschnittes in reiner Form, ohne Beimengung von Mund¬ 
speichel oder Verdauungsprodukten zu erlangen. Es bedeutet diese 
Methode eine Verbesserung der von Klemensiewicz 1 ) und Heidenhein 8 ) 
vorgenommenen Isolierung eines Magenabschnittes, bei der die nervöse 
Verbindung des isolierten Teils mit dem großen Magen nicht erhalten 
blieb. 

Aus zahlreichen Experimenten konnten sich Pawlow und seine 
Schüler davon überzeugen, daß der aus dem isolierten Magenblindsack 
sezernierte Saft in quantitativer und qualitativer Hinsicht ein getreues 
Bild der sekretorischen Arbeit des großen Magens gibt. 


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30 


H. Smidt: 


Durch Kombinierung des isolierten kleinen Magens mit einer Oeso- 
phagusfistel oder mit einer Magen- bezw. Duodenalfistel mit oder ohne 
Abtrennung des Pylorusmagens oder des Brunner sehen Duodenal¬ 
teiles vom Magen traf Pawlow Versuchsanordunngen, die in ihren ver¬ 
schiedenen Variationen Antwort auf die mannigfaltigsten Fragen gaben. 
Es wird hierauf noch näher einzugehen sein. 

Die anatomische Einteilung des Magens in einen Fundusteil und 
einen Pylorusteil, die neben dem grob-anatomischen Bau sich in einer 
histologischen Differenzierung ausspricht, indem im Fundusteil Haupt- 
und Belegzellen, im Pylorusteil aber nur Hauptzellen Vorkommen, 
findet auch in physiologischer Hinsicht ihre Begründung. Im Fundus¬ 
magen wird außer dem Pepsin, das die nativen Eiweißkörper bis herab 
zu den Peptonen spaltet, noch Salzsäure sezemiert, während im Pylorus- 
teile nur eiweißspaltendes Ferment produziert wird. Auf das vom 
Fundusteil gelieferte Labferment, das Chymosin, und die von VoUhard 19 ) 
entdeckte Lipase soll hier nicht eingegangen werden, da ihr Vorkommen 
keine allseitige Anerkennung gefunden hat, und ihre Wirkung für die 
aufgeworfenene Fragestellung ohne Bedeutung ist. Ferner wird im 
Fundusmagen noch Schleim sezemiert. 

Die Sekretion der Fundusdrüsen ist eine intermittierende. Im Ruhe¬ 
zustand reagiert die Magenschleimhaut alkalisch. Diese Reaktion 
rührt von dem die Schleimhaut bedeckenden Schleim her. Mit Beginn 
der Sekretion tritt jedoch saure Reaktion auf. Die alkalische Reaktion 
der Magenschleimhaut ist also der biologische Ausdruck für den Ruhe¬ 
zustand der Fundusdrüsen. 

Zum Studium der sekretorischen Arbeit des Magens erhielten im 
Paidowachen Laboratorium Hunde, denen ein isolierter kleiner Magen 
aus dem Fundusteile angelegt worden war, als Beispiel animalischer 
Eiweißnahrung, rohes Fleisch, als Beispiel einer Kohlenhydratkost Brot, 
und als Beispiel gemischter Nahrung Milch. Diese Nahrungsmittel 
wurden in stets gleichen Quantitäten den zu untersuchenden Tieren 
verabfolgt und dann in stündlichen Intervallen die Mengen des ab¬ 
gesonderten Saftes, die Acidität der einzelnen Portionen und ihre Ver¬ 
dauungskraft festgestellt. Die nunmehr zu schildernden Untersuchungen 
fielen im Pawlowschen Laboratorium im wesentlichen Chigin 11 ) zu. 
Er fand, daß jedem der dargereichten Nahrungsmittel ein typischer 
Sekretionsverlauf entsprach. Menge und Dauer der Sekretion, sowie 
die Sekretionsgeschwindigkeit, ferner Acidität und Verdauungskraft 
zeigten sich in gleicher Weise charakteristisch für das gereichte Nahrungs¬ 
mittel (cf. Kurve 1). 

So beginnt bei Darreichung von Fleisch die Sekretion aus dem 
kleinen isolierten Magen nach einer gewissen Latenzzeit, die im allge¬ 
meinen nur wenige Minuten dauert und die sich zwischen jener nach 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


31 


Brotgenuß, die geringer ist, und jener bei Milchgenuß, die länger währt, 
bewegte. Im allgemeinen dauert sie 4 Minuten als Minimum und 10 Mi¬ 
nuten als Maximum. 

Einen gleich charakteristischen Ablauf zeigt die Sekretion in Hinsicht 
auf die Quantität des abgesonderten Saftes. Hier findet sich nach 
Fleischgenuß eine starke, rasch zunehmende Saftproduktion während 
der ersten beiden Stunden. Der sekretorische Höhepunkt wird am 
Ende der ersten oder im Anfang der zweiten Stunde erreicht. Hierauf 
folgt ein rasches Nachlassen der Sekretion. Während der nächsten 
Stunden wurden nur geringe Saftmengen produziert. Nach vier oder 
mehr Stunden, je nach der Quantität der gereichten Nahrung und auch 
individuell verschieden, erschöpft sich die Absonderung. 


Hld.: I II UI IV V VIVIIVIII I II III IV V VI VUVIIIIXX I II III IV V VI 



Fleisch Brot Milch 

Abb. 1. Sekretion aus dem isolierten kleinen Magen nach Pawlow. Nach Genuß 
von 2U0g rohen Fleisches, 250 g Brot und (300 ccm Milch. 

(Nach Pawlow , Die Arbeit der Verdauungsdrüsen, Wiesbaden 1898.) 


Anders nach Brotgenuß: Schon in der ersten Stunde wird das Maxi¬ 
mum der Saftsekretion unter rascher Zunahme der Sekretionsgeschwin¬ 
digkeit erreicht. In der zweiten Stunde gelangt nur noch etwa die 
Hälfte der in der ersten Stunde gelieferten Menge zur Sekretion. Die 
Sekretionsgeschwindigkeit sinkt gleichmäßig, aber langsam ab, um nach 
(j oder mehr Stunden, aber jedenfalls nach längerer Zeit als bei Fleisch - 
genuß, zu sistieren. Dabei beträgt die während der ganzen Verdauungs¬ 
zeit produzierte Saftmenge nur etwa dreiviertel von jener, die nach 
Fleischnahrung geliefert wird, sie entspricht aber ungefähr der nach 
Milchgenuß zu konstatierenden Menge. 

Am kürzesten ist die Sekretionsdauer nach Milchgenuß. Langsam 
ansteigend erreicht hier die Sekretion ihren Höhepunkt erst während 
der zweiten Hälfte der zweiten oder im Beginn der dritten Stunde nach 
Beginn der Absonderung. Das Abfallen der Sekretion ähnelt dann in 
seiner Gleichmäßigkeit dem Anstieg. Findet also nach dem Genuß 
von Fleisch und Brot die stärkste Saft Produktion innerhalb der ersten 


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32 


H. Smidt: 


Stunden statt, so tritt sie nach Milchaufnahme erst später, während 
der zweiten oder dritten Stunde auf. . 

Ein typisches Bild ergeben auch die Kurven der Verdaungskraft 
der einzelnen stündlichen Saftportionen nach Darreichung der ver¬ 
schiedenen Speisearten. Absolut genommen ist sie am größten in der 
zweiten und dritten Verdauungsstunde nach Brot, also zu dem Zeit¬ 
punkte, an dem das Maximum der sekretorischen Leistung überschritten 
ist. Sie ist nach diesem Nahrungsmittel überhaupt weit höher als bei 
den übrigen und beträgt fast das Doppelte der des Milchsaftes. Nur 
langsam fällt die Verdauungskraft auf ein bis zum Ende gleichbleibendes, 
immer noch hohes Niveau ab. Auf Fleisch- und Milchgenuß tritt be¬ 
reits während der ersten Stunde eine verhältnismäßig hohe Verdauungs¬ 
kraft des abgesonderten Saftes in Erscheinung, die in den folgenden 
Stunden, im ganzen geringer als beim Brotsaft, sich gleichbleibt. Nur 
tritt bei Milch, gegen Ende hin, nochmalig eine kurze, lebhafte Steigerung 
der Verdauungskraft auf. 

In weiteren Versuchen konnte Chigin feststellen, daß die Verdauungs¬ 
kraft der Sekretion bei einem bestimmten Nahrungsmittel von der 
Geschwindigkeit, mit der die Sekretion statthat, unabhängig ist. 

In gleicher Weise schwankt auch die Acidität des abgesonderten 
Magensaftes. Im allgemeinen ist sie während der Zeit der stärksten 
Saftabsonderung höher. Sie ist durchschnittlich am höchsten nach 
Fleischgenuß, geringer nach Milchgenuß, am niedrigsten beim Brot¬ 
saft. Doch bewegen sich diese Schwankungen innerhalb geringer Grenzen. 
Sie sind von äußeren Ursachen abhängig (s. unten). 

Auch bei ausgeglichener Acidität der stündlichen Saftproduktion 
bleibt, wie Kersten u ) und Sanozky zeigten, die Fermentwirkung die gleiche. 

Chigin hat ferner festgestellt — und dieses wurde später von Arrhenins 
bestätigt —, daß die im ganzen während der Verdauungsperiode produ¬ 
zierte Saftmenge proportional der aufgenommenen Nahrungsmenge 
ist (CÄi^tnsche Regel), und daß die Verdauungszeit proportional der 
Quadratwurzel der Speisemenge ist. 

Diese grundlegenden Versuche legen in klarer Weise dar, daß scharf 
umrissene, feste Beziehungen zwischen dem aufgenommenen Nahrungs¬ 
mittel einerseits und der Saftsekretion andererseits in qualitativer wie 
quantitativer Hinsicht bestehen. Es mußte hier auf diese ohne Vor¬ 
weisung von Kurven und Tabellen etwas schwierigen Verhältnisse näher 
eingegangen werden, weil sie in ihren Ergebnissen eine wesentliche 
Grundlage für den experimentellen Teil bilden. 

Wenn so diese Untersuchungen der PateZoteschen Schule ein klares 
Bild von dem Ablauf der Magensekretion an sich entwarfen, war damit 
jedooh erst der Anfang zur Analysierung des Sekretionsaktes gemacht. 
Neue Fragen tauchten auf und harrten ihrer Lösung. 


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Experimentelle Stadien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


33 


Die auf ein bestimmtes Nahrungsmittel typisch eingestellte Saft¬ 
produktion legte den Gedanken nahe, daß jedes der dargereichten 
Nahrungsmittel oder die in ihm enthaltenen chemischen Stoffe an irgend¬ 
einer Stelle des Verdauungsaktes als safttreibender Reiz zur Entfaltung 
kamen. Wo war nun der Angriffspunkt für diese Impulse zu suchen? 

Schon Bidder und Schmidt 16 ), und nach ihnen Richet haben die sog. 
psychische Saftsekretion festgestellt, die allein schon nach Necken 
der Tiere mit vorgelegtem Fleisch auftrat. Diese Erkenntnis war aller¬ 
dings nicht unwidersprochen geblieben. Wenn die psychische Sekretion 
tatsächlich bestand, dann war zu eruieren, welcher Anteil der gesamten 
Saftabsonderung ihr zukam, und wie sich ihr Ablauf in quantitativer 
wie in qualitativer Hinsicht gestaltete, wenn sie allein in Erscheinung 
trat. 

Daß tatsächlich allein durch den Anblick und Geruch von Nahrungs¬ 
mitteln eine Saftausscheidung im Magen stattfindet, konnten Ketscher 
und Sanozky im Pawlow sehen Laboratorium konstatieren. An Hunden 
mit einer Oesophagotomie (zur Vermeidung des Einfließens von Mund¬ 
speichel in den Magen) und mit einer Magenfistel, oder mit einem iso¬ 
lierten kleinen Magen, zeigten diese Autoren, daß auf Anblick und Ge¬ 
ruch von Nahrung nach einer kurzen Latenzperiode eine lebhafte, 
l 1 /* Stunden währende Sekretionsabsonderung aus der Magenfistel, 
wie aus dem isolierten kleinen Magen einsetzte. Dabei erwies sich der 
abgesonderte Magensaft hinsichtlich der Menge und der Beschaffen¬ 
heit als charakteristisch für jedes einzelne Nahrungsmittel in der 
Weise, wie wir es oben sahen, nur war der zeitliche Ablauf der 
Sekretion ein kürzerer, die Absonderung erschöpfte sich rascher. So 
zeigte der auf Brotreizung gewonnene Saft eine doppelt so hohe Ver¬ 
dauungskraft als der bei Milchreizung erzielte, und der nach Anblick 
und Geruch von Fleisch produzierte erwies sich als verdauungskräftiger 
als der Brotsaft. 

Für den menschlichen Magen wurde die psychische Saftabsonderung 
nach Anblick und Geruch von Speisen von Bvlawinzow *°), Umber, 
Bickel und Bogen geprüft. Während der erste seine Versuche an nor¬ 
malen Menschen mittels Magenausheberung anstellte, benutzten die 
übrigen Autoren Patienten, bei denen wegen Speiseröhrenstenose eine 
Magenfistel angelegt worden war. In beiden Fällen wurde das Auftreten 
von Magensaft nach Appetitanregung konstatiert, und zwar in gleicher 
Weise wie es Ketscher und Sanozky im Experiment am Hunde gesehen 
haben. Von Orandauer wurde am Menschen die Beeinflussung der 
Magensaftsekretion infolge affektiver Irritation geprüft. Während bei 
den Experimenten Ketschers und Sanozkys Auge, Nase und Ohr als 
Reizreceptoren in Tätigkeit traten, zeigten weiterhin Pawlow und 
Schumow-Simanowski, Lobassow, Sanozki und auch Ketscher, daß auch 

Archiv l klin. Chirurgie. 125. 


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34 


H. Smidt: 


nach Kauen und Hindurchtreten von Speisen durch die Mundhöhle 
eine lebhafte Sekretion aus den Magendrüsen einsetzte. Schon Richet 
hatte an einer Frau mit Magenfistel und Oesophagusstenose derartige 
Beobachtungen gemacht. 

Die Versuche der obengenannten Forscher wurden an oesophago- 
tomierten Hunden, die gleichzeitig eine Magenfistel besaßen, angestellt. 
Diese Versuchsanordnung wird weiterhin in der Literatur als Schein¬ 
fütterung bezeichnet. 

Im ganzen zeigt die Magensaftsekretion bei Scheinfütterung eine 
große Ähnlichkeit mit jener bei Anblick und Geruch von Speisen, nur 
ist sie viel intensiver und von längerer Dauer. Der produzierte Saft weist 
ganz allgemein eine stärkere Verdauungskraft auf und besitzt infolge 
der höheren Sekretionsgeschwindigkeit eine höhere Acidität. Auch hier 
tritt die Saftproduktion nicht sofort, sondern erst nach einer kurzen 
Latenzzeit von einigen Minuten auf. Eine nur kurze Zeit (einige Minuten) 
dauernde Scheinfütterung hat schon eine mehrere Stunden dauernde 
Tätigkeit der Magendrüsen zur Folge. Und zwar ist die Menge des ge¬ 
lieferten Sekrets infolge der außerordentlich hohen Absonderungs¬ 
geschwindigkeit eine recht beträchtliche. Die Sekretionskurve steigt 
innerhalb der ersten Stunde steil an, und sinkt nach Erreichung eines 
Maximums am Ende der ersten Stunde ebenso rasch ab, um sich dann 
noch während kurzer Zeit in niederen Werten zu bewegen. Durch immer 
neue Zufuhr von Speisen lassen sich am oesophagotomierten Hunde mit 
Hilfe dieser Scheinfütterungsmethode ganz enorme Mengen von Magen¬ 
saft gewinnen. Es ist dies der Effekt der Summation immer neuer Reize. 

Menge, Sekretionsgeschwindigkeit, Verdauungskraft und Acidität 
weisen bei der Scheinfütterung mit Fleisch und Brot keine großen Unter¬ 
schiede unter sich auf. Hingegen ist bei Milchzufuhr eine unbedeutendere 
Sekretion bei auffallend niederer Verdauungskraft zu konstatieren. 
Überhaupt konnten Pawlow und Frau Schumow-Simanowski 82 ) zeigen, 
daß bei Scheinfütterung flüssiger Nahrung eine weit geringere Sekret¬ 
menge abgesondert wird, als nach festen Nahrungsmitteln. 

Für die menschliche Physiologie ergab sich die Gelegenheit zu ähn¬ 
lichen Versuchen bei Patienten, die wegen Oesophagusstenose gastro- 
stomiert waren. Die zahlreichen Untersucher, die sich mit dieser 
Frage beschäftigten [Homborg 33 ), Bogen s 4 ), Sommerfeld 36 ), Kaznelson **), 
Bickel 31 ), Umber 36 )] konnten eine weitgehende Übereinstimmung mit 
den von Pawlow im Tierexperiment gefundenen Tatsachen feststellen, 
so daß die Übertragung der aus dem Tierexperiment gewonnenen Er¬ 
kenntnisse auf die menschliche Physiologie eine glänzende Recht¬ 
fertigung fand. 

Noch einen recht wesentlichen Beweis erbrachten Scheinfütterungs¬ 
versuche an Tieren, bei denen gleichzeitig eine Oesophagusfistel, eine 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 35 

Magenfistel und ein kleiner Pawlow scher Magen bestand. Lobassow 30 ) 
zeigte mit Hilfe dieser Methodik, daß die Sekretion aus dem großen 
Magen und die aus dem kleinen isolierten Magen eine weitgehende 
Übereinstimmung aufweisen. Latenzzeit, Dauer der Sekretion, Se¬ 
kretionsgeschwindigkeit, Verdauungekraft und Acidität der aus beiden 
Mägen gleichzeitig abgesonderten Saftportionen, zeigen vollkommene 
Übereinstimmung, soweit dies innerhalb geringer Fehlergrenzen des 
Experiments möglich ist. In analoger Weise waren die aus dem großen 
und kleinen Magen gewonnenen Sekretmengen proportional der Aus¬ 
dehnung der operativ getrennten Schleimhautflächen. Damit erfuhr 
die Methode, am kleinen nach Pawlow isolierten Magen die Magen¬ 
sekretion zu studieren, eine glänzende Rechtfertigung, und sie erlangte 
damit endgültig den ihr gebührenden Platz in der Magenphysiologie. 

Dieser ersten reflektorischen Phase, der Magensekretion, steht 
nun eine zweite Phase gegenüber, die seit Pawlow als die chemische 
bezeichnet wird. Während in der ersten die Anfangsperiode der Saft¬ 
absonderung zu erblicken ist, kommt während der zweiten die sekre¬ 
torische Tätigkeit der Magendrüsen erst für längere Dauer zur Ent¬ 
faltung. 

Um den Ablauf der sekretorischen Arbeit dieser zweiten Phase zu 
klären, verwandte die Schule Pawlow Hunde mit kleinem isoliertem 
Magen, die über sinnreiche Kombinationen von Magen- und Duodenal¬ 
fisteln mit oder ohne Abtrennung des Magens vom Duodenum verfügten, 
wobei dann die Verbindungen vom Magen und Darm durch eine sog. 
äußere Gastroenterostomie aufrechterhalten blieb. 

An den hierher gehörigen Untersuchungen ist eine große Zahl der 
Pawlow sehen Schüler beteiligt. Es seien hier nur die Namen Lobassow 40 ), 
Chigin, Sokolow* 1 ), Piontkowsky 42 ), Krshyschkowski **), und ferner 
Lönnqvist 45 ) genannt. Näher eingegangen werden boII nur auf jene 
Untersuchungen, die für unsere Aufgabe von besonderem Interesse 
sind. 

Im Gegensatz zu den Ergebnissen bei Scheinfütterungsversuchen 
und denen bei Genuß von Fleisch beträgt die Latenzperiode bei direktem 
Einlegen von Fleisch in den Magen mit Hilfe einer Magenfistel zwecks 
Studiums der zweiten Sekretionsphase 30 Minuten und mehr, d. h. es 
zeigt sich eine bedeutende Verzögerung des Beginns der Drüsenarbeit. 
Die Gesamtdauer der Sekretion ist hingegen ungefähr die gleiche wie 
bei Verfütterung von Fleisch. Es erfährt ferner die Menge des sezer- 
nierten Saftes eine Verminderung. Nach Chigin 42, ^ beträgt sie etwa 
die Hälfte wie bei normaler Speiseaufnahme. In gleicher Weise findet 
sich die Verdauungskraft herabgesetzt. Hieraus erhellt, daß der ersten 
Phase der Magensaftsekretion beim Fleischgenuß eine wesentliche Rolle 
zukommt. 

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36 


H. Smidt: 


In langen Versuchen wurde weiterhin festgestellt, welchen Bestand¬ 
teilen des Fleisches die erregende Wirkung zukommt. Als elektive 
Erreger der Magendrüsen treten während der chemischen Phase neben 
dem Wasser besonders die Extraktivstoffe des Fleisches auf, im späteren 
Verlauf die Verdauungsprodukte der nativen Eiweißkörper, die unter 
der Einwirkung des Pepsins im Magen entstehen. Auch den im Fleisch 
enthaltenen Salzen kommt eine safttreibende Tätigkeit zu. 

Sehr ähnlich dieser erregenden Wirkung des Fleisches und seiner 
Spaltungsprodukte während der zweiten Phase sind die nach Einlegen 
von Brot in den Magen auftretenden Erscheinungen. Hier erfährt die 
Latenzzeit eine noch viel ausgesprochenere Verlängerung. Erst nach 
ein bis zwei, ja nach drei Stunden wird die Saftsekretion in Gang ge¬ 
bracht, um dann innerhalb von 1—2 Stunden nach Erzeugung einer 
äußerst geringen Saftmenge zu versiegen. Da aber diese Leistung 
der Drüsen auch zuzüglich der während der ersten Phase geleisteten 
Arbeit nicht die Gesamtsekretion nach Brotgenuß erklären konnte, 
so mußten nach Brotverfütterung noch andere Erreger bei der Saft¬ 
absonderung ihre Wirkung entfalten. Hier ist zunächst der Speichel 
zu erwähnen, der allerdings nur eine geringe safttreibende Wirkung 
entfaltet. Von Edkins und Tiveedy 47 ) wurden ferner in den Spaltpro¬ 
dukten der Stärke, in Dextrin und Dextrose, kräftige chemische Erreger 
gefunden. Diese entstehen innerhalb der ersten halben Stunde der 
psychischen Saftsekretion noch unter fermentativet Einwirkung des 
Speichelptyalins im Magen. Erst durch diese Feststellung war es mög¬ 
lich, die Sekretion nach Brotdarreichung während der zweiten Phase 
vollständig zu verstehen. Auch die Spaltprodukte der Stärke treten 
dann weiterhin als Erreger für die chemische Phase auf. 

Nicht so klar liegen die Verhältnisse für die Erregung der zweiten 
Phase nach Milchgenuß. Es wurde schon betont, daß die Wirkung 
der ersten Phase nach Scheinfütterung mit Milch auffallend unbedeutend 
ist. Somit fällt der Hauptteil des safttreibenden Effekts der chemischen 
Phase zu. Als chemische Erreger kommen auch hier, wie beim Fleisch, 
Wasser, sowie die Abbaustoffe aus dem Eiweiß der Milch zur Wirkung. 
Weiter konnte Sokolow 48 ) die Produkte der Fettumwandlung als kräftige 
chemische Erreger der Saftsekretion identifizieren. In ausgedehnten 
Versuchsreihen zeigten Babkin 49 ) und Piontkoiosky 60 ), daß dem Glycerin 
kein wesentlicher sekretionserregender Einfluß zukommt, während 
den Seifen und den niederen Fettsäuren, Essigsäure, Milchsäure und 
Buttersäure, starke safttreibende Wirkung zufällt. [Babkin und Ishi- 
Amoa 51 ).] Doch liegen die Verhältnisse noch weit komplizierter. 

Qordejeff 11 ) und Lobassow 11 ) fanden, daß die Beigabe von Fett zur 
Fleisch- und Brotnahrung eine auffallende Verzögerung und Hemmung 
der Saftproduktion zur Folge hat. Der gleiche Erfolg zeigte sich bei 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


37 


Darreichung von Sahne an Stelle von Milch. Als Angriffsfläche dieser 
sekretionshemmenden Wirkung des Fettes stellte Sokolow 11 ) die Duo* 
denalschleimhaut fest. Aus diesen Tatsachen ergab sich dann eine Er¬ 
klärung für die sekretorischen Schwankungen nach Milcheinguß zur 
Erzeugung der zweiten Phase. Bei Genuß von Milch erfährt die an und 
für sich schon wenig ausgeprägte erste Phase eine Hemmung dadurch, 
daß sofort ein kleiner Teil der Milch unverändert ins Duodenum Übertritt 
und von dort aus eine Hemmung entfaltet. Der wirksame Bestandteil 
der Milch ist hierbei das Fett. Hieraus erklärt sich die geringe Saft- 
sekretion innerhalb der ersten Stunde nach Milchgenuß im Gegensatz 
zu jener nach Fleisch und Brotaufnahme. Es ist also der Beginn der 
sekretorischen Arbeit der Magendrüsen nach Milchgenuß durch eine 
ausgesprochene Hemmung charakterisiert. 

Bei Einführung von Fett in den Magen erfolgt aber, wie Damaskin M ) 
und Böldyreff M ) konstatierten, reflektorisch eine Zurückwerfung von 
Duodenalinhalt in den Magen. Diese interessante Tatsache gewinnt 
an Bedeutung, wenn man bedenkt, daß es geraume Zeit nach der Milch¬ 
aufnahme im Duodenum unter Einwirkung des Steapsins in alkalischer 
Sphäre zur Bildung von Seifen kommt, die, wie oben gesagt wurde, 
von der Pars pylorica aus erregend auf die Magendrüsenarbeit ein¬ 
wirken. Dazu kommt noch, daß auch Galle und Pankreassaft als che¬ 
mische Erreger auf* die Pylorusschleimhaut wirken (Sokolow). Die 
Rückwerfung der Duodenalsäfte in den Magen spielt hier also eine 
wesentliche Rolle. Die anfänglich hemmende Wirkung des Fettes 
schlägt so infolge der Aufspaltung des Fettes in eine erregende um. 
Diese wird noch verstärkt durch das Auftreten von Spaltungsprodukten 
des Milcheiweißes, wie bereits oben erwähnt wurde. 

Diesen Wechselwirkungen von Hemmung und Erregung entspricht der 
Verlauf der Sekretionskurve. Einem gleichmäßigen langsamen Anstieg 
mit dem sekretorischen Maximum um die Mitte der gesamten Sekretions¬ 
dauer, folgt ein gleichmäßig langsamer Abfall. Demnach ist nach Genuß 
von Milch die stärkste Saftabsonderung während der zweiten und dritten 
Stunde zu finden. Die Verdauungskraft des sezemierten Saftes ist 
während dieser Zeit als Ausdruck der Fettwirkung gering. Nur zu 
Beginn der Sekretion zeigt sich der Saft verdauungskräftiger (psychische 
Sekretion), und ebenso ist dies der Fall gegen Ende der Sekretion, 
nach Abklingen der Fetthemmung, wenn die Aufspaltung des Fettes 
erfolgt ist. 

Es zerfällt also die gesamte sekretorische Arbeitsleistung des Magens 
in zwei experimentell sehr wohl scharf voneinander zu trennende Phasen, 
die jedoch beim natürlichen Verlauf der Magensaftabsonderung inein¬ 
ander übergehen. Und doch ist jede dieser beiden Phasen dann noch 
durch die Art ihres Ablaufes, durch die qualitative und quantitative 


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38 


H. Smidt: 


Beschaffenheit des gelieferten Sekretes wohl charakterisiert und als 
solche leicht zu erkennen. Jeder dieser beiden Phasen, die sich in ihrem 
Ablauf gewissermaßen überschneiden, fällt eine besondere Aufgabe zu. 

Der reflektorischen Phase fällt die Aufgabe zu, die sekretorische 
Tätigkeit der Fundusdrüsen nach Aufnahme des Nahrungsmittels 
rasch in Gang zu bringen. Die Anregung zur Saftabsonderung ist ein 
reflektorischer Akt. Wie der Reflexbogen für diese erste Phase verläuft, 
ist im einzelnen noch ungeklärt. Sicher ist — das haben Pawlow und 
Frau Schumow-Simanowski 57 ) gezeigt —, daß im N. vagus sowohl sekre¬ 
tionserregende, wie auch sekretionshemmende Fasern verlaufen. Der 
Reflexbogen ist jedenfalls ein sehr komplizierter. Da diese Frage für unser 
Thema nicht von Interesse ist, so soll hierauf im einzelnen nicht ein¬ 
gegangen werden. Nur das sei nochmals hervorgehoben: der Ablauf 
der Sekretion während der ersten Phase, charakterisiert durch sehr 
hohe Sekretionsgeschwindigkeit, durch verhältnismäßig kurze Dauer 
und durch leichte, psychisch aber auch chemisch-reflektorisch bedingte 
Hemmbarkeit der Absonderung, sowie durch die Absonderung eines 
verdauungskräftigen Sekrets ist stets ein typischer. Nach fester Nahrung 
ist die quantitative Leistung der ersten Phase eine weit stärkere als bei 
flüssiger Nahrung. 

Die chemische Phase hingegen ist ausgezeichnet durch ihre lange 
Latenzzeit, ihre gleichmäßige, im Vergleich zur eisten Phase niedrige 
Sekretionsgeschwindigkeit und die geringere Verdauungskraft ihres 
Sekrets. Sie ist die Summe von Wechselwirkungen erregender und 
hemmender Impulse. Die hemmenden Impulse nehmen ihren Ursprung 
vom Duodenum, die erregenden vom Pylorusteil des Magens. Über den 
Vorgang, wie die Arbeit der zweiten Phase in Gang gesetzt wird, wissen 
wir nichts Bestimmtes. Die sehr bestechende Theorie Edkins S6 ), nach 
der die Anregung der Fundusdrüsen durch ein Hormon, das Gastrin, 
erfolge, welches in der Antrumschleimhaut durch Einwirkung von 
Fleischextrakt oder Pepton gebildet und resorbiert wird, hat durch 
die neueren Untersuchungen von Tomaschewshy M ) u. a. eine starke 
Erschütterung erfahren. Auch die zahlreichen anderen Theorien können 
eine befriedigende Lösung nicht geben. Als sicheres Fundament bleiben 
unsere Kenntnisse von der erregenden und hemmenden Wirkung ge¬ 
wisser chemischer Agenzien bestehen. Und zwar wirken als Erreger 
von der Pylorusschleimhaut aus: Extraktivstoffe des Fleisches, Ver¬ 
dauungsprodukte des tierischen- und Pflanzeneiweißes, Wasser, Koch¬ 
salzlösung, Speichel, Pankreasaft, Galle, Essigsäure, Milchsäure und 
Buttersäure, Oleinsäure sowie Seifen, Dextrin und Dextroselösung. 
Hemmend wirken, und zwar vom Duodenum aus: Neutrales Fett, 
Oleinsäure, Seifen, Soda und Kochsalz. Salzsäurelösungen wirken hem¬ 
mend sowohl vom Pylorusteil wie auch vom Duodenum aus. 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


39 


Über die Acidität des sezemierten Magensaftes seien noch einige 
Worte gesagt. Die Acidität des Magensekrets geht parallel der Sekre¬ 
tionsgeschwindigkeit, d. h. je rascher die Sekretion vonstatten geht, 
um so höher ist die Acidität des gewonnenen Drüsensekrets. 

Nun hat aber Pawlow 90 ) am hungernden Tier gezeigt, daß die Aci¬ 
dität der einzelnen gewonnenen Saftportionen immer die gleiche ist. 
Die Schwankungen bei verschiedener Sekretionsgeschwindigkeit sind 
nach ihm auf die neutralisierende Wirkung des gleichzeitig sezemierten 
Schleims zurückzuführen. Ketscher 91 ) konnte nachweisen, daß bei 
größerer Sekretionsgeschwindigkeit das gelieferte Sekret rasch an der 
Magenwand herabläuft und so der der Magenwand anhaftende Schleim 
eine geringere neutralisierende Wirkung entfaltet. Daher zeigen auch 
die im Beginn der Drüsentätigkeit aufgefangenen Sekretmengen eine 
geringere Acidität, da zu dieser Zeit noch reichlich Schleim mitentleert 
wird, während auf der Höhe der sekretorischen Leistung die Schleim¬ 
beimengung eine sehr geringe ist. So erklärt sich auch nach Pawlow 
die geringe Acidität des Brotsaftes, da nach Genuß von Brot reichlicher 
Schleim zur Absonderung gelangt als nach Fleisch- und Milchgenuß. 
Auf diese Weise lassen sich die geringen, aber typischen Schwankungen 
in der Acidität des sezemierten Magensaftes zwanglos erklären. 

Nunmehr wenden wir uns der Besprechung unserer eigenen Versuche 
zu und beginnen mit einer kurzen Darstellung des Versuchsweges. 

Methodik der Untersuchungen. 

Der erste Versuch, nach Analogie des PAtry sehen Blindsackes am 
Darm, einen Magenblindsack zu isolieren, um reinen Magensaft zu ge¬ 
winnen, wurde 1875 von Klemensiewicz 82 ) unternommen. Leider über¬ 
lebte der Hund die Operation nur wenige Tage. Von besserem Erfolg 
waren die Operationen Heidenhains •*) begleitet. Ihm gelang es, aus 
dem Pylorusteil wie auch aus dem Fundusteil des Magens zipfelförmige 
Stücke abzutrennen, zu einem Blindsack zu gestalten und mit dem 
offenen Lumen in die Bauchwand einzunähen, ohne daß dieser heraus¬ 
geschnittene Teil in seiner Ernährung geschädigt wurde. Die Tiere 
blieben längere Zeit am Leben. So war es wohl gelungen, aus einem 
isolierten Magenteil reines Sekret zu erhalten, doch fehlte diesem iso¬ 
lierten kleinen Magen jeder nervöse Zusammenhang mit dem großen 
Magen. Um dieses Ziel zu erreichen, haben Pawlow 9 *) und Chigin eine 
Methode ausgearbeitet, die die Aufrechterhaltung der Innervation 
des kleinen Magens gewährleistet [s. auch Bickel-Katsch 99 )']. 

Die technische Ausführung der Patriotischen Operation gestaltet 
sich folgendermaßen: Ausgegangen wird von einem 8—10 cm langen 
linksseitigen paramedianen Laparatomieschnitt. 2 cm vor der oralen 
Begrenzung der Pars pylorica beginnt am Magen, nach doppelter Unter- 


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40 


H. Smidt: 


bindung und Durchtrennung des Omentum majus mitsamt der Arteria 
gastroepiploica, ein 10—12 cm langer Schnitt, der sich oralwärts auf 
den Magenfundu6 fortsetzt und Vorder- und Hinterwand des Magens 
gleichzeitig längsspaltet. Er verläuft etwa 1 —2 Querfinger parallel zur 
großen Kurvatur (s. Abb. 2). So wird ein dreieckiger Zipfel aus der Magen¬ 
wand herausgeschnitten, ohne daß dieser jedoch den Zusammenhang mit 
dem Fundus verliert und seiner Gefäß Versorgung beraubt wird. Nun¬ 
mehr werden an der Basis dieses Lappens, nach sorgfältiger Blutstillung, 
vom offenen Magenlumen aus die Enden dieser beiden Schnittlinien durch 
einen queren Schnitt verbunden, der jedoch nur die Schleimhaut durch- 



Abb. 2. Ä B = Schnittlinie; C = Lappen xur Bildung des Blindsackeg 
(nach Pawlotc, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen, Wiesbaden 1898). 


trennt, Submucosa, Muscularis und Serosa aber intakt läßt. Jetzt wird 
die Schleimhaut von diesem Schnitt aus nach beiden Seiten stumpf 
von der Submucosa isoliert. Es gelingt dies bei einiger Übung leicht 
durch Zurückschieben der Schleimhaut mittels eines Tupfers. Nur hin 
und wieder müssen kleinere derbe Verbindungen mit der Schere durch¬ 
trennt werden. Diese Isolierung erstreckt sich, je nach der Größe des 
Tieres, auf 1—2 cm jederseits. Von Pawlow selbst wurde nicht mit 
Unrecht auf diese Isolierung großer Wert gelegt. Dann wird die beim 
Magen verbleibende Schleimhaut fortlaufend vernäht, während aus 
der zum Lappen gehörigen eine Kuppel gebildet wird, wodurch ver¬ 
mieden werden soll, daß nach der nunmehr folgenden Schleimhautnaht 
am isolierten Magenteil zwei Schleimhautnahtstellen aufeinander zu 
liegen kommen (s. Abb. 3). Nur so wird eine dauerhafte Isolierung er¬ 
reicht, während es bei Außerachtlassung dieser Maßnahme zur Bildung 
einer echten Magenfistel kommt. Amza Jianu M ) legte nunmehr an der 
Trennungsstelle beider Mägen mehrere durch die Submucosa und Mus- 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 41 

cularis reichende Raffnähte, um so eine sichere Trennung dauernd zu er¬ 
zielen. Nach einem Mißerfolg mit der Pawlow sehen Orginalmethode hatte 
ich mich der Jtarmschen Methode bedient. Zuvor habe ich noch die 
Verbindungslinie, die die Schleimhaut durchtrennt, bogenförmig nach 
oben geführt, dann eine breitere Isolierung der Schleimhautpartien 
vorgenommen und einen 1 cm breiten Saum der isolierten Schleimhaut¬ 
partie des kleinen Magens abgetragen. So erhielt ich eine sichere, 
dauernde Trennung beider Magenteile. Zum Schlüsse folgen je eine Naht 
Muscularis-Serosa und Serosa, die beide Schnittlinien fortlaufend schließt. 
Den Mund des kleinen isolierten Magens habe ich etwas lateral vom Er¬ 
öffnungsschnitt des Ab¬ 
domens nach Art eines 
einläufigen Anus praeter¬ 
naturalis eingepflanzt, 
nachdem die Laparato- 
miewunde zuvor geschlos¬ 
sen war. 

Die Operation erfor¬ 
dert einige Übung und 
bringt nicht selten Ent¬ 
täuschungen. Sie wird 
von den Hunden schlech¬ 
ter als die übrigen Magen¬ 
operationen vertragen. 

Einige Tiere starben 
ohne jede erkennbare Ur¬ 
sache ( Vagu88chock !). Im 
ganzen ist es gut, von 
vorherein mit einer nicht zu geringen Mortalität zu rechnen. 

Zur Verwendung kamen vorzugsweise mittelgroße Hunde, da große 
Tiere die Eingriffe auffallend schlecht überstehen. Ebenso zeigen rein¬ 
rassige Tiere eine geringere Widerstandsfähigkeit. Es gelang im ganzen 
5 Tiere den vollen Versuchsgang passieren zu lassen. 

Während des Versuches wurde in die Fistelöffnung ein dem Lumen 
angepaßtes Glasröhrchen mit zahlreichen Durchlöcherungen einge¬ 
führt, wie es von Pawlow selbst angegeben worden ist. Den sezemierten 
Saft nahm ein untergestelltes Glaskölbchen auf. Meist lagen die Tiere 
während des Versuches und schliefen, wenn sie sich an die Versuchs¬ 
anordnung gewöhnt hatten, meist bald ein. In der versuchsfreien Zeit 
wurden die Hunde wie die übrigen Tiere des Stalles ernährt und liefen 
frei herum. 

Als Nahrungsmittel dienten im Versuch rohes Fleisch, Weißbrot 
und Milch als typische Vertreter für Eiweiß-Kohlenhydrat und gemischte 



Abb. 8. V- Magenhöhle; S - Blindsack; A - A = Bauchwand 
(nach Pawlow , Die Arbeit der Verdauungsdrüsen, Wies¬ 
baden 1888). 


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42 


II. Smidt: 


Kost. Diese wurden bei den Grundversuchen stets in gleicher Menge 
verabreicht: 100 g fettfreies rohes Fleisch in größeren Brocken, 125 g 
Weißbrot und 300 g Milch. Bei einigen Beobachtungen wurden be¬ 
sondere Versuchsanordnungen getroffen, die weiter unten bei Bespre¬ 
chung der einzelnen Versuche Erwähnung finden werden. Der aus dem 
kleinen Pawlowmagen zur Sekretion gelangte Magensaft wurde in viertel¬ 
stündlichen Portionen gemessen, um so eine möglichst genaue Be¬ 
obachtung der Sekretionsgeschwindigkeit zu gewinnen, und um die 
Aufstellung genauer Kurven über den Ablauf der Sekretion zu ermög¬ 
lichen. Notiert wurde in jedem Falle die Latenzzeit. 

An den stündlichen Saftportionen wurde alsdann die Acidität und 
die Verdauungskraft bestimmt. 

Die Aciditätsbestimmung wurde durch Titration mittels 1 / 100 Normal- 
Kalilauge unter Benutzung von Phenolphthalein als Indicator vorge¬ 
nommen. 

Die Verdauungskraft der einzelnen Saftportionen wurde nach dem 
Verfahren von Mett geprüft, wobei wir uns der Modifikation von Niren- 
stein und Schiff* 1 ) bedienten. Die ilfettsehen Eiweißröhrchen wurden 
in filtrierten Magensaft, der mit 1 / 10 Normalsalzsäurelösung auf das 
8- oder lßfache verdünnt ist, gebracht und für 24 Stunden in den Brut¬ 
ofen bei 37° gestellt. Aus der 4fachen Ablesung wurden alsdann die 
Mittelwerte gewonnen. 

Im allgemeinen wurde jeder Versuch in gleicher Anordnung beim 
gleichen Tier menigstens 3 mal ausgeführt, um groben Irrtümem, die aus 
momentanen Verstimmungen des Versuchstieres leicht unterlaufen 
können, zu entgehen. 

A. Untersuchungen der Sekretion nach Resektion der Pars pylorica nach 
den Methoden Billroth I und II. 

Als Methode Billroth I wird jene Kontinuitätsresektion des Magens 
bezeichnet, bei der die ganze Pars pylorica mitsamt dem Musculus 
pylori entfernt wird, und alsdann der zurückbleibende Fundusteil des 
Magens in seinem oberen Teile verschlossen wird, während der untere 
mit dem Duodenum End-zu-End in Verbindung gebracht wird. (Gastro- 
duodenostomie). Diese Methode ist in der Chirurgie sehr wechselnd 
beurteilt worden, ursprünglich von Billroth als erste Methode der Pylorus- 
resektion angegeben und von Rydygier ausgeführt, dann von Kocher 
modifiziert, wurde sie bald zugunsten der zweiten Bittrothachen Methode, 
bei der nachher beide Querschnitte blind verschlossen und die Magen- 
und Darmverbindung mit Hilfe einer Gastrojejunostomie wiederher¬ 
gestellt wird, verlassen. Erst in der neuesten Zeit ist die erste Billroth¬ 
ache Methode, besonders durch das energische Eintreten v. Höherer# 96 ) 
wieder als erstrebenswertes Ziel anerkannt worden, als die Methode, 


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Experimentelle Stadien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


43 


die am besten geeignet erscheint, das Auftreten eines postoperativen 
Ulcus pepticum jejuni zu vermeiden. Auf diese Tatsache, die durch 
klinische Beobachtungen (v. Haberer u. a.) festgestellt ist, soll hier nicht 
näher eingegangen werden. Jedenfalls nimmt die Methode Billroth I 
-einen so hervorragenden Platz unter den Magenresektionen ein, daß 
«ine eingehende Beschäftigung mit ihren physiologischen Auswirkungen 
-dringend erforderlich erscheint. 

Für die eingangs ausgeführte Fragestellung wird beim Studium 
der Veränderungen der Magensaftsekretion, welche die Pylorusresektion 
nach BiUroth I zur Folge hat, der Wegfall der ganzen Pars pylorica 
-als physiologisch wichtigster Teil des Magens im Vordergrund stehen. 
Bei Ausfall dieses Teils, von dem die Erregung der Saftsekretion während 
■der II., der sog. chemischen Phase ausgeht, wird von vornherein mit 
■einer nicht wesentlichen Abänderung des Sekretionsverlaufes zu rechnen 
«ein. Erhalten bleibt nach dieser Operation die ganze sezemierende 
Fläche des Magenfundus. Unberührt bleiben die receptorischen Flächen 
für die I., die psychische Phase der Saftabsonderung. Erhalten bleibt 
ferner der -Bntnnersche Teil des Duodenums als die Fläche, von der 
aus die sekretionshemmenden Beize ihren Ausgang nehmen. Das Fehlen 
■der Angriffsfläche für die Erregungsimpulse der chemischen Sekretions¬ 
phase wird sich weiterhin in einer Störung des Wechselspiels von Er¬ 
regung und Hemmung gegenüber normalen Verhältnissen geltend 
machen. Von diesen Erwägungen wird bei der Beurteilung der experi¬ 
mentellen Untersuchungsergebnisse auszugehen sein. 

Wenn schon in der operativen Therapie die Resektion der gesamten 
Pars pylorica, eben wegen der physiologischen Funktion dieses Teils als 
Säurewecker [v. Bergmann #9 )] gerade für die chirurgische Ulcusbehand- 
lung eine große Bolle spielt, so wird es^ doch nicht unwesentlich sein, 
auch die Wirkung einer nicht kompletten Antrumresektion zu studieren. 
Um so mehr als dem Pförtnermuskel bei der Wechselwirkung von 
Sekretionserregung und -hemmung, als Trenner beider Zonen, bei der 
Auslösung des Hirsch-Mering sehen Reflexes eine wesentliche Rolle 
zukommt. Aus diesem Grunde schien es ratsam, in Parallelversuchen 
festzustellen, welche sekretorischen Änderungen nach Resektion des 
Pylorusmuskels auftreten. 

Als weitere Aufgabe tritt dann das Studium der Absonderungs¬ 
verhältnisse nach Resektion der ganzen reflexogenen Zone, also der 
Pars pylorica mitsamt dem Brunner sehen Teil des Duodenums auf. 
Auch diese Frage ist von chirurgischem Interesse, da man heute dazu 
neigt, in der Behandlung des Duodenalulcus die radikaleren Methoden, 
die Duodenalresektionen, den konservativen Ausschaltungsmethoden 
vorzuziehen. Deshalb ist auch diese Frage einer experimentellen Be¬ 
arbeitung unterzogen worden. 


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44 


H. Smidt: 


I. 

Für die Untersuchungen der Folgen der typischen Resektion nach 
BiUroth I, also in physiologischem Sinne dem Ausfall der ganzen Pars 
pylorica, stand ein Hund zur Verfügung, bei dem zunächst ein isolierter 
kleiner Magen nach Pawlow in der oben geschilderten Weise angelegt 
worden war. In Vorversuchsreihen wurde zunächst festgestellt, daß 
die Sekretion aus dem kleinen Magen nachVerfütterung der verschiedenen 
Nahrungsmittel analoge Resultate ergab, wie die von Pawlow und seiner 
Schule gefundenen. Tabellen I—III und Abb. 4 zeigen die Ergebnisse 
dieser Untersuchung (Mittelwerte). 

Tabelle I. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 100 g Fleisch. Latenz¬ 
zeit: 4 Minuten. Sekretionsdauer: 5 1 /» Stunden. 


Stunde 

| Saftmenge 

viertelstündlich | stündlich 

AciditAt 

Verdauungs¬ 

kraft 


0,5 





i. 

0,8 

2,0 

. 

7,2 

0,548 

4,1 


3,9 J 






2,0 





ii. 

1,8 

0,8 

* 

5,3 

0,730 

3,1 


0,7 J 






Ml 





m. 

0,9 

0,7 


3,5 

0,402 

3,2 


0,8 






0,7] 


• 



IV. 

0,7 

0,7 


2,6 

0,365 

3,0 


0,5 J 






0,4] 





V. 

0,5 

0,3 

> 

1,5 

0,365 

4,0 


C,3 





VI. 

0,3 

j 

0,3 

— 

— 

Insges. bzw. im Durchschn. 

20,4 

0,525 

4,0 


Auf die Verfütterung von 100 g rohen Fleisches in Stücken setzt nach 
4 Minuten Latenzzeit eine 5 1 /* Stunden dauernde Absonderung aus 
dem kleinen Magen des Versuchstieres ein (cf. Tab. I, Abb. 4). 

Insgesamt ergossen sich während dieser Zeit aus der Fistel 20,4 ccm 
klaren Magensaftes, der nur in der 1. Stunde von Schleim durchsetzt 
war. Die stärkste Saftabsonderung fand während der 1. Stunde statt 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 45 

(7,2 ccm). Noch während der 2. Stunde war sie beträchtlich, um dann 
von der 3. Stunde an langsam abzusinken, bis sie nach Verlauf dreier 
weiteren Stunden erlosch. Diese äußerst lebhafte Sekretion während 
der ersten beiden Versuchsstunden ist, wie von den Chigin sehen 70 ) 
Untersuchungen her bekannt ist, der Ausdruck der psychischen Se¬ 
kretionserregung der ersten Phase, die auch noch in die 3. Stunde 
übergreift. Entsprechend der Auswirkung der reflektorischen Phase 

Tabelle II. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 126 g Brot. Latenz¬ 
zeit: 4 Minuten. Sekretionsdauer: 6 Stunden. 


Stunde 

| Saftmenge 

; viertelstündlich | stündlich 

1 

Acidität 

Verdauungs- 

kraft 

i. 

0,4 

0,6 

1,6 


5,1 

0,365 

4,9 

ii. 

2,5 J 

1,31 

0,6 

0,5 


1 

i 

2,9 

0,402 

6,4 

m. 

0,5 J 

0,6 

0,6 

0,5 

; 

2,2 

0,365 

6,3 

IV. 

0,5 J 

0,5 

0,6 

0,3 


1,7 

0,402 

5.7 

V. 

0,3 J 

0,41 

0,3 

0,3 


1,3 

0,311 

5,5 

VI. 

0,3 J 

0,4 1 
0,4 

\ 

1,1 

0,365 

6,2 


0,3 J 

1 

_i 




Insges. bzw. im Durchschn. 

14,3 

0,372 

5,3 


findet sich, wie die Registrierung der Viertelstundenmengen zeigt, 
die größte Sekretionsgeschwindigkeit im letzten Viertel der 1. Stunde. 
Während der 2. Hälfte der 2. Stunde wird beinahe die Hälfte der über¬ 
haupt gelieferten Saftmenge produziert (9,7 ccm gegenüber 20,4 ccm). 
Parallel der Absonderungsgeschwindigkeit des Saftes ist die Acidität 
während der ersten beiden Stunden ungleich höher als später. Auch 
die durchschnittliche Acidität des nach Fleischgenuß erzielten Saftes 


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46 


H. Smidt: 


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ist hoch; die Verdauungskraft hat ihr Maximum in der 1. Stunde auf¬ 
zuweisen, doch kommt die der letzten Stunde jener der ersten fast gleich. 
Sie ist geringer als die beim Brotsaft. 

Ganz ähnlich gestaltet sich in typischer Weise der Sekretionsver¬ 
lauf nachVerfütterung von 125 g Brot bei dem gleichen Hund (cf. Tab. II 
und Abb. 4). Die Sekretionszeit ist hier von etwas längerer Dauer als 
nach Fleischgenuß, die Latenzzeit ist die gleiche. Die im ganzen pro¬ 
duzierte Saftmenge beträgt nur etwa zwei Drittel der nach Fleisch¬ 
genuß erzielten. Die größte Stundenportion gewonnenen Saftes ent¬ 
stammt der 1. Stunde. Das Maximum der Sekretionsgeschwindig¬ 
keit fällt in das letzte Viertel der 1. Stunde, erreicht aber nicht die 
gleiche Höhe wie beim Fleischsaft. Hingegen sinkt die Sekretions¬ 
geschwindigkeit in der 2. Stunde rascher ab. Also besteht auch hier eine 
ausgesprochene psychische Saftsekretion, die jedoch nicht ganz die gleiche 
Höhe erreicht. Während der späteren Stunden, die im wesentlichen die 
Wirkung der chemischen Phase zum Ausdruck bringen, bleibt die Se¬ 
kretion eine gleichmäßig niedere. Die Acidität unterliegt im ganzen 
nur geringen Schwankungen und ist, wie beim Brotsaft gemeiniglich,, 
nicht hoch. Im Gegensatz hierzu ist die Verdauungskraft eine bedeu¬ 
tend stärkere, worauf schon früher hingewiesen wurde. 

Wesentlich anders gestaltet sich der Sekretionsverlauf nach Dar¬ 
reichung von Milch (cf. Tab. III und Abb. 4). Aber auch hier ent¬ 
spricht der Absonderungsvorgang den Angaben der Pawlow sehen 

Tabelle III. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 300 ccm Milch. Latenz¬ 
zeit: 8 Minuten. Sekretionsdauer: 3 1 /» Stunden. 


1 

Stunde 

[ Saftmenge 

viertelstündlich 1 stündlich 

Acidität 

Verdauungs¬ 

kraft 

i 






L 

1,0 
1,2 
1,6 J 


4,2 

0,548 

2,5 

1 

i/n 





ii. ! 

1,8 
1,8 
1,3 J 


6,6 

0,438 

2,7 


0,8 





m. 

0,5 
0,7 
0,9 J 


2,9 

| 

0,365 

3,4 

IV. 

0,5 1 
0,3| 

1 

0,8 

0,338 

2,2 

Insge8. bzw. im Durchschn. 

14,5 

0,450 

2,7 


Got 'gle 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 47 

Schule. Nach einer Latenzzeit, von 8 Minuten setzt die Sekretion für 
37* Stunden, also für eine wesentlich kürzere Zeit ein. Die Gesamt¬ 
menge des erzielten Saftes kommt jener bei Brotgenuß gleich. Das 
sekretorische Maximum wird jedoch erst in der Mitte bzw. der 2. Hälfte 
der 2. Stunde erreicht und bleibt in quantitativer Hinsicht hinter dem 
nach Fleisch- und Brotgabe weit zurück. Dafür gestaltet sich der Anstieg 
stetiger, der Abfall zeigt aber keinen langen Auslauf (s. Abb. 4). Dieser 
gleichmäßige, langsame Anstieg der Sekretionsgeschwindigkeit ent¬ 
spricht der Tatsache, daß auf Milch die 1. Phase nur gering ausgebildet 
ist, und daß hier die sekretorische Hauptleistung der 2., der chemischen 
Phase, zufällt. 

ccm 
W 

3.5 
3,0 

2.5 
2,0 
15 
%0 
0,5 

0 

Abb. 4. Sekretion ans dem isolierten kleinen Magen nach Darreichung von 100 g rohen Fleisches, 

125 g Brotes und 300 g Milch. 

Somit fehlt der steile Anstieg der Sekretionskurve am Ende der 
1. Stunde. Die Acidität zeigt nicht die gleiche Stärke wei beim Fleisch¬ 
saft, die Verdauungskraft hält sich während der ganzen Sekretionszeit 
niedrig. 

Aus diesen Ergebnissen der Vorversuche, die in diesem Falle ein¬ 
gehend geschildert werden, um einen Einblick in die Methodik der Unter¬ 
suchungen zu geben, geht hervor, daß unter normalen Versuchsbe¬ 
dingungen der Verlauf der Sekretionsarbeit des kleinen isolierten Magens 
die gleichen Resultate ergibt, die Pawlow mit seinen Schülern an ihren 
Versuchstieren erhielten. Daraus leitet sich die Berechtigung her, auch 
jene Versuchsergebnisse dieser Autoren, die im einzelnen einer Nach¬ 
prüfung nicht unterzogen werden konnten, für weitere Auslegungen 
heranzuziehen. 

Nach Anstellung dieser Vorversuche wurde nunmehr bei dem gleichen 
Hund in chirurgisch typischer Weise die Resektion des ganzen Pylorus- 



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48 


H. Smidt: 


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teiles mitsamt dem Pförtnermuskel ausgeführt, also jene Operation, 
die als Methode BiUroth I bezeichnet wird. Daß der gesamte Antrum¬ 
teil entfernt worden war, davon überzeugten mikroskopische Unter¬ 
suchungen aus den verschiedensten Teilen der randständigen Partien. 
Nach längerem Intervall wurden dann die im Vorversuche geschilderten 
Untersuchungen unter gleichen Bedingungen wiederholt. Hierbei 
ergaben sich sehr interessante typische Ausfallserscheinungen, die einer 
eingehenden Besprechung bedürfen (cf. hierzu Tab. IV und V, Abb 5 
und 6). 

Nach Genuß von 100 g rohen Fleisches nahm die Saftabsonderung 
aus dem kleinen Magen nach Resektion des Pylorusteils des Magens 
folgenden Verlauf: Die Latenzzeit war ungefähr die gleiche wie bei den 
Vorversuchen. Nach 4 1 / 2 Minuten begann die Abscheidung von Sekret 
und war nach 3 Stunden beendet. Es ergab sich also eine wesentliche 
Verkürzung der Sekretionsperiode. Der lange, gleichmäßige Auslauf 
der Sekretionskurve während der letzten 3 Stunden, der bei dem Normal¬ 
versuche durch die Absonderung verhältnismäßig geringer Sekret¬ 
mengen ausgezeichnet ist, hat eine auffallende Verkürzung erfahren. 
Hingegen zeigt der Sekretionsverlauf während der 1. Stunde keine 
wesentliche Abweichung von der am normalen Tier beobachteten. 

Tabelle IV. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 100 g Fleisch bei dem 
gleichen Hunde, wie Tab. I, jedoch nach Resektion der Pars pylorica. Latent- 
zeit: 4 1 /, Minuten. Sekretionsdauer: 2*/ t Stunden. 


Stunde 

Saftmenge 

viertelstündlich I stündlich 

| Acidität 

Verdauungs¬ 

kraft 

i. 

i 

0,5 

0,7 

1,6 


5,5 

0,511 

4,0 

ii. 

2,7 J 

Ml 

0,6 

0,3 


2,8 

0,365 

3,6 

HI. 

0,5 1 

0,61 

0,5 

1 0,1 J 

) 

1,2 

0,311 

3,2 

Insges. bzw. im Durchschn. 

9,5 

0,447 

3,8 


Die Werte sind in der 2. halben Stunde geringer. Auch hier findet 
sich jetzt das Maximum der Sekretionsgeschwindigkeit am Ende der 
1. Stunde, und es erreicht eine beträchtliche Höhe. Erst um die Mitte 
der 2. Stunde tritt ein schnelles Abfallen der Saftproduktion ein, das 
dann, nachdem während einer weiteren Stunde noch unbedeutende 


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Original fro-m 

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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


49 


Saftmengen abgeschieden wurden, rasch zum völligen Sistieren der 
Sekretion führt. Insgesamt beträgt die sekretorische Leistung am 
antrumlosen Magen etwa die Hälfte der Produktion des normalen 
Magens (9,5 ccm gegen 20,4 ccm). Über die Hälfte des gelieferten Sekrets 
fällt auf die 1. Stunde, etwa über ein Viertel sogar nur auf die letzte 
Viertelstunde der 1. Stunde. Ein Blick auf die Abb. 5 erläutert die 
sekretorischen Verhältnisse am besten. Acidität und Verdauungskraft 
zeigen keine bemerkenswerten Abweichungen. 

Wie ist mm diese Veränderung des Sekretionsablaufes nach Ausfall 
des antralen Magenteils zu erklären? Aus den Untersuchungen von 
Pawlow und Schumow-Simanomki' 11 ), sowie Sanozki 72 ) und Lobassow n ) 


ccm 



Abb. 5. Sekretion aus dem isolierten kleinen Magen nach Genuß von 100 g rohen Fleisches. 

-Normaler Verlauf der Sekretion; .Verlauf der Sekretion nach Resektion der Pars 

pylorica nach Biüroth /. 


ist die Zergliederung des physiologischen Vorganges der Magensekretion 
nach Scheinfütterung bekannt. Den von diesen Forschem aufgestellten 
Typus der Scheinfütterungskurve, der zu identifizieren ist mit der 
1., der sog. psychischen Phase der Magensekretion, bringt die von 
uns dargestellte Kurve der Sekretion des antrumlosen Magenteils zur 
Darstellung. Die Differenz, die sich aus dieser und der vor der Resek¬ 
tion gewonnenen Kurve ergibt, ist die 2., die chemische Phase des 
Absonderungsvorgangs. Dadurch, daß mit der Resektion des antralen 
Magenteils die Reflexzone für die chemische Phase wegfällt, kommt 
diese 2. Phase überhaupt nicht zur Ausbildung. Es tritt also am antrum¬ 
losen Magen nur die 1. Phase in ihrer ganzen typischen Gestalt voll in 
Erscheinung. 

Ganz ähnlich gestaltet sich unter den veränderten Verhältnissen 
die Sekretion von Magensaft nach Darreichung von 125 g Brot. Auch 

Archiv t. Id ln. Chirurgie. 125. 4 


Digitizetf by 


Go^ 'gle 


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50 


H. Smidt: 


hier kommt die 1. Phase voll zur Entwicklung mit einer quantitativ 
hohen Leistung am Ende der 1. Stunde und einem raschen Abfall in 
der 1. Hälfte der 2. Stunde, dem sich dann noch eine kurze mäßig starke 
Sekretionsperiode für etwa l l / 2 Stunden anschließt. Wie bei der Ab¬ 
sonderung nach Fleischgenuß, kommt hier ebenfalls die 2. Phase nicht 
zur Entwicklung. Acidität und Verdauungskraft zeigen auch hier kein 
Abweichen von der Norm. 

Wesentlich anders gestaltet sich aber die Magensaftabsonderung 
nach Genuß von 300 g Milch (cf. Tab. V, Abb. 6). Die sekretorische 
Arbeitsleistung des Magens ist hier nach Ausfall des Antrums eine sehr 
geringe. Während einer Absonderungszeit von 2 8 / 4 Stunden werden 

Tabelle V. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 300 ccm Milch bei dem 
gleichen Hunde wie in Tabelle III, jedoch nach Resektion der Pars pylorica. 

Latenzzeit: 7 Minuten. Sekretionsdauer: 2 l / t Stunden. 



Insges. bzw. im Durchschn. 3,2 i 0,402 | 3,1 


insgesamt nur 3,2 ccm Saft produziert, das bedeutet etwas über ein 
Fünftel der Menge, die unter gleichen Verhältnissen normalerweise ab¬ 
gesondert wurde. Von Anfang an ist die Sekretionsgeschwindigkeit 
eine äußerst geringe. Die Sekretionskurve steigt innerhalb der ersten 
5 Viertelstunden auf 0,5 ccm Sekretionsgeschwindigkeit für die Viertel¬ 
stunde an und sinkt von da gleichmäßig langsam ab (cf. Abb. 6). Das 
Maximum der stündlichen Saftmenge fällt in die 2. Stunde. Acidität 
und Verdauungskraft weisen nichts Bemerkenswertes auf. 

Diese auffallende Änderung des Sekretionsverlaufes nach Wegfall 
des antralen Magenteils bedarf einer Erklärung. Bereits von Paivlow 
und Schumow-Simanowski 74 ) wurde festgestellt, daß bei Scheinfütterung 
von flüssiger Nahrung eine nur geringe Erregung der psychischen Se¬ 
kretion erfolgt. Ferner konnte Krshschkcnmki 7B ) zeigen, daß bei Milch¬ 
genuß die 1. Phase nur gering ausgebildet ist, und aus den vergleichen- 



Original frnm 

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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


51 


den Untersuchungen von Chigin 7# ), die am kleinen Pawlowmagen nach 
Genuß einerseits und nach Eingießung von Milch in den großen Magen 
andererseits vorgenommen wurden, geht hervor, daß der Milchsaft 
zum größten Teile als Effekt einer Einwirkung von chemischen Er¬ 
regern, die in der Milch enthalten sind, anzusehen ist. Diese Sekretionä- 
erregung, die ihren Ausgang von 
der Schleimhaut der Pars pylo- 
rica nimmt, kommt nach der 
Kontinuitätsresektion des Ma¬ 
gens nach der Methode BiU- 
roth I in Wegfall. Es bleibt 
also nur die psychische Sekre¬ 
tionsphase bestehen, und auch 
diese erfährt noch eine Reduk¬ 
tion durch hemmende Einflüsse, 
die vom Duodenum ausgehen. 

Wenn schon, wie seit Pawlow 
bekannt ist, am intakten Magen, 
also bei erhaltener Pylorusfunktion, die 1. Portionen genossener Milch 
in unveränderter Form ins Duodenum übertreten und hier infolge 
ihres Fettgehaltes eine hemmende Wirkung auf die psychische Sekre¬ 
tion ausüben, so wird diese Erscheinung nach Resektion des Pylorus- 
muskels noch stärker hervortreten müssen. Denn es fehlt dem 
Magen jetzt die Möglichkeit, flüssige Nahrung in genügender Weise 
zu retinieren, so daß die Auslösung der Sekretionshemmung vom 
Duodenum aus eine stärkere wird. Und wenn selbst ein Zurück¬ 
werfen der Produkte der Fettverdauung (Seifen usw.), wie von Bol- 
dyreff 11 ) konstatiert wurde, oder ein Rückfluß der transpylorischen 
Sekrete im Sinne Damaskins 78 ) erfolgt, dann sind diese infolge der 
fehlenden Reflexzone, der Pars pylorica, nicht imstande, den Saft¬ 
fluß der Fundusschleimhaut in Gang zu setzen. Der sekretorische 
Effekt der 2. Phase bleibt also aus. In der geringen Saftabsonderung 
nach Milchdarreichung beim BiUroth 1 ist also die sekretorische Lei¬ 
stung der gehemmten 1. Phase bei gleichzeitigem Ausfall der 2. Phase 
zu erblicken. 

Daß durch Milchabgabe die 1. Phase eine Hemmung erfährt, konnte 
in einer besonderen Versuchsanordnung klar zum Ausdruck gebracht 
werden. Es wurden dem antrumlosen Hund 50 g Milch verabreicht 
und 5 Minuten später, also noch innerhalb der Latenzzeit — sie beträgt 
in diesem Falle für Milch 7 Minuten —, 100 g rohes Fleisch. Tab. VI 
und Abb. 7 bringen die Absonderungsverhältnisse bei diesem Ver¬ 
suche zur Darstellung. Hierbei zeigte sich eine ganz auffallende Herab¬ 
drückung der Sekretionsgeschwindigkeit während der 2. Hälfte der 

4* 


ccm 



Abb. 6. Sekretion aus dem isolierten kleinen 
Magen nach Genuß von 800 g Milch. 

-Normaler Verlauf der Sekretion; . Ver¬ 
lauf der Sekretion nach Resektion der Pars pylo¬ 
rica nach BiUroth I. 


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52 


H. Smidt: 


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TabeUe VI. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 60 ccm Milch und 
5 Minuten später von 100 g rohen Fleisches bei dem gleichen Hunde wie in 
Tabelle I—III nach Resektion der Pars pylorica. Latenzzeit: Sekretion be¬ 
ginnt 8 Minuten nach Milchgenuß. Sekretionsdauer: 3 Stunden. 


Stunde 


Saftmenge 1 Acidität 

viertelstündlich I stündlich I % 


Verdauungskr. 
n. Mett, in mm 



0,3 


| 



I. 

0,5 
0,8 
1,11 

1,2) 


2,7 

0,338 

1 

| 

' 


II. 

in. 

popp ppp 

M 05 OS 05 *Cn 00 


2,9 

1,6 

0,365 

0,402 

• 2,9 

Insges. bzw. 

im Durchschn. 

7,2 ! 

0,363 

2,9 


ccm 

3,0 


2fl 

15 

V 


1. Versuchsstunde. Die 1. Stundenportion hat eine bedeutende Ver¬ 
minderung erfahren; anstatt 6,5 ccm Saftmenge wurden nur 2,7 ab 

gesondert. Das Maximum der Sekretionsr 
geschwindigkeit wird bei dieser kombi¬ 
nierten Milchfleischdarreichung im 1. 
Viertel der 2. Stunde erreicht. Es ist 
um ungefähr das 2 1 / s fache niedriger als 
nach reiner Fleischnahrung (1,2 gegen 
2,7 ccm). 

Dadurch nimmt die Sekretionskurve 
einen mehr gleichmäßigen Verlauf. Wäh¬ 
rend der letzten l 1 /. Stunden ist dann 
eine wesentliche Abweichung des Sekre¬ 
tionsverlaufes bei diesem Modus der Nah¬ 
rungsaufnahme nicht zu konstatieren. 
Die Verdauungskraft ist herabgesetzt, 
wohl als Ausdruck der Fettbeimengung 
zur Nahrung. Denn Oordejef 79 ) konnte 
ein solches Sinken sowohl bei Fleisch- 
wie bei Brotgenuß konstatieren, wenn er der Nahrung Fett beifügte. 
Ich habe in einem weiteren Versuch, der hier nur erwähnt sei, der 
Fleischnahrung 30 g Butter zugegeben und sah alsdann einen ähn¬ 
lichen Sekretionsverlauf wie bei der beschriebenen Versuchsanordnung. 
Nur ist die Reduktion noch stärker ausgebildet, die produzierte Ge- 


~l 

ü 


m 

■ 


m 

E 

■ 


Std. I E m 

Abb. 7. Sekretion aus dem isolierten 
kleinen Magen nach Resektion der Pars 
pylorica. 

-nach Genuß von 100 g rohen 

Fleisches: . nach Genuß von 60 g 

Milch und 6 Minuten später von 100 g 
rohen Fleisches. 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 53 

samtsaftmenge beträgt dann nur 4,4 ccm. Auch die Acidität ist herab¬ 
gesetzt, wofür die verminderte Sekretionsgeschwindigkeit während der 
1. Stunde verantwortlich zu machen ist [Ketscher 60 )]. 

Was die Beurteilung dieses veränderten Ablaufs der Sekretion 
nach kombiniertem Milch- und Fleischgenuß gegenüber dem nach 
reinem Fleischgenuß am antrumlosen Magen anbelangt, so er- 
cheinen Milch wie auch reines Fett als exquisite Hemmer der psy¬ 
chischen Sekretionsphase, die ihre Wirkung vom Duodenum aus 
entfalten. Und dieser hemmende Effekt tritt aus den oben dar¬ 
gelegten Gründen gerade am antrumlosen Magen besonders eklatant 
in Erscheinung. 

Wenn so durch Resektion des antralen Magenteils eine Reduktion 
der Magensaftabsonderung infolge Unterdrückung der chemischen 
Sekretionspbase sich herbeiführen läßt, wobei naturgemäß gleichzeitig 
die produzierte Gesamtsalzsäuremenge proportional sinkt, so läßt sich 
doch am antrumlosen Magen eine Saftproduktion erzielen, die quanti¬ 
tativ jener gleichkommt, die der normale Magen nach Genuß von Fleisch 
zu produzieren pflegt. Es läßt sich dies sehr einfach erreichen durch 
protrahierte Verfütterung der Nahrungsmittel in kleinen Gaben nach 
Analogie der protrahierten Scheinfütterung, wie sie von Ketscher 81 ) 
und Schumow-Simanow8ki 82 ) vorgenommen wurde. Diese Unter¬ 
suchung ist derart durchgeführt worden, daß dem Tier je 50 g rohen 
Fleisches in drei aufeinanderfolgenden Halbstunden verfüttert wurden. 
Hierdurch wurde eine so lebhafte Steigerung der Saftabscheidung aus 
dem kleinen Magen erzielt, daß die insgesamt produzierte Saftmenge 
etwa gleich groß ist wie bei den normalen Vorversuchen am gleichen 
Tier (cf. Tab. VII). In gleicher Weise zeigt die Sekretionsdauer eine 
Verlängerung, sie beträgt bei besagter Anordnung 4 Stunden, gegen¬ 
über 3 bei einmaliger Verfütterung der Fleischmenge. Der Verlauf der 
Sekretionskurve erfährt eine Abänderung insofern, als die kurzdauernde 
maximale Sekretionsgeschwindigkeit, die am Ende der 1. und An¬ 
fang der 2. Stunde als charakteristisch für die psychische Saftab¬ 
sonderung erkannt wurde, sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. 
Sie hält noch während der ganzen 2. Stunde an, und während dieser 
Zeit der maximal gesteigerten Arbeitsleistung werden fast drei Viertel 
der im ganzen abgesonderten Saftmenge gewonnen. Der Auslauf der 
Sekretionsperiode findet mit niederer Sekretionsgeschwindigkeit nach 
etwas über 1 Stunde sein Ende. Der so erhaltene Magensaft verfügt 
infolge der außerordentlich großen Absonderungsgeschwindigkeit über 
eine hohe Acidität; ebenso ist die Verdauungskraft eine recht beträcht¬ 
liche. Das Wesentliche an diesem Versuchsergebnis ist die große Saft¬ 
menge mit den verhältnismäßig hohen Aciditätswerten, die bei der 
protrahierten Fleischfütterung sich ergeben. Ganz ähnliche, im allge- 


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54 


H. Smidt: 


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meinen durch wenig niedere Werte ausgezeichnete Resultate ließen 
sich durch protrahierte Brotdarreichung erzielen. 

Tabelle VII. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Resektion der Pars pylorica bei dem 
gleichen Hunde wie in Tabelle IV bei Genuß von je 50 g rohen Fleisches» in 
3 aufeinanderfolgenden Halbstundenintervallen verfüttert. Latenzzeit: 4 Minuten. 

Sekretionsdauer: 3 Stunden. 


ccm 

W 

45 

3,0 

2.5 
2,0 

1.5 
1,0 
0,5 

0 


Stande 


Saftmenge 

viertelstündlich | stündlich 


Acidität 

% 


Verdauungskr. 
n. Mett in mm 


50 g Fleisch 

50 g Fleisch 
50 g Fleisch 


II. 


III. 


IV. 


0,4 

0,6 

1,1 

3.3 

3,6 

3.1 
3,0 

2.3 

1.2 
0,8 
0,4 
0,6 

0,4 


U,4\ 
0,5 , 
0,2 


5,4 


12,0 


3,0 


1,1 


Insges. bzw. im Durchschn. 


21,5 


0,456 


0,511 


0,475 


0,438 


0,488 


4,3 


4,5 


> 5,1 


4,5 


- 

A 

\ 



1 

1 

1 

\ 

\ 

i \ 

\ \ 

\ ^ 

\ 


j\ 

II 

\ 

\ 

\ 

\ 

\ 

\ 

\ 

\ \ 


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// 

yy 

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// 

_i 

\ \ 
\ \ 

v--" \ 

\ 

\ 


Std.I 


m 


w 


Abb. 8. Sekretion aus dem isolierten kleinen 
Magen nach Resektion der Pars pylorica. 

- nach Genuß von 100 g rohen Fleisches; 

. nach GenuS von 60 g rohen Fleisches in drei 

aufeinanderfolgenden Intervallen. 


Anders nach protrahierter 
Milchdarreichung! Es wurden 
dem antrumlosen Tier je 100 g 
Milch in Halbstundenportionen 
gereicht. Die Sekretionskurve 
nimmt dann fast den gleichen 
Verlauf wie bei einmaliger Gabe 
von 300 ccm Milch. Die Sekre¬ 
tionsdauer ist auch hier um 
1 Stunde verlängert und keine 
der Saftportionen, die während 
einer Viertelstunde zur Abson¬ 
derung gelangten, beträgt über 
0,5 ccm. Im ganzen wurden 
während der 3 1 /* Stunden dau¬ 
ernden Sekretionsarbeit des 
kleinen Magens 3,6 ccm Magen- 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 55 

saft sezemiert gegenüber 3,2 bei einmaliger Gabe der gleichen 
Menge. 

Durch protrahierte Verabreichung von Fleisch und Brot an das 
antrumlose Tier wird die sekretorische Leistung der Fundusdrüsen 
durch immer wieder neue Erregung der ersten Sekretionsphase um ein 
beträchtliches gesteigert. Protrahierte Milchdarreichung führt hingegen 
nicht zu einer solchen Steigerung der 1. Phase, wohl weil bei der je¬ 
weiligen erneuten Zufuhr von Milch sofort ein unveränderter Teil der¬ 
selben ins Duodenum gelangt und von da aus infolge seines Fettgehaltes 
hemmend auf die psychische Phase ein wirkt. 

Durch Resektion des antralen Magenteils mitsamt dem Pylorusmuskel 
nach der Methode BiUroth I erfährt die Sekretion aus dem Fundusteile 
des Magens folgende Änderung: 

Die 2., chemische Sekretionsphase fällt weg, da die receptorische 
Fläche für die Reize der chemischen Erreger, die Pars pylorica, in Wegfall 
gekommen ist. Sie ist bei keinem der drei typischen Nahrungsmittel zu 
konstatieren. 

Die 1., psychische Sekretionsphase bleibt hingegen erhalten. Ihr 
fäUt die ganze sekretorische Arbeit am antrumlosen Magen allein zu. Die 
sekretorische Leistung der 1. Phase ist nach Fleisch- und Brotgabe in 
quantitativer und qualitativer Hinsicht gleich ausgebildet wie normaler¬ 
weise. Nach Milchdarreichung erfährt sie eine starke Reduktion infolge 
hemmender Einflüsse, die das ungespaltene Fett vom Duodenum aus 
entfaltet. 

Durch kombinierte Darreichung von Milch bzw. Fett und Fleisch 
oder Brot läßt sich eine Herabsetzung der sekretorischen Leistung der 
1. Phase nach Fleisch- oder Brotgenuß erzielen. Auch hier wirkt das 
neutrale Fett vom Duodenum aus hemmend auf die Entfaltung der psy¬ 
chischen Sekretionsphase ein. 

Andererseits erfährt die an sich voll ausgebildete 1. Phase nach Fleisch- 
bzw. Brotgabe eine sehr bedeutende Erhöhung bei protrahierter Darreichung 
dieser Nahrungsmittel in kurzen Intervallen und kleinen Portionen. Bei 
protrahierter Milchgabe iit kleinen Mengen tritt diese Sekretionserhöhung 
nicht ein, da vom Duodenum ausgehende hemmende Einflüsse überwiegen. 

II. 

Zum Studium der Veränderung der sekretorischen Arbeit der Fundus¬ 
drüsen nach Resektion der gesamten reflexogenen Zone des antralen 
Magenteils samt des Brunnersehen Teils des Duodenums fand ein Hund 
Verwendung, bei dem nach Anlegung eines Pawlowaehen Magens aus 
dem Fundusteil in Vorversuchen die normale Absonderungsleistung 


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56 


H. Smidt: 


geprüft worden war. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind aus 
den Tab. VIII—X und den Abb. 9—10 ersichtlich. Die Versuchs¬ 
anordnung war die gleiche wie früher. Es wurde dann bei diesem Tier 
die Resektion des gesamten antralen Magenteils mit dem Duodenum 
bis kurz oberhalb der Einmündungsstelle des oberen kleinen Ductus 
pancreaticus (Santorini) und Choledochus ausgeführt. Der Duodenal¬ 
stumpf wurde blind geschlossen, die oberste Jejunalschlinge nach par¬ 
tiellem Blindverschluß der oberen zwei Drittel des Magenstumpfes 
terminolateral (nach Mikulicz-Krördein) dem offen gebliebenen Teil des 
Magenlumens eingepflanzt. Zur Vermeidung des Rückflusses wurde 
der zuführende Schenkel auf die obere Verschlußnaht des Magens fixiert. 
ccm Diese Methode hat sich 

mir auch sonst schon 
häufig bewährt, und 
Röntgenuntersuchun¬ 
gen derart operierter 
Patienten zeigten, daß 
ein Rückfließen in den 
zuführenden Schenkel 
vermieden wird. Mikro¬ 
skopische Schnitte aus 
den Randpartien des re¬ 
sezierten Macenteiles 

Sekretion ans dem isolierten kleinen Magen nach ^ . 

Genoß von 100 g rohen Fleisches. zeigten, daß die »Schnitt- 

-Normaler Verlauf der Sekretion; Verlauf derSekre- fläche im Fundusdrüsen- 

tion nach Resektion der Pars pylorica sowie des Brunner- 

sehen Duodenalteils. aD8chnitt lag. Eine rönt- 

genologische Untersu¬ 
chung ließ erkennen, daß der zuführende Schenkel sich nicht füllte, 
sondern daß die Entleerung nur durch die abführende Jejunalschlinge 
statthatte. 


2,5 


2,0 


1,0 


0,5 h 


■ 

M 




n 

n 




TM 

B 

9 








Std. I 

E 

m 

17 

V 


Abb. 9. 


Die Ergebnisse der Untersuchung, die nach Aufnahme von 100 g 
rohen Fleisches durch diesen Hund sich ergaben, werden in Tab. VH3 
und Abb. 9 wiedergegeben. Der Ablauf der sekretorischen Arbeit nach 
Fleischgenuß gleicht, von kleinen individuellen Schwankungen abge¬ 
sehen, jenem beim antrumlosen Tier (Hund I nach Biüroth I operiert). 
Hier wie dort bleibt nach Ausführung der Antrumresektion die psy¬ 
chische Sekretionsphase mit der für sie typischen hohen Sekretions¬ 
geschwindigkeit am Übergang der 1. zur 2. Stunde erhalten. Die che¬ 
mische Phase mit der ihr eigenen geringen Sekretionsgeschwindigkeit 
aber langsamem zeitlichem Verlauf kommt in Wegfall, so daß die sekre¬ 
torische Gesamtleistung eine Reduktion um etwa ein Drittel ihrer nor¬ 
malen Leistungsfähigkeit erfährt und die Sekretionsdauer sich um 
2 Stunden verkürzt. 


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>y CjOOglc 


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Experimentelle Stadien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 57 

Die Erklärung für diesen veränderten Verlauf der Sekretion ist auch 
hier im Ausfall der chemischen Phase infolge Fehlens der reflexogenen 
Zone der Pars pylorica zu suchen. Die durchschnittliche Acidität zeigt 
einen höheren Wert gegenüber dem Normalversuch, was nicht wundem 
kann, da ja, wie im physiologischen Teil erläutert wurde, der Saft der 
1. Phase sich durch höhere Acidität schlechthin auszeichnet. 

Es finden sich also nach Fleischgenuß die gleichen Veränderungen 
der Sekretion, gleichgültig ob nur das Antrum oder das Antrum mit¬ 
samt dem Brunner sehen Duodenalteil entfernt wird. 

Ein ganz ähnliches Verhalten ist nach Brotgenuß zu konstatieren. 
Auch hier erstehen keine wesentlichen Abweichungen des Sekretions¬ 
vorganges, wenn neben dem Antrum noch, der obere Duodenalteil 
reseziert wird. 


Tabelle VIII. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 100 g Fleisch, a) bei 
normaler Versuchsanordnung zum Vergleich, b) nach Resektion des antralen 
Magenteils sowie des ürunnerschen Teils des Duodenums. 


Stande 

a) Saftmenge 

viertelstündlich | stündlich 

b) Saftmenge 

viertelstündlich | stündlich 

i. 

0,6 

0,9 

1.5 

2.5 J 


5,4 

bO © © 

oo'Vj "co“^ 


5,8 

t 

n. 

i 

2,3 

M 

0,6 

0,5 


4,5 

1,5 ) 

0,5 

0,3 

0,2 J 

► 

2.5 

i 

m. 

popp 

05 Wü» 


1,6 

0,1 i 
0,1 


0,2 

iv. j 

popp 

W W K) W 


0,9 

— 

1 

1 

V. 

0,3) 

0,2| 

f 

0,5 

-1 
- J 

\ 

— 

Insgesamt 


12,9 

! 8,5 


Acidit&t im Durchschnitt: 0,438 . 0,511 

Latenzzeit: 6 Minuten.6 Minuten 

Sekretionsdauer: 4 1 /* Stunden.2V* Stunden. 


Wesentliche Differenzen ergeben sich in dieser Hinsicht bei Dar¬ 
reichung von 300 g Milch (cf. Tab. IX, Abb. 10). 


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58 


U. Smidt: 


TaJbtüt IX. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 300 g Milch, a) bei nor¬ 
maler Versuchsanordnung, b) nach Resektion des antralen Magenteils sowie des 
Brunnerachen Teils des Duodenums. 


Stunde 


a) Saftmenge 

1 

b) Saftmenge 

viertelstündlich 

| stündlich 

viertelstündlich 

{ stündlich 


0,3] 



0,4] 



r. 

0,5 


3,0 

0,8 


4,5 

1,0 


1,5 




1,2) 



1,8 J 




1,01 



0.5] 

i 


IT. 

1,3 


3,7 

0,2 


1,0 

0,9 


0,2 



0,5) 



0,1 J 




0,4] 



0,1 



m. 

0,5 

0,4 


1,6 

—- 


0,1 


i 0,3 J 



— 



1 

IV. j 

pO 

1 I 


' “ 1 

1 

i 

\ | 

0,4 


\ 


Insgesamt 


; 8,7 

5,6 


Acidität im Durchschnitt 0,413.0,438 

Latenzzeit: 8 Minuten.8 1 /* Minuten 

Sekretionsdauer: 3 1 /* Stunden.2 Stunden. 


Die Kurve der Normalversuche ergab hier ein typisches Bild: Lang¬ 
sames Ansteigen der Sekretionsabscheidung während der 1. Stunde 

mit einem Höhepunkt der 
Absonderung während der 2. 
Stunde. Die maximale Sekre¬ 
tionsgeschwindigkeit bleibt hin¬ 
ter der nach Fleischgenuß we¬ 
sentlich zurück. Dafür hält sie 
sich während eines längeren Zeit¬ 
abschnittes (l 1 /* Stunden) auf 
verhältnismäßig hohem Wert. 

Nach Resektion des Antrums 
mitsamt dem oberen Duodenal¬ 
teil tritt eine auffallende Ver¬ 
änderung des Sekretions verlauf es 
auf. Die nunmehr resultierende Absonderungskurve ähnelt jener, die 
unter gleichen Verhältnissen nach Fleischgenuß konstatiert wird, nur 
bleibt sie in ihren Ausmaßen hinter dieser zurück. Ein rascher Anstieg 
während der 1. Stunde erreicht am Ende dieses Zeitabschnittes das 



Abb. 10. Sekretion aus dem isolierten kleinen 
Magen nach Genuß von 900 g Milch. 

- Normaler Verlauf der Sekretion; •••• Ver¬ 
lauf der Sekretion nach Resektion der Pars pylo- 
rica sowie des Brunn ersehen Duodenalteils. 


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Experimentelle Stadien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


59 


Maximum der Sekretionsgeschwindigkeit. Dann folgt ein auffallend 
schneller Abfall im 1. Viertel der 2. Stunde, dem sich eine Periode mit 
ganz geringfügiger Absonderung von der Dauer einer Stunde anschließt. 

Das erreichte sekretorische Maximum übertrifft jenes am normalen 
Tier. Die Gesamtmenge des produzierten Saftes beträgt ungefähr zwei 
Drittel der im Vorversuch erzielten Quantität, was im wesentlichen 
die Folge der stärkeren sekretorischen Leistung während der 1. Stunde 
ist. Die Sekretionsdauer erfährt eine Verkürzung. 

Vergleicht man den unter diesen Verhältnissen sich ergebenden 
Verlauf der Sekretion mit jenem bei Milchgenuß nach einfacher Resektion 
der Pars pylorica (cf. Abb. 6 und Tab. V), so ergibt sich ein wesent¬ 
licher Unterschied. In beiden Fällen ist die 2. Phase infolge des Aus¬ 
falls des antralen Magenteils nicht zur Ausbildung gelangt. Es tritt 
also nur die 1. Phase in Erscheinung. Während aber das antrumlose 
Tier nur eine sehr geringe Sekretion nach Milchfütterung darbietet, 
die einen gleichmäßigen, durch niedere Werte ausgezeichneten Ver¬ 
lauf nimmt, ähnelt hier der Ablauf der Sekretion mehr dem nach Fleisch¬ 
darreichung. Die Reduktion der Saftabsonderung nach Resektion des 
Antrums haben wir oben definiert als den Ausdruck hemmender Ein¬ 
flüsse, die vom Duodenum ihren Ausgang nehmen. Da aber mit gleich¬ 
zeitiger Wegnahme des Brunner sehen Duodenalteils auch die reflexogene 
Zone für jene hemmenden, chemischen Substanzen, besonders für das 

Tabelle X. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Resektion des antralen Magenteils 
mitsamt dem Brunnerachen Teüe des Duodenums, a) nach Genuß von 100 g 
Fleisch, b) nach Verfütterung von 50 ccm Milch und 6 Minuten später gege¬ 
benen 100 g Fleisch. 


Stunde 


a) Saftmenge 


b) Saftmenge 

viertelstündlich | stündlich 

viertelstündlich | stündlich 


0,4 ] 

i 

0,3 


i. 

0,9 

1,7 

• | 5,8 

1,2 

1,8 

5,7 


2,8 

1 

2,4 J 



1,5) 

! 

2,4 


ii. 

0,5 

2,5 

0,8 

3,7 


0,3 

0,3 


0,2 J 


0,2 


m. 

pO 

| 0,2 

0,2( 

-1 

f 0,2 

Insgesamt 


8,5 

9,6 


Acidität im Durchschnitt: 0,511.0,525 

Latenzzeit: 6 Minuten.8 Minuten 

Sekretionsdauer: 2Vs Stunden . . .. 2 Stunden. 


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60 


H. Smidt: 


Fett in der Milch, wegfällt, so kommt die 1. Phase hier voll und unein¬ 
geschränkt zur Entfaltung. Sie zeigt den Typus der von der Fleisch¬ 
fütterung her bekannten Sekretionskurve. Damit findet die Ansicht 
Pawloivs 83 ). daß nach Milchgabe die 1. Phase schon normalerweise hem¬ 
menden Einflüssen, die vom Duodenum ausgehen, unterliegt, eine weit¬ 
gehende Bestätigung. Denn auch im Vergleich zu der unter normalen 
Verhältnissen gewonnenen Kurve entfaltet die 1. Phase nach Resektion 
von Antrum und oberem Duodenum beim gleichen Tier eine kräftigere 
safttreibende Leistung. 

Es lag nahe, zur Erhärtung dieser Ansicht an diesem Hunde den 
hemmenden Einfluß von kleinen Milch- oder Fettgaben auf die reflek¬ 
torische Phase in gleicher Weise wie 
beim antrumlosen Tier zu studieren. 
Zu diesem Zweck wurden 50 ccm Milch 
und 5 Minuten später 100 g Fleisch ver¬ 
füttert. Wie aus Tab. X und Abb. 11 
leicht zu ersehen ist, macht sich bei 
gleichzeitigem Ausfall von Antrum und 
Duodenum die hemmende Wirkung des 
Fettes nicht geltend. Vielmehr nimmt 
hier die Saftabscheidung einen ähn¬ 
lichen Verlauf wie bei gewöhnlicher 
Fleischdarreichung, da für die hem¬ 
menden Impulse des Fettes die recep- 
torische Angriffsfläche fehlt. Die 1. Phase 
kommt also auch hier voll zur Entfal¬ 
tung. Wir erblicken in diesem Versuchs¬ 
ergebnis einen weiteren Beweis für die 
Richtigkeit unserer oben ausgesproche¬ 
nen Ansicht, daß normalerweise die 1. Phase bei Fettgenuß schon früh¬ 
zeitig durch Reize, die vom Duodenum ihren Ausgang nehmen, eine 
Hemmung erfährt. 

Nach Resektion der Pars pylori ca des Magens mitsamt dem Brunner- 
schen Teil des Duodenums nach der Methode Billroth II ergeben sich für 
die Sekretion aus dem Magenfundusteil folgende Abweichungen: 

Wie bei der einfachen Antrumresektion kommt auch hier die zweite, 
die chemische Phase, nach Darreichung der drei typischen Nahrungs¬ 
mittel nicht zur Entfaltung, da die Pars pylorica als Angriffsfläche für 
die chemischen Erreger wegfälU. 

Die erste, die reflektorische Phase der Magensekretion zeigt nach Fleisch- 
und Brotverfütterung keine Veränderung gegenüber der Norm. Anders 
nach Milchgenuß! Hier kommen die hemmenden Einflüsse auf die se- 


ccm 


30 



Std.I E m 


Abb. 11. Sekretion aus dem isolierten 
kleinen Magen nach Resektion der Pars 
pylorica mitsamt dem Brunnerschen 
Duodenal teil. 

Nach Genuß von 100 g rohen 
Fleisches; nach Verfiitterung von 
50 ccm Milch und 5 Minuten später 
gegebenen 100 g rohen Fleisches. 


L 


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Experimentelle Stadien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


61 


kretorische Arbeitsleistung der 1. Phase, die am normalen wie auch am 
antrumlosen Magen zu konstatieren sind, nicht zur Entfaltung, da die 
reccptorische Fläche für jene hemmenden Impulse in Wegfall gekommen 
ist. Der Ablauf der reflektorischen Phase der Saftabsonderung ähnelt hier 
mehr dem nach Fleischgenuß. 

Aus dem gleichen Gründe wird auch durch kombinierte Darreichung 
von Milch und Fleisch eine Reduktion des sekretorischen Effektes der 
1. Phase nicht erzielt. 

III. 

Um die sekretorischen Verhältnisse nach partieller Pylorusresektion 
■zu prüfen, wurde einem Hund (Hund 3), der einen Pawlowschen kleinen 
Magen besaß, nach Anstellung der üblichen Vorversuchsreihen, der 



-Abb. 12. Sekretion ans dem isolierten kleinen Magen nach Genuß von 100 g rohen Fleisches. 
-Normaler Sekretions verlauf;.Verlauf der Sekretion nach Resektion des Pylorusmuskels. 

Musculus pylori, mit je einem etwa 1 cm breiten Stück des Antrums 
bzw. des Duodenums reseziert. Die Kontinuität zwischen Magen 
und Duodenum wurde nach der Methode BiUroth I wiederhergestellt. 

Es stand zu erwarten, daß der Ausfall eines so wichtigen funktionellen 
Gebildes, wie des Pförtnermuskels, nicht unwesentliche Folgen für die 
Saftabsonderung des Fundusmagens zeitigen müßte. Allein schon die 
Irritation, die der Hirsch- Mering sehe Reflex durch diesen Eingriff er¬ 
fährt, muß den ordnungsmäßigen Verlauf der Wechselwirkungen von 
Erregung und Hemmung stören und kann nicht ohne Einfluß auf den 
Verlauf der Saftsekretion der Fundusdrüsen bleiben. 

Es sei der Besprechung der Versuche vorausgeschickt, daß es auch 
bei dieser Versuchsanordnung gelang, in gewisser Hinsicht typische 
Kurven des Verlaufes der Absonderung zu erlangen (cf. Tab. XI und XII, 
sowie Abb. 12 und 13). 

Nach Genuß von 100 g rohen Fleisches fällt zunächst eine bei jedem 
Versuch wiederkehrende Verminderung der Sekretmenge gegenüber 
«der Norm während der 1. Versuchsstunde auf. Es werden nur 4 ccm 


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62 


H. Smidt: 


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Sekret gegen 7 im Vorversuche abgeschieden. Diese verminderte Ab¬ 
sonderung in der 1. Stunde, die normalerweise nach Fleischfütterung 

als Ausdruck der re¬ 
flektorischen Phase die 
höchsten Werte auf¬ 
weist, kann nur er¬ 
klärt werden durch 
hemmende Einflüsse, 
die bereits zu diesem 
Zeitpunkte vom Duo¬ 
denum her ihre Wir¬ 
kung entfalten. Dabei 
fragt es sich, welchem 



Abb. 18. Sekretion aus dem isolierten kleinen Magen nach 
Genuß von 300 g Milch. 

— Normaler Sekretionsverlauf; - Verlaut der 8ekretion 

nach Resektion des Pylorusmuskels. 


Tabelle XI. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 100g Fleisch: a) nor¬ 
malerweise, b) nach Resektion des Pylorusmuskels. 


Stunde 

a) Saftmenge 

viertelstündlich ] stündlich 

b) Ssftmenge 

viertelstündlich [ stündlich 

I. ; 

Ul 
1,6 
2,2 
2,3 J 


7,0 

0,6 
0,8 
1,0 
1,6 J 



II. 

2,7 
1,4 
1,1 
0,9 J 


6,1 

2,0 

2,1 

2,0 

1,7 


7,8 

I 

in. ! 

1 

1 

1,0 

0,9 

0,7 

0,7) 


3,3 

1,81 

1,0 

0,9 

0,8 


4,0 

l 

t 

IV. 

1 

0,71 
0,8 
0,6 
0,4 J 


2,4 

0,8 

0,6 

0,5 

0,6 


2,5 

1 

\ 

'• 1 

t 

0,3 

0,3 

0,3 

| 0,2 J 


U 

0,4 
0,3 
0,2 
0,1 J 


1,0 

k 

VI. 

0,21 
1 0,1 j 

( 

0,3 

-1 
- 1 

1 

— 

Insgesamt 



20,2 

; 19,3 


Acidität im Durchschnitt: 0,511.0,475 

Latenzzeit: 6 Minuten.6 Minuten 

Sekretionsdauer: b l \ Stunden.5 Stunden- 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 63 

chemischen Agens dieser hemmende Einfluß zur Last zu legen ist. 
Die Bestandteile des Fleisches kommen nicht in Frage, da ihnen 
nur erregende Eigenschaften auf die Pars pylorica, nicht aber eine 
hemmende zukommt. Es wäre höchstens an das Fett, das ein Be¬ 
standteil selbst des mageren Fleisches ist, zu denken. Aber auch dieses 
wird in der 1. Stunde, zu einer Zeit, da eine Aufspaltung des Fleisches 
noch nicht erfolgt ist, kaum ernstlich zur Erklärung herangezogen 
werden können. Wir sind vielmehr geneigt, diese hemmende Reflex¬ 
wirkung der im Fundusteil produzierten Salzsäure zuzuschreiben. 
Von ihr ist die hemmende Wirkung, die sie sowohl vom Pylorusteil 
wie auch vom Duodenum her entfaltet, durch die Untersuchungen 
Sokolotvs 84 ) bekannt. Vom Antrum aus entfaltet die Salzsäure ihre 
hemmende Wirkung aber nur, wenn sie im Magen retiniert wird. Da 
dies aber nach Resektion des Pförtnermuskels nicht der Fall ist, so 
bleibt als receptorische Fläche nur das Duodenum übrig. Und dies ist 
erklärlich, denn nach Wegfall des Schließmuskels und der dadurch be¬ 
dingten Störung des Hirsch- Mering sehen Reflexes gelangt der auf psy¬ 
chischen Reiz hin produzierte und hoch acide Magensaft leichter in 
größeren Quantitäten, als dies normalerweise geschieht, ins Duodenum, 
so daß die Neutralisierung verzögert wird. Von hier aus entfaltet er 
während der ersten und auch im Beginn der 2. Stunde eine sekretiöns- 
hemmende Wirkung. Nachdem aber bis zu einem gewissen Grade der 
fermentative Abbau des Fleischeiweißes im Magen erfolgt ist, können 
die entstandenen Verdauungsprodukte des Eiweißes als chemische 
Erreger der Saftabsonderung ihre Wirkung von der Pars pylorica aus 
entfalten, und dies scheinen sie energisch zu tun, denn in der 2. Stunde 
der Saftabsonderung, besonders in ihrer 2. Hälfte, aber auch noch in 
der 3. Stunde kompensieren die Fundusdrüsen den anfänglichen Ausfall 
ihrer Leistung. Jetzt übertrifft die Sekretionsgeschwindigkeit jene im 
Normalversuch. In der 2. Stunde wird fast das Doppelte der Sekret¬ 
menge der 1. Stunde abgesondert. Diese Leistung fällt der chemischen 
Phase zu. Der Auslauf der Sekretionskurve während der folgenden 
Stunden unterscheidet sich nicht wesentlich von der Norm. Die Se¬ 
kretionszeit ist wenig verkürzt. Es findet dies eine Erklärung in der 
energischen Arbeit der Drüsen im Beginn der 2. Phase und im Verlust 
des Pförtners als Retentionsmuskel des Magens. 

Die Gesamtmenge des gelieferten Sekrets bleibt kaum hinter der 
Normalleistung zurück. 

Bei Verfütterung von 300 g Milch an den gleichen Hund sind die 
Veränderungen des Sekretionsverlaufes weniger augenfällig. Hier er¬ 
fährt die Sekretionsgeschwindigkeit während der 1. Stunde ein6 deut¬ 
liche Verzögerung, die aber noch in die 2. Stunde hinübergreift. Hier 
fällt die Auslösung der Hemmungsimpulse dem neutralen Fett der Milch- 


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64 


H. Smidt: 


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Tabelle XII. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Genuß von 300 ccm Milch; a) nor¬ 
malerweise, b) nach Resektion des Pylorusmuskela. 



— 

ii) Saftmenge 1 


b) Saftmenge 

Stunde 

viertelstündlich 

stündlich | 

viertelstündlich 

stündlich 

1 

0,31 



0,1] 



r. : 

0,4 


2,2 

0,2 


1,0 

0,7 


0,2 



0,8 J 



0,5) 




1,0] 



0,6] 



ii. ; 

1.3 

1.4 


5,3 

0,9 

1,3 


4,5 


1,6 J 



1,7) 




1,7] 

1 

1,8] 



III. 

1,6 

1,2 

| 5,4 

1,4 

1,3 


5,7 


I 0,9) 



1,2 1 




i 0.7 | 



0,6 



1 

IV. 

pO 

"Ln 


2,3 

0,5 

0,2 


j iS 


1 0,4 j 



—. 



■ v. 

pO 


0,3 



\ 

Insgesamt 


15,5 


12,5 


Acidität im Durchschnitt: 0,438-. 0,365 

Latenzzeit: 9 Minuten.8 Minuten 

Sekretionsdauer: 4 1 /» Stunden.3 Stunden. 


portionen, die unverändert ins Duodenum übertreten, zu. Dieses Aus¬ 
fließen wird durch die mangelnde Retentionsfähigkeit des pförtner- 
losen Magens besonders begünstigt. Gegen Ende der 2. Sekretionsstunde 
macht sich dann die energische Wirkung der in der Milch reichlich 
vorhandenen chemischen Erreger bemerkbar. Es ist allerdings die 
kompensatorische Leistung dabei nicht so augenfällig wie nach Fleisch - 
genuß, so daß letzten Endes die sekretorische Gesamtleistung um etwa 
ein Fünftel geringer ist. Dabei ist eine Verkürzung der Sekretionsdauer 
von fast einer Stunde zu verzeichnen. Dies hat wohl seinen Grund in 
einem anfänglich rascheren widerstandslosen Ausfließen der flüssigen 
Milchbestandteile ins Duodenum. 

Die Aciditätsverhältnisse weichen nicht wesentlich von den in den 
Vorversuchen erhobenen Befunden ab. 

Die Resektion des Musculus pylori nach der Methode Billroth I hat 
demnach auf den Verlauf der sekretorischen Arbeitsleistung des Magen * 
fundusteils folgenden Einfluß: 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 


65 


Nach Fleischgenuß machen sich von Anfang an hemmende Einflüsse 
auf die Entwicklung der 1. Phase bemerkbar, die eine nicht unwesentliche 
Reduktion der Magensaftproduktion während dieses Zeitabschnittes zur 
Folge haben. Die hemmenden Reflexe werden ausgelöst durch eine ver¬ 
mehrte Einwirkung der Magensalzsäure auf die Duodenalschleimhaut. 

Eine Kompensation erfährt diese verminderte Leistung der 1. Phase 
durch eine energische Entfaltung der sekretorischen Arbeit der Fundus¬ 
drüsen während der 1. Hälfte der chemischen Phase, so daß als Endeffekt 
die gleiche Menge Magensaft wie normalerweise nach Fleischgenuß pro¬ 
duziert unrd. Nach Milchgenuß tritt eine deutliche Hemmung der 1. Phase 
als Folge der Einwirkung neutralen Fettes auf die Duodenalschleimhaut 
auf, doch steht ihr in nicht so augenfälligerweise vne nach Fleischgenuß 
eine kompensatorische Mehrleistung der 2. Phase gegenüber. 

Vergleicht man die bei totaler und partieller Antrumresektion im 
Experiment enthaltenen Resultate der sekretorischen Leistung der Fun¬ 
dusdrüsen miteinander, so ergibt sich zunächst, daß eine auffallend starke 
Reduktion der Safterzeugung bei allen jenen Methoden zu finden ist, 
welche die totale Entfernung des antralen Magenteiles zum Ziel haben. 

Das Wesen der verminderten Saftproduktion ist sowohl bei der 
Methode Billroth I wie auch bei der nach Billroth II im Wegfall der 
zweiten, der sog. chemischen Phase der Magenabsonderung zu suchen, 
während die erste, die psychische Phase bei beiden Methoden erhalten 
bleibt. Graduelle Unterschiede zeigen sich aber auch hier in der Aus¬ 
wirkung der erhaltenen 1. Phase. 

Am stärksten ist die Saftabsonderung bei der Resektion nach Bill¬ 
roth I herabgesetzt. Hier bleibt der Brunner sehe Duodenalteil, von 
dem die hemmenden Reflexe ihren Ausgang nehmen, sowie die Duodenal¬ 
passage erhalten, und dieses Erhaltenbleiben der Reflexhemmungs¬ 
zone zeitigt gerade, wie oben gezeigt wurde, eine wesentliche Reduktion 
der Saftabsonderung. Dies gilt im Vergleich zur Methode Billroth II, 
bei der die Duodenalreflexzone mit entfernt wird. Selbst wenn aber 
bei der Resektion nach Billroth II der Brunner sehe Duodenalteil nicht 
entfernt wird, wie dies in der Praxis bei der Ausführung dieser Methode 
gewöhnlich der Fall ist, können wir ein gleiches Resultat erwarten. 
Denn auch hier dürften hemmende Reflexe im Duodenum nicht ausgelöst 
werden, da die Passage durch das Duodenum für den Magenchymus 
gesperrt ist. Der Ausfall der Reflexhemmung wird die gleichen Folgen 
me die operative Entfernung des oberen Duodenalteiles haben. 

Auch bei den verschiedenen typischen Nahrungsmitteln zeigt die 
Magensaftsekretion eine graduell verschiedene Herabsetzung. So sahen 
wir, daß bei Billroth I eine Herabsetzung nach Fleisch und Brotgenuß 
auf über die Hälfte erfolgt, während diese Werte bei Billroth II nur auf 

Archiv t. Uln. Chirurgie. 126. 5 


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66 


H. Smidt: 


zwei Drittel reduziert werden. Am augenfälligsten ist die depressive 
Auswirkung der duodenalen Reflexzone nach Milchgenuß. Hier hat 
die Antrumresektion mit Erhaltung des oberen Duodenalteils eine 
Einschränkung der Saftabscheidung auf ein Fünftel zur Folge, während, 
bei gleichzeitiger Entfernung des Duodenums, die Herabsetzung nur 
zwei Drittel der Normalleistung beträgt. 

Somit haben wir es in der Hand, durch Anwendung der einen oder 
der anderen Methode die sekretorische Leistung der Fundusdrüsen 
herabzusetzen. Mit dieser therapeutischen Beschränkung der Saft¬ 
produktion geht aber eine Verminderung der Salzsäureproduktion 
parallel, da, wie wir oben sahen, abgesehen von geringen Schwankungen, 
stets ein Saft von gleicher Acidität zur Sekretion gelangt. 

Andererseits aber erkennen wir, daß wir mit Hilfe unserer Resek¬ 
tionsmethoden, abgesehen von den totalen Magenresektionen, außer¬ 
stande sind, ein völliges Sistieren der Salzsäuresekretion im Magen zu 
erzielen, da die Sekretion der psychischen Phase immer erhalten bleibt. 

Die einfache Resektion des Pylorusmuskels mit nur einem kleinen 
Antrumteil bringt dagegen überhaupt keine wesentliche quantitative 
Sekretionsänderung zustande. Eine Hemmung während der 1. Phase 
wird durch stärkere Saftabsonderung während der 2. Phase wettgemacht. 
Somit bedeutet diese Operation keinen Weg zur Beschränkung der Säure¬ 
produktion. 

Diese Feststellung ist von wichtiger Bedeutung für die menschliche 
Magenphysiologie, die mit der des Hundes weitgehendste Überein¬ 
stimmung zeigt, so daß Analogieschlüsse erlaubt erscheinen. 

Sie zeigt nämlich, daß die frühere Ansicht v. Haberers 8# ), durch 
Resektion des Pylorusmuskels allein sei eine Herabsetzung der Acidität 
des Magenchymus zu erzielen, wohl nicht zu Recht besteht, v. Höherer 
sah ursprünglich in dem Pförtnermuskel die alleinige Ursache für die 
lebhafte Säuresekretion des Magens*). Jedoch ergibt die Resektion 
nur des Musculus pylori in unseren Versuchen keine nennenswerte 
Einschränkung der Sekretion. 

Meine experimentellen Beobachtungen decken sich übrigens völlig 
mit denen des großen Magenmaterials unserer Klinik. In zahlreichen 
systematisch durchgeführten Untersuchungen am Menschen fanden sich 
bei den nach Biüroth 1 operierten Patienten mindestens normale oft 
auch erhöhte acide Befunde, wenn nur ein kleiner Teil des Antrums mit 
dem Pförtnermuskel reseziert war. War hingegen die ganze Pars pylorica 
entfernt worden, so ergaben sich niedere Werte für die Gesamtacidität 
bei gleichzeitigem Fehlen von freier Säure. Dieser geringe Säuregehalt 
des Magenchymus nach Probefrühstück, bei ad modum Biüroth I aus- 

*) Heute hält v. Höherer diese Ansicht nicht mehr aufrecht. Arch. f. Hin. 
Chirurg. 1X9. 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 67 

gedehnt resezierten Patienten ist der Ausdruck der allein erhaltenen 
psychischen Saltsekretion. 

(Mißerfolge nach Pylorusresektion nach der Methode BiUroth I 
mit Auftreten vonUlcusrezidiven, wie sie Enderlen 69 ), Baum 90 ), KeUing 91 ) 
und andere mitgeteilt haben, mögen ihre Erklärung vielleicht in einer 
nur partiellen Resektion des Antrums finden.) 

Bezüglich der Methode Bittroths II ergaben unsere klinischen Unter¬ 
suchungen nicht die gleich günstigen Resultate wie nach BiUroth I. 
In allen Fällen, bei denen ein großer Teil des Magens reseziert war, 
fanden sich niedere Säurewerte. Häufig fehlte im Ausgeheberten nach 
Probefrühstück die freie Salzsäure ganz. Bei inkompletten Antrum¬ 
resektionen waren hingegen zum Teil recht erhebliche Säurewerte 
vorhanden. Diese Feststellungen stimmen mit den von Lorenz und 
Schur 99 ) erhobenen Befunden, die sich besonders mit der Nachunter¬ 
suchung nach BiUroth II pylorektomierter Patienten befaßt haben, 
überein. Die klinischen Befunde gestalten sich beim BiUroth II günstiger, 
als die im Experiment am reinen Magensaft gewonnenen. Das ist darin 
begründet, daß in vielen Fällen von Billxoth II durch die angelegte 
Gastroenteroanastomia retrocolica posterior mit kurzer Schlinge ein 
Rückfluß von Galle und Pankreassaft in den Magen stattfindet, wo¬ 
durch eine Neutralisation des Magenchyms erfolgt. 

Nach den Ergebnissen unserer Experimente kann man der Forde¬ 
rung Finsterere 99 ), beim BiUroth II eine umfangreiche Resektion des 
Magenkörpers auszuführen, um neben der totalen Antrumentfemung 
gleichzeitig noch eine Reduktion der sezemierenden Schleimhautfläche 
zu erzielen, wohl zustimmen. 

Für die klinische Therapie haben wir somit in der totalen Antrum¬ 
resektion ein sicheres Mittel, um die Acidität weitgehend herabzudrücken. 
Dieses Ziel wird am idealsten durch die erste BiUrotsche Resektionsmethode 
erreicht, um deren Wiedereinführung sich v. Höherer 9 *) besonders ver¬ 
dient gemacht hat. Mit ihr ist die gleichzeitige totale Antrumresektion 
zu verbinden*). Als nicht gleichwertig ist die einfache Resektion des 
Pylorusmuskels zu betrachten. 

Weiterhin geben unsere experimentellen Untersuchungen auch An¬ 
haltspunkte dafür, wie die Ernährung antrektomierter Patienten zu 
gestalten ist. Ist im allgemeinen die Saftsekretion und damit auch die 
Säureproduktion bei solchen Patienten nach Milchdarreichung eine 
weit geringere als nach Fleisch- und Brotgenuß, so wird schon aus diesem 
Grunde auf eine möglichst reichliche Milchdarreichung bei antrumlosen 

*) An dieser Forderung können auch vereinzelte Mißerfolge der Methode 
wie der v. Höherer erst jüngst mitgeteilte Fall von Ulcusrezidiv bei sicherem 
Fehlen der freien Salzsäure zunächst nichts ändern. 

5* 


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68 


H. Smidt: 


Patienten Wert zu legen sein. Ganz besonders klar tritt der Vorzug 
von Milch- bzw. Fettbeikost bei Fleischaufnahme zutage, wodurch sich, 
wie gezeigt wurde, eine recht beträchtliche Einengung der Säureab¬ 
sonderung erzielen läßt. Es wird also zu fordern sein, daß bei der Er¬ 
nährung derartiger Patienten auf reichliche Fettbeigabe besonderer 
Wert gelegt wird. 

Durch häufige Darreichung von kleinen Mengen Fleisches konnten 
wir im Experiment auch am antrumlosen Tier reichliche Säureproduktion 
erzielen. Dies beruht auf immer wiederkehrende Erregung der psychi¬ 
schen Sekretion. Nun neigen Patienten mit ausgedehnten Resektionen 
zu häufiger Nahrungsaufnahme, so daß durch häufigere Erregung der 
psychischen Saftsekretion nicht unbedeutende Säuremengen abge¬ 
sondert werden. Daher ist eine Konzentrierung der Nahrungsaufnahme 
auf wenige größere Mahlzeiten zu empfehlen. 

Reichliche Fettbeigabe zur aufgenommenen Nahrung bei gleich¬ 
zeitiger Einnahme von wenigen Mahlzeiten am Tage sollten den nach 
BiUroth I oder II antrektomierten Patienten anempfohlen werden. Das 
entspricht völlig unserer klinischen Erfahrung, da mein Chef, Professor 
Ovleke, schon seit langem beobachtet hatte, daß die gelegentlich nach 
Magenresektionen auf tretenden Beschwerden, Druckgefühl in der Magen¬ 
gegend, saures Aufstoßen, auch Erbrechen usw. schnell verschwinden, 
wenn an Stelle der häufigen kleinen Mahlzeiten wenige, wenn auch größere 
Mahlzeiten gegeben werden. Die Patienten überzeugen sich in solchen 
Fällen schnell von der guten Wirkung einer derartigen Regelung ihrer 
Nahrungsaufnahme. 

In vereinzelten Fällen war allerdings dieser Erfolg nicht zu ver¬ 
zeichnen. Hier gelang es nicht, die postoperativen Beschwerden mit 
Hilfe dieser emährungstechnischen Maßnahmen zu beseitigen. Es han¬ 
delte sich wahrscheinlich um Fälle, bei denen organische Ursachen 
für die Beschwerden der Patienten verantwortlich waren. 

B. Untersuchungen zur Pylorusausschaltung nach v. Eiseisberg. 

Den Resektionsmethoden stehen die Ausschaltungsmethoden gegen 
über. Das sind jene Methoden, bei denen die Entleerung des Magens 
durch eine Gastroenteroanastomose bewerkstelligt wird, während gleich¬ 
zeitig die Egestion auf dem normalen Weg ausgeschaltet wird. Im wesent¬ 
lichen kommt es hier auf die v. Eiseisberg sehe Pylorusausschaltung 
an, bei der die Kontinuitätstrennung zwischen Fundusmagen und 
Pylorusteil eine vollständige ist. Sie steht für den Chirurgen im Vorder¬ 
grund des Interesses, weil gerade nach ihr besonders hohe Aciditäts¬ 
grade des Magensaftes beobachtet werden, eine Feststellung, die zu¬ 
nächst nicht erklärlich erschien. Diese v. Eiseisberg sehe Ausschaltungs¬ 
methode, die bei der Behandlung des Duodenal- und juxtapylorischen 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 69 

Ulcus eine große Rolle gespielt hat, ist in den letzten Jahren sehr in 
Mißkredit geraten, da sich nach ihr als äußerst unangenehme Folge¬ 
erscheinung das Ulcus pepticum jejuni besonders häufig einstellte. 
«7. Höherer* 5 ) hat mit Nachdruck auf die elektive Stellung aufmerksam 
gemacht, die diese Methode in der Genese des postoperativen peptischen 
Geschwürs einnimmt. Gerade dies macht es uns zur Pflicht, den Ablauf 
der physiologischen Sekretionsarbeit der Magendrüsen bei der v. Eiseis¬ 
berg sehen Ausschaltung zu studieren. 

Bei der in typischer Weise ausgeführten Pylorusausschaltung nach 
t?. Eiseisberg, wie sie Kelling M ) fordert, bei der die gesamte Pylorus- 
Schleimhaut tragende Magenfläche vom übrigen Magen abgetrennt 
wird, bleibt — im Gegensatz zu den Resektionsmethoden — die Pars 
pylorica, also jener Magenteil, von dem physiologischerweise die Er¬ 
regung der Saftsekretion der Fundusdrüsen ausgeht, erhalten. Er 
steht jedoch nicht mehr im Zusammenhang mit dem Fundusteil, und 
der angelegte neue Ausgangsweg des Magens, die Gastroenterostomie, 
die in unseren Versuchen stets mit einer Braun sehen Anastomose zur 
Vermeidung des Rückflusses in den zuführenden Schenkel kombiniert 
wurde, leitet den Magenchymus direkt in den Dünndarm. So würden 
sowohl der reflexerregenden Zone, der Pars pylorica, wie auch der reflex¬ 
hemmenden Zone, dem Brunner sehen Duodenalteil, keine Impulse in 
Gestalt des Magenchymus mehr zugehen, ein Umstand, der eine Ver¬ 
änderung der sekretorischen Leistung der Magendrüse erwarten läßt. 

Von weiterem Interesse müßte es sein, die Änderung der Magen¬ 
absonderung zu studieren, wenn bei der v. Eiseisberg sehen Operation 
ein Teil des Pylorusmagens am Fundusmagen verbleibt, die Ausschaltung 
also kurz vor dem Musculus pylori ausgeführt wird. Denn diese Art 
der technischen Ausführung beschuldigt Kelling 97 ) als Ursache für das 
häufige Auftreten eines peptischen Jejunalgeschwürs. In diesem Falle 
bleibt ein Teil der säfteerregenden Zone dem Einfluß des Magenchymus 
ausgesetzt, so daß hier ein Unterschied der Sekretion im Vergleich zur 
kompletten Ausschaltung der Pars pylorica zu erwarten ist. 

IV. 

Die Untersuchungen über die Wirkung der partiellen Pylorusaus¬ 
schaltung mit Gastroenteroanastomose nach v. Eiseisberg wurden an 
einem Hund (4) ausgeführt, der über einen in typischer Weise ange¬ 
legten kleinen isolierten Pawlow sehen Magen verfügte. Die in üblicher 
Weise durchgeführten Vorversuche hatten festgestellt, daß keine 
wesentlichen Abweichungen vom normalen Typ des Sekretionsverlaufes 
Vorlagen. 

Es wurde alsdann die Pylorusausschaltung nach v. Eiseisberg aus¬ 
geführt, doch wurde der Magen innerhalb der Pars pylorica etwa 2 cm 


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70 


H. Smidt: 


proximal vom Pylorusmuskel durchtrennt, und der distale Teil blind 
verschossen. In den proximalen Magenteil wurde dann Seit-zu-End 
unter Verkleinerung der Magenschnittfläche in der oberen Hälfte die 
oberste Jejunalschlinge eingepflanzt. Zwischen zu- und abführenden 
Ast der Dünndarmschlinge wurde eine Enteroanastomose Seit-zu-Seit 
nach Braun angelegt, um ein Rückfließen von Magenchymus ins Duo¬ 
denum zu verhindern*). Mikroskopische Schnitte aus der Magenwand 
zeigten, daß die Trennungslinie innerhalb der Pars pylorica lag. So 
blieb ein Teil der sekretionserregenden Zone im Zusammenhang mit 
dem Fundusmagen. Röntgenologisch wurde festgestellt, daß die Ent¬ 
leerungszeit die gleiche wie normalerweise (3 1 / 2 Stunden) war, und daß 
kein Rückfluß in den zuführenden Schenkel statthatte. 

Die nunmehr in typischer Weise angestellten Versuche zeigten 
zum Teil nicht unwesentliche Veränderungen im Ablauf der Sekretions¬ 
arbeit der Magendrü¬ 
sen (cf. Tab. XIII und 
XIV sowie Abb. 14 
und 15). 

Auf Verfütterung 
von 100 g Fleisch 
nimmt die Sekretion 
zunächst den gleichen 
Verlauf wie normaler¬ 
weise (cf. Abb. 14). 
Die Sekretionskurve 
zeigt den raschen An¬ 
stieg der psychischen 
Saftsekretion. Auch 
während der 1. Hälfte 
der 2. Stunde zeigt sich kein wesentliches Abweichen von der 
Norm. Erst die 4. Halbstunde bringt einen auffallenden Wechsel der 
Sekretion. Die zu dieser Zeit als Ausdruck der chemischen Phase für 
gewöhnlich niedrige Sekretionsgeschwindigkeit erfährt eine Erhöhung 
auf das Doppelte und darüber. So kommen nach Ausschaltung des 
Pylorusmuskels in der 2. Stunde 7,7 ccm Magensaft zur Absonderung 
gegenüber 4,6 ccm in der Norm, und während der 3. Stunde beträgt 
dieses Verhältnis sogar 6,8 zu 2,9 ccm, und noch während der 4. Stunde 
werden 3,5 ccm Saft abgesondert. Doch erfolgt das Nachlassen der 
Sekretion nunmehr langsamer. Im ganzen überdauert die Saftab- 

*) Die von uns angewandte Operationsmethodik entspricht nicht ganz der 
typischen v. Eiselabergechea. Ausschaltung. Sie wurde gewählt, um den Rückfluß 
von Speisebrei ins Duodenum sicher zu vermeiden. Für den physiologischen 
Effekt ist dieses Abweichen von der typischen Ausführung belanglos. 


ccm 
3,0 

2,5 

Zfl 

V 
1,0 
Oß 
O 

Abb. 14. Sekretion aus dem kleinen isolierten Magen nach 
Genuß von 100 g rohen Fleisches. 

-Normaler Verlauf der Sekretion; .Verlauf der Sekre¬ 
tion nach Inkompletter Antrumauaschaltung nach v. Eiseisberg. 



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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 71 

Sonderung am ausgeschalteten Magen jene am gleichen normalen Magen 
um 1 Stunde. 

Nach der ganzen Gestaltung und dem Ablauf der Sekretion ist kein 
Zweifel, daß für diese Mehrleistung der Absonderung die erste Phase 
in keiner Weise verantwortlich zu machen ist, daß vielmehr eine stärkere 
Ausbildung der chemischen Phase in Erscheinung tritt. Nur fragt es 

Tabelle XIII. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Pylorusaussohaltung nach v. Eiseisberg. 
Trennungslinie innerhalb der Pars pylorica. Genuß von 100 g rohen Fleisches: 
a) normale Vorversuche, b) Versuche nach Ausschaltung. 


Stunde 

t 

a) Saftmenge 


b) Saftmenge 

viertelstündlich 

stündlich 

viertelstündlich | 

stündlich 


0,5 | 



0,5] 



i. 

0,9 

2,0 


5,8 

1,1 

2,3 


6,4 


2,4 J 



2,5 J 




2,1] 



2,4] 



H. 

1,0 

0,8 

- 

4,6 . 

1,6 

1,8 


7,7 


0,7 J 



1,9 J 




0,7] 



1,8] 



IIL 

0,7 

0,8 


2,9 

1,8 

1,7 

- 

6,8 


0,7 J 



. 1,5 J 




0,3 



1,2] 



IV. 

I 


0,3 

1,1 

0,7 


3,5 


—. 



0,4 J 



V. 

— 


— 

0,3 


0,3 

Insgesamt 



13,6 


24,7 


Acidität im Durchschnitt: 0,503 . 0,525 

Latenzzeit: 7 Minuten.7 Minuten 

Sekretionsdauer: 3 Stunden.4 Stunden. 


sich, wie diese Steigerung zu erklären ist. Daß an die psychische Se¬ 
kretion sich eine chemische Phase anschließt, ist verständlich, denn 
ein Teil des Antrums ist im Zusammenhang mit dem Fundusmagen 
verblieben und bietet den chemischen Erregern, die im Fleisch ent¬ 
halten sind, eine wirksame Angriffsfläche, die aber kaum eine intensivere 
Wirkung entfalten kann, da die Entleerungszeit — im Gegensatz zur 
Absonderungszeit — vor und nach der Operation die gleiche war. 

Somit müssen andere Momente die Ursache für die kräftigen Ent¬ 
faltungen der chemischen Phase bilden. Daß diese ihre Erregung von 


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72 


EL Smidt: 


der ausgebildeten Partie des Antrums nimmt, ist zweifellos, denn sie 
wirkt noch zu einem Zeitpunkte, an dem der Magen bereits entleert 
ist. Überdauert doch, wie oben gesagt wurde, die sekretorische Arbeit 
um eine Stunde jene in der Norm, wiewohl die röntgenologisch fest¬ 
gestellte Entleerungszeit die gleiche ist. Daher muß während dieser 
letzten Stunde die Erregung von einem anderen Punkte als von jenem 
Teil des Pylorusmagens, der mit dem Magen in Kontinuität belassen ist, 
ausgehen, und es kommt lediglich als sekretionserregende Zone der 
ausgeschaltete, mit dem Duodenum in Verbindung stehende Pylorus- 
teil in Frage. 

Es bleibt weiterhin noch zu entscheiden, welche chemischen Stoffe 
für diese Erregung, die vom ausgeschalteten Pylorusteil ausgeht, ver¬ 
antwortlich zu machen sind. Das nächstliegendste wäre naturgemäß 
an die in das Duodenum zurückfließenden Magenchymusbestandteile zu 
denken, die dort dann über die Entleerung des Hauptmagens hinaus 
stagnierten und so eine Verlängerung der chemischen Sekretionsphase 
bedingen. Es ist aber durch Anlegung der -Bratrnschen Anastomose 
zwischen zuführender und abführender Jejunalschlinge ein solcher 
Rückfluß vermieden worden, wie durch röntgenologische Kontrolle 
erhärtet werden konnte. Damit kommen also Chymusbestandteile als 
Erreger für diesen Teil der Saftabsonderung nicht in Betracht. Es 
bleiben dann als letzte Möglichkeit nur die transpylorischen Sekrete, 
die ins Duodenum zurückfließen, mit der abgeschalteten Antrum¬ 
schleimhaut in Berührung geraten und von da aus sekretionserregend 
wirken. Als solche kommen im wesentlichen nur Galle und Pankreas¬ 
saft in Frage. Galle und Pankreassaft aber sind hinlänglich als energische 
Erreger der chemischen Phase bekannt. [Sokoknv 98 ).] Daß sie ihre 
Wirkung noch über die Zeit der eigentlichen Magenverdauung hinaus 
entfalten, erscheint uns im Hinblick auf ihren eigenen, von der Magen¬ 
saftsekretion in gewissem Sinne unabhängigen Erregungsmodus als 
leicht verständlich. Denn nach dem Sistieren der Magen Verdauung hat, 
wie Pawlow zeigte, eine lebhafte Pankreassekretion noch statt. Nur so 
ist die auf über das Doppelte erhöhte und in ihrem zeitlichen Ablauf 
verlängerte Sekretion der chemischen Phase zu erklären. Sie ist also 
der Ausdruck für eine gesteigerte Magensekretion zur Zeit der chemi¬ 
schen Phase, die von Antrum aus ihre Erregung durch zurückfließenden 
Pankreassaft und Galle findet. 

Zu erörtern ist noch, wie wir uns ein derartiges Zurückfließen von 
Galle und Pankreassaft in die Pars pylorica vorzustellen haben. Hier 
bildet ein wesentliches Moment die funktionelle Tätigkeit des Pylorus- 
muskels, die wir als Hirsch-Mering sehen Pylorusreflex kennen. Aus 
den Arbeiten von Hirsch "• 10 °), Mering 101 ) und Serdjukow 102 ) wissen 
wir, daß die Schließung des Pförtnermuskels vom Duodenum aus reflek- 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 73 



torisch erfolgt, wenn saurer Speisebrei mit der Duodenalschleimhaut 
in Berührung kommt. Erst nach erfolgter Neutralisierung der Ingesta 
öffnet sich der Pylorus wieder. Bei Ausschaltung des Duodenalteils 
ist dem sauren Magenchymus der Weg zum Duodenum verschlossen. 
Der Duodenalinhalt behält also dauernd die ihm eigene alkalische 
Reaktion, so daß der Schließungsreflex für den Pförtnermuskel aus¬ 
bleibt. Der Hir8ch-Mering sehe Reflex gelangt nicht zur Auslösung. 
Diese Tatsache gewinnt noch an Bedeutung, wenn man weiter der Theorie 
von Cannon 10 *) beitritt. Nach ihr kommt auch eine Öffnung des Pylorus 
zustande, wenn die Säure des Magensaftes mit der Pars pylorica in 
Berührung kommt. Hierfür ist bei der imkompletten Pylorusaus- 
schaltung Gelegenheit geboten. Es bedürfen diese Verhältnisse noch 
jedoch einer weiteren experimentellen 
Klärung, die demnächst von uns in An¬ 
griff genommen werden soll. 

Die Verfütterung von 125 g Brot 
hatte bei dem gleichen Hund einen ähn¬ 
lichen Sekretionsverlauf zur Folge und 
förderte etwa die gleiche Sekretions¬ 
menge zutage (22,3 gegenüber 9,2 ccm 
normal). Das ist nicht ohne weiteres 
verständlich, denn an und für sich 
stünde zu erwarten, daß die produzierte 
Saftmenge im Vergleich zum Fleisch¬ 
saft nur etwa zwei Drittel betrüge. Eine 
Klärung für diese gesteigerte Produktion 
des Brotsaftes finden wir in den sekretorischen Leistungen des Pankreas. 
Aus den Untersuchungen von Walther 10 *) im Pawlow sehen Laboratorium 
von Babkin 105 ) und von Wohlgemuth 106 ) wissen wir, daß die Bauch¬ 
speicheldrüse auf Darreichung von Brot mit einer quantitativ stärkeren 
und zeitlich verlängerten Sekretion antwortet. Klodnizky 107 ) fand 
ferner für die Gallensekretion zwar keine stärkere Absonderung, wohl 
aber eine länger dauernde. Hiernach nehmen wir an, daß vor allem die 
lebhaftere Pankreassekretion die relativ erhöhte Magensaftproduktion 
zur Folge hat, indem sie rückfließend vom abgeschalteten antralen 
Magenteil aus reflektorisch wirkt. 

Nach Genuß von 300 g Milch gestaltet sich der Ablauf der Sekretion 
nicht wesentlich verändert gegenüber der normalen Versuchsanordnung 
(cf. Tab. XIV, Abb. 15.) Die Gesamtmenge des abgesonderten Magen¬ 
saftes weist eine geringe Einschränkung auf (7,4 ccm gegen 8,4 cm). 
Die Sekretionsdauer erfährt im ganzen eine Verkürzung (2 Stunden 
gegenüber 2 x / 2 ). Dabei fällt die sekretorische Hauptleistung auf die 
1. Stunde, während in der 2. Stunde nur noch wenig Magensaft aus 


SA/. I E m 

Abb. 15. Sekretion aus dem isolierten 
kleinen Magen nach Genuß von 800 g 
Milch. 

-Normaler Verlauf der Sekretion; 

.Verlauf der Sekretion nach in¬ 
kompletter Antrumausschaltung nach 
v. EUeUberg. 


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74 


H. Smidt: 


Tabelle XIV. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach Pylorusausschaltung nach v. Eiseisberg. 
Trennungslinie innerhalb der Pars pylorica. Genuß von 300 g Milch: a) normale 
Vorversuche, b) Versuche nach Ausschaltung. 


Stunde 

1 

a) Saftmenge 


b) Saftmenge 

viertelstündlich 

| stündlich 

viertelstündlich 

stündlich 


0 , 3 ] 



0 , 4 ) 



i. 

0,7 

M 

* i 

3,6 

1,0 

1,4 

> 

4,8 


1,5 J 



1,8 J 




1,61 

1 


1 , 5 ] 



ii. 

1,5 

0,9 


4,3 

0,8 

0,2 


2,7 


0,3 J 

l 


0,2 J 



in . 

PO 

’to'bo 

\ 

0,5 

-j 

i 

— 

Insgesamt 



8,4 


7,5 


Acidität im Durchschnitt: 0,413.0,455 

Latenzzeit: 8 Minuten.8 Minuten 

Sekretionsdauer: 2 1 /» Stunden .2 Stunden. 


dem Blindsack abgesondert wird. Die letzte Halbstunde fördert nur 
noch spärliche Sekretmengen zutage. Das rasche Versiegen der anfangs 
lebhaften Sekretion erscheint hier als Hauptcharakteristikum des 
Sekretionsverlaufes, und diese ist als Ausfall der chemischen Phase 
zu deuten. Nun liegen die Verhältnisse nach Ausschaltung des Pylorus- 
muskels und bei gleichzeitiger Entleerung des Magens durch eine Dünn- 
darmanastomose für den raschen Verlauf der Egestion für flüssige 
Nahrung denkbar günstig. Die retinierende Kraft des Pförtnermuskels 
kommt in Wegfall, und damit fällt die zweckmäßige Einrichtung, welche 
die Magenentleerung im Hirsch-Mering sehen Reflex besitzt, weg. Die 
Entleerung erfolgt, selbst wenn sie in einem gewissen Rhythmus vor 
sich geht, rasch und ohne wesentliche Behinderung von seiten der 
Anastomose. Schon das sollte genügen, um den verkürzten Sekretions¬ 
verlauf zu erklären. Es kommt aber für den Ausfall der chemischen 
Phase noch hinzu, daß die Erregung derselben während der 2. und 
späteren Stunden normalerweise vom Pylorusteil aus durch Rückfluß 
der Eiweiß und Fettspaltungsprodukte aus dem Duodenum erfolgt. 
Ein derartiger Rücktransport kann aber bei unserer Versuchsanordnung 
überhaupt nicht stattfinden, da die Milch im Magen eine solche Auf¬ 
spaltung nicht erfährt, und der Magenchymus infolge seines Mangels 
an konsistenten Bestandteilen rasch durch die Anastomose ausfließt. 
Somit ist es erklärt, warum bei dieser Art von Ausschaltung die Ent¬ 
wicklung einer chemischen Phase überhaupt nicht zustande kommt. 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 75 

Die verhältnismäßig verstärkte Sekretion während der 1. Stunde, die 
das Produkt der 1. Sekretionsphase ist, findet ihre Erklärung im Ausfall 
jeglicher hemmender Impulse (Fettwirkung), die vom Duodenum ihren 
Ausgang nehmen müßten. Der Weg zu ihm ist dem in der Milch ent¬ 
haltenen Fett versperrt, und vom Jejunum aus scheinen derartige 
hemmende Reflexe nicht ihren Ausgang zu nehmen. So kommt die 
1. Phase ohne jede Hemmung zur Gestaltung. 

Die Pylorusausschaliung nach v. Eiseisberg, derart ausgeführt, daß 
ein Teil des Antrums in Verbindung mit dem Fundusteil des Magens 
verbleibt, hat also auf den Ablauf der Magensekretion folgenden Einfluß: 

Bei Fleischgenuß zeigt die 1. Phase der Sekretion kein Abweichen 
gegenüber normalen Verhältnissen. 

Hingegen zeigt die 2. Phase eine auffallende Verstärkung der sekre¬ 
torischen Leistung der. Magendrüsen, die so hochgradig ist, daß in viertel¬ 
stündlichen Intervallen über das Doppelte der Sekretmengen abgesondert 
wird. Gleichzeitig erfährt die Sekretionsdauer eine Verlängerung um 
1 Stunde. Als Ursache hierfür ist eine reflektorische Sekretionserregung 
anzusprechen, die ihren Ausgang von dem ausgeschalteten Teil der Pars 
pylorica nimmt, und als deren Erreger die transpylorischen Sekrete, ins¬ 
besondere Galle und Pankreassaft, anzusprechen sind. 

Noch stärker ist die Erhöhung der Sekretionsmenge nach Brotgenuß 
infolge der stärkeren, reflektorisch bewirkten Sekretion von Pankreassaft. 

Darreichung von Milch ergibt während der 1. Phase als Ausdruck des 
Ausfalls hemmender Reflexe eine wenn auch wenig erhöhte Sekretion, die 
normalerweise das Fett vom Duodenum aus entfaltet. Die 2. Phase erfährt 
eine Verkürzung, da Milch als flüssiges Nahrungsmittel durch die Gastroen- 
teroanastomose den Magen rasch verläßt. So ist die Saftproduktion im 
ganzen geringer als normalerweise. 

V. 

Um die Wirkung einer kompletten Ausschaltung der Pars pylorica 
nach v. Eiseisberg auf den Sekretionsverlauf des Magensaftes hin zu 
untersuchen, bediente ich mich eines Hundes (Hund 5) mit kleinem 
isolierten Pawlow sehen Magen, bei dem Vorversuche einen im ganzen 
normalen Sekretionstypus festgestellt hatten. Die reflektorische Phase 
war bei diesem Tier besonders gut ausgeprägt. 

Alsdann wurde die v. Eiseisberg sehe Pylorusausschaltung so aus¬ 
geführt, daß die Trennungslinie die gesamte Pars pylorica des Magens 
im Zusammenhang mit dem Duodenum beließ, so daß also der Fundus¬ 
magen in sich allein geschlossen blieb. Die Egestion wurde durch eine 
Gastroenteroanastomose, die unter Verkleinerung der Magenschnitt¬ 
fläche Seit-zu-End angelegt wurde, bewerkstelligt. Eine .Braun sehe 


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76 


H. Smidt: 


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Anastomose verhinderte den Rückfluß von Magenchymus in den zu¬ 
führenden Schenkel. Im ganzen wurde die gleiche technische Anord¬ 
nung wie bei der partiellen Antrumausschaltung getroffen. Histologisch 
wurde festgestellt, daß die Ausschaltung im Fundusdrüsenteil vollzogen 
worden war. 

Die in typischer Weise angestellten Versuche ergeben Veränderungen 
im Ablauf der Sekretion, die in den Tab. XV und XVI sowie in den 
Abb. 16 und 17 zur Darstellung gebracht sind. 

Auf Darreichung von 100 g Fleisch (cf. Tab. XV und Abb. 16) 
ergibt sich eine Gestaltung der Sekretionskurve, die nur wenig vom Typ 
der normalen Kurve abweicht. Zweierlei aber erscheint auffallend: eine 
Erhöhung der sekretorischen Leistung insgesamt um etwa ein Viertel 
und dann eine Verlängerung der Sekretionsdauer um */ 4 Stunden. Diese 
quantitative Verstärkung der Saftabsonderung ist aber nicht allein 
die Folge der verlängerten Arbeit der Magendrüsen. Vielmehr ergibt 

Tabelle XV. 

Absonderung aus dem kleinen Magen nach kompletter Pylorusausschaltung 
nach v. Eiseisberg. Genuß von 100 g Fleisch: a) normale Vorversuche, b) Ver¬ 
suche nach Ausschaltung. 


Stunde 


a) Saftmenge 


b) Saftmenge 

1 viertelstündlich 

stündlich 

viertelstündlich 

stündlich 


0,8 1 



0,9] 



i. 

1,3 

2,7 


8,9 

1,5 

2,9 

* 

9,3 


4,1 



4,0 J 




2,2] 



M] 



n. 

0,5 

0,4 


3,4 

0,9 

0,6 


3,6 


0,3 J 



0,7 J 




0,3 



0,8] 



m. 

0,3 

0,4 


1,4 

0,8 

0,7 


2,9 


0,4 1 



0,6 J 




0,3 



0,6 



IV. 

0,2 

0,2 


0,9 

0,6 

0,5 


2,1 


0,2 J 



0,4 J 




— 1 

I 


0,2 i 



V. 

_ 1 


— 

0,2 


0,6 


-J 

1 


0,2 J 



Insgesamt 


14,6 


18,5 


Acidität im Durchschnitt: 0,535 . 0,583 

Latenzzeit: 5 Minuten.5V* Minuten 

Sekretionsdauer: 4 Stunden.4 Stunden. 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 77 


sie sich aus einer Mehrleistung der Drüsen nach der 4. Halbstunde, also 
als Produkt der chemischen Phase. Diese weist während der 3. und 
4. Sekretionsstunde eine Verdoppelung der Saftmenge auf. Die reflek¬ 
torische Phase zeigt im ganzen kaum eine Veränderung gegenüber ihrem 
Verlauf während der Vorversuche. 

In ihrem Verlauf ähnelt die Sekretion bei kompletter Antrumaus- 
schaltung nach v. Eiseisberg dem bei partieller Ausschaltung, nur ist 
bei dieser der sekretorische Effekt ein größerer. Es ist also naheliegend, 
die gleichen Ursachen für den veränderten Ablauf verantwortlich zu 
machen. Nur liegen die Verhältnisse hier noch viel klarer als dort. Eine 
Erregung der Fundusdrüsentätigkeit durch chemische Erreger, die im 



Abb. 16. Sekretion aus dem isolierten kleinen Magen nach Genuß von 100 g rohen Fleisches. 

-Normaler Verlauf der Sekretion; . Verlauf der Sekretion nach kompletter Antrum- 

ausschaltung. 


Magenchymus enthalten sind, kann hier schlechterdings nicht erfolgen, 
da diese mit der reflexogenen Zone, der Pars pylorica, überhaupt nicht 
ih Berührung kommen. Hier tritt noch viel deutlicher hervor, daß es 
nur transpylorische Sekrete, also vornehmlich Pankreassaft und Galle, 
sein können, die durch Rücßfluß in den abgeschalteten Pylorusteil ge¬ 
langen und dort als Erreger der chemischen Phase in Aktion treten. 
Und daß sie als solche in kräftiger Weise wirken können, ist bereits 
oben hinlänglich erörtert worden. Somit tritt nach kompletter Pylorus- 
ausschaltung eine chemische Erregung durch Verdauungsprodükte 
des Nahrungseiweißes überhaupt nicht auf. Daß der Sekretionseffekt 
letzten Endes hier aber doch ein größerer als normal ist, findet seine 
Erklärung indem Fehlen jeglicher hemmender Reflexe, die vom Duo¬ 
denum ihren Ausgang nehmen müßten, und die normalerweise hauptsäch¬ 
lich durch die Salzsäure des Magensaftes ausgelöst werden. 


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v Gck >gle 


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78 


H. Smidt: 


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Die Verfütterung von 125 g Brot zeigte ganz ähnliche Verhältnisse 
wie nach Fleischdarreichung. Erhöhung der Sekretion während der 
2. Phase und Verlängerung dieser waren die charakteristischen Ver¬ 
änderungen. Im Gegensatz zur Brotsaftsekretion bei partieller An¬ 
trumausschaltung ist aber hier die Erhöhung nur eine geringe gegen¬ 
über der Norm (14,7 ccm gegenüber 12,3). Dieser Umstand ist dadurch 
zu erklären, daß die chemischen Erreger im Brot bei kompletter Pylorus- 
ausschaltung überhaupt keine Angriffsfläche für eine Reflexerregung 
finden, daß also die 2. Phase wie nach Fleischgenuß hier nur von trans- 
pylorischen Sekreten unterhalten wird. 


Tabelle XVI. 

Absonderung aus dem kleinen Magen kompletter Pylorusausschaltung nach 
v. Eiseisberg. Genuß von 300 g Milch a) normale Vorversuche b) Versuche nach 

Ausschaltung. 


Stunde 


a) Saftmenge 



0,6] 



0,5 



I. 

1,0 


5,5 

1,2 


6,2 

1,8 


2,0 



2,1 J 



2,5 J 




2 , 0 ] 



M ] 



H. 

2,0 

1,3 


6,4 

0,9 

1,0 

I 

3,8 


1,1 ) 



0,8 J 

1 | 


0,41 



0,5 

1 ! 

in. 

0,4 

0,3 


1,3 

0,3 


0,8 


0,2 J 



— . 




0,3, 



— 1 


IV. 

0,2 


0,7 

_ 1 

* ' - 


0,2 J 


-J 

i 

Insgesamt 

— 

13,9 

— 

10,8 


b) Saftmenge 

viertelstündlich I stündlich 


Acidität im Durchschnitt: 0,472. 0,451 

Latenzzeit: 6 Minuten.6 Minuten 

Sekretionsdauer: 3 Stunden.2 1 /» Stunden. 


Der Sekretionsverlauf nach Genuß von 300 g Milch (cf. Tab. XVI 
und Abb. 17) weist eine charakteristische Abweichung von der Norm 
auf. Die insgesamt produzierte Saftmenge ist verringert (10,8 gegen 
13,9), die Sekretionsdauer stark verkürzt (2 1 / 2 Stunden gegenüber 
3®/ 4 Stunden). Die 1. Phase zeigt während der 1. Stunde eine geringe 
Erhöhung ihrer Sekretionsgeschwindigkeit. Dies ist auf den Wegfall 
des hemmenden Einflusses von Fett vom Duodenum aus zurückzuführen. 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 79 




2,0 

1,5 

1.0 

0,5 


1 - 

^ _ 

\ 



7 / 

// 

i 

// 

// 

tj 




j! 


's 



Im Gegensatz zur 1. Phase kommt die 2. Phase nicht klar zur Entwick¬ 
lung. Bereits im ersten Viertel der 2. Stunde erfährt die Sekretions¬ 
geschwindigkeit eine Herabminderung auf etwa die Hälfte, und im 
weiteren Verlauf läßt die Sekretion rasch nach. Nach 2 1 / 8 Stunden ist 
sie gänzlich erschöpft. Dieser rasche Ablauf ist erklärt durch das ver¬ 
hältnismäßig kurze Verweilen der an festen Substanzen armen Milch 
im Magen. Den chemischen Erregern ist die Möglichkeit, mit der re- 
flexogenen Zone der Duodenalschleimhaut in Berührung zu kommen, 
in gleicher Weise wie nach ccm 
Fleischgenuß genommen. Als 3,0 
Erreger der 2. Phase treten 
somit nur die transpylorischen 
Sekrete auf, die nach Einwir¬ 
kung von Chymussalzsäure auf 
die Jejunalschleimhaut abge¬ 
sondert werden. [Bayliss und 
Sterling 108 ), Popielski 100 ), Wert¬ 
heimer 110 ) und Lepage 111 ).] 

Es ergeben sich demnach bei 
Ser Pylorusaus8chaUung nach 
v. Eiseisberg, wenn die ganze 
Pars pylorica ausgeschaltet ist, 
folgende Änderungen im Ablauf 
der Magensaftsekretion: 

Nach Fleischdarreichung nimmt die 1. Phase einen unveränderten 
Verlauf im Vergleich zu den Versuchen am intakten Magen. 

Anders die 2. Phase, sie weist eine Erhöhung der Sekretionsgeschwindig¬ 
keit um etwa das Doppelte, in viertelstündlichen Intervallen gemessen, auf . 
Ferner zeigt sich eine Verlängerung der Sekretionsdauer um 3 / 4 Stunden. 
Als Endeffekt ergibt sich eine Zunahme der gelieferten Sekretmenge, die 
sich allerdings in mäßigen Grenzen hält. Die Ursache für diese Erhöhung 
der 2. Phase ist in einer Erregung der Saftsekretion durch rückfließende 
Galle und Pankreassekret in die abgeschaltete Pars pylorica zu suchen. 

Diese Ergebnisse stimmen mit den Befunden von Enderlen, Freuden¬ 
berg und v. Redwitz überein. Diese Autoren stellten fest, daß es bei der 
v. Eiseisberg sehen Ausschaltung zeitweilig zur Stagnation von hoch¬ 
wertigen trypischen Verdauungssäften im Duodenum und Antrum 
kommt, und daß vom ausgeschalteten Pylorusmagen aus die Erregung 
einer 2. chemischen Phase noch zu einer Zeit stattfindet, in welcher 
der Magen bereits entleert ist (sog. Leersekretion). 

Ganz ähnlich dem Sekretionsverlauf nach Fleischgenuß gestaltet sich 
der nach Brotgenuß. Auch hier hält sich die Steigerung der Absonderung 
innerhalb geringer Grenzen. 


M. I E m ET 

Abb. 17. Sekretion aus dem isolierten kleinen 
Magen nach Genuß von 800 ccm Milch. 

-Normaler Sekretionsverlauf; . Verlauf der 

Sekretion nach kompletter Antrumausschaltung nach 
v. Eiseltberg. 


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Go gle 


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80 


H. Smidt: 


Nach Milchgenuß ist die Gesamtmenge des sezemierten Magen¬ 
saftes verringert. Zwar zeigt die 1. Phase eine geringe Vermehrung 
ihrer Sekretmenge, da vom Duodenum ausgehende Reflexe in Wegfall 
kommen. Andererseits aber kommt die 2. Phase nicht voll zur 
Entwicklung, und es resultiert als Ausdruck der raschen Ent¬ 
leerung des Magens eine wesentliche Verkürzung der Sekretionsdauer 
um 3 / 4 Stunden. 

Betrachtet man vergleichsweise die Resultate unserer Untersuchungen 
am partiell und total ausgeschalteten Eiseisbergmagen, so zeigt sich 
ganz allgemein eine Verstärkung und Verlängerung der Saftsekretion 
nach Fleisch- und Brotgenuß, während, im Gegensatz hierzu, nach 
Milchgenuß eine Verringerung und Verkürzung der Magensaftabsonde¬ 
rung sich einstellt. 

Diese vermehrte und länger anhaltende Sekretion nach Fleisch- 
und Brotfütterung ist im wesentlichen der Ausdruck einer stärkeren 
und zeitlich verlängerten Saftabscheidung der 2. Phase, während 
die 1. Phase kein nennenswertes Abweichen von der Norm aufzu¬ 
weisen hat. 

Am stärksten kommt die erhöhte Leistung der Magendrüsenarbeit 
bei partieller Pylorusausschaltung nach Brotgenuß zum Ausdruck, 
wonach sie weit um das Doppelte die Norm übertrifft. Bei der kompletten 
Ausschaltung nach v. Eiseisberg ist die Brotsaftmenge weit weniger stark 
vermehrt. Dieser Unterschied findet seine Erklärung darin, daß bei 
der kompletten Ausschaltung eine Sekretionsanregung der 2. Phase 
durch die chemischen Erreger im Brot überhaupt nicht zustande kommt, 
sondern, daß hier lediglich die transpylorischen Sekrete von der Pars 
pylorica aus erregend wirken. Bei der inkompletten Ausschaltung hin¬ 
gegen wirken außerdem noch vom nicht ausgeschalteten Pylorusteil 
aus, der im Zusammenhang mit dem Fundusmagen verblieben ist, die 
chemischen Stoffe im Brot, anregend. Hieraus ergibt sich, daß die Er¬ 
regung der 2. Phase durch die Bestandteile des Magenchymus eine 
kräftigere sein muß als durch die transpylorischen Sekrete. 

Auch nach Fleischgenuß ist bei partieller Ausschaltung des antralen 
Magenteils die Menge des sezemierten Magensaftes weit stärker (fast 
um das Doppelte) vermehrt als nach kompletter Ausschaltung. Die 
Gründe hierfür sind wohl die gleichen wie nach Brotgenuß. 

Im Gegensatz dazu findet nach Milchdarreichung bei beiden Ope¬ 
rationsmethoden eine mäßige Reduktion der Saftproduktion statt, 
wobei gleichzeitig die Sekretionsdauer verkürzt ist. Es kommt hierbei 
die 2. Phase nicht zur völligen Entwicklung, während die 1. Phase eine 
leichte Steigerung der sekretorischen Leistung infolge fehlender Reflex¬ 
hemmung vom Duodenum her aufweist. 

Hieraus ergibt sich, daß eine Herabsetzung der Saftabsonderung 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 81 

und damit der Säureproduktion mit Hilfe der v. Eiseisberg sehen Aus¬ 
schaltung nicht zu erzielen ist, daß vielmehr nach Fleisch- und Brot¬ 
genuß das Gegenteil, eine vermehrte Acidität, erreicht wird. Und selbst 
die geringfügige Reduktion der Saftabsonderung nach Milchgenuß 
kommt für unser therapeutisches Handeln nicht in Frage. Damit erweist 
sich die Methode, ganz besonders aber die partielle Antrumsausschaltung, 
als weit unterlegen, gegenüber den Resektionsmethoden, sogar gegenüber 
der partiellen Antrumresektion. 

ln Übereinstimmung mit diesen Ergebnissen haben die klinischen 
Erfahrungen mit der v. Eiseisberg sehen Ausschaltung häufig zu Mi߬ 
erfolgen geführt, t;. Höherer m ) machte sie für die häufige Entstehung 
des peptischen Jejunalgeschwürs verantwortlich, das er an seinem 
Material bei 17% der Fälle auf treten sah. Dies wurde von Clairmont 
und anderer Seite bestätigt, und auch unsere eigenen klinischen Er* 
fahrungen stimmen mit dieser Beobachtung überein. Oft bleibt nach 
der v. Eiseisbergachen Ausschaltung eine recht beträchtliche Acidität 
des Magenchymus (nach Probefrühstück) zurück. Säurewerte, die 
denen vor der Operation gleichkommen — es handelt sich hierbei fast 
ausschließlich um Patienten mit j urtapy lorischen oder duodenalen 
Geschwüren — oder sie gar noch übertreffen, sind keine Seltenheit. Daß 
diese lebhafte Säuresekretion für die Entstehung des Ulcus pepticum 
jej uni mit verantwortlich gemacht wurde, war naheliegend. 

Schur und Plctschkes 113 ) und später auch Kelling m ) hielten es für 
wahrscheinlich, daß die hohe Acidität, die sich bei nach v. Eiseisberg 
operierten Patienten einstellt, ihre Ursache in einer verstärkten Erregung 
der chemischen Sekretionsphase von der ausgeschalteten Pars pylorica 
her fände. Unsere experimentellen Untersuchungen beweisen, daß 
diese Vermutung der genannten Autoren richtig ist. Sie zeigen aber 
auch, daß besonders die partielle Ausschaltung zu Verwerfen ist, wenn¬ 
gleich die totale auch nicht so harmlos erscheint, wie dies Kelling an* 
nimmt. Jedenfalls ist nach unseren klinischen Erfahrungen die v. Eiseis¬ 
berg sehe Ausschaltungsmethode, wie sie auch immer ausgeführt sein 
mag, bei den ulcerösen Prozessen mit hochacidem Befund nicht zu 
empfehlen. Hier sind die Resektionsmethoden zu bevorzugen. Sollten 
technische Schwierigkeiten, wie sie sich bei Duodenalresektionen er¬ 
geben können, die Resektion des Geschwürs selbst nicht erlauben, dann 
sollte man zu der von Suermondt 116 ) und neuerdings besonders von 
Finsterer 119 ) empfohlenen orthopädischen Resektion des ganzen antralen 
Magenteils nach BiUroth II schreiten*), um auf diese Weise die Acidität 
des Fundussaftes herabzudrücken. 

*) Jedoch im Gegensatz zu Finsterer unter Mitwegnahme des PylorusmuBkels. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 6 


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82 


H. Smidt: 


Sehr interessante Resultate ergaben Versuche, die Koennecke in * l18 ) 
bei bilateraler totaler Antrumausschaltung erzielte. An Hunden, die 
mit einer Magenfistel ausgestattet waren, fand er die Acidität des Fundus- 
teils bei der bilateralen Antrumausschaltung wesentlich höher als später 
nach Resektion des Pylorusmagens. Es führt diese Aciditätssteigerung 
(i. e. Hypersekretion) bei völlig ausgeschaltetem Antrum auf eine re¬ 
flektorische Erregung der Fundusdrüsen, die vom Pylorusteil durch 
dessen eigenes alkalisches Sekret erfolgen soll, zurück. Ob diese Er¬ 
klärung richtig ist, soll dahingestellt bleiben. Zu bedenken ist nur, daß 
nach den Untersuchungen der Patriotischen Schule [Schemjakin 118 )] 
eine sekretorische Erregung der Pars pylorica im wesentlichen durch 
Einfließen von Salzsäurelösung und besonders von Fundussaft in die 
Pars pylorica erfolgt. 


Überblicken wir die praktischen Konsequenzen, die die Resultate 
unserer experimentellen Untersuchungen ergeben haben, so ist zu¬ 
sammenfassend folgendes zu sägen: 

1. Mit Hilfe unserer operativen Maßnahmen sind wir — wenn wir von 
der totalen Magensekretion absehen — in der chirurgischen Ulcus- 
therapie nicht in der Lage, eine vollständige Inacidität des Magen¬ 
sekretes zu erzeugen, da die reflektorische Sekretionsphase unter 
allen Umständen erhalten bleibt. Die Entwicklung der chemischen 
Phase vermögen wir durch Entfernung ihrer reflexogenen Zone, der 
Pars pylorica, weitgehend zu unterdrücken. Auf diesem Wege gelingt 
es, eine erhebliche Reduktion der Gesamtsäureproduktion von seiten 
der Magendrüsen zu erzielen. 

2. Die Magensekretion nach BiUroth 1 mit totaler Antrumresektion ist 
für die chirurgische Ulcusbehandlung die Idealmethode, da sie uns 
in die Lage setzt, die Säureproduktion des Magens auf ein Minimum 
herabzudrücken. Nach Anwendung dieser Methode kommt nur 
die reflektorische Phase zur Entwicklung, während die chemische 
Phase völlig unterdrückt wird. Es ist daher bei den ulcerösen Pro¬ 
zessen am Magen und Duodenum die Ausführung dieser Methode 
unbedingt anzustreben. Sie sollte, falls es sich nicht um sehr 
hoch kardiawärts sitzende Geschwüre handelt, die Methode der 
Wahl sein. 

3. Die Resektion des Pylorusmuskels mit nur einem Teil des Antrums 
erzielt keine Verringerung der Salzsäureproduktion und ist deshalb, 
als der totalen Antrektomie nicht gleichwertig, nach Möglichkeit zu 
verwerfen. 


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Experimentelle Studien am nach Pawlow isolierten kleinen Magen. 83 


4. Ergeben sich technische Schwierigkeiten bei Ausführung der Methode 
BiUroth I, besonders bei ausgedehnten Duodenal-Magenresektiönen, 
so ist die Methode BiUroth II an ihrer Statt auszuführen. Diese 
Operation erzielt gleich jener eine Verringerung des Säuregehalts des 
Magens, wenn auch in geringerem Maße. 

5. Zu vermeiden sind in der Ulcustherapie die Ausschaltungsme¬ 
thoden nach v. Eiseisberg , auch wenn die gesamte Pars pylorica 
ausgeschaltet wird. Bei dieser Methode läßt sich eine ziel¬ 
bewußte Reduktion der Säureabscheidung nicht erzielen. Im 
Gegenteil, es tritt eine nicht unwesentliche Verstärkung der Säure¬ 
absonderung ein. 

6. Bei der Ernährung von Kranken, bei denen eine Magenresektion 
ausgeführt worden ist, ist Wert auf reichliche Milchgabe zu legen, da 
hierdurch die Säureprodukion eine Hemmung erfährt. Der Genuß 
von Fleisch und Brot ist auf die großen Hauptmahlzeiten zu be¬ 
schränken. Es ist überhaupt die häufige Einnahme kleiner Mahlzeiten 
zu vermeiden, um die psychische Saftsekretion zu beschränken. 

Literaturverzeichnis. 

(Die St. Petersburger Dissertationen sind nach Babkin, Die äußere Sekretion der 
Verdauungsdrüsen, 1914, zitiert.) 

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6 * 


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St. Petersburg 1901. 


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(Aus der Chirurgischen Abteilung des Qouvemementkrankenhauaea 
zu Twer [Rußland].) 

Resultate der Magenoperationen wegen Ulcus usw. 1908—1922. 

Von 

Prof. Dr. J. Galpem, 

zonett in Elcaterinoalaw. 

(Eingegangen am 19. März 1923.) 

Bas chirurgische Material der gutartigen Magenerkrankungen des 
Gouvemementkrankenhauses zu Twer besteht (bis Oktober 1922) aus 
508 Fällen (bösartiger für dieselbe Zeit 192), welche folgendermaßen 
einzuteilen sind: 

Geschwüre, deren Lokalisation in den Krankengeschichten nicht angegeben ist 19 
Eztrapylorische Geschwüre und Stenose der Gastroentercanastomose ... 1 


Pylorusnarben.11 

Pylorische Geschwüre.108 

Pylorische Geschwüre und Stenose des Duodenums. 1 

Eztrapylorische Geschwüre.216 

Perforierte Geschwüre.16 

0e8Ophagusstriktur. 1 

Perigastntis. 4 

Pylorusnarben und eztrapylorische Geschwüre. 7 

Pylorische und cztrapylor'sche Geschwüre.16 

Duodenalgeschwüre.93 

Duodenalgeschwüre mit Stenose des Duodenums. 1 

Duodenalgeschwüre mit Stenose des Magens. 4 

Ohne Befund. 6 

Kardiospasmus. 1 

Ptosis und Magenerweiterung. 2 

Pepfsche Geschwüre des Dünndarmes. 6 


Die Gesamtzahl 608 

Wie aus der Tabelle zu ersehen ist, waren eztrapylorische Geschwüre 
zweimal öfter als pylorische. Die Magengeschwüre beziehen sich zu 
Duodenalgeschwüren wie 4:1. Multiple Geschwüre waren ca. 7% 
aller Fälle. Peptische Geschwüre des Dünndarmes nach Gastroentero- 
anastomosen, die in anderen Krankenhäusern angelegt waren, sind 
5 mal beobachtet worden. Von mir operierte 10 Fälle von peptischen 
Geschwüren sind in die Zahl der Relaparotomierten eingeschlossen. 
In den 5 Fällen ohne Befund wurde lmal ein Geschwür, in 4 Fällen 
Magencarcinom vermutet; weil nichts gefunden wurde, so sind die 


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.1. Galpern: Resultate der Magenoperationen wegen Ulcus usw. 


87 


Kranken in die Gruppe der gutartigen Magenerkrankungen eingerechnet. 
Dieß ganze Material macht nicht mehr als 1 / 3 aller Magenkranken, die 
in der Ambulanz des Krankenhauses behandelt waren, aus, da wir 
auf dem Standpunkt der konservativen Therapie stehen und — außer 
perforierten Geschwüren, sehr ausgeprägten narbigen Stenosen, Fällen mit 
wiederholten Blutungen — nur die Fälle, wo die therapeutische Behand¬ 
lung erfolglos bleibt, operieren. Die einzige Ausnahme von diesen Regeln, 
die vom Therapeuten Leube noch vor 25 Jahren aufgestellt worden sind, 
machten wir bei den Kranken mit sehr ausgesprochenen Ulcussymptomen 
und einer vieljährigen Krankheitsdauer, weil die Erfahrung uns gelehrt 
hat, daß es sich in diesen Fällen meistenteils um callöse, in Leber und 
Pankreas perforierte Geschwüre handelt, wo die medikamentöse und 
diätetische Behandlung wirkungslos ist. Alle übrigen Kranken wurden 
von uns in der Ambulanz therapeutisch behandelt. Es ist logisch un¬ 
bestreitbar, daß von 2 Methoden in erster Linie die imgefährlichere 
zu benutzen ist. Die ungefährlichere ist die therapeutische; deshalb 
muß sie zuerst versucht werden und um so mehr, als sie, wie bekannt, 
in 50% aller Fälle gute Dauerresultate gibt. Nur für die übrig bleibenden 
50%, die nicht geheilt sind, können die chirurgischen Methoden der 
Behandlung angewandt werden, dabei in erster Linie die weniger 
gefährliche Gastroenteroanastomose. 

Bei 508 Kranken wurden 548 Operationen (40 Relaparotomien) 


gemacht. 

Gastroenteroanastomosen.480 

Resektionen.32 

Probelaparotomien. 2 

Gastrostomien. 6 

Andere (DUnndarmfistei, Laparotomie und Drai¬ 
nage, Enteroanastomose usw.) . . .28 

Die Gesamtzahl 548 


Die größte Gruppe bildeten die Gastroenteroanastomosen, die wir ty¬ 
pisch nach Hacker-Petersen mit kurzer Schlinge machten. In einzelnen 
Fällen, wo aus technischen Gründen (geschrumpftes Mesocolon, Ver¬ 
wachsungen mit der hinteren Magenwand, die den Zutritt zu ihr unmög¬ 
lich machen) eine hintere Anastomose nicht angelegt werden konnte, 
wurde eine vordere mit Braun scher Enteroanastomose angewandt. Fort¬ 
laufende Naht immer nur zweireihig, sero-seröse-seidene; die innere durch 
die ganze Dicke der Magen- und Darmwand fortlaufende aus Catgut. 
Im letzten Jahre, weil Catgut fehlte oft auch Seide, wurden für die beiden 
Nähte Baumwollfäden von einer gewöhnlichen Spule angewandt. 

Das Resultat der Gastroenteroanastomosen: 24 sind gestorben. Die 
Ursachen des Todes: 1 an Dysenterie (zur Zeit einer Epidemie) in 
7 Tagen nach der Operation; 1 an Cholera asiatica in 3 Wochen nach 
der Operation (Sektionsbefund und bakteriologische Untersuchung); 


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88 J. Galpem: 

2 an Lungentuberkulose in 26 Tagen und 1 Monat und 20 Tagen nach 
der Operation; 1 an Magenblutung nach 4 Tagen; 2 an Lungenentzün¬ 
dung; 4 an Circulus vitiosus (in 13, 30, 7 und 10 Tagen nach der Ope¬ 
ration); 5 an Perforation eines Magengeschwüres (von denen einer an 
Perforation eines zweiten Geschwürs, welches während der Operation 
unbemerkt blieb und am Sektionstisch entdeckt war); 1 an Herz¬ 
schwäche am 8. Tage (Herzfehler); 1 (die Ursache ist nicht angegeben); 
1 an Brustfellentzündung und Lungenabsceß nach 35 Tagen; 1 an 
Lungenentzündung und eitriger Brustfellentzündung nach 72 Tagen; 

3 an Bauchfellentzündung (nach 4, 14 und 63 [!] Tagen); 1 an Heus 
und Bauchfellentzündung (alte Adhäsionen in der Gegend des Dick¬ 
darmes) nach 8 Tagen. Die Sterblichkeit macht 5% aus. Wenn man 
die 6 Fälle aussohließt, die bei einwandfreiem Zustand der Wunde 
und der Anastomose an Nebenursachen verloren gingen (2 an Tuber¬ 
kulose, 1 an Dysenterie, 1 an Cholera, 1 an Ileus im Zusammenhänge 
mit alten Adhäsionen und 1 an Pneumonie nach 72 Tagen), so fällt 
das Sterblichkeitsprozent bis auf 3,75. Alle übrigen 18 Gestorbenen 
sind in die Sterblichkeit wegen der Operation eingerechnet, darunter 
der für mich unklare Peritonitisfall nach 63 Tagen. 

Nr. 310. Großes Geschwür, callös, Verwachsungen mit Pankreas, 
extrapylorisch. Gastroenteroanastomose. Nachoperationszeit ohne Er¬ 
brechen, ohne Pulsbeschleunigung. Klagt über diffuse Schmerzhaftig¬ 
keit. Nach 3 Wochen bekommt der Kranke gewöhnliche Kost; der 
Bauch gebläht; es wird ein kleiner Erguß konstatiert; Neigung zum 
Durchfall. Bei diesen Erscheinungen nimmt in der folgenden Zeit die 
Schwäche zu und nach 63 Tagen Exitus. Am Sektionstisch flüssiger, 
eitriger Erguß zu unserm großen Erstaunen, denn es fehlten klinische 
Symptome einer Peritonitis. Im Magen keine Perforation, die An¬ 
astomose in voller Ordnung, das Geschwür hat sich schon vernarbt! 

Die Sterblichkeit in unserem Material ist höher als bei den glück¬ 
lichen Chirurgen, die sie bis auf l 1 /*—2% herunterbrachten, aber viel 
niedriger als im veröffentlichten Material von S. P. Fedorow (13%) 
und E. R. Hesse, (14%), der Anhänger der Resektion. Das hängt selbst¬ 
verständlich mit der Auswahl von schweren Kranken zusammen. Die 
Namen der Chirurgen sprechen dafür, daß kein technischer Fehler daran 
schuld ist. Was die Frage der unmittelbaren Resultate nach den Gastro- 
enteroanastomosen anbelangt, so ist dieselbe in der Literatur genügend 
beleuchtet, und ich will nicht darauf eingehen. loh will nur sagen, daß 
unser Sterblichkeitsprozent nach Gastroenteroanastomose nicht über 
die sozusagen „gesetzliche“ Grenze hinausgeht, obwohl wir mit Nach¬ 
operationsperforationen der Geschwüre besonderes Unglück hatten 
(5 Fälle). Alle Versuche, diese Kranken durch eine Nachoperation 
(Drainieren der Bauchhöhle) zu retten, blieben erfolglos. 


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Resultate der Magenoperationen wegen Ulcus usw. 


89 


Von der Gruppe der 15 vor der Operation perforierten Geschwüre: 
6 mal wurden die Geschwüre genäht und draimert (alle gingen verloren); 
Geschwüre genäht, GastroenteToanastomose und Drainage 9 mal (3 gingen 
verloren). 

Dauerresultate sind bekannt bei 254 Kranken, die von 1 bis 14 Jahren 
verfolgt sind. Die Art der Nachuntersuchung: persönliche Unter* 
suchung oder Befragen durch Versendung von Fragelisten (die Form 
der Listen ist in meiner Arbeit in Langenbecks Arch. 94 angegeben). 
Viele Kranke sind während einer Reihe von Jahren wiederholt beiragt 
worden. 

Alle Fernresultate sind nach der Art der Erkrankung in 4 Gruppen 
eingeteilt: Pylorusnarben, Geschwüre des Pylorus oder in der Pars 
pylorica, extrapylorische Geschwüre und Duodenalgeeehwüre. Die 
übrigen kleinen Gruppen (Gastroptose, Magenerweiterung usw.) sind 
wegen der kleinen Zahl der Beobachtungen nicht besprochen. 

Pylorusnarben: 11 Femresultate: 9 vorzüglich, 2 sohlecht. Ge¬ 
schwüre des Pylorus und Pars pylorica: Das Femresultat ist in 51 Fällen 
bekannt: 33 ausgezeichnet (64,7%), 6 mit bedeutender Verbesserung 
(11,7%), beide Gruppen zusammen 76,4%. Sohlechtes Resultat in 
12 Fällen (23,6%). J Extrapylorische Geschwüre: Das Femresultat ist in 
115 Fällen bekannt: 74 vorzüglich (64,3%), 12 bedeutende Verbesserung 
(10,4%); beide Gruppen zusammen 74,7%. Schlechtes Resultat in 
29 Fällen (25,2%). Duodenalgeschwüre: Fernresultate in 52 Fällen 
bekannt: 36 vorzüglich (69,2%), 6 bedeutende Verbesserung (11*5%); 
beide Gruppen zusammen 78,7%. Schlechtes Resultat in 10 Fällen 
(19,3%). 

Somit ist das gute Femresultat nach Gastroenteroanastomose bei 
pylorischen Geschwüren um weniger als 2% höher als dasjenige bei 
extrapylorischen. Das widerspricht den Behauptungen Glairmonis und 
anderer Autoren über ein viel schlimmeres Femresultat der Gastro* 
enteroanastomosen bei extrapylorischen Geschwüren, fällt aber voll¬ 
ständig mit den Angaben der Kocher sehen, Roux- und Hoheneggechen 
Kliniken zusammen. Die Anhänger der Resektion behaupten, daß die 
Gastroenteroanastomose die Geschwüre nioht heilt, sondern in einen 
Latenzzustand überführt. Es ist nioht zu bezweifeln, daß wir hier einen 
Mißbrauoh mit dem Worte „latent“ haben. Da wir wissen, daß für 
ein Geschwür eine periodische Wiederkehr von Schmerzen nach hellen 
Zeiträumen, wo das Geschwür „latent“ ist, charakteristisch ist, so kann 
diese Latenz nicht jahreweise gemessen werden. Und wenn ein Kranker 
mit Gastroenteroanastomose nach 2—3 Jahren voller Genesung mit 
denselben Symptomen wieder erkrankt, so ist es wahrscheinlicher, an¬ 
zunehmen, daß es sich um das Entstehen eines neuen Geschwüres auf 
derselben oder einer neuen Stelle handelt. Beispiel: 


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90 


J. G&lpern: 


Nr. 221. 21. VII. 1918. Wegen eines pylorischen Geschwüres operiert; 
Gastroenteroanastomose; 2 Jahre lang ein vorzügliches Befinden; dann 
gerät er im Hungerjahre in den Tambower Bezirk, wo seine Nahrung 
aus Eichenrinde besteht; erkrankt wieder und kommt zu mir 2 Jahre 
nachher. Bei der Relaparotomie die Anastomose in voller Ordnung, 
das Pylorusgeschwür ist geheilt; das neue Geschwür extrapylorisch auf 
der hinteren Magenwand; sein Boden wird von Pankreas gebildet; 
Kauterisation des Geschwüres; Tod an Peritonitis. 

Was für eine Heilungsmethode es auch sein mag — therapeutische, 
Gastroenteroanastomose oder Resektion — es wird wohl keiner auf eine 
prophylaktische Wirkung rechnen und im Falle eines Erfolges hoffen, 
dem Kranke n eine Garantie geben zu können, daß er nie an einem 
neuen Geschwür erkranken wird. 

Solange wir die Ätiologie des Geschwüres nicht wissen, sind unsere 
Behandlungsmethoden auf Heilung des gegenwärtig existierenden Ge¬ 
schwüres gerichtet. Von diesem Standpunkte aus sollte man alle sog. 
Ulcusrezidive, die nach 3—4 Jahren und mehr nach der Operation 
auftreten, nicht auf die Operation zurückführen, weil sie ihre Sache 
getan hat und das Geschwür heilte; man sollte das Rezidiv als eine 
neue Erkrankung auffassen, welche die vor Jahren vollführte Operation 
nicht zu bekämpfen vermochte. 

In meinen Berechnungen habe ich doch alle Rezidive, wenn auch 
10 Jahre nach der Operation, als schlechte Resultate bezeichnet. Trotz¬ 
dem haben wir auch bei extrapylorischen Geschwüren sehr gute Fern- 
resultate bekommen. Dies drängt mich, auch in Zukunft Anhänger 
der Gastroenteroanastomose zu bleiben und nur zu resezieren 1. bei 
Verdacht auf Carcinom, 2. bei Relaparotomie, wo Gastroenteroanastomose 
ohne Erfolg bleibt. Wir glauben also auch hier: zuerst Anwendung 
der weniger gefährlichen Gastroenteroanastomose und, erst wenn diese 
ohne Erfolg bleibt, fühlen wir uns berechtigt, den Kranken einer ge¬ 
fährlicheren Operation zu unterwerfen. 

Es wurden 32 Resektionen bei 30 Kranken ausgeführt. 2 haben 
je 2 Resektionen ertragen. Von diesen: 15 Resektionen wegen eines 
peptischen Geschwüres des Dünndarmes (10 meine, 5 nach Gastroentero- 
anastomosen in anderen Krankenhäusern). 11 von diesen sind genau 
beschrieben im Nowy Chirurgischeski Archiv (russ.) 1, H. 4; von 15 
sind 6 gestorben. Von den übrigen 17 Resektionen wegen Magen¬ 
geschwürs (bei 15 Kranken) sind 2 gestorben (1 nach Riedel, 1 nach 
Bülroth II). Von den am Leben gebliebenen 13 sind die Femresultate 
bei 5 nicht bekannt, weil nach der Operation noch kein Jahr vorbei ist. 
Fernresultate bei 8 Kranken: 4 vorzüglich; bei allen vieren wurde zuerst 
eine Gastroenteroanastomose angelegt und beim zweitenmal, nach 
Rezidiv der Erkrankung, eine Resektion (2 mal nach Riedel, lmal 


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Resultate der Magenoperationen wegen Ulcus usw. 


91 


keilförmige Resektion, lmal nach Bittroth II). 4 mal waren die Fern¬ 
resultate auch nach Resektion schlecht: bei 3 Kranken war zunächst 
eine Gastroenteroanastomose ausgeführt und nach einem Rezidiv eine 
Resektion; 2mal eine keilförmige Excision, lmal eine keilförmige 
Resektion und nach einem Rezidiv (zweiten) eine Resektion nach 
Riedel, die auch ein Rezidiv gegeben hat. Beim 4. Kranken wurde zu¬ 
nächst eine keilförmige Resektion gemacht und nach Rezidiv eine 
Gastroenteroanastomose hinzugefügt. Das Resultat nach beiden Ope¬ 
rationen schlecht. 

Also von den Relaparotomierten, bei denen eine Resektion gemacht 
wurde, war die eine Hälfte geheilt, die andere blieb krank. Es ist somit 
klar, daß bei einigen Kranken das Magengeschwür unheilbar ist, und 
günstigere Resultate der chirurgischen Behandlung wären vielleicht 
nicht in der Ersetzung der Gastroenteroanastomose durch die gefähr¬ 
lichere Resektion zu suchen, sondern in einem Kombinieren der Gastro¬ 
enteroanastomose mit einer ganz ungefährlichen, systematisch durch¬ 
geführten therapeutischen Behandlung nach der Operation. 

Zweifellos liegt eine gewisse Überschätzung in der Anwendung der Re¬ 
sektion vor; es sind schon warnende Stimmen verschiedener Autoritäten 
hörbar. Auf dem Deutschen Chirurgenkongreß im Jahre 1921 hat 
Bier erklärt, daß er von der Radikaloperation wieder mehr abgekommen 
sei, nachdem er sich überzeugte, daß die Gastroenteroanastomose auch 
in jenen schweren Fällen, wo eine Resektion aus technischen Gründen 
unausführbar war, eine Heilung ermöglichte. Auf demselben Kongreß 
teilte Clairmont mit, daß die Femresultate der Resektion sich als „de¬ 
primierend“ erwiesen haben, daß er an seinem Material „vorläufig 
wenigstens“ keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Resultaten 
der Gastroenteroanastomose und verschiedenen Resektionsmethoden 
verzeichnen kann. Wenn wir uns erinnern, daß Clairmonts Mitteilung 
vor 17 Jahren über unbefriedigende Resultate nach Gastroentero¬ 
anastomose bei extrapylorischen Geschwüren den Anstoß zur Aus¬ 
führung der Resektion gegeben hat, so bekommt diese Mitteilung ein 
besonderes Interesse. 

So haben einige westeuropäische Chirurgen den Kreis geschlossen: 
sie haben mit der Gastroenteroanastomose angefangen, gingen zu deren 
Verneinung über, indem sie energisch die Resektion verteidigten, um 
jetzt auch wieder die Gastroenteroanastomose auszuführen. 

Es möge dieses Beispiel diejenigen Chirurgen zurückhalten, die 
geneigt sind, mit der Resektion anzufangen, um eine bessere Methode 
als die Gastroenteroanastomose zu erfinden. Die Gastroenteroanastomose 
ist keine Panacee, sie heilt nicht alle Geschwürskranken, sie gibt aber 
so gute Fernresultate und dabei eine so kleine Operationsmortalität, 
daß es keinen Grund gibt, sie der Resektion wegen zu verwerfen. 


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(II. Chirurgische Abteilung des Auguste Viktoria-Krankenhauses Berlin-Schöne¬ 
berg [Dirigierender Arzt: Prof. Dr. 0. Nordmann ].) 

Über das Magen- and Zwölffingerdarmgeschwär. 

Von 

Dr. E. Nord mann, 

Ober&nt der Abteilung. 

(Bingegtmgm am 30. April 1923.) 

Einleitung. 

Die Anschauungen über die chirurgische Behandlung dee Ulcus 
ventriouli und duodeni sind immer noch sehr geteilt. Auf der einen 
Seite überzeugte Anhftnger der G.E. (Kocher, Müller u. &.), auf der 
anderen Seite eine große Anzahl von Chirurgen, die den Eingriff als 
ungenügend ablehnen und prinzipiell die Resektion empfehlen ( v. Höherer, 
Finalerer, Hesse u. a.). Aber nicht nur die Frage: Palliativoperation 
oder Radikaloperation, ist noch nicht entschieden, sondern auch die 
Art des operativen Eingriffes bei der Radikaloperation ist immer noch 
umstritten. 

Um eine Klärung der strittigen Punkte zu erleichtern, berichte ich 
im folgenden über 180 Operationen wegen Ulcus ventriouli und duo¬ 
deni, die mein Chef im Krankenhaus und in der Privatklinik bis Anfang 
Januar 1023 ausgeführt hat. 

Vorweg sei bemerkt, daß wir keine prinzipiellen Anhänger der einen 
oder der anderen Methode sind, sondern die Art dee Eingriffes von der 
anatomischen Form, dem Stadium der Erkrankung, dem Gesamt¬ 
befinden des Kranken abhängig machen und uns in der Regel erst 
nach Eröffnung der Bauchhöhle hinsichtlich des einzuschlagenden 
Operationsverfahrens schlüssig machen. Die Verhältnisse liegen bei 
dieser Krankheit ganz anders als z. B. bei der Cholelithiasis, bei der 
auf Grund langjähriger Erfahrung und tausendfacher Beobachtung 
prinzipiell die Gallenblase zu entfernen ist. Beim Magengeschwür ist 
noch alles im Fluß. Wir verzichten absichtlich darauf, für das Magen- 
und Duodenalgeschwür eine bestimmte Methode als die „Methode der 
Wahl“ zu bezeichnen. Wir sind der Überzeugung, daß dieser Begriff 
viel zu oft in die praktische Chirurgie hineingetragen wird zum Schaden 
der Kranken. Früher sprach man nur von Unterbindungen der Gefäße 
„am Orte der Wahl“. Allmählich ist man dazu übergegangen, alle 


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E. Nord mann: Über das Magen- und ZwOÜfingerdarmgesehwtlr. 93 

möglichen Einzelheiten bei den verschiedenen Operationen „als Me¬ 
thode der Wahl“ zu bezeichnen, wie Schnittführung, Tamponade, 
Drainage usw. Der Erfolg ist, daß in die Chirurgie ein gewisser Sche¬ 
matismus hineingetragen wird, und daß die einzelnen Operateure ihre 
Ansichten mit einer gewissen Einseitigkeit vortragen, wobei sie ganz 
vergessen, daß auch in der Chirurgie viele Wege nach Rom führen. 
Es besteht ferner die Gefahr, daß bei der eindringlichen Empfehlung 
radikaler Operationsverfahren weniger geübte Operateure verpflichtet 
zu sein glauben, dieselben zu versuchen, weil die Selbsteinschktzung 
des eigenen Könnens nicht immer Schritt hAlt mit dem wirklichen 
Vermögen. Die Chirurgie ist nicht nur eine Wissenschaft, sondern auch 
eine Kunst im besten Sinne des Wortes, wie y. Langenbeck schon vor 
langen Jahren gesagt hat. Wie sich ein Künstler je nach den Um¬ 
stünden abhängig macht von dem Material, von dem Gegenstand, 
den er darstellen will, usw., so soll auch der Chirurg nicht mit vor¬ 
gefaßter Meinung eine Operation beginnen, sondern unter Berück¬ 
sichtigung der anatomischen Verhältnisse, der Gesamtkonstitution des 
Eiranken individualisierend Vorgehen und nicht zuletzt sein eigenes 
Können richtig einsoh&tzen. Dann wird er wirklich im Sinne der 
Wissenschaft handeln und seinen Eiranken am besten-dienen. 

Bemerkungen zur pathologischen Anatomie und Ätiologie des Ulcus. 

Es würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten, und man müßte 
nur oft Wiederholtes anführen, wenn man alle Arbeiten über die 
Ursachen des Magengeschwürs noch einmal referieren wollte. Zusam¬ 
menfassend kann man nur sagen, daß die Ätiologie des Leidens, soweit 
die lokale Entstehung des Geschwürs in Betracht kommt, besonders 
nach den grundlegenden Arbeiten von Aschoff geklärt ist. Aber wir 
müssen immer noch einen Faktor mit in Rechnung setzen, den wir bis 
jetzt nicht näher präzisieren können: das ist die Konstitution und 
eine dadurch bedingte Disposition zu dem Ulousleiden. Es besteht gar 
kein Zweifel, daß die Krankheit besonders bei Menschen mit einer ge¬ 
wissen nervösen Veranlagung beobachtet wird. Auch wir konnten bei 
unserem Krankenmaterial konstatieren, ,daß es sich fast immer um 
etwas neurasthenisch veranlagte Menschen handelte, denen man mit 
einer gewissen Erfahrung ihr Leiden ablesen konnte. Und es kehrt 
deshalb auch in der Vorgeschichte fast aller Patienten immer die An¬ 
gabe wieder, sie seien monate- oder jahrelang wegen eines sog. „ner¬ 
vösen Magenleidens“ behandelt. Es ist den vorbehandelnden Ärzten 
nicht übelzunehmen, wenn sie diese in der Medizin immer wieder 
herumspukende Diagnose gestellt haben, weil sie bei der allgemeinen 
nervösen Konstitution die Magenbesohwerden für eine Teflemehemnng 
dieser Gesamtveranlagung betrachteten. Auf der anderen Seite haben 


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E. Nordmann: 


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wir jedoch ungeiähr 5—10% Kranke zu beobachten Gelegenheit ge¬ 
habt, die diese allgemeine nervöse Konstitution in keiner Weise er¬ 
kennen ließen. Und ich erinnere mich mehrerer außerordentlich ro¬ 
buster, großer kräftiger Leute, die nicht die geringste nervöse Störung 
zeigten," ihr Leben in vollen Zügen genossen und immer wieder ver¬ 
sucht hatten, die starken lokalen Beschwerden, z. B. eines penetrie¬ 
renden Geschwüres, durch Alkohol usw. zu betäuben. Bei dieser 
Gruppe von Kranken muß man annehmen, daß sie, im Gegensatz zu 
der Mehrzahl der Kranken, trotz der Angst vor neuen Schmerzen 
Diätfehler und andere Schädigungen nicht vermieden, sondern ihre 
Krankheit fortgesetzt verschlimmert haben. Aber auch bei zahl¬ 
reichen anderen Kranken mit starker nervöser Disposition ist immer 
mit der Möglichkeit zu rechnen, daß ursprünglich beim Beginn des 
Leidens die Gesamtbeteiligung des Organismus nicht so erheblich 
gewesen ist, sondern daß das Nervensystem bei längerem Bestehen 
des Geschwürs durch die dauernden Beschwerden und Schmerzen 
nach der Nahrungsaufnahme immer mehr ruiniert ist. 

Im allgemeinen glauben wir, daß mehrere Umstände für die Ent¬ 
stehung des Magengeschwürs anzuschuldigen sind, daß es aber be¬ 
stimmte Prädilektionsstellen für die Lokalisation der Geschwüre gibt, 
die ihre Erklärung in den örtlichen Verhältnissen des Magens finden, 
und diese letzteren bestehen wahrscheinlich in erster Linie in der 
Starre der kleinen Kurvatur, wie sie Aschoff beschrieben hat, in der 
Gefäßarmut und in allgemeinen Störungen des vegetativen Nerven¬ 
systems. Wieweit bakterielle Einflüsse, z. B. durch Gefäßverlegung 
mit Bakterien, die retrograd von anderen Organen der Bauchhöhle, 
z. B. vom Wurmfortsatz oder aus dem Kreislauf, embolisch in die 
Magengefäße hineingelangen, eine Rolle spielen, ist noch völlig un¬ 
geklärt. Der infektiösen Theorie ( Moynihan ), der embolischen {Payr, 
v. Eiselaberg) steht besonders die Rössle sehe Theorie gegenüber, der 
das Ulcus als Folge eines reflektorischen Nervenreizes mit Gefä߬ 
krampf, ausgelöst von einem anderen krankhaften Organe, ansieht. 
Gegen die infektiöse und embolische Theorie sprechen die histologischen 
Untersuchungen, bei denen Verstopfungen der Arterien und Venen 
meistens vermißt werden; mehr Anhänger hat die Rössle sehe Theorie, 
der die v. Bergmann sehe nahekommt, gewonnen. 

Wir haben seit etwa einem halben Jahre bei einer großen Anzahl von 
Patienten bei Operationen in der Oberbauchgegend Magen, Gallenblase 
und Wurmfortsatz revidiert. Häufiger als man zunächst denken sollte, 
fanden wir beim Magengeschwür eine alte adhäsive Appendicitis, und 
zwar bei 18 Operationen wegen Magengeschwürs 16 mal. Das kann natür¬ 
lich Zufall sein. Aber die Möglichkeit ist doch nicht von der Hand zu 
weisen, daß die Kranken ursprünglich eine Appendicitis durchgemaoht 


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Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 


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haben, welche die genannten Residuen hinterlassen hat, und daß damals 
eine Verschleppung der Bakterien auf dem Blut- oder Lymphwege statt¬ 
gefunden hat. Besonders auffällig war, daß der Wurmfortsatz in der 
größten Mehrzahl der Fälle nach Ausweis der bei der Operation auf¬ 
genommenen Protokolle am Dünndarmmesenterium adhärent war, oder 
daß sich im Mesenteriolum eine Narbe fand. Es ist denkbar, daß 
gerade durch eine innige Berührung des entzündeten Wurmes und des 
Mesenteriums gelegentlich des akuten Anfalles ein Überwandern der 
Bakterien vom Wurmfortsatz auf die Blut- und Lymphgefäße des 
Dünndarms stattgefunden hat und von hier aus eine Verschleppung 
retrograd erfolgte. Es wird aber sehr schwierig sein, diese Zusammen¬ 
hänge einwandfrei festzustellen, weil man fast ausschließlich Spät¬ 
stadien des Magengeschwürs operiert und wohl höchstens durch einen 
Zufall ein frisches Magengeschwür gelegentlich einer akuten Appen- 
dicitis beobachtet. Kümmell, Moynihan und andere amerikanische For¬ 
scher sind geneigt, nach ihren Erfahrungen diese Entstehungsweise 
des Magengeschwürs anzuerkennen. KümmeU z. B. hat tödliche Blu¬ 
tungen aus dem Zwölffingerdarm nach schweren Blinddarmoperationen 
beobachtet. Nach Grekow war die Appendicitis verschiedentlich Ursache 
eines Ulcusrezidivs. 

Leichter ist der Zusammenhang zwischen akuter Gallenblasen¬ 
entzündung und Duodenalgeschwür zu deuten. Das gleichzeitige 
Vorkommen von Gallenblasenentzündungen und Zwölffingerdarm¬ 
geschwüren ist bekannt. Bei Cholecystitis resp. Cholelithiasis ist 
röntgenologisch totaler Gastrospasmus beschrieben worden (Schle¬ 
singer), der für die Genese des Ulcus wichtig ist. Wir haben 10 Fälle 
mit der Kombination dieser beiden Krankheiten beobachtet. Die 
Organe waren miteinander verlötet. Nachdem man sie getrennt hatte, 
entstand im Duodenum ein kleinerer oder größerer Defekt, dessen 
Ränder hart infiltriert waren. Die Gallenblase enthielt infizierte bzw. 
eitrige Galle und Steine. Rein äußerlich betrachtet ist es schwierig 
zu sagen, ob das Duodenalulcus oder die Cholecystitis das Primäre 
ist. Wir neigen zu der Annahme, daß in einigen Fällen wahrscheinlich 
das Duodenalgeschwür die primäre Erkrankung gewesen ist. Wir 
schließen es einmal aus der Vorgeschichte, weil die Kranken fast 
regelmäßig angaben, schon jahrelang an den charakteristischen Sym¬ 
ptomen des Duodenalgeschwürs gelitten zu haben, sodann aus den 
histologischen Befunden, die besonders eine entzündliche Verdickung 
der Außenwand der Gallenblase mit Ubergreifen auf die Muscularis 
zeigten, während die Schleimhaut relativ wenig verändert war. Wir 
hatten ferner den Eindruck, daß das Duodenalulcus in Anbetracht 
der anatomischen Verhältnisse schon lange bestand. Entsteht eine 
Verlötung des Duodenums mit der Gallenblase, so kann es sehr 


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E. Nordmann: 


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leicht zu einer Überwanderung von Bakterien vom Duodenum zur 
Gallenblase auf dem Wege der Lymphbahnen der Darm- und Gallen¬ 
blasenwand kommen. Tritt nun eine Blockierung des Gallenblasen¬ 
ausganges durch einen Stein hinzu, so resultiert das klinische Bild 
der akuten Gallenblasenentzündung. Wir fanden in einem besonders 
prägnanten Falle eine akute pralle Füllung des Organs mit frischer 
Entzündung der Wandsohichten, die im Vergleich zu der Infiltration 
der Duodenalwand ohne Zweifel jüngeren Datums waren. Unser ein¬ 
schlägiges Material ist jedoch zu gering, als daß wir wagen möchten, 
diese Zeitfolge der beiden Affektionen als regelmäßig zu betrachten 
und halten es auch für möglich, daß in anderen Fällen durch die beiden 
Vorbedingungen der akuten Gallenblasenentzündung: Blockierung des 
Ausführungsganges der Gallenblase und Retention der infizierten Galle, 
zunächst eine akute Cholecystitis entsteht, die frisch entzündete Gallen¬ 
blase Verklebungen mit dem Duodenum eingeht, in der Wand des Duo¬ 
denums lokale infektiöse Prozesse oder andere Veränderungen entstehen 
und an dieser Stelle sich ein Uleus etabliert. Es wird die Aufgabe wei¬ 
terer Forschungen sein, diese Zusammenhänge einwandfrei zu klären. 

Einteilung des Materials nach anatomischen Gesichtspunkten. 

Aus den Arbeiten von Aschoff geht hervor, daß in 80% der Fälle 
das Geschwür an der kleinen Kurvatur sitzt; Ulcera an der großen 
Kurvatur, im Fundus des Magens und an der Kardia werden relativ 
selten beobachtet. Das Ulcus im Pylorus ist diejenige Form des Ge¬ 
schwürleidens, die in früheren Jahren fast ausschließlich einen chirur¬ 
gischen Eingriff erforderte, nachdem es zu Stenosenerscheinungen ge¬ 
kommen war. Die Chirurgie des Ulcus duodeni ist allerjüngsten Da¬ 
tums. Es ist aber richtig, es im Zusammenhang mit dem Magengeschwür 
zu besprechen, da es im wesentlichen auf denselben Ursachen beruht, 
nach den Untersuchungen von Hart u. a. ebenso häufig vorkommt, 
wie das Magengeschwür und nach denselben Gesichtspunkten zu be¬ 
handeln ist wie dieses. 

Wenn man das klinische Material im Einklang mit den anatomischen 
Veränderungen gruppieren will, so muß man einmal von dem Sitz 
und zweitens von der anatomischen Form des Geschwürs ausgehen. 
Wir halten es für praktisch, zu unterscheiden: 

1. das Ulcus pylori (dazu rechnen wir nicht nur die direkt im 
Pylorus sitzenden Geschwüre, sondern auch die in seiner unmittelbaren 
Nähe dem Magen angehörenden Ulcera), 

2. das Ulcus der kleinen Kurvatur und 

3. das Ulcus duodeni, 

4. die Geschwüre mit seltener Lokalisation im Magenfundus brw. 
an der großen Kurvatur. 


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Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 


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Was nun die anatomische Form der Geschwüre anbelangt, so hat 
man zu unterscheiden: 

1. das Geschwür im Anfangsstadium, wo es die charakteristischen 
subjektiven Beschwerden hervorruft, unter Umständen eine Blutung 
verursacht, wo aber die gesamten klinischen Untersuchungsmethoden, 
besonders das Röntgenverfahren, negativ sind. 

Operiert man in diesem Stadium des Ulcusleidens, so ist der Be¬ 
fund bei der Operation außerordentlich gering, wenn nicht vollkommen 
ergebnislos. Einige Autoren haben geglaubt, schleierförmige, umschrie¬ 
bene Serosainjektionen, punktförmige Blutungen, die besonders deutlich 
bei Manipulationen an der Magen- bzw. Duodenalwand werden, und 
ähnliche Veränderungen für die Diagnose und den Sitz des Geschwürs 
verwerten zu dürfen. Auch wir haben wiederholt festgestellt, daß bei 
Patienten mit der charakteristischen Vorgeschichte dieser Befund zu 
erheben war. Wir haben besonders gefunden, daß, wenn man der¬ 
artige verdächtige Stellen der Magen- bzw. der Duodenalwand zwischen 
die Finger nimmt, die punktförmigen Blutungen deutlicher werden, 
ein Umstand, der darauf hinzuweisen scheint, daß an dieser Stelle 
ein stärkerer Gefäßreichtum vorhanden war und ein gewisser entzünd¬ 
licher Prozeß sich abzuspielen schien. Aber in mehreren Fällen, in 
denen wir auf Grund dieses Befundes eine Resektion gemacht hatten, 
konnten wir ein Geschwür nicht nachweisen, und die operativen Dauer¬ 
resultate waren bei dieser Gruppe der Kranken im höchsten Grade 
unbefriedigend, so daß wir ein Ulcus in diesem Frühstadium als un¬ 
geeignet für die chirurgische Therapie bezeichnen müssen. Ebenso 
sind wir der Ansicht, daß bei Kranken, die eine oder mehrere Blu¬ 
tungen überstanden haben, keine Indikation für eine chirurgische 
Therapie gegeben ist, wenn es sich um Patienten handelt, die keine 
längere Ulcvsvorgeschichte haben, und bei denen die Röntgenuntersuchung 
keine Lokalisation des Ulcus ermöglicht. Man muß sich erinnern, daß 
es selbst bei der Sektion von Kranken, die an einer Magenblutung 
zugrunde gegangen sind, unter Umständen große Mühe macht, das 
Ulcus zu finden. Wegen dieser Schwierigkeiten sehen wir nicht ein, 
was eine Palliativoperation nützen soll. Wir glauben, daß die Chirurgie 
des Magen- und Duodenalgeschwürs durch eine chirurgische Inangriff¬ 
nahme dieser Frühstadien diskredidiert wird. Besonders bei jugendlichen 
Kranken, bei denen ein Carcinom auszuschließen ist, halten wir nicht 
einmal einen Probebauchschnitt für angezeigt. 

Die Spätformen des Magen- und Duodenalgeschwürs sind im Gegen¬ 
satz zu diesen Frühformen ein dankbares Gebiet der operativen Chi¬ 
rurgie. Kommt es zu einer Verlötung mit den Nachbarorganen, nach¬ 
dem der ulceröse Prozeß in die Submucosa und in die Muscularis vor¬ 
gedrungen ist, und bilden sich nun Verlötungen mit der Leber und mit 

Archiv (. klln. Chirurgie. 125. 7 


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E. Nordmann: 


dem Pankreas, oder penetriert das Geschwür in diese genannten Organe, 
so kann man durch eine interne Therapie, besonders bei Patienten aus 
der arbeitenden Klasse, nicht viel mehr erreichen. Sie werden durch 
unaufhörliche Schmerzen gequält, stehen dauernd in der Gefahr der 
Perforation und der Blutung und werden durch die später zu be¬ 
sprechende chirurgische Therapie fast ausnahmslos geheilt. 

Ebenso liegen die Verhältnisse bei dem callösen Geschwür, wenn 
es zu einer Infiltration der Magen- und Duodenal wand gekommen ist. 
Mehr oder minder große Stenosenerscheinungen werden hervorgerufen, 
wenn das Ulcus im Pylorus sitzt, oder wenn es an der kleinen Kurvatur 
zu Schrumpfungen kommt und ein Sanduhrmagen hervorgerufen wird. 
In früheren Jahren waren die chirurgischen Erfolge der PaUiativoperationen 
bei Magengeschwüren u. E. deshalb so gute und gar nicht umstritten, weil 
man mir diese Spätform des Uhus operierte. Und man muß u. E. die 
hier und da etwas enthusiastisch empfohlene chirurgische Therapie des 
Magengeschwürs auf diese anatomische Form beschränken, wenn man 
wirklich befriedigende Resultate erzielen will. 

Beim Ulcus duodeni ist die Indikationsstellung etwas breiter zu 
fassen. Einmal können die subjektiven Beschwerden eines kleinen 
Duodenalgeschwürs, das nur nach der Vorgeschichte zu diagnostizieren 
ist, derart erheblich sein, daß ein operativer Eingriff geboten erscheint. 
Ferner kann das kleine Duodenalgeschwür ohne wesentliche Infiltration 
der Wand und ohne Penetration den Kranken in viel größere Gefahr 
bringen als das einfache Magengeschwür, weil jenes mehr zur Per¬ 
foration und zur Blutung neigt als dieses. Ein chirurgischer Eingriff 
ist beim Duodenalgeschwür fernerhin viel frühzeitiger geboten, weil es 
mit Hilfe geeigneter operativer Maßnahmen leichter radikal zu be¬ 
seitigen ist als das Magengeschwür und seltener zu Rezidiven führt. 
Das Duodenum läßt sich durch die Resektionsmethode nach Billroth II 
vollkommen ausschalten und ruhigstellen, so daß sich die schädigenden 
lokalen Momente, die die Ausheilung des Ulcus verhindern und eine 
neue Entstehung von Geschwüren begünstigen, fast vollkommen be¬ 
seitigen lassen. 

Diagnose. 

Die rein klinische Untersuchung und Beobachtung des Patienten 
in Verbindung mit einer exakt aufgenommenen Anamnese ist imstande 
in etwa 80% das Magengeschwür zu diagnostizieren. Man ist in der 
Praxis sehr geneigt, zu großes Gewicht auf die Hilfsuntersuchungen zu 
legen. Diese sind aber trotz des Vorhandenseins eines Ulcus oft negativ. 
Ferner besteht die nicht zu leugnende Gefahr, daß die Diagnose „Magen¬ 
neurose“ zu oft gestellt wird, weil in vielen Fällen ein neurasthenischer 
Habitus nicht zu verkennen ist. In erster Linie weist der geübte 
klinische Blick in den meisten Fällen den richtigen Weg. 


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Über das Magen- and Zwölffingerdarmgeschwür. 


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Die bekannten subjektiven Beschwerden, die sich in Schmerzen 
nach dem Essen, je nach Sitz des Ulcus nach verschieden langer Zeit 
zeigen und sich oft bis zum äußersten steigern, so daß der Patient 
die Faust gegen das Epigastrium stemmt, sind meistens nicht zu ver¬ 
missen. Nach Moynihan ist die Anamnese alles, nach Bruhn der 
Schmerz das elementarste Symptom, nach Huber der Schmerz das 
konstanteste. 

Objektiv fanden wir in fast allen Fällen eine Druckempfindlichkeit 
des Epigastriums, ohne daß der Druckpunkt dem Sitz des Geschwürs 
immer entsprochen hätte, weil die Gegend des Ganglion coeliacum bei 
den verschiedensten Abdominalerkrankungen druckschmerzhaft ist. 
Eine übermäßige Druckschmerzhaftigkeit haben wir in sehr vielen 
Fällen bei einer funktionellen Erkrankung gefunden; derartige Pa¬ 
tienten reagierten schon bei leisester Berührung der Haut mit Abwehr¬ 
bewegungen. Von den physikalisch-chemischen Untersuchungen ist der 
Blutnachweis im Stuhl wohl die wertvollste Methode. KümmeU fand 
in einem Drittel seiner Fälle bei Ulcus duodeni, Reinhard in 73% seiner 
Fälle Sanguis im Stuhl positiv. Wir fanden in 70% unserer Fälle Blut 
im Stuhl, haben uns jedoch bei Fehlen desselben in diagnostischer wie 
in therapeutischer Hinsicht nicht beeinflussen lassen. Die Salzsäure¬ 
verhältnisse waren in 50% der Fälle normal, der Rest verteilte sich 
ziemlich gleichmäßig in anacide, subacide und hyperacide Werte. Den 
allergrößten Wert legen wir auf Röntgenylattenaufnahmen. Wenn es 
die Verhältnisse irgendwie erlauben, raten wir, sie mit heranzuziehen. 
Besonders bei einer meisterhaften Technik, wie sie bei unseren Kranken 
aus der Klientel von Artur Frankel, E. Schlesinger u. a. angewandt 
war, sah man die feinsten Penetrationen, kleine Ulcera usw., nachdem 
alle anderen Untersuchungen versagt hatten. Die kinematographischen 
Aufnahmen des Magens geben in erster Linie in der Hand erfahrener 
Röntgenologen auch in den unsichersten Fällen so gut wie immer 
einen überraschenden Aufschluß über den Sitz und die Form des Ge¬ 
schwürs. Einfache Röntgendurchleuchtungen sind ein Notbehelf. Sie 
können wohl große Nischen, Stenosenerscheinungen, den Sanduhrmagen, 
einen Dauerspasmus gegenüber dem Ulcus zeigen, aber die Feinheiten 
kann nur die Platte wiedergeben. Daraus geht schon hervor, daß wir 
bei Patienten, bei denen aus Sparsamkeits- oder anderen Gründen nur 
einfache Durchleuchtungen gemacht werden mußten, die übrigen kli¬ 
nischen Untersuchungsmethoden höher gewertet haben als das Re¬ 
sultat der Röntgendurchleuchtung. 

Eine Differentialdiagnose zwischen Magen- und Zwölffingerdarm¬ 
geschwür ist in manchen Fällen nicht möglich. Nach Quervain ist 
die Diagnose des Magengeschwürs meistens eine positive, während die 
des Zwölffingerdarmgesßhwürs eine negative ist. Auch HohVbaum sagt, 

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E. Nordmann: 


daß das Ulcus duodeni weder anamnestisch noch objektiv sicher dia¬ 
gnostizierbar sei. Die Periodizität der Beschwerden, auf die auch 
KümmeU aufmerksam macht, fanden wir in all unseren Fällen von 
Ulcus duodeni, und sie ist für die Differentialdiagnose am meisten zu 
verwerten. In ungefähr der Hälfte der Fälle fanden wir eine für Ulcus 
duodeni sprechende Anamnese, während ein Teil bei typischer Ana¬ 
mnese ein Magenulcus, ein anderer bei atypischer Anamnese ein Ulcus 
duodeni aufwies. Röntgenologisch ist bei Ulcus duodeni der Dauer¬ 
bulbus der wertvollste Befund. Nischenbildung ist ziemlich selten. Die 
von uns häufig beobachtete Rechtsverziehung des Magens im Verein 
mit den übrigen Symptomen sprachen mehr für Ulcus duodeni, während 
die vermehrte Peristaltik ebenso oft beim Magenkörper- bzw. Pylorus- 
geschwür zur Beobachtung kam. Rein praktisch genommen ist die 
Frage, ob es sich um ein Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür handelt, 
von untergeordneter Bedeutung, wenn auch die größeren Komplikationen, 
die selteneren Spontanheilungen, die häufigere Perforation, die tödlichen 
Blutungen des Ulcus duodeni nicht vergessen werden dürfen. In vielen 
Fällen wird selbst bei der Operation eine Entscheidung, ob ein Magen¬ 
oder Zwölffingerdarmgeschwür vorliegt, auf Schwierigkeiten stoßen. Der 
Chirurg wird in einzelnen Fällen anderer Ansicht sein als der patho¬ 
logische Anatom. Nach Reinhard ist der Verlauf der Pylorusvene so 
verschieden, daß sie nicht für den Pylorus als maßgebend angesehen 
werden kann. 

I ndikationssteüung. 

Bei fortschreitender Erfahrung haben wir die Art des operativen 
Vorgehens in ganz bestimmter Weise von dem anatomischen Befunde 
abhängig gemacht. Fanden wir im Magen und Duodenum auch nach 
Eröffnung der Bursa omentalis kein sicher nachweisbares Ulcus, so 
haben wir Magen und Duodenum unoperiert gelassen, aber stets die 
Gallenblase und den Wurmfortsatz revidiert und bei einem positiven 
Befunde in Gestalt des GaÜensteinleidens oder der adhäsiven Appen- 
dicitis das betreffende Organ entfernt. Fand sich ein callöses Geschwür 
im Pylorus, war ein Carcinom mit Sicherheit auszuschließen, war der 
Tumor beweglich, bestand keine Penetration in die Nachbarschaft, 
waren keine Blutungen vorangegangen, kurz gesagt, handelte es sich 
um einen abgelaufenen anatomischen Prozeß, so haben wir die G.E. 
retrocolica posterior nach v. Hacker gemacht. 

Fand sich ein callöses oder penetrierendes Geschwür an der kleinen 

Kurvatur, so haben wir in denjenigen Fällen, in denen es weit kardia- 

wärts lag, und bei denen eine typische Resektion nach BiUroth I oder II 

mit Fortnahme des Pylorus zu einem sehr kleinen Magenrest geführt 

haben würde, die Querresektion gemacht. War jedoch ein genügender 

Magenrest zu* efljaUjei\;.so'Haben Wir nach* den Empfehlungen v. Hoberere 
• • • ••• * v : 


• • • 


• • • 


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Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 


101 


stets den Pylorus mit reseziert und dann in der Mehrzahl der Fälle 
B. II 1 ) gemacht mit der Modifikation nach Reichel. Nur dann, wenn 
das Magenlumen außergewöhnlich groß war, haben wir das obere Drittel 
desselben blind verschlossen, weil wir gefunden haben, daß die not¬ 
wendige Fixation der Anastomose im Mesocolonschlitz gewisse Schwie¬ 
rigkeiten macht, wenn die Resektionslinie an der kleinen Kurvatur weit 
kardiawärts liegt. Wir bevorzugen die Methode B. II auch noch aus 
einem anderen Grunde. Leidet der Kranke z. B. neben seinem Magen¬ 
geschwür noch an einem Duodenalulcus, welches sich dem Nachweis 
häufig entzieht, so nützt man mit der Ausschaltung des Duodenums 
nach der Richtung sehr viel. Bei sehr alten und elenden Menschen 
haben wir die Methode B. I bevorzugt, weil sie sich etwas schneller 
ausführen läßt als B. II. Einige Male haben wir uns auf eine einfache 
Übemähung und Einstülpung des Geschwürs beschränkt, wenn wir 
nichts weiter als eine linsengroße feine Serosanarbe fanden, jede In¬ 
filtration der Wand fehlte und keinerlei Verwachsungen mit den Nach¬ 
barorganen bestanden. Wir glaubten, in diesen Fällen in Anbetracht 
des geringen anatomischen Befundes zu einem großen Eingriff, wie es 
die Magenresektion bedeutet, nicht berechtigt zu sein, müssen aber 
gestehen, daß diese Methode unbefriedigende Resultate ergeben hat. 
Zunächst blieben die Beschwerden aus, später kehrten sie jedoch wieder. 
Entweder ist das Geschwür durch die Übemähung nicht beeinflußt oder 
die Patienten haben weitere Geschwüre gehabt bzw. neue bekommen. 
Es erscheint uns deshalb richtig, ganze Arbeit zu tun, wenn man ein 
Ulcus findet, und besonders die kleine Kurvatur als die Prädilektions¬ 
stelle der Geschwüre so ausgedehnt wie möglich fortzunehmen. Bei 
fortschreitender Übung des Operateurs ist man berechtigt, auch bei 
einem geringen Befunde derartig radikal vorzugehen. 

Beim Duodenalgeschwür sind die Erfolge der einfachen G.E. höchst 
unsicher. Wie schon betont, haben wir einige ausgezeichnete Resultate 
erlebt, die jahrelang nachuntersucht sind. Auf der anderen Seite haben 
wir aber auch schwere Mißerfolge gesehen, und deshalb sind wir immer 
mehr zu radikalen Methoden übergegangen. Die G.E. haben wir auf 
callöse Geschwüre beschränkt, bei denen Stenosenerscheinungen ohne 
Blutungen im Vordergründe der Symptome standen. In allen anderen 
Fällen haben wir, wenn es die Verhältnisse erlaubten, seit längerer Zeit 
Resektionsmethoden angewandt. Wenn irgend angängig, haben wir 
das Ulcus mitreseziert, aber auch die Erfahrung gemacht, daß man in 
der Hinsicht nicht zu weit gehen darf, weil nachher eine Vereinigung 
des Duodenum mit dem Magen bzw. ein blinder Verschluß des Duo¬ 
denum technisch sehr schwer ausführbar sein kann. Es ist eine Über¬ 
treibung, zu sagen, es gelänge immer, das Duodenum so weit zu mobili- 

*) B. II = BiUroth II. 


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E. Nordmann: 


sieren, daß eine Resektion möglich wird. Wir haben trotz weitgehender 
Ablösung oft die größte Mühe gehabt, nach der Resektion des Ulcus 
den Duodenalstumpf vollständig sicher zu verschließen. 

Von den Resektionsmethoden bevorzugen wir beim Duodenal¬ 
geschwür B. II unter Mitnahme des pylorischen Magenteiles, weil wir 
glauben, daß auf diese Weise am sichersten eine Heilung erzielt wird. 
Auch in den Fällen, in denen das Ulcus mitreseziert wurde, haben wir 
B. II angewandt, da nach den Untersuchungen Harts in einer be¬ 
trächtlichen Zahl der Fälle mit der Möglichkeit zu rechnen ist, daß 
der Kranke gleichzeitig mehrere Geschwüre hat. Die Methode B. II 
erscheint uns aber besonders dann geboten, wenn die Resektion des 
Duodenalulcus technisch unausführbar ist. Einerseits wird auf diese 
Weise das Duodenalgeschwür ruhiggestellt und seine Heilungsmöglich¬ 
keit verbessert, andererseits ist die Gefahr des Ulcus pepticum nach 
allen Statistiken bei der einfachen G.E. sicherlich größer als nach 
der Methode B. II. 

Die Erfolge nach der G.E. sowie die Auffassung über den Wert der¬ 
selben sind sehr verschieden. Die Klinik Hochenegg, Kocher, Müller- 
Rostock, Qarri halten an der G.E. fest. Während Küttner 1909 die 
G.E. als nutzlos bezeichnet«, bezeichnet er sie 1914 als das Normal- 
verfahren und wollte die Resektion nur bei Carcinomverdacht an¬ 
gewandt wissen. Eine Statistik der Kieler Klinik weist bei pylorus- 
fernem Sitz des Geschwürs 48%, bei pylorusnahem Sitz 82% guter 
Resultate nach G.E. auf. Clairmont fand bei Ulcus duodeni 72%, bei 
Ulcus pylori 62%, bei Ulcus ventriculi 42% Heilung. Auf dem Chi¬ 
rurgenkongreß 1921 teilte Kreuter (Erlangen) die Erfahrungen der 
dortigen Klinik mit. Sie hatte in 89,2% nach G.E. günstige Resultate. 
Reinhard fand nach einfacher G.E. 28,5% Heilung, nach Ausschaltung 
des Pylorus 88,4%, nach Resektion 93,7% Heilung. Nicht aus allen 
Arbeiten ist ersichtlich, welche anatomische Form — caUöse Pylorus¬ 
stenose, penetrierendes Ulcus — vorherrschend war. Deshalb ist es mi߬ 
lich, die Statistiken zu vergleichen. Wer viele Ulcusstenosen zu ope¬ 
rieren hat, wird natürlich mit der Palliativoperation weit bessere Er¬ 
folge erzielen als derjenige, der vorwiegend penetrierende Geschwüre 
zu operieren hatte. Ein Teil der Chirurgen fordert wegen der unsicheren 
Resultate der G.E. die Resektion bei pylorusfernem Geschwür und will 
die G.E. nur auf die Pylorus- und Duodenalulcera beschränkt wissen. 

Die Wirkung der G.E. besteht in einer Änderung der Magen- 
motilität im Sinne einer rascheren Entleerung, wie in der Änderung 
des Chemismus des Magens, insofern, als durch den Rückfluß des 
alkalischen Darmsaftes eine Neutralisation des sauren Magensaftes 
stattfindet. Die Neutralisation kann aber immer nur in der Nähe der 
G.E. und des Pylorus stattfinden. Eine Ausschaltung des Geschwürs 




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Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 103 

von der Berührung mit dem Mageninhalt wird — wenn überhaupt — 
so noch am ehesten bei den peripher von der G.E. gelegenen Ulcera 
erreicht werden. Diese Ausschaltung des ständigen mechanischen Rei¬ 
zes muß eine Hauptforderung unseres therapeutischen Handelns sein. 
Diese Ruhigstellung des Geschwürs wird aber nur selten erreicht, wie 
Röntgennachuntersuchungen erweisen. Denn trotz gut funktionierender 
G.E. geht doch ein größerer oder kleinerer Teil des Mageninhaltes auch 
nach der Operation durch den Pylorus. Bei den Körperulcera sind diese 
Entleerungen durch den Pylorus und die G.E. die Regel. Worin 
besteht außerdem die Gefahr der G.E., wenn das Ulcus nicht be¬ 
seitigt wird ? v 

Spätere Perforation, Blutung aus dem alten Ulcus, das Entstehen 
eines Ulcus pepticum jejuni an der G.E. sowie die allerdings wohl 
äußerst seltene Umwandlung des Ulcus in ein Carcinom sind die späteren 
Gefahren. Zuweilen, wenn auch selten, wird eine Entscheidung, ob es 
sich um ein Carcinom oder Ulcus handelt, selbst bei der Operation 
unmöglich sein. v. Höherer unterliefen in 5% der Fälle Täuschungen 
in der Diagnose. Mandel fand in 35 von 365 Fällen Verdacht auf 
Malignität. Payr und Kiittner stellten in 26 bzw. 43 der von ihnen 
operierten callösen Ulcera mikroskopisch ein Carcinom fest. Bei unserem 
Material bestand in 5 Fällen der Verdacht auf Carcinom während der 
Operation. Die histologische Untersuchung ergab aber keinen Anhalts¬ 
punkt für einen malignen Tumor. 

Eine fernere Komplikation, die man nach einer G.E. erleben kann, 
sei erwähnt: In einem unserer Fälle erlebten wir nach der G.E. eine 
Perforation eines Ulcus duodeni, an der der Mann zugrunde ging. Das 
Ulcus duodeni war bei der Operation nicht zu erkennen gewesen und 
die G.E. wegen eines Ulcus ventriculi angelegt, eine Beobachtung, die 
auch von Körte, Hohlbaum u. a. mitgeteilt ist. 

Ulcera peptica sahen wir 4 mal nach einer G.E. Weiter unten 
werde ich noch näher auf das Ulcus pepticum eingehen. 

Worin bestehen nun die Vorteile der Resektion? Zunächst wird 
das Geschwür, damit die Beschwerden wie die Komplikationen, die 
aus dem alten Ulcus entstehen, beseitigt. Durch die Resektion wird 
infolge der Vagusdurchtrennung die vagotonische Komponente aus¬ 
geschaltet. Perthes führt vor allen Dingen wegen der spastischen Ein¬ 
ziehungen, die er meist pyloruswärts vom Körperulcus beobachtet hat, 
und durch die aus mechanischen Gründen das Ulcus bestehen bleibt 
und größer wird, die Resektion aus. Die Nachteile bestehen in dem 
größeren Eingriff wie in der etwas höheren Mortalität, die von der 
Technik des Operateurs -wie von dem meist schwereren Befunde nicht 
unabhängig ist. Jedoch werden Rezidive, wie Ulcera peptica, in letzterer 
Zeit auch nach Resektionen mitgeteilt, (v. Eiseisberg, Denk, Baum.) 


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v. Eiseisberg fand nach 64 Querresektionen 9 Rezidive, von denen 
er 4 relaparotomierte. Er läßt die Frage offen, ob es sich um echte 
Rezidive oder um ein neues Ulcus gehandelt hat. Nach v. Höherer 
handelt es sich meistens um ein übersehenes Ulcus. Die Mortalität 
nach G.E. gibt Kocher auf l l / 2 %, Kreuier auf 3,2% an. Die Gesamt¬ 
mortalität nach Resektionen beträgt bei v. Höherer 4 1 /*%- 

Technik. 

Wir haben fast sämtliche Magenoperationen in A.-C.-A.-Narkose, 
ein Gemisch von 1 Alkohol, 2 Chloroform und 3 Äther, ausgeführt. 
Einige Male haben wir in Lokalanästhesie, kombiniert mit Chlor¬ 
äthylrausch, operiert. Die verwandte Narkosenmenge betrug im 
Durchschnitt 80 ccm. Solange am Magen resp. Darm operiert wird, 
genügt es, die Maske liegen zu lassen und nur ganz wenig oder gar 
keine Narkose zu geben. Von der Narkose haben wir keine bedenk¬ 
lichen Störungen des postoperativen Verlaufes gesehen, wenn der 
Kranke, vor Zugluft geschützt, nach der Operation in halbsitzender 
Stellung gelagert wird usw., so daß wir andere, besonders rein lokale An¬ 
ästhesierungsverfahren nie benutzt haben. Die Dauer einer Resektion 
nach B. II betrug im Durchnitt P/ 4 Stunden. Wir benutzten prin¬ 
zipiell den Medianschnitt, da von diesem Schnitt aus zugleich Gallen¬ 
blase und Appendix gut zu revidieren sind. 

Ganz gleich, ob sich an der Vorderseite des Magens oder des Duo¬ 
denums ein Ulcus gefunden hat oder nicht, immer wird die Bursa 
omentalis eröffnet. Auch Budde hat auf dem Chirurgenkongreß 1920 
hierauf aufmerksam gemacht. Entzündliche Veränderungen sind an 
der Hinterseite meistens deutlicher zu finden als an der Vorderseite. 
In 7 Fällen fanden wir ein Ulcus erst nach Eröffnung der Bursa omen¬ 
talis an der Hinterwand des Magens, während an der Vorderwand 
nichts Pathologisches zu erkennen war. Von diesen war ein Fall vor 
4 Jahren wegen eines Ulcus von anderer Seite probelaparotomiert. 
Die Beschwerden der Patientin führten sie erneut zum Arzt. Bei der 
Operation war nach Eröffnung der Bauchhöhle von einem Ulcus zu¬ 
nächst nichts zu sehen. Erst nach Eröffnung der Bursa fanden wir 
ein großes callöses Geschwür. Es ist nicht ausgeschlossen, daß das 
Ulcus schon bei der ersten Operation vorhanden gewesen und nicht 
gefunden ist, weil die Bursa omentalis vielleicht nicht eröffnet wurde. 
In den meisten Fällen ist die Eröffnung derselben durch das Liga¬ 
mentum gastrocolicum sehr leicht, in einigen Fällen durch Verwach¬ 
sungen und Verklebungen etwas schwieriger. 

Die einzuschlagende Operationsmethode machen wir sodann von 
den oben beschriebenen Verhältnissen abhängig. 


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Über das Magen- und ZwölffingerdanngeschwUr. 


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Im allgemeinen führen wir von den G.E. G.E. die typische G.E. 
retrocolica nach v. Hacker mit ganz kurzer Schlinge aus und nähen 
prinzipiell die Schleimhaut mit Catgut, die Lembertnaht mit Zwirn 1 ). 
Der Mesocolonschlitz wird möglichst weitab vom Querkolon gemacht 
und hinterher mit Einzelzwirnnähten durch Fixation am Magen ver¬ 
schlossen. Beim Duodenalulcus haben wir auf einen gleichzeitigen 
Pylorusverschluß nach v. Eiseisberg oder einer anderen Methode seit 
langer Zeit vollständig verzichtet. Es erscheint uns wichtig, die G.E. 
nahe der großen Kurvatur etwa 3 Querfinger breit vor dem Pylorus 
herzustellen und nicht, wie es vielfach üblich ist, weiter kardiawärts 
gegenüber dem Oesophagus. Wir haben einige Fälle röntgenologisch 
nachuntersucht, bei denen sich gelegentlich der Operation ein stark 
erweiterter Magen fand, der aber nach der G.E. sich verkleinerte. 
War nun die Anastomose weit kardiawärts gemacht, so lag nunmehr 
die G.E. sehr hoch oben. Der Erfolg war, daß der gesamte Magen¬ 
inhalt durch den Pylorus ging. Auch von Kocher ist darauf hingewiesen, 
daß es wichtig ist, die G.E. pylorusnahe zu machen. Wahrscheinlich 
wird auf diese Weise auch am besten eine Herabsetzung der Hyper¬ 
acidität des Magens erreicht, weil der alkalische Jejunalinhalt direkt 
mit den aus dem pylorischen Magenteil abgesonderten Säften in Be-, 
rührung kommt. Befanden sich an der Hinterseite des Magens flächen¬ 
hafte Verwachsungen mit dem Mesocolon, so haben wir die G.E. ante- 
colica mit Braun scher Anastomose gemacht. Die Erfolge waren nach 
der G.E. antecolica die gleichen wie nach der G.E. retrocolica. 

Bei den Resektionen ist die Hauptsache eine genügende Mobili¬ 
sierung des Magens. In einigen Fällen, besonders bei Infiltration des 
kleinen Netzes, haben wir zunächst den Magen zwischen 2 Darm- 
kompressorien in der peripheren Resektionslinie nach Ligatur des Liga¬ 
mentum gastrocolicum und kleinen Netzes durchtrennt und dann erst 
die weiteren Unterbindungen im kleinen Netz ausgeführt, während der 
Magen nach links hinübergezogen wurde. Daß die Mobilisierung des 
kardialen Teiles dadurch unmöglich wird, wie v. Höherer behauptet, 
konnten wir nicht finden. Durch Emporklappen des Magens resp. 
Duodenums spannen sich alle zu resezierenden Stränge ebenso gut an, 
als wenn man den Magen in toto hochhebt. Wird der austretende 
Magensaft sofort weggetupft, und ist die freie Bauchhöhle gut ab¬ 
gestopft, so richtet er keinen Schaden an; ebenso haben wir von aus- 
tretendem Magensaft bei Ablösung der ins Pankreas penetrierten Ul- 
cera nie Schaden gesehen. Die Eröffnung des Magens ließ sich in vielen 
Fällen bei der Ablösung desselben, z. B. von der Leber oder vom Pan¬ 
kreas nicht umgehen. In anderen Fällen wieder waren wir erstaunt, 
wie leicht sich das Pankreas von dem Ulcus stumpf abschieben ließ. 

J ) Technik s. 0. Nordmann, Praktikum der Chirurgie. S. 486. 


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E. Nordmann: 


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Eine zweite Hauptforderung ist die, daß die Resektionslinien gesunde 
Magenwand treffen. Bei einem Ulcus in der Nähe des Pylorus nehmen 
wir diesen mit fort, bei hohem, nahe der Kardia sitzenden Ulcus lassen 
wir ihn zurück, um einen nicht zu kleinen Testierenden Magen zu be¬ 
kommen. Bevor wir die Resektion ausführen, legen wir hinter den 
Darmkompressorien an der großen wie an der kleinen Kurvatur je 
eine, sämtliche Wandschichten fassende Haltenaht an, die wir mit 
einer Klemme armieren. Wir vermeiden jedes Hantieren an den Darm¬ 
kompressorien, um ihr Abrutschen zu verhindern. In einigen Fällen 
passierte dieses trotzdem, und es entstand bei hoher Resektion eine 
unangenehme Komplikation, da der kleine Magenstumpf sich sofort 
zurückzog. Nach Anlegung dieser Haltenähte ist das Unglück nicht 
so groß und ein Abrutschen der Kompressorien nicht so gefährlich, 
weil man den Magenrest leicht wieder vorziehen kann. 

Haben wir ein Ulcus an der Vorderwand des Duodenums und setzt 
sich dieses auf das Duodenum weit nach unten hin fort, so resezieren 
wir das Duodenum schräg, indem wir von der Vorderwand, an der das 
Ulcus sitzt, mehr fortnehmen als von der Hinterwand. Wenn zwei 
Haltenähte peripher von der Resektionslinie angelegt sind, kann man 
auf die Kompressorien am Duodenum verzichten. Durch eine fort¬ 
laufende Catgutnaht und einzelne Zwirnnähte läßt sich der Stumpf 
meistens mühelos verschließen. Zur Deckung desselben ziehen wir das 
Pankreas mit heran, das natürlich nur oberflächlich gefaßt werden 
darf, um ein Austreten von Pankreassaft zu verhüten. 

Haben wir die Resektion ausgeführt, und lassen sich die beiden 
Lumina ohne Spannung nähern, so haben wir früher die Methode B. I 
gemacht, nachdem wir den oberen Winkel des oralen Magenquerschnittes 
mit Catgutnaht der Mucosa und Zwirnnaht der Serosa plus Muscularis 
verschlossen hatten. In der letzten Zeit haben wir fast immer die 
Methode B. II gemacht, indem wir entweder den ganzen oder nur 
den unteren Teil des oralen Magenquerschnitts mit einer kurzen retro- 
colisch gelagerten Jejunalschlinge in typischer Weise vereinigten. Die 
Dauer der Operation wird bei Verwendung der Reichel sehen Modi¬ 
fikation etwas verkürzt. In den meisten Fällen sichern wir die Nahtlinie 
noch durch Netz. Eine Drainage haben wir nie angewandt. Die Bauch¬ 
decken wurden mit versenktem Catgut und durchgreifenden Aluminium- 
Bronzedrahtnähten vereinigt. 

Nachbehandlung. 

Nach einer Resektion und nach der G.E. geben wir am Operations¬ 
tage abends ein Tropfklistier, wenn nötig, eine subcutane Kochsalz¬ 
infusion. Morphium erhält der Kranke die ersten Tage abends; wenn 
stärkere Schmerzen bestehen auch im Laufe des Tages kleinere Dosen. 


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Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 107 

Am 1. Tage nach der Operation fangen wir beim Ausbleiben von Er¬ 
brechen an, stündlich einen Teelöffel Tee zu geben, so daß der Patient 
im Laufe des ganzen Tages etwa 150—200 ccm zu trinken bekommt. 
Eisstückchen lassen wir nicht reichen. Außerdem setzen wir die Dar¬ 
reichung von Tropfeinläufen am 1. Tage nach der Operation morgens 
und abends, an den beiden darauffolgenden Tagen je einmal täglich 
fort. Die Patienten werden angehalten, bei Auftreten von Aufstoßen 
die Flüssigkeitszunahme per os auszusetzen. Von dem 3. bis 5. Tage 
steigern wir die Flüssigkeitszufuhr (Tee, Haferschleim) auf 600, dann 
auf 800—1000 ccm. Vom 5. bis 6. Tage ab beginnen wir mit breiiger 
Kost. 

Magenspülungen mußten wir nach der G.E. und auch nach der 
Methode B. I wegen des Erbrechens, das häufig sanguinolent war (Nach¬ 
blutung aus dem Ulcus oder aus der Nahtlinie?), häufiger machen. 
Dabei wird darauf geachtet, daß die Spülflüssigkeit unter niedrigem 
Druck einläuft und kleine Wassermengen benutzt werden. Diese Magen¬ 
spülungen sind oft sehr segensreich, Nachteile haben wir nie davon 
gesehen. Bemerkt man die ersten Tage nach der Operation viel Auf- 
stoßen, fauligen Geruch aus dem Munde des Kranken, sieht der Pat. 
verfallen aus, ist der Puls sehr beschleunigt, so raten wir, auch dann 
eine Magenspülung zu machen, wenn kein Erbrechen aufgetreten ist. 
Das ganze Krankheitsbild wird auf diese Weise manchmal mit einem 
Schlage zum Guten gewandt. Es ist nur notwendig, unter niedrigem 
Druck und unter Benutzung geringer Wassermengen (100—200 ccm) zu 
spülen. Nach der Resektion B. II haben wir niemals Magenspülungen zu 
machen brauchen. Augenscheinlich ist bei dieser Methode die Entleerung 
des Magens viel leichter als bei der Methode B. I und nach einer G.E. 
Die Lagerung der Kranken usw. ist im Praktikum der Chirurgie von 
0. Nordmann eingehend beschrieben und abgebildet. Durchschnittlich 
werden die Patienten nach etwa 3—4 Wochen aus dem Krankenhause 
entlassen. Sie werden darauf aufmerksam gemacht, daß sie noch wochen¬ 
lang Diät innehalten, Schwarzbrot, Hülsenfrüchte und Kohl meiden 
müssen, daß sie alle 2—3 Stunden regelmäßig etwas essen sollen und 
sich im Beruf schonen müssen. 

Übersicht über die ausgeführten Operationen und ihre Ergebnisse. 

Insgesamt haben wir 180 Patienten wegen Ulcus operiert, zu denen 
noch 4 Fälle von Ulcus pepticum jejuni hinzukommen. 77 mal hat es 
sich um ein Magengeschwür, 32 mal um ein Pförtnergeschwür und 
71 mal um ein Zwölffingerdarmgeschwür gehandelt. Während sich die 
Magenkörpergeschwüre auf Männer und Frauen im Verhältnis 3 :4 
verteilten, fanden wir das Duodenalulcus bei Männern ebenso häufig 
wie bei Frauen. Bei dem Magenkörpergeschwür haben wir 52 mal 


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E. Nordmann: 


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eine Resektion gemacht, und zwar 10 mal nach B. I, 18 mal nach B. II 
und 24 mal eine Querresektion, so daß wir in 69% der Fälle reseziert 
haben. Die Pylorusgeschwüre haben wir bis auf 2 Fälle, die wir nach 
B. I operiert haben, mit einer G.E. behandelt. Beim Ulcus duodeni 
haben wir 32 mal eine G.E. angelegt, 4 mal das Ulcus übernäht, 32 mal 
nach B. II und 3 mal nach B. I operiert, so daß wir 49% der Zwölf¬ 
fingerdarmgeschwüre reseziert haben. In der letzten Zeit haben wir 
die Resektion beim Ulcus duodeni weiter ausgedehnt, da wir einen 
wesentlichen Einfluß der G.E. auf das Geschwür nicht feststellen 
konnten. Blutungen aus dem Geschwrür und alte Beschwerden blieben 
bestehen. Andererseits sind war davon abgekommen, in den Fällen 
von Periduodenitis eine G.E. oder gar eine Resektion zu machen, da 
die Beschwerden in vielen Fällen nicht behoben winden. Fast aus¬ 
nahmslos haben wir dieses Krankheitsbild bei jungen Mädchen resp. 
Frauen von neuropathischem Habitus gefunden. Wir werden uns 
deshalb in Zukunft in diesen Fällen mit einer Probelaparotomie be¬ 
gnügen, wenn auch ein erst kürzlich bei uns beobachteter Fall zu 
denken gibt. Es handelte sich um einen jungen Mann, der vor 3 / 4 Jahren 
von O. Nordmann wegen eines vermuteten Ulcus laparotomiert war. Da¬ 
mals wurde eine lokalisierte Peritonitis im Bereiche des Duodenums und 
Magens ohne ein makroskopisch nachweisbares Ulcus gefunden. Da sich 
die Auflagerungen bis zum Coecum und zur Appendix fortsetzten, wurde 
nur eine Appendektomie gemacht. Die früheren Beschwerden setzten 
jedoch bald wieder ein und verstärkten sich derartig, daß der Patient 
spontan auf eine Relaparotomie drängte. Wir fanden 1 Jahr nach der 
ersten Operation ein großes callöses Ulcus duodeni mit Adhäsionen, die 
zum Pankreas führten, und resezierten das Ulcus nach B. II. Der Kranke 
wurde geheilt und ist nun beschwerdefrei. Ein Übersehen des Ulcus 
bei der ersten Operation ist ausgeschlossen, da Magen und Duodenum 
in typischer Weise genau revidiert wurden. Es läßt sich nur so er¬ 
klären, daß bei der ersten Laparotomie der Prozeß noch keine Ver¬ 
änderungen in den tieferen Wandschichten hervorgerufen hatte, son¬ 
dern auf die Schleimhaut beschränkt war. 

Im ganzen haben wir — abgesehen von den peptischen Jejunal¬ 
geschwüren — 89 mal eine Resektion und 85 mal eine G.E. ausgeführt, 
in 6 Fällen haben wir das Ulcus nur übemäht. 

Von den Resektionen haben wir die Methode nach B. II am häu¬ 
figsten, nämlich in 50 Fällen, meistens mit der Modifikation nach 
Polya-Reichel angewandt. In 15 Fällen haben wir die Resektion nach 
B. I und in 24 Fällen die Querresektion ausgeführt. Den 85 G.E. 
haben wir in 6 Fällen eine Ausschaltung nach v. Eiseisberg hinzu¬ 
gefügt, 6 mal haben wir eine G.E. antecolica mit Enteroanastomose 
ausgeführt. 


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Über das Magen- und ZwölffingerdanngeschwOr. 109 

Was die Erfolge anbetrifft, so ist die Zahl der Nachuntersuchten 
zu gering und die seit der Operation verflossene Zeit zu kurz, um von 
einem Dauererfolge sprechen zu können. Die genauen Ergebnisse sollen 
einer späteren Arbeit und Zeit Vorbehalten bleiben. Immerhin haben 
wir 65 Patienten nachuntersucht. Die Ergebnisse der Nachunter¬ 
suchungen seien hier kurz mitgeteilt. 

Von den gesamten G.E. hatten wir in 71%, von den gesamten 
Resektionen in 90% günstige Erfolge; während sich die Resultate 
beim Ulcus duodeni mit 70 resp. 75% ziemlich die Wage halten, ist 
der Unterschied beim Magenkörpergeschwür ein bedeutend größerer. 
57% gute Erfolge der G. E. stehen hier 90% der Resektionen gegenüber. 
Beim Pylorusgeschwür, das wir fast ausschließlich mit der G.E. be¬ 
handelt haben, hatten wir in 86% gute Erfolge. 

Die schlechtesten Erfolge hatten wir bei der Periduodenitis, ganz 
gleich, ob wir reseziert oder nur eine G.E. angelegt hatten. Der größte 
Teil der Patienten klagte bald wieder über Beschwerden, die den vor 
der Operation bestandenen ähnlich waren. Aus diesem Grunde sind 
wir, wie wiederholt betont, in der letzten Zeit von einer operativen 
Behandlung dieser Krankheit abgegangen. Ganz anders verhielten sich 
die Spätformen des Ulcus. Von den mit einer Resektion behandelten 
Patienten waren die nach B. II resezierten mit dem Erfolg am zu¬ 
friedensten. Sie hatten fast ausnahmslos von seiten des Magens keine 
Beschwerden, hatten an Gewicht zugenommen und fühlten sich sehr 
wohl. Im Gegensatz zu diesen klagten von den mit einer Querresektion 
behandelten Patienten einige über ein Völlegefühl, Aufstoßen und 
Schmerzen, sobald sie einen kleinen Diätfehler begangen hatten. Je¬ 
doch unterschieden sich ihre Beschwerden von denen, die sie vor der 
Operation gehabt hatten, sowohl in der Stärke als auch in der Art. 
Von den mit B. I Behandelten erholten sich die Patienten, bei denen 
der größte Teil des Magens entfernt war, sehr langsam und mußten 
eine strenge Diät innehalten, während ein großer Teil der übrigen 
Patienten ohne Beschwerden war. Die Erfolge nach G.E. waren in 
den Fällen sehr gut, bei denen die Stenose im Vordergrund gestanden 
hatte, während der andere Teil über ähnliche Schmerzen wie vor der 
Operation klagte. 

Röntgenologisch fanden wir bei den G.E. fast immer eine Durch¬ 
gängigkeit des Pylorus, während sich der größte Teil des Bariumbreies 
durch die G.E.-Öffnung entleerte. Ein Druckschmerz der G.E.-Stelle 
wurde fast nie vermißt. Bei den Querresektionen zeigte sich fast 
ständig ein Spasmus in der Resektionslinie und in einigen Fällen ein 
präpylorischer Sack. Auch nach der Methode B. I sahen wir häufig 
Spasmen in der Resektionslinie. Die nach B. II operierten Fälle wiesen 
meistens einen trichterförmigen Magen mit normaler Entfaltung und 


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E. Nordmann: 


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Entleerung auf. Sturzentleerungen haben wir nur in sehr wenigen 
Fällen beobachtet. Alles in allem ergaben die nach B. II operierten 
Fälle die besten DauerresuUate . 

Die Gesamtmortalität unserer operierten Fälle beträgt 5%, die der 
Resektionen 4,5%, die der G.E. 4,7%. Von den ersteren ist einer an 
Peritonitis infolge Nahtinsuffizienz nach Querresektion bei einem nahe 
der Kardia sitzenden Ulcus gestorben. Die Operation war durch Ab¬ 
gleiten der Darmkompre8Sorien sehr kompliziert. Ein anderer, der nach 
B. II operiert war, starb an dauernder Nachblutung aus einem Ulcus 
duodeni; bei diesem Kranken war das Ulcus nicht reseziert worden. 
Die beiden letzten starben an Pyämie und Myodegeneratio nach B. I. 
Von den G.E. G.E. starben ebenfalls 4, je einer an Bronchopneumonie 
und Nephritis mit Myodegeneratio, ein dritter an Erschöpfung, der 
vierte an Perforation eines Ulcus duodeni; der Patient war wegen 
Ulcus ventriculi mit einer G.E. behandelt und bei ihm war das Ulcus 
duodeni nicht zu erkennen gewesen. 

Es sei mir gestattet, die Krankengeschichten der Verstorbenen 
kurz anzugeben. 

Fall 1. Aufnahme-Nr. 6172,1920, Max M., 42 Jahre, seit 6 Jahren magenleidend. 
Befund: Freie HCl 29, Gesamtacidität 44, Blut im Stuhl schwach positiv, Röntgen¬ 
befund leichte Ptosis und Ektasie, hohe Intermedi&rschicht. Operation (O. Nord¬ 
mann): In der Höhe des Pylorus schwere adhäsive Peritonitis, durch die der Quer¬ 
darm, das große Netz und die Gallenblase an der Unterfläche der Leber zu einem 
großen Konvolut zusammengebacken sind. Dicht hinter dem Pylorus sieht und 
fühlt man ein hartes callöses Ulcus an der Vorderfläche des Duodenums, Wand 
sehr brüchig. Schon durch die Berührung mit der Pinzette entsteht eine kleine 
Perforation. Freipräparieren des Duodenums; an der Hinterwand desselben 
fehlt die Serosa vollkommen. 

Resektion und Vereinigung des Duodenalstumpfes mit dem unteren Magen¬ 
winkel nach B. I. Sicherung der zweifachen Naht durch Fixation des großen Netzes. 
Postoperativer Verlauf: Es tritt eine Magenfistel auf, 16 Tage danach wird eine 
Jejunostomie angelegt, Exitus 4 Wochen nach der Operation, Autopsie: Lungen: 
bronchopneumonische Herde. Milz: septischer Milzinfarkt, Naht zwischen Magen 
und Duodenum gut gehalten, kein subphrenischer Absceß. An der Gallenblase am 
Ausgang des Cysticus und damit zusammenhängend im Duodenum markstück¬ 
große Öffnung, die mit Gallenkonkrementen belegt ist, beide Nieren: kleine Abs- 
cesse, Todesursache: Pyämie. 

Fall 2. Aufnahme-Nr. 6009, 1920, Bertha M., 47 Jahre, seit 5 Jahren magen¬ 
leidend, Blutbrechen, freie HCl 43, Gesamtacidität 58, Blut im Stuhl positiv. 
Röntgenologisch: Pilzartige Ausbuchtung der kleinen Kurvatur, nach 2 Stunden 
an Stelle der Ausbuchtung eine Nische, Spasmus oberhalb und unterhalb der 
Stelle. Operation (O. Nordmann): In der Mitte der kleinen Kurvatur steinhartes, 
großes, callöses, ins kleine Netz penetrierendes Geschwür. Pankreas mit der 
Hinterwand des Magens breit verwachsen. Resektion nach B. I. Am 3. Tage Exitus. 
Autopsie: Operationsnaht im guten Zustand, unbedeutende fibrinöse Beläge an 
der Nahtlinie, Herzmuskulatur trübe. 


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Über das Magen- und ZwölffingerdarmgeschwUr. 111 

Fall 3. Aufnahme-Nr. 292, 1921, Robert K., 60 Jahre, seit Jahren magen¬ 
leidend, 2 mal Magenblutung, teerfarbener Stuhl, HCl 40, Gesamtacidität 85, 
Blut im Stuhl positiv. Röntgenologisch: Dicht unterhalb der Kardia an der 
kleinen Kurvatur, gegenüber der großen Kurvatur, Einziehung. Operation 
(0. Nordmann): Hoch oben nahe der Kardia ein ins kleine Netz penetrierendes, 
mit dem Pankreas fest verwachsenes callöses Ulcus. Sehr schwierige Resektion, 
Querresektion, am 3. Tage Exitus. Autopsie: Peritonitis. 

Fall 4. D., 1922, 28 Jahre, Magenbeschwerden seit langen Jahren, seit Wochen 
Blut im Stuhl. Röntgen.; Rechtsverziehung des Magens. Operation (0. Nordmann): 
Großer Magen, Ulcus im Duodenum, flächenhafte Verwachsungen zwischen 
diesem, Gallenblase und Leber. Resektion des Ulcus technisch unmöglich. Re¬ 
sektion des Pylorus, blinder Verschluß des Duodenums, B. II, Appendektomie, 
Appendix sehr verwachsen. Patient starb an dauernder Nachblutung aus dem 
Ulcus. Keine Sektion. 

Die Krankengeschichten der nach G.E. Verstorbenen lasse ich ebenfalls kurz 
folgen. 

Fall 1. Aufnahme-Nr. 7, 1913, Paul H., 41 Jahre, seit 17 Jahren magen¬ 
leidend, verschiedene Kuren durchgemacht. Röntgenbefund: Sanduhrmagen. 
Operation (0. Nordmann ): An der kleinen Kurvatur nahe dem Pylorus ein taubenei¬ 
großes callöses Geschwür. Wegen des schlechten Allgemeinzustandes des Patienten 
G.E. r. p. angelegt. Am 2. Tage Exitus. Autopsie: Pneumonie, Nephritis. 

Fall 2. Aufnahme-Nr. 1444, 1919, Ruth B., 56 Jahre, seit Jahren magen¬ 
leidend, starker Gewichtsverlust, Erbrechen, freie HCl 25, Gesamtacidität 75, 
Blut im Stuhl: positiv. Operation (0. Nordmann ): An der kleinen Kurvatur ins 
kleine Netz penetrierendes Ulcus dicht vor dem Pylorus, G.E. r. p. Autopsie: 
Bronchopneumonie. Das etwa dreimarkstückgroße Geschwür an der kleinen Kur¬ 
vatur hat einen derben wallartigen Rand und bildet eine über walnußgroße Nische, 
deren Rückwand mit dem Pankreas fest verwachsen ist. Ein 2. Geschwür von 
5-Markstückgröße sitzt flach an der kleinen Kurvatur nahe der Kardia, ein 3. Ge¬ 
schwür von gleicher Größe und Beschaffenheit etwa Mitte der kleinen Kurvatur. 
Operationsgebiet intakt. 

Fall 3. Aufnahme-Nr, 6127, 1917, Anna W., 21 Jahre, Magenschmerzen, 
Erbrechen, Aufstoßen, freie HCl 2, Gesamtacidität 10, Blut im Stuhl: stark positiv. 
Röntgenologisch: Nische an der kleinen Kurvatur. Operation (0. Nordmann): 
Callöses ins Pankreas penetrierendes UlcUs der kleinen Kurvatur, Mesocolon stark 
geschrumpft, G.E. antec. mit Brauns eher Enteroanastomose und Pylorusaus- 
schaltung nach v. Eiseisberg. Im postoperativen Verlaufe kam es 3 Tage später 
zur Perforation eines Ulcus duodeni, das übernäht wurde; außerdem wurde eine 
Jejunostomie hinzugefügt. Nach 3 Tagen Exitus. Autopsie: Ein Ulcus ventriculi 
und 2 Ulcera duodeni, von denen das eine perforiert war. 

Fall 4. G., 1922, 65 Jahre, seit längeren Jahren Magenbeschwerden mit 
Abmagerung. Röntgen.: Dauerbulbus, 3-Stundenrest. Operation (0. Nordmann): 
Fünfmarkstückgroßes steinhartes Geschwür an der Hinterwand des Duodenums. 
G.E. r. p. Patient starb am 5. Tage nach der Operation an Erschöpfung. Keine 
Sektion. 

Multiple Ulcera. 

Bei unseren 8 Todesfällen sahen wir 2 mal multiple Geschwüre. 
In dem einen Fall war das zweite Geschwür übersehen und nach¬ 
träglich perforiert. Insgesamt haben wir in 15 Fällen, das sind 10%, 


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E. Nordmann: 


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multiple Ulcera gefunden, v. Höherer und Mandel geben 28 resp. 
16% an. Am häufigsten fanden wir die Kombination zwischen Ulcus 
ventriculi und duodeni, nämlich in 8 Fällen. In je einem Falle 
wurden neben dem Magenulcus resp. Duodenalulcus 2 Zwölffingerdarm- 
resp. 2 Magengeschwüre gefunden. 6 mal fanden wir multiple Magen¬ 
geschwüre, und zwar in 5 Fällen je 2 Geschwüre, die 3 mal an der 
Vorder- und Hinterwand und in 2 Fällen nur an der Vorderwand saßen. 
In einem Falle fanden wir selbst 3 Ulcera. Multiple Zwölffingerdarm - 
geschwüre fanden wir nur in einem Falle. 

Kombinierte Operationen. 

In der letzten Zeit sind wir dazu übergegangen, bei Geschwürs¬ 
operationen Gallenblase und Blinddarm zu revidieren, vorausgesetzt, 
daß die Gesamtkonstitution des Kranken keine Gegenindikation gegen 
eine Verlängerung der Operation abgab. Eine gleichzeitige Erkrankung 
der Gallenblase fanden wir in 10 Fällen, 5 mal bildete sie einen Neben¬ 
befund, während in den übrigen 5 Fällen nach Anamnese und Röntgen¬ 
befund an eine Mitbeteiligung der Gallenblase gedacht werden mußte, 
so daß eine Diagnose nicht sicher zu stellen war. 8 mal handelte es 
sich um ein Duodenalulcus und 2 mal um ein Ulcus ventriculi. Nach 
v. Höherer gerät man bei einer gleichzeitigen Cholcystektomie in eine 
„gewisse Klemme“ bezüglich des Verschlusses der Bauchhöhle, da man 
wegen der Gefahr einer Nahtinsuffizienz bei Magenoperationen jede 
Drainage zu vermeiden trachtet. Walzel berichtet aus der v. Eiselsberg- 
schen Klinik über 17 kombinierte Operationen, bei denen 5 mal die 
Bauchhöhle primär verschlossen und 12 mal ein Streifen und Drain 
eingelegt wurde. Sie erlebten einen Todesfall nach B. I infolge Naht¬ 
insuffizienz, die sie auf die Tamponade zurückführen und empfehlen 
deshalb zur Vermeidung einer direkten Berührung derselben mit der 
Magennaht in diesen Fällen nach B. II zu resezieren. Durch eine mehr¬ 
fache Deckung des blindverschlossenen Duodenalstumpfes läßt sich ihrer 
Ansicht nach am ehesten noch eine direkte Berührung der Naht mit 
dem Tampon vermeiden. In den aus der v. Eiseisberg sehen Klinik 
mitgeteilten Fällen handelte es sich 4 mal um ein Magencarcinom, 8 mal 
um ein Magenulcus und 5 mal um ein Zwölffingerdarmgeschwür, von 
denen 3 mal das Ulcus den primären Reiz abgegeben haben dürfte. 
Wie ich schon im Anfang der Arbeit ausgeführt habe, wird sich nicht 
immer die primäre Erkrankung feststellen lassen. Nach der Anamnese 
und dem Operationsbefund glauben wir, daß in 5 Fällen das Duodenum 
primär erkrankt war und sekundär eine Cholecystitis entstanden war. 
Die Art des operativen Vorgehens haben wir auch in diesen Fällen 
von dem pathologisch-anatomischen Befunde abhängig gemacht, je 
nachdem ob die Veränderungen der Gallenblase oder die des Duodenums 


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Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 


113 


im Vordergründe standen. Bis auf einen Fall, in dem die Gallenblase 
stark entzündlich verändert war und eitrige Galle ohne Steine enthielt, 
fanden wir in allen Fällen Steine. In 3 Fällen handelte es sich um eine 
chronische Stein-Erkrankung, in 4 Fällen um eine steinhaltige Gallen¬ 
blase mit akut infizierter Galle und 2 mal um einen Hydrops mit Cysticus- 
verschlußstein. 

Bei der Operation entstand in 2 Fällen bei der Ablösung der Gallen¬ 
blase von dem Duodenum eine Perforation in letzterem, während sich 
in den übrigen Fällen die Adhäsionen zwischen Gallenblase und Duo¬ 
denum leicht lösen ließen. 4 mal übemähten wir das Ulcus mit Zwim- 
einzelnähten, in 4 Fällen, in denen stärkere Verziehungen des Duo¬ 
denums mit Stenosenerscheinungen vorhanden waren, führten wir eine 
G. E. retrocolica aus. Bei den 2 Magengeschwüren, die in der Mitte 
der kleinen Kurvatur saßen, machten wir in dem einen Fall eine Seg¬ 
ment-, in dem anderen Falle eine Resektion nach B. II. 

Da der primäre Verschluß der Bauchhöhle nach Cholecystektomie 
u. E. nach größere Gefahren als Vorteile in sich birgt, drainieren wir 
prinzipiell nach jeder Cholecystektomie mit oder ohne Choledochotomie. 
Demgemäß sind wir auch bei unseren gleichzeitigen Magenoperationen 
von diesen Grundsätzen nicht abgewichen, ohne zu vergessen, daß eine 
Drainage für eine Serosanaht nicht gleichgültig ist. Wir glauben jedoch, 
daß die Gefahr der Nahtinsuffizienz durch eine genügende Deckung der 
Naht mit Netz usw. bedeutend herabgesetzt bzw. beseitigt werden kann. 

Von diesen kombiniert ausgeführten Operationen ist eine Patientin 
gestorben, deren Krankengeschichte ich kurz erwähne. 

Aufnahme-Nr. 1969, 1922, Marie A, 68 Jahre, mit Schmerzen im Epigastrium 
erkrankt, verschiedentlich wegen Magengeschwür in Behandlung gewesen. Ob¬ 
jektiv: Druckschmerzhaftigkeit im Epigastrium, Urin: Biliburin, Urobilin positiv, 
Operation: Adhäsionen am Duodenum, Querkolon und Leber. Bei der Ablösung der 
Gallenblase vom Duodenum Perforation des letzteren. Hartes callöses Ulcus kommt 
zu Gesicht. Cholecystektomie, Übemähung der Perforation, Drain in den Chole- 
doohus, Netz auf das Duodenum, Tampon und Drain daneben. Starke entzündliche 
Veränderung der Gallenblasenwand, zwei Steine. Im postoperativen Verlauf stellt 
sich eine Darmfistel ein, trotz Jejunoetomie Exitus. Autopsie: Am Duodenum 
ein großes callöses Ulcus, die Nähte, mit Hilfe derer das Ulcus übemäht war, 
sind infolge Verdauens gerissen. 

Ob evtl, die Insuffizienz eine Folge der Tamponade oder Drainage 
war, wagen wir nicht zu entscheiden. 

In 5 Fällen fügten wir außerdem gleichzeitig wegen Veränderung 
am Wurmfortsatz eine Appendektomie hinzu. 

Über die Beziehungen zwischen Wurmfortsatz und Magengeschwür 
habe ich im Anfang der Arbeit die verschiedenen Auffassungen und 
Theorien erwähnt. Von den 28 Fällen, in denen wir die Appendix 
revidierten, fanden wir 26 mal eine chronische Entzündung des Wurm- 

Archiv f. klln. Chirurgie. 126. 8 


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114 


E. Nordmann: 


fortsatzes, Mahnert fanden in 64%, Petersen in 65% und Rössle in 45% 
ihrer Fälle gleichzeitig eine chronische Appendicitis. 3 mal handelte es 
sich bei unseren Fällen um ein Empyem. Meistens wurde eine adhäsive 
Entzündung mit Obliteration des Wurmes festgestellt. In 10 Fällen 
war der Wurmfortsatz mit dem Mesenterium der untersten Ileum- 
schlinge verwachsen. Bei einer systematischen Revision des Wurm¬ 
fortsatzes ist man in der Tat erstaunt, wie häufig dieser gleichzeitig 
erkrankt ist. Ob es sich um zwei voneinander unabhängige Krank¬ 
heiten handelt, oder ob sie in irgendeinem Zusammenhang miteinander 
stehen, ist noch umstritten. Auf Grund unserer bisherigen wenigen 
Fälle glauben wir jedoch die Appendix stets mit revidieren zu müssen, 
da einerseits die chronische Appendicitis dem Magengeschwür ähnliche 
Beschwerden hervorruft, die von Moynhan als Dyspepsia appendicitica 
beschrieben sind, andererseits die Appendix auch für das Ulcusrezidiv 
ätiologisch von Bedeutung sein kann. 

Relaparotomien. 

In 11 Fällen, die bis auf 3 Fälle von uns auch das erstemal operiert 
waren, haben wir eine Relaparotomie machen müssen. Bei 2 Fällen 
war bei dem ersten Mal ein Laparotomie wegen Ulcus ausgeführt, aber 
kein Ulcus gefunden. 

Fall 1. Aufnahme-Nr. 6752, Wilhelmine St., 58 Jahre, Schmerzen nach dem 
Essen, Blutbrechen, 1916 von anderer Seite Probelaparotomie, Mageninhalt; geringe 
Salzsäurewerte. Blut im Stuhl: negativ. Röntgen.: Ptose, 6-Stundenrest. Operation 
(O. Nordmann): Erst nach Eröffnung der Bursa omentalis sieht man 4 Querfinger 
breit vor dem Pylorus ein callöses Ulcus, B. L Ohne Beschwerden entlassen. 

Fall 2. Aufnahme-Nr. 2813, 1922, Viro L., 32 Jahre, vor einem Jahr Probe¬ 
laparotomie wegen Periduodenitis, kein Ulcus gefunden, 17. V. 1922 Relaparotomie, 
callöses Ulcus duodeni, B. II. Völlige Heüung. 

In einem Falle nahmen wir eine Relaparotomie an einem Patienten 
vor, der ein halbes Jahr vorher wegen einer epigastrischen Hernie von 
anderer Seite operiert war. Erst kürzlich ist in einer Arbeit aus der 
Jenenser Klinik über das häufige Zusammentreffen zwischen epi- 
gastrischer Hernie und Ulcus ventriculi aufmerksam gemacht. 

Wir haben seit längerer Zeit ebenfalls bei jeder Operation einer 
epigastrischen Hernie den Magen immer mitrevidiert und haben unten 
7 Fällen 3 mal ein Ulcus ventriculi gefunden. 

Aufnahme-Nr. 3992, 1922, Franz B., 33 Jahre. Wegen Heraia epigastr. vor 
einem halben Jahre operiert, Schmerzen sind dieselben wie vor der Operation. 
Aufstoßen, Erbrechen, Mageninhalt 40 : 60, Tiefstand des Magens, Druckpunkt 
des Duodenums. Operation (0. Nordmann): Erst nach Eröffnung der Bursa 
omentalis sieht man ein hartes Ulcus nahe der Kardia an der Hinterwand 'des 
Magens. Querresektion. Ohne Beschwerden entlassen. 


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Über das Magen* und Zwölffingerdarmgeschwür. 


115 


In den folgenden 4 Fällen nahmen wir eine Relaparotomie vor 
nach G.E. retrocolica post., da die Beschwerden der Patienten un¬ 
beeinflußt blieben und wir an ein Ulcus pepticum jejuni daohten. 

Fall 1. Anfnahme-Nr. 1956,1914, Gertrud M., 24 Jahre, seit 10 Jahren magen¬ 
leidend, Schmerzen und Erbrechen. 1912 Operation (0. Nordmann): 2 Ulcera 
im Duodenum, G.E. r. p. 1914 Relaparotomie: Beide Ulcera im Duodenum un¬ 
verändert, neue G.E. antecolicaund Enteroanastomose. Nachuntersucht 1.X.1919: 
Sehr gutes Allgemeinbefinden, 30 Pfund zugenommen. 

Fall 2. Aufnahme-Nr. 3422, 1921, Frieda E., 22 Jahre, 1919 wegen pene¬ 
trierenden Ulcus mit G.E. r. p. behandelt, seit 1920 die früheren Beschwerden. 
Relaparotomie 1921 (0. Nordmann): Das alte call Öse Ulcus an der kleinen Kurvatur 
unverändert, stellt einen taubeneigroßen Tumor dar, ist ins Pankreas penetriert. 
Ablösung der G.E.; Magen an der großen wie kleinen Kurvatur bis zum Pylorus 
freigemacht, Resektion des Magens, Darm 2reihig an der G.E.-Stelle verschlossen, 
40 cm unterhalb der Plioa in Form der G.E. ant. mit dem ganzen Magenquerschnitt 
vereinigt. Enteroanastomose. Nachuntersucht November 1922: Frei von Be¬ 
schwerden. 

Fall 3. Aufnahme-Nr. 3289, 1922, Martha D., 64 Jahre, wegen call Ösen Ulcus 
mit G.E. antec. und Enteroanastomose behandelt. Erbrechen grünlicher Massen, 
Schmerzen im Epigastrium. Relaparotomie: Kein Ulcus pepticum jejuni, an der 
Hinterseite ein callöses Ulcus. Man hat den Eindruck, daß es gegenüber der ersten 
Operation absolut unverändert ist. Resektion des Magens unmittelbar hinter dem 
Pylorus und unmittelbar vor der Anastomose. Blinder Verschluß des Duodenums. 
Magenlumen mit der alten Anastomosenöffnung der Dünndarmschlinge in typischer 
Weise vereinigt. Heilung. 

Hat sich in diesen 3 Fällen unsere Vermutungsdiagnose Ulcus jej uni auch 
nicht bewahrheitet, so konnten wir j edoch feststellen, daß das alte Ulcus un¬ 
verändert fortbestand und durch die G.E. in keiner Weise beeinflußt war. 
In dem folgenden Falle mußten wir nachträglich eine Cholecystektomie 
ausführen, obwohl die Beschwerden ebenso für ein Ulcus sprachen. 

Aufnahme-Nr. 3370, 1921, Marie P., 33 Jahre, 1913 G.E. r. p. wegen Ulous 
pylori. 1921 Relaparotomie: Große steinhaltige Gallenblase, Cholecystektomie. 
Ein Ulcus ist nicht mehr zu sehen. 

In diesem Falle war es also zu einer völligen Ausheilung des Ulcus 
nach einer G.E. gekommen. 


Ulcera peptica. 

Die Ulcera peptica sind nach den Literaturveröffentlichungen in 
der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle besonders bei Männern 
vorgefunden ( Faulhaber , v. Redwitz, v. Höherer), ferner ist das Ulcus 
pepticum besonders nach Pylorus- und Duodenalulcus beobachtet, wenn 
auch Mandel die Behauptung Hohlbaums, daß sich ein Ulcus pepticum 
nach einem Geschwür der Magenmitte nie entwickelt habe, zurück¬ 
weist. Schon v. Höherer hat nach G.E. wegen Gastrektomie solche 
beobachtet. Bei den von Mandel angeführten Fällen handelte es sich 
6 mal um ein Pylorus- oder Duodenalulcus, 1 mal um ein nahe dem 

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116 


E. Nordmann: 


Pylorus und 1 mal um ein nahe der Kardia sitzendes Geschwür. 6 mal 
war eine G.E. retrocolica posterior, 1 mal eine G.E. antecolica, 1 mal 
eine G.E. mit Braun scher Anastomose, wo sich das Ulcus an 
der Enteroanastomosenstelle entwickelt hatte, gemacht. Nach den 
neueren Ansichten schützt keine Art der Gastroenterostomie vor einem 
Ulcus pepticum. Nach Denck sind nach radikalen Operationen in der 
Literatur 6 sichere, 10 weniger sichere Ulcera peptica festgestellt. 
Denck selbst hat nicht weniger als 4 peptische Jejunalgeschwüre nach 
96 Resektionen beobachtet. Reichel erwähnt 2 Fälle von Ulcus pep¬ 
ticum jejuni, einen nach totaler Resektion des Pylorus mit Reichel- 
scher Anastomose, einen nach v. Eiseisberg scher Ausschaltung. 

Allem Anschein nach scheint keine Operationsmethode das Ulcus 
pepticum zu verhüten. Zunächst können wir nur feststellen, daß es 
nach G.E. relativ häufiger beobachtet wird. Die Zahl der Resektionen 
ist im Verhältnis zu denen der G.E. noch zu klein, die Beobachtungs¬ 
zeit noch zu kurz, um über die Häufigkeit nach Radikaloperationen 
schon jetzt etwas Bestimmtes sagen zu können. 

Die Diagnose läßt sich u. E. immer nur mit einer gewissen Wahr¬ 
scheinlichkeit aus den Beschwerden, die den primären Ulcusbeschwerden 
gleichen, stellen. Aus dem Druckpunkt an der G.E.-Stelle vor dem 
Röntgenschirm darf man nicht ohne weiteres ein Ulcus pepticum an¬ 
nehmen, da die Druckschmerzhaftigkeit der Anastomosenstelle auch 
bei normalem Befund in sehr vielen, um nicht zu sagen, in den meisten 
Fällen zu finden ist. Was die Lokalisation anbetrifft, so sitzen die 
meisten Geschwüre an der G.-E.-Stelle, aber auch im zuführenden wie 
abführenden Schenkel. Die Aciditätsverhältnisse sind ebenso wie beim 
Ulcus ventriculi völlig verschieden und weisen Hyperacidität, Subacidität 
und Anacidität auf ( Schmieden, v. Höherer). 

Auch für die Ätiologie der peptischen Jejunalgeschwüre sind all die 
Theorien, die für das Ulcus ventriculi aufgestellt sind, herangezogen. 

Mandel hat die nach konservativer wie radikaler Operationsmethode 
immer wieder neu auftretenden Ulcera als chirurgisch unheilbar bezeichnet. 
Er rät deshalb, nach seinen Erfahrungen bei Patienten mit gleichzeitigem 
Kardiospasmus die Indikation zum chirurgischen Eingriff einzuengen, wie 
sich überhaupt die postoperativen Resultate wesentlich verbessern lassen 
würden, wenn man die refraktären Fälle vorher erkennen könnte. 

In der Therapie stehen sich Palliativ- und Radikaloperation gegen¬ 
über. Wegen der großen Gefahr der Perforation eines Ulcus pepticum 
dürfte — sobald das Ulcus pepticum erkannt ist — die radikale Be¬ 
handlung der konservativen vorzuziehen sein. Baumhoch erwähnt 18 
Perforationen von 25 Fällen. Wurde früher die Unmöglichkeit der 
radikalen Entfernung eines Jejunalgeschwürs nach hinterer G.E. be¬ 
tont, so ist seit der Einführung der Mobilisierung des Duodenums nach 


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Über das Magen- und Zwölffingerdaringeschwtir. 117 

Fin8terer8 Vorschlag diese Schwierigkeit vermindert. Auch die Opera¬ 
tionsmethode der Ulcera peptica muß sich u. E. nach dem Operations¬ 
befunde richten. Ein Schema hierfür läßt sich nicht auf stellen. Wir 
haben auf unserer Abteilung 4 sichere Fälle von Ulcus pept. jej. beob¬ 
achtet, zu denen noch 2 konservativ behandelte, verdächtige hinzu¬ 
kommen, die wir jedoch nicht mitrechnen, da sich die Patienten bisher 
zu einer Relaparotomie nicht entschließen konnten. 

Fall 1. Aufnahme-Nr. 2803, 1921, Otto P., 47 Jahre, 1920 wegen Pylorus- 
olcns mit hinterer G.E. behandelt, in den ersten 3 Monaten völlige Beechwerde- 
freiheit, dann zunehmende Schmerzen, die zeitweise so stark geworden sind, 
daß er sich krümmt und die geballte Faust gegen den Magen drücken muß. P. 
kann mit den Schmerzen nicht weiter arbeiten. Befund: Magen entleert sich rasch 
durch die G.E., zum geringen Teil durch den Pylorus, nach einer halben Stunde 
Magen leer. Druckempfindlichkeit der G.E. Probefrühsttick: Nach 20 Minuten 
Magen leer. Stuhl: Sanguis negativ. Operation 1921 (0. Nordmann): Im Pylorus 
Ulcus mit frischen entzündlichen Veränderungen der Umgebung. Schwielige 
entzündliche Infiltration an der G.E. an der Übergangsstelle vom Magen zum 
Darm. Ablösung der Anastomose vom Magen, Loch im Darm, rundherum ange¬ 
frischt, doppelte Übernähung, Resektion des primären Ulcus, bis über die G.E. 
hinaus, B. II mit Reichekcher Anastomose, 30—40 cm unterhalb des U. p. Entero- 
anastomose. Präparat: Große Kurvatur 18 cm, kleine 10 cm, Ulcus im Pylorus, 
Ulcus pepticum jejuni an der Übergangsstelle vom Magen zum Darm. Nach¬ 
untersuchung 1923: Fühlt sich völlig wohl, hält keine Diät inne. 

Fall 2. K., privat, 1914 wegen Ulcus duodeni mit hinterer G.E. behandelt, 
Schleimhaut mit Catgut genäht, seit Anfang 1920 dauerndes Erbrechen, das 
Ende 1915 schon angefangen haben soll. Röntgen.: Pylorus und G.E. stark verengt. 
Operation 1921 ( 0 . Nordmann): Großes callöses Ulcus duodeni mit Leber- und 
Gallenblase verwachsen. Talergroßes callöses Ulcus an der G.E., Ablösung der¬ 
selben, Naht des Magens und Darmes. G.-E. antecolica mit Braunschei Anastomose, 
da Resektion unmöglich. Nach einem halben Jahre 35 Pfund zugenommen, keine 
Beschwerden (1923). 

Fall 3. Aufnahme-Nr. 4285, 1922, Kurt B., 34 Jahre, am 3. XI. 1921 wegen 
perforierten Duodenalulcus operiert, Übernähung und G.E. r. p. In den letzten 
Wochen wieder Schmerzen in der Magengegend, die nach dem Rücken zu ausstrahlen 
Röntgenologisch: Steilgestellter Magen, Druckpunkt am Duodenum und an der 
G.E. Relaparotomie (0. Nordmann) 15. VIII. 1922: Nach Emporklappen des 
Magens sieht und fühlt man an der G.-E.-Stelle ein fünfmarkstückgroßes callöses 
penetrierendes Ulcus. Resektion: Durchtrennung des Duodenums unmittelbar 
hinter dem Pylorus, blinder Verschluß des Duodenums, sodann wird die G.E. 
mit der Schere scharf aus dem Mesocolonschlitz ausgelöet, Magen- und Darm wird 
dabei eröffnet, dann wird der Magen zentralwärts von der Anastomose reseziert. 
Die ziemlich beträchtliche Öffnung in der obersten Jejunalschlinge wird senkrecht 
zur Längsachse des Darmes 2reihig vernäht. Mucosa fortlaufend Catgut, Serosa 
Zwirn; sodann wird die oberste Jejunalschlinge ziemlich lang genommen, durch den 
alten Mesocolonschlitz nach oben gezogen und in typischer Weise mit dem Magen¬ 
lumen verbunden. Zwischen den beiden Schenkeln der Darmschlinge, und zwar 
ungefähr in der Mitte zwischen Jejunalnaht und G.E. wird eine neue Entero- 
anastomose hinzugefügt. Postoperativer Verlauf ohne Komplikationen. Nach 
16 Tagen entlassen. Wohlbefinden 1923. 


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118 


E. Nordmann: 


Fall 4. Aufnahme-Nr. 651,1922, Albin Z., 21 Jahre, 1917 wegen Ulcus duodeni 
von anderer Seite mit G.E. r. p. behandelt. Anfangs ging es dem Patienten gut, 
nach 2 Jahren wieder typische Ulcusbeschwerden. Zuletzt Abmagerung, Durch- 
fälle. Januar 1922 Aufnahme im Krankenhaus, Patient war stark abgemagert, 
hatte häufigen Stuhlgang und Hungerödem , starken Foetor ex ore. Röntgen.: 
Der Magenbrei entleert sich zum großen Teil durch die G.E., ist nach 1 Stunde 
im Dickdarm sichtbar. Diagnose: MagenkolonfisteL Operation (0. Nordmann ): 
An der Vorderwand des Duodenums walnußgroßes, hartes Ulcus; an der G.E. 
sieht und fühlt man ebenfalls ein Ulcus, daneben aber besteht eine direkte Kom¬ 
munikation zwischen Magen und Querkolon. Man gewinnt den Eindruck, als 
ob der Mesocolonschlitz zu nahe an das Querkolon gelegt ist. Dünndarm und 
Dickdarm werden mit scharfen Scherenschnitten vom Magen getrennt. Die in 
den Därmen entstehenden Lumina sind so groß, daß sowohl eine Resektion des 
Dünn- wie des Dickdarms notwendig wird. Beide werden End-zu-End vereinigt. 
Sodann wird der Magen zentral von der G.E. und das Duodenum hinter dem 
Ulcus nach Unterbindung des kleinen Netzes und des Ligamentum gastrocolicum 
durchtrennt. Das Duodenum wird blind verschlossen, ebenso das zentrale Magen- 
lumen. Typische G.E. ant. mit Braunscher Enteroanastomose. Abgesehen von 
einem Kollaps am nächsten Morgen, der durch eine intravenöse Kochsalzinfusion 
erfolgreich bekämpft wurde, war der postoperative Verlauf ohne jede Störung. 
Frühjahr 1923 hatte der Patient, der ein langaufgeschossener Jüngling war, 60 Pfund 
zugenommen, sah blühend aus und war ohne jede Beschwerden. 

Von unseren 4 Fällen, die wir wegen Ulcera peptica operiert haben, 
war in allen 4 Fällen eine G.E. retrocolica posterior angelegt. Sämt¬ 
liche 4 waren Männer. 3 mal handelte es sich um ein Ulcus duodeni 
und 1 mal um ein Ulcus pylori. Die Diagnose konnte bis auf den letzt - 
mitgeteilten Fall nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gestellt 
werden. Aus den angegebenen Beschwerden aber, durch die die Pa¬ 
tienten in ihrer Arbeitsfähigkeit stark beeinträchtigt wurden, durften 
wir das Bestehen eines Ulcus pepticum oder wenigstens das Fortbestehen 
des alten Ulcus annehmen, was eine Relaparotomie rechtfertigte. Der 
schwierigste Akt bei der Operation des Ulcus pepticum jejuni ist zweifel¬ 
los die Lösung der G.E. Man muß kurzerhand die G.E. durch einige 
Scherenschläge von dem Magen trennen und nach Resektion des Magens 
entweder eine BiUrothache Methode oder eine G.E. ant. mit Entero- 
anastomose machen. In 2 Fällen haben wir das primäre Ulcus mit¬ 
entfernen können, was in erster Linie anzustreben ist. Geschieht dieses, 
so schützt die Methode B. I am sichersten vor einem Rezidiv. Wir 
haben in den anderen beiden Fällen durch blinden Verschluß des Duo¬ 
denums das Ulcus ausgeschaltet. Bei beiden Kranken wurde ein mehrere 
Jahre hindurch beobachteter Dauererfolg erzielt. 

Zusammenfassung. 

Der von uns bei der Behandlung des Magen- und Zwölffingerdarm¬ 
geschwürs befolgte Grundsatz und die aus den bisherigen Operationen 
gemachten Erfahrungen lassen sich kurz dahin präzisieren: 


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Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 


119 


1. Die anatomische Spätform des Ulcusleidens, die man bei Privat¬ 
patienten relativ häufiger findet, gibt die besten operativen Resultate. 

2. Trotz negativen Röntgenbefundes kann ein altes Ulcus vor¬ 
handen sein. 

3. Bei Hernia epigastrica ist immer an das Bestehen eines Ulcus 
ventriculi zu denken. 

4. Hungerschmerz kommt auch beim Magengeschwür vor. Den 
Aciditätsverhältnissen ist hei Stellung der Diagnose keine allzu große 
Bedeutung beizumessen. 

5. Bei jungen Mädchen resp. Frauen von neuropathischem Habitus 
soll nur bei positivem klinischen Befunde eine Laparotomie ausgeführt 
werden. Die bei diesen Patienten bestehenden Beschwerden sind häufig 
funktionell. 

Die Art der Operation. 

1. Die anzu wendende Operationsmethode wird von Fall zu Fall 
entschieden, nachdem die Bauchhöhle eröffnet ist und die anatomisch¬ 
pathologischen Verhältnisse klar vor Augen liegen. 

2. Bei Magenkörper- und Duodenalgeschwüren ist die Resektion 
anzustreben. Nach unseren Erfahrungen sowie nach Äußerungen von 
erfahrenen Magenspezialisten gibt die Resektion nach B. II mit Ent¬ 
fernung des Pylorus sehr gute Resultate. Bei hohem Sitz des Ulcus 
führen wir die Querresektion aus. 

3. Bei Periduodenitis, die man nur bei der Laparotomie diagnosti¬ 
zieren kann, und bei der während der Operation ein Ulcus nicht ge¬ 
funden wird, begnügen wir uns mit einer Probelaparotomie, revidieren 
aber stets die anderen Bauchorgane, besonders die Gallenblase und die 
Appendix. 

4. Es ist immer an das Bestehen multipler Ulcera zu denken und 
Magen und Duodenum genau abzusuchen, wie auch stets das Liga¬ 
mentum gastrocolicum zu durchtrennen und die Hinterwand des Magens 
von hier aus zu revidieren ist. 

5. Es ist nach Möglichkeit Gallenblase und Wurmfortsatz zu unter¬ 
suchen und eventuell eine Cholecystektomie bzw. Appendektomie an¬ 
zuschließen. Bei tiefsitzendem Ulcus duodeni an der Vorderwand ist 
dieses nach Kocher zu mobilisieren und schräg zu resezieren in der Weise, 
daß von der Vorderwand mehr fortfällt als von der Hinterwand. 

6. Vor der Durchtrennung des Magens bzw. Darms sind außer 
Darmkompressorien an der großen wie an der kleinen Kurvatur je 
2 Haltenähte anzulegen. 

7. Bei Anlegung einer G.E. retrocolica posterior muß der Schlitz 
im Mesocolon möglichst weit ab vom Querdarm liegen. Die Anastomose 
soll pylorusnahe gelegt werden. 


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120 E. Nordmann: Über das Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür. 

8. Erscheint die Naht nach Resektion unsicher, soll bis zu 48 Stunden 
kein Getränk gegeben werden. 

9. Bei Nahtinsuffizienz kann man das Glück haben, daß sich ein 
abgekapselter Absoeß bildet, der nur zu drainieren ist. Bei Inanition 
ist eventuell eine Jejunostomie anzulegen, aber mindestens 40 cm unter¬ 
halb des Duodenums, weil sonst Zurücklaufen der Flüssigkeit in den 
Magen möglich ist. 

10. Bei Beschwerden nach früherer G.E. ist an das Fortbestehen 
des alten Ulcus resp. an ein Ulcus pepticum jejuni zu denken und eine 
Relaparotomie in Erwägung zu ziehen, falls eine konservative Be¬ 
handlung nicht zum Ziele führt. Wer angibt, nie ein Ulcus pepticum 
jejuni gesehen zu haben, muß sagen, wieviel G.E. er gemacht, wieviel 
Patienten er nachuntersucht hat, und wie viele Kranke beschwerde- 
frei waren. 

11. Die Mortalität der Resektion ist nicht größer als die der G.E.; 
Voraussetzung ist, daß der Operateur die Technik beherrscht. Ein 
richtiges Bild über die Höhe der Mortalität nach einer bestimmten 
Operationsmethode erhält man nur dann, wenn ein Operateur sämtliche 
Operationen ausgeführt hat. 


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(Aus der deutschen Universitatefrauenklinik in Prag 1 [Vorstand: Prof. Dr. 

0 . A. Wagner.]) 

Cholelithiasis und Gravidität 1 ). 

Von 

Privatdozent Dr. Hans Hermann Schmid, 

ehern. I. Assistenten der Klinik. 

(Eingegangen am 4. April 1923.) 

Von vornherein ist eine engere Beziehung zwischen der Gallenstein¬ 
krankheit und der Gestation des Weibes wahrscheinlich, wenn man die 
Häufigkeit der Cholelithiasis bei Männern und Frauen vergleicht. Auf 
einen gallensteinkranken Mann entfallen nach Körte 3, nach Kehr so¬ 
gar 4 und nach Orube und Qraff % ) 4,3 gallensteinkranke Frauen. Hein 
fand ein Verhältnis von 2:3, Naunyn von 1:2, Rohde von 1:2,51 an 
klinischem Material. Durch Leichenuntersuchungen wurden folgende 
Zahlen gefunden: Gallensteinträger sind nach 


Fiedler .15% der weiblichen, 4% der männlichen Leichen. 

Roth .11,7% 4,7% „ 

Rother .9,9% „ „ 3,9% „ 

Peters .9% ,, 3% „ „ „ 

Schröder .20,6% „ „ 4,4%*) „ „ „ 


Nach Kehr sind 10% aller im gebärfähigen Alter stehenden Frauen 
mit Gallensteinen behaftet. Amsperger 4 ) fand unter 386 Gallenstein¬ 
operationen der Heidelberger Chirurgischen Klinik nur 46 Männer 
gegenüber 340 Frauen, also mehr als 7 mal soviel. 

Schon während der Menstruation findet sich eine gewisse Labilität 
des ganzen Organismus, insbesondere einzelner Organe. Der seit mehr 
als 50 Jahren bekannte „menstruelle Ikterus“, in der Folgezeit viel 

*) Als Vortrag angemeldet für die 47. Tagung der deutschen Gesellschaft 
für Chirurgie. 4.—7. IV. 1923. 

*) Zit. nach Kehr, Chirurgie der Gallenwege. Neue dtech. Chirurg. 8,250. 1913. 

*) Zit. nach Langenbuch, Chirurgie der Leber und der Gallenblase. Dtech. 
Chirurg. 45c (II), 200. 1897. 

*) Amsperger, Stfmml. zwangL Abh. a. d. Geb. d. Verdauung«- u. Stoffwechsel- 
Krankh. 3, 3. 


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122 


H. H. Schraid: 


umstritten, mit gewissen Einschränkungen in der letzten Zeit anerkannt, 
wird zurückgeführt auf menstruelle Leberhyperämie 1 ). Diese scheint 
auch imstande zu sein, durch Gallenstauung gerade zur Zeit der Men¬ 
struation das Auftreten von Gallensteinanfällen zu begünstigen. 

Häufigkeit des Torkommens von Cholelithiasisanfällen während der 

Schwangerschaft. 

Naunyn 2 ) fand, daß unter 115 mit Gallensteinen behafteten Frauen- 
leichen nur 10% keine Schwangerschaft überstanden hatten. Von 
William Mayos ®) 3075 wegen Gallensteinleidens operierten Frauen 
haben 90% geboren, und von diesen haben wieder 90% die ersten Be¬ 
schwerden in der Schwangerschaft empfunden. Peterson*) findet unter 
den Gallensteinträgerinnen dagegen nur 75% Frauen, die geboren 
haben. 30% der gallensteinkranken Frauen von Kehr, 63% derselben 
von Naxera führen ihr Leiden auf eine Schwangerschaft zurück. Die 
größte Häufigkeit der Cholelithiasis wird bei der Frau durchschnittlich 
in einem früheren Alter gefunden als beim Manne, d. h. zwischen dem 
20. und 40. Lebensjahre 8 ). Rohde 6 ) hebt hervor, daß von 143 Frauen der 
Frankfurter Chirurgischen Klinik 112 geboren, 31 nicht geboren haben. 
Von den erstgenannten 112 Frauen hatten beinahe 75% mehrfache 
Geburten hinter sich, davon beinahe 25% über 8 Geburten; ,,also auch 
die Zahl der durchgemachten Geburten spielt eine bedeutende ätiolo¬ 
gische Rolle in der Entstehung der Gallensteinkrankheit“. 

Bekanntlich sind während der Schwangerschaft bzw. des Wochen¬ 
bettes nicht nur die ersten Gallensteinanfälle oft zur Beobachtung ge¬ 
kommen, sondern auch Rezidive sind gerade in dieser Zeit vielfach 
gesehen worden. Für die Mehrzahl der ersten Anfälle während der 
Gestation nimmt Döderlein 1 ) an, daß sie aus dem nicht entzündlichen 
Gallensteinleiden zu erklären sind. 


J ) Senator, Über menstruelle Gelbsucht. BerL klm. Wochenschr. 1872, S. 615 — 
Chvostek, Die menstruelle Leberhyperämie. Wien. klin. Wochenschr. 1909, S. 9. — 
Ausführlicheres darüber siehe bei Blau, Die Beziehungen der weiblichen Genital¬ 
organe zur Leber. Die Erkrankungen des weiblichen Genitals in Beziehung zur 
inneren Medizin. Nothnagels spez. Pathol. u. Therap. Wien u. Leipzig 1912. 
Bd. 1. S. 850. 

*) Naunyn, Klinik der Cholelithiasis. 1892, S. 38. 

®) W. Mayo, „Innocent“ gall-stones a myth. Joum. of the Americ. med. assoc. 
56 , Nr. 14, S. 1023. 1911. 

*) Reuben Peterson, Gall-stones during pregnancy and the puerperium. Surg. 
Gynecol. a. Obstetr. II, 1. 1910. 

•) Meyer-Ruegg, Geburtsstörungen durch fehlerhaftes Verhalten nichtsexueller 
Organe, v. Winckels Handb. d. Geb. II, 3, 2290. 1905. 

•) Rohde, Zur Pathologie und Chirurgie der Steinkrankheit und der ent¬ 
zündlichen Prozesse der Gallenwege. Arch. f. klin. Chirurg* 11 %, 707. 1919. 
r ) Döderlein-Krönig, Operative Gynäkologie. 4. Aufl. 1921. S. 789. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


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Einfluß der Gravidität auf die Cholelithiasis. 

a) Einfluß der Gravidität auf die Gallensteinbildung. 

Als wichtigste Ursachen der Steinbildung sind Gallenstauung und 
Infektion anerkannt. Jede dieser Ursachen kann für sich wirksam 
werden, sie können sich, wie es meist der Fall sein dürfte, natürlich 
auch miteinander vereinigen. Alle Umstände, welche diese beiden 
Ursachen begünstigen, können also zur Bildung von Steinen in den 
Gallenwegen, am häufigsten in der Gallenblase, Veranlassung geben. 

Ein solcher begünstigender Umstand ist ganz gewiß die Schwanger¬ 
schaft. 

Für die Gallenstauung hat man zunächst den unmittelbaren Druck 
des graviden Uterus vielfach angeschuldigt. Daß er unter Umständen 
wirklich im Vordergründe stehen kann, beweist ein Fall von Virchow 1 ), 
der bei der Obduktion einer ikterisch verstorbenen Graviden fand, daß 
der Ikterus „auf einer sog. Schnürleber beruhte, wo durch den wach¬ 
senden Uterus eine fast vollständige Umklappung der unteren Hälfte 
der Leber nach vom und oben herbeigeführt war, ohne indessen die 
Erscheinungen der Atrophie hervorgerufen zu haben“. Durch die Aus¬ 
dehnung des graviden Uterus werden alle übrigen Baucheingeweide 
(mit Ausnahme von Blase und Mastdarm) kopfwärts verschoben; das 
Zwerchfell kann aber nur bis zu einem gewissen Grade ausweichen; die 
weitere Ausdehnung der Leibeshöhle erfolgt auf Kosten der vorderen 
Bauchwand. Durch die Empordrängüng der Leber und mit ihr der 
Gallenblase kann es, wie Körte, Neuling u. a. annehmen, zu Stauung 
in den Gallenwegen kommen. Dieser Verdrängung der Leber scheint 
größere Bedeutung zuzukommen als dem unmittelbaren Drucke, den 
der gravide Uterus auf Leber und Gallenblase ausübt. In manchen 
Fällen kann allerdings der Ductus cysticus selbst abgeknickt werden. 
Eine wichtige Bedeutung kommt der Beschränkung der Zwerchfell¬ 
atmung durch die Schwangerschaft zu; nach Heidenhain befördert ja 
der vom Zwerchfell ausgeübte Druck auf die Leber den Austrieb der 
Galle ganz wesentlich; namentlich in den letzten Monaten der Schwanger¬ 
schaft kann durch diese Behinderung der bei der Frau ohnehin gegen¬ 
über def costalen zurücktretenden Zwerchfellatmung die Gallenstauung 
begünstigt werden ( Naunyn, Amsperger). Doch leugnen Gerhard und 
Bar diese Beeinträchtigung der diaphragmatischen Atmung in der 
Schwangerschaft. Nach v. Rosthom l ) stellt sich der Stand des Zwerch¬ 
fells normal oder nur etwas höher dar; es wird durch den Zug von seinen 
Insertionsstellen aus ebenso nach unten gezerrt, wie es durch den Druck 
der Bauchorgane nach oben gedrängt wird; nur die Kuppe des Zwerch- 

1 ) Virchoto , Monatesohr. f. Geburtskunde * 1 , 90. 1863. 

*) v. Rosthom, Anatomische Veränderungen im Organismus während der 
Schwangerschaft. v . Winckels Handb. d. Geb. I. 1, 351, 432. 1903. 


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124 


H. FL Schmid: 


felis kommt etwas höher zu stehen, damit auch die Leber. In neuerer 
Zeit hat die Anwendung der Röntgendurchleuchtung derartige Unter¬ 
suchungen wesentlich vereinfacht. Dietlen 1 ) findet, daß bei Frauen das 
ganze Diaphragma im allgemeinen höher steht als beim Manne. Nach 
Eppinger 2 ) bedingen langsam in der Bauchhöhle heranwachsende Ge¬ 
schwülste selten einen beträchtlichen Hochstand; „selbst bei Graviden, 
die sich in den letzten Wochen vor der Geburt befinden, nimmt das 
Zwerchfell im Verhältnis zur Thoraxoberfläche einen fast normalen 
Stand ein“. Unmittelbar post partum steigt das Zwerchfell um 1 bis 
2 Intercostalräume höher. Hier sind auch die Untersuchungen von 
Rübsamen 3 ) bei Riesenovarialtumoren zu erwähnen; nur bei kräftigen, 
gespannten Bauchdecken kommt es dabei zu einer stärkeren Zwerch¬ 
fellverdrängung nach oben, bei schlaffen Bauchdecken dagegen nur in 
ganz geringem Grade. Über Zwerchfellstand und Zwerchfellatmung bei 
Graviden liegen aber bisher aus neuerer Zeit systematische Röntgen¬ 
untersuchungen, soviel mir bekannt ist, nicht vor; bei den zahlreichen 
Aufnahmen Schwangerer sind bisher hauptsächlich andere Umstände 
als Zwerchfellbewegungen und Zwerchfellstand von Interesse gewesen. 
Nur v. Rosthorn und Kraus haben vor 20 Jahren, also mit noch un¬ 
vollkommenen Apparaten, Röntgenaufnahmen von Herz und Zwerch¬ 
fell gemacht, dabei aber nur die Zwerchfellkonfiguration berücksichtigen 
können, nicht seine Bewegungen, entsprechend der damals noch nicht 
ausgebauten Durchleuchtungstephnik. 

Die Bedeutung des Schnürens hat seinerzeit Langenbuch mit fol¬ 
genden Worten gewürdigt bezüglich der erhöhten Disposition der Frauen 
zur Cholelithiasis: „Zwei Momente kommen betreffs ihrer in Betracht: 
die Schwangerschaft, und deswegen sind sie zu bedauern, und das enge 
Schnüren, weswegen sie mehr Tadel verdienen.“ Heutzutage, wo das 
Schnüren nicht mehr so sehr Mode ist wie vor einigen Jahrzehnten, dürfte 
es als begünstigende Ursache für die Gallenstauung in der Schwanger¬ 
schaft weniger in Betracht kommen, es wäre denn, daß durch die Ein- 
pferchung des Leibes in einen Schnürpanzer gerade die bestehende 
Schwangerschaft bemäntelt und verdeckt werden soll; im Vergleiche 
zur Fruchtabtreibung ist aber diese „konservative“ Verfahren zur Ver¬ 
heimlichung einer Gravidität recht selten geworden! In anderer Form 
könnte übrigens das Schnüren doch auch in der Schwangerschaft von 
Bedeutung werden, wenn man nämlich dabei nicht nur an das Schnür¬ 
mieder zur Erzielung einer „Wespentaille“ denkt, sondern auch an das 

x ) Dietlen, Zur Größe und Lage des normalen Herzens und ihre Abhängigkeit 
von physikalischen Bedingungen. Arch. f. klin. Med. 88, 65. 1906. 

*) Eppinger, Allgemeine und spezielle Pathologie des Zwerchfells. SuppL 
zu Nothnagels apez. PathoL u. Therapie. Wien u. Leipzig 1911, S. 46, 69. 

*) Ratsamen, Über die Veränderung des Situs der Brustorgane durch Riesen- 
ov&rialtumoren. Zeitscbr. f. Geburtsh. u. GynäkoL € 9 , 647. 1912 ; 79 , 373. 1912, 


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Cholelithiasis and Gravidität. 


125 


enge Binden der Röcke in der Gegend des Rippenbogens, wie es gerade 
in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft vielfach in ländlichen Ge¬ 
genden, aber auch in der Stadt oft genug geübt wird; daß diese Be¬ 
festigung der schweren Röcke mit Bändern um den Leib noch un¬ 
günstiger wirkt als das Tragen eines Korsetts, hat schon v. Bardeleben 1 ) 
hervorgehoben. 

Schließlich ist bei Besprechung der die Gallenstauung begünstigenden 
Umstände noch der chronischen StuMverstopfung zu gedenken, die ja 
gerade in der Schwangerschaft oft hohe Grade erreicht. Das Colon 
transversum kann, wenn es mit Skybalis gefüllt ist, leicht mechanisch 
bei seiner nahen Nachbarschaft die Gallenblase drücken und durch 
Abknickung ihren Abfluß verhindern. Außerdem wäre die gleichsinnige 
Innervation von Darm und Gallenblase zu beachten: mangelhafte Peri¬ 
staltik des Darmes ist mit einer Motilitätsstörung der Gallenblase innig 
verbunden [H. W. Freund !*), Plöger*)]. Auch die venöse Stase im Darme 
infolge mangelhafter Darmtätigkeit kann sich in der Pfortader und in 
ihren Verzweigungen in der Leber bemerkbar machen. 

Bei Multiparen findet sich durch die wiederholt vorausgegangene 
Dehnung der Bauchwand meist ein gewisser Grad von allgemeiner 
Enteroptose ; die Lebersenkung, die eine Teilerscheinung derselben bildet, 
soll gleichfalls die Stauung der Galle infolge von Zerrungen an den 
großen Gallengängen und von Knickungen derselben begünstigen. Bei 
der mit „Wanderleber“ vergesellschafteten rechtsseitigen Wanderniere 
soll es zu einer Zerrung des Ligamentum hepato-duodenale kommen, 
die wieder besonders den Ductus cysticus betrifft und dadurch die 
Entleerung der Gallenblase hindert. Nach Aschoff kann dadurch der 
Halsteil des Cysticus abgeknickt werden. 

Außer der Gallenstauung wird allgemein der Infektion eine sehr 
bedeutsame Rolle für die Gallensteinbildung zugeschrieben. Sie kann 
entweder vom Darme aus auf steigend oder auf dem Blutwege erfolgen. 
Beide Infektionsarten können natürlich auch in der Schwangerschaft 
in Betracht kommen. Für erstere mag eine, wenn auch in diesem Be¬ 
lange nur untergeordnete Rolle die bei vielen Frauen gerade in der 
Schwangerschaft besonders hartnäckige Stuhlverstopfung spielen; aller¬ 
dings ist dagegen einzuwenden, daß es sich hierbei hauptsächlich um 
Erscheinungen am Dickdarme handelt, der mit den Gallenwegen nicht 
unmittelbar in Zusammenhang steht; es wäre aber immerhin denkbar, 
daß bei hochgradiger Obstipation auch eine Bakterienvermehrung im 

*) v. Bardeleben, Erfahrungen über Cholecystektomie und Cholecystenterosto- 
mie. Fischer, Jena 1906, S. 8. 

*) H. W. Freund, Leberkrankheiten bei Schwangeren, v. Winckels Handb. d. 
Geb. n 1, 660. 1904. 

3 ) Ruth Plöger, Die Gallensteinkrankheit und ihre Beziehung zur Schwanger¬ 
schaft und zum Wochenbett. Beitr. z. klin. Chirurg. €9, 276. 1910. 


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H. H. Schmid: 


Dünndärme zustande kommt. Dm Duodenum gilt allerdings in der 
Mehrzahl der Fälle für bakterienarm; doch sind an den Gallenwegen 
selbst in einer großen Anzahl von Fällen pathogene Keime nachgewiesen 
worden, so von Netter und Martha, öilbert und Qirode, die fanden, daß 
im zunehmenden Alter durch Abnahme der Contractilität der Gallen¬ 
gänge, Verminderung der Gallenmenge sowie durch Gallenstauung das 
Vordringen der Mikroorganismen leberwärts erleichtert werde. Meist 
wurde Bacterium coli, seltener wurden Streptokokken und Staphylo¬ 
kokken nachgewiesen. Nach den neuesten Untersuchungen von Haas 1 ) 
gilt für die meisten Fälle von Cholelithiasis, daß nicht nur das untere 
Choledochusdrittel, sondern in mehr oder weniger großer Ausdehnung 
auch der höhere Teil des Gallengangsystems als keimhaltig zu be¬ 
trachten ist. Gelegentlich können noch Darmbakterien durch tierische 
Parasiten, besonders durch Ascariden, in den Ductus choledochus ein¬ 
gebracht werden. 

Ob das Schwangerschafterbrechen, eine so häufige Begleiterschei¬ 
nung einer sonst normalen Schwangerschaft, auf das Eindringen von 
Bakterien in den Ductus choledochus und seine Verzweigungen be¬ 
günstigend wirkt, etwa durch anteperistaltische Bewegungen des Zwölf¬ 
fingerdarms, ist bisher nicht genügend untersucht. 

Auf Grund von Tierversuchen behauptet Bossi 3 ), daß die Wider¬ 
standskraft des Organismus gegenüber Bakterien in der Schwangerschaft 
herabgesetzt sei. Auch Rohde 3 ) steht auf diesem Standpunkte, ohne 
neue Beweise dafür beizubringen. Nach Mathes*) hängt es von der 
Körperanlage der einzelnen Schwangeren ab, ob „hypodynamische“ 
Schädigungen in ihrem Organismus auf treten. 

Die Mehrzahl der Autoren stellt die hämatogene Infektion der Gallen¬ 
wege, insbesondere der Gallenblase, in den Vordergrund. Schon im 
Jahre 1908 hat Koch 3 ) nachgewiesen, daß nach intravenösen Injektionen 
von Staphylokokkenkulturen eine Ausscheidung der Keime durch die 
Leber und Galle eintritt, daß die Kokken mit dem Strome der Galle 
in die Gallenblase gelangen, und daß sie in ihrem Inhalte vorzüglich 
wachsen und sich vermehren können; unter dem Einflüsse der von den 
Kokken sezemierten Toxine soll nicht nur das Epithel nekrotisch und 

*) Haas, Über den Bakteriengehalt des Pfortaderblutes und die Entstehung 
von Leberabscessen. Dtsch. Zeitsohr. f, Chirurg. IT3, 288. 1922. 

*) Bossi, Über die Widerstandskraft von Tieren während der Schwangerschaft. 
Arch. f. Gynäkol. «8, 310. 1903. 

3 ) Rohde, Über die Beziehungen der Erkrankungen der Gallenwege zu den 
Generationsvorgängen der Frau. Inaug.-Diss. Freiburg i. Br. 1913. 

4 ) Mathes, Das ödem der Schwangeren. Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 
85, 26. 1922. 

*) Josef Koch, Über Beziehungen der Staphylokokken und Streptokokken 
zu den Gallenwegen. Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. M, 335. 1908. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


127 


in das Innere abgestoßen, sondern auch die Wand der Blase selbst in 
Mitleidenschaft gezogen werden. Auf die zahlreichen Untersuchungen 
mit Typhusbacillen und ihre hartnäckige Ansiedlung in der Gallenblase 
soll hier nicht eingegangen werden. (In den Fällen von DoUris und 
VedeJ- Rimbaud handelte es sich um Cholecystitis in graviditate im 
Anschlüsse an Typhus abdominalis; als Seltenheit sei hier noch der 
Fall von Braquehaye kurz erwähnt, bei dem sich tuberkulöser Eiter 
in der steinhaltigen Gallenblase fand, in der wenige Monate vorher in 
der Schwangerschaft zuerst entzündliche Erscheinungen aufgetreten 
waren.) Von sonstigen Arbeiten sei besonders die von Hartmann 1 ) 
hervorgehoben, der die Möglichkeit einer hämatogenen Infektion beim 
Menschen nachdrücklich verteidigt. Auch Nordmann *) würdigt in 
neuester Zeit diese deszendierende Infektion der Gallenblase nach 
Gebühr. Schließlich erscheinen besonders beachtenswert die neuesten 
Ergebnisse bakteriologischer Untersuchungen bei entzündlichen Ver¬ 
änderungen der Gallenwege, die wir Kliewt 5*) verdanken; er hat nicht 
nur, wie die meisten seiner Vorgänger, die Galle allein mitersucht, 
sondern auch die Gallenblasenwand und die Leber und dabei verhältnis¬ 
mäßig selten Bacterium coli gefunden (von 150 untersuchten Fällen in 
Reinkultur in 11% in der Gallenflüssigkeit, in 12% in der Blasenwand 
und in 5% in der Leber); dagegen schreibt er die Hauptrolle in der 
Ätiologie der entzündlichen Prozesse der Gallenwege den Staphylo¬ 
kokken zu, da er sie in der Gallenflüssigkeit in 16% (11% Reinkultur, 
5% Mischinfektion), in 68% in der Gallenblasenwand (59 bzw. 9%) 
und in 63% in der Leber (57 bzw. 6%) nachgewiesen hat. In der Gallen¬ 
blasenwand werden Mikroorganismen am häufigsten gefunden, ins¬ 
besondere Staphylokokken (100 bzw. 67%), dann in der Leber (80 
bzw. 63%) am wenigsten in der Gallenflüssigkeit (58 bzw. 26%). Dar¬ 
aus folgt, daß die Infektion vom Darme her verhältnismäßig selten ist 
im Vergleiche zu der für die Staphylokokken anzunehmende Infektion 
auf hämatogenem Wege. 

Von besonderer Bedeutung mit Rücksicht auf Schwangerschaft, 
Geburt und Wochenbett erscheinen mir die Befunde von Kliewe in 
der Gallenblasen- Wand, namentlich für das gehäufte Auftreten von An¬ 
fällen im Wochenbett; für diese geben die genannten Befunde im Zu¬ 
sammenhänge mit mechanischen Ursachen, mit der Lageänderung der 
Baucheingeweide, eine befriedigende Erklärung; schon durch die Wehen¬ 
tätigkeit ist eine mechanische Schädigung der Gallenblase, eine Art 

1 ) Hartmann, Bakteriologische Studien an der Hand von 46 Gallenstein¬ 
operationen. Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 68.' 1903. 

*) Nordmann, Verband! d. dtsch. Ges. f. Chirurg. 1921. t, 90. 

*) Kliewe, Zur Bakteriologie der entzündlichen Veränderungen der Gallenwege, 
insbesondere der Cholecystitis. Zeitschr. f. Hyg. u. Infektionskrankh. 96 , 243. 
1922. 


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H. H. Schmid: 


Massage ihrer unteren Fläche denkbar. Daß eine solche für ein Organ, 
das Bakterien in seiner Wand beherbergt, nicht gleichgültig ist, liegt 
auf der Hand; der latente entzündliche Prozeß kann dadurch wieder 
zum Aufflackern kommen, und im Frühwochenbett äußert er sich eben 
durch eine Gallensteinkolik. 

Von manchen Autoren wird angeführt, daß im Wochenbett leicht 
Keime, die von der Placentarwunde aus in den Kreislauf gelangt sind, 
in die Gallenblase verschleppt werden und hier Entzündungen bedingen 
können. Körte 1 ) verweist besonders auf den hämatogenen Weg für die 
Fälle von „schlecht abgewarteten Abortus“, wofür sich vielfach Bei¬ 
spiele anführen lassen. Auch nach der Geburt zur richtigen Zeit ist 
dieser Weg gewiß möglich, und im einzelnen Falle ist diese Entstehungs¬ 
art auch nicht von der Hand zu weisen. Beweisen läßt sie sich freilich 
nicht oft; gewöhnlich wird man über eine derartige Vermutung nicht 
hinauskommen. Dagegen spricht vor allem, daß bei den so häufigen 
und durch Obduktion sicher gestellten schweren Fällen von puerperaler 
Sepsis und Pyämie (auch nach Abortus) nicht häufiger eine akute 
eitrige Cholecystitis gefunden wird. Wirklich einwandfreie Fälle, in 
denen sich ein solcher Zusammenhang zwischen puerperaler Infektion 
und Gallenblasenentzündung feststellen läßt, sind selten. Der Fall von 
Rohde z. B., der hierher zu rechnen wäre, und der eine hochfiebemde 
Puerpera betraf mit Staphylokokken im Gallenblaseninhalte, war noch 
mit einer Cystopyelitis vergesellschaftet. 

Unter den Cholelithiasisfällen der Gestationsperiode ist hier noch 
der von Bosse und Fabricius hervorzuheben, bei dem 4 Wochen vor 
der Geburt ein Empyem der Highmorshöhle festgestellt und entleert 
worden war; im Wochenbett auftretende entzündliche Erscheinungen 
in der rechten Bauchseite werden als Appendicitis und Cholecystitis 
gedeutet; bei der Appendektomie finden sich außer gelblich gefärbter 
Ascitesflüssigkeit Verwachsungen um die Gallenblase, die belassen wird. 
Es wird angenommen, daß die Cholecystitis metastatisch von dem Ober¬ 
kieferhöhlenempyem aus entstanden sei. Umgekehrt hat Kraske einen 
Fall von Strumitis in graviditate gedeutet, die nach seiner Ansicht 
ihren Ausgang genommen hat von einem Empyem der Gallenblase, das 
erst später Erscheinungen hervorgerufen hat. 

Außer mechanischen und infektiösen Momenten müssen noch bio¬ 
logische Veränderungen mit herangezogen werden zur Erklärung der 
größeren Häufigkeit der Steinbildung unter dem Einflüsse der Gra¬ 
vidität. Inwiefern auch kolloidchemische Vorgänge mitwirken bei 
diesen biologischen Veränderungen, soll hier nicht weiter ausgeführt 
werden. 

*) Körte, Beiträge zur Chirurgie der Gallenwege und der Leber. Berlin, A. Hirsch- 
wald 1906. S. 47. 


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Cholelithiasis und Gravidität 


129 


v Die bedeutendste Rolle kommt dem Cholesterinausfalle in der Galle 
tu. Dieser wieder wird begünstigt durch Leberinsuffizienz, wie sie von 
0. O. Fellner 1 ), Hofbauer *) u. a. für die Schwangerschaft nachgewiesen 
ist; es muß auch dem Leberparenchym eine bedeutende Rolle bei der 
vermehrten Neigung zu Gallensteinbildung in der Schwangerschaft zu¬ 
geschrieben werden. Nach Hofbauer arbeitet die Leberzelle in der 
Gravidität „unter abnormen, durch passive Hyperämie verursachten 
Verhältnissen; dadurch kommt es zur Sekretion einer schon intra¬ 
cellulär veränderten, d. h. pigmentreichen Galle, welche reichlicher 
Pigmente ausfallen läßt; und fernerhin leidet der Gallenabfluß durch 
Verengerung der Gallencapillaren infolge Kompression von seiten der 
erweiterten Blutcapillaren“. SchickeleP) und Heinrichadorff 6 ) haben die 
Angaben von Hofbauer bei der Nachprüfung allerdings nicht bestätigen 
können. Auch die allgemeine Blutüberfüllung der Abdominalorgane 
in der Schwangerschaft wird von Hofbauer hervorgehoben; er denkt an 
eine zunächst durch Hyperämie bedingte Schleimhautschwellung an 
den großen Abfuhrwegen der Galle, an welche sich weiterhin bei ein¬ 
getretener Stauung auch entzündliche Reizzustände anschließen können, 
ähnlich der Hyperämie des Ureters in der Gravidität und der dadurch 
bedingten gelegentlichen Erschwerung des Harnabflusses (Opitz, Barth). 

Ganz besonders sind ferner die neueren Untersuchungen über die 
Entstehung der Gallensteine hervorzuheben, die gezeigt haben, daß es 
dabei nicht nur auf die Tätigkeit der Leber und auf die Beschaffenheit 
der Galle ankommt, sondern daß die chemische Zusammensetzung des 
Blutes eine bedeutende Rolle spielt. Wie Neumann und Herrmann 6 ) 
und Chauffa/rd und seine Mitarbeiter 4 ) zuerst nachgewiesen haben, und 
wie von anderen Autoren, zuletzt von BendaP) aus unserer Klinik be¬ 
stätigt werden konnte, besteht in der Schwangerschaft eine beträchtliche 

x ) 0. 0. Fellner, Die Beziehungen innerer Krankheiten zu Schwangerschaft, 
Geburt und Wochenbett. Deuticke, Wien 1903. 

*) Hofbauer, Beiträge zur Ätiologie und zur Klinik der Graviditätstoxikoeen. 
Zeitschr. f. GynäkoL CI, 219. 1908. — Über Relationen weiblicher Generations¬ 
vorgänge zur Klinik der Cholelithiasis. Med. Klin. 7, 240. 1909; Arch. f. GynäkoL 
93, 405. 1911. 

*) Schickele, Beiträge zur Physiologie und Pathologie der Schwangerschaft. 
Arch. f. GynäkoL 9t, 374. 1910. 

4 ) Heinrichsdorff, Die anatomischen Veränderungen der Leber in der Schwanger¬ 
schaft. Zeitschr. f. Geburtsh. u. GynäkoL 79, 620. 1912. 

*) Neumann und Herrmann, Biologische Studien über die weibliche Keim¬ 
drüse. Wien. klin. Wochenschr. 1911, Nr. 12, S. 411. — Über die Lipoide der 
Gravidität und deren Ausscheidung nach vollendeter Schwangerschaft. Ebenda 
1912, Nr. 42, S. 1567. Biochem. Zeitschr. 43, 47. 1912. 

•) Chauffard, Laroche u. Qrigaut, Evolution de la ebolestdrinämie au couts 
de l’ätat gravidique et puerperal. l’Obstetr. 1911, S. 481. 

7 ) Benda, Über die Beziehungen zwischen der Polycyth&mie und der Hyper- 
oholesterämie der Schwangeren. Arch. f. GynäkoL I1C, 506. 1923. 

Archiv L ldin. Chirurgie. 126. 9 


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H. H. Schmid: 


Cholesterinvermehrung im Blute. Dieser geht nach Aschoff und Bac- 
meister auch eine vermehrte Ausscheidung von Cholesterin aus der 
Leber und ein reicherer Gehalt der Galle an Cholesterin parallel, und 
diese Schwangerschaftscholesterindiathese soll eine erhöhte Disposition 
zur Entwicklung von Gallensteinen schaffen, ohne daß eine entzündlich- 
bakterielle Ursache mitwirken muß; diese Hypercholesterämie der Gra¬ 
viden wird in Zusammenhang gebracht mit dem gesteigerten Fett¬ 
ansätze in der Schwangerschaft überhaupt. 

Während die Vermehrung des Cholesterins in der Schwangerschaft 
einwandfrei festgestellt ist, liegen über Vermehrung der beiden anderen 
für die Gallensteinbildung wichtigen Bestandteile, des Kalkes und der 
QaUensäuren, in der Schwangerschaft noch nicht genügend Beweise vor. 
Einzelne Ergebnisse könnten allerdings in diesem Sinne verwertet 
werden; so soll nach Lamers 1 ) die Menge des Calciums im Blute Gra¬ 
vider gegen die Norm etwas erhöht sein, doch beweist dies nach Seit?) 
„nur so viel, daß entsprechend den erhöhten Ansprüchen mehr Kalk 
im Blute zirkuliert, ohne jedoch darüber Auskunft zu bekommen, ob 
mehr als sonst resorbiert wird, oder ob mehr den Knochen entzogen 
worden ist“. Eine Entkalkung des Skeletts in der normalen Schwanger¬ 
schaft ist bisher noch nicht nachgewiesen; die diesbezüglichen röntgenolo¬ 
gischen Untersuchungen von Seitz haben ergeben, daß eine, .physiologische 
Osteomalacie“ nicht existiert. Es ist möglich, daß mit einer solchen Cal¬ 
cium Vermehrung auch für die Gallensteinbildung günstigere Bedingungen 
geschaffen werden, als sie außerhalb des graviden Zustandes bestehen. 

Schließlich ist noch als eines in gleichem Sinne wirkenden Um¬ 
standes einer innersekretorischen Störung zu gedenken. Nach den Beob¬ 
achtungen von Rohde an 7 Frauen mit Cholelithiasis und gleichzeitiger 
Schilddrüsenerkrankung und den Untersuchungen von Klose muß man ge¬ 
rade in Fällen von Basedow an eine Störung im Fettstoffwechsel denken. 
Die Möglichkeit liegt nahe, daß die normalerweise in der Schwanger¬ 
schaft vergrößerte Schilddrüse hier vielleicht eine, wenn auch unterge¬ 
ordnete Rolle spielt bei den Stoffwechselvorgängen, die in ihrer weiteren 
Auswirkung die Gallensteinbildung im günstigen Sinne beeinflussen. 

Soviel über die Bildung von Gallensteinen in der Schwangerschaft 
bzw. ihre Begünstigung durch diese. 

Einfluß der Gravidität auf das Zustandekommen des Gallensteinanfalles. 

Mit dem Vorhandensein eines Gallensteines oder einer Anzahl solcher 
ist bekanntlich noch nicht gesagt, daß Krankheitserscheinungen vor- 

1 ) Lamers, Der Kalkgehalt de3 menschlichen Blutes, besondere beim Weibe. 
Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gyn&kol. 71, 393. 1912. 

*) Seitz, Störungen der inneren Sekretion in ihren Beziehungen zu Schwan¬ 
gerschaft, Geburt und Wochenbett. Bef. a. d. 15. Kongr. d. deutsch. Ges. 
f. Gyn&kol. 1913, S. 265. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


1B1 


handen seien. Dazu muß erst der OaUenateinanfall kommen, selten 
bedingt durch reine „Steinkolik“, meist durch entzündliche Vorgänge 
in den Gallenwegen. Erfreulicherweise handelt es sich ja bei der über¬ 
großen Mehrzahl von Gallensteinträgem nur um einen latenten Zustand, 
der vielfach bis an das Lebensende anhält. Das Manifestwerden der 
Gallensteinkrankheit kann mm gerade durch verschiedene Umstände 
in der Gestationsperiode des Weibes begünstigt werden, die schon oben 
bei Besprechung der Gallensteinbildung besprochen worden sind. In 
solchen Fällen sollte man nicht von einer Komplikation der Gravidität 
durch Cholelithiasis sprechen, sondern eher von einer Gallensteinkrank¬ 
heit, zu der als mitunter ernste Komplikation die Schwangerschaft 
hinzugetreten ist. Dieselben Umstände wie außerhalb der Gestation 
stehen nun auch während dieser bei der Auslösung eines Anfalles in 
vorderster Reihe, hauptsächlich Gallenstauung und Infektion.. 

Es ist entschieden auffällig, wie häufig der erste Oaüensteinanfall 
in der Schwangerschaft und namentlich in den ersten Wochenbetts¬ 
tagen auftritt. So findet Plöger an dem Material der Heidelberger 
Chirurgischen Klinik, daß von 42 gallensteinkranken Frauen 22 einen 
Kolikanfall im Wochenbett bekamen, und zwar, mit Ausnahme von 
3 Fällen, den ersten Kolikanfall; die übrigen 20 Frauen bringen den 
Beginn oder die Verschlimmerung ihres Gallensteinleidens mit einer 
Schwangerschaft in Zusammenhang, einige von ihnen hatten noch in 
der Wochenbettperiode einen erneuten Anfall. Von 170 Fällen der 
Kerrschen Klinik bringen 52 ihr Leiden mit einer Schwangerschaft in 
Zusammenhang, in 13 Fällen führte die Entbindung zum ersten Anfalle. 
Auch in Hartmanns Tabellen ist ein solcher Zusammenhang bei 13 
von 100 verheirateten Frauen mit Schwangerschaft, Geburt und Wochen¬ 
bett nachweisbar. In ganz vereinzelten Fällen (z. B. Kehr, Arch. f. 
klin. Chirurg. 89, 120) bringt die Gravidität Besserung des Leidens. 
Am häufigsten ist das Leiden zwischen 20 und 35 Jahren ( Peterson ), 
in der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um Multiparae. Unter 20 
Jahren sind nur 2 Patientinnen ( Pankow , 18 J., bzw. Barbacci, 19 J.); 
über 40 Jahre sind 5 (Braqttehaye , 41 J., Amann, Hartig, Straßmann, 
42 J., am ältesten ist die an der Prager Frauenklinik operierte, 46jähr. 
Frau). 

Während der Geburt selbst sind nach Fellner 5 Gallensteinanfälle 
unter 40 000 Geburten der Schautaschen Klinik zur Beobachtung ge¬ 
kommen; diese verhältnismäßig geringe Zahl ist aber nicht allzu hoch 
zu bewerten, wenn man bedenkt, daß bei einem solchen Riesenmaterial 
die Beobachtung des einzelnen Falles mitunter nicht ganz genau ist, 
und daß in den Geburtsgeschichten oft Einzelheiten nicht geburts¬ 
hilflicher Natur mit Stillschweigen übergangen werden. 

Im Wochenbett sind Gallensteinanfälle nach Meyer-Ruegg 3 mal so 

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H. H. Schmid: 


häufig wie in der Schwangerschaft; am häufigsten kommen sie in der 
1. und 2. Woche post partum vor. Dagegen findet Laureniie 1 ) nur 
40 Fälle von Cholecystitis im Wochenbett gegenüber 65 Fällen in der 
Schwangerschaft. 

Zur Vermeidung von Wiederholungen sollen hier für das Zustande¬ 
kommen des Gallensteinanfalles nur noch einzelne, bei der Besprechung 
der Gallensteinbildung weniger berücksichtigte Umstände angeführt 
werden. Auf die Bedeutung von Druck&chwankungen in der Bauchhöhle 
hat schon Hoppe-Seyler ®) hingewiesen; nach seiner Meinung „kom¬ 
primiert der vergrößerte Uterus zuletzt die Gallenwege und behindert 
die Wirkung des Zwerchfells und der Bauchmuskeln auf die gefüllte 
Gallenblase; hört dies plötzlich auf, wie nach stattgehabter Entbindung, 
so sieht man gar nicht selten demgemäß die Zeichen einer Bewegung 
der gebildeten Konkremente infolge ausgiebiger Entleerung der Gallen¬ 
blase eintreten. Auch die nach Entbindungen häufig zurückbleibenden 
Verlagerungen der Eingeweide, Tiefertreten von Magen, Darm, Nieren, 
Uterus usw. wirken ungünstig, indem Zerrungen an den großen Gallen¬ 
gängen, Knickungen usw. eintreten können. Auch die Erschlaffung der 
Bauchdecken kommt in Betracht, da für die Entleerung der Gallenblase 
die Wirkung der Bauchmuskeln wegfällt“. Auf ganz ähnliche Weise 
erklärt sich Eiermann das Zustandekommen der „spezifisch puerperalen 
Cholelithiasis“ in seinem Falle. Das plötzliche Aufhören der Stauung 
in der Gallenblase ist nach Christiani *) von großer Bedeutung für das 
Auftreten des Anfalles kurz nach der Geburt. In einem Falle hat Lau- 
rentie Gallensteinanfälle im 8. Schwangerschaftsmonate beobachtet, 
die nach seiner Meinung bedingt waren durch Druck des kindlichen 
Kopfes auf die Gallenblase bei Steißlage; (nach äußerer Wendung 
Schwinden der Erscheinungen). Hartmann nimmt im Gegensätze zu 
den meisten anderen Autoren nicht an, daß der gravide Uterus durch 
Verdrängung der Leber mitsamt der Gallenblase Störungen in der Zir¬ 
kulation und Sekretion der Leber auf mechanischem Wege verursacht; 
dafür schreibt er der plötzlichen Druckschwankung der durchfließenden 
Gallenmenge eine Begünstigung der Verbreitung eingedrungener Bak¬ 
terien zu und will damit das Auftreten von Anfällen kurze Zeit post 
partum erklären. Dem gegenüber muß nochmals darauf hingewiesen 
werden, daß gerade für die während einer fieberlos verlaufenen Geburt 
oder in den ersten Stunden nach derselben auftretenden Gallenstein- 


1 ) Laureniie., Les choläcyatitis puerperales. Rev. frang. de gyn6coL et d’obstetr. 
4, 193. 1922. 

*) Hoppe-Segler, Cholelithiasis. Nothnagels spez. PathoL u. Therap. 18, 201. 
1899. 

*) Christiani, Cholecystitis im Wochenbett. Monatsschr. f. Geburtsh. u. 
Gynäkol. «1, 46. 1906. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


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Koliken das infektiöse Moment wohl nicht allein in Betracht kommt 
(für den Anfall selbst; für die Entstehung von Gallensteinen ist es 
oben gebührend gewürdigt worden). Wohl aber scheinen Infektion und 
Trauma zusammen in vielen Fällen zur Erklärung des Anfalles un¬ 
mittelbar post partum auszureichen. Der Geburtsakt selbst spielt ebenso 
wie jedes andere Trauma, Anstrengungen, Erschütterungen bei der Aus¬ 
lösung eines Anfalles eine Rolle; Ruth Plöger, die diesen Standpunkt 
"vertritt, weist auf die Ähnlichkeit mit der Osteomyelitis hin und glaubt, 
daß post partum Keime vom Genitale aus, ohne dort besondere Lokal¬ 
erscheinungen zu machen, in das Blut und von dort in die steinhaltige 
Gallenblase gelangen und daselbst den entzündlichen Anfall auslösen. 
Die Möglichkeit dieses Vorganges muß ohne weiteres zugegeben werden; 
wahrscheinlicher erscheint aber die Annahme, daß Keime schon von 
früher her in der Gallenblasenwand, vielfach auch in der Galle selbst vor¬ 
handen sind, und daß die Verlagerung der Organe während und nach 
der Geburt in der schon vor langer Zeit infizierten Gallenblase den Anfall 
des bis dahin latent gebliebenen Leidens auslöst. Dazu kommen evtL 
noch Zerrungen, die an der Gallenblase in der Schwangerschaft und 
post partum entstehen können, wenn sie durch vorausgegangene ent¬ 
zündliche Vorgänge mit ihrer Umgebung verwachsen ist. Auf einen 
weiteren Umstand hat in allerjüngster Zeit 0. Schwarz l ) hingewiesen; 
nach seiner Ansicht begünstigt die horizontale Körperlage das Eindringen 
von Konkrementen in den Ductus cysticus, womit auch die alte Beob¬ 
achtung, daß Gallensteinkoliken besonders häufig bei Nacht auftreten, 
ihre Erklärung finden könnte; Ähnliches gilt ja auch für die Ruhelage 
im Frühwochenbett. Nach Schmieden 2 ) ist der aufrechte Gang des Men¬ 
schen zu beschuldigen, „der, nachdem die Bauchorgane ursprünglich 
auf eine horizontal eingestellte Wirbelsäule und die entsprechenden 
mechanischen Bedingungen eingestellt waren, ein so kompliziertes Sy¬ 
stem wie die Gallengänge um 90° gedreht und sich völlig neuen Ver¬ 
hältnissen anzupassen gezwungen hat“; durch die in der Schwanger¬ 
schaft verstärkte Lordose wird natürlich dieses System noch weiter 
von der ursprünglichen Lage entfernt. Noch eine andere Einwirkung 
der Geburt auf die Gallenblase wäre denkbar; auf nervösem Wege könnte 
gleichsinnig mit der Wehentätigkeit auch die Peristaltik der Gallenblase 
in verstärktem Maße auftreten; ein schon vorhandener Stein könnte 
dadurch in den Cysticus getrieben werden und zu Stauung und zur 
Auslösung eines Kolikanfalles Veranlassung geben. Das rein mecha¬ 
nische Moment der Bauchpresse in seiner Bedeutung für das Zustande- 

1 ) G. Schwarz, Zur Röntgenologie der Gallenblase. Wien. klin. Wochensohr. 
1923, Nr. 10, S. 191. 

®) Schmieden, Über die Stauungsgallenblase. Zentralbl. f. Chirurg. 1920, 
Nr. 41, S. 1260. 


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H. H. Schmid: 


kommen des Gallensteinanfalls wird schön von Härtig 1 ) gebührend ge¬ 
würdigt. In diesem Zusammenhänge ist auch noch das Kristeller sehe 
Expressionsverfahren zu erwähnen; dieses kann in solchen Fällen, 
namentlich wenn es mit roher Gewalt ausgeübt wird, unberechenbaren 
Schaden stiften und z. B. ein Empyem der Gallenblase zum Platzen 
bringen; der nächste Abschnitt handelt von diesem 

Einfluß von Schwangerschaft, Gebart und Wochenbett auf die Kom¬ 
plikationen der Gallensteinkrankheit. 

Durch eine gleichzeitig bestehende Schwangerschaft können die 
verschiedenen Komplikationen der Cholelithiasis in ungünstiger Weise 
beeinflußt werden. Insbesondere gilt dies für die ahuie eitrige Chole¬ 
cystitis-, namentlich dann, wenn die Gallenblase nicht durch voraus¬ 
gegangene Anfälle von Cholecystitis in dicke Schwielen eingebettet 
ist, besteht die große Gefahr der Ruptur in die freie Bauchhöhle. Die 
daraus folgende, manchmal zunächst umschriebene, später oder von 
vornherein gleich diffuse Peritonitis verläuft ebenso wie die Peritonitis 
infolge von Appendicitis in der Schwangerschaft noch ungünstiger als 
sonst, wenn nicht rechtzeitig eingegriffen wird. Namentlich gilt dies 
für die Gravidität in der zweiten Hälfte. Aus dem umschriebenen 
peritonitischen Prozesse kann, genau wie bei der Appendicitis, ein all¬ 
gemeiner werden dadurch, daß der infolge der Wehentätigkeit sich 
zusammenziehende Uterus, der einen Teil der Absceßwand bildet, die 
abgeschlossene Höhle sprengt; für den Eintritt der Wehentätigkeit ist 
wieder der entzündliche Prozeß in der Nachbarschaft des Uterus ver¬ 
antwortlich zu machen. Ein solcher Circulus vitiosus, wie er auch für 
die Appendicitis in graviditate nachgewiesen ist*), verdient also nament¬ 
lich in therapeutischer Beziehung vollste Beachtung. Ebenso wie bei 
der Blinddarmentzündung ist nicht die Schwangerschaft als solche, 
sondern ihre Beendigung durch Abortus, namentlich aber durch Früh¬ 
geburt und Geburt die Veranlassung zu einer Verschlimmerung des 
Krankheitsbildes, wenn es sich um einen eitrigen Prozeß handelt, der 
sich in unmittelbarer Nachbarschaft des graviden Uterus unter seiner 
Beteiligung abspielt. Gegenüber der Appendicitis besteht nur insofern 
ein Vorteil, als hauptsächlich die letzten Monate der Schwangerschaft 
für diese Verschlimmerung in Betracht kommen, in denen der Uterus 
mit der unteren Leberfläche und der Gallenblase in naher räumlicher 
Beziehung steht, während bei der Appendicitis auch schon in den ersten 
Monaten ein vom Wurmfortsatz ausgehender Eiterherd an den gra¬ 
viden Uterus heranzureichen pflegt. 

1 ) Härtig, Beiträge zur Perforation und Nekrose der Gallenblase. Beitr. 
z. klin. Chirurg. 98, 492. 1910. 

*) H. H. Schmid, Appendicitis und Gravidität. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. 
u. Chirurg. *5, 213. 1911. 


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Cholelithiasis and Gravidität. 


135 


Aber auch bei den Fällen von sog. chronischer Cholecystitis (die man 
nach Nordmann besser als „vernachlässigte Fälle“ bezeichnen würde), 
kann unter dem Einflüsse des Geburtsaktes durch Platzen eines alten 
QaUenblasenempyems aus einem bisher als verhältnismäßig leicht an¬ 
gesehenen Krankheitsbilde plötzlich ein sehr schweres werden. Ein 
Beispiel hierfür bildet der Fall von Rose; er berichtet über einen un¬ 
glücklich verlaufenen Fall von Gallenblasenempyem und Pericystitis 
mit Durchbruch von Steinen; die Ruptur trat im Anschlüsse an eine 
Geburt mit stürmischen Drangwehen auf; die erst am 2. Tage aus¬ 
geführte Operation mit Drainage konnte die sich entwickelnde Sepsis, 
die nach 3 Tagen zum Tode führte, nicht aufhalten. Selbstverständlich 
ist der unglückliche Ausgang nicht der Operation an sich zuzuschreiben, 
sondern dem Umstande, daß sie zu spät ausgeführt worden ist. Einen 
guten Ausgang nahm der sehr interessante Fall von Neu 1 ). 

29jährige IL-Gravida mens. 4—6; Diagnose des behandelnden Arztes „Aus¬ 
tritt der Frucht in die Leibeshöhle“; spätere Diagnose: Appendicitis oder Empyem 
der Gallenblase, ersteres wahrscheinlicher; Peritonitis diffusa. Temperatur 40,2°, 
Puls 120. 24 Stunden nach Krankheitsbeginn Laparotomie in einem Bauern¬ 
hause tief im Odenwald; Schrägschnitt oberhalb der Spina ant. sup. d. Serös 
eitriges Exsudat. Jodoformgazetamponade der Incisionsstelle in der Umgebung 
der Gallenblase. Rückgang der bedrohlichen Erscheinungen; volle Arbeitsfähigkeit; 
Schwangerschaft geht weiter, während derselben noch 2 Gallensteinanfälle. Am 
normalen Schwangerschaftsende Geburt ohne Komplikationen. — Ein halbes 
Jahr später Cholecystektomie, Choledochotomie, Hepaticusdrainage und Gastro¬ 
enterostomie. 

Besonders bemerkenswert erscheint in diesem Falle, daß trotz Peri¬ 
tonitis die Gravidität ungestört weiter ging, ein sicher sehr seltenes 
Ereignis. 

Im Gegensätze zur verhältnismäßig seltenen außerhalb der Ge- 
stationszeit vorkommenden Perforation der Gallenblase ist dieses 
folgenschwere Ereignis in der Gravidität, insbesondere unter dem 
traumatisierenden Einflüsse der Geburt häufig; unter den von Lau- 
rentie gesammelten 105 Fällen von Cholecystitis in der Gestation finden 
sich nicht weniger als 10, also fast 10%, mit Perforation. 

Besser für die Patientin ist es natürlich, wenn an Stelle der Per¬ 
foration in die freie Bauchhöhle ein Übergreifen des pericholecystischen 
Entzündungsprozesses in die anliegende Bauchwand erfolgt. Einen 
entzündlichen, fibrösen Bauchdeckentumor, der auf diese Weise zu¬ 
stande gekommen war, hat Amann 2 ) während der Schwangerschaft 
beobachtet; ob dieser ein begünstigender Einfluß auf das Zustande- 

l ) Neu, Die prognostische Bedeutung operativer und anderer Traumen für 
die Fortdauer der Schwangerschaft. Arch. f. GynäkoL 89, 416. 1906. 

*) Amann, Cholelithiasis und Schwangerschaft. Monateschr. f. Geburtsh. 
u. GynäkoL 41, 60. 1915. 


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H. H. Schmid: 


kommen dieses Verlaufes zukommt, läßt sich schwer sagen. Amann 
weist auf die Analogie zu den „Schloffersehen Bauchdeckentumoren“ 
hin und auf eine eigene ähnliche Beobachtung bei Aktinomykose 1 ). 

Von vornherein wäre zu erwarten, daß die durch die Schwangerschaft 
an sich weniger widerstandsfähige Leber leichter im Gefolge einer Gallen¬ 
ganginfektion in Form einer Cholangitis und Hepatitis suppurativa er¬ 
kranke. Doch scheint dies nicht oft der Fall zu sein, denn sonst müßten 
mehr Mitteilungen über derartige Fälle von Leberabscessen vorliegen. 
Es wäre denn, daß Christiani doch recht hätte mit der Behauptung, 
daß solche Fälle an ihrer Pyämie unerkannt zugrunde gehen, und daß 
sie selbst auf dem Sektionstische selten richtig gedeutet und in den 
allgemeinen Topf der puerperalen Infektion geworfen werden, da die 
Gallenblase meist längst geschrumpft ist und die Anwesenheit von 
Gallensteinen einen nur zu gewöhnlichen Nebenbefund darstellt. 

Ein Fall von GaUensteinileus in der Schwangerschaft ist mir, soweit 
ich die sehr reichliche Kasuistik des Darmverschlusses in der Gravidität 
übersehe, nicht bekannt geworden 2 ), ebensowenig ein Fall von „ gal¬ 
liger Peritonitis “ ohne Perforation der Gallenwege (Clairmont und 
v. Höherer). Über einen Fall von Pankreasnekrose mit Gravidität im 
9. Monate berichtet Ellerbroek?) ; hier war eine Operation wegen Gallen¬ 
steinleidens vorausgegangen, dem Obduktionsbefunde nach offenbar 
eine Cystostomie; einen Zusammenhang zwischen Pankreasnekrose 
und Schwangerschaft verneint EUerbroek { wohl aber gibt er einen 
solchen zwischen der akuten Erkrankung und der alten Cholelithiasis zu. 

Damit nichts von den Beziehungen zwischen Cholelithiasis und 
Gravidität weggelassen werde, sei hier noch ein Fall von vorgetäuschtem 
„Rezidiv“ nach Gallensteinoperation erwähnt, worüber Kehr*) berichtet; 
Patientin klagt 3 Monate nach gelungener Gallensteinoperation wieder 
über Magen und Kreuzsohmerzen, die vom Hausarzte zunächst als 
Rezidiv aufgefaßt werden, um sich später als Graviditätsbeschwerden 

*) Einen ähnlichen Fall von Aktinomykose (wahrscheinlich vom Coecum 
ausgegangen) mit fibrösem Bauchdeckentumor habe ich vor einigen Jahren an 
der hiesigen Klinik zu beobachten und zu operieren Gelegenheit gehabt; Appendek¬ 
tomie und langdauemde Fisteleiterung war vorausgegangen; die rechten Adnexe 
waren in den chronisch entzündlichen Prozeß mit einbezogen. 

*) Der Fall von Rufus HaU (Americ. journ. of obstetr. 12, 791. 1916) gehört 
nur mittelbar hierher: bei Uterusentleerung wegen Abortus wird in Narkose eine 
vergrößerte Gallenblase gefunden, die entzündliche Erscheinungen hervorgerufen 
hat; spätere Schwangerschaft endigt gleichfalls mit Fehlgeburt; 18 Jahre später 
Gallensteinkoliken, gefolgt von Ileus infolge Steineinklemmung im Ueum; Exitus 
nach Enterotomie. 

*) Ellerbroek, Pankreasnekrose und Schwangerschaft. Monatsschr. f. Geburtsh. 
u. GynäkoL 68, 13. 1922. 

4 ) Kehr, Wie verhält es sich mit den Rezidiven nach unseren Gallenstein¬ 
operationen 1 Chirurg.-Kongr. 1900. *, 146. 


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Cholelithiasis und Gravidität 


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zu entpuppen 1 ). Über ein wirkliches „Rezidiv“, d. h. Kolikanfälle in 
der Schwangerschaft nach vorausgegangener Cholecystektomie, liegt nur 
ein einziger Fall von Grube*) vor; die in diesem Falle von anderer Seite, 
entgegen Grubes Auffassung, eingeleitete Frühgeburt brachte keine Lin¬ 
derung der Beschwerden; sie schwanden dauernd erst nach längerer 
Diathermiebehandlung. 

Unmittelbar post partum und im FrüJiwochenbett kann insofern in¬ 
direkt eine ungünstige Beeinflussung des entzündlichen Prozesses in 
der Gallenblase und der davon ausgehenden Peritonitis vorliegen, als 
zu dieser Zeit die Diagnose besonders erschwert ist. Die Verspätung 
der richtigen Erkenntnis kann dann auch eine Verspätung der richtigen 
Behandlung mit ihren bösen Folgen für die Kranke bewirken. 

Das Spätwochenbett und die Lactationsperiode haben wohl keinen 
nennenswerten Einfluß auf die Gallensteinkrankheit und ihre Kom¬ 
plikationen. Der Vollständigkeit halber sei die von Naxera 9 ) gemachte 
Bemerkung erwähnt, daß der erste Gallensteinanfall im Wochenbett 
auftrat bei 7 (unter 52) Frauen, die nicht oder nicht mehr stillten. 

Einfluß der Gallensteinkrankhert auf Schwangerschaft, Geburt und 

Wochenbett. 

In den vorliegenden Arbeiten finden sich darüber nur wenige An¬ 
gaben. Die normale Schwangerschaft wird durch eine einfache, un¬ 
komplizierte Cholelithiasis meist nicht beeinflußt werden. Wenn sich 
aber die Gallensteinkrankheit zu einer an sich pathologischen Schwanger¬ 
schaft gesellt, die unter dem Bilde der „Toxämie“ verläuft, so werden 
sich die beiden Prozesse gegenseitig ungünstig beeinflussen können 
[Branson*)]. Dasselbe gilt für die häufigeren Fälle, bei denen nicht eine 
einfache Cholelithiasis zur Schwangerschaft hinzukommt, sondern bei 
denen Komplikationen des Gallensteinleidens entzündlicher Natur be¬ 
stehen, mögen sie nun auf die Gallenblase und ihre nähere Umgebung 
beschränkt bleiben oder die tiefen Gallengänge, das Leberparenchym 
und den Gesamtorganismus oder die freie Bauchhöhle in Mitleidenschaft 
ziehen. Das Nähere darüber ist schon oben dargelegt worden. 

Hier ist noch die Frage zu erörtern, ob bzw. wie oft es im Gefolge 

*) Vor einem Jahre hatte ich eine Pat. in Behandlung, die von anderer Seite 
wegen Magen-Le ber-Gallenblasenleidens nach Marienbad geschickt worden war; 
das Erbrechen, welches als Hauptsymptom diese Fehldiagnose verschuldet hatte, 
war, wie sich bald herausstellte, ein gewöhnliches Schwangerschaftserbrechen. 

*) Grube, Zur Frage der künstlichen Unterbrechung der Schwangerschaft 
nebst Bemerkungen über Schwangerschaft und Gallensteinkrankheit. Med. Klin. 
1918, Nr. 24, S. 686. 

*) Naxera, Die Pathogenese der Gallensteine vom klinischen Standpunkt. 
Wien. klin. Rundschau 1904, Nr. 38, S. 681; Nr. 39, S. 703. 

4 ) Branson, Cholecystitis and cholelithiasis in their relation to pregnancy 
Journ. of the Americ. med. assoc. 67, Nr. 21, S. 1690. 1911. 


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H. H. Schraid: 


der Gallensteinkrankheit zur Unterbrechung der Schwangerschaft, zum 
Abortus bzw. zur Frühgeburt kommt. Blau ist der Ansicht, daß dies 
bei der Cholecystitis häufig spontan der Fall sei. Alexandre berichtet 
über einen Abortus im Anschlüsse an akute Cholecystitis (12 Stunden 
später wurde bei diesem Falle von Potocki die Cholecystostomie aus¬ 
geführt). Schwangerschaftsunterbrechung ist bei 24 nichtoperierten 
Fällen (siehe unten S. 147) in 9 Fällen (= 37,5%) zur Beobachtung ge¬ 
kommen. Bei einfacher, unkomplizierter Cholelithiasis dürfte die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft nicht sehr häufig sein. Bei entzündlichen 
Prozessen dagegen, die auf die Wand des Uterus in den letzten Monaten 
der Gravidität übergegriffen haben, kann diese Wanderkrankung der 
Gebärmutter sehr leicht zur Auslösung von Wehen und zur Frühgeburt 
führen (siehe oben). Aber auch ohne ein solches Ereignis ist Schwanger¬ 
schaftsunterbrechung wiederholt beobachtet worden, wenn starker Ik¬ 
terus im Gefolge der Gallensteinkrankheit aufgetreten ist. Es liegt nahe, 
hier eine Toxinwirkung anzunehmen. E. Kehrer 1 ) konnte zwar ex¬ 
perimentell durch Unterbindung des Ductus choledochus bei hoch¬ 
trächtigen Katzen und durch Injektionen von glykocholsaurem und 
taurocholsaurem Natrium bei Kaninchen trotz schwerer Veränderungen 
der Muttertiere in den Früchten und im Fruchtwasser weder Gallen¬ 
säuren noch Gallenpigment nachweisen; er nimmt aber an, daß für 
die Menschen die Dauer und das zeitlich verschiedene Auftreten des 
Ikterus und die gleichzeitige Erkrankung anderer Organe der Mutter 
maßgebend seien. Wenn die Gelbsucht nur wenige Tage anhält, werden 
die Früchte nicht im geringsten geschädigt; bei den schweren Fällen 
aber mit länger als 2 Wochen dauerndem Ikterus erfolgt der placentare 
Übergang von Gallensäuren, zuweilen auch der Gallenpigmente, es 
kommt zur angeborenen hämorrhagischen Diathese und zum an¬ 
geborenen Ikterus. Allerdings gibt es nur ganz wenige Untersuchungen 
über solche schwere Ikterusfälle, die nicht gleichzeitig kombiniert waren 
mit schwerer Nierendegeneration, die also nicht zur akuten gelben Leber¬ 
atrophie bzw. zur rein toxischen Form der Leber- und Nierenerkrankung 
zu rechnen sind, die ja vollständig verschieden ist in ihrer Pathogenese 
und vor allem in ihrer therapeutischen Beeinflußbarkeit von der hier 
zu betrachtenden Erkrankung im Gefolge der Steinkrankheit der Gallen¬ 
wege. Andererseits hat aber eben E. Kehrer nachgewiesen, daß der Galle, 
insbesondere der Cholalsäure bzw. dem cholalsauren Natrium, eine stark 
erregende Wirkung auf den Uterus des lebenden Tieres zukommt. Daß 
nicht jeder Ikterus für das Kind gefährlich wird, beweist z. B. der Fall 
von Rissmann mit ßmonatiger Gelbsucht bei Choledochusstein und 
Operation in der Schwangerschaft, die weder durch den Ikterus noch 

J ) Kehrer, Der Einfluß der Galle auf die Uterusbewegungen. Arch. f. Gyn&koL 
84, 687. 1908. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


139 


durch die Operation eine Störung erfahren hat; wenn es bei Ikterus 
zum Abortus kommt, so wird in diesen Fällen nach 'Rissmann das Kind 
nicht durch die Gallensäuren geschädigt, sondern durch die der Er¬ 
krankung des Leberparenchyms zugrunde liegende Vergiftung oder 
Infektion. 

Eine andere Schädigung der Frucht kann unter Umständen gegeben 
sein durch das hohe und andauernde Fieber, einmal im Sinne der Wärme¬ 
stauung, dann aber, wie Neu hervorhebt, im Sinne des Abortus bei 
akuten Infektionskrankheiten; zu diesen ist ja jedenfalls die etwa im 
Gefolge der Gallensteinkrankheit auf tretende Peritonitis zu rechnen. 

Von mehreren Autoren wird die auffällige Tatsache erwähnt, daß 
Fruchtwasser und Eihäute vielfach stark ikterisch verfärbt sind, das 
Kind selbst aber nicht. In diesen Fällen scheint also die Placenta als 
„Filter“ für die Gallenfarbstoffe zu wirken (im Gegensätze zur akuten 
gelben Leberatrophie, wo der Foetus vielfach auch ikterisch ist). 

Der Geburtsakt an sich wird durch die Gallensteinkrankheit selbst 
höchstens dann beeinflußt, wenn gerade während desselben ein Gallen¬ 
steinanfall zustande kommt. Der durch diesen bewirkte Schmerz könnte 
so stark sein, daß er den Wehenschmerz übertönt; dadurch könnte in 
der Austreibungsperiode das reflektorische Mitpressen beeinträchtigt 
werden. Es ist klar, daß auf diese Weise durch die Cholelithiasis eine 
Geburtsverzögerung zustande kommen kann. Höchst mittelbar könnte 
man von einer Beeinflussung des Geburtsaktes durch die Gallenstein¬ 
krankheit sprechen, wenn letztere unerkannt bleibt und die von ihr 
und ihren Komplikationen verursachten Symptome, in erster Linie 
Fieber, den Geburtshelfer zur Beschleunigung bzw. Beendigung der 
Geburt veranlassen durch die Annahme, daß z. B. das Fieber genitalen 
Ursprungs sei. In einem unserer eigenen Fälle (siehe unten S. 147) ist 
eine derartige mittelbare Beeinflussung vorgekommen. Ferner ist es 
denkbar, daß nach Geburt bzw. Frühgeburt bei Choledochusverschluß 
und schwerem Ikterus die Cholämie mit ihrer verzögerten Blutgerinnung 
eine unangenehme, mitunter lebensgefährliche Komplikation darstellt, 
durch die es in der Nachgeburtsperiode und kurz nach der Geburt zu 
ebenso bedrohlichen Blutungen kommen kann wie nach Operationen 
bei Cholämie (z. B. Fall Peterson). 

Auf das Wochenbett hat die Gallensteinerkrankung in den meisten 
Fällen keinen besonderen Einfluß. Wohl aber kann die Lactation ge¬ 
stört sein durch eine so schmerzhafte Erkrankung; es kann, namentlich 
wenn die Anfälle gehäuft auftreten, die Ernährung des Bandes an der 
Mutterbrust dadurch ernstlich in Frage gestellt sein, daß die junge 
Mutter infolge der Schmerzen, wenn sie auch vom Stillen unabhängig 
sind, die Lust zum Stillen verliert; Nichtstillenkönnen ist ja meist 
gleichbedeutend mit Nichtstillenwollen! 


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140 


H. H. Schraid: 


Handelt es sich um Ikterus infolge von Choledochusverschluß wäh¬ 
rend der Lactation, so ist selbstverständlich operative Behandlung am 
Platze; bis diese stattgefunden hat und der Ikterus geschwunden ist, 
dürfte es ratsam sein, das Kind nicht anzulegen mit Rücksicht auf die 
Warnung von E. Kehrer, der für Kinder ikterischer Mütter nur die 
beste Ammenmilch empfiehlt, da Gallensäuren, wenn auch in geringer 
Menge, in der Milch Ikterischer nachweisbar sind. Ohne Ikterus ist 
aber in der Cholelithiasis allein kein Gegengrund gegen das Stillen zu 
sehen; es sollte also in solchen nicht komplizierten Fällen ärztlicherseits 
das Stillen nicht untersagt werden, wie es immer noch öfters vorkommt, 
wie z. B. in unserem Falle H. S. (siehe unten). 

Diagnose. 

Die meisten gallensteinkranken Frauen führen ihr Leiden auf eine 
frühere Gravidität zurück. Den Ärzten ist diese Tatsache hinlänglich 
bekannt, in den einschlägigen Mitteilungen wird seit Jahrzehnten dar¬ 
auf hingewiesen, und doch hat der einzelne Arzt, hat selbst eine größere 
Klinik verhältnismäßig selten Gelegenheit, den akuten Anfall während 
der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes zu beobachten. 
Dies dürfte zum Teile darauf zurückzuführen sein, daß trotz der großen 
Häufigkeit von Gallensteinen bei Leichenbefunden die wirklichen Gallen¬ 
steinanfälle nur in kleinerer Anzahl unter den Augen des Arztes ab¬ 
laufen, zum größeren Teil aber darauf, daß mitunter die Erkennung 
der Cholelithiasis wahrend der Oestation nicht leicht ist. Wenn später 
gehäufte Anfälle auftreten und die daran leidende Patientin entspre¬ 
chend intern oder chirurgisch behandelt wird, so erinnert sie sich, daß 
der Beginn des Leidens in die Schwangerschaft oder in das Wochenbett 
zu verlegen, meist aber nicht, ob und wie damals das Leiden vom Arzte 
behandelt und beurteilt worden sei, falls sie deshalb überhaupt einen 
Arzt zu Rate gezogen hat. Immer wieder kommen — begreiflicher¬ 
weise — gerade in der Schwangerschaft und im Frühwochenbett häufig 
Fehldiagnosen vor; da die ganz schweren Fälle mit bösen Kompli¬ 
kationen und dringlicher Operation, mit letalem Ausgange mit und 
ohne Operation im allgemeinen selten sind, so erfährt meist weder die 
Patientin noch der Arzt, daß die angenommene „Blinddarm- und 
Bauchfellreizung“, „Eierstockentzündung“, „Dehnung der Mutter¬ 
bänder“, und wie die schönen Diagnosen alle heißen mögen, falsch 
gewesen ist! 

Auch außerhalb des graviden Zustandes kann bekanntlich die Er¬ 
kennung eines Gallensteinleidens, wenn typische Anfälle fehlen, mit¬ 
unter auf Schwierigkeiten stoßen. Zu den hauptsächlich in Betracht 
kommenden häufigsten differentialdiagnostischen Erwägungen (gegen¬ 
über Magen- und Duodenalgeschwür, Appendicitis Pyelitis und Nephro- 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


141 


lithiasis) kommen in der Schwangerschaft noch einige andere hinzu. So 
mag es Vorkommen, daß leichte Anfälle in der Schwangerschaft ver¬ 
kannt und als „Magenkrämpfe“ oder vom Uterus ausgehende Be¬ 
schwerden gedeutet werden. Solchen leichten, nicht richtig erkannten 
Anfällen folgt dann mitunter ein besonders schwerer Anfall in der 
zweiten Hälfte der Schwangerschaft (mit Komplikationen, wie z. B. 
in dem Falle von Breischneider mit Peritonitis) oder ein Anfall im 
Wochenbett bzw. unmittelbar post partum, wie in dem interessanten 
Falle von Pinard ; er betont dabei die eigentlich selbstverständliche 
Regel, daß man bei Temperatursteigerung im Wochenbette doch auch 
an etwas anderes denken solle als an eine vom Genitale ausgehende 
Infektion. Auch für die Schwangerschaft gilt natürlich, daß man nicht 
alle sie begleitenden Erscheinungen nur auf den graviden Zustand 
allein beziehen darf. Besonders beherzigenswert erscheint mir die 
Bemerkung von Licklenstein 1 ): „Eine normale Gravidität macht zu 
gar keinem Zeitpunkte von sich aus Schmerzen; treten bei intrauteriner 
Gravidität heftige, sich wiederholende Schmerzen auf, so hat man an 
ernste Komplikationen zu denken.“ 

Besteht Schmerzhaftigkeit und Muskelspannung auf der rechten 
Bauchseite, so ist die Unterscheidung (außer gegenüber Ulcus ven- 
triculi bzw. duodeni, Pyelitis und Nephrolithiasis) namentlich gegen¬ 
über Appendicitis in der Schwangerschaft deshalb erschwert, weil das 
Coecum emporgedrängt ist und nahe der Leber liegt*). Fehldiagnosen 
sind hier nach beiden Richtungen vorgekommen; so z. B. haben Faure- 
Siredey und Pankow sowie Potocki und Milhiet (im Wochenbett) unter 
der Diagnose Appendicitis eingegriffen und eine Cholecystitis gefunden; 
in dem Falle von Stähler*) dagegen sprachen Ikterus und Erbrechen 
mehr für Cholecystitis, während bei der Operation festgestellt werden 
konnte, daß doch eine gleichfalls in Erwägung gezogene Appendicitis 
perforativa vorlag. Daß Appendicitis und Cholelithiasis zusammen auf- 
treten können, beweisen die Fälle von Amann, Bosse-Fabricius, Erdmann 
und Fall 20 in meiner Arbeit über Appendicitis und Gravidität. 

Die Untersuchung kann mitunter erleichtert werden durch linke 
Seitenlage nach E. Fraenkel. Röntgenologisch sind Gallensteine in der 
Schwangerschaft bisher nur einmal von Peterson nachgewiesen worden. 

l ) Lichtenstein, Aussprache zum Vortrage von Bretschneider. ZentralbL f. 
Gyn&koL 1919, Nr. 22, 8. 443. 

*) Füth, Über die Verlagerung des Coecums während der Gravidität in Rück¬ 
sicht auf das Zusammentreffen mit Appendicitis. Arch. f. Gynäkol. 74, 527. 
1905. — Weitere Beiträge zur Verschiebung des Coecums während der Schwanger¬ 
schaft. Ebenda 101 , 362. 1913. — H. H. Schmid, Appendicitis und Gravidität. 
Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 23. 1911, Fußnote 8. 226, 227. 

a ) Stähler, Appendicitis in graviditate mit tödlichem Ausgang. Zentralbl. f. 
Gynäkol. 1908, Nr. 8, S. 253. 


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H. H. Schmid: 


Erkrankung der rechten Niere kann durch Hamleiterkatheterismus 
festgestellt oder ausgeschlossen werden. [Fehldiagnosen: Hydronephrose 
(Goldammer), Pyonephrose (Dayot), Kombination von Cholelithiasis und 
eitriger Nephritis in dem Falle von Peterson, von Cholelithiasis und 
Pyelitis sinistra in dem Falle von Ortner 1 ).] Die von Schilling *) neuer¬ 
dings zur Erkennung der beginnenden Peritonitis herangezogene Ver¬ 
wertung des Blutbildes unter Vereinfachung des Vorganges von Ameih 
und Sonnenburg ist in der Geburtshilfe und Gynäkologie noch zu wenig 
gewürdigt; voraussichtlich wird sie berufen sein, auch in zweifelhaften 
Fällen eiteriger Erkrankung in der Gestation wertvolle Dienste zu leisten. 

Ikterus kann auch bei Blinddarmentzündung auftreten als septischer 
Ikterus oder im Gefolge einer Pylephlebitis appendikulären Ursprungs. 
Für den Ikterus gilt ferner nicht nur die auch außerhalb der Gravidität 
anzustellende Überlegung, ob er bedingt ist durch Stein Verschluß des 
Choledochus, durch Schwellung der Schleimhaut, eventuell durch Schwel¬ 
lung und Druck von seiten der umgebenden Lymphdrüsen, ob er als 
septischer Ikterus bei schwerer Infektion der Gallengänge aufzufassen 
ist, sondern es kommen noch alle übrigen differentialdiagnostischen Er¬ 
wägungen hinzu, bei denen der Ikterus in graviditate eine Bolle spielt: 
„Schwangerschaftsikterus“, toxische Leberentartung (Heinrichsdorff), 
akute gelbe Leberatrophie. Die Unterscheidung dieser verschiedenen 
Ikterusformen ist am allerschwierigsten; sagt doch ein so erfahrener 
Kenner der Pathologie und Therapie der Gallenwege wie Kehr im Jahre 
1913: „Den funktionellen Ikterus immer von dem mechanischen zu 
unterscheiden, das gelingt uns heute ebensowenig wie vor 30 Jahren.“ 
Man muß also den gewöhnlichen Icterus catarrhalis sowie die ver¬ 
schiedenen Formen des Ikterus als Ausdruck einer Schwangerschafts¬ 
toxikose ausschließen können, ehe man einen Ikterus durch Stein¬ 
verschluß der Gallenwege diagnostizieren darf. Diese mitunter außer¬ 
ordentlich schwierige Unterscheidung wird nach Winter z ) verhältnis¬ 
mäßig erleichtert dadurch, daß nach den Angaben der Literatur Ikterus 
bei Cholelithiasis in der Gravidität überhaupt recht selten zu sein 
scheint. Dagegen wird, wie Rissmann 4 ) behauptet, zu häufig „rezidi¬ 
vierender Schwangerschaftsikterus“ diagnostiziert, während nach seiner 
Meinung dabei vielfach Gallensteinleiden, Cholecystitis, Lebercirrhose 

*) Ortner, Klinik der Cholelithiasis. Wien. klin. Wochenschr. 1922, Nr. 13, S.287. 

*) Schilling, Das Blutbild als prinzipielles Untersuchungsmittel am Kranken¬ 
bett. Dtsch. med. Wochenschr. 1921, Nr. 27, S. 771. — Atypische Fälle von eitriger 
Peritonitis, festgestellt zuerst durch ihr Blutbüd. Dtsch. med. Wochenschr. 
1922, Nr. 23, S. 764. 

®) Winter, Die Indikation zur künstlichen Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft. S. 194. Urban u. Schwarzenberg 1918. 

4 ) Bissmann, Gibt es eine den Frauen eigentümliche Form der Gelbsucht? 
Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. (5, 326. 1910. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


143 


vorliegt. Für die Richtigkeit von Rissmanns Ansicht spricht auch, 
daß Peterson unter 25 gallensteinkranken Graviden 15 mit Ikterus 
findet, also eine beträchtlich höhere Zahl als sonst (nach Kehr nur in 
10—20% bei Gallenblasen- und Cysticussteinen); von den 15 Fällen 
betrafen allerdings 6 solche mit Choledochussteinen; die auch nach 
Abzug dieser Fälle zu Recht bestehende relative Häufigkeit des Ikterus 
bei Cholelithiasis in graviditate erklärt Peterson eben mit der Neigung 
Schwangerer, auch ohne Anwesenheit von Gallensteinen leichter ik- 
terisch zu werden. 

Ganz besonders schwierig ist mitunter die Diagnose im Wochenbett, 
wenn ein septisch-pyämisches Krankheitsbild besteht ohne deutliche 
Schmerzlokalisation in der Gallenblasengegend; da wird so manches 
Mal eine puerperale Infektion vorgetäuscht werden, während in Wirk¬ 
lichkeit die Gallenblase der Ausgangspunkt der schweren Allgemein¬ 
erkrankung ist (Fälle von Kontier, Green, Vineberg u. a.). 

Von sonstigen Leiden, die in Schwangerschaft und Wochenbett 
differentialdiagnostisch in Betracht kommen, seien folgende erwähnt: 
Uterusruptur (Graham, Fall 1), Extrauteringravidität [Fall von Neu; 
in 3 Fällen (siehe S. 161) wirkliche Kombination von Tubarschwanger- 
schaft und Cholelithiasis], Ovarialcystom [Sitzenfrey 1 ) nahm in seinem 
an der Prager Frauenklinik im Spätwochenbette operierten Falle eine 
in der Schwangerschaft torquierte und im rechten Mesogastrium fixierte 
rechtsseitige Ovarialcyste an, während sich bei der Operation ein Gällen- 
blasenempyem fand; Pollosson], entzündliche Adnexerkrankung (Lop), 
„Peritonitis“, Darmruptur (Le Roy des Barres), Ileus (Goldschmidt). 
Auf die Möglichkeit einer Verwechselung des Gallenblasentumors mit 
einer Anomalie des graviden Uterus oder einem Fibromyom weist 
Rudeaux 2 ) hin. Während der Geburt können bei mangelnder Sorgfalt 
in der Beobachtung Krampfwehen und Gallensteinanfall miteinander 
verwechselt werden. Ganz unmöglich war die Unterscheidung in dem 
Falle von Alice Herz 3 ), in dem auf Grund vorausgegangener Gallenstein¬ 
anfälle ein neuerlicher, schwerer, cholecystischer Anfall angenommen 
wurde, während er nur vorgetäuscht war durch eine intraperitoneale 
Blutung aus der Leber bei atypischer Eklampsie. Lop hielt einen Leber- 
absceß infolge von Cholangitis für einen Pyopneumothorax subphrenicus. 

1 ) Sitzenfrey, Über die Beziehung der Cholelithiasis zum weiblichen Geschlechts 
leben und zu gynäkologischen Leiden nebst Mitteilung eines durch Cystektomie 
geheilten Falles von Gallenblasenempyem im Wochenbett. Prager med. Wochen¬ 
schrift 1907, Nr. 28—30, S. 365, 377, 393. 

*) Rudeaux, Diagnostic et traitement de la cholecystite gravidique. Arch. 
g6n. de med. 4. 1905. Zit. nach Plöger, S. 291. 

*) Alice Herz, Ein Fall von tödlicher intraabdomineller Blutung aus der 
Leber bei Eklampsie während der Schwangerschaft. Zentralbl. f. Gynäkol. 1918, 
Nr. 34, S. 572. 


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144 


H. H. Schund: 


Selbst fernerliegende Erkrankungen sind mitunter in Erwägung gezogen 
worden, so z. B. „Influenza“ in den Fällen von Amann und Laurentie. 

Ist es gelungen, auf Grund genauer Anamnese und des vorliegenden 
Krankheitsbildes die Diagnose Cholecystitis in graviditate bzw. in puer- 
perio zu stellen, so wird man manchmal damit zufrieden sein müssen; 
aus wissenschaftlichem Interesse, besonders aber auch aus praktischen 
Gründen, wegen der gleich zu besprechenden Therapie, ist es natürlich 
sehr erwünscht, wenn man die Diagnose im einzelnen Falle noch ver¬ 
feinern kann. Man sollte sich also nicht mit der Erkennung des Gallen¬ 
steinleidens an sich begnügen, sondern herauszubekommen trachten, ob 
ein nichtentzündliches oder entzündliches Gallensteinleiden vorliegt, 
ob es sich um einen „primär entzündlichen Anfall“ ( Aschoff ) oder um 
eine rezidivierende Entzündung, um einen akuten Nachschub in einer 
schon chronisch veränderten, vielfach geschrumpften Blase handelt. 
Noch wichtiger ist die rechtzeitige Erkennung des Fortschreitens des 
entzündlichen Leidens auf das Peritoneum, auf die tieferen Gallenwege, 
auf die Leber, ehe es zur schweren Cholangitis oder gar zur hoffnungs¬ 
losen allgemeinen Septicämie gekommen ist. Wichtig ist ferner die 
Diagnose des Steinverschlusses des Choledochus im Gegensätze zu 
anderen Ikterusformen und die der Mitbeteiligung des Pankreaskopfes 
(Fälle von Peterson und Finkdstone). Die für die Erkennung aller 
dieser Komplikationen wichtigen Zeichen, die sich dem aufmerksamen 
Beobachter bieten, verhalten sich in der Schwangerschaft nicht anders 
als sonst; nur muß man eben vom Geburtshelfer verlangen, daß er sich 
den Sinn noch für anderes als nur für Uterus und Adnexe bewahrt und 
nicht ganz vergessen hat (wie es bei Spezialärzten aller Fächer nicht 
selten Vorkommen soll), daß er eigentlich medicinae universae doctor ist! 

Therapie. 

Über konservative Behandlung der Cholelithiasis in der Schwanger¬ 
schaft ist nicht viel zu sagen, da sie sich ja von der gleichen Behandlung 
außerhalb derselben nicht unterscheidet. Bettruhe, Umschläge, Dia¬ 
thermie, Abführmittel usw. können hier genau ebenso angewendet 
werden, die Diät, Karlsbader Kur und ähnliche Maßnahmen können 
ebenso durchgeführt werden wie sonst. Gallensteinlösende Mittel werden 
wie außerhalb der Schwangerschaft von problematischem Werte sein. 
Beim akuten Anfalle wird man Morphium ebensowenig entbehren 
können wie sonst, nach seiner Anwendung allerdings der Gefahr aus¬ 
gesetzt sein, eine beginnende Peritonitis nicht gleich zu erkennen. 
Wenn Gallensteinanfälle gerade während der Geburt auftreten und 
durch gehäufte Gaben dieses Alkaloids gelindert werden, so kann unter 
Umständen das Kind dadurch gefährdet werden; darauf weisen die 
Erfahrungen mit jener Form des Dämmerschlafes hin, bei welcher 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


145 


größere Morphiumgaben dargereicht worden sind. Daher ist, wie auch 
sonst, das Morphium möglichst einzuschränken bzw. mit Atropin zu 
kombinieren oder durch letzteres zu ersetzen [H. Pribram 1 )]. 

Es ist eine ganze Reihe von Fällen bekannt, bei denen die konser¬ 
vative Behandlung der Cholelithiasis in der Schwangerschaft gute Er¬ 
folge gegeben hat, d. h. bei denen die Anfälle unter entsprechenden 
Maßnahmen vorübergegangen sind. Eine Heilung des Grundleidens ist 
damit natürlich nicht gegeben; in den meisten Fällen sind später, oft 
noch in derselben Schwangerschaft, neue Anfälle aufgetreten. Über 
solche durch interne Behandlung günstig beeinflußte Fälle liegen eine 
Reihe von Mitteilungen vor, deren Autoren unten angeführt sind*). 
In den Fällen von Ahlfeld, Garijmy, Laurentie und Nijhoff kam es zur 
spontanen Frühgeburt, in denen von Knowsley- Thomson und Gold¬ 
ammer zum Abortus im Anschlüsse an die schwere Erkrankung mit 
vorwiegend entzündlichen Erscheinungen; GiUes und Pujol haben in 
ihrem Falle die künstliche Frühgeburt im 8. Monate eingeleitet. In 
den übrigen Fällen ist die Schwangerschaft nicht gestört worden. Über 
2 hierhergehörige Fälle mit Anfällen in der zweiten Schwangerschafts¬ 
hälfte verfügen auch wir; nach konservativer Behandlung sind die Er¬ 
scheinungen geschwunden, und die Geburt ist zur richtigen Zeit erfolgt. 
Dagegen sind unter internen Maßnahmen die beiden Fälle von Legendre 3 ) 

*) H. Pribram, Über die Behandlung von Koliken mit pharmakologischen 
Spasmolyticis. Med. Klinik 1921, Nr. 24, S. 729. 

*) Ahlfeld, Berichte u. Arb. a. d. Geb.-Klin. zu Gießen 1881—1882, S. 160, 
zit. nach Kehrer. — Amann, Monateschr. f. Geburtsh. u. Gyn&koL 41, S. 53, 
1915. — Audebert, Ann. de gyn. 41, 18. 1914. Dieser Fall ist noch kompliziert 
durch profuse Darm- und Hautblutungen 7 Tage nach dem Cholecystitisanfalle 
im 5. Schwangerschaftsmonate; Besserung unter konservativer Behandlung; 
Geburt ohne Komplikationen zur richtigen Zeit. — Brunsen, Joum. of the Americ. 
med. assoc. 57, H. 21, S. 1690. 1911. 2 Fälle. — Christian*, Monateschr. f. Geburtsh. 
u. Gynäkol. 21, 45. 1905. — Fellner, Die Beziehungen innerer Krankheiten zu 
Schwangerschaft, Geburt u. Wochenbett, Wien 1903. — Garvpuy, Soc. obet. de 
France 1910, zit. nach Laurentie. — QiUes-Pujol, zit. nach Pollak, Gallenblase 
und weibliches Genitale. Zentralbl. f. d. ges. Gynäkol. 1, H. 12, S. 629. 1913. — 
Goldammer, Beitr. z. klin. Chirurg. 55 , 127. 1907. — llloway, Americ. joum. of 
obstetr. a. gynecoL 1889, S. 1009, ref. Zentralbl. f. Gynäkol. 1890. Nr. 25, S. 462. — 
Kehrer, Arch. f. Gynäkol. 81,139. 1907. — Knowsley-Thomson , zit. nach Laurentie. — 
Laurentie, Rev. fran(. de gynecol. et d’obetetr. 17, H. 4, S. 243. 1922. 2 Fälle. — 
Moulden, Americ. joum. of obstetr. a. gynecol. 73. 1916. 3 Fälle. — Naxera, 
Wien, klin, Rundschau 1904, Nr. 38, S. 681; Nr. 39, S. 703. 2 Fälle. — Nijhoff, 
Nederl. gyn. Vereen. 1908, ref. Zentralbl. f. Gynäkol. 1908, Nr. 32, S. 1063. — 
Plöger, Beitr. z. klin. Chirurg. 69, 280. 1910. — Rohde, Arch. f. klin. Chirurg. 
112, 742. 1919. 

s ) Legendre, Soc. d’obst4tr. de Paris 1902. 34j. Grav. m. III. Unstillbares 
Erbrechen, Albuminurie, Temperatur 40°, Puls 120; Zeichen von Meningitis; 
t im Koma. Obduktion: Hyperämie der Meningen; Eiter in der Gallenblase, 
Cysticusstein. — Dieser Todesfall ist vielleicht zum TeUe durch Toxikose bedingt. 

Archiv (. klin. Chirurgie. 125. 10 


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146 


H. H. Schmidt 


und von Budin 1 ) in der Schwangerschaft an den Folgen ihrer Chole¬ 
cystitis gestorben (über Todesfälle während und nach der Geburt siehe 
unten). Eine Anzahl der erwähnten, durch konservative Behandlung 
gebesserten oder „geheilten“ Fälle sind im Wochenbett oder später, 
manchmal erst einige Jahre nach der Geburt operiert worden. 

Anamnestische Angaben, Gallensteinanfälle während einer voraus¬ 
gegangenen Schwangerschaft betreffend, finden sich in zahlreichen 
Krankengeschichten von Fällen, über die aus chirurgischen Kliniken 
berichtet wird, so von Amsperger, Bettmann, Goldammer, Kehr, Körte, 
Riedel, Rohde und namentlich von Ruth Plöger; diese sind hier nicht 
eigens angeführt, sondern es sind nur jene Fälle berücksichtigt, bei 
denen Gallensteinanfälle im Verlaufe der Schwangerschaft unmittelbar 
zur Beobachtung gekommen sind. Aus der Tatsache, daß eben solche 
Fälle später wieder behandlungs- bzw. operationsbedürftig geworden 
sind, ergibt sich, daß mit dem Überstehen des Anfalls oder der Anfälle 
in der Schwangerschaft das Gallensteinleiden in vielen Fällen nicht 
behoben ist. 

Ganz besonders gefährlich kann die Cholelithiasis mit ihren Kompli¬ 
kationen während der Geburt werden. Unter den in der Literatur mit¬ 
geteilten 6 Fällen mit schweren Erscheinungen und konservativer Be¬ 
handlung ist nur der merkwürdige Fall von J. P. Frank*) in Heilung aus¬ 
gegangen ; hier war die Gallenblase mit dem graviden Uterus verwachsen, 
und nach der Geburt gingen Gallensteine, die in die Gebärmutter durch¬ 
gebrochen waren, per vaginam ab! Die 4 übrigen Fälle sind gestorben. 

Barbacci (Lo 8perimentale 1892, Nr. 46, S. 476): 19 jährige Wöchnerin stirbt 
3 Tage nach spontaner Geburt am Ende der Schwangerschaft. Obduktion: 
Absoessus perihepaticus; Gallenblase nicht perforiert, aber zum Teile nekrotisch, 
in ihrer Wand kleine Eiterherde (Staphylokokken); Cysticusstein; Endokarditis; 
Uterusinnenfl&che aseptisch. 

Vineberg (Med. rec. 1905). Während der Schwangerschaft Gallensteinanfälle. 
Einige Stunden vor der Geburt nachweisbare Vergrößerung der Gallenblase. 
Während der Geburt plötzlich Empfindung, als ob im Bauche etwas zerrissen wäre. 
Nach der Entbindung Peritonitis; schwerstes Krankheitsbild, daher kein Eingriff (!). 
Nach 24 Stunden gestorben, wahrscheinlich Gallenblasenruptur. 

Vedel-Rimbaud (Presse mäd. 1906, Nr. 14, S. 794). 35jährige Gravida m. 7 1 /*- 
Seit 5 Tagen peritonitiBche Erscheinungen; nach anfänglichem Fieber Kollaps¬ 
temperatur von 35°, Puls 116. 48 Stunden nach Eintritt Laparotomie; im unteren 
Teile der Bauchhöhle keine Peritonitis; der gravide Uterus hindert die weitere 
Untersuchung. Bauchnaht. Nachmittags Einleitung der Frühgeburt; lebendes 
Kind von 7 1 /» Monaten. Pat. stirbt nach 2 Tagen. Obduktion: Eiterans&mmlung 
um die Gallenblase, Perforation derselben am Halse, in ihr ein Stein und Typhus¬ 
bacillen; Typhusgeschwüre im Darme. Die noch nicht abgeklungene Typhus¬ 
infektion mag in diesem Falle den letalen Ausgang begünstigt haben. Er ist unter 

1 ) Budin, Soc. d’obstätr. de France 1904. Gravida, f an Cholecystitis sup¬ 
purativa; zwei Chirurgen hatten die Operation abgelehnt. 

*) J. P. Frank, De curandis hominum morbis. Mannheim 1792. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


147 


den nichtoperierten Fällen mitgez&hlt, da die offenbar zu tief angelegte Laparotomie 
ergebnislos verlief. 

Graham (Southern med. journ. I, H. 6, S. 389. 1914; Diskussion). Todesfall 
infolge von diffuser Peritonitis durch Gallenblasenruptur während der Geburt. 
Obduktion: 250 Gallensteine in der Bauchhöhle. 

Es liegt nahe, an einen Zusammenhang zwischen dem Geburtstrauma und dem 
Auftreten von Komplikationen des bis dahin nicht bedrohlich verlaufenen Gallen* 
steinleidens zu denken, das wohl in einigen Fällen durch einen rechtzeitigen Eingriff 
einen weniger bösartigen Verlauf genommen hätte. 

Im Wochenbette sind zahlreiche Fälle von Cholelithiasis mit Erfolg 
konservativ behandelt worden 1 ). Auch von diesen Fällen sind einige 
später operiert worden. An unserer Klinik sind 4 Fälle von Chole¬ 
lithiasis im Frühwochenbette zur Beobachtung gekommen, die durch 
interne Maßnahmen in das Latenzstadium übergeführt werden konnten. 
Drei von ihnen bieten kein besonderes Interesse, wohl aber der vierte. 

Hilde S., 23 Jahre, ein Aboitus im 2. Monat vor einem Jahre. L. M. 28. II. 
1919. Im Anfang dieser 2. Schwangerschaft und im 7. Monat je einmal Schmerz¬ 
anfall in der Gegend der Gallenblase durch etwa Va Stunde mit plötzlichem Auf¬ 
hören des Schmerzes; kein Ikterus. Wehenbeginn 4. XII. 2 Uhr p. m. Nach 
der Aufnahme um 10 Uhr p. m. kräftige Wehen. Kopf dem Beckeneingang an¬ 
gepreßt, noch etwas beweglich, Beckenmaße 23» 26, 30, 20, 12. 5. XII. kräftige 
Wehen den ganzen Vormittag über, Kopf dem Beckeneingang angepreßt, nicht 
tiefer getreten. Seit 3 Uhr a. m. spärlicher Abgang von Fruchtwasser; seit 8 Uhr 
a. m. ist dasselbe leicht mißfarbig. Temperatur steigt im Laufe des Nachmittags 
bis 38°. Kindliche Herztöne werden in derselben Zeit labiL 6 Uhr 30 Min. p. m. 
Herztöne dauernd unregelmäßig. Die Temperatursteigerung der Mutter und die 
drohende intrauterine Asphyxie lassen die sofortige Entbindung angezeigt er¬ 
scheinen. Mit Rücksicht auf die wenn auch nicht hochgradige Beckenverengerung 
erscheinen Wendung, Extraktion bzw. hoher Forceps allzu gefährlich für das schon 
geschädigte Kind. 6 Uhr p. m. in Lumbalanästhesie Sectio caesarea cervicalis 
intraperitonealis; Fruchtwasser stark gallig gefärbt, Kind apnoisch, wird bald 
zum Schreien gebracht. Uterusnaht; Überdeckung mit Blasenperitoneum. Appen¬ 
dix nicht verändert. Direkte Messung der Conjugata vera ergibt 10 cm (die 
Gallenblase war leider bei der Operation nicht betastet worden, da gar nicht an 
die Möglichkeit gedacht worden war, daß ihre Erkrankung mit dem Fieber im 
Zusammenhänge stehen könnte). — Abendtemperatur 37,9°, Puls 120; Temperatur 
und Pulsfrequenz sinken vom nächsten Tage an ab. Am 2. Wochenbettstage 
8Uhr p. m. typischer Gaüensteinanfall, % Stunde dauernd. Am 3., 4. und 6. Wochen- 
bettstage je ein weiterer Anfall; Temperatur dauernd unter 37°. Puls 70—90. 
Leicht ikterische Verfärbung der Skleren. Entlassung aus der Klinik am 9. Wochen- 

x ) Amsperger, Beitr. z. klin. Chirurg. 48, 753. 1906. — Bosse-Fabricius, Wien, 
klin. Rundschau 1910, Nr. 38, S. 591. — Bue , Soc, obst^tr. de France 1904, S. 228. 
ref. Jahresber. 1904, S. 1027. — Christiani , s. o. 2 Fälle. — Dervaux , Soc. obst4tr. 
de Lille 1911, zit. nach Laurentie. — Dcleris , Soc. d’obstätr. de Paris 1902. — 
Eiermann , Münch, med. Wochenschr. 1897, Nr. 2, S. 35. — Gottschalk, Bericht an 
Eiermann, 9 Fälle. — Lepage-Legendre , Soc. d’obstÄtr. de Paris 1902. — Pinard und 
Potocki , Soc. d’obstätr. de Paris 1902. — Rohde, s. o. — Scherer , Orvosi hetilap 1913, 
Nr. 30, S. 551, ref. Zentralbl. f. d. ges. Gynäkol 3 , 133. 1913. 2 Fälle. — Sitzenfrey , 
Prager med. Wochenschr. 1907, Nr. 28—30,2 Fälle. — Shdsch , Zentralbl f. Gynäkol. 
1889, Nr. 1, S. 15, 2 Fälle. 

10 * 


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H. U. Schmid: 


bette tage; Genitale o. B., Gallenblasengegend mäßig druckempfindlich. Das Kind 
hat bei ausschließlicher Brustnahrung sein Anfangsgewicht von 3250 g um 130 g 
Überschritten. 

Nach der Entlassung alle'8—10 Tage Gallensteinanfälle, mitunter mehrere 
•Stunden dauernd, mit Erbrechen und leichter Temperatursteigerung, bis Mitte 
M&rz. Auf ärztlichen Bat hat Patientin anfangs März abgestillt. 13. III. Sub- 
ikterisches Kolorit; Leber nicht vergrößert für Palpation und Perkussion, Spitze 
der Gallenblase eben tastbar, sehr druckempfindlich. Reflektorische Bauchdecken¬ 
spannung im rechten oberen Bauchquadranten. Karlsbader Kur zu Hause; bei 
Erfolglosigkeit Operation geraten. In der Folgezeit biB Herbst 1920 Anfälle seltener; 
während einer 4 wöchigen Kur in Karlsbad selbst nur ein Anfall. Nach Abortus 
(Oktober 1920) wieder häufige, mäßig starke Anfälle ohne Fieber bis März 1923. 

Besonders bemerkenswert erscheint mir bei diesem Falle, daß möglicherweise die 
während der Geburt beobachtete Temperatursteigerung durch Cholecystitis bedingt 
war. Wenn auch die drohende intrauterine Asphyxie mitbestimmend war für die 
lndikaiions8leüung zur operativen Entbindung, so wäre auch ohne diese kindliche 
Indikation entbunden worden, in der Annahme eines durch Weichteilquetschung 
bedingten Fiebers. Allerdings läßt sich diese Annahme auch nicht widerlegen. 

Die wichtigste Frage in der Therapie der Cholelithiasis in der Schwan¬ 
gerschaft ist die der operativen Behandlung. Die absolute Indikation 
zur Operation ist auch in der Schwangerschaft dieselbe wie außerhalb 
des graviden Zustandes. Anders aber verhält es sich mit den Fällen, 
bei denen man „aus relativer Indikation“ operiert; hier sehen manche 
Autoren im schwangeren Zustande eine Gegenanzeige. Es ist zu prüfen, 
ob diese Anschauung unbedingt richtig ist. Von den in der Literatur 
niedergelegten Meinungen über diesen Punkt seien folgende hervor¬ 
gehoben. Kehr 1 ) sagt darüber; „Mit einer Gallensteinoperation in der 
Gravidität soll man vorsichtig sein. Ich führe sie nur aus, wenn eine 
absolute Indikation besteht (bei Empyem der Gallenblase, bei Cholan¬ 
gitis, bei Perforation). Dann ist es gleich, ob die Gravidität erst 2 oder 
8 Monate besteht. Ist aber nur eine relative Indikation vorhanden, so 
warte ich mit der Operation bis nach der Entbindung.“ Christiani rät, 
im allgemeinen in der Schwangerschaft und im Puerperium rascher 
zum Messer zu greifen als außerhalb dieses Zustandes, schon mit Rück¬ 
sicht auf die in der Schwangerschaft verringerte Widerstandsfähigkeit 
des Lebergewebes. Roith *) sieht in längerem Bestehen von Fieber und 
Ikterus schon wegen der dadurch erhöhten Gefahr für die Gravidität 
einen Grund zum operativen Eingreifen. Nach Rissmann, der das Vor¬ 
kommen eines speziellen Icterus graviditatis überhaupt leugnet, soll die 
chirurgische Therapie viel häufiger bei Gelbsucht in der Schwanger¬ 
schaft zu ihrem Rechte kommen. Audebert ist der Ansicht, daß man 
bei schweren Erscheinungen von seiten der Leber sofort eingreifen 
solle, am besten durch Cholecystotomie (damit ist der Eingriff gemeint, 

*) Kehr, Die Praxis der Gallenwegechirurgie. 2, 125. 1913. 

a ) Roith, Indikationen und Prognose de,- Gallensteinoperationen in der 
Schwangerschaft. Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. *9, 499. 1909. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


149 


der in der deutschen Literatur als Cholecystostomie bezeichnet wird); 
die Zeit der Schwangerschaft spiele hierbei keine Rolle; bei länger 
dauernden, aber gutartigen Erscheinungen empfiehlt er innere Be¬ 
handlung, die Operation dann, wenn gleiche Erscheinungen in einer 
früheren Schwangerschaft schon zum Abortus geführt haben, und 
wenn die jetzige Schwangerschaft noch im Beginne ist. Bei Wöch¬ 
nerinnen und bei schweren Erscheinungen empfiehlt Audebert die so¬ 
fortige Cholecystektomie. 

Rohde 1 ) äußert sich folgendermaßen: „Was die Kontraindikationen 
einer Operation anbelangt, so gibt es für die Fälle schwerer, kompli¬ 
zierter, akuter Cholecystitis, für alle Fälle des primär entzündlichen 
Anfalles, für alle Fälle von chronischem Choledochusverschluß oder 
von akutem Choledochusverschluß mit länger als 8tägigem Bestehen, 
für alle Fälle von Cholangitis, von Gallensteinileus, von Adhäsionsileus, 
von bedrohlichen Folgeerscheinungen am Magendarmtraktus, von akuter 
Papkreatitis für uns keinerlei Momente, die die sofortige Operation ver¬ 
bieten, es sei denn, daß der Patient in extremis in unsere Behandlung 
kommt.“ Darin muß man Rohde auch für den graviden Zustand un¬ 
bedingt zustimmen. Weiter heißt es: „Für die Fälle relativer Indikation 
(nichtentzündliches Steinleiden, leichtere Formen der akuten, rezidi¬ 
vierenden Cholecystitis des chronischen Steinleidens, Cholecystitis chro¬ 
nica im Intervall, Operationen aus sozialer Indikation, Verdacht auf 
gehäuften Steineintritt in den Choledochus, kurze anfallsfreie Intervalle, 
Pankreatitis chronica, Beteiligungen seitens des Magendarmtraktus, so¬ 
fern sie nicht akut bedrohlich sind, Adhäsionsbeschwerden, Kompres¬ 
sionserscheinungen durch eine große Gallenblase, stärkere Druckemp¬ 
findlichkeit oder Schmerzen im Intervall, Morphinismus, akuter Chole¬ 
dochusverschluß mit weniger als 8tägigem Bestehen) geben hohes Alter, 
schwere Störungen seitens der innneren Organe, schwere Stoffwechsel¬ 
störungen, insbesondere starke Adipositas, Gravidität und Puerperium *) 
Kontraindikationen zur Operation ab. Man wird in diesen Fällen evtl, 
versuchen, durch Beseitigung oder Besserung dieser Zustände günstigere 
Vorbedingungen zu einem operativen Eingriff zu erzielen.“ Dieser Teil 
der ÄoAde sehen Ausführungen ist sicher für die meisten Fälle richtig, 
aber doch nicht für alle. 

Am ehesten ist noch zu verstehen, daß man im letzten Drittel der 
Schwangerschaft mit Rücksicht auf die technischen Schwierigkeiten, 
die namentlich bei Eingriffen an den tiefen Gallenwegen zu erwarten 
sind, gerne die Operation auf schieben möchte bis nach der Geburt. 
Doch gilt dies nur für die letzten 3—4 Monate der Gravidität; bis dahin 

*) Rohde, Zur Pathologie und Therapie der Steinkrankheit und der entzünd¬ 
lichen Prozesse der Gallenwege. II. Teil Arch. f. klin. Chirurg. US, 574. 1920. 

*) Im Original nicht kursiv gedruckt. 


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H. H. Schmid: 


sind die technischen Schwierigkeiten nicht übermäßig groß. Man sollte 
also nicht von Schwangerschaft ganz allgemein als Gegenanzeige gegen 
Gallensteinoperationen aus relativer Indikation sprechen, sondern nur 
von den letzten Monaten derselben. In den ersten 6 Lunarmonaten der 
Gravidität dagegen ist es sicher besser, unter verhältnismäßig gün¬ 
stigeren Verhältnissen zu operieren, als in der Hoffnung auf Nachlassen 
der Anfälle bis nach der Entbindung zu warten, weil man dabei Gefahr 
läuft, vielleicht doch noch unter größeren Schwierigkeiten in der letzten 
Zeit der Schwangerschaft oder während bzw. unmittelbar nach der 
Geburt aus absoluter Indikation operieren zu müssen. Wenn dann etwa 
aus technischen Gründen oder mit Rücksicht auf gleichzeitig schon 
bestehende oder drohende Peritonitis der Uterus bei diesem Eingriffe 
.entleert werden muß, so wird die Operation dadurch nicht vereinfacht, 
und das ist gerade beim Eingriffe aus absoluter Indikation nicht wün¬ 
schenswert. Gegen die Operation in der ersten Hälfte der Schwanger¬ 
schaft ist eingewendet worden, daß in ihrem Gefolge leicht eine spontane 
Unterbrechung derselben stattfinde; dies ist gewiß richtig, trifft aber 
fast ausnahmslos für verschleppte Fälle zu. Operiert man früher, ehe 
es zu Komplikationen der Cholelithiasis gekommen ist, so ist die Gefahr 
des Abortus nicht größer als nach operativen Eingriffen in der Bauch¬ 
höhle überhaupt, jedenfalls geringer als die Gefahr der Frühgeburt in 
den letzten Monaten der Gravidität. Übrigens ist zu bedenken, daß es 
auch bei konservativer Behandlung in schweren Fällen der Gallenstein¬ 
krankheit nicht selten zum Abortus bzw. zur Frühgeburt kommt, wie 
schon oben dargelegt worden ist. 

Im Wochenbett eine Kontraindikation gegen den operativen Eingriff 
sehen zu wollen, geht für die meisten Fälle entschieden zu weit. Gewiß 
ist es eine harte Zumutung für eine Frau, die eben erst die Mühen einer 
Geburt überstanden hat, sich noch einer Laparotomie unterziehen zu 
sollen; es möge aber dahingestellt sein, ob Gallensteinanfälle angenehmer 
empfunden werden, namentlich wenn sie gehäuft auftreten, als die ein¬ 
maligen, meist nur 1—2 Tage dauernden Beschwerden einer frisch 
Operierten. [Riedel 1 ) führt bei der Beschreibung der Gallensteinanfälle 
und ihrer unerträglichen Schmerzen den Ausspruch von Patientinnen 
an: ,,Eine Entbindung ist nichts dagegen.“] Dazu kommt noch, daß 
durch die Dehnung der Bauchdecken einerseits gerade die postoperativen 
Beschwerden geringer sind als bei straffen Bauchdecken, und daß 
andererseits die Operation technisch aus demselben Grunde leichter 
ist; darauf weisen Josephson und Laurentie hin. Einen Gegengrund 
könnte nur die größere Gefahr der Operation im Wochenbett abgeben; 
da zeigen nun die Erfahrungen, daß die Gefahr hauptsächlich in einer 

x ) Siedet, Zur Debatte über die GaUensteinfrage. Mitt. &. d. Grenzgeb. d. 
Med. u. Chirurg. 4 , 592. 1899. 


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Original frorn 

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Cholelithiasis und Gravidität. 


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Verschleppung des Gallensteinleidens liegt, und daß der schlechte Aus¬ 
gang so gut wie immer nur darauf zurückzuführen ist, daß man zu 
spät zum Messer gegriffen hat. 

Aus allen diesen Gründen ergibt sich, daß man Schwangerschaft 
und Wochenbett nicht unbedingt als Gegengrund gegen die Gallen¬ 
steinoperation aus relativer Indikation mehr ansehen soll. Natürlich 
wird man individualisieren müssen. Eine weitere selbstverständliche 
Bedingung für das Zuwarten ist die genaue Beobachtung der Kranken, 
damit man bei den ersten beunruhigenden Erscheinungen sofort ein- 
greifen könne, deren Beurteilung besonders schwierig und doppelt ver¬ 
antwortungsvoll gerade während der Geburt ist. Nur so wird es ge¬ 
lingen, die noch hohe Mortalität der Gallensteinoperationen in der 
Gestationsperiode herabzudrücken, die ja, wie gesagt, auf der zu späten 
Erkenntnis der lebensbedrohlichen Komplikationen beruht; übrigens 
gilt dasselbe ja bekanntlich auch für die Mortalität der gleichen Ein¬ 
griffe außerhalb dieser Zeit, wie aus jeder größeren Zusammenstellung 
erfahrener Gallensteinoperateure hervorgeht. 

Über die Richtigkeit der hier vorgebrachten Ansicht kann man sich 
am besten ein Urteil bilden, wenn man die bisher während der Schwanger¬ 
schaft, der Geburt und des Wochenbettes operierten Fälle selbst zur 
Grundlage der Beurteilung nimmt. 

/. 

Operationen in der Schwangerschaft. 

1. Cholecystostomie. 

1. BariUon (Soc. d’obetetr. de Paris 1903, S. 22): 33jähr. II. grav. Vom 

2. Mon. der Schwangerschaft an mehrere Anfälle von Cholelithiasis, Ikterus, 
hohes Fieber, Leberschwellung. Im 5. Mon. Cholecystostomie; Stein, Entzündung 
der Blase. Heilung. Normale Geburt; Gallenfistel und Laparotomienarbe haben 
durch die Austreibungsperiode nicht gelitten. 

2. Delore, zit. nach Laurentie (Bev. fran$. de gynäcol. et d’obstötr. Nr. 4, 263. 
1922): 36jähr. III. grav. m. VI. Vor 4 Mon. Erscheinungen von Perforations¬ 
peritonitis, Diagnose wahrscheinlich Appendicitis. 2 weitere Anfälle, jetziger seit 
10 Tagen dauernd. Nach weiteren 3 Tagen Laparotomie nahe dem Rippenbogen. 
Leber steht hoch, Gallenblase geschrumpft, schwer zu finden; sie ist umgeben 
von Eiter; in ihr gleichfalls Eiter, kein Stein. Cholecystostomie, Drainage. Heilung, 
Schwangerschaft ungestört. Normale Geburt. 

3. Erdmann (Ann. of surg. C9, 668. 1914): Grav. m. II. Seit Jahren gallen¬ 
steinleidend. Appendektomie (wegen Appendicitis gangraenosa) und Chole- 
cystostomie. Heilung. Schwangerschaft ungestört. 

4. Finkeistone (Americ. joum. of obetetr. a. gynecoL 14, 818. 1916): 27jähr. 
IIL grav. 6 Tage nach vorausgegangener Prolapsoperation erster Gallenstein - 
anfalL In der dritten Schwangerschaft Anfälle vom 3. bis 7. Mon. Im 7. Mon. 
Cholecystostomie, 86 kleine Gallensteine. Heilung. Fistel nach 24 Tagen ge¬ 
schlossen. Schwangerschaft ungestört. 4 Wochen p. p. akuter Anfall, Erbrechen 
eines Steines. 2 Mon. p. p. Cholecystektomie; Pancreatitis chron. 


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H. H. Schmid: 


5. Oraham (Southern med joum. 7, H. 6 , S. 389. 1914, ref. ZentralbL t. a. 
ge«. GynäkoL 5 , 375. 1914, Fall 2): 38 jähr. X. grav. m. V. Ikterus, T. 39°, P. 125, 
Muskelspannung und heftige Schmerzen in der Gallenblasengegend. Cholecystosto- 
raie, Entfernung zahlreicher Steine aus der Gallenblase und aus dem Cysticus. 
Heilung. Normale Geburt. 

6. Oraham: Fall 3. 36 jähr. V. grav. m. VII. T. 39,4°, P. 130, lokaler Schmerz 
und Muskelspannung. Cholecystostomie, Entfernung der Steine aus Blase und 
Cysticus. Heilung. Spontane Geburt. 

7. Körte (Beiträge zur Chirurgie der Gallenwege und der Leber. Berlin 1905, 
S. 285, Fall 34, 1896): 31 jähr. grav. m. V. Vor 14 Tagen erkrankt, Schmerzen, 
Ikterus, Fieber, Leber vergrößert. Schräger Längsschnitt; Cholecystostomie, 
84 kleine Steine und eitriger Schleim. Heilung. Fistel geschlossen. Schwanger¬ 
schaft ungestört. 

8. Mack (Beitr. z. klin. Chirurg. 57, 562. 1908. Fall 65, 1903): 29jähr. grav. 
m. II. Cholecystostomie; Gallenblase klein, 2 erbsengroße Steine. Heilung, 
Schwangerschaft ungestört. 

9. Movlden (Americ. joum. of obstetr. a. gynecol. 73, 32. 1916): Grav. m. VI. 
Obstipation bis zu 3 Tagen. 34 000 Leukocyten. Empyem der Gallenblase; Chole¬ 
cystostomie; 17 Steine; 200 ccm Eiter (B. coli.). Geburt zur richtigen Zeit. 1 Mon. 
später Wiederauftreten der Fistel; Cholecystektomie. 

10. Pankow (Hegars Beitr. 13, 117. 1909, identisch mit dem Falle von 

Oordon , Inaug.-Diss. Freiburg 1910): 18 jähr. I. grav. m. IV. Vor 3 Tagen plötzlich 
erkrankt. Diagnose: Appendicitis acuta in graviditate. Appendektomie (Appendix 
frei); Erweiterung des Schnittes nach oben, Einnähen der Gallenblase, Chole¬ 
cystostomie, Drainage; in der Gallenblase schleimig-eitriger Inhalt; Grieß und 
kleine Steine. Heilung. „Ergebnis gut,“ Schwangerschaft also offenbar ungestört. 

11. Rhett (Transact. of the Southern Carolina med. assoc. 1890, S. 85, zit. 
nach Petersony. Cholecystostomie in der Schwangerschaft (1888); bald nachher 
Abortus. Nach einigen Tagen f an Peritonitis. 

12. Vignard (Gaz. m6d. de Nantes 1906, zit. nach Laurentie): Grav. m. III. 
Schmerzen, Erbrechen, Bauchdeckenspannung, T. 40°, kleiner Puls; nach 4 Tagen 
Ikterus, Leberschwellung. Cholecystostomie. Nach 4 Tagen spontaner Abortus, 
am 6. Tage Entfernung der stinkenden Placenta. Heilung. Nach weiterem Stein- 
abgange schließt sich die Fistel. 

13. Vittard-Oilibert (Lyon m6d. 1903, Nr. 1,34): 21 jähr. HL grav. m. V. In 
der 2. Schwangerschaft nach heftigem Gallensteinanfall Abortus m. III. In 
dieser Schwangerschaft stark* Verschlimmerung. Diagnose: Cholecystitis puru- 
lenta. Im 5. Mon. Cholecystostomie. Pleuropneumonie; kleine Fistel; rasche 
Erholung. Normale Geburt zur richtigen Zeit. 6 Mon. p. p. neuer Anfall, Stein¬ 
abgang durch die Fistel; spontaner Schluß derselben. 3Vs Jahr gesund. Neue 
Schwangerschaft, Frühgeburt im 7. Mon. Kind nach 1 St. *f- 

14. WiUien (Indiana med. soc. 1893, zit. nach Peterson): Im 3. Mon. der 
Schwangerschaft Cholecystostomie. Heilung. Keine Angaben über den weiteren 
Verlauf der Schwangerschaft. 

Nachträglich habe ich folgenden Fall gefunden: 

15. Kehr (Bericht über 137 Gallensteinlapar. München, J. F. Bergmann 1904, 
S. 43). 35 jähr. grav. m. III., seit Vs Jahr krank. Diagn. entzündlicher Hydrops 
der Gallenblase. Cholecystostomie; schleimiger Eiter, ca. 100 Steine. Heilung. 

Schließlich hat Herr Primarius Dr. v. Fink-Finkenhcim-Kexlabad noch folgen¬ 
den interessanten Fall, den einzigen mit gleichzeitiger Gravidität unter 700 
Operierten, freundlichst zur Verfügung gestellt, wofür ich ihm auch an dieser 
Stelle bestens danke. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


158 


16. Fink: 30 jähr. grav. m. III, seit 3 Jahren an Anfällen leidend. 26.1. 1911 
Operation: Schnitt im Muse, rectus; Verwachsungen um die Gallenblase; 3 Finger 
breites, derbes Infiltrat zwischen Gallenblase und Pylorus erschwert den Eingriff. 
Wegen parenchymatöser Blutung aus* Gallenblase, Leber und Verwachsungen 
wird von der beabsichtigten Ektomie abgesehen und nur ein Stück der Gallen¬ 
blase reseziert. Reaktionsloser Verlauf. 

Der einzige Todesfall aus dieser Reihe, der Fall von Rhett , hat sich 
im Jahre 1888 ereignet, also zu einer Zeit, in der die Gallenblasen- 
chirurgie erst in den Kinderschuhen steckte; da genauere Angaben 
fehlen, läßt sich nicht sagen, ob es sich nicht doch um einen schon 
vorgeschrittenen, verschleppten Fall gehandelt hat. In diesem Falle 
und in dem von Vignard ist auch für das Kind der Ausgang ungünstig 
gewesen. 

2. Cholecystektomie. 

1. Davis (Bull, lying-in hosp. New York 2, 2. 1905): Multigrav. m. VII. 
In früheren Schwangerschaften Gallensteinanfälle. Im 7. Mon. Cholecystektomie. 
Heilung. Schwangerschaft ungestört. 45 Tage p. op. manuelle Dilatation, Ex¬ 
traktion des Kindes. (Keine Angabe über die Indikation zur künstlichen Früh¬ 
geburt.) 

2. van Engelen (Joum. de m&I. de Bruxelles 9 , 20. 1904): Grav. m. V. Zeichen 
schwerer Septicämie. Cholecystitis gangraenosa acuta (ohne Peritonitis). Dring¬ 
liche Cholecystektomie. Heilung, Schwangerschaft ungestört. 

3. Rohde (Arch. f. klin. Chirurg. 112, 741. 1919): Grav. m. III. Im 2. Mon. 
allererste Beschwerden, im 3. Cholecystektomie; chronisch entzündete Gallenblase 
im akuten Stadium mit 3 großen und 50 kleinen Steinen und eitriger Galle (steril). 
Heilung. Keine Angaben über den weiteren Verlauf der Schwangerschaft. 

4. Rohde (ebenda 742): Grav. m. VI. Seit 2 Jahren leichte Beschwerden. 
Während der Grav. bedeutende Verschlimmerung. Im 6. Mon. Operation. Befund 
wie beim vorigen Fall (Diplokokken). Heilung. Keine Angaben über den weiteren 
Verlauf der Schwangerschaft. 

5. Schauta (Lehrb. d. ges. Gynäkol. 3. Aufl. Bd. I. S. 194. 1906): Schauta 
sah im Jahre 1891 einen sehr schweren Fall von Gallensteinkolik bei einer Schwan¬ 
geren im 5. Mon., in dem er die Indikation zur Cholecystektomie stellen mußte. 

6 . Thiriar (zit. nach Körte , Bericht über die chirurgische Behandlung der 
Erkrankungen der Gallenwege. Berl. klin. Wochenschr. 1895, Nr. 48, S. 793): 25jähr. 
grav. m. IV. Seit 3 Jahren Gallensteinkoliken, besonders heftig während der 
Gravidität. Zunehmende Schmerzen; drohendes Suicidium. Im 4. Mon. Chole¬ 
cystektomie (12—15 Steine in der Gallenblase). 3 Tage p. op. hysterischer Anfall, 
leichte Pleuritis. Heilung. (Keine Angaben über den weiteren Verlauf der 
Schwangerschaft.) 

Auch an der deutschen Frauenklinik in Prag ist eine Cholecystektomie 
während der Schwangerschaft ausgeführt worden. 

7. Barbara C., 46 Jahre, Taglöhnersfrau. Seit 5 Jahren 3—4 Gallenstein- 
anfälle. 7 Geburten. Letzte Menses September 1913. Aufgenommen 26. II. 1914. 
Seit 4 Wochen zunehmende Schmerzen in der Lebergegend, häufig Erbrechen, 
Atemnot. Arbeitsfähigkeit beträchtlich gestört; keine Schonungsmöglichkeit. 
Starke Druckempfindlichkeit und reflektorische Muskelspannung unterhalb des 
rechten Rippenbogens. 5. III. 1914 Operation in Lumbalanästhesie, ergänzt 
durch Äther. Schnitt parallel dem rechten Rippenbogen. Gallenblase geschrumpft, 
dickwandig, Steine enthaltend, Verwachsungen zwischen Gallenblase und Leber, 


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154 


H. H. Schmidt 


schwielige Verdickungen im Lig. hepato-duodenale. Cholecystektomie. Tiefe 
Gallenwege frei. Drainageetreifen in das Bett der Gallenblase. Entfernung des 
Streifens am 5. Tage. Glatte Heilung. 25. IIL geheilt entlassen. 2 Mon. p. op. 
hat Pat. um 10 kg zugenommen. — 14. VI. 7 Uhr a. m. Wehenbeginn. Eintritt 
in die gebh. Klinik am 15. VI., 9 Uhr a. m. Operationsnarbe fest. II. Kopflage. 
Herztöne nicht zu hören. Mm. erst für 2 Finger durchgängig. T. 38°, P. 106. 
Daher zur Beschleunigung der Geburt Metreuryse mit gleichmäßigem Zuge. 
7 Uhr 30 Min. p. m. Ausstoßung des Metreurynters; Schüttelfrost. Mm. fast 
verstrichen; Kopf über dem Beckeneingang beweglich. Kraniotomie. Kind 
maceriert, 2790 g (enthimt). WaR. neg. Wochenbett afebriL Am 7. Tage p. p. 
in der Gegend der Operationsnarbe zeitweise leichte Schmerzen. Am 9. Tage 
beschwerdefrei entlassen. Nachuntersuchung am 21. IV. 1923. Bei schwerem 
Heben geringe Schmerzen in der Operationsnarbe, sonst vollkommen arbeitsfähig 
und gesund. Die jetzt 55 jähr. rüstige Frau sieht gut aus. Narbe fest, nicht druck¬ 
empfindlich. 

Alle 7 Fälle von einfacher Cholecystektomie in der Schwangerschaft 
sind in Heilung ausgegangen, und von 4 Fällen, in denen über den 
weiteren Verlauf der Schwangerschaft berichtet wird, ist diese 3 mal 
ungestört geblieben. Also auch hier günstige Erfolge. 

3. Gaüensteinoperaiion ohne Angabe der Operationsmethode. 

1 . und 2 . Hirst (Americ. joum. of obstetr. a. gynecoL 16 , 972. 1917): 2 Fälle 
von Rezidiv einer alten Cholecystitis während der Schwangerschaft. In der letzten 
Zeit derselben Operation. Heilung. Schwangerschaft ungestört. 

3. Kraske (Münch, med. Wochensohr. 22, 907. 1901): Operation wegen eitriger 
Strumitis in der Schwangerschaft. Später macht ein Empyem der Gallenblase 
einen 2. Eingriff notwendig. Heilung. Keine Angaben über den weiteren Verlauf 
der Schwangerschaft. 

4 . bis ? Mayo (Joum. of the Americ. med. assoc. 56 , H. 14, S. 1023. '1911): 
In einer Reihe von Fällen wurde wegen rasch folgender Gallensteinanfälle, Cysticua- 
steinverschlusses, mit Infektion oder wegen Steinverschlusses des Choledochus 
in der Schwangerschaft operiert. In allen Fällen glatte Heilung. Keinmal Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft. 

4. Incision und Drainage bei pericholecystischer Eiterung . 

L Faure-Siredey (Bull, et mäm. de la soc. ifi6d. des höp. de Paris 1896, rit. 
nach Laurentie ): 24 jähr. IV. grav. Vor einem Jahre Typhus. Im 3. Mon. der 
Schwangerschaft Peritonitis, vorwiegend rechts. T. 38°. P. 120, starke Schmelzen, 
Erbrechen, Meteorismus, Stuhl- und Windverhaltung. Diagnose: Appendicitia 
Laparotomie; Appendix frei; unter der Leber reichlich Eiter und Galle, Ver¬ 
wachsungen um die Gallenblase. Drainage. Keine Operation an der Gallenblase. 
Heilung. Schwangerschaft ungestört. 

2. Körte (Arch. f. klin. Chirurg. 89, 2. 1909): 21 jähr. grav. m. IIL Plötzliche 
Erkrankung, 12 Tage danach Operation; Schrägschnitt; jauchiger Absceß zwischen 
Leber und Magen, Eiter in der Gallenblase (keine Steine); Cholecystektomie. 
Heilung. Schwangerschaft ungestört. 

3. Neu (Arch. f. Gynäkol. 86, 416. 1906). 

5. Cholecystektomie (Cholecystostomie) und Chcledochotomie mit Hepaticusdrainage. 

1 . Amsperger (Beitr. z. klin. Chirurg. 48, 753. 1906, identisch mit Fall 18 
von Plöger): 26 Jahre. Seit 3 Jahren Gallensteinkoliken. Seit 3 Wochen leiohter 


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Cholelithiasis und Gravidität 


155 


Ikterus. Gr&v. m. IV. Pararectalschnitt; Adhäsionen, Gallenblase, geschrumpft, 
mit Schleim gefüllt, Choledochusstein. Choledochotomie, Extraktion des Steines, 
Drainage der Gallenblase. 3 Mon. p. op. „Partus ohne Störung“. (Entweder 
handelt es sich um Partus praematurus oder bei Grav. m. IV. um einen Druck¬ 
fehler.) 

2 . Amsperger (ebenda S. 760): 32jähr. grav. m. V. Vor einem halben Jahre 
erste Kolik, vor 4 Wochen neuerlicher Anfall mit starkem Ikterus. Stuhl acholisch. 
Empyem der Gallenblase, Choledochusstein. Pararectalschnitt + Querschnitt 
nach innen; Choledochotomie, Hepaticusdrainage, Cholecystostomie. Schwanger¬ 
schaft ungestört. 

3 . Eichmeyer (Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. IST, 244. 1020): 32jähr. IX. grav. 
m. IV. Seit 6 Jahren Koliken, seit 2 Jahren häufiger, in den letzten Wochen täglich. 
Konservative Behandlung zunächst erfolgreich, nach 14 Tagen neuerliche sehr 
heftige Anfälle, von jetzt ab mit Schüttelfrost, Fieber und Ikterus. Im 6. Schwanger¬ 
schaftsmonate bei sehr schlechtem Allgemeinbefinden (T. 38,6°, P. 120, hoch¬ 
gradiger Ikterus, verfallenes Aussehen) unter der Diagnose „Choledochusstein¬ 
verschluß, Cholangitis“ Operation. Wellenschnitt. Nußgroßer Absceß zwischen 
Gallenblasenwand und Netz mit Eiter und 10 kleinen Steinen; Perforation der 
Gallenblase. Diese ist so brüchig, daß sie nur stückweise entfernt werden kann. 
In ihr dickflüssiger Eiter und etwa 100 Bilirubinkalksteine. Einmündungsstelle 
des Cysticus oblitiert, Choledochus und Hepaticus stark dilatiert, mit Steinen 
angefüllt. Pankreaskopf derb, vergrößert. Choledochotomie, Entfernung von 
trüber Galle und 20 Steinen. Hepaticusdrainage mit T-Schlauch. „Gegenüber 
den durch die komplizierten Verhältnisse des rechten Oberbauches bedingten 
Schwierigkeiten war die Erschwerung der Operation durch den im 6. Mon. graviden 
Uterus nur unerheblich.“ Am 13. Tage Entfernung der Tamponade und des 
Schlauches. Gallenfluß sistiert nach 2 1 /* Wochen. Vollständige Vernarbung 
9 Wochen p. op. — Gravidität ungestört, Narbe vollständig fest. Zur richtigen 
Zeit spontane Geburt. (Hätte man in diesem Falle gleich beim ersten Krankenhaus¬ 
aufenthalte operiert, so hätte, da Erscheinungen von seiten der tieferen Gallen¬ 
wege fehlten, wahrscheinlich eine einfache Cholecystektomie genügt, und der Frau 
wäre die Gefahr des größeren, schwereren Eingriffes und das länger währende 
Krankenlager erspart worden.) 

4. Frank-H. H. Schmid (Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. £3,235. 1911): 
28jähr. VI. grav. Seit 6 Jahren krank. Im 7. Mon. Anfall mit peritonitischen 
Reizerscheinungen. Am 3. Tage Operation: Pararectalschnitt, Cholecystektomie, 
Hepaticusdrainage, außerdem Appendektomie und Operation einer Cruralhernie. 
Heilung, Schwangerschaft ungestört. Während der Austreibungsperiode sehr 
starke Schmerzen in der Narbe nach Cholecystektomie. Nach 1 Jahr daselbst 
kleinfaustgroßer Bauchwandbruch. 

5. Körte (1. c. S. 303, Fall 106. 1902): 31 jähr. VIII. grav. m. III. Seit 2 Jahren 
Anfälle, seit 4 Wochen leichter Ikterus. Schräger Längsschnitt; Cholecystektomie, 
Choledochotomie, Entfernung von Steinen aus dem Choledochus und der Papille. 
Choledochusdrainage. Heilung. Wehen nach 1 Woche, lassen nach Kodein nach. 
Geburt am normalen Termin. Nach 3 Jahren gesund. 

6. Körte (Fall 108. 1902): 37>ähr. VIIL grav. m. V. Seit 5 Jahren krank, 
seit 2 Mon. Schmerzen, Fieber, Erbrechen, starker Ikterus. Rectusschrägschnitt; 
Gallenblase klein, sehr stark verwachsen; Cholecystektomie, Choledochusdrainage, 
Heilung. Schwangerschaft ungestört. 

7. Le Roy des Barres (Soc. m&l. Chirurg, de l’Indochine, zit. nach Laurentie): 
34 jähr. grav. m. VL Seit dem 12. Jahre 3—4 mal jährlich Anfälle mit Ikterus. 
Jetzt schwere Erkrankung nach einem Fall; P. 160. Meteorismus, Palpation un- 


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156 


H. H. Schmid: 


möglich. Annahme einer Darmraptur. Laparotomie. Gallenblase faustgroß, 
Gallenwege erweitert; Cholecystektomie, Hepaticusdrainage. Heilung. Am 6. Tag 
Abortus. Macerierter Foetus. 

8. Mack (S. 562, Fall 62. 1903): 32jähr. grav. m. V. Cholecystostomie, 
Entfernung mehrerer nußgroßer Steine aus der Blase, eines größeren aus dem 
Choledochus. Gallenblasen- und Hepaticusdrainage. Schwangerschaft ungestört. 
Elleine Gallenfistel. 

9 . Mack (S. 571, Fall 110. 1905): 29j&hr. grav. m. IL Cysticus u. Chole¬ 
dochus fingerdick, in letzterem 10 erbsengroße Steine, etwa 50 in der Gallenblase. 
Gallenblasen- und Hepaticusdrainage. Heilung. Schwangerschaft ungestört. 

10. Plöger (Beitr. z. klin. Chirurg. € 9 , 280. 1910, Fall 8): 38 Jahre. Vor 
5 Jahren im 5. Wochenbett starke Schmerzen, Fieber, Ikterus durch 1 / 1 Jahr. 
Neuerlicher Anfall vor einem Jahre, 4 Wochen nach der letzten Geburt. Seitdem 
Ikterus. Grav. m. II. Eigroßer Gallenblasentumor. Anfälle alle 14 Tage. Chole- 
dochotomie, Cholecystostomie. Über den weiteren Verlauf der Schwangerschaft 
keine Angaben. 

6. Transduodenale Choledochotomie. 

1. Rissmann (Zentralbl. f. GynäkoL 1909, Nr. 20, S. 689): 31 jähr. II. grav. m. VI. 
Seit einem Jahre Gelbsucht, viel länger schon Kolikanfälle. Interne Behandlung 
erfolglos. Bogenschnitt unter dem rechten Rippenbogen. Stein im duodenalen 
Anteile des Choledochus. Transduodenale Entfernung des Steines, Naht des 
Duodenums. Der Hochstand des Uterus erschwerte die Operation beträchtlich. 
Vollständiger Verschluß des Abdomens. Glatte Heilung, Schwangerschaft ungestört . 

Für die Gruppe 4—6 ergibt sich auf zusammen 14 Fälle kein mütter¬ 
licher Todesfall, dagegen kommen auf 13 verwertbare Fälle 1 kindlicher 
Todesfall; wenn man bedenkt, daß es sich hier um größere Eingriffe an 
den tiefen Gallenwegen handelt, und daß die Erfolge für Mütter und 
Kinder nicht schlechter sind als bei den einfachen Gallenblasenopera¬ 
tionen, so ergibt sich daraus, daß man auch diese größeren Eingriffe 
während der Schwangerschaft ohne allzu große Bedenken unternehmen 
kann. Der eine Abortus ist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auf 
die Operation zurückzuführen, sondern eher auf die schwere mütterliche 
Erkrankung, infolge deren wohl der Foetus intrauterin abgestorben ist. 

Ganz anders gestaltet sich aber das Bild bei der nun folgenden letzten 
Gruppe von Operationen in der Schwangerschaft, bei den gründlich 
verschleppten Fällen. 

7. Operation bei bestehender Peritonitis bzw . Sepsis und Cholämie . 

/. Breischneider (Zentralbl. f. Gynäkol. 1919, Nr. 22, S. 438): 29 jähr. II. grav. 
m. VII. Plötzliche Erkrankung unter heftigsten Leibschmerzen nach schwerem 
Heben (krampfartige Schmerzen im Leibe im Anfänge der Grav. waren für 
Schwangerschaftsbeschwerden gehalten worden). T. 38,5, P. 120. Verfallenes 
Aussehen. Erst nach 2 Tagen Klinikaufnahme mit allen Zeichen der Peritonitis. 
Herztöne nicht zu hören. Operation am folgenden Tage (vorher von der Pat. 
verweigert): Pararectalschnitt rechts; gallige Flüssigkeit in der Bauchhöhle; 
Perforation der Gallenblase. Puls nicht fühlbar, daher nur Drainage der Gallen¬ 
blase und der Bauchhöhle. 12 Stunden p. op. Wehen, 3 Stunden später spontaner 
Abgang der Frucht. Am 3. Tage p. op. | an allgemeiner Erschöpfung"und Herz¬ 
schwäche. 


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Cholelithia8is und Gravidität. 


157 


2. Graham (Fall 1): 30 j ähr. IV. grav. m. VI. Erkrankung nach Schlag gegen 
den Leib. Nach 3 Tagen peritonitische Erscheinungen, T. 39,4, P. 160, Atm. 40. 
Diagnose: Uterusruptur. Operation: In der Bauchhöhle gallige Flüssigkeit und 
3 Gallensteine, 1 Stein noch in der Gallenblase, 2 Steine im Cysticus eingekeilt; Ent¬ 
fernung der Steine, Drainage. Unmittelbar p. op. f* 

3. Peierson (Surg. gynecol. a. obstetr. 11 , 1. 1910): 28 jähr. VII. grav. m. VIII. 
(6 Ab.) Im 6. Mon. plötzliche Erkrankung mit Schmerzen, Ikterus, Erbrechen, 
Nasenbluten. Zunehmende Verschlechterung; Morphium gegen die Schmerzen 
erfolglos! Schüttelfröste. Nach 5wöchentlicher schwerer Krankheit bei ver¬ 
zögerter Blutgerinnung Cholecystostomie. Schwierige Blutstillung. Expression 
von Steinen aus dem Choledochus. Einen Tag p. op. an Verblutung t* Obduktion: 
Nephritis acuta suppurativa, Pankreatitis. 2 Steine im Ductus hepaticus. Foetus 
37,5 cm lang, nicht ikterisch. 

4 . Roith (Monatsschr. f. Geburtsh. u. GynäkoL 29, 501. 1909): 35 jähr. grav. 
m. VIII. Seit einem Jahre häufig Erbrechen, Durchfall, Koliken im rechten Hypo- 
ehondrium. Seit 14 Tagen Zunahme der Beschwerden; seit 1 Woche Ikterus, 
ständiges Erbrechen. T. 39, P. 100—180; Schüttelfröste. Einen Tag nach Auf¬ 
nahme wegen Zunahme der peritonitischen Erscheinungen mediane Laparotomie; 
gallig-fibrinöses Exsudat; Uterus behindet die Freilegung des Operationsfeldes; 
Cholecystektomie, Choledochus kleinfingerdick, Galle eitrig, nach B. coli stinkend; 
Hepaticusdrainage. 14 Stunden p. op. spontane Geburt eines 39 cm langen Kindes. 
Nach 3 Tagen Entleerung von 1 / i 1 Eiter aus der Bauchhöhle. Obduktion: 
Peritonitis, ausgedehnte jauchige Cholangitis, multiple Leberabscesse. 

5 . Plöger (Fall 16): 35 jähr. grav. (Keine Angabe über Monat.) Vor einem 
Jahre heftige Schmerzanfälle. Seitdem leichtere Schmerzen, seit einigen Tagen 
Zunahme derselben, Erbrechen, Ikterus. Diagnose: Eitrige Cholangitis, Sepsis, 
Cholecystektomie, Drainage des Hepaticus und des Peritoneums, f. Obduktion: 
Ausgedehnte jauchige Cholangitis, multiple Leberabscesse. 

Die fürchterliche Mortalität von 100% für die Mütter und für die 
Kinder braucht keine weitere Erläuterung. Es ist klar, daß es sich hier 
um die Mortalität der schweren, verschleppten Erkrankung handelt, 
nicht aber um postoperative Mortalität! Ganz besonders bemerkenswert 
erscheint der Fall von Bretschneidsr , in welchem der zuerst behandelnde 
Arzt bedrohliche Erscheinungen (Puls 120, verfallenes Aussehen usw.) 
feststellt, daraus aber nicht die richtige Folgerung, die Diagnose ,,Peri¬ 
tonitis“ zieht. 

//. 

Besonderes Interesse beanspruchen jene seltenen Fälle, in denen 
Geburt und GaUensteinoperation zeitlich nahe zusammenfallen. 

1. Josephson (Geb. gyn. Ges. Stockholm 1912, zit. nach Laurentie): Multipara. 
Cholecystitis. Einige Stunden p. p. Cholecystektomie. Operation erleichtert 
durch Dehnung der Bauchwand und Beweglichkeit der Lel>er; der Eingriff spielt 
sich beinahe außerhalb der Bauchhöhle ab. Heilung. 

2. Hans Lorenz (Wien. klin. Wochenschr. 1923, Nr. 16, S. 293): 28jähr. hoch¬ 
schwangere Frau in unbeschreiblich desolatem Zustande. Sectio caesarea vaginalis 
vor der Laparatomie; eitrige Chole- und Pericholecystitis, Stein Verschluß an der 
Papille, eitrige Cholangitis. Transduodenale Choledochotomie. Heilung. 

3. Potocki (Soc. d’obstötr. de Paris 1902): 33jähr. II. grav. m. 8 1 /*« Plötzliche 
Erkrankung. Diagnose: Cholecystitis? Appendicitis? Spontane Frühgeburt. 


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158 


H. H. Schmid: 


Nach einigen Stunden T. 38,8°, P. 140, Schüttelfrost. Choleoystostomie, Eiter 
und Steine in der Gallenblase. 8 Mon. später wegen Gallenfistel Cholecystektomie 
(Alexandre, Bull, et m£m. de la soc. anat. de Paris TC, 292. 1901). 

4. Rose (Zentralbl. f. Gynäkol. 1903, Nr. 23, S. 703): Gallenblasenempyem und 
Pericystitis mit Durchbruch von Steinen im Anschluß an eine Geburt. Trotz 
Operation am 2. Tage mit Drainage entwickelte sich Sepsis, die nach 3 Tagen zum 
Tode führte. 

Die Zabl der Fälle ist natürlich zu gering, als daß man daraus bin¬ 
dende Schlüsse ziehen könnte. Es geht nur daraus hervor, einerseits 
wie gefährlich es ist, bei Peritonitis spät zu operieren, eine sattsam be¬ 
kannte Tatsache, und andererseits, daß man sich nicht scheuen braucht, 
Gallensteinoperationen wenige Stunden post partum auszuführen. 

III. 

Zu den Operationen im Wochenbett sind jene gerechnet, die innerhalb 
der ersten 6 Wochen nach der Entbindung vorgenommen worden sind. 

1. Cholecystostomie. 

1. Doleris (Soc. d’obstötr. de Paris 1902): 22jähr. II. p. 7 Tage p. p. Chole- 
cystostomie, eitrige Galle (Typhusbac.). Heilung. 

2. Graham (Fall 4): VIII. p. Operation 4 Wochen p. p. Gleichzeitig Nephritis. 
Heilung. 

3. Graham (Fall 5): III. p. 2 Wochen p. p. Fieber, Ikterus; früher wiederholt 
* Gallensteinanfälle, Cholecystostomie. Nach 3 Mon. Entfernung von Steinen aus 
dem Choledochus. Nach weiteren 2 Jahren neuerliche Operation, 2 Tage nachher 
f an Nachblutung. 

4. Graham (Fall 6): 39jähr. V. p. Erster Anfall 10 Tage p. p., 2 Tage später 
Ikterus und Fieber. Cholecystostomie. Heilung. 

5. Green (Boston med. a. surg. joum. 1913): Multipara, 2 Tage nach Abortus 
m. III. Entzündlicher Gallensteinanfall, nach 9 Tagen Wiederholung. 1 Mon. 
p. Ab. Cholecystostomie (Staphylokokken, kein Stein). Heilung. 

6. Green: Multipara, Negerin, Ab. m. IV., Fieber. Nach einigen Tagen Chole¬ 
cystostomie (Stein, B. coli). Heilung. 

7. Pinard (Soc. d’obstitr. de Paris 1902): 25jähr. III. p. enges Becken. Nach 
hohem Forceps intrauterine Spülung, gefolgt von Gallensteinanfall; nach einigen 
Tagen Wiederholung der Spülung und des Anfalles; T. bis 40,4°. 11 Tage p. p. 
Cholecystostomie. Gallenblase riesig groß, mit Eiter gefüllt. Am 10. Tage p. op. 
Abgang eines Steines, 6 Wochen später vollständig geheilt. Stillt selbst. 

8 . Kontier (ebenda): 32jähr. Frau, früher häufig Gallensteinanfälle. Nach 
Spontangeburt Puerperalfieber, doppelseitige Thrombophlebitis, dann Erschei¬ 
nungen von Cholecystitis. Cholecystostomie, Heilung. Bei späterer Schwanger¬ 
schaft Abortus und 2 Gallensteinanfälle. 

9. Straßmann (Zentralbl. f. Gynäkol. 1902, Nr. 7, S. 183): 42jähr. VIII. p. 
Ovarialtumor und vergrößerte Gallenblase fühlbar. Entfernung des teilweise 
vereiterten Kystoms, Cholecystostomie (1 Stein). Heilung. 

10. u. 11. Vineberg (Med. rec. ff, 632. 1905): 20jähr. I. p. and 31 jähr. V. p. 
am 10. bzw. 9. Wochenbettage erkrankt. Cholecystostomie. Heilung. 

2. Cholecystektomie. 

1. Braquehaye (Soc. de Chirurg, de Paris 1901): 41 jähr. Wöchnerin. Beginn 
der Erkrankung in der Schwangerschaft. Schwierige Cholecystektomie (Stein 
und tuberkulöser Eiter). Heilung. 


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Göugle 


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Cholelithiasis und Gravidität 


159 


2. Ddore (Cotte, Thdee de Lyon 1906, zit. nach Laurentie): 34j&hr. Multi¬ 
para. Cholecystektomie (8 Steine und 1 / t 1 eitrige Flüssigkeit in der Gallenblase). 
Heilung. 

3 . Dobrucki (Przeglad chir. i gyn. 1911): 28j&hr. Frau, im Woehenbett er¬ 
krankt, Cholecystektomie mit Naht der verletzten Arteria hepatica. 

4. Milhiet (Thtee de Paris, zit. nach Laurentie): IV. p. Diagnose: Appendicitis. 
2 Wochen p. p. Cholecystektomie. Nach 2 Tagen f infolge von Blutung aus einem 
Aste der Arteria cystica. 

5. Pollosson (Cotte, zit. nach Laurentie): 23jähr. Frau, Abortus, über faust¬ 
großer Gallenblasentumor, ärztlicherseits für Ovarialcyste gehalten. Cholecyst¬ 
ektomie (Hydrops, Cysticusstein). Heilung. 

6. Sitzenfrey (Prager med. Wochenschr. 1907, Nr. 29, 8. 377): 30jähr. V. p., im 

7. Mon. der letzten Schwangerschaft erkrankt. Spontangeburt, Schmerzanfälle 
in kleinkindskopfgroßer Geschwulst, 3 Wochen p. p. Wahrscheinlichkeits- 
diagnoee Ovarialcyste. 5 Wochen p. p. Cholecystektomie (Empyem, Cysticusstein). 
Heilung. 

3. Gallensteinoperationen ohne Angabe der Operationsmethode. 

1. Lepage (Soc. d’obstätr. de Paris 1902): Totes Kind, Kraniotomie; Zeichen 
puerperaler Infektion. Operation wegen eitriger Cholecystitis. Heilung. 

2. bis 8 . Rohde (Arch. f. klin. Chirurg. 11t, 742. 1919): 7 Operationen im 
Wochenbett wegen schwerer akuter Exacerbation einer chronischen Cholecystitis. 

4. Incision und Drainage bei pericholecystischer Eiterung ohne Eingriff an der 

Gallenblase . 

1 . Dayot (Thebaut , Thöse de Paris 1911, zit. nach Laurentie): 33jähr. IV. p. 
Im 6. Mon. der 3. Schwangerschaft schwerer Anfall, normale Geburt. 4. Schwanger¬ 
schaft sehr beschwerdenreich. Verschlimmerung p. p. Diagnose: Pyelonephritis? 
Intraperitoneale Erkrankung? Operation: Intraperitonealer Absceß, in der Mitte 
des Eiters 2 große Steine. Drainage. Heilung. 

2. Durand (Buffe, Thtee de Paris 1905, zit. nach Laurentie): 20jähr. Wöch¬ 
nerin. 10 Tage p. p. Fieber unfl entzündliche Erscheinungen im rechten Hypo- 
chondrium. Operation: Entleerung von Eiter. Heilung. Später langes Kranken¬ 
lager, Absceßentleerung in der alten Narbe; schließlich Cholecystektomie. 

3 . Fuchs (Bricka, Thöse de Paris 1897, zit. nach Laurentie ): Abgesackter 
peritonitischer Absceß, Drainage. Heilung. 

5. Operation bei Peritonitis bzw. Leberabsceß. 

1 . Härtig (Beitr. z. klin. Chirurg. 68 , 493. 1910): 42jähr. VII. p. 4 Tage p. p. 
heftige Magenkrämpfe; in den folgenden Tagen Verschlimmerung. Am 9. Tage 
bei sehr schlechtem Allgemeinbefinden (Puls kaum fühlbar, Peritonitis, starker 
Meteorismus) Operation: Medianschnitt, später Längsschnitt durch den rechten 
Muse, rectus. Gallige Flüssigkeit in der Bauchhöhle. Gallenblase perforiert, 
Steine in der Blase; Choleoystostomie, Drainage der Bauchhöhle auch links. Fistel 
nach 2 Mon. geschlossen. 3 Wochen nach der Entlassung Kollaps; 2 Tage später 
Operation: Pericholecystitischer Absceß, Drainage. Nach 3 Tagen f unter den 
Zeichen der Peritonitis. 

2. Lop (Gaz. des höp. civ. etmilit. 1910): 28jähr. V. p. 10 Tage p. p. erkrankt. 
Diagnose: Salpingitis? Appendicitis? 40Tage p. p. T. 40°, P. 120. Subphrenischer 
oder perihepatischer Absceß? Operation: Tiefstand der Leber (sie reicht bis zur 
Fossa iliaca. Cholecystostomie (3 1 Eiter, Steine); Leberabsceß, Incision desselben. 
Nach einigen Tagen großer Decubitus. Heilung. Lactation unterbrochen, dann 
mit Erfolg wieder aufgenommen. 


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160 


H. H. Schroid: 


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Übersicht über die wahrend der Oestation operierten Fälle von CholeUthiasis. 




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Cholecystostomie .... 

. ... 16 

15 

1 

6,3 

13 

2 

Cholecystektomie .... 

. . . . 7 

7 

— 

— 

3 

— 


55 

1 

4 


II 

MS 


13,3 


Gallensteinoperation (keine Angabe 
über die Operationsmethode) . 


4 1 ) 4 1 ) - — 3 1 ) — 1 - 


- — 3 — — — 


Einfache Operat. an d er Gallenblase 27 * ) 26 *) 1 3,5 19 1 ) 2 6 

Incision und Drainage bei perichole- 

cystit. E iterun g ....... 3 3 

Cholecystostomie (Cholecystekto¬ 
mie), Choledochotomie, Hepati- 

cusdrainage.10 10 

Transduodenale Choledochotomie . 1 1 


11.8 


8 11 — 

1 — — — 


Operat. an den tiefen Gallenwegen 11 11 — —_9 1 _1_ 


Operat. bei Peritonitis bzw. Sepsis 5 _ 5^ 

O perationen in der Schwang erschaft 46 1 )40 1 ) 6 
Cholecystostomie, Cholecystektomie 2 2 — 

Operation bei eitriger Cholangitis 11 — 

Operation bei Peritonitis.1 — 1 



5*) 


_10 

100 


20,5 


Operationen bei bzw. nach d. Geburt 4 3 1 

Cholecystostomie.11 11 — 

Cholecystektomie.6 5 1 

Ohne Angabe d. Operationsmethode 8 8 — 

Incision und Drainage bei perichole- 

cystit. Eiterung.3 3 — 

> I Operationen bei Peritonitis bzw. 

^ 1 Leberabceß.2 1 1 


Operationen im Wochenbett 


30 


Operationen bei bzw. nachT ubargravidität 3 
Schwangerschaft 27 


28^ 

3 


6,7 


Einfache Operationen 


1 


Geburt .... 2 

Wochenbett . . 25 
Tu bargravidität. 3 


26 
2 - 

24 1 

3 - 


*) Dazu kämen noch 
die Fälle von 
Mayo, deren Zahl 
nicht angegeben 
ist, und die sämt* 
lieh für Mütter und 
Kinder günstig ver¬ 
laufen sind. 

*) Einschließl. Fälle 
mit Tod der Mut¬ 
ter vor Ausstoßung 
des FoetU8. 


57 55 


3,5 


Op. bei pericholecyst [Schwangerschaft 14 14 

Eiterung, Op. an den { Geburt .... 1 1 

tiefen Gallenwegen l Wochenbett . . 3 3 


18 18 


.. u • u • f Schwangerschaft 
Operationen bei Pen- I Q e ^ )urt 

tonitis und Sepsis } Woehenbett ! 


5 — 

1 — 
2 1 


8 1 


Operationen während der Gestation . . 83 74 9 10,8 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


161 


Der einzige Todesfall nach Cholecystektomie von Milhiet ist auf 
einen operationstechnischen Fehler zurückzuführen, der wohl heut¬ 
zutage auch seltener geworden ist, als er im Jahre 1902 war. Daraus, 
daß die 5 Fälle mit intraperitonealer Eiterung oder mit Leberabsceß 
bis auf einen schließlich gut ausgegangen sind, ist natürlich nicht der 
Schluß zulässig, daß man ruhig recht lange mit der Operation warten 
solle; im Gegenteil, wenn man in diesen Fällen früher eingegriffen 
hätte, wäre wahrscheinlich den Frauen ein langes Krankenlager erspart 
geblieben, und auch der eine Spättodesfall von Härtig wäre dadurch 
möglicherweise vermieden worden. 

IV. 

Schließlich sind noch 3 Fälle zu erwähnen, bei denen es sich um 
QaUen&teinoperation gleichzeitig mit, vor oder nach Operation wegen 
Tubargravidität gehandelt hat, wohl ein zufälliges Zusammentreffen. 

1. Brothers (Americ. joum. of surg. 1909, S. 142): Gleichzeitig Entfernung 
der graviden Tube und von 25 Gallensteinen. 

2. Fergusson (Med. Ges. Chicago 1898, ref. Monatsschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 
9, 269. 1899): 30jähr. Frau. Lumbalschnitt zwecks Fixation einer Wanderniere; 
durch denselben Schnitt werden 114 Gallensteine entleert, durch Gegenöffnung 
vorn wird die Gallenblase fixiert und drainiert. Nach 6 Wochen Laparotomie 
wegen Tumors in der rechten Ovarialgegend: Entfernung einer rechtsseitigen 
Tubenschwangerschaft mit Foetus und Placenta; gleichzeitig Entfernung noch 
eines Gallensteines durch Incision neben der alten Wunde. Heilung. 

3. Roviier (Soc. d’obstetr. de Paris 1902): 29jähr. Frau. Operation wegen 
Tubarruptur. Gleichzeitig Erscheinungen von Cholecystitis. Bald nachher Fieber; 
Cholecystektomie. 

Aus der Betrachtung der hier zusammengestellten Gesamterfolge 
ergibt sich, daß die einzelnen Zahlen nicht wesentlich verschieden sind 
von denen der chirurgischen Statistiken, die sich auf alle Gallenstein¬ 
fälle, unabhängig von der Gestationszeit, beziehen. Ja, einzelne Zahlen 
sind sogar noch für unsere Fälle günstiger, offenbar weil Kranke in 
den höheren Altersklassen fehlen; einschränkend muß dabei allerdings 
bemerkt werden, daß es überhaupt mißlich ist, aus absolut so kleinen 
Zahlen wie den unserigen in Prozenten ausgedrückte Schlüsse ziehen 
zu wollen. Nur um des Vergleichs willen soll es doch mit dieser Ein¬ 
schränkung geschehen. Wenn wir nur die neueste' Arbeit von RoMe 
heranziehen, so finden wir darin an dem Material der Frankfurter 
Chirurgischen Klinik eine Mortalität von § l h%, wenn die Gallengänge 
nicht beteiligt sind (für die Gestation 3,5%), dagegen 30% bei Mit¬ 
beteiligung der Gallenwege, aber ohne anderweitige Erkrankungen, 
wie Ileus, Ulcus ventriculi, Pankreatitis acuta (für die Gestation 26,9%, 
mitgerechnet die Fälle von Peritonitis und Sepsis). Die Zahlen anderer 
chirurgischer Statistiken unterscheiden sich von diesen nicht wesentlich, 
so daß es sich erübrigt, noch mehr solche Zahlen anzuführen. 

Archiv t. klln. Chirurgie. 126. 11 


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162 


H. H. Schmid: 


Ein Vergleich zwischen den operierten und den nichtoperierten 
Fällen von Cholelithiasis und ihren Komplikationen ist deshalb schwer 
zu ziehen, weil, ebenso wie außerhalb der Gestation, die übergroße 
Mehrzahl der leichten Fälle nicht operiert wird, die operierten also 
von vornherein schon ein gesiebtes Material von schweren Fällen dar¬ 
stellen. Die Zahl leichter Fälle ist natürlich auch nicht vollständig 
festzustellen, da ja ein bedeutender Teil von ihnen nicht publiziert 
wird. Berücksichtigt man aber nur die Fälle, deren Autoren oben 
(S. 147) kurz erwähnt sind, und deren Verlauf zum Teil leicht gewesen 
ist, so kommen auf 24 in der Schwangerschaft konservativ behandelte 
Fälle 2 Todesfälle = 8,3%; dabei 9 mal = 37,5% Unterbrechung der 
Schwangerschaft. Ferner kommen auf 5 während der Geburt kon¬ 
servativ behandelte Fälle 4 Todesfälle = 80%, dagegen auf 31 Fälle 
im Wochenbett kein Todesfall. Es entfallen also auf zusammen 60 
während der Gestation konservativ behandelte Fälle 6 Todesfälle; dies 
entspricht einer Mortalität von 10%. Vergleicht man dabei die Ge¬ 
samtmortalität der operierten Fälle mit 10,8%, so ist diese Zahl als 
sehr günstig zu bezeichnen, da ja, wie gesagt, hauptsächlich schwere 
und schwerste Fälle dabei in Betracht kommen. 

Beide Gruppen von Fällen, die nichtoperierten wie die operierten, 
werden in erster Linie belastet durch die verschleppten Fälle, insbesondere 
unter dem Einflüsse desQeburtsaktes. Wenn es gelänge, diese Fälle recht¬ 
zeitig zu erkennen und der chirurgischen Behandlung zuzuführen, ehe 
nicht wieder gutzumachende Schädigungen eingetreten sind, würde da¬ 
mit die Mortalität sofort beträchtlich sinken. Da man es aber dm 
einzelnen Falle nach dem heutigen Stande des Wissens nicht mit Sicher¬ 
heit anmerken kann, ob er abklingen oder einen schwereren Verlauf nehmen 
wird, da man vor allem die unberechenbaren Schädigungen der Patientin 
durch den Geburtsakt im einzelnen Falle in der Schwangerschaft nicht 
voraussehen kann, ist es am sichersten, auch die weniger schweren Falle, 
namentlich wenn sie mit entzündlichen Erscheinungen einhergehen, in 
der ersten Hälfte der Schwangerschaft zu operieren. 

Bekommt man aber den einzelnen Fall erst in einem fortgeschrit¬ 
tenen Zeitpunkte des Leidens zu sehen bzw. zu operieren, so ist es 
schwer, allgemeine Regeln aufzustellen. Namentlich gilt dies für die 
Fälle mit allgemeiner oder abgesackter Peritonitis, wenn sich der gravide 
Uterus an der Bildung der Absceßwand beteiligt; dies wird allerdings 
nur in den letzten Monaten der Schwangerschaft der Fall sein. Soll 
man in diesen Fällen gleichzeitig mit der Operation an der Gallenblase 
den Uterus entleeren, oder soll man dies vor- oder nachher tun, oder 
soll man den graviden Uterus vollständig in Ruhe lassen ? Erfahrungen 
darüber liegen für die Peritonitis e cholecystitide nicht in genügender 
Zahl vor; die Fälle von Bretschneider mit Schwangerschaft im 7. und 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


163 


von Roith mit Schwangerschaft im 8. Monate scheinen zu zeigen, daß 
die der Operation folgende spontane Frühgehurt einen ungünstigen 
Einfluß gehabt hat; es ist aber auch denkbar, daß schon von vorn¬ 
herein eine zu schwere Allgemeinerkrankung vorhanden gewesen ist, 
als daß auch die gleichzeitige Entleerung des Uterus den ungünstigen 
Ausgang hätte aufhalten können. Die übrigen Fälle hei weniger weit 
fortgeschrittener Schwangerschaft sind zur Beantwortung dieser Frage 
nicht gut zu verwerten. Wohl aber kann man die Erfahrungen bei 
der häufigeren Peritonitis ex appendicitide bzw. beim appendieitischen 
Absceß heranziehen; für diese gilt folgendes: Man soll zuerst die Lapa¬ 
rotomie ausführen, um dem Eiter Abfluß zu schaffen, ehe durch Ver- 
kleiberung des Uterus etwa vorhandene schützende Adhäsionen zer¬ 
rissen werden; dann soll man den Uterus entleeren [entweder durch 
vaginalen Kaiserschnitt, wie ich es noch in meiner Arbeit über Appen- 
dicitis und Gravidität 1911 empfohlen habe, oder durch den cervicalen 
intraperitonealen Kaiserschnitt 1 )]; zum Schlüsse ist durch richtig an¬ 
gelegte Drainage dem restlichen Inhalte des Eiterherdes Gelegenheit 
zum Abfließen nach außen zu geben. Für einen größeren Eingriff 
(Porro sehe Operation, Uterusexstirpation) dürfte die Mehrzahl der 
Patientinnen zu schwach sein. Die Eröffnung des Eiterherdes allein 
ohne Entleerung des seine Wand begrenzenden Uterus erscheint mir 
gefährlicher als der vorhin beschriebene Eingriff, weil mit größter 
Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß es nach der Operation unter 
dem Einflüsse der meist bald einsetzenden Wehentätigkeit zur unberechen¬ 
baren Zerreißung schützender Adhäsionen kommt; die eben beschworene 
Gefahr der Verallgemeinerung des Entzündungsprozesses auf die bisher 
noch freien Teile der Bauchhöhle droht damit neuerdings. Ebenso 
droht diese Gefahr der Verallgemeinerung, wenn man vor der Eröffnung 
des intraperitonealen Eiterherdes die Geburt per vias naturales be- 

1 ) Als Hauptgefahr des klassischen Kaiserschnittes hat bekanntlich die In¬ 
fektion der Bauchhöhle von der etwa infizierten Placentarstelle aus gegolten. 
Für die Fälle von Peritonitis intra partum hat das gleiche, nur in umgekehrter 
Richtung, Geltung gehabt: Gefahr der Infektion des Uteruskörpers vom Peri¬ 
toneum aus, wenn eine unmittelbare Verbindung zwischen Bauchhöhle und Gebär¬ 
mutterkörper hergestellt wird, wie beim klassischen Kaiserschnitt. Beim cervi¬ 
calen Kaiserschnitt wird diese Gefahr der Infektion in beiden Richtungen auf ein 
Mindestmaß herabgesetzt; deswegen wird dieser ja gerade aus unserer Klinik nicht 
nur bei Fieber, sondern geradezu vxgen Fiebers unter der Geburt empfohlen 
(H. H. ScJimid, Med. Klinik 1920, Nr. 12, S. 311.; Körting, Zentralbl. f. Gynäkol. 1921, 
Nr. 20, S. 697); ebenso kann er wohl auch in solchen Fällen von Peritonitis intra 
partum angewendet werden; allerdings müßte dabei auch für die Gallenblasen¬ 
operation ein Medianschnitt gewählt werden, der nach unten zu verlängert werden 
müßte. Hat man aber einen Schnitt nahe dem Rippenbogen dafür angelegt, 
so ist für solche Fälle doch der vaginale Kaiserschnitt vorzuziehen, der übrigens 
dafür schon 1909 von Roith empfohlen worden ist. 

11 * 


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164 


H. H. Schmid: 


werkstelligt. Das oben genannte, von Kroenig, Pankow, Fromme, 
Findley und mir empfohlene Verfahren hat sich gerade für Fälle von 
Peritonitis bzw. Absceß appendikulären Ursprungs in mehreren Fällen 
bewährt. Wie ich an großem Material nachgewiesen habe, ist die Pro¬ 
gnose dieser entzündlichen Prozesse mit Eiterbildung neben dem Uterus 
entschieden günstiger, wenn man den Uterus zugleich entleeren kann; 
Fälle wie z. B. der zweite von Bretschneider mit Appendicitis in gravi- 
ditate (mit entzündlichem Tumor, aber ohne Absceßbildung), der den 
Verfasser durch seinen guten Ausgang zum konservativen Vorgehen 
in bezug auf die Gravidität bei allen Fällen von Appendicitis während 
derselben ermuntert, oder der von Neu mit Peritonitis e cholecystitide 
(siehe oben S. 135) gehören entschieden zu den Seltenheiten. Aber, wie 
gesagt, dieses Verfahren wird bei intraperitonealer Eiterung infolge von 
Cholecystitis nur selten in Betracht kommen, nur in der allerletzten 
Zeit der Schwangerschaft; in den früheren Monaten sind ja Eiterherd 
und Genitale noch weit genug voneinander entfernt, im Gegensätze zur 
Appendicitis in graviditate. 

Wenn während der Schwangerschaft oder des Wochenbettes operativ 
eingegriffen wird, so erscheint es heutzutage nicht mehr gerechtfertigt, 
wie es laut früheren Mitteilungen in vielen Fällen der Literatur, nament¬ 
lich der französischen, geschehen ist, die Cholecystostomie als Operation 
der Wahl zu betrachten. Ihre Nachteile sind hinlänglich bekannt, neuer¬ 
dings werden sie an der Hand von entsprechenden Fällen anschaulich 
von Rohde geschildert; als solche Nachteile nennt er: Rezidivienmg des 
Prozesses, Schleimfisteln, Übergang der Erkrankung auf die tiefen 
Gallengänge mit allen ihren Folgen (Cholangitis, Cholämie) und schlie߬ 
lich eine bedeutende Erschwerung der nachträglich notwendig wer¬ 
denden Sekundäroperation durch mächtige, schwartige Adhäsionen, 
feste und breite Verwachsungen mit der vorderen Bauchwand. 

Auch die Cholecystostomie in der Gestationsperiode hat nicht immer 
zur Heilung bzw. zur Beschwerdefreiheit geführt; so sind neue Eingriffe 
(Cholecystektomie) erforderlich geworden in den Fällen von Finkeistone , 
Moulden, Potocki und Graham (Fall 5; die letztgenannte Patientin ist 
nach der 2 Jahre p. p. ausgeführten Sekundäroperation an Nachblutung 
zugrunde gegangen). Über neue Beschwerden bei ihren cholecysto- 
stomierten Fällen berichten ViUard-Güibert und Routier. Dagegen ist 
nach Cholecystektomie nur in einem einzigen Falle ( Frank-Schmid ) 
die Rede von einer postoperativen Störung, nämlich von einer Bauch- 
wandhemie. Von den übrigen Fällen ist nichts Nachteiliges bekannt 
geworden; allerdings ist zu bemerken, daß in beiden Gruppen nur für 
einen geringen Teil der Fälle Nachuntersuchungen vorliegen. 

Ebenso wie die Cholecystostomie auch sonst ganz wesentlich in den 
Hintergrund getreten, von manchen Operateuren (Kehr, Körte, Rehn■ 


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Cholelithiasis und Gravidität 


165 


Rohde u. a.) so gut wie vollständig aufgegeben ist und nur in Ausnahms¬ 
fällen noch ausgeführt wird, so ist nach dem Gesagten auch während 
der Schwangerschaft und des Wochenbettes die Cholecystektomie als 
Operation der Wahl anzusehen und nur im Notfälle, bei zu schlechtem 
Allgemeinzustande oder in der letzten Zeit der Schwangerschaft, die 
technisch einfachere Cholecystostomie auszuführen, wenn das Eingehen 
in die Tiefe zu schwierig und gefährlich erscheinen sollte. 

Die modernen Bestrebungen, die Drainage möglichst einzuschränken, 
verdienen für die Operation während der Gravidität vollste Beachtung, 
weil durch den vollständigen, primären Bauchdeckenverschluß bessere 
Verhältnisse für die restliche Zeit der Gravidität und für die Geburt 
geschaffen werden. Selbstverständlich -wird man auf die Drainage nur 
verzichten dürfen, wenn dadurch für die Patientin keine größere Gefahr 
bedingt ist. Will man zur Sicherheit doch einen Streifen oder ein Ab¬ 
flußrohr einlegen, so ist auch während der Gravidität das Hinausleiten 
durch eine eigene Lücke .in der Bauch wand anzuraten, während die 
Hauptwunde vollständig vernäht werden kann. Das Drainrohr soll, 
wenn möglich, den graviden Uterus nicht berühren, dann wird es nicht 
unter allen Umständen für den Fortbestand der Schwangerschaft ge¬ 
fährlich werden, ein Grund, aus dem Rissmann auf die Drainage ver¬ 
zichten zu müssen glaubt. Wenn der Krankheitsprozeß auf die tiefen 
Gallenwege übergegriffen hat, so ist selbstverständlich die Ckoledocho- 
tomie auszuführen. Ob man im Anschlüsse daran den Choledochus 
bzw. den Hepaticus nach außen drainiert (mit dem Kehr sehen T-Rohre 
oder einem gewöhnlichen doppelt durchlochten Gummidrain), ob man 
durch eine Cholecboduodenostomie, wie sie zuerst von Sasse ausgeführt 
und neuerdings wieder von v. Höherer 1 ), namentlich bei Kompressions¬ 
stenose des Choledochus durch das vergrößerte Pankreas, empfohlen 
worden ist, oder durch stumpfe Erweiterung der Papilla Vateri nach 
Walzel *) mit folgender Naht des Choledochus, oder ob man von vorn¬ 
herein durch die transduodenale Chöledochotomie, die Lorenz 3 ) so tem¬ 
peramentvoll befürwortet, einen ungestörten Abfluß der Galle in das 
Duodenum sicherzustellen sucht, hängt von den Verhältnissen des 
einzelnen Falles und von der Erfahrung und Vorliebe des Operateurs 
für die eine oder andere Methode ab. Die transduodenale Choledocho- 
tomie ist bisher während der Gestation nur 2 mal, von Lorenz und 
Rissmann, mit bestem Erfolge ausgeführt worden (siehe S. 156 u. 157). 

*) v. Höherer, Zur Frage der Choledochusdrainage nach dem Duodenum. Arch. 
f. klin. Chirurg. 1**, 796. 1923, 

*) Walzel, Neuere Gesichtspunkte zur Gallenblasenchirurgie. Wien. klin. 
Wochenschr. 1923, Nr. 7, 121. 

*) Hans Lorenz, Zur Chirurgie der Leber und des Gallensystems. Wien. med. 
Wochenschr. 1920, Nr. 47, S. 1919; Nr. 49, S. 2027; Nr. 50, S. 2080. 


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166 


H. H. Schmid: 


Über Verbindungen zwischen Gallenwegen und Magendarmkanal in 
der Gravidität liegen bisher keine Berichte vor. 

Für die Schnittführung bei Gallensteinoperationen in der Schwanger¬ 
schaft wird es sich mit Rücksicht auf die Verdrängung der Leber nach 
oben empfehlen, den Schnitt nahe an den Rippenbogen zu verlegen,, 
ebenso wie es für die Appendektomie in graviditate empfohlen wird, 
den Schnitt möglichst weit nach außen und oben zu verlegen. Dabei 
wird man am ehesten vermeiden können, mit dem graviden Uterus 
in nähere Berührung zu kommen. Der von manchen Operateuren für 
Gallenblasenoperationen bevorzugte Medianschnitt (evtl, mit hinzu¬ 
gefügtem Querschnitte) kommt bei vorgeschrittener Schwangerschaft 
nicht in Betracht, es sei denn, daß man den Kaiserschnitt anschließt. 
Der KeArsche Wellenschnitt wird wegen der verhältnismäßig häufigen 
Minderung der Bauchwandfestigkeit infolge Nervendurchtrennung auch 
sonst weniger ausgeführt als in früheren Jahren. Über den Schrägschnitt 
nach Kausch senkrecht zum Rippenbogen .scheinen Erfahrungen an 
Operationen während der Schwangerschaft nicht vorzuliegen. Am 
besten dürfte sich auch in der Gestation der schräge Querschnitt nach 
Sprengel 1 ) bewähren, der auch von Körte 2 ), Rohde, Roith u. a. warm 
empfohlen wird; nur müßte man ihn noch näher an den Rippenbogen 
verlegen. 

Hat sich eine Durchtrennung von Intercostalnerven bei der Schnitt- 
führung nicht vermeiden lassen, und tritt im weiteren Verlaufe der 
Gravidität eine Hernie bzw. eine Schwäche der Bauchwand im ent¬ 
sprechenden Abschnitte auf, so kommt unter Umständen eine ent¬ 
bindende Operation (Forceps, Extraktion nach Wendung) bei der Ge¬ 
burt in Betracht, damit das Mitpressen in der Austreibungsperiode 
vermieden werde. Übrigens muß nicht jede Narbe nach Gallenstein¬ 
operation, auch wenn sie drainiert worden war, durch den Fortgang 
der Schwangerschaft gefährdet werden. So heben Villard und Gttibert 
ausdrücklich hervor, daß die bei der Geburt 4 1 / 2 Monate alte Narbe, 
in der sich noch die Cholecystostomiefistel befand, durch die Aus¬ 
dehnung des graviden Uterus nicht beeinträchtigt wurde. Auch in 
dem Falle von BarriUon ist vermerkt, daß die Fistel und die Narbe 
durch die Entbindung keinen Schaden gelitten haben. 

Zusammenfassend sei noch einmal hervorgehoben, daß es bei der 
Gallensteinoperation in der Schwangerschaft hauptsächlich dann operative 
Schwierigkeiten geben wird, wenn man im letzten Drittel derselben ein- 
greifen muß. Wenn der erste Anfall erst in dieser Zeit auftritt und 

*) Sprengel, Bauchdeckennaht und Bauchschnitte. Arch. f. klin. Chirurg. 9t» 
536. 1910. 

*) Körte, Operationen an den Gallenwegen. Bier, Braun, KilmmeU, Chirurg. 
Operationslehre. 3. Aufl. Bd. 3. S. 568. 1920. 


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Cholelitbiasis und Gravidität. 


167 


"bedrohliche Erscheinungen von seiten des Peritoneums, der tiefen 
■Gallenwege oder des Allgemeinzustandes hinzukommen, so wird man 
•diese Schwierigkeiten für den Operateur als unvermeidlich in Kauf 
nehmen müssen. Handelt es sich aber um rezidivierende Anfälle, die 
sich schon im Beginne der Schwangerschaft geltend machen, so wird 
man, eben mit Rücksicht auf die genannten Schwierigkeiten bei der 
Operation gegen Ende der Gravidität, besser daran tun, schon bei 
frühzeitiger Schwangerschaft zu operieren, als zu warten, ob sich die 
Anfälle bei ihrem Fortschreiten wiederholen. 

Tritt ein Anfall unmittelbar post partum oder in den ersten Tagen 
des Wochenbettes auf, wiederholt er sich in den folgenden Tagen, oder 
treten von vornherein Komplikationen hinzu, so soll man auch in diesem 
Zustande keinen Gegengrund gegen die Operation sehen, namentlich 
dann nicht, wenn die Entbindung ohne zu große Erschöpfung der 
Patientin verlaufen ist. Aber auch einer durch die Geburt erschöpften 
Frau soll man nicht zu viele so schmerzhafte Anfälle zumuten, wie sie 
bei Cholelithiasis die Regel sind, von lebensbedrohlichen Komplikationen 
ganz abgesehen. 

Besonders muß davor gewarnt werden, in der Schwangerschaft das 
Oaüensteirdeiden zu verschleppen. Die sonst richtige Behandlung ent¬ 
zündlicher Erkrankungen durch Ruhe läßt sich im besten Falle nur 
bis zur Geburt durchführen; durch die Entbindung selbst wird diese Ruhe 
aber gestört, und es drohen der an chronischer Cholecystitis leidenden 
Frau die Gefahren des Platzens eines Empyems der Gallenblase, des 
Fortschreitens der Entzündung auf die tieferen Gallenwege usw. 

Wie schon mehrfach hervorgehoben ist, und wie aus sämtlichen 
■chirurgischen Statistiken über Gallensteinoperationen hervorgeht, ist 
die Mortalität nach solchen Eingriffen um so höher, je mehr das Leiden 
fortgeschritten ist. Dasselbe gilt natürlich auch für diese Operationen 
in der Gestationsperiode; bei Hinzutreten von Komplikationen wird 
die Prognose wesentlich verschlechtert, und gerade der Geburtsakt an 
sich kann diese gefürchteten Komplikationen veranlassen. Darum muß 
gerade in der Schwangerschaft eine Verschleppung des Leidens be¬ 
sonders aufmerksam vermieden werden. 

Ein weiterer Grund, der gegen eine solche Verschleppung spricht, 
ist hinlänglich bekannt, verdient aber auch in diesem Zusammenhänge 
hervorgehoben zu werden, das ist die Häufigkeit von „ Rezidiven “ nach 
der Operation verschleppter Fälle', früher, als beinahe nur solche Fälle 
zum Chirurgen kamen, wurde namentlich von internistischer Seite die 
Rezidivmöglichkeit als erschwerender Umstand gegen die Operation 
angeführt. Heutzutage weiß man, daß nach Operationen an freier, 
nicht verwachsener Gallenblase solche (echte und unechte) Rezidive 
kaum Vorkommen, sondern fast nur nach Operationen alter, ver- 


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168 


H. H. Schmidt 


nachlässigter Fälle, die schon bei der Operation ausgedehnte, peri- 
cholecystische Verwachsungen und Schwielenbildungen aufweisen. 

Behandlung der Schwangerschaft bei Cholelithiasis. 

Die übergroße Mehrzahl der Autoren verwirft mit Recht die künst¬ 
liche Unterbrechung der Schwangerschaft wegen gleichzeitig bestehender 
Gallensteinkrankheit. So schreibt Blau: „Es ist in schweren Fällen 
von Gallensteinleiden in der Schwangerschaft keineswegs die Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft indiziert, sondern die Gallenstein¬ 
operation, deren Prognose durch die Schwangerschaft nicht verschlech¬ 
tert zu werden scheint, und welche die Niederkunft am normalen Ende 
nicht ausschließt.“ Dagegen überlegt Audebert, ob nicht evtl, bei Ik¬ 
terus infolge von Gallenblasenentzündung die Schwangerschaft unter¬ 
brochen werden solle; der Einfluß von einfachen Fällen ohne Ikterus 
auf die Schwangerschaft wird von Audebert gleich Null angesehen. 
Bloß wegen der Gallensteinkoliken ist im 8. Monate die künstliche 
Frühgeburt eingeleitet worden von Gilles und Pujol (1910). Schon 
lange vorher hat Schauta 1 * ) dieses Vorgehen widerraten mit den Worten : 
„Bei hochgradigen Gallensteinkoliken ist die Cholecystektomie aus¬ 
zuführen und nicht die Schwangerschaft zu unterbrechen.“ Nach 
Winter *) kann die Unterbrechung der Schwangerschaft niemals in 
Frage kommen, weil sie das Grundleiden nicht beeinflussen kann, 
und vor allem, weil die medizinische und chirurgische Behandlung der 
Gallensteine und ihrer schweren Folgen in der Schwangerschaft dieselben 
günstigen Resultate aufweist wie ohne dieselbe. Ebensowenig würde es 
gerechtfertigt sein, bei einer Frau, welche in früheren Schwangerschaften 
an Cholelithiasis litt, aus Sorge vor einem Rezidiv die bestehende 
Gravidität zu unterbrechen. Auch Grube 3 * * ) und v. Jaschke*) lehnten 
die Schwangerschaftsunterbrechung wegen Gallensteinleidens ab. 

Mit Rücksicht auf die alte Erfahrung, daß die Schwangerschaft die 
Entstehung von Gallensteinen in hohem Maße begünstigt, äußert sich 
Leichtenstem 6 ) folgendermaßen: „Prophylaktisch ist in dieser Hinsicht 
nicht viel auszurichten; wenn wir aber auch die Schwangerschaft nicht 
verbieten können, so werden wir doch bei Individuen, welche oft und 


1 ) Schauta, Die Einleitung der Geburt wegen innerer Erkrankungen. Monats- 
sehr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. IC, 488. 1902. 

*) Winter, Die Indikationen zur künstlichen Unterbrechung der Schwanger¬ 
schaft. Urban & Schwarzenberg 1918. S. 190. 

3 ) QruJbe, s. o. S. 137. 

*) r. Jaschke, Berechtigte und unberechtigte Indikationen zur Schwanger¬ 

schaftsunterbrechung und Sterilisierung. Monatsschr. f. Geburtsh. u. GynäkoL 51 , 
236. 1920. 

s ) Leichtenstem, Behandlung der Erkrankung der Gallenwege. Pentzold- 
Stintzing: Handb. d. spez. Therapie. Bd. IV, 2. S. 31. 1896. 


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Cholelithiasis und Gravidität. 


169 


schwer unter der Cholelithiasis zu leiden haben, den Rat, die Schwanger¬ 
schaft nach Möglichkeit zu vermeiden, nicht unterdrücken können.“ 
Dieser Rat mag für das Jahr 1896 gerechtfertigt gewesen sein. . Heut¬ 
zutage, wo dank den Fortschritten der modernen Chirurgie die Chole¬ 
cystektomie durchaus nicht mehr so gefährlich ist wie damals, wird 
man wohl eher die Operation als die gewollte Unfruchtbarkeit emp¬ 
fehlen müssen. 

Leitung der Geburt bei Cholelithiasis. 

Tritt ein Anfall nach Beginn der Wehentätigkeit auf, so ist eine 
Beschleunigung der Entbindung ratsam, da das Gallensteinleiden in 
unberechenbarer Weise gerade durch die Geburt beeinflußt werden 
kann. Besonders schwierig, aber auch überaus wichtig, ist die recht¬ 
zeitige Erkennung einer beginnenden Peritonitis während der Geburt 
und die daraus zu ziehende Folgerung der sofortigen Operation. 

Daß unter Umständen nach Gallensteinoperation während der 
Schwangerschaft eine entbindende Operation zur Ausschaltung der 
Austreibungsperiode in Betracht kommen kann, ist schon oben (S. 163) 
erwähnt worden. 

Eine wirksame Prophylaxe gegen das Auftreten von Gallenstein¬ 
anfällen in der Gestation bei Gallensteinträgerinnen mit früheren 
Attacken ist bisher nicht bekannt. Vielleicht wären Versuche mit 
Papaverin und ähnlichen Spasmolyticis 1 ) angezeigt; wenn der Anfall 
ausbleibt, so ließe sich aber immer sagen, daß er auch sonst nicht 
gekommen wäre; die Beurteilung der Wirkung solcher Mittel ist be¬ 
kanntlich außerordentlich schwierig. 

Zusammenfassung. 

1. Die Cholelithiasis und Cholecystitis ist eine verhältnismäßig häufige 
Komplikation der Schivangerschaß] in manchen Fällen läßt sich auch die 
Gravidität als Komplikation der Gallensteinkrankheit auffassen. 

2. Für das Zustandekommen der Gallensteinkrankheit in der Schwanger - 
schaft, besonders aber während oder kurz nach der Geburt, sind Gallen¬ 
stauung und Infektion ebenso wie auch außerhalb des Gestationszustandes 
verantioortlich zu machen ; dazu kommt noch die Begünstigung der Gallen¬ 
steinbildung durch Hypercholesterinämie, vielleicht auch durch Vermehrung 
des Kalkes im Blute Gravider. 

3. Für das Auftreten des Gallensteinanfalles sind außer Stauung und 
Infektion noch von besonderer Bedeutung die Druckschwankungen in der 
Bauchhöhle und das plötzliche Aufhören der Stauung in der Gallenblase 
bei der Geburt. 

] ) //. Pribram, Über die Behandlung spastischer Zustände durch Spasmo- 
lytica. Med. Klinik 1921, Nr. 24, S. 729; Dtsch. med. Wochenschr. 1922, 
Nr. 31, S. 1033. 


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170 H. H. Schmid: Cholelithiasis und Gravidität. 

4. Auf die Komplikationen der Gallensteinkrankheit hat die Gestation 
mitunter einen sehr ungünstigen Einfluß ; namentlich kann ein Gallen¬ 
blasenempyem durch den Geburtsakt zum Platzen gebracht werden. Eine 
besondere Erschwerung liegt noch in der durch die Schwangerschaft bzw. 
Geburt oft erschwerten rechtzeitigen Erkennung der Erkrankung und ihrer 
Komplikationen. 

5. Zur spontanen Schwangerschaftsunterbrechung kommt es im Ver¬ 
laufe der einfachen, unkomplizierten Cholelithiasis ohne und mit Operation 
selten, verhältnismäßig häufig aber bei Komplikationen des Gallenstein¬ 
leidens. 

6. Bei konservativer Behandlung finden sich unter 60 Fällen 6 Todes¬ 
fälle, bei operativer unter 83 Fällen 9 Todesfälle, also beträgt die Mortalität 
10 bzw. 10,8%. Da beide Gruppen, besonders die der operierten Fälle, 
durch die verschleppten Fälle stark belastet wird, und da man es dem 
einzelnen Falle in der Schwangerschaft nicht anmerken kann, wie er 
weiter verlaufen wird, insbesondere, ob nicht unter der Geburt unberechen¬ 
bare Schädigungen auftreten, ist es sicherer, auch die weniger schweren, 
mit entzündlichen Erscheinungen einhergehenden Fälle wenn möglich in 
der ersten Hälfte der Schwangerschaft zu operieren. 

7. Bei schon bestehender oder drohender Peritonitis in den letzten 
3 Monaten der Schwangerschaft ist die gleichzeitig mit der Gallenblasen¬ 
operation vorzunehmende Entleerung des graviden Uterus als das kleinere 
von zwei Übeln zu wählen. 

8. Die Cholecystektomie ist ebenso wie außerhalb der Gestations- 
periode als Operation der Wahl anzusehen, die Cholecystostomie nur im 
Notfälle auszuführen. Wenn die Drainage eingeschränkt oder weggelassen 
werden kann, so ist dies für den weiteren Verlauf von Schwangerschaft 
und Geburt sicher zweckmäßig. Der Schnitt zur Operation an den Gallen- 
wegen soll nahe an den Rippenbogen gelegt werden. 

9. Die künstliche Unterbrechung der Schwangerschaft aus der „Schein - 
indikalion “ Cholelithiasis ist zu verwerfen-, die Behandlung soll sich gegen 
das Grundleiden, nicht gegen die dieses Leiden begleitende Schwangerschaft 
richten. 


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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik zu Frankfurt a. M. [Direktor: Professor 

Dr. F. Schmieden].) 

Eine ampnllenartige Erweiterung des Cysticus. 

Von 

Dr. Gustav Rosenburg, 

Assistent der Klinik. 

Mit 3 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 27. März 1923.) 

Die Entwicklung der Abdominalchirurgie hat in weit größerem 
Maße auch dem Chirurgen Anomalien der Organe der Leibeshöhle zu 
Gesicht gebracht und die Kenntnis von den Beziehungen der einzelnen 
Organsysteme zueinander gefördert. Besonders hat die Chirurgie des 
Lebersystems und ihrer Ausführungsgänge Vorteile aus dieser Ent¬ 
wicklung gezogen. Während z. B. Langenbuch 1897 nur über einen Fall 
von idiopathischer Choledochuscyste berichten konnte, hat Kehr 1913 
19 Fälle zusammengestellt, und Zipf berichtet 1923 bereits über 48 Fälle, 
denen noch einer aus der ausländischen Literatur zuzurechnen ist. Ein 
im klinischen Bild dem der idopathisehen Choledochuscyste sehr ähn¬ 
liches Krankheitsbild hatte ich Gelegenheit zu beobachten. 

In der Nacht vom 6. bis 7. X, 1922 wurde das 2 jährige Kind Chr. Schw. in 
die Chirurgische Klinik zu Frankfurt gebracht. Das sonst gesunde Mädchen hatte 
die Masern gehabt und war erst 14 Tage wieder außer Bett. Seit dem ß. X. war 
das Kind erneut krank. Es klagte über Schmerzen im Leibe, besonders auf der 
rechten Bauchseite. Am 6. X. hatten die Schmerzen zugenommen, das Kind hatte 
hohes Fieber bekommen und sich wiederholt erbrochen. Der Arzt schickte das 
Kind wegen Appendicitis in die Klinik. 

Befund bei der Aufnahme: Das blasse Kind machte einen schwerkranken 
Eindruck. Am ganzen Leib waren noch die Spuren des abgeheilten Masern- 
ausschlages sichtbar. Von AUgemeinsymptomen fielen auf: Stark belegte Zunge, 
Pulsbeschleunigung und Temperaturerhöhung (axillar 39,1). Es bestand Auf¬ 
treibung des Leibes und diffuse Bauchdeckenspannung, ferner gab das Kind starke 
Schmerzen in der rechten Seite des Unterleibes an. Perkutorisch bestand eine 
Dämpfung des rechten Unterbauches. 

In der Narkose war ein prall elastischer, aber nicht frei beweglicher Tumor 
in der rechten Oberbauchseite zu fühlen. Bei der Laparotomie mit Pararectal¬ 
schnitt fand sich eine große, cystische Geschwulst, die unter dem rechten unteren 
Leberrand, den sie überragte, hervortrat und bis tief in den Unterbauch reichte. 
Colon transversum und ascendens waren durch den Tumor etwas nach links 


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G. Rosenburg-: 


und nach unten abgedrängt, die nicht krankhaft veränderte Appendix lag auf 
dem Tumor. Die Gallenblase war vom unteren Leberrand abgehoben und lag 
ebenfalls auf der Geschwulst. Das Duodenum und der Magen waren nach links 
verlagert (Abb. 1). Der im Lig. hepato-duodenale liegende Tumor, der von einem 
sehr gefäßreichen Bindegewebe bedeckt war, war nicht mit der vorderen Bauch¬ 
wand verwachsen, zeigte jedoch leicht lösliche Verwachsungen mit dem Colon 
transversum. Mit dem unteren Leberrande, dem Pankreas und dem Duodenum 
bestanden flächenhafte Verwachsungen. Es war anfänglich nicht erkennbar, mit 
welchem Organ der Tumor im Zusammenhang stand. Da die Ausschälung des 
Tumors nicht gelingen wollte, wurde die Cyste punktiert und 360 ccm einer dunkel¬ 
grünen galligen Flüssigkeit entfernt. Jetzt konnte der Tumor bei sorgfältiger 
Blutstillung und nach einigen Unterbindungen teils stumpf, teils scharf vom 



Abb. 1. 

Omentum minus bis herauf an die untere Leberfläche aus seinem Bett und seinen 
Verwachsungen gelöst und vor die Operationswunde gelagert werden. Es handelte 
sich um einen cystischen Tumor, der mit einem Gang mit der Gallenblase und mit 
einem zweiten mit dem Choledochus in Verbindung stand (Abb. 2). Nach Unter¬ 
bindung des in den Choledochus führenden Verbindungsganges wurde der cystiscke 
Tumor mit der Gallenblase entfernt, ein Tampon auf das Leberbett gelegt und 
die Bauchwunde im übrigen verschlossen. 

Das Kind überstand den Eingriff zuerst ganz gut, im Laufe des folgenden 
Tages traten jedoch Krämpfe auf, denen das Kind erlag. 

Aus dem Sektionsprotokoll des Secken herrschen Pathol. Instituts (Dr. Lote), 
das mir liebenswürdigerweise überlassen wurde, ist im Auszug folgendes zu ent¬ 
nehmen: Es handelt sich um die Leiche eines 2 jährigen mittelkräftig gebauten 
Mädchens in gutem Ernährungszustand. 

Bauchsitus: Nach Eröffnung der Bauchhöhle bedeckt das große Netz mäßig 
geblähte Darmschlingen und ist mit einigen Nähten nach rechts über die Ope¬ 
rationsgegend gezogen. Nach Emporheben des Netzes erscheint das Opera* 


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Eine arapullenartige Erweiterung des Cysticus. 173 


tionsgebiet unter der Leber intakt. Der Cysticusstumpf ist mit frischen Nähten 
verschlossen. 

Makroskopischer Befund an den Organen: Leber mittelgroß und schwer, 
braun, von glatter Oberfläche. Die Schnittfläche zeigt umschriebene Aufhellungen. 
Auf Druck entleeren die großen Gallengänge eine gelbliche, trübe, zähe Flüssigkeit. 
Der Choledochus ist gut durchgängig. Der Ductus cysticus ist abgebunden, Vena 
portae und arteria hepatica intakt. Milz mittelgroß, glatt, ohne krankhaften Befund. 

Mikroskopischer Befund an den Organen: Die Leber zeigt periportal reichlich 
junges Bindegewebe besonders um die kleinen Gallengänge, mit Rundzellenein- 



Abb. 2. 


lagerung. Vereinzelt Abschnürung kleiner Leberläppchen. Reichlich leukocytäre 
Infiltration in der Umgebung der Gallengänge. 

Diagnose: Chronische Cholangitis und Pericholangitis (beginnende biliäre 
Cirrhose?). 

Das bei der Operation gewonnene Präparat (Abb. 3) zeigt eine von der Größe 
eines Apfels cystische Geschwulst mit 3 mm dicker, derber Wand. Ihre Innenfläche 
ist grünlich gefärbt und weist wenig Nischen- und Faltenbildung auf. Je ein 
Ausführungsgang führt von dem Tumor in den Choledochus und in die Gallen¬ 
blase. Der Verbindungsgang mit dem Choledochus zeigt keine Verengerung, 
er ist 1 cm lang, seine Wandung dünner als die der Cyste. Ebenso ist die Ver¬ 
bindung der Cyste mit der Gallenblase gut durchgängig, die Wandung dieses 
Ganges ebenso bedeutend dünner als die der Cyste. Die Gallenblase, von normaler 
Größe, zeigt gleichfalls etwas verdickte Wandung. 


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G. Rosenburg: 


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Die mikroskopische Untersuchung des Operationspräparates (Prof. Klose) 
ergab: Die Wandung der Mißbildung besteht aus kemannem Bindegewebe. Sie 
ist mit reichlichen Gefäßen durchsetzt, in denen stellenweise eine Randstellung 
der weißen Blutkörperchen deutlich hervortritt. Gegen die Innenfläche zu nimmt 
im allgemeinen der Kernreichtum zu, auch sind hier vereinzelte fleckweise In¬ 
filtrate erkennbar. Die Innenfläche selber ist schlecht gefärbt, so daß man an 
eine Nekrotisierung derselben denken muß, insbesondere sind hier nirgends Kern- 
strikt uren zu erkennen. Ab und zu ist dieser nekrotischen Schicht eine deutlich 
drüsenartig angeordnete Epithellage aufgelagert, die einer abgestoßenen Epithel¬ 
membran entspricht. In dem ganzen Schnitt ist dagegen nichts von Muskulatur 
zu sehen. Die als Tunica fibrosa zu deutende Schicht ist wohl zu erkennen, ihr 
liegt eine deutliche Serosaschicht auf. 



Abb. 8. 


Die Untersuchung der Übergangsstelle von der Mißbildung in den zum Chole- 
dochus führenden Abschnitt des nicht erweiterten Cysticus ergab: An dem zur 
Mißbildung gehörigen Teil des Präparates ist der gleiche Befund wie oben be¬ 
schrieben. Es folgt die stark gebogene übergangsschicht, die deutlich bereits 
glatte Muskelfasern enthält. Diese Muskelfasern treten in den sich anschließenden 
Teilen immer deutlicher hervor, ohne jedoch den kontinuierlichen Zusammenhang 
zu erhalten, wie er für den Cysticus typisch ist. 

Der gleiche Befund konnte bei dem Schnitte durch die Wand des Verbindungs¬ 
ganges, der von der Mißbildung zur Gallenblase führte, erhoben werden. 

Die Schnitte durch die Gallenblasenwand zeigten keinen krankhaften Befund 
außer auch hier vereinzelten Rundzelleninfiltrationen. 

Bei der Eröffnung der Bauchhöhle hatte sich ein cystischer Tumor 
gefunden. Der Ausgangspunkt der Cystenbildung war zuerst nicht 
ersichtlich gewesen, da der Tumor fest mit den umgebenden Organen 


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Eine ampallenartige Erweiterung des Cysticus. 


175 


verwachsen war. Das Alter der Patientin und die kurze Krankheits¬ 
dauer machten eine parasitäre Erkrankung (Echinokokkus) unwahr¬ 
scheinlich. So lag die Frage vor, handelt es sich um eine idiopathische 
Lebercyste, eine Cyste, ausgehend von den retroperitoneal gelegenen 
Organen Niere oder Pankreas, von versprengten Pankreaskeimen oder 
handelt es sich um eine cystische Veränderung der im Ligamentum 
hepatoduodenale liegenden Gallengänge. Das Ergebnis der Punktion; 
dunkelgrüne fadenziehende Flüssigkeit machte einen Zusammenhang 
mit dem Gallensystem wahrscheinlich. Es konnte sich nach diesem 
Befunde nur noch um eine Retentionscyste in der Leber oder eine Er¬ 
weiterung der extrahepathischen Gallenwege handeln. Bei der weiteren 
Freipräparierung war dann festgestellt worden, daß die Cyste nicht mit 
dem Parenchym der Leber in Verbindung stand. Erweiterungen der 
extrahepatischen Gallengänge sind am häufigsten am Choledochus be¬ 
schrieben worden. In der Literatur sind 49 Fälle von Choledochuscysten 
beschrieben worden, deren Ätiologie nach dem Inhalt der Veröffent¬ 
lichungen nicht auf eine einheitliche Ursache zurückgeführt werden kann. 
Die meisten Fälle kamen bei Jugendlichen, und zwar in der Mehrzahl 
weiblichen Individuen zur Beobachtung, wie ja überhaupt nicht nur bei 
Steinerkrankungen, sondern auch bei Mißbildungen im Bereiche des 
Lebersystems das weibliche Geschlecht häufiger betroffen gefunden 
wird als das männliche. — Nach der Vorlagerung des Tumors vor die 
Laparotomiewunde war ersichtlich, daß der Choledochus seinen normalen 
Verlauf und normale Weite aufwies. Die Mißbildung mußte demnach 
im Bereiche des Cysticus oder der Gallenblase liegen. Hier kam in 
Frage, Doppelbildung der Gallenblase, wie sie einige Male beschrieben 
ist (Langenbuch erwähnt 3 Fälle), oder aber das als Gallenblase an¬ 
gesprochene Gebilde konnte ein Anhängsel der als Cyste angesehenen 
Mißbildung sein, die in Wirklichkeit die krankhaft vergrößerte Gallen¬ 
blase darstellte. Nachdem der Tumor aus seinen Verwachsungen 
vollkommen gelöst w r ar und der Abgang zweier Verbindungsgänge 
nach dem Choledochus und zu der Gallenblase erkannt war, stand 
die Diagnose pathologische Veränderung des Ductus cysticus fest. 
Anomalien des Cysticus sind sehr selten. Henschen stellt folgendes 
Schema über die chirurgischen Anomalien des Ductus cysticus auf: 

1. Fehlen des D. cysticus bei gleichzeitigem Mangel der Gallen¬ 
blase. 

2. Blindbildung desD. cysticus in der Leberfurche oder in der Leber¬ 
substanz bei fehlender Gallenblase. 

3. Doppelung des D. cysticus bei einfacher oder doppelter Gallen¬ 
blase und gemeinsamer oder getrennter Einmündung in den Chole¬ 
dochus; der akzessorische Cysticus kann statt des Choledochus in den 
rechten D. hepaticus oder direkt in das Duodenum einmünden. 


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176 


Gr. Rosenburg: 


4. Abnorme Kürze des D. cysticus, dessen äußere Länge nach Faure 
zwischen 16 und 110 mm wechselt. 

5. Kaliberanomalien (physiologische Dilatation des Cysticus bis zum 
Kaliber der Hauptgänge). 

6. S- und Schneckenkrümmung, Buchten, Ampullen und Engpa߬ 
bildungen, die hauptsächlich den mittleren Gangabschnitt betreffen. 

7. Kurz- oder langstreckiger Parallelverlauf mit dem Choledochus 
(17%, nur in 75% findet sich der normale spitzwinkelige Einmündungs¬ 
typus). 

8. Schraubentourverlauf (sog. Spiralverlauf) um den Choledochus 

( 8 %). 

9. Einmündungsanomalien (Mündung des Cysticus in den D. hepa- 
ticus sin. oder ins Duodenum; Einmündung des rechten D. hepaticus 
in den D. cysticus, eines akzessorischen D. hepaticus in den D. cysticus 
oder in die Gallengangskonfluenz). 

Im vorliegenden Falle war eine ampullenartige Erweiterung des 
Cysticus vorhanden, ähnlich den als Cysten bezeichneten Mißbildungen 
im Verlauf des Choledochus. 

Eine isolierte Erweiterung des Cysticus habe ich in der Literatur 
in ähnlicher Weise noch nicht beschrieben gefunden, in allen bisherigen 
Fällen handelte es sich bis jetzt um Cysticuserweiterungen, die im An¬ 
schluß und Zusammenhang mit Erweiterung der übrigen extrahepa¬ 
tischen Gallenwege festgestellt wurden. 

Handelt es sich nun bei diesen Fällen von Choledochuscysten um 
eine wirkliche Cyste oder, wie Reel und BurreU betonen, um eine Diver¬ 
tikelbildung im Verlaufe des Gallenausführungsganges 1 Reel und BurreU 
weisen mit Recht darauf hin, daß man bei der typischen auf das mittlere 
Drittel beschränkten Erweiterung des Choledochus, die sich im extra¬ 
duodenalen Teil dieses Gallenganges findet, nicht von Cystenbildung 
sprechen kann, wenn ein zuführender und abführender Gang zu dieser 
Mißbildung führen. Sie erachten es für richtiger, von einer Divertikel¬ 
bildung im Verlaufe des Choledochus zu sprechen. Mit Divertikel be¬ 
zeichnet man aber im allgemeinen eine einseitige Ausstülpung der Wand 
eines schlauchförmigen Organes. Es dürfte meines Erachtens am folge¬ 
richtigsten sein, im vorliegenden Falle jetzt von einer ampuUenartigen 
Erweiterung des D. cysticus zu sprechen. 

Wie ist nun die Entstehung einer solchen ampullenartigen Erweite¬ 
rung zu denken, wie zu erklären? Auszuschließen sind natürlich alle 
Fälle, bei denen durch Stein- oder Tumorbildung anatomische Grund¬ 
lagen für eine solche, in diesen Fällen erworbene, Anomalie gegeben sind. 
Ein Vergleich mit der angeborenen Choledochuscyste, der ampullenar¬ 
tigen Erweiterung des großen Gallenganges ist naheliegend. Besonders 
der Fall eines 3 jährigen Mädchens, den Schürholz beschrieben hat, 


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Ein© ampullenartige Erweiterung des Cysticus. 177 

bietet klinische Vergleichspunkte. Schürholz führt nun im Anschluß an 
die Ausführungen von Flechtenmacher die Choledochuscyste auf eine 
entwicklungsgeschichtliche Anomalie zurück und nimmt an, daß die 
Ampullenbildung im Verlaufe des Choledochus durch abnorme Knospung 
im Bereiche der vom Duodenum abzweigenden Ausbuchtung bedingt 
sei, die ja die primäre Choledochusanlage bildet. Weitere Belege zur 
Stützung dieser Ansicht werden nicht angeführt. 

In verschiedenen anderen Veröffentlichungen wird geltend gemacht, 
daß abnormer Verlauf bzw. abnorme Enge des infraduodenalen Teiles 
des Choledochus, weiterhin Anomalien seiner Einmündung in das 
Duodenum und Falten und Klappenbildung an dieser Stelle die Ursache 
für die Erweiterung des Choledochus seien. Es ist nicht verständlich, 
warum in diesen Fällen die Erweiterung auf einen abgegrenzten Ab¬ 
schnitt des Gallenganges beschränkt bleibt, wie es bei dem oben be¬ 
schriebenen Krankheitsbild meist der Fall ist, in dem der mittlere 
Teil des Choledochus allein erweitert befunden wird. Weiterhin 
weist Budde darauf hin, daß viele Fälle von Choledochuscysten mit 
vollkommen normalem Abgang des Gallenganges vom Duodenum 
zur Beobachtung gekommen sind. Was die Klappen- und Falten¬ 
bildung betrifft, so erscheint die von Schürholz und anderen ge¬ 
gebene Erklärung einleuchtend, daß diese Abknickung wohl eine Ver¬ 
größerung der einmal bestehenden cystischen Mißbildung bedingen 
kann, aber im ganzen doch nur eine sekundäre Veränderung dar¬ 
stellen dürfte. 

Budde weist an Hand eines selbst beobachteten Falles auf Grund 
der mikroskopischen Untersuchung von Schnitten durch die Wandung 
der Gallenwege und den cystischen Erweiterungssack des Choledochus 
darauf hin, daß in seinem Falle die sackartige Erweiterung als Folge 
einer Pankreaskeimversprengung angesehen werden muß. Diese Pankreas¬ 
keimversprengung führt zu einer Fibroadenombildung in der Wand der 
Cyste, die eine divertikelartige und dann noch ausgedehntere Aus¬ 
buchtung der Choledochuswand zur Folge hat. Schürholz und auch 
Bode konnten den von Budde erhobenen Befund in ihren Fällen nicht 
bestätigen. 

Wagner wiederum faßt die idiopathische Choledochuscyste als 
angeborene Mißbildung auf, derart, daß der extraduodenale Teil mehr 
oder weniger sackartig angelegt ist. Durch den Verschluß der Papille 
und Gallenstauung kann die Erweiterung verstärkt werden, ein ent¬ 
stehender Klappenventilverschluß kann das Leiden verschlimmern. 

Dreesmann geht weiter, indem er ausführt, daß die angeborene 
Anomalie in einer angeborenen Atonie der Choledochuswand ihre Ur¬ 
sache habe, die durch den Inhaltsdruck dann die cystische Erweiterung 
zur Folge habe. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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178 


G. Rosenburg: 


Von diesen Theorien über das Zustandekommen der idiopathischen 
Choledochuscyste kommt die Mehrzahl als Ätiologie für die Entstehung 
der beobachteten Cysticuserweiterung nicht in Betracht. 

Eine Berechtigung zu der Annahme einer entwicklungsgeschicht¬ 
lichen Anomalie durch abnorme Sprossung der primären Leberanlage 
erscheint für den vorliegenden Fall nicht gegeben. Wenn es zu deut¬ 
licher Cystenbildung mit abgeschlossener Sackbildung gekommen wäre, 
hätte man eher an diese Ätiologie denken können, nicht aber bei ampullen¬ 
artiger Ausbuchtung eines sich an normaler Stelle befindlichen Organes. 

Gegen die Annahme, daß eine abnorme Pankreaskeimversprengung 
vorliegen könnte, spricht der mikroskopische Befund der Schnitte 
durch die Wand des erweiterten Cysticus und die Übergangsstelle in 
den nicht erweiterten Teil dieses Gallenganges. Hier ist von Pankreas¬ 
keimresten nichts festzustellen. 

Dar Befund bei der Operation, große, ampullenartige Ausbuchtung 
bereits im zweiten Lebensjahre ohne makroskopisch feststellbare ana¬ 
tomische Grundlage, spricht für eine angeborene Anomalie. In den 
mikroskopischen Schnitten zeigt sich, daß die in den übrigen Teilen 
des Cysticus vorhandene glatte Muskulatur im Bereiche der Mißbildung 
nicht nachweisbar ist. Diese Feststellung ist bemerkenswert. Drees¬ 
mann hat ja die idiopathische Choledochuscyste auf eine angeborene 
Atonie der Gallengangswand zurückgeführt, ohne Beweise für seine 
Theorie anführen zu können. Im vorliegenden Falle könnte auch die 
Erweiterung der Cysticuswand als Folge einer angeborenen Atonie der 
Gallengangswand an umschriebener Stelle gedeutet werden. Ads Ursache 
für diese Atonie wäre eben dies Fehlen der glatten Muskulatur an der 
Stelle der Mißbildung anzusehen. Es ist aber andererseits eine noch 
offene Frage: 

1. ob das Fehlen der Muskulatur an der Stelle der Anlpullenbildung 
im Cysticus eine angeborene Mißbildung darstellt; 

2. ob eine sackartige Ausbuchtung der Cysticuswand an umschrie¬ 
bener Stelle angeboren war (im Sinne der von Wagener gegebenen Er¬ 
klärung für die Entstehung der Choledochuscyste) und eine Atrophie 
und schließlich ein vollkommener Schwund der primär vorhanden ge¬ 
wesenen Muskulatur erst sekundär durch den stetig wachsenden In¬ 
haltsdruck eingetreten ist. Eine Lösung dieser Frage erscheint jetzt 
nicht mehr möglich. 

Im Bereiche der Möglichkeit steht auch die Annahme, daß die 
Cysticusveränderung die Folge eines Geburtstraumas ist. Bei schweren 
Geburten sind Blutungen intraabdominell gelegener Organe beobachtet 
worden, auch in Fällen, bei denen keine Schnitze sehen Schwingungen ge¬ 
macht worden waren. Im vorliegenden Falle hat eine Steißlage Vor¬ 
gelegen. Obgleich die Geburt an sich leicht war, war dennoch eine Lösung 


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Eine ampullenartige Erweiterung des Cysticus. 


179 


der Arme und des Kopfes durch die Hebamme vorgenommen worden. Es 
findet aber bei jeder Steißlage eine Kompression des Abdomens in 
stärkerem Maße durch die gleichzeitig durch die Beckenenge sich durch- 
drängesden Extremitäten statt. Diese Kompression könnte auch ein¬ 
mal eine Stauungsblutung, wie sie an der Leber und den Nebennieren 
zur Beobachtung gekommen sind, im Cysticus zur Folge haben. Die 
mechanische Wirkung des Blutergusses kann durch Überdehnung 
eine Schwächung der Wand des Cysticus bedingen und damit die 
erste Anlage zur Entstehung der Mißbildung schaffen. Im ähnlichen 
Sinne haben Hildebrand und' Kremer die Entstehung einer Chole- 
dochuscyste intra gavididatem durch Zerrung und Durchwirkung des 
vergrößerten Uterus auf die intraabdominellen Organe und damit die 
Gallengänge, die durch ein früheres Trauma gedehnt waren, zu erklären 
versucht, ebenso Elischer in dem von ihm veröffentlichten Fall von 
Hepaticuscyste. Die Bobachtung von Heiliger, der bei einer Frühgeburt 
eine Choledochuscyste beobachtet hat, spricht zwar gegen den Versuch 
einer solchen Erklärung, aber wie die Choledochuscysten nicht alle ein 
gleiches anatomisches Bild darbieten, besteht auch die Möglichkeit einer 
verschiedenen Entstehungsursache. 

Das Fehlen der Muskelelemente wurde auch hei der idiopathischen 
Choledochuscyste fast stets beobachtet, wie Zipf in seiner Veröffent¬ 
lichung festgestellt hat; es entspricht der mikroskopische Befund bei 
der vorliegenden Mißbildung überhaupt im ganzen dem, was bei der 
idiopathischen Choledochuscyste meist gefunden wird. Fehlen der 
Muskelschicht finden wir ferner in ähnlicher Weise bei den Divertikeln 
des Oesophagus und bei dem Megakolon Mißbildungen, die ja auch als 
angeborene Anomalien anzusehen sind. 

Der Befund bei der Operation, prall elastischer Tumor, spricht dafür, 
daß ein stärkerer Inhaltsdruck bestanden hat, der aber ebenso bei an¬ 
geborenem Mangel der glatten Muskulatur als auch bei angeborener 
Atonie bzw. Sackbildung des Cysticus vorhanden sein kann. 

Eine weitere Frage ist, wie entsteht der Inhaltsdruck und dann, 
wie geht die Vergrößerung der einmal vorhandenen Ausbuchtung vor 
sich. Die von Budde gegebene Erklärung stützt sich bei den besonderen 
Bedingungen in seinem Falle auf das verminderte Wachstum der ver¬ 
sprengten Pankreaskeime im Verhältnis zu den mit normaler Wachstums¬ 
energie sich vergrößernden Teilen der umgebenden Gallengangsab¬ 
schnitte. Dadurch entsteht eine divertikelartige Erweiterung des 
Gallenganges. Die weitere sackartige Ausbuchtung kommt dann da¬ 
durch zustande, daß die Schwerkraft, die erdwärts gerichtet am stärksten 
nach hinten unten parallel der Linie Schwertfortsatz-Promontorium 
sich auswirkt, entsprechend der Mittellage zwischen Stehen und Liegen. 
Je mehr die Ausbuchtung nach der einen Richtung durch den erhöhten 

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6. Rosenburg: 


Inhaltsdruck zunimmt, um so mehr wird der nicht erweiterte Chole- 
dochusabschnitt schließlich auf einen Breitengrad der oberen Cysten¬ 
halbkugel gedrängt. Das Weiterschreiten der Aussackung hat dann zur 
Folge, daß ein Teil dieses Wandabschnittes als Klappe gegen den nicht 
erweiterten Choledochusteil bei ständig vermehrter Inhaltsspannung 
wirken kann und damit ist die pathologisch-anatomische Grundlage 
für die häufig nur zeitweise, schließliche dauernde Inhaltsstauung zu 
suchen, nicht für die Entstehung des Grundleidens selbst. Für den vor¬ 
liegenden Fall ist die Entwicklung des Inhaltsdruckes vielleicht folgender¬ 
maßen zu deuten. Es bestand eine angeborene Schwäche des mittleren 
Abschnittes des Cysticus. Die von der Leber ausgeschiedene Galle ge¬ 
langte nun bereits erstmalig nicht in die Gallenblase, sondern staute 
sich in dem schlaffen kongenital erweiterten Cysticusabschnitt, während 
in die Gallenblase selbst wenig gelangte, da die schlaffe Wand der Mi߬ 
bildung den Druck, unter dem die Galle fließt, nicht weitergeben 
konnte, sondern sich ausbuchtete. Die Aussackung nahm in der Folge 
die Rolle der Gallenblase als GallenbehäÜer ein, ohne daß die Galle wieder 
regelmäßig vollständig an den Choledochus abgegeben wurde. Die in der 
Folge sich ansammelnde übemormale Flüssigkeitsmenge bedingte in 
der Aussackung einen starken Inhaltsdruck. Die Gallenblase selbst 
wurde fast völlig ausgeschaltet, die Mißbildung hatte ihre Stellung ein¬ 
genommen, ohne sie aber ersetzen zu können. 

Ich erachte, daß die Vergrößerung der Mißbildung dann weiter so 
vor sich gegangen ist, wie Budde sich das Wachstum der idiopathischen 
Choledochuscyste erklärt hat. Die Entwicklung der Ausbuchtung nach 
unten und hinten und der damit von selbst sich entwickelnde Klappen¬ 
verschluß an der Übergangsstelle zum normalen Cysticus wirkten 
augenscheinlich in meinem Falle mit, den Circulus vitiosus Inhaltsdruck 
— Ausbuchtung nach unten und hinten — vermehrter Klappenver¬ 
schluß zu bilden, der die ständige Vergrößerung der Mißbildung nach 
sich zog. 

Die plötzlich auftretenden Schmerzen, die Bauchdeckenspannung, 
das hohe Fieber und die Randständigkeit der Leukocyten in den zahl¬ 
reichen Gefäßen in den mikroskopischen Präparaten deuten darauf 
hin, daß zur Zeit, als das Kind in die Klinik kam, ein akut entzündlicher 
Krankheitsprozeß im Gange war. Hier ist wohl die Annahme berechtigt, 
daß vom Magendarmkanal in die Gallenwege aufsteigende Bakterien, 
die beim normalen Menschen durch den Gallenfluß immer wieder hinaus¬ 
geschwemmt werden, den Weg in die Ausbuchtung des Cysticus fanden 
und hier in dem stagnierenden, gestauten Inhalt sich unbehindert fort¬ 
entwickeln konnten. Bakteriologisch konnte leider der Beweis für diese 
Annahme nicht erbracht werden, demi aus dem Inhalt der Cysticus- 
erweiterung konnten Bakterien nicht gezüchtet werden. 


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Eine ampullenartige Erweiterung des Cysticus.. 181 

• Die flächenhaften Verwachsangen der Mißbildung des Gallenganges 
mit der Umgebung, die Cholangitis und besonders die Pericholangitis 
weisen auf das Bestehen von chronischen Reizen hin. Es muß ange¬ 
nommen werden, auch wenn wir aus der Anamnese nichts in dieser 
Hinsicht erfahren können, daß dem zur Zeit der Operation bestandenen 
entzündlichen Zustand bereits Schübö von aufsteigender Infektion 
vorausgegangen sind, und daß bei diesen die Infektion aus den Gallen¬ 
wegen in das pericholangitische Gewebe getragen wurde und hier zur 
Zerstörung des Lebergewebes und reaktiver Bindegewebswucherung 
Veranlassung gegeben hat. In welchem Umfange unter den vorliegenden 
Umständen eine durch die große Flüssigkeitsansammlnug bedingte 
Gallenstauung in der Leber zu der Veränderung beigetragen hat, ist 
nicht sicher zu entscheiden, da durch die pericholangitischen Verände¬ 
rungen eine klare Übersicht nicht mehr möglich ist. Das Fehlen von 
jeglichen Zeichen von Ikterus spricht aber gegen das Bestehen einer 
weitgehenden biliären Cirrhose, die ja bei der Choledochuscyste in fast 
allen Fällen festgestellt wurde. 

Bei dem Fehlen jeglicher auf das Lebersystem hinweisenden kli¬ 
nischen Symptome ist die Diagnose vor der Operation nicht zu stellen. 

Die typische Cholecystektomie mit Abtragung des Cysticus an der 
Einmündungsstelle in den Choledochus, bei der die Mißbildung mit 
exstipiert wird, ist als die Operation der Wahl anzusprechen. 

Zusammenfassung. 

Im vorliegenden wurde bei einem 2 jährigen Mädchen eine ampullen¬ 
artige Erweiterung des mittleren Teiles des Cysticus gefunden, in der 
ca. 360 ccm gallige Flüssigkeit vorhanden waren. Das Kind, das plötz¬ 
lich erkrankt war, hatte keinen Ikterus gehabt und auch sonst hatte 
kein Symptom auf eine Erkrankung der Gallenwege hingewiesen. Das 
mikroskopische Bild der Wand der Mißbildung ergab ein ähnliches 
Bild, wie es meist bei der idiopathischen Choledochuscyste gefunden 
wird. Es handelt sich aller Wahrscheinlichkeit nach um eine kongenitale 
Mißbildung, wobei es eine offene Frage bleibt, ob der nachgewiesene 
Mangel der Muskelelemente in der Wand der Mißbildung die primäre 
Ursache der Erweiterung des Cysticus oder eine Folge der erhöhten 
Druckverhältnisse in der primär sackartigen Anlage darstellt. Es 
besteht weiterhin die Möglichkeit, daß das Geburtstrauma, das Fand 
wurde in Steißlage geboren, die erste Ursache für die Entstehung der 
Mißbildung abgegeben hat. Die Entstehung des bei der Operation 
festgestellten starken Inhaltsdruckes in der Mißbildung ist primär so 
zu deuten, daß die ampullenartige Aussackung die Rolle der Gallen¬ 
blase als Gallenbehälter übernommen hatte, ohne aber die Fähigkeit zu 
besitzen, auch den Gallenabfluß durchzuführen. Dadurch entstand eine 


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182 G. Rosenburg: Eine ampullen&rtige Erweiterung des Cysticus. 

Anstauung von Galle in der Mißbildung, die einen erhöhten Druck be¬ 
dingte. Der wachsende Inhaltsdruck bedingt eine stete Vergrößerung 
der primären Cysticuserweiterung. Die typische Cholecystektomie mit 
Abbindung des Cysticus an der Abgangsstelle zum Choledochus und 
damit Mitentfernung der Mißbildung ist die gegebene Operation. 


Literaturverzeichnis. 

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schrift 1922, Heft 42. — *) Budde, Über die Pathogenese und das Krankheitsbild 
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1923, Nr. 9. — 6 ) Benschen , Die Chirurgie der Gallenwege. Schweiz, med. Wochen¬ 
schrift 1921, Nr. 52, S. 1222. — 7 ) Kehr, Chirurgie der Gallenwege. Neue dtsch. 
Chirurg. Enke-Stuttgart 13. — 8 ) Kratter , Zur Kenntnis und forensischen Wür¬ 
digung der Geburtsverletzungen. Vierteljahreeschr. f. gee. Med. 1897, Nr. 362. — 
•) Langenbuch , Chirurgie der Leber und Gallenblase. Dtsch. Chirurg. Enke, Stutt¬ 
gart 1897. — 10 ) Rüge, Beitrage zur chirurgischen Anatomie der großen Gallen¬ 
wege. Arch. f. klin. Chirurg. 87, Heft 1, S. 908. — u ) Schürholz , Ein Fall von sog. 
idiopathischer Choledochuscyste: Arch. f. klin. Chirurg. 118, 91—95. — 12 ) Reel , 
Philipp and Nile E. BurreU, Cystic dilatation of the common bile duch. Ann. of 
surg. 75, Nr. 2, S. 191. — 18 ) Wagner, Beitrag zur Chirurgie der Gallenwege. Dtsch. 
Zeitschr. f. Chirurg. 145, 1918. — li ) Zipf, Uber idiopathische Choledochuscyste^ 
Arch. f. klin. Chirurg. 122 , Heft 3. 1923 (siehe dort weitere Literatur über Chole¬ 
dochuscyste). 


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(Aus der Chirurgischen Fakultätsklinik des Medizinischen Instituts in St. Peters¬ 
burg [Direktor: Prof. Dr. W. Schaack].) 

Zur Frage der nichtparasitären Lebercysten. 

Von 

Professor Dr. Wilhelm Schaack. 

(Eingegangen am 12. April 1923.) 

Nichtparasitäre Lebercysten gehören zu großen Seltenheiten, daher 
ist es verständlich, daß operative Eingriffe wegen dieser Erkankung 
äußerst selten vorgenommen worden sind. 

Auch die wenigen Sammelstatistiken der Autoren, die über ver¬ 
einzelte hierhergehörige Beobachtungen verfügen, übersteigen kaum 
1 —2 Dutzend Fälle aus der Weltliteratur. Einer der ersten, der dieser 
Frage vom chirurgischen Standpunkt näher trat, war Leppmann 1 ), 
der einen eigenen Fall mitteilte und zum Jahre 1900 eine Kasuistik 
von 16 operierten nichtparasitären Lebercysten sammelte. Dann folgte 
die Arbeit von Hoff mann*), welcher 1902 die publizierten Fälle nebst 
einer eigenen Beobachtung bis zu 18 vergrößerte. Weiterhin folgt eine 
Reihe russischer Autoren, die die Frage bearbeiteten und die Statistik 
Hoffmanns a ) fortsetzten; und zwar Ikonnikoff 8 ) aus der Klinik Prof. 
Fedoroff (St. Petersburg), Orloff*) und Parin 5 ) aus der Univ. Kasan. 
Parin beginnt die Sammelstatistik vom Jahre 1864 an und konnte 
bis 1913 im ganzen 25 Fälle finden. 

Auch diese sehr geringzählige Kasuistik ist bei weitem nicht ein¬ 
heitlich ihrem Bestände nach, sie enthält sehr verschiedene Arten 
der uns hier interessierenden Erkrankung, diese Verschiedenheit betrifft 
nicht nur die Klinik, sondern auch den operativen und pathologisch- 
anatomischen Befund und läßt daher auch keine einheitliche 
Deutungen zu. 

Daher muß die Frage weiter studiert werden, Beobachtungen müssen 
gesammelt werden, jeder hierhergehörige Fall bedarf der Veröffent¬ 
lichung. 

Die kurze Krankengeschichte unseres Falles ist folgende: 

Die 29 jährige Fabrikarbeiterin trat am 24. III. 1920 in die Klinik ein mit 
einem großen Tumor, der die rechte Hälfte des Abdomens einnahm. Die Krank¬ 
heit wurde bemerkt im September 1919, nach einem Falle von der Treppe, dabei 


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W. Schaack: 


Beschädigung der rechten Seite, x / t Stunde bewußtlos, darnach ging Pat. mit 
Mühe nach Hause, lag 10 Tage zu Bett, und da sie außerdem gravid war und die 
Schmerzen im Leibe nicht nachließen, trat Pat. in eine gynäkologische Abteilung 
ein, wo sie bis 3. XI. 1919 verblieb. Am 18.1. 1920 gebar sie ohne Zwischenfälle 
ein gesundes Kind, welches nach 1 Monat an Pneumonie starb. Schon in der 
gynäkologischen Abteilung wurde die Anwesenheit einer Bauchgeschwulst fest¬ 
gestellt, die nach der Geburt stehen blieb und Beschwerden beim Gehen verur¬ 
sachte. Pat. wurde immer schwächer, anämischer und trat in die hiesige Innere 
Klinik (Prof. Pedenloo) am 21. II. 1920 ein, von wo sie nach einer Reihe von Unter¬ 
suchungen in unsere Klinik zur Operation übergeführt wurde. 

Die blasse, abgemagerte Pat. weist eine starke Vorwölbung der ganzen Leber¬ 
gegend auf. Die Apertura thoracis ist nach rechts stark erweitert. Die große Ge¬ 
schwulst nimmt die ganze rechte und einen Teil der linken Bauchhälfte ein und 
reicht bis zum Nabel. Der Tumor ist elastischer Konsistenz. Erweiterte Haut¬ 
venen. Kein Ascites. Lungenbefund normal. Herztöne rein, Spitzenstoß etwas 
nach außen verdrängt. Der Umfang des Leibes über die Kuppe der Geschwulst, 
3 cm unterhalb vom Proc. xyphoideus beträgt 89 cm, Körpergewicht 40,6 kg. 
Puls 72. Atmung 20. Urin ohne Eiweiß, spez. Gewicht 1010. 

Blut: Hb 65%, rote Blutkörperchen 4 500 000, weiße 8700, reichliche Eosino¬ 
philen. WaR. negativ. 

Röntgenoskopisch (Prof. Nemenoff): Rechts steht das Diaphragma bedeutend 
höher als links und ist fast unbeweglich, die linke Hälfte bewegt sich gut. Flüssig¬ 
keitsansammlung (Cyste) unter dem Diaphragma im Zusammenhang mit der 
Leber wird angenommen. 

Bei der Magenblähung liegt dieser unterhalb der Geschwulst in der Nabel¬ 
gegend und niedriger. 

Cystoskopisch (Prof. Lissowskaja) wird beim Ureterenkatheterismus nach¬ 
gewiesen, daß die rechte Niere gesund und nur der rechte Ureter vom Tumor etwas 
komprimiert wird. 

Die in der Inneren Klinik ausgeführte Punktion ergab rechts zwischen der 
8. und 9. Rippe der Axillarlinie entlang eine schokoladenfarbige Flüssigkeit, die 
2% Eiweiß enthielt, geringe Anzahl von Erythrocyten und sehr viel Zerfall Echi¬ 
nococcushaken sind nicht vorhanden. 

30. III. 1920. Operation (Prof. W. Schaack). In Äthemarkose großer Schräg¬ 
schnitt längs dem rechten Rippenbogen. Nach Eröffnung der Bauchhöhle liegt 
eine sehr große prall angefüllte Cystengeschwulst vor, Wandung recht dick, glatt, 
von gräulicher Farbe mit sehr stark entwickelten Gefäßen. Die rechte Leber¬ 
hälfte ist dünn, nach links verschoben. Nach abgrenzender Tamponade wird die 
Cyste breit gespalten und 5 1 einer schokoladefarbigen Flüssigkeit entleert. Nur 
nach Entleerung der Cyste wurde es möglich, sich genauer zu orientieren. Die 
rechte Niere konnte als nicht verändert palpiert werden. Kein Zusammenhang 
der Cyste mit dem Pankreas. Der obere Teil des rechten Leberlappens ist stark 
verdünnt und geht unmittelbar in die Cystenwand iiber 9 die Cyste geht aus der unteren 
Fläche des rechten Leberlappens aus. Ein Stück der Cystenwand wird exstirpiert. 
Im übrigen wird das Lumen der Cyste durch Nähte verkleinert und in die Bauch¬ 
wand eingenäht und drainiert. Die Innenwand der Cyste ist rauh. 

Im weiteren Verlauf langsame Verkleinerung der drainierten Höhle, einmal 
Eiterretention mit Temperaturerhöhung. Allmähliches Genesen der sehr herunter¬ 
gekommenen Pat. 

4 Monate nach der Operation hatte die Pat. auf der festen Narbe 2 Fisteln, 
die etwas sezemierten. Gewichtszunahme von 15 kg. 

Nach 9 Monaten Nachuntersuchung. Allgemeinzustand gut, Gewicht 57 kg 


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Nichtparasitäre Lebercysten. 


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(seit der Operation 17 kg zugenommen), arbeitsfähig, auf der Operationsnarbe 
kleine Fistel; Pat. wird in der Chirurgischen Pirogoff-Gesellschaft demonstriert. 

Die mikroskopische Untersuchung der Cystenwand ergibt, daß sie aus einer 
dicken Bindegewebschicht besteht. Diese Schicht hat zahlreiche Gefäßlumina 
verschiedenen Kalibers. Beste von Gallengängeepithel konnten im ezstirpierten 
Stück der Cystenwand nicht nachgewiesen werden. Die Bindegewebsschicht der 
Wandung, 2—3 mm dick, besteht aus 3 Schichten, die äußere Schicht ist schmal 
und besteht aus Bindegewebe, welches reich an kernhaltigen Zellen ist, dann 
kommt eine dickere Bindegewebschicht, arm an zelligen Elementen und schlie߬ 
lich die innere lockere Schicht, wieder mit reichlichen Zellelementen. In dieser 
Schicht befinden sich auch die zahlreichen Gefäße. 

Somit hatten wir es in unserem Falle mit einer großen umlangreichen 
Cyste zu tun, die die ganze rechte obere Bauchhälfte einnahm und aus 
der unteren Fläche des rechten Leberlappens ausging, wobei während 
der Operation festgestellt werden konnte, daß der stark verdünnte 
Leberrrand unmittelbar in die Cystenwand überging. 

Thöle •) sagt in seiner Monographie über Chirurgie der Leberge¬ 
schwülste, daß, wenn ein Fall als nicht parasitäre Lebercyste sicher 
gestellt sein soll, so muß der Zusammenhang mit der Leber durch Operation 
oder Sektion erwiesen sein, und Echinococcus muß ausgeschlossen sein. 

Unsere Beobachtung genügt vollkommen beiden Forderungen. 

Allerdings sind wir nicht imstande, an der Hand der mikroskopischen 
Untersuchung der Cystenwand ad oculos den Leberursprung der Cyste 
zu beweisen, da die Epithelauskleidung der Gallengänge, aus welchen 
sich nach der Ansicht der Mehrzahl der Pathologen diese Cysten, zum 
Typus der Cystoadenome gehörend, entwickeln, fehlte. 

Aber bei Cysten, die derartige Dimensionen erreichen, wie in unserem 
Falle, und bis zu 5 1 Flüssigkeit enthalten, ist ein derartiges Fehlen 
der Epithelauskleidung auf der Innenfläche verständlich und wird 
recht häufig beobachtet, besonders am peripherem Teil der Cysten¬ 
wand. Bei Zunahme des Cysteninhalts vergrößert sich der Druck 
innerhalb der Cyste, die Wandungen werden dünner, die Epithelschicht 
atrophiert durch den Druck, das Cylinderepithel wird zunächst abge¬ 
flacht und kann schließlich bei größerer Dehnung und stärkerem Druck 
vollständig verschwinden, so daß bei Untersuchung dieser peripheren 
Cystenwandabschnitte das Epithel ganz fehlt. 

So war es bei unserer Patientin, dasselbe wurde, wie wir weiter 
unten sehen werden, in einer Reihe von schon publizierten Fällen be¬ 
obachtet. 

Es ist anzunehmen, daß in unserem Falle das von der Patientin 
erlittene Trauma, Fallen von der Treppe, eine erhebliche Rolle gespielt 
hat. Es entstand dabei ein reichlicher Bluterguß ins Innere der Cyste, 
sie nahm an Umfang zu und fing an, Beschwerden zu verursachen, die 
hauptsächlich in Schmerzen im Bauch und Rücken, besonders beim 
Gehen und während der Arbeit bestanden. 


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W. Schaack: 


In mehreren Fällen von nicht parasitären Lebercysten, die in der 
Literatur schon beschrieben und in den erwähnten Statistiken enthalten 
sind, und in einigen Beobachtungen, die ich noch in den Publikationen 
der letzten Jahre finden konnte, treffen wir einen ähnlichen Bau der 
Cystenwand an, wobei die Epithelauskleidung fehlt. So z. B. der Fall 
von Ahlfeld (Nr. 6 in der Tabelle der Arbeiten von Hof mann und Ikonni- 
hoff): aus einer großen Cyste, die aus der unteren Leberfläche ausging, 
wurden 8 1 Flüssigkeit entleert, ein reseziertes Stück der Cystenwand 
ist 1—2 mm dick und besteht aus Bindegewebe, keine Epithelaus¬ 
kleidung. 

Dann im Falle von Rosenstein 1 ) (cf. weiter unten Krankengeschichten¬ 
auszug Nr. 2) haben wir den Hinweis, daß die Cystenwand, neben Stellen 
mit Epithelauskleidung, solche Partien hatte, wo die Wand nur aus 
Bindegewebe bestand, das Epithel fehlte; die Cyste enthielt 3 1 Flüssig¬ 
keit. Ähnlich verhielt es sich im Falle von Hoffmann, wo die Wand 
der Cystenkuppe nur aus Bindegewebe bestand, dabei wurden, ebenso 
wie in unserem Falle, 3 Bindegewebsschichten unterschieden. Im 
Falle von Dujarier 6 ) (cf. Krankengeschichtenauszug Nr. 4) bestand die 
Cystenwand bei der Untersuchung nur aus Bindegewebe. 

Bei der Kranken von Lissjanski und Liudkewitsch 9 ) wurde in An¬ 
betracht des erheblichen Blutergusses ins Cysteninnere und starker 
Vergrößerung des Umfanges, mit Dehnung und Druck auf die Cysten¬ 
wand, ebenfalls keine Epithelauskleidung beobachtet. 

In dem interessanten Falle von Elise Weishaupt 10 ) (cf. Kranken¬ 
geschichtenauszug Nr. 11) wurde bei der Untersuchung der während 
der Operation exstirpierten Cystenwandung nur Bindegewebe gefunden, 
da aber der Fall letal endigte, so konnte bei der Sektion eine andere 
Stelle der Cystenwand zur mikroskopischen Untersuchung gewonnen 
werden, und zweit aus unmittelbarer Nähe des Ursprungs der . Cyste 
aus der Leber, hier gelang es, vergrößerte und erweiterte Gallengänge 
festzustellen, die mit Cylinderepithel ausgekleidet waren. 

Dieser Fall beweist es, daß das Vorhandensein einer Epithelaus¬ 
kleidung in dem, während der Operation resezierten Cystenwandslück, 
nicht eine Conditio sine qua non ist, damit die betreffende Cyste als nicht 
parasitäre Lebercyste angesprochen wird. Notwendig ist es allerdings, 
sich zu überzeugen, daß die Cyste unmittelbar in die Leber übergeht, wie 
das in unserem und anderen Fällen festgestellt werden konnte. 

In einigen Beobachtungen, besonders in denen älterer Autoren, 
fehlen leider die mikroskopischen Untersuchungen der Cystenwandung 
(die Fälle von Gloz 1864, Cousins 1874, North 1882, Koerte 1893, Terillon 
und Shrobak, zit. nach der Tabelle bei Hofmann). 

Weiterhin erlaube ich mir, die Statistiken von Hofmann, Ikonnikoff 
und Parin durch weitere Fälle von nichtparasitären Leberoysten, die 


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Nichtparasitäre Lebercysten. 


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es mir gelang, seit 1913 in der Literatur zu finden, zu vervollständigen, 
dabei führe ich den Fall von Elise Weishauft (1909) an, der in den frühe¬ 
ren Statistiken nicht berücksichtigt wurde. 

Ich konnte im ganzen noch 11 Fälle finden, von welchen hier nur 
ganz kurze Auszüge aus den Krankengeschichten folgen: 

1* Origorjeff , S. O. (Wratschebnaja Gazeta 1913, Nr. 40—41. Russisch). 
50 jährige Frau. Partielle Exstirpation einer kindskopfgroßen Lebercyste, der 
übrigbleibende Teil der Cyste wird in die Bauchwunde eingenaht. Die Cyste 
nahm ihren Ursprung von der Unterfläche der Leber. Der Cysteninhalt war durch¬ 
sichtig, die Wandungen glatt. Ein Trauma ward nicht vorhanden. 

2* Rosenstein , M . M. (Chirurgia 35, 52. 1914. Russisch). 47 jähriger Mann 
mit großem Tumor in der oberen Bauchgegend, der rechts in die Leberdämpfung 
übergeht. Fluktuation. In der mittleren Bauchgegend können noch 2 Geschwülste 
durchgefühlt werden, die bei Druck sich nach hinten in die Nierengegend vor¬ 
wölben. Mittlere Laparotomie. Der sackartige Tumor, der aus dem linken Leber¬ 
lappen ausging, wurde in toto exstirpiert. Nach Entfernung dieses cystischen 
Tumors erwies es sich, daß die ganze Leber mit kleinen Cysten von verschiedener 
Größe angefüllt ist. 

Ähnliche cystöse Gebilde befinden sich in der Nierengegend und im Pankreas. 
Die Blutung aus der Leber wird durch Ligaturen und Nähte gestillt. Die Leber 
wird an die vordere Bauchwand angenäht. Nach 3 Wochen mit fast verheilter Wunde 
entlassen. Die entfernte Cyste enthält 3 1 einer durchsichtigen zähen Flüssigkeit 
mit 7°/oo Eiweißgehalt und spez. Gewicht 1042. Bei mikroskopischer Untersuchung 
besteht die Wandung der Cyste aus 3 Schichten, die innere ist teils mit niedrigem 
Cylinderepithel, teils mit plattem, ausgekleidet, teils fehlt das Epithel ganz. Die 
mittlere Schicht bildet festes Bindegewebe, stellenweise mit Leberzellen. Die 
äußere Schicht besteht aus lockerem Bindegewebe. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung eines Leberstückchens ergab die Anwesenheit einer Menge von kleinen 
•Cysten mit für die Gallengänge typischem Epithel. 

8. Derselbe (L c.). 37 jährige Frau mit Gelbsucht und Tumor in der Oberbauch¬ 
gegend, der sich vergrößerte. Die Gegend unter dem rechten Rippenbogen ist 
von der Geschwulst eingenommen, sie fluktuiert. Operation. Rippenrandschnitt. 
Der elastische Tumor wird eröffnet und 11 trüber Flüssigkeit entleert. In dieser 
Cyste befanden sich noch 3 Cysten. Ein Teil der Cyste wird exstirpiert, der übrige 
Teil wird in der Bauchwunde eingenäht und drainiert. Nach 3 Wochen wurde Pat. 
mit geheilter Wunde entlassen. Die mikroskopische Untersuchung ergab an der 
Innenfläche Cylinderepithelauskleidung, weiterhin befindet sich Bindegewebe und 
-eine Schicht Lebergewebe. 

4. Dujarier , Ch. (Bull, et möm. de la soc. chirurg. de Paris 1914. Ref. Zentralbl. 
f. Chirurg. 1914, Nr. 25). Erfolgreiche Exstirpation einer Cyste aus der Leber¬ 
oberfläche. Die Cyste ging aus dem Lig. suspensor. hepatis aus. Die mikroskopische 
Untersuchung ergab eine Wandung aus Bindegewebe ohne Epithelauskleidung. 
Der Cysteninhalt war eine durchsichtige schleimige Flüssigkeit. 

5« Borden (Virginia med. semimonth. 18, Nr. 24. 1914, Ref. Zentralorg. 5, 
610. 1914). 50 jährige Negerin. Seit 4 Monaten fluktuierender Tumor in der 
Oberbauchgegend. Laparotomie. Eine große Cyste zwischen Diaphragma und 
Leber, auf der Oberfläche der Leber noch einige kleine Cysten. Einnähen und 
Drainage der Cyste. In 5 Wochen Heilung. Die Cyste enthielt 3663 ccm durch¬ 
sichtige gelbliche Flüssigkeit, spez. Gewicht 1009, viel Eiweiß, keine Echinococcus¬ 
haken. 


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188 


W. Schaack: 


6. Everidge, J. (Lancet 189, Nr. 25, S. 1748. 1919. Ref. Zentralorgan f. <L gee- 
Chirurg. 9 . 1920). 16jähriges Mädchen mit Anfällen von Leberschwellung, mit 
Schmerzen und Ikterus. Laparotomie. In der Dicke der Leber befindet sich 
eine Cyste medial von der Gallenblase. Bei der Punktion grünliche durchsichtige 
gallige Flüssigkeit. Die Cyste nimmt die ganze Dicke der Leber ein. Es wird eine 
Anastomose zwischen der Cyste und Duodenum angelegt. Heilung. Der Autor 
meint, daß hier ein Divertikel eines Gallenganges vorlag. 

7. Zindel , L. (Bruns 9 Beitr. z. klin. Chirurg. € 9 , 655. 1918). 23jähriger Mann, 
bei dem ein retroperitonealer Tumor angenommen wurde. Bei der Operation er¬ 
wies es sich, daß die Leber von zahlreichen Cysten eingenommen war. Aus dem 
rechten Leberlappen wird ein faustgroßes Stück entfernt. Naht der Leberwunde- 
Heilung. Der Inhalt der Cysten bildet durchsichtige Flüssigkeit. Die Wand ist 
mit Cylinderepithel, dem Epithel der Gallengänge entsprechend, ausgekleidet, und 
besteht aus Bindegewebe. 

8—9* Margarucci (XXVIII. ital. Chirurg.-Kongreß, Neapel Oktober 1921. 
Ref. Zentralorgan f. Chirurg. 19, 228). 2 Fälle von nichtparasitären Lebercysten. 
Histologisch-cystoadenoma. Es wird Exstirpation oder Einnähen der Cysten 
empfohlen. (Genauere Angaben über die Fälle fehlen leider.) 

10. Li88janski , W. J . und Ljudkewitsch , A . P. (Russki Wratsch. 1913, Nr. 1- 
Russisch). 29 jährige Bäuerin mit großem Tumor in der rechten Bauchhälfte. 
Schwangerschaft glücklich überstanden. Vor 2 Monaten Trauma der rechten 
Rückenhälfte. Laparotomie. Über kindskopfgroße Lebercyste mit blutigem 
Inhalt, die Wandung mit Fibringerinnseln bedeckt. Resektion eines Teües der 
Cyste und Einnähen in die Bauchwunde. Mikroskopisch bestand die Cystenw&nd 
aus einigen Bindegewebsschichten, eine Epithelauskleidung wurde nicht fest¬ 
gestellt. 

11. Weishaupt, Elise (Zeitschr. f. Geburtsh. u. Gynäkol. 95, 60. 1909). 52jähr. 
Frau, eine große Ovarialcyste wurde angenommen. * Laparotomie. Die Cyste 
hängt nicht mit den Adnexen zusammen, sondern geht aus der Leber aus. Punk¬ 
tion und Eröffnung der Cyste, mehrere Liter Flüssigkeit wurden entleert. Der 
größte Teil der Cystenwand wird exstirpiert, der Rest, mit der Leber engver- 
wachsen, wird in die Bauchwunde eingenäht. Nach 6 Tagen Exitus . Die mikro¬ 
skopische Untersuchung der bei der Operation gewonnenen Cystenwand ergibt 
Bindegewebe ohne Epithelauskleidung auf der Innenseite . Bei der Sektion wurden 
zur Untersuchung weitere Cystenwandstellen genommen aus unmittelbarer Nähe 
der Übergangsstelle in die Leber, ln diesen Partien wurden mikroskopisch er¬ 
weiterte und ausgewachsene Qallengänge, mit Cylinderepithel ausgekleidei, nach¬ 
gewiesen. 

Somit kann die letzte Statistik von Parin aus dem Jahre 1913 
von 25 Fällen um die eben angeführten 11 Fälle vermehrt werden, hierzu 
kommt noch unsere eine eigene Beobachtung, im ganzen also basieren 
unsere weiteren Ausführungen auf 37 Fälle von nicktparasitären Leber¬ 
cysten. 

Was die Klassifikation dieser Cysten, ihre pathologische Anastomie 
und ihre Pathogenese anbetrifft, so herrscht in dieser Hnsicht bei den 
Autoren bei weitem noch keine Einigkeit. Die genauere Bearbeitung der 
Literatur hierüber würde uns zu weit führen, teilweise wäre das auch 
überflüssig, da diese Fragen in den Arbeiten von Hofmann und Parin 
und in der Monographie von Thöle ausführlich erörtert werden. 


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Nichtparasitäre Lebercysten. 


189 


Zusammen mit Thöle uns der anatomisch-genetischen Klassifikation 
Virchows anschließend, können wir für die nichtparasitären Lebercysten 
2, allerdings ungleiche, Gruppen annehmen: 1. lymphatische und Blut¬ 
cysten, d. h. eigentliche cystöse Lymph- und Hämangiome der Leber, 
und 2. Cystoadenome. 

Die erste Gruppe wird selten beobachtet und hat fast kein chirur¬ 
gisches Interesse. 

Die 2. Gruppe der Cystoadenome ist groß und mannigfaltig, und 
<la diese Cysten oft erheblichen Umfang erreichen und die ganze Bauch* 
höhle einnehmen können, so ist ihr chirurgisches Interesse groß. 

Nach Ansicht der Mehrzahl von Autoren entwickeln sich diese 
Cysten aus nicht ausgenutzten embryonalen Gallengängen, welche späterhin 
unter dem Einflüsse von unbekannten Ursachen anfangen zu wachsen 
und drüsige Gebilde von tubulärem Typus geben; diese Tuben toerden 
■von der Flüssigkeit stark auseinandergezogen und bilden Cysten, in deren 
Umgebung sich eine Bindegewebswucherung bemerkbar macht. 

Dabei besteht zwischen angeborenen und erworbenen Cystoadenomen 
kein prinzipieller Unterschied (Thöle). Ebenso verhält es sich offenbar 
mit den solitären und multiplen Cysten und mit den Fällen, wo die 
ganze Leber von einer Menge von Cysten durchsetzt ist, der sog. cysti- 
schen Degeneration der Leber. 

Man muß sich in dieser Hinsicht mit Hof mann u. a. einverstanden 
erklären, welche behaupten, daß die verschiedenen Formen dieser Cysten 
nur verschiedene Phasen desselben Leidens darstellen, dem ein und 
derselbe Prozeß zugrunde liegt, obgleich einige Autoren, z. B. Parin , 
«in derartiges Entstehen einer solitären Cyste aus einer multiplen 
noch nicht für genügend erwiesen halten. 

Die Cysten können sehr verschiedenen Umfang erreichen, an* 
gefangen von sehr kleiner Größe bis zu Kopfgröße eines Erwachsenen 
und weit darüber, so daß derartige Cysten den größten Teil der 
Bauchhöhle einnehmen und viele Liter Flüssigkeit erhalten. Der 
Bau der Cystenwand kann, wie wir gesehen haben, ein verschiedener 
sein, was hauptsächlich von der Größe der Cyste abhängt. Bei 
sehr ausgedehnten Cysten kann die Wandung nur aus Bindegewebe 
bestehen, in anderen Fällen treffen wir die typische Epithelaus¬ 
kleidung auf der Innenfläche an, welche bald glatt, bald rauh und 
von Fetzen bedeckt sein kann. Der Inhalt der Cysten ist ebenfalls 
verschieden, in einigen Fällen hell und durchsichtig, in den anderen 
— trübe mit Gewebszerfall, von einer gelblich-grünlichen bis zur 
dunklen Schokoladenfarbe. 

Frauen werden von Cystoadenomen der Leber bedeutend häufiger 
befallen als Männer. In den 37 Fällen ist das Geschlecht in 30 Fällen 
Angegeben, davon waren 22 Frauen und nur 8 Männer. 


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190 


W. Schaack: 


Für das klinische Bild dieser Erkrankung ist es charakteristisch, 
daß die Cysten lange Zeit symptomlos sind und daher unbemerkt bleiben. 
Sie sind gutartig und wachsen sehr langsam, doch unter gewissen Um¬ 
ständen, z. B. nach Traumen, welche einen Bluterguß ins Cysteninnere 
hervorrufen, können sie sich stark und schnell vergrößern. In diesen 
Fällen verursachen die Cysten Schmerzen, Beschwerden beim Gehen 
und Dyspnoe. Im weiteren Verlaufe können diese Cysten, ungeachtet 
ihrer Gutartigkeit, den Organismus sehr schwächen und herunter¬ 
bringen, so daß die Kranken schließlich ein eigenartiges, kachektisches 
Aussehen bekommen, wie das z. B. bei unserer Kranken zu beobachten 
war. 

Irgendwelche charakteristische Symptome, außer dem Vorhandensein 
eines Tumors in der Bauchhöhle in der Lebergegend, sind meistens 
nicht zu beobachten. In seltenen Fällen wird Ikterus vermerkt. 

Eine genauere Diagnose vor der Operation ist in der Mehrzahl der 
Fälle unmöglich. Im besten Falle muß man sich mit der Diagnose 
einer cystischen Geschwulst der Leber begnügen. Auf Grund der kli¬ 
nischen Untersuchungen ist es auch schwer, eine Echinococcuscyste 
der Leber von einer nichtparasitären zu unterscheiden. In unserem 
Falle, da wir das Resultat der in der Inneren Klinik ausgeführten Punk¬ 
tion hatten, konnten wir mit großer Wahrscheinlichkeit Echinococcus 
ausschließen, und es wurde schon vor der Operation eine nichtparasitäre 
Lebercyste angenommen, obgleich die Möglichkeit einer Pankreascyste 
nicht auszuschließen war. Doch muß bekanntlich nach unseren all¬ 
gemeinen chirurgischen Regeln, besonders bei Verdacht auf Echino¬ 
coccus, von einer Punktion Abstand genommen werden. 

Eine Verwechslung mit Ovarialcysten ist auch möglich, was der Fall 
von Elise Weishaupt beweist, wobei zu bemerken ist, daß auch während 
der Operation eine genauere Orientierung über die topographischen 
Verhältnisse dazwischen recht schwierig ist. 

Die Behandlung der nichtparasitären Lebercysten kann nur eine 
operative sein, doch einige Fälle unterliegen überhaupt nicht einem 
chirurgischen Eingriffe, das bezieht sich hauptsächlich auf die mul¬ 
tiplen Lebercysten, die sog. cystische Degeneration der Leber. 

Der Operation unterliegen diejenigen Cysten, welche Beschwerden 
hervorrufen, teils durch ihre Größe, teils durch Schmerzen. 

Es können verschiedene Operationen angewandt werden. 

Die radikalste Methode besteht in der vollständigen Exstirpation 
der ganzen Cyste. Eine derartige Operation ist mehrfach mit gutem 
Erfolge ausgeführt worden, sie garantiert vor Rezidiven und führt 
schnell zur Heilung. Auf 35 Fälle (2 Beobachtungen von Margarucci, 
8 und 9, müssen leider fortfallen, da im mir zugänglichen Referat die 
Operation und das Resultat nicht näher angegeben) wurde die Ex- 


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Nichtparasitäre Lebercysten. 


191 


stirpation der Cyste in 9 Fällen ausgeführt, mit einem Todesfall. Unter 
den von mir gesammelten Fällen wurde die Exstirpation der Cyste 
von Rosenstein (2) und Dujarier (4) ausgeführt, im ersten Falle mußte 
das Leberbett genäht werden, der Patient konnte nach 3 Wochen 
geheilt entlassen werden. 

In 2 Fällen wurde die Exstirpation der Cyste mit der Resektion 
eines Leberteils kombiniert, und zwar mit gutem Erfolg, das sind die 
Fälle von Höherer u ) und Zindel (7). 

Die häufigste Operation jedoch, die in den meisten Fällen von 
nichtparasitären Lebercysten ausgeführt wurde, besteht in der Er¬ 
öffnung der Cyste, deren Entleerung und Einnähen in die Bauchivunde 
mit nachfolgender Drainage der Höhle, wobei diese Operation öfters 
mit einer partiellen Resektion der Cystenwandung kombiniert werden 
kann, wie das auch in unserer Beobachtung der Fall war. Derartige 
Operationen sind 19 mal ausgeführt worden (in unserer Sammelstatistik 
die Fälle 1,3, 5,10,11), in 4 Fällen trat Exitus ein. 

Zu den Nachteilen dieser Operation gehört der langdauernde post- 
operative Verlauf und die oft sehr lange Zeit verbleibende Fistel, die 
manchmal zu einer zweiten Operation drängen kann, besonders, wenn 
sich hierzu noch eine Infektion gesellt, wie das im Falle von Ikonnikoff 
war. 

Ungeachtet dieser offenbaren Nachteile wird man sich doch, 
besonders bei sehr großen Cysten, mit einer derartigen partiellen 
Resektion und Einnähen der Cyste begnügen müssen, da eine 
vollständige Exstirpation des Cystensacks einen zu großen Ein¬ 
griff darstellt, der zu erheblichen Blutungen aus der Leber führen 
kann, was die meist schwachen Patienten nicht imstande wären zu 
ertragen. 

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß in 4 Fällen auch die 
Punktion der Cyste ausgeführt wurde, allerdings gehören diese Fälle 
ganz alten Autoren (z. B. Oloz, 1864, Norts, 1882, cf. Tabelle bei Hofmann ), 
diese Fälle endigten alle letal, ein derartiges Vorgehen ist daher ganz 
zu verwerfen. 

In einem der von mir gesammelten Fälle ( Everidge , 6) wurde 
eine Anastomose zwischen der Cyste und Duodenum angelegt. Es wurde 
Heilung erzielt. Auf den ersten Blick kann ein derartiges Verfahren 
als zweckmäßig erscheinen, doch ist es schwerlich zu empfehlen, 
1. wird die Cyste nicht beseitigt, und 2. liegt dabei die Gefahr einer 
Infektion vom Darme aus vor. 

In nachfolgender kleinen Tabelle sind die 35 Fälle von nichtparasi¬ 
tären Lebercysten, den ausgeführten Operationen nach, zusammen- 
gestellt: 


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192 


W. Scbaack: Nichtparasitäre Lebercysten. 


Operationsmethode 

Zahl der 
Operationen 

Heilung 

Exitus 

Vollständige Exstirpation .. 

9 

8 

i 

Exstirpation mit partieller Resektion eines Leberstückes 1 
Eröffnung der Cyste, partielle Resektion der Wand, ' 

2 

2 


Einnähen, Drainage.| 

1 19 

i 15 

4 

Punktion der Cyste. j 

; 4 


4 

Anastoraose der Cyste mit Duodenum.| 

i l 

1 

— 

Im ganzen: [ 

35 

j 26 ! 

9 


Aus dieser Tabelle ist ersichtlich, daß die Mortalität nach den Ope¬ 
rationen wegen nicht parasitärer Lebercysten keine große ist, besonders, 
wenn wir noch in Betracht ziehen, daß die Todeszahl noch durch die 
4 Punktionsfälle, mit diesem unzulässigen Eingriff aus alter Zeit, die 
alle letal verliefen, vergrößert wird. Wenn wir diese 4 Fälle abziehen, 
erhalten wir 5 Exitus auf 31 Fälle, was eine Mortalität von 12,9 % 
ausmacht. Außerdem zeigen die angeführten Zahlen, daß die radikale 
Operation, die vollständige Exstirpation der Cyste, nur 1 Todesfall gab. 
Daher ist es anzustreben , in jedem Falle eine vollständige Exstirpation 
der Cyste vorzunehmen , und nur, wenn ein derartiger Eingriff ohne Gefahr 
für den Kranken nicht ausführbar ist, hat man sich mit der partiellen 
Resektion der Cystenwand zu begnügen mit nachfolgendem Einnähen 
in die Bauchwunde , ein Verfahren, welches ebenfalls gute Resultate gibt. 


Literaturverzeichnis. 

x ) Lepmann , Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 54 , 447. 1900. — Ä ) Hofmann, Mitt. 
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 10 , 676. 1902. — 3 ) IJconnikoff, P. 8., Ruaski 
Wratsch 1906, Nr. 38 (russisch). — 4 ) Orloff , W. N ., Chirurgia 1903, S. 433 (rus¬ 
sisch). — 6 ) Parin, W . N., Chirurgitscheski Archiv Weljaminowa 29, 613. 1913 
{russisch). — Ä ) Thöle, Neue dtsch. Chirurg. 1. 1913. — 7 ) Rosenstein , M. Jf., 
Chirurgia 35, 52. 1914 (russisch). — 8 ) Dujarier , Bull, et m6m. de la soc. chirurg. 
de Paris 1914. Ref. Zentralbl. f. Chirurg. 1914, Nr. 25. — 9 ) Lissjanski und Ljudke- 
witsch, Russki Wratsch 1913, Nr. 1 (russisch). — 10 ) Weishaupt, Elise, Zeitschr. f. 
Geburtsh. u. Gynäkol. €5. 1909. — n ) Origorjeff , S. G., Wratschebnaja Gazeta 
1913, Nr. 40—41 (russisch). — 12 ) Borden, Virginia med. semimonth. 1919, Nr. 29. 
ref. Zentralorgan f. d. ges. Chirurg. 5 , 601. 1914. — 1S ) Everidge, Lancet 1914, 
Nr. 25; ref. Zentralorgan f. d. ges. Chirurg. 6 . 1920. — 14 ) Zindel, Bruns’ Beitr. z. 
klin. Chirurg. 60 , 655. 1918. — 16 ) Margarucci, Rif. med. 46 , 1079. 1921. — 1Ä ) Hö¬ 
herer, Wien. klin. Wochenschr. 1909, S. 1788. 



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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik Würzburg, Luitpoldkrankenhaus 
[Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Fritz König\) 

Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen 1 ) 

(in Unterfranken). 

Von 

Dr. Ernst Stahnke, 

Assistent der Klinik. 

„ Mit 5 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 19. Februar 1923.) 

Auf der Tagung Mittelrheinischer Chirurgen 1920 berichtete Hotz 
über histologische Befunde bei jugendlichen Strumen , die nach den bisher 
gültigen Anschauungen zum klinischen Status des Kropfträgers in Wider¬ 
spruch stehen. Hotz fand bei Strumösen, die die deutlichen Zeichen 
der Hypothyreose darboten, mikroskopische Bilder, die denen ähneln, 
wie wir sie bei Hyperthyreosen zu finden gewohnt sind; ja, man hätte 
nach der Histologie vielmehr einen klinischen Basedow erwarten können. 
Des weiteren bot sich ihm neben anderen Fällen bei 3 Geschwistern 
von 9, 13 und 11 Jahren das gleiche mikroskopische Bild (Struma 
diffusa parenchymatosa, bestehend aus kleinen und mittleren, wenig 
kolloidhaltigen Bläschen, Epithel kubisch, zylindrisch, stellenweise 
kleine Papillen gegen das Lumen) mit ganz divergierenden klinischen 
Erscheinungen dar. Das kleine Mädchen war geistig zurückgeblieben 
mit kretinösen Stigmata, der Junge im übrigen normal, beim Mädchen 
leichter Basedow. Solche Befunde müssen zur Untersuchung jugend¬ 
licher Strumöser auch in anderen Kropfgegenden anregen, wie denn 
auch Hotz eine Sammelforschung anregte. Daß sich hierbei in den ein¬ 
zelnen Kropfzentren wesentliche Unterschiede — analog der bisherigen 
Kropfforschung — finden werden, erscheint zu erwarten. — Bei der 
Durchsicht der ins Unübersehbare angewachsenen Kropfliteratur ist 
man nun erstaunt, wie wenig eigentlich speziell die Struma bei Jugend¬ 
lichen das Interesse der Forscher erweckt hat. Wir finden vorwiegend 
pathologisch-anatomische Untersuchungen der Schilddrüse des Kindes 
und Heranwachsenden, teilweise vergleichende Studien zwischen 

*) Mit gütiger Unterstützung der Gesellschaft zur Förderung der Wissen¬ 
schaften bei der Universität Würzburg. 

Archiv t. klin. Chirurgie. 126. 13 


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194 


E. Stahnke: 


Gebirgs- und Flachlandschilddrüsen (v. Eiseisberg, Elkes, Gleim, Hessel¬ 
berg, Hitzig, Isenschmid, Klöppel, Langhaus, Lübke, Michaud, Sanderson- 
Damberg, Wegelin, Wölfler, Zielinska u. a.), weiterhin Beobachtungen 
über den Einfluß der Schilddrüse auf das Knochenlängenwachstum 
(v. Eiseisberg, Hofmeister, Holmgren, Schlesinger u. a.) und schließlich 
Ausführungen, die klinisch hervortretende thyreotoxische Erschei¬ 
nungen bei Jugendlichen zum Gegenstand haben. Unter den letzteren 
hat die Basedowsche Krankheit als einzige eine liebevolle histologische 
und klinische Durchforschung erfahren. Aber eine Untersuchung über 
eine größere Reihe von „gewöhnlichen“ Strumen des jugendlichen 
Alters sowohl im klinischen wie im histologischen Sinne finden wir 
nicht. Im allgemeinen werden die Strumen im ersten und zweiten 
Dezennium im Rahmen der Strumen jeden Lebensalters mit abgehandelt. 
Es erscheint dies um so verwunderlicher, wenn man bedenkt, daß 90% 
aller Kröpfe (nach Krönlein) in dem ersten und zweiten Dezennium 
entstehen, und daß also gerade während dieser Entstehungszeit der 
größte Einblick in das Werden der Struma gewonnen werden müßte. 
Die einzige Ausnahme macht hierin die Knotenstruma, aber auch 
wieder nur insofern, als die histologische Seite der Knotenbildung in 
Betracht kommt. 

Nach dem eben Gesagten erschien mir eine Untersuchung jugend¬ 
licher Strumaträger unter Berücksichtigung der histologischen und kli¬ 
nischen Komponente recht reizvoll. Gelegenheit war mir dazu bei dem 
großen Kropfmaterial unserer Klinik reichlich geboten. Es kamen im 
ganzen 50 operierte Kröpfe zur Untersuchung. Mithin ist das Material 
ein rein chirurgisches, was zu betonen mir notwendig erscheint im Hin¬ 
blick auf andere frühere oder spätere Befunde. Die Untersuchung 
erstreckt sich auf einen Zeitraum von Herbst 1920 bis Sommer 1922. 
Eine Auswahl unter den operierten Fällen wurde nicht getroffen; ein 
Teil der Patienten konnte aus rein äußerlichen Gründen nicht in die 
Untersuchung hineinbezogen werden. Die jüngste Kropfpatientin ist 
6 Jahre alt; als obere Grenze wählte ich das vollendete 17. Lebensjahr, 
ein Zeitpunkt, der einen gewissen Abschluß im Wachstum bedeutet. 
Ich war mir aber natürlich bewußt, daß diese Grenze eine willkürliche 
ist. Wie gesagt, handelt es sich lediglich um operative Fälle, und damit 
bin ich einer gewissen Schwierigkeit enthoben, nämlich zu definieren, 
was unter Kropf bei Jugendlichen verstanden werden soll, und wo die 
Abgrenzung gegenüber der physiologischen Anschwellung zur Pubertäts¬ 
zeit, wie sie uns in Kropfgegenden täglich begegnet, liegt. Es muß eine 
gewisse Insuffizienz der Schilddrüse gegenüber der erhöhten Beanspru¬ 
chung während der Adulescenz in Kropfgegenden angenommen werden, 
wogegen sich der Organismus durch eine funktionelle Hyperplasie 
hilft. A. Kocher faßt den Begriff einer normalen Schilddrüse folgender- 


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Zur Histologie und Klinik jugendlioher Strumen. 


195 


maßen: „Als anatomisch und physiologisch normal können wir diejenige 
Schilddrüse bezeichnen, welche mit der geringsten Parenchymmenge 
den funktionellen Ansprüchen des Organismus vollständig und dauernd 
genügt. Als physiologisch normal müssen wir aber auch diejenigen 
Schilddrüsen bezeichnen, welche unter Vermehrung des Parenchyms 
den funktionellen Ansprüchen des Organismus vollständig und dauernd 
nachkommen können.“ Eine genaue Grenze läßt sich wohl hier über¬ 
haupt schwerlich aufstellen, wo das Physiologische aufhört und das 
Pathologische anfängt. Mir erscheint es praktisch richtig, dann von 
Kropf bei Heranwachsenden zu sprechen, wenn wir Erscheinungen 
finden, die auf eine verminderte oder vermehrte Funktion der Schild¬ 
drüse bezogen werden müssen, und wenn durch die vergrößerte Schild¬ 
drüse Kompressionserscheinungen an den Halsorganen, namentlich 
der Trachea, hervorgerufen werden. Die Laienwelt hat sich diesen 
Standpunkt seit langem zunutze gemacht; sie spricht von Kropf nur 
dann, wenn die Anschwellung am Halse Beschwerden macht, sonst 
fungieren die Ausdrücke „dicker Hals“, „Satthals“, „Blähhals“ im 
Sprachgebrauch. Diese Unterschiede können wir immer wieder bei der 
Aufnahme der Familienanamnese hören. In der Tat kommen denn 
auch fast alle Patienten mit Kropf wegen Druckgefühl am Halse oder 
Atembeschwerden in die chirurgische Klinik, sei es, daß sich diese 
Atem beschwerden nun nachher als tracheale oder kardiale heraus- 
stellen. Eine verschwindend kleine Ausnahme bilden diejenigen, welche 
aus rein kosmetischen Gründen ihren Kropf los sein wollen, wobei es 
sich meistens um einzelne Knoten handelt; auch unter unseren Fällen 
finden sich 2 solche. Auf das Lebensalter verteilt, kamen zur Unter¬ 
suchung: Im 6. und 7. Lebensjahr je 1, im 8. und 10. je 3, im 11. 1, 
im 12. 2, im 13. 7, im 14. 2, im 15. 8, im 16. 9 und im 17. 12 Kröpfe, 
also mit zunehmendem Alter eine steigende Zahl. Unter den Patienten 
sind 17 weiblich und 33 männlich. Dies Verhältnis ist sehr verwunder¬ 
lich, sind wir doch sonst gewohnt, die Kropfbildung mehr beim weib¬ 
lichen Geschlecht zu finden. Sehen wir von der Zufälligkeit einer solchen 
Statistik ab, so wäre das. Uberwiegen der männlichen Kropfträger 
vielleicht so zu erklären, daß die Struma, an sich beim Manne seltener, 
wenn aber zur Entwicklung kommend, dann in der Jugend solche Er¬ 
scheinungen macht, daß sie chirurgische Hilfe erfordert. Sehen wir 
uns zum Vergleich die Statistik von Blaul und Reich über die 
Kropfendemie in Wurmlingen an, welche zwischen dem 10. und 
14. Jahre 37% Knaben und 37% Mädchen mit ausgebildeter Struma, 
52% Knaben und 49% Mädchen mit deutlicher Vergrößerung der 
Schilddrüse fanden. Also auch hier stehen die Knaben den Mädchen 
nicht nach. 

Ich legte mir nun bei der Untersuchung folgende Fragen vor: 

13* 


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196 


E. St&hnke: 


1. Welche histologischen Bilder finden wir in der Struma des jugend¬ 
lichen Unterfranken? 

2. Welche klinischen Symptome können wir in bezug auf den Funktions¬ 
zustand der Schilddrüse feststellen? 

3. Wie verhalten sich klinische Symptome zum histologischen Bild und 

4. Können wir therapeutische Schlüsse aus unserer Untersuchung ziehen 
und welche? 

Was die histologische Untersuchung anbetrifft, so wurden die operativ ge¬ 
wonnenen Strumateile sofort in lOproz. Fonnalinlösung gebracht. Obwohl uns 
durch dieses Konservierungsverfahren manche färberische Beschränkung auf¬ 
erlegt wurde, so glaubten wir doch im Sinne der Einheitlichkeit so verfahren zu 
müssen. Von der Wiedergabe von Messungen und Wägungen der Strumateile 
wurde abgesehen, da sie uns keine Anhaltspunkte geben können. Aus den fixierten 
Präparaten wurde je aus den 4 Polen ein Stück zur Untersuchung, und zwar in 
der Längsrichtung des Lappens herausgeschnitten und gezeichnet; so konnte 
uns ein verschiedenes Verhalten der einzelnen Partien nicht entgehen, was sehr 
wichtig ist, wie wir sehen werden. Die Einbettung geschah in Celloidin, das uns 
für Struma am geeignetsten erschien. Gefärbt wurde mit Hämalaun, van Gieson 
und kombiniert nach Weigert-van Gieson. Um eine einheitliche Beurteilung der 
Farbenunterschiede, wie sie namentlich für die Kolloidbeurteilung notwendig 
ist, zu gewährleisten, wurden alle Schnitte beim Licht der „Reinlicht“-Mikroskopier- 
lampe Nival vorgenommen. 

Bei Besprechung der Histologie 1 ) erscheint es ratsam, die diffusen 
und die knotigen Kropfformen der besseren Übersicht wegen getrennt 
zu beschreiben. Es wird diese Trennung von der Schule Aschoffs, 
Klöppel und A. Heilung und von Klose strikte gefordert und auch durch¬ 
geführt. Ob mit Recht, möchte ich doch nicht ganz bejahen; bei der 
Betrachtung auch des klinischen Verhaltens ist jedenfalls eine solche 
Trennung nicht angängig. Wir müssen uns doch immer vor Augen 
halten, daß uns das mikroskopische Bild nicht einen Dauerzustand 
der erkrankten Schilddrüse zeigt, sondern nur den Zustand, wie er 
gerade im Augenblick der Operation war, also, wenn ich so sagen darf, 
eine Momentaufnahme aus den vielseitigen pro- und regressiven Vor¬ 
gängen, die sich in der Drüse abspielen, darstellt. A. Kocher macht 
auf diesen wechselnden Zustand denn auch ganz besonders aufmerksam. 
Deswegen ist damit noch nicht widersprochen, daß wir nicht für gewisse 
Funktionszustände, z. B. Hyperthyreosen, ein bestimmtes Bild, z. B. 
die diffuse Kolloidstruma, besonders häufig finden. Schließlich kommen 
auch hier sicherlich die lokalen Verhältnisse weitgehend zur Auswirkung. 
Ich brauche hier nur an die vergleichenden Untersuchungen von Gebirgs- 
und Flachlandsschilddrüsen in bezug auf Kolloid- und Follikelgröße 
zu erinnern. Was die pathologisch-anatomische Nomenklatur der ein- 

*) Ich möchte an dieser Stelle Herrn Priv.-Doz. Dr. Kirch vom Pathologischen 
Institut für freundlichst gegebene Auskunft bei schwierigen Bildern meinen er¬ 
gebensten Dank aussprechen. 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


197 


zelnen Formen anbetrifft, so herrscht hierin noch keine allgemeine Über¬ 
einstimmung. A. Helling hat in seiner Arbeit über die diffuse Kolloid¬ 
struma eine Zusammenstellung der gebrauchten Bezeichnungen gegeben; 
er will in Hyperplasien und Adenome einteilen und bei den Hyperplasien 
wieder eine klein- und großfollikuläre diffuse Struma unterscheiden 
neben der kongenitalen einfachen Hyperplasie und der Struma diffusa 
basedowiana. Die Einteilung der Knotenkröpfe könne nach dem gleichen 
Prinzip erfolgen. Mir erscheint aus den obengenannten Gründen der 
Darstellung diese Einteilung recht brauchbar, wenn auch die Teilung 
in mikro- und makrofollikuläre Form bei dem vielgestaltigen Bild einer 
Struma gewisse Schwierigkeiten bietet. Es kommt HeUivig wohl haupt¬ 
sächlich darauf an, den Ausdruck „parenchymatosa“ einzuschränken. 
Eine rein parenchymatöse Struma, also eine solche ohne Kolloid, habe 
auch ich nicht gesehen. Will man aber mit „parenchymatosa“ sagen, 
daß der Zellreichtum im Vordergrund des Bildes steht gegenüber dem 
minimal vorhandenen Kolloid, so ist diese Bezeichnung doch recht 
ausdrucksvoll. 

In unserem Material fanden sich: 

reine Struma diffusa microfollicularis eeu parenchymatosa . . 12 

Struma diffusa macrofollicularis seu colloidales. . 11 

zusammen 23 

Struma nodosa microfollicularis seu parenchymatosa .... 13 

Struma nodosa macrofollicularis seu colloidales. 14 

zusammen 27 

Ein Vergleich meiner Zahlen mit denen anderer Autoren ist wegen 
Abgrenzung des Alters wertlos, nur ist doch recht auffallend, daß bei 
unseren jugendlichen Strumen die diffuse und die knotige Umwandlung 
sich fast die Wage hält, während in anderen Zusammenstellungen die 
Knotenformen bei weitem vorherrschen. Im einzelnen ist der Prozent¬ 
satz der diffusen Kolloidstruma mit 22 recht hervortretend. 

Die kleinfollikulären diffusen Strumen sind die Formen, wie sie am 
meisten derjenigen des frühesten Kindesalters entsprechen. In unserem 
dem Alter nach geordneten Material verteilen sie sich auf Fall 1, 2, 3, 
8, 13, 14, 18, 20, 36, 37, 44 und 46, wobei 4 dem weiblichen Geschlecht 
angehören. Diese Strumen zeigen auch äußerlich lappige Formen; 
auf dem Durchschnitt machen sie einen gleichmäßigen, fast fleisch¬ 
artigen Eindruck. Bei der mikroskopischen Betrachtung sieht man 
die Läppchenzeichnung sehr gut ausgeprägt. Bindegewebige Septen 
teilen die Läppchen voneinander und umspinnen im Läppchen die 
Follikel. In einzelnen Fällen war das Bindegewebe deutlich vermehrt, 
die einzelnen Septen verbreitert. Wir glauben diese Erscheinung 
wenigstens zum Teil auf voraufgegangene Jodapplikation zurückführen 
zu sollen. In den Fällen 2, 3 und 37 weist das Bindegewebe deutliche 


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198 


E. Stahnke: 


hyaline Entartung mit Kernschwund auf; im Fall 2 finden sich auch 
Degenerationserscheinungen an den Epithelkernen, im Fall 3 und 37 
multiple Tuberkuloseherde. Die Epithelien beherrschen bei der klein- 
follikulären Form das Bild, ihre Wucherungstendenz ist das Hervor¬ 
tretende. Demgegenüber tritt das spärliche Kolloid ganz zurück (siehe 
Abb. 1). Die Follikel sind sehr klein, haben oft ein so geringes Lumen, 
daß es erst bei starker Vergrößerung erkennbar ist. Die Epithelien 
sind nun wieder in den einzelnen Kröpfen und auch in demselben Kropf, 
ja im selben Follikel sehr variabel. Wir finden kubisches Epithel in 



Abb. 1. Übereicht8bild einer kleinfollikul&ren Struma. 60 fache Vergrößerung. 


der Hauptsache, vielfach aber auch hochkubisches und ausgesprochen 
zylindrisches. Es ist immer einschichtig, außer an den Sprossungs¬ 
stellen, worauf ich später zu sprechen komme. Die Epithelien lassen 
eine Abgrenzung gegeneinander nie erkennen, wohl aber eine solche zum 
Follikellumen hin. Zwischen den Follikeln liegen Epithelansamm¬ 
lungen, die an Stellen Follikelstellung zeigen, an anderen diese vermissen 
lassen (interfollikuläres Epithel Hürthles). Die Kerne sind rund, basal 
gestellt, zeigen deutlichen Kernsaum, feines Chromatinnetz und immer 
mehrere Kernkörperchen. In einzelnen Fällen sahen wir auch Zeichen 
der Kernschädigung. Die Kerne haben dann ihre runde Form verloren, 
zeigen eckige längliche Gestaltung, sind pyknotisch oder die Kernkörper- 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 199 

chen sind ausgefallen, liegen wie ausgestreut. Auch die von den Autoren 
beschriebenen großen blasigen Kerne kamen uns zu Gesicht. Sie fallen 
außer ihrer Größe durch ihre Helle auf. Es ist der strittige Punkt, 
ob diese Kerne Erscheinungen der Atrophie sind, da sie in den Schild¬ 
drüsen alter Leute reichlich gefunden werden, oder ob sie mit Zellneu¬ 
bildung Zusammenhängen, weil sie bei lebhafter Zellvermehrung auf- 
treten ( Isenschmidt , Wegelin u. a.). Nach A. Heilung sind die großen 
hellen Kerne in der kindlichen Schilddrüse häufiger als im Alter, wo 
mehr die großen dunklen Kerne auffallen. Ich fand diese hellen Kerne 
in Strumen, die auch sonst lebhafteste Wachstumstendenz zeigten. 
An manchen Stellen stehen die Kerne so eng, daß sie schon dadurch 
dunkler erscheinen, und zwar entweder im ganzen Follikel oder — 
und das ist das häufigste — an den Sprossungsstellen. Hier werden 
Polster in das Follikellumen vorgebuckelt, teilweise auch richtige kleine 
Papillen, jedoch lange nicht in der Ausdehnung wie in der großfolli¬ 
kulären Struma. Diese Polster - oder Papillenbildung vermissen wir 
eigentlich in keiner Drüse, nur ist ihre Häufigkeit und Größe sehr ver¬ 
schieden. An den Polstern sind die Epithelien deutlich höher wie im 
übrigen Follikel, so daß wir in demselben Follikel eine verschiedene 
Epithelhöhe beobachten konnten. Die Follikelneubildung findet fast 
ausschließlich zwischen den Follikeln statt, wo wir alle Stadien verfolgen 
können (L. Müller u. a.). An manchen Stellen sind die Epithelien 
derartig gehäuft, daß man erst bei stärkerer Vergrößerung in den dunklen 
Komplexen die einzelnen Kerne erkennen kann. — Auch der Kolloid¬ 
befund ist schon in den einzelnen Drüsen sehr wechselnd. Im allgemeinen 
enthalten die Follikel nur spärlich Kolloid. Es hat helle Farbe, zeigt 
Tröpfchensaumbildung, oft ist es wabig oder bietet sich als faseriges 
Gitter dar. Oft ist es so fein, daß nur die Immersion ein Fasemetz 
erkennen läßt, in anderen ist überhaupt kein Kolloid nachweisbar. 
Wir hätten es also hier nach der allgemeinen Anschauung mit ganz 
dünnflüssigem Kolloid zu tun. Im Gegensatz hierzu sieht man in anderen 
Drüsen dunkle Kolloidklumpen in den Follikelchen liegen, mit kon¬ 
vexem Rand ohne Vakuolen; oft ist auch ein tiefblauer dunkler Klumpen, 
in der Mitte liegend, mit einem hellen Kolloid umgeben, oder 2—3 dunk¬ 
lere Klumpen liegen in hellem Kolloid. Alle diese eben beschriebenen 
Kolloidstadien finden wir auch in derselben Drüse, wodurch uns der 
Wandel in ihr so recht deutlich wird, jedoch tritt vorwiegend das Pro¬ 
gressive hervor, wie wir auch aus anderen Erscheinungen sehen. Das 
dunkle Kolloid würde dem alten nicht verbrauchten entsprechen. 
Ich folge hier den bis jetzt wohl anerkannten Theorien (de Quervain, 
A. Kocher u. a.) über das Verhalten und die Bedeutung des Kolloids, 
ohne auf Einzelheiten einzugehen, da sie nicht im Rahmen der Arbeit 
liegen. Einzelne Epithelien außerhalb des Verbandes sah ich, um es 


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200 


E. Stahnke: 


vorauszunehmen, in allen 50 Fällen im Kolloid liegen (ebenso Blut¬ 
körperchen), aber größere Mengen Epithelien oder gar Teile einer Follikel¬ 
auskleidung nie, außer in einem isolierten, starke Degeneration zeigenden 
Knoten. Diese losgelösten Epithelien müssen demnach in unseren 
Untersuchungen als nebensächliche und bedeutungslose Vorkommnisse 
angesehen werden. In und zwischen den Follikeln sieht man häufig 
Blutaustritte. Findet sich Pigment (cave Formolpigment) in den Epi¬ 
thelien, so können wir daraus auf alte Blutungen schließen, und nur diese 
können bei dem operativ gewonnenen Material eine Beachtung finden. 
Sonst können Blutungen durch das Operationstrauma hervorgerufen 
sein. Aus demselben Grunde sind Angaben über Füllungszustand da 
Gefäße wertlos, wird es doch im Einzelfalle auf die Reihenfolge da 
Unterbindungen an Arterien und Venen ankommen, obschon wir im 
allgemeinen die Unterbindung der 4 Arterien zuerst versorgen. Betreffs 
der Blutfüllung muß auch auf die von der Trachea sehr wechselnd ent¬ 
wickelten Äste Rücksicht genommen werden. Alte Blutungen finden 
sich in den Fällen 1, 8, 13, 14, 18 und 20. Die Arterien enthalten in 
8 unter den 12 Fällen Arterienknospen (M. B. Schmidt), doch trat die 
Häufigkeit in den einzelnen Strumen hervor. Vermerkt wurden nur 
ganz einwandfreie Bildungen, wohin ich nur die am Arterienquerschnitt 
gefundenen rechne. Lymphräume sind in allen außer von 2 deutlich 
als mit „Kolloid“ gefüllte Hohlräume kenntlich. Ihre zur Beobachtung 
kommende Anzahl und ihr Füllungszustand sind sehr verschieden. 
Sie liegen in der Nähe der Gefäße im Bindegewebe dort, wo sich ein 
interlobuläres Septum in feinere Züge aufspaltet. Sie sind mit einem 
Endothel ausgekleidet, das hier und da fehlt. An einzelnen Stellen lagen 
die Lymphräume dem Follikelepithel scheinbar direkt an, doch konnte ick 
immer bei Immersion ganz feine Bindegewebsfäserchen nachweisen. Eine 
direkte Verbindung zwischen Lymphraum und Follikel, wie es Gezom 
zuerst beschrieb, und neben einer Reihe anderer Autoren in jüngster 
Zeit H. Hueck wieder einwandfrei gesehen haben will, konnte ich nicht 
finden. Über die einzelnen Theorien des Übertritts von Kolloid in die 
Lymphräume ist so viel und so oft berichtet, daß ich sie übergehen zu 
können glaube. Namentlich solange der Streit nicht entschieden ist, 
ob es sich bei der in den Lymphräumen befindlichen Flüssigkeit um 
Kolloid handelt, ist eine Stellungnahme müßig. Erforschen wir spezielle 
färberische Eigenschaften des Kolloids, so ist die Frage des Inhalts 
in den Lymphräumen auch gelöst, und bis dahin füllen Deduktionen 
nur überflüssigerweise die Blätter. In unseren Fällen zeigt der Inhalt 
der Lymphräume dieselbe Färbung wie das Kolloid in den Follikeln, 
auch Vakuolen. Zu bemerken will ich nicht vergessen, daß sich die 
gleiche Masse immer in den Blutgefäßen findet. Auch wir sahen in den 
Lymphräumen dann reichlicher „Kolloid“, wenn man aus histologischem 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


201 


und klinischem Verhalten auf eine vermehrte Tätigkeit der Drüse 
schließen mußte. In manchen Strumen bieten sich uns Bilder, die dem 
in der typischen Basedowstruma sehr nahe kommen, kleine bis kleinste 
Follikel mit teilweise hochzylindrischem Epithel, kein oder ganz flüssiges 
Kolloid, überstürzte Follikelneubildung. 

Es wären dann noch die lymphocytären Anhäufungen zu erwähnen, 
die einer Literatur für sich hervorgerufen haben. Über die verschiedenen 
Theorien ihrer Entstehung und Bedeutung findet sich eine zusamraen- 
fassende Darstellung bei E. Hecker im 28. Band der Frankfurter Zeit¬ 
schrift für Pathologie dieses Jahres. Auch wir möchten die Schwierig¬ 
keit der Unterscheidung gegenüber anderen Zellgebilden betonen. 
Wir fanden kleine lymphocytäre Anhäufungen nicht selten, halten sie 
aber auch für belanglos. Ausgesprochen, auch in Form von lympha¬ 
tischen Herden, konnten sie nur im Falle 3 und 37 nachgewiesen werden, 
und in diesen besteht eine Tuberkulose. In diesen beiden Fällen ist 
sonst das histologische Bild das der diffusen kleinfollikulären Struma 
papillomatosa. Bei Fall 3 ist das Kolloid ungleichmäßig, teils homogen 
dunkel gefärbt, teils helldünnflüssig mit Tröpfchensaum. In einzelnen 
Follikeln ein dunkler Klumpen, von hellem Kolloid umgeben. Innerhalb 
der Follikel sind die Sprossungsvorgänge vereinzelt, vorwiegend finden 
sich die Neubildungen interfollikulär. Das Bindegewebe ist stellenweise 
hyalin degeneriert, sonst keinerlei degenerative Prozesse. In allen Par¬ 
tien sind lymphocytäre Anhäufungen sowohl perivasculär als auch in 
Form richtiger Lymphfollikel sichtbar. In sämtlichen Teilen sind miliare 
Tuberkel eingestreut, die zwischen den Follikeln liegen; es lassen sich 
deutlich eine lymphocytäre Umwallung, Epitheloid- und Langhaus sehe 
Riesenzellen erkennen und in einzelnen Knötchen deutlicher Zerfall 
in der Mitte. Einen ganz ähnlichen Befund treffen wir in Fall 37 an, 
nur ist hier die multiple Tuberkelbildung lediglich auf den unteren Pol 
des linken Lappens beschr änk t,. Auch hier in einzelnen Tuberkeln 
zentrale Verkäsung, die Tuberkelbildung ebenfalls rein interfollikulär. 
Nach den Zusammenstellungen aus dem Basler Institut berechnen 
Hedinger und Uemura die Häufigkeit von Tuberkelbefunden in der 
Schilddrüse auf 2%. Unter Vemuras 24 Fällen finden sich 2 tuberkulöse 
Strumen im Alter von 13 und 17 Jahren; es würden demnach bei ihm 
für Jugendliche, in unserer angenommenen Altersgrenze, 8% heraus¬ 
zurechnen sein. Wir kommen in unseren Fällen auf 4%. Diese prozen¬ 
tuale größere Häufigkeit ist wohl nur so zu erklären, daß die Tuberkulose 
der Schilddrüse, ohne klinische Erscheinungen, in der Jugend gar nicht 
so selten ist, wie auch Hedinger meint, daß aber die Empfänglichkeit 
der Thyreoidea gegen diese Infektion gering ist, und die Tuberkulose 
hier meistens symptomlos zur Ausheilung kommt. Die experimentelle 
Untersuchung betreffs Empfindlichkeit der Schilddrüse gegen Tuber- 


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202 


E. Stahnke: 


kulose stellte ebenfalls gegenüber anderen Organen eine geringere der 
Thyreoidea fest ( Torri , TomeUini, Shimodaira u. a.). Leicht kann die 
Infektion auch übersehen werden, wenn sie, wie bei unserem 2. Falle, 
nur in einem kleinen Teil der Drüse sitzt und nur ein Gebiet untersucht 
wird. 

Welch anderes Bild bietet sich uns bei der zweiten Art der diffusen 
Hyperplasie, bei der diffusen Kolloidstruma dar. Sie findet sich in den 
Fällen 6, 16, 17, 30, 38, 39, 41, 42, 43, 46 und 49, gehört also vorwiegend 
den Patienten im 16. und 17. Lebensjahr an, im Gegensatz zu der 
kleinfollikulären Form, die wir in den jüngeren Jahren häufiger sahen. 
Hierzu paßt, daß F. Heilung in seinem Jenaer Sektionsmaterial die 
diffuse Kolloidstruma relativ am häufigsten zwischen dem 14. und 
25. Lebensjahr fand. A. Heilung hat speziell die diffuse Kolloidstruma 
nach Sektions- und Operationsmaterial in Freiburg und Frankfurt 
untersucht. Ich möchte auf seine Darstellung hinweisen, glaube aber, 
daß eine Beschreibung unserer Befunde deswegen doch nicht über¬ 
flüssig ist, da sich doch entsprechend unserem Material und wohl auch 
durch lokale Einflüsse Unterschiede ergeben. — Die Oberfläche dieser 
Strumen erscheint mehr gebuckelt; man hat eher das Gefühl des 
prall-elastischen gegenüber dem mehr kompakteren der kleinfollikulären 
Form. Auf dem Durchschnitt sehen wir ein wabiges Gewebe, teilweise 
auch hellere bzw. dunklere Kolloidkügelchen. Am dünnen Schnitt 
fällt die Transparenz auf. Man kann deswegen schon makroskopisch 
den Unterschied zwischen der klein- und großblasigen Kolloidstruma 
mit ziemlich großer Gewißheit feststellen. Mikroskopisch sticht sofort 
der Kolloidreichtum hervor. Die Läppchen, an sich durch die weiten 
Follikel gelockert, sind doch an den deutlich erhaltenen Bindegewebs- 
septen gut erkenntlich. Gerade auf den einwandfreien Nachweis der 
erhaltenen Läppchenzeichnung legt A. Heilung großen Wert gegenüber 
dem Befund bei beginnender Knotenbildung. Wir haben uns bei der 
Einteilung strikte an dieses Postulat gehalten und anatomisch nicht 
ganz eindeutige Fälle den Knotenkröpfen zugezählt. Das Bindegewebe, 
im allgemeinen schmal, tritt in einzelnen Drüsen merklich hervor; 
ich möchte auch hier, wie schon einmal erwähnt, der voraufgegangenen 
Jodmedikation mit die Schuld geben. Im Falle 16 ist das Bindegewebe 
an Stellen hyalin entartet, deutliche Kernarmut, ohne daß sich sonstige 
Degenerationserscheinungen in der Struma nachweisen ließen. A. Heilung 
sah einen Kemschwund in seinen Fällen nie. Die Follikel sind weit, 
zeigen die vielgestaltigsten Formen; Messungen konnte ich nicht vor¬ 
nehmen, doch kann ich die Angabe Hellvngs, daß die Anzahl der Epithel¬ 
zellen im Verhältnis zur Follikelgröße zunimmt, im allgemeinen voll 
bestätigen. Das Kolloid ist im großen und ganzen hell, doch kann man 
häufig auch in derselben Struma färberische Unterschiede finden. Wir 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


203 


haben Strumen, in denen das Kolloid in großen Follikeln ins Bläuliche 
spielt und kompakter erscheint; es füllt den Follikel bis auf einen ganz 
schmalen Retraktionsspalt aus, hat somit einen konkaven Rand und 
zeigt vereinzelt eine meist exzentrisch gelegene Vakuole. Man sieht auch 
verschiedentlich dunkelgefärbtes Kolloid in der Mitte von hellerem 
oder in einzelnen Klümpchen liegen. Diesem gegenüber ist es in anderen 
Follikeln doch deutlich heller, zeigt Tröpfchensaum, ja manchmal 
liegen die Tröpfchen in mehreren Schichten nebeneinander. Noch aus¬ 
gesprochener finden sich die Kriterien des dünnen Kolloids in den klei¬ 
neren Follikeln. Es fiel mir nun auf, daß oft in einem Follikel das Kolloid, 
sonst nur einen schmalen Spalt zwischen sich und dem Epithel lassend, 
an den Papillen immer deutlichen Tröpfchensaum aufwies. Diese Er¬ 
scheinung kommt so oft zur Beobachtung, daß ich doch geneigt bin, hierin 
etwas Besonderes zu sehen. Eine Erklärung muß ich schuldig bleiben, 
will ich mich nicht für die eine oder andere angegebene Ansicht der 
Autoren über die Vakuolenbildung entscheiden. Nach dem eben Ge¬ 
sagten erhellt einwandfrei, daß in derselben Struma das Kolloid ver¬ 
schiedene Konzentration, wenn man so sagen will, hat, eine Beobachtung, 
die uns wiederum auf den wechselnden Zustand in der Drüse hinweist. 
Für die Klinik des Kropfes ist dieses Ergebnis sehr wichtig. Die Epi- 
thelien zeigen eine sehr verschiedene Höhe. Man kann die Höhenunter¬ 
schiede auch ohne Mikrometer sehr wohl beurteilen, denn die Zellkerne 
passen sich der Form des Epithels meistens sehr gut an. In flachen 
Epithelien sind die Kerne platt und weit auseinanderliegend, im kubi¬ 
schen Epithel sind die Kerne rund, basal gestellt, und schließlich im 
zylindrischen Epithel sind sie wohl auch basal gestellt, der Abstand zur 
Zellgrenze nach dem Lumen hin aber deutlich größer, außerdem nehmen 
die Kerne, wenn sie sehr eng beieinanderliegen, längliche Formen an, 
adaptieren sich gewissermaßen zur Epithelhöhe. Der Befund der einzel¬ 
nen Epithelhöhen entspricht durchweg dem Kolloidbefund. Ist dieses 
homogen und zeigt wenig Retraktionserscheinungen und Vakuoli¬ 
sierung, so ist das Epithel flach bis kubisch; erscheint das Kolloid 
dünnflüssiger, so ist das Epithel hochkubisch oder zylindrisch (an den 
Papillen und in den kleinen Follikeln). An den Epithelpolstern und auf 
den Papillen stehen die Kerne sehr eng und erscheinen dunkler. Wir 
finden auch die gleichen großen hellen Kerne, wie sie uns in der klein¬ 
follikulären Form zu Gesicht kamen. Das flache Epithel mit platten 
Kernen wird verhältnismäßig selten angetroffen. Nach den bisherigen 
Forschungsergebnissen, unter denen ich die von Lobenhoffer gefundenen 
besonders hervorheben möchte, muß eine mit dem Kolloidgehalt und 
der Kolloidbeschaffenheit in allerengster Beziehung stehende sekre¬ 
torische Tätigkeit des Epithels angenommen werden, ganz gleichgültig, 
ob das Kolloid das fertige oder unfertige Produkt ist. Auch mir erscheint 


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204 


E. Stahnke: 


nach den histologischen Bildern das hohe Epithel das funktionell hoch¬ 
wertigere zu sein, und dieses ist das häufigste in diesen Strumen. Ich 
schließe mich im allgemeinen der Ansicht A. Hellwigs an, wenn er be¬ 
hauptet, daß wir in der diffusen Kolloidstruma eine zu vermehrter Tätig¬ 
keit neigende Drüse haben. Wenn wir aber, wie ich oben sagte, in ein¬ 
zelnen Strumen dunkleres homogenes Kolloid in der Hauptsache finden, 
so ist doch sehr wohl denkbar, daß diese Struma auch zu einer 
früheren Zeit einmal weniger funktionell tätig war (Ruhestadium 
Wegelina). Derartig wechselnd sich abspielende Vorgänge kann man auch 



Abb. 2. Neubildung von Follikeln in Papillenform innerhalb der Follikel 
bei diffuser großfollikulärer Struma. 60fache Vergrößerung. 


aus dem klinischen Bilde ablesen. Neben der Kolloidvermehrung tritt 
in allen diffusen Kolloidstrumen in zwar wechselnder, aber doch sehr 
ausgesprochener Weise die Tendenz der Zellvermehrung und damit 
der Bildung von neuen Follikeln in die Erscheinung. Während wir bei 
der kleinfollikulären Form die Follikelneubildung sich in der Hauptsache 
außerhalb der Follikel abspielen sehen , geschieht dies offensichtlich bei der 
großfollikulären Form innerhalb der Follikel (siehe Abb. 2). Wir sehen 
wohl die gleichen Vorbuckelungen der Epithelien, aber sie erreichen 
viel häufiger höhere Grade bis zur intensivsten Papillenbildung. Diese 
Papillen finden wir in jeder unserer großfollikulären Strumen. Sie haben 
die groteskesten Gestaltungen, erinnern an tropische Wunderpflanzen, 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 205 

ihre Beschreibung begegnet großen Schwierigkeiten. Entweder hat sich 
das Polster vielzackig vorgebuchtet, und in ihm bilden sich wieder 
neue kleine Follikel. Ein feines Gefäßchen und bindegewebiges Büschel 
strahlt in die Papille ein. Oder auf einem dünnen Stiel entwickelt sich 
ein vielgestaltiges Gebilde, im Innern wieder neue Follikel tragend. 
So kann es kommen, daß wir mitten im Kolloid, ohne Zusammenhang 
mit dem Bandepithel, eine auf dem Durchschnitt getroffene Krone 
dieser baumartigen Excrescenzen sehen. In anderen Follikeln ist die 
Zellwucherung so stark, daß die zelligen Elemente vorherrschen im Bilde. 
Viel deutlicher zeigt sich uns dieser Vorgang noch in den Knotenkröpfen. 
Dieser Papillenbildung gegenüber tritt das interfollikuläre Epithel¬ 
wachstum im allgemeinen, wie schon gesagt, zurück, doch gibt es auch 
Ausnahmen. Es kommt dann meist in einzelnen Teilen (aber sicherlich 
nicht in Knotenform!) zu sehr lebhafter Zellsprossung zwischen den 
Follikeln, so daß hier die Struma mehr einen kleinfollikulären Charakter 
annimmt. Ist nun in anderen Teilen lebhafteste interfollikuläre Papillen¬ 
bildung vorhanden, so kann auch in einer großfollikulären Struma 
das Epithel dominieren. Diese Bilder möchten mich doch, im Gegensatz 
zu A. Heilung, mehr der Ansicht der anderen Autoren, besonders von 
A. Kocher betont, zustimmen lassen, nach welcher die großfollikuläre Form 
in die kleinfoUikuläre bzw. parenchymatöse Übergehen kann und umgekehrt. 
— Die Lymphräume fanden wir in allen unseren diffusen Strumen 
reichlich und prall gefüllt. Alte Blutungen zeigen die Strumen 6, 16, 
17, 38. In 7 Fällen werden M. B. Schmidtsche Arterienknospen be¬ 
obachtet . 

Wir lassen am besten gleich die Beschreibung derjenigen Knoten¬ 
strumen folgen, die dem Typ der großfollikulären kolloidalen angehören. 
Es sind dies die Fälle 5, 7, 12, 19, 21, 22, 25, 26, 31, 32, 33, 35 und 47, 
mithin am häufigsten im 15. und 16. Lebensjahr. Warum ich auch bei 
den Knotenstrumen eine Teilung in klein- und großfollikuläre mache, 
dürfte aus den weiteren Ausführungen ersichtlich sein. 5 von den hierher 
gehörigen Fällen (5, 12, 21, 35, 47) zeigen vorwiegend das oben beschrie¬ 
bene Bild der diffusen Kolloidstruma, in welche in sehr beschränkter 
Anzahl kolloidale Knötchen oder Cysten eingestreut sind. Daß die 
Knotenbildung im Anfangsstadium einen Lappen, und zwar den unteren 
Pol des rechten bevorzugt, wie Klose angibt, habe ich in unseren Fällen 
nicht finden können, in Übereinstimmung mit Krämer, auch wenn ich 
alle zur Untersuchung kommenden Knotenkröpfe überschaue. Eines 
konnten aber auch wir immer wieder beobachten, nämlich, daß die oberen 
Pole bei der Knotenbildung am längsten frei bleiben, natürlich außer 
in den Fällen, wo die Struma aus lauter Knoten besteht. Die Kolloid¬ 
knoten zeigen sehr weite Follikel; wir sehen dieselben Proliferations¬ 
erscheinungen wie im übrigen Strumagewebe, Polster- und Papillen- 


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206 


£. Stahnke: 


biidang, nur noch in vermehrtem Maße. Die Unterschiede in der Epithel¬ 
höhe sind dementsprechend. Man kann aber auch weite Follikel mit 
flachem Epithel und Konfluenz der Follikel beobachten. Die degressiven 
Prozesse sind gegenüber der Zellsprossung an der Form und an dem 
Zustand der Kerne sehr gut kenntlich. Bei der Follikelteilung durch 
Sprossung wachsen die Papillen einander entgegen, haben an ihrer 
Spitze ein im Bogen stehendes hohes Epithel mit eng stehenden dunklen 
Kernen, die deutliches Chromatinnetz und Kemkörperchen erkennen 
lassen. Um die Kuppe der Sprosse ist meistens ein Tröpfchensaum 
gebildet. Bei der Konfluenz zweier Follikel haben die ins Kolloid 
vorspringenden, viel schmaleren Leisten keine runde Kuppe; die Epi- 
thelien stehen an der Spitze lockerer, teilweise abgelöst, mit dunklen 
pyknotischen Kernen; man hat so den Eindruck, als ob sich dieser 
Epithelsteg im Kolloid verliert. Die Kolloidanhäufung ist in den 
Knoten vor allem in die Augen fallend; es zeigt meistens hellere Färbung, 
wie dasjenige im übrigen Gewebe. Die Abgrenzung der Knoten ist mehr 
oder weniger gut ausgeprägt und wird vom Bindegewebe gebildet, 
das zwischen seinen Zügen schmale komprimierte Follikel auf weist. 
Atrophieren diese Follikel mehr und mehr, bis sie schließlich verschwin¬ 
den, so ward durch das sich anlegende Bindegewebe die Abgrenzung 
breiter. Es erscheint mir gar nicht notwendig, einen Reiz zur Vermehrung 
des Bindegewebes durch den Druck des wachsenden Knotens annehmen 
zu müssen, aber möglich ist es ja immerhin. In der Umgebung der 
Knoten sind die anliegenden Follikel in ihrer Gestalt zu halbmond- 
bis sichelförmigen Gebilden adaptiert. In diesem Stadium finden sich 
in den Knoten alle Attribute des funktionstüchtigen Gewebes, also 
kolloidhaltige Follikel, Blutgefäße und gefüllte Lymphräume; letztere 
namentlich in der Nähe der Kapsel als weite Räume. Das Bindegewebe 
zeigt in 4 Fällen hyaline Degeneration. 

Drei weitere hierher zu rechnende Fälle (7, 26, 33) bestehen aus iso¬ 
lierten Knoten, die durch Enucleation aus der sonst makroskopisch 
unveränderten Drüse entfernt wurden. Im Falle 7 umschließt die Cyste 
eine bindegewebige Kapsel, zwischen deren Fasern sich abgeplattete 
Follikel finden. Im Innern der Cyste sieht man am Rande auch noch 
erhaltene Follikel mit Sprossungsvorgängen, welche nicht ganz helles, 
aber Vakuolen und Tröpfchensaum zeigendes Kolloid enthalten. Das 
Epithel ist kubisch mit runden Kernen. In das Innere strahlen binde¬ 
gewebige Septen ein, welche zum Teil auf beiden Seiten einen Epithel¬ 
besatz, zum Teil langgestreckte Follikel mit flachem Epithel und platten 
Kernen tragen. Diese kleinen Septen verlieren sich, teilen sich gewisser¬ 
maßen auf, so daß die Epithelien aus ihrem Verbände zerstreut liegen. 
Wir sehen hier Karyolyse und Pyknose. Neben diesen zerfallenden 
Kernen finden sich Blut, Pigment und massenhaft Cholestearinkrystalle 


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Zur Histologie and Klinik jugendlicher Strömen. 


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in dem den Hauptteil der Cyste ausfällenden homogenen hellen Kolloid. 
Dieses Kolloid ist deutlich heller als das in den am Rande stehenden 
Follikeln. Die Cyste im Fall 26 verhält sich ganz ähnlich, nur sehen wir 
hier keine Krystalle. Das Bindegewebe erscheint an Stellen gequollen, 
ist hyalin degeneriert. Im Falle 37 liegen zwischen dem homogenen 
Kolloid Partien, wo die Follikel erhalten sind; diese sind zum Teil 
weit, enthalten homogenes, nicht ganz helles Kolloid, das die Lumina 
völlig ausfüllt. Die Epithelien sind flach mit plattem Kern, Konfluenz 
der Follikel wird beobachtet; im Kolloid finden sich zerfallende Kerne. 
In anderen Teilen des Knotens zeigen die Follikel Papillenbildung. 
Die Epithelien sind kubisch mit eng gestellten Kernen, umrahmen 
wie ein dunkles Band die Lumina. Das Kolloid ist dünnflüssiger mit 
Vakuolen und Tröpfchensaum. Es kommen also pro- und regressive 
Vorgänge zur Beobachtung, jedoch treten die Rückbildungserschei¬ 
nungen in den Vordergrund. Das erklärt auch, warum wir wenig Blut¬ 
gefäße und keine Lymphgefäße nach weisen können. 

Im Falle 19 und 32 besteht die ganze Struma aus lauter einzelnen 
Koüoidknolen (bei 32 mit Ausnahme des linken oberen Pols). Wir haben 
hier die Form vor uns, die Klose als den Typ des Frankfurter Knoten¬ 
kropfs beschreibt. Unsere Befunde ähneln den Abb. 8 und 9 in A. UeU- 
wigs „Die Thyreosen leichteren Grades“ sehr. Die Knoten haben sehr 
verschiedene Größen und lassen nur immer wenig komprimiertes Paren¬ 
chym zwischen sich frei. Das die Knoten abgrenzende Bindegewebe 
ist nicht sehr breit; dagegen durchziehen breite bindegewebige Septen 
die Struma, welche an vielen Stellen schollige hyaline Degeneration 
mit Kemschwund zeigen. Die Follikel in den Knoten sind weit, gefüllt 
mit hellem Kolloid, das multiple Vakuolen und Tröpfchensaum bildet. 
In kleineren Follikeln stellt sich das Kolloid als feines Gitter dar. In 
einigen Follikeln liegt dunkles blauviolettes klumpiges Kolloid in der 
Mitte, umgeben von hellerem. Wir finden überall, selbst in den größeren 
Cysten, außerordentlich lebhafte Sprossungsvorgänge, auch inter- 
follikulär, in der Hauptsache aber als Polster oder noch häufiger als 
Papillen. Die Papillenbildung ist in manchen Follikeln so stark, daß 
nur noch ganz schmale zackige Lumina restieren. Das Epithel ist kubisch 
bis zylindrisch mit eng stehenden Kernen. Dieses lebhafte Epithel- 
Wachstum findet sich, wenn auch nicht so stark, in dem gleichen Cha¬ 
rakter tragenden nicht knotigen Gewebe. Die Lymphräume sind reich¬ 
lich als weite gefüllte Spalten erkennbar. Nur in den breiten Binde- 
gewebssepten wurden keine Lymphräume gesehen. Es fanden sich 
außer beim Bindegewebe keinerlei Zeichen von Degeneration. Arterien¬ 
knospen wurden nicht sicher gefunden. Bemerken möchte ich noch, 
daß beide Patienten mit Jod vorbehandelt waren. 

Bei den 3 noch in diese Gruppe gerechneten Fällen (22, 25, 31) 


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208 


E. Stahnke: 


ergeben sich sehr wechselnde Bilder, die uns aber um so interessanter 
erscheinen. Im Fall 31 zeigt die Struma im allgemeinen das Bild einer 
diffusen Hyperplasie vom Typus des mittel- bis großfollikulären Baues, 
worin Knoten eingelagert sind. Das Kolloid ist homogen, hell, in ein¬ 
zelnen Follikeln kompakter; es nimmt teils das ganze Lumen bis auf 
einen schmalen Spalt ein, teilweise zeigt es Vakuolen oder auch Tröpf¬ 
chensaum. Das Epithel ist kubisch, auch flach mit entsprechenden 
Kernen. Es finden sich Epithelvorbuckelungen, in geringer Anzahl 
auch kleine Papillen. Demgegenüber tritt die interfollikuläre Zell- 



Abb. 3. Großfollikulärer Bau in den oberen Partien. 00fache Vergrößerung. 


Wucherung und Follikelneubildung hervor. In den Knoten, die nicht 
sehr groß sind, finden wir ähnliche Bilder, doch sind die Follikel hier 
in der Überzahl klein. Die interfollikuläre Wucherung ist hier noch 
mehr in die Augen fallend, läßt aber die Stellung zur Follikelbildung 
erkennen. Lymphgefäße kommen in den Knoten ebenfalls zu Gesicht. 
Hervorheben aus diesem Befunde möchte ich, daß wir das interfolli¬ 
kuläre Wachstum und Follikelneubildung im Vordergrund sehen gegen¬ 
über den Befunden, wie wir sie sonst bei der großfollikulären Form 
erheben konnten, w r o wir doch in der Hauptsache intrafollikuläre 
Papillenbildung sahen. In den Knoten das gleiche, nur ist hier der 
Übergang von der groß- zur kleinfollikulären Form noch deutlicher. 
Im Falle 25 wiederum eine in der Hauptsache großfollikuläre Struma 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


209 


mit zahlreichen Knoten in allen Teilen. In dem nicht von Knoten 
eingenommenen Gewebe neben Kompressionserscheinungen sehr leb¬ 
hafte Zellvermehrung, aber keine wesentliche Papillenbildung in den 
Follikeln. In den Knoten auch hier die verschiedenen Übergänge. 
In den einen große weite Follikel mit hellem Kolloid, in denen sich sowohl 
starke Papillenbildung als auch stürmische Epithelentwicklung zwischen 
den Follikeln zeigt. Teilweise Konfluenz von Follikeln, in denen sich 
zugrunde gehende Kerne finden. An Stellen von Polsterbildung, wo 



Abb. 4. Kleinfollikulärer Bau in den unteren Partien. 60fache Vergrößerung. 

die Kerne eng stehen und schöne Rundung haben, werden andere Kerne 
mit deformierter Gestaltung und Pyknose aus dem Epithelverband 
herausgedrängt und liegen dann vor diesem. In anderen Knoten kleine 
Follikel mit massigem Epithelwachstum, bis schließlich in einigen Knoten 
an einzelnen Stellen fast nur Epithel vorhanden ist, das dann keine 
Follikelstellung mehr erkennen läßt. In allen diesen Knoten finden 
wir deutliches Bindegewebe und Gefäße. Außer den Degenerations¬ 
erscheinungen an den Kernen konnten keine weiteren gefunden werden. 
In der ganzen Struma tritt die Tendenz der Epithelvermehrung zutage. 
— Im Falle 22 findet sich ein sehr uneinheitlicher Bau (siehe Abb. 3 u. 4). 
Während in den beiden oberen Polen das Bild das einer großfollikulären 
Kolloidstruma mit kolloidaler Cystenbildung ist, sehen wir in den unteren 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 14 


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210 


E. Stahnke: 


Polen die kleinfollikuläre Form, kleine bis kleinste Follikel, teils Epithel¬ 
massierung in ungeordneter Stellung. In den oberen Polen große Follikel 
mit hellem, aber homogenem, wenig Vakuolen zeigendem Kolloid. 
Epithel kubisch, auch zylindrisch mit hellen runden Kernen. Das Binde¬ 
gewebe läßt teilweise Läppchenzeichnung erkennen, zeigt nirgends 
Degenerationszeichen. Es finden sich reichlich alte Blutungen. Die 
Lymphräume sind als gefüllte schmale Spalten sichtbar. 

Überblicken wir noch einmal die letzten 3 Fälle, so tritt bei ihnen 
das vermehrte Zellenwachstum hervor, und zwar vorwiegend das inter¬ 
follikuläre. In den Knoten sahen wir alle Übergänge vom großfolli¬ 
kulären zum kleinfollikulären bzw. fast rein parenchymatösen Bau. 
Im Fall 22 demonstriert sich dieser Übergang auch im nichtknotigen 
Gewebe sehr schön. Solche Bilder führen uns doch eigentlich einwandfrei 
den Wechsel in einer Struma vor Augen. Wir können die Ansicht 
A. Helltüigs für unsere jugendlichen Strumen nicht unwidersprochen 
lassen. A. Heilung sagt: „Nur in einem Punkt möchte ich mich im 
Gegensatz zu den bisherigen Untersuchungen stellen: Ich glaube nach 
meinen histologischen Bildern niemals, daß die parenchymatöse oder 
kleinfollikuläre Form des diffusen Kropfes ein Vorstadium der kolloidalen 
besser großfollikulären Form darstellt, bzw. daß beide Formen ineinander 
übergehen können.“ Wenn weiter die großfollikuläre Form von Helhcig 
als prädisponiert zur Basedowikation angesehen wird, wo sich bei 
diesem Vorgang ganz die gleichen Prozesse abspielen, bis wir in der 
typischen Basedowstruma nur noch ganz kleine Follikel finden, so ist 
das eine der Gegenbeweis vom anderen. — Sehen wir uns des weiteren 
den Wechsel in der von mir eben oben beschriebenen Weise nochmals 
bei den Knoten an, so werden die Angaben leicht verständlich, die da 
behaupten, daß die Art eines Knotens — also kolloidale, kleinfollikuläre 
bis parenchymatöse Formen — im Vergleich zum nichtknotigen Gewebe 
ganz wahllos ist und eine eigentliche Anlehnung an die Grundstruktur 
vermissen läßt. Und dennoch ist die Entwicklung im Knoten und in 
der übrigen Struma die gleiche, wie wir sahen. Nur ist eben der Knoten, 
als der schneller wachsende Teil, dem übrigen Gewebe in der Entwick¬ 
lung und Umwandlung voraus. Ist dieser übersprudelnde Wachstums¬ 
trieb im Knoten beendet, so tritt an den Zellen ein um so schnellerer 
Zerfall ein. Zu der Degeneration verhilft sich der Knoten gewissermaßen 
auch noch selbst, indem er mit dem Wachstum seine Kapsel verdickt 
und hiermit seine ab- und zuführenden Gefäße schädigt. 

Die noch fehlenden Knotenstrumen (4, 9, 10, 11, 15, 22, 23, 27, 28, 
29, 34, 40, 48) gehören zu den kleinfollikulären Formen, in der Haupt¬ 
sache also im 15. und 16. Lebensjahr. Unter ihnen sind die Strumen 
4, 10, 23, 28, 40 und 48 nur von einzelnen Knoten durchsetzt, während 
in den anderen Teilen die Läppchenzeichnung gut erkennbar ist. 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 211 

Die Grundstruktur entspricht der oben beschriebenen kleinfollikulären, 
die der kindlichen Drüse sehr ähn elt. Das Kolloid ist hier vielfach 
dunkel, klumpig, teilweise mit hellem Hof umgeben; in manchen Fällen 
rindet sich vorwiegend helles, nur als Fasergitter sichtbares Kolloid, 
oft auch gemischte Bilder. Die Beschreibung der Epithelien müßte 
nur früher Gesagtes wiederholen. Die Knoten zeigen in ihren einzelnen 
Stadien die gleichen Erscheinungen, wie bei der großfollikulären Art, 
nur vermissen wir hier natürlich die Bilder mehr, wo die aus mehreren 
Läppchen entstehenden Knoten weite kolloidgefüllte Follikel tragen. 
Das entspricht ja auch dem, wie wir es oben sahen, nämlich das bei der 
Knotenbildung die Tendenz zur Epithelvermehrung meistens hervor¬ 
tritt. Im Fall 48 finden wir als dem einzigen dieser Rubrik Kolloid¬ 
cysten und kolloidale Knotenbildung. Nach unseren früheren Betrach¬ 
tungen kann uns ein solcher Befund nicht wundem. In dieser Struma 
sind nun zwischen den kleinen Follikeln größere sichtbar, die zylin¬ 
drisches Epithel mit lebhafter Epithelsprossung und helles Kolloid 
mit Tröpfchensaum zeigen. Es wäre also hier zu denken, daß sich die 
kleinfollikuläre Form in die großfollikuläre zu wandeln im Begriff steht. 
Unter den Knoten sieht man denn auch solche, die mehr Kolloid in 
weiten Follikeln mit reichlicher Papillenbildung enthalten. Beweisen 
kann man einen solchen Übergang wohl nie, wir können ihn nur aus den 
verschiedenen Befunden ableiten. — Bei den Fällen 4, 10, 23, 28 sehen 
wir in den eingestreuten Knoten fließende Übergänge vom kleinfolli¬ 
kulären zum rein parenchymatösen Bau, wobei ich betonen möchte, 
daß der Läppchenbau sehr gut kenntlich ist, außer bei denen, wo bereits 
stärkere Degeneration eingetreten ist. Niemals finden sich kleinste 
Knötchen, die nur Epithel enthalten. In großen Knoten sieht man 
häufig wieder einzelne Wachstumszentren. Die Degeneration dokumen¬ 
tiert sich an dem Kemzerfall und an der hyalinen Bindegewebsumwand- 
lung. In den hyalinen Bindegewebsmassen stehen bei einzelnen Knoten 
Follikel weit auseinander, kleinere und größere mit hellstem, teils nur 
als Gitter erkennbarem Kolloid, und Epithel mit engstehenden Kernen, 
die die Lumina dunkel umsäumen. An anderen Stellen liegen zwischen 
dem Bindegewebe Epithelienhaufen mit runden chromatinreichen 
Kernen. Durch diese Anordnung bekommt das Bild eine gewisse Ähn¬ 
lichkeit mit Carcinom, aber selbstredend nur als vergleichendes Beispiel. 
In manchen Knoten sieht man kleine Kolloidseen von ganz unregel¬ 
mäßiger Gestalt; man hat hier den Eindruck, als ob das wuchernde 
Epithel von allen Seiten einengend wirkt. 

In den Fällen 24, 27, 29, 34 und 50 besteht die ganze Struma aus 
lauter Knoten, zwischen denen nur recht wenig komprimiertes Grund¬ 
gewebe liegt. In.diesen Partien sind die Follikel klein, mit vorwiegend 
klumpigem, dunklem Kolloid gefüllt, jedoch finden sich auch überall 

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212 


G. Stahnke: 


Sprossungsvorgänge 'und reichlich Follikelneubildung zwischen den 
Follikeln. In den Knoten auch hier die gleichen Bilder wie oben gekenn¬ 
zeichnet. Knoten, in denen Kolloidlachen zu vielgestaltigen länglichen 
Gebilden von dem lebhaft sprossenden Epithel bedrängt werden (wo 
also vielleicht einmal eine kolloidale Cyste bestand), Knoten, in denen 
nur kleinste Follikel sichtbar sind, und schließlich solche, wo die Epithel¬ 
anhäufung nur noch ganz wenig Follikel erkennen läßt. Die gleichen 
regressiven Prozesse kommen zur Beobachtung wie in den früheren. 
Außer bei den Knoten, in denen diese Degenerationserscheinungen das 
Bild verwischen, kann man überall aus der Struktur ablesen, daß auch 
diese Knoten aus mehreren Läppchen hervorgegangen sind, demnach 
als circumscripte Hyperplasien angesprochen werden müssen. In allen 
Strumen mit Ausnahme von Fall 50 lassen sich gefüllte Lymphräume 
nachweisen. Arterienknospen konnten in den Fällen 27, 29, 50 nicht 
gesehen werden. 

Es blieben noch die Fälle 9 und 16 zu besprechen, Schilddrüsen¬ 
adenome sensu strictiori im Sinne A. Kochers. Im Falle 9 handelt es sich 
um einen hühnereigroßen Knoten im rechten Lappen. Er ist von einer 
breiten Bindegewebskapsel umgeben. Das Bindegewebe strahlt in den 
Knoten ein, ist teils in Wucherung, teils in hyaliner Entartung mit 
Kemschwund. Die massierten Epithelien lassen nur an einigen Teilen 
Follikelstellung erkennen, liegen sonst ohne Anordnung. Ihre Kerne 
sind rund und chromatinreich. Die Follikel sind in der Überzahl leer, 
enthalten vereinzelt ganz helles Kolloid. Im Falle 15 wurde von der 
sonst makroskopisch unveränderten Drüse ein walnußgroßer Knoten 
aus dem linken oberen Pol und ein haselnußgroßer aus dem linken 
unteren Pol entfernt. Von diesen kam leider nur der größere Knoten 
zur Untersuchung. Dieser umschließt Teile, die kleine Follikel enthalten, 
mit hellem Vakuolen und Tröpfchensaum zeigenden Kolloid, mit ku¬ 
bischem Epithel, und solche, wo wir alle Erscheinungen der Degene¬ 
ration sehen, wie Kempyknose und Kemzerfall, hyalines Bindegewebe 
und Kolloidlachen mit Kemtrümmem und alten Blutungen. 

Übersehen wir noch einmal die histologischen Bilder, so können wir 
folgende Punkte hervorheben: In allen Strumen sind die Zeichen lebhafter 
Tätigkeit unverkennbar (außer in der einen Cyste). In der großfollikulären 
Struma tritt die Epithelsprossung vorwiegend intrafollikulär in Form von 
großen Papillen auf, in der kleinfoUikulären Form in der Hauptsache 
zwischen den Follikeln oder als kleine Vorbuckelungen im Follikel. Wir 
sahen in einzelnen Strumen, vorwiegend in den knotigen, alle Übergänge 
von großfollikulärem, von kleinfollikulärem und parenchymatösem Bau. 
In der diffusen großfollikulären Struma finden sich alle Zeichen der ver¬ 
mehrten Tätigkeit in der Hauptsache, doch umschließt sie auch Bilder, 
wie sie einem Ruhestadium entsprechen würden. Es kommt sicherlich auch 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


213 


hier, wie bei allen Strumen, auf den Zeitpunkt der Untersuchung an. 
In der kleinfoüikulären Form sind die Sprossungsvorgänge und das Ver¬ 
halten des Kolloids ebenfalls derartig, daß auf erhöhte Tätigkeit geschlossen 
werden muß, und des weiteren bieten sich uns Bilder dar, die außerordent¬ 
lich an die Basedowstruma erinnern. Die Bildung von einzelnen Knoten 
ist relativ selten. Bei den Knotenkröpfen besteht weit mehr die Neigung 
zur Epithel Wucherung als zur Kolloidspeicherung. Nach den histologischen 
Befunden nehmen die Knoten, wenn sie nicht vollständig degeneriert sind, 
an der Funktion teil. Demnach muß auch ich der Ansicht Krämers, 
daß die Knoten für die Funktion kaum in Betracht kommen, absolut 
entgegentreten. Daß diese Ansicht einfach unhaltbar ist, zeigen uns 
die mit vollem funktionellen Erfolg ausgeführte Transplantation eines 
Knotens (Th. Kocher), die vom basedowizierten Knoten ausgehenden 
typischen Krankheitsbilder und die Ausfallserscheinungen nach Enu- 
cleation eines Knotens bei Aplasie der Testierenden Drüse (Th. Kocher 
und v. Eiseisberg). In Übereinstimmung mit den anderen Autoren fanden 
wir in den jüngeren Jahren weniger Knotenkröpfe ; ihre hauptsächlichste 
Beobachtungszeit fällt in unserem Material in das 14. bis 17. Lebensjahr, 
also in die Pubertätsjahre. — Ich will an dieser Stelle nicht die ver¬ 
schiedenen Anschauungen über die Entstehung der Knoten erörtern. 
Wie aus meinen Ausführungen hervorgeht, sehe ich die Knoten als lokale 
Hyperplasien an, entstanden aus normalen Follikeln (mehrerer Läppchen), 
und stehe damit auf dem Boden der Virchowschen Anschauung, der sich 
in einer jüngst erschienenen Arbeit auch H. Hueck anschließt. Auch 
ich möchte hervorheben, daß die Abgrenzung der Knoten im Anfangs¬ 
stadium meistens sehr gering ist, vielfach mit Sicherheit kaum erkennbar 
sein kann. Es finden sich auch in unseren Knoten entgegen der Ansicht 
Monogenows sehr häufig Lymphgefäße. 

Bei der klinischen Untersuchung unserer Patienten mußte von der 
funktionellen Diagnostik, wie sie von Th. Kocher begründet ist, und von 
Stoffwechseluntersuchungen abgesehen werden, weil eine einheitliche 
Durchführung aus äußeren Gründen unmöglich war. Wir beschränkten 
uns also auf Methoden, die in jeder Klinik ausführbar sind und bei 
dem meistens nur sehr kurzen Aufenthalt der Patienten vor der Opera¬ 
tion möglich waren, und glauben, daß wir unter Ausnützung dieser mit 
ziemlicher Sicherheit haben feststellen können, ob wir es mit einer 
gestörten Funktion der Schilddrüse zu tun haben. Wir empfinden gleich 
anderen das Bedürfnis, Methoden zu bekommen, die uns ganz einwand¬ 
freie Resultate liefern. Bei der Auswertung der subjektiven Symptome 
muß man sehr zurückhaltend sein, da wir bei den jugendlichen und 
häufig nicht sehr intelligenten Patienten alles mögliche in dieselben 
hineinfragen können. Wir konnten uns hiervon des öfteren überzeugen, 
indem von 2 Assistenten die Beschwerden und störenden Erscheinungen 


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E. Stahnke: 


erfragt und niedergelegt wurden. Diese Aufzeichnungen enthielten 
dann häufig ganz widersprechende Angaben. Die Untersuchungen des 
weißen Blutbildes, die Gerinnungsprobe, der Götschsche Adrenalin¬ 
versuch, die Bestimmung des Blutzuckerspiegels geben Werte, die die 
Diagnose nur wenig oder zum mindesten nur bedingt stützen können. 
Gerade die Befunde mit diesen speziellen Methoden haben bei den ein¬ 
zelnen Forschem große Differenzen gezeigt, und es würde über den 
Rahmen der Arbeit hinausgehen, auch nur einen Überblick zu geben. 
Vergegenwärtigen wir uns weiter, daß die Schilddrüsenfunktion an sich 
noch nicht restlos geklärt ist, und die Korrelation zu den anderen Drüsen 
mit innerer Sekretion mit in Rechnung gestellt werden muß, so können 
und dürfen wir nicht umhin, auch auf die übrigen inneren Drüsen unser 
Augenmerk zu richten. Häufig treffen wir bei unseren Strumösen 
klinische Zeichen, die mit einer gewissen Sicherheit auf die eine oder 
andere Blutdrüse hinweisen, aber das sind immerhin doch nur die Aus¬ 
nahmen. Bei den unklaren Verhältnissen, wie sie trotz eifrigster For¬ 
schung in dieser Hinsicht heute noch bestehen, ist es für den Unter¬ 
sucher nicht leicht, sich ein richtiges Urteil zu bilden. So sagt Steward. 
bei Beschäftigung mit Arbeiten der Endokrinologen habe er sich des 
Gedankens nicht erwehren können, in eine 4. Dimension der Medizin 
hineingefallen zu sein, wo die gebräuchlichen Richtlinien und Methoden 
wissenschaftlicher Kritik zu einem Gespött geworden sind, und wo 
Tatsache und Hypothese durcheinandergeworfen werden. Dieses Urteil 
ist wohl etwas zu streng, da wir doch mit einwandfreien physiologischen 
und klinischen Methoden große Fortschritte in der Erforschung der 
inneren Sekretion gemacht haben, vielleicht läßt uns dieser Ausspruch 
aber das Unzulängliche unseres Wissens recht fühlen. Aus dem eben 
Gesagten geht hervor, daß ich bei der Begrenzung des Themas nur in 
ganz engem Rahmen auf diese Fragen hinweisen kann. Des weiteren 
müssen wir auch dem konstitutionellen Faktor Rechnung tragen und 
uns endlich vor Augen halten, daß wir in der kausalen Genese der Struma 
immer noch nicht zu einem einheitlichen Schluß gekommen sind. Ein¬ 
facher liegen die Verhältnisse bei der Beobachtung der Rachenorgane, 
des Kehlkopfs und der Trachea. Diese. Untersuchung wurde in der 
hiesigen Universitätsklinik ausgeführt, und möchte ich an dieser Stelle 
nicht verfehlen, Herrn Prof. Manasse, Direktor der hiesigen Universi¬ 
täts-Ohren-, Nasen- und Kehlkopfklinik, meinen ergebensten Dank 
auszusprechen. Die laryngoskopischen Befunde ließen uns auch eine 
kritische Beurteilung des Röntgenbildes anstellen, und wir fanden, daß das 
Röntgenogramm, bei frontaler und seitlicher Aufnahme, in jedem Fall 
ein absolut sicheres Bild von dem Zustand der Trachea liefert. Wir ver¬ 
werteten das Röntgenverfahren auch, um uns über das Wachstums¬ 
verhältnis der Knochen zu orientieren und aus dem Vergleich der Körper- 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


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große zur Epiphyse Schlüsse auf die Tätigkeit der Schilddrüse zu ziehen. 
Wir wählten als Vergleichsobjekt die Epiphysen oberhalb und unterhalb 
des Kniegelenks. Bei der Beurteilung der Körpergröße ist der persön¬ 
liche Eindruck, nicht eine zahlenmäßige Angabe meiner Ansicht nach 
das Maßgebende, da auch die Familieneigentümlichkeiten mit in den 
Kreis der Beobachtung gezogen werden müssen. In diesem Zusammen¬ 
hang mußte uns auch das Verhalten des Thymus interessieren, und ver¬ 
suchten wir uns auch mittels Röntgenstrahlen über denselben zu orien¬ 
tieren, doch mit absolut negativem Erfolg. Bei einem Fall, in dem die 
Sektion einen stark vergrößerten Thymus aufwies, hatte uns die Durch¬ 
leuchtung vollständig im Stich gelassen. Bei einem operativ gewonnenen 
daumengroßen Stück Thymus, das wir des Versuches halber unterhalb 
des Schulterblattes auf den Rücken eines liegenden Patienten gelegt 
hatten, konnten wir auf der Platte, die unter den besten Strahlen¬ 
bedingungen angefertigt wurde, nicht die geringste Verschattung finden. 
Wir müssen deshalb zu dem Schluß kommen, daß der Wert der Durch¬ 
leuchtung bzw. des Röntgenbildes für die Diagnose eines vergrößerten Thymus 
recht zweifelhaft ist. Es wurde bei der Operation dann dem Thymus 
besondere Aufmerksamkeit geschenkt, doch gelang es nur in dem 
einen Falle, ein Stück Thymus zu entfernen; die sonst als Thymusteile 
entfernten Gewebe erwiesen sich mikroskopisch nicht als solche. — 
Über den Zustand des Herzens unterrichteten wir uns durch Perkussion 
und Auscultation und einfache Durchleuchtung. Die Untersuchung des 
Herzens ist bei jedem Kropfpatienten außerordentlich wichtig, und ein 
krankhafter Befund muß als das beste Symptom bei Schilddrüsen¬ 
funktionsstörungen gelten, mit Ausnahme der Fälle, wo durch andere 
Krankheiten oder Anomalien eine Herzveränderung als entstanden 
angesehen werden muß. Die genaue Ätiologie der Herzveränderung, 
ob wir es mit einem mechanischen, toxischen oder Stauungskropfherz 
in dem einen oder anderen Falle zu tun haben, ist, wie die reichen 
Forschungen zeigen, oft außerordentlich schwierig, da die Erscheinungen 
nicht immer eindeutig sind. Diese Frage muß in das Gebiet der internen 
Medizin verwiesen werden. Zu erwähnen will ich nicht vergessen, daß 
in jüngster Zeit von Steiner aus der Clärmontschen Klinik ein Einfluß 
der Tracheaverengerung auf das Herz überhaupt geleugnet wird. Die 
Auswirkung der veränderten Funktion der Schilddrüse auf das Herz 
ist auch örtlich sehr verschieden. Hofmeister meint, daß die Herz- 
störungen mit den Kropfterritorien in einem gewissen Zusammenhang 
stehen müssen; so zeigten die aus dem Stuttgarter Becken und Tälern 
der Rems und Murr entstandenen Kropfträger häufiger Tachykardie 
als diejenigen vom Ostrande des Schwarzwaldes. In unserer Gegend 
sind Herzstörungen ein sehr häufiger Befund. — Es erscheint fast über¬ 
flüssig, zu bemerken, daß auch alle übrigen Organe einer genauen 


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216 


£. Stahnke: 


Untersuchung unterzogen wurden und auf alle übrigen Symptome des 
Hyper- bzw. Hypothyreoidismus, wie sie uns hauptsächlich durch die 
grundlegenden Forschungen Th. Kochers bekannt geworden sind, 
geachtet wurden. Legen wir diese eben skizzierte Art der Untersuchung 
zugrunde, so ergeben sich bei unseren Fällen folgende Befunde: 

Wir haben versucht, die Einteilung in drei Gruppen zu treffen, und 
zwar in diejenigen Fälle, wo eindeutige Befunde, die auf gestörte Schild¬ 
drüsenfunktion hindeuten, nicht bestehen, dann in Fälle, bei denen 
sicher Zeichen von Hypothyreose nachweisbar sind, und schließlich in 
Hyperthyreosen, wobei ich mir sehr wohl bewußt bin, daß eine ganz 
reine Scheidung nicht möglich ist. Bei den einzelnen Gruppen werden j 
wir auch noch die Fälle besonders zu besprechen haben, bei denen sich ' 
der Zustand wahrscheinlich während des Bestehens des Kropfes geändert 
hat. Unsere 1. Gruppe umfaßt 16 Fälle (Fall 2, 4, 11, 12, 15, 23, 25, 26, 

31, 38, 44, 45, 50). Im Falle 12, 15, 23, 31 werden keine Beschwerden an¬ 
gegeben. Da es sich aber um schnellwachsende Kröpfe handelte, die 
bereits’ eine ansehnliche Größe und Verdrängungserscheinungen an der 
Trachea gemacht hatten, wurde die Operation vorgenommen. In allen 
3 Fällen muß das Blutbild als normal angesehen werden. Über den 
Wert dieser Untersuchungsmethoden für die Diagnose der Hypo- bzw. 
Hyperthyreose werden vielfach ganz widersprechende Ansichten laut. 
Wir werden im folgenden darauf zurückkommen. Die Gerinnungs- 
bestimmungen wurden nach dem Foniosehen Verfahren gemacht, da 
diese Methode nach den Untersuchungen von Nonnenbruch und Sczyska 
sehr brauchbare Werte geben. Wenn auch in unseren unkomplizierten 
Fällen die Leukocytenzahl (bis zu 14 200) an sich etwas hoch ist, so 
können doch derartige Werte bei jugendlichem Alter als wenig auffallend 
angesehen werden. Im Falle 12 fanden wir, wie oben ausgeführt, eine 
mit Kolloidcysten besetzte großfollikuläre Struma, in den beiden andern 
Fällen kleinblasige Knotenstrumen. Im Falle 2 wurde der kleine Patient 
wegen in letzter Zeit auf tretender Atembeschwerden zu uns gebracht. 
(Der 1 Jahr jüngere Bruder wurde zu gleicher Zeit operiert, ist aber nicht 
verwertet.) Es konnten weder an der Trachea noch am Herz Anhalts¬ 
punkte für die Atemnot gefunden werden; es bestand eben nur ein für 
das Alter des Patienten sehr großer Kropf. Im Fall 25 fanden wir einen 
sehr großen Kropf (mikroskopisch: diffuse Kolloidstruma mit Knoten), 
der die Trachea komprimiert und die großen Gefäße verdrängt hatte, 
eine alte Rachitis, Kyphoskoliose, sonst keine krankhaften Symptome. 
Das Mädchen sah frisch und gesund aus. Bei dieser Patientin wurde das 
daumengroße Thymusstück entfernt; hier dürfen wir vielleicht eine für 
das Alter (15 Jahre) etwas zu großen Thymus annehmen, obwohl der 
operative Befund für die Gesamtgröße des Thymus wenig ausschlag¬ 
gebend sein kann. Fall 26 betrifft ein löjähriges, gut gewachsenes 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


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Mädchen, das außer einem rechtsseitigen hühnereigroßen Kolloidknoten, 
der die Trachea etwas einengte, keinen krankhaften Befund aufwies. 
Die übrigen Fälle dieser Gruppe kommen alle wegen Atembeschwerden 
in die Klinik; von diesen zeigen bei fehlenden krankhaften Herzbefunden 
Fall 43 und 45 eine Säbelscheidentrachea, Fall 4, 11, 25 und 50 eine 
wesentliche Einengung oder Verdrängung.der Trachea. Die Kröpfe be¬ 
stehen schon seit Jahren, haben in der letzten Zeit stark zugenommen, 
und nun setzten die Beschwerden ein. Diese Angaben, daß erst mit dem 
erneuten Wachstum Beschwerden auf treten, hören wir immer wieder. 
Bei Fall 45 bestand neben der Säbelscheidentrachea und Einengung von 
hinten eine kongenitale Kehlkopfverengerung. Patient kam am fünften 
Tage nach der Operation ad exitum (es wurde bei der Sektion Media- 
stinalemphysem und venöse Hyperämie sämtlicher Organe gefunden. 
Thymus nicht vergrößert, sondern stark zurückgebildet. Nebennieren 
gehörig groß, kräftiges Mark, fettreiche Rinde, deutliche chromafine 
Zone vorhanden). Im Falle 44 findet sich eine Herzverbreiterung, so daß 
der Herzspitzenstoß noch gerade innerhalb der Mammillarlinie fällt, eine 
vermehrte Herzaktion bestand nicht. In diesen 4 Fällen ergab das 
mikroskopische Bild diffuse Strumen, und zwar großfollikulär bei 
Fall 38 und 43 und kleinfollikulär im Falle 44 und 46, wobei die letzte 
einer Struma basedowiana sehr ähnelt. — Ganz auffallend war nun in 
einigen Fallen die Adrenalinwirkung. Ich möchte gleich in diesem Zu¬ 
sammenhänge diese eigenartigen Befunde besprechen und ihre Bedeutung 
zu erklären suchen. Ich kann dann im folgenden kurz auf die Angaben 
verweisen. Wir nahmen die Adrenalininjektion stets subcutan an der 
rechten oberen Brustseite vor. Die Menge schwankte je nach Alter 
zwischen 0,75 und 1,0 mg, also in einer Menge, bei der eine Wirkung er¬ 
wartet werden durfte. Wir machten, wie gesagt, die Injektion subcutan, 
da uns die intravenöse zu gefährlich erschien, nachdem wir in einem, 
probeweise unter aller Vorsicht mit 0,1 mg venös injizierten Falle einen 
sehr üblen Zustand beobachten konnten. Ich bin mir sehr wohl bewußt, 
daß durch die subcutane Einverleibung alle gegen diese Art der Appli¬ 
kation erhobenen und sicher berechtigten Einwände gegenüber meinen 
Befunden zu Recht bestehen, glaube aber trotzdem auf meine Beobach¬ 
tungen kurz hinweisen zu sollen. Ganz abgesehen von diesem durch die 
Art der Injektion bedingten Fehler und von der verschiedenen An- 
sprechbarkeit der einzelnen Menschen auf Adrenalin verdienen bei der 
sicher nachgewiesenen Beziehung zwischen Thyreoidea und chromafinem 
System, auffallende, von der Norm abweichende Adrenalinwirkungen, 
namentlich, wenn 2 Versuche den gleichen Effekt haben, gewiß der 
Beachtung. Das verschiedene Ansprechen gerade von Strumösen auf 
Adrenalin ist ja auch anderen Autoren aufgefallen und hat dazu geführt, 
vagotonische und sympathikotonische Formen der Kröpfe zu unter- 


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E. Stahnke: 


scheiden. Mit der weiteren Adrenalinforschung sind diese Hypothesen 
von den meisten abgelehnt worden. Daß das Adrenalin eine elektive 
Wirkung auf das sympathische System hat, dem ein spontan ein¬ 
setzender parasympathischer Reiz entgegenwirkt, steht heut wohl außer 
Zweifel. Vergegenwärtigen wir uns nun einige mit sicheren Methoden 
nachgewiesene Zusammenhänge zwischen Thyroidea und adrenalem 
System. Asher und seine Schüler konnten dartun, daß die Wirkung des 
Adrenalins bei gleichzeitiger Reizung des Laryngeus superior, der eine 
vermehrte Sekretion der Schilddrüse bedingt, eine intensivere und länger 
anhaltende ist, jedoch unter der Bedingung, daß die Nervi depressores 
durchschnitten waren. Sind diese erhalten, so wird der Tonus des Nervus 
depressor erhöht durch das vermehrte Schilddrüsensekret, und die 
andere Wirkung des Schilddrüsensekretes, nämlich die gesteigerte 
Wirkung des Adrenalins, wird unterdrückt bzw. kompensiert. Eppinger, 
Falta und Rudinger konnten durch Stoffwechseluntersuchungen die för¬ 
dernde Wirkung der Schilddrüse auf die Nebenniere feststellen, und 
weiter, daß nach Exstirpation der Schilddrüse die blutdrucksteigemde 
Adrenalinwirkung vollständig ausfällt, was Pick und Pineies ablehnen. 
Kraus und Friedenthal sahen bei gleichzeitigen Infusionen von Schild- 
drüsenpreßsaft und Adrenalin eine gleichmäßigere und länger dauernde 
Wirkung des Adrenalins. Nach Schilddrüseneinspritzung hat auch das 
periphere Venenblut eine stark erweiternde Wirkung auf die Pupille 
des enucleierten belichteten Froschauges, welche Eigenschaft sonst nur 
dem Blut aus der Pfortader zukommt. Eiger konnte auf pharmakologi¬ 
schem Wege im Blutplasma aus der Vena thyreoidea gesunder Hunde 
und Menschen, an Basedowleidenden auch aus der Armvene den Gehalt 
an Schilddrüsenhormon auf Grund des synergetisch verstärkten Ein¬ 
flusses des Adrenalins nachweisen. Wenn es Herz gelang, bei Myxödem 
durch Schilddrüsentabletten bei Zufuhr von Adrenalin prompt Glykos- 
urie auftreten zu lassen, was ohne Schilddrüsengabe nicht möglich ist, 
so ist hierin ein weiterer Beweis geliefert. Nach diesen Untersuchungen 
ist die meistens sehr starke blutdrucksteigemde Wirkung, auch in 
subcutaner Applikation bei Hyperthyreose, zwanglos'zu erklären. Wenn 
wir aber bei Hypothyreose Blutdrucksenkung, also die gleiche Erschei¬ 
nung auftreten sehen, wie bei zu kleiner Adrenalindosis oder wie bei 
Injektion von Schilddrüsenpreßsaft allein (v. Zyon, Fürth , Oswald, 
Schäfer, Asher, Doum u. a.) oder bei ausgesprochenen Vagotonikem 
(Dressei ), so ist dieser Ausfall einstweilen schwerer zu erklären. Berück¬ 
sichtigen wir, daß nach Untersuchungen von Eppinger bei Verminderung 
des Schilddrüsenhormons die Permeabilität der Capillaren sinkt, so kann 
diese Tatsache bei der subcutanen Applikation zur Erklärung heran¬ 
gezogen werden. Soll doch nach Mikrocapillarbeobachtung von Moog 
und Ambrosius das Adrenalin auf die Haargefäße wirken, und zwar auf 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


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den arteriellen Schenkel. Es ist hier ferner vielleicht auch an einen durch 
die Hypothyreose veränderten Kalium-Calciumstoffwechsel zu denken 
unter Berücksichtigung des in der Jugend überhaupt überwiegenden 
parasympathischen Erregungszustandes. Einen Fingerzeig können 
uns neben Untersuchungen von Kraus, Zondeck, BiUigheimer, Oottschalk 
und Adler u. a. diejenigen von Dressei und seinen Mitarbeitern geben. 
Einzelheiten verbieten sich an dieser Stelle. Es steht zu erwarten, daß 
mit der weiteren Forschung auch hier neue Gesichtspunkte erschlossen 
werden. — Nun fanden wir des weiteren anormale Adrenalinwirkung, 
also Blutdrucksenkung, bei Strumen, die sicherlich keine Zeichen von 
Hypothyreoidismus, wohl aber teilweise deutliche Erscheinungen der 
gesteigerten Schilddrüsenfunktion aufwiesen. Da es sich nicht um einzel 
erhobene Befunde handelte, und wir die gleiche Wirkung bei demselben 
Patienten an zwei verschiedenen Tagen sehen konnten, mußten wir nach 
einer Erklärung suchen und fanden bei der Durchsicht unserer Fälle, 
daß sich in dieser Hinsicht die Patienten auszeichneten, bei denen wir 
starke Atemnot und schwere Trachealverengerung bis zur Säbelscheiden¬ 
trachea fanden. Hieraus resultiert bei erschwerter Atmung Sauerstoff¬ 
mangel und Kohlensäureüberladung. Nun ist bekannt, daß die sichtbare 
Verengerung der Trachea nicht •immer mit dem subjektiven Gefühl der 
Atemnot kongruent ist. Bei unseren Patienten handelt es sich doch aber 
vorwiegend um in verhältnismäßig kurzer Zeit schnell wachsende Stru¬ 
men, wo also das betreffende Individuum wenig Zeit hatte, sich an seine 
enge Luftröhre zu gewöhnen. Gegenüber dem respiratorischen Stoff¬ 
wechsel ist die Schilddrüse ein sehr empfindliches Organ, denn im Tier¬ 
versuch fanden Streuli und Asher, daß schilddrüsenfose Ratten gegen 
Sauerstoffmangel weniger empfindlich sind wie die Tiere mit Schild¬ 
drüse. Da unsere Patienten unter „subjektiver“ Atemnot und Luft¬ 
hunger leiden, so müssen wir nach den Untersuchungen von Moravritz 
und Siebeck mit einer vermehrten C0 2 -Spannung in der Lunge und da¬ 
mit auch in den Gefäßen rechnen. Durch Sauerstoffmangel und Kohlen¬ 
säureanhäufung geschädigte Gefäße zeigen aber eine für Adrenalin 
herabgesetzte Ansprechbarkeit ( Moog und Ambrosius). Diese Beobach¬ 
tungen ergänzen die im Experiment gewonnenen ( Amoldi , Heymann 
u. a.). Wir könnten uns also für die nicht auf Hypothyreose zurück¬ 
zuführende, herabgesetzte „scheinbare“ Adrenalinempfindlichkeit bei 
Hyperthyreose den veränderten respiratorischen Stoffwechsel als wirken¬ 
des Agens denken. 

Betrachten wir im folgenden die Fälle, die uns Zeichen der Hypo¬ 
thyreose boten, es sind dies 1, 3, 8, 9, 24, 28, 29, 33, 34, 39 und 46, so 
könnte es den Anschein erwecken, als ob dieser Zustand vom 15. Lebens¬ 
jahr ab häufiger zur Beobachtung kommt. Da wir aber in diesen Jahren 
mehr Fälle zur Untersuchung hatten, ist der Schluß wohl nicht richtig. 


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E. Stahnke: 


Die Erscheinungen des Hypothyreoidismus prägen sich bei unsem 
Patienten nie in so krassen Bildern aus, wie sie wohl z. B. in der Schweiz 
als kretinoider Typus beobachtet werden; auch können wohl Zeichen an¬ 
getroffen werden, die mit Infantilismus in Beziehung zu bringen wären. 
Es ist daher nicht immer möglich, ganz einwandfrei nur eine herab¬ 
gesetzte Schilddrüsenfunktion für das klini sche Bild verantwortlich zu 
machen. Ein gesamthypoplastischer Status begegnet uns recht häufig. 
Daß auch das Verhalten des Thymus und der Keimdrüsen einen wichtigen 
Faktor bei den Wachstumsvorgängen darstellen, ist heute sichergestellt. — 
Unsere zu den Hypothyreosen gerechneten Patienten sind alle im Wachs¬ 
tum zurückgeblieben, machen auch bei vorgeschrittenem Alter einen 
kindlichen Eindruck, d. h. die Körperproportionen sind die eines Kindes. 
Im allgemeinen haben sie einen sehr reichlichen Fettansatz. Das Ge¬ 
sicht ist wie gedunsen, mit verstrichenen Nasolabialfalten, verdickte 
Oberlippe; die Augen sehen vielfach wie verschwollen aus. Die Ge¬ 
sichtsfarbe erscheint blaß — fahl, dabei häufig leichte livide Verfärbung 
der sich kühl anfühlenden Wangen. Der Gesichtsausdruck ist stupid, 
das Mienenspiel wenig lebhaft, wie denn überhaupt diese Patienten ein 
meist phlegmatisches Temperament haben, was uns so recht bei der 
Adrenalininjektion und bei der Operation auffiel. (Bei Patient 9 be¬ 
stand angeborene Taubstummheit.) Der Hals ist meist kurz, wodurch die 
Struma recht weit nach aufwärts reicht. Am Brustkorb ist der untere 
vordere Rippenbogen häufig wie aufgestülpt. Der Leib erscheint auf- 
getrieben mit nicht selten zu beobachtendem Tiefstand des Nabels. Die 
äußeren Genitalien sind wenig entwickelt, ebenso vermissen wir bei 
unseren älteren Patienten die sekundären Geschlechtsmale, Achsel- und 
Schamhaare. Störung in der Sexualsphäre konnten wir, da es sich außer 
Fall I um männliche Individuen handelt, nicht feststellen. Die Haut 
ist am ganzen Körper blaß, an den Extremitäten tritt deutliche Venen¬ 
zeichnung hervor. Im Fall 39 ist die Haut am ganzen Körper schilfernd. 
Der lymphatische Rachenring ist bei mehreren Patienten hyperplastisch; 
bei einzelnen mußte vor der Operation eine Entferung von Tonsillen 
und adenoiden Wucherungen vorgenommen werden. Die Röntgen¬ 
aufnahmen ließen für das Alter sehr breite Epiphysenlinien und eine 
Unterentwicklung der Knochenkeme erkennen. (Die Beurteilung wurde 
von dem Röntgenologen unserer Klinik, Dr. Seyerlein, ohne Kenntnis 
des klinischen Status vorgenommen.) Diese Befunde sind namentlich 
dann sehr wichtig für die Beurteilung, wenn die Patienten an sich nicht 
als im Wachstum wesentlich zurückgeblieben anzusehen sind. Die Ein¬ 
wirkung des wachsenden Kropfes auf die Trachea ist meistens sehr be¬ 
deutend. Wir finden bei diesen Patienten relativ häufig eine Abflachung 
der Trachea, auch von vom nach hinten. Man kann dies wohl darauf 
zurückführen, daß die Trachealringe wenig widerstandsfähig und weich 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 221 

sind. Es wurden uns denn auch sämtliche Patienten wegen Atmungs- 
störung gebracht. Da die Atembeschwerden nach der Operation schon 
zu einer Zeit den Patienten nicht mehr belästigen, wo die eventuellen 
Herzbefunde noch die gleichen sind, müssen wir doch im kindlichen 
Alter der Trachealkompression großen Wert beilegen und die tracheale 
Atemnot nicht für selten ansehen. In den Fällen 1 , 28, 33, 39, 46 ergibt 
die Perkussion eine Verbreiterung des Herzens nach links, Spitzenstoß 
in der Mamillarlinie. Die Herzen zeigen bei der Durchleuchtung vielfach 
Schuhform und sind sehr verschieblich bei Seitenlage, was uns auffiel 
gegenüber den straff aufgehängten Herzen in Kugelform, wie wir sie bei 
klinisch Gesunden und Hyperthyreosen antrafen. Die Aktion ist bei 
allen, außer bei 28 und 39, beschleunigt, im Fall 24 finden wir auch 
Unregelmäßigkeit in der Schlagfolge verzeichnet. Bei allen Patienten 
bewegt sich die Zahl der roten Blutkörperchen und Hämoglobingehalt 
in normalen Grenzen. Das weiße Blutbild ist nicht einheitlich. Wir 
müssen bei der Beurteilung in Rechnung stellen, daß im jugendlichen 
Alter die Lymphocytenzahl an sich höher ist. Bei den Untersuchungen 
wurde selbstredend Verdauungsleukocytose und die Einwirkung des 
Adrenalins vermieden. Im Falle 46 ergibt sich ein ganz normales Blut¬ 
bild, im Falle 1 normale Leukocytenzahl (7000) mit Verminderung der 
Neutrophilen auf 33% und Vermehrung der Lymphocyten auf 57%. Im 
Falle 8 und 33 finden wir Leukopenie, dabei sowohl relative wie absolute 
Lymphocytose. In den Fällen 28, 29, 34, 39 bewegen sich die Gesamt- 
leukocytenzahlen (9900—13 400) wohl noch in normalen Grenzen, dabei 
in allen Fällen relative bis absolute Lymphocytose (gegenüber 40—67% 
Neutrophylen, 31—75! % Lymphocyten). Im Falle 24 beträgt die 
Gesamtleukocytenzahl 16200 (64,2% Neutrophile, 28,2% Lymphocyten). 
In allen bis auf Fall 46 ist demnach die Zahl der neutrophilen Leuko- 
cyten normal oder deutlich vermindert, und des weiteren ist die Zahl der 
Lymphocyten fast in allen Fällen stark vermehrt. Die Oerinnung (in den 
ersten Fällen nicht beobachtet) war sehr wechselnd; wir fanden normale, 
häufig beschleunigte, aber auch verlangsamte Oerinnung. Kottmann und 
mit ihm die Schule Kochers postulieren für Hypothyreose beschleunigte 
Blutgerinnung. Kottmann hat die Hypothese aufgestellt, daß das 
Fibrin bzw. Fibrinogen hier vermehrt sei. M. Busse konnte jetzt mit 
der Wohlgemuth sehen Probe nach weisen, daß Gerinnungszeit und 
Fibringehalt des Blutes nicht parallel gehen; bei Myxödem fand Busse 
Verminderung des Fibrinogens. Jedenfalls können wir nach unserem 
Untersuchungsbefund neben dem weißen Blutbild beschleunigte Ge¬ 
rinnung als etwas Charakteristisches für Hypothyreose nicht anerkennen. 
— Die Adrenalinprobe, über deren Abweichung von der Norm ich schon 
oben im Zusammenhang Betrachtung angestellt habe, ergab bei diesen 
Fällen ebenfalls recht wechselnde Bilder. (Fall 1 und 8 nicht ausgeführt.) 


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222 


E. St&hnke: 


Bei Fall 28 und 29 blieb die Injektion ohne Einfluß auf systolischen 
Blutdruck und Pulsfolge; wir haben wohl auf diesen Befund keinen Wert 
zu legen. Im Fall 24 erfolgte normaler Anstieg. Bei Fall 39 zeigte der 
Blutdruck in den ersten 6 Minuten ein Absinken von 122 auf 98, um in 
den nächsten 16 Minuten auf 154 zu steigen; nach weiteren 14 Minuten 
ist der Ausgangswert erreicht. Diese Kurve entspricht ganz der bei 
Myxödem von Cori registrierten, allerdings auch bei subcutaner Injektion. 
In den Fällen 9, 33, 34 und 46 ist nun ein deutliches Absinken des Blut¬ 
druckes zu konstatieren, ohne daß bei längerer Beobachtung nach Rück¬ 
kehr zum Anfangswert ein Anstieg eintritt. Im Fall 9, 34 und 46 besteht 
auch eine erhebliche Einengung der Trachea mit starken Atembeschwer¬ 
den. Wir vermissen also bei diesen Fällen den steilen Anstieg des Blut¬ 
druckes, wie wir ihn gewöhnlich und noch besonders bei Hyperthyreosen 
sehen. — Im Falle 3, wo wir histologisch eine Tuberkulose fanden, sind 
klinisch keine Anhaltspunkte für Tuberkulose zu finden. Es handelt sich 
um einen 8jährigen Buben, der für sein Alter unterentwickelt ist und 
einen myxömatösen Habitus darbietet. Das weiße Blutbild weist bei 
12 400 Leukocyten 42% Neutrophile und 46% - Lymphocyten auf. Auf 
Adrenalininjektion Anstieg von 115 auf 140 innerhalb 5 Minuten mit 
irregulärem Puls und lebhafter Herzpalpitation. Es ist dies zugleich ein 
Beispiel, wie bei einem Patienten Erscheinungen der Hypo- und Hyper¬ 
thyreosen zugleich beobachtet werden können. 

Nach den Untersuchungen von Hotz muß nun ein Vergleich des klini¬ 
schen und histologischen Befundes bei den Hypothyreosen besonders reizvoll 
sein. Bei Fall 9 und 33 sahen wir einen isolierten Knoten, in den Fällen 8, 
24, 28, 29, 34 eine kleinfollikuläre Struma mit Knotenbildung. Neben 
altem Kolloid wohl vielfach helles, dünnflüssiges und dabei die Neigung 
zur Epithelvermehrung namentlich in den Knoten. Diese Befunde passen 
im großen und ganzen zu den bisher gemachten Erfahrungen und würden 
die Zeichen der Hypothyreose im klinischen Bilde mit dem histologischen 
vereinbaren lassen. Das gerade Entgegengesetzte tritt uns nun in den 4 re¬ 
gierende» Fällen vor Augen. Im Fall 1 und 3 mit ganz eindeutigen 
Zeichen der Hypothyreose ist das mikroskopische Bild ganz das gleiche, wie 
in den von Hotz beschriebenen, nämlich eine diffuse IdeinfoUikuläre Struma 
mit wenig dünnflüssigem Kolloid, kubischem und zylindrischem Epithel, 
in den Follikeln reichlich Epithelsprossungen in Buckel- und Zapfenform. 
Das ganze Bild ähnelt sehr einer Basedowstruma (s. Abb. 5). Zu dem 
3. Falle möchte ich noch bemerken, daß bei Tuberkulose der Schild¬ 
drüse meistens eine Hyperfunktion gefunden wurde, ja Tuberkulose 
sogar mit Basedow in Beziehung gesetzt wurde. In den Fällen 39 und 46, 
mit ebenfalls sicheren Merkmalen des Hypothyreoidismus, fanden wir 
mikroskopisch eine diffuse großfollikuläre Struma mit lebhaftester Papillen¬ 
bildung. Das Interessante und noch Ungeklärte ist an diesen Befunden, 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


223 


daß eine Struma, die mikroskopisch alle Zeichen der intensiven Tätigkeit 
aufweist, klinisch mit Erscheinungen hervorgeht, die auf Unterfunktion 
schließen lassen. Hotz hält es nach seinen Beobachtungen für unwahr¬ 
scheinlich, daß die Struma in diesen Fällen gewissermaßen nebenher 
als zufälliges Symptom auftritt und mit den Wachstumsstörungen 
nichts zu tun hat. Hotz neigt mehr zu der Auffassung, daß hier eine 
Hemmungsform infolge der Überproduktion der Schilddrüse vorliegt, 
analog dem Arndt-Schulze sehen Gesetz, daß kleine Reize fördern, starke 
hemmen. Hotz geht dann in seinen Folgerungen weiter: „Bedenkt man 



Abb. 5. Abbildung 5 zu Kall 1. 60 fache Vergrößerung. 


ferner, daß der erethische Basedowhabitus zweifellos erst in den Ent¬ 
wicklungsjahren einsetzt und dann oft ein ungewöhnliches Längen¬ 
wachstum zur Folge hat, so kommt man zur Annahme, daß unter Mit¬ 
wirkung der Keimdrüse die Reizerscheinung prävaliert. Jedenfalls 
besteht die Tatsache, daß der parenchymatöse gefäßreiche Kropf bei 
jungen Kindern kretinoide Form erzeugt, in den Pubertätsjahren führt 
er zu aufgeschossenen Typen mit Erscheinung von Basedow.“ Bei 
unseren zwei letzten Patienten, die beide im 17. Lebensjahr stehen, 
geht eine mikroskopisch intensiv tätige Drüse auch noch in der Puber¬ 
tätszeit mit Hemmungen in der körperlichen Entwicklung einher. Aller¬ 
dings ist der Fall 39 insofern nicht ganz rein, weil eine Jodbehandlung 
vorausgegangen ist und sich in manchen Follikeln ein sicher älteres, an- 


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224 


E. Stahnke: 


geschopptes Kolloid findet, mithin die Möglichkeit besteht, daß erat 
durch das Jod in einem an sieh Sekretspeicherung zeigenden Kropf 
die Zeichen der vermehrten Funktion hervorgerufen werden. Ob weiter 
in diesen Fällen die Drüse ein qualitativ verändertes Sekret abgibt, muß 
solange unentschieden bleiben, bis uns die biologische Chemie Anhalts¬ 
punkte hierfür erbringt. Das große Verdienst von Hotz ist es unbestrit¬ 
ten, auf diese Befunde aufmerksam gemacht zu haben. 

Ganz auffallend ist es, daß nicht weniger wie 24 Fälle mit Erscheinungen 
von Hyperthyreose einhergehen, wobei ich gleich bemerken will, daß 10 Pa¬ 
tienten mit Jod behandelt waren. Diese Neigung zur Hyperthyreose 
stimmt recht gut dazu, daß wir in Unterfranken, im Gegensatz zu anderen 
Kropfgegenden, recht häufig Basedowkranke zu sehen bekommen, 
worauf auch seinerzeit Enderlen aufmerksam gemacht hat. Aus meiner 
obigen Bemerkung über die Jod Vorbehandlung erhellt, daß wir unter 
unseren Patienten solche antreffen werden, die nicht die Gesamt¬ 
erscheinungen einer während längerer Zeit bestehenden Hyperfunktion 
der Schilddrüse haben, sondern diejenigen einer akuten künstlichen. 
Demnach sind auch die klinischen Befunde recht mannigfach. Diese 
Patienten sind im allgemeinen gut entwickelt, auffallend groß für ihr 
Alter, grazil, hoch aufgeschossen (Typus Holmgren), die Mädchen haben 
oft mehr knabenhafte Figur. Doch finden wir auch Individuen, die für 
ihr Alter klein sind; die Röntgenaufahme der Epiphysen ergibt hier eine 
deutliche Verschmälerung. Es ist also durch vermehrten Anreiz eine be¬ 
schleunigte Verknöcherung eingetreten. So fand auch Holmgren, daß 
jugendliche Basedowpatienten frühzeitig verknöchert waren, und 
Bircher konnte bei jungen Ratten durch Schilddrüsenfütterung Be¬ 
schleunigung des Knochenwachstums mit vorzeitigem Verbrauch der 
Epiphysenknorpel hervorrufen. Umgekehrt wiesen von Eiseisberg und 
Hofmeister experimentell nach, daß nach Totalexstirpation der Schild¬ 
drüse ein bedeutendes Zurückbleiben im Wachstum und ein Erhalten¬ 
bleiben der Knorpelfugen über die normale Dauer hinaus eintritt. Das 
Verhalten der Epiphysenlinie und des Knochenkems im Röntgenbiide 
verglichen mit der Körperlänge ist also eine sehr wertvolle Unterstützung 
für die Diagnose, und gerade hierauf wird in der Literatur recht wenig 
hingewiesen. Der Gesichtsausdruck dieser Patienten ist frisch, das 
Mienenspiel lebhaft. Die Gesichtsfarbe wechselt sehr leicht. Sie ist im 
allgemeinen gesund, doch kommt auch blasse, gedunsene Gesichtshaut 
zur Beobachtung. Das Glanzauge konnte ich bei unseren Kranken eigent¬ 
lich wenig ausgesprochen finden; man kann sich dabei auch recht leicht 
täuschen. Sonstige charakteristische Augensymptome waren wohl an¬ 
gedeutet, aber nicht hervor tretend. Am häufigsten tritt das Dalrympk- 
SteUwagsche Symptom hervor, das meistens erst recht deutlich wird, 
wenn man den Patienten längere Zeit fixieren läßt. Fast ausnahmslos 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


225 


haben die Patienten einen feinen Lidtremor bei geschlossenen Augen. 
Eine Vergrößerung der lymphatischen Elemente im Rachenring wurde 
von spezialistischer Seite oft gefunden, aber wir konnten auch häufig 
die anderen palpablen Drüsen als vergrößert ansprechen. Vereinigen 
wir diese Befunde mit denen des weißen Blutbildes, so dürfen wir für 
diese Fälle wohl einen sekundären Lymphatismus annehmen. Am Halse 
fiel uns häufig die Pulsation der Jugularvenen auf, desgleichen an der 
Thyreoidea superior. Schwirrende Geräusche über dem Kropf sind nichts 
Seltenes. Bei der Operation macht sich die vermehrte Blutfülle oft recht 
unangenehm bemerkbar. Herzstörungen finden wir bei allen Patienten, 
neben Beschleunigung der Aktion vielfach eine deutliche bis starke Ver¬ 
breiterung mit hebendem Spitzenstoß. Es werden systolische Geräusche 
an der Spitze, verstärkter zweiter Pulmonalton und Arythmien beobach¬ 
tet. Die Herzen sind meistens recht labil und reagieren auf geringste 
Anlässe mit vermehrter Aktion. Diese Erscheinung können wir be¬ 
sonders deutlich beobachten bei der Untersuchung, z. B. bei der Blut¬ 
entnahme, bei der Adrenalininjektion, wie denn überhaupt diese Patien¬ 
ten leicht erregbar sind. Trotz objektiver Befunde wird aber über Herz¬ 
klopfen oder periodische Anfälle von Palpation wenig geklagt, nur bei 
Anstrengung fiel es den meisten auf, daß sie dann in letzter Zeit neben 
den Atembeschwerden auch Herzklopfen bekamen. Einige geben auch 
an, daß sie Einreibungen und Medizin genommen hätten, und erst darauf¬ 
hin hätten'sie vermehrte Atemnot und Herzklopfen gespürt, was ihnen 
nie vorher aufgefallen war. Bauer hat besonders darauf hingewiesen, daß 
bei objektivem Herzbefund Tachykardie und Beschwerden fehlen 
können und möchte für diesen Typ den Ausdruck des „torpiden“ de- 
generativen im Gegensatz zum „erethischen“ Krausschen Kropfherz 
aufstellen. Da derartige Erscheinungen auch bei Hypothyreosen Vor¬ 
kommen, so will er sie auf Dysthyreose (im Sinne Klose , Lampi und 
Liesegang) beziehen. Erwähnt muß auch werden, daß gerade ein ver¬ 
stärkter zweiter Pulmonalton im jugendlichen Alter ein sehr häufig an¬ 
zutreffender Befund ist {Lüttje). Für den Chirurgen sind diese Herz¬ 
erscheinungen bei sonstigen nachweisbaren Störungen im Sinne einer 
Hyperthyreose jedenfalls sehr beachtenswert, ein Entscheid über die Genese 
muß im Zweif eisfalle von dem Internisten eingeholt werden. Röntgenologisch 
sahen wir bei den Hyperthyreosen, wie gesagt, häufig die Kugelform oder 
recht steil stehende Herzen. Von vaskulären Symptomen konnten 
häufig Klagen über vermehrtes Schwitzen erhoben werden, in einzelnen 
Fällen auch äußert sich dies bei der Untersuchung recht deutlich. Den 
von den Autoren bei Hyperthyreose meistens beobachteten feinschlägigen 
Tremor der Finger vermißten wir in einer ganzen Anzahl, doch konnten 
wir ihn in diesen Fällen teilweise am erhobenen Bein nach weisen. Über 
Verdauungsstörungen konnten keine Klagen erhoben werden. Bei der 

Archiv (. klin. Chirurgie. 126. 


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226 


E. Stahnke: 


Adrenalininjektion sahen wir recht oft gewaltige Palpitation des Herzens 
und meistens einen steilen Anstieg des Blutdrucks. Doch fanden sich 
auch, wie schon oben erwähnt, hier eine Reihe von Patienten, die wenig 
adrenalinempfindlich waren oder eine Senkung des Blutdruckes ohne 
späteren Anstieg aufwiesen. Es sind dies die Fälle, wo große Atem- 
beschwerden bestanden, mit zum größten Teil starker Kompression der 
Trachea. Ich will hier noch bemerken, daß bei Kompression von vom 
nach hinten der Druck von dem Patienten meistens als sehr lästig an¬ 
gegeben wird und auch Schluckbeschwerden geäußert werden. — Als 
normal zu bezeichnende weiße Blutbilder sind 5 Fälle (6, 7, 13, 32, 35) 
registriert; die Erscheinungen der Hyperthyreose sind hier nicht stark, 
in 3 Fällen (6, 7, 32) auf Jodbehandlung zurückzuführen. Bei 6 Fällen 
(14,16,17,18, 48,49) ist die Gesamtleukocytenzahl vermindert (zwischen 
4500 und 6700) verbunden mit relativer und teils abapluter Leukocytose. 
Bei diesen Patienten sind die Zeichen der Hyperthyreosen sehr aus¬ 
gesprochen. (Bei Fall 17 und 49 Jodbehandlung vorausgegangen.) Die 
Testierenden 12 Fälle (5, 10, 19, 20, 21, 22, 27, 30, 36, 40, 41, 42, 43, 47) 
haben erhöhte, aber in normalen Grenzen liegende Leukocytenwerte 
(zwischen 7100 und 12500) mit relativer, teils auch absoluter Lympho- 
cytose. Demnach findet sich eine Lym phocyto.se außer bei 5 Fällen als 
regelmäßiger Befund. Die Gerinnungszeit ist recht häufig verlangsamt, 
aber niemals beschleunigt. Wir können also für Hyperthyreosen die An¬ 
sichten A. Kochers bestätigen. — In Kürze möchte ich noch über unsere 
gefundenen Blutzuckerwerte berichten, die allerdings bei 14 Fällen nicht 
bestimmt wurden. Die Untersuchungen wurden nach dem Bon^schen 
Mikroverfahren in den Laboratorien der medizinischen Klinik an¬ 
gestellt, wofür ich auch an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. 
Es wurden immer zwei Proben vorgenommen; neunmal fanden sich 
erhöhte Werte bis zu 0,162. Von diesen tragen 5 Patienten die Zeichen 
der Hypo-, 2 die der Hyperthyreose, bei 2 ist kein krankhafter Einfluß 
der Schilddrüse ersichtlich. Bei der Unklarheit der Beziehungen zwischen 
Thyreoidea und Pankreas und nach unseren uneinheitlichen Ergebnissen 
müssen wir uns jedwede Schlußfolgerung versagen. Ich will in diesem 
Zusammenhang nur kurz einige interessante Beobachtungen erwähnen. 
Bei Basedowscher Erkrankung wurde vielfach erhöhter Blutzucker¬ 
spiegel gefunden ( Flesch u. a.). Durch Röntgenreizdosen auf die Schild¬ 
drüse Gesunder konnte Brösamlen eine Vermehrung des Blutzuckers, 
nach hohen Dosen eine Herabsetzung konstatieren. Nach Bestrahlung 
von Basedowschilddrüsen trat Verminderung des Blutzuckers ein. 

Drei Fälle muß ich wegen auffallender Befunde besonders erwähnen. 

Fall 20 betrifft einen 14jährigen hochaufgeschossenen Jungen, mit breiten 
Epiphysen im Röntgenbild; charakteristische Turmschädelbildung, blasses ge¬ 
dunsenes Gesicht, große Tonsillen; Herz nach links verbreitert, Herzspitzenstoß 


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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


227 


in der Mamülarlinie, hebend, beschleunigte Aktion. Abnorm große Geschlechts* 
teile. Eine diffuse, namentlich im unteren Teil des Halses sehr breite Struma 
(Struma diffusa microfolhcularis-parenchymatosa papillomatosa, sehr basedow¬ 
ähnlich). 11 000 Leukocyten, 54% neutrophile, 75% Lymphocyten, 3,2% Eosino¬ 
phile; Gerinnung verlangsamt. Am Tage nach der Operation bekam Pat. plötz¬ 
lich einen ErstickungsanfalL Der wachhabende Arzt öffnete die Wunde, fand 
kein Hämatom und machte eine Tracheotomie. Darnach erholte sich Pat. wieder, 
um am folgenden Tage einem erneuten Erstickungsanfall zu erliegen. Die Sektion 
deckte einen Status thymolymphaticus auf. Ich gebe einen kurzen Auszug über 
die interessierenden Daten aus dem Sektionsprotokoll (Priv.-Doz. Dr. Kirch) 
wieder: Dem Herzen liegt oben die große Thymusdrüse auf; diese ist nicht sonder¬ 
lich lang, aber ungewöhnlich breit und dick. (Dieser Befund erklärt, warum der 
Thymus bei der Operation nicht gefunden wurde.) Seine Dicke beträgt in der 
Mitte fast 3 cm. Im ganzen hat das Organ die Größe des Handtellers eines Er¬ 
wachsenen. Die Wunde wurde ohne Besonderheiten gefunden, eine mechanische 
Kompression der Trachea wurde nicht festgestellt. Das Herz ist im ganzen groß, 
jedenfalls für das Individuum zu groß. Der Conus pulmonalis ist verdickt, hyper¬ 
trophisch, aber frisch dilatiert. Der übrige rechte Ventrikel kaum verändert. 
Der linke Ventrikel ist gleichfalls hypertrophisch, aber nicht so stark wie der 
Conus pulmonalis. Die Klappen sind völlig intakt. Foramen ovale geschlossen. 
Die Vorderwand des linken Ventrikels und die ganze Ausflußbahn ist verlängert, 
und zwar ziemlich beträchtlich, während die Einflußbahn nicht vergrößert ist. 
Die Lungensubstanz weist in basalen Teilen beiderseits dunkelrote Hypostase 
auf und dazwischen zahlreiche frische bronchopneumonische Herde. Die Bronchien 
sind nicht wesentlich verändert. — Tonsillen ungewöhnlich groß, Pflaumengröße. 
Zungengrundbälge ebenfalls vergrößert, aber nur wenig. Im Oesophagus links 
eine deutliche, rechts eine unsichere Magenschleimhautinsel. Mehrere Lymph- 
follikel sind gleichfalls vorhanden. Im Fundusteil des Magens sehr reichlich Lymph- 
follikel, ebenso in der Milz. Mesenterialdrüsen sind zum Teil groß, zum Teil ver- 
kreidet oder verkalkt; Käseherde nicht festzustellen. Die Solitärfollikel und 
P«yer sehen Plaques sind nur vor der Valvula Bauhini ein wenig vergrößert. Die 
Nebennieren etwas pigmentiert, aber nicht deutlich hypoplastisch. Das Schädel¬ 
dach ist asymmetrisch, insofern als der linke vordere Teil verkleinert ist. Gehirn 
groß, 1500 g schwer. Die Hoden für Alter zu groß. Gewichte: Hypophyse 0,85 g. 
Nebenniere rechts 4,7, links 3,95 g. Hoden rechts 21,5, links 21,8 g. — Im Fall 22 
wies der ebenfalls hochaufgeschossene 15jährige Pat. einen grazilen, typisch femi¬ 
ninen Habitus auf. Der Thorax ungewöhnlich lang, nach unten zu verjüngt; 
Lungengrenze abnorm tiefstehend. Ausgebildete Brüste. Mangelhafte Behaarung. 
Äußere Genitalien klein. Hautfarbe am ganzen Körper blaß. Wir hätten hier 
eine Art eunuchoiden Hochwuchs mit abnormer Auswirkung der Keimdrüsen. — 
Schließlich blieb noch der 3. Fall (37) zu erwähnen, bei dem angeblich erst in den 
letzten 3 Monaten der Kropf gewachsen sein soll; in den letzten 6 Wochen bekam 
er Atemnot, Herzklopfen und mußte leicht schwitzen. In der Struma fanden 
sich multiple tuberkulöse Herde im unteren Pol des linken Lappens. Klinisch konnte 
irgendwelcher Befund oder Verdacht auf Tuberkulose weder an der Struma noch 
sonst am Körper erhoben werden. Ich konnte diesen Fall kürzlich nachunter¬ 
suchen und hätte in dem strammen gesunden Menschen mit roten Wangen unseren 
ehemaligen Pat. kaum wiedererkannt. Er war vollständig beschwerdefrei. 

Bin Überblick über die mikroskopischen Bilder bei unsem Hyper¬ 
thyreosen zeigt uns in 10 Fällen knotige Strumen, teils groß-, teils klein- 
follikulär. Den diffusen kleinfollikulären Bau sahen wir bei 3 Fällen, 

15* 


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228 


E. St&hnke: 


davon ähneln 2 sehr demjenigen, wie wir ihn bei Basedow häufig finden. 
Hierdurch wird die Ansicht Hotz ’ bestätigt, der ja das Einhergehen von 
Hyperthyreosen in den Pubertätsjahren mit dieser Strumaform hervor¬ 
hebt. In den übrigen 9 Fällen beobachten wir eine diffuse großfollikuläre 
Struma, von denen 4 einige Kolloidcystchen enthielten. Die Häufigkeit 
der diffusen Kolloidstruma bei Hyperthyreose hat A. Heilung ganz be¬ 
sonders betont, und so können unsere Erhebungen bei jugendlichen Stru¬ 
men seine Ansicht wohl stützen, nur darf man mit seinen Schlüssen nicht 
so weit gehen und muß auch die Ausnahmen kennen. Ich glaube doch, 
daß unsere Befunde, wenigstens für die kindlichen und jugendlichen Pa¬ 
tienten, ganz einwandfrei dartun, daß ein Schluß von dem klinisch fest¬ 
stellbaren Funktionszustand auf den histologischen Bau einer Struma und 
umgekehrt im allgemeinen keinesfalls möglich ist. Es hieße nur wieder¬ 
holen, wenn ich Einzelheiten hervorheben wollte. 

Diese Erfahrungen sind für die einzuschlagende Therapie recht lehr¬ 
reich, und wir müssen uns die Frage vorlegen, wann wir von einer medi¬ 
kamentösen Behandlung bei unseren jugendlichen Kröpfen — nicht 
physiologischen Pubertätshyperplasien — einen dauernden Erfolg er¬ 
hoffen dürfen und wann wir operieren sollen. Nachdem wir sahen, daß 
ein großer Teil unserer Strumösen sehr leicht zu Hyperthyreose neigt, 
erscheint für die Jodbehandlung ein recht wenig günstiges Feld vorzulie¬ 
gen. Ich will nicht die in unserm Material auf Jod zurückzuführenden 
Hyperthyreosen als Beweis anführen, denn hier war die Behandlung 
häufig kritiklos, oder auch von nicht ärztlicher Seite ausgeführt. Daß 
die Jodwirkung vielfach auch nur eine ganz vorübergehende Besserung 
brachte, zeigen uns die Anamnesen, wo uns berichtet wird, daß bei der 
erstmaligen Anwendung ein Zurückgehen der Struma beobachtet wurde, 
nach einer Zeit des Stillstandes trat ein erneutes und vermehrtes Wachs¬ 
tum ein. Ganz ähnliche Erfahrungen sind ja schon früher mit den 
Organpräparaten gemacht worden (v. Bruns), in denen wohl das Jod auch 
das hauptsächlich Wirksame ist. Fassen wir die als Hypothyreose zur 
Äußerung kommende Einwirkung mancher Kröpfe, die, wie wir sahen, 
histologisch das Bild der lebhaftesten Tätigkeit trugen, als Reizerschei¬ 
nungen im Sinne Hotz ’ auf, so muß Jodmedikation auch hier Schaden 
stiften. Und was erreichen wir mit Jod bei Knotenkröpfen? Bei Ein¬ 
zelknoten ist Jodtherapie von vornherein nicht angängig. Bei den eigent¬ 
lichen Knotenkröpfen kann man in unseren Fällen äußerlich häufig 
gar nicht entscheiden, ob eine diffuse oder knotige Form vorliegt. Und 
selbst wenn uns diese Differenzierung gelingt, so sind wir im großen und 
ganzen vollständig unorientiert, wieviel als normales, funktionstüchtiges 
Gewebe vorhanden ist. Bei eventueller Jodbehandlung, die nur auf 
funktionstüchtiges Gewebe wirkt, werden die Knoten, da sie weniger 
funktionstüchtig sind, übrigbleiben. Vollständig ablehnend gegen Jod- 


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•Original frcrn 

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Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 


229 


behandlung müssen wir uns verhalten, wenn Herzerscheinungen bestehen, 
die auf Funktionsstörung der Schilddrüse zurückzuführen sind, oder wenn 
uns das Röntgenbild eine wesentliche Kompression von einer oder zwei 
Seiten erkennen läßt. Durch Jodbehandlung geht mit der Verkleinerung 
des Kropfes eine Vermehrung des Bindegewebes einher, und die Um¬ 
klammerung der Trachea und ihre Verwachsungen mit der Struma 
würden deshalb auch bei äußerlich sichtbarer Abnahme der Struma nicht 
beseitigt werden, ja es wäre denkbar, daß sie sich vermehren. Operative 
Therapie dagegen gibt der Trachea die Möglichkeit ihrer normalen Ent¬ 
faltung wieder ( v . Eiseisberg, Denk und Winkelbauer, Martin u. a.). Wir 
legen deshalb bei unseren Operationen auf das Freimachen der Trachea 
ganz besonderen Wert. Mit Ausnahme der isolierten Knoten wurden in 
allen Fällen alle 4 Arterien nach dem Vorgehen von Enderlen und Hotz 
unterbunden und eine doppelseitige Resektion unter Zurücklassung eines 
ungefähr daumengroßen Stückes samt den hinteren Kapselteilen aus¬ 
geführt. Irgendeine Schädigung für den Patienten sahen wir von diesem 
Vorgehen nicht, ebenso erlebten wir eine postoperative Tetanie bei keinem 
Falle. Die Patienten, die bisher nach der Operation wir zu sehen die Ge¬ 
legenheit hatten, waren beschwerdefrei und hatten sich körperlich sehr 
gut entwickelt. Im allgemeinen empfiehlt es sich mehr von dem oberen 
Pol stehen zu lassen, da wir mikroskopisch hier die gesundesten Teile 
fanden. Es wäre nur noch zu erwägen, ob wir die Superior nur unter¬ 
binden oder durchschneiden sollen. Weil wir bei der Durchschneidung 
gewöhnlich gleichzeitig den Nerven mit durchschneiden, dem nach 
Untersuchungen Ashers die hauptsächlichste sekretorische Beeinflussung 
zukommt, so würde sich diese Angioneurektomie nur dann empfehlen, 
wenn wir die Sekretion weiterhin einschränken wollen. Die Reaktion nach 
der Operation mit Temperatursteigerung und Pulsbeschleunigung ist bei 
Jugendlichen meistens recht groß, doch konnte ich keinen Unterschied 
in dieser Hinsicht zwischen Hypo- und Hyperthyreosen finden. Bei den 
hypoplastischen Patienten scheint uns eine an die Operation anschließende 
Bronchitis häufiger zu sein. Bei sämtlichen Kindern außer 10 wurde die 
lokale Betäubung angewandt. — Nun noch ein Wort über die Nach¬ 
behandlung der Patienten. Ich halte es für sehr wohl möglich, daß wir 
hier in kleinsten Jodgaben eine wertvolle Stütze unserer Therapie haben. 
Weitere Erfahrungen müssen in dieser Hinsicht gesammelt werden. 
Der schönste Erfolg wäre es, wenn wir, gleich den bisherigen guten Ergeb¬ 
nissen mit minimalen Jodgaben als Prophylaxe gegen die kropfige Um¬ 
wandlung der Schilddrüse, nach der Operation mit diesen Jodgaben eine 
Prophylaxe des Rezidivs betreiben könnten. Solange wir aber jugendliche 
Strumen zu behandeln haben, sollte es heißen, erst operieren und dann Jod. 

Wenn ich die Ergebnisse meiner Untersuchungen zusammenfasse, so 
ergibt sich für die kindliche und jugendliche Struma unserer Gegend: 


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230 E- Stahnke: Zur Histologie und Klinik jugendlicher Strumen. 

1. Histologisch ist die Zahl der diffusen und knotigen Strumen un¬ 
gefähr gleich groß. 

2. Die Knotenbildung tritt im Pubertätsalter vermehrt hervor. 

3. In den Knotenkröpfen herrscht die Tendenz der Epithelvermehrung 

vor. 

4. Von dem Funktionszustand kann man nicht auf das histologische 
Bild schließen und umgekehrt ( Hypothyreose-basedowähnliche Struma usw .). 

5. Bei unseren jugendlichen Strumösen besteht die Neigung zu Hyper¬ 
thyreose. 

6. Jodbehandlung bei wirklicher, klinische Erscheinungen machender 
Struma wird abgelehnt. 

7. Bei Verdrängung oder Kompressionserscheinung der Trachea ist die 
Operation absolut indiziert. 

8. Schaden durch Unterbindung aller 4 Arterien und weitgehende 
Resektion wurde nicht beobachtet. 

9. Nachbehandlung mit kleinsten Jodgaben wird empfohlen. 

Abgeschlossen 1. XU. 1922. 


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(Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Halle a. S. [Prot Dr. Fr. VoelcJcer].) 

Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen 

Chirurgie der Milz. 

(Gefäßverteilung und Gefäßunterbindung, Resektion 
und Regeneration der Milz.) 

Von 

Privatdozent Dr. Joh. Volkmann, 

Assistent der Klinik. 

Mit 16 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 16. April 1923.) 

Durch jahrelange klinische Beobachtungen und experimentelle 
Untersuchungen ist es in der letzten Zeit gelungen, ein Systemgebiet 
zu erschließen, das sowohl vom Theoretiker wie vom Praktiker mit 
täglich zunehmender Aufmerksamkeit verfolgt wird, das der hepaio- 
lienalen Erkrankungen. Den augenblicklichen Stand unserer Kenntnisse 
in diesen Fragen haben vor kurzem Eppinger, Hirschfeld und Ranzi 
zusammengefaßt, sie haben aber auch darauf hingewiesen, wie vieles 
noch unsicher ist und der genauen Erforschung bedarf. 

Doch ist man unterdessen schon darangegangen, die gewonnenen 
Ergebnisse suszunutzen, und hat mit einem im einzelnen Fall mehr oder 
weniger großen Erfolg durch eine Reihe von Eingriffen bei Erkrankungen 
des hepato-lienalen Systems zu helfen versucht. Dabei entzieht sich die 
Leber noch zum größten Teil unserem operativen Können, und kaum 
ein Verfahren hat bisher Aussicht, Allgemeingut der Chirurgen zu 
werden. Erinnert sei an die Versuche von Tietze und Winkler, durch 
Choledochusdrainage eine Heilung bei der akuten gelben Leberatrophie 
zu erzielen, was ihnen in zwei von vier Fällen gelangen ist. (Über eine 
eigene Beobachtung s. später S. 257.) Auch möchte ich an dieser Stelle 
die Tierexperimente Foäs erwähnen, der durch Unterbindung der Milz¬ 
vene eine Beeinflussung der experimentellen Lebertuberkulose er¬ 
reichte. Eieee Versuche harren meines Wissens noch der Anwendung 
auf den Menschen, wie überhaupt die Milzvene in ihrer Bedeutung erst 
in neuester Zeit durch Bier und Hart recht gewürdigt worden ist und 
ein dankbares Gebiet weiterer Forschung darbietet. Damit bahnt sich 
mehr und mehr die Neigung an, bei der Milz selbst nicht nur radikal 


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232 


J. Volkmann: 


mit der Splenektomie vorzugehen, sondern auch konservative Ma߬ 
nahmen in das Bereich der Betrachtungen zu ziehen, ein Gedanke, 
den Danielsen schon vor Jahr und Tag vertreten hat. Denn wenn auch 
einerseits die Milz dem gesunden Menschen ohne Schaden und Gefahr 
entfernt werden kann, wie zahlreiche Beobachtungen bei Ruptur be¬ 
weisen, wenn andererseits in vielen Fällen von Milzerkrankungen, 
insbesondere von Vergrößerung des Organs, eine Heilung durch die 
Totalexstirpation erreicht wird, was dafür spricht, daß hier eine krank¬ 
hafte und sonst nicht ersetzte Funktion vorhanden sein muß, so ist es 
doch wiederum sicher, daß die Splenektomie nicht immer — wie bei 
der Wurmfortsatzentzündung die Appendektomie — ein vollwertiges 
Heilmittel ist. Denn es bestehen zu viele Beziehungen zu anderen 
Organen, die als Ersatz eintreten können. So verschwindet bekanntlich 
beim sog. hämolytischen Ikterus nach der Entmilzung nicht die Re¬ 
sistenzverminderung der roten Blutkörperchen gegenüber hypotonischer 
Kochsalzlösung, während im übrigen völlige Genesung eintritt, wie 
auch die Erfahrungen Voelckers an 7 Fällen zeigten (zusammengestellt 
von L. Mahler). Und die auf der letzten Naturforschertagung von 
Schönbauer mitgeteilten Beobachtungen über die Beeinflussung der 
Frakturheilung durch die Milz — Oberschenkelbrüche splenektomierter 
Kaninchen brauchten mehr als die doppelte Zeit gegenüber normalen 
Tieren zur Heilung — werfen ein Schlaglicht auf noch ungenügend er¬ 
forschte Zusammenhänge. 

Neben solchen praktischen Erwägungen lassen die mehr theoreti¬ 
schen Fragen der Milzregeneration — Beneke, Faitin, Kreuter, Küttner , 
von Stubenrauch, um nur einige Namen zu nennen — und der Trans¬ 
plantation anderer Organe in die Milz (Schilddrüse, Kocher, Kotzenberg, 
Payr) es erwünscht erscheinen, daß auch der Chirurg sein Augenmerk 
den Fragen einer konservativen Milzchirurgie zuwendet, wobei natür¬ 
lich nicht geleugnet werden soll, daß vorläufig die Splenektomie weiter¬ 
hin die wichtigste Operation an der Milz bleiben wird. Aber schon 
für die Fälle, wo die vollständige Entfernung aus technischen Gründen, 
z. B. wegen ausgedehnter Verwachsungen, nicht ausführbar ist oder 
wo man wie bei der Leukämie nach der landläufigen Ansicht meist 
von der Operation absieht, ergeben sich Beziehungen zu verschiedenen 
Fragen, die im folgenden erörtert werden sollen. 

Es standen nun zur Klärung strittiger Punkte neben der klinischen 
Betrachtung und der kritischen Auswertung einiger weniger operativer 
Erfahrungen vor allem topographisch-anatomische Untersuchungen und 
Tieresperimente zur Verfügung, die letzteren leider nur in sehr geringem 
Umfange, was sowohl in der allgemeinen Not der Zeit, der teueren An¬ 
schaffung, Pflege und Fütterung der Versuchstiere seinen Grund hat 
als in unseren beschränkten, zum Teil gänzlich unzulänglichen Ställen, 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 233 

die mit den Krankenzimmern unter einem Dach sind. Nur durch gleich¬ 
zeitige Haltung einer geringen Anzahl von Tieren und spätere Verminde¬ 
rung des Bestandes konnte die Belästigung der Patienten auf ein erträg¬ 
liches Maß herabgesetzt werden. Trotzdem war es nicht möglich, jeden 
Hund nach der Operation zu isolieren, außerdem waren die Tiere auch 
in den schlechteren Jahreszeiten den Unbilden der Witterung ausge¬ 
setzt. Unter diesen erschwerenden Bedingungen war zu arbeiten. — 

Während sich nun in der letzten Zeit die meisten Untersuchungen 
über die Milz auf pathologisch-anatomischem und physiologischem 
Gebiete bewegten, schien es mir wichtig, für unser chirurgisch kon¬ 
servatives Handeln gewisse Grundlagen zu schaffen bzw. vorhandene 
auszubauen. Im besonderen waren folgende Fragen zu klären: 

I. Wie teilen sich die Gefäße des Milzstiels im Hinblick auf die 
Nachbarorgane (Bauchspeicheldrüse, Magen ubw.) auf, und gibt es 
abgegrenzte Versorgungsgebiete in der Milz selbst, die auch äußerlich 
bis zu einem gewissen Grade kenntlich sind? 

II. Welche Folgerungen können wir aus den anatomischen Befunden 
gegebenenfalls für die Unterbindung einzelner Gefäße (Arteria oder Vena 
lienalis) und für die Resektion aus der Milz unter Berücksichtigung 
tierexperimenteller und klinischer Erfahrungen ziehen? 

III. Inwieweit kann eine Regeneration der Milz aus zurückgelassenen 
Organteilen, Nebenmilzen, Autotransplantaten oder aus dem Binde¬ 
gewebe der Bauchhöhle (Netz, Bauchfell) stattfinden? 

Dabei werden verschiedene andere Probleme der Milzchirurgie zu 
berühren sein und sich Hinweise auf die Experimentalchirurgie der Milz 
ergeben, soweit sie zur Feststellung physiologischer Vorgänge dient. 

Für die Namengebung halte ich mich an die üblichen Bezeichnungen 
Splenektomie für die Exstirpation des ganzen Organes, Resektion für 
die Entfernung einzelner Teile und Splenotomie für die einfache Frei¬ 
legung des Parenchyms, beispielsweise zur Elinpflanzung von orts¬ 
fremden Geweben. 

I. Chirurgische Anatomie der Milzgefäße. 

In den Lehrbüchern der systematischen und topographischen Ana¬ 
tomie finden sich meist nur kurze Hinweise auf den Verlauf und die 
Aufteilung der Milzgefäße unter geringer Berücksichtigung der Nachbar¬ 
organe. Man liest, daß die Arteria lienalis als einer der drei Äste des 
Tripu8 Halleri aus der Arteria coeliaca entspringt, durch das Tuber 
des Pankreas oder an seinem oberen Rande hinzieht und sich vor dem 
Hilus der Milz in eine Anzahl Äste, meist 4—6, aufspaltet. Einer von 
ihnen geht als Arteria gastro-epiploica sinistra zur großen Kurvatur 
des Magens, während andere kleine Äste in dem Ligamentum gastro- 
lienale als Arteriae gastricae breves ebenfalls zurück zum Magen laufen. 


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234 


J. Volkmann: 


Noch kürzer sind die Angaben über die Milzvene, die zum Quellgebiet 
der Pfortader gehört, sich mit ihren einzelnen Ästen der Arterie anp&ßt, 
aber kaudalwärts von ihr hinzieht und deshalb oft tiefer in der Bauch¬ 
speicheldrüse eingebettet ist. 

Die Fragen der Pfortaderthrombose, der Stauung im Gebiet der 
Vena portae, der Lebercirrhose und des Ascites haben hierüber zu 
älteren anatomischen Untersuchungen eingehende neuere, insbesondere 
von Thomas , gebracht, die in der Hauptsache auf die Möglichkeit der 
Bildung eines Kollateralkreislaufs Rücksicht nehmen. Dies letztere 
ist für uns insofern von Belang, als dann nach Unterbindung der Vena 
lienalis die Wahrscheinlichkeit besteht, durch Nebenwege, und zwar 
zum Teil nicht über die Pfortader, eine allzu starke Stauung in der Milz 
zu vermeiden und sie zu entlasten. In erster Linie kommt dafür der 
Weg Vena lienalis — Venae gastricae breves — Venae phrenicae inferiores 
sinistrae — Vena cava inferior in Betracht. 

Für operative Zwecke ist die chirurgische Anatomie der Arteria lienalis 
von besonderer Wichtigkeit, von der zweierlei festgestellt werden soll: 

A. Wie und wo findet die Teilung des Hauptstammes in seine 
Äste mit Beziehung auf die Nachbarorgane statt ? 

B. Gibt es mehr oder weniger abgegrenzte Versorgungsgebiete der 
einzelnen Äste in der Milz selbst, denen eine äußere Gliederung ent¬ 
spricht ? 

Technik. Um diese Fragen zu beantworten, schienen topographisch- 
anatomische Untersuchungen und Injektionsversuche mit anschließenden 
Röntgenaufnahmen am geeignetsten zu sein. Bei vierzig Sektionen 
und Operationen wurden die Verhältnisse geprüft, am Lebenden vor 
allem die operativen Möglichkeiten und die Zugangswege nachgesehen. 
Aus dem pathologischen Institut (Geheimrat Beneke) konnte ich eine 
große Anzahl von Milzen nebst zugehörigem Gefäßstiel erhalten. Daß 
dieser möglichst lang war, wurde besonders beachtet, da durch Ein- 
binden benachbarter oder sich abzweigender Gefäße leicht Fehler¬ 
quellen bei der Injektion entstehen. Deshalb wurden auch einige Ein¬ 
spritzungen in der Leiche selbst vor Herausnahme des Organs aus¬ 
geführt. Gut geeignet sind Kindermilzen, deren Gefäßstiel nicht so 
fettreich wie bei Erwachsenen ist, so daß man selten Gefahr läuft, Zweige 
zu übersehen. Von den zu anderen Gefäßbezirken abgehenden Kolla- 
teralen mußten vor allen Dingen die Arteria gastro-epiploica sinistra 
und die kleinen Arteria« gastricae breves im Ligamentum gastro-lienale 
unterbunden werden. 

Die möglichst kurz nach dem Tode entnommenen Milzen wurden 
erst mit körperwarmer physiologischer Kochsalzlösung durchgespült, 
wurde dann die Injektionsmasse nachgespritzt; hin und wieder auch im 
Wasserbad, um durch Schwimmen jeden Druck auszuschalten. 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 235 

Wir haben uns verschiedener Kontrastmittel bedient. Am besten 
bewährte sich einfache Mennigeaufschwemmung in Wasser oder in 
Mischung mit 20%iger Gelatine im Verhältnis von 1 :2. Auch mit 
der von Martens angegebenen Vorschrift Eubaryt 15,0 :20 %iger 
Gelatinelösung 20,0 waren wir zufrieden. (Eubaryt hat den Vorteil, 
Hände und Instrumente nicht so stark zu beschmutzen.) Meist trat 
eine bis zum Bande der Milz genügend deutliche Gefäßzeichnung ein, 
die allerdings für die Wiedergabe im Bild trotzdem oft zu schwach war. 
Die Ergebnisse wurden durch Vorwärmung nicht wesentlich gebessert. 
Von Versuchen mit Collargol mußten wir wegen des hohen Preises 
absehen. 20%ige Natriumbromidlösung war völlig ungeeignet; sie 
lieferte ganz verschwommene Bilder, da sie wohl nicht genug feste 
Bestandteile (oder in zu feiner Verteilung) enthält, sondern gleich ins 
Gewebe Übertritt, eine Beobachtung, die vielleicht doch bei einer An¬ 
zahl von Einspritzungen damit zur Vorsicht raten muß. In der uro- 
logischen Technik hat es sich uns aber als ein am Lebenden reizloses 
und guten Schatten gebendes Mittel sehr bewährt. Auch habe ich 
es zur Füllung und Sichtbarmachung von Senkungsabscessen durch 
Röntgenaufnahmen statt der von Fr. Loeffler zu diesem Zweck be¬ 
nutzten sterilen Wismut - Kochsalzlösung - Aufschwemmung mit gutem 
Erfolg benutzt. 

Die Menge der nötigen Kontrastmassen schwankte je nach der Größe 
der Milz zwischen 10 und 80 ccm, wobei stets mit einem kleinen Verlust 
durch Austritt an Seitenästen, deren Offensein nicht früh genug be¬ 
merkt wurde, zu rechnen ist. Von den injizierten Organen wurden je 
zwei Röntgenaufnahmen angefertigt, eine seitliche (S.) derart, daß 
die Milz zwischen zwei zu einem Karton gebogene Pappdeckel gelegt 
und der Stiel über eine Stufe, die sich in der einen Wand in jeweils ent¬ 
sprechender Höhe befand, herausgeleitet und entfaltet wurde, wodurch 
man den ganzen oder wenigstens hauptsächlichsten extralienalen 
Verlauf der Gefäße mit auf die Platte bekam. Die Strahlenrichtung 
ging also von der hinteren Kante zur vorderen, diese lag der Platte an; 
oder umgekehrt. Die Flächenaufnahmen (Fl.) wurden dann so ange¬ 
fertigt, daß der jetzt überflüssige Gefäßstiel abgetrennt und nur so viel 
erhalten wurde, daß die Hauptäste eben vor ihrem Eintritt in die Milz 
geschont blieben. Der Zentralstrahl lief jetzt durch die Höhe der 
Milzkuppe nach dem Hilus, der der Platte anlag, oder in umgekehrter 
Richtung. 

A. Das Ergebnis unserer Untersuchungen war nun folgendes: Die 
Teilung der Milzarterie geschieht nach einem mehr oder weniger langen 
Stammverlauf auf drei verschiedene chirurgisch wichtige Arten: 

1. Hinter oder in dem Pankreasschwanz, d. h. im Gewebe der Bauch¬ 
speicheldrüse selbst oder in der Hinterwand der Bursa omentalis. 


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236 


J. Volkmann: 


2. Zwischen Pankreasschvoanz und Milzhilus in dem Raum, der 
meist dem eigentlichen Gefäßstiel von 3—6 cm Länge entspricht und 
von Fett mehr oder weniger ausgefüllt wird. 

3. Unmittelbar am Hilvs so dicht, daß die Teilungsstellen oft erst 
am herausgenommenen Organ sicher festgestellt werden können. 

Zu 1. Die erste Form der Teilung (siehe Abb. 1) findet sich in etwa 
40 % der Fälle. Bei der Präparierung muß häufig ein Stück Pankreas¬ 
schwanz mit herausgeschnitten werden, da die Arterie sonst nicht aus¬ 
zulösen ist. Sie teilt sich dann schon hier in oder hinter der Bauch¬ 
speicheldrüse in meist zwei, auch drei Äste, von denen im freien Stiel 
die weiteren Zweige abgehen. Diese beiden Hauptäste werden von 
v. Höherer als Ramus superior und inferior, von Sobotta als Arteria 
terminalis superior und inferior bezeichnet, der dritte Ast dürfte häufig 
einer Arteria polaris superior entsprechen, die sich besonders frühzeitig 

abzweigt, ohne Anastomosen mit 
den übrigen Milzarterien bleibt und 
nur eine Arteria gastrica brevis 
über die große Kurvatur zum Ge¬ 
wölbe ( Fomix ) des Magens schickt. 
Die Arteria gastro-epiploica sini- 
stra ist nur ein Ast der unteren 
Milzarterie und kommt nicht selb¬ 
ständig aus dem Hauptstamm, 
was bei der Unterbindung zu be¬ 
rücksichtigen ist. Über den wei- 

Pankreassch wanz. P =Pankreas ; A = Art. gastro- teren Verlauf in der Milz selbst 

epfploica sin. 

wird später noch zu sprechen sein. 

Die klinische Bedeutung dieser Art der Teilung liegt darin, daß man 
bei der Splenektomie nie zwischen Pankreas und Hilus das Stammgefäß 
für sich frei machen kann, sondern partienweise unterbinden muß, 
daß es auch nicht möglich ist, die Ligatur der Stammarterie und -vene 
in gewissen Fällen vorzunehmen, und daß man sich bei der Operation 
etwa eines der seltenen (Mulley, Wendel, Winkler) vor Überraschungen 
durch Blutung hüten muß. Dagegen sind diese Fälle noch geeignet zur 
Einengung und Drosselung der Blutzufuhr durch Unterbindung einzelner 
Hauptäste. Dabei muß man beim unteren Zweig darauf achten, daß 
man sich zentral von der Arteria gastro-epiploica sinistra hält, um ge¬ 
gebenenfalls den Nebenkreislauf über die große Kurvatur des Magens 
zur notdürftigen Ernährung aufrechtzuerhalten. 

Zu 2. Die nächste Teilungsart (siehe Abb. 2) in dem freien Raum 
zwischen Pankreasschwanz und Hilus ist die häufigste und wird in 50% 
der Fälle angetroffen. Dabei kann man zwei bis drei Typen kennzeichnen. 
Im ersten Fall geht der Hauptstamm in zwei ganz kurze Äste aus. 



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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 237 

von denen sich die übrigen Zweige gleich abtrennen, oder es laufen 
zwei bis drei große Äste ohne Nebenzweige bis in die Nähe des Hilus, 
und es findet hier erst die weitere Aufteilung statt. Dies letztere ge¬ 
schieht aber doch meist nicht unmittelbar an der Milzwurzel, sondern 
etwas entfernt von einem Punkte aus in Gestalt einer büschelförmigen 
Ausstrahlung, wobei dann die einzelnen Zweige unmittelbar und ohne 
wichtigere neue Äste abzugeben in 
die Milz hineinziehen. 

Klinische Bewertung. Die hier¬ 
durch für operative Eingriffe ge¬ 
schaffenen Verhältnisse sind günsti¬ 
ger als bei der Gruppe 1, da wohl 
meist eine isolierte Unterbindung 
der Haupt- oder Einzelgefäße mög¬ 
lich ist. Zu beachten sind nur die 
kleinen, im Ligamentum gastro- 
lienale zum Magen ziehenden Arte- 
riae gastricae breves, bei deren Ver¬ 
letzung es nach den Angaben mancher Verfasser zu Schädigungen der 
Magenschleimhaut kommen soll, und die Arteria gastro-epiploica sinistra, 
die bei dieser Form der Teilung entweder für sich vom Stamm oder 
von einem der unteren Hauptzweige aus verläuft und nur durch kleinere 
Anastomo8en der Milz Blut zu¬ 
führt. 

Zu 3. Die dritte Gruppe (siehe 
Abb. 3) trifft man am seltensten 
und nur in 10%. Es findet sich 
hier ein auffallend langer gemein¬ 
samer Lienalisstamm, der nur die 
Arteria gastro-epiploica sinistra ab¬ 
gibt. Erst dicht am Hilus, manch¬ 
mal schon fast im Milzgewebe 
selbst, geht die Teilung vor sich, 
und es ist nur schwer am Präparat, 
kaum am Lebenden möglich, einzelne Äste zu isolieren, während der 
Stamm als besonders kräftiges, meist stark geschlängeltes Gefäß auch 
bei reichlichem Fettpolster gut zugänglich ist. Daß hierbei die Anasto- 
mosenbildung am Hilus selbst erleichtert, außerhalb der Milz erschwert 
wird, ist einleuchtend. Sobotta scheint diese letztere Form ungefähr im 
Auge zu haben, wenn er in seiner Schilderung des Milzstiels schreibt, 
daß die Teilung der Arterie entweder stumpfwinklig mit je zwei bis drei 
Ästen oder rechtwinklig am Hilus erfolgt mit je einem monopodial sich 
verzweigenden, dem Hilus parallel verlaufenden Arterienbogen. Bemer- 



wurzel selbst und zum Teil schon im Milzgewebe. 



liehen MilzstieL 


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238 


J. Volkmann: 


kenswert erscheint mir, daß in diesen letzten Fällen die Milz im all¬ 
gemeinen glatt ist und wenig Einkerbungen oder Lappungen zeigt. 
Ob diese Beobachtung bei größeren Untersuchungsreihen Gültigkeit 
behält, wage ich nach meinem immerhin verhältnismäßig kleinen 
Material nicht zu entscheiden. Doch wäre der Gedanke naheliegend, 
daß diese letztere Form in der Entwicklungsgeschichte als die dem 
höchst entwickelten Menschen zukommende gegenüber der stärker 
gelappten anzusehen ist. 

Die klinische Bedeutung dieser Form^ beruht darin, daß für jede Art 
von Milzoperationen der Gefäßstiel gut zugängig und die Milz selbst, 
soweit nicht Verwachsungen bestehen, leicht zu taxieren ist. Anderer¬ 
seits ist es ein Nachteil, daß wenig Nebenwege vorhanden sind, die nach 
Verschluß des Hauptstammes vikariierend eintreten und eine not¬ 
dürftige Ernährung des Organs aufrechterhalten können. 

Von chirurgischer Seite scheint bisher wenig Wert auf die Milz¬ 
gefäße gelegt worden zu sein, wie schon früher gesagt winde, und auch 
die Angaben in der anatomischen Literatur über diese Verhältnisse 
sind nur spärlich. Herde schreibt, daß die primitiven extralienalen 
Äste, in die beide Gefäße (Arterie und Vene) am Hilus zerfallen, 6 bis 12 
an Zahl, nicht untereinander anastomosieren und sich im Innern der 
Milz besonders verhalten, so daß die Kontrastmasse, wenn einer der 
Hauptarterienzweige gefüllt wird, eher durch den entsprechenden 
Venenzweig (nach Oiesker und Gray) zurückkehrt, als daß sie sich in 
benachbarte Gefäßbezirke verbreitet. Sobotta, der die eingehendsten 
Angaben macht, erwä hn t noch eine Arbeit von Bigache und Worms, 
die sich mit den Aufteilungsverhältnissen der Milzgefäße beschäftigt, 
ihm aber selbst nicht im Urtext vorlag. Nach einer persönlichen Mit¬ 
teilung von Herrn Professor Halle soll Rückert in seinen Vor¬ 

lesungen auf die verschiedene Verzweigung hingewiesen haben; in dem 
italienischen Schrifttum angeblich vorhandene Veröffentlichungen konnte 
ich nicht finden. Schließlich kam mir nach Abschluß unserer Unter¬ 
suchungen die Besprechung einer erst in diesem Jahr erschienenen 
russischen Veröffentlichung zu Gesicht, in der Ssoson-Jaroschewitsch 
Messungen über die äußere Architektur der Milzarterien angestellt hat. 
Ausgehend von früheren Angaben Sappeys vergleicht er auf Grund 
von 73 Obduktionen die Länge des Truncus coeliacus, die im Mittel 
1,36 cm beträgt — wobei zwei Gruppen, die eine mit einer mittleren 
Länge von 1,59 cm, die andere von 1,09 cm, zugrunde lagen —, mit 
der Länge des Milzstammes und ihrer Aufteilung. Dabei werden am 
Milzstamm wiederum zwei Formen unterschieden, je nachdem ob die 
Teilung in die Endäste am äußeren Drittel (58 Fälle) oder am mittleren 
(43 Fälle) erfolgt. Die erste Form entspricht dem Typ einer langen 
Arterie, die zweite einer verhältnismäßig kurzen mit früher Teilung 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 239 


in die Endäste. Dabei benennt Ssason-Jaroschewitsch erstore als Ma- 


gistraltyp mit Seitenzweigen, wobei sich zwischen der Länge und der 
Magistrale, d. h. dem Abgangswinkel der Gefäße und der Entfernung 
der Gefäßteilung bis zum Organ, eine besondere Indexzahl berechnen 
läßt. Die letztere Form mit früher Teilung kann man dagegen als zer¬ 
streute bezeichnen. Ihr entspricht auch ein längerer Hilus, dem ersteren 
uiagistralen wiederum ein kürzerer kompakter. 

B. Damit sind auch schon die Beziehungen zu der Gefäßverteilung in der 
Milz selbst angedeutet, wie sie aus den . 


obigen Untersuchungen hervorgehen. 




Der Hilus ist im Gegensatz zum Tier, besonders zum Hund, wo 
er einer erhabenen Leiste entspricht, beim Menschen eine langgestreckte 
Einsenkung, die in der Mitte meist etwas tiefer ist als an den Enden 
und nicht ganz bis zum oberen und unteren Pol durchläuft. Die größeren 
Äste treten hier je nach der Teilungsart in verschiedener Weise ein und 
verbreiten sich im Parenchym stets so, daß sie den Lappen entsprechen, 
die durch äußere Einkerbung angedeutet sind. Andererseits läßt sich 
aber auch bei völlig glatter Milz und ungekerbten Rändern nachträglich 
aus der Gefäßaufteilung die embryonale Lappung noch nachwcisen. 



240 


J. Volkmann: 


Bei den Injektionen kann man nun zwei graduell verschiedene Bilder 
erhalten, entweder man sieht die gesamte intralienale arterielle Gefä߬ 
verzweigung bis zu den feinsten Ästchen und bis nahe zum Rande 
wiedergegeben. Oder man bekommt nur die stärkeren Zweige, die in 
ihrer Füllung den Ästen eines entlaubten oder erfrorenen Baumes 
ähneln, während der Rand der Milz mehr oder weniger breit ohne Zeich¬ 
nung bleibt. Es ist mir nicht mit Sicherheit gelungen, die eine oder 
die andere Art immer nach Wunsch zu erzielen, weder durch verschiedene 
Kontrastmassen noch durch Regelung in der Konzentration der Flüssig¬ 
keit oder durch Druck. Auch Alter und Geschlecht des Verstorbenen 
wirken nicht beeinflussend mit. Da aber vorherige Durchspülung 
mit Kochsalzlösung wenigstens in etwas die Grenzen der Füllung zu 
erweitern scheint, so spielt vielleicht dabei Gerinnselbildung eine Rolle. 

Auch Einspritzung von gefäßerweiternden Mitteln 
käme als Hilfsmittel in Betracht. 

Jedoch haben beide Arten von Bildern für 
unsere Betrachtung ihre getrennte Bedeutung. 
Die erste (siehe Abb. 4 und 5) hat mehr einfach 
anatomische Wichtigkeit und zeigt, daß die ein¬ 
zelnen feinen Verzweigungen, die von gleichen 
Hauptästen kommen, sich wohl gegenseitig be¬ 
rühren, auch einmal etwas zwischeneinander 
Abb.s. s 1 - Aufnahme. Fällung schieben, daß aber bedeutendere Anastomosen 
woÄTur dle r Ha e Ä e p: nicht bestehen, und daß zwischen den einzelnen 
pen der eimeinen Äste her- Versorgungsgebieten häufig schmale, gefäßarme 
'sortrefcen, oder gefäßleere Bezirke vorhanden sind. Jedenfalls 

sind die Ästchen meist so klein, daß sie kaum in Betracht kommen und 
ihre Darstellung im Abzug von der Platte nicht oder nur schwer gelingt. 

Die zweite Art (siehe Abb. 6 1 ), wie die Gefäßinjektion sich wieder¬ 
gibt, ist für chirurgisch-topographische Zwecke fast wichtiger. Wir müssen 
hier auf die Kenntlichmachung der Endäste verzichten, dafür treten 
die Hauptstämme durch ihre starke Füllung um so deutlicher hervor 
und lassen offenkundiger mit einem Blick die Grenzen zwischen den 
einzelnen Lappen unterscheiden, die wir etwa für die Zwecke der Re¬ 
sektion eines Milzabschnitts bei einer Cyste oder Geschwulst gebraucht 
hätten. Diese Hauptstämme gehen im allgemeinen gerade auf die Rinde 
zu und zweigen nur unter meist ziemlich großen Winkeln (bis zu einem 
rechten) kurze Seitenstämme ab, die nach erneuter Abgabe kleiner 
Zweige enden. Hier sind die Zwischenräume zwischen den einzelnen 
Versorgungsgebieten größer. 

1 ) Die Zahl der Abbildungen mußte der Kostenersparnis wegen herabgesetzt 
werden. Die Wiedergabe erfolgte aus dem gleichen Grunde in schematischer Form 
nach Röntgenaufnahmen. 



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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 241 


Haben nur zwei große Hauptäste sich aus der Lienalis gebildet, 
so läßt sich die Milz auch leicht in zwei Hauptgefäßbezirke zerlegen 
(siehe Abb. 7 u. 8). Einen wei¬ 
teren Fall zeigen die Abb. 9 
und 10, wo nur der Ramus su- 
perior injiziert wurde und man 
gut in der Flächenaufnahme 
sieht, wie durch die Gefäßver¬ 
sorgung die Milz in zwei gleich 
große Hälften geteilt worden 
ist, die wiederum äußerlich 
durch eine tiefe Einkerbung 
voneinander getrennt sind. 

Es gelingt nun auf Grund der 
Röntgenplatten leicht, durch 
Abmessung an der Milz die 
richtige Stelle für eine Spleno- 
tomie zu finden. Siehe z. B. die eingezeichnete Linie in den Abb. 11 
und 12. Andererseits habe ich an nicht injizierten Organen nach Be- 



Abb. 7. Abb. 8. 

Abb. 7, 5-Aufnahme und Abb. 8, 27-Aufnahme. Die 
Milz läßt sich durch einen ann&hernd in der Mitte 
geführten Schnitt leicht in die beiden Hauptgefäß- 
bezlrke zerlegen. 



dessen Gefäßverteilung fast genau der äußeren Lappung entspricht 

trachtung der am Hilus eintretenden Gefäße die theoretisch passende 
Resektionsstelle zu konstruieren versucht und in der Mehrzahl der Fälle 


Archiv f. Min. Cbiruraie. 126. 


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242 


J. Volkmann: 


den richtigen Ort getroffen. Nachdem in die Schnittlinie eine dünne 
Metallplatte eingelegt und die Milz wieder zusammengeklappt worden 
war, erfolgte die Injektion und Röntgenaufnahme und ergab dann die 
Richtigkeit unserer Erwägungen. Damit sind die praktischen Folge¬ 
rungen aus diesen Injektionsversuchen gezogen, auf die wir später noch 
zurückkommen werden. 

Die Venen kann man sich bei Sektionen und auch bei Operationen, 
wenn keine stärkeren Verwachsungen bestehen, dadurch gut zu Gesicht 
bringen, daß man das Ligamentum phrenico-lienale durchtrennt, die 
Milz nach vom und rechts taxiert und sich nun den Milzstiel stark 
anspannt. Dann treten im Fett die Saugadem mit ihren sehr dünnen 
Wandungen deutlich bläulich hervor. Sie laufen im allgemeinen mit 

den Arterien, sind aber 
nicht so stark geschlän¬ 
gelt wie diese und un¬ 
terliegen den gleichen 
topographischen Auftei¬ 
lungsverhältnissen, bes¬ 
ser gesagt Zusammen¬ 
laufs- oder Sammlungs- 
ver hältnissen wie j ene,so 
daß ich auf eine nähere 
Schilderung verzichten 
kann. Ein operatives An¬ 
gehen ist nur dadurch 
erschwert, daß die Vene 
fast immer schnell in den 
Schwanz der Bauch¬ 
speicheldrüse eintritt, durch das Pankreas läuft und sich dadurch un¬ 
serem Zugriff auch bei früher Vereinigung zu dem Stamm noch mehr 
entzieht als die immerhin in der Mehrzahl der Fälle etwas beweglichere 
Arterie. 

. 11. Resektion und Unterbindung. 




Abb. 11, 5-Aufnahme und Abb. 12, Fi-Aufnahme. Auf Grund 
der Gef&ßverteilung lftßt sich genau die Schnittlinie für eine 
Splenotomie oder Resektion angeben. 


Die im vorigen Abschnitt dargelegten VerteilungsVerhältnisse der 
Gefäße in der Milz erlauben nun mit größerer Sicherheit als bisher 
an Resektionen dieses Organs heranzugehen. Sie befähigen den Opera¬ 
teur auch bei einfachen Zertrümmerungen, die nicht so ausgedehnt 
sind, daß sie die Splenektomie als einzigen Ausweg anzeigen, zu erwägen, 
ob hier eine Naht versucht, ein loses, nicht mehr in genügendem Zu¬ 
sammenhang stehendes Stück reseziert und der Rest vielleicht konser¬ 
vativ versorgt werden soll. 

Doch ist die Indikation hierzu nur dann gegeben, wenn das Organ 
im übrigen gesund, der Patient nicht zu alt ist und keine stärkeren 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 243 

Verwachsungen bestehen. Sonst treten andere Verfahren in den Vorder¬ 
grund. 

In der Literatur habe ich, teils unter dieser richtigen Anzeige, 
teils unter falscher und dann stets mit tödlichem Ausgang, sieben Fälle 
von Resektion gefunden. 

Bardenheuer operierte 1890 bei einem Mädchen eine Blutcyste der Milz nach 
Unfall unter der Diagnose Ovarialcyste. Kompression der Milz oberhalb der 
Cyste durch einen Assistenten, Abtragung, Blutstillung mit Jodoformgaze, Fassen 
und Umstechen einiger größerer Gefäße nach dem Hilus zu, Verschorfung mit 
dem Thermokauter. 

Fink-Oussenbauer 1895. Ausschälung einer in der unteren Milzhälfte ent¬ 
wickelten Lymphcyste. 

Haffter 1905. Traumatische Milzzerreißung. Resektion des oberen 4 : 7 cm 
großen Milzpols, der nur noch an einigen Hilusgefäßen hing. Catgutnaht eines 
Querrisses und Einhüllung in das ringsum vernähte Netz. 

Lamarchia 1895. Horizontaler Riß in einer doppelt vergrößerten Malaria¬ 
milz eines 15 jährigen Jungen. Tiefe Seidennähte. I 1 /* Stunde später Exitus. 
Die Naht hatte gehalten, doch war ein Riß unter dem Ligamentum gastro-lienale 
an der Unterfläche übersehen worden. 

Sneguireff I. Nur kurz bei dem 2. Fall erwähnt. 

Sneguireff II 1900. Kavernöses Angiom der Milz bei 29 jähriger Frau. Resek¬ 
tion eines 3 : 6,5 cm großen Stückes bei einer Milzgröße von 13,5 : 14 cm. Ver¬ 
dampfung der Schnittfläche. 

Wertet. Nur kurz bei Danielsen aufgeführt. 

Herfarth erwähnt einen Versuch von Milzresektion bei Cyste, der aber nicht 
gelang, so daß die Splenektomie angeschlossen werden mußte. 

Milznahte sind bisher 11 mal ausgeführt worden, davon 9 mal mit 
gutem Erfolg. Sie sind für einfache Risse, Stichwunden und Streif¬ 
schüsse zu empfehlen. (Ferner, Friedheim, Graf, Kroner, Lamarchia, 
Madelung, Payr, Schaefer, Wendel, WiUe u. a.) Wie oft man etwa 
damit rechnen kann, eine Naht statt der Resektion vorzunehmen, 
dafür gibt eine Statistik einen gewissen Anhalt, die ich unter Fortsetzung 
der Haffterschen Angaben zusammengestellt habe. Danach fanden 
sich unter fünfzig Milz Verletzungen, die wahllos der Literatur ent¬ 
nommen wurden, 8 mal einfache Ein- oder Querrisse, die eine Naht 
ermöglicht hätten. Darunter war auch eine eigene Beobachtung. 

Die Kenntnis der Gefäß Verteilung erlaubt aber auch, für Trans¬ 
plantationsversuche die Stelle zu wählen, wo keine Blutung aus größeren 
Gefäßen den Eingriff erschwert oder unmöglich macht und die Anheilung 
des Implantats gefährdet, wo aber andererseits eine genügende Blut¬ 
zufuhr den baldigen Anschluß an das aufnehmende Bodengewebe 
gewährleistet. Gerade die Milz hatte ja Payr wegen ihres Blutreichtums 
zu seinen auch beim Menschen für längere Zeit erfolgreichen Uber¬ 
pflanzungsversuchen von Schilddrüsengewebe gewählt. Er gibt in seiner 
Arbeit auf Grund von Versuchen am Tier und der Erfahrungen am 
Menschen genaue Anweisungen. Ich würde Vorschlägen, die Tasche 

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J. Volkmann: 


zur Aufnahme des Implantats so anzulegen, daß sie unter Berück¬ 
sichtigung der am Hilus eintretenden Gefäße in einer Kerbe liegt und 
in der Querrichtung mehr nach der Konvexität zu angebracht wird, 
gewissermaßen in der „Blutscheide“, wenn diese Wandlung des Wortes 

Wasserscheide hier erlaubt ist, da es sich 
eigentlich weniger um den Abfluß als um 
den Zufluß aus den Gefäßen handelt. Auch 
wenn man dann etwas zu tief ins Parenchym 
gerät, werden größere Äste nicht verletzt 
[siehe Abb. 13 1 )], was bei einem Längsschnitt 
leichter eintreten könnte. Wollte man in 
querer Richtung bei der Taschenbildung die 
Kerbe durch einen von der Ober- zur Unter¬ 
fläche durchlaufenden Schnitt gewissermaßen 
zu vertiefen suchen, so hat man den Nachteil 
einer zweimaligen — oberen und unteren — 
Naht und damit mangelnde Sicherheit für 
die feste Einheilung des eingepflanzten Ge¬ 
webes. Geht man aber, noch dazu bei mehr 
flachen Milzen, vom Rande aus und ihm parallel tief ein, so läuft man 
Gefahr, quer zu den vom Hilus aufsteigenden großen Ästen zu kommen. 
Die dann eher auftretende stärkere Blutung kann leicht die Anheilung 
des Implantats gefährden. (Siehe Abb. 14.) 

Über die Technik der Naht ist bei der Seltenheit, mit der sie bisher 

ausgeführt wurde, wenig mitgeteilt wor¬ 
den. Ihr Hauptzweck bleibt ja neben 
der Anpassung der Wundränder die mög¬ 
lichst genaue Blutstillung. Danielsen 
empfiehlt hierfür die Benutzung feinster 
scher Gefäßnahtseide, die nicht so 
leicht Löcher reißen soll wie gröbere, 
mit der nur ungünstige Erfolge gezeitigt 
wurden. Dagegen empfehlen Roeser und 
Senn Catgut, ersterer tiefgreifende Nähte 
nach vorheriger Blutstillung mit Ther¬ 
mokauter oder Vaporisation, letzterer 
quetscht erst das Milzgewebe mit breit 
fassenden, besonders gebauten Zangen und vereinigt dann die geklemm¬ 
ten Teile mit Catgutnähten. Payr verwendet Netzzipfel zu einer 
Zapfennaht, die er unter Schlingenbildung der Fäden anzieht, und die 
ein Durchschneiden vermeiden. Einfache Netzdeckung der Nahtstelle, 

*) In meiner Arbeit im Zentbl. f. Chir. 1923 Nr. II ist der Text zu den 
gleichen Abbildungen versehentlich umgesetzt worden. 



Abb. 14. Ungeeignete Schnittführungen 
für Implantationen, da hierbei zu viel 
größere Äste quer getroffen werden. 



Abb. 18. Richtige Sohnittftthrung 
für Gewebsimplantatlon in die Milz. 
Der Schnitt hält sich im Verlauf 
der aufsteigenden Gef&ße und in 
dem Bezirk, der von größeren Ästen 
ziemlich frei ist. 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 245 

■wie sie Madelung und Stern besonders vorgeschlagen haben, wird von 
der Mehrzahl der Operateure angewandt. Bei allen Blutstillungsver¬ 
fahren muß man sich aber das eine vor Augen halten, daß häufig eine 
Blutung steht, solange die Milz in die Bauchwunde luxiert und der 
Stiel gezerrt ist, daß aber nach der Zurückverlagerung und bei stärke¬ 
rer Durchströmung die Blutung in der Art der Heidenhainschen Hyper¬ 
ämie nach Abschnürung wieder lebhafter werden kann. Ähnliche Ver¬ 
hältnisse hat ja neuerdings Ed. Hehn zur Erklärung für die Nach¬ 
blutungen bei Nierenoperationen herangezogen. Die Notwendigkeit einer 
genauen Blutstillung ist also überall anerkannt, die Gefahren der Blu¬ 
tung sind aber auch überschätzt worden und haben wohl von manchem 
an sich berechtigten Eingriff unbegründeterweise abgeschreckt. Ich 
habe diese Frage im Tierexperiment und an frischen menschlichen 
Leichenmilzen geprüft, um mir ein eigenes Urteil zu bilden. 

An der Hundemilz sind die Verhältnisse gegenüber den Menschen 
insofern andere, als das Organ in seiner Form vergleichsweise länger, 
dünner und fester durch eine kräftige Kapsel und starke Bindegewebs- 
balken ist. Infolgedessen besteht keine allzu große Neigung der Fäden, 
durchzuschneiden; es gelingt z. B. mit Leichtigkeit, bei kleineren Milzen 
an einer Einkerbungsstelle einen dicken Catgut- oder Seidenfaden 
so fest umschnürend anzulegen, daß man etwa 1 cm davon entfernt 
die Milz durchtrennen kann, und zwar ohne daß von der abgebundenen 
Seite eine wesentliche Blutung eintritt. Das zwischen dem umgelegten 
Faden und der Schnittfläche befindliche Gewebe quillt nach der Durch¬ 
schneidung so stark vor, daß ein Abgleiten der Umschnürung in meinen 
Versuchen nicht eingetreten ist und auch nachträglich nicht zu erwarten 
steht. Hat man nun auf der anderen Hälfte außerdem die Gefäße, die 
zu dem zu resezierenden Milzstück ziehen, unterbunden oder, falls ein 
Wiederannähen beabsichtigt ist, zeitweise abgeklemmt, so kann man 
so gut wie blutleer arbeiten. 

Ist das Anbringen einer solchen schnürenden Ligatur nicht möglich, 
so läßt sich die Blutzufuhr zur Schnittfläche noch durch Kompression 
mit der Hand oder durch Umstechungen mit Catgut oder Seide ab¬ 
sperren, die einander nach Art der Heidenhainschen Hinterstichnaht 
decken. 

Für die Naht kleinerer Einrisse und Einschnitte habe ich mich sowohl 
runder Darm- wie scharfer Hautnadeln mit Seidenfäden bedient; ein 
merklicher Unterschied in der Blutung aus den Stichkanälen war dabei 
nicht zu verzeichnen. Liegen die Wundränder erst einmal gut anein¬ 
ander, so ist die nachträgliche Blutung überhaupt gleich Null. Handelt 
es sich darum, völlig von der Ober- zur Unterfläche durchgehende 
Wunden, z. B. auch bei teilweiser Resektion eines Stückes aus dem Zu¬ 
sammenhang, zu schließen, so ziehe ich gerade Nadeln vor, um entweder 


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J. Volkmann: 


nur mit großen, das ganze Organ von der Ober- zur Unterseite fassenden 
Stichen, die an der Konvexität geknotet werden, zu nähen oder um 
nur zwei durchgreifende Einzelnähte zu legen, im übrigen aber die Wund¬ 
ränder an der Ober- und Unterfläche für sich noch mit runder Nadel 
und Seide (Stichweite 1 / 2 bis 3 / 4 cm Abstand) aneinanderzubringen. 
Man überzeuge sich stets nach Schluß der Naht, ob auch an der Unter¬ 
seite alles in Ordnung ist und die Schnittränder gut zusammenliegen. 

Auf die menschliche Milz können diese Verfahren nicht ohne weiteres 
übertragen werden. Die Abschnürung eines Lappens mit einer Ligatur 
wird fast immer ausscheiden oder höchstens dann anwendbar sein, 
wenn eine abnorm starke Lappung besteht oder es sich um Kinder 
handelt, die ja verhältnismäßig häufig Milzrupturen ausgesetzt sind. 
Dabei ist doch immer noch zu berücksichtigen, daß die Kapsel der 
menschlichen Milz dünner und zarter ist als die tierische, insbesondere 
die des Hundes, der für Versuchszwecke hauptsächlich zur Verfügung 
stand. Auch der Bindegewebsreichtum der Milz ist bei diesem zu¬ 
ungunsten des Menschen ein größerer, wie schon auseinandergesetzt 
wurde. 

Für die Naht eines Milzrisses oder nach Resektion eines aus dem 
Zusammenhang herausgeschnittenen Stückes sind ebenfalls einige wenige 
durchgreifende Nähte zur ersten Anpassung der Wundflächen zu emp¬ 
fehlen, denen dann in etwa s / 4 cm Abstand feinere Einzelnähte, nur 
die Kapsel mit dem angrenzenden Parenchym fassend, folgen können. 
Payr und Martina empfehlen auf Grund ihrer Erfahrungen bei Leber¬ 
rissen die Naht mit Magnesiumplatten. 

Um sich von der Sicherheit und Dichtigkeit der Nähte zu über¬ 
zeugen, kann man an Versuchsmilzen, die erst vor kurzem Verstorbenen 
entnommen sind, von der Schlagader aus Wasser oder eine farbige 
Flüssigkeit einspritzen und wird feststellen können, daß nur wenig durch¬ 
sickert, wenn die Schnittflächen gut aneinandergepaßt sind. 

Besondere Verfahren sind zur Blutstillung an den parenchymatösen 
Flächen vorgeschlagen worden. Die Verschorfung mit dem Brenner 
steht dabei immer wieder an erster Stelle ( Ledderhose , Payr, L. Rehn). 
Voelcker ist im allgemeinen, z. B. auch bei Magenoperationen, kein 
Anhänger der Glühhitze, da er die entstehenden Nekrosen fürchtet, 
die sich abstoßen und die Naht durch Nachblutung oder Infektion 
gefährden können. Doyen empfahl theoretisch das Sneguireff sehe 
Verfahren der Versorgung der Schnittfläche mit heißen Dämpfen, 
also gewissermaßen ein Kochen der Milz, zu dessen Anwendung Sneguireff 
selbst später einmal Gelegenheit hatte. Da die entsprechenden Ein¬ 
richtungen in der Mehrzahl der Kliniken fehlen, wird man meist darauf 
verzichten und sich an die üblichen zur Verfügung stehenden Hilfsmittel 
halten müssen. Daß man größere auf der Schnittfläche sichtbare oder 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 247 

spritzende Gefäße fassen und unterbinden oder umstechen wird, braucht 
wohl als selbstverständlich nur erwähnt zu werden. Wenn dies auch 
an der Hundemilz anstandslos gelingt, so fehlen mir vom Menschen 
eigene Erfahrungen; doch berichtet Bardenheuer, daß ihm die Um¬ 
stechung gut gelungen sei. Die Tamponade der Milz wunden wurde 
vor allem in früherer Zeit öfters ausgeführt. 

Am schwierigsten sind sicher die Fälle zu versorgen, wo nicht wie 
bei einer Resektion zwei Wundflächen aneinanderkommen, sondern 
wo nach Entfernung eines ganzen Pols — beispielsweise mit einer 
Cyste wie im Falle Fink-Qussenbauer oder Bardenheuer — eine offene, 
nach der Bauchhöhle blickende Parenchymfläche zurückbleibt. Beim 
Hund kann man neben einer schnürenden Ligatur noch den vorquellenden 
Milzstumpf mit seiner Kapsel durch einige vorsichtig angelegte Seiden¬ 
fäden decken oder wenigstens zusammenziehen und verkleinern, wie 
mich Versuche lehrten (siehe S. 248, Tier 8). Beim Menschen muß 
man, wie oben gesagt, auf die schnürende Ligatur verzichten, sich mit 
tieffassenden Nähten, die mit großer leicht gebogener Nadel durch¬ 
gestochen werden, begnügen und zum Schutz noch Netz auflegen. 
Man läßt für diesen Zweck nach Anlegung einiger Nähte die geknoteten 
Fäden lang und bindet nun das Netz gleich lose und etwas breit 
entfaltet auf die eben angelegte Nahtlinie auf. Zwei oder drei derartige 
Befestigungen genügen völlig als Sicherung. 

Schließlich steht zur Blutstillung noch ein Hilfsmittel zur Verfügung, 
daß bisher in der Milzchirurgie kaum Anwendung gefunden zu haben 
scheint, das ist die zeitweise Abklemmung des ganzen Qefäßstammes. 
Gute Zwecke tut dabei eine gewöhnliche federnde Nußbaumsche Magen¬ 
klemme mit Verschluß, die man auch nach Art der Hopfner sehen 
Gefäßklemme mit Gummi oder Gaze überziehen kann. Damit läßt 
sich beim Hunde nach unseren Versuchen sicher 20 Minuten, vielleicht 
sogar länger ohne Schaden für das Organ die Blutzufuhr absperren. 
Einen weiteren Versuch über eine halbe Stunde Dauer muß ich leider 
insofern als nicht völlig einwandfrei ausschalten, als sich erst bei der 
Abnahme der Klemme herausstellte, daß am hinteren oberen Pol ein 
kleiner Arterienast mit der zugehörigen Vene außerhalb der Klemme 
liegengeblieben war. Allerdings ist nach den Ergebnissen der Gefä߬ 
injektionen und nach der Ansicht, daß die Milzarterien, wenn nicht 
anatomische, so doch funktionelle Endarterien sind, nicht anzunehmen, 
daß diese geringe Blutzufuhr, die etwa ein Zehntel des Milzvolumens 
versorgte, von wesentlicher Bedeutung für die Erhaltung der übrigen 
neun Zehntel gewesen sein könnte. Theoretisch besteht kein Grund, 
an der vollen Wirkung der Blutleere bei den Operationen zu zweifeln, 
da nur unbedeutende Kollateralen vorhanden sind; andererseits tritt 
nach den Tierversuchen keine sofortige Nekrose ein. 


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J. Volkmann: 


Für den Menschen scheinen, wie erwähnt, keinerlei wesentliche 
Erfahrungen vorzuliegen. Einmal habe ich anläßlich einer Magen¬ 
operation für einige Minuten den Stiel der Milz abgeklemmt, was keinerlei 
nachweisbare Veränderungen an ihr auslöste oder zurückließ. Es würden 
ja meist auch einige Minuten genügen, um einen Eingriff auf diese Weise 
blutleer oder blutarm zu beenden. Ob die Milz das Vermögen hat, 
auch bei offener Vene das Blut selbständig zurückzuhalten, wie Bier 
angibt, wäre noch näher zu erforschen. Die Blutung, die sich aus dem 
in der Milz schon vorhandenen Blut zusammensetzt, läßt sich natürlich 
auch nach der Abklemmung bei einer Splenotomie nicht vermeiden. 
Und ob man durch eine nacheinander erfolgende Unterbindung erst 
der Arterie und dann der Vene den Blutgehalt herabmindem kann, ist, 
wie gesagt, noch nicht genügend geklärt. Die Mitteilungen Lotschs zur 
gleichen Frage auf der diesjährigen 47. Tagung der Deutschen Gesell¬ 
schaft für Chirurgie konnten leider nicht mehr berücksichtigt werden. 

Eine völlige, länger dauernde Abldemmung aller hauptsächlichen 
Gefäße muß, falls nicht sehr lebhafte Verwachsungen, die einen aus¬ 
reichenden Nebenkreislauf sichern, bestehen, zur Nekrose des Organs 
führen. Das scheinen die Versuche von Balacescu, Brückner , Jonnesco 
(Carriire, Vanverts ), Küster und Wyman zur Genüge zu beweisen. In 
2 Fällen konnten auch wir die gleiche Beobachtung machen. 

Tier Nr. 3. Schwarzes Meerschweinchen. 

2. VIII. 1922. Operation in Äthernarkose. Mediane Laparotomie, Unter¬ 
bindung des ganzen Milzstieles mit Catgut. 

6. VUI. 1922. Exitus . Die Milz ist etwas vergrößert, in eine schmutzig-schwarze 
Masse umgewandelt, nur schlecht im Netz erkennbar, sieht aber nicht vereitert 
aus. Etwas Exsudat in der Bauchhöhle, aber keine eigentliche schwerere Peri¬ 
tonitis. 

Tier Nr. 8. Männlicher brauner Jagdhund. 

28. VIII. 1922. Operation in Äthemarkose. Mediane Laparotomie oberhalb des 
Nabels. Milz 19,5 cm lang, am vorderen Pol 6,5 cm, am hinteren 4,5 cm breit; keine 
Nebenmilzen. Es werden je 2 ganz durchgreifende Hinterstichn&hte mit Catgut in 
l 1 /, cm Entfernung voneinander angelegt, um später zwischen ihnen die Milz etwa 
an der Grenze vom vorderen zum mittleren Drittel zu durchtrennen. Dann wird der 
Gefäßstiel zu den beiden hinteren Dritteln für die Ligatur mit mehreren Seiden¬ 
fäden bereitgelegt und jetzt die Milz an der vorbereiteten Stelle zwischen den 
Umstechungen durchgetrennt. Dabei spritzt es noch aus einem größeren Gefäß 
des oberen Teils, das beim Anziehen der Ligaturen nicht mehr blutet, beim Los- 
lassen wieder spritzt, gefaßt und nun mit Seide unterbunden werden kann. Schlie߬ 
lich Abtragung dieses hinteren Milzteiles; der zurückgebliebene Stumpf läßt sich 
durch einige Kapselnähte noch ziemlich gut decken. Es bleibt ein 8 : 6 7* cm großes 
Stück zurück, das nach Unterbindung aller kleineren Äste nur noch von einem 
größeren Gefäß ernährt wird. Eine merkliche Veränderung tritt während der 
Beobachtungszeit weder an diesem Stück noch an dem größeren abgetragenen 
ein. Schichtennaht. 

1. IX. 1922. Exitus . Bei Eröffnung der Bauchhöhle sind die Eingeweide 
durch frische Verklebungen zusammengeballt. Dazwischen findet sich stinkend- 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 249 

eitrige Flüssigkeit. Das Bauchfell ist überall trübe und matt. Die Milz ist dunkel« 
schwarz, etwas vergrößert, und die Kapsel löst sich bei der geringsten Berührung 
in Fetzen auf. 

Epilcrise. Beide Versuche zeigen, daß sowohl nach der Unterbindung des 
ganzen Milzstiels einschließlich des Ligamentum gastro-lienale wie nach allzu 
starker Einengung der Blutzufuhr auf einen Ast, ohne daß der Organrest diesem 
an Größe entspricht, und ohne daß genügend Verwachsungen bestehen, Nekrose 
eintritt. Das bei der Obduktion am 3. bzw. 4. Tag nach der Operation gefundene 
Bild entspricht völlig dem, was Balacescu an seiner großen Reihe von 58 Tier¬ 
versuchen in 37 Fällen nachweisen konnte, daß nämli ch nach gänzlicher Ab¬ 
klemmung der Gefäße anfangs eine starke Schwellung der Milz mit völliger Er¬ 
weichung eintritt. Die durch den Zerfall bedingte Selbstvergiftung ist so stark, 
daß es auch bei den Tieren, die die ersten Tage überstanden haben, nicht durch 
Entmilzung gelingt, das Leben zu erhalten. Nur wenige Hunde blieben mehrere 
Tage am Leben, und bei diesen war dann eine starke Atrophie des Organs fest¬ 
zustellen. 

Im Gegensatz dazu stehen die Beobachtungen Lüdkes, der nach 
völliger Entfernung der Milz und Rückverlegung in die Bauchhöhle 
eine Anheilung im alten Wundbett sah, während Philippeau außerdem 
auch die Umwandlung in eine Cyste und Umschließung der Milz von 
Narbengewebe fand. Eine Erklärung für diese allen anderen Versuchen 
widersprechenden Befunde Lüdkes vermag ich nicht zu geben, da die 
Wundfläche kaum frische Gefäßanschlüsse in genügend kurzer Zeit 
vermitteln und man hier wohl schwerlich eine örtliche Anlage für die 
Einheilung der ganzen Milz annehmen kann. 

Anders liegen die Verhältnisse bei nur teihoeiser Unterbindung eines 
oder mehrerer Hauptäste. Hierzu liegen Erfahrungen im Tierversuch 
und vom Menschen vor, doch bedürfen, wie auch Rami betont, unsere 
Kenntnisse über die Ligatur der Milzgefäße noch der Klärung durch 
weitere anatomische und experimentelle Versuche. Dann lassen sich 
die gewonnenen Ergebnisse auch eher in die Praxis übertragen, da der 
einzelne nur verhältnismäßig selten Gelegenheit zu derartigen Opera¬ 
tionen am Menschen hat. 

Die bisherigen Versuche scheinen mir alle nicht ganz einwandfrei 
zu sein und leiden daran, daß immer die Schwierigkeit einer genauen 
Nachprüfung der Wirkung besteht, die die Unterbindung von Arterie 
oder Vene ausübt. Bei den Tieren, die wir meist und allein zur Ver¬ 
fügung hatten, sind so viele früh sich aufsplittemde Äste vorhanden, 
daß man bei Einzeluntefrbindung, obwohl sofort sehr lebhaft und gut 
pulsierend die benachbarten Arterien hervortreten, leicht Zweige über¬ 
sehen kann, und daß es nicht möglich ist, durch Unterbindung eines 
oder mehrerer Gefäße einwandfreie Ergebnisse erzielen ünd vor allem 
kritisch beurteilen zu können. Um hier dem Menschen ähnliche Ver¬ 
hältnisse zu erreichen, möchte ich Vorschlägen, folgendermaßen vor¬ 
zugehen. Man unterbindet bei einem Wurf junger Hunde die haupt- 


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J. Volkmann: 


sächlichsten Gefäße, wenn nötig, nacheinander in verschiedenen Ein¬ 
griffen, doppelt und reseziert Stücke von ihnen, um Anastomosenbildung 
nach Möglichkeit zu verhindern. Die so vorbehandelte, wenn auch, 
wie wir später sehen werden, vielleicht etwas verkleinerte Milz wäre 
dann zu Unterbindungsversuchen zu benutzen. Verwachsungen lösen 
sich einerseits oft wieder ganz von selbst, wie ich bei mehrfachen Nach- 
operationen (z. B. Tier 2, S. 260) sah; auch eine Splenitis verschwand 
im gleichen Versuch völlig. Andererseits können noch vorhandene 
Verwachsungen dann ähnliche Verhältnisse wie bei pathologischen 
Veränderungen an der menschlichen Milz hervorrufen, die ja gerade 
häufig die Gegenanzeige zur Splenektomie sind und die Unterbindung 
nötig machen. Die von uns nach diesem Plan begonnenen Versuche 
scheiterten leider an dazwischengekommenen Krankheiten der Tiere. 

Die im Schrifttum vorhandenen wichtigsten Arbeiten über die Li¬ 
gatur der Milzarterie sollen nun im folgenden kurz angeführt werden. 

Küster beabsichtigte, im Anschluß an einen eigenen Fall die Frage der Unter¬ 
bindung durch Tierversuche zu klären. Er legte Massenligaturen bis auf einen 
kleinen aus Arterie und Vene bestehenden Stamm an und beobachtete, wie die 
Milz unter seinen Augen anschwoll und sich dunkelblau verfärbte. (Einen derartigen 
Befund konnte ich im Versuch 6 [S. 251] nicht erheben. Bei der Unterbindung der 
einzelnen Äste traten sofort lebhaft pulsierend kleine, vorher kaum sichtbare 
Zweige hervor, aber die Milz änderte sich auch nach Anlegung aller Ligaturen 
kaum in Farbe und Oberfläche. Es ist dies ja dadurch erklärlich, daß doch Zu- 
und Abfluß zu gleicher Zeit gedrosselt werden.) Nach einiger Zeit war eine narbige 
Schrumpfung der großen und langen Milz bis auf den intakt versorgten Rest 
eingetreten. 

Wyman fand, daß nach Unterbindung von nur 2 Zweigen, die ein Drittel 
der Milz versorgten, eine langsam fortschreitende Atrophie des betreffenden Teiles 
eintrat. 

TroeU unterband bei Hunden und Hühnern 1—5 Gefäße und erzielte bei 
den Hühnern stets, bei den Hunden nur ausnahmsweise eine Verkleinerung; mit 
Regelmäßigkeit aber dann, wenn kein transversales Gefäß mehr distal der Ligatur 
vorhanden war. Mit der Verkleinerung wurden zugleich aseptische Milzinfarkte 
beobachtet. 

Ricci prüfte die Versuche von Pirone f Renzi und Boeri nach und sah bei Unter¬ 
bindung der Milzgefäße dicht am Hilus zuerst eine mächtige Schwellung der Milz, 
dann eine Verkleinerung, indem das Milzparenchym fortschreitend und allgemein 
nekrotisch wurde. Diese Herde wurden aber wieder durch Phagocyten, die vom 
Netz und von den Verklebungen mit der Bauchwand einwanderten, auf gesogen. 
Vorübergehend wurde nach der Unterbindung eine, Abmagerung beobachtet. 

BalacescUy Brückner (Carriöre, Vanverts) und Jonnesco stellen ihre Ergebnisse 
folgendermaßen zusammen: Unterbindungen der Arterie oder Vene oder dieser 
beiden Gefäße zusammen führen zu leichter Milzatrophie, machen das Organ 
aber nicht funktionsunfähig; Unterbindung eines großen Teiles der Gefäße führt 
rasche Atrophie mit Cirrhose herbei. Verwachsungen genügen zur Aufrechterhal¬ 
tung des vegetativen Lebens des Organs, da man dann alle zu- und abführenden 
Gefäße ohne Nekrosegefahr unterbinden kann. Die Milz lebt weiter, aber der 
atrophische Prozeß verläuft rasch, und die Funktionen sind vernichtet. 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 251 

Dies sind die wenigen Versuche, die zur Klärung dieser Frage an¬ 
gestellt wurden. Hinzuzufügen wären drei eigene Beobachtungen. 

Tier 6. Schwarzgrauer männlicher Hund (Hyäne). 

16. VIII. 1922. Operation in Äthernarkose. Mediane Laparotomie, mäßiges 
Fett im Gekröse. Unterbindung der großen Arterien einzeln mit Catgut, worauf 
die kleinen lebhafter zu pulsieren anfangen. Schließlich werden auch diese bis auf 
einen Ast in der Mitte des Hilus (zum Teil zusammen mit den Venen) unterbunden. 
Sichtbare Änderungen an der Milz nur insofern, als die Oberfläche etwas glatter 
zu werden scheint. Dreischichtennaht. Die Größe der Milz betrug 15 : 6 cm. 

10. X. 1922. Mediane Relaparotomie. Geringe Verwachsungen von Netz mit 
der vorderen Bauchwand. Die Milz ist von einer weißlich verdickten Kapsel um¬ 
geben und mit ihrer einen Kante an der vorderen Magenwand etwas oberhalb 
der großen Kurvatur angewachsen, die benachbarte Kante des vorderen Pols 
ist frei, die übrigen sind von Netzsträngen überzogen. Auf der Vorderfläche lag 
verwachsen eine Dickdarmschlinge. Trotz vorsichtiger Lösung des Darmes und 
des Magens entstehen Serosadefekte, die übemäht werden müssen. Dann wird 
die Milz nach partienweiser Unterbindung des Gekröses entfernt. Nebenmilzen 
sind nirgends zu fühlen, auch sonst keine Flecken oder Knötchen im Netz oder 
auf dem Bauchfell. 

20. X. 1922. Exitus . Unveränderter Befund gegenüber der letzten Operation. 

Tier 10. Junger brauner weiblicher Jagdhund. 

28. VIII. 1922. Operation in Ätheraarkose. Mittelschnitt. Nabelbruch, keine 
Nebenmilzen. Etwa 2 Drittel des oberen hinteren Gefäßstieles werden mit Seide 
unterbunden, wobei gegenüber dem nicht unterbundenen unteren vorderen Teil 
keine auffallende Veränderung (höchstens eine geringe Wellung der sonst glatten 
Oberfläche) eintritt. Seidenumschnürung der Milz an der dünnsten Stelle und 
Abtragung des zu dem unterbundenen Gefäßstiel gehörigen oberen Milzteiles. 
Die offene Resektionsstelle wird mit 2 Seidennähten durch Netz teilweise gedeckt. 
Es ist kein Tropfen Milzblut in die Bauchhöhle geflossen. Das zurückgebliebene 
Stück ist 3 cm lang und 4 cm breit. Schichtennaht. 

3. IX. 1922. Exitus. Die Sektion ergibt eine kleine Eiterung in den Bauch¬ 
decken, doch ist die Naht sonst völlig intakt. Lungen o. B. In der Bauchhöhle 
selbst bestehen keinerlei krankhafte Veränderungen. Das Bauchfell ist spiegelnd. 
Das zurückgelassene Milzstück ist zum Teil in Schwielen eingebettet und mit dem 
Magen verwachsen. Es hat sich verkleinert and mißt kaum 3:2: 0,5 cm. 

Makroskopisch sieht das Gewebe auffallend gelblich aus; mikroskopisch tiber¬ 
wiegt der bindegewebige Anteil der Balken gegenüber dem stark reduzierten, 
aber sonst nicht veränderten Pulpagewbe. Auffallend geringer Pigmentgehalt. 

Tier 12. Weißer weiblicher Fox mit schwarzen Flecken. 

16. X. 1922. Operation in Äthernarkose. Mittelschnitt oberhalb des Nabels. 
Keine Nebenmilzen. Doppelte Unterbindung der mittleren 3 Fünftel des Gefä߬ 
stiels und Durchtrennung. Darauf Abklemmung des ganzen Gefäßstiels und 
Resektion eines Stückes aus dem Zusammenhang. In Blutleere läßt sich jetzt 
eine durchgreifende Adaptionsnaht anlegen, dann feinere Einzelnähte an Ober¬ 
und Unterfläche. Die Blutung steht auch nach Abnahme der Abklemmung. Die 
Länge des zurückgebliebenen Restes beträgt 8 cm, wovon auf den oberen Anteil 
4:2 V 2 cm, auf den unteren 4 : 3 cm kommen. 

6. XI. 1922. Mediane Relaparotomie. Die Milz ist mit ihrem oberen Stück 
am Magen angewachsen. Dieses ist auf die Hälfte verkleinert, es sieht weißlich 
verdickt an der Oberfläche aus, während der untere Anteil seine normale dunkle 
Farbe hat. Die Nahtstelle ist gelblichweiß, die Seidenfäden ragen zum Teil etwas 
vor, so daß sie wie bei einer Hautnaht entfernt werden können. Exstirpation 


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J. Volkmann: 


der ganzen Reetmilz, deren obere Hälfte sich auf 2 : 2 cm verkleinert hat, während 
die untere ihre frühere Größe mit 3 1 /* : 3 cm annähernd bewahrt hat. Schichten- 
naht, nachdem vorher Stücke des gesund aussehenden vorderen Milzpols sowohl 
in kleinen */g bis */« ccm großen Würfeln als auch zerrieben in die Bauchhöhle 
und zwar in die rechte Nierennische gebracht und zwischen die Darmschlingen 
versprengt worden sind. (Über den weiteren Verlauf siehe S. 261 u. 267.) 

Die Beobachtungen 10 und 12 können mit ihrer Milzatrophie zur 
Bekräftigung dessen dienen, was man als sicher aus zahlreichen Ver¬ 
suchen entnehmen kann, daß die Unterbindung der wichtigsten Gefäße 
im Milzstiel zu einer Schrumpfung des Organs führt. Ob dabei der Unter¬ 
bindung der Arterien und Venen eine gesonderte Bedeutung zukommt, 
ist noch nicht genügend geklärt. In der Ligatur kann man aber um 
so weiter gehen, je mehr Verwachsungen da sind. Dabei sind wir noch 
nicht imstande, wie der Versuch 6 zeigt, mit Sicherheit durch Auswahl 
der zu unterbindenden Gefäße den Mittelweg zu treffen, der einmal 
völlige Nekrose verhütet, ein andermal Atrophie oder Hypertrophie 
des zurückgelassenen Milzteiles bedingt. Genauere Nachprüfungen 
an Tieren mit langem einstämmigem Gefäßverlauf müssen noch zur 
Klärung der Frage herangezogen werden, wie sich dabei Arterie und 
Vene im einzelnen verhalten. Einen gewissen Vergleich hat man beim 
Menschen in der Beobachtung, daß ursprünglich große Wandermilzen, 
wohl durch Zerrung am Gefäßstiel, sich verkleinern und zur Atrophie 
führen können. Auch die in früherer Zeit geübte Vorlagerung der 
verletzten Milz führte ja zur Schrumpfung. Ähnlich liegen die Ver¬ 
hältnisse nach Unterbindung der zuleitenden Gefäße bei bösartigen 
Geschwülsten. 

Unterdessen hat man aber schon in kühnem Versuch die Nutzan¬ 
wendung auf den Menschen gezogen und teils freiwillig, teils der Not 
des Augenblicks gehorchend die Ligatur der Schlagader vorgenommen. 
Die Zahl der Beobachtungen ist gering, nur 7 Fälle sind bekannt, und 
zwar von Battle, Küster, Lanz, Spencer- Wells, von Stubenrauch, Trioomi 
und Wyman. 4 mal war der Ausgang tödlich ( Küster, Spencer-Wells , 
Tricomi, Wyman), 3 mal günstig (Battle, Lanz, von Stubenrauch). 

1. Fall, Küster 1881. Ein Versuch, am lebenden Menschen die Milzarterie 
bei leukämischer Milz zu unterbinden, war mit großen Schwierigkeiten wegen 
schwer zu stillender Blutung verbunden. Exitus an septischer Peritonitis. 

2. Fall, Wyman 1889. Bei einem 45 jährigen Italiener wurden von einem 
Mittelschnitt aus 2 Zweige der Arteria lienalis bei sonst allseitig fest verwachsener 
Milz unterbunden. Exitus an akuter Peritonitis. 

3. Fall, Spencer-Wells 1889. Bei Milzcyste Unterbindung der lienalen Gefäße 
(Stiel, Arterie oder Vene?). Wegen ausgedehnter Verwachsungen wurden Cysten¬ 
wand, Bauchfell und Bauchdecke durch Nähte vereinigt. 

4. Fall, Battle 1893. Beim Versuch einer Splenektomie wurde die Unterbindung 
der Milzgefäße bei zertrümmerter Milz vorgenommen, dh eine Lösung des Organs 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 253 

wegen fester Verwachsungen unmöglich war. Die Milz wurde der Nekrose über¬ 
lassen. Die Blutstillung gelang, doch Exitus an Peritonitis am 6. Tag. 

5. Fall, Tricomi 1894. Unterbindung bei leukämischer Milz; Exitus nach 
45 Stunden. 

6. Fall, Lanz 1904. Ein 24 jähriger Kaufmann erkrankte vor einem halben 
Jahr mit Schmerzen in der linken Bauchhälfte, hochgradiger Unruhe und Fieber¬ 
gefühl. Hambeschwerden und Stuhlunregelmäßigkeiten. Eine Geschwulst un¬ 
bestimmter Art wurde im Bauch festgestellt. 

Befund am 1. XI. 1904. Im linken Epigastrium findet sich ein wenig druck¬ 
empfindlicher Tumor von regelmäßiger, runder Form und gleichmäßig festelasti¬ 
scher Konsistenz. Er senkt sich mit der Blasenentleerung in das Becken. Ein 
Blasendivertikel ist auszuschließen. 

Operation am 11. XI. 1904. Ein Mittelschnitt klärt den Tumor als eine Wander¬ 
milz auf, die mit der Blase verwachsen ist. Enorm erweiterte und stark varicös 
geschlängelte Venen in Milzstiel. Abbinden der Arteria lienalis unter Mitnahme 
einer haselnußgroßen, am Milzhilus gelegenen Nebenmilz. 

Verlauf . Bei der Entlassung am 5. XII. 1904 ist noch eine diffuse Resistenz, da¬ 
gegen nicht mehr eine umschriebene Geschwulst zu fühlen. Der Pat. ist völlig be¬ 
schwerdefrei. Am 31. V. 1905ist auf keine Weise eine Spur des Milztumors nachweisbar. 

7. Fall, von Stubenrauch 1920. 66 jähriger Bureauangestellter litt in den letzten 
Jahren an gichtischen Affektionen. Im November 1920 Haut-, später Nieren- und 
Darmblutungen. — Befund am 24. XII. 1920. Hochgradige Anämie. Hgl. 30%, 
3 000 000 R., 9000 L., Gerinnungszeit 20 Min. Wassermann negativ. Mikro¬ 
skopisch das Bild der sekundären Anämie im Stadium der Regeneration. Fast 
gar keine Blutplättchen, polymorphe Leukocyten, Übergangszellen, mononucleäre, 
einzelne Myelocyten, zahlreiche Normoblasten. Am 3.1. 1921 Aufhören der 
Nieren- und 2 Tage später der Darmblutungen. Blutbild am 6. VIII. 1921: Hgl. 
32%, 3 100 000 R., 9000 L., Gerinnungszeit 20 Min. Keine Markzellen, wenige 
kernhaltige und punktierte Erythrocyten; fast alle Normoblasten punktiert. 
Blutplättchen außerordentlich spärlich. — Operation am 8.1. 1921. Erst Mittel¬ 
schnitt, dann linksseitiger Rectusquerschnitt, da der Tripus Halleri nicht zu er¬ 
reichen ist, und doppelte Unterbindung der Milzarterie etwa 8 cm vom Hilus ent¬ 
fernt. Schichtennaht bis auf ein Glasdrain im seitlichen Wundwinkel. — Der 
Heilungsverlauf war durch Bauchdeckeneiterung gestört. Singultus. Blutbefund 
am 9. I. 1921: Blutplättchen in etwa normaler Menge, auch Riesenblutplättchen. 
Vereinzelte Myelocyten, aber mehr wie früher; einzelne amphophile und punk¬ 
tierte Erythrocyten. Blutbild am 26.11.1921: starke Poikylocytose; einzelne 
blasse Blutscheibchen, mononucleäre Leukocyten, massenhaft Blutplättchen. — 
Entlassung am 27. III. 1921 als dienstfähig. Keine Blutung mehr. Blut am 15. VII. 
1921: starke Poikylocytose, Zahl der Blutplättchen gering. Nur sehr vereinzelte 
JoHysche Körperchen. Blut am 18. VIII. 1921: Hgl. 90%, Viecosität 4,4, Färbe¬ 
index 0,86, 5 259 200 R,. 9551 L. Keine abnorm veränderten Erythrocyten. Blut¬ 
plättchen äußerst spärlich. Keine JoUy&chen Körperohen. Gerinnungszeit 7 Min. 

Es ist also von den verschiedensten Anzeigen aus die Ligatur der 
Milzarterie versucht worden: Leukämie, Wandermilz, Ruptur, Milz¬ 
cyste, anämische Blutkrankheit und unbestimmte Milzschwellung. 
In 6 Fällen scheint die Splenektomie beabsichtigt gewesen zu sein, 
aber durch die Ungunst der Verhältnisse wurde der Operateur gezwungen, 
seinen Plan zu ändern. Was hier notgedrungen geschah, kann sicher 
auch hin und wieder planmäßig ausgeführt werden, wie der Fall von 


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J. Volkmann: 


Stubenrauchs beweist, und zwar wohl meist dann, wenn an der Milz selbst 
makroskopisch keine Veränderungen bestehen, die eine Entfernung 
anzeigen, und wenn ausgedehntere Verwachsungen die Lösung der 
Milz erschweren oder wegen lebhafter Blutung ganz unmöglich machen 
würden. Die Feststellung dieser Verhältnisse ist durch Anlegung eines 
Pneumoperitoneums nach. Qoetze - Rautenberg in vielen Fällen vorher 
ausführbar. Außerdem sind Patienten mit Leukämie vielleicht ge¬ 
eignet, bei denen jetzt meist die Entmilzung abgelehnt wird; auch 
bei sogenannter Bantischer Krankheit ( TroeU ) und bei perniziöser 
Anämie wäre die Anzeige in manchen Fällen gegeben. Noch in der 
Zukunft liegt die Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen manchen 
Formen von Milztumor und Lebercirrhose zu klären und die Leber 
durch Änderungen der Blutzufuhr von der Milz her zu beeinflussen. 
Jedenfalls sind Beziehungen solcher Art noch wenig erforscht worden. 

Die Grundlagen für die Unterbindung der Milzgefäße, besonders 
der Arterien gibt die Unterscheidung zwischen den einzelnen Formen 
der Gefäßaufteilung, wie wir sie im ersten Kapitel geschildert und für 
die Zwecke der Praxis eingeteilt haben. 

Wollen wir an den Stamm der Milzarterie herankommen, so stehen 
uns 2 Zugangswege zur Verfügung, erstens der zum Tripus Hallen und 
dem Anfangsteil der Milzarterie oberhalb des Magens, zweitens der mehr 
periphere zwischen Pankreaskopf und Milzstiel. 

Der erste Weg, den schon Langenbuch vorgeschlagen hat, ist insofern 
der günstigere, als man von der verschiedenen späteren Teilung, also 
auch bei den Fällen der Gruppe I, gänzlich unabhängig ist. Anderer¬ 
seits besteht die Schwierigkeit, daß man durch die anatomischen Hinder¬ 
nisse im Bau des Körpers stärker beschränkt ist als beim zweiten Weg. 
Enge der unteren Thoraxapertur und kleiner Rippenbogenwinkel 
lassen es ohne große Voroperationen, die doch gerade vermieden werden 
sollen, unmöglich erscheinen, hoch hinauf an den Tripus zu kommen, 
wie es der Fall von Stubenrauchs bewies. Weiter kann ein kurzes kleines 
Netz oder großer Fettreichtum den Zugang hindern, wie mich vielfache 
Nachprüfungen an Operations- und Leichenmaterial lehrten. Es be¬ 
steht dann noch die letzte seltene und mehr theoretische Möglichkeit, 
oberhalb des Querdarmes durch das Mesocolon oder unterhalb des 
Dickdarmes durch die hintere Platte des Mesocolons in die Bursa omen- 
talis einzudringen und sich durch das Mesogastrium zur Aorta beziehungs¬ 
weise Arteria lienalis vorzuarbeiten, die man oft von der Bursa aus schon 
durchtasten kann. Auch hier hat man aber mit dem Fett im kleinen 
Netz und Verklebungen in der Bursa zu rechnen. Nicht zu vergessen 
ist die Schwierigkeit des Arbeitens in großer trichterförmig sich ver¬ 
jüngender Tiefe bei an sich schon engem Zugang unter dem Magen 
und bei Fettleibigkeit. Schließlich aber, wenn es doch gelungen ist, 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 255 

kann der Endeffekt der Unterbindung dadurch hinfällig werden, daß 
sich, wenn weit entfernt vom Erfolgsorgan unterbunden wird, zu viel 
Nebenbahnen finden, die mehr Blut, als nur zur Unterhaltung und 
Fristung des Lebens der Milz nötig ist, zuführen. 

So bleibt als Weg der Wahl der Zugang unter dem linken Rippen¬ 
bogen zwischen Magen und Pankreas einerseits, dem Hilus andrerseits. 
Dieser normalerweise in einer Breite von 4—6 cm zur Verfügung stehende 
Baum kann aber durch pathologische Veränderungen, vor allem durch 
eine Vergrößerung der Milz, eingeschränkt sein. Dabei ist zu beachten, 
daß schon für gewöhnlich die Milzwurzel beim Menschen schwerer als 
bei unserem Versuchstier, dem Hund, zu erreichen ist. Denn der mensch¬ 
liche Hilus ist durch eine längliche, grubenförmige Einsenkung aus¬ 
gezeichnet, während er sich beim Hund als schmale Leiste über die 
Milzunterfläche erhebt. Auch hier kann Fettreichtum hinderlich sein. 
Außerdem fällt die Gruppe I der Gefäßteilung überhaupt außerhalb 
des Bereichs dieses Zugangsweges und ist nur vom Stamm der Arteria 
lienalis aus nach ihrem Abgang aus der Arteria coetfaca zu treffen. 
Von den beiden anderen Gruppen ist die dritte die günstigste, da sie 
die einfachsten Verhältnisse schafft. Sie wird man aber theoretisch — 
ausgedehnte oder auch nur vereinzelte praktische Beobachtungen 
fehlen bis jetzt — nur selten bei vorhandenen pathologischen Verände¬ 
rungen sehen, da sich dann meist alle Nebenäste reichlicher füllen 
und entwickeln und damit den Vorteil des langen Stammes illusorisch 
machen. Wie stark dies geschieht, ließ sich anläßlich der Tierversuche 
schön beobachten, wo nach Unterbindung ganzer Stielteile plötzlich 
in Gebieten, die vorher gefäßleer oder gefäßarm erschienen, plötzlich 
lebhaft pulsierende Arterien auftraten. Hier ist es von Wichtigkeit, 
die oben erwähnte Anastomose zwischen Arteria gastro-epiploica sinistra 
und den Hiluszweigen zu schonen, und zwar dadurch, daß ipan zentral 
von ihrem Abgang unterbindet, um so den Blutzufluß von der großen 
Kurvatur des Magens her noch zu ermöglichen. Auch eine Erhaltung 
des Ligamentum gastro-lienale mit den Arteriae gastricae breves ist 
zu empfehlen. Das gelingt in manchen Fällen durch Längsspaltung 
des Bandes, dem Gefäßverlauf entsprechend. 

Es mag hier auch die zweifelnde Frage gestattet sein, ob in allen 
Fällen von Milzarterienunterbindung beim Menschen wirklich stets 
der Stamm allein unterbunden oder ob nicht nach den verschiedenen 
oben geschilderten Teilungsmöglichkeiten hier und da nur ein großer 
Ast gefaßt wurde. Auch dies würde auf Grund der später angeführten 
Tierversuche zu einer Atrophie führen, und der Erfolg wäre, wenn auch 
vielleicht geringer als beabsichtigt, doch erreicht. In den günstig aus¬ 
gegangenen Fällen ist natürlich eine Nachprüfung unmöglich gewesen, 
in den zur Sektion gekommenen vermißte ich genauere Angaben. 


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J. Volkmann: 


Ein Einwand bedarf noch der besonderen Entkräftung: daß doch 
solche Operationserfolge mit Unterbindung allen früheren Versuchen 
über Embolien der Milzarterien und über Milzinfarkte Hohn sprechen. 
Dem muß aber entgegengehalten werden, daß sich uns erstens einmal 
vielfach Milznarben bei Sektionen zeigen, daß manche Embolien und 
Infarkte gut ausheilen können, und daß es sich in den Versuchen über 
Infarktbildung fast stets um vorher gesunde und normale Milzen handelt, 
hier aber um veränderte, die meist gerade in ihrer Blutzufuhr weit¬ 
gehende Umstellungen erfahren haben. Die Kollateralen genügen 
jedoch für gewöhnlich bei Verwachsungen zur Aufrechterhaltung 
des vegetativen Lebens ( Jonnesco ). Im übrigen wurde ja auch oben 
schon erwähnt, daß Troell aseptische Milzinfarkte bei seinen Unter¬ 
bindungsversuchen beobachtet hat. So erklären sich vielleicht die 
gegensätzlichen Versuchsergebnisse von Baiacescu und Litten einerseits, 
die außer der Atrophie keine lebensbedrohende Schädigung bei der 
Ligatur sahen, von Boinet und. Wyman andrerseits, die Nekrose er¬ 
lebten. Und As8olant und Heusinger fanden sogar nach Unterbindung 
eines Zweiges der Arteria lienalis am lebenden Tier nekrotische Zer¬ 
störung, die sich auf den Bezirk des unterbundenen Gefäßes beschränkte. 

Zur Technik der Unterbindung ist nicht viel zu sagen. Man kann 
sich entweder von einem Mittelschnitt aus für die zentrale Unterbindung 
oder mit einem quer dazu durch den linken M. rectus laufenden Winkel¬ 
schnitt bei peripherer Ligatur Zugang verschaffen. Im letzteren Falle 
genügt auch ein Rippenbogenrandschnitt, wie wir ihn meist in der 
Voelckersehen Klinik bei der Splenektomie benutzen. Die Milz läßt 
sich entweder nach links seitlich und der Magen nach rechts weghalten 
oder man kann bei fehlenden Verwachsungen die Milz taxieren, was 
bei bestehendem Ascites die Arbeit erleichtert. Die doppelte Unter¬ 
bindung selbst, am zentralen Stumpf gegebenenfalls zweifach, nimmt 
man am sichersten mit Seide vor und durchschneidet den Stamm des 
Gefäßes zwischen beiden Ligaturen. 

Zu beachten sind die Schlängelungen der Arterie und ihre Brüchigkeit 
im höheren Alter, die Anastomosen zwischen den Arteriae gastricae 
breves, der Arteria gastro-epiploica sinistra und dem Hilus sowie die 
Nachbarschaft der durch die Herausluxierung oder Abknickung meist 
strotzend gefüllten Venen. 

Die Vorteile des Verfahrens beruhen darauf, daß der Eingriff meist 
rascher zu beenden ist als die Entmilzung, eine Peritonisierung nicht 
nötig wird und eine Drainage sich wegen der fehlenden Blutung erübrigt. 

Uber die Unterbindung der Milzvene ist weniger zu sagen als über die 
der Schlagader. Die Versuche sind über die ersten Anfänge noch nicht 
hinausgekommen. Man begegnet hier denselben Schwierigkeiten, wie 
sie oben bei den isolierten Arterienunterbindungen erwähnt winden. 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 257 

Foä, dessen Arbeiten mir leider im Original nicht zugänglich waren, 
hat Versuche mit experimenteller Meerschweinchentuberkulose der 
Leber angestellt, die er durch Unterbindung der Milzvene bei gleich¬ 
zeitiger Atrophie der Milz ausheilte. Er hat deshalb angeregt, bei 
Lebercirrhose die Milzvene zu unterbinden, dadurch Schrumpfung 
der Milz und Besserung des ganzen Leidens zu erzielen. Meines Wissens 
steht die Nutzanwendung dieses Vorschlags für den Menschen noch 
aus. In einem Falle hatte ich beabsichtigt, so vorzugehen, mußte 
aber den Eingriff abbrechen. 

löjähriges Mädchen. Im Juni 1922 Geburt eines gesunden Kindes. Danach 
öfters Erbrechen und allmählich beginnende Gelbsucht. Seit einem halben Jahr 
plötzlich starke Schmerzen im Oberbauch, Durchfälle, zunehmende Gelbsucht, 
Schüttelfröste. 

10. VII. 1922. Befund: Leib stark aufgetrieben, seitlich etwas Dämpfung; 
im Oberbauch Druckschmerz, Temperatur 39; Puls 120; 7000 Leukocyten. 

Krankheitsbezeichnung: Pankreasnekrose, akute gelbe Leberatrophie 7 

Operation: Ganze Bauchhöhle voll trüber Flüssigkeit, keine eigentliche Peri¬ 
tonitis. Pankreaskopf verhärtet, Leber klein, gefleckt, Oberfläche aber ziemlich 
glatt. Milz fast so groß wie die Leber. Choledochusdrainage. Abbruch der Ope¬ 
ration wegen schlechten Befindens. 

Verlauf: In 16 Stunden nur 6 ccm Galle abgesondert. Exitus. Sektion. 
Spätstadium einer gelben Leberatrophie, Milztumor. 

Experimentell wäre die Sache vielleicht so anzugreifen, daß nach 
dem Vorschläge B. Fischers u. a. künstlich eine Lebercirrhose durch 
Einspritzung von Äther in Leinöl oder mit Hilfe eines sonstigen Ver¬ 
fahrens erzeugt und dann die Milzvene unterbunden wird. Derartige 
Versuche habe ich begonnen. 

In diesem Zusammenhang sei noch besonders auf die regen Beziehun¬ 
gen zwischen Milz und Leber hingewiesen, die Eppinger zwar eingehend 
untersucht hat, die aber doch manche Frage offen lassen. Daß sie beson¬ 
ders eng sind, dafür sprechen Beobachtungen, wie sie nach Splenektomie 
von M. B. Schmidt, Lepehne, Kiyono-Nishilcawa und Takagi gemacht 
wurden, die nach Milzexstirpation neugebildete milzartige Zellanhäu¬ 
fungen in der Leber auftreten sahen. In einigen wenigen von mir an- 
geste Ilten Nachprüfungen konnten diese Befunde nicht erhoben werden. 

Diese Fragen des Ersatzes der Milz und der Regeneration stehen 
nicht nur in Zusammenhang mit der Splenektomie, sondern auch 
mit den Veränderungen der Milz nach Unterbindung und Resek¬ 
tion, so daß es sich wohl lohnt, diese Punkte noch in den Be¬ 
reich unserer Betrachtungen zu ziehen. Dabei sei betont, daß 
hier nicht sämtliche Fragen der Milzregeneration im weitesten 
Sinne ihre Besprechungen zu finden brauchen, wie sie zum Teil schon 
ausführlich Eggers, Kreuter und von Stubenrauch neuerdings in ihren 
Arbeiten niedergelegt haben, sondern daß nur die chirurgisch wich¬ 
tigen, hauptsächlich makroskopisch beobachteten Tatsachen hervor- 

Archiv f. Iclin. Chirurgie. 125. 17 


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258 


J. Volkmann: 


gehoben werden sollen. Dabei können die Probleme des histologischen 
Milzaufbaues und der physiologischen Punktionen nur kurz gestreift 
werden. 

III. Ersatz und Regeneration. 

Wenn man von den Angaben und Tierversuchen älterer Verfasser, 
die von Oltmanns einzeln angeführt werden, absieht, ist die Frage des 
Ersatzes und der Regeneration der Milz erst in den letzten Jahren 
wieder dadurch akut geworden, daß einige eigentümliche Beobach¬ 
tungen von Entstehen sogenannter Nebenmilzen oder Splenoide durch 
Beneke-Küttner, Faltin und von Stubenrauch mitgeteilt wurden. Bei 
dieser Gelegenheit muß der Ausdruck Nebenmilz dahin festgelegt werden, 
daß man hierunter Gebilde versteht, die nahe der Oberfläche der Milz 
als Abschnürungen vom Rande (Lien succenturiatus) oder entfernter 
von ihr als versprengte Organe (Lien accessorius) sitzen. Das mikro¬ 
skopische Bild von letzteren braucht nicht unbedingt das eines typischen 
Milzgewebes zu sein, sondern es kann oft nur Pulpastruktur zeigen oder 
einer Lymphdrüse ähneln. Für diese Gruppe kann man die Bezeichnung 
Splenoid ( von Stubenrauch) annehmen. 

Zur Klärung dieser Fragen wurden wegen der so überaus seltenen 
Gelegenheit zu einer Beobachtung am Menschen vor allem Tierex¬ 
perimente herangezogen, zuletzt von Eggers, dessen Arbeit ich durch 
das Entgegenkommen des Verfassers bereits vor dem Erscheinen ein- 
sehen und noch verwerten konnte. 

Nach von Stubenrauch kommen nun folgende Möglichkeiten des Milz¬ 
ersatzes in Betracht, die auch unserer Besprechung zugrunde liegen sollen: 

1. Hypertrophie eines mit Absicht oder versehentlich zurückge¬ 
lassenen Milzstückes bei Resektion oder Splenektomie. 

2. Hypertrophie einer oder mehrerer Nebenmilzen (Lienes accessorii 
oder Lienes succenturiati im Sinne von Haberers). 

3. Autoplastische Aussaat und Ansiedlung größerer oder kleinerer 
Pulpateile auf dem visceralen und parietalen Blatt des Bauchfells. 

4. Vikariierende Schwellung anderer Organe (präexistierender Lymph- 
drüsen, der sogenannten Hämolymphdrüsen, des Knochenmarks, 
der Schilddrüse usw.). 

5. Völlige Neubildung von Milzen aus seinem embryonalen Stamm¬ 
gewebe, dem Mesenchym der visceralen Bauchfellplatte. 

Diese Punkte sollen jetzt unter Würdigung der bisherigen Befunde 
anderer Beobachter und unter Heranziehung einiger eigenen, leider 
durch die Verhältnisse stark beschränkten Versuche besprochen werden. 
Dabei wurden die Tiere fortlaufend durch 23 Laparotomien und 11 
Sektionen nachgeprüft. 

Zu 1. Der ersten ausführlichen Arbeit Philippeaus liegen Versuche 
an Ratten zugrunde, die in ihrer anfänglichen Deutung falsch waren 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 259 

und erst später durch neue Versuchsreihen vom Verfasser geklärt wurden. 
Philippeau glaubte nämlich, gefunden zu haben, daß nach Exstir¬ 
pation der Milz sich neue Milzen gebildet hätten. Dem widersprachen 
Peyrani, weshalb Phüippeau in erneuten Experimenten an Kaninchen 
und Feldmäusen fe3tstellte, daß tatsächlich nach völliger und sorg¬ 
fältigster Entfernung der ganzen Milz neue Milzen nicht entstanden, 
wohl aber nach Zurücklassung von Gewebsstücken eine Regeneration 
stattfand, und daß er wahrscheinlich in seiner ersten Reihe ebenfalls 
Reste zurückgelassen hatte. (Auch die letztere Möglichkeit lehnte 
Peyrani ab.) In dem einen Fall wog die neugebildete Milz 42 g gegen¬ 
über einem Normalgewicht von 65 g. Laudenbach fand nach Exstir¬ 
pation eines 19,2 g schweren Stücks ein Regenerat von 17 g Gewicht 
nach 6 Monaten. Später schnitten Mayer, Dannenberg, Qriffini und 
Tizzoni verschieden große Stücke aus der Milz heraus uqd fanden eine 
Regeneration. Ebenso beobachtete von Stubenrauch bei einer Katze, 
der */ 4 des Organs exstirpiert war, nach 3 Monaten ein Wachstum 
bis fast zur vollen Größe. Auch Eliasberg resezierte s / 4 der Milz. Das 
zurückgelassene Stück von 3,5 cm Länge, 2,25 cm Breite und 0,5 bis 
0,75 cm Dicke war nach 65 Tagen 6 cm lang, 2—4 cm breit und 1,5 bis 
2,5 cm dick mit einem breiteren und einem schmäleren Ende ähnlich 
der normalen Milz. Foä entfernte bei einem Hund die Hälfte der Milz 
und fand den Rest nach einem Monat verdoppelt. Histologisch zeigten 
sich kemreiche und sich teilende große Zellen. 

Dagegen sah Ceresoie beim Kaninchen keine Spur von Regeneration, 
und an 2 Hunden, denen die größere Milzhälfte exstirpiert war, konnte 
nach 17 Tagen ebenfalls noch keine Veränderung beobachtet werden. 
Doch ist diese Zeit wohl als zu kurz anzusehen. 

Hierher gehört als einzige Beobachtung am Menschen der oben 
erwähnte Fall von Benelce-Küttner-Oltmanns, wo bei einem 47 jährigen 
Mann wegen Milzruptur durch Schußverletzung eine Splenektomie 
unter ungünstigen äußeren Umständen ausgeführt wurde. Als der 
Patient 5 Jahre später starb, fanden sich neben anderen noch zu be¬ 
sprechenden Befunden 2 im Milzbett an der Operationsstelle entstandene 
Knollen, die als Regenerate zurückgelassener Stücke aufgefaßt werden 
müssen. Dafür sprechen gegenüber der anderen Erklärungsmöglichkeit, 
daß es sich um gewachsene Nebenmilzen handeln könnte, die Tatsachen, 
daß die Knollen eine Einbettung in eine dicke bindegewebige Kapsel 
zeigten, und daß sehr wohl kleine Reste von Milzgewebe bei den 
dürftigen Verhältnissen, unter denen die Operation in einem Dorfwirts¬ 
haus stattfand, zu übersehen waren. 

Mir selbst stehen zu dieser Frage 3 Tierversuche zur Verfügung, 
während 3 andere Tiere kurz nach der Operation an einer Vergiftung 
eingingen und der schon oben Seite 248 erwähnte Versuch 8 ausscheidet, 

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260 


J. Volkmann: 



weil hier die Ernährung des zurüokgelassenen Stücks nicht genügte 
und es zur Nekrose kam. 


Tier 2. Schwarz und gelb gefleckter männlicher Wachhund. 

2. VIII. 1922. Operation in Äthemarkose. Mediane Laparotomie. Die Milz 
ist klein. Unterbindung von 5 Milzarterienstämmen mit Catgut und Excision 
eines mittleren Stücks, wobei noch eine kleine Blutung aus dem Gekröse eintritt. 
Nach einer Viertelstunde anschließend Exstirpation des oberen Stücks und teil¬ 
weise Zerstückelung mit Einbringen in die Bauchhöhle. Größe des zurückge¬ 
bliebenen, gut ernährten unteren Pols 5:4cm. 

Verlauf: 10. VIII. 1922. Der Hund hat sich erholt und frißt gut. Nähte entfernt. 

24. VIII. 1922. Relaparotomie 

, —x durch linksseitigen Paramedian- 

lo ^ \ schnitt. An der vorderen Bauch- 

i / ^ ^ ^ wand keine Verwachsungen, da- 

Wj gegen ist die Magen- und Milz- 
\ gegend seitlich etwas an- 

geheftet und läßt sich nur schwer 
vorziehen. Dabei entstehen einige 
oberflächliche Blutungen. Der 
vorhandene Milzrest von 6 cm 
Länge und 4 cm Breite zeigt eine 
weißliche Verdickung seiner Kap- 
IjL sei. besonders stark nach dein Ma- 
B genrand zu. wo er flächenhaft mit 

dickte und fast schwielige Sero- 

... . _ lf . „ n .. . sa übergeht. Auch entlang der 

Abb. 1». Oben: Große der ursprünglichen Milz mit den n -uw 

noch vorhandenen Resten des Organs, soweit sie nicht grölten Kurvatur ziehen noch 
zur Aussaat oder histologischen Untersuchung gebraucht einige w'eiße fleckige Streifen. Von 
wurden. Die gepunktete Linie bezeichnet die ungefähren ( | en eingcbrachten Milzstücken 
Umrisse der jetzigen Milz, die glatte die der ureprüng- j t . ht h Der Rest 

liehen. Unten: Die neugebildete Milz. Links der im . 

Körper zurückgelassene vordere Milzpol, der sich unter oes Milzstiels ist wegen der V er- 
einem Winkel von 135 ° von dem Regenerat absetzt, wachsungen nicht sicher zu Ge¬ 
sicht zu bekommen, doch finden 
sich auf den in Augenschein genommenen Partien keine Flecken, nur ebenfalls 
einige kleine Blutpunkte. Serosa von Darm und Bauchwand spiegelnd. Schichten¬ 
naht der Bauchdecken. 

30. X. 1922. Große mediane Relaparotomie . Bauchfell überall spiegelnd und 
glänzend seitlich sowohl wie visceral. Die Milz hat sich fast völlig regeneriert, 
sie mißt 14 cm an Länge, und die Breite beträgt vom 4, hinten 3 1 /* cm. Das 
vordere 5 l / 2 : 4 cm große Stück, das dem zurückgebliebenen unteren Pol ent¬ 
spricht, zeigt gegenüber dem neugebildeten 9 cm langen Stück eine Abknickung 
in einem Winkel von etwa 135°. Es ist dicker als das Regenerat und wird in der 
Hauptsache von einer sehr starken Arterie in fettreichem Stiel versorgt, während 
zu dem ganzen doppelt so großen Regenerat nur eine dünnere in zartem, neuge¬ 
bildetem Mesogastrium führt. Von der früheren Perisplenitis ist nur noch wenig 
zu sehen, die Verwachsungen am Magen haben sich gelöst, doch zeigt die Magen¬ 
serosa noch einige Verdickungen. Exstirpation der ganzen Milz mit Seidenunter¬ 
bindungen. Resektion eines Stücks aus der Leber nach doppelter Catgutum¬ 
schnürung. 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 261 

3. XI. 1922. Exitus , nachdem der Hund in den letzten Tagen etwas matt 
war, aber immer noch gut gefressen hatte. Bauchdeckennaht primär verheilt. 
In der Bauchhöhle findet sich etwas dunkles Blut mit einigen Gerinnseln an den 
Unterbindungsstümpfen. An der Leberexcieionssteile haben die Nähte durch¬ 
geschnitten. Im Netz ist nirgends eine Spur von Regenerationserscheinungen 
nachzuweisen. Netz und Leberstücke werden in Formalin eingelegt. 

Präparat I. Stück der ursprünglichen Milz. Von einer festen Bindegewebs- 
kapsel ziehen Trabekel in die Tiefe, die ein dichtes, blutreiches Pulpagewebe mit 
Malpighiachen Körperchen umschließen. 

Präparat II. Das Regenerat gleicht mikroskopisch fast völlig dem vorigen 
Bild, nur ist der Pigmentgehalt etwas vermehrt. 

Präparat III. Ein Schnitt durch die Leber gibt ein völlig normales Bild mit 
der gewöhnlichen Läppchenzeichnung. Nirgends finden sich Anhäufungen von 
Lymphocyten oder Zellwucherungen. 

Präparat IV. Im Netz keine Regenerationserscheinungen. 

Die Falle 10 und 12 wurden bereits Seite 251 angeführt. Dazu ist 
nur der histologische Befund zu Tier 12 noch nachzutragen. 

Die histologische Untersuchung der entfernten Milzstücke zeigt die 
beiden vernähten Teile durch eine breite bindegewebige Zone mit¬ 
einander verbunden, die ohne scharfe Grenze in die umgebende Pulpa 
übergeht. 

Epikrise. Von unseren Fällen zeigt der erste, daß innerhalb von 
6 Tagen nach der Resektion wesentliche Veränderungen im Größen¬ 
verhältnis des zurückgelassenen Milzstückes nicht eingetreten sind. 
Auch nach 21 Tagen (Fall 12) und nach 22 Tagen (Fall 2) sind wesent¬ 
liche Veränderungen (Größenzunahme um 1 cm in der Länge) noch 
nicht zu beobachten, da wohl die Zeit seit der Operation zu kurz ist. 
Leichte Änderungen des Volumens können auch auf dem normaler¬ 
weise schon schwankenden Blutgehalt der Milz beruhen. Dagegen 
hat sich nach 3 Monaten die Milz im Falle 2 fast völlig wieder zu ihrer 
normalen Größe entwickelt, und es ist noch deutlich die Linie zu sehen, 
von der aus die Regeneration vor sich ging. Nach Beneke müßte sich 
an der Umschnürungsstelle eine Narbe gebildet und von hier aus durch 
den einwirkenden Druck des Magens das Wachstum in der ursprüng¬ 
lichen Richtung nach hinten eingesetzt haben. Die vergleichend mikro¬ 
skopische Untersuchung des exstirpierten und des neugebildeten wie 
des als Rest zurückgebliebenen Milzstücks gaben keine wesentlichen 
Unterschiede im Gewebsbau, abgesehen von einer etwas vermehrten 
Blutfülle und einem erhöhten Pigmentgehalt in dem Regenerat. 

So kann man wohl nach diesen Beobachtungen und nach den ex¬ 
perimentellen Erfahrungen der Mehrzahl der Autoren eine Regeneration 
aus dem zurückgelassenen Rest einer stark verkleinerten Milz bei ge¬ 
nügender Ernährung mit ziemlicher Sicherheit annehmen. Damit ge¬ 
winnt auch die einzige Beobachtung am Menschen (Beneke) an Wahr¬ 
scheinlichkeit. Wir haben außerdem die Aussicht, beim Menschen einmal 


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262 


J. Volkmann: 


nach teilweiser Milzresektion ein Wachstum des zurückgelassenen 
Organteils beobachten zu können, wenn man auch heute noch nicht 
sicher weiß, ob nicht ein kleiner vorhandener Gewebsrest genügt, um 
die Funktion, vielleicht auch eine innere Sekretion, aufrechtzuerhalten. 

Zu 2. Die zweite Frage, die Möglichkeit des Hypertrophierens von 
Nebenmilzen , hat außer klinischen Hinweisen an vereinzelten Stellen 
bei Infektionskrankheiten meines Wissens nirgends eine genauere Be¬ 
arbeitung gefunden. Nur Ceresoie erwähnt geringes Wachstum einer 
Nebenmilz 37* Monate nach Milzexstirpation, spricht diesem Befund 
aber keine besondere Bedeutung zu, sondern glaubt, daß dies mit dem 
normalen Wachstum Zusammenhänge, da er an jungen Hunden operierte. 

In unseren Tierversuchen wurde nun zu Beginn jeder Operation 
auf Nebenmilzen geachtet, und 2 mal waren je 2, einmal eine zu beob¬ 
achten. 

Tier 5. Glatthaariger kleiner, gelber weiblicher Hund. 

16. VIII. 1922. Operation in Äthemarkose. Mediane Laparotomie. Es findet 
sich getrennt von der normal großen Milz im Gekröse eine Nebenmilz vom Umfang 
einer großen Stecknadelkuppe. Außerdem sieht man ein allem Anschein nach 
milzähnliches Gebilde mehr aortenwärts im Milzstiel: Durchmesser etwa 1 mm. 
Unterbindung des Milzstieles mit Catgut, Abtragung der Milz, Dreischichtennaht, 
Stärkebindenverband. 

4. X. 1922. Hohe mediane Rdaparotomie, da am unteren Ende der alten 
Narbe noch eine kleine offene Stelle besteht. Ein Verwachsungsstrang zieht zur 
vorderen Bauchwand. Frei im Gekröse sieht man die jetzt mindestens doppelt 
erbsengroße, bläulich durchschimmemde, von etwas Netz überzogene Nebenmilz. 
Auch das zweite, bei der ersten Operation als zweifelhafte Nebenmilz angesehene 
Gebilde hat sich vergrößert und besitzt jetzt etwa den Umfang einer großen bunten 
Stecknadelkuppe. 

16. X. 1922. Rdaparotomie in der alten Narbe. Die Nebenmilzen sind un¬ 
verändert. Exstirpation des gesamten Netzes mit den Nebenmilzen. In dem 
Netz finden sich außerdem noch einige kleine bräunliche Flecke, die den Gebilden 
ähneln, die später bei der Autotransplantation von Milzstücken noch zu beschreiben 
sind. Mikroskopisch handelt es sich dabei um kleine, mitten im Netz ohne Ab¬ 
grenzung gelegene und in Thrombosierung begriffene Blutergüsse. In einigen 
Schnitten ist das Gefäß, aus dem das Blut ausgetreten ist, nachweisbar. Wahr¬ 
scheinlich liegen Überbleibsel der letzten 12 Tage vorher ausgeführten Operation 
vor. — Die beiden Nebenmilzen zeigten den normalen Bau einer Milz mit Pulpa 
und Trabekelsystem. 

Eine weitere Beobachtung konnte nicht stattfinden, weil der Hund bald 
darauf starb. Die Sektion ergab keinen Befund, der von dem bei der letzten Ope¬ 
ration erhobenen abgewichen wäre* 

Tier 4. Gelber männlicher Wachhund (Fuchs). 

11. VIII. 1922. Operation in Äthernarkose. Mediane Laparotomie. Es findet 
sich eine 147a : ^7* cm große Milz. Von ihr getrennt mit besonderem Stiel und 
mehr nach der großen Kurvatur zu liegt eine etwa erbsengroße Nebenmilz. Im 
Gekrösestiel sieht man noch ein weiteres stecknadelkopfgroßes Gebilde, das eben¬ 
falls für eine Nebenmilz angesprochen wird. Unterbindung des Milzstiels mit 
Catgut, Abtragung der Milz, vierfache Schichtennaht, Stärkebindenverband. 


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Anatomisch© und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 268 

4. X. 1922. Mediane Relaparotomie, aber mit paramedianem Hautschnitt, 
da in der alten Narbe noch eine kleine offene Stelle besteht. Geringe Verwach¬ 
sungen mit der vorderen Bauchwand. Der Milzstiel ist als derber Knoten mit 
einigen weißen flächenhaften Verdickungen im Netz fühlbar. Nahe der großen 
Kurvatur findet sich wieder die gestielte Nebenmilz von dunkelbläulichschwarzer 
Farbe, guter Spannung und glatter Kapseloberfläche, aber diesmal von der Größe 
einer kleinen Haselnuß. Auch das zweite Gebilde im Stiel der Milz hat sich ver¬ 
größert und etwa den doppelten Umfang einer großen bunten Stecknadelkuppe. 
Schichtennaht, Stärkebinden verband. 

6. XI. 1922. Mediane Relaparotomie. Das Volumen der großen Nebenmilz 
ist kaum verändert, doch hat sie jetzt eine bedeutend festere Beschaffenheit und 
einen bläulichweißen Überzug. Die 2. Nebenmilz ist ebenfalls unverändert. Der 
Netzstiel der großen Nebenmilz wird doppelt unterbunden und dazwischen durch¬ 
trennt. Schichtennaht der Bauchdecken. 

Mikroskopisch handelte es sich um völlig normales Milzgewebe mit gut er¬ 
haltener Pulpa zwischen dem Balkensystem. Der Blutgehalt ist als reichlich zu 
bezeichnen, das Pigment nicht übermäßig vermehrt. 

27. III. 1923. Sektion zeigt die kleine Nebenmilz unverändert. 

Tier 9. Schwarzer junger männlicher Jagdhund. 

28. VIII. 1922. Operation in Äthemarkose, Mittelschnitt. Keine sichtbaren 
Nebenmilzen. Partienweise Unterbindung der Milz mit Seide und Abtragung, 
ohne daß ein Tropfen Milzblut in die Bauchhöhle kommt. Schichtennaht. — Am 
Schluß Erbrechen, da der Hund versehentlich etwas gefüttert worden war. Künst¬ 
liche Atmung, Campher. 

29. VIII. 1922. Gegen Abend wird der Hund tot im Stall gefunden. 

Sektion: Ausgedehnte Bronchopneumonie. Das Bauchfell ist überall glatt 

und glänzend. Der Abtragungsstumpf des Milzstiels hat gehalten. Doch findet 
sich neben ihm im Netz, und zwar nahe dem Magen in’dem Blatt des Netzes, das 
von ihm ausgeht, ein kleines braunes Knötchen, das auf den ersten Blick einer 
Nebenmilz gleicht. Einige andere braune Knötchen entpuppen sich als winzige 
Blutgerinnsel, die abwischbar sind und erst nachträglich aus den unterbundenen 
Gefäßstümpfen ausgetreten sein müssen, da die Operation selbst, wie oben er¬ 
wähnt, ohne sichtbare Blutung verlaufen ist. 

Epikrise . Es besteht also kein Zweifel, daß sich in unseren Fällen 
4 und 5 nach sorgfältigster blutleerer Entfernung der Milz je 2 kleine 
Nebenmilzen bei ausgewachsenen Tieren gleichmäßig nach allen Seiten 
zu vergrößern anfingen und bis zum Dreifachen an Volumen Zunahmen. 
Sie zeigten auch mikroskopisch einen völlig normalen Befund, dagegen 
waren einige bräunliche Flecke, die erst bei der letzten Operation im 
Versuch 5 beobachtet wurden, nur als in Organisation begriffene Blut¬ 
austritte aufzufassen. Sie beweisen aber, wie leicht man sich durch 
bloße makroskopische Beurteilung in einem Befund täuschen kann. 
Ob bei dem Hund Nr. 9 die kleine Nebenmilz unserer Untersuchung 
bei der Operation entgangen ist oder tatsächlich von einem kaum 
sichtbaren Gebilde zu Stecknadelkopfgröße durch verstärkten Blut¬ 
zufluß angewachsen ist, muß, da ja eine wirkliche Entstehung in 2 Tagen 
unmöglich ist, dahingestellt bleiben. Wahrscheinlicher ist die erstere 
Annahme. 


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J. Volkmann: 


Vielleicht sind an dieser Stelle auch die ersten von Philippeau ange¬ 
führten und oben Seite 259 erwähnten Befunde einzureihen, wenn eben 
nicht eine Regeneration aus zurückgelassenen Stücken stattgefunden 
hat, wie wir annehmen möchten. 

Es ist also vermutlich ebenso wie bei der Gruppe I das Bestreben des 
Körpers vorhanden, daß zurückgelassene Teile von Milzgewebe, sei es in 
Gestalt von Resten des Hauptorgans, sei es in Form von Nebenmilzen, 
nach Ausschaltung der großen Masse des Milzgewebes zu wuchern anfangen. 
Dabei ist es schwierig, zu entscheiden, ob nur eine stärkere Durchströmung 
und vermehrte funktionelle Anspannung stattfindet oder eine wirkliche 
Hypertrophie. Die histologischen Befunde an den Endothelien und der 
Pigmentgehalt geben in dieser Beziehung keinen sicheren Hinweis. 

Man ist aber wohl berechtigt, eine dieser beiden genannten Möglich¬ 
keiten der Regeneration auch für den Menschen zuzugeben. Z. B. ist 
der Beneke sehe Fall mit den beiden Knollen an der Hilusgegend hier 
einzureihen, mag man ihn nun der ersten oder zweiten Gruppe zurechnen 
wollen. Ich persönlich neige aus den oben angeführten Gründen dazu, 
ihn als Wucherung aus zurückgelassenen Stücken aufzufassen. 

Im übrigen sind mir in der Literatur bei der Durchsicht von mehre¬ 
ren hundert Krankengeschichten von Splenektomie nur 4 Fälle vor¬ 
gekommen, wo eine Nebenmilz zurückblieb. 

1. Fall Bailance: Milzzerreißung durch stumpfe Gewalt, Splenektomie. 
Eine Nebenmilz wurde zurückgelassen. Keinerlei Ausfallserscheinungen. 

2. Fall Graf: Milzzerreißung durch Schuß, Splenektomie mit Zurück¬ 
lassung einer walnußgroßen Nebenmilz. Der Patient, ein 27jähriger 
Mechaniker, lebte in Nürnberg; doch ist über den weiteren Verlauf 
nichts bekannt. Nur soll die Rekonvaleszenz auffallend glatt gewesen 
sein. Der letzte Blutbefund lautete: 

10 900 L _ 1 
5 145000F “ 472' ' 

3. Fall Mac Adam Eccles. 10 Jahre nach der Entfernung einer 
zertrümmerten Milz wurde eine Nebenmilz vergrößert vorgefunden. 

4. Fall Pennato. 

Sonst finden sich wohl hin und wieder Angaben über eine Relapa- 
rotomie (z. B. wegen Ileus bei von Beck-Roeser), aber ohne Bemerkungen 
über den Befund in der Milzgegend. Und in den Fällen, wo eine Kontrolle 
durch die Obduktion kurz nach der Operation stattgefunden hat, ist 
meist der Exitus gleich nach dem Eingriff infolge des Blutverlustes 
oder wegen anderweitiger Verletzungen zu einer Zeit eingetreten, wo 
von Regeneration keine Rede sein kann. Auch unter meinem eigenen 
früheren Sektionsmaterial mit 2 Splenektomien findet sich von Neben¬ 
milzen nichts vermerkt. 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 265 

Ich glaube nicht, daß es an dieser Stelle nötig ist, die Frage des 
Entstehens multipler echter Nebenmilzen aufzurollen. Alle diese von 
Albrecht, Maffeni, Oberndorfer, Oltmanns, Schilling, Tedesci und Winteler 
erwähnten Fälle haben insofern nur ein rein theoretisches Interesse, 
als man die Entstehungsart in keiner Weise nachträglich feststellen 
kann und sichere Anhaltspunkte für ein Trauma fehlen. Besonders 
häufig finden sich allerdings gleichzeitig mit den Nebenmilzen andere 
Mißbildungen, was mehr für die Annahme angeborener Anomalien 
sprechen würde. 

Zu 3. Die dritte Möglichkeit eines Milzersatzes durch Autotranp- 
plantation von Pulpastücken, die bei der Splenektomie versprengt wurden, 
steht in den letzten Jahren besonders durch die Arbeiten von Beneke, 
Eggers, Kreuter und von Stubenrauch im Vordergründe des Streites. 
Auch andere Verfasser haben Untersuchungen angestellt, die im Verein 
mit unseren eigenen Tierexperimenten zur Klärung der Frage beitragen 
können. 

So sah Ehrhardt bei der Transplantation kleiner Stücke von 5—10 mm 
Durchmesser nur Mißerfolge, die sich auch bei Verwendung größerer 
Stücke nicht besserten. Dagegen blieben ins Netz eingepflanzte Pulpa¬ 
teile 6—7 Wochen gut erhalten, ein Zeitraum, der meines Erachtens 
doch etwas zu kurz für eine endgültige Beurteilung ist. Denn Eggers 
fand in 3 Tierversuchen nach einiger Zeit Resorptionserscheinungen 
an den anfangs erhalten gebliebenen Stücken. Auch Albrecht hatte 
früher vergeblich versucht, eine Aussaat versprengter Milzkeime zur 
Anheilung zu bringen. Manley und Marine beobachteten rasche Re¬ 
sorption, doch ist aus dem mir allein zugänglichen kurzen Bericht nicht 
ersichtlich, welcher Art die Transplantate waren. Lüdke konnte homoio- 
plastisch transplantierte Stücke später als nach acht Wochen nicht 
mehr nachweisen. 

Im Gegensatz dazu stehen die Tierversuche von Stubenrauchs, die 
ergaben, daß eine freie Aussaat in die Bauchhöhle noch acht Wochen 
später und zwar ins Netz eingeheilt feststellbar war. Weitere Versuche 
machte Kreuter an Affen und konnte nachweisen, daß eine vollständige 
Milzexstirpation ohne Kapselzerreißung keinerlei Neubildung ergibt, 
daß nach Entfernung der Milz und Zurücklassung eines kleinen Restes, 
also bei Kapseleröffnung, spärliche kleine Knötchen in der nächsten 
Umgebung entstehen, die der Kapseleröffnung mit Pulpaaussaat zu¬ 
zuschreiben sind, und daß sich schließlich nach völliger Splenektomie 
und gleichzeitiger Ausschabung der Pulpamassen an beliebiger Stelle, 
auch auf dem seitlichen Bauchfell, neue Knötchen erzeugen lassen, 
die nur als Autotransplantate im Sinne von Beneke aufgefaßt werden 
können. Die Streitfrage, ob und wie sich diese Gebilde vergrößern, 
ob appositive oder resorptive Prozesse überwiegen, ist bei Eggers letzthin 


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J. Volkmann: 


genau besprochen und soll deshalb hier als noch unentschieden über¬ 
gangen werden. 

Als Beitrag zu diesen Fragen seien 4 eigene Tierversuche angeführt. 

Tier 1. Schwarzbrauner weiblicher Schnauzer. 

2. VIII. 1922. Operation in Äthemarkose. Mediane Laparotomie. Große 
Milz. Unterbindung von 4 großen Gefäßstämmen mit Catgut, Excision des unteren 
Milzendes nach Catgut umstechung. Eine Viertelstunde später Excision des an¬ 
schließenden Stückes. Dreiviertel Stunde später Exstirpation des Restes und 
Zerschäben, Einbringen in die Bauchhöhle. Schichtennaht der Bauch decken. 

10. VIII. 1922. Alle Nähte entfernt, glatter Heilverlauf. 

24. VIII. 1922. Relaparotomie dicht links vom alten Schnitt. Keinerlei Ver¬ 
wachsungen. Seitliches Bauchfell spiegelnd glatt und glänzend, ebenso der ge- 



Abb. 16. Typisches Milzgewebe: Bindegewebsbalken und Lympliocytenanhäufungen mit 
perforierenden exzentrisch liegenden Gefäßen. (Gezeichnet von Frl. A\ IVan^mw-Halle.i 


samte Darm, soweit er vorziehbar oder zu besichtigen ist. Die Gegend des Milz¬ 
stiels zeigt neben kleinen roten Blutpunkten einige etwa hirsekomgroße oder auch 
etwas größere bräunliche Knötchen und Flecke. Ein Teil des damit durchsetzten 
Netzes (Präparat I) wird mit 3 Unterbindungen ligiert und abgetrennt. In dem 
zurückgebliebenen Netzstumpf tastet man einige derbere Stellen, die nicht Drüsen 
sind, sondern sich wie infiltriertes und zusammengebackenes Netz anfühlen. Von 
einer Entfernung zur mikroskopischen Untersuchung muß abgesehen werden, 
da sonst die letzten bräunlichen Flecke mit verschwunden würden, die zur Kontrolle 
zurückblolben sollen. Von dem ausgestreuten Milzpreßsaft ist sonst nirgends mehr 
etwas nachzuw r eisen. Schluß der Bauchwumde. 

30. X. 1922. Große mediane Relaparotomie. An der Stelle des Milzstiels 
sieht man die gleichen Knötchen wie bei der letzten Operation, doch sind sie jetzt 
mehr rundlich und bläulich. Auch längliche, lymphdrüsengleiche Gebilde sind 
zu erkennen. Sichtbare Nebenmilzen fehlen; insbesondere ist auch die weitere 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 267 

Umgebung (Magen, Därme, übriges Netz, seitliche Bauchwand) völlig frei von 
abnormen Gebilden. Nur in der Schnittlinie der Bauchwunde findet sich an einem 
Netzzipfel ein kleines bläuliches Knötchen, das reseziert wird. Fast das ganze 
befallene Netzgebiet (Präparat H) wird entfernt, ebenso ein Stück Leber (Präpa¬ 
rat UI) unter Abschnürung und Umstechung reseziert. Schluß der Bauchwunde. 

Präparat I. Die kleinen umschriebenen bräunlichen Knötchen in dem bei 
der ersten Operation entfernten Netz zeigen mikroskopisch eine etwas verschiedene 
Beschaffenheit, teils mit deutlicher bindegewebiger Kapsel, teils ohne eine solche 
oder nur mit Andeutungen. Bindegewebstrabekel sind überall zu erkennen, 
ebenso Lymphocytenanhäufungen mit vereinzelten Gefäßen, während das eigent¬ 
liche Pulpagewebe an manchen Stellen gut erhalten, an anderen nicht mehr er¬ 
kennbar ist. Die Schnitte ähneln den von v. Stubenrauch abgebildeten. 

Präparat II. Die Knötchen aus dem bei der zweiten Operation entfernten 
Netz zeigen deutliches Milzgewebe mit fester bindegewebiger Kapsel, von der 
Trabekel in die Tiefe gehen, Pulpagewebe und Malpighische Körperchen um¬ 
schließend (siehe Abb. 16. Herr Geheimrat Bene he hatte die Liebenswürdigkeit, 
die histologischen Schnitte durchzusehen und die erhobenen Befunde zu be¬ 
stätigen). 

Präparat III. In der Leber findet sich die gewöhnliche Läppchenzeichnung 
ohne abnorme Zellanhäufungen oder Zellwucherungen. 

Tier 7. Gelber Dackel. 

24. VIII. 1922. Operation in Äthemarkose. Mediane Laparotomie. Keine 
Nebenmilz. 4 Seidenunterbindungen werden am Milzstiel angelegt, die beiden 
äußeren geknotet, während die 2 mittleren noch ungeknotet bleiben. Nun wird 
die Milz in der Mitte quer durchtrennt, es blutet lebhaft, hört aber sofort nach 
Anziehen der Fäden auf. Exstirpation der ganzen Milz und Ausstreuen von Pulpa¬ 
schabesaft wie von einzelnen kleinen Würfeln von Milzgewebe in der Größe von 
1 cm Länge, 1 / 2 bis 1 cm Breite und 1 f 2 cm Höhe. Nach Anlegung der ersten Bauch¬ 
deckennaht wird noch ein Stück Milz von l 1 / 2 : U/z : 1 / 2 cm Größe in die Bauch¬ 
wand eingeschoben. Darüber zweischichtige Naht. 

28. VIH. 1922. Allgemeinbefinden nicht gut, der Hund frißt nicht. 

3. IX. 1922. Exitus. Sektion: Kleine Infektion der Bauchwunde an der 
Stelle, wo das Milzstück implantiert worden war, doch kommt dieser Befund als 
Todesursache kaum in Betracht. Beide Ventrikel des Herzens völlig blutleer, 
Lungen o. B. Bauchfell glatt und spiegelnd. Der Magen und ein Teil der Därme 
sind stark gebläht. Der Magen ist mit dunkelschwarzen Massen, in denen sich 
noch Reis von der letzten Mahlzeit befindet, gefüllt. Im Netz sieht man noch 
einen dicken, von frischeren Blutungen durchsetzten Knoten, der der Unter¬ 
bindungsstelle entspricht. Von den eingepflanzten Milzteilen ist nirgends mehr 
auch nur eine Spur nachzuweisen. 

Tier 2. Hierüber wurde bereits S. 260 ausführlich berichtet. 

Tier 12. Ebenfalls schon S. 251 u. 261 aufgeführt. Das Tier starb im 
Januar 1923. Bei der Sektion zeigte sich nirgends im ganzen Bauchraum 
irgendwo ein angeheiltes Milzstück; das Bauchfell war überall spiegelnd und 
glänzend, die Unterbindungsstelle des Milzstiels ohne Besonderheiten. 

Epilcriti8ch wäre hierzu zu sagen, daß es uns in 3 Fällen nicht ge¬ 
lungen ist, das Anwachsen von frei ausgestreuten Milzteilen zu erreichen, 
obwohl die verschiedensten Versuchsanordnungen angewandt, kleinere 
wie größere Stücke ausgestreut, frisch abgetrennte wie schon während 


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J. Volkmann: 


des Eingriffs durch Sperrung der Blutzufuhr geschädigte benutzt wurden. 
Es wurde die ganze Milz entfernt, und es wurden auch Teile zurück¬ 
gelassen, wie das alles bei einer traumatischen Milzzerreißung (Fall 
Beneke) Vorkommen kann. Ferner bedienten wir uns im Gegensatz 
zu Eggers ausgewachsener Tiere, um die Möglichkeit günstigerer Wachs- 
tumsbedingungen im jugendlichen Alter (Roux) auszuschalten. Aber 
alles das war nicht ausschlaggebend, während es in dem ersten Fall 
unter sonst unveränderter Versuchsanordnung gelungen war, Auto¬ 
transplantate zur Anheilung zu bringen. Und doch zeigten sich wichtige 
Umgestaltungen im Bau der angesiedelten Knötchen insofern, als wohl 
das bindegewebige Gerüst der Balken gut erhalten, die Pulpa dagegen 
nur noch an einzelnen Stellen zu erkennen war. 

Auf einen Punkt sei noch hingewiesen, daß die Ansiedlung der Milz¬ 
teile nur in der Umgebung des Milzstiels erfolgte, obwohl die Aussaat 
auch zwischen die übrigen Darmschlingen und in die rechte Nieren¬ 
nische erfolgte. Ob man daraus auf eine örtliche Disposition schließen 
soll, muß ich in Anbetracht dessen unentschieden lassen, daß andere 
Beobachter derartige angesiedelte Knötchen auch anderswo in der 
Bauchhöhle gefunden haben. Doch sei nochmals darauf hingewiesen, 
daß Lüdke eine Einheilung der völlig exstirpierten Milz in ihrem früheren 
Bett erzielt hat. 

Hierher gehört als Beitrag aus der menschlichen Pathologie der 
Bericht Falt im von einer Milzruptur bei einem 9jährigen Knaben, 
wo bei der Splenektomie einzelne freie Stücke entfernt werden mußten. 
Als 6*/ 4 Jahre später eine Appendektomie gemacht wurde, fanden sich 
auf den Därmen polypöse Gebilde von braunroter Farbe. Ein exstir- 
piertes Knötchen zeigte mikroskopisch einen Bau, der als Zwischen¬ 
ding von Milz und Lymphdrüse aufzufassen war, die Pulpa unterschied 
sich von der Milz. Die Struktur ähnelte mehr einer Blutlymphdrüse, 
doch fehlte der bluthaltige Bandsinus, und die Lokalisation der Follikel 
war eine andere; ein Zusammenhang der Follikel mit den Arterien, 
der bei Haemolymphdrüsen vermißt wird, war wie bei der Milz an einigen 
Stellen vorhanden. Auch die Einteilung in Rinde und Mark, wie sie 
bei Blutlymphdrüsen da sein soll, fehlte. Zwischen den lymphoiden 
Elementen fanden sich Erythrocyten. 

Ein zweiter Fall, den von Stubenrauch veröffentlichte, betrifft einen 
jungen Mann mit Splenektomie bei traumatischer Milzzerreißung. 
10 Monate später machte sich wegen Heus eine erneute Operation nötig, 
wobei im Netz und auf der Serosa des Darmes zahlreiche Knötchen 
von braunroter Farbe gefunden wurden, die histologisch eine große 
Ähnlichkeit mit Milzgewebe darboten, wenn auch Endothelgitter 
nicht nachweisbar waren, die Follikel keine scharfe Abgrenzung und 
keine Centralarterie zeigten. Schließlich gehört der Fall Beneke insoweit 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 269 


hierher, als sich bei ihm auch zahlreiche Knötchen auf dem Darm 
fanden, die Milzgewebe enthielten. 

Tizzoni und Koatjurin fanden nach Splenektomie im großen Netz 
kleine milzähnliche Knötchen, die vielleicht Beziehungen zu phago- 
cytären Zellen hatten, wie sie nach Milzexstirpation beobachtet wurden. 

Schließlich nimmt Eggers auf Grund eigener Tierversuche einen 
besonderen Standpunkt ein. In seiner ersten Versuchsreihe stellte er 
fest, daß allerdings Milzgewebe autoplastisch zur Anheilung gebracht 
werden kann, daß aber über die Bedingungen zur Anheilung und die 
Lebensdauer der Transplantate übereinstimmende Kegeln noch nicht 
aufzustellen sind. Die Ansiedlung erfolgt in erster Linie im Netz, in 
dem umschriebene Veränderungen des Gewebsaufbaues ein treten. 
Doch ist die traumatische Entstehung nur dann wahrscheinlich, wenn 
die neuen Gebilde wirklich milzgleiche Struktur zeigen. Die weiteren 
Ansichten von Eggers sind im letzten Kapitel zu besprechen. 

Zu 4. Die Frage des Ersatzes der Milz durch andere Organe soll hier 
nur kurz gestreift werden, da sie außerhalb des Bereiches unserer eigenen 
Untersuchungen liegt und in ihrer Beurteilung bei den noch mangel¬ 
haften Kenntnissen über die verschiedenen Funktionen der Milz auf 
besondere Schwierigkeiten stößt. Schminclce hat vor einiger Zeit eine 
übersichtliche Zusammenstellung über die Physiologie und Pathologie 
der Milzfunktion gegeben, worauf ich besonders hinweisen möchte. 
Auch Eppinger bespricht diese Fragen eingehend und weist auf die ver¬ 
schiedenen sich widersprechenden Angaben der Verfasser hin, wonach 
bei Mensch und Tier (Freytag: Kaninchen; Tizzoni und Filetti) nach 
der Milzexstirpation wiederholt eine vikariierende Schwellung der 
Lymphdrüsen (Hodenpyls Fall wegen Tuberkulose nicht einwandfrei!) 
aufgetreten sei, was dagegen Port für das Kaninchen ablehnt. Noch recht 
in Dunkel gehüllt sind die Beziehungen zum Knochenmark wie angeblich 
an der Schilddrüse beobachtete Veränderungen. Dagegen wird von 
den verschiedensten Untersuchem (Oriinberg, Morandi , Sisto, Wino- 
gradow) berichtet, daß sie nach Splenektomie intensivere Färbung 
und Hypertrophie der sogenannten Haemolymphdrüsen beobachteten, 
was wieder andere ablehnen. Wie weit also diese Organe für den Milz¬ 
ersatz von Bedeutung sind, ist noch unsicher. Sie haben aber infolge 
ihres milzähnlichen Baues zu Verwechslungen Anlaß gegeben und 
spielen eine Rolle bei der Frage nach der wirklichen Neubildung von 
Milzen. 

Zu 6. Wie weit überhaupt eine solche völlige Neubildung von Milz- 
gewebe aus dem Mutterboden der Milz, dem Mesenchym der visceralen 
Bauchfellplatte, möglich ist oder ob sich auf diesem Wege wenigstens 
fehlerhafte Ersatzbildungen entwickeln können, ist noch nicht bestimmt 
entschieden. Zuerst sei noch erwähnt, daß Tonleoff den Ursprung der 


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J. Volkmann: 


Milz von einer Verdickung herleitet, die beim Embryo im Mesenchym 
unter dem visceralen Cölomepithel des Mesenterium dorsale des Darm¬ 
kanals beobachtet wurde. — 

Die Meinungen über Milzneubildungen stehen sich also noch ent¬ 
gegengesetzt gegenüber. 

Peyrani konnte nach völliger Milzexstirpation keine Regeneration 
feststellen, auch Ceresoie nicht, obwohl er sich junger Hunde bediente. 
Im gleichen Sinne äußern sich Eppinger, Foä, Kreuter, Philippeau 
(in seiner zweiten Arbeit), Port —letzterer nach Versuchen an Kaninchen 
— und Tiffoni. 

Tizzoni und Oriffini hingegen schreiben von neugebildeten Milzen 
im Netz des Hundes. Da nun ersterer und später Kostjurin phagocytäre 
Zellen im großen Netz beobachteten, so vermuten sie einen Zusammen¬ 
hang dieser mit den nach Splenektomien auftretenden Milzen. 

Ebenso fand Etemod bei einem Fuchs 161 Tage nach der Splenektomie 
einen runden zweilappigen Milzknoten, den aber (ebenso wie die Be¬ 
funde von Tizzoni und Oriffini) HeUy für Blutlymphdrüsen hält. Minde¬ 
stens ebenso nahe liegt aber die Annahme, daß es sich um übersehene 
und später gewachsene Nebenmilzen oder zurückgelassene vergrößerte 
Teile der ursprünglichen Milz handelt. 

Mossler gelang es unter 50 Milzexstirpationen kein einziges Mal, 
neugebildete Organe in der Bauchhöhle nachzuweisen. Die in einem 
Fall beobachteten dunkelroten linsen- bis erbsengroßen Knoten, die 
das ganze Netz übersäten und ihrem Äußern nach sowie auf dem Durch¬ 
schnitt mit Milzgewebe große Ähnlichkeit hatten, bezeichnet« M. Roth 
nach mikroskopischer Untersuchung als pathologische Bildungen und 
zwar als teleangiektatisch-haemorrhagische Lymphome. Ob hier 
Blutlymphdrüsen oder Gebilde mit starkem Blutkörperchenabbau, 
also gewissermaßen funktionelle Milzersatzorgane, Vorlagen, muß 
heute unentschieden bleiben, da in der Mitteilung Abbildungen und 
nähere histologische Angaben fehlen. 

In anderer Weise deutet FaUin seine Beobachtungen am Menschen, 
die wir oben als traumatische Aussaat aufgefaßt haben. Er glaubt, 
daß dem Bauchfell milzbildende Eigenschaften inne wohnen. Ob das, 
was nun nach Splenektomie entsteht, als Milzanlage oder Haemolymph- 
drüse bezeichnet wird, ist bloß Sache der Benennung. Jedenfalls sieht 
er seine Organe weder ganz für Milzen noch für Blutlymphdrüsen an, 
vergleicht sie aber mehr den ersteren. So kommt er zu der Annahme, 
daß hier atavistische, kompensatorische Einflüsse eine Rolle spielen. 
(Von Helly wird diese Annahme abgelehnt.) 

Auf einem ähnlichen Standpunkt steht von Stubenrauch, der die 
sowohl bei dem von ihm operierten Patienten wie beim Tier gefundenen 
Neubildungen als milzähnliche Splenoide bezeichnet und gegenüber 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 271 

den Verfechtern einer traumatischen Genese (Kreuter usw.) deren Er¬ 
klärungen für nicht besser bewiesen ansieht als seine eigenen. Auch 
in diesem Falle treten Beneke-OÜmanns und Kreuter für eine Auto¬ 
transplantation ein, und ich möchte mich ihrer Meinung anschließen, 
obwohl es mir ebenfalls nur in einem Fall gelungen ist, versprengte 
Milzteile zur Anheilung zu bringen. 

Anders äußert sich dagegen Eggers, der unter einer Anzahl von Tier¬ 
versuchen, die zum Teil schon früher erwähnt wurden, folgendes fest¬ 
stellte: Es hatte sich einmal bei einem Hund nach 153 Tagen ein milz¬ 
ähnliches Gebilde (Splenoid) gefunden, das mit den von Faltin und 
von Stubenrauch beschriebenen weitgehende Ähnlichkeit zeigte. Man 
kann es als Ersatzbildung für die exstirpierte Milz ansehen und muß 
seine Entstehung in das subseröse Gewebe des Bauchfells verlegen, 
wo es sich aus einem Bluterguß entwickelt hat, der zwischen die Zellen, 
die um Gefäße adenoider Gewebskomplexe entstanden sind, stattfindet 
und dem Abbau anheim fällt. Bei anderen Versuchstieren fand Eggers 
jedoch keine derartigen Veränderungen. Er schließt sich damit für ge¬ 
wisse Fälle der Meinung FdUins und von Stubenrauchs an und gibt die 
Entstehung milzähnlicher Gebilde aus dem Netz zu. 

Um mir ein eigenes Urteil, wenigstens in bescheidenem Maße bilden 
zu können, habe ich einige Tierversuche in der gleichen Weise wie Eggers 
und Kreuter angestellt. 

Tier 11. Schwarz und grauweiß gefleckte Hündin. 

10. X. 1922. Operation in Äthemarkose. Linksseitiger Querschnitt durch 
den M. rectus, da in der Mittellinie noch Fisteln von früheren Magenoperationen 
bestehen. Verwachsungen mit der vorderen Bauchwand. Milz mit einigen steck¬ 
nadelkopfgroßen Abscessen. Sie wird nach partienweiser doppelter Unterbindung 
des Gekröses mit Seide entfernt, ohne daß das Organ irgendwie verletzt wird. 
Im Mesenterium haben sich allerdings einige kleine Blutaustritte nicht vermeiden 
lassen. Dreischichtennaht der Bauchdecken. 

6. XI. 1922. Linksseitige Relaparotomie mit Längsschnitt durch den Rectus. 
Der Milzstiel ist verdickt fühlbar, an ihm sowie dem Netz sind keinerlei Verände¬ 
rungen zu bemerken. Auch das Bauchfell der Därme und der seitlichen Bauchwand 
zeigt nichts Abnormes. Zwei Stücke vom Netz werden entnommen, Schichten¬ 
naht. Ein frisches Präparat vom Netz zeigt einen wabigen Bau, die Gefäße gut 
gefüllt. Irgendwelche Zellanhäufungen oder pathologische Zellen sind nicht fest¬ 
zustellen. Ein gehärtetes und gefärbtes Präparat läßt ebenfalls keinen anderen 
Befund erheben. 

2. II. 1923 Rdaparotomie zeigt keine milzähnlichen Gebilde. 

Die weiteren Tierversuche wurden bereits oben erwähnt, und zwar: 

Tier 9 S. 263. 

Tier 6 S. 261. 

Tier 2 S. 260. 

Aus diesen Versuchen ergibt sich in Übereinstimmung mit der weit 
überwiegenden Mehrzahl der Beobachter, daß sich nach völliger Ent¬ 
fernung der Milz keinerlei milzähnliche Neubildungen gezeigt haben. 


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272 


J. Volkmann: 


Die einzelnen Befunde wurden bei den Tieren 9, 6, 2 und 11 nach 2,10, 15, 
27 und 115 Tagen erhoben. Auch die zum Teil vorgenommenen Unter¬ 
suchungen der Leber (Tier 2) und des Netzes (Tier 2 und 11) zeigten 
keinerlei pathologische Veränderungen. Wie weit im Vergleich damit 
der Befund von Eggers zu bewerten ist, ist schwer zu sagen. Wir müssen 
für seine Beobachtungen ebenso wie für die von Stubenrauchs doch wohl 
noch nach anderen Ursachen für ihr Entstehen (traumatische Ver¬ 
sprengung?) suchen, zum mindesten müßte allerdings ebenso wie für 
die Anheilung autotransplantierter Teile erst einmal gefordert werden, 
daß es im Tierversuch gelingt, die primäre Einheilung oder verschiedene 
Stadien des Wachstums in ununterbrochener Folge und ihre pro- oder 
regressive Entwicklung nachzuweisen, worüber zur Zeit der Streit 
noch zwischen Kreuter und von Stvhemrauch geht. 

Zusammenfassung. 

1. Die Milzgefäße, insbesondere die Arterien, teilen sich in 3 chirur¬ 
gisch wichtigen Arten auf, von denen die erste Aufteilung bereits in 
oder hinter der Bauchspeicheldrüse beginnt, die zweite in dem gesamten 
Zwischenraum zwischen Pankreasschwanz und Milzhilus stattfindet 
und die dritte bei einem sehr langen gemeinsamen Stamm bis zum Hilus 
hin erst an der Milzpforte selbst erfolgt. 

Jede dieser Formen hat ihre eigene Bedeutung für die operative Zu¬ 
gänglichkeit der Gefäße bei Unterbindungen, Resektionen und Splen- 
ektomien. 

II. A. Die weitere Verteilung der Arterien in der Milz auf einzelne Lap¬ 
pen oder Segmente erlaubt, unter Schonung der Hauptäste Teile der Milz 
zu resezieren, wofür verschiedene Nahtmethoden angegeben werden, und 
die günstigste Stelle für die Einheilung eines Transplantats zu wählen. 

B. Während die Unterbindung des gesamten Gefäßstiels fast stets 
Nekrose der Milz hervorruft, führt die dauernde Unterbindung von 
Arterien (oder Venen) zu Atrophie. Die zeitweise Abklemmung erlaubt 
beim Menschen wie im Tierversuch Eingriffe an der Milz (Naht des 
zerrissenen Organs, Resektion von Zysten und umschriebenen Ge¬ 
schwülsten) unter Blutleere auszuführen. 

III. 1. Nach Resektion eines mehr oder weniger großen Stückes 
der Milz kann eine Regeneration von dem Stumpf aus erfolgen. 

2. Bei völliger Milzentfemung vergrößern sich vorhandene Neben¬ 
milzen. 

3. Eine Anheilung traumatisch versprengter Milzteile gelingt hin und 
wieder, aber unter Bedingungen, die im einzelnennoch nicht bekannt sind. 

4. Über den Ersatz der Milzfunktion durch andere Organe sind 
wir noch nicht genügend unterrichtet, um zu einem abschließenden 
Urteil gelangen zu können. 


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Anatomische und experimentelle Beiträge zur konservativen Milzchirurgie. 273 

5. Eine Neubildung von Milzen aus dem Mutterboden ist bisher 
nicht bewiesen. 

Wenn so die kritische Wertung der Erfahrungen anderer und unsere 
eigenen Versuche nur als ein kleiner Beitrag zur konservativen Behand¬ 
lung chirurgischer Milzerkrankungen betrachtet werden dürfen, er¬ 
öffnen sich doch vielleicht einige Aussichten für die Zukunft, indem sie 
helfen, den Wert anscheinend imwichtiger Organe nicht zu unterschätzen. 
Sie kommen dabei dem Bestreben entgegen, sich neben dem kühnen 
Angreifen selbst der lebenswichtigsten Zentren auch mit den Fragen 
einer mehr physiologischen Chirurgie, wenn dieses Wort erlaubt ist, 
zu beschäftigen und damit Wege zu gehen, wie sie uns von Bier und 
seiner Schule gezeigt worden sind. 


Literaturverzeichnis. 

Die gesamte Literatur bis 1920 findet sich bei: Hirschfeld, Die Erkrankungen 
der Milz. Berlin 1920. — Eppinger und Banzi, Die hepatolienalen Erkrankungen. 
Berlin 1920. — Außerdem wurden benutzt: Corning, Lehrbuch der topographischen 
Anatomie. 5. Aufl. — Eggers, Studien zur Frage der Entstehung milz&hnlicher 
Neubildungen usw. Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 114. — EUenberger und Müller, 
Handbuch der vergleichenden Anatomie der Haustiere. 8. Aufl. — EUenberger 
und Baum, Systematische und topographische Anatomie des Hundes. Berlin 
1891. — Herfarih , Beiträge zur Chirurgie der Milz. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chirurg. 128. — Hüdebrand, Über die Methode, durch Einbringen von schatten¬ 
gebenden Flüssigkeiten Hohlorgane des Körpers im Röntgenogramm sichtbar zu 
machen. Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. 11. — Knauer bei Lexer, Die freien 
Transplantationen. Neue dtsch. Chirurg. 28a. — Kocher, Th,, Versuche über die 
Bedingungen erfolgreicher Schilddrüsentransplantationen. Langenbecks Arch. f. 
klin. Chirurg, 185. — Kotzenberg, Transplantation von Schilddrüse in die Milz 
und das Knochenmark. Med. Klinik 1913, Nr. 12. — Kreuter, Experimente über 
die Entstehung der sog. Nebenmilzen nach Milzverletzungen. Zentralbl. f. Chirurg. 
1919, Nr. 29. — Kreuter, Experimentelle Untersuchungen über die Entstehung 
der sog. Nebenmilzen, insbesondere nach Milzverletzungen. Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chirurg. 128. — Lotsch, Blutleere Milzoperation. 47. Tagung der Deutschen Gesell¬ 
schaft f. Chirurg. — Mac Adam Ecdes, Enlargement of a splenculus to the side of 
a normal Spleen after removal of a ruptured spieen ten jears previously. Brit. med. 
joum. 1921, Nr. 3170, S 515; Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 174. — Mahler, L ., Über 
hämolytischen Ikterus und seine chirurgische Behandlung. Inaug.-Diss. Halle 
1923. — Martens, Anatomische Grundlagen für Resektionen an der Leber. Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chirurg. 128. — Mulley, Ein Fall von Aneurysma der Arteria 
lienalis, geheilt durch Splenektomie. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 111. — Nishi- 
kawa und Takagi, Veränderungen in der Leber nach Splenektomie. Dtsch. med. 
Wochenschr. 1922, Nr. 32. — Oltmanns, Über einen Fall von traumatischer Milz¬ 
ruptur mit multiplen Regenerationswucherungen. Inaug.-Diss. Halle 1919. — 
Pennato, Wuchernde Nebenmilz. Rif. med. Jahrg. 37, Zentralorgan 1923 — 
Pigache and Worms, bei Sobotta . — Sobotta, Anatomie der Milz in K. v, Barde¬ 
leben, Handbuch der Anatomie des Menschen 25. — Ssoson-Jaroschewitsch, Die 
äußere Architektur der Milzarterien. Nowy Chirurgischeski Archiv 1. Ref. Zen¬ 
tralorgan 18, 284. — Schmincke, Über die normale und pathologische Funktion 
der Milz. Münch, med. Wochenschr. 1916, Nr. 28—31. — Schönbauer, Experi- 

Archiv l klin. Chirurgie. 125. 


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274 J- Volkmann: An&t u. experiment Beiträge z. konservativen Milzchirurgie. 

ment eile Untersuchungen über die Beziehungen der akuten Anämien und der 
Milzexstirpation zur Callusbildung. Langenbecks Archiv f. klin. Chirurg, ltl — 
v. Stubenrauch , Verlust und Regeneration der Milz beim Menschen. Bruns’ Beitr. 
z. klin. Chirurg. 118 . — v. Stubenrauch , Zur Milzchirurgie (Die Ligatur der Arteria 
lienalis). Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 112. — Tietze und Winkler, Uber einige Fälle 
von Cholangitis (Beziehungen zu den Splenomegalien und der akuten gelben 
Leberatrophie). Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 121. — Voelcher, Über hämo¬ 
lytischen Ikterus. VerhandL d. 43. Tagung d. dtsch. Ges. f. Chirurg. 1 , 110. 
1920. — Volkmann , Joh. 9 Zur chirurgischen Anatomie der Milzgefäße. ZentrabL 
f. Chirurg. 1923, Nr. 11. — Wendel, Über Leberlappenresektion. Langenbecks 
Arch. f. klin. Chirurg. 114 . — Wendel , Über das Aneurysma der Milzarterie und 
seine Beziehungen zur Milzvenenenthrombose. ZentralbL f. Chirurg. 1923, Nr. 10, 
S. 419. 2. mitteldtsch. Chirurgentagung 19. XI. 1922. — Winkler, Ein Fall von 
Milzexstirpation wegen Aneurysma der Arteria lienalis. ZentralbL f. Chirurg. 
1906, Nr. 10. 


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(Aus der Kaiser Wilhelms - Akademie für ärztlichsoziales Versorgungswesen. 
[Wissenschaftlicher Leiter: Prof. Dr. Konrich, Ober-Regierungsmedizinalrat.]) 

Über Nachsterilisierung von Catgnt. 

Von 

Prof. Dr. F. Konrich. 

(Eingegangen am 16. April 1923.) 

Wiederholt waren über die Beschaffenheit des Catguts von chirur¬ 
gisch tätigen Ärzten in den Versorgungskrankenhäusern Klagen erhoben, 
die in der Hauptsache mangelnde Keimfreiheit betrafen. Sehr umfang¬ 
reiche hier vorgenommene Nachprüfungen ergaben, daß in der Tat 
ein Teil des trocken sterilisierten und in Papierpackung aufbewahrten 
Nähdarms keimhaltig ist, besonders der im Krieg hergestellten großen Be¬ 
stände. Bevor die wertvollen Vorräte vernichtet wurden, sollte versucht 
werden, sie zuverlässig nachzusterilisieren. 

Von chirurgischer Seite waren dafür 3 Verfahren vorgeschlagen 
und auch bereits in der Praxis angewandt worden. Es sollte geprüft 
werden, ob die Verfahren bakteriologisch einwandfrei arbeiteten, und 
welchem Verfahren im allgemeinen der Vorzug zu geben sei. 

Die Verfahren sind: 

1. Nach Claudius: Das Catgut wird 8 Tage in eine Lösung von 
Jod 1,0 — Jodkali 2,0 — Wasser ad 100,0 (Lugolsche Lösung) gelegt. 
Dann soll es keimfrei sein, es bleibt bis zum Gebrauch in der Lugolsehen 
Lösung liegen, die vor der Benutzung mit Carbolwasser oder sterilem 
Wasser abgespült werden kann. Der Nähdarm wird angeblich durch 
das Liegen in der Lösung brüchig, ein Übelstand, der vermeidbar 
sein soll, wenn die Fäden auf Glaswickeln straff gespannt in der Jod¬ 
lösung aufbewahrt werden. 

2. Nach Braun-Melsungen: Das Catgut wird in eine Lösung von 
Jod 2,0 — Jodkali 4,0 — Aq. dest. 600,0 — Alkohol 600,00 gelegt. 
Die Fadenstärken von 000 bis 0 einschließlich müssen bis zur sicheren 
Keimfreiheit darin mindestens 24 Stunden bleiben, die Verweildauer 
nimmt bei jeder Fadenstärke um 24 Stunden zu. Die Fäden werden 
vor dem Gebrauch in Alkohol abgespült. 

3. Nach Heusner: Das Catgut wird in eine Lösung von Jod 3,0 — 
Benzin 225,0 — Paraffin liquid. 75,0 gelegt, bleibt darin „mehrere“ 

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276 


F. Konrich: 


Tage, zum Gebrauch wird es unmittelbar aus der Flüssigkeit entnommen, 
in der es fadenweise oder auf Glasrollen aufgespult aufbewahrt wird. 

Der wirksame, keimtötende Stoff ist in allen 3 Lösungen im wesent¬ 
lichen das Jod, dessen starke desinfizierende Eigenschaften ja allgemein 
bekannt sind. Sehr verschieden ist hingegen das Lösungsmittel für 
das Jod — in einem Fall wäßrige Jodkalilösung, im anderen verdünnter 
Alkohol, im 3. Benzin. Dem verdünnten Alkohol der Braunachen Lösung 
kommt noch ein gewisser, desinfizierender Einfluß zu, dem Benzin 
hingegen gar keiner. 

Die Chirurgen, die die Lösungen von Braun und Heusner empfehlen, 
scheinen ihres Sterilisierungsverfahrens doch nicht ganz sicher zu sein. 
Denn der eine scheidet Catgutpackungen aus, die vor dem Jahre 1918 
angefertigt sind, der andere solche, deren U mhüllung darauf schließen 
läßt, daß sie einmal durchfeuchtet worden sind. 

Diesen Standpunkt kann naturgemäß die bakteriologische Prüfung 
nicht einnehmen. Sie muß vielmehr verlangen, daß ein Entkeimungs¬ 
verfahren jeden Nähdarm zuverlässig sterilisiert, gleichgültig, ob er 
schwach oder stark infiziert ist. Die Prüfung ist daher auch auf zweierlei 
Arten erfolgt. Zunächst wurden die Fäden steril den Packungen ent¬ 
nommen und mit den Lösungen behandelt. Dabei konnte es Vorkommen, 
daß die Proben, die willkürlich ausgewählt wurden, keimfrei oder doch 
nur zum kleinsten Teil keimhaltig waren. Dies Ergebnis der Sterili¬ 
sierung durch die 3 Lösungen konnte infolgedessen als entscheidend nicht 
gelten. Es wurde deshalb eine zweite Art der Prüfung ausgeführt, an 
Fäden, die ohne Rücksicht auf Sterilität den Papierumhüllungen ent¬ 
nommen und dann zuerst noch künstlich möglichst stark infiziert wurden. 

Das geschah in der Weise, daß die Fäden 2 Stunden in eine dichte 
wäßrige Aufschwemmung von Erdbacillensporen, die ihrer sehr hohen 
Resistenz wegen gewählt wurden, eingeweicht und hiernach bei Zimmer¬ 
temperatur etwa 24 Stunden bis zur völligen Trockenheit aufbewahrt 
wurden; erst dann kamen sie in die Sterilisierlösungen. 

Da das Ergebnis der Prüfung auf Keimfreiheit von der Art des 
Nährbodens, in denen die Fäden nach der Einwirkung der Sterilisierung 
bebrütet werden, im wesentlichen Grade abhängt, werde jede Probe 
in 3 verschiedenen Nährböden untersucht, nämlich 1. gewöhnlicher 
Bouillon, 2. 1 % Traubenzuckerbouillon, 3. Bouillon mit 1 / i % Natrium¬ 
thiosulfat. Letzteres ist theoretisch nach mehrfachen Angaben bei 
jodiertem Desinfektionsgut empfehlenswert, weil die geringen Mengen 
von Jod, die den Fäden anhaften, die Entwicklung von Keimen ver¬ 
hindern und somit ein falsches Ergebnis der Versuche Vortäuschen 
können. In der Thiosulfatbouillon entfärben sich die Fäden in wenigen 
Sekunden zum Zeichen, daß das Jod in die nicht desinfizierende Jod¬ 
natriumverbindung übergegangen ist. 


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Über Nachsterilisierung von Catgut. 


277 


Die sterilisierten Proben wurden 8 Tage im Brutschrank gehalten 
und täglich nachgesehen. Längere Beobachtung ist praktisch zwecklos. 

Fast alle Versuche wurden mit den Catgutstärken: fein — mittel — 
stark vorgenommen. 

Die folgende Übersicht zeigt die Gesamtheit aller bakteriologischen 
Versuche: 


Lösung 1 (Lugolsche Lösung). 


Catgut steril entnommen. 



Bouillon 

Davon 

1% Trauben- 
tuekerbouiüon 
untersucht 

Davon 

*/a % Natrium- 
thioeulfat * 

Davon 

1 

untersucht 

keim- 

keim- 

bouillon 

keim- 

j 


haltig 

haltig 

untersucht 

haltig 


Probenzahl 


Probenzahl 


Probenzahl 


Catgut mittel . . 

75 


75 


75 


Catgut stark . . | 

73 


73 


73 



Catgnt stark infiziert. 




Catgut fein . . . 

175 ! 

! 3 

175 

3 

175 

3 

Catgut mittel . . 

197 


197 


197 


Catgut stark . . 

150 


150 


150 



Lösung 2 (50% JodalkohoUösung). 


Catgut steril entnommen. 


Catgut fein . . . 

90 

1 

90 


90 

Catgut mittel . . 

97 

I 

97 


97 

Catgut stark . . 

94 

1 

94 


94 



Catgut stark infiziert. 



Catgut fein . . . | 

1 162 

| 132 

162 

162 

162 

Catgut mittel . . 

150 

1 28 

150 

77 

150 

Catgut stark . . 

120 

1 57 

120 

74 

120 


Lösung 3 (Jodbenzin). 
Catgut steril entnommen. 


Catgnt fein . . . 

95 

3 

95 

2 

95. 

Catgut mitte] . . 

87 

1 

87 

1 

87 

Catgut stark . . 

90 

2 

90 

2 

90 


Catgut stark infiziert. 


Catgut fein . . . 

133 

106 

133 

1 H4 

133 

Catgut mittel . . 

89 

54 

89 

69 

89 

Catgut stark . . 

89 

62 

89 

! 85 

89 


Hieraus geht eindeutig hervor: 

1. Praktisch sterilisiert nur die Lugolsche Lösung. 

2. Die Jodalkohol- und Jodbenzinlösung versagen in der Sterili¬ 
sierung so oft, daß sie als unbrauchbar zu bezeichnen sind. 

3. Die Prüfung der 3 Lösungen an künstlich nicht infizierten Fäden 
ist unbrauchbar, da Keimfreiheit auch gegenüber voll resistenten Keimen 
verlangt werden muß, die an den auf trockenem Wege sterilisierten 


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278 


F. Konrich: 


Fäden nicht zu erwarten sind; dies Ergebnis führt also zu einem wesent¬ 
lichen Teile irre. 

4. Der beste Nährboden für die Nachkultur ist Bouillon mit 1% 
Traubenzucker. 

5. Die Thiosulfatbouillon hat entgegen der Erwartung sich am 
wenigsten geeignet erwiesen. Die mit den Fäden übertragenen geringen 
Jodmengen hemmen also die Keimentwicklung nicht. 

Praktisch kommt hiervon nur in Betracht, daß allein die Lugol sehe 
Lösung für die Sterilisierung brauchbar ist. Freilich hat auch sie bei 
3 Proben von insgesamt 522 (= 0,75 %) Keimfreiheit nicht erzielen 
können. Es läßt sich nicht ermitteln, wie das kommt. Entweder hat 
es sich um ganz ungewöhnlich widerstandsfähige Keime gehandelt, 
oder die Jodlösung hat nicht oder nicht genügend an sie herankommen 
können. Für die Praxis dürfte es keine Besorgnis rechtfertigen, daß 
sehr selten Keime von der Lugol sehen Lösung nicht vernichtet werden, 
zumal durch längere Einwirkungsdauer die Leistung der Lösung erhöht 
wird, weil der Faktor c. t. (Konzentration mal Zeit) die Wirkung be¬ 
stimmt. Die untersuchten Proben hatten 8 Tage in der Lösung gelegen. 
Für den chirurgischen Betrieb bedeutet es sicher keinerlei Schwierig¬ 
keiten, die Fäden 14 Tage oder länger in der Jodlösung zu lassen. 

Die verschieden sterilisierende Leistung der 3 Lösungen ist nicht 
überraschend. Wir wissen, daß alle unsere chemischen Desinfektions¬ 
mittel weitaus am besten in wäßriger Lösung wirken. Es war daher 
von vornherein ein Fehler, zum Lösen des Jodes Benzin oder verdünnten 
Alkohol zu verwenden. Der Fehler vergrößert sich durch die nicht 
günstige Einwirkung dieser Lösungsmittel auf die Fäden. Der Nähdarm 
besteht der Hauptsache nach aus glatten Muskelfasern, demnächst 
aus Bindegewebe. Beide Gewebsarten werden durch Alkohol und durch 
Benzin durchaus nicht aufgeweicht, und infolgedessen kann das in 
ihnen gelöste Jod den Nähdarm schlecht durchdringen. Die wäßrige 
Lugol sehe Lösung hingegen bringt die Zellelemente zum Quellen, und 
dadurch ist die Tiefenwirkung des Jods überhaupt erst möglich. 

Die mechanische Beschaffenheit der Fäden ist demgemäß nach 
Behandlung mit den 3 Lösungen auch ganz verschieden. Der Faden 
aus der Lugollösnng ist vollkommen weich, knotet sich gut und ist 
durch seine gewisse Weichheit für den knüpfenden Finger angenehm. 
Die Fäden aus den beiden anderen Lösungen sind dagegen drahtartig, 
federnd, knüpfen sich schlechter und sind für die Hand des Chirurgen 
weniger angenehm. Bei der Jodbenzinlösung ist der Zusatz von flüssigem 
Paraffin, der sich darin befindet, eine weitere unangenehme Zugabe; 
denn er macht die Finger schlüpfrig, zumal das Paraffin sich weder 
durch Abwischen ganz entfernen noch auf chemischen Wege leicht 
beseitigen läßt, weil es sich in Seife nicht löst. Zu Xylol oder einem 


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Über Nachsterüisierung von Catgut. 279 

anderen paraffinlösendem Mittel wird aber der Chirurge schwerlich 
greifen. 

Die Verwendung von Alkohol, Benzin und flüssigem Paraffin be¬ 
deutet ferner eine Verteuerung; die wäßrige Lösung ist naturgemäß 
am billigsten. Auch bedeutet die Flüchtigkeit des Alkohols und mehr 
noch des Benzins einen weiteren Nachteil. Auch von diesem Gesichts¬ 
punkte aus verdient die Lugolwhe Lösung den Vorzug. 

Da der Nähdarm besonders wegen seiner Eigenschaft, resorbiert 
zu werden, Anwendung findet, so ist es wahrscheinlich, daß der ge« 
quollene Faden aus der Lugol sehen Lösung hierin demjenigen aus den 
beiden anderen Lösungen überlegen ist. Bei der Jodbenzin-Paraffin¬ 
lösung dürfte außerdem das Paraffin, dessen schwere Resorbierbarkeit 
ja bekannt ist, diese Eigenschaft verringern. Es ist nicht von der Hand 
zu weisen, daß gelegentlich Eiterungen nach Benutzung trocken steri¬ 
lisierten Catguts nicht durch Keime, die an dem Faden haften, zu¬ 
stande gekommen sind, sondern durch mangelnde Resorbierbarkeit. 

Neben der sicheren Keimfreiheit ist für den Chirurgen die Festigkeit 
des Nähdarms besonders wichtig. Es durfte angenommen werden, 
daß die aufweichende Wirkung der Lugolachen Lösung die Festigkeit 
der Fäden verändern würde. Um hierüber Aufschluß zu erhalten, 
sind an unbehandelten und mit den Sterilisierlösungen behandelten 
Fäden zahlreiche Reißversuche gemacht worden. Dabei sind die Fäden 
teils geknotet, teils ungeknotet belastet worden, auch sind die Fäden 
teils gespannt, teils ungespannt in der Lugolachen Lösung belassen 
und dann auf Reißfestigkeit geprüft worden, da von chirurgischer Seite 
angegeben war, daß man sie gespannt in Lugollösung legen müsse, 
da sie sonst brüchig würden (was wohl heißen soll: zu leicht durch¬ 
reißen; denn brüchig werden sie in der Lugollösung nicht, sondern 
im Gegenteil geschmeidig und weich). 

Die Reißversuche sind an den 3 Catgutsorten: fein — mittel — 
stark ausgeführt worden. Regelmäßig zeigte sich, daß die Reißfestigkeit 
bei der gleichen Fadenstärke außerordentlich verschieden war. Das 
trocken sterilisierte Catgut hatte folgende Reißzahlen (Belastung 
in Kilogramm, bei der der Faden riß): 



j Catgut fein j 

Catgut mittel j 

Catgut stark 


un¬ 

geknotet 

geknotet 

un¬ 

geknotet 

geknotet 

un¬ 
geknotet | 

| geknotet 

Anzahl der Proben . . 

20 

10 

20 

10 

20 

10 

Elleinste \ Reiß- / ■ - 

0,920 kg 

0,920 kg 

2,240 kg 

1,720 kg 

2,920 kg 

2,800 kg 

Größte > festig:- < . . 

3,160 kg 

2,260 kg 

6,180 kg 

3,220 kg 

9,200 kg 

5,820 kg 

Mittlere ) keit l . . 

1,886 kg 

1,332 kg 

3,695 kg 

2,222 kg 

5,435 kg 

3,772 kg 


Bei den geknoteten Fäden riß das Catgut hierbei stets unmittel¬ 
bar am Knoten, was dafür spricht, daß der spröde Faden durch das 


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280 


F. Konrich: 


Knoten beschädigt wird — bei seiner Starrheit ein einleuchtender 
Vorgang. 

Da die Fäden sowohl in der wäßrigen Lösung von Lugol wie im Kör¬ 
per quellen, war es von Wert, festzustellen, wie die Festigkeit der Fäden 
nach der Wasseraufnahme sich verhielt. 

Der oben wiedergegebene Versuch wurde daher mit Fäden, die 24 Stun¬ 
den, manchmal sogar länger in Wasser gelegen hatten, wiederholt. 




Catgut fein ] 

Cat gut mittel 

Catgut stark 


i 

un- 

geknotet 

geknotet 

an¬ 

geknotet 

geknotet 

an¬ 

geknotet 

geknotet 

1 

Anzahl der Proben . . } 

10 

10 

10 

10 

10 

10 

Kleinste ] 

Reiß- f . . 

0,300 kg 

0,560 kg 

1,200 kg 

0 780 kg 

1,780 kg 

1,120 kg 

Größte } 

- festig- | . . 

1,660 kg 

1,660 kg 

3,280 kg 

1,900 kg 

6,560 kg 

5,080kg 

Mittlere J 

keit l . . 

1,042 kg 

1,142 kg 

1,932 kg 

1,460 kg 

4,222 kg 

2,850 kg 


Die Beißzahlen lagen bei den geknoteten Fäden: 

Bei Catgut fein mittel stark 

am Knoten.7 mal 8 mal 3 mal 

nicht am Knoten . . . 3 „ 2 „ 3 „ 

Die Aufweichung des Fadens offenbart also 1. die schwächste Stelle 
des Fadens und 2. daß der Knoten dem weichen Faden begreiflicher¬ 
weise viel weniger zusetzt als dem harten. 

Die Reißfestigkeit ist bei gleichen Fadenstärken außerordentlich 
verschieden, die Eckzahlen verhalten sich beim trockenen Catgut 
in ungeknotetem Zustande rund wie 1 : 3, beim geknoteten rund wie 
1 :2, beim gewässerten Catgut im ungeknoteten Zustande rund wie 
1 :5 (fein), 1 :3 (mittel), 1 :4 (stark) und im geknoteten rund wie 
1: 3 (fein und mittel), 1 : 5 (stark). Die Aufweichung setzt die Rei߬ 
festigkeit in den verschiedenen Fadenstärken ungleich, im Durchschnitt 
aber doch auf die Hälfte herab. 

Wie verhält sich nun die Reißfestigkeit nach der Sterilisierung 
mit der allein praktisch sicher entkeimenden Lugolachen Lösung? 
Hierauf geben folgende Versuche die Antwort: 


Catgut fein 

angespannt | gespannt 
in Lugollösung 


Catgut mittel 
uugesp&nnt | gespannt 
in Lugollösung 


Catgut stark 

angespannt | gespannt 
ln Lugollösung 



ungek. | 

gekn. 

| ungek. | gekn.j 

(ungek. | 

gekn. 

|ungek.| urekn. | 

| ungek. | gekn.| 

Dngek.| gekn. 

Anzahl der Proben 
Kleinste ) Reiß- rkg 
Größte > festig- kg 
Mittlere J keit ( kg 

12 

0,640 

2,800 

1,627 

12 

0,480 

1,540 

0,963 

8 

1,100 

2,440 

1,577 

13 | 
0,480 
1,360 
1,087 

13 

1,160 
5,080 
3,428 i 

9 

1,370 

3,140 

2,137 

9 

1,580 

6,060 

3,784 

20 

1,940 

3,520 

1,960 

20 

3,330 

9,100 

6,160 

20 

1,920 

5,940 

3,760 

9 1 9 

3,840:2,460 
7,740 5,260 
5,935 3,580 


Die Reißstellen lagen bei den aufgespannt in Lugol aufbewahrten 
Fäden stets am Knoten, bei den darin nicht aufgespannt aufbewahrten 


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Über Nächste rilisiening von Catgut. 281 

nicht am Knoten 3 mal bei Sorte fein und je 1 mal bei Sorte mittel und 
stark. 

Die Reißfestigkeit ist praktisch gleich bei der gleichen Fadenstärke, 
mögen die Fäden gespannt oder ungespannt in Lugollösung sterilisiert 
sein. Es ist also unnötig, die Aufspannung vor dem Einlegen in die 
wäßrige Lösung vorzunehmen. Die Kosten der Glaswickel oder -rahmen 
und die Arbeit des Auf- und Abwickelns können gespart werden. 

Praktisch wichtig ist es, daß die Reißfestigkeit der Fäden durch 
Behandlung mit Lugollösung nicht wesentlich abnimmt, während, 
wie oben dargelegt, Aufweichen in Wasser sie erheblich herabsetzt. 
Die Jodlösung lockert also den Faden offenbar nicht so stark auf wie 
das Wasser. Die Knotung schwächt zwar auch den Lugolfaden in 
seiner Festigkeit, aber in durchaus erträglichen Grenzen. 

Des Interesses halber seien auch die Reißzahlen für die Fäden an¬ 
gegeben, die mit Jodbenzin und alkoholischer Jodlösung behandelt 
sind, obwohl beide Verfahren wegen ihrer ungenügenden Sterilisier¬ 
leistung nicht in Betracht kommen. 


Alkoholische Jodlösung. 




1 Catgut fein 

Catgut mittel 

Catgut etark 



un- 

1 geknotet 

geknotet 

un- 

geknotet 

geknotet 

an* 

geknotet 

geknotet 

Anzahl der Proben . ■ 

14 

14 

16 

16 

3 

4 

Kleinste | 

Reiß- ( . . 

0,560 kg 

0,800 kg 

1,980 kg 

1,040 kg 

2,560 kg 

1,940 kg 

GrOfite ] 

• festig- < . . 

2,640 kg 

1,640 kg 

7,680 kg 

4,420 kg 

8,560 kg 

3,220 kg 

Mittlere J 

keit l . . 

1,780 kg 

1,160 kg 

3,441kg 

2,107 kg 

5,107 kg 

2,680 kg 


Jodbenzinlösung. 



Catgut fein 
an* | 

geknotet | * eknotet 

Catgut 

un- 

geknotet 

geknotet 

Catgut 

an* 

geknotet 

, etark 

geknotet 

Anzahl der Proben . . 
Kleinste i Reiß- l . . 
Größte > festig-{ . . 
Mittlere J keit l . . | 

11 

0,920 kg 
2,680 kg 
1,635 kg 

10 

1,080 kg 
2,160 kg 
1,596 kg 

6 

2,260 kg 
4,200 kg 
3,103 kg 

6 

1,420 kg 
2,620 kg 
2,223 kg 

6 

4,240 kg 
8,200 kg 
6,737 kg 

6 

1,940 kg 
5,320 kg 
3,873 kg 


Die Reißfestigkeit wird also auch durch diese Lösungen praktisch 
ebenso herabgesetzt wie durch Lugol sehe Lösung; sie verdienen daher 
auch nach dieser Richtung keine Bevorzugung. 

Als Gesamtergebnis der Untersuchungen stellt sich somit dar: 

Durch die Nachsterilisierung wird die Festigkeit der Catgutfäden 
nicht unerheblich herabgesetzt, gleichgültig, welche der 3 vorgeschla¬ 
genen Sterilisierungen benutzt wird. Dieser Nachteil ist unvermeidbar. 
Doch kann angenommen werden, daß er praktisch nicht stört, da die 
Fäden immer noch eine beträchtliche Festigkeit behalten und von 


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282 


F. Konrich: Über Nachsterilisierung von Catgut. 


chirurgischer Seite ja auch dauernd benutzt werden. Für die Sterili¬ 
sierung kommt nur die l/wgol sehe Lösung in Betracht, da sie allein eine 
praktisch sichere Keimfreiheit des Catguts gewährleistet. Es genügt 
vollkommen, wenn die Fäden so, wie sie sind, den Papierpackungen 
entnommen und in die Lugolsche Lösung gebracht werden. Auf spannen 
auf Glasbügel ist unnötig. Die Fäden sind gebrauchsfertig, wenn sie 
8 Tage in der Jodlösung, ganz untergetaucht, gelegen haben; sie werden 
darin zweckmäßig ständig bis zur Verwendung aufbewahrt, da längere 
Einwirkung der Lösung nicht schadet. Der Jodgehalt der Lösung 
muß ab und zu geprüft werden. Hierzu genügt der Vergleich der Bräu¬ 
nung mit einer vorschriftsmäßig hergestellten Lugollösung, die am besten 
für diesen Zweck dauernd bereit gehalten wird. Bei Blässerwerden 
der zum Sterilisieren gebrauchten Lösung ist Jod zuzufügen oder frische 
Lugollösung statt der alten zu nehmen. 

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die hier mitgeteilten Erfahrungen 
im wesentlichen auch für die Behandlung von Rohcatgut gelten. Jeden¬ 
falls ist diese Art des Sterilisierens die bequemste, billigste und sicherste. 


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(Ans dem Institut für operative Chirurgie und chirurgische Anatomie der Milit&r- 
Medizinischen Akademie zu St. Petersburg [Prot Schewkunenko ].) 

Die Analyse der Variationen des S romanum. 

Von 

Privatdozent Dr. med. Ssoson -Jaroschewitsch. 

Mit 19 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 7. Februar 1923.) 

Abschnitt 1. 

Die rationelle Beleuchtung der Frage über anatomische Variationen. 
Variationen und Anomalien. Die Grenzen des S romanum. Material 

und Untersuchungsmethoden. 

Die Frage über die Lage des S rom. wird in der medizinischen 
Literatur schon über ein Jahrhundert behandelt. Durch die Chirurgen 
veranlaßt, wurden zahlreiche Untersuchungen vorgenommen, die ein 
Material von einigen Hunderten von Beobachtungen ergeben haben; 
doch trotzdem hat diese Frage keine Lösung gefunden. Das große 
Material der Forscher hat gezeigt, daß die Lage des S rom. äußerst 
variabel ist. Um sich in diesem Material zurechtzufinden, muß man 
über gewisse bestimmte Anhaltspunkte verfügen. Zur Beurteilung der 
anatomischen Variationen besaßen die Forscher ein von den klassi¬ 
schen Anatomen gegebenes Kriterium, das darin besteht, daß eine 
bestimmte Lage des S rom. als Normallage bezeichnet wurde, während 
alle Abweichungen als Anomalien betrachtet wurden. Wozu dieses 
führte, kann aus folgendem erkannt werden: 

Cohan (1898) untersuchte 40 Kinderleichen und kam zu folgendem Schluß: 
Bei den Sektionen machten wir die Beobachtung, daß das Colon transv. sehr oft 
eine ganz anormale Lage einnimmt, eine Lage, die den Beschreibungen der alten 
Klassiker widerspricht. Beim Studium dieser Anomalien bemerkten wir, daß die 
Lage, die wir als anormal betrachteten, sehr oft beobachtet werden konnte. Der 
Vergleich unserer Beobachtungen nötigte uns zum Schluß, daß es unmöglich sei, 
eine normale Lage des Colon trans. zu beschreiben. 

Engel (1857) beschreibt eine Lage des S rom., betrachtet sie als normal, fügt 
aber hinzu, daß diese Lage nicht als die einzig normale anzusehen ist, da noch 
viele andere normale Lagen vorhanden sind. Schieferdecker (1888) zieht die zahl¬ 
reichen Variationen in Betracht, weiß aber nicht, welche als normal zu bezeichnen 
sind. Patel (1907) spricht über die ideale Lage des S rom., doch fügt er gleich 
hinzu, daß Anomalien die Regel seien und die Lage des S rom. von der Laune 


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284 


Ssoson-J&roschewitsch: 


der Natur abhängt. In dieser Frage ist also eine große Verwirrung festzustelleiu 
Dieselbe ist bei allen Forschem zu verzeichnen. Der Grund hierfür liegt in dem 
Bestreben der Forscher, eine Normallage zu finden. Diese Idee liegt der Lehre 
der alten Anatomen zugrunde. Es muß hier gleich bemerkt werden, daß das 
Wesen der Normallage wie das der Anomalien ungeklärt geblieben ist, da sowohl 
das eine wie auch das andere bei sonst ganz normalen Menschen anzutreffen ist. 
Das Bestreben, die Norm, die ideale Lage oder die mittlere Flexion ( Blumenfeld) 
zu finden, tritt in allen Arbeiten klar zutage und überall stößt man auf Bemerkun¬ 
gen, daß eine Normallage vorhanden ist und daß eine mittlere Flexion gefunden 
werden wird. 

Wenn man nun einen Schluß aus den praktischen Resultaten zieht, 
muß man feststellen, daß hier eine vollkommene Verwirrung herrscht. 
In den angegebenen Verhältnissen ist die Klassifikation der anatomi¬ 
schen Verschiedenartigkeiten unmöglich und jede Verschiedenartigkeit 
muß als spezielle Anomalie beschrieben werden. In der großen Arbeit 
von Samson (1890) ist eine Reihe von Variationen angegeben, wobei 
es dem Praktiker sowie dem Theoretiker unmöglich ist, sich zurecht¬ 
zufinden. Das gleiche wird in den Arbeiten von Schieferdecker, Engd, 
Blumenfeld u. a. beobachtet, wo der Beschreibung einer normalen 
Lage eine große Reihe von Anomalien folgt. Der Chirurg erwartet 
vom Forscher eine bestimmte Antwort; seine Fragen, deren Beant¬ 
wortung von Grund aus die ganze operative Technik verändern kann, 
sind von großer praktischer Bedeutung. Zur Illustration möge auf 
Huguier (1868) hingewiesen werden, der auf Grund von anatomischen 
Beobachtungen vorschlug, den Anus praeternaturalis bei Kindern nicht 
links, sondern rechts anzulegen. Seinen Vorschlag begründete er durch 
seine Untersuchungen, legte der Chirurgischen Gesellschaft Zeichnungen 
und Präparate vor und bekämpfte die Ansicht der alten Anatomen 
(Broca). Sein Untersuchungsmaterial war sehr klein, und die Nach¬ 
untersuchungen von Bourcart bewiesen, daß die rechtsseitige Lage des 
S rom. bei Kindern nicht immer anzutreffen sei. Dessenungeachtet 
konnte solch ein Vorschlag auftauchen, und niemand wird über die 
Berechtigung und die praktische Bedeutung dieses Vorschlages streiten. 

Die Frage über die Lage des S rom. blieb dunkel, und die Chirurgen 
konnten nichts anderes sagen, als daß die Lage desselben tatsächlich 
von der Laune der Natur abhänge. Diese Frage kann nur dann geklärt 
werden, wenn rationelle Grundlagen zur Beurteilung der anatomischen 
Verschiedenartigkeiten, die von den alten Anatomen als Norm oder 
Anomalie bezeichnet wurde, gefunden werden. Diese rationellen Grund¬ 
lagen werden in letzter Zeit durch die Lehre über die Variationen von 
Prof. Schewkunenko gegeben, zu dessen Schülern ich mich zu rechnen 
die Ehre habe. 

Auf Grund dieser Lehre stellt jede anatomische Verschiedenartig¬ 
keit eine Variation des Organs dar, welches auf Grund irgendeines 


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Die Analyse der Variationen des S romanura. 285 

bestimmten Planes aufgebaut und individuellen Schwankungen unter¬ 
worfen ist. Eine Reihe von Merkmalen zeichnet sie vor anderen Va¬ 
riationen aus; letzterer gibt es so viele, als Individuen vorhanden sind. 
Nach diesen Merkmalen kann man verschiedene Variationen zu Gruppen 
oder Typen zusammenfassen, die sich durch eigenartigen und bestimm¬ 
ten Aufbau unterscheiden. Jede Gruppe ist etwas Eigenartiges und Voll¬ 
endetes. Einige der Gruppen genügen besser den physiologischen 
Bedürfnissen des Organismus und müssen daher als vollkommenere 
angesehen werden, die anderen genügen diesen Bedürfnissen weniger 
und müssen als weniger vollkommen angesehen werden. Das Resul¬ 
tat der Einwirkung einer Reihe von Faktoren im wachsenden Orga¬ 
nismus bildet den Typus aus. 

Durch die Kenntnis dieser Faktoren sind uns auch die Gesetze 
der Entstehung der Typen gegeben. Um ihre Entstehung zu begreifen, 
muß der Einfluß des einen oder des anderen Faktors oder die Faktoren 
im ganzen in Betracht gezogen werden. Die Frage über die anatomi¬ 
schen Verschiedenartigkeiten wird somit auf die Bestimmung der 
Grundfaktoren übertragen, die ihrerseits auf die Bildung ihren Einfluß 
ausüben. Da die äußeren Körperformen der Struktur der inneren 
Organe entsprechen, so muß ein Zusammenhang mit den Bildungstypen 
und den äußeren Körperformen angenommen werden. Hinsichtlich 
einiger Organe ist dieses voll und ganz bestätigt (Lissitzyn). Nach 
Feststellung dieses Zusammenhangs können wir nach den äußeren 
Formen die Lage der inneren Organe bestimmen. Von diesem Stand¬ 
punkt aus können wir nicht nur die Bildung des einen oder anderen 
Typus, wie auch deren Variationen erklären, sondern sie auch diagno¬ 
stizieren. Diese neue Auffassung beleuchtet die Frage über die un¬ 
zähligen Variationen des S rom. von einem besonderen Standpunkt. 
Sie führt den Forscher zur Analyse der Verschiedenartigkeiten, die als 
normale Variationen anzusehen sind und sich nur durch funktionelle 
Abweichungen auszeichnen. Von diesem Standpunkt aus — der Analyse 
der Variationen des S rom. — muß diese Arbeit betrachtet werden. 
Sie bildet ein Glied in einer Reihe von Arbeiten, die dieser Lehre zugrunde 
liegen. Um im weiteren Unklarheiten aus dem Wege zu gehen, muß 
der Darmabschnitt, der als S rom. anzusehen ist, genau festgestellt 
werden. Diese einfache Frage rief viele Streitigkeiten hervor und wird 
sehr verschiedenartig gelöst. Die Mehrzahl der Autoren bestimmen 
die Grenzen des S rom. nach dem Skelett, wobei als obere Grenze 
gewöhnlich die Crista ossis ilei (Luschka, Herde, Birmingam, Jonesko, 
Cruveühier) angegeben wird. In dieser Beziehung ist kein Widerspruch 
festzustellen. Was die untere Grenze anlangt, so sind die Meinungen 
geteilt. Nach Luschka, TiUaux, Oruber u. a. liegt die untere Grenze 
des S rom. auf der Artic. sacro-iliaca sin., nach Engel, Toldt, Arnold u. a. 


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286 


Ssoson-Jaroschewitsch: 


in der Gegend des Promontoriums, nach Treves, Djakonoff u. a. in der 
Gegend des 2. bis 3. Lendenwirbels. Jonesko (1889) führte den Begriff 
Colon pelvien ein, wobei er zu diesem Abschnitt nicht nur das S rom., 
sondern auch einen Teil des Bectums zahlt (Rectum intrapelvien). 
Hieraus sieht man, daß die untere Grenze bedeutenden Schwankungen 
unterworfen ist. Die Bestimmung nach dem Knochenbau führte dazu, 
daß in einem Fall zu diesem Abschnitt ein Teil des fixierten Darms 
hinzugerechnet, im anderen Fall hingegen ein Teil des mit dem Mesen¬ 
terium versehenen Darmes vom S rom. abgetrennt wurde. Eine Reihe 
von Autoren hat die Grenzbestimmung nach dem Knochenbau auf¬ 
gegeben und bestimmt die Grenzen nach der Lage des freien Mesen¬ 
teriums. Bei meinen Untersuchungen stützte ich mich darauf, daß 
das S rom. vom Abschnitt des Enddarms gebildet wird, der ein freies 
Mesenterium aufweist. Daher betrachte ich die Punkte als Grenzen, 
wo der volle Peritonealüberzug endet und der Darm eine fixierte Lage 
einnimmt. In den Fällen, wo das Colon desc. gleichfalls ein Mesen¬ 
terium besitzt, ist es bequemer, sich der Lage der Falte zu bedienen, 
die Schieferdecker beschrieben hat und die sich von der Radix mesent. 
nach innen bei Linkszerrung des Darmes bildet. 

Das von mir untersuchte Material umfaßt 101 Fälle. Aus dieser 
Zahl waren 62 männliche und 29 weibliche Leichen. Dem Alter nach 
verteilen sie sich folgendermaßen: 


Embryonen. 2 

im Alter von 0—10 Jahren.27 

„ „ „ 11—20 „ 7 

» »> » 21—30 ,i .17 

>* i» *» 31—40 „ 16 

», ,» ,» 41—50 „ 14 

»» i» ,* 61—60 „ 6 


„ „ „ 61 und mehr Jahren ... 16 

Summa 101 

In die Gruppe 0—10 J. sind 3 Totgeborene aufgenommen, die auch 
zur Gruppe der Embryonen hätten gerechnet werden können. 

An diesem Material sind die Hauptuntersuchungen ausgeführt wor¬ 
den. Die Untersuchungen des Mesenteriums sind nach der beschriebe¬ 
nen Methode wegen technischer Schwierigkeiten nicht an allen Prä¬ 
paraten ausgeführt worden. Ich verfüge über 30 getrocknete Mette- 
teria, die man mit den erhaltenen Untersuchungsresultaten verglei¬ 
chen kann. 

Das Material wurde mittels der Gefrierschnittmethode, nach der 
Skulpturmethode nach Pirogoff, durch Fixation in Formalin und 
Chromsäore und endlich im frischen Zustand untersucht. 

Die topographischen Verhältnisse wurden auf Glas gezeichnet und 
stellen eine komplizierte Projektion des S rom., der Radix mesent., 


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Go», igle 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


287 


der Nachbarorgane und des angrenzenden Skeletts dar. Die Becken¬ 
größe wurde durch Messungen bestimmt. 

Das Mesenterium wurde im frischen und im getrockneten Zustand 
nach Aufblähung des Darms untersucht. Die Länge des Darmes wurde 
nach der Methode von Tarenetzky bestimmt. 

Abschnitt 2. 

Lage des S rom. Klassifikation. Bildungsanomalien. Die Vollkommen¬ 
heit des Typus. 

Bevor ich zur Beschreibung der von mir beobachteten Variationen 
übergehe, muß ich einige Worte über die Prinzipien der Klassifikation 
sagen. In dieser Hinsicht sind die Versuohe der vorangegangenen 
Untersuchungen von Bedeutung. Die alten Anatomen übergehend, 
bei denen die Grundlage für die Verschiedenartigkeit des S rom. in 
der Beschreibung des normalen Verlaufs und der Anomalien besteht, 
muß gesagt werden, daß der erste Systematisierungsversuch über die 
Lagen des S rom. von Fleischmann stammt und im Jahre 1815 erschie¬ 
nen ist. Er stellt die Abhängigkeit zwischen der Lage des S rom. und 
dem Rectum fest und unter scheidet eine Rechts- bzw. eine Linkslage 
des S rom. im Zusammenhang mit der Rechts- bzw. Linkslage des 
Rectums. Die Abhängigkeit der Lage des S rom. von der Lage der 
angrenzenden Organe wird in der Arbeit von Stockquart (1880) an¬ 
geführt. Er spricht von dem Zusammenhang der Topographie des 
Rectums und des S rom. und gibt ein gutes Bild von den Besonder¬ 
heiten der Konfiguration des kindlichen Beckens. 

Die ziemlich komplizierte Klassifikation von Schieferdecker be¬ 
stimmt die Lage des S rom. zum Colon desc. Er unterscheidet zwei 
Grundarten: 1. Das Ende des Colon desc. liegt lateral vom S rom. 
und 2. medial vom letzteren. Jede dieser Gruppen zeigt besondere 
Abweichungen, die sich scharf voneinander unterscheiden. Außerdem 
stützt sich Schieferdecker noch auf ein anderes Prinzip, dessen Wichtig¬ 
keit vom Autor selbst vielleicht nicht genügend erkannt worden ist; 
es ist das embryologische Prinzip. Dieses macht sich bei der Beurtei¬ 
lung der verschiedenen Arten bemerkbar. Eigene Untersuchungen hat 
der Verfasser in dieser Richtung nicht angestellt, doch stand ihm das 
reiche Material von Toldt zur Verfügung. Die Beobachtungen des 
letzteren trugen zur Entstehung einer neuen Ära des Studiums des 
S rom. bei. 

Das embryologische Prinzip wird in der großen Arbeit von Samson 
(1891) beibehalten. Wenn er auch die verschiedenen Darmlagen nach 
der Größe des Winkels und der Länge des Darms unterscheidet, so sind 
deren Unterschiede auf Grund des Studiums der embryonalen Ver¬ 
hältnisse erkannt worden. 


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S8oson-Jaro8chewit8ch 


Ganz andere Gedanken liegen der Klassifikation von Cruveühier 
(1852), Engel (1857), Sokoloff (1893) und Cunningham (1893) zugrunde. 
Diese Autoren unterscheiden die verschiedenen Arten des S rom. 
nach seiner Lage in den verschiedenen Abschnitten der Bauchhöhle. 
Cruveilhier bestimmt die Lage des S rom. zum Nabel, Cunningham 
bildet ein Netz von Linien und Flächen, die die Bauchhöhle in einzelne 
Abschnitte teilen. 

■ ; Somit sind Variationsbeschreibungen des S rom. der verschiedenen 
Autoren auf folgenden Prinzipien basiert: 1. Der Zusammenhang der 
Topographie mit den angrenzenden Organen (Rectum und Colon desc.), 

2. der embryologische Aufbau der einen oder anderen Art und 

3. das topographische Verhältnis des S rom. zur Bauchhöhle. Die 
letzte Methode ermöglicht eine Objektivität und Genauigkeit der Be- 

Schreibung, berührt aber 
nicht die Entwicklungs- 
• geschichte der Arten. Die 
beiden ersten bilden ein 
\ Beispiel der Analyse des 
^ \ Artenaufbaues, sind nicht 

\ objektiv und betrachten 
I das S rom. gewissermaßen 
extraperitoneal. 

\ . Diehäufige Verschieden- 

^ 1 heit der Lage des S rom. 

Abb ‘ L könnte zur Annahme füh¬ 

ren, daß die Analyse sehr schwierig ist. Diese Frage kann nicht durch 
eine Klassifikation allein erledigt werden, wie tief sie auch durchdacht 
wäre. Einfacher wäre es, die Arten des S rom. als Bauchorgane zu 
betrachten und sie der Lage nach auf Grund von topographischen 
Angaben zu klassifizieren. 

Bei der Kenntnis der topographischen Typen können wir weiterhin 
die Frage ihrer Genese beleuchten und sie in der einen oder anderen 
Richtung lösen. 

Daher werde ich bei der Beschreibung der Variationen des S rom. 
mich der topographischen Verhältnisse bedienen, die in der Bauchhöhle 
anzutreffen sind. 

1. Gruppe: Am häufigsten traf ich eine Variation des S rom., bei 
der letzteres im kleinen Becken lag und eine größere oder kleinere 
Anzahl von Schlingen oder Windungen aufwies. Die Schlingen können 
entweder reihenförmig vertikal oder horizontal gelagert sein. Daher 
kann man 2 Unterarten unterscheiden (v. und h.). Die Unterart v. 
stellt eine einfache allbekannte Form dar (s. Abb. 1). Der Darm ver¬ 
läuft in 2 Knickungen oder 2 Schlingen, die eine liegt im kleinen Becken, 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


289 



die andere auf der Vorderfläche des Os sacrum. Die Verlaufsrichtung 
jeder Schlinge ist vertikal. 

Diese Unterart wurde in 25 Fällen (14 Männer und 11 Frauen, 
24,75%) beobachtet. 

Die Unterart h. ist komplizierter und läßt sich nicht immer be¬ 
schreiben (Abb. 2). Das S rom. liegt im kleinen Becken und bildet 
eine Reihe von Schlingen, die etagenförmig und horizontal übereinander 
gelagert sind. Die Zahl wie auch die Länge der Schlingen wechselt und 
kann sehr verschieden sein. Bei dieser Unterart ist das S rom. von 
beträchtlicher Länge. Im Mittel beträgt die Zahl der Schlingen 3. 

Beim Vergleich dieser Unterarten miteinander scheint es, als ob 
bei der Unterart V. das ganze System des S rom. — die Darmschlingen 
und das Mesenterium — in einer vertikalen Ebene liegt, während bei 
der Unterart h. das ganze System nach abwärts liegt und sich in 
der Horizontalebene aus- 

breitet. Diese Unterart / Z-fll 

wurde bei 30 (16 Männern / m 

und 14 Frauen) Leichen an- ( 'j&M 

getroffen. Somit wurde die \ i 

1. Gruppe in 54,5% beob- \ \J k 

achtet. Man trifft sie gleich \ \ f (7~ 

oft bei Mann und Weib, sie I \ 
ist jedem Alter eigen. / 

Dem Alter nach verteilt ' ^ 

sich diese Gruppe wie folgt: Abb. 2. 

von 0—10 Jahren.11 mal = 40,7%' 

„ 11—20 ...4 mal = 57,1% 

„ 21—30 „ 10 mal = 58,8% 

„ 31—40 „ 9 mal = 56,2% ’ 

„ 41—50 „ 11 mal = 78,5% 

„ 50 Jahren und älter.10 mal = 55,5% - 

Aus der Tabelle ist ersichtlich, daß die 1. Gruppe im Kindesalter 
selten, im Alter von 30—50 Jahren dagegen oft beobachtet wird. Diese 
Angaben können einige Bedeutung bei der Beurteilung der Darmstase 
und mit der damit verbundenen Ptosis haben. Die Entwicklungs¬ 
geschichte zeigt, daß im frühen Embryonalstadium diese Lagerung 
des S rom. nicht zu beobachten ist (Toldt, Samson). Sie entwickelt 
sich am Ende des 6. Monats {Toldt), nachdem der Darm verschiedene 
Entwicklungsstufen durchgemacht.hat und daher als endgültige For¬ 
mation anzusehen ist. Die Angaben anderer Forscher stimmen in einem 
Punkt überein. Sie halten diese Lage vom embryonalen Standpunkt 
für normal {Schieferdecker, Engel u. a.). Nach Samson war dieser Typus 
bei 41 Fällen 29 mal zu beobachten, was 70% ausmacht. Die Klassiker 

Archiv L kiin. Chirurgie. 125. 19 


11 mal 
4 mal 

10 mal 
9 mal 

11 mal 
10 mal 


der Gesamtzahl. 



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Ssoson-Jaroschewitsch 


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Die Analyse der Variationen des S romanum 


dingungen dafür nötig, daß in einem Fall der Darm nach oben und im 
anderen nach rechts rückt. Diese Bedingungen üben ihre Wirkung 
scheinbar schon während des Em- i i 

bryonallebens aus. Schieferdecker \ 

(1880), der diese Variation genau l ^ \ 

beschrieben hat, behauptet, daß 1 y' 

seine Genesis mit besonderen Ent- \ i 

Wicklungsbedingungen im Zu- \ f ~/ 

sammenhang steht. Er stellt \ fm 16 / 

die Theorie auf, daß es während \ iZwV e * / 

der Ablenkung des Coecums nach \ \* f / 

rechts zu starken Verschiebungen 1 f i 

des Dickdarms kommt. DieseMut- \ 1 

maßungen lassen daran denken, I ’ \ 

daß die 2. Gruppe der Variationen J \ 

embryonalen Ursprungs sein kann / 

und sich aus bestimmten embryo- / , 

nalen Anlagen entwickelt. Die 2. / / j I 

Gruppe ist auch von anderen Au- /~~~— 

toren beobachtet worden; so traf ^ 

sie Samson in 12% seiner Fälle. 

Die 3. Gruppe wird dadurch charakterisiert, daß das S rom. sich 
in die rechte Bauchhälfte verlagert. Der Verlauf des Darms ist in der 
Mehrzahl der Variatio- vi|i[j|iim \ 

nen folgender: Von | 

seiner Anfangsstelle l £ aLj\ I 

richtet sich der Darm (L {^% \ j 

nach rechts, kreuzt in q\? ftV I 

verschiedener Höhe die A _ 

Wirbelsäule und geht in Xfet" I 

die rechte Bauchhälfte 1 , ^ \ ( 

über. Die Höhenlage in \ \ / 0 \ 

dieser Gegend ist ver- J ( \ \ 

schieden: in einem Fall /1 \ ' / \ 

liegt er nahe an der Le- / \ \ / \ 

her, im anderen Fall in ( \. / | 

der Fossa iliaca. Nach ^ ' 

Bildung einer Krüm- - 

6 ,. , -p. Abb. 6. 

mung geht der Darm 

fast schnurgerade in die Beckengegend (Abb. 5). Besondere Variatio¬ 
nen sind in dieser Gruppe nicht zu verzeichnen; sehr selten sind Va¬ 
riationen anzutreffen, die als Übergangsformen zur 2 . Gruppe ange¬ 
sehen werden können. Hier bildet das S rom. zwei Krümmungen, von 


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292 Ssoson-Jaroschewitsch: 

denen die eine nach oben gerichtet ist und link« von der Wirbelsäule 
liegt, während die andere nach rechts gerichtet und in der rechten 
Bauchhälfte gelagert ist. Diese Gruppe ist in 11,8% bei 12 Fällen 
(8 Männer und 4 Frauen) beobachtet worden. Was das Alter anlangt, 
so sind hier im Alter bis zu 4 Jahren und von 4 bis 75 Jahren je 6 Fälle \ 
zu verzeichnen. 

Diese Variation mir de bei einem 6 1 /, monatigen Embryo beob¬ 
achtet; ob diese Lage als primäre Anlage der 3. Gruppe oder als Über¬ 
gangsform zu anderen Gruppen anzusprechen ist, ist schwer zu sagen, 
da zu wenig Anhaltspunkte dafür vorhanden sind. Es muß jedoch an¬ 
genommen werden, daß die 3. Gruppe der Erwachsenen sich aus einer 
solchen embryonalen Lage entwickelt. 

Oben war der Standpunkt von Toldt angeführt, der behauptet, daß 
die Entwicklung aller Embryonen nach einem allgemeinen Plan vor sich 
geht, daher sei die Rechtslage des S rom. als Entwicklungsstadium 
anzusehen, welches alle Embryonen durchmachen müssen. Das ist der 
Hauptschluß seiner Untersuchungen. Allerdings gibt er Variationen bei 
gleichaltrigen Embryonen zu (die Verlagerung nach rechts, nach oben). 
Deshalb muß man annehmen, daß die Bildung der Form und Lage 
des S rom. bei Embryonen gleichfalls wie bei Erwachsenen variiert 
und daß die verschiedene Lage bei den Embryonen als Anlage der ver¬ 
schiedenen Variationsgruppen anzusehen ist. 

Die Frage über die rechtsseitige Lage des S rom. ist in der Literatur 
sehr viel bearbeitet worden. Huguier schlug im Jahre 1858 vor, bei 
Kindern den Anus praeternaturalis rechts statt links anzulegen, und 
führte eine Reihe von anatomischen Gründen an. Diese Frage wurde 
sehr aktuell und rief eine Menge von Nachuntersuchungen hervor. Qiraldit 
(zit. nach Samson) untersuchte 100 Kinderleichen, fand aber die Links¬ 
lage häufiger. Bourcart (1863) sah von 295 Fällen nur eine Querlage des 
S rom. Sappey (1879) beobachtete bei 14 ausgetragenen Früchten 8mal 
Querlage. Samson (1892) fand bei 41 Untersuchungen von Erwachse¬ 
nen in 9% das S rom. in der Gegend der Leber oder des Coecums. 

Ssokoloff (1893) hat die meisten Untersuchungen angestellt: Von 
200 Kinderleichen bis zu 1 Jahr fand er in 110 (55%) Fällen Rechts¬ 
lage, und bei 76 über 1 Jahr alten Kinderleichen konnte er dieselbe in 
27% beobachten. 

Mein Material ist gemischt und enthält Fälle von 5 monatigen 
Embryonen bis zu 70jährigen Greisen. Rechtslage konnte in etwa 
12% festgestellt werden. 

Die von Huguier berührte Frage muß als gelöst betrachtet werden, 
und zwar in dem Sinn, daß die Rechtslage des S rom. in jedem Alter 
beobachtet werden kann. Im Kindesalter ist sie häufiger (bis 55%) 
als im späteren Alter (bis 12%) festzustellen. 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


29B 




Die rechtsseitige Lage des S rom. wird als Huguier sehe Lage be¬ 
zeichnet. Sie ist aber schon im Jahre 1815 von Fleischmann beschrieben 
worden, daher wäre es richtiger, sie nach ihm zu benennen. 

Da die speziellen Untersuchungen dieser Lage eine große Reihe 
von Arbeiten zeitigte, so wird letztere fast in allen Lehrbüchern erwähnt 
(Cruveilhier, Engel u. a.). 

Fälle von rechtsseitiger Lage des S rom. bei beträchtlicher Länge 
des Darmes sind von Oruber im Jahre 1885 beschrieben worden. 

4. Gruppe: Die sehr seltene 4. Variationsgruppe des S rom. ist 
dadurch charakterisiert, daß es eine fast gerade Röhre darstellt , die das 
Colon desc. mit dem Rectum verbindet. Das S rom. zieht dem Relief 
des Beckens folgend und bildet keine der für das S rom. gewöhnlich 
charakteristischen Schlingen (Abb. 6). 

In diesen Fällen ist das S rom. und sein Mesenterium sehr kurz. 
Die Verhältnisse sind sehr 
primitiv und erinnern an das 
frühe Entwicklungsstadium 
(3 Monate, wo der größte 
Teil des Mesenteriums und 
die Schlingen sich von dem 
übrigen Darmabschnitt zu 
differenzieren anfangen). 

Im weiteren ändert sich 
auch dank der Verlängerung 
des Darms und der Ver¬ 
größerung des Mesenteriums dessen Form. Bei normaler Weiterent¬ 
wicklung entsteht eine von den obenerwähnten Arten. 

Es kann angenommen werden, daß bei Entwicklungsstörungen die wei¬ 
tere Evolution des Darms sistiert und es zur Bildung der 4. Gruppe kommt. 

Diese Gruppe ist in 6,93% (5 Männer und 2 Frauen) und in ver¬ 
schiedenem Alter beobachtet worden. Die Beschreibung dieser Lage 
fand ich bei Monterossi (1820), der auch eine Zeichnung anführt. Samson 
(1890) fand in 2% fast schnurgeraden Verlauf des S rom. Bei Budberg 
und Koch (1896) sind Angaben über diese Form vorhanden, analoge 
Angaben sind bei Saias (1905) zu finden. 

Entiviclclungsfekler. Die angeführten 4 Gruppen: die normale der 
alten Schule, die Gruppe Schieferdeckers, die Gruppe Fleischmanns und 
die Gruppe Monterossis umfassen nicht alle Variationen. In der Li¬ 
teratur werden noch 4 Variationen beschrieben, die nicht anders als 
Entwicklungsfehler bezeichnet werden können. 

1. Abwesenheit des S rom. Koch führt einen Fall an, in dem der 
Dünn- und Dickdarm fehlten und nur ein gerades Darmrohr ohne 
Knickungen vom Magen zum Anus führte. 



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294 


Ssoson-Jaroschewitsch: 


2. Doppelbildung im Anfangsteil des S rom. Lookwood (nach 
Koch) beschreibt einen Fall, wo ein doppeltes Colon desc. vorhanden war, 
das akzessorische Kolon mündete in den ampullenartig erweiterten 
Anfangsteil des S rom. 

3. Rechtsseitige Lage und Fixation des S rom. bei Situs viscerum 
inversus totalis. Solche Fälle sind bei Toldl u. a. beschrieben. 

4. Rechtsseitige Lage und Fixation des S rom. bei Situs viscerum 
inversus partialis. Der erste Fall ist von Marcard (nach Toldl ) be¬ 
schrieben worden. Ferner sind bei VaUeix, Qruber, Poljalcoff, Reinbach 
u. a. darüber Angaben vorhanden. 

Bei Qruber ist folgende Beschreibung zu finden: Der Dickdann 
zieht von der Flex. coli lienalis nach rechts und unten zum Coecum. 
Hier geht er in das lange schlingenförmig gebogene S rom. über. Der 
Anfang und das Ende des letzteren liegen in der rechten Unterbauch¬ 
gegend. Es sind vereinzelte Variationen im Anfangsteil und im Ver¬ 
lauf desselben vorhanden. Qruber, Toldl, de Quervain sind der Ansicht, 
daß es sich hier um Entwicklungsfehler handelt. De Quervain führt 
zur Erklärung die Theorie der anormalen Nabelschlingendrehung an 
und behauptet, daß solch eine Lage durch die volle Drehung der Nabel¬ 
schlinge in der Richtung des Uhrzeigers erklärt werden könne. 

Die Vollkommenheit des Typus. Die verschiedenen anatomischen Ver¬ 
hältnisse, unter denen die endgültige Lage des S rom. sich ausbildet, 
ruft auch verschiedene Lagevariationen des letzteren hervor. Je nach 
ihrer Gesamtwirkung kommt die eine oder die andere Lage zustande. 

Unwillkürlich tritt die Frage auf, welche Variation mehr dem 
menschlichen Organismus eigen ist. Bei der Lösung dieser Frage muß 
davon ausgegangen werden, welche Variation am meisten den physio¬ 
logischen Forderungen entspricht. 

Zur Beantwortung dieser Frage ist die Kenntnis der Physiologie, 
der Pathologie und der Anatomie des Organismus notwendig. 

Das hierher Gehörige kann in folgendem zusammengefaßt werden: 
Die Physiologen bezeichnen das S rom. als Receptaculum alvi; diese 
Meinung wird durch die Klinik unterstützt. Mayor (1893) sagt, daß 
das S rom. analog dem Coecum und dem Rectum einen Darmabschnitt 
darstellt, in dem der Darminhalt stagniert — es dient den Faeces als 
Reservoir. Die Funktion dieser Abschnitte ist die Regulation der 
Defäkation. Die Bedeutung dieser Funktion kann leicht beurteilt wer¬ 
den, wenn man Menschen mit regelmäßigem Stuhlgang des Morgens 
beobachtet. Beim Erwachen ist noch kein Stuhlzwang vorhanden. 
Erst wenn die peristaltischen Bewegungen die Faeces ins Rectum 
drängen, wird der Stuhlzwang ausgelöst. 

Leider kann die Funktion des Darms bei Tieren nicht kontrolliert 
werden, da er nach Klaalsch erst beim anthropomorphen Affen (Hylo- 


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Die Analyse der Variationen des S romannm. 


29B 


bates) auf tritt, doch auch hei niederen Tieren (Pferd) erweitert sich der 
Enddarm ampullenartig und dient als Lageraum der Faeces. Wie aus 
der Beschreibung hervorgeht, kann jede Variation mit Ausnahme 
der 4. Gruppe diese Funktionen ausüben. Der Darm muß nur das 
Colon desc. mit dem Rectum verbinden. Ein kurzer, fast geradlinig 
verlaufender Darm ist eher den niederen Tieren (Marsupialia) eigen 
als dem Menschen. 

Daher muß die 4. Gruppe als die für den Menschen unvollkommenste 
bezeichnet werden. Dieser Meinung widerspricht Patel, der die 4. Gruppe 
als ideal bezeichnet. Leider führt er keine Gründe dafür an. 

Die 1. Gruppe entwickelt sich verhältnismäßig spät (im 6. bis 7. Mo* 
nat) und stellt das Endstadium der Evolution des embryonalen Darms 
dar. 

Die 2. und 3. Gruppe sind von mir bei 5—Ömonatigen Embryonen 
beobachtet worden und sind als Vergrößerung der Verhältnisse bis zur 
Größe des Erwachsenen anzusehen. 

Daher muß angenommen werden, daß die 1. Gruppe in der Onto¬ 
genese am höchsten steht. In der Philogenese nimmt sie gleichfalls 
die erste Stelle ein. Aus obigem geht hervor, daß die 1. Gruppe beim 
Menschen als vollkommenste Verlaufsrichtung anzusehen ist. 

Abschnitt 3. 

Die anatomischen Komponenten der Lage und Form des Darmes. Die 
reduzierte Topographie. Ein Versuch, die Lage des S rom. mathematisch 

zu analysieren. 

Schon die oberflächliche Kenntnis der verschiedenen Variationen 
zeigt eine Menge verschiedenster Verhältnisse, die in der einen oder 
anderen Richtung auf die Lage des S rom. einwirken. 

Was wir als Typus ansehen, ist nur das Resultat der Einwirkung einer 
Reihe von Komponenten. Sich in ihnen zurechtzufinden, ist nicht so 
leicht. Vor der Untersuchung treten drei Faktoren hervor: 1. Das Relief 
der Bauchhöhle, 2. der Druck der benachbarten Organe und 3. die 
Füllung des Darmes. 

Das Relief der hinteren Bauchwand wird durch eine Reihe von 
Erhabenheiten gebildet (die Wirbelsäule, die Niere, das Promontorium 
und der Introitus pelvis) und die zwischen ihnen liegenden Vertiefungen 
und Höhlen (Fossa iliaca, das kleine Becken usw.). Die Kombination 
verschiedener Ebenen und Winkel bildet eine äußerst komplizierte 
Oberfläche, deren Ausbuchtungen dem Darm als Lager und dem Me¬ 
senterium als Fixationspunkte dienen. 

Der Druck der Nachbarorgane auf das S rom. ist durch ihre Lage 
und ihren Zustand (gefüllt oder leer) bedingt, zwei Bedingungen, die 
unendlich variieren und sehr kompliziert sind. 


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296 


Ssoson-Jaroschewitsch: 


Die Füllung des S rom. variiert gleichfalls und nicht nur quanti¬ 
tativ, sondern auch qualitativ (Gase, feste und weiche Kotmassen). 
Die oben angeführten drei Faktoren zeichnen sich durch zwei Sym¬ 
ptome: die Variabilität und die Kompliziertheit aus. 

Unter diesen Bedingungen hat der Forscher eine fast unlösbare 
Aufgabe mit einer Menge von Unbekannten vor sich. Daher ist er ge¬ 
nötigt, wenn auch nur theoretisch sich solcher Verhältnisse zu bedienen, 
in denen diese Unbekannten fehlen oder durch bekannte Größen ersetzt 
sind. 

■ Die reduzierte Topographie. Diese Überlegungen nötigen den For¬ 
scher, sich zeitweise der vereinfachten oder reduzierten Topographie 
zuzuwenden. Diese besteht darin, daß die obenerwähnten drei Faktoren 
ausgeschaltet werden. Hierbei wird das S rom. außerhalb der Ein¬ 
wirkung der Nachbarorgane, bei ein und derselben Füllung und bei 
dem elementarsten Belief der hinteren Bauchwand untersucht. Diese 
Verhältnisse sind in der Natur nicht vorhanden und können nur künst¬ 
lich hervorgerufen werden: der Darm wird aus der Bauchhöhle ent¬ 
fernt, auf einem Brett (nach dem Fixationsmodus des Mesenteriums) 
fixiert und mit Gas angefüllt. Solche Versuche sind von mir in 28 Fällen 
ausgeführt worden. Die Untersuchungen haben folgendes ergeben: 

Der leere und zusammengefallene Darm, auf einem Brett fixiert 
(Mesenterium), fängt bei seiner Füllung mit Gas an sich zu bewegen 
und allmählich wie eine Feder auszudehnen. Er erhebt sich vom Brett, 
krümmt sich, und wenn er ad maximum ausgedehnt ist, nimmt er eine 
beständige Lage ein, aus der er nur mit einer gewissen Kraftanstrengung 
gebracht werden kann. Das zusammengefallene Mesenterium entfaltet 
sich parallel der Entfaltung des Darms, und wenn letzterer ad maximum 
aufgebläht ist, so ist das Mesenterium prall gespannt. 

Die vom Darm eingenommene Lage ist derart beständig, daß eine 
gewisse Kraftanstrengung zu deren Verlagerung nötig ist. Sobald diese 
Kraft ihre Wirkung einbüßt, nimmt der Darm seine beständige Lage 
wieder ein. 

Die vom Darm eingenommene Lage und Form kann in jedem Falle 
eine verschiedene sein. Es ist aber ganz unmöglich, dem Darm eine 
andere Lage zu geben und die eine Variation in eine andere überzu¬ 
führen. Es muß angenommen werden, daß die Form der Darmschlinge 
von der Besonderheit des anatomischen Aufbaues abhängt. 

Die Form des Darmes kann dadurch verändert werden, daß man 
die anatomischen Verhältnisse (Verkürzung des Darmes oder des 
Mesenteriums usw.) ändert. 

Dieser Umstand läßt daran denken, daß die Formbildung des Darms 
von der Harmonie dreier Elemente (Mesenterium, Radix mesenterii und 
Darmlänge) abhängt. 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


297 



Abb. 7. 


Die vom Darm eingenommene Lage entspricht der gemeinsamen 
Einwirkung der gegebenen drei Elemente. In einem Fall erhebt sich der 
Darm und legt sich über die Radix mes., im anderen verlagert er sich 
nach abwärts von derselben. Daher kann man annehmen, daß die 
Lage und Form von der Einwirkung dieser drei Komponenten abhängt. 
Dieses dient als Wegweiser zur Analyse der Variationen. 

Die zweite Schlußfolgerung besteht im folgenden: Die Verhältnisse, 
die durch die reduzierte Topographie gegeben sind, erlauben es, sich dem 
Verständnis der Kräfte zu nähern, die die Lageveränderungen des 
Darms hervorrufen und ihm eine beständige Lage geben. 

Dadurch wird das Studium der Topographie auf eine streng rationelle 
Basis gestellt. Als Grundlage dient das Gesetz von Engel, welches darin 
besteht, daß sich der Darm bei seiner Aufblähung verlängert, sein 
Durchmesser sich verkleinert und er bestrebt ist, sich einer Geraden zu 
nähern. 

Wenn das Ende mit dem Anfang verbunden ist, so bekommt der 
Darm bei seiner Aufblähung eine Kreisform, bei m 
der Fixation beider Enden streckt er sich wie 
eine Feder. 

Durch den Vergleich des Darmes mit einer Feder 1 
geben wir gleichzeitig zu, daß im aufgeblasenen 
Darm eine Kraftquelle vorhanden ist, die ihre Wir¬ 
kung auf die Darmoberfläche ausübt und seine Lage zu verändern sucht. 

Hiervon ausgehend können wir uns die Darmschlinge als ein System 
von miteinander verbundenen Punkten darstellen. Auf diese Punkte 
wirken eine Reihe von Kräften, die ihre Lage zu verändern suchen 
(Abb. 7). 

Bei Lageveränderungen des Darmes spannt sich das Mesenterium 
und übt einen Widerstand aus. 

Graphisch sind die Verhältnisse in Abb. 7 dargestellt. Unter diesen 
Verhältnissen wird die Lösung der Frage ins Gebiet der theoretischen 
Mechanik übertragen und kann mit Hilfe des sog. Strichvielecks ( Petro - 
witsch) gelöst werden. 

Unter dem Strichvieleck versteht man in der höheren Mechanik 
ein System von materiellen Punkten, wobei die benachbarten Punkte 
entweder durch ideal unbiegsame und unstreckbare Glieder oder durch 
ideal biegsame und unstreckbare Fäden miteinander verbunden sind. 

Mit Hilfe der höheren Mathematik können die Gleichgewichtsver- 
hältnisse eines solchen losgeketteten Vielecks gelöst werden. Durch das 
Warignon sehe Vieleck kann man graphisch und zahlenmäßig die Größe 
der Widerstände der einzelnen Abschnitte des Vielecks ausdrücken. 

Bei diesen Verhältnissen wird das Vieleck im Gleichgewicht erhal¬ 
ten. Wenn sich jedoch die Verhältnisse ändern und eine neue Kraft 


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298 


S 80 son-Jaro 8 chewit 8 ch: 


— Vector — auftritt, so ändert sich das System teilweise oder total. Die 
Veränderung wird so lange bestehen, bis sich wieder Gleichgewicht 
herstellt. 

Alle diese Details der Statik und Dynamik des Systems der ma¬ 
teriellen Punkte können genau zahlenmäßig bestimmt werden. Die 
Formeln und Berechnungen werden wegen ihres speziellen Charakters 
nicht angeführt. 

Hieraus folgt, daß man mit Hilfe der höheren Mechanik und des 
Experiments nicht nur zum Verständnis, sondern auch zur genauen 
Analyse der Kräfte, die auf den aufgeblähten Darm einwirken, gelangen 
kann. 

Es wird klar, weshalb sich in einem Fall der Darm nach aufwärts 
von der Rad. mes., im anderen nach abwärts verlagert. 



Abb. 8. 


Wenn man in der Analyse fortfährt und die Resultate der reduzierten 
Topographie und der anatomischen Topographie vergleicht, so kommt 
man zu folgendem Schluß: Von 28 Fällen war in 19 totale oder partielle 
Gleichheit der Form des S rom. in der Bauchhöhle in situ wie auch 
beim Experiment zu verzeichnen. 

Diese Verhältnisse konnten in allen Gruppen beobachtet werden. 
Die 4. Gruppe bot die meisten gleichen Formen dar, während die 
1. Gruppe die größte Verschiedenheit in situ wie auch im Experiment 
ergab (Abb. 8). 

Auf Abb. 8 ist solch ein Fall wiedergegeben. Beim Vergleich sieht 
man, daß die Konfiguration des S rom in situ durch das Becken 
hervorgerufen wurde (Abb. 9). 

Auf Abb. 9 sind 3 Stadien: 1. in situ, 2. in situ aufgebläht und 
3. im Experiment, zu sehen. Das Endstadium gleicht absolut nicht dem 
1. Stadium, während das 2. Stadium sie miteinander verbindet. 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


299 


Hier tritt die Druckwirkung der Umgebung und die Einwirkung 
des Darminhalts klar zutage. Diese und eine Reihe von ähnlichen 
Fällen helfen uns die verwickelten Formen des Darmes, wie wir sie 
an der Leiche sehen, zu verstehen. 

Aus dem Vergleich der Formen geht hervor, daß der Füllungszustand 
des Darms dessen Lage wesentlich beeinflussen kann. Dieser Umstand 
veranlaßt im weiteren, die Untersuchung auch auf diesen Faktor aus¬ 
zudehnen. 

Im folgenden wird 1. die Radix mesenterii, 2. das Mesenterium, 
3. die Darmlänge und 4. der Füllungszustand des Darmes näher unter¬ 
sucht werden. 





Abb. 9. 

Abschnitt 4. 

Radix mesenterii des 8 rom. Die Abhängigkeit der Haftlinie vom Alter 
und von der Variationsgruppe des S rom. Die Radix mesenterii und 

die Beckenform. 

Die Haftlinie des Mesenteriums stellt die eine Komponente des 
S rom. dar und wird durch die Fixation an der hinteren Bauch wand 
charakterisiert. Diese Linie hat eine eigenartige Form, die im Zu¬ 
sammenhang mit der Entwicklung des Mesenteriums steht. 

In kurzem ist folgendes darüber zu sagen: Bis zur 1. Hälfte des 
4. Embryonalmonats ist das Mesenterium des Dickdarms an der Mittel¬ 
linie der Wirbelsäule fixiert, die Grenze zwischen dem Colon desc. und 
dem S-Rom. ist noch nicht angedeutet. Im unteren Abschnitt des 
Duodenums ist die Fixation des Mesenteriums besonders solide. In 
der 2. Hälfte des 4. Monats beginnt die Verwachsung des Mesocolon 
desc. mit dem Bauchfell auf der Höhe des oberen Nierenpols (Tddt). 
Im weiteren dehnt sich die Verwachsung auf die vordere Nierenober¬ 
fläche bis zum unteren Nierenpol aus, während das Mesenterium längs 
der Wirbelsäule fixiert bleibt. 

Da die Niere auf der hinteren Bauchwand eine Erhabenheit oder 
einen Wall bildet, so bleibt zwischen ihrem medialen Rand und der 
Wirbelsäule eine Furche bestehen. Das Mesenterium des Colon desc. 


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300 


Ssoson-Jaroachewitech: 


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bildet im Bereich dieser Furche keine Verwachsung mit der hinteren . 
Bauchwand, sondern überbrückt letztere. Dadurch wird diese Furche in 
einen blinden Kanal umgewandelt, der nach oben geschlossen (bis zur 
Plica duodenojejunalis) und nach unten offen ist. Dieser Blindkanal bil¬ 
det die Anlage zum Recessus intersigmoideus (Toldt) und dessen Ränder 
die anfängliche Linie der Badix mesenterü. Im weiteren schreitet die 
Verwachsung mit dem Bauchfell fort, der Recessus verkleinert sich und 
wandelt sich in einen nach der Bauchhöhle zu geöffneten Trichter um. 

Durch diese Veränderungen bekommt die Fixationslinie der Radix 
mesenterii des S rom. eine winkelige Form mit einer starken Krüm¬ 
mung am Duodenum. Weiterhin senkt sich die Höhe des Winkels 
etwas nach abwärts, der Winkel wird stumpfer, doch die winklige Form 
bleibt bestehen. 

Somit steht die Entwicklung der Radix mesosigmoidea mit der 
Entwicklung des Recessus intersigmoideus in engem Zusammenhang, 
und die Linie des Mesenteriumansatzes hat daher eine nach unten 
offene Winkelform. 

Soweit die embryonalen Verhältnisse. Beim Erwachsenen bleibt 
die Linie des Mesenterialansatzes bestehen. Die deutschen Autoren 
unterscheiden einen Kolon- und Recbumschenkel. Der Winkel ist 
nach unten und links geöffnet, der eine Schenkel geht vertikal nach ab¬ 
wärts, während der andere nach unten und links zieht. Es muß an¬ 
genommen werden, daß diese' Winkel in ihrer Größe variieren, daß die 
Form der Haftlinie auf die Form des Mesenteriums einen Einfluß aus¬ 
übt und deren Höhe in einem gewissen Grade die Lage des ganzen 
Systems des S rom. bestimmt. Daher ist das Studium der Besonder¬ 
heiten der Radix mesosigmoidea und der Gesetze, denen letztere unter 
worfen sind, von besonderem Interesse. 

In der Literatur ist diese Frage sehr wenig beleuchtet und stützt 
sich auf ein unbedeutendes Material. 

Toldt (1879) wies als erster darauf hin, daß die Lage der Haftlinie 
sich mit dem Alter ändert. Der im intrauterinen Leben begonnene 
Prozeß der Verwachsung des Mesenteriums des S rom. schreitet nach 
der Geburt weiter fort; die Radix mesenterii senkt sich nach abwärts 
und die Abschnitte des Dickdarms, die beim Neugeborenen den oberen 
Teil des S rom. darstellen, bilden später das Colon desc. 

Samson (1892) beobachtete an 33 Leichen die Alterssenkung der 
Radix mesenterii des S rom. Davon spricht auch Weber (1906). 

Mein Material umfaßt 95 Fälle (vom 6monatigen Embryo bis 
zu 75 Jahren) und erlaubt folgende Fragen zu untersuchen: 1. die 
Höhenlage und das Alter, 2. den Typus des S rom. und dessen Mesen¬ 
terium und 3. die Form der Radix mesenterii und die Konfiguration des 
Beckens. 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 301 


Die Resultate der Untersuchungen der 1. Frage sind in folgender 
Tabelle zu sehen: 

Die Höhenlage. 


Alter 

Anzahl 

in 

W. K. 

III—IV 
W. K. 

IV 

W.K. 

IV—V 
W.K. 

V 

W.K. 

Pro¬ 

mont. 

Kreuz. 

Embryonen. 

6 

* 

* 

i 

— 

— 

1 

— 

bis zu 10 Jahren . • 

21 

— 

— 

6 

n 

2 

2 

— 

von 11—20 Jahren . 

5 

— 

— 

— 

i 

4 

— 

— 

„ 21-25 „ 

10 

— 

— 

1 

3 

5 

1 

— 

99 26-30 99 • 

6 

— 

— 

— 

2 

* 

2 

— 

„ 31-40 „ 

15 

— 

— 

1 

2 

7 

4 

i 

99 41-50 99 

13 

— 

— 

— 

1 

C 

5 

i 

„ 50 Jahren u. Alter 

19 

— 

— 

3 

1 

4 

4 

7 

Summa 

95 

2 

2 

12 

21 

30 

19 

9 


Aus dieser Tabelle sieht man, daß die Zahlen mit der Senkung 
nach rechts rücken. Je älter das Individuum, desto niedriger die Höhen* 
läge der Radix mesenterii. 

Beim Embryo entspricht die Lage der Radix mesenterii gewöhnlich dem 
3. und 3.-4. Lendenwirbel, im Alter von 10—25 Jahren dem 4.-5-, im 
Alter von 26—50 Jahren trifft man sie gleich oft auf dem 7. Lendenwirbel 
und im Alter über 50 Jahren liegt sie fast immer auf dem Kreuzbein. 

Zwischen dem Alter und der Höhe der Lage des Mesenteriums 
besteht somit ein gesetzmäßiger Zusammenhang, der sich darin äußert, 
daß mit zunehmendem Alter sich die Radix mesenterii allmählich 
nach abwärts senkt. Während des intrauterinen Lebens verlagert sich 
die Radix mesenterii um 2—3 Wirbel und auf je 10 Jahre kommt un¬ 
gefähr eine halbe Wirbelhöhe. Beim sorgfältigen Studium der oben 
angeführten Tabelle kann man einzelne Abweichungen von dieser 
Gesetzmäßigkeit feststellen: so liegt in drei Fällen im Alter von 50 bis 
70 Jahren die Radix mesenterii auf der Höhe des 4. Lendenwirbels. 
Ähnliche Fälle sind auch in verschiedenen anderen Altersstufen fest¬ 
zustellen. Das Studium hat gezeigt, daß außer dem Alter die Radix 
mesenterii noch den Einflüssen anderer Faktoren unterworfen ist. 
Die Lage der Radix mesenterii hat das Resultat der Einwirkung dieser 
Faktoren und je nachdem, welche Faktoren prävalieren, kann sie eine 
hohe oder tiefe Lage einnehmen. 

In einer Reihe von Fällen werden die Einflüsse der einen, in anderen 
Fällen die der anderen illustriert. Zu diesen Faktoren gehören u. a.: 
der Einfluß der Lage und der Füllung des Rectums und der Harnblase. 
Die obenerwähnten drei Fälle stellen das Resultat der Einwirkung des 
2. Faktors, der übermäßigen Anfüllung des Rectums und der Harnblase, 
dar (s. Abschnitt 7), daher widersprechen sie in der angeführten Tabelle 
nicht dem Altersfaktor. 


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302 


Ssoson-Jaroschewitsch: 


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Die Radix mesenterii und der Lagetypus. Viel schwerer sind die 
Einflüsse des 1. Faktors zu bestimmen. Die Analyse des Materials 
kann nur schematisch geführt werden und muß sich auf große Zahlen 
stützen. 

Mein Material verteilt sich den Gruppen nach wie folgt: 

1. Gruppe.65 Fälle 

2. Gruppe.29 „ 

3. Gruppe. .12 „ 

4. Gruppe.7 „ 

Da die Zahlen der 3. und 4. Gruppe nicht für eine Analyse genügen, 
kann man versuchen, diese Frage durch die 1. und 2. Gruppe zu lösen. 
Als Ausgangspunkt kann die Kurve der Alterssenkung der Radix 
mesenterii dienen. Das hierhergehörige Material ist in folgenden Tabellen 
zu sehen. 


Gruppe I. Die Höhenlage. 


Alter 

Zahl der 
Falle 

m 

W. K. 

in—iv 

W. K. 

IV 

W. K. 

iv—v 

W.K. 

V 

W.K. 

Pro¬ 

mont. 

Kreuz. 

Embryonen. 

i 

— 

i 

— 

— 

— 

— 

— 

bis zu 10 Jahren . . 

9 

— 

— 

3 

3 

1 

2 

— 

von 11—20 Jahren . 

4 

— 

— 

— 

1 

3 

— 

— 

„ 21—25 „ 

6 

— 

— 

— 

2 

3 

1 

— 

,, 26—30 ,, 

3 

— 

— 

— 

— 

2 

1 

— 

„ 31—40 „ . 

8 

— 

— 

1 

— 

2 

4 

i 

„ 41-50 „ 

10 

— 

— 

— 

1 

3 

5 

i 

„ 50 Jahren u. älter 

9 

— 

— 

— 

— 

2 

2 

5 


Gruppe II. Die Höhenlage. 


Alter 

Zahl der 
Falle 

m 

W.K. 

m—iv 

W.K. 

IV 

W.K. 

IV—V 
W.K. 

V 

W.K. 

Pro¬ 

mont. 

Kreuz. 

Embryonen. 

3 

i 

— 

i 

— 

— 

i 

— 

bis zu 10 Jahren . . 

6 


— 

2 

4 

— 

— 

— 

von 11—20 Jahren . 

— 


— 

— 

— 

— 

— 

— 

„ 21-25 „ 

2 

— 

— 

1 

— 

— 

i 

— 

»» 26— 30 99 • 

2 

— 

— 

— 

1 

— 

i 

— 

„ 31-40 „ 

5 

— 

— 

— 

1 

4 

— 

— 

9$ 41 — 50 99 • 

1 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

— 

„ 50 Jahren u. älter 

6 

— 

— 

1 

1 

2 

2 

— 


Das Gesetz der Alterssenkung zeigt sich gleich stark auf beiden 
Tabellen. Wenn man hingegen die Höhenlage der Radix mesenterii 
nach den Altersstufen vergleicht, so scheint es, als ob in der 2. Gruppe 
alle Verhältnisse um einen Wirbelkörper höher liegen; die Kurve fällt 
ab, doch ist sie zur Seite verlagert. 

Graphisch kann diese Erscheinung wie folgt dargestellt werden 
(Abb. 10): Man sieht, daß die Kurve der 2. Gruppe höher und fast 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


30B 


parallel zur 1. Gruppe verläuft. Die kleinen Unregelmäßigkeiten können 
durch die geringe Zahl der Beobachtungen erklärt werden; leider stand 
mir kein größeres Material zur Verfügung. 

Nach der Wahrscheinlichkeitstheorie muß die Zahl der Beobach¬ 
tungen nicht unter 200 (Dawidoff) sein. Um solch ein Material für die 
4. Gruppe zu erhalten, sind 2840 Untersuchungen nötig, eine Arbeit, 
die von einem Forscher nicht ausgeführt werden kann. Sich nolens 
volens mit diesem Material zufriedenstellend, kann man sagen, daß 
dem Altersfaktor ein anderer Faktor entgegenwirkt, der auf die Höhe 
der Badix mesenterii des S rom. einen Einfluß ausübt. Der Einfluß 
dieses Faktors kann nur in der 2. Gruppe (das S rom. liegt nach auf¬ 
wärts in der linken Bauchhälfte) erkannt werden. 

Radix mesenterii und Beckenformen. Die Haftlinie der Badix me¬ 
senterii nimmt bei jedem Individuum eine bestimmte Lage in der 
Bauchhöhle ein. Diese Lage kann genau bestimmt und mathematisch 
ausgedrückt werden, wenn man durch die erhaltene Abb. 3 koordinierte 
Ebenen führt. Ihre Pro¬ 
jektion auf diese Ebe¬ 
nen kann zu einfachen 
geometrischen Verhält¬ 
nissen führen. Man kann 
sich leicht überzeugen, 
daß die Lage dieser Fi¬ 
gur im Verhältnis zu den 
Kardinalebenen (der horizontalen, frontalen und sagittalen) bei jedem 
Individuum verschieden ist. Besonders stark ist ihre Neigung zur Hori¬ 
zontalebene. Die Größe der Neigung kann dadurch ausgedrückt werden, 
daß man die Stützpunkte der Badixlinie durch eine Gerade verbindet und 
sie im Verhältnis zur Horizontalebene studiert. Die Größe des Winkels 
schwankt im Bereich von 5—85°. Die Größe dieses Winkels bestimmt 
die Lage der Radix mesenterii. Bei kleinem Winkel liegt die Haftlinie 
in horizontaler Richtung, in derselben Richtung entfaltet sich auch 
das Mesenterium, wie auch das ganze System des S rom. Bei größerem 
Winkel streckt sich die Radix mesenterii in vertikaler Richtung und 
das ganze System liegt von oben nach unten. Die erhaltenen Resultate 
erlauben die Winkelgröße mit der Beckenform in Verbindung zu bringen. 
Wenn man das Mittel der Neigungswinkel für Mann, Weib und Kind 
einzeln bestimmt, so erhält man für Blinder (bis zu 12 Jahren) einen 
Neigungswinkel von 48,66°, für Männer 48,02° und für Frauen 31,28°. 

Bei Männern und Kindern liegt die Radix mesenterii in einer mehr 
vertikalen, bei Frauen hingegen in einer mehr horizontalen Ebene. 
Dieser Unterschied kann nicht als Geschlechtsunterschied angesehen 
und durch die Anwesenheit der Geschlechtsorgane erklärt werden. 





304 


Ssoson-J aroschewitsch: 


da stark ausgeprägte vertikale Lage der Haftlinie bei Kindern beiderlei 
Geschlechts zu beobachten ist. Augenscheinlich liegt der Grund nicht 
in der Entwicklung der Geschlechtsorgane, sondern in den verschie¬ 
denen Veränderungen des Volumens des Beckens im geschlechtsreifen 
Alter. 

Es muß angenommen werden, daß dem genannten Unterschied die 
eigenartigen Konfigurationen des männlichen, weiblichen und kind¬ 
lichen Beckens zugrunde liegen. Wenn man die Besonderheiten, nämlich 
die große Breite und das große Volumen des weiblichen Beckens in 
Betracht zieht, so wird der angeführte Zahlenunterschied klarer. 

Folgende Untersuchungen können die Frage endgültig lösen. Wenn 
man die Beckenzahlen bei Mann und Weib untersucht, so findet man 
in der männlichen Gruppe Becken mit weiblichen Eigentümlichkeiten 
und in der weiblichen Gruppe solche mit männlichen Anzeichen. Die 
Beckenmessungen sind von mir auf der Hautoberfläche ausgeführt 
worden, daher unterscheiden sie sich etwas von den Zahlen anderer 
Autoren (Runge, Filatoff, Räuber u. ä.). Im Mittel stimmen sie fast 
überein (Dist. spin. 23,73; Dist. crist. 27,73; Dist. troch. 29,6 und 
Conjugata ext. 18,3 bei Frauen). 

Wenn man aus der „männlichen“ Gruppe die sog. „weiblichen“ 
Becken ausschließt, die sog. „männlichen“ Becken der „weiblichen“ 
Gruppe hinzurechnet und dasselbe mit der weiblichen Gruppe vor¬ 
nimmt, so treten die Resultate noch deutlicher hervor. 

Der Neigungswinkel zur Horizontalen ist bei Männern = 50,8, 
während er für das weibliche Becken nur 26,1° beträgt. Dieser Um¬ 
stand läßt daran denken, daß der Neigungswinkel der Haftlinie zur 
Horizontalebene von der Konfiguration des Beckens abhängt. Bei 
breiter Beckenform liegt die Haftlinie mehr horizontal, bei schmaler 
hingegen mehr vertikal. 

Die angeführte Abhängigkeit erklärt nicht nur einige Prinzipien 
der Topographie, sondern erlaubt auch diese Verhältnisse am Lebenden 
zu diagnostizieren. 

Abschnitt 5. 

Das Mesenterium des S rom. Die Länge des S rom. 

Die zweite anatomische Komponente des S rom. ist dessen Me¬ 
senterium. Mit der Besonderheit der Form und Größe werden von den 
Klinikern einige Krankheiten (z. B. Volvulus) in Verbindung gebracht. 
Untersuchungen in dieser Richtung sind so gut wie gar nicht ausgeführt 
worden und mir ist es nur gelungen, 2 Arbeiten (Samson und Adisson) 
zu finden, in denen einige Angaben darüber vorhanden sind. 

Samson (1892) stellte eine Zeitform des Mesenteriums fest. Zur 
Veranschaulichung der Verhältnisse empfiehlt er, von einem Papier- 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


305 


kreis etwas weniger als den halben Sektor auszuschneiden und die 
erhaltene Figur so zu falten, daß die geraden Ränder einen Winkel 
von 45° bilden. Nach seinen Angaben unterscheidet sich die Form 
des Mesenteriums der Erwachsenen von der der Kinder hauptsächlich 
durch die Größe des Winkels der Haftlinie. 

Adis8on (1901) vergleicht die Form des Mesenteriums mit einem 
Ebenenwinkel, die Schnittlinien seiner Flächen mit der hinteren Bauch¬ 
wand stellen die Haftlinie dar. Von 40 Untersuchungen fand er in 
11 Fällen das Fehlen der äußeren Fläche des Winkels und in 27 Fällen 
waren beide vorhanden. Diese Beobachtung ist sehr wesentlich, da sie 
beweist, daß die Form des Mesenteriums nicht immer die gleiche ist 
und ebenso wie das S rom. Variationen unterworfen ist. 

Mein Material umfaßt 59 Fälle. Wenn man das Mesenterium im 
frischen und vom Darm getrennten Zustand untersucht, so erscheint 
dessen Form sehr einfach und erinnert tat¬ 
sächlich an einen Kreisausschnitt (Abb. 11). 

Sie verändert sich verhältnismäßig wenig, 
wenn man die Haftlinie der Radix mesen- 
terii unter dem Winkel fixiert, unter dem 
sie in situ vorhanden war. Wenn man nun 
den Darm aufbläht und dadurch das Mesen¬ 
terium zur Entfaltung bringt, so ändern sich 
die Verhältnisse wesentlich. Das Mesente¬ 
rium spannt sich und nimmt komplizierte und 
sonderbare Formen an. In solch einer Lage 
kann das Mesenterium durch Austrocknen an der Luft fixiert werden. Im 
Abschnitt 3 sind die Resultate der reduzierten Topographie bei der Auf¬ 
blähung des Darmes angeführt worden, wobei der Darm auf einer geraden 
Fläche bei fixierter Haftlinie der Radix mesenterii liegt. In einem Fall 
steigt das Mesenterium nach aufwärts, im anderen senkt es sich nach ab¬ 
wärts von der Radix mesenterii. Mit Hilfe der mathematischen Analyse 
können die Kräfte analysiert werden, die das Emporsteigen bzw. die 
Senkung des Mesenteriums bedingen; hier tritt die federnde Eigenschaft 
des aufgeblasenen Darmes und der Widerstand des gespannten Me¬ 
senteriums zutage. Die Größe dieser Kräfte hängt von der Form und 
Größe des Mesenteriums ab und stellt dessen Grundeigenschaft dar, 
deren Ausdruck die Lage des Darmes im Verhältnis zur Radix mesen¬ 
terii ist. 

Ohne näher auf die Details einzugehen, kann man behaupten, daß 
die Lage des Darmes bei gespanntem Mesenterium als Hauptmerkmal 
des Mesenteriumtypus anzusehen ist und 2 Arten unterschieden werden 
können. In einem Fall steigt es nach aufwärts, im anderen nach ab¬ 
wärts. Beispiele dieser Gruppen sind auf Abb. 12 zu sehen. Im Bereich 

Archly f. klin. Chirurgie. 125. 20 



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306 


Ssoson-Jaroschewitsch: 


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Abb. 12. 



dieser beiden Typen sind eine Reihe verschiedener Variationen möglich. 
Letztere können in 3 Gruppen zusammengefaßt werden: 1. die lange 
schmale bandförmige, 2. die kurze und breite (kreisförmige) und 3. die 
appendixähnliche (Abb. 13). Zur 2. Gruppe gehören Mesenterien von 
3-4- und vieleckigen Formen (Abb. 14). Eigenartig ist 
die Sattelform; diese stellt eine Verbin¬ 
dung der 1. und 2. Gruppe dar (Abb. 15). 

Äußerst interessant ist das Verhältnis 
dieser Mesenterium typen zur Lage des 
S rom. Wenn man genauer die Konturen 
des freien Mesenteriumrandes betrach¬ 
tet, so wird es klar, daß die Form des Mesenteriums die Darmlage be¬ 
stimmt. In einem Fall (Abb. 12) wird die Darmschlinge nach aufwärts, 

im anderen (Abb. 13) nach abwärts ge¬ 
richtet und kann entwe¬ 
der zur 1. oder 2. Gruppe 
gehören. 

Wenn man nun die 
Verhältnisse der Mesen¬ 
teriumform und der Lage 
des S rom. in situ unter¬ 
sucht, so tritt deutlich der Zusammenhang zwischen dem Typus des 
S rom. und der Form des Mesenteriums zutage. Der 1. Gruppe sind 

2 Formen (Abbild. 13) 
und die Sattelform, der 
2. Gruppe ein schmales 
und kurzes, nach auf¬ 
wärts ziehendes Mesen¬ 
terium eigen. Die 3. 
Gruppe weist ein breites 
Mesenterium mit nach 
rechts ziehenden Ausläufern auf (die zweite rechte Figur auf Abb. 12). 
Die 4. Gruppe besitzt ein kurzes Mesenterium, welches auf Abb. 13 zu 
sehen ist. 

Einer bestimmten Form entspricht eine bestimmte 
Gruppe. Der Zusammenhang der Form des Mesenteri¬ 
ums mit einer bestimmten Variation des S rom. ist sehr 
beständig, daher kann man sagen, daß von der Form 
des Mesenteriums die Lage des S rom. abhängt und ihre 
Verschiedenheit entsprechende Lageveränderungen des Darms hervorruft. 

Die 3. Komponente ist die Länge des Darmes. Die Frage über die 
Länge des Darmes muß bis auf den heutigen Tag als ungelöst betrachtet 
werden. In der Literatur betreffen die Untersuchungen 1. den kind- 


Ulf 




f 


1 



Abb. 14. 



Abb. 15. 


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Die Analyse der Variationen des S romantun. 307 

liehen Darm, 2. die Länge des ganzen Dickdarms und 3. die Kasuistik 
von besonderer Länge des S rom. 

In der Literatur findet man Angaben, daß der kindliche Darm 
verhältnismäßig länger als der der Erwachsenen ist. Nach Jacobi 
(1869) ist das Verhältnis der Darmlänge zur Körperlänge in den letzten 
Embryonalmonaten 12 : 1, während beim Erwachsenen 8 : 1 zu ver¬ 
zeichnen ist. Der Unterschied wird durch die unproportionale Ver¬ 
längerung des unteren Darmabschnittes erklärt. Es stellt sich nämlich 
heraus, daß das Colon ascendens und transversum beim Embryo und 
Neugeborenen kürzer, das Colon desc. dagegen bedeutend länger als 
heim Erwachsenen ist. Nach den Untersuchungen von Frolomky 
(1876, 86 Fälle) hat das 2monatige Kind die größte Darmlänge auf¬ 
zuweisen. Der Dünn- und Dickdarm verhält sich heim Neugeborenen 
wie 6:1, beim Brustkind wie 6 : 1 und beim Erwachsenen wie 4:1. 
Somit verlängert sich der Dünn- und Dickdarm nicht gleichmäßig 
und die Angabe steht im Widerspruch mit der Ansicht von Jacobi, 
der behauptet, daß die Verlängerung hauptsächlich den Dünndarm 
betrifft. 

Nach Tarenetzky (1880) sind die Verhältnisse der Darmlänge zur 
Körperlänge in dem verschiedenen Alter folgende: 


Körperlänge : Darmlänge beim Embryo bis zu 5 Monaten.1 : 7,2 cm 

,, ,, ,, ,, „ zur Geburt .. . . . 1 * 6,9 ,, 

„ „ „ Kind „ zu 1 Jahr. 1 : 6,6 „ 

„ „ „ „ „ zu 16 Jahren . . . . 1 : 7,6 „ 

„ „ „ Erwachsenen. 1 : 7,2 „ 


Das Gesetz der Darmverkürzung ist von Tarenetzky nicht nur 
an Menschen, sondern auch an Tieren untersucht worden. Leider 
fehlen bei ihm Angaben über die Darmlänge nach den einzelnen Alters¬ 
stufen. 

Was die Größe des S rom. anlangt, so sind in der Literatur wenig 
Angaben vorhanden. Bei Kadjan sind im Mittel 20 cm Länge angegeben. 
Bei Qruber und Küttner sind Fälle von enormer Länge des S rom. 
(1 Fuß 5 Zoll, 105 cm, 5—6 Fuß) beschrieben. Curschmann sah an 
233 Leichen in 15 Fällen eine Länge von 195—280 cm (im Mittel 242 cm). 
Diese Befunde veranlaßten kurze und lange S rom. zu unterscheiden. 
Als Grenzwert bezeichnet Blumenfeld 30—45 cm und die Zahl der 
langen S rom. berechnet er auf 20%. 

Meine Beobachtungen beziehen sich auf 50 Fälle, darunter waren 
20 Männer, 19 Frauen und 11 Kinder von 2—11 Jahren. Die mittlere 
Länge betrug ungeachtet des Alters und Geschlechts 49,36 cm. Die 
absoluten mittleren Zahlen betrugen bei Männern 53,2, bei Frauen 
55,5 und bei Kindern 31,95 cm. Interessant sind die Längen Verhältnisse 
bei den einzelnen Altersstufen: 

20 * 


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308 


Ssoson-Jaroschewitsch: 


bis zu 10 Jahren war die mittlere Länge des S rom. . 
von 11—20 Jahren war die mittlere Länge des S rom. 


»» 

99 


21—30 

31-40 


99 99 99 

99 99 99 


99 99 99 

99 99 99 


„ 40 Jahre u. älter „ „ 


99 * 99 


31,55 cm 
36,00 „ 
47,76 „ 
51,66 „ 
57,27 „ 


Wenn man die Zahlen nach den Altersperioden beim Erwachsenen 
(nach dem 20. Lebensjahr) nimmt, so kann ein Größenwachstum des 
Darms besonders nach dem 40. Lebensjahr festgestellt werden. In der 
zweiten Lebenshälfte tritt ein Längenwachstum ein, das auf das Alter 
und die Muskelatrophie zurückzuführen ist. Wenn man die Zahlen 
von Tarenetzky betrachtet, so fällt auf, daß sie bis zum 16. Lebensjahr 
größer werden und nachher wieder abnehmen. 

Es ist möglich, daß die AltersVerlängerung sich auf den ganzen 
Darm bezieht. Im Verhältnis des S rom. ist dieses ganz offensichtlich. 
Diese Tatsache ist von klinischer Bedeutung, da dadurch die häufigen 
Obstipationen im Alter erklärt werden können. 

Von Interesse sind ferner die Verhältnisse der Länge bei den ein¬ 
zelnen Variationsgruppen. Im Mittel wurden folgende Zahlen festgestellt: 


Für 1. Gruppe eine Länge von 

,, 2 . ,, „ „ ,, 

,, 3. ,, ,, „ ,, 

„ 4. ,, ,, ,, „ 


56.5 cm 

56.6 „ 
85,0 „ 
33,8 „ 


Diese Zahlen entsprechen den Besonderheiten der oben angeführten 
Gruppen. Es ist offensichtlich, daß die größte Länge des S rom. der 
3. Gruppe angehört, bei der der Darm in die rechte Bauchhälfte über¬ 
geht; den kürzesten Darm besitzt die 4. Gruppe als die elementar 
einfachste. 

Daher kann angenommen werden, daß die Darmlänge eine ver¬ 
schiedene ist und davon abhängt, welcher Gruppe der Darm angehört. 
Genauer ausgedrückt kann man sagen, daß der Lagetypus des S rom. 
von der Länge des Darms wie auch von den Variationen der Lage der 
Badix mesenterii und der Form des Mesenteriums abhängt. Der Lage¬ 
typus stellt eine Funktion der drei besagten Größen dar. Jede derselben 
kann sich durch verschiedene Faktoren ändern, wodurch auch der 
Lagetypus Veränderungen erfährt. 

Alle möglichen Kombinationen, die durch die Veränderungen der 
Fundamentalgrößen entstehen, zu bestimmen, ist unmöglich; sie sind 
so zahlreich, daß man sie sich nur vorstellen kann. Es wird einfacher sein, 
wenn wir uns den Faktoren zuwenden, die die Schwankungen der Fun¬ 
damentalgrößen hervorrufen, und sie bestimmen. Das bisher unter¬ 
suchte Material erlaubt es von zwei Faktoren, nämlich dem Alter und 
der embryonalen Anlage zu sprechen. 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


309 


Abschnitt 6. 

Die Lage des S rom. und sein FüUungszustand. Der Charakter des In¬ 
halts. Der Einfluß der Füllung der Nachbarorgane. 

Das untersuchte Material gestattet eine Reihe von Lagetypen und 
ihre verhältnismäßige Häufigkeit festzustellen. Die Resultate der 
Untersuchungen müssen in dem Sinn gedeutet werden, daß bei 
100 gleichzeitig untersuchten Individuen die obenerwähnten Lagetypen 
angetroffen werden können; ohne auf den Funktionszustand des Organs 
zu achten. Man kann allerdings nicht behaupten, daß die gefundene 
Lage dem Individuum das ganze Leben lang eigen ist und daß wir diese 
Lage in beliebigem Alter bei ihm feststellen können. Die erhaltenen 
Resultate sprechen dagegen. Außer den anatomischen treten noch 
physiologische Faktoren hinzu. 

Das Untersuchungsmaterial läßt die Frage des Füllungszustandes 
des Darmes und der benachbarten Organe auf tauchen. 

Die Literaturangaben über diese Frage sind im allgemeinen folgende: 
Engel (1857) untersuchte diese Frage und weist den physiologischen 
Faktoren eine große Bedeutung für die Lage des Darms zu; er geht 
noch weiter und erklärt durch letztere die Verschiedenartigkeiten der 
Lage des Darms. Die physiologischen Faktoren teilt er in 1. den Füllungs¬ 
grad, 2. den Charakter des Inhalts und 3. in die peristaltischen Be¬ 
wegungen des Darms ein. Engel stellt obendrein einen Zusammen¬ 
hang zwischen der Lage des S rom. und dem Füllungszustand der 
Harnblase sowie von Flüssigkeitsansammlung im Bereich des kleinen 
Beckens fest. Die Beobachtungen und Schlußfolgerungen dieses Ver¬ 
fassers sind an einem großen Material nachuntersucht und haben bis 
heute ihre Gültigkeit behalten. 

Die Abhängigkeit der Topographie vom FüUungszustand ist von 
Huguier (1858) und Toldt (1879) an Embryonen und Neugeborenen 
festgesteUt worden. Huguier erklärte die rechtsseitige Lage des S rom. 
bei Kindern durch die Anhäufung von Meconium während des embryo¬ 
nalen Lebens. Schieferdecker (1888) behauptet, daß der Darm unter 
dem Einfluß von außen wirkender Kräfte seine Lage verändern kann. 
Zu solchen Kräften rechnet er 1. die Dehnung des Darms durch den 
Inhalt und 2. den Druck der benachbarten Darmschlingen. Außer 
dem Darminhalt übt auch das Gewicht des letzteren bei andauernder 
gleicher Körperlage ihren Einfluß aus. 

Bei Jonesco (1892) sind Angaben vorhanden, daß in der 2. Hälfte des 
embryonalen Lebens das S rom. unter dem Einfluß der Dehnung durch 
das Meconium seine Lage verändert und nach rechts oder oben rückt. 

Samson (1892) führte Untersuchungen mittels Darmaufblähung 
aus und fand, daß sich der Darm nach rechts und oben verlagert und 
eine beharrliche Lage einnimmt. 


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310 Ssoson-Jaroschewitsch: 

Sehr genaue Beobachtungen wurden von Ssokoloff (1893) an einem 
großen Material angestellt. Nach seinen Angaben erhebt sich das S rom. 
bei der Füllung mit Gas immer höher und höher und verlagert sich 
mitunter nach rechts bis zur Leber und links bis zum Magen. Analoge 
Verlagerungen werden beim Füllen des Darmes mit Wasser beobachtet. 
Auf Grund dieser Literaturangaben tritt die Beteiligung von physio¬ 
logischen Faktoren bei Füllung des S rom. deutlich zutage. 

Unter dem Einfluß von Veränderungen im Füllungszustand kann 
sich die Lage aus der tiefsten (im Becken) in die höchste (unter der 
Leber) verwandeln. 

Folgende physiologische Faktoren üben einen Einfluß auf die Lage 
des Darmes aus: 1. die Peristaltik, 2. der Füllungsgrad des Darms, 
3. der Charakter des Darminhaltes, 4. der Füllungsgrad der Nachbar- 




K ' 


organe und 5. die Schwerkraft (die Lage des Körpers). Der Einfluß 
einiger Faktoren kann bei den anatomischen Untersuchungen nicht 
genau bestimmt werden, wie z. B. die Lage des Körpers. 

Schieferdecker kommt hier zu einem Deduktionsschluß, daher ist 
seine Schlußfolgerung von hypothetischem Wert. Ebenso steht es mit 
der Frage über die Peristaltik. Diese Frage ist noch deshalb unkl ar, 
weil einige Forscher ( Braam-Houlcgeest und Notnagel , zit. nach Samson) 
die Rolle der Peristaltik für unbedeutend halten. 

Die übrigen Faktoren können ziemlich genau bestimmt werden. 

1. Die Frage des Füllungszustandes des S rom. wurde von mir 
experimentell untersucht. Das vom Rectum und Colon desc. durch 
Ligatur isolierte S rom. wurde unter verschiedenem Druck mit Luft, 
Wasser oder Gipsbrei angefüllt. Die erhaltenen Resultate können auf 
folgender Abbildung demonstriert werden (Abb. 16). Der leere Darm 
liegt im Anfangsstadium im Becken (1. Gruppe). Bei mittlerer Füllung 
entfalten sich die Darmschlingen und treten aus dem Becken in die 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 311 

Bauchhöhle empor. Bei maximaler Füllung geht der Darm in toto 
in die Bauchhöhle über; im Becken bleibt nur der rectale Abschnitt 
des S rom., während das S rom. selbst eine große Schlinge bildend 
in der rechten Bauchhälfte unter der Leber zu liegen kommt (3. Gruppe). 
Die 1. Gruppe hat sich in die 3. umgewandelt. In anderen Fällen konnte 
man Übergänge von der 1. zur 2. Gruppe beobachten, allerdings waren 
sie nicht so eklatant. 

Die angeführten Verlagerungen waren nur bei der 1. Gruppe mög¬ 
lich. Der unter der Leber oder der Milz liegende leere Darm war keinen 
Verlagerungen unterworfen. Bei der Aufblähung verändert sich die 
Lage nicht, nur die Darmschlingen verlieren ihre winkeligen Konturen. 

Daher kann man annehmen, daß die 2., 3. und 4. Gruppe als resistente 
Gruppen anatomischen Ursprungs anzusehen sind. Die 1. Gruppe ist 
anatomisch unbeständig und kann in die 2. oder 3. Gruppe übergehen. 
Die Beständigkeit der 3 letzten Gruppen und die Unbeständigkeit 
der 1. liegt in der Eigentümlichkeit des Mesenteriums dieser Gruppen. 

Die Form des Mesenteriums der 1. Gruppe ist nicht scharf gesondert. 
Eigenartige Sattelform kommt nur ihr zu. Diese Form wird aber nicht 
in der ganzen Variationsgruppe beobachtet; es sind noch andere For¬ 
men, wie die segelförmige, die viereckige u. dgl. mehr vorhanden. Bei 
diesen Formen kann das Mesenterium unter dem Einfluß der federnden 
Wirkung des sich füllenden Darms sich auf- oder abwärts im Verhält¬ 
nis zur Badix mesenterii verlagern, wie dieses bei den Versuchen mit 
der reduzierten Topographie zu beobachten war. Durch die Verlage¬ 
rung des Mesenteriums ändert sich die Lage des Darms in der Bauch¬ 
höhle: die 1. Gruppe geht in die 2. oder 3. über. Wenn die physiologi¬ 
schen Faktoren ihre Wirkung einbüßen, nehmen andere Kräfte (Intra¬ 
peritonealdruck) überhand, und der Darm muß sich in das Becken 
zurückverlagem. 

Solch eine Verlagerung ist für die 2. und 3. Gruppe unmöglich, 
da ihr die besondere Form des Mesenteriums widerstrebt. 

Daher muß angenommen werden, daß die 1. Gruppe zu Verlage¬ 
rungen in der Bauchhöhle prädisponiert. Diese Anpassungsfähigkeit 
gibt ihr einen großen Vorzug vor den anderen Gruppen, da ihr die 
Möglichkeit gegeben ist, einen maximalen Inhalt aufzuspeichern. Vom 
physiologischen Standpunkt aus muß dieser Umstand der funktionalen 
Beständigkeit des Organs gutgeschrieben werden. 

Verschiedene Überlegungen bekräftigen die Auffassung von der biolo¬ 
gischen Vollkommenheit der 1. Gruppe im Vergleich zu den anderen. 

2. Der Einfluß des Charakters des Darminhaltes auf die Topo¬ 
graphie des S rom. kann nur bei teil weiser Füllung des Darmes ver¬ 
folgt werden. Bei teilweiser Füllung des Darms mit festen Massen 
tritt die Schwerkraft hinzu, wobei die Teile mit festen Kotmassen 


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Ssosi in-,Jarosche witsch 


sich nach abwärts senken und die mit Gas angefüllten nach aufwärts 
streben. 

3. Der Einfluß der Füllung des Rectums und der Harnblase kann an 
dem Untersuchungsmaterial auf folgende Weise studiert werden. Wenn 

f man aus der Gesamtzahl 

, der Gruppen diejeni¬ 

gen Fälle absondert, die 
mit beträchtlicher Fül¬ 
lung des Darms .Rectums 
und der Harnblase ein- 
\ hergingen und sie nicht 

I I nach den Altersperioden 

/ einteilt, so kann man 

I bemerken, daß die Al- 

\ terssenkung mit gewis- 

\ sen Ablenkungen einher- 

geht. Diese Ablenkun- 

Abb - 17 - ■ A A * 1 

gen sind derart kon¬ 
stant, daß ein Einfluß besagter Faktoren auf die Lage der Haftlinie 
zugegeben werden muß. 

Bei Füllung des S rom. mit festen Kotmassen senkt sich die Radix 
mesenterii infolge der Schwerkraft, die das parietale Peritoneum ver- 

!] lagert, nach abwärts, während 

die Anwesenheit von Gasen die 
Radix mesenterii nach auf- 

Die (chronische) Füllung des 
Darms durch feste Kotmassen 
wirkt in gleicher Richtung wie 
der Altersfaktor, wobei der 
Einfluß potenziert wird. Wenn 
diese 2 Faktoren gleichzeitig 
und lange einwirken, so kann 
\ / man erwarten, daß die Radix 

Abb j 8 mesenterii bedeutend tiefer als 

gewöhnlich liegen wird. Die¬ 
ser Umstand ist bei der Genese der Enteroptose von Bedeutung. 

Bei bedeutend angefüllter Harnblase steigt auch die Radix me¬ 
senterii und besonders deren Haftlinie empor. Die ganze Figur be¬ 
kommt eine mehr horizontale Lage. Diese Lagen sind auf Abb. 17, 18 
zu sehen. Aus ihnen geht hervor, daß der Einfluß der gefüllten Harn¬ 
blase oder des Rectums aus 2 Komponenten besteht : 1. Durch die Ver¬ 
ringerung des kleinen Beckens wird die Darmmasse nach aufwärts ge- 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


31B 


trieben und 2. wird die Radix mesenterii nach oben gedrängt. Aus diesen 
Tatsachen geht hervor, daß die Lage des S rom. in der Bauchhöhle nicht 
nur anatomischen, sondern auch physiologischen Faktoren unterworfen 
ist. Die dadurch sich bildenden Kräfte stören die Statik des Darms, 
er wird aus dem Gleichgewicht und in Bewegung gebracht. Dieses 
wird so lange bestehen, als die neue Lage nicht durch die Wirkung 
der Komponenten sowie der Nachbarorgane ins Gleichgewicht gebracht 
wird. Dadurch entsteht zeitweise eine neue Lageart, die so lange be¬ 
steht, bis das durch die Verlagerung erzielte Gleichgewicht durch die 
Wirkung derselben physiologischen Faktoren wieder gestört wird. 

Abschnitt 7. 

Die Grundfaktoren. Ihre Wirkung auf die Topographie des S rom. 

Oben sind die Einzelteile der Topographie des S rom. beschrieben 
worden, dabei sind eine Reihe von Faktoren zutage getreten, die in 
der einen oder anderen Richtung auf dessen Lage einen Einfluß ausüben. 
Letztere sind sehr variabel und verschiedenartig und stellen in ihrer 
Gesamtheit ein kompliziertes Bild dar. Das Bild ist so kompliziert, 
daß es auf den ersten Blick schwer fällt, sich zu orientieren und eine 
Antwort auf die Frage zu geben, was denn eigentlich der Grund der 
Verschiedenartigkeiten der Lagetypen ist. 

• Es wäre vielleicht zu kühn, sich an die Beantwortung dieser Frage 
im vollen Umfang zu wagen; doch kann man versuchen, in diesem 
bunten Durcheinander allgemeine Gesetze oder Grundfaktoren zu 
finden, die die Topographie des Darms bestimmen. 

Dieser Versuch entspringt dem Bestreben, rationelle Ursachen zum 
Verständnis der topographischen Verschiedenartigkeiten zu finden, 
um damit das Studium der verschiedenen Variationen auf eine rationelle 
Basis zu stellen. 

Alle Verschiedenheiten in der Anordnung des S rom. können auf 
die Wirkung folgender Faktoren zurückgeführt werden: 

1. Die Embryonalanlage: Der Einfluß dieses Faktors tritt dadurch 
hervor, daß einzelne Lagegruppen schon im Embryonalzustand an¬ 
gedeutet sind. Die 2. und 3. Gruppe kann schon bei 5—ömonatigen 
Embryonen beobachtet werden. Es muß angenommen werden, daß 
auch in der weiteren Entwicklung die Lageart die gleiche bleibt und 
daß aus der 2. Gruppe beim Embryo sich beim Erwachsenen gleichfalls 
die 2. Gruppe entwickelt. 

Die 4. Gruppe stellt einen kurzen schwach gekrümmten Darm dar, 
der beim Embryo im frühesten Entwicklungsstadium angetroffen wird, 
diese Gruppe kann als Resultat einer Entwicklungshemmung betrachtet 
werden. In dieser Gruppe vollzieht der Darm nicht alle Alters- und 
Verlagerungsevolutionen. Im Gegensatz hierzu macht die 1. Gruppe 


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Ssoson-J&roschewitsch: 


aus dieser Urform hervorgehend in der Embryonalzeit eine kompli¬ 
zierte Evolution durch, wobei eine Endform resultiert, die sich durch 
einen langen Darm mit langem Mesenterium, wie auch durch bedeutende 
Lageverschieblichkeit auszeichnet. 

Bei der Betrachtung des Lagetypus als Funktion, hauptsächlich 
zweier Komponenten der Länge und Form des Mesenteriums und der 
entsprechenden Darmlänge, kann man sehen, daß sich dieses Gesetz 
durch die Verschiedenheiten der Mesenteriumform und der Darm¬ 
länge bewahrheitet. 

Ich habe die extremsten Grade der verschiedenen Schwankungen 
(Darmlänge 20 und 195 cm [Curschmann]), das schmale bandförmige 
lange Mesenterium der 2. Gruppe und das sattelförmige der 1. Gruppe 
im Auge. Das sind solche Verschiedenheiten, die nicht anders als durch 
Eigentümlichkeiten oder Variationen der Embryonalanlage erklärt 
werden können, da die 2. und 3. Gruppe in dieser Periode schon an¬ 
gedeutet ist. 

Der Einfluß dieses Faktors kann auch an den topographischen 
Eigentümlichkeiten verfolgt werden, die von Oruber, Koch und Kiiüner 
beschrieben sind; z. B. die rechtsseitige Fixation des Mesenteriums 
des S rom. De Quervain hat für solche Fälle die Theorie der Ablenkung 
durch die Nabelschlinge aufgestellt. 

2. Der Altersfaktor: Eine Beihe von Wachstumsprozessen, die im 
intrauterinen Leben, wie die Entwicklungsgeschichte lehrt, ihren 
Ursprung nehmen, hören nach der Geburt nicht auf, sondern schreiten 
weiter. Im Laufe des extrauterinen Lebens kommt es zu allmählicher 
Abnutzung der Gewebe, was eine Beihe von Veränderungen zur Folge 
hat. Dieser Abnutzung entsprechen Atrophie, Muskelschwäche, Schwund 
der elastischen Fasern u. dgl. Im Verhältnis des S rom. verändert 
der Altersfaktor die Lage der Badix mesenterii und die Darmlänge. 
Unter diesem Einfluß verlagert sich die Badix mesenterii vom 3. Len¬ 
denwirbel zum 3. Kreuzwirbel; das ganze System des S rom. senkt 
sich dementsprechend nach abwärts, und die Darmschlingen liegen 
meistenteils im kleinen Becken. 

Im Abschnitt 5 sind Angaben über die Darmlänge angeführt. Auf 
Grund von zahlreichen unwiderlegbaren Untersuchungen ist die Länge 
des S rom. beim Embryo größer als beim Erwachsenen. Im Laufe 
des Wachstums des Kindes verkürzt sich die Darmlänge bis zum 20. Le¬ 
bensjahr. Es sind Gründe vorhanden, anzunehmen, daß im höheren 
Alter, wo Muskelatrophie auftritt, diese Veränderungen anderen Platz 
machen und es zur Verlängerung des Darmes kommt, die ihr Maximum 
im Alter von 40—50 Jahren erreicht. 

Der Altersfaktor übt somit wenigstens auf zwei anatomische Kom¬ 
ponenten — auf die Badix mesenterii und auf die Darmlänge — einen 




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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


315 


Einfluß aus. Sein Einfluß auf die Länge des Mesenteriums muß sich 
bestimmt gleichfalls geltend machen. 

Klinische Angaben sind darüber vorhanden, die Tatsache aber selbst 
ist noch wenig erforscht. Diese Angaben genügen jedoch, um die Tat¬ 
sache des Alterseinflusses festzustellen. 

3. Als 3. Faktor ist der rein architektonische zu erwähnen. Er 
stellt das Verhältnis zwischen der Lage des S rom. und der Becken¬ 
form dar. Je breiter das Becken, um so horizontaler ist die Lage der 
Radix mesenterii: beim Mann beträgt der Neigungswinkel zur Hori¬ 
zontalen 50°, während er bei Frauen nur 25° erreicht. Diese Tatsache 
bildet nur eine Teilerscheinung des allgemeinen Gesetzes, das für alle 
Körpergegenden gültig ist (Schädel: die Lagearten der Foramina bei 
Brachy- und Dolichocephalie [Kuprijanoff], Apertura thoracis superior 
— die Abzweigungen des Aortenbogens — [Lissizin]). 

Dies sind die drei Faktoren, die man als anatomo-architektonische 
bezeichnen kann. Sie bestimmen den Entwicklungsgang und die Ver¬ 
änderungen in der Struktur des einen oder anderen Abschnittes des 
Organs. Außer diesen Faktoren sind noch physiologische vorhanden, 
die mit den eigenartigen Funktionen des Organs in Verbindung stehen 
und auf seine Lage einen Einfluß ausüben. Die physiologischen Fak¬ 
toren unterscheiden sich von den anatomo-architektonischen dadurch, 
daß sie nur zeitweise ihre Wirkung ausüben. Die durch sie bedingte 
(physiologische) Lageart ist eine zeitweilige, imbeständige und ver¬ 
schwindet nach Beendigung der Funktion. Wenn hingegen sich irgend¬ 
eine Ursache wiederholt und lange andauert, so bekommt die physio¬ 
logische Lageart eine Beständigkeit, die durch die Veränderungen 
im anatomischen Verhältnis hervorgerufen wird. Zufällig entstanden 
bleibt der Typus permanent bestehen. Dieser Typus kann als patho¬ 
logische Erscheinung betrachtet werden; von unserem Standpunkt 
jedoch ist dieses eine Variation, die durch die Einwirkung hauptsächlich 
physiologischer Faktoren entstanden ist. 

Hierzu ein Beispiel: Eine Überfüllung des S rom. ruft eine Deh¬ 
nung des Darmes, dessen Verlagerung und die Spannung des Mesen¬ 
teriums hervor. Wenn dieser Zustand beständig dauert, wird die zeit¬ 
weise Dehnung des Darms chronisch und das Mesenterium wird gleich¬ 
falls gedehnt. Die anfangs starke Neigung zu Verlagerungen schwindet 
dank dem Verlust der Elastizität, und wir erhalten die sehr oft klinisch 
zu beobachtende Form (der Darm und das Mesenterium sind lang und 
gedehnt, die Darmschlingen liegen im kleinen Becken und haben die 
Fähigkeit, aufwärts zu steigen, eingebüßt), diese Form kann schon 
als pathologisch angesehen werden (Enteroptosis). 

Daher darf der physiologische Einfluß nicht allzu niedrig geschätzt 
werden. Auf Grund der Untersuchungen müssen hierher folgende 


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Ssoson-Jaroschewitoch: 


Faktoren — der Füllungszustand des S rom. und der Nachbarorgane — 
gerechnet werden. Sie können zeitweilige oder konstante Verlagerungen 
des S rom. hervorrufen. 

Dieses sind die durch die Untersuchungen festgestellten Gesetze 
der Topographie des S rom. Diese Gesetze sind an Lebenden fraglos 
viel komplizierter und zahlreicher. 

Beim lebenden Organismus kann man a priori den Einfluß der 
Peristaltik der vertikalen Körperlage, der Bauchpresse u. dgl. feststellen, 
die schon von Engel und Schieferdecker angeführt wurden. 

Die angeführten Faktoren genügen jedoch, um sich die möglichen 
Kombinationen dieser Einflüsse vorzustellen. Diese Faktoren wirken 
zusammen, der Beginn jedoch fällt in ein verschiedenes Alter des Or¬ 
ganismus. Der Faktor der Embryonalanlage wirkt vom Anfang des 
Lebens, der Einfluß der Konfiguration des Beckens tritt erst nach dem 
15. Lebensjahr hervor, der Altersfaktor übt hauptsächlich im höheren 
Alter seine Wirkung aus. Aus irgendeinem Anlaß (Arbeit, Lebens¬ 
verhältnisse) kann der eine oder der andere Faktor verspätet auftreten 
oder früher und später seinen Einfluß ausüben. Daher kann beim 
gegebenen Individuum irgendein Faktor prävalieren oder es können 
mehrere zusammen oft einander widersprechende Einflüsse ausüben. 

Hierdurch tritt schon genügend der endlose und verschiedenartige 
Einfluß hervor, unter dem die Bildung der Lagearten des S rom. 
zustande kommt. Als Folge hiervon sehen wir auch eine endlose Reihe 
von verschiedenartigsten Variationen der topographischen Formen. 

Indirekt läßt sich der Einfluß dieser Faktoren am Lebenden durch 
die Untersuchung einiger klinischer Fragen aus der Pathologie des 
S rom. bestätigen. Das Untersuchungsmaterial bestätigt teilweise 
diesen Einfluß und dient teilweise selbst als Bestätigung. 

Abschnitt 8. 

Klinische Illustration der Lagetypen des S rom. Perisigmoiditis im Bilde 

der Variationen. Volvulus. 

„Wenn auch viele Lageanomalien des Dickdarms beschrieben 
worden sind, so sind sie an Leichen beobachtet worden, am Lebenden 
sind sie sehr selten festgestellt worden“, sagt Kadjan (Russische Chirurgie 
1903, Lief. 30). 

Sind nun tatsächlich solche „Anomalien“ selten am Lebenden? 
Kommt wirklich die Lageverschiedenheit hauptsächlich an Leichen 
vor? Man muß annehmen, daß dieses nicht der Fall ist. 

Es sind gar keine Gründe dafür vorhanden, daß die Lage der Organe 
in der Leiche sich so stark von der am Lebenden unterscheidet und 
daß zwischen ihnen nichts gemein wäre. Der merkliche Unterschied in der 
Häufigkeit klinischer und anatomischer Beobachtungen kann ganz anders 



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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


317 


gedeutet werden. Beim Studium am Leichenmaterial hat der Forscher 
eine Reihe von verschiedenen anatomischen Formen vor sich und kann 
vom prozentualen Verhältnis und von der Frequenz der einzelnen Formen 
sprechen. Soviel mir bekannt, sind keine systematischen Untersuchun¬ 
gen der Darmlänge am Lebenden ausgeführt worden. In der Literatur 
sind zufällige Befunde, die in der einen oder anderen Richtung den 
Chirurgen interessierten, beschrieben worden. Der größte Teil solcher 
Beobachtungen ist überhaupt nicht veröffentlicht worden. 

Wenn man die klinische Literatur sichtet, so kann man sagen, daß 
alle Lagearten, die bei anatomischen Untersuchungen gefunden wurden, 
auf dem Operationstisch beobachtet worden sind. Sie sind nur nicht 
systematisiert worden. Die vorliegende Arbeit hat nicht den Zweck, 
alle klinischen Beobachtungen zu sammeln. 

Der Zweck dieser literarisch-klinischen Übersicht ist die Illustration 
der Schlußfolgerungen durch klinische Beispiele. 

Daher werde ich mich mit folgendem Material begnügen: 

1. Es hat keinen Zweck, genau über die 1. Gruppe zu sprechen; diese 
Fälle werden tagtäglich bei Laparotomien beobachtet. 2. Die 2. Gruppe 
(Rechtslage des Darms von der Wirbelsäule) wird seltener beobachtet. 
Sie wird hauptsächlich bei stark überfülltem S rom. gesehen. 

Im Falle Dupleiz (1877) handelte es sich um einen 38jährigen Mann, der in 
der Kindheit an Athreeia ani litt. Der künstlich angelegte Anus funktionierte 
schlecht, so daß die Exkremente mit einer Kanüle entfrent werden mußten. Pat. 
starb unter den Erscheinungen einer zunehmenden Undurchgängigkeit des Darmes. 
Die Sektion ergab folgendes Bild: die linke Bauchhälfte war durch das enorm 
gedehnte S rom. ausgefüllt; nach aufwärts reichte es bis zum Diaphragma und 
drängte die Milz, den Magen und die Leber in die Brusthöhle. Dieser Fall illustriert 
nicht nur eine spezielle topographische Lage des S rom., sondern auch den Zu¬ 
sammenhang der Lage mit der starken Uberfüllung des Darmes. 

Im Jahre 1904 beschrieb Weber einen Fall von Torsion des S rom., wobei 
der durch Gas ausgedehnte Darm die linke Bauchhälfte einnahm und bis zum 
linken Leberlappen reichte. 

Ferner ist interessant, daß bei der Hirschsprungschen Eirankheit ( Lenander , 
Kümmel!) der gedehnte und hypertrophische Darm eine der 2. Gruppe ent¬ 
sprechende Lage einnimmt. 

Bei der 3. Gruppe muß man mit Huguier beginnen, der im Jahre 1858 
vorschlug bei Kindern den Anus praeternaturalis rechts statt links anzulegen. 
Er begründete 'seinen Vorschlag damit, daß bei Kindern ausnahmslos Rechtslage 
des S rom. zu beobachten sei, wobei er diesen Umstand am Lebenden sowie an 
der Leiche hat feststellen können. 

Der Vorschlag von Huguier wurde im Jahre 1863 von Bourcart nachgeprüft, 
der unter 16 Operationen nur 4 mal Rechtslage beobachten konnte. 

Im Jahre 1906 berichtet Weber über einen weiteren Fall von Torsion des S rom., 
wobei der gedehnte Darm rechts vom Coecum und Colon asc. lag. Bei Torsionen 
des S rom. ist die Lage fast immer rechtsseitig. 

Aus eigenen Beobachtungen kann ich einen Fall aus dem 976. Hilfsfeldhospital 
berichten: Er betraf einen 21jährigen Mann, der wegen Appendicitis chronica 
operiert wurde. Schnittführung nach Lenander . Beim Aufsuchen des Appendix 


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Ssoson-Jaroschewitsch: 


wurde ein Stück Dickdarm aus der Bauchhöhle gezogen, der in der rechten Unter¬ 
bauchgegend lag. Der Darm war zusammengefallen, hatte typische Haustrae 
und App. epipL und besaß ein freies Mesenterium, so daß 15—20 cm Darm frei 
aus der Wunde hervorgezogen werden konnte. Die weitere Untersuchung zeigte, 
daß er nach links und in das kleine Becken zog. Der Darm wurde reponiert und 
unter ihm das Coecum mit dem Appendix gefunden. 

4. Am wenigsten kann über die 4. Gruppe gesagt werden, bei welcher der 
Darm sehr kurz ist und eine wenig geschlängelte Röhre darstellt, die fast gerad¬ 
linig verlauft. Diese Lage bezeichnet Paiel (1907) als ideal, da sie am wenigsten 
zur Stase disponiert. 

5. Der Fall Beinbach (1901) illustriert die von Grober beschriebene Lage 
(rechtsseitige Lage und Fixation). In seinem Fall war außer der ungewöhnlichen 
Lage noch eine Stenose des unteren Heumabschnittes vorhanden. 

Diese bei weitem nicht erschöpfenden Literaturangaben weisen somit 
alle bei der anatomischen Untersuchung gefundenen Lagen des S rom. auf. 

Als weitere Illustration der Unter¬ 
suchungsergebnisse durch das klini¬ 
sche Material kann die Lehre von 
der Perisigmoiditis herangezogen 
werden. 

Prof. Obrasszoff hat im Jahre 1897 
als erster diese klinische Form be¬ 
schrieben. Ausländische Autoren verbinden den Ausdruck Perisig¬ 
moiditis mit dem Namen Mayor (1897). 

Vom klinischen Standpunkt gleicht diese Form sehr der Perityphlitis und der 
Appendicitis; die Perisigmoiditis unterscheidet sich hingegen wesentlich durch 
die verschiedenartige Lokalisation. Auf diese Verschiedenartigkeit hat seinerzeit 
Obrasszoff und hauptsächlich Paiel hingewiesen. 

Obrasszoff beschreibt das sog. Spatium suprapubicum, einen kleinen Bezirk 
oberhalb des Schambeins, in dessen Bereich oft entzündliche Prozesse analog der 
Appendicitis entstehen, die aber durch den Beginn und die Lokalisation verschie¬ 
den sind. Das anatomische Bild hangt davon ab, daß der durch das Gas auf¬ 
getriebene Darm direkt der Bauchwand anliegt. Nach den Angaben von Obrasszoff 
wird dieses Spatium nicht immer beobachtet (1892). 

Paiel (1907) berichtet, daß die Lokalisation der Abscesse bei Perisigmoiditis 
sehr verschiedenartig ist. Auf Grund seiner eigenen Beobachtungen konnte er 
fünf Variationen der Lokalisation feststellen: 1. Vom und unten, 2. vom und 
oben, 3. intramesenterial, 4. absc&s r6tro-iliaques und 5. Lendenabscesse. Es sind 
aber noch andere Lokalisationsmöglichkeiten vorhanden. Auf vorstehender Tabelle 
(Tabelle 19) ( Paiel) sind sie zu sehen. 

Somit variiert die Lokalisation der Abscesse im gleichen Grade 
wie die Darmlänge. Wenn man diese Zeichnungen näher betrachtet, 
so kann man in der mittleren Abbildung die 1. Gruppe und in den 
äußeren die 2. und 3. Gruppe der Lage des S rom. angedeutet finden. 
Dadurch wird die Möglichkeit gegeben, die Lokalisation der Abscesse 
mit der Lage des Darms selbst zu verbinden. Bei der 1. Gruppe wird 
sich der Absceß in der Unterbauchgegend lokalisieren und sich nach 




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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


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dem Becken zu ausbreiten. Bei der 2. Gruppe wird die Lendengegend 
befallen und der Absceß kann nach dem Bücken durchbrechen. (Im 
Fall Jabouley, zit. nach Paiel, brach der Eiterherd durch das Trigonum 
Petiti durch.) Diese Schlußfolgerung ergibt sich aus dem Vergleich 
einer Beihe von Faktoren und scheint die natürlichste zu sein. 

Alles Obige zusammenfassend kann man sagen, daß die durch die 
anatomischen Untersuchungen festgestellten topographischen Details 
des S rom. nicht nur durch die klinischen Formen bestätigt werden, 
sondern auch einige pathologische Fragen lösen können. 

Zur Vervollständigung der beschriebenen Lagen muß noch einiges 
über den Volvulus gesagt werden. 

Volvulu8. Der Volvulus stellt eine spezielle Form der Darmver¬ 
schlingung dar, wobei das S rom. und der Endabschnitt des Ueums 
einen richtigen Knoten bilden. Alle Autoren, die von dieser klinischen 
Form sprechen ( Küttner , Ndaton, Lichtendem, Treves), erwähnen die 
anatomischen Verhältnisse, die die Bildung der Darmverschlingung 
begünstigen. Hierzu gehören 1. die bedeutende Darmlänge, 2. eine 
bedeutende Höhe und Schmalheit des Mesenteriums und 3. die bedeu¬ 
tende Nähe der Schenkel des S rom. und der Badix mesenterii. Diese 
Verhältnisse bedingen eine eigenartige Form der Darmschlinge, die 
aus zwei aneinanderliegenden Schenkeln besteht. Das Verlagerungs¬ 
vermögen eines solchen Darms ist enorm. Bei unregelmäßiger Füllung 
zeigt er die Neigung zu Torsionen um seine Achse, daher wird er sehr 
oft im Zustand des physiologischen Ileus gefunden. Es ist sehr wenig 
nötig, daß echte Darmverschlingungen mit verschiedenen Verlagerungen 
bis zur Knotenbildung entstehen. 

Ohne auf die Mechanik der Darmverschlingungen einzugehen, 
muß auf die anatomischen Verhältnisse näher eingegangen werdeft. 
Sie sind nicht allen Gruppen eigen, und oft vereinigt sie nur die 3. Gruppe. 
Es sind dies die Fälle, wo der durch die Haftlinie gebildete Winkel 
klein, das Mesenterium schmal und lang ist und die lange Darmschlinge 
bis zur Leber heranreicht. Solch ein Fall ist auf Abb. 5 zu sehen. Da 
diese Eigenschaften nur bei der 3. Gruppe zutreffen, so können sie nicht 
öfter als in 10% beobachtet werden. De facto ist die Zahl bedeutend 
kleiner, da das Zusammentreffen aller Symptome sehr selten ist. Bei 
meinem Material habe ich nur einen solchen Fall beobachtet, was etwa 
1% ausmacht (Abb. 5). 

Auf Grund des Untersuchungsmaterials wie auch der Literatur¬ 
angaben ( Djakonoff, Weber, Samson u. a.) kann man sagen, daß in der 
Genese der für die Darmverschlingung notwendigen anatomischen 
Verhältnisse das Alter eine Bolle spielt; bei Kindern ist die verhältnis¬ 
mäßige Darmlänge größer als im späteren Alter, der Winkel der Haft- 
linie hingegen ist bedeutend größer als bei den Erwachsenen. 


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320 


Ssoson-J&roschewitsch: 


Der zweite Umstand ist für die Darmverschlingung ungünstig, 
er nimmt überhand, daher ist die Darmverschlingung bei Kindern sehr 
selten. Bei den Erwachsenen ist der Winkel der Haftlinie kleiner, die 
Darmschlingen liegen nahe aneinander (Samson). Diese Tatsache 
kann auch durch mein Material bestätigt werden. Die Bildung der 
Darmverschlingung muß durch die Altersverlagerung des Darmes be¬ 
günstigt werden; letzteres findet in der 2. Altersperiode statt. 

Außer dem Altersfaktor ist auch der Faktor der Embryonalanlage 
in der Pathogenese der Darmverschlingung maßgebend, da letztere 
die Mesenteriumform, dessen Länge und die Lageform des Darms 
bestimmt. 

Somit erlauben die Untersuchungen den Schluß zu ziehen, daß in 
der Pathogenese des Volvulus eine eigenartige anatomische Form 
(eine Variation der 3. Gruppe) eine große Rolle spielt. Das Zusammen¬ 
treffen spezieller anatomischer Verhältnisse, die die Darmverschlingung 
begünstigen, ist selten und stellt etwa 1% aller Fälle dar. Die Ent¬ 
wicklung solcher Verhältnisse begünstigt das Alter, welches die Darm¬ 
schlingen einander nähert und den Darm verlängert, während als 
Grundfaktor der Variation die Embryonalanlage anzusehen ist. 


Auf Grund des Obigen können folgende Schlüsse gezogen werden: 

1. Die rationelle Beleuchtung der Frage über die Verschieden¬ 
artigkeit der Lage des Srom. ist dann möglich, wenn man von dem Be¬ 
griff „Anomalie“ absteht und die anatomischen Verschiedenartigkeiten 
als Variationen der vollkommenen und unvollkommenen Gruppen 
betrachtet. 

2. Unter der großen Anzahl der Variationen kann man 4 Grund¬ 
gruppen unterscheiden. 

3. Biologisch vollkommen ist das lange S rom. mit langem Mesen¬ 
terium im Becken, die unvollkommene Form stellt einen kurzen Darm 
mit kurzem Mesenterium dar. 

4. Die Radix mesenterii, die Form und Größe des Mesenteriums und 
die Darmlänge sind die anatomischen Komponenten, die die Form 
und die Lage des S rom. bestimmen. 

5. Die Darmverlagerung bei seiner Füllung kann mit Hilfe der 
höheren Mathematik genau analysiert werden. 

6. Die Höhe der Radix mesenterii hängt vom Alter und von der 
embryonalen Anlage der Gruppe des S rom. ab. Die Form der 
Radixlinie steht mit der Beckenform in Verbindung. 

7. Die Variationen der Form des Mesenteriums entsprechen genau 
den Gruppen des S rom., ihre Schwankungen sind durch die Eigenartig¬ 
keit jeder Gruppe begrenzt. 


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Die Analyse der Variationen des S romanum. 


321 


8. Die mittlere Lage des Darmes stellt eine charakteristische Größe 
der einzelnen Gruppen dar. Die Längenschwankungen unterliegen dem 
Altersfaktor. 

9. Die Lage des S rom. hängt teilweise von seinem Füllungszustand 
wie auch der benachbarten Organe ab. 

10. Die Embryonalanlage, das Alter, die Konfiguration des Beckens, 
der physiologische Zustand des Darmes und der Nachbarorgane sind 
die Grundfaktoren, die die Topographie des S rom. bestimmen. 

11. Die Verschiedenartigkeit ihres Einflusses wie ihre Kombinatio¬ 
nen erklären die verschiedenartigen Variationen des S-Rom. 

12. Die Verschiedenartigkeit der Variationen kann durch eine Reihe 
von klinischen Beispielen illustriert und bekräftigt werden. 

13. Die gleichzeitige klinische und topographische Untersuchung 
der Frage über das S rom. klärt einige klinische Fragen auf und erlaubt 
sie zu lösen (Perisigmoiditis, Volvulus). 

Literaturverzeichnis. 

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Die Anatomie und Physiologie der großen Haussäugetiere. Berlin 1906. — 
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Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 21 


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Die Analyse der Variationen des S romanuni. 


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(Aus der Chirurgischen Abteilung des Milit&rspitals zu Sarajevo [Chefarzt: Dr. mecL 

Privatdozent S. Sofoteroff].) 

Zur Frage der Ätiologie yon intraabdominalen Erkrankungen. 
Ein Fall innerer Darmeinklemmung im Mesenterialdefekt. 

Von 

Privatdozent Dr. med. S. Sofoteroff. 

(Mit 1 Textabbildung.) 

(Eingegangen am 17 . April 1923.) 

Nur eine geringe Zahl von klinischen Fällen innerer Einklemmung 
im Mesenterialdefekt finden wir in der diesbez. Literatur beschrieben. 
Nach Obalinskiy Treves und Nothnagel kommt ungefähr ein solcher 
Fall auf 110 Fälle von Darmeinklemmung. Wilms gibt folgende Zahlen¬ 
verhältnisse der verschiedenen Arten von Darmeinklemmung an: 
Intraabdominale Adhäsionen 60, Meckelsches Divertikel 40, Defekte 
des Mesenteriums 20 und Defekte des Omentum majus 15. 

Während der letzten 2 Jahre hatte ich im Militärspital Gelegenheit, 
2 Fälle von Mesenterialdefekten zu beobachten. 

In dem einen, bei einer 60 jährigen Frau, bei einer Talmaoperation, infolge 
von Arteriosklerose des Mesenteriums (operiert den 19. M. 1921), waren im Mesen¬ 
terium einzelne Defekte von Pflaumengröße. Das ganze Mesenterium war im 
höchsten Qrade anämisch mit so reicher Fettablagerung, daß die Fettstücke, bei 
der geringsten Dehnung des Mesenteriums, direkt selbst aus demselben herausfielen. 
Die Operierte war über 1 Jahr unter meiner Beobachtung, und das Resultat der 
Operation kann als vollständig gelungen betrachtet werden: die Darmschmerzen 
verschwanden, und die Tätigkeit des Darmkanals war wieder hergestellt. 

In einem andern Falle handelte es sich um eine schleunige Operation von 
Darmeinklemmung des Soldaten L. M., 23 Jahre alt, welcher mit Kotbrechen 
direkt aus der Kaserne, am 20. VII. 1922, zur sofortigen Operation, während einer 
andern gerade stattfindenden Operation, uns zugestellt wurde. Krankheitsgeechichte 
Nr. 3412. 

Krank seit ungefähr 20 Stunden. Tags vorher, nach dem Mittagsessen, gegen 
2 Uhr, bekam der Pat. einen starken Schmerzanfall in der Bauchgegend. An 
solchen Schmerzen, aber geringeren Maßes, litt er schon während der letzten 
Jahre und verwandte darum auch diesmal keine besondere Aufmerksamkeit auf 
die Schmerzen. Aber — wider seine Erwartung, beruhigten sich diesmal die 
Schmerzen nicht, sondern winden immer stärker, und gegen Abend mußte er sich 
niederlegen. Abends blähte sich der Bauch auf, er konnte nicht urinieren, es zeigte 
sich Erbrechen, gegen Morgen begann Kotbrechen. 


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S. Sofoteroff: Zur Frage der Ätiologie von intraabdominalen Erkrankungen. 325 


Von Blindheit an hatte er stets harten Stuhl, und während der letzten Monate 
empfand er beim Akte der Defäkation starke Schmerzen in der Tiefe des Bauches. 
3 Monate vor diesem seinem letzten Erkranken erhielt er von einem rollenden 
Eisenbahnwagen einen Stoß in den Leib, ohne äußere Anzeichen von Verletzung. 
Er kurierte sich im Spital von den Leibschmerzen, erhielt aber keine Erleichterung. 

Die Untersuchung des Pat. ergab: das Gesicht typisch abdominal, von kaltem 
Schweiß bedeckt, die Zunge trocken und belegt, der Puls 112, sehr schwach gefüllt. 

Aus der Blase mit Hilfe des Katheters 1100 ccm abgestandenen Urin abge¬ 
lassen. Der Bauch aufgebläht, wobei diese Blähung ungleichmäßig verteilt ist: 
links vom Nabel stärker als rechts davon. Bei einem Wüchse von 168 cm befindet 
sich der Nabel 22 cm vom Symphisis. Ich machte meine Assistenten darauf auf¬ 
merksam, daß in gegebenem Falle, nach meiner vollen Überzeugung, die Ursache 
der Einklemmung irgendein Defekt in einer angeborenen Abnormität des Darm¬ 
kanals sein wird. Die Palpation des Leibes unmöglich, wegen starker Schmerzen. 

Dem Pat., auf der rechten Seite liegend, wurde die kombinierte Anästhesie 
gemacht: lumbale mit 1 Tablette Novocain, 0,125, Tonogen 0,000125 und die 
paravertebrale Anästhesie 40 ccm 1 proz. Novocainlösung. Schnitt auf der Linea 
alba im Gebiete des Nabels bis zu 15 cm. Nach Eröffnung des Bauchfells ergoß 
sich aus der Bauchhöhle bis zu 3 1 serös- 
blutige Flüssigkeit, mit Fibrinflocken. In 
der linken Hälfte der Bauchhöhle 6 Darm¬ 
schlingen scharf cyanotisch, mit Fibrin¬ 
flocken auf der Oberfläche. Die Darm¬ 
schlingen sind um ihre Achse von rechts 
nach links, von oben nach unten torquiert. 

Ihr Mesenterium stark anämisch und lang. 

Nachdem ich die torquierten Därme nach 
der entgegengesetzten Seite aufgedreht — 
bemerkte ich trotzdem weder ihre Rötung 
noch ihre Peristaltik. Beim Suchen nach 
der Ursache der fortdauernden Einklemmung fand ich folgendes: die Darm- 
schlingen waren nochmals torquiert, und zwar im Defekte des Mesenteriums 
duodenojejunale des Darmkanals. Der Mesenterialdefekt befand sich im Zen¬ 
trum und hatte 8 cm im Umfange und war von fast vollständig ovaler Form. 
Das Mesenterium selbst war stark anämisch, dünn und hatte das Aussehen einer 
weißlichen Haut. Auch sah man nicht die Blutgefäße auf demselben. Das sche¬ 
matisch Vorgefundene Bild war folgendes: 

Durch gewöhnliches Ziehen gelang es mir nicht, die eingeklemmten Schlingen 
von links nach rechts aus dem Defekte herauszuführen. Mir halfen dabei vorzüg¬ 
lich folgende 2 Handgriffe: das „Melken“ der Darmschlinge vor dem Defekte 
rechts und das Erweitern des Defekts durch den eingeführten Finger. Nachdem 
ich solcherweise die aufgeblähten Schlingen entladen — entleert hatte, führte ich 
sie allmählich durch den Defekt heraus. Die Darmschlingen nahmen sehr bald 
eine rosige Färbung an, und die Peristaltik begann. Bald darauf hatte der Pat., 
auf dem Operationstische, sehr reichlichen Stuhlgang mit Abgang von Gasen. 
Den Defekt selbst zu vernähen, versuchte ich nicht. Ich nahm ein naheliegendes 
Stück des Omentum majus und pflanzte es, gleich einem Tampon, in den Defekt 
und fixierte es an die Wurzel des Mesenteriums des duodeno jejunalen Teiles. Den 
oberen Teil des Omentum majus vernähte ich in den obem Rand des Bauchein¬ 
schnittes. Nachdem ich einen Tampon an die Stelle des früheren Defekts getan, 
zwecks Absaugung der serösen Flüssigkeit, vernähte ich die Bauchwunde. Die 
Operation dauerte 30 Min. bei völliger Schmerzlosigkeit. Nach der Operation 



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S. Sofoteroff: 


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führte ich 500 ccm physiologischer Kochsalzlösung unter die Haut ein und ein 
Röhrchen in das Rectum. Weder am Tage der Operation noch nachher — kein 
Erbrechen, keine Kopfschmerzen. Der postoperative Verlauf vollständig normal. 

Am 3. Tage den Tampon entfernt, am Abend desselben Tages selbständiger Stuhl¬ 
gang. Nach 9 Tagen die Nähte entfernt. Prima intentio. Vom 3. Tage ab flüssige 
Diät, vom 10. Tage ab allgemeine Diät. Nach 15 Tagen wurde dem Pat. erlaubt 
aufzustehen und zu gehen. Die Darmtätigkeit normal, ohne Schmerzen. Schmerzen 
waren nur an der Stelle des Einschnittes. Bis zum 5. X. befand sich der Pat. 
unter Beobachtung und wurde in vorzüglichem Zustande entlassen. 

Seit der Zeit Brambillis, welcher im Jahre 1731 den 1. Fall von Mesen¬ 
terialdefekt beschrieb, ist mein Fall der 46. Diese seltene Abnormität 
fand man hauptsächlich erst auf dem Sektionstische, und zwar bei 
Sektion von Verstorbenen, welche wegen innerer Darmeinklemmung 
operiert wurden, und welche bald nach der Operation gestorben waren, 
infolge von nichtbemerkter Darmeinklemmung im Mesenterialdefekte. 

Es gibt 3 Ansichten bezüglich der Ursache der Bildung von Meeen- 
terialdefekten. Einige setzen voraus, daß der Defekt nur im Zusammen¬ 
hänge mit Trauma erfolgen kann — Nothnagel, Oreig, Schümann, Thirn, i 
Key, Sporer, Hirsch, Vitrae-Laube, Hartmann. Andere bringen ihn ■ 
in Verbindung mit vorhergegangenen Entzündungsprozessen und 
ihnen nachfolgenden Vernarbungen, Verdünnung infolge von Perforation 
z. B. Ulcus des Magens oder aber als Resultat von postoperativen 
Entzündungsprozessen: Bobroff, Orloff, Krimholz, Obalinski, Kiseleff, 
Lane, Dittrich-Narath, Treitz, Heidenhain, Prutz. Endlich die Minder¬ 
zahl spricht sich in dem Sinne aus, daß die Mesenterialdefekte sich 
infolge von embryonalen Abnormitäten in der Entwicklung des Mesen¬ 
teriums bilden können, und zwar hauptsächlich in der Entwicklung 
der Gefäße des Mesenteriums: Peritonitis im embryonalen Leben, 
nicht genügende Befestigung des Mesenteriums an die hintere Wand 
der Bauchhöhle, unverhältnismäßiges Wachstum der Darmschlingen, 
im Vergleich zum Mesenterium: Treves, Poirier, Prulz, Toldt. 

Was die Meinung der ersteren betrifft, die einen Mesenterialdefekt 
durch Trauma entstanden erklären, so wissen wir tatsächlich, daß im 
Mesenterium, im Omentum majus, im Peritoneum und den Dann¬ 
schlingen unter dem Einflüsse von Trauma nicht nur Defekte, son¬ 
dern auch vollständige Ruptur derselben entstehen können. Obzwar 
die anatomische Lage des Mesenteriums und seine physischen Eigen¬ 
heiten, wie Elastizität und Weichheit, sehr große Insulte bedürfen, 
Insulte, welche nicht nur einen Mesenterialdefekt geben können, son¬ 
dern auch eine völlige Ruptur, sogar Abruptus einer ganzen Schlinge, 
wie auch Ruptur der ganzen Schlinge. Vitrae-Laube, Hartmann, Schü¬ 
mann, Neubauer, Krause, Garrt, Autenrieth. 

Und in der diesbez. Literatur kann man nur 3—4 Fälle finden, 
in welchen der Mesenterialdefekt allein für sich ein Resultat von Trauma 


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Zur Frage der Ätiologie Von intraabdominalen Erkrankungen. 327 

war, während die übrigen Organe und Gewebe der Bauchhöhle un¬ 
verletzt blieben. 

Ebenfalls können die Entzündungsprozesse in der Bauchhöhle 
nicht die Hauptursache der Bildung von Mesenterialdefekten sein. 

Wir stoßen in unserer Spitalpraxis täglich auf diese verschiedensten 
Folgen früherer Entzündungsprozesse in der Bauchhöhle und nur wenige 
Autoren haben den Mesenterialdefekt als Folge solcher Prozesse be¬ 
schrieben. 

Ein Trauma und Entzündungsprozesse in der Bauchhöhle können 
bei Vorhandensein einer normalen Widerstandskraft des Mesenteriums 
nur in Ausnahmefällen einen Defekt desselben hervorrufen. Dagegen 
wenn die Widerstandskraft des Mesenteriums vermindert ist, so ist 
dasselbe leicht verwundbar, infolge von traumatischen Insulten oder 
Entzündungsprozessen in der Bauchhöhle. Die angeborene Abnormität 
in der Entwicklung des Mesenteriums, eine Abnormität, sowohl die 
Fixation als auch die Blutversorgung betreffend, ergibt den bedeu¬ 
tendsten pathologischen Zustand des Mesenteriums. Die anormale 
Blutversorgung kann aber auch sekundärer, bei Lebzeiten erworbener 
Natur sein, z. B. bei Sklerose der Mesenterialgefäße. Die Ursachen, 
welche im embryonalen Leben diese oder jene Abnormität in der Ent¬ 
wicklung der einzelnen Organe oder Gewebe hervorrufen, sind noch 
wenig erforscht. Überhaupt verwendet man auf das Studium der Patho¬ 
logie des Mesenteriums, vom embryonalen Standpunkt aus, nicht die 
Beachtung, welche es verdient. 

Die Embryologie und ihre Bedeutung für Abdominalchirurgie 
seit 1909 studierend (in Rußland, auf der Front von Saloniki und in 
Jugoslawien), kam ich, auf Grund meiner klinischen Beobachtungen, 
zu ganz bestimmten Schlüssen. Im Zusammenhänge mit den oben 
beschriebenen Fällen, führe ich aus diesen Schlüssen die wichtigsten an. 

Als lebendiger Zeuge und Wegweiser früherer embryonaler Prozesse, 
und unter welchen Bedingungen solche vor sich gingen, insonderheit 
die Entwicklung des Mesenteriums des Darmkanals, dient die Lage 
des Nabels. Seine Lage auf dem Bauche, bei bestimmter Größe des 
Körpers, kann uns einige leitende Anweisungen geben, und zwar: ob 
der gegebene Organismus sich unter normalen oder anormalen Be¬ 
dingungen entwickelt hat. Der Vergleich dieser Fakta mit denjenigen 
klinischer Untersuchung kann als gewisse Grundlage zur Orientierung 
bei Differentialdiagnose dienen. 

Wir wissen aus der Embryologie, daß die Masse des Dünndarmes 
des Embryos und die Länge desjenigen beim Erwachsenen im ver¬ 
kehrten Verhältnis zur Länge des distalen Abschnittes der 1. Nabel¬ 
schlinge stehen. Folglich, je höher der Nabel vom Symphisis liegt, 
desto länger der Darmkanal, desto schwächer sein Mesenterium. Gleich- 


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S. Sofoteroff: 


zeitig finden wir, in einer Reihe von Fällen, beim Besitzer eines hoch¬ 
liegenden Nabels, folgendes in der Bauchhöhle: entweder Beweglichkeit 
des Blinddarmes für sich allein oder auch des Colon transversum, in 
anderen Fällen nur ein stark entwickeltes Ligament Lane und Treitz , 
drittens abnormale Fixation und Blutfüllung des Zwölffingerdarmes, 
Abnormität im Mesenterium u. a. m. 

Die Lage des Nabels ist nicht nur bei den einzelnen Völkern ver¬ 
schieden, sondern auch bei den verschiedenen Stämmen ein-, und des¬ 
selben Volkes. So liegt z. B. bei den Russen der Nabel im allgemeinen 
22cm, Maximum 25cm, vom Symphysis entfernt; beiden Serben im 
Süden des Königreichs (Mazedonien) 20 om, bei den Montenegrinern 
18 cm, den Bosniern 19 cm. Bei den Negern 15—16 cm. 

Es versteht sich von selbst, daß meine Zahlen nicht absolut genau 
sind; zur Erlangung vollständig genauer Ziffern muß man über ein 
überaus großes Material von Zahlen verfügen können. 

Je, nachdem die Fixation des Ductus omphalointericus weiter oder 
näher zum distalen Ende der 1. Nabelschlinge liegt, wird auch die Ent¬ 
wicklung des ganzen Darmkanals unter diesen oder jenen Bedingungen 
vor sich gehen. Liegt die Fixation weiter, so muß der Distalabschnitt, 
aus welchem sich die Masse des Dünndarmes entwickelt, bei der Flexion 
um seine Achse einen längeren Weg zurücklegen und folglich unter 
andern Bedingungen für die Blutversorgung der Darmschlingen und 
ihr Mesenterium, als bei normaler Fixation des Ductus omphaloin¬ 
tericus. Solch eine Störung des normalen Blutumlaufes in dem sich 
entwickelnden Mesenterium des Darmkanals zeigt seine Gegenwirkung 
nach 2 Richtungen hin: das Mesenterium ist anormal fixiert und stark¬ 
anämisch. Schon im frühen Stadium des embryonalen Lebens ist der 
proximale und distale Abschnitt der 1. Nabelschlinge endgültig ent¬ 
wickelt, nämlich was die Gefäßverteilung betrifft. Das Knie des proxi¬ 
malen Abschnittes, aus welchem sich die duodenojejunale Schlinge 
des Darmkanals entwickelt, hat, sozusagen, gar keine speziellen Arterien 
und Venen. Seine Ernährung hängt ausschließlich von schwachen 
Gefäßzweigen ab, welche von den Verzweigungen des proximalen 
und distalen Abschnittes ausgehen. Bei der Wendung-Flexion des 
Knies des Proximalabschnittes der 1. Nabelschlinge um seine Achse, 
bei hoher oder richtiger weiter Fixation des Ductus omphalointericus 
wird die Dehnung des Mesenteriums bei dieser Flexion sehr stark sein. 
Die Spannung solch eines Mesenteriums stört die auch ohnedem schwache 
Blutversorgung und erschwert vor allem den venösen Abfluß des Blutes 
aus den schwachen und schlecht entwickelten Venen des Mesenteriums. 
Die Natur, solch eine Störung der Blutversorgung kompensierend, 
und andrerseits auf die Lebensforderungen der sich entwickelnden 
Organe und Gewebe durch starke Ernährung reagierend, schafft eine 


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Zar Frage der Ätiologie von intraabdominalen Erkrankungen. 329 

ganze Reihe im höchsten Grade zweckmäßiger Adhäsionen der sich 
entwickelnden Organe und Gewebe mit den naheliegenden Organen 
und Geweben, welche ihrerseits reich mit Blut versorgt sind. Das Band 
Treitz, Lane, Jackson, Raid, Resanoff — gehört zu solch kompensierenden 
Bildungen. Aber das Mesenterium selbst und besonders sein duodeno- 
jejunaler Teil kann ohne solche kompensierenden Schutzmittel bleiben 
und bewahrt dann das ganze Leben hindurch das Aussehen einer dünnen 
Haut, ohne Fett und ohne entwickeltes Gefäßnetz. Wenn solch ein 
Zustand seinerseits ein großes Feld umfaßt, so bleibt der ganze Darm¬ 
kanal nicht nur in seinem Wachstum zurück, sondern er ist auch einer 
starken funktionalen Störung unterworfen. 

Schon Treves und Poirier bemerkten, daß im Mesenterium, zwischen 
den Verzweigungen der Arteria mesenterica superior und den letzten 
Zweigen der Arteria colica sinistra sich eine ovale oder runde Stelle 
ohne Fett, ohne Gefäße und ohne Drüsen befindet, eine Stelle, die wir 
oft auch bei erwachsenen Personen antreffen. Platz Treves, oder, 
nach französischen Autoren, Air mösenterique Poirier. 

Pruiz erklärte die Atrophie des Peritoneums der beschriebenen Stelle 
ausschließlich als eine Folge desumproportioniertenWachstums des Mesen¬ 
teriums und der Därme, was, seiner Meinung nach, im frühen Stadium 
des embryonalen Lebens einen angeborenen Wanddefekt des Mesen¬ 
teriums an jener Stelle schaffen kann. Besonders könnte das, nach 
Pruiz, in Fällen von embryonaler Peritonitis geschehen. Wenn solch 
eine Perforation während des embryonalen Lebens nicht zustande 
gekommen ist, so ist der Besitzer deB anormal entwickelten Mesen¬ 
teriums den verschiedensten, sekundären Bedingungen unterworfen, 
die solche Perforation hervorrufen können. An erster Stelle solcher 
Möglichkeiten stehen die mechanischen Insulte: Trauma des Bauches, 
Erschütterung des ganzen Körpers u. a. m., ferner der Druck der 
sich ansammelnden Fäkalien auf das dünne nicht elastische Mesen¬ 
terium u. a. m. 

In meinem Falle* konnte das Trauma entweder einen Riß der ohnehin 
schwachen Stelle des Mesenteriums verursachen und begünstigen oder 
nur die schon vorhandene angeborene Perforation vergrößern. 

Von solchem Standpunkte über die Möglichkeit der Bildung von 
Mesenterialdefekten ausgehend, bemühte ich mich auch nicht weiter, 
denselben zu vernähen. Die Unterernährung des gegebenen Platzes 
veranlaßte mich, der Natur zu Hilfe zu kommen und durch Schaffung 
starker Kollateralen, mittels des eingenähten Stückes des Omentum 
majus, die angeborene ungenügende Blutemährung zu verbessern. 
Dadurch bezweckte ich, außer der Schließung des Defektes durch Tam¬ 
ponade mit dem Omentum majus, auch die schwache Tätigkeit des 
Darmabschnittes zu heben. Mein Versuch der Anwendung des Omentum 


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330 


S. Sofoteroff: 


majus in solcher Weise und zu solchem Zwecke in 16 Fällen von Sklerose 
der Mesenterialgefäße — gab mir stets gute Resultate. 

In einer anderen Gruppe von klinischen Fällen, wo die angeborene 
Abnormität der Entwicklung des Darmkanals sich hauptsächlich in 
Bildung von verschiedenen intraabdominalen Adhäsionen der Därme 
untereinander und der Därme mit den intraabdominalen Organen zeigte, 
mit Bildung, infolgedessen von innerer Darmeinklemmung — blieb 
ich bei solchem Verfahren. Nur die gefährlichen Adhäsionen und Liga¬ 
mente, gefährlich im Sinne möglicher Darmeinklemmung, zerstörend, 
bemühte ich mich, der angeborenen ungenügenden Blutfüllung des 
Mesenteriums zu Hilfe zu kommen, indem ich starke Kollaterale schaffe. 
In gewöhnlichen Fällen begnüge ich mich mit einfachem Vernähen des 
Omentum majus an die Wurzel des Mesenteriums und in den Bauch¬ 
einschnitt. In schweren Fällen, wenn gleichzeitig mit ungenügender 
Blutversorgung des Mesenteriums auch stark atonische und atrophische 
Veränderungen im Darmkanal selbst sind, schaffe ich für den schwachen 
Nahrungsapparat der Gefäße auch ein kleineres Feld der Ernährung, 
d. h. ich reseziere die Därme. In einem der 11 Fälle solcher Operationen 
entfernte ich mehr denn 1 Meter des Dünndarms und erhielt ein sehr 
gutes Funktionsresultat. Aber auch in solchen Fällen verstärke ich das 
gegebene Gefäßnetz des Mesenteriums durch obenbeschriebenes Ver¬ 
nähen des Omentum majus ins Mesenterium. 

Die aufgeworfene Frage von intraabdominalen Adhäsionen und, 
im besonderen, ihre Rolle bei Darmeinklemmung kann man als bren¬ 
nendste Tagesfrage bezeichnen, nicht nur in der Chirurgie, sondern 
auch Gynäkologie. Daß diese Frage auch ins Programm des Düssei- 
dorischen Gynäkologischen Kongresses im Nov. 1922 aufgenommen 
wurde, dient dafür als schlagendster Beweis. 

Nicht die Ansicht hegend, auf weitere Einzelheiten einzugehen, 
betone ich nur die Bedeutung der embryologischen Studien in der 
Erforschung der Ätiologie der intraabdominalen Adhäsionen und 
Verwachsungen. * 

Resanoff, ein bedeutender Erforscher der Adhäsionen embryonaler 
Natur in der Bauchhöhle, schrieb im Jahre 1913 mit vollem Rechte: 
„Die Erforschung der embryonalen Bedingungen der Entwicklung 
des Darmkanals, die Erforschung der Bildung von angeborenen Ad¬ 
häsionen, all dies muß die Anatomen und Chirurgen von jenem frucht¬ 
losen Boden entfernen, auf welchen sie die Entzündungstheorie und Bil¬ 
dung intraabdominaler Adhäsionen gestellt.“ — 

Nicht nur die Ansicht Resanoff8 teilend, sondern auch persönlich 
mich seit 15 Jahren mit dem Studium der embryonalen Bedingungen 
der Entwicklung des Darmkanals und der Bauchorgane befassend, 
gelang es mir persönlich, eine genügende Reihe von klinischen Beob- 


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Zur Frage der Ätiologie von intraabdominalen Erkrankungen. 331 

achtungen zu sammeln, welche mir ganz bestimmte Folgerungen ge¬ 
statten. 

Der beschriebene Fall von Darmeinklemmung im Mesenterialdefekt, 
wie auch der Fall von Darmeinklemmung im Meckelschen Divertikel, 
(beschrieben im Zentralbl. f. Chirurg. 1923) sind nur einzelne Fälle, welche 
meine Beobachtungen illustrieren. 

Aus meinen Beobachtungen kann ich folgendes bemerken: Auf dem 
Balkan hatte ich Gelegenheit 4 Fälle von Meckelschem Divertikel zu be¬ 
obachten, und in allen diesen Fällen hatten ihre Besitzer den Nabel 20 cm 
vom Symphysis. In allen Fällen von intraabdominalen Adhäsionen 
und Verwachsungen hatten diese Kranken ebenfalls den Nabel in einer 
Höhe von 20 cm. Wenn ein Kranker mit Diagnose von chronischer 
Appendicitis kommt und die dementsprechenden Klagen ausdrückt, 
sich aber sein Nabel z. B. 22 cm vom Symphysis befindet und er ge¬ 
borener Bosnier ist, so ist meine Diagnose folgende: beweglicher Blind¬ 
darm, mögliche Adhäsionen als Ergebnis anormaler Entwicklung 
des Darmkanals, aber nicht chronische Appendicitis. Und die Richtig¬ 
keit solcher Diagnose konnte ich in einer ganzen Reihe von Operationen 
beweisen. 

Mehr noch: je höher der Nabel für die gegebene Art von Volk oder 
Volksstamm liegt, desto öfter erscheinen die Besitzer solchen Nabels 
mit rundem Ulcus des Magens oder des Zwölffingerdarms und Erkran¬ 
kungen der Gallenwege. Wiederhole „höher“ für den Nabel, im Ver¬ 
hältnis zur Norm des gegebenen Rassen-Volksstammes. Indem ich eine 
entsprechende embryonale Bemerkung mache und die Ätiologie 
des Ulcus des Magens und des Zwölffingerdarms untersuche, vom Stand¬ 
punkte der angeborenen Bedingungen der Blutversorgung dieser 2 
Organe, können wir im gegebenen Gebiete eine ganze Reihe von inter¬ 
essanten und neuen Beobachtungen machen und erhalten. 

Eine genauere Beschreibung meiner Beobachtungen in gegebener 
Richtung mir vorbehaltend bis zu spezieller Erforschung, will ich mit 
den gegebenen einleitenden Hinweisungen auf dieselben nur die große 
Bedeutung solcher Erforschungen von embryonalen Bedingungen 
der Entwicklung des Darmkanals und der Bauchorgane betonen. 

Bei der herrschenden Nivellierung aller pathologischen Prozesse 
der Bauchhöhle in einen Rang: z. B. Bauchadhäsionen und Ligamente 
nach der Ätiologie nur als Folge von intraabdominaler Peritonitis 
oder sekundärer, bei Lebzeiten erworbener Entzündungsprozesse 
betrachtend, sündigt man durch solches Zusammenfassen der ganzen 
Menge pathologischer Ergebnisse zu einem Nenrier gegen die Wahrheit. 

Die Aussonderung pathologischer Bedingungen, welche auf Grund 
von embryonalen Besonderheiten des Wachstums und der Entwicklung 
eines jeden einzelnen Rassestammes öder Volkes vor sich gehen, ist 


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332 S. Sofoteroff: Zur Frage der Ätiologie von intraabdominalen Erkrankungen. 


heute eine Notwendigkeit, desto mehr, da wir ex kathedra von der 
Individualitätion jeder gegebenen Erkrankung reden, von der Heilung 
und Kr ankh eit jedes gegebenen Kranken und nicht einer Erkrankung 
nach einem Taschenvademekum. 

Solch eine Aussonderung der Pathologie der Entwicklung intra- 
abdominaler Organe und Gewebe stellt sich mir nicht nur als logisch 
und zweckmäßig dar, sondern auch als überaus wichtig, da eine genaue 
Erforschung der ganzen Frage von solchem Standpunkte aus verschiedene 
diagnostische Rätsel uns genauer zu lösen und unsere medizinischen 
Maßnahmen zweckmäßiger anzuwenden gestatten wird. — 

Literaturverzeichnis. 

*) Obalinski, Arch. f. klin. Chirurg. 48. 1894. — *) Wüms, Der Ileus. Dtsch. 
Zeitschr. f. Chirurg. 1906. — *) Oreig, Brit. med. joum. Z. 1897. — 4 ) Toldt, Sitzungs- 
ber. d. Akad. Wien, Mathem.-naturw. Kl. III, II b, 161. 1899. — s ) Pruiz, ZentralbL 
f. Chirurg. 86, Heft 5 — 6. — •) Trevea, Brit. med. joum. Z. 1886. — 7 ) Poirier et 
Charpy, Trait6 d’Anatomie. 1920. Paris. — •) Orloff, Chirurgia Moskau, Nr. 83. — 
®) Lane, Brit. med. joum. 1. 1890. — 10 ) Haidenhain, Zentralbl. f. Chirurg. 1896, 
Nr. 49. — n ) Krimgoltz, Chirurgia Moskau 1910, Nr. 168. — u ) Lorenz, Dtsch. 
Zeitschr. f. Chirurg. 86, Heft 2—4. — 18 ) Lejars, Chir. d’Urgenoe. Paris 1913, 
S. 467. — u ) Monier, Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 46. — 18 ) Sprengel, Dtsch. Zeit¬ 
schr. f. Chirurg. 85. — M ) Zerns, Arch. f. klin. Chirurg. 33. — 17 ) Schieffer, Mitt. 
a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 7. — ,8 ) Reeanoff, Chirurgia Moskau 1913, 
Nr. 194. 


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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik Köln-Lindenburg [Direktor: Geheimer 
Medizinalrat Prof. Dr. Tilmanri].) 

Über die Wirkungen der Anionen J, CI und S0 4 sowie des 
Kations-Na auf das Granulationsgewebe. 

Versuche mit Jodonascin. 

Von 

Dr. Heinrich Fischer, 

VoL-Assistent der Klinik. 

Mit 2 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 31. März 1923.) 

Durch Keimabtötung dem Organismus in seinem Kampfe gegen die 
Infektionserreger zu helfen, war von jeher das Ziel der Ärzte. Diesem 
Gedanken entsprach auch die antiseptische Wundbehandlung, wie sie 
Lister erstrebte. Aber an der unzulänglichen technischen Methode 
sowie an dem damaligen Stande der Wissenschaft auf dem Gebiete der 
Chemie, der physikalischen Chemie, der Histologie und Pathologie 
mußte sein Versuch scheitern. Die rasch fortschreitende Entwicklung 
der Bakteriologie führte schon bald zu der Erkenntnis, daß man die 
Infektionserreger mit den angewandten antiseptischen Behandlungs¬ 
methoden in der Wunde nicht abtöten könne, daß man vielmehr die 
Zellen des Wundgewebes durch starke Antiseptica schädige und da¬ 
durch dem Ausbreiten der Bakterien und dem Fortschreiten der In¬ 
fektion Vorschub leiste. 

Die Folge dieser Erkenntnis war die aseptische Wundbehandlung, 
wie sie v. Bergmann einführte. Allerdings stellt diese Behandlung keinen 
rein aseptischen Vorgang dar, da man nicht nur durch einen sterilen Ver¬ 
band eine neue Infektion verhindern will, sondern durch Incisionen, 
Drainage, aufsaugende Verbände und Ruhigstellung des Wundbezirks 
aktiv in den Heilverlauf eingreift. Hierdurch wird eine Reihe von 
Reaktionen ausgelöst und den Zellen des Wundgewebes möglichst gün¬ 
stige Bedingungen für ihren Abwehrkampf geschaffen. Es ist daher be¬ 
rechtigt, wenn Lexer diese Aseptik mit physikalischer Antiseptik bezeich¬ 
net im Gegensatz zur chemischen Antiseptik, wie sie Lister empfahl. 

Aber auch bei der physikalischen Antiseptik hat man nie ganz auf 
die Anwendung von chemischen Präparaten verzichtet. In erster Linie 


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334 


H. Fischer: 


fand die Jodoformgaze ausgedehnte Verwendung. Eine große Zahl von 
stets neu empfohlenen Wundantiseptica legt von dem Wunsche Zeugnis 
ab, den Heilverlauf nach Möglichkeit zu beschleunigen, beweist aber 
anderseits auch, daß man bis jetzt noch kein Mittel gefunden hat, das 
allen Anforderungen gerecht wird. Auch die glänzenden Resultate, 
die Brunner und Gonzenbach bei erdinfizierten Wunden mit einer Reihe 
von jodhaltigen Präparaten erzielen konnten — gelang ihnen doch mit 
Isoform selbst 18 Stunden nach der Infektion noch Lebensrettung —, 
haben zwar das Interesse wieder erneut auf diese Gruppe von Antiseptica 
gelenkt, vermochten aber doch nicht, abgesehen vielleicht von der Be¬ 
handlung frischer Verletzungen mit Jodtinktur, ihnen einen dauernden 
Platz in unserem Arzneischatze zu verschaffen. 

In neuerer Zeit ist das Bestreben zu erkennen, Jod an andere anti¬ 
septisch wirkende Substanzen gekoppelt oder in einem Gemisch mit 
anderen chemischen Substanzen zu verwenden. Es sei hier an das 
Yatren erinnert, bei dem Jod an ein Chininpräparat gebunden ist. Wie 
aus der Veröffentlichung von Balkhausen hervorgeht, wurde dies Me¬ 
dikament an der hiesigen Klinik erprobt und seine den Heilungsprozeß 
günstig beeinflussende Wirkung bestätigt gefunden. Eine direkte Be¬ 
einflussung der Bakterien in der Wunde konnte er zwar nicht nach- 
weisen. Aber bei einer ganzen Reihe von lokalen Infektionen sah er 
bei der Behandlung mit Yatrenlösung den Organismus durch eine 
Steigerung der Entzündungsvorgänge als Sieger aus dem Kampfe mit 
den Infektionserregern hervorgehen. 

Ein Jodpräparat, das ein Gemisch von antiseptisch wirksamen 
Substanzen darstellt, ist das Jodonascin 1 ). Es handelt sich hierbei um 
eine Mischung von verschiedenen Salzen, die in Wasser aufgelöst außer 
0,03—0,04% freiem Jod noch Natriumionen, Jodionen, Jodationen, 
Chlorionen und Sulfationen enthält. Physikochemisch betrachtet 
muß dies Präparat, auf die Wunde gebracht, mit Hilfe seiner An- 
und Kationen zu den Bakterien und zum Wundgewebe in Be¬ 
ziehung treten und so eine Reihe von Reaktionen auslösen. Je 
nach dem Ausfall dieser Vorgänge wird man Anhaltspunkte heraus¬ 
finden können, in welchen Fällen die Behandlung mit Jodonascin 
eine Begünstigung des Heilverlaufes erwarten läßt und welche Dosis 
man anwenden darf. 

Von einer Untersuchung über die keimtötende Wirkung des Jodonas- 
eins wurde abgesehen, da einmal die ersten Versuche schon bald zeigten, 
daß man diese Fähigkeit des Präparates bei der Behandlung von Wunden 
nicht zu hoch einschätzen darf, anderseits von Krumbach eingehende 
Versuche angestellt worden sind, auf die an anderer Stelle noch näher 
einzugehen sein wird. 

1 ) Hersteller B. Braun, Melsungen. 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


335 


Von um so größerem Werte und Interesse ist es für den Chirurgen, 
darüber unterrichtet zu sein, wie er sich die Wirkling eines Wund¬ 
präparates auf das Granulationsgewebe und den Organismus vorzu¬ 
stellen hat. Im folgenden soll daher der Versuch gemacht werden, mit 
Hilfe der Handhaben, die uns die physikalische Chemie, die Histologie 
und Pathologie bieten, die einzelnen Reaktionen, die dieses Gemisch 
von An- und Kationen im Zellstaate des Organismus hervorruft, zu 
verfolgen, um auf diese Weise ein Bild von der Wirksamkeit des Jodonas- 
cins zu erhalten. 


1. Biologisch-chemische Versuche. 

Überschichtet man Gelatine mit einer Salzlösung, so sieht man das 
Salz mit Hilfe des osmotischen Druckes, der die Triebkraft der Diffusion 
darstellt, langsam in die Gelatine eindringen. Besteht die angewandte 
Salzlösung aus einem Gemisch verschiedener Stoffe, so ist die Diffusions¬ 
geschwindigkeit für jede einzelne Substanz eine verschiedene, aber eine 
charakteristische Konstante, die man Diffusionskoeffizient nennt. 
Dieser Koeffizient steht bei Kristalloiden zu deren Molekulargewicht 
derart in Beziehung, daß kleine Moleküle rasch diffundieren, große 
nur langsam. Aber nicht nur die Größe der Moleküle muß bei der 
Diffusion berücksichtigt werden, auch die Dichte des kolloiden Me¬ 
diums spielt eine große Rolle. Es ist von einer gewissen Bedeutung, 
wie weit die Maschen des Kolloidnetzwerkes sind, in das die Kri- 
stalloide eindringen. 

Überträgt man diese Verhältnisse auf die Behandlung einer Gra¬ 
nulationswunde mit Jodonascin, so muß sich folgender Vorgang ab¬ 
spielen. Zuerst tritt die Salzmischung in Berührung mit dem Sekret 
der Wunde, dann dringen die Kristalloide durch den Fibrinbelag, der, 
wie das histologische Bild zeigt, jede Wunde, auch die gereinigte Granu¬ 
lationsfläche, bedeckt und schließlich wird die Schutzwand des Körpers, 
die in Gestalt der Granulationszellschicht besteht, durchbrochen. Die 
Salzmischung hat ihren Weg in das Körperinnere gefunden, und tritt 
in Beziehung zu den Zellen, der Intercellularsubstanz und der Ge¬ 
websflüssigkeit. Auf diesem Wege wird das Molekel voranschreiten, 
welches sich durch seine geringste Größe auszeichnet, daß die Quellung 
der kolloiden Substanz begünstigt und sich so die Maschen des Netz¬ 
werks offen hält. 

Es werden demnach bei Jodonascin die einzelnen Salze in folgender 
Reihenfolge diffundieren: zuerst die Chlor-, dann die Jod- und schlie߬ 
lich die Sulfatsalze. Zwar ist das Molekulargewicht der Jodsalze größer 
als das der Sulfatsalze, wie z. B. JNa mit 149,92 Molekulargewicht 
gegenüber S0 4 Na 2 mit 142,07 zeigt. Es kommt aber noch die Wirkung 
der Ionen auf die Kolloide hinzu. Während Jodionen eine Quellung 


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336 


H. Fischer: 


bedingen, bewirken die Sulfationen eine Entquellung der kolloiden 
Substanz und verlegen sich hiermit selbst den Weg. 

Während nun die Salze diffundieren, treten ihre Ionen mit den 
mannigfachsten Substanzen in Berührung und rufen eine Reihe von 
Reaktionen hervor. Physikochemisch betrachtet, stellen das Exsudat, 
die Fibrinschicht, sowie die Zellen und die Gewebsflüssigkeit ein Gemisch 
von echten Lösungen und Emulsionskolloiden dar, die sich je nach ihrem 
Wassergehalt im Zustande des Gels oder Sols befinden. Es bieten sich 
demgemäß den eindringenden Ionen folgende Möglichkeiten. Mit der 
echten Lösung werden sie eine chemische Bindung eingehen, oder sie 
werden sich zwischen den beiden Phasen, d. h. dem gelösten und dem 
Lösungsmittel, in Form einer Lösung verteilen. Zwischen den Ionen 
und den Kolloiden kann das Verteilungsverhältnis nur eine Adsorption 
sein. Ihre Größe wird nicht von der Masse der kolloiden Substanzen, 
sondern von dem Dispersitätsgrad abhängen, da für die Adsorption 
nur die Oberfläche der dispersen Phase den Ausschlag gibt, ln stark¬ 
entzündetem Gewebe, wo durch abbauende Fermente die größeren Mole¬ 
küle zu kleineren zersplittert werden, muß daher eine größere Anzahl 
von Ionen zur Adsorption gelangen als in ruhendem Gewebe. 

Für die weiteren Vorgänge, die sich im Granulationsgewebe ab¬ 
spielen, ist die elektrische Ladung der Kolloide und der Ionen be¬ 
stimmend. Es sei daran erinnert, daß die Eiweiße zu den amphoteren 
Elektrolyten gehören, da sie sowohl H wie OH Ionen abdissoziieren 
können. Das einfachste Beispiel dieser amphoteren Elektrolyte bietet 
das Glykokoll, die Aminoessigsäure: NH 8 • CH S • COOH. Durch die N,H- 
Gruppe kann das Glykokoll als Base, durch die COOH-Gruppe kann es ab 
Säure reagieren. Analog dieser Formel schreibt man das Eiweiß OH* 
Albumen • H . In saurer Lösung dissoziiert das Eiweiß nach der Gleichung 
Gleichung: OH* Albumen *H = [Albumen• H] + -j- OH”, in alkalischer 
Lösung nach der Gleichung: OH • Albumen • H = [OH • Albumen]" + H + 
{Schade). Es ist mithin das Eiweiß in saurem Medium positiv geladen, 
in alkalischem negativ. Dies ist vor allem bei der Ausfällung von Eiweiß 
durch Elektrolyte zu beachten. 

Nach Hardy und Bredig hat man sich den Mechanismus der Aus¬ 
flockung folgendermaßen vorzustellen. Die Oberflächenspannung, die 
zwischen der dispersen Phase und dem Dispersionsmittel besteht, ist 
bemüht, die Berührungsflächen zwischen diesen beiden Substanzen 
zu verringern. Dies ist möglich, indem sich mehrere Teile der dispersen 
Phase, hier also der Eiweißkolloide, zu einem größeren vereinigen. 
Diesem Bestreben wirkt aber die gleiche elektrische Ladung der Kolloide 
entgegen. Diffundiert nun ein Anion in eine Eiweißlösung von saurer 
Reaktion, so wird es, da es selbst eine höhere elektrische Ladung besitzt, 
als die einzelnen Kolloidteilchen, diese um sich lagern. Es erfolgt nun 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


337 


ein elektrischer Ausgleich zwischen dem negativgeladenen Anion und 
dem positiven Eiweißkolloid. In dem Maße, wie das Kolloidteilchen 
seine elektrische Ladung verliert, kommt die Oberflächenspannung zur 
Geltung. Dies setzt sich so lange fort, bis die Oberflächenwirkung die 
einzelnen Teilchen zu einem größeren Komplex verschmelzen. Sie 
werden makroskopisch sichtbar und senken sich der Schwere folgend 
auf den Boden des Reagenzglases. Die Ausflockung hat stattgefunden. 

Aus der Schilderung dieses Vorganges folgt, daß bei der Ausfällung 
die Ionen eine den Kolloiden entgegengesetzte elektrische Ladung besitzen 
müssen. In saurer Lösung werden die Anionen, in alkalischer die Ka¬ 
tionen wirksam sein. Ferner steigt das Fällungsvermögen bei Ionen von 
gleichgesinnter Ladung mit der Wertigkeit. Es verhalten sich die 1,2 
und 3 wertigen Ionen wie 1: 20: 350. Aber auch unter den gleich¬ 
wertigen Ionen herrschen Unterschiede in ihrer Wirksamkeit. Hof¬ 
meister hat die Anionen und Kationen in Reihen geordnet, je nachdem 
sie die Dispersität der kolloiden Systeme befördern oder vermindern. 
Nach dieser „Hofmeistersehen. Regel“ würde in saurer Lösung für das 
Ausfällungsvermögen der Anionen des Jodonascins folgende Reihen¬ 
folge gelten: S0 4 < CI < J. In alkalischem Medium kehrt sich die Reihe 
um. Die Jodionen wirken quellend auf die Kolloide, während die S0 4 - 
Ionen den Dispersitätsgrad herabsetzen. Dies tritt aber weniger in 
die Erscheinung, da, wie oben erwähnt, hier die Na-Kationen über¬ 
wiegen. 

Um diesen Vorgang bei der Verwendung des Jodonascins näher 
kennen zu lernen, wurde folgender Versuch angestellt. Die gleichen 
Mengen Serum wurden, entweder unverdünnt oder mit 0,85 proz. 
Kochsalzlösung vermischt, mit derselben Menge Jodonascin versetzt, 
das, in destilliertem Wasser aufgelöst, in einer Konzentration 2: 100—800 
verwandt wurde. Bei Anstellung des Versuches reagierte das Serum 
amphoter. Da Jodonascin selbst eine schwach alkalische Reaktion auf- 
weist, so verlief dieser Versuch in einem alkalischen Medium. Eine 
etwaigö Ausflockung mußte in erster Linie durch die Kationen Natrium 
bedingt sein. Die Lösungen blieben aber vollkommen klar. Eine Aus¬ 
füllung war selbst nach 24 Stunden nicht zu erkennen. 

Hierauf wurde der Versuch mit Serum vorgenommen, das schwach 
sauer reagierte. Zu diesem Zwecke setzte man dem Serum eine Spur 
Essigsäure zu, bis eben eine saure Reaktion zu erkennen war. Auch hier 
blieb bei dem unverdünnten Serum jegliche Trübung aus. Dagegen trat 
eine Ausflockung bei einer Verdünnung von 1:10 mit 0,85 proz. Koch¬ 
salzlösung ein, wie die folgende Tabelle I zeigt. 

Eine Ausfüllung trat sofort bei Jodonascin 2 :100 auf, nach 1 und 
€ Stunden hatte sie auch bei der Verdünnung 2: 200 stattgefunden, 
um sich nach 24 Stunden bei Jodonascin 2: 300 einzustellen. In diesen 

Archiv f. klln. Chirurgie. 125. 22 


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338 


H. Fischer: 


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Tabelle I. 

Prüfung auf Ausflockung. 

(Serum von saurer Reaktion, verdünnt 1 : 10 mit 0,85 proz. NaCl-Lösung. 
1 ccm Serum vermischt mit 1 ccm Jodonascin.) 


Verdünnung de« 
Jodonascin« 

Sofort | 

Nach 1 Std. 

Nach 6 Std. 

Nach 24 Std. 

2 : 100 

li + 

+ 

i 

+ 

+ 

2 : 300 

i — 

+ 

+ | 

+ 

2 : 300 

— 

— 


+ 

2 : 400 

| — 

— 

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— 

2 : 500 

— 

— 

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2 : 600 

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— 

— 

— 

2 : 700 

— 

- ! 

— 


2 : 800 

1 

ii 

— 

— 

! 


Fällen hatten die Anionen J, CI und S0 4 ausgereicht, die elektrische 
Ladung der positiven Eiweißkolloide aufzuheben und sie durch die 
Oberflächenspannung zur Verschmelzung zu bringen. 

Von Interesse ist ferner noch, bei dem oben geschilderten Versuch 
den Gehalt der Lösungen an freiem Jod zu verfolgen. Vorausgeschickt 
sei, daß das Jodonascin die Eigenschaft besitzt, bei dem Zusammen¬ 
treffen mit selbst schwachen Säuren neue Mengen von freiem Jod zu 
liefern. Das freie Jod wurde mit Stärkelösung nachgewiesen. Die 
Prüfung auf gebundenes Jod geschah, indem zunächst die einzelnen 
Lösungen mit Schwefelsäure übersättigt, dann ein paar Tropfen Na¬ 
triumnitrit zugesetzt wurden. Hierauf schüttelte man das Jod mit 
Chlorofrom vorsichtig aus. Gebundenes Jod konnte, wie zu erwarten 
war, stets in allen Lösungen nachgewiesen werden. Der Gehalt an 
freiem Jod zeigte indes weitgehende Unterschiede. 


Tabellen. 

Gehalt an freiem Jod. 

(Serum 1 : 10 verdünnt mit 0,85 proz. NaCl-Lösung; 1 ccm Serum mit 1 ocm 

Jodonascin vermischt.) 



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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


339 


Der Versuch mit saurem, verdünntem Serum wies die größten 
Mengen an freiem Jod. auf. Nach 24 Stunden war dies noch bei Jodonas¬ 
cin 2: 500 nachweisbar. Die geringste Menge von freiem Jod wurde 
in dem alkalischen, unverdünnten Serum gefunden. Dieses Verhalten 
findet darin seine Erklärung, daß zunächst einmal, wie schon vorhin 
erwähnt wurde, Jodonascin in saurer Lösung mehr freies Jod bildet, als 
in alkalischer Flüssigkeit, das Serum ferner die Fähigkeit besitzt, freies 


Tabelle 111. 

Gehalt an freiem Jod. 

(Serum unverdünnt; 1 ccm Serum mit 1 ccm Jodonascin vermischt.) 



Serum von alkalischer Reaktion 


Serum von saurer Reaktion 

Verdünnung des 
Jodonascina 

Sofort 

1 Std. 

Nach 

6 Std. 

24 Std. 

Sofort 

1 Std. 

Nach 
6 Std. 

24 Std. 

2 

100 

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— 


Jod zu resorbieren. Daß die Kochsalzlösung, mit der das Serum ver¬ 
mischt war, nicht imstande ist, Jod zu binden, war zu erwarten. Es 
wurde aber noch in einem besonderen Kontrollversuch nachgewiesen. 
Selbst nach Wochen war eine merkliche Verminderung des Gehaltes 
an freiem Jod nicht festzustellen. 

Die Bindung des Jods durch Serum erfolgt in zwei Richtungen. 
Zunächst findet eine Adsorption durch die Kolloide des Eiweiß statt. 
Ferner geht das Jod mit den Salzen des Serums eine chemische Bindung 
ein. Hierbei spielt die Eigenschaft des Jods als Oxydationsmittel eine 
große Rolle. Es treten Reaktionen auf, analog dem Bleichprozeß mit Chlor. 
Bei dem Zusammentreffen von Jod und Salzlösungen bilden sich zuerst 
unterjodigsaure Salze und hieraus dann unter Sauerstoffabspaltung 
Jodide. Brunner und Oonzenbach legen auf diese Reaktion einen beson¬ 
deren Wert. Sie erklären hiermit die starke keimtötende Wirkung 
des Jods. 

Ähnliche Vorgänge, wie hier in dem Versuch mit Serum von statten 
gingen, werden sich auch abspielen, wenn das Jodonascin mit einer 
Körperzelle zusammenstößt. Jede Zelle stellt, vom physikochemischen 
Standpunkt aus betrachtet, ein „mikroheterogenes System“ dar. Sie 
ist ein Gemenge von Kolloiden, teils im Gel-, teils im Solzustand, mit 
echtgelöster Substanz in einem gemeinsamen Lösungsmittel (Schade). 

22 * 


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340 


H. Fischer: 


Es müssen also auch hier die Vorgänge der Adsorption, der chemischen 
Bindung und Lösung sich abspielen. Hinzu kommt aber noch, daß alle 
Zellen den Wirkungen des osmotischen Druckes unterliegen, den die 
umgebende Flüssigkeit auf diese ausübt. Die Zelle ist nämlich, wenig¬ 
stens im funktionellen Sinne, von einer semipermeablen Membran um¬ 
schlossen. Die Ionen der Salze können zwar hindurch gehen, für die 
Kolloide ist sie aber undurchlässig. Der osmotische Druck in der Zelle 
ist abhängig von der Anzahl der Moleküle und der Ionen, die sich in 
ihr befinden. Ausgeübt werden kann dieser Druck also nur von den 
Salzen der Zelle. Die Kolloide sind hierzu wegen des Fehlens der Mole¬ 
küle und Ionen nicht fähig. Beeinflußt werden aber die Kolloide, wenn 
eine Differenz des osmotischen Druckes innerhalb oder außerhalb der 
Zelle auftritt. 

Erhöht sich der osmotische Druck innerhalb der Zelle gegenüber 
der umspülenden Flüssigkeit, entweder durch Aufnahme neuer Ionen 
und Moleküle, oder durch Aufspalten der Molekel der Binnensalze in 
Ionen, dann wird solange Wasser in die Zelle diffundiert, bis sich das 
Gefälle, das durch den verschiedenen osmotischen Druck entstanden 
ist, ausgeglichen hat. Die Folge wird sein, daß die Kolloide und damit 
die ganze Zelle quiUl, bis schließlich ihre osmotische Resistenz überschritten 
wird und Plasmolyse eintritt. Erhöht sich dagegen der osmotische Druck 
der Gewebsflüsigkeit durch Konzentration des Serums, so muß die 
Zelle unter Wasseraustritt schrumpfen. 

Unter Berücksichtigung dieser Verhältnisse wurden folgende Hämo¬ 
lyseversuche angestellt. Zunächst bereitete man sich eine 5 proz. Auf¬ 
schwemmung von Erythrocyten in 0,85 proz. Kochsalzlösung. Diese 
wurde dann mit gleicher Menge Jodonascin in einer Verdünnung von 
2: 100—800 vermischt. Bei dem ersten Versuch war das Jodonascin 
mit destilliertem Wasser verdünnt. Als Kontrolle wurde einer Probe 
nur 0,85 proz. Kochsalzlösung zugesetzt. 

Bevor auf die Resultate dieser Versuchsanordnung eingegangen wird, 
sei daran erinnert, daß man die Erythrocyten nicht ohne weiteres mit 
den übrigen Körperzellen vergleichen kann. Um sich die Eigenschaften 
der roten Blutkörperchen physikalisch-chemisch zu erklären, nimmt 
■Bechhold an, daß die Erythrocyten ein schwammartiges Netz einer 
fibrinartigen Masse besitzen. Dieser Schwamm enthält in seinen Poren 
eine Emulsion feiner Tröpfchen, die aus einer salzhaltigen Eiweißlösung 
bestehen, dem Hämoglobin. Umgeben sind diese Tröpfchen von dünnen 
Lipoidhäuten. Hieraus folgt, daß man die roten Blutkörperchen zer¬ 
schneiden kann, ohne daß Hämolyse eintritt, daß sie aber durch ein 
Auflösen oder Platzen der Lipoidhäute bedingt wird. Durch diese 
letztere Eigenschaft sind die Erythrocyten für den vorliegenden Ver¬ 
such geeignet. Ob eine hochgradige Schwellung der Zelle vorliegt, wird 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


341 


nicht nur durch direkte mikroskopische Beobachtung zu erkennen sein, 
sondern sich auch durch das Auftreten der Hämolyse bemerkbar machen. 

Tabelle 1V. 

Hämolyseversuch. 

(1 ccm einer 5 proz. ausgewaschenen Erythrocytenaufschwemmung vermischt mit 
1 ccm Jodonascin, verdünnt mit Aq. deet.) 


Verdünnung des 
Jodonascins 

Sofort 

Nach 6 Std. 

Nach 24 Std. 

2 : 100 

_ 



2 : 200 

1 _ 


— 

2 : 300 

— 

— 

(+> 

2 : 400 

— 

(+) 

(+) 

2 : 500 

— 

(+) i 

+ 

2 ; 600 ; 


(+) 

+ 

2 : 700 ! 

— 

+ 1 

++ 

2 : 800 

' — 

+ 

++ 

Kontrolle j 

i 

— 

— 


— keine Hämolyse; (+) beginnende Hämolyse; + Hämolyse; ++starke 
Hämolyse. 

Nach 6 Stunden war eine beginnende Hämolyse bei der Lösung 
2: 400 zu erkennen, die mit abnehmender Konzentration des Jodonascins 
immer stärker wurde. Nach 24 Stunden hatte sich die Hämolyse weiter 
ausgedehnt und schon bei der Verdünnung 2: 300 begonnen. Mikro¬ 
skopisch war eine zunehmende Quellung und Aufhellung der Erythro- 
cyten zu erkennen. Man konnte deutlich verfolgen, wie nach einsetzender 
Quellung der Farbstoffe der Erythrocyten immer mehr und mehr aus¬ 
gelaugt wurde, bis schließlich der Leib der roten Blutkörperchen nur 
noch als Schatten eben wahrzunehmen war. In dieser Zeit konnte an 
den Zellen der Kontrollproben keine Veränderung beobachtet werden. 

Tabelle V. 

Hämolyseversuch. 

<1 ccm einer 5 proz. ausgewaschenen Erythrocytenaufschwemmung vermischt mit 
1 ccm Jodonascin, verdünnt mit 0,85 proz. NaCl.) 


Verdünnung des 
Jodonascins 

Sofort 

Nach 6 Std. 

Nach 24 Std. 

2 : 100 

_ 

_ 

_ 

2 : 200 

— 


— 

2 : 300 

1 — 

— 

— 

2 : 400 

| — 

’ (+) 

(+) 

2 : 500 

’i 

i (+) 

(+) 

2 : 600 

, - 

! + 

+ 

2 : 700 

| - 

j + 

++ 

2 : 800 

! — 

1 + 

++ 

Kontrolle 

i . — 

— 

— 


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342 


H. Fischer: 


Mithin hatte dieser Versuch ergeben, daß die Verdünnung des Jodo- 
nascins 2: 300 mit destilliertem Wasser für die Erythrocyten eine hypo¬ 
tonische Lösung darstellt. Es wurde daher in einer zweiten Probe das 
Jodpräparat in einer 0,85 proz. Kochsalzlösung verteilt. 

Eine wesentliche Veränderung des Ergebnisses trat aber nicht ein. 
Nach 6 und nach 24 Stunden sah man eine beginnende Hämolyse bei 
der Verdünnung 2:400. Bei der höheren Konzentration von 2:300 
konnte man mikroskopisch eine starke Quellung der Erythrocyten 
um x / 3 ihrer früheren Größe erkennen. Bei der geringsten Verdünnung 
sah man dagegen vereinzelte Zellen Stechapfelformen annehmen und 
schrumpfen. Die Lösung war also hier gegenüber den Erythrocyten 
hypertonisch. Eine Veränderung bei dem Kontrollversuch blieb auch 
diesmal aus. 

Bestand bei der ersten Anordnung noch die Möglichkeit, daß die 
Entstehung der hypotonischen Flüssigeit nur durch das Zusetzen von 
destilliertem Wasser bedingt war, ohne daß eine Veränderung der Zahl 
von Molekülen und Ionen in den roten Blutkörperchen stattgefunden 
hatte, so mußte diese aber nach dem Ergebnis des zweiten Versuches 
fallen gelassen werden. Bei der zweiten Probe konnte eine hypotonische 
Lösung nur Zustandekommen, wenn die Anzahl der Moleküle und Ionen 
in der Jodonascinmischung nur relativ gegenüber den Erythrocyten 
abgenommen hatte, aber nicht absolut. Es war damit bewiesen, daß 
die Ionen des Jodonascins in die Erythrocyten eingedrungen waren und 
hier den osmotischen Druck erhöht hatten. Dem entsprach auch der Ge¬ 
halt an freiem Jod. Bei beiden Versuchen war freies Jod nur in der 
Konzentration 2: 100—300 nachweisbar. In den übrigen Verdünnungen 
hatten die roten Blutkörperchen das Jod aufgenommen und völlig ge¬ 
bunden und adsorbiert. 

Bei diesem Ergebnis mußte ein Versuch, bei dem die Erythrocyten 
in einem Medium aufgeschwemmt waren, das selbst freies Jod band, 
besonders wichtige Aufschlüsse geben, zumal man hierdurch den Be¬ 
dingungen, wie sie im menschlichen Organismus bestehen, am nächsten 
kam. Zu diesem Zwecke wurde am Tage vor der Anstellung des Ver¬ 
suches demselben Organismus Blut aus der Armvene entnommen. 
Nachdem sich am folgenden Tage genügend Serum abgesetzt hatte, 
wurden Erythrocyten, die man durch eine nochmalige Punktion aus 
dem gleichen Körper bekommen hatte, ausgewaschen und dem Serum 
zugesetzt, so daß eine 5 proz. Aufschwemmung von roten Blutkörperchen 
in Serum entstand. Letzteres war selbst zur Hälfte mit 0,85 proz. 
Kochsalzlösung im Verhältnis 1:10 verdünnt worden. Der andere 
Teil war unverdünnt geblieben. 

Von wesentlicher Bedeutung für die Erklärung dieses Hämolyse¬ 
versuches ist der wechselnde Gehalt an freiem Jod bei den einzelnen 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


343 


Verdünnungen. Bei dem Serum, dem Kochsalzlösung zugesetzt war, 
gab die Stärkeprobe bei den Konzentrationen 2: 100 und 2:200 einen 
positiven Ausfall. Das unverdünnte Serum enthielt nur in der Mischung 
mit der Jodonascinlösung 2: 100 noch freies Jod. Hieraus kann man 
die summierende Wirkung der Erythrocyten und des Serums bei der 
Aufnahme und Bindung der Ionen erkennen. 

Da der Ausfall der Hämolyse abhängig ist von dem osmotischen 
Druck, der in den roten Blutkörperchen und in dem Serum herrscht, 
muß sich das Ergebnis nach der Verteilung der als Jodonascin hinzu¬ 
gefügten Moleküle und Ionen richten. Das Verteilungsverhältnis wird 
bestimmt je nach der Fähigkeit, mit der das Serum oder die Blutkörper¬ 
chen das Jodonascin zu binden vermögen. Durch die Untersuchungen 
Schades über die osmotischen Verhältnisse im Bereich eines Entzündungs¬ 
herdes wissen wir, daß die osmotische Hypertonie ein wesentliches Sym¬ 
ptom der Entzündung ist. Andererseits ist uns aus den histologischen 
Arbeiten bekannt, daß die Zellen des Entzündungsbezirkes nicht 
schrumpfen sondern quellen. Diese Tatsachen scheinen sich auf den 
ersten Blick zu widersprechen. Sie finden aber ihre Erklärung, wenn 
man bedenkt, daß der Begriff der Hypertonie nur relativ zu nehmen 
ist. Trotzdem im Entzündungsherd die Anzahl der Moleküle und Ionen 
im Serum vermehrt ist, bleibt sie doch unter der Menge, die sich in den 
Zellen befindet. Aus diesen Erwägungen folgt, daß die Zellen einen 
größeren osmotischen Druck enthalten können als die Oeivebsflüssigkeit. 
Das gleiche muß sich bei dem vorliegenden Versuche einstellen. Auch 
hier müssen die Zellen die Ionen des Jodonascins in einer größeren 
Konzentration fassen können. Der Ablauf der Hämolyse wird aber noch 
dadurch bestimmt werden, ob die Zellen oder das Serum das Jodonascin 
leichter aufzunehmen vermögen. Wie der Versuch zeigte, werden in 
dieser Eigenschaft die Zellen von dem Serum übertroffen. 

Tabelle VI. 

Hämolyseversuch. 

(1 ccm einer öproz. ausgewaschenen Erythrocytenaufschwemmung in Serum un¬ 
verdünnt, vermischt mit 1 ccm Jodonascin, verdünnt mit 0,85 proz. NaCI ) 


Verdünnung des 
Jodonascins 

Sofort 

Nach 6 Std. 

Nach 24 8td. 

2 : 100 


— 

+ + 

+ + 

2 : 200 

— 

— 

+ 

2 : 300 



(+> 

2 : 400 

— 

— 

— 

2 : 500 

— 1 

i — 

— 

2 : 600 

— 

! — 

— 

2 : 700 

| — 

— 

— 

2 : 800 

— 

— 

— 

Kontrolle 

— 

j — 

— 


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344 


H. Fischer: 


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Einen noch verhältnismäßig einfachen Verlauf nahm die Versuchs¬ 
anordnung mit unverdünntem Serum. Da freies Jod nur nach 6 Stunden 
bei der stärksten Konzentration nachzuweisen war, kann man annehmen, 
daß fast alle Ionen von den Zellen oder dem Serum aufgenommen wurden. 
Sicherlich waren keine größere Mengen von Jodonascin mehr neben 
dem Serum in der Mischung vorhanden. Da nun die Ionen und Moleküle 
von dem Serum schneller resorbiert werden, muß bei den geringeren 
Konzentrationen das Serum entweder eine iso- oder hypertonische 
Lösung darstellen. Dies war auch im Versuch daran zu erkennen, daß 
die stärkeren Verdünnungen — nach 6 Stunden die Lösungen 2:300—800, 
nach 24 Stunden die Lösungen 2: 600—800 — Erythrocyten in Stech¬ 
apfelform enthielten. Die stärkeren Konzentrationen aber, bei denen 
das Fassungsvermögen des Serums erschöpft war und daher die Fähigkeit 
der Zellen, mehr Moleküle und Ionen aufzunehmen, zur Gleitung kam, 
trat nach 6 Stunden bei der Verdünnung 2: 100 und nach 24 Stunden 
bei den Verdünnungen 2:100—300 Hämolyse ein. 

Tabelle VII. 

Hämolyseversuch. 

(1 ccm einer 6 proz. ausgewaschenen Erythrocytenaufschwemmung in Serum, ver¬ 
dünnt 1 : 10 mit 0,86 proz. NaCl, vermischt mit 1 ccm Jodonascin, verdünnt mit 

0,86 proz. NaCl.) 


Verdünnung des 
Jodonasclns 

Sofort 

Nach 6 Std. 

Nach 24 Std. 

2 : 100 

_~j 

_ 

_ 

2 : 200 

_ 

(+) 

(+) 

2 : 300 

— 

(+) 

+ 

2 : 400 


! ( + ) 

+ 

2 : 600 


+ 

++ 

2 : 600 — 

( + ) 

+ 

2 : 700 ! 

i _ 

— 

(+) 

2 : 800 

| — 

— 

(+) 

Kontrolle j 

1 — 1 

— 

— 


Schwieriger gestaltet sich die Erklärung bei der Versuchsanordnung 
mit verdünntem Serum. Hier tritt, wie der Nachweis des freien Jods 
andeutet, als weitere Komplikation hinzu, daß Jodonascin im Über¬ 
schuß vorhanden ist, das weder von der Erythrocyten noch von dem 
Serum resorbiert wird. Bei den schwächeren Konzentrationen trifft 
man die gleichen Verhältnisse an, wie bei dem oben geschilderten Ver¬ 
lauf. Nach 6 Stunden ist bei den Verdünnungen 2:700 und 800 noch 
keine Hämolyse eingetreten. Nach 24 Stunden sieht man bei diesen 
Lösungen eine eben beginnende Hämolyse. Die Leichtigkeit, mit der 
das Serum die osmotisch wirksamen Substanzen aufnimmt, haben 
verhütet, daß zu viele Moleküle und Ionen in die Erythrocyten ein- 
dringen. 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


345 


Dies ändert sich aber mit steigender Konzentration des Jodonascins. 
Durch das größere Fassungsvermögen der Zellen steigt der osmotische 
Druck immer mehr, während einstweilen noch kein ungebundenes 
Jodonascin neben dem Serum vorkommt. Die Druckdifferenz muß 
also stetig steigen. Die Zellen quellen, die Hämolyse nimmt zu bis zu 
dem Augenblick, wo das Fassungsvermögen der roten Blutkörperchen 
erschöpft ist. 

Jetzt wächst der Druck in der Flüssigkeit wieder, da sich zu dem 
osmotischen Druck des Serums noch der des freien Jodonascins gesellt. 
Die Folge hiervon ist, daß die Hämolyse zurückgeht und schließlich 
ganz ausbleibt. Die Jodonascinverdünnung 2:100 stellt wieder eine 
isosmotische Lösung dar. 

Diese Äußerung des osmotischen Druckes in einem solchen Maße, 
wie sie das Reagenzglas ermöglicht, darf man, wie gleich hervorgehoben 
sei, im Organismus nicht erwarten, da die Gewebsflüssigkeit, die die 
Zellen umspült, sich stets erneuert und im Übermaße eingedrungene 
Substanzen abtransportiert. 

Die Zellen des Organismus werden nun nicht nur durch eine Störung 
des osmotischen Druckes in ihrer normalen Funktion behindert, sie 
stehen auch unter dem Einfluß der anwesenden Ionen. Neben der Iso- 
tonte ist auch die Isoionie für die geregelte Arbeit der Zelle nötig. Um 
die Eigenschaften des Jodonascins in dieser Richtung zu prüfen, wurde 
folgender Phagocytoseversuch eingeleitet. Nach dem Vorbilde von 
Hamburger vermischte man Blut im Verhältnis 3:1 mit einer 0,7 proz. 
Kochsalzlösung, der 1,1% Natrium citricum zugesetzt war. Dieses 
Zitratblut wurde in einer Reihe von Reagenzgläsern verteilt und etwa 
1 lt—l Stunde lang stehen gelassen. In dieser Zeit hatten sich die roten 
Blutkörperchen zu Boden gesenkt. Eine trübgelbe Flüssigkeit, die 
sich oberhalb der Erythrocyten gesammelt hatte, konnte nun abpipet¬ 
tiert werden. Sie enthielt neben dem Serum ein Gemisch von Leuko- 
cyten und Blutplättchen. Hierauf wurde diese Flüssigkeit zentrifugiert. 
Die weißen Blutkörperchen setzten sich zu Boden, während die Blut¬ 
plättchen noch in dem Serum enthalten waren. Durch Abschütten 
konnten diese auch entfernt werden. Jetzt befreite man die Leuko- 
cyten durch 3 maliges Waschen mit 0,9 proz. Kochsalzlösung von den 
Bestandteilen des Zitrates. 

Diese Leukocytensuspension wurde nun, wie die Tabelle zeigt, 
10 Minuten lang der Einwirkung verschiedener Konzentrationen von 
Jodonascin ausgesetzt. Nach dieser Zeit fügte man eine Aufschwemmung 
von fein zerriebener Tierkohle — die Kohlenpartikelchen waren durch¬ 
weg kleiner als Erythrocyten — den einzelnen Jodonascinmengen hinzu. 
Nachdem alle Versuche 1 / s Stunde lang im Thermostaten gestanden 
hatten, um eine etwa auftretende Phagocytose abzuwarten, wurden 


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346 


H. Fischer: 


die einzelnen Leukocytenaufschwemmungen an einem kühlen Orte 
aulbewahrt und mit dem Mikroskop ausgezählt, wie viele Leukocyten 
phagocytiert hatten. Als Kontrolle war jedesmal auch eine Auf¬ 
schwemmung in 0,9 proz. Kochsalzlösung angefertigt worden. 

Gleichzeitig fand ferner eine Prüfung statt, wie sich die Leukocyten 
verhielten, wenn nach 10 minutenlangem Einwirken des Jodonascins 
dieses mit Kochsalzlösung wieder ausgewaschen wurde. Um eine evtl. 
Schädigung der Leukocyten durch das vermehrte Zentrifugieren nicht 
zu übersehen, setzte man eine Kontrolle an, die 6 mal mit Kochsalz¬ 
lösung sedimentiert wurde. . 

Tabelle VIII. 

Phagocytoseversuch. 

(10 Minuten der Wirkung dee Jodonascins ausgesetzt, V* Stunde lang mit Kohle 

vermischt im Thermostaten.) 


« 

— 

Konzentration des Jodonascins 

Jodonasdn 2:600 

Kontrolle: 6mal 

s 





10 Min. lang» 

mit NaCl aus- 

g 





© 

> 

| 2:100 

| 2:300 

2:600 

2:700 | Kontrolle 

dann ausgewaschen 

gewaschen 

i. 

1 0 

! 0 

“o 

0 j 14,1% 

9,4% 

13,4% 

2. 

« 0 

j 0 

i o 

0 16,7% 

6,8% 

16,4% 

3. 

1 0 

0 

; 0 

0 17,8% 

9,2% 

16,7% 


Um die Ergebnisse richtig einschätzen zu können, muß man berück¬ 
sichtigen, daß neben dem Vermögen der Leukocyten, zu phagocytieren, 
auch die Adsorptionsfähigkeit der Kohle eine Rolle spielt und die Phago- 
cytose nicht unerheblich begünstigen kann. Wie nämlich der Versuch 
von Söhngen (nach Bechhold) zeigt, werden Hefezellen von Stoffen mit 
großer Oberflächenentwicklung, z. B. Kohle, stark adsorbiert. Die 
Berührung der Kohle mit den Leukocyten wird also auch bei der vor¬ 
liegenden Phagocytoseanordnung durch das Adsorptionsvermögen 
gefördert werden. Das Umfließen des Kohlenpartikelchens mit Proto¬ 
plasma und seine Aufnahme in den Zelleib bleibt aber die Aufgabe der 
Zelle. Dies wird nur möglich sein, wenn sich das Eiweiß der Leukocyten 
im eukolloidalen Zustand befindet. Hierzu fordert die Zelle aber einen 
bestimmten osmotischen Druck und eine gewisse Anzahl von ent¬ 
sprechenden Ionen. Jede Änderung der Isotonie und der Isoionie be¬ 
hindert die Tätigkeit der weißen Blutkörperchen. Dies zeigte auch 
in klarer Weise die Versuchsanordnung. Bei allen Jodonascinkon- 
zentraiionen trat keine Phagocytose ein. 

Die Wirkung des osmotischen Druckes konnte an der Form der 
Leukocyten gut erkannt werden. Bei den stärkeren Verdünnungen, 
wo bei dem Hämolyseversuch eine Quellung der Zellen erfolgte, schwoll 
der Leukocytenleib an. Einzelne Blutkörperchen waren geplatzt, das 
Protoplasma ausgelaufen. Umsäumt fand man diese Leukocyten von 
Kohlenpartikelchen, aber keins war in die Zelle eingedrungen. 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 347 

Diese Schädigung der Phagocytose war aber , falls sie nicht zu lange 
dauerte, reversibel. Wenn die einzelnen Jodonascinionen wieder aus der 
Zelle ausgelaugt waren, kehrte die Tätigkeit der Zelle zurück. Eine 
Behinderung war aber zu erkennen, die nicht durch die vermehrten 
Manipulationen zu erklären ist, da die Kontrolle, die 6 mal mit Koch¬ 
salzlösung ausgewaschen war, nur eine geringe Verminderung der Phago¬ 
cytose zeigte. 

Da durch die vorliegende Untersuchung eine beträchtliche Schädi¬ 
gung der Leukocyten dargetan war, lag die Frage nahe, wie äußert 
sich dieser Vorgang im peripheren Blutbild. Es wurden daher verschie¬ 
denen Patienten 10 ccm Jodonascin intravenös injiziert und dann die 
Veränderungen des Blutes in Zeitabständen festgestellt, wie sie früher 
zwecks Ermittelung der Wirkung von Cholin und Jod stattgefunden 
hatten. Ebenso verfolgte man das Blutbild bei einigen Kranken, deren 
Wunden mit Jodonascin behandelt waren. 

Bei den Arbeiten mit Enzytol und Dijodyl handelte es sich um Prä¬ 
parate, deren wirksame Substanzen, Cholin bezw. Jod, eine ausgespro¬ 
chene Wirkung auf Lymphocyten und die lymphogenen Organe be¬ 
saßen. Die Untersuchungen mit Enzytol hatten zu dem Ergebnis ge¬ 
führt, daß man einen Kreislauf erkennen konnte, der in 48 Stunden 
zu Ende kam. Es trat zunächst ein Sinken der prozentualen und ab¬ 
soluten Werte der polynukleären Leukocyten und der Lymphocyten 
auf, dem ein erneuter Anstieg folgte. Dieser war aber bei den Lympho¬ 
cyten eher zu erkennen als bei den Leukocyten. Ein ähnliches Resultat 
zeitigte das Verfolgen der Blutbildveränderungen bei Dijodyl. Auch 
hier konnte man nach 2 Stunden eine vorübergehende Verminderung 
der absoluten und prozentualen Zahlen der Lymphocytengruppe be¬ 
obachten, die aber später einer Vermehrung Platz machte. 


Tabelle IX. 

10 ccm Jodonascin intravenös. (Coxitis tbc.) 



W. BL 

$ 

öS 

i-4 

0* 

ä 

s 

0$ 

s 

S 

* 

+ 

* 

P. Le. 

Eos. Le. 

Ly. 

M. Le. 

+ A 



% 

% 

% 

% 

% 






Vorher .... 

‘ 6450 

i i 

'75 

i 

15 

1 

9 

24 

4837,5 

64,5 

967,5 

680,5 

1548 

Nach 2 St. . . . 

! 6500 

78 

i 

14 

7 

21 

5070 

65 

: 910 

455 

1365 

99 8 99 . . . 

5800 

73 

i 

16 

10 

26 

4234 

58 

. 928 

580 

1508 

„ 24 „ . . . , 

1 6300 

71 

i 

. 19 

, 9 

28 

4473 

63 

’ 1197 

i 

1 567 

i 

1764 


W. Bl. = Weiße Blutkörperchen (Gesamtzahl); P. Le. = Polynucleäre Leuko¬ 
cyten; Eos. Le. = Eosinophile Leukocyten; Ly. = Lymphocyten; M. Le. = Mono- 
nucleäre Leukocyten. 


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348 


H. Fischer: 


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Tabelle X. 

10 ccm Jodonascin intravenös. (Ulcus ventr.) 



t 

|; 

j 

W.Bl. 

P.Le. | 

i 

Eos. Le. 

3 

i 

S 

3 

a 

+ 

P. Le. 

Eos. Le. 

Ly. 

M. Le. 

Ly.+ 

M. Le. 


1 


% 

% \ 

% 

o/ 

/O 

% 






Vorher . . 

' 

9600 

H" | 

73 

_j 

24 

3 1 

27 

7008 

( _ 

2304 

288 

2592 

Nach 2 St. . 

, , 

, 6000 

79 S 

i 

18 

2 

20 

6000 

i 60 I 

1080 

120 

1200 

» 8 » • 1 

, , 

6300 

79 : 

- ! 

19 

2 

21 

4977 

! — 

1197 

126 

>1323 

„ 24 „ . 

• • 

3960 

63 

— 

34 

3 

37 

2488,5 

I 

1343 

I 118,5 1461,5 


Tabelle XL 


10 com Jodonascin intravenös« (Epilepsie.) 



i 

1 

IV 



<6 







i 

W. Bl. 

P.Le. 

Eos. Le. 

•5 

© 

Hl 

* 

S 

+ 

P.Le. j 

Eos Le. 

Ly. 

M. Le. 

Ly. + 
M.Le. 



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% 

% 

% 

H 

% 






Vorher .... 

! 6200 

62 

2 

30 

6 

36 

3224 

104 ! 

1560 

312 

| 1872 

Nach 2 St. . . . 

i 6660 

,67 

1 

26 

6 

32 

3786,5 

56,5 

1469 

339 

: 1808 

» 8 „ . * • i 

i 6660 
! 5600 

j 6i 

2 

33 

4 

37 

4056,5 

133 1 

2194,5 

266 

2460,5 

,, 24 ,, • • • 

1 65 

1 

28 

6 

34 

3640 

66 

1568 

| 336 

1001 


Tabelle XII. 

10 ccm Jodonascin intravenös. (Hirntumor.) 


."T 

!; W.BL 

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M. Le. 

Ly. + 
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Vorher .... 11 6850 

! 51 

2 i 

42 

5 

47 

3493,5 

137 

2877 

342,5 3219,5 

Nach 2 St. . . . !; 5950 

57 

1 

40 

2 

; 42 

3491,5! 

59,5| 

2280 

119 

2399 

„ 8.,j 8000 

54 

1 

41 

4 

45 

4320 

80 

3280 

320 

3600 

„ 24 „ ... | 5400 

55 

1 

38 

i 6 

44 

2970 

54 > 

2052 

324 

2376 


Tabelle XIII. 


Jodonascinverband. (Ulcus cruris.) 


1 

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| | 

3 

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M. Le. 

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i 



2. X. 1922. 
Vorher . . . . 

7000 

68 

i 

i i 

i 

26 

5 

31 

i 

4760 

! 

70 

1820 , 

350 

1 

2170 

Nach 2 St. . . ‘ . | 

8100 

73 

, 3 

; i8 

6 

24 

5913 

243 

1458 | 

486 

1944 

„ 8 „ . . . 

9000 

69 

3 

23 

5 

28 

6210 

270 

2070 ! 

450 

2620 

„ 24„ . . . 

9500 

67 

|i 

28 

4 

32 

6365 

95 

2660 

380 

3040 

9. X. 1922 . . 

10900 

58 

1 7 

31 

4 

35 

6322 

763 

3379 

436 

3815 

18. X. 1922 . . | 

; 6900 

54 

5 

35 

6 

41 

3726 

345 

2415 

414 

j 2829 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


349 


Tabelle XIV. 

•Todonasoinverband. (Ulcus cruris.i 










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J 


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1 

1 

W. Bl. 

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o 

29. XI. 1922. 




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Vorher . . . . 1 

9350 

53 

! i 

37 

9 

Nach 2 St. . . . i 

9450 

63 

| i 

34 

2 

„ 8 „ . . . ! 

5750 

39 

! i 

59 1 

1 

„ 24 „ . . . ! 

4800 

45 

! i 1 

51 

3 

7. XII. 1922 . . 

8650 

60 

; i i 

31 

8 


& 






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+ 

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P. Le. 

Eos. Le. 

Ly. 

M. Le. 

Ly. + 
M. Le. 

% 

- - 


' 



46 

4956,5 

93,5 

3459,5 

841,5 

4301 

36 

5953,5 

94,5 

3213 

189 

3402 

60 

2242,5 

57,5 

3392 

57,6 

3450 

54 

2160 

48 

2448 

! 

144 

2592 

39 

6190 

86,6 

2681,5 1 

692 

3373,5 


Tabelle XV. 

Jodonascin verband. (Ulcus cruris.) 




0? 

w.B!. j (C 

© 

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w 

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M. Le. 

1 

Ly. + M. Le. 

P. Le. 

Eos. Le. 

Ly. 

M. Le. 

Ly. + 
M. Le. 



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1. XII. 

1922. 

i 






i 




Vorher 


5550 61 

— 

38 

1 

39 

3385,5 

t i 

2109 

55,5 

2164,5 

Nach 2 St. . . . 

1 6260 ; 56 

3 

37 

4 

41 

3500 

i 187,5 | 

2312,5 

250 , 

2562,6 

„ 8 

*» • • • 

! 7560 42 

3 

49 

6 

55 

3171 

! 226,5 

3699,5 

453 

4152,6 

„ 24 

»» 

6300 1 56 

1 | 

1 

41 

3 

44 

3465 

63 

2583 

189 

2772 

9. XII. 

1922 . . 

5650 48 

; 4 

39 

9 

48 

2712 

226 

2203,5 

508,5' 2712 


Tabelle XVI. 

Jodonascin verband. (Vulnus granulös.) 



w. Bl. 

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M. Le. 



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17. I. 1923. 










Vorher 

: 6850 

44 

1 

52 

3 

55 

3014 

68,5 3562 205,5 

3767,5 

Nach 2 St. . . . 

15660 

61 

1 

33 

5 

38 

9546,5 

156,5 5164,5 782,5; 5947 

„ 8 „ . . . 

7750 1 

32 

1 

63 

4 

67 

2480 

77,5 ■ 4882,5 310 

5192,5 

„ 24 „ . . . 

7150 I 

29 

1 

68 

2 

70 

2073,5 

71,514862 143 

5005 

31. I. 1923. . . 

14400 

46 

4 

43 

7 

50 

6624 

576 6192 1008 

7200 


Bedenkt man, daß bei Jodonascin neben den Iodionen auch die 
Chlor-, Sulfat- und Natriumionen ihren Einfluß auf das hämatopoetische 
System zur Geltung bringen, und dazu noch bei den Patienten, wo das 
Jodonascin auf die Wunden gebracht wurde, die Äußerungen der Stoff- 
wechelvorgänge des Granulationsgewebes in Rechnung gestellt werden 


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350 


H. Fischer: 


müssen, so kann es einen nicht wundernehmen, wenn das Bild sich nicht 
in der früheren Klarheit darbietet. 

In den vorliegenden Tabellen sind neben den neutrophilen, poly- 
nucleären und eosinophilen Leukocyten die mononucleären Leuko- 
cyten und Lymphocyten zunächst getrennt angegeben. In der folgenden 
Rubrik wurden die beiden letzteren Arten von Blutkörperchen noch 
einmal zusammengefaßt, um einen besseren Vergleich mit den früheren 
Ergebnissen zu ermöglichen. Die Arbeiten Bergeis hatten nämlich 
gezeigt, daß diese beiden Gruppen in ihrer Funktion weitgehend über¬ 
einstimmen. Spritzte er Tieren öl oder Lecithin in die Brust- oder 
Bauchhöhle, so trat ein lymphocytenreiches Exsudat auf. In dieser 
Flüssigkeit war zu erkennen, wie die Lymphocyten und in gleicher 
Weise die basophilen, mononucleären Leukocyten bestrebt waren, 
die Fettsubstanzen zu phagocytieren. Feinste Fetttröpfchen nahmen 
sie in ihren Zelleib auf. Da diese Fähigkeit bei der Beeinflussung der 
Tuberkulose von besonderer Bedeutung ist, erschien es gerechtfertigt, 
diese beiden Zellarten bei der Beurteilung des Enzytols und Dijodyls 
in einer Kolonne zu vereinigen. Wie aber auch ein Blick auf die vor¬ 
liegenden Tabellen dartut, findet sich kein wesentlicher Unterschied 
in den Resultaten, ob man die Lymphocyten getrennt oder im Verein 
mit den mononucleären Leukocyten vergleicht. 

Entsprechend der Wirkung des Jods bei Dijodyl bedingte auch das 
Jodonascin nach 2 Stunden eine Verminderung der Zahlen der Lympho - 
cytengruppe sowohl prozentual (7 mal) als auch absolut (6 mal), und zwar 
trat dies in gleicher Weise auf, ob es intravenös gegeben oder auf Oranu- 
lationsflächen appliziert wurde. Nach 8 Stunden folgte der anfänglichen 
Verminderung eine Erhöhung der Zahlen, und zwar prozentual 8 mal und 
absolut 7 mal. Nach 24 Stunden war kein einheitliches Gebaren mehr 
zu erkennen. Die Werte hatten prozentual 5 mal abgenommen. Die 
absoluten Zahlen waren zur Hälfte vermindert oder gestiegen. Bei 
diesen Vorgängen ließ sich in der Anwendungsweise des Jodonascins kein 
Unterschied erkennen. 

Das Verhalten der polynucleären Leukocyten wies in keiner Weise 
einen typischen Verlauf auf. Es erübrigt sich, auf die prozentualen 
Zahlen einzugehen, da diese in Anbetracht der geringen Werte bei 
den Eosinophilen ein Spiegelbild der Lymphocytenreihe ergeben mußten. 
Die absoluten Zahlen zeigten eine zu geringe Einheitlichkeit, als daß 
man ihnen eine größere Bedeutung beimessen dürfte. Nach 2 Stunden 
war 6 mal eine Vermehrung, nach 8 und 24 Stunden je 5 mal eine Ver¬ 
minderung der Leukocytenmenge zu erkennen. 

Vergleicht man die vorliegenden Resultate mit den Ergebnissen, 
die bei den Versuchen mit Enzytol und Dijodyl zustande gekommen 
waren, so fällt die völlige Übereinstimmung bei der Lymphocytengruppe 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


35t 


auf. Hierdurch ist auch bei dem Jodonascin die weitgehende Ein¬ 
wirkung des Jods auf die Lymphocyten erwiesen. Von Wichtigkeit 
ist ferner, daß die Blutbildveränderungen keinen Unterschied aufweisen, 
gleichgültig, ob das Jodonascin intravenös injiziert oder auf granu¬ 
lierende Flächen aufgetragen wurde. Aus diesem Verhalten muß man 
schließen, daß, wie auch die einzelnen Versuche angedeutet hatten, das 
Jod tatsächlich durch das OranuUUionsgetvebe in den Körper eindringt 
und so eine Wirkung auf die hämatopoetischen Organe ausübt. 

Von nicht geringem Interesse wird daher sein, über die Ausschei¬ 
dungsverhältnisse des Jods bei beiden Applikationsformen des Jodo- 
nascins zu berichten, zumal Melchior das Erscheinen des Jods in den 
Sekreten als beweisend für seine Resorption ansieht. Hierauf stützt 
er seine Behauptung, bei Jodoform werde kein Jod resorbiert. Bei 
Aufstreuen von Jodkali in Substanz auf Granulationswunden fand er 
eine Jodausscheidung, die er mit der Annahme begründet, die einzelnen 
Kristalle hätten die Granulationen verletzt und dadurch eine Resorption 
des Jods ermöglicht. 

Bei Behandlung mit Jodonascin war nun nie mit der gewöhnlichen 
Jodprobe, Übersäuren mit Schwefelsäure, Zusetzen von Natriumnitrit 
und Ausschütteln mit Chloroform, eine Ausscheidung von Jod fest¬ 
zustellen. Auch die Patienten, die das Jodonascin intravenös erhielten 
und bei denen zur histologischen Untersuchung Granulationen abge¬ 
tragen waren, gaben keine positive Jodprobe. Bekamen aber dieselben 
Leute einen Eßlöffel von einer Jodkalilösung 4,0: 200,0 per os, so trat 
prompt eine Jodausscheidung auf. Man geht mithin zu weit, wenn 
man den Nachweis des Jods in den Sekreten als Beweis für seine Re¬ 
sorption ansieht. Vielmehr muß man die Eigenart des resorbierten Jod¬ 
präparates dafür verantwortlich machen, ob das Jod in solchen Mengen 
ausgeschieden wird, daß man es mit der angeführten Probe nachweisen kann . 

2. Histologische Untersuchungen. 

Nachdem durch die vorstehenden Versuche dargelegt war, welche 
Reaktionen bei dem Zusammentreffen des Jodonascins mit Zellen und 
Serum sich abspielen, wurde eine Reihe von Granulationswunden dem 
Einfluß dieses Präparates ausgesetzt. Die Granulationsflächen wurden 
hierzu mit Gaze bedeckt, die in eine Lösung von Jodonascin eingetaucht 
war. Hierauf kamen mehrere Lagen Zellstoff, die mit einer Binde fixiert 
wurden. Dieser Verband konnte alle 2—3 Tage erneuert werden. Was 
die Wirksamkeit des Jodonascins anbelangt, muß man berücksichtigen, 
daß der Zellstoff durch seine hochgradige Saugwirkung einen bedeuten¬ 
den Teil des Präparates aufnahm, andererseits war aber auch für die 
Sekrete des Granulationsgewebes dauernd ein guter Abfluß gesichert. 
Aus diesen Erwägungen folgt schon, daß, abgesehen von den Abwehr- 


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352 


H. Fischer: 


maßnahmen des Körpers, die Wirkung der Ionen des Jodonascins beim 
Granulationsgewebe nicht die Stärke erreichen konnte, wie es die Ver¬ 
suche im Reagenzglas gezeigt hatten. 

Die Applikation des Jodonascins erfolgte auf normales Granulations¬ 
gewebe, auf Wunden, die eine hydropische Schwellung auf wiesen, 
und auf solche mit fibrösen, niedrigen Granulationen. Gerade die letztere 
Art von Wundflächen war besonders geeignet, sich ein Bild von der 
Wirkung des Jodonascins zu verschaffen. Vor der Behandlung, sowie 
8 und 14 Tage später entnahm man von diesen Wunden Granulationen. 



Abb. 1. M. E 48 J. Ulcus cniris vor der Behandlung mit Jodonascin. 


um sie histologisch zu untersuchen. Diese Abnahme der Granulationen 
wurde von allen Patienten, wie auch Reinbach bei seinen Versuchen 
mitteilt, reaktionslos vertragen. Bei allen Kranken bestand vor der Be¬ 
handlung keine klinisch manifeste Infektion. Der Bakteriengehalt der 
Wunde ergab meistens Staphylokokken, einmal wurden auch virulente 
Diphtheriebacillen gefunden. Da in keinem Falle während der Be¬ 
handlung trotz wiederholter Läsionen der Granulationen eine Infektion 
auftrat, darf dies als Beweis dafür dienen, daß die intakte Granulations¬ 
fläche nicht der alleinige Schutz vor dem Eindringen der Bakterien ist. 

Auf die histologischen Befunde jedes einzelnen Falles einzugehen, 
erübrigt sich wohl, da alle im Prinzip den gleichen Vorgang darstellten. 
Bei der Untersuchung der fibrösen Granulationen fiel zunächst die Ar¬ 
mut an Gefäßen auf. Nur hier und da sah man, wie sie sich zur Peri¬ 
pherie hin erstreckten. Ihre Wand war meist mehrschichtig. Die Endo- 


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353 


Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


thelzellen, platt und protoplasinaarm, sprangen nur wenig in das Ge¬ 
fäßlumen vor. Zum Teil, besonders bei den Ulcera cruris, waren die 
Gefäße strotzend mit Blut gefüllt. Die übrigen enthielten Leukocyten, 
von denen die neutrophilen, polynucleären überwogen. Hier und da 
sah man einen Leukocyten sich durch die Gefäßwand zwischen den 
Endot heben durchzwängen. 

Das umliegende Gewebe setzte sich zum größten Teil aus polynucle¬ 



ären Leukocyten zusammen. Die Gewebsflüssigkeit, die ein dichtes 


Abb. 2. M. 7i\, 48 J. Ulcus cruris nach 14 tägiger Behandlung mit Jodonascin. 


Netzwerk bildete und bei starker Vergrößerung als feinkörnige Masse 
zu erkennen war, lag nur in geringer Menge vor. Neben den Leukccyten 
fanden sich besonders in den tieferen Partien in der Nähe der Gefäße 
einzelne Kolonien von Lymphocyten vermischt mit größeren, ein¬ 
kernigen Zellen, die sich an den Präparaten, welche nach Pappenhehn 
gefärbt waren, unschwer als mononucleäre Leukocyten erkennen ließen. 
Vereinzelt im Gewebe verstreut fanden sich auch Plasmazellen. Auf¬ 
fallend durch seine Menge war das Bindegewebe. Breite Bündel von 
«Fibrillen zogen bis zur Peripherie, hier nekrotische Veränderungen er¬ 
kennenlassend. Nach vanOieson gefäibt zeigten sie deutliche Rotfärbung. 
Das Granulationsgewebe war mit Ausnahme von einzelnen nekrotischen 
Stellen mit einem breiten Fibrinbelag bedeckt. In den Lücken des 
Fibrinnetzes lagen meist polynucleäre Leukocyten, die zum großen 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 23 


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354 


H. Fischer: 


Teil den fortschreitenden Zerfall erkennen ließen. Riesenzellen fanden 
sich in den meisten Präparaten nur in verschwindender Menge. 

Dieses Bild zeigte schon nach 8 tägiger Behandlung mit Jodonascin 
eine weitgehende Änderung, die nach 14 Tagen noch ausgesprochener 
war. Alle Zeichen des gesteigerten Stoffwechsels fanden sich. Die Zahl 
der Gefäße hatte bedeutend zugenommen. Überall sah man junge, 
neugebildete Capillaren. Ihre Wand war einschichtig. Die einzelne 
Endothelzelle, jetzt nicht mehr flach und arm an Protoplasma, zeigte 
eine deutliche Quellung, wodurch sie nun auch in das Gefäßlumen 
hineinragte. Die Gefäße waren auch diesmal stellenweise völlig mit 
roten Blutkörperchen ausgefüllt. An anderen Stellen fanden sich da¬ 
gegen fast nur Leukocyten, und zwar im wesentlichen die neutrophilen, 
polynucleären. Eine zahlreiche Auswanderung dieser Blutkörperchen 
fiel auf. Überall sah man die Leukocyten durch die Spalten zwischen 
den Endothelien wandern. 

In dem umgebenden Gewebe hatte die Flüssigkeit stark zugenommen. 
Hierdurch wurde eine Verminderung des Zellreichtums vorgetäuscht. 
Auch jetzt überwogen unter diesen Zellen die polynucleären Leuko¬ 
cyten. Die Lymphocyten und vor allem die mononucleären Leuko¬ 
cyten waren zwar jetzt mehr durch das ganze Granulationsgewebe 
verstreut und nicht so ausgesprochen in Kolonien um die Gefäße an¬ 
geordnet, sie hatten aber an Zahl gegenüber den Leukocyten abge¬ 
nommen. Zwischen ihnen erkannte man an einigen Stellen auch Plasma¬ 
zellen. Das Bindegewebe zog nicht mehr in breiten Zügen bis zur Ober¬ 
fläche. Auch nahm es bei der Färbung nach van Oieson nicht mehr die 
rote Farbe an. Man fand vielmehr feinste Zellstränge von Fibroblasten 
sich bis unmittelbar an die freie Fläche des Gewebes heran erstrecken. 
Die Oberfläche selbst war auch diesmal mit einem Netz von Fibrin 
bedeckt, das sich bis tief in die Spalten des Gewebes verfolgen ließ. 
In den Maschen dieses Netzes fanden sich in überwiegender Mehr¬ 
zahl polynucleäre Leukocyten, die deutlich Zeichen des Verfalls auf¬ 
wiesen. 

In allen seinen Teilen hatte das Gewebe so mehr einen embryonalen 
Charakter angenommen. Die einzelnen Zellen waren gequollen und durch 
ein reichliches ödem auseinandergedrängt. Indeß war die hydropische 
Schwellung nicht so hochgradig, daß man sie als pathologisch bezeichnen 
konnte. Eine deutliche Trennung in zwei Gewebsschichten, eine periphere 
zell- und gefäßreiche und eine Hauptschicht, fast nur aus entzündlichem 
Exsudat bestehend, wie sie Reinbach schildert, war nicht zu erkennen. 
Auch fehlten Fibroblastenzüge nicht, das wesentlichste Charakteristi- 
cum normaler Wundgranulationen. Wenn man aber in diesem Stadium 
noch weiter mit Jodonascin behandelte oder die Lösung noch kon¬ 
zentrierter verwandte, dann stellten sich pathologische Granulationen 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


B55 


ein. Die Sekretion wurde profus, das Gewebe nahm ein glasiges Aus¬ 
sehen an, die Epithelisierung der Wunde stockte. 

Ebenso verhielt sich eine alte Brandwunde, die dauernd eine leb¬ 
hafte Sekretion aufwies. Die Granulationen waren glatt, glasig. Es 
handelte sich also um die hydropische Form. Da Gros über seine Ver¬ 
suche mit Jod berichtet hatte, daß sich bei älteren, granulierenden 
Wunden eine Beschränkung der Eiterung einstelle, wurde in diesem 
Falle ein Versuch mit Jodonascin gemacht. Nach 8 tägiger Behandlung 
mit einer Lösung 2:500 war die Sekretion aber stärker geworden und 
die hydropische Schwellung hatte noch weiter' zugenommen. Histo¬ 
logisch hatte diese Wunde schon vor der Behandlung ein Bild erheblicher 
Entzündung geboten. Zahlreiche Gefäße durchzogen das Gewebe, 
deren Wandungen teils ein-, teils mehrschichtig waren. Die Endothelien 
selbst ließen vielfach eine deutüche Quellung erkennen. Reichliches 
Exsudat befand sich zwischen den Zellen der Granulationen. Binde¬ 
gewebe war nur spärlich vorhanden. Einzelne Züge von Fibroblasten 
ließen sich aber in jedem Gesichtsfeld auffinden. Nach 8tägiger Be¬ 
handlung mit Jodonascin hatte sich dieser Befund im Sinne einer ver¬ 
mehrten Exsudation und Schwellung verändert. Die Zahl der Zellen 
hatte in jedem Gesichtsfeld infolge des stark vermehrten Exsudates 
abgenommen, das, wie die starke Vergrößerung zeigte, weite Strecken 
mit feinkörnigen Massen erfüllte. An vielen Stellen waren Fibroblasten¬ 
züge nicht mehr zu sehen. Nur hier und da zog eine schmale Reihe von 
Fibroblasten der Wundoberfläche entgegen. Die Zellen des Gewebes, 
besonders die Endothelien der Gefäße, deren Menge noch sehr zahlreich 
war, hatten an Volumen zugenommen. Unter den weißen Blutkörper¬ 
chen überwogen vor wie nach der Behandlung bei weitem die neutro¬ 
philen, polynucleären Leukocyten. 

Nach diesen Feststellungen konnten die Angaben von Gros nicht 
bestätigt werden. Dagegen war eine weitgehende Übereinstimmung 
mit den Ergebnissen zu erkennen, wie sie Ritter bei Behandlung mit 
Jodtinktur fand. Keine neuen andersartigen Prozesse, als wie sie bei 
der aseptischen Wundbehandlung bekannt sind, traten auf. Dagegen 
muß man im Gegensatz zu Ritter hervorheben, daß die Hyperämie und 
Hyperlymphie in sehr erheblicher Weise gesteigert wurden. 

Es drängt sich nun die Frage auf, wie sind diese Vorgänge mit den 
Reaktionen in Einklang zu bringen, die sich aus dem Verhalten der 
Zellen und des Serums bei den früheren Versuchen ergeben hatten. 
Um dies zu ermöglichen, muß auf eine Fähigkeit des Organismus hin¬ 
gewiesen werden, die man bei allen Veränderungen auftreten sieht, 
die künstlich im Körper hervorgerufen werden. Es ist dies der Regelungs- 
stoffwechsel. Dieser hat zum Ziele, die Körpersäfte in der Zelle immer 
in einer Zusammensetzung zu erhalten, wie sie für die Funktion der 

23* 


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356 


H. Fischer: 


Zelle das Optimum darstellen. Da physikalisch-chemisch eine Schädi¬ 
gung der Zelle in dreifacher Richtung möglich ist: durch Störung der 
Ionenkonzentration, durch Änderung des osmotischen Druckes oder 
der Temperatur, so besteht die Aufgabe des Regelungsstoffwechsels 
in der Erhaltung der Isoionie, der Isotonie und Isothermie. 

Berücksichtigt man dies bei den Reaktionen, die sich im Granulations¬ 
gewebe bei Behandlung mit Jodonascin abspielten, so liegt ihre Er¬ 
klärung sehr nahe. Sind die Ionen dieses Präparates durch die Fibrin¬ 
schicht diffundiert und in das Gewebe eingedrungen, so vermehren sie 
in den obersten Granulationsschichten die Zahl der Ionen und erhöhen 
hiermit den osmotischen Druck. Sofort setzt der Regelungsstoffwechsel 
ein und bewahrt hierdurch das Gewebe vor größerem Schaden. Als 
Werkzeug bedient sich dieser Stoffwechsel in erster Linie der serösen 
Flüssigkeit, vor allem des Blutserums. Dieses besitzt nämlich die 
Fähigkeit, wenn die Zahl der Moleküle im Blut steigt, durch Zusammen¬ 
fügen mehrerer Ionen die Summe Ionen und Moleküle auf der gleichen 
Höhe zu halten. Andererseits kann auch eine Schwankung der Wasser¬ 
stoffionenkonzentration durch die ,, Puffermischungen“, die sich im 
Serum befinden, sofort reguliert werden. 

In den Gewebsteilen, wo, wie vorhin angeführt wurde, die Ionen 
des Jodonascins hineindiffundiert sind, wird sich zunächst eine starke 
Hyperämie und Hyperlymphie entwickeln. Die eingedrungenen Ionen 
verteilen sich nun zwischen dem Serum und den Zellen gemäß den Er¬ 
gebnissen des Hämolyseversuches derart, daß das Serum zwar schneller 
und leichter Ionen zu binden vermag, die Zellen aber eine viel größere 
Menge von ihnen auf nehmen können. Hierdurch entsteht ein osmo¬ 
tisches Gefälle zwischen diesen beiden Substanzen. Das Exsudat kann 
daher in die Zellen hinein gelangen und bringt dadurch ihre Kolloide 
und somit sie selbst zur Schwellung. Der Erfolg dieser Durchspülung 
der Zelle ist, daß die überschüssigen Ionen’wieder ausgewaschen werden, 
gleich wie in dem Phagocytoseversuch die Jodonascinionen durch 
Kochsalz wieder ausgelaugt werden konnten. Die Tatsache, daß die 
Aufnahme der Ionen einen reversiblen Vorgang darstellt, ist für die 
Wundbehandlung von der größten Bedeutung. Falls die Schädigung 
keine zu intensive war, ist die Zelle daher nicht der Nekrose verfallen. 
Sie kann ihre Funktionsfähigkeit ganz oder zum Teil wiederbekommen. 

Die durch die osmotische Druckdifferenz bedingte Zellquellung be¬ 
wirkt nun noch eine Reihe von Vorgängen. Die Kolloide haben sich 
dem Solzustande genähert. Hierdurch erfahren alle Reaktionen, die 
sich im Zellinnem abspielen, eine Beschleunigung. Auch zeigen die 
Membrankolloide eine erhöhte Durchlässigkeit für gelöste Stoffe. Das 
ganze Granulationsgewebe befindet sich im Zustand gesteigerten Stoff¬ 
wechsels. Die Zellen kehren zu ihren embryonalen Formen zurück. 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 357 

Ihre Vermehrung erfährt eine Beschleunigung. Dies ist vor allem an 
den Gefäßen zu erkennen. Überall sprossen neue Capillaren hervor. 
Die Veränderung des Kolloidzustandes bedingt ferner durch eine Herab¬ 
setzung der Oberflächenspannung der Leukocyten und der Endothelien 
das Haftenbleiben der weißen Blutkörperchen an der Gefäßwand, deren 
Permeabilität erhöht ist und den Durchtritt der Leukocyten und des 
Serums ins Gewebe erleichtert. 

Diese Steigerung des GewebsstoffWechsels bedingt auch das Ver¬ 
teilungsverhältnis der polynucleären Leukocyten und Lymphocyten. 
Zwar wirken die Ionen des Jodonascins lymphocytosefördemd, aber 
die Schädigungen, die in den Zellen gesetzt werden, locken in noch viel 
stärkerem Maße die polynucleären Leukocyten an, die an proteoly¬ 
tischem Vermögen die Lymphocyten bei weitem übertreffen. 

All diese Vorgänge müssen bei weitergeführter Jodonascinbehandlung 
in ausreichender Konzentration eine dauernde Steigerung erfahren. 
Zwar sorgt die Hyperlymphie für eine schnelle Unschädlichmachung 
und Abtransport der Jodonascinionen. Durch Auflockerung der Mem¬ 
brankolloide wird aber anderseits das Eindringen des Medikamentes 
ins Gewebe sehr gefördert. Hierdurch folgt wiederum eine Steigerung 
der Hyperämie und Hyperlymphie, die ihrerseits eine vermehrte Durch¬ 
lässigkeit des Fibrinbelags, sowie der Granulationszellen bedingt. Es 
kann der Augenblick eintreten, wo die geschlossene Zellreihe der obersten 
Granulationsschichten ihre Impermeabilität für Bakterien verliert. 
Der Erfolg der antiseptischen Behandlung stellt dann eine klinisch mani¬ 
feste Infektion dar. 

3. Wertbestimmung und Indikation des Jodonascins. 

Für die Beurteilung, unter welchen Bedingungen ein Präparat in 
der Wundbehandlung zu verwerten ist, besitzt sein Verhalten gegen¬ 
über den Mikroorganismen eine gewisse Bedeutung. Da die einzelnen 
Bakterienarten über eine verschiedene Widerstandskraft verfügen, 
muß sich die antiseptische Wirkung auf alle die Keime erstrecken, die 
auf den Verlauf der Wundheilung Einfluß haben. Man muß ferner, 
wie auch Keysser mit an erster Stelle in der Wertbestimmung der Wund¬ 
desinfektionsmittel betont, verlangen, daß sich die Einwirkung des 
Medikamentes nicht nur in einer Entwicklungshemmung der Bakterien 
kundtut, sondern daß die Mikroorganismen abgetötet werden. Im 
ersteren Falle würde nämlich, wenn das Desinfektionsmittel durch das 
Wundsekret verdünnt oder von dem Granulationsgewebe resorbiert wird, 
seine antimykotische Wirkung zu Ende sein. Die Keime in der Wunde 
könnten wieder von neuem auf leben und eine Vermehrung erfahren. 

Die desinfizierende Kraft des Jodonascins ist von Krumbach in 
Versuchen mit Streptokokken, Staphylokokken und Sporen von Milz- 


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358 


H. Fischer: 


brand- und Heubacillen erprobt worden. Eine 0,2 proz. Lösung hatte 
schon nach 1 / 2 Minute Streptokokken abgetötet. Staphylokokken 
wurden durch eine 2 Minuten lange Einwirkung einer 0,8 proz. Jodo- 
nascinlösung vernichtet. Bei den Versuchen mit Milzbrand- und Heu¬ 
bacillensporen war die Vorbehandlung mit stark verdünnter Salzsäure 
von weitgehendem Einfluß. Nach 6 x / 2 Stunden langer Einwirkung 
konnte nur eine 1,6 proz. Lösung die Abtötung der Milzbrandsporen 
erzielen. Waren die Sporen zuerst der Wirkung der Salzsäure ausgesetzt 
gewesen, so wirkte schon eine 0,8 proz. Lösung desinfizierend. Die 
Probe mit den Sporen der Heubacillen zeigte nach 24stündiger Ein¬ 
wirkung des Jodonascins in allen Konzentrationen noch Wachstum. 
Nach Vorbehandlung mit Salzsäure wurden die Keime durch eine 
0,8 proz. Lösung in 6 1 /* Stunden abgetötet. Die starke desinfizierende 
Wirkung des Jodonascins in vitro war hiermit erwiesen. In allen Ver¬ 
suchen wurde eine wirkliche Abtötung der Mikroorganismen in kurzer 
Zeit erreicht. Es lag nicht nur eine Entuncklungshemmung vor. 

Für die Wirkung des Jodonascins auf granulierende Wunden muß 
aber noch in Erwägung gezogen werden, daß für dieses Präparat nicht 
nur von seiten der Bakterien, sondern auch durch die Granulations¬ 
zellen und das Serum eine Bindung bzw. eine Adsorption vorliegt. 
Und zwar zeigte der Hämolyseversuch, daß die Aufnahme des Jodo¬ 
nascins durch das Serum viel eher erfolgte als durch die Zellen. Die 
Bakterien stellen nun ebenso wie die Zellen ein mikroheterogenes System 
dar. Physikochemisch unterliegen die Mikroorganismen also den gleichen 
Gesetzen wie letztere. Sie unterscheiden sich aber von ihnen dadurch, 
daß sie dem Eindringen der Ionen in ihre Substanz einen größeren 
Widerstand entgegensetzen und auch den Schädigungen des osmotischen 
Druckes in geringerem Grade unterliegen. 

In Anbetracht dieser Umstände darf man die desinfizierende Kraft 
des Jodonascins auf der Wunde nicht zu hoch einschätzen. Bakterien, 
die sich in den obersten Schichten des Fibrinbelages befinden, können 
abgetötet werden. Sind die Keime aber mehr in die Tiefe eingedrungen, 
so gelangt zwar eine Reihe von Ionen in die Mikroorganismen und hemmt 
ihre Funktion. Da aber diese Adsorption einen reversiblen Vorgang 
darstellt, werden die Ionen wieder ausgewaschen werden und die Schä¬ 
digung der Bakterien hiermit zum größten Teil ihr Ende erreicht haben. 
Es kann deshalb nicht auffällig erscheinen, daß alle mit Jodonascin 
behandelten Wunden sich am Schlüsse der Behandlung noch bakterien¬ 
haltig erwiesen. Nach alledem kann man die desinfizierende Kraft dieses 
Jodpräparales für die Wundheilung nicht als ausschlaggebend bezeichnen. 

Nachdem von verschiedenen Seiten festgestellt war, daß selbst sehr 
virulente Bakterien auf gutem Granulationsgewebe nur als harmlose 
Parasiten vegetieren und nicht in die Tiefe eindringen können, hat sich 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


359 


die Aufmerksamkeit der Chirurgen bei allen antiseptischen Präparaten 
immer mehr auf die Beeinflussung des Gewebes gerichtet. Da für die 
Heilung einer granulierenden Fläche der Grad der Entzündung von 
ausschlaggebender Bedeutung ist, stellt das Verhältnis, das zwischen 
den durch Jodonascin hervorgerufenen Gewebsvorgängen und dem 
Verlauf einer Entzündung besteht, ein sehr wichtiges Moment dar. 

Entwickelt sich durch irgendein Agens eine Entzündung im Gewebe, 
so tritt als erstes eine Kolloidänderung mannigfachster Art auf, die 
ihrerseits eine Störung der osmotischen Verhältnisse bedingt. Diese 
Faktoren, die Störung des eukolloidalen Zustandes, der Isotonie und 
Isoionie, stellen einen Reiz für die nervösen Gewebselemente dar. Die 
weitere Folge hiervon ist eine Erweiterung der Gefäße und einsetzende 
Hyperämie. Dieser Vorgang, Gewebsgefäßreflexmechanismus, wie ihn 
Eden nennt, bildet die Grundlage für alle weiteren Entzündungs- 
erscheinungen. Veränderungen an der Gefäßwand setzen ein. Die 
Endothelien quellen, die Wand der Capillaren wird durchlässiger für 
Blutplasma und Blutzellen. Im Bereich der Entzündung entwickelt 
sich ein Exsudat, das durch das Auftreten der passiven Hyperämie 
noch vermehrt wird. 

Die Gewebszellen, die, durch die entzündlichen Vorgänge, geschädigt 
einer vermehrten Sauerstoffzufuhr bedürfen, erleiden eine Säurestauung, 
da neben der physiologisch vorhandenen Kohlensäure infolge ungenügen¬ 
der Oxydation noch andere organische Säuren gebildet werden. Diese 
auftretende Säurestauung leitet die Autolyse des Gewebes ein und stellt 
hierdurch, wie v. Oaza hervorhebt, einen wichtigen Faktor zur Rei¬ 
nigung der Granulationswunde dar. Durch die Selbstverdauung der 
Zellen werden die großen Moleküle in kleinere zerlegt. Die Summe 
Moleküle + Ionen steigt. Der osmotische Druck im Bereich der Ent¬ 
zündung erfährt eine Steigerung. Die zwischen den Zellen und dem 
Serum bestehende osmotische Differenz bedingt ihre Schwellung. Das 
Bild der Entzündung hat sich hierdurch vervollständigt. 

Alle diese vorhin geschilderten Vorgänge spielen sich in ähnlicher 
Weise bei der Behandlung mit Jodonascin im Gewebe ab. Das entzünd¬ 
liche Agens besteht zwar nicht in Bakterien, wie bei den meisten Ent¬ 
zündungen, die Ionen des Jodonascins dringen dafür in das Gewebe 
ein und bedingen die kolloidalen und osmotischen Veränderungen in 
den Zellen. Auch kann der Gewebsgefäßreflexmechanismus nicht in 
der Weise vor sich gehen, wie an anderen Stellen des Organismus, da die 
Granulationen keine Nerven enthalten. Die übrigen Erscheinungen, 
die Hyperämie, Hyperlymphie, Steigerung des osmotischen Druckes 
und Schwellung des Gewebes treten aber in derselben Weise auf, so daß 
man auf Grund dieser Vorgänge die Wirkung des Jodonascins als einen 
entzündungsähnlichen Hergang bezeichnen darf. 


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360 


H. Fischer: 


Auf Grund dieser Erkenntnis ist eine Handhabe geboten, mit deren 
Hilfe sich eine Indikation der Anwendung des Jodonascins aufbauen 
läßt. In allen Fällen, wo die Entzündung des Granulationsgewebes 
eine genügende Stärke aufweist, genügt eine physikalische Antisepsis. 
Da dies bei den meisten Wunden eintrifft, bleibt die Behandlung, wie 
sie v. Bergmann gelehrt hat, für den Chirurgen noch immer von größtem 
Wert. Handelt es sich um eine stark sezernierende Wunde, deren Gra¬ 
nulationen die Zeichen der hydropischen Schwellung aufweisen, so ist 
eine noch weitere Anfachung der Entzündung durch Jodonascin nicht 
ungefährlich und daher als kontraindiziert zu bezeichnen. Das Feld 
der Anwendung des Jodonascins umfaßt alle die schlecht ernährten Wunden, 
die eine niedrige, ungekömte, fibröse Granulationsschicht besitzen. Hier 
ist eine Steigerung der Entzündung am Platze, um die einzelnen Vor¬ 
gänge der dissimilativen Phase zu beschleunigen. Diese ist so lange 
erlaubt, bis sich gut durchblutete, körnige Granulationen gebildet haben. 
Setzt man jetzt die Behandlung mit Jodonascin fort, so nimmt die 
Sekretion überhand. Es tritt das Bild der hydropischen Schwellung 
auf. Die Epithelisierung der Wunde stockt. Man hat den Zustand er¬ 
reicht, den Schöne beklagt, wenn er sagt, zuerst stehe man unter dem 
Eindruck des Erfolges, dann aber treten Eiterung und Jauchung auf, 
so daß man sich frage, ob sich die ganze Mühe gelohnt habe. 

Nach dem Grade der Entzündung, in dem sich die Wunde befindet, 
richtet sich auch die Konzentration der Jodonascinlösung. Je geringer 
die entzündlichen Vorgänge in der Wunde sind und vor allem je schwerer 
der Regelungsstoffwechsel zu erregen ist, desto stärker darf man die 
Lösung wählen. Hieraus ersieht man, daß es eine allgemeingültige 
Verdünnung des Jodonascins nicht gibt. Wie jeder Organismus, so 
verlangt auch jede Wunde rein individuell behandelt zu werden. Nur der 
glückliche Umstand, daß die Toleranzbreite des Körpers gegen äußere 
Schädigungen meist eine erhebliche ist, erlaubt eine annähernde Be¬ 
stimmung. Auf Grund der bisherigen Behandlung dürfte unter Berück¬ 
sichtigung aller vorhin angeführten Umstände eine Jodonascinlösung 
in einer Verdünnung von 2,0/200,0—500,0 die gegebene Konzentration 
sein. _ 

Literaturverzeichnis. 

*) Balkhausen, Erfahrungen mit Yatren. Klin. Wochenschr. 1922. — *) Bech- 
hold, Die Kolloide in Biologie und Medizin. Dresden und Leipzig 1920. — *) Bergei, 
Die Lymphocytose. Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderheilk. 9$. — 4 ) Brunner, 
Gonzenbach, Ritter, Experimentelle Untersuchungen über Erdinfektion und Anti- 
septik. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 111. 1918. — 6 ) Eden, Vorgänge der Ent¬ 
zündung und ihre Behandlung im Bilde der physikalischen Chemie. Dtsch. Zeitschr. 
f. Chirurg. 111 . 1922. — ®) Fischer, Über Cholin und seine Einwirkung auf den 
Organismus bei chirurgischer Tuberkulose. Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 161 . 1921. 
— 7 ) Fischer, Über Dijodyl und seine Einwirkung auf das Blutbild. Beiträge zur 


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Über die Wirkungen der Anionen usw. Jodonascin. 


361 


Klinik der Tuberkulose. 45. 1921 . — 8 ) v. Gaza, Der Stoffwechsel im Wundgewebe. 
Bruns’ Beitr. z. Klin. d. Chirurg. 110. 1918 . — Ä ) Gros, Rezitiert nach Brunner, 
Gonzenbach, Ritter, Experimentelle Untersuchungen über Erdinfektion und Anti- 
septik. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 111 . 1918 . — 10 ) Hamburger, Physikalisch- 
chemische Untersuchungen über Phagocyten. Wiesbaden 1912 . — n ) Hardy , 
Bredig, zitiert nach Hedin , Grundzüge der physikalischen Chemie. Wiesbaden 
1915 . — 12 ) Keysser, Chemische Antiseptik und Desinfektion in der Behandlung 
infizierter Wunden. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 110. 1919 . — 13 ) Krumbach , 
Desinfektionsversuche mit Jodonascin. Melsunger med.-pharm. Mitteilungen 1923 , 
Heft 30 . — ll ) Melchior , Über Wundphysiologie. Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 
127 . 1922 . — 15 ) Reinbach, Untersuchungen über den Bau verschiedener Arten 
von menschlichen Wundgranulationen. Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. 
30 . 1901 . — 16 ) Schade, Die physikalische Chemie in der inneren Medizin. Dresden 
und Leipzig 1921 . — 17 ) Schöne, Über antiseptische Wundbehandlung und die 
Einwirkung einiger Antiseptica auf die Gewebe. Arch. f. klin. Chirurg. 113. 1920 . 


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(Aus der II. Abteilung der chirurgischen Universitäts-Klinik Hamburg-Eppendorf 

[Hofrat Prof. Dr. Sick].) 

Unterauchungsergebnisse über vorübergehende Glykosurie bei 
chirurgischen Infektionen und colorimetrische Bestimmung 
der Wasserstoffionenkonzentration. 

Von 

Dr. Wilhelm Rieder. 

(Eingegangen am 30. April 1923.) 

Im Gegensatz zum echten Diabetes melitus, unter dem man be¬ 
kanntlich eine über längere Zeit anhaltende krankhafte Ausscheidung 
von Zucker im Urin versteht, ohne daß ein besonderer Genuß von 
Kohlenhydraten stattgefunden hat, stehen die sog. vorübergehenden 
Glykosurien des Menschen. Nach der Definition Noordens versteht 
man unter dem wirklichen Diabetes melitus eine Krankheit, bei der 
die Tätigkeit des Organismus, Zuckeran- und -abbau in „ordnungs¬ 
mäßiges Verhältnis zu bringen“, verlorengegangen ist. Die Störungen 
beruhen auf einer Dysfunktion der Leber und der Kohlenhydrat be¬ 
reitenden Organe. Die Drüsen mit innerer Sekretion und gewisse Teile 
des Nervensystems spielen dabei eine Hauptrolle. Ich möchte auf 
diesen komplizierten Regulationsmechanismus hier nicht näher ein- 
gehen. Es ist ohnehin verständlich, daß er durch Allgemeinstörungen 
des Organismus mancherlei krankhafte Veränderungen erfahren kann. 
Von vorübergehenden Meliturien möchte ich hier nur die alimentäre 
e saccharo, die toxischen (Narkotika, Kohlenoxydgas, Phloridzin), die 
fieberhaften (akute Infektionskrankheiten) und die auf Gehimläsionen, 
analog der Piqure Claude Bemards, beruhenden erwähnen. 

Nun veröffentlichte Becker im Jahre 1911 auf Veranlassung Sicks 
19 Fälle von sog. vorübergehender Glykosurie bei Phlegmonenkranken, 
die zum Teil nur einen Tag Zucker im Urin ausgeschieden hatten. 
Bei den meisten fiel diese Glykosurie mit Eiterverhaltung und Fieber 
zusammen und verschwand bald nach der Incision des Eiterherdes. 
Bei 10 dieser Patienten konnte Becker eine Nachuntersuchung vor¬ 
nehmen und feststellen, daß keiner mehr Zucker im Urin ausschied. 
Nur bei der Zuckerbelastungsprobe (100 g Traubenzucker) zeigte es sich, 
daß bei 4 die Assimilationsgrenze für Zucker herabgesetzt war. Bei 
den übrigen 5 dagegen blieb der Urin bei der Belastung frei von Zucker. 


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W. Bieder: Vorübergehende Glykosurie bei chirurgischen Infektionen. 363 

In den letzten Jahren hatten wir nun wieder Gelegenheit, bei un¬ 
serem reichen, nach tausenden zählenden Phlegmonenmaterial auf der 
sehen Abteilung 22 weitere Fälle transitorischer Glykosurie zu 
beobachten. 

Bei den meisten handelte es sich um ausgedehnte Phlegmonen, 
die mit hoher Temperatursteigerung einhergingen. Nur in einem kleinen 
Prozentsatz lagen Panaritien, Furunkel oder infizierte Wunden vor. 
Alle 22 reagierten auf die Eröffnung der Eiterherde mit Schwinden 
der Glykosurie und Temperaturabfall zur Norm. Bei 15 Fällen wurde 
nie wieder Zucker im Urin bemerkt, in 4 Fällen dagegen ließ er sich 
nach einiger Zeit noch lmal, in 3 Fällen mehrmals nachweisen. In 
diesen 7 letztgenannten Fällen bestanden entweder langsam ausheilende 
Eiterhöhlen oder aber es lagen erneute Eiterverhaltungen vor, die stets 
mit abermaligem Temperaturanstieg zusammenfielen. 

Die im Urin ausgeschiedene Zuckermenge war bei den erstgenannten 
15 Fällen sehr gering; meist handelte es sich um Spuren, überstieg 
jedenfalls nie 0,5%. Bei den 7 Fällen der 2. Gruppe, deren Glykosurie 
nach einiger Zeit rezidivierte, hingegen schwankte die Zuckermenge 
zwischen 1,2 und 5,3%. Die viel höhere Prozentzahl des ausgeschie¬ 
denen Zuckers der 2. Gruppe erklärt sich aus der bei ihnen viel inten¬ 
siveren und hartnäckigeren Erkrankungsform. 

Zur Nachuntersuchung kamen von den 22 erwähnten Fällen leider 
nur 14, und zwar 11 von der Gruppe 1, nur 3 von Gruppe 2. Sämtliche 
11 Fälle der Gruppe 1 blieben auch nach der Belastungsprobe, die in 
Darreichung von 100 g Traubenzucker in 500 ccm Aqua destillata be¬ 
stand, zuckerfrei. Die Urinuntersuchung wurde 2 Stunden nach Gabe 
des Traubenzuckers vorgenommen. Die Untersuchung des Blutzucker¬ 
spiegels ergab durchweg normale Werte, selbst nach Traubenzucker¬ 
belastung nie über 0,14%. 

Im Gegensatz hierzu stehen die 3 Fälle der Gruppe 2, d, h. der¬ 
jenigen, die während der Behandlungszeit mehrmals Zucker aus¬ 
geschieden hatten und deren Zuckermenge 1,2% überstiegen hatte. 
Auch ihr Urin war vor der Traubenzuckerbelastung wohl zuckerfrei, 
2 Stunden später jedoch positiv. Allerdings handelte es sich nur um 
geringe Mengen — Spuren bis 0,8 —. Der Blutzuckerspiegel schwankte 
um 0,16 herum. 

Bei gesunden Leuten blieb bekanntlich der Urin auch nach Zucker¬ 
gabe zuckerfrei, ein Befund, den wir durch Kontrolle erhärten konnten. 
Auf Grund der Befunde und der Nachuntersuchung, die ganz ähnlich 
denen Beckers ausfielen, kann man annehmen, daß es sich bei der 
I. Gruppe um vorübergehende Glykosurien handelt, die mit Diabetes 
mellitus nichts zu tun haben. 


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364 


W. Rieder: 


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Etwas vorsichtiger muß man bei der Beurteilung der 2. Gruppe 
sein. Wenn auch einer der 3 nachuntersuchten Fälle trotz Belastungs¬ 
probe zuckerfrei blieb, so muß man doch im allgemeinen annehmen, 
daß bei ihnen die Assimilationsgrenze für Zucker herabgesetzt ist. 
Das geht einmal hervor aus den 2 nachuntersuchten Fällen, die eine 
deutliche Störung des Zuckerstoffwechsels zeigen, dann aber auch aus 
den Befunden, die Becker bei den von ihm beobachteten Fällen erhob. 
Allerdings kann man auch bei ihnen keineswegs von einem Diabetes 
reden. 

Besonders interessant war die Feststellung der Wasserstoffionen¬ 
konzentration im Blut bei der transitorischen Glykosurie, da sie ein 
Licht auf die eingreifenden Veränderungen wirft, die im normalen 
Stoffwechsel des Organismus und der Blutzusammensetzung infolge 
starker Eiweißzerfallsprodukte ausgelöst wird. Deshalb bestimmte ich 
die Wasserstoffionenkonzentration nach Michaelis. Leider stand mir 
keine Gaskettenmethode zur Verfügung. Die Technik der Untersuchung 
war kurz folgende: In einer Indikatorenreihe von <x, y, Para- und Meta- 
dinitrophenol wurde unter Benutzung des WaUpoh sehen Komparators 
die Untersuchung der Wasserstoffionen oder kurz gesagt, der in 
gegen C0 8 Verlust geschütztem Serum vorgenommen. Am besten ver¬ 
schließt man zu diesem Zweck die Zentrifugierröhrchen mit einem 
Gummistopfen, nachdem man über das Serum öl geschichtet hat. 
Die Messung geschieht, nachdem die Reagensgläser im Wasserbad von 
20° C gestanden haben. In einem Teil der Fälle wurden Kontroll- 
untersuchungen nach einer von CuUen neuerdings angegebenen Modi¬ 
fikation vorgenommen, der eine Verdünnung auf das 20fache emp¬ 
fiehlt. Es erübrigt sich dadurch der Komparator, den man sich aller¬ 
dings selbst mit Leichtigkeit hersteilen kann und der Eiweißfehler 
wird erheblich reduziert. 

Die Messung bei 33 normalen Fällen gab Werte, wie sie auch mit 
anderen Methoden gefunden wurden. Sie schwankten meist zwischen 
7,6 und 7,4. Bei gewöhnlichen chirurgischen Infektionen (Ulcera cruris, 
Lymphangitis, Abszesse, Phlegmonen, periproktitische Abszesse) waren 
die Pn so gut wie nie erhöht. Bei denjenigen Infektionen jedoch, die 
mit vorübergehender Glykosurie einhergingen — es handelt sich meist 
um ausgedehnte Phlegmonen und große Karbunkel —, fanden wir eine 


Zahl 

Name 

Erkrankung 

Saccharum 

PU 

vor | nach 

Operation 

i. 

H. 

Armphlegmone 

pos. 

7,1 

7,4 

2. ■ 

0 . 

Handphlegmone 

poa. 

7,2 

7,4 

3. 

Z. 

Nackenkarbunkel 

pos. 

7,0 

7,4 


i R. 

Phlegmone 

pos. 

7,0 

7,6 


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Vorübergehende Glykosurie bei chirurgischen Infektionen. 365 

ausgesprochene pg-Erhöhung, die parallel der Zuckerausscheidung läuft 
und mit der Incision schwindet. 

Auch bei den Prostatahypertrophien, die einen Gefrierpunkt von 
über 0,6 hatten, fanden wir relativ hohe pg-Werte, die erst mit dem 
Normalwerden des kryoskopischen Befundes herabgingen. 


Zahl 

Name 

Erkrankung 

Kry¬ 

oskopisch 

PH 

vor | nach 

Operation 

(resp. Dauerkatheter) 

Sacch&rum 

1 . 

L. 

Proetatahypertrophie 

0,61 

7,2 

7,6 

— 

2. 

Z. 


0,59 

7,4 

7,4 

— 

3. 

L. 

** 

0,60 

7,1 

7,4 

— 


Nach HiUs werden als normale Werte im Serum etwa 7,6, im Blut 
7,4 angegeben. Alle p H -Werte, die unterhalb der^angegebenen Zahlen 
liegen, sind deshalb als Acidosis aufzufassen. Therapeutisch empfiehlt 
es sich, den chirurgischen Eingriff durch hohe Dosen von Natrium 
bicarbonat zu unterstützen. p H -Werte unter 6,8 scheinen prognostisch 
ungünstig zu liegen. Bezüglich der p H bestand nach meinen Unter¬ 
suchungen zwischen dem Serum des arteriellen und venösen Blutes 
kein nennenswerter Unterschied, ebensowenig bei der Blutuntersuchung 
vor und nach dem Essen. Auch die Narkose hatte keinen wesentlichen 
Einfluß auf die Wasserstoffionenkonzentration des Blutes. Von internen 
Erkrankungen untersuchte ich Lungentuberkulose und Nierenerkran¬ 
kungen der verschiedensten Art. Auch sie ergaben bei der Untersuchung 
des Blutserums nach Michaelis keine einwandfrei erhöhten p H -Werte. 
Traubenzuckerbelastung hatte bei völlig Gesunden keinerlei Einfluß 
auf die Wasserstoffionenkonzentration. Dagegen reagierten einige der 
oben beschriebenen Phlegmonen mit vorübergehender Glykosurie bei 
der Traubenzuckerbelastungsprobe durch deutlich erhöhte pg-Werte. 

Literaturverzeichnis. 

') Becker, Münch, med. Wochenschr. 1912. — 2 ) von Noorden, Die Zuckerkrank¬ 
heit und ihre Behandlung. Verlag Hirschwald. — 3 ) Michaelis, Biochem. Zeitschr. 
I§9. 1920. — 4 ) Cutten, Joum. of biol. chem. 5t. 1922. 


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(Aus der chirurgischen Universitätsklinik Freiburg i. Br. [Geh.-Rat Lexer\) 

Weiterer Beitrag zur klinischen Verwendung der Cutis-Sub* 

cutisverpflanzung. 

Von 

Dr. med. Herbert Ruel. 

(Mit 7 Textabbildungen.) 

(Eingegangen am 4. Mai 1923.) 

Die guten Erfolge in der Frage der Bindegewebssehne, die Ed. Rehn 
in seiner Abhandlung über Transplantation, Regeneration und orts¬ 
einsetzende funktionelle Metaplasie erzielte und die in jüngster Zeit 
durch die Arbeit von Schwarz eine volle Bestätigung erfuhr, zeigen sich 
in gleicher Weise bei der Verwendung von Cutis-Subcutisstreifen als 
Fascien und Sehnenersatz. 

Es gehört zur Eigenart der freien Gewebsverpflanzung, daß wir sie 
nicht nur zum Defektersatz verlorengegangenen, artgleichen oder mor¬ 
phologisch verwandten Gewebes benützen, sondern ihr noch besondere 
Aufgaben übertragen können, welche außerhalb dieses ersten Wirkungs¬ 
kreises liegen, zu deren Lösung das Transplantat jedoch durch seinen 
Gewebscharakter und dessen Erhaltung nach der Einpflanzung be¬ 
fähigt ist. 

Während das. verpflanzte Fettgewebe zur Bewahrung seiner Eigen¬ 
art neben guter Ernährung nur Ruhe nötig hat und sich unter anderen 
Lebensbedingungen schnell und spezifisch ändert, wissen wir nach 
Rehns Untersuchungen, daß für die als Sehnenersatz frei verpflanzte 
Sehne und Bindegewebe der funktionelle Reiz zur Erhaltung des Sehnen¬ 
gewebes unbedingt erforderlich ist. Das gleiche gilt für die Fascie 
und ihre Transplantate. 

Die Umwandlung fertigen Gewebes durch funktionellen Reiz er¬ 
folgt allmählich. Bei der Untersuchung geformter bindegewebiger Teile 
drängt sich uns stets die Tatsache auf, daß die Fibrillen und Fibrillen¬ 
bündel so geordnet sind, wie es die mechanische Beanspruchung ge¬ 
gebenenfalls fordert. Schon in früherer Zeit hat His festgestellt, daß 
überall, wo Bindegewebe einer dauernden oder oft wiederholten Zug¬ 
wirkung ausgesetzt ist, sich ein fibröses Band oder eine Sehne bildet, 
deren Faserrichtung mit der Zugrichtung zusammenfällt. Wo eine 


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H. Ruef: Klinische Verwendung der Cutis-Subcutisverpflanzung. 367 

Bindegewebsschicht anhaltenden oder oft wiederholten, gleichgerichteten 
Druck erfährt, bildet sich eine fibröse, mehr oder minder dicke Platte 
von geschichtetem Bau mit einer in der Regel gekreuzten Faserung, 
deren Fasern in Ebenen verlaufen, welche senkrecht zur Druckrichtung 
stehen. Darin drückt sich, wie Roux bemerkt, eine Ausbildung der 
widerstehenden Teile fast bloß in den Richtungen stärkster Beanspru¬ 
chung und somit eine Zerfällung der Einwirkungen auf rechtwinklige 
Komponenten wie bei der Struktur der Knochen aus. 

Nachdem der Beweis erbracht war, daß sich Bindegewebe sowohl 
auto- wie homoplastisch lebensfähig transplantieren läßt und sich an 
Hand funktionell transplantierter Sehnen und Fascien ergeben hatte, 
daß diese unter Zugwirkung ein fibröses Band resp. Sehne bilden, 
hielt Rehn den Versuch für berechtigt, beim Ersatz von Sehnen und 
Bändern die spezifischen Gewebe wegzulassen und allein einfaches Binde¬ 
gewebe zu verwenden. Hierzu schien das Cutisgewebe besonders geeignet. 

Die aus fibrillärem Bindegewebe gebildete Lederhaut steht unter 
der Wirkung mechanischer Beanspruchung und besitzt daher eine 
funktionelle Struktur. Später erfährt die beim Embryo im Corium 
vorliegende trajektorielle Struktur durch die einsprossenden Haar¬ 
bälge und Drüsen eine Änderung der Beziehung zwischen Spaltrichtung 
und Faserrichtung. Die hier interessierende Lederhaut ist eine aus 
Bindegewebe mit Beimengung von elastischem Gewebe gebildete derbe 
Haut, die an den dickeren Stellen zwei nicht scharf geschiedene Lagen 
zeigt, die als Pars reticularis und papillaris bezeichnet werden. Die 
Pars reticularis corii bildet die innere Lage der Lederhaut und stellt 
eine weißliche netzförmig durchbrochene, in ihren tieferen Lagen deut¬ 
lich geschichtete Haut dar, die in besonderen Maschenräumen die Haar¬ 
bälge und Drüsen der Haut umschließt. Die Pars papillaris enthält 
den oberflächlichen Teil der Haarbälge und Hautdrüsen, außerdem die 
Endausbreitung der Gefäße und Hautnerven. Das Bindegewebe selbst 
setzt sich in der Tiefe aus gröberen, in den oberen Schichten aus feineren 
runden oder platten Bündeln zusammen, die sich zum Teil in ver¬ 
schiedenen Richtungen kreuzen, zum Teil durch Austausch von Bündeln 
Netze bilden. 

Bei den zur Deckung von Hautdefekten vorgenommenen Haut¬ 
transplantationen hat es sich gezeigt, daß das fibrilläre Bindegewebe 
der Cutis und ebenso die elastischen Fasern zum größten Teil erhalten 
bleiben. Bei der von Rehn angegebenen Methode der Cutistransplan¬ 
tation ergeben sich für das Transplantat noch ungleich bessere Lebens¬ 
bedingungen als bei der Hautverpflanzung auf die Körperoberfläche. 
Bei der Cutistransplantation erfolgt die Ernährung von zwei Wund¬ 
flächen aus, außerdem ist das Transplantat durch die normale Haut¬ 
bedeckung gegen alle äußeren schädigenden Einflüsse geschützt. 


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368 


H. Ruet: 


Zur Sicherung des funktionellen bzw. formativen Reizes ist un¬ 
bedingt erforderlich, daß die Cutis-Subcutistransplantate unter Zug 
fixiert werden. Durch diese operativen Maßnahmen tritt der formative 
Reiz direkt in Kraft und bildet unter dessen auslösender Wirkung die 
Primäranlage der Metaplasie. Indirekt unterwirft er auch das um¬ 
gebende Bindegewebe seiner treibenden, gestaltenden Kraft. Da es 
sich um die Umwandlung eines sichtbar differenzierten Gewebes in 
ein anderes deutlich differenziertes handelt und dieses neue Gewebe 
seine Entstehung einem funktionellen Muskelreiz verdankt, sprechen 
wir diesen Vorgang als funktionelle Metaplasie an. 

Bei der klinischen Verwendung der Cutis-Subcutisverpflanzung 
wurde in geeigneten Fällen von einer freien Gewebsverpflanzung ab¬ 
gesehen und das an Ort und Stelle lagernde Bindegewebe durch Au¬ 
setzenlassen der Reizungsdifferenzierung benützt. Diese gestielte 
Bindegewebsplastik kann nicht lediglich im Sinne einer gestielten 
Gewebsplastik gewertet werden, da das betreffende Gewebsstück mit 
dem Einsetzen des funktionellen Reizes morphologisch aus seinem 
früheren Verbände ausscheidet, um sich in Struktur und Funktion 
einer verwandten, aber doch verschiedenen Gewebsklasse anzugliedem. 
wobei der unter starker Spannung stehende Stiel nur vorübergehend 
für die Ernährung in Betracht kommt. 

Das Cutistransplantat kann beliebig an der Körperoberfläche ent¬ 
nommen werden. Kleinere Cutisstreifen zum Ersatz von Sehnen und 
Bändern lassen sich aus dem Operationsgebiet selbst ausschneiden, das 
gleiche bezieht sich auf Bauchbrüche bei überschüssiger Haut (Bildung 
einer doppelten Weste). Meist benützen wir als Entnahmestelle die 
Außenseite des Oberschenkels, da hier die Epidermisschicht wie zur 
Epidermisverpflanzung in einem Zug gut entfernt werden kann; dies 
geschieht zweckmäßig vor der Umschneidung des Cutislappens. Zur 
Lostrennung der Epidermis vom Hautlappen wird die ganze Breite der 
Epidermisschicht unter straffster Anspannung des Lappens angefrischt, 
mit breiter Klemme gefaßt und durch Aufrollen unter Zug von der 
Cutis scharf abgetrennt. Neuerdings läßt Rehn die Epidermis des zur 
Entnahme gewählten Hautlappens mit Chloräthyl gefrieren. Die starre 
gefrorene Platte läßt sich besonders gut schneiden, eine Schädigung der 
Cutis tritt nicht ein. Bei der Abtrennung der Epidermis dient als 
Führung das charakteristische weißliche, netzförmig durchbrochene 
Stratum reticulare der Lederhaut. Besonders bei Bauchwand- und 
Sehnenplastiken, die eine sofortige starke funktionelle Inanspruch¬ 
nahme verlangen, ist das Stratum reticulare wegen seiner großen 
Widerstandsfähigkeit in seiner Hauptmasse möglichst mitzuverwenden. 
Man kann mit dem lockeren Subcutisgewebe wohl auch zum Ziele 
gelangen, doch verlangt es wegen der Dehnungsgefahr anfangs mehr 


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Klinische Verwendung der Cutis-Subcutisverpflanzung. 


369 


Schonung. Das Operationsfeld ist nach Fürbringer vorzubreiten, da 
der gewöhnliche Jodanstrich nicht genügt. 

Die klinische Verwendung der Cutis-Subcutis Verpflanzung verteilte 
sich im letzten Jahre in hiesiger Klinik auf folgende Fälle: 

I. Plastik bei Bauchbruch: 10 Fälle, davon 4 gestielt, 6 frei trans¬ 
plantiert. 

II. Plastik als Sehnenersatz: 1 Fall; frei transplantiert. 

III. Plastik bei Schlottergelenk. 

a) des Knies: 4 Fälle; 2 gestielt, 2 frei transplantiert. 

b) des Ellbogens: 1 Fall; frei transplantiert. 

IV. Plastik bei habitueller Patellarluxation: 1 Fall; frei trans¬ 
plantiert. 

V. Plastik bei Blasenfistelverschluß: 2 Fälle; frei transplantiert. 



I . Ersatz großer Bauchwanddefekte . 

Das gegebene Anwendungsgebiet der klinischen Verwendung der 
Cutis-Subcutisverpflanzung im Sinne der freien und ortseinsetzenden 
funktionellen Metaplasie ist der Bauchbruch in seiner mannigfaltigen 
Ätiologie und klinischen Gestalt. Da durch die Vorwölbung der ge¬ 
schwächten Bauchdecke meist ein Überschuß an überdehnter Haut 
vorhanden ist, bietet sich hier reichliches Material zur Entnahme. 

Fall 1. Verstärkungsplastik bei Rezidiv nach Leistenbruchoperation. Pat. S., 
62 Jahre alt. Bauchwanddefekt fast handtellergroß. 

Operation: Da die hochgradig atrophischen Bauchmuskeln nicht zum Ver¬ 
schluß der großen Bruchpforte verwendet werden können, wird ein freier Cutis¬ 
lappen dem rechten Oberschen¬ 
kel entnommen und über der 

Bruchpforte in starker Span- ^ _. 

nung zirkulär eingenäht. 

Voller Erfolg. Pat. dau- V Ä 
emd rezidivfrei. V 

Fall 2. Pat. St., 44 Jahre jV 

alt. Großer posto perativer 

Bauchbruch in der Median- / J * 

linie; Bruch vorwölbung von 

Überfaustgröße. v 1 ■■k 

Operation: Medianschnitt \ (<rrv ■ "’V 

über die Mitte der großen Her¬ 
nie. Abpräparieren der Haut 
samt Unterhaut Zellgewebe in 
zwei seitliche Lappen, Reposi¬ 
tion von Netz und Darminhalt . 

Mit der atrophischen Musku- Abb ' >• ^nittführung .ur Lappenbildung, 

lötur und der durch die frühere 

Operationsnarbe veränderten Fascie war eine Verstärkung der schwachen Bauch¬ 
wand nicht möglich. Deshalb wird von dem linken Hautlappen die Epidermis 
an der Basis entfernt und dieser gestielte Cutis-Subcutislappen in starker Spannung 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 24 


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370 


H. Ruef: 






Abb. 8. Haenmt oxylin-Kusin-FürburiK. a = Haut 
und Unterbautzellgewebe: b = Cutis-Subcutis- 
transplantat; e = Peritoneum. 


zirkulär über der Bruch¬ 
pforte befestigt. Der rechte 
Haut lappen wird nach links 
herüber gezogen und mit 
dem angefrischten äußeren 
Rand des zur Plastik ver¬ 
wandten linken Hautlap- 
pens vernäht. (Doppelte 
Weste.) 

Trotzdem es zur Faden¬ 
eiterung kam, erfolgte glatte 
Einheilung, ein weiterer Be¬ 
weis für die große Anspruchs¬ 
losigkeit des Transplantates. 
Die Nachuntersuchung nach 
einem halben Jahr ergab 
völlige Rezidivfreiheit ; der 
Cutislappen ist als derbe 
Verschlußplatte zu fühlen. 

Fall 3. Pat. M., 56 Jahre alt. 
Große postoperative Hernie in der 
linken Oberbauchgegend, bereits 
3 mal anoperiert, jetzt zweifaust¬ 
großes Rezidiv. 

Operation (Prof. Rehn): Schnitt 
in der Mittellinie über der größten 
Ausdehnung der Hernie. Die Mm. 
recti sind beiderseits stark zurück¬ 
gewichen und hochgradig atrophisch. 
Der Bruchsack wird von derbem Nar¬ 
bengewebe gebildet. Nach Mobili¬ 
sierung der beiden Recti beträgt die 
Diastase immer noch 5 cm, so daß 
eine Vereinigung nicht möglich war. 
Der überhandtellergroße Defekt wird 
durch einen aus dem rechten Ober¬ 
schenkel frei entnommenen Cutis¬ 
lappen mit reichlichem Fettgewebe 
bei Fixation in starker Spannung 
gedeckt. 

Da die Hautnaht unter Spannung 
im Bereich narbig veränderter und 
schlecht ernährter Weichteile erfolgt 
war, kam es zu einer ungefähr mark¬ 
stückgroßen Nekrose über der Mitte 
des Transplantates. Trotzdem, daß 
das Transplantat dadurch völlig frei 
lag, kam es nicht zu dessen Absto¬ 
ßung, sondern es bildeten sich auf 
ihm frische Granulationen, welche sich 
vom Rande her allmählich epithelia- 
lisierten. 


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Klinische Verwendung der Cutis-Subcutisverpflanzung. 


371 


4 Monate spater fand sich im Anschluß an eine andere Operation Gelegenheit, 
ein Stück von dem Transplantat zur histologischen Untersuchung zu entnehmen. 

Makroskopische Beschreibung des Präparates: Die äußere Haut ist über dem 
Transplantat, geringe Stellen ausgenommen, verschieblich. Der in der Faser¬ 
richtung vorgenommene Sagittalschnitt ergibt, daß die subcutan überpflanzten 
Gewebsstücke sich zu einem dicken sehnen- oder fascienartigen Gewebe umge¬ 
wandelt haben. 

Mikroskopischer Befund: Das ursprünglich lockere, mit Fettgewebe durchsetzte 
Bindegewebe finden wir in seinem Charakter vollkommen verwandelt. Nur an 
vereinzelten Fettzellen läßt sich seine frühere Herkunft erkennen. Die mitver¬ 
pflanzten Gefäße sind vielfach obliteriert und von straffen Bindegewebszügen 
eng umgeben. Die parallel gestellten Faserstränge schließen sich fest zusammen, 
teilweise bekommen sie ein glanzartiges Aussehen, ihre Kerne werden immer 
länger, stäbchenförmig oder sie schließen sich in ihrer Form dem welligen Verlauf 
der Fasern an, ganz ähnlich den Kernen des normalen Sehnengewebes. Die in 
Längsrichtung verlaufenden, leicht geschwellten Fibrillen zeigen deutlich das 
Gepräge junger Sehnen resp. Fasciengewebes. Die zwiefache Faserrichtung nach 
der Peripherie zu ist einerseits durch den Muskelzug, andererseits durch die Druck¬ 
wirkung der Ingesta bedingt. Den Übergang in das unveränderte Nachbargewebe 
vermittelt locker gefügtes, gefäßreiches Bindegewebe. 

Der Kranke ist völlig rezidivfrei und ohne Beschwerden. 

Fall 4. P. H., 30 Jahre alt. Vor 2 Jahren Unfall. Wegen Darm Verletzung 
Laparotomie. Anschließend trat eine postoperative Hernie auf. Schon 2 mal 
wurde eine Bruchoperation vorgenommen, wobei sich jeweils nachfolgend ein 
größer werdendes Rezidiv einstellte. 

Operation: Hemia permagna. Bruchpforte einhalbhandtellergroß. Wegen 
ausgedehnter flächenhafter Dünndarmverwachsung mit dem Bruchsack ausgiebige 
Dünndarmresektion. Recti stark zur Seite gewichen, stark atrophisch. Deshalb 
freie funktionelle Cutis-Subcutistransplantation. Entnahme aus dem rechten Ober¬ 
schenkel. Fixation unter starker Spannung. Ein Hämatom zwischen Transplantat 
und Hautlappen wird durch Punktion entleert. Im übrigen glatter Heilverlauf. 

Nachuntersuchung nach einem halben Jahr. Das Transplantat stellt eine 
derbe und feste Platte dar und bildet such bei starkem Pressen und Husten einen 
absolut festen Verschluß der Bruchpforte. Pat. ist voll arbeitsfähig und als Land¬ 
wirt tätig. 

Fall 5. Pat. G., 22 Jahre alt. Es handelt sich um einen über faustgroßen 
rezidivierenden Bauchbruch in der rechten Oberbauchgegend nach Bauchschuß 
mit Peritonitis. 

Operation: Nach Lösung der Netz- und Darmadhäsionen Resektion des 
Bruchsackes und Verschluß der Bauchhöhle. Starke Atrophie der Rectusmusku- 
latur. Mit den alten narbig veränderten Fascienresten war ein Verschluß der 
Bruchpforte, geschweige denn eine Verstärkung der schwachen Bauchwand nicht 
möglich. Entnahme eines freien Cutis-Subcutislappens aus dem rechten Ober¬ 
schenkel von 9 cm Länge und 6 cm Breite. Dieser wird zirkulär im Bereich der 
Bruchpforte mit starker Spannung aufgesteppt, anschließend Hautnähte. Glatter 
Heilverlauf. 

Nachuntersuchung nach einem Jahr. Das Transplantat ist als derbe Platte zu 
fühlen und bildet einen zuverlässigen festen Widerhalt in der Bauchwand. 

Wiederholt haben wir zur Beseitigung großer Rectusdiastasen die quere 
Vereinigung der Bauchdecken nach Pfannenstiel-Menge-Majo ausgeführt. Da 
sich die Bauchdecken dennoch sehr schwach zeigten, wurden sie durch einen 
aufgesteppten Cutislappen verstärkt. 

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372 


H. Ruef: 


II. Sehnenersatz bei einem traumatischen Defekt des Abductor und 

Extensor pollicis longus. 

Pat. B., 42 Jahre alt, durchschnitt sich die beiden Sehnen über dem Köpfchen 
des Metatarsus I. Die primäre Sehnennaht wurde versäumt. Der Kranke kam 
mit typischem Funktionsausfall nach 8 Tagen zur Behandlung. Da die Wund¬ 
verhältnisse günstige waren, wurde die sekundäre Naht zunächst in Aussicht ge¬ 
nommen. 

Operation (Prof. Rehn): Mit bogenförmigem Hautschnitt wird das Operations¬ 
feld freigelegt. Durch starkes Zurück weichen der proximalen Sehnenstümpfe 
war ein großer Defekt entstanden, der sich nach Anfrischung der stark gefaserten 
Sehnenstümpfe noch verbreiterte. Der Defekt läßt sich nur unter allergrößter 
Spannung ausgleichen. Die Stumpfvereinigung wird noch dadurch erschwert. 



Abb. 4. Mikrophotogramm aus dem Transplantat nach Weigert scher Klasticafärbung. 

daß sich die zugehörigen Muskeln in einem Zustand vermehrter Dauerkontraktion 
befinden (s. unten). Deshalb Defektersatz durch einen frei verpflanzten Cutis¬ 
streifen. Der Cutisstreifen wird dem gleichen Unterarm entnommen, nachdem 
eine Hautfläche von 8 : 3 cm mit Chloräthyl vereist und die Epidermis scharf 
abgetragen worden ist. Da die Einfügung zweier Transplantate auf so engem 
Raum doch zu einer Verwachsung der beiden Sehnen geführt haben würde, wird 
zur Beseitigung beider Sehnendefekte ein einziger Cutiszügel verwandt, und zwar 
derart, daß die Schlinge an den beiden Muskelenden und die Zügelenden an den 
entsprechenden Sehnenstümpfen befestigt werden. 

Trotzdem das Transplantat unter dem Zwang der Verhältnisse in einen infi¬ 
zierten Mutterboden verpflanzt wurde, heilte es glatt ein. Bei der Nachuntersu¬ 
chung nach 3 Monaten fühlt man unter der Haut die plastisch ersetzte Sehne 
als derben Strang. Die Streckung und Spreizung des Daumens sind gut. 
wenngleich durch die kurze Übungszeit noch eine Funktionsbeschränkung vor¬ 
handen ist. 

Ein bei der Ausführung der Operation beobachtetes Symptom 
beansprucht eine besondere Besprechung. 


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Klinische Verwendung der Cutis-Subcutisverpflanzung. 


373 


Als die zurückgewichenen Sehnenstümpfe gelöst waren und zur 
weiteren Versorgung vorgezogen wurden, zeigten sie ununterbrochene 
deutlich wahrnehmbare Zuckungen, d. h. die zugehörigen Muskeln 
gerieten durch die vorgenommene passive Dehnung in krampfartige 
Kontraktionen, was eine vermehrte Aktivität derselben voraussetzt. 
Diese Kontraktionen traten gehäuft und so stark auf, daß sie als 
wesentlicher Faktor in unsere Überlegung über die Aussichten der 
sekundären Sehnennaht und des Defektersatzes durch freie Gewebs¬ 
verpflanzung eingesetzt werden müssen. Die groben fibrillären Zuk- 
kungen, wie sie Rehn bei seinen Tenotomieversuchen gesehen und 
registriert hat und die einem hochgradig aktivierten Muskelzustand 
entsprechen, bedeuten ein ständiges Zerren an der Vereinigungsstelle; 
sie sind zusammen mit dem zweifellos vorhandenen Zustand der von 
Rehn als Muskeltetanus beschriebenen Dauerkontraktion wohl ge¬ 
eignet, namentlich bei der kräftig angelegten Beugemuskulatur ein 
Mißlingen der sekundären Sehnennaht herbeizuführen. 

Da die Möglichkeit eines solchen Muskelzustandes und seiner Aus¬ 
wirkung auch für die primäre Sehnennaht befürchtet werden muß, 
hat Rehn neuerdings mit entsprechenden Maßnahmen auf eine bessere 
Nahtsicherung (Fadenzügel) hingearbeitet und Erfolge gesehen, die 
demnächst zur Veröffentlichung gelangen. 

Für die freie Gewebsverpflanzung in einen Sehnendefekt stellt der 
beobachtete Muskelzustand einerseits einen begrüßenswerten Reizfaktor 
dar, welcher für das Gelingen der Plastik von größter Bedeutung ist. 
Andererseits ist jedoch nicht außer acht zu lassen, daß ihm die häufig 
beobachteten unheilvollen Dehnungen der Vereinigungsstellen des in 
größerer Spannung eingefügten Transplantates zur Last fallen können. 
Hier wird daher die Sicherheitsmaßnahme Rehns, welche in einer vor¬ 
übergehenden Dauerextension des Muskels mittels kräftiger Faden- 
schlinge besteht, zu empfehlen sein. 

III. Bänderer8atz und Kapselverstärkung bei Schlottergelenk. 

A. Des Ellbogens : 

Fall 1. Pat. St., 24 Jahre alt, erlitt 1918 eine Granatsplitterverletzung am 
linken Oberarm mit nachfolgender Eiterung. In der Folgezeit wegen Versteifung 
des Ellbogengelenkes Arthroplastik mit Fettgewebe. Nach der Operation bildete 
sich ein Schlottergelenk. In Strecksteilung ist eine seitliche Verschiebung bis zu 
20° möglich. 

Operation (Prof. Rehn): Seitenschnitte je 10 cm über die Kondylen des Hu¬ 
merus. Nach Freilegen der Kondylen werden die Muskelansätze innen und außen 
teils stumpf, teils scharf abgelöst. Daraufhin stumpfes Durchgehen zwischen 
Beugemuskulatur und Ellbogengelenk. Nach Entnahme eines handtellergroßen 
Cutislappens aus dem rechten Oberschenkel wird der Lappen durch den vorgebildeten 
Kanal am Ellbogengelenk durchgezogen und unter starker Spannung an der 
Muskulatur bzw. am Periost befestigt. 


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374 H. Ruef: 

Glatte Heilung. Nach 4 Monaten normale Beweglichkeit im Ellbogengelenk, 
seitliche Beweglichkeit aufgehoben. Bei völliger Streckung des Armes fühlt man 
den Cutislappen durch den atrophischen Brachialis als straffes Band. 

B. Des Kniegelenks : 

Fall 2. P. F., 20 Jahre alt. Distorsion des linken Kniegelenk mit Kapsel¬ 
dehnung, abnorme seitliche Wackelbewegungen des linken Unterschenkels um 
15° möglich. 

Operation: Medialer Bogenschnitt. Die Kapsel ist nicht eingeiissen, jedoch 
abnorm weit. Da nach Kapselraffung immer noch seitliche Wackelbewegungen 
möglich sind, Verstärkung der Kapsel durch einen nach unten gestielten Cutis¬ 
lappen, der dem unteren Wundrand entnommen wird. Fixation unter starkem 
Zug. 

Heilung unter guter Beweglichkeit des Kniegelenks und unter völliger Be¬ 
seitigung der seitlichen Waekelbcwegungen. 



Abb. 5. Elasticafärbung. Mikrophotographie aus dem Transplantat. 

Fall 3. Pat. A., 18 Jahre alt. Traumatisches Schlottergelenk des linken Knies 
mit schweren deformierenden Knochen Veränderungen und Verletzung des medialen 
Meniscus. 

Operation (Prof. Rehn ): Medialer Bogenschnitt. Entfernung des inneren 
Meniscus. Zur Beseitigung des Schlottergelenks Aufpflanzen eines 15 cm langen, 
5 cm breiten Cutislappens, der dem gleichen Oberschenkel entnommen wurde. 
Zirkuläres Einnähen auf die Innenseite des Kniegelenkes unter starkem Zug. 
Wegen fortschreitender Arthritis deformans und hochgradiger Schmerzen 3 Monate 
später Kniegelenksresektion. 

Der Cutislappen ist lebenskräftig eingeheilt und bildet bei makroskopischer 
Betrachtung des Präparates eine äußerst derbe fascienartige Platte. 

Mikroskopischer Befund: Das Bindegewebe hat noch nicht überall die end¬ 
gültige Ausreifung zur Sehne bzw. Fascie erfahren, vielmehr tritt uns in den 
meisten Partien noch ein größerer Zellreichtum bei ausgesprochenen Jugendstadien 
der zahlreich sich findenden Sehnenfibrillen entgegen. Stattgehabte oder noch 
vorhandene Nekrosen lassen sich nicht festhalten. An einzelnen Stellen liegen die 
welligen Faserzüge noch nicht eng aneinandergeschlossen, sondern sind durch ein 
lockeres Bindegewebe getrennt. Die Kerne der Bindegewebsstreifen sind lang¬ 
gestreckt und passen sich in ihrem Verlauf den Schlängelungen der Fasern an. Im 


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Klinische Verwendung der Cutis-Subcutisverpflanzung. 375 

ganzen sehen wir also ein festgefügtes neu gebildetes und aus parallelen Faserzügen 
bestehendes Gewebe, dessen Struktur, abgesehen vom größeren Kemreichtum, 
an vielen Stellen an junges Sehnen- bzw. Fasciengewebe erinnert. 

Fall 4. Pat. K., 46 Jahre alt, nach Verschüttung Zerreißung der Ligg. cruciata 
und des inneren Kapselapparates des linken Kniegelenks. Die Patella steht abnorm 
weit lateral. 

Operation: Längsschnitt an der medialen Knieseite. Die abgerissene mediale 
Gelenkkapsel hat sich zwischen die beiden Kondylen eingestellt, sie wird hervor¬ 
gezogen, die zerissenen Kreuzbänder werden abgetragen. Naht der zerrissenen 
Gelenkkapsel. Zur Verstärkung wird ein gestielter Cutis-Subcutislappen, der 
an der Vorderseite des Unterschenkels entnommen und nach oben umgeschlagen 
wurde, unter starkem Zug eingenäht. 

Reaktionslose Einheilung. Bei Entlassung guter Halt, keine Gehstörung. 

Fall 5. Pat. S., 20 Jahre alt. Kapselverstärkung bei Schlottergelenk des 
linken Knies bei hochgradigem Genu valgum. 

Operation: Osteotomia femoris. Kapselraffung an der Innenseite. Zur 
Verstärkung der Kapsel w r ird ein handtellergroßer Cutislappen aus dem linken 
Oberschenkel entnommen und dieser unter größter Spannung auf die Innengelenk¬ 
seite der Kapsel aufgesteppt. Nachuntersuchung nach 4 Monaten. Völlige Wieder¬ 
herstellung der Funktion bei normaler Beweglichkeit des Kniegelenks. 

IV. Zügelbildung bei habitueller Patellarluxation . 

Bei besonders schwierigen Fällen von habitueller Patellarluxation kann in 
vorteilhafter Weise von der freien funktionellen Cutis Verpflanzung Gebrauch 
gemacht werden. 



Abb. 6. Junges Fascien- bzw. Sehnengewebe. 


Pat. K., 20 Jahre alt. Habituelle Patellarluxation nach außen. Zweimal ohne 
Erfolg operiert. Bei Beugung des Unterschenkels rückt die Patella so weit nach 
außen, daß sie den Condylus lat. fern, noch weit überragt. Aktive Streckung 
nicht möglich. 


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376 


H. Ruef: 


Operation (Prof. Rehn): Bogenförmiger Schnitt an der Innenseite des Knie¬ 
gelenks. Dem Condylus medialis, welcher unförmig entwickelt ist, wird ein Knochen¬ 
stück entnommen und dieses dem Condylus lat. nach Auffrischen als Widerrist 
für die Patella aufgenagelt. Als Halteband wird ein freier Cutislappen dem linken 

Oberschenkel entnommen, an dem medialen 
Rand der Patella befestigt und mit seiner 
Hilfe die Patella stark medial herüber¬ 
gezogen. Fixation des freien Randes des 
Cutislappens unter sehr starker Spannung 
an die Gelenkkapsel. 

Nachuntersuchung nach 3 / 4 Jahren: 
Voller Erfolg unter Wiederherstellung voller 
aktiver Beweglichkeit des Kniegelenks. 

V. Plastik bei Blasen] istelverschluß. 

Fall 1. Pat. H., 57 Jahre alt. Wegen 
rezidivierender Blasenpapillome mehrmals 
operiert. Seit 1920 Blasenfistel, deren Ver¬ 
schluß bereits 3 mal operativ ohne Erfolg 
angestrebt wurde. (Darunter 1 mal freie 
Fascienplastik.) 

Operation (Prof. Rehn): Gründliche Aus¬ 
rottung der Fistel samt umliegendem Ge¬ 
webe. Freie Transplantation eines 6 : 8 cm 
großen Coriuinlappens aus dem linken 
Oberschenkel; dieser Lappen wird unter 
Zug über der Blasenfistel fixiert, darüber 
Hautnaht. 

Glatter dauernder Verschluß der Fistel. 

Fall 2. Pat. St., 56 Jahre alt. Nach Prostatektomie Blasenfistelbildung, 
die sich trotz Spülbehandlung der schweren Cystitis und Dauerkatheters nicht 
schloß. Die plastische Operation zum Verschlu ß der Fistel wurd e folgender¬ 
maßen ausgeführt: Schnitt in der Mittellinie der alten Narbe, Frei präparieren 
der vorderen Blasen wand. Die Fistel, welche die Blasen wand schräg durchsetzt, 
wird durch Catgutnaht eingestülpt. Zur Verstärkung wird aus dem rechten Ober¬ 
schenkel ein Cutislappen von 8 : 4 cm Größe entnommen und unter Spannung 
auf der vorderen Blasen wand aufgesteppt; Hautnaht. Primärer Heil verlauf. 
Nachtuntersuchung nach 12 Wochen ergibt guten Verschluß der Fistel. 

Die zahlreichen Erfolge rechtfertigen die gute klinische Brauch¬ 
barkeit der von Rehn eingeführten Cutis-Subcutisverpflanzung. Be¬ 
sonders an Stellen stärkster mechanischer und anderweitiger Bean¬ 
spruchung ist das Cutisgewebe wegen seiner Widerstandsfähigkeit und 
Unnachgiebigkeit zur Verpflanzung geeignet und nicht nur dem Fas- 
ciengewebe gleichzustellen, sondern, wegen der größeren Nachgiebigkeit 
der Fascientransplantate diesem vielfach vorzuziehen. Das plastische 
Material ist von größter Anspruchslosigkeit und erfüllt selbst bei vor 
handener Infektion seinen Zweck. Die histologischen Schnitte lassen 
deutlich das neugebildete Fascien- bzw. Sehnengewebe erkennen. Dieser 
uneingeschränkte praktische wie theoretische Erfolg der Plastik wurde 



Abb. 7. Fixation des Cutis-Subcutislappens. 


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Klinische Verwendung der Cutis-Subcutisverpflanzung. 


377 


auch dann beobachtet, wenn das Transplantat, wie namentlich bei 
großen Bauchbrüchen und zum Verschluß von Blasenfisteln, auf einen 
schlecht ernährten infizierten Mutterboden, unter eine narbig ver¬ 
änderte, minderwertige Hautdecke, die einmal sogar der Nekrose 
anheim fiel, zu liegen kam. Daß an solchen Stellen im Verlauf spä¬ 
terer Beobachtungen einwandfreies Fasciengewebe oder dessen Vor¬ 
stufen gefunden wurden, beweist dessen Abstammung von dem ein¬ 
gefügten Transplantat und bestätigt durchaus unsere Auffassung, daß 
hier ein echtes Produkt funktioneller Metaplasie, wie sie angestrebt 
wurde, vorliegt. 


Literaturverzeichnis. 

Rehn, E.-Miyauchi, Das cutane und subcutane Bindegewebe in veränderter 
Funktion (daselbst s. weitere Literatur). Arch. f. klin. Chirurg. 195, H. 1. — 
Schwarz, E., Über die anatomischen Vorgänge bei der Sehnenregeneration und den 
plastischen Ersatz von Sehnendefekten durch Sehne, Fascie und Bindegewebe. 
Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 173 , 301. — Biedermann, Die Physiologie der Stütz- 
und Skelettsubstanz. Handbuch der vergl. Physiologie v. Winterstein. Bd. 3. 
1913. — Roux, Terminologie der Entwicklungsmechanik der Tiere und Pflanzen. 
Leipzig 1912. 


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«(Aus der II. Chirurgischen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses in Wien 

[Vorstand: Professor Föderl].) 

Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. 

Von 

Sup. Ass. Dr. Kasper Blond. 

Mit 4 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 23. März 1923.) 

Trotz der systematischen Untersuchungen von OUier, Barth, Ax- 
hausen und der erstaunlichen Erfolge der praktischen Chirurgie ( Kültner , 
Bier, Lexer) ist die Lehre von der Osteoplastik noch nicht abgeschlossen 
und manches Problem harrt noch der Lösung. Eine der wichtigsten 
Fragen für die praktische Chirurgie, die nach der Beschaffung des plasti¬ 
schen Materials, ist noch bis heute ungeklärt, und der alte Streit, ob 
totes oder lebendes Material (Auto- oder Homoplastik) zur Verwendung 
gelangen soll, ist noch immer nicht beigelegt. Wenn man von der ver¬ 
hältnismäßig großen Zahl der Knochentransplantationen, die zur Über¬ 
brückung von Pseudarthrosen, zur Deckung von Schädeldefekten und 
Heilung von Frakturen durch Bolzungen absieht, da sie ja für die Lösung 
der in Frage stehenden Probleme nicht in Betracht kommen, so sind 
die Erfahrungen über den Ersatz von Defekten langer Röhrenknochen 
noch sehr gering. Bis zum Jahre 1910 konnte Streissler im ganzen 27 Fälle 
aus der Literatur sammeln, bei denen Transplantationen an langen 
Röhrenknochen vorgenommen wurden, darunter 15 mal wegen Sarkoms. 
In den letzten 12 Jahren hat die Zahl um ein Beträchtliches zugenommen. 
Ich hatte Gelegenheit, zwei Dauerresultate einer Nachuntersuchung 
zu unterziehen. In beiden Fällen liegt die Operation mehr als 15 Jahre 
zurück. In dem ersten Falle handelt es sich um den Ersatz eines Defektes 
der Epiphyse und eines Teiles der Diaphyse des Humerus nach Resektion 
eines Spindelzellensarkoms, im zweiten Falle um eine Knochencyste des 
Humerus. Da die periostalen Spindelzellensarkome als die bösartigsten 
gelten und fast alle Autoren bei diesen Tumoren der Ablatio das Wort 
reden, da ich weiter in der Literatur keinen Fall finden konnte, der 
nach 17 Jahren rezidivfrei geblieben ist, erlaube ich mir, diese beiden 
Fälle und noch einen dritten, mir von meinem Chef zur Publikation 
überlassenen, mitzuteilen: 


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K. Blond: Ein Beitrag- zur Lehre von der Osteoplastik. 


379 


l.FalJ. Anamnese (21. IT.1905): Die 36jährige Pat. bemerkte vor ca. 18 Monaten 
an der Außenseite des rechten Oberarmes eine ca. kleinapfelgroße Geschwulst, 
welche ihr nicht die geringsten Beschwerden machte, so daß sie dieselbe ganz und 
gar vernachlässigte. Vor ungefähr 6 Monaten begann die Geschwulst rascher zu 
wachsen und breitete sich ringförmig um den Oberarm aus. Pat. hatte auch jetzt 
keine Schmerzen und war nur etwas im Heben des Armes gehindert. Vor mehreren 
Tagen stellte sich Pat. in der Ambulanz vor, die vorgenommene Probeexcision 
ergab ein Spindelzellensarkom, worauf der Kranken die dringende, opera¬ 
tive Behandlung angeraten 
wurde. Eine an einer Klinik 
vorgeschlagene Exartikula¬ 
tion des Armes hatte sie 
seinerzeit abgelehnt. 

Status praesens: Gutge¬ 
nährte Pat. Temperatur 
und Puls normal. Uber den 
abhängigen Lungenpartien 
vereinzelte, bronchitische 
Geräusche. Sonst interner 
Befund negativ. Nahe dem 
Coli. chir. hum. d. eine ca. 
faustgroße, jedoch nicht 
scharf abgegrenzte, ring¬ 
förmig den Humerus um¬ 
schließende Geschwulst von 
derber Konsistenz. Auf der 
Höhe der Geschwulst eine 
ca. 5 cm lange Narbe nach 
Excision. Bewegungen im 
Schultergelenk frei. Aktives 
Heben der Extremität etw as 
eingeschränkt. Sensibilität 
und Mobilität der Extremi¬ 
tät ungestört. Kein ödem. 

Operation in B.-N. (fe- 
cit Prof. Dr. Föderl ): 15 cm 
langer Resektionsschnitt 
vom Akromion nach ab¬ 
wärts, die Bicepssehne, 
deren Erhaltung sich als unmöglich erweist, wird durchschnitten, das Schulter¬ 
gelenk eröffnet und der Humeruskopf entwickelt. Hierauf w r ird der Tumor 
von den umgebenden Fleischmassen scharf frei präpariert und ca. 4 cm unter¬ 
halb desselben der Humerus durchsägt. Das resezierte Stück ist ca. 15 cm 
groß. Die Wunde wird nach exakter Blutstillung provisorisch tamponiert 
und zur Deckung des Defektes ein ebenso langes Knochenstück aus der 
Tibia entnommen. Zu diesem Behufe wird an der Vorderfläche des rechten 
Unterschenkels in dessen mittlerem Drittel incidiert; das Periost der vor¬ 
deren und inneren Tibiafläche Umschnitten und ein ca. 15 cm langes, 5 mm 
dickes Knochenstück herausgemeißelt. Durch mehrere Catgutnähte werden die 
im Zusammenhang belassenen Periost lappen der ganzen Vorder- und teilweise 
der Innenfläche der Tibia miteinander vereinigt, wodurch das Knochenstück von 
allen Seiten einen periostalen Überzug erhält und nunmehr in die Markhöhle der 



Abb. 1. 


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380 


K. Blond: 


Humemadiaphyse hineingetrieben wird. In dieser Lage wird es durch einige tiefe 
Muskelnähte fixiert. Naht der Wunden. Dessault. 10. III.: Verbandwechsel am 
Oberarm, mäßige Sekretion, Wunde per primam geheilt. Am Unterschenkel 
ziemlich reichliches Sekret. 23. V.: Bewegungen des Oberarmes in folgendem 
Ausmaße möglich: Adduction, wobei die Fingerspitzen das Kinn berühren können. 
Abduction bis einer zu der Sagittalebene parallelen Ebene möglich. 24. V. wird 
die Pat. bis auf die in der Mitte des rechten Unterschenkels befindliche, ca. finger¬ 
hutgroße Vertiefung geheilt entlassen. 4 Wochen später suchte die Pat. wieder 
das Spital auf, da sie eines Nachts durch Liegen auf der kranken Seite ein Krachen 

im operierten Arm verspürt hatte. Der Rönt¬ 
genbefund ergab eine Fraktur des implan¬ 
tierten Tibiastückes am oberen Ende von ca. 
6 cm Länge. (Siehe Röntgenbild, Abb. 1.) Am 
10. XI. 1922 suchte die Pat. wegen einer eitern¬ 
den Fistel am rechten Unterschenkel unsere 
Ambulanz auf. Es handelte sich um eine post- 
traumatische Osteomyelitis, als Folge der vor 
17 Jahren erfolgten Abmeißelung des Tibia¬ 
spanes. Es hatte sich zwischen Tibia und Fi¬ 
bula eine Kallusbrücke gebildet. An der Vor¬ 
derseite der Tibia lag ein freier Knochen¬ 
splitter, zu dem die Fistel führte. 

Die Pat. gab an, daß sie mit der ope¬ 
rierten Hand alle häuslichen Arbeiten ver¬ 
richten könne, die motorische Kraft des rech¬ 
ten Armes war nur um ein geringes schwächer 
als links. Abduction und Adduction waren 
in dem bereits früher erwähnten Ausmaß 
möglich. 

Die am Pathologisch-Anatomischen In¬ 
stitut des Allgemeinen Krankenhauses in Wien 
(Prof. Albrecht) vorgenommene Nachunter¬ 
suchung des noch vorhandenen Präparates 
ergab: 

Gemischtzelliges Spindelzellensarkom mit 
ganz vereinzelten Riesenzellen, reichlichem 
osteoidem Gewebe, stark infiltrierendes Wachs¬ 
tum in das umgebende Bindegewebe, in dem 
sich einzelne entzündliche Rundzelleninfiltrate 
finden. 

Röntgenbefund am 10. XI. 1922 (Röntgeninstitut Prof. Holzknechi): Rechter 
Humerus: Er besteht aus drei unterschiedenen Teilen. Die untere Hälfte hat 
normale Breite. An der Grenze des unteren und mittleren Drittels verjüngt sich 
der Knochen auf etwa Bleistiftdicke. Das nun nach oben folgende bleistiftdicke 
Stück ist mit dem normal breiten Knochenanteil vollkommen solid und strukturell 
angepaßt verbunden. An der Grenze des mittleren und oberen Drittels endet das 
bleistiftdicke Stück. Darüber liegt, vom Pfannendach durch einen ca. finger¬ 
breiten Spalt getrennt, ein etwa 4 cm langes Stück Knochen (Transplantat ?), das 
nach oben frei in den Weichteilen endet. Dieses Stück ist ungefähr fingerdick 
und an beiden Enden glatt. Die Gelenkpfanne ist leer. Es ist also ein im ganzen 
ca. 15 cm langes bleistiftdickes Transplantat, an seinem unteren Ende vollkommen 
solid und strukturell angepaßt mit dem Huinemsstumpf verwachsen, so daß an 



Abb. ?. 


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Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. 


381 


dieser Stelle eine Demarkation struktureller Natur weder am Periost noch an der 
Innenstruktur zu sehen ist (mit Ausnahme der Verjüngung). Dieses Transplantat 
ist oberhalb seiner Hälfte quer frakturiert. Die Frakturenden sind glatt (ne- 
arthrotisch) und frei gegeneinander verschieblich. Das Skelett der ganzen Gegend 
iBt übermittelgradig entkalkt (glasig transparent), daher die Röntgenbilder wenig 
kontrastreich sind. Abb. 2. 

2. Fall. Krankheit: Fractura humeri sin. (Cystis humeri). 

Besondere Therapie: 20. III. Trepanatio humeri. 

Operatio osteoplastica. 

Aufgenommen den 20. II. 1907 sub. J.-Nr. 1991. 

Entlassen geheilt den 20. IV. 1907. 

Behandlungsdauer 60 Tage. 

Anamnese: Pat. (löjähriger Gürtlergehilfe) will nie krank gewesen sein. Im 
Jahre 1905 brach Pat. den linken Oberarm dadurch, daß er ausrutschte und auf 
den gebeugten, vom Oberkörper abduzierten Ellbogen auffiel. Es wurde ihm hier 
ein Verband angelegt und nach 4 Wochen abgenommen, worauf gleich mit der 
Nachbehandlung, bestehend aus Massage, passiven Bewegungen und gymnastischen 
Übungen begonnen wurde. Nach kurzer Zeit konnte Pat. seinen Arm wieder 
gebrauchen, er fühlte nur Schmerzen im Arm, bis er am 20. II. 1907 in seiner 
Fabrik auf der Stiege ausrutschte und wieder auf die Hand, die er in der Rock¬ 
tasche trug, auffiel. Pat. verspürte sofort einen starken Schmerz in der Schulter, 
und als er bemerkte, daß er seinen linken Arm nicht heben könne, wußte er schon, 
wie er selbst angibt, daß er sich den Arm gebrochen habe. Pat. begab sich zu 
Fuß ins Spital. 

Status praesens: Pat. mittelgroß, von grazilem Knochenbau, blaß. Lungen 
und Herz ohne auffallenden Befund. Abdominalbefund normal. 

Der linke Oberarm hängt schlaff herunter, mit seiner rechten Hand unter¬ 
stützt Pat. im Ellbogen den linken Oberarm. Etwa 3 Finger unter dem Collum 
fühlt man eine schmale Knochenstufe. Der Knochen zeigt hier eine abnorme 
Beweglichkeit und Crepitation. Auf der Innenseite des Humerus etwa 2 Finger 
tiefer wiederum eine Knochenstufe, und zwar so, daß das untere Fragment zum 
oberen nach außen verschoben erscheint. 

Pat. bekommt provisorisch einen Desaultverband. 

Länge des Humerus links 32 cm, rechts 36 cm. 

In der Umgebung der Fraktur erscheint die Corticalis bedeutend verdünnt, 
die Spongiosa durch ein abnormes Gewebe substituiert. 

19. III. Fraktur ziemlich fest konsolidiert. Bewegungen des Armes im Schulter- 
gelenk; da das Röntgenbild nach wiederholten Aufnahmen eine cystische Verände¬ 
rung im obersten Humerusdrittel erkennen läßt (Verdacht auf Tumorbildung), 
wird beschlossen, den Knochen zu untersuchen und je nach dem Befund eine 
osteoplastische Operation auszuführen. 

20. III. Operation Prof. Föderl (Längsschnitt über die linke Schulterwölbung 
wie zur Resectio humeri nach Langenbeck). Nach Freilegung des Knochens wird 
derselbe angemeißelt und die Markhöhle eröffnet. In derselben findet sich ein von 
mehreren Knochenlamellen durchzogenes tumorartiges weiches Gewebe. Die 
sofort während der Operation von Prof. Paltauf vorgenommene histologische 
Untersuchung ergibt keinen Anhaltspunkt für Malignität, da es sich um organi¬ 
siertes Fibrin in cystischen Knochenhöhlen (vielleicht nach Blutung) handelt. 
Infolgedessen ward von einer Resektion des Knochenstückes abgesehen, der Hu¬ 
merus in seinem obersten Viertel durch Abmeißeln seiner vorderen Wand breit 
eröffnet und mit dem scharfen Löffel alles weiche Gewebe und die Knochensepta 
bis in das Caput humeri hinein entfernt. Nur die Corticalis als harte, der Ex- 


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382 


K. Blond: 


cochleation widerstehende Schichte bleibt zurück. In dem so geschlossenen Hohl- 
raum wird nun ein 7—8 cm langes Humerusstück (Leichenknochen mehrmals 
24 Stunden lang in 2 proz. Sublimatalkohol auf bewahrt) so verepreizt, daß 
seine Längsachse mit der des Humerus übereinstimrat und seine Enden sieh 
nach oben in den Hohlraum des Caput humeri, nach unten in das konisch 
zulaufende Ende des Cystenraumes einstemmen. Der implantierte Knochen sitzt 
fest in dem Hohlraum, denselben zum größten Teil füllend. Der Rest des Hohl- 
raumes wird dem zu erwartenden Hämatom überlassen. 
Die Naht des Periosts und der Muskulatur mit Catgut. 
der Haut mit Seidenknopfnähten, aseptischer und Blau 
binden verband. 

24. III. Nach mehreren Tagen unregelmäßig remit¬ 
tierenden Fiebers normale Temperatur. Wohlbefinden. 
Verband belassen. 

20. IV. geheilt entlassen. 

Die im März 1923 von mir vorgenommene Nachunter¬ 
suchung ergab folgendes: Eine ca. 15 cm lange, an der 
Außenseite des linken Oberarmes verlaufende Narbe. Der 
linke Oberarm ist um 2 cm kürzer als der rechte. Die 
Funktion des linken Schultergelenkes ist ausgezeichnet. 
Die motorische Kraft des Armes ist kaum geringer als 
rechts. Die Muskulatur an beiden Oberarmen sehr kräftig. 
Die am 2. III. im Zentralröntgeninstitut vorgenommene 
Untersuchung (Dr. Pordes) ergab: Das Bild, das der 
Knochen heute darbietet, entspricht am ehesten dem einer 
ausgeheilten Fraktur mit post traumatischer Entzündung 
und Sklerosierung. 

Einzelheiten: Die oberen zwei Schaftdrittel sind spin- 
delig verdickt mit relativ glatter Oberfläche. Man sieht 
noch einzelne Strukturelemente wie von eingeheüten Split¬ 
tern, dabei ist der ganze Schaft bis zum Collum chimrgi- 
cum mächtig sklerosiert — eburneisiert. Der Kopf selbst 
ist leicht entkalkt. Die Grenze der überverkalkten und 
unterverkalkten Zone ist grobwellig, jedoch scharf. Das 
distale Drittel des Humerus und das Schultergelenk selbst 
zeigen keine nachweisbare Veränderung. Abb. 3. 

3. Fall. Anamnese 29. XII. 1909: Vor ca. 2 Monaten bemerkte der 23jährige 
Schuhmachergehilfe eine Anschwellung oberhalb des linken Kniegelenks. Da eine 
Salbenbehandlung nichts nützte, suchte er das Spital auf. 

Status praesens: Innerer Befund ohne Besonderheiten. Oberhalb des linken 
Kniegelenkes der äußeren Seite des Femurs angehörend eine knochenharte, nicht 
bewegliche Geschwulst. Uber derselben Muskel vorhanden. Der Röntgenbefund 
zeigt den Knochen selbst nicht aufgetrieben, dagegen deutliche periostale Auf¬ 
lagerungen in Form von Bälkchen. 9. I. Tumor etwas größer geworden, Drüsen 
vergrößert. 24. I. Operation (Prof. Föderl) Schnitt am oberen Ende des unteren 
Femurdrittels beginnend, geht über die medial gelegene Höhe der Geschwulst und 
endet bogenförmig über der Tuberositas tibiae. Der Tumor wird stumpf, frri 
präpariert, Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, daß der Himter&che Kanal nach 
innen verzogen ist. Nach Anlegen von Ligaturen an die den Tumor ernährenden 
starken Gefäße können die Vasa femuralia isoliert werden. Scharfes Heraus¬ 
präparieren des Knieendes des Femurs im Gelenk. 4 cm oberhalb des Endes des 
Tumore wird mit Raspatorium die ganze Zirkumferenz des Femurs freigelegt 



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Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. 


383 


und mit der Giglia chen Säge das obere Femurende abgesagt. Dann wird die ganze 
Tumormasse aus der Hautwunde gewälzt und herauspräpariert. Exakte Ligatur 
aller Gefäße. Im Nebensaale wurde inzwischen durch einen Assistenten aus einer 
frisch amputierten unteren Extremität einer alten Frau die ganze Tibia heraus- 
präpariert, oben und unten zugemeißelt, die Länge des Stückes beträgt 24 cm. 
Es wird in eine herausgemeißelte Höhle der Facies articularis tibiae hineingestemmt, 
das obere Ende mit dem unteren Ende des Femus verbolzt und zwar durch, ein 
aus dem Malleolus der Tibia ausgemeißeltes, ca. 6 cm langes Stückchen dea 
Knochens, sodann tiefe Catgutnähte der Muskeln, aseptischer Verband, Gipshose, 
Gipsfuß. 27. I. Nach der Operation 37,7°, sonst keine Beschwerden, heute Tem¬ 
peratur normal. 

11. II. Mikroskopischer Befund: Großzelliges Spindelzellensarkom. Wunde ohne 
Reaktion. 14. III. Unten tadellose Konsolidierung der Knochenimplantation, 
oben Bolzen gebrochen, so daß die Enden des Femurs und der implantierten 
Tibia aneinander liegen. 11. IV. Am gestern angefertigten Rönigenbild zeigt sich, 
daß durch Kallusbildung am oberen Pole der implantierten Tibia starke Resorption 
des Knochenrandes eingetreten ist. Daneben aber auch gute Kallusbildung, das¬ 
selbe auch am unteren Femurende. 2. VI. Keine Konsolidation, Winkelstellung 
der Fragmente. 10. VI. Operation in Äthemarkose, Revision der Pseudoarthrose. 
Beide Knochenenden scheinen ernährt, vom unteren wird ein Stück abgemeißelt , 
worauf der Knochen und das Mark blutet . Die beiden unterschobenen Fragmente 
werden durch eine Drahtschlinge aneinander fixiert. Keine nennenswerte Kallus¬ 
bildung, Naht der Muskeln und Haut mit Catgut; Gipshose. 30. VII. Pat. geht 
auf Krücken, auch Stiegen hinauf und herunter, kann ohne Stütze auf beiden 
Füßen stehen. 8. VIII. Eine Spur von Knochenneubildung auf einer neuen Auf¬ 
nahme bemerkbar. Knochen liegen nebeneinander, Drahtschlinge an Ort und 
Steile. 18. VIII. Pat. kann am operierten Fuß gut stehen und geht nur auf einen 
Handstock gestützt herum. 12. X. Kopfschmerzen, die anfangs in Anfällen auf- 
getreten waren, jetzt dauernd, am stärksten im Hinterhaupt. Schlechtsehen auf 
dem rechten Auge, Gesichtsfeldeinschränkung. 10. XI. Erbrechen, große Mattig¬ 
keit, Diarrhöen. 5. XII. Otitis media acuta. 17. XII. Komplette Erblindung, 
Augenmuskellähmungen. 28. XII. Nasenbluten mehrmals im Tage, Lähmung 
des Levator palp. super. 20.1. 1910 Eiterdurchbruch aus dem rechten Auge sowohl 
am Ober- als Unterlid. 6. III. Am Oberschenkel eine faustgroße Metastase, 3 Rippen¬ 
metastasen. 3. IV. Exitus letalis. 

Obduktionsbefund (Prof. Maresch): Linke untere Extremität verkürzt und ihr 
Fuß auswärts rotiert. 

Der linke Oberschenkelknochen tastet sich durch die atrophischen Weichteile 
im oberen Drittel etwas verdickt und wie aufgetrieben an, er scheint etwa in der 
Mitte mit dem unteren Anteil wie bei einer Fraktur bei seitlicher Verschiebung 
durch eine Kallusmasse verwachsen, daselbst eine ausgedehnte längs verlauf ende 
mehr weißliche Narbe, die an der Vorderseite bis gegen das Knie verläuft. Die 
Patella nach abwärts verschoben, fixiert. Nach Eröffnung des Thorax findet sich 
das Manubrium stemi von einer Geschwulstmasse substituiert, so daß es ein¬ 
bricht, ferner finden sich an den vorderen Anteilen der 2. und 3. Rippe halbkugelige 
fast gänseeigroße, weißrötliche, dem Knochen aufsitzende Geschwülste, von denen 
letztere auch mit der Pleura pulmonum oberflächlich verwachsen ist. Das Gewebe 
dieser Geschwülste ist markähnlich, weiß undeutlich, faserig, stellenweise von 
Blutungen durchsetzt. 

Bei der Auslösung des Oberschenkelknochens zeigen sich die Weichteile in 
der unteren Hälfte ausgedehnt, schwielig verändert, in den Schwielen findet sich 
eine glattwandige Höhle mit öliger Flüssigkeit; man erkennt, daß die untere Hälfte 


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K. Blond: 



von einem anderen Knochen gebildet ist, der in die Epiphyse der etwas nach ein¬ 
wärts gedrehten Tibia eingepflanzt, nach hinten und außen des oberen in der 
Mitte auf getriebenen Femurstückes verschoben, mit diesem durch eine Callus- 
ma8se verwachsen ist. Der implantierte Knochen scheint in der Epiphyse ganz 
unbeweglich und auch an seinem oberen Ende durch den Kallus innig mit dem 
Oberschenkelknochen verwachsen. Es wird nun der implantierte Knochen der 
Länge nach durchsägt, wobei die implantierte Tibia nicht gerade in der Mitte, 
sondern etwas nach außen getroffen wird. Der Knochen erscheint etwas weißlich , 

sein Fettmark zerfließlieh, und man 
bemerkt freie Tropfen in demselben. 
Sein unteres abgesetztes Ende reicht 
2 cm in die Epiphyse der Tibia, deren 
^Spongiosa vorne, wo keine scharfe 

Corticalis vom implantierten Stück 
u k zu sehen ist, mit demselben innig ver- 

InKT bunden, wie in dieselbe übergehend er - 

KJf scheint , während an der hinteren Peri- 

pherie die Corticalis deutlich erhalten 
ist. Das Mark des implantierten 
■ BH Stückes — wie erwähnt — gelblich, am 

unteren Ende bis zu seiner Abtra¬ 
gungsstelle mehr weißlich, fast von 
käsigem Aussehen; die Spongiosa setzt 
hier scharf ab, und es besteht keine 
Verbindung mit dem Markraume; am 
oberen Ende dringt die Kallusmasse 
* j auf etwa 1 cm Länge in den Mark- 

Hv raum ein und erscheint nach etwa 1 cm 

B ^B mm von einem dichten, etuxis geröteten Ge - 

V webe erfüllt, ist aber dann ebenso 

fahlgelb und weißlich mürbe, aller¬ 
dings zeigt das obere Ende an der 
vorderen Fläche einen etwa 1 cm 
langen Defekt der Corticalis (gegen¬ 
über der hinteren Peripherie), an wel¬ 
chem aber die Kallusmasse in die 
Markhöhle eindringt und so eine innige 
Abl) ' 4 Verbindung hervorruft , während die 

vorderen Stellen z. B. zwischen den 
beiden Knochenenden des implantierten Knochens wie durch eine Rinne vom 
Kallus abgetrennt erscheinen . Abb. 4. 

Der Oberschenkelknochen ist entsprechend der Auftreibung von einer teils 
medullären weißen, teils blutig durchsetzten Geschwulst eingenommen, welche 
teilweise ein radiär streifiges Gefüge besitzt, durch eingestreute Spicula an der 
vorderen Peripherie die Corticalis vollkommen durchsetzt; an der hinteren hat 
er dieselbe durchbrochen. Die Geschwulst breitet sich darüber in der Spongiosa 
gegen den Trochanter aus. 

Die Frage der Knochentransplantationen in kritischer Beleuchtung 
knüpft sich an den Namen Olliers, der die Transplantation des Knochens 
unter den verschiedensten Bedingungen experimentell studierte und in 
der praktischen Chirurgie zu verwerten trachtete. Nach Ollier ist es 



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Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. 


385 


möglich, ein lebendes Knochenfragment an seinem Standort oder in 
einem andern Defekt des lebenden Skelettes mit Erhaltung seiner Vi¬ 
talität einzuheilen. Der Endausgang sei aber verschieden, je nach der 
Herkunft des Fragmentes. Demselben Individuum oder einem derselben 
Spezies angehörenden Individuum entstammendes Fragment heilt 
ein, wächst und bleibt. Bei Propfung von anderen Spezies kann es ein¬ 
heilen und eine Zeitlang leben. Später degeneriert es und wird resorbiert, 
zuweilen vom Muttergewebe stammenden Knochen substituiert. Die 
Ernährung sei an spezifische Gewebsäfte gebunden. 

Nur die innere Lage des Periosts ist imstande, Knochen zu bilden. 
Bei Entfernung dieser Schichte verliert das Periost diese Fähigkeiten. 
Die Osteoplastenschichte muß geschont werden, daher Mitnahme einer 
dünnen Knochenschichte, damit das überpflanzte Periostknochen¬ 
stück gleichzeitig Stütze und Ersatz für die verlorene Diaphyse ist. 

OUier konnte weiter zeigen, daß abgelöste, mit den Knochen noch 
in Zusammenhang stehende und um Muskeln herumgelegte Periostlappen 
verschieden geformte, spomartige Knochenvorsprünge erzeugten. Voll¬ 
ständige Ablösung des Periostlappens und unmittelbare Verpflanzung 
an andere Stellen führte ebenfalls zur Bildung von Knochen daselbst, 
doch war es nötig, die Versuche an wachsenden Tieren vorzunehmen. 
Dabei war zu konstatieren, daß die Fähigkeit, Knochen zu produzieren, 
von der inneren (Cambium)-Schichte des Periosts abhänge; durch 
Abschaben dieser Schichte verliert das Periost die Fähigkeit, Knochen 
zu bilden. Die abgeschabte Schichte, in Weichteile gebracht, vermag 
kleine verkalkte Körper mit Knochenkörperchen zu liefern. OUier 
konnte ferner zeigen, daß die von anderen Individuen oder anderen 
Spezies gewonnenen Knochen höchstens einige Zeit mit der Umgebung 
verbunden bleiben, Gefäße erhalten aber niemals wachsen. Am 
häufigsten kommt es zur Abkapselung und Resorption oder Elimination 
durch Abscedierung, bei Auto- und Homoplastik wird der Knochen 
ein Teil des Ganzen, die Anheilung bei Heteroplastik gelingt noch leichter 
in aufsteigender als absteigender Linie der Tierreihe. Die Fixierung 
der heteroplastischen Propfung kommt vom Periost des Nachbar¬ 
knochens zustande. Der implantierte Knochen verhält sich dabei 
passiv, wird resorbiert und durch neugebildeten substituiert. 

Daß das transplantierte Periost die Fähigkeit hat, am Leben zu 
bleiben und Knochen zu produzieren, haben auch die Versuche Buch- 
holz’, Cohnheims und Maas ’, Radzimowskys, Marchands und vieler 
anderer ergeben. 

Im Gegensatz zur Auffassung dieser Autoren kommt nach Barth 
eine Wiedereinheilung ausgelöster Knochenstücke mit Erhaltung ihrer 
Vitalität überhaupt nicht vor. Selbst ausgesägte Knochenstücke, 
die sofort reimplantiert werden, pflegen abzusterben und erst sekundär 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 25 


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386 


K. Blond: 


durch lebendes Knochengewebe ersetzt zu werden. Nach Barth stirbt 
das Fragment ab, gleichgültig, ob es sofort an Ort und Stelle reimplan- 
tiert oder in einen anderen Knochendefekt transplantiert wird, ob es 
auf dieselbe oder andere Spezies übertragen wird. Die Einheilung er¬ 
folgt als Fremdkörper. Die Ollier&chen Untersuchungen über Auto-, 
Homo- und Heteroplastik erscheinen daher Barth gegenstandslos. Der 
Knochen wird wie ein Fremdkörper durch ein von Periost und Mark 
der Umgebung ausgehendes, junges Bindegewebe um- und durchwachsen. 
Dieses Gewebe hat entsprechend seiner Abstammung die Fähigkeit, 
Knochen zu bilden, und endlich wird toter Knochen durch lebenden 
substituiert. In den Versuchen Barths hat die Erhaltung des Periosts 
auf der Oberfläche des implantierten Fragmentes keinen Einfluß auf 
das Schicksal desselben gehabt. Es starb in jedem Falle mitsamt dem 
implantierten Fragment ab. Die implantierten, lebenden Fragmente 
spielen daher nach Art aseptischer, poröser Fremdkörper bei dem knöcher¬ 
nen Verschluß des Defektes eine rein passive Rolle. Es muß daher totes 
Knochenmaterial das gleiche leisten. Das schlechteste Material, um 
Ersatz herbeizuführen, war entkalkte Knochensubstanz, da sie zu schnell 
von dem andrängenden Granulationsgewebe resorbiert wird, früher, ab 
eine Ossification einsetzen kann. 

Das Material, das zur Knochenbildung anregen soll, muß eine gewisse 
Widerstandsfähigkeit besitzen. Der Reiz, den es auf das ossifications- 
fähige Gewebe ausüben soll, darf nicht durch Resorbtion des implan¬ 
tierten Materials vorzeitig erlöschen, ferner muß der Fremdkörper gut dem 
Defekt adaptiert sein, sonst wird er bindegewebig abgekapselt und, wenn 
er resorbtionsfähig ist, resorbiert, ohne daß ein Knochenersatz statt¬ 
findet. Nach der Lehre Barths ist es abo gleichgültig, ob das ausfüllende 
Knochenstück zur Zeit der Implantation noch lebt oder abgestorben 
bt, und gleichgültig, von welcher Tierspezies es herstammt. Gute Adap¬ 
tion und aseptische Einheilung sind die wichtigsten Voraussetzungen. 
Der Reiz, den das Knochenstück ausübt, bt ein mechanischer ab Fremd¬ 
körper, aber ab ein Fremdkörper von besonders günstiger Konstruktion 
für den Aufbau des neuen Knochens, dessen provborisches Gerüst es 
darstellt. Andere Fremdkörper aus Elfenbein, decalciniertem Knochen, 
Schwamm können ähnlichen Reiz auf das ossificationsfähige Gewebe 
lebten und dadurch ebenfalb einen Knochenersatz herbeiführen, sind 
aber durch ihren Bau und ihre physikalischen oder chemischen Eigen¬ 
schaften weniger geeignet hierfür ab Knochensubstanz. Der Knochen¬ 
ersatz erfolgt daher hier langsamer und unsicherer. Praktische Erfolge 
sind nur dann vorhanden, wenn das Fragment in gesundes Knochen¬ 
gewebe oder in ein ossificationsfähiges Bindegewebe eingepflanzt wird. 
Dabei ist der Erfolg unabhängig von der Herkunft des implantierten 
Knochens und unabhängig von seiner Vitalität. Es haben abo Implan- 


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Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. 


387 


tationsversuche mit Knochenfragmenten nur dort einen Sinn, wo die¬ 
selben in ein aseptisches, ossificationsfähiges Gewebe eingepflanzt 
werden können. Das Ziel kann da mit dem wohlfeilen toten Material 
ebenso erreicht werden wie mit dem kostbaren lebenden, wobei dem 
Patienten eine zweite Operation erspart bleibt. Das Hauptgewicht 
bei diesen osteoplastischen Operationen liegt auf der Sterilisierung 
der Fragmente, unbekümmert um die Erhaltung der Vitalität. Gerade 
diese letzte Auffassung Barths ist heute fast uneingeschränktes Ge¬ 
meingut aller Chirurgen und besteht auch zu Recht. Radzimowsky hat 
schon vor Barth den Nachweis erbringen können, daß Knochenteile 
mit der Umgebung verwachsen können, wobei das Vorhandensein von 
Periost belanglos sei. Die Gefäßinjektion beweise nichts für das Lebend¬ 
bleiben des Knochengewebes, da dieses auch bei zweifellos totem Kno¬ 
chengewebe Vorkommen kann. Es gebührt auch Radzimowsky das Ver¬ 
dienst, als erster darauf hingewiesen zu haben, daß eingeheiltes Periost 
am Leben bleiben und neuen Knochen produzieren kann, daß der Kno¬ 
chen aber selbst der Nekrose verfalle. Damit hat Radzimowsky eigent¬ 
lich die Grundlage für die heute vorherrschende Lehre Axhausens ge¬ 
schaffen. Nach Axhausen erfolgt die Substitution vom Periost und Mark . 
Auf die hervorragende Rolle, die das Knochenmark bei der Regeneration 
spielt, hat als erster er hingewiesen. Auf Grund ausgedehnter histo¬ 
logischer Untersuchungen konnte Axhausen zeigen, daß periostgedeckter, 
lebender Knochen nicht nur im Periost der Stümpfe, in die er implantiert 
wurde, sondern auch in seinem eigenen Periost und Mark eine osteo- 
genetische Matrix findet. 

Damit hat Axhausen den Gegensatz, der zwischen der Lehre OUiers 
und Barths bestand, überbrückt und der praktischen Chirurgie den 
richtigen Weg gezeigt. Noch weiter ging Frankenstein, der Befunde 
erheben konnte, die dafür sprechen, daß auch Knochensubstanz am 
Leben bleiben kann, was er einerseits aus der Struktur und der noch 
bestehenden zum Teil verminderten Färbbarkeit der Knochenkörper¬ 
chen nachweisen wollte, andererseits aus dem Mangel an Resorbtion 
und Apposition. Vereinzelte Befunde, wobei Knochen am Leben ge¬ 
blieben war, hatten übrigens auch andere Autoren erheben können 
(Barth, SaÜykoff, Marchand und Myauchi). Frankenstein wollte auch 
im Fernhalten mechanischer Insulte bei Knochentransplantationen ein 
Moment erblicken, das bei Erhaltung der Vitalität des Knochenmarks 
von wesentlicher Bedeutung sei. Damit hat Frankenstein eigentlich auf 
die alte Lehre OUiers zurückgegriffen. 

Nach Martin geht der Knochenaufbau nicht nur vom Periost und 
Endost aus, sondern kann auch metaplastisch vom benachbarten Binde¬ 
gewebe neugebildet werden. Nach ihm sind die Osteoblasten des Endosts 
als auch des Periosts wie bei der Metaplasie Derivate des Bindegewebes* 

25* 


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388 


K. Blond: 


und der Kallus kann somit periostal, myeologen als auch intermediär 
und parostal entstehen. Daß die Neubildung von Knochen nicht aus¬ 
schließlich osteogenetischer Genese ist, geht ja auch daraus hervor, daß 
es eine pathologische Knochenneubildung gibt, die an keinen ossiftca 
tionsfähigen Mutterboden gebunden ist, wie aus Verkalkungen binde¬ 
gewebiger Membranen und auch wahrer Knochenbildung (Gefäße, 
Strumen, Cystensäcke) zu erkennen ist. Die Regeneration des Knochen¬ 
marks wurde in jüngster Zeit auch von Rehn, Bier und Brüning be¬ 
stätigt. Der letztere empfiehlt daher auch, um die knochenbildende 
Kraft zu erhöhen, bei Knochentransplantationen die Markhöhle zu 
eröffnen. In den 17 Knochentransplantationen, die Bier vorgenommen 
hat, enthielten 16 neben dem Periost auch reichlich Mark. Auch Bier 
schreibt diesem Umstande besondere Bedeutung zu, ja er glaubt sogar, 
daß dem Mark eine viel größere Bedeutung bei der Regeneration zu¬ 
kommt als dem Periost. 

„Würde das Periost die Knochenneubildung in erster Linie ver¬ 
mitteln, so müßte sie bei Ausschabung von Sarkomen und Tuberkel¬ 
herden viel schneller als bei Entnahme eines Transplantates eintreten, 
denn dort bleibt das Periost vollständig oder fast vollständig erhalten, 
hier wird es in ganzer Ausdehnung des Defektes mit entfernt.“ (Bier.) 

Gluck, der dem Am-Leben-Bleiben des Periosts keine praktische 
Bedeutung beimaß, hat toten Knochen und auch Elfenbein als Trans¬ 
plantat verwendet. Ihm erscheinen die Einheilungsart und die histo¬ 
logischen Veränderungen theoretisch wichtig, praktisch hält er jedoch 
die erzielte Funktion und Fixation für wesentlicher. Auch die Tatsache, 
daß bei Verwendung toten Materials die Sterilisierbarkeit leichter 
durchführbar ist, und das Vermeiden einer neuen Wunde erscheint ihm 
als wesentlicher Vorteil der Heteroplastik. So hat er beispielsweise 
eine Tibia, die wegen Osteomyelitis entfernt werden mußte, durch eine 
elfenbeinerne ersetzt, die von den Resten des Periosts so gut substi¬ 
tuiert wurde, daß Patient sogar an dem Feldzug teilnehmen konnte. 

Auch Küttner hält es praktisch für gleichgültig, ob das Implantat 
von vornherein am Leben ist und bleibt, oder ob es im gleichen Tempo 
mit der Resorbtion ersetzt wird. Küttner hat einen Fall publiziert, der 
aus dem Rahmen aller theoretischen Betrachtungen herausfällt. Er 
hat das obere Femurende wegen eines Chondrosarkoms exstirpiert und 
das obere Femurdrittel mit dem Hüftgelenkskopf aus der Leiche eines 
an Hirntumor Verstorbenen 35 Tage nach dem Tode an dessen Stelle 
gesetzt. Der Operierte starb 13 Monate nach der Operation an Me¬ 
tastasen. Am Präparat konnte Küttner zeigen, daß es zur Neubildung 
einer Hüftgelenkskapsel gekommen war, daß die Hüftgelenksmuskeln 
sich an den richtigen Stellen inseriert hatten, und daß das Gelenk tadel¬ 
los funktionierte. Trotz dieser glänzenden Erfolge sind die Resultate 


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Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. 


389 


bei Verwendung toten Materials ungünstiger als bei der Autoplastik 
und der periostgedeckte, lebende Knochen erscheint den meisten 
Autoren als das beste Verpflanzungsmaterial, weil die Ossifications- 
fähigkeit des Periosts fast immer erhalten bleibt. 

Als praktische Schlußfolgerung für die Ziele der Chirurgie ergibt 
sich aus dem Stand der heutigen Anschauungen, daß es dort, wo nur 
Stücke eines Knochens zu ersetzen sind, gegenstandslos ist, ob frisches 
oder totes Material zur Ausfüllung des Defektes gewählt wird. Die 
ausgezeichneten Erfolge bei Ersatz von Schädeldefekten, Überbrück¬ 
ungen von Pseudarthrosen und Ersatz von Diaphysen der Phalangen 
haben die Heteroplastik zur Operation der Wahl gemacht, und über die 
Vorgänge bei der Einheilung von totem Knochenmaterial in ein ossi- 
ficationsfähiges Lager oder in zwei Ossificationszentren sind wir heute 
vollkommen aufgeklärt (Barth). Ob aber beim Ersatz langer Röhren¬ 
knochen oder ganzer Skeletteile (Gelenke) die Anschauungen OUiers, 
Axhausens, Frankensteins, Biers usw. oder die Barths, Glucks, Küttners, 
Lexers usw. als Richtlinien zu gelten haben, ist noch nicht entschieden. 
Die Erfahrungen sind da noch viel zu gering und das Material nur sehr 
spärlich. Jeder Erfolg oder Mißerfolg auf diesem Gebiete ist daher von 
entscheidender Bedeutung. 

Was unseren zweiten Fall betrifft, so handelt es sich um einen Schul¬ 
fall von Homoplastik. In jedem derartigen Fall, wo zwei ossifications- 
fähige Zentren vorhanden sind, kann man sich selbstverständlich eine 
zweite Operation ersparen und das wohlfeile tote Material dem lebenden 
vorziehen. Was diesen Fall bemerkenswert macht, ist die Verkürzung 
des Humerus um 2 cm und die Mächtigkeit des Knochens, die trotz 
der guten Funktion nicht zur alten Gestalt des betreffenden Skelett¬ 
abschnittes geführt hat, ein Umstand, auf den mehrere Autoren hin¬ 
gewiesen haben. 

Ganz anders ist der erste Fall zu werten. Ein Spindelzellensarkom 
von diesen Dimensionen, das bereits auf die Nachbarschaft überge¬ 
griffen hat und nach der Resektion 17 Jahre lang rezidivfrei bleibt, ist 
an sich eine Rarität. In diesem Falle hatte, wie bereits erwähnt, die 
Patientin die Ablatio abgelehnt, war jedoch auf den Vorschlag einer 
osteoplastischen Operation eingegangen. Daher sollte man in jedem 
Falle von Sarkom einer Extremität die osteoplastische Operation, wenn 
durchführbar, vorschlagen, zu der sich der Patient begreiflicherweise 
eher entschließen wird als zur Ablatio. Ist in diesem Falle der Knochen 
lebend oder als Fremdkörper eingeheilt? Im Röntgenbild sieht man 
den mittleren, bleistiftdicken Anteil vollkommen strukturell an die 
untere, normal erhaltene Diaphyse angepaßt (Abb. 2). Das obere 4 cm 
lange Stück ist auf eine 4 Wochen nach der Operation traumatisch 
entstandene Fraktur zurückzuführen. Der implantierte Tibiaspan ist 


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390 


K. Blond: 


zweifellos dünner geworden. Dieses Dünnerwerden ist aber kein Beweis 
dafür, daß das implantierte Stück abgestorben und als Fremdkörper 
aseptisch eingeheilt ist. Das Dünnerwerden ist vielmehr auf die relative 
Inaktivität zurückzuführen, denn nur unter dem Einluß der Funktion 
kann mit dem eingepflanzten Knochen eine Umformung vor sich gehen, 
wobei die frühere Gestalt des betreffenden Skelettabschnittes sich wieder 
herstellen kann. Die Inaktivität hat hier eine Osteoporose erzeugt. 
Auch die Annahme, daß der Knochen in seiner Substanz erhalten ge- 
geblieben und eingeheilt ist, kann nicht ohne weiteres von der Hand 
gewiesen werden. Das implantierte Tibiastück wurde hier in ein vor¬ 
handenes osteogenetisches Lager gebracht. Entsprechend den An¬ 
schauungen Barths mußte in diesem Falle der Ersatz des toten Knochens 
von der vorhandenen Diaphyse aus durch progredientes Wachstum 
in einer Richtung vor sich gegangen sein und rascher erfolgen als die 
Resorption. Hier liegen jedoch ganz andere Verhältnisse vor als bei 
Barths Versuchen, wo nur relativ kleine Knochenstücke implantiert 
wurden, die auf ihrer breiten Unterlage und von ihren Rändern her von 
osteogenetischem Gewebe umgeben waren. Wenn so lange und große 
implantierte Knochenstücke wie in unserem Falle als totes Material 
einzig und allein von der autochtonen knochenbildenden Matrix aus 
substituiert werden sollen, dann müßte eine kolossale Energie des osteo- 
genetischen Mutterbodens wirksam sein. Barth läßt nur gelten, daß 
einzelne Knochenstücke in untergeordneter Weise inselförmig ihre 
Vitalität bewahren können. Wir wissen aber auch aus den Unter¬ 
suchungen Radzimowskys, daß implantierte Rattenschwänze, ohne 
daß sie einer Matrix okuliert werden, wachsen können, und von Franken- 
stein, daß eine periostbedeckte lebende Fibula, die in einem Kontinui¬ 
tätsdefekt des Femurs eingeheilt war, nach 147 Tagen noch am Leben 
geblieben war. Auch in unserem Falle sprechen zwei Momente gegen den 
Ersatz des implantierten Knochens von der Diaphyse her: das Fehlen 
einer stärkeren Kallusbildung an der implantierten Stelle und das Vor¬ 
handensein des 4 cm langen, 4 Wochen nach der Operation abge¬ 
brochenen Knochenstückes oberhalb des Implantats, das strukturell gar 
keine Differenz gegenüber dem Mutterboden aufweist. Die Transparenz 
und Entkalkung des ganzen Knochens sprechen nur für die relative 
Inaktivität des Humerus infolge Fehlens des Kopfes. Ob in diesem Falle 
nur das Periost am Leben geblieben ist und nicht auch Knochensubstanz, 
kann beim Fehlen histologischer Untersuchungen nicht entschieden 
werden. 

Unser dritter Fall schließt sich, was die Wertung der gut erzielten 
Funktion betrifft, an drei seinerzeit von KiUtner publizierte Fälle 
an, jedoch mit dem Unterschied, daß es sich in unserem keineswegs um 
totes Material wie bei Küttner handelt. Denn aus den Versuchen von 


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Ein Beitrag zur Lehre von der Osteoplastik. 391 

Grohe zur Feststellung, wie lange nach dem Tode die dem Tierkörper 
entnommenen Perioststücke lebensfähig sind, geht hervor, daß Periost¬ 
lappen 29—100 Stunden nach dem Tode — dem bei niedriger Tempe¬ 
ratur konservierten Tierkörper entnommen — noch ihre Proliferations¬ 
fähigkeit bewahren. Unser FaU paßt überhaupt nicht in das übliche 
Schema, denn er steht in der Mitte zwischen Auto- und Homoplastik. Da 
die Operation gleichzeitig mit der Amputation erfolgte, kann das so¬ 
fort gewonnene und transplantierte Material, was seine Vitalität betrifft, 
wie lebendes autoplastisches Material gewertet werden. Der Operateur 
hatte auch bei der Nachoperation an der implantierten Tibia die makro¬ 
skopischen Eigenschaften eines lebenden Knochen vorgefunden. Leider 
wurde weder bei dieser Operation noch bei der Obduktion eine histo¬ 
logische Untersuchung vorgenommen, weswegen eine einwandfreie 
Entscheidung, ob das Periost am Leben geblieben war, nicht getroffen 
werden kann. Zweifellos müssen Teile des Periosts und Endosts ihre 
Vitalität erhalten haben, denn es erscheint kaum glaublich, daß die 
beiden Ossificationszentren bei dieser Entfernung (24 cm) eine derartige 
Wachstumsenergie hätten entfalten und zu einer so mächtigen Kallus¬ 
bildung an der unteren Implantationsstelle führen können. Es erscheint 
uns daher auf Grund unserer beiden letzten zwei Fälle, daß beim Ersatz 
langer Röhrenknochen dem lebenden Material der Vorzug zu geben ist. 

Literaturverzeichnis. 

Axhausen, Arch. f. klin. Chirurg. 88 und 94 ; Dtech. Zeitschr. f. Chirurg. 91 ; 
Dtsch. med. Wochenschr. 1917. — Barth, Chirurgenkongreß 1893. 2. 1894; Beitr. 
z. pathol. Anat. u. z. allg. PathoL 17 . — Bier, Med. Klinik 1 . 1905; Aroh. f. klin. 
Chirurg. 199 . — Brüning, Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 116 . 1916. — Buchholz, 
Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. PhyBiol. 96 . 1863. — Cohnheim und Maas, 
Vircbows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 79 . 1877. — Frankenstein, Bruns 
Beitr. z. klin. Chirurg. 64 . 1909. — Glück, Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 117 , 13. — 
Grohe, Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. Physiol. 155 . 1899. — Küttner, Bruns’ 
Beitr. z. klin. Chirurg. 75 . 1911. — Lexer, Dtsch. Chirurgenkongreß 9 , 188. 1908; 
9 , 398. 1909; Med. Klinik 1908; Münch, med. Wochenschr. 1919, Nr. 44. — 
Maas, Arch. f. klin. Chirurg. 99 . 1877. — Marchand, Dtsch. Chirurg. Lieferung 61. 

— Martin, Arch. f. klin. Chirurg. 111 . — Myauchi, Arch. f. klin. Chirurg. 196 , 273. 

— Ollier, De l'ost£og£n£se chirurgale. Verhandl. des X. internst, med. Kongresses 
zu Berlin 3, 2. — Radzimowsky, Über Replantation und Transplantation der 
Knochen. Inaug.-Diss. Kiew 1881; zitiert bei Axhausen. — Rehn, Arch. f. klin. 
Chirurg. 97 . — Saltykoff, zitiert nach Streißler. — Streißler, Bruns’ Beitr. z. klin. 
Chirurg. 71 . 


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Original fro-m 

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(Aus der Akademischen chirurgischen Klinik der militar-medizinischen Akademie 
in Petrograd. [Direktor: W. A. Oppel}.) 

Über AltersTeränderungen der Rippenknorpel 
im Zusammenhang mit Rippenknorpelentztindung 
nach Fleck- und Rückfallfieber. 

Von 

W. J. Popow. 

Mit 9 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 17. April 1923.1 

Eine häutig vorkommende Komplikation des Fleck- und des Rückfall¬ 
fiebers ist die Entzündung der Rippenknorpel. Wenn von der Patho¬ 
genese der betreffenden Krankheit gesprochen wird, so berührt man 
unwillkürlich die Vascularisation der Rippenknorpel. Meistens hält 
man die Knorpel für gefäßlos. So sind in den neusten Handbüchern 
der Anatomie und Histologie ( Tonkow, Räuber, Maximow u. a.) ent¬ 
weder kurze Hinweise auf die Möglichkeit des Erscheinens von Gefäßen 
in den Rippenknorpeln in reifem Alter (Räuber) zu finden,, oder es wird 
mit Bestimmtheit behauptet, daß der Knorpel ein gefäßloses Gewebe 
ist, dessen Ernährung auf Kosten der Gefäße des Perichondriums 
geschehe, „welche in den Knorpel selbst nicht eintreten“ (Tonkow). 
In den alten Handbüchern der Histologie (A. Köüiker, S. Ort u. a.) 
sind kurze Hinweisungen auf das Erscheinen von sogenannten „vas- 
cularisierten Kanälen“ in reifem Alter vorhanden. 

In zahlreichen Arbeiten alter Autoren, welche die Histologie der 
hyalinen Knorpel (darunter auch der Rippenknorpel) (U. Tülmanns, 
C. Baber, Nykamp, O. Tizzoni u. a.), die Regeneration derselben (Schwalbe, 
M. Mori, R. Malatesta u. a.) studiert haben, in experimentellen Arbeiten, 
die den Entzündungsprozessen der hyalinen Knorpel gewidmet sind 
(Th. von Ewetzky, A. Genzmar u. a.) — wird von der Vascularisation der 
Rippenknorpel nichts erwähnt, was auch leicht verständlich ist, da 
die Mehrzahl der genannten Autoren mit hyalinen Knorpeln von Ka¬ 
ninchen und Hunden, nicht aber mit denjenigen des Menschen gearbeitet 
hatten. Im Jahre 1890 sprach Helferich auf der 63. Sitzung der Natur¬ 
forscher und Ärzte (in Bremen) in seiner Mitteilung über die Rippen - 
Chondritis und -Perichondritis die Vermutung aus, daß in der Patho¬ 
genese der betreffenden Krankheit die Altersveränderungen eine Rolle 


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J. Popow: Über Altersveränderungen der Rippenknorpel usw. 393 

spielen; im Jahre 1899 erscheint in der Deutschen Zeitschrift für Chi¬ 
rurgie (Band 53) eine interessante Arbeit von Lampe (Über die Ent¬ 
zündung der Rippenknorpel nach Typhus abdominalis), welcher einen 
Fall nach Typhus aufgetretener „Chondromyelitis“ beschreibt und eben¬ 
falls die Resultate seiner Untersuchungen über die Vascularisation der 
Rippenknorpel anführt. Nach diesen 
Untersuchungen sind die Rippen¬ 
knorpel bis zum 20. Lebensjahre ge¬ 
fäßlos; vom 20. Jahre an erscheint 
in denselben eine „schwache und 
beständige Vascularisation“. Vom 
30. Lebensjahre an bilden sich in 
den Rippenknorpeln Kanäle und 
Höhlen, welche in einigen Fällen 
ein feinfaseriges Bindegewebe „mit 
dünnwändigen breiten Capillaren“ 
und Fettzellen, in anderen Fällen 
dagegen —■ echte Knochenmarks¬ 
höhlen enthalten. Nach 70 Jahren erfahren die Kanäle und Höhlen 
eine regressive Entwicklung — es werden weder Bindegewebe noch Ge¬ 
fäße beobachtet. 

In den Arbeiten späterer Autoren, welche die Entzündungsprozesse 
der Rippenknorpel studiert haben (A. Martina, R. P. Rowlands, 
W. Röpke , E. K. Flinzer, P. Mül¬ 
ler, Lecompte, O. Harzbecker, Riedel, 

N. Dobrowolskaia, G. Petraschews- 
kaia, Beljawzew - Elissejew, Krug- 
low, W. Che8sin, N. Borissowsky, 

A. Zabludowsky, S. Heimanowitsch, 

S. Rubaschow, A. Robuslow u. a.) 
wird von der Vascularisation der 
letzteren gar nichts erwähnt, mit 
seltenen Ausnahmen (E. W. Busch, 

Riedel, Schalzky, Petraschowskaia), 
oder es wird mit Bestimmtheit be¬ 
hauptet {Zabludowsky), daß „der 
Knorpel weder Marksubstanz, noch 
Kanäle aufweise“. In der Literatur, welche mir zugänglich war, habe 
ich, außer Lampe, keine Untersuchungen über Altersveränderungen der 
Rippenknorpel gefunden, da aber die Arbeit von Lampe schon recht in 
Vergessenheit geraten ist und dabei in solchem Grade, daß in den 
gegenwärtig verbreiteten Handbüchern der Anatomie und Histologie 
(W. Tonkow , A. Maximow u. a.) schon gar nichts von der Vasculari- 



a = Kanal im Querdurchschnitt; 6 = wenig merk¬ 
liche Verbindung des Kanals mit dem Peri- 
chondrium. 





Abb. 1. Kippenknorpel eines ß Monate alten 
Mädchens ^vergrößert), a = „beginnende Vascu- 
larisatlon“, welche mit unbewaffnetem Auge zu 
sehen ist. 


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394 


J. Popow: 


sation der Rippenknorpel erwähnt wird, so wird es einleuchten, daß 
diese Frage, im Zusammenhang mit den in den letzten Jahren öfter 
vorkommenden Affektionen der Rippenknorpel, nochmals untersucht zu 
werden verdient; daher habe ich das entsprechende Anerbieten meines 
hochverehrten Lehrers, Prof. W. A.Oppel, mit großer Dankbarkeit an¬ 
genommen. 

Im ganzen haben wir 82 Fälle untersucht, aus welchen 30 der mikro¬ 
skopischen Untersuchung unterworfen worden sind 1 ). 

Wir halten es für zweckmäßig, die Darlegung der von uns erhaltenen 
Daten in 3 Abschnitte einzuteilen. Im ersten Abschnitt werden die 
Rippenknorpel des Kindesalters bis zu 15 Jahren beschrieben. In 
dieser Periode stellen die Rippenknorpel ein einförmiges Bild dar, 
von welchem weiter unten die Rede sein wird. Vom 15. Lebensjahre 
an erscheinen darin bestimmte Altersveränderungen, welche bis zu 
20 Jahren für charakteristisch gelten können; das ist die zweite Periode 

der Altersveränderungen — 
der zweite Teil unserer Dar¬ 
legung. Der dritte Abschnitt 
wird die Veränderungen im 
Alter von 30 Jahren und 
später berühren; zu dieser 
Zeit erscheinen in den Rip¬ 
penknorpeln neue Alters¬ 
veränderungen, die früher 
nicht anzutreffen waren. 

Die Rippenknorpel des Kindesalters erscheinen auf Durchschnitten 
milchweiß, mit glatter Oberfläche. Bei eingehendem Studium mit 
unbewaffnetem Auge lassen sich an Querschnitten kaum merkliche 
(bei oberflächlicher Besichtigung leicht übersehbare) blaß-graue Punkte 
und dünne graue Streifen entdecken, welche in der Richtung vom Peri- 
chondrium zum Zentrum verlaufen. Zuweilen enden diese Streifen, 
nachdem sie die zentralen Knorpelteile erreicht haben. In anderen 
Fällen ziehen sie, nach einer Wendung unter einem rechten Winkel, 
eine Zeit lang in der Richtung der Längsachse des Knorpels hin, ihre 
Ausdehnung übertrifft gewöhnlich nicht einen halben Zentimeter, wobei 
sie in diesen Fällen auf Querschnitten als die obenerwähnten bla߬ 
grauen Punkte erscheinen. 

Unter dem Mikroskop erweisen sich die beschriebenen Veränderungen 
als Capillaren, welche entweder Zweige der Gefäße des Perichondriums, 

*) Das Alter der Individuen, deren Knorpel mikroskopisch untersucht worden 
sind, ist: 2 Monate, 6 Monate, 1 Jahr und 2 Monate, 3 Jahre, 12 Jahre, 15 Jahre, 

16 Jahre, 17 Jahre, 20 Jahre, 21 Jahre, 24 Jahre, 29 Jahre, 30 Jahre, 31 Jahre, 

34 Jahre, 37 Jahre, 38 Jahre, 39 Jahre, 40 Jahre, 42 .Jahre, 45 Jahre, 48 Jahre, 

49 Jahre, 53 Jahre, 55 Jahre, 56 Jahre, 56 Jahre. 



Höhlen ( a ) und gut unterscheidbaren Verbindungen ( b ). 


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Über Altersverämlerungen der Rippenknorpel usw. 


395 


die unter einem rechten Winkel abgehen, oder Capillaren darstellen, 
welche sich umbiegen und in die Grundsubstanz des Knorpels aus dem 
Perichondrium, vom Gewebe des letzteren begleitet, ein treten. Indem 
sich diese Gefäße manchmal unterwegs verzweigen, erreichen sie die 
zentralen Knorpelteile und biegen sich in einigen Fällen sehlingen- 
förmig um; in anderen Fällen dagegen wenden sie sich unter einem rech¬ 
ten Winkel und folgen eine Zeitlang der Längsachse des Knorpels. 

Der Durchmesser dieser Capillaren ist immer mehr oder weniger 
bedeutend; kleine ,,Haar“-Gefäße ließen sich in den Rippenknorpel 
von Kindern nicht finden. Unter dem Mikroskop bietet das Knorpel¬ 
gewebe der Rippenknorpel beim Kinde, infolge des Reichstums an 
Knorpelzellen, ein buntes Bild dar. Diese letzteren zeigen meistenteils 
eine langgezogene, ovale oder n 

spindelförmige, seltenereine t 

runde Form und einen für ge- S/ \ 

wohnlich runden Kern, wel- Jy } VI 

eher an Chromatin reich ist. // 

Einige der Zellen befinden li Ij 

sich im Zustande der karyo- ■/ % __ /j 

kinetischen Teilung 1 ), alle ff h 

Zellen sind frei gelegen; sie JV ff 

sind nicht in Knorpelkapseln / \ 

eingeschlossen, diese letzteren 7 ^ 

fehlen. Die Anordnung der b ^ 

Knorpelzellen ist in verschie- Abb 4 Mikroskopisches Präparat des Rippenknorpels 
denen Knorpelteilen nicht eines 2 Monate alten Kindes (schwach vergrößert), n- 

... TT x TT Capillaren, die aus dem Perichondrium in die Knorpel- 

gleichartig. L Ilter dem 1 e- Substanz eindringen ( 0 ); b — Perichondrium; c — Knor- 

richondrium, dessen Zellen pelgewebe, welches infolge des Reichtumsan Knorpel- 
. zellen bunt aussieht; d = Gefäße des Pertchondriums. 

allmählich in Knorpelzellen 

übergehen, sind die letzteren stark abgeflacht und haben das Aussehen 
feiner Streifen; mit ihren Längsachsen sind sie in ein und derselben Rich¬ 
tung ausgestreckt und liegen dem Perichondrium parallel. In der Rich¬ 
tung gegen das Zentrum verlieren die Zellen ihre regelmäßige Anordnung 
und gleichzeitig mit der Veränderung ihrer Form in eine spindelförmige, 
sternartige und runde, beginnen sie sich ohne besondere Ordnung zu 
lagern. 

Das beschriebene Bild des Rippenknorpels kann man bis zum 15 jähri¬ 
gen Alter für konstant halten; beim Herannahen dieses Alters verändert 
sich der Knorpel bloß im Sinne des bedeutenden Wachstums der Inter¬ 
cellularsubstanz resp. der relativen Verringerung der Zeilenzahl und 
endlich des Auftretens von Knorpelkapseln. 

*) Wie bekannt ( Maximale ,, Nowikow u. a.), wird im reifen Alter in den Knorpel¬ 
zellen nur eine amitotische Teilung angetroffen. 


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396 


J. Popow: 


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Vom 15. Lebensjahre an verändern sich die Rippenknorpel allmäh¬ 
lich in folgender Weise: der Knorpel erhält eine härtere Konsistenz, er 
ist schon nicht so leicht zu schneiden, und beim Durchschneiden des¬ 
selben bekommt man oft den Eindruck des Knistems. Auf Querschnit¬ 
ten zeigt er beständig eine milchweiße Färbung; in den zentralen Teilen 
verändert die Grundsubstanz manchmal ihre weiße Farbe in eine kaum 
merkliche blaß - grauliche. Außerdem ist die Oberfläche des Schnittes 
nicht immer glatt, sondern in einigen Fällen erscheint eine mit unbe¬ 
waffnetem Auge wahrnehmbare Zerfaserung. 

Endlich kommen mit dem 15. Lebensjahre in den Rippenknorpeln 
Kanäle vor. Diese Kanäle nehmen vom Perichondrium ihren Anfang, 
als eine Anastomose in Gestalt eines feinen, mit unbewaffnetem Auge 

kaum wahrnehmbaren 
graulichen oder rötlichen 
Streifens; sie ziehen eine 
gewisse Strecke in der 
Längsachse des Knorpels 
und endigen blind. Der 
Kanal kann an mehreren 
Stellen mit dem Peri¬ 
chondrium verbunden 
sein. Die Länge der Ka¬ 
näle ist die mannigfaltig¬ 
ste; zuweilen zieht ein 
Kanal durch den ganzen 
Knorpel — das ist der 
erste Kanalisationsty¬ 
pus. In anderen Fällen 
besitzen sie eine geringe Ausdehnung — kaum angefangen, finden sie 
schon ihr Ende, so daß in einem Rippenknorpel mehrere dergleichen 
selbständige Kanäle Vorkommen können (bis zu 3 und sogar bis zu 4), — 
das ist der 2. Kanalisationstypus. In gewissen Fällen, jedoch bei weitem 
nicht immer, besitzen die Kanäle eine unmittelbare Verbindung mit den 
Knochenmarkshöhlen des knöchernen Rippenteils. Mit dem Brustbein 
werden keine Verbindungen beobachtet, was selbstverständlich ist, dazwi¬ 
schen demselben und den Rippenknorpeln Gelenkhöhlen vorhanden sind. 

Der Durchmesser der erwähnten Kanäle übertrifft gewöhnlich nicht 
2 —3 mm. Auf einem Querschnitt erscheinen sie dem unbewaffneten 
Auge als kleine Flecke von runder oder ovaler Form, von grauer oder 
roter Farbe und von weicher Konsistenz. 

Die mikroskopische Untersuchung der Rippenknorpel in der 2. 
Periode, d. h. von 15 bis zu 30 Jahren, zeigt folgendes; Wie schon er¬ 
wähnt wurde, vermehrt sich die Intercellularsubstanz wesentlich. 


a 



a = Capill&ren im Querdurchschnitt (in der Zahl von 5 Stück); 
b = Perichondrium; c = Knorpelgewebe. 


Go^ 'gle 


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Über Altersveränderungen der Rippenknorpel usw 


die Zahl der Knorpelzellen wird relativ kleiner; um sie herum bilden 
sich Knorpelkapseln. Gleichzeitig beginnt schon die bereits von einigen 
Autoren ( O. Grdinko, Lampe u. a.) beschriebene Zerfaserung der zen¬ 
tralen Anteile des Rippenknorpels, welche auch makroskopisch, wie 
bereits erwähnt wurde, zu bemerken und zum 20. Lebensjahre 
bei vielen Individuen sehr scharf ausgeprägt ist. Diese Anteile des 
zerfaserten, degenerierenden Knorpels enthalten in unbedeutender 
Anzahl, in den Zwischenräumen zwischen den Fasern, ebenfalls 
degenerierende oder degenerierte Knorpelzellen, welche sich nicht 
mehr färben lassen und manchmal 1 1 

einen veränderten Kern besitzen; 
diese Zellen fehlen gänzlich einigen 
Knorpelteilen, welche unmittelbar \ 

die oben beschriebenen Kanäle be- •Y’ 

grenzen. Die Grenzen des Knor- 

pels sind durch eine reüef - wellige __ 

Linie des degenerierenden, zerfaser- • 4 \ W r 

ten Knorpelgewebes ausgeprägt. Der r , 

Kanal ist mit einem zarten, an Zel- r - 

len armen Bindegewebe ausgefüllt, a --^ A^J^r**** 

welches eine Fortsetzung des peri- 
chondralen Gewebes darstellt und e ^' f /•' 
aus stemartigen Zellen besteht, die / \ 

miteinander durch feinste Fäserchen 
verbunden sind. Diese Fäserchen 
lagern sich, zusammen mit den 
langgezogenen sternförmigen Zellen 
in deren Längsachse, in gleicher 
Richtung, wie die Fasern des de¬ 
generierenden Knorpels, gleichsam 
deren direkte Fortsetzung bildend. 

Durch die oben erwähnten feinen Verbindungsfäserchen treten aus 
dem Perichondrium, vom Gewebe des letzteren begleitet, Capillaren in un¬ 
bedeutender Anzahl (zuweilen je eine Capillare) in die Kanäle ein; sie ver¬ 
breiten sich im beschriebenen Bindegewebsstromades Kanals. Der Durch¬ 
messer der Capillaren ist, ebenso wie in den Rippenknorpeln des Kindes, 
mehr oder weniger bedeutend; die feinsten Haargefäße kommen hier 
selten vor. In der Nähe der Capillaren kommen zuweilen, d. h. nicht bei 
allen Individuen, Spuren alter Blutergüsse in der Gestalt von kleinen Hä¬ 
mosiderinschollen vor, welche im Zellprotoplasma oder frei, außerhalb 
der Zellen liegen. Die Fettzellen, welche Lampe erwähnt, haben wir 
selten angetroffen, was leicht zu verstehen ist, — die Mehrzahl der von 
uns untersuchten Leichen befand sich im Zustand starker Abmagerung. 


Abb. 6. Querdurchschnitt des Rippenknorpels 
eines 80 jährigen Individuums (schwach ver¬ 
größert). a = Höhle ; b - Capillaren ; c = dünn- 
faseriges Bindegewebe; d- zackiger Rand des 
degenerierenden Knorpels; t = Blutpigment; 
k = Bezirke, in welchen das Bindegewebe aus 
dem Präparat herausgefallen ist. 


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398 


J. Popow: 


Die beschriebenen Veränderungen in Gestalt von Zerfaserung der 
Intercellularsubstanz, von ,,Schwammigkeit“ derselben (Lampe) und 
Bildung von Kanälen beginnen vom 15. Lebensjahre an vorzukommen. 
Bis zu 20 Jahren kommen sie jedoch nicht beständig vor. Von 20 Jahren 
an bilden sie schon für die Rippenknorpel eine Regel, d. h. kommen bei 
allen Individuen, obgleich nicht in allen Rippenknorpeln, vor. Über 
die Häufigkeit des Vorkommens der Kanäle in den einzelnen Rippen 
wird weiter unten — im 3. Teile unserer Ausführungen über Alters¬ 
veränderungen — die Rede sein. 

Für die Rippenknorpel wird also im Alter von 15 bis zu 30 Jahren 
folgendes Bild typisch sein: In der Mehrzahl sind die Rippenknorpel 

(zum 30. Lebensjahre oft auch alle Rip¬ 
penknorpel) aufgefasert, in einigen der¬ 
selben (zuweilen in allen von der 2. bis 
zur 9. Rippe) sind Kanäle mit „begin¬ 
nender Vase ularisat ion *' vorh anden, wel - 
che für das Kindesalter charakteri¬ 
stisch und bereits beschrieben sind. Wie 
schon gesagt, erscheint, nach Lampe, 
die „beginnende Vascularisation“ mit 
dem 20. Lebensjahre, die Kanäle da¬ 
gegen — bloß von 30 Jahren an. Eine 
solche Differenz in den erhaltenen Re¬ 
sultaten kann nur durch die oberfläch¬ 
liche und nicht genügend sorgfältige 
Untersuchung von Lampe erklärt wer¬ 
den, welcher diese Frage nebenbei stu¬ 
diert hat und, um es hier gelegentlich 
zu erwähnen, über die Anzahl der unter¬ 
suchten Fälle nicht berichtet. Lampe spricht ebenfalls nicht von (alten) 
Blutergüssen, welchen wir in der 2. Periode (von 15 bis zu 30 Jahren) 
manchmal, in der 3. Periode, nach 30 Jahren (wovon weiter unten die 
Rede sein wird) beständig begegnen. 

Von 30 Jahren an treten in den Rippenknorpeln neue Veränderungen 
— die Veränderungen der 3. Periode — auf. Zu dieser Zeit erscheinen 
die. Rippenknorpel, in der Mehrzahl der Fälle, stark verkalkt, sehr 
kompakt und lassen sich mit großer Mühe schneiden. In einigen Fällen 
besitzen sie eine wahre Knochensubstanz. Die Schnittfläche ist von 
graugelber Farbe mit weißen Kalkablagerungen, die sich vorzugsweise 
um die Kanäle ausscheiden. Die Auffaserung ist stark ausgeprägt. 
Die Kanäle, welche in dieser Periode in einzelnen Rippen mit größerer 
Beständigkeit Vorkommen, wandeln sich in einer bedeutenden Anzahl 
der Fälle in wahre Höhlen um; der Durchmesser dieser letzteren erreicht 


* \ * 

m 


t 


\ \ 




Abb. 7. Dasselbe Präparat (30 jähriger 
Mann) stark vergrößert, a = Höhle; b = 
Haarcapillaren (mit Erythrocyten); c = 
Bindegewebszellen; einige ders?lben ent¬ 
halten Blutpigment Hämosiderin (d); d = 
Blutpigment; e = Fasern des degenerier¬ 
ten Knorpels, welcher mit Kosin rosa ge¬ 
färbt ist. 


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Über Altersvernnderungen der Rippenknorpel usw. 399 

3—5 mm und mehr. Diese Höhlen verengen sich oft in ihrem Verlaufe, 
erweitern sich dann wieder und ordnen sich, wie die Kanäle, aus welchen 
sie entstehen, in den zentralen Knorpelteilen an. 

Die Ausdehnung derselben ist verschieden, so daß man hier zwei 
Typen unterscheiden kann: der erste Typus ist, wenn eine Höhlung 
ununterbrochen durch den ganzen Rippenknorpel verläuft, und der 
2. Typus, wenn in einem Rippenknorpel mehrere selbständige Höhlen 
vorhanden sind. Außer diesen 2 konstantesten Ver¬ 
breitungsarten der Höhlen werden noch folgende Va¬ 
rianten angetroffen. 

In den großen Rippenknorpeln verlaufen zuweilen 
mehrere (2—3) parallele, miteinander nicht verbun¬ 
dene Kanäle. Manchmal verläuft ein Kanal, nach¬ 
dem er aus den Knochenmarkshöhlen des knöchernen 
Rippenteils hervorgetreten ist, eine sehr kurze Strecke 
und endet blind; der übrige Teil des Rippenknorpels 
bleibt von Kanälen ganz frei, öfter besitzt der Kanal 
(oder die Höhlen) mehrere Verbindungen mit dem 
Perichondrium, zuweilen (sehr selten) ist nur eine Ver¬ 
bindung vorhanden, durch welche also die Verzwei¬ 
gungen der Capülaren in den Knorpel nach dem Ty¬ 
pus der Endgefäße eintreten. 

In Fällen ausgeprägter Verknöcherung fanden wir 
Höhlen, welche den ganzen Rippenknorpel ausfüllten. 

Es ist von Interesse, daß diese Höhlen, welche mit 
den Knochenmarkshöhlen des knöchernen Rippen¬ 
teils nicht in Verbindung standen, von einer Substanz 
ausgefüllt waren, die dem Aussehen nach nicht vom 
roten Knochenmark zu unterscheiden war. Solche 
Höhlen trafen wir in 5,5 % aller Fälle im Alter von 
30 bis zu 50 Jahren an. 

Unter dem Mikroskop wurde in diesen Fällen fol¬ 
gendes konstatiert: Es ist eine Metaplasie des Knorpel¬ 
gewebes in Knochengewebe zu vermerken. Man kann deutlich sehen, 
wie an der Grenze des Knorpelgewebes mit dem Knochengewebe 
die sich in der Nähe des neugebildeten und in Neubildung begrif¬ 
fenen Knochens anordnenden Knorpelzellen ihre Form aus einer 
runden in eine stern- und spindclartige umzuwandeln beginnen und 
sich allmählich in echte Osteoblasten umwandeln, welche in großer 
Anzahl den jungen Knochen bedecken. Dieser letztere bildet sich in 
Form von Lamellen, welche die Räume begrenzen, die mit Knochen¬ 
markselementen (vom Typus der Myelocyten und Myeloblasten) und 
mit Fettgewebe angefüllt sind. Die Rippenknorpel mit den Höhlen, 



Abb. 8. Rippenknorpel 
einer 42 jährigen Frau; 
Längsschnitt (schwach 
vergrößert); a = Aus¬ 
buchtungen der Höhle; 
b - degenerierender 
Knorpel. 


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400 


J. Popow: 


welche kein Knochenmarksgewebe enthalten, zeigen unter dem Mikro¬ 
skop folgendes Bild. Im Zentrum des Knorpels ist eine große Höhle 
vorhanden, welche von einem breiten Streifen aufgefaserten degenerie¬ 
renden Knorpels umgeben ist. Die Grenzen der Höhle sind glatt: sie 
werden durch den zackigen, palissadenähnlichen Rand des aufgefaserten 
Knorpelgewebes gebildet, in welchem überall tiefe Einbuchtungen 
und Spalten vorhanden sind. Manchmal gibt es nicht eine, sondern 
2 oder mehrere Höhlen, indem sich neben einer großen die übrigen 
—• kleinen — anordnen. 

In der Höhle liegen frei völlig isolierte, von der Hauptmasse ab¬ 
geteilte Bezirke des aufgefaserten Knorpels, welche strukturlose Knorpel¬ 
zellen mit schwach gefärbten Konturen enthalten. Diese letzteren sind 

in einigen Stellen aus den Kapseln her¬ 
ausgefallen und liegen frei in der Höhle. 
Der zackige Rand des Knorpelgewebes 
und einzelne Stückchen des letzteren 
sind von langausgezogenen und stern- 
artigen Bindegewebszellen bedeckt, wel¬ 
che miteinander durch dünne Fäser¬ 
chen verbunden sind; die Richtung 
dieser letzteren fällt mit der Richtung 
der Fasern des degenerierenden Knor¬ 
pels zusammen. In diesem zarten, an 
Zellelementen armen Bindegewebe kom¬ 
men manchmal Fettzellen und bestän¬ 
dig Capillaren vor, welche im Zentrum 
der Höhle von größerem Kaliber sind, 
als längs der Peripherie, wo feinste 
(„Haar“-) Capillaren vorhanden sind, 
die nur einen Erythrocyten aufnehmen können. Um diese Haarcapilla- 
ren herum sind überall Spuren alter Blutergüsse zu bemerken, in Ge¬ 
stalt von Hämosiderinschollen, welche im Zellprotoplasma oder außer¬ 
halb der Zellen gelegen sind. Da die Haarcapillaren sich längs der 
Peripherie der Höhle lagern, so lokalisieren sich auch die Blutergüsse, 
welche sich neben den Capillaren befinden (und wahrscheinlich aus 
denselben entstehen), längs der Peripherie, was schon bei kleiner Ver¬ 
größerung scharf ins Auge fällt. Die Blutergüsse trafen wir beständig 
vom 30. Lebensjahre an. 

Auf Längsschnitten kann man deutlich sehen, daß die Wandungen 
der Höhle uneben sind: es sind große Ausbuchtungen vorhanden, 
die sich nach verschiedenen Seiten hin erstrecken. 

Die von uns erhaltenen Daten in bezug auf den Rippenknorpel 
in der 3. Periode (im Alter von 30 Jahren und später) stimmen im 



Abb. 9. Knochenmarkshöhle ( a) des 
Rippenknorpels einer 40 jährigen Frau 
(schwach vergrößert; b = Knochentrabe¬ 
kel; c = Knorpelgewebe; d - Knochen¬ 
marksgewebe ; e = Fettgewebe. 


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Über Altersveränderungen der Rippenknorpel usw. 


401 


allgemeinen mit den Resultaten der Untersuchungen von Lampe überein. 
Der Unterschied besteht darin, daß, erstens, Lampe nur breite dünn¬ 
wandige Capillaren antraf, welchen er eine große Bedeutung zuschreibt, 
da in ihnen, nach seiner Meinung, infolge des verlangsamten Blutstromes 
die im Blute kreisende Infektion am schnellsten und leichtesten auf- 
gehalten wird — und gar keinen kleinen Capillaren begegnete; wir 
dagegen trafen beständig Haarcapillaren in den großen Höhlen an. 
Außerdem kamen von 30 Jahren an beständig alte Blutergüsse vor, 
von welchen Lampe ebenfalls nichts erwähnt. Diese Blutergüsse waren 
in den Rippenknorpeln mit großen Höhlen am stärksten ausgeprägt, 
und, was von Interesse ist, besonders entwickelt erwiesen sie sich bei 
stark abgemagerten Individuen, die bei Lebzeiten an schweren chro¬ 
nischen Krankheiten (chronische Wundprozesse, septische Krankheiten 
u. a.) gelitten hatten. Bei gut genährten Individuen dagegen, welche 
aus zufälligen Gründen gestorben waren, fanden sich die Blutergüsse 
schwächer ausgeprägt. 

Die beschriebenen Kanäle und Höhlen kommen beständig von 30 
bis zu 60 Jahren vor. Mit dem letzten Alter müssen wir uns in unserer 
Beschreibung begnügen, da wir in 82 Fällen kein Individuum antrafen, 
welches älter gewesen wäre als 60 Jahre, weshalb wir auch die letzte 
Behauptung von Lampe, nach welcher, wie schon erwähnt, die Kanäle 
und Höhlen nach 70 jährigem Alter eine regressive Entwicklung er¬ 
leiden, nicht nachprüfen konnten. 

Was die Beständigkeit der Höhlen und Kanäle in den einzelnen 
Rippen anbetrifft, so finden wir folgendes: Im 1. Rippenknorpel, 
welcher, wie bekannt, sehr klein ist (1—2 cm nach Semow), fehlen, 
mit seltenen Ausnahmen, die Altersveränderungen. Konstanter werden 
sie in den 2.—9. Rippen angetroffen. Die am stärksten ausgeprägten 
und teilweise auch konstantesten Kanäle und Höhlen kommen in den 
größten Rippenknorpeln, nämlich im ö., 6., 7., teilweise im 8. und 9., 
vor. Bedeutend seltener und schwächer sind die Kanäle im 10. Rippen¬ 
knorpel ausgeprägt, in welchem wir gar keine Höhlen antrafen. Dem 
11. und 12. Knorpel fehlen, mit sehr seltenen Ausnahmen, jede Alters¬ 
veränderungen, d. h. sowohl Kanäle als auch Höhlen. 

Beim Studium der Altersveränderungen fallen folgende Umstände 
ins Auge. Es existiert eine vollständige Übereinstimmung zwischen 
der Größe und der Verkalkung des Knorpels einerseits und der Größe 
der Kanäle und Höhlen andererseits. Diese Übereinstimmung ist so 
bestimmt und konstant, daß man folgendes als Regel behaupten kann: 
Bei großen Rippen und Rippenknorpeln sind auch die Höhlen groß, 
daher sind beim Weibe die Kanäle und Höhlen schwächer und in 
den einzelnen Rippen weniger konstant ausgeprägt. 

Wahrscheinlich bilden sich die beschriebenen Kanäle und Höhlen 

Archiv t. klin. Chirurgie. 125. 26 


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402 


J. Popow: 


als Folge der Degeneration der zentralen Teile des Knorpels, welche 
unter der Unvollkommenheit der eigenartigen Ernährung zu leiden 
haben. Es ist schon längst bekannt, daß diese letztere auf Kosten der 
Diffusion der Nährflüssigkeit aus den Gefäßen des Perichondriums 
vor sich geht. Das System der safttragenden Kanälchen, welche von 
alten Autoren (Ort u. a.) in der Grundsubstanz des Knorpels, nach Be¬ 
arbeitung desselben mit Äther, Chromsäure u. dgl., vorgefunden wurden, 
wird jetzt in Abrede gestellt ( Studnicka , Maximow u. a.). 

Infolge der Vergrößerung der Knorpelmasse im Laufe der Jahre 
und der beginnenden Verkalkung des Knorpels werden die Bedingungen 
dieser unvollkommenen Ernährung noch ungünstiger, und während 
der Rippenknorpel seinen größten Umfang noch nicht erreicht hat, 
beginnt bereits die Degeneration der zentralen Teile desselben, der 
Zerfall in Fasern, was, nach dem Ausdruck von Ort, ein „Vorbote der 
Erweichung und der Bildung von Höhlen“ ist; darauf folgt die Bildung 
von Kanälen an der Stelle des degenerierenden Knorpels. Das zarte 
Bindegewebe und die Gefäße, welche die Kanäle ausfüllen, stammen 
wahrscheinlich von der präeidstierenden, bereits beschriebenen „be¬ 
ginnenden Vascularisation“. Zum 30. Lebensjahre leidet die Ernährung 
des Knorpels infolge der progressierenden Verkalkung noch mehr: 
der Degenerationsprozeß wird dementsprechend auch stärker — es 
bilden sich Höhlen. Der Bildungsprozeß derselben äußert sich also in 
der Degeneration und in der drauffolgenden Resorption der zentralen 
Knorpelteile einerseits, und in der Neubildung von Bindegewebe und 
kleiner („Haar“-) Capillaren andrerseits. Die letzten sind sehr jung 
und zart, daher bluten sie leicht bei den leichtesten Insulten. Was diese 
letzteren anbetrifft, so kann man infolgedessen, daß die Blutergüsse 
beständig im Alter von 30 Jahren und später (Bildungszeit der Haar- 
capillaren) Vorkommen, vermuten, daß diese Insulte physiologischer 
Natur sind. Man kann z. B. denken, daß die Erweiterung der Rippen¬ 
knorpel beim Atmungsakte zum Trauma der Capillaren führe. Es 
ist ebenfalls möglich, daß auch pathologische Ursachen in der Gestalt 
von Traumen Blutkreislaufstörungen, welche bei Lebzeiten eintreten, 
bei den Blutergüssen eine Rolle spielen. Man kann noch erwähnen, 
daß die Abmagerung, besonders infolge chronischer Krankheiten, auf 
irgendeine Weise zu bedeutenderen Blutergüssen führen kann. 

Zum Schlüsse werden wir kurz über das Verhalten der beschriebenen 
Alters Veränderungen der Rippenknorpel zu den darin stattfindenden 
Entzündungsprozessen berichten. Dank der Liebenswürdigkeit des 
Oberassistenten der akademischen Klinik, des hochverehrten Dr. 
E. W. Busch, war es mir möglich die Histopathologie dieser Erkrankung 
kennenzulemen. Auf den vorzüglichen Präparaten tritt folgendes 
deutlich hervor: in frischen Fällen — das Vorhandensein einer Höhle 


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Über Altersveränderungen der Rippenknorpel usw. 


403 


im erkrankten Knorpel, welche eiterige Elemente und Granulations- 
gewebe enthält. Das Perichondrium erscheint wenig verändert — 
darin ist nichts (z. B. keine Blutergüsse [ Schatzky ]) zu sehen, außer 
einer unbedeutenen rundzeiligen Infiltration. Das Knorpelgewebe 
erscheint gut erhalten. Die neben der eiterigen Höhle gelegenen Anteile 
befinden sich im Zustande der Degeneration, welche schwach ausgeprägt 
ist — nicht schärfer, als wir das in normalen Rippenknorpeln erwach* 
sener Individuen (von 15 Jahren und später) beobachtet haben. 
Bloß der äußere Rand des Knorpelgewebes, welcher dem Inhalt der 
eiterigen Höhle unmittelbar anliegt, ist stellenweis in der Gestalt 
schmaler Streifen nekrotisiert. Die eiterige Höhle besitzt einen Fistel¬ 
gang, welcher sich gegen die Knorpeloberfläche richtet. Dieser Gang 
erinnert sehr an die oben beschriebenen Verbindungen der Kanäle 
und Höhlen mit dem Perichondrium, indem er sich nur durch einen 
größeren Durchmesser unterscheidet. 

In späteren Stadien wird eine eiterige Höhle von großem Umfang 
konstatiert. Das Perichondrium zeigt mehr ausgeprägte Veränderungen; 
die Ansammlungen des rundzelligen Infiltrats bilden darin wahre 
Eiterherde; es sind bedeutende (frische) Blutergüsse vorhanden; das 
nekrotisierte und geschmolzene Knorpelgewebe liegt in der Gestalt 
von einzelnen kleinen Stückchen; die Zwischenräume zwischen den 
letzteren sind mit einem feinfaserigen Bindegewebe ausgefüllt. Es 
ist von Interesse, daß das Knorpelgewebe in den dem Perichondrium 
anliegenden Anteilen noch in unmittelbarer Verbindung mit demselben 
steht, die Fähigkeit zur Färbung beibehält, während die näher zum 
Zentrum gelegenen Knorpelteile schon nekrotisch (strukturlos) in einzelne 
kleine Stückchen zerfallen sind, — woraus man schließen kann, daß 
der Prozeß des Einschmelzens vom primären Herde — der vereiterten 
Höhe — in der Richtung zum Perichondrium, und nicht umgekehrt, 
geht. 

Auf Grund des oben Dargelegten muß man anerkennen, daß die oben 
beschriebenen Altersveränderungen der Rippenknorpel in der Gestalt 
von Höhlen und Kanälen in unmittelbarer Beziehung zu den Entzün¬ 
dungsprozessen stehen, welche darin nach Fleckfieber und Rückfall¬ 
fieber beobachtet werden, in dem Sinne, daß diese Prozesse anfänglich 
in den Kanälen und Höhlen entstehen; dazu tragen, wie es scheint, 
der winzige Durchmesser der vorhandenen Haaroapillaren und die 
Blutergüsse bei, welche aus denselben sogar normalerweise stattfinden. 

Eine primäre (aseptische, im Sinne von Axhausen) Knorpelnekrose, 
welche entweder infolge von Blutergüssen im Perichondrium oder 
infolge typhöser Intoxikation, wie das einige Autoren (Schatzky, 
Petraschewskaia u. a.) behaupten, stattfindet, kommt, wie es scheint, 
ebenfalls nicht vor; daher kann man — im Anschluß an Lampe und in 

26* 


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J. Popow: 




Übereinstimmung mit Dr. E. W. Busch, welcher im Jahre 1921 auf der 
5. Sitzung der Chirurgischen Gesellschaft von Pirogoff in seiner Mit¬ 
teilung: „Eiterige Entzündung der Rippenknorpel als Komplikation 
nach Typhus exanthematicus und Typhus recurrens“, eine ähnliche 
Meinung ausgesprochen hat, — diesen Prozeß als Chondromyelitis 
bezeichnen. 

Das klinische Bild der Chondromyelitis wird durch die beschriebenen 
Altersveränderungen der Rippenknorpel einfach und verständlich er¬ 
klärt. Wie bekannt, verläuft diese Erkrankung, welche sich durch ihren 
chronischen Charakter auszeichnet, meistens subakut; daran erkranken 
Individuen im Alter von 19 Jahren (der Fall von Dr. Schatzhy) und älter, 
wobei 70 % aller Kranken in die Periode von 30 bis 50 Jahren fallen 
( Robvstow , R&pke u. a.); wir wissen bereits, daß die Kanäle sich vom 
15. Lebensjahre an zu bilden anfangen; die Höhlen dagegen, mit ihren 
leicht blutenden Haaroapillaren und in einigen Fällen mit echtem 
Knochenmark, bilden sich von 30 Jahren an. Uns ist es ebenfalls bekannt, 
daß der Prozeß sich am häufigsten in den 5.—9. Rippen lokalisiert; 
die Altersveränderungen sind in denselben Rippen am stärksten aus¬ 
geprägt und kommen hier am konstantesten vor. In der Literatur 
konnte ich keine Hinweisungen auf die Erkrankung der 1., 11. und 12. 
Rippe finden; in denselben fehlen auch, mit seltenen Ausnahmen, die 
Altersveränderungen. 

Vom Gesichtspunkte der beschriebenen Kanäle und Höhlen werden 
auch die Tatsachen des Übergangs des Prozesses vom Rippenknorpel 
auf den knöchernen Rippenteil (Chessin) und des Fehlens eines solchen 
Übergangs auf das Brustbein verständlich, wenn man die obenbeschrie¬ 
benen Verbindungen der Kanäle und Höhlen mit den Knochenmarks¬ 
höhlen des knöchernen Rippenteils in Betracht zieht. 

Es ist ebenfalls das Mißlingen der konservativen chirurgischen 
Therapie verständlich, welche im Ausschaben besteht: es ist schwer, 
eine Höhle auszuschaben, welche in ihrem Verlaufe sich vielmals ver¬ 
engt und wieder erweitert. Eine partielle Resektion des erkrankten 
Rippenknorpels mit dem drauffolgenden Schlüsse der zurückgebliebenen 
Enden desselben durch Weichteile (Muskellappen) nach Axhav*en 
führt, wie bekannt bei weitem nicht immer zum Ziele, was auch leicht 
zu verstehen ist; falls der Rippenknorpel dem 1. Kanalisationstypus 
angehört (d. h. einen einzigen Kanal in seiner ganzen Ausdehnung 
besitzt) und die Infektion sich schon im ganzen Kanal verbreitet hat, 
so schließt man, mit dem Verschlüsse der Knorpelabschnitte durch 
den Lappen, den Ausgang für die Infektion*), welche sich nach einiger 

*) Den Erreger des beschriebenen Prozesses stellen, nach den Untersuchungen 
verschiedener Autoren (Robustow, Beljawzew u. a.) das Därmstäbchen und dem¬ 
selben nahestehende Stäbchen, Staphylokokken, Streptokokken dar. 


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Über Alters Veränderungen der Rippenknorpel usw. 


405 


Zeit durch ein Rezidiv kundgeben wird. Nur in Fällen des 2. Kanali¬ 
sationstypus (einzelne Kanäle, von unbedeutender Ausdehnung, welche 
miteinander nicht verbunden sind), wenn der Knorpelteil mit dem 
infizierten Kanäle oder mit der infizierten Höhle gänzlich reseziert 
wird, erhält man ein günstiges Resultat. 

Bezüglich der Therapie muß man vom Gesichtspunkte der Kanäle 
und Höhlen die Resektion des ganzen erkrankten Rippenknorpels 
empfehlen: ohne eine solche radikale chirurgische Intervention wird 
sich der Prozeß, sich selber überlassen, mit dem ihm eigenen chronischen 
Charakter, in die Länge zu ziehen, bis ein vollständiges Einschmelzen 
des Knorpelgewebes und dessen Ersatz durch neugebildetes Binde¬ 
gewebe stattgefunden hat, was sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. 

Zum Schluß meiner Arbeit erlaube ich es mir, folgende Folgerungen 
zu ziehen: 

1 . Die Rippenknorpel sind vom frühen Kindesalter an vascularisiert; 
2 . vom 15. Lebensjahre an bilden sich in den zentralen Knorpelteilen 
Kanäle, welche mit zartem Bindegewebe und mit Capillaren ausgefüllt 
sind; 3. vom 20. Lebensjahre an kommen diese Kanäle regelmäßig vor; 
vom 30. Lebensjahre an bilden sich in den Rippenknorpeln große Höhlen 
mit Bindegewebe und mit Capillaren aller Kaliber bis zu Haargefäßen 
einschließlich; 5. in 5,5 % aller Fälle im Alter von 30 bis zu 50 Jahren 
kommen in den Rippenknorpeln echte Knochenmarkshöhlen vor; 
6 . der Entzündungsprozeß, welcher in den Rippenknorpeln nach dem 
Typhus entsteht, lokalisiert sich anfänglich in den Kanälen und Höhlen 
und muß als Chondromyelitis bezeichnet werden; 7. die chirurgische 
Behandlung muß radikal sein, d. h. in der Resektion des ganzen er¬ 
krankten Rippenknorpels bestehen. 7. XI. 1922. Petrograd. 


LiteraturveraeiehniB. 

*) Axhausen, G., Über die Wundgestaltung bei Operationen an den Rippen¬ 
knorpeln. Arch. f. klin. Chirurg. 99, Heft 1, S. 219. 1912. — *) Axhausen, G., 
Über einfache, aseptische Knochen- und Knorpelnekrose, Chondritis dissecans und 
Arthritis deformans. Ibidem. — 8 ) Axhausen, G., Neue Untersuchungen über die 
Rolle der Knorpelnekrose in der Pathogenese der Arthritis deformans. Arch. f. 
klin. Chirurg. 104 , Heft 2, S. 301. — 4 ) Baber, C., On the structure of hyaline carti- 
lage. ZentralbL f. Chirurg. 1875, S. 792. — 5 ) Beljawzew, 8., Elissejew und A. Krug- 
low, Typhöse Perichondritis und Versuche der Behandlung derselben durch Vac¬ 
cinen. Kubansko-Tschemomorsky Medizinski Westnik Krasnodar 1921, Nr. 2, 3 
und 4 (russisch). — •) Borissowsky, N., Zur Frage von Periostiten und Caries der 
Rippen, als Komplikation des Flecktyphus. Med. Zeitschr. 1921, November, Nr. 11 
und 12 (russisch). — 7 ) Busch, E. W., Eiterige Entzündungen der Rippenknorpel 
als Komplikation nach Typhus exanthematicus und T. recurrens. Mitt. a. d. Chirurg. 
Ges. v. Pirogow in Petrograd am 5. X. 1921; siehe Protokolle d. Chirurg. Ges. 
von Pirogow 1921 (russisch). — ®) Chessin, W. R., Zum operativen Bilde der 
Brustchondritis nach Fleck- und Rttckfallfieber. Moskauer med. Zeitschr. 1921, 


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406 J* Popow: Über Altersveränderungen der Rippenknorpel usw. 

Nr. 1, Mai (russisch). — •) Dobroivolskaia, N., Osteochondritis coetales, cons&u- 
tives au typhus (exanth6matique et recurrent) et leur traitement par Fiode. Presse 
m6cL 1921, D6cembre, Nr. 7. — 10 ) Ewetzky, Th ., Entzündungsversuche am Knorpel. 
Zentralbl. f. Chirurg. 1875, S. 790. — n ) Flinzer, E . E ., Proteus vulgaris, Erreger 
eines subperichondralen Rippenabscesses. Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 198, 564. 

1911. — u ) Genzmar, A., Untersuchungen über den HyalinknorpeL Zentralbl 
f. Chirurg. 1875, S. 257. — 1S ) Harzbecker , 0., Über metastatische Rippenknorpel¬ 
nekrose. Arch. f. klin. Chirurg. 103, 832. 1914. — u ) Heimanvwitsch , 8 . J., Zur 
Pathogenese und pathologischen Anatomie der Rippenchondriten. Wratschebnoje 
Djelo 1920, Nr. 13—14, 1. VIII (russisch). — 15 ) Köüicker , A., Elements d’histo- 
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(Auß der III. med. Universitätsklinik [Direktor: Geh.-Rat Goldscheider] und der 
chir. Universitäts-Klinik Berlin [Direktor: Geh.-Rat Bier ].) 

Weitere Beobachtungen über Entmarkung von Röhrenknochen 

bei perniziöser Anämie. 

Von 

Prof. Dr. Walterhörer und Dr. Sehramm. 

Mit 7 Textabbildungen. 

• (Eingegangen am 20. April 1923.) 

Im folgenden soll eine Übersicht über die seit 2 Jahren nach der 
von uns angegebenen Behandlungsmethode operierten Fälle von perni¬ 
ziöser Anämie gegeben werden. 

Wir hatten in der Folgezeit noch streng an dem Prinzip festgehalten, 
nur bei solchen Fällen die Operation vorzunehmen, bei denen andere 
konservative Behandlungsmethoden lange Zeit ohne Erfolg ausgeführt 
waren. Die Operation ist bisher an 19 Fällen ausgeführt worden. Von 
diesen Fällen scheiden von vornherein 4 Fälle aus (4, 10, 18 und 19), 
die uns aussichtslos erschienen. Wenn wir die Operation in diesen 
Fällen trotzdem ausgeführt haben, so war das durch die Beobachtung 
des 1. Falles begründet, der ebenfalls in ganz desolatem Zustande zur 
Operation kam und in überraschender Weise weitgehend reagierte. 

Die Fälle 11, 14 und 15 erlagen 2—14 Tage nach der Operation einer 
Aspirationspneumonie. Alle 3 waren von Anfang an benommen. Fall 6 
ging, wie bereits in den früheren Arbeiten 1 ) erwähnt, an einer sekundären 
Infektion der Operationsstelle infolge ausgedehnten Decubitus am 36. 
Tage nach der Operation zugrunde. Fall 2 erlag am 47. Tage einer Colitis 
ulcerosa. Der Verlauf läßt sich am übersichtlichsten durch eine kurven¬ 
mäßige Darstellung des Verhaltens des Hämoglobins und der Erythro- 
cytenzahl in den einzelnen Fällen zeigen. Die Leukocyten sind in den 
Kurven unberücksichtigt geblieben, da, wie wir schon früher ausgeführt 
haben, die Leukocytenbewegung nichts besonders Erwähnenswertes 
bietet. Allerdings beobachteten wir in den Fällen, die später eine lang 
anhaltende Remission zeigten (Fall 3 und 8) von Anfang an einen nicht 
unerheblichen Anstieg der Leukocyten. 

Leukocytose trat nur dann ein, wenn Komplikationen (Pneumonie, 
Decubitus) sich einstellten. 

*) Arch. f. klin. Chirurg. 118 u. 119 . 


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Walterhofer und Schramm: 


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Fall 1. Tröstrum Ö> 35 Jahre. Operation 1. IV. 1921. 

Im unmittelbaren Anschluß an die Operation steigen Hämoglobin und 
Erythrocytenzahl parallel miteinander an und erreichen nach 9 Wochen normale 
Werte. Nach der Entlassung aus der Klinik hat T. seine Arbeit wieder auf¬ 
genommen. Aus einem Bericht ist zu entnehmen, daß 6 Monate nach der Ope¬ 
ration ein schwerer Rückfall eingetreten ist, von dem 


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Jahres 1922 soll er einem erneuten Rückfall erlegen 
sein. 

Fall 3. Mantwill 9» 52 Jahre. Operation 20. VL 
1921. 

Während Hämoglobin zunächst einen geringen 
Rückgang und dann einen zögernden Aufstieg zeigt, 
setzt die Vermehrung der Erythrocyten sofort nach der 
Operation ein und hält in ununterbrochenem Auf¬ 
stieg bis zur Erreichung fast normaler Werte an. 
Monatelang findet sich bei ihr ein Färbeindez, der 
kleiner ist als 1, während er vor der Operation 2,5 
betrug. Ungefähr 1 Jahr nach der Operation wird 
ein erheblicher Abfall der Erythrocytenzahl festge¬ 
stellt, während der Hämoglobingehalt nur einen all¬ 
mählichen, unerheblichen Rückgang erkennen läßt, so daß der Färbeindex 
jetzt wieder größer als 1 ist. Die volle Arbeitsfähigkeit bleibt aber nach 
wie vor erhalten, nur klagt sie jetzt zuweilen über MattigkeitsgefühL An¬ 
fang Dezember 1922 verletzte sich die Kranke infolge Unfalls das Schien¬ 
bein des nicht operierten Unterschenkels. Mit einem reichlich handteller¬ 
großen, stark sezemierendem Ulcus cruris wurde sie ca. 14 Tage später in die 
chir. Universität-Klinik eingeliefert. Hämoglobin und Erythrocyten waren jetzt 
wieder auf geringste Werte herabgesunken. Indes gelang es durch Arsacetininjek- 
tionen, auf die die Patientin vor der Operation nicht reagiert hatte, in ganz kurzer 


Abb. 1. 


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Zeit wieder eine Remission herbeizuführen. Dieses Mal trat der Anstieg des Hämo* 
globins viel prompter ein, während die Erythrocytenzahl längere Zeit auf dem 
tiefen Stande verharrte, um dunn plötzlich emporzuschnellen. Die Besserung des 
Blutbefundes konnte auch durch fortlaufende Bestimmungen der Senkung®- 
geschwindigkeit der Erythrocyten und des Bilirubingehaltes im Blute verfolgt 
werden. So durchliefen die Erythrocyten am 13. XII. 1922 das Röhrchen in 



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Entmarkung von Röhrenknochen bei perniziöser Anämie. 


409 


1 St. 50 Min., während am 12. III. 1923 die Senkungsgeschwindigkeit 12 Stunden, 
also für die Frau annähernd normale Werte, betrug. Das Serum zeigte bei der 
Einlieferung infolge vermehrten Bilirubingehaltes einen stark gelblichen Farbenton, 
der mit zunehmender Besserung schwächer und schwächer wurde, so daß jetzt 
das Serum eine völlig weiße Farbe zeigt. 

Fall 5. Sprung ö. 46 Jahre. Operation 27. VI. 1921. 

In unmittelbarem Anschluß an die Operation steigen die Werte für Hämoglobin 
und Erythrocyten sofort an. 4 Monate nach der Operation haben sie den Höhe¬ 
punkt erreicht, der aber zah- £ 
lenmäßig unterhalb der Norm 5 *° 
liegt. 6 Wochen nach der 
Operation nahm er seine Ar¬ 
beit wieder auf, die er 4 Mo- *° 
nate lang voll verrichtete. Im 
6. Monat nach der Operation 
wird ein Absinken beider W 
Zahlenwerte bemerkt. Auf 
Arseninjektionen tritt ein 
Heraufgehen der Erythro- tft 
cyten ein, während das Hä¬ 
moglobin unbeeinflußt bleibt. 

Die Steigerung auf Arsen er- tfi 
wies sich als vorübergehend. Abb. 8. 

Am 25. I. 1922 wird versucht, 

durch eine abermalige Entmarkung der fortschreitenden Verschlechterung Herr 
zu werden. Ein Erfolg blieb aus. Am 12. IIL 1922 trat der Exitus ein. 



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Fall 8. Hartmann 36 Jahre. Operation 6. VII. 1921. 

Bald nach der Operation steigen die Werte für Hämoglobin und Erythrocyten 
an und erreichen normale Zahlen. Der Färbeindex wird kleiner als 1 und wird so 
während aller Untersuchungen bis zum heutigen Tage 
gefunden. Die morphologische Blutuntereuchung am £ ^ 

7. HL 1923 ergab vereinzelte Poikilocyten, Mikro- 5 /) 100 
cyten. Blutplättchen klein, reichlich und in Haufen 
liegend. 

PolynucL. 59% Ht0 80 

Lympho . . . . .33% 

Eos . 3,5% 

Mono. 4,5% 60 

Das neutrophile Blutbild zeigt eine Zunahme der 

Zellen der 4. und 5. Klasse Aroetöscher Einteilung, ^ 

also eine Verschiebung nach rechts. Die Senkungs- 

geechwindigkeit der Erythrocyten ist normal (nach 

31 Stunden durchlaufen). Das Serum ist hell. Bili- ^ 

rubin also nicht vermehrt. Verzögerte Reaktion. 

s Abb. 4. 

Fall 12. Wirth öl Jahre. Operation 8. II. 1922. 

Es handelt sich in diesem Falle um eine perniziöse Anämie, deren Beginn 
vor 7 Jahren festgestellt wurde. Nach wiederholten Remissionen trat Anfang 
des Jahres 1921 eine erhebliche Verschlechterung ein, die trotz wiederholten, 
von anderer Seite vorgenommenen Areenkuren unaufhaltsam fortschritt. Nach der 
Operation senkten sich die Werte für Hämoglobin und Erythrocyten weiter sehr 




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Walterhöf er und Schramm: 


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stark, so daß der Zustand außerordentlich gefahrdrohend erschien. Nach 10 Tagen 
setaste fast momentan ein Anstieg beider Werte ein, der gleichmäßig in der Folgezeit 
in leicht ansteigender Kurve anhielt. Während des tiefsten Standes erhielt der 
Patient stoßweise Arsacetin und später, nach erfolgter Erholung, Injektionen von 
Natr. arsenicos. Den höchsten Stand erreichten die Zahlen in der 6. Woche nach 

der Operation. Normale 
Werte wurden jedoch nicht 
erzielt. Auch blieb der Färbe¬ 
index stets größer als 1. Die 
Besserung hielt über 3 Mo¬ 
nate an, während welcher 
Zeit der Patient sich so lei¬ 
stungsfähig fühlte, daß er 
die Leitung seines Betriebes 
übernehmen konnte, einen 
Zustand, wie er ihn nach 
seinen Angaben in den letzten 
lV a Jahren nicht gekannt 
hatte. Ohne ersichtlichen 
Grund trat plötzlich ein 
rapides Herabsinken von 
Hämoglobin und Erythro- 
cyten ein. Eine Transfusion von 1 1 Verwandtenblutes nach Oehlecker hatte wohl 
einen Anstieg der Erythrocyten zur Folge, während das Hämoglobin weiter ab¬ 
sank. Am 8. XI. 1922 trat unter unstillbarem Erbrechen rascher Kräfteverfall 
und Exitus ein. 



Fall 13. Schmöle ö, 57 Jahre. Operation 10. VII. 1922. 

Auch in diesem Falle bestand die perniziöse Anämie seit mehreren Jahren 
mit wiederholten Remissionen. Während die früheren Anfälle auf Mangan, 


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Schwefel und Arsen stets 
prompt zurückgingen, trotzte 
der letzte Anfall jeder Be¬ 
handlung. Die Operation 
wurde in sehr bedrohlichem 
Zustand vorgenommen. Nach 
anfänglichem, kurz andau¬ 
erndem Abfall stiegen bald 
nach der Operation Erythro¬ 
cyten und Hämoglobin rasch 
an. Am 8. Tage wurde bei 
aufsteigenden Werten Arsa¬ 
cetin gegeben. In der Folge¬ 
zeit hielt der Anstieg beider 
Werte gleichmäßig an. Der 
Färbeindex sank frühzeitig 
unter 1. 6 Wochen nach der 
Operation zeigten die Zahlen 
für Hämoglobin und Erythro¬ 
cyten ihren höchsten Stand, ohne jedoch auf normale Werte zu kommen. In 
diesem Zustande erlangte der Patient seine volle Leistungsfähigkeit wieder. Er 
verrichtete in weitgehendem Maße selbst schwere Gartenarbeiten. 3 Monate 
nach der Operation trat plötzlich eine Verschlechterung ein. Hämoglobin und 


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Abb. 6. 


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Entmarkung von Röhrenknochen bei perniziöser Anämie. 411 

Erythrocyten sanken rapide ab. Am 24. XI. 1922 wurde eine 2. Entmarkung 
yorgenommen, die ohne Erfolg blieb. Am 27. XI. 1922 trat der Exitus ein. 

Fall 16. Kästner 59 Jahre. Operation 20. XI. 1922. 

Der Beginn der Erkrankung liegt ca. 1 Jahr zurück. Eine Remission scheint 
bisher noch nicht beobachtet zu sein. Mit kurzen Unterbrechungen wurde der 
Zustand schlechter und schlechter, ohne daß eine Arsenbehandlung irgendeinen 
sichtbaren Einfluß ausgeübt hätte. Der Operation folgte auch hier zunächst 
ein Abfall von Erythrocyten und Hämoglobin. Am 10. Tage nach der Operation 
ist ein geringer Anstieg zu bemerken. Es wird deshalb, wie in den früheren Fällen, 
Natr. arsenicoe. gegeben. In 
auffallender Weise setzt jetzt 
ein erhebliches Ansteigen des 
Hämoglobins ein, während 
die Erythrocyten in gerin¬ 
gerem Grade folgen. Am 
9. IIL 1923 wird der Pat. 
zur ambulanten Weiterbe¬ 
handlung entlassen. 

Von den noch verblei¬ 
benden 3 Fällen 4, 9 und 17 
haben 2 auf die Operation 
nicht reagiert. Fall 4 starb 
am 42. Tag nach der Ope¬ 
ration infolge unaufhalt¬ 
samen Fortschreitens der Er¬ 
krankung. Fall 17 wurde 4 Wochen nach der Operation in gleich schlechtem Zu¬ 
stande entlassen, ohne daß in dem Verhalten von Erythrocyten und Hämoglobin 
eine wesentliche Änderung eingetreten wäre. Der Fall 9, der am 7. VII. 1921 
operiert wurde, hat sich einer weiteren Beobachtung entzogen. Auf unsere Er¬ 
kundigungen konnte nur festgestellt werden, daß die Patientin zur Zeit noch lebt. 

In den bisher nach unserer Methode behandelten Fällen wurde in 
37% eine Remission erzielt. Ein zufälliges Zusammentreffen von Besse¬ 
rung und Eingriff ist auszuschließen 1 ). Wir glauben, den Beweis er¬ 
bracht zu haben, daß der Entmarkung in der Behandlung der perni¬ 
ziösen Anämie ein beachtenswerter Platz eingeräumt werden muß. 

Auch über die Dauer der Beeinflussung der perniziösen Anämie 
durch die Entmarkung geben unsere Beobachtungen jetzt Aufschluß. 
In 3 Fällen war die Remission so vollständig, wie wir sie nach einer ge¬ 
lungenen Arsenkur im Beginn der Behandlung zu sehen gewöhnt sind. 
In 3 anderen Fällen konnte nur eine unvollständige Remission erreicht 
werden, insofern als subjektiv volle Leistungsfähigkeit eingetreten war, 
während objektiv Hämoglobin und Erythrocyten nicht die normalen 
Werte erreichten. Der Eintritt der vollen Leistungsfähigkeit war in 
allen günstig verlaufenden Fällen spätestens 6 Wochen nach der Opera¬ 
tion erreicht. In Fall 8 hält die Arbeitsfähigkeit ununterbrochen seit 
1 1 j 1 Jahren bis auf den heutigen Tag an. In Fall 3 wurde durch einen 

x ) Inzwischen hat auch Nehrkom (Zentralbl. f. Chirurg. 8/23) von der Operation 
eine günstige Beeinflussung des Krankheitsbildes gesehen. 


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Abb. 7. 


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Walterhöfer und Schramm: 


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Unfall die durch die Operation herbeigeführte Remission vorzeitig unter¬ 
brochen. In überraschend kurzer Zeit konnte jetzt durch Arsenbehand¬ 
lung eine subjektive und objektive Besserung erreicht werden. Dieser 
Umstand verdient hervorgehoben zu werden, da die Patientin vor der 
Operation von dem einen von uns monatelang erfolglos mit Arsen 
behandelt worden war. In den übrigen 3 Fällen war die Remission 
von kürzerer Dauer. In übereinstimmender Weise trat nach Ablauf 
von 3 Monaten ohne ersichtlichen Grund eine rapide Verschlechterung 
ein, die unaufhaltsam zum Exitus führte. Die Remissionen waren von 
um so längerer Dauer, je vollständiger Hämoglobin und Erythrocyten- 
zahl sich den normalen Werten genähert hatten. In den übrigen Fällen 
war der Anstieg beider Werte ein unvollständiger und langsamer. Wir 
haben auf verschiedene Weise versucht, dem Wiedereintritt der Ver¬ 
schlechterung entgegenzuarbeiten, in 2 Fällen wurde eine nochmalige 
Entmarkung ausgeführt. In einem 3. Falle wurde 11 Verwandtenblut 
transfundiert. In keinem Falle konnte aber der Exitus aufgehalten 
werden. Schon frühzeitig machten wir die Beobachtung, daß die Re¬ 
aktionsfähigkeit des Organismus auf Arsen in günstigem Sinne ab¬ 
geändert wird. Wir haben von dieser Beobachtung systematisch Ge¬ 
brauch gemacht und haben besonders jene Fälle durch Arsengaben 
unterstützt, in denen nach der Operation die Werte des Hämoglobins 
und der Erythrocyten anzusteigen begannen. 

Unsere Beobachtungen haben uns noch weiter belehrt, daß noch¬ 
malige Eingriffe im absteigenden Stadium des Befindens kaum mehr 
zu einem Erfolge führen. Für alle die Fälle mit unvollständiger Re¬ 
mission erscheint es uns zweckmäßiger, im Stadium der Remission 
die Entmarkung auf weitere Knochen auszudehnen, um durch einen 
neuen Reiz am Knochenmark den sich reaktionsfähig zeigenden Or¬ 
ganismus zu weiteren Leistungen zu steigern. Wieviel Röhrenknochen 
man jetzt zur weiteren Entmarkung wählen will, hängt von dem Zu¬ 
stand des Patienten ab. Von diesem angeführten Gesichtspunkt aus 
läßt sich die Indikation zur Operation noch erweitern. Wir behalten 
uns vor, über den Verlauf der von uns mehrfach operierten Fälle an 
anderer Stelle im Zusammenhang zu berichten. Haben wir bisher nur 
in solchen Fällen die Operation für angezeigt geheilten, in denen alle 
inneren Mittel erfolglos versucht worden waren, so glauben wir jetzt 
neben diesen Fällen auch solche einbeziehen zu körmen, in denen die 
Remission auf interne Mittel eine unvollständige gewesen ist. Man wird 
versuchen müssen, durch Wechsel der Reize die Remission soweit wie 
möglich zu treiben, denn wir kennen es auch von den intern behandelten 
Fällen mit unvollständiger Remission her, daß sie in ganz kurzer Zeit 
einem neuen Anfall erliegen. 

Wir haben weiter versucht, in einem anderen Falle den Zustand 


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Entmarkung von Röhrenknochen bei perniziöser Anämie. 


413 


durch Bluttransfusion vorher zu bessern, um im ansteigenden Stadium 
unter günstigen Bedingungen die Entmarkung auszuführen. Bisher ist 
es uns mit der Bluttransfusion mißlungen. Das Befinden des Patienten 
verschlechterte sich nach der Transfusion in auffallender Weise und 
die Entmarkung mußte bei dem jetzt benommenen Patienten aus¬ 
geführt werden. 

Es war der Zweck der Mitteilung, an der Hand von Kurven die 
Beeinflussung der perniziösen Anämie durch Entmarkung zu zeigen, 
sowie über unsere Beobachtungen hinsichtlich der Dauer der erzielten 
Remissionen zu berichten. Zusammenfassend läßt sich darüber fol¬ 
gendes sagen: 

1 . In 37 % der operierten Fälle konnten Remissionen erreicht werden. 

2 . In 3 Fällen war die Remission auch objektiv eine vollkommene. 
Von diesen ist ein Patient etwa 1 Jahr nach der Operation einem Rück¬ 
falle erlegen. Der 2. Fall erlitt im Anschluß an einen Unfall eine Ver¬ 
schlechterung, die auf Arsen schnell wieder beseitigt werden konnte, 
der 3. Patient ist seit 1 1 / 2 Jahren ununterbrochen gesund und arbeits¬ 
fähig. 

In 3 anderen Fällen war die Remission nicht vollkommen, die Pa¬ 
tienten waren zwar arbeitsfähig geworden, aber nach 3 Monaten trat 
der Rückfall ein, der zum Exitus führte. Von 2 weiteren Fällen be¬ 
findet sich der eine erst zu kurze Zeit in der Remission, so daß er für 
die Beurteilung zur Zeit noch ausscheidet, der andere Fall hat sich der 
Beobachtung entzogen, er soll aber laut eingezogenen Erkundigungen 
noch am Leben sein. 

3. Nochmalige Operation im Zustande der Verschlechterung hatte 
keinen Erfolg, ebenso versagte in diesem Stadium die Bluttransfusion. 


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Kleine Mitteilung. 


(Aus der II. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien [V orstand: Prof. Dr. Hochenegg ].) 

Ungewöhnliche Lage einer beiderseitigen Hydrocele. 

Von 

Dr. Franz Kazda, 

Assistent der Klinik. 

Mit 2 Textabbildungen. 

m- 

(Eingegangen am 9. April 1923.) 

Vor kurzem gelangte an der Klinik Hochenegg ein Fall einer beiderseitigen 
Hydrocele zur Beobachtung, deren Topik und Symptome ihn bemerkenswert 
erscheinen lassen» Die Krankengeschichte ist folgende: 

Der 41jährige verheiratete, kinderlose Pat. E. M. (Unterbeamter), der bis 
auf eine angeblich in kurzem ohne Komplikation abgeheilte Gonorrhöe vor 10 Jahren 
stets gesund gewesen sein will, bemerkt seit 2 Jahren eine wachsende Geschwulst 
in der rechten Scrotalhälfte, die ihm nur bisweilen geringe ziehende Beschwerden 
verursachte und vom Arzt als Wasserbruch angesprochen wurde. Seit kurzem 
wächst links eine ähnliche Geschwulst. Vor 14 Tagen wurde von anderer Säte 
die rechte Geschwulst punktiert. Pat. behauptet, das erstemal in den Hoden 
gestochen worden zu sein. Es floß erst beim zweiten Einstich Flüssigkeit ab. 
Da sich in wenigen Tagen die Geschwulst zur alten Größe wieder füllte, suchte 
er zwecks Operation die Klinik auf. 

Der kleine, kräftige Mann, der sonst keine Krankheitserscheinungen bietet, 
zeigt einen etwas deformen, oben breiten, flachen Schädel, schielt nach außen, 
trägt ein serviles Benehmen zur Schau und verrät äußerst geringe geistige Fähig¬ 
keiten. Beiderseits läßt sich ein echter Scrotaltumor, der alle Symptome der 
Hydrocele aufweist, feststellen. Auffällig ist die Form der beiden Tumoren. Sie 
gleicht der bekannten Gestalt der Mandarinen. Die Polachse ist sagittal gestellt. 
Die rechte Geschwulst ist faustgroß, die linke hat ungefähr die Größe einer kleinen 
Mandarine. Die Spannung ist beiderseits sehr prall, es läßt sich kein Gebilde 
durch tasten. Das Hodengefühl wird beiderseits vorne angegeben. Die Beschränkt¬ 
heit des Mannes läßt das jedoch nicht vollkommen sicher erscheinen. Er äußert 
sich: „Ja, ja, die Hoden liegen beide vorne, schneiden Sie nur beide weg.“ Als 
Grund für diese radikale Indikation gibt er an, daß er sie in seinem Alter sowieso 
zu nichts mehr brauche. 

Vorne in der rechten Scrotalhaut eine frisch vernarbte Punktionsstelle 
sichtbar. 

Operation in Lokalanästhesie: 1. Rechts: 4 cm langer Schnitt an der Vorder¬ 
seite des Scrotums durch dessen Schichten. Es liegt die Tunica albuginea vor, 
in der man noch einen kleinen Einstich sieht. Luxation der ganzen Geschwulst. 


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F. Kazda: Ungewöhnliche Lage einer beiderseitigen Hydrocele. 415 


Der Hoden liegt vorne oben, die äußerst zartwandige, kugelige Hydrocele hinten 
außen und erstreckt sich beträchtlich vom Hoden nach abwärts und mit einem 
Bürzel gegen den Samenstrang nach oben. Punktion. Eröffnung des Sackes hinten 
außen. Es fließt klare, gelbe Flüssigkeit ab, deren Untersuchung das Fehlen von 
Spermatozoon ergibt. Hoden, Nebenhoden und Samenstrang von normalem Aus¬ 
sehen, in normaler Lage, nicht torquiert. Der Hydrocelensack zart, fast durch¬ 
sichtig, ohne jede Verwachsung, Schwiele oder Wandblutung. Streifenförmige 
Resektion des Sackes, Umschlagen und Naht des letzteren nach Winckelmann, 
jedoch gerade umgekehrt, als wir es gewöhnlich machen. Die Naht liegt nun 
vor dem Hoden. 2. Links: Es finden sich hier genau die gleichen Verhältnisse 
wie rechts, nur ist der Hydrocelensack bedeutend kleiner. Das Vorgehen ist 
dasselbe. 

Die Wunden heilten per primam, Pat. wurde mit Suspensorium beschwerde- 
frei entlassen. Die Kontrolle nach 3 Wochen ergab nur mehr eine leichte Ver¬ 
dickung beiderseits an den Nahtstellen vor den Hoden. 



Abb. 1. 

Schematischer Horizontalschnitt. 



Schematischer Sagittalschnitt. 


Lagebeziehungen zwischen Hydrocelensack und Hoden, Nebenhoden, Samen¬ 
strang, wie die eben geschilderten, sind nach Kocher (Dtsch. Chirurg. 50a) nichts 
sehr Seltenes, wenn es sich um adhäsive Restbestände einer Entzündung handelt, 
die den Hoden zu verziehen vermögen. Er sah siebenmal den Hoden den unteren 
Pol einer Hydrocele bilden. Oerusmer (Habilitationsschrift) fand den Hoden bei 
6 Fällen durch Adhäsionen der Vorderwand der Hydrocele angelagert, wobei auch 
der Nebenhoden lageverändert war. Derartige sekundär-adhäsive Vorgänge 
können jedoch bei unserem Fall, ebenso wie eine Torsion, ausgeschlossen werden. 
Hoden, Nebenhoden und Samenstrang waren ohne jede sichtbare pathologische 
Veränderung. Eine Torsion bestand nicht, der Hydrocelensack selbst zeigte nir¬ 
gends irgendwelche Adhäsionen. Die Wand war überall gleichmäßig zart und dünn. 
Die beiderseits angetroffene völlige Gleichheit der topischen Verhältnisse und der 
auffälligen äußeren Form der Hydrocelen bei zeitlich weit auseinanderliegendem 
Auftreten läßt es außerdem von vornherein ausgeschlossen erscheinen, daß späte 
entzündliche Prozesse mit Bildung von flächenhaften Verklebungen der Wände 
der Tunica vaginalis, die nach Oenzmer bisweilen angetroffen werden, die Ursache 
der außergewöhnlichen Lagebeziehungen waren. Weder die Durchsicht der ein¬ 
schlägigen chirurgischen Literatur noch die der entwicklungsgeschichtlichen 
konnte mir über dem unseren ähnliche Fälle oder über ihre Deutung Aufschluß 
geben. Herr Professor Dr. Hochsletter, dem ich an dieser Stelle danke, hatte die 
Liebenswürdigkeit, sich von mir über den Fall berichten zu lassen. Unter dem 
Material des Anatomischen Institutes, in dem das Genitale jedes Kadaver seziert 
wird, sah er nie Ähnliches. Er demonstrierte mir das Diapositiv eines nicht ver¬ 
öffentlichten Horizontalschnittes Comings durch den Hodensack eines Neu- 


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416 F. Kazda: Ungewöhnliche Lage einer beiderseitigen Hydrocele. 


geborenen, der zeigt, daß die mediale Tasche des Processus vaginalis viel weniger 
weit nach hinten reicht als die laterale, und nimmt an, daß aus unbekanntem 
Grund bei unserem Fall es beiderseits zu einer Verödung der medialen Tasche 
und des vor dem Hoden gelegenen Anteiles des Saccus vaginalis gekommen ist, 
während die laterale Tasche mit zunehmender Vergrößerung des späteren Ergusses 
sich weiter nach hinten ausdehnte. 

Wenn man in Betracht zieht, daß der Pat. einen deformen Schädel, Strabis¬ 
mus, geringe geistige Fähigkeiten neben beiderseits gleichen, bisher nicht be¬ 
obachteten Lageverhältnissen zwischen Hoden, Nebenhoden, Samenstrang einer¬ 
und Hydrocele andererseits, alle frei von Entzündungserscheinungen, aufweist, 
• kann man sich meines Erachtens der Anschauung nicht verschließen, daß diese 

letzteren topischen Verhältnisse Zeichen einer Entwicklungsstörung zur Zeit dee 
Descensus oder kurz nach diesem sind. 

Klinisch ist der besprochene Fall insofern nicht bedeutungslos, als er zeigt, 
daß selbst bei einer lege artis ausgeführten Hydrocelenpunktion eine Verletzung 
des Hodens nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der sehr 
verläßliche Arzt, mit dem ich nachträglich sprach, war bei der Punktion wegen 
der nicht sicher festzustellenden Lage des Hodens sogar so vorsichtig, kurz arre¬ 
tierend, den Stachel nur ein weniges einzustoßen, und, als nichts abfloß, bei dem 
zweiten langsamen Vorschieben mit dem Instrument nach außen abzuweichen. 


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(Aus der Chinirgischen Klinik [Augustahoepital] der Universität Köln 
[Direktor: Prof. Dr. P. Frangenheim].) 

Cholelithiasis. 

Von 

Privatdozent Dr. H. F. 0. Haberland. 

(Eingegangen am 20. März 1923.) 

Die beiden Monographien von Kehr (1913) über die Chirurgie der 
Gallenwege brachten eine Klärung viel umstrittener Fragen auf diesem 
Gebiete. Seit der Beendigung des Krieges sind zahlreiche Arbeiten über 
Cholelithiasis erschienen. Insbesondere die Ätiologie, Diagnose und 
Therapie werden darin behandelt, alte Streitfragen von neuem wieder 
auf gerollt. An der Hand des Materials der Frangenheimachen Klinik aus 
den Jahren 1919—1922 sollen im folgenden die einzelnen Publikationen 
aus dem gleichen Zeitabschnitte gewürdigt werden. Bekannte Tatsachen 
lasse ich dabei unberücksichtigt. Nur die neuesten Anschauungen seien 
geschildert und Vergleiche mit unseren klinisch behandelten Fällen 
eingeflochten. 

Ätiologie. 

Über die Entstehung der Gallensteine liegen aus den letzten 4 Jahren 
zahlreiche Arbeiten vor, welche sich zum Teil mit unseren Untersuchungen 
decken. Außer der Gallenstauung erachtet B. Naunyn noch eine ascen- 
dierende Infektion der Gallenwege zur Steinbildung für notwendig. 
Aschoff und Backmeister lehren, daß Steine sich auch ohne eine In¬ 
fektion, lediglich durch Stauung bilden können. Sie unterscheiden a) eine 
nichtentzündliche und b) eine entzündliche Form. Zur ersteren rechnen 
sie die reinen Cholesterinsteine. Fedoroff, Gundermann, Michaud, 
Biese, Romanze ff u. a. sind Gegner dieser Aschoffachen Theorie. Nach 
Moynihan soll der solitäre Cysticusverschlußstein allein auf nicht in¬ 
fektiöser Ursache beruhen. Wenn die Infektionstheorie richtig sein soll, 
so müssen zunächst die Bakterien in den Gallenwegen nachgewiesen 
werden. Viele Publikationen aus den Jahren 1921 und 1922 sind dieser 
Frage gewidmet, um Rückschlüsse auf die Steinbildung zu ziehen. 

Von den Mikroorganismen wurden vorwiegend B. coli gefunden, 
ferner die Erreger des Typhus und Paratyphus, Staphylococcus aureus 
und citreus, Streptokokken, Proteus, Pyocyaneus, B. mucosus, B. sub- 
tilis, Hefe- und diphterieähnliche Bacillen, Micrococcus catarrhalis 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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418 


H. F. O. Haberland : 


(Rehfuß), B. Friedländer und Pneumokokken. In meinem Buche „Die 
anaerobe Wundinfektion“ hob ich auf S. 55 hervor, daß der Welch- 
Fränkelache Gasbrandbacillus in 16% der untersuchten Cholecystitis¬ 
fälle von Gilbert und Lippmann gezüchtet wird. 26 mal weist F. Ph. 
Williams in der angeblich sterilen Galle den gleichen Krankheitekeim 
nach. R. Levy bestreitet,- daß Pneumokokken aus dem Gallenblasen¬ 
inhalt sich züchten lassen. Normale Galle und Lösungen gallensaurer 
Salze sollen die Pneumokokken auflösen. Es kann nicht auffallen, daß 
wir eine solch mannigfaltige Bakterienflora in der Vesica fellea an¬ 
treffen, da die Galle einen besonders günstigen Boden für gewisse Bak¬ 
terien abgibt. B. coli com. und Paratyphus-B. finden in der Menschen¬ 
galle nach van der Reiss besonders günstige Wachstumsbedingungen. 
Erateres soll hauptsächlich im Sommer und im Wintersanfang nach¬ 
gewiesen werden als Nachwirkung der in diesen Monaten häufigeren 
Darmerkrankungen (Kliewe). In unserer Klinik verteilten sich die be¬ 
handelten Fälle auf die Monate folgendermaßen: Januar 22, Februar 25, 
März 31, April 23, Mai 10, Juni 18, Juli 47, August 24, September 27, 
Oktober 17, November 21, Dezember 14. Die meisten Patienten kamen 
also im Monat Juli zur Behandlung. Die Kliewe sehe Anschauung können 
wir daher stützen. In den meisten Fällen findet Simon Bakterien in der 
Gallenblase. R. Toida hat in etwa 85% positive Befunde, Hotz und 
Wagner in 50%, S. Lembo in 48%, Heidrich in 38,1%. Wenn keine 
Bakterien gefunden werden, so ist damit noch nicht das Gegenteil einer 
Infektion bewiesen. Rosenau zeigt, daß trotz steriler Galle Mikroben 
in der Gallenblasenwand vorhanden sein können. Auf die „ruhende“ 
Infektion macht besonders K. Scheele aufmerksam. Auch ist nach un¬ 
serer Ansicht der Wert der bakteriologischen Untersuchung der Galle 
nicht allzu groß zu bewerten. Es gehört dazu noch die Prüfung da* 
Gallenblasenwand, besonders ihrer tieferen Schichten. Denn mikro¬ 
skopisch erweisen sich die tieferen Lagen der Blase vielfach stärker ver¬ 
ändert als die oberflächlichen (Graham, Petermann). Die Keime können 
auf dem Blutwege in die Gallenblasenwand verschleppt werden und 
infizieren erst später den Blaseninhalt. 

Soweit ich die Literatur übersehe, ist es bisher noch nicht geglückt, 
typische Gallensteine beim Tiere experimentell zu erzeugen. Aus der 
Pathologie der Haustiere wissen wir, daß im Tierreich Cholelithiasis ein 
sehr seltenes Vorkommnis ist. Am häufigsten findet sich dieses Leiden 
beim Binde und Pferde, obgleich letzteres keine Gallenblase hat und die 
Steine nur in den großen Gallenwegen angetroffen werden. Seltener 
leidet der Hund an Gallensteinen, ausnahmsweise die Katze, das Schwein, 
Schaf und Huhn. Es ist daher m. E. falsch, an Kaninchen zu experimen¬ 
tieren. Diesen Fehler machte ich im Anfang, verleitet durch die Ver¬ 
öffentlichungen anderer Autoren. Logischerweise dürfen wir Versuche 




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Cholelithiasis. 


419 


über Gallensteinbildungen nur an denjenigen Tieren ansteilen, welche 
eine Disposition zur Steinbildung aufzuweisen haben. Mehrere Autoren, 
z. B. Borghi, injizierten zwecks Steinbildung erfolglos B. coli, Typhus¬ 
bacillen usw. in die tierische Gallenblase. Meines Erachtens übersehen 
diese Forscher, daß die für den Menschen pathogenen Keime sich beim 
Tiere oft ganz anders verhalten. 

Deshalb injizierte ich diarrhoischen Stuhl von einem erkrankten Hunde 
in die Gallenblasen zweier gesunder Hunde. Durch Raffung des Lig. hepato- 
gastricum mit Seidenknopfnähten wurde dm* Gallenabfluß erschwert. Die Tiere 
gingen am 12. respektiv 19. Tage an Staupe-Bronchopneumonie ein. Im D. com¬ 
munis und der Gallenblase fanden sich kleine Gebüde, die an Gallengrieß erinnerten. 
Anscheinend handelte es sich um inkrustierte kleinste Kotpartikelchen. 

Die Beobachtungszeit war sicherlich zu kurz. Für die Entstehungs¬ 
dauer der Steine geben die Befunde Dufours, Flörckens, Mathias ’ und 
Ravinas interessante Anhaltspunkte. Dufour und Ravina obduzierten 
einen Typhuskranken, der 32 Tage nach Beginn der Erkrankung starb. 
Aus dem Zentrum der vorhandenen Gallensteine konnten sie Rein¬ 
kulturen von Typhusbacillen züchten. Mathias schätzt in seinem Falle 
die Entstehungsdauer der Steine weniger als 60 Tage. 

Übereinstimmung besteht noch nicht, auf welchem Wege vorwiegend 
die Infektionserreger in den Gallenblaseninhalt gelangen. Oarrow, Mc.Gv.irs, 
Klietve, Lapenta , Moore , Petermann und Simon stellen die hämatogene 
Infektion in den Vordergrund. W. Greke kann zeigen, daß unter patholo¬ 
gischen Verhältnissen die Leber ihre schützende Funktion als Bakterien¬ 
filter verliert. Die Keime treten ohne Hindernis von der Leber ins Blut 
über. Eine gesunde Leber hingegen läßt die Mikroben nicht durch. Sie 
werden im Lebergewebe aufgehalten oder mit der Galle in den Darm be¬ 
fördert. Nach meiner Ansicht haben wir deshalb so relativ wenig mit 
Infektionen der Gallenwege zu tun, weil durch den starken Gallenfluß 
(täglich etwa 1 1) die Bacillen ausgeschwemmt werden. Nur wenn die 
Ausflußbedingungen an der Vaterachen Papille gehemmt werden, droht 
die Infektion. Tierexperimentell ist die Möglichkeit einer Infektion vom 
Darme her durch Else erwiesen. Der enterogene Weg erscheint mir aus 
vergleichend pathologisch-anatomischen Studien der häufigste zu sein. 
Verhältnismäßig oft werden Sand und Haferkömer bei Tieren in den 
Gallenwegen und Gallenblasen gefunden (= Gallengangsversandung). 
Selbst kleine Steine, Knochen, Glas, Draht sowie kleine Nägel fand 
Dedulin in der Gallenblase einer Kuh. Darmwürmer, Ascariden, Band¬ 
würmer, Echinorhynchen usw. finden sich nicht selten beim Schweine und 
Hunde in den Gallengängen. Dieses Einwandem in den D. choledochus 
erklärt man sioh durch einen abnormen Druck vom Duodenum aus. 
Auch denken viele dabei an eine Dysperistaltik des Zwölffingerdarmes. 
Wenn solche relativ große Gebilde mit Leichtigkeit die Vatersche Papille 

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H. F. 0. Haberland: 


aseendierend passieren, so ist der Durchtritt für Bakterien meines Er¬ 
achtens eine Kleinigkeit. Die enterogene, ascendierende Infektion 
wird daher in den neuesten Arbeiten gebührend hervorgehoben. Mc. 
Eachern schätzt diese Gefahr nicht sehr hoch ein. Colibacillen und andere 
Darmbakterien wandern nach den Untersuchungen H. Kliewes sowohl 
vom Darme aus als auch auf dem Blutwege ein. Die Staphylokokken 
sollen dagegen nur den hämatogenen Weg wählen. Außerdem können 
die Infektionserreger aus dem Darme durch die Pfortader in die Leber¬ 
zellen und von dort aus in die Blase gelangen, ferner aus der Milz und 
auf dem Lymphwege. Nur auf diese Weise hält Graham die Gallenblasen¬ 
infektion für möglich. Endlich wird die Infektion per continuitatem, 
d. h. von der direkten Umgebung aus, zur Zeit mehr gewürdigt. Sudler 
stellt ein Lymphsystem zwischen der Leber, Gallenblase und dem 
Pankreas fest. 

Diese zahlreichen Wege lassen es verständlich erscheinen, wie leicht 
eine Infektion der Gallenblase eintreten und dadurch die Steinbildung 
begünstigt werden kann. Verschiedene Infektionskrankheiten, z. B. 
Typhus, Scharlach, Pneumonie, Grippe, infektiöse Adnexerkrankungen, 
fiebernde Aborte sowie Tonsillitis, Magen- und Darmkatarrhe geben 
Anlaß zur Cholelithiasis. Anderweitige Bakterienherde, z. B. in den 
Mandeln, Zähnen, Darm usw. sollen nach Barde , Ellison und Lyon die 
Ursache für eine Cholecystitis calc. abgeben. Das gelegentliche Zu¬ 
sammentreffen einer Tonsillitis mit einer Gallenblasenentzündung und 
Appendicitis erklärt Horsley durch das reichliche lymphatische Gewebe 
dieser Organe, wodurch die gleichen günstigen Lebensbedingungen für 
die angesiedelten Bakterien geschaffen sind. Hansen und A. O. Wilenslcy 
betonen den Zusammenhang mit der Gravidität, insbesondere bei 
Frauen im mittleren Lebensalter. Von unseren Patienten waren die 
meisten (33) 26—30 Jahre alt und hatten fast alle einen Partus durch¬ 
gemacht. 90% der von D. S. Adams wegen Cholelithiasis operierten 
Frauen hatten geboren. Irgendwelche sicheren Anhaltspunkte kann 
ich nicht dafür finden, daß puerperale Cholecystitiden vorwiegend die 
Grundlagen für das Steinleiden abgeben. Zwar nimmt Meyer an, daß 
jede Cholecystitis ohne Steine der Vorläufer einer Gallenblasenentzün¬ 
dung mit Steinen ist. Aber sicherlich gewinnen meines Erachtens nach 
andere Geschehnisse immer mehr Bedeutung für die Ätiologie der Chole¬ 
lithiasis. Die Enteroptose wird zur zurzeit wieder in den Vordergrund 
gerückt. Frauen, welche geboren haben, zeigen vielfach Eingeweide¬ 
senkung. Ferner sind der Druck des schwangeren Uterus, die bevorzugte 
Brustatmung (im Gegensatz zur Bauchatmung bei Männern, Sängerinnen 
und Sängern), die vermehrte Leberfunktion während der Gravidität, häu¬ 
fige Konstipation Faktoren, welche nicht imberücksichtigt bleiben 
können. Mit einer Infektion haben sie nicht das geringste zu tun. Die 


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Cholelithiasis. 


421 


Entstehung und Entwicklung der Cholelithiasis sieht John Berg in einer 
gewissen Abhängigkeit von der verschiedenen kongenitalen Anordnung 
des extrahepatischen Gallenwegsystems. Diese prädisponierende ana¬ 
tomische Anlage bedingt nach ihm nicht den Prozeß, sondern erleichtert 
und befördert nur seine Weiterentwicklung. Die Ptosis, mechanische 
Einflüsse für die Gallenblasenstauung durch benachbarte Organe, Ver¬ 
laufsabnormitäten der Gallengänge hält C. Rohde für wichtiger als die 
allgemeine Diathese. An mehreren Fällen zeigt H. Riese, daß bei 
Nephrolithiasis die vergrößerte rechte Niere Zerrungen in der Gallen¬ 
blasengegend auslösen kann. Gallenstauung mit nachfolgender Stein¬ 
bildung können sich daraus entwickeln. Gleichfalls beschreibt Hofer 
einen Choledochusverschluß durch eine Solitärcyste der Niere. Das 
seltene Vorhandensein von Gallensteinen bei den Japanerinnen führt 
Miyake auf deren Unkenntnis des Korsettes resp. Schnürens zurück. 
Schwerere Traumen der Gallenblase, wie z. B. das Auskratzen bzw. 
die Thermokauterisation der Gallenblasenschleimhaut, rufen nach Hiioo 
Ivanaga den Pigmentsteinen ähnliche Gebilde hervor. 

Sotti behauptet, daß der Cholesteringehalt des Blutes steigt, wenn 
ein Hindernis des Gallenabflusses vorhanden ist, bedingt durch Druck, 
Strikturen, Schleimhautkatarrhe usw. Im 7. Schwangerschaftsmonat be¬ 
ginnt sich der Cholesteringehalt des Blutes zu vermehren und erreicht 
im 9. Monat sein Maximum (Hermann und Neumann). Nach der Ge¬ 
burt kehrt er etwa innerhalb 60 Tagen zur Norm zurück. John Berg 
folgert daraus, daß diese Form der Hypercholesterinämie eine Folge eines 
Stauungszustandes in den Gallenwegen sein könnte. Auf die Hyper- 
cholesterinämie in der Gravidität und dem Puerperium als Folge einer 
Wirkung des Corpus luteum und der Nebennieren weist Chauffard hin. 
Ihre Entstehung sei bedingt durch eine Störung der Leberzellen. An¬ 
geregt durch diese Arbeit stellte ich folgenden Versuch an: 

Bei einer Häsin, welcher ich vor etwa 2 Jahren die Milz entfernt hatte und 
welche 1 Tag vorher 9 Junge geworfen hatte, fixierte ich den Pylorus und 
Anfangsteil des Duodenum extrem nach unten an die Bauchdecken. Außerdem 
wurde das Lig. hepatogastricum gerafft. Ich wollte durch diesen Eingriff kurz 
nach der Geburt eine fixierte Gastroptose nachahmen. Das Tier starb 17 Tage 
später an einer interkurrenten Erkrankung. Bei der Obduktion fanden sich 
punktförmige Gebüde in den Gallengängen und Blase, während man sonst eine 
ganz klare durchsichtige Galle zu sehen gewohnt ist. 

Ob dies die Anfangsstadien einer Gallensteinbildung darstellten, ver¬ 
mag ich vorläufig nicht zu sagen. Wegen Tiermangels mußten die Ver¬ 
suche abgebrochen werden. Daß Hunde meines Erachtens das richtigere 
Versuchsmaterial sind, erwähnte ich bereits. 

Den Ausfall des Cholesterins in Tropfenform beschreibt zuerst 
Schade. Bezüglich der Herkunft des Cholesterins vertritt Naunyn die 
Anschauung, daß das C 26 H 43 OH die zerfallenen Epithelien der Gallen- 


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422 


H. F. O. Haberland : 


blasenschleimhaut liefere. Dagegen glaubt Aschoff, daß die Leberzellen 
das im Blute vorhandene Cholesterin sezemieren. Die Untersuchungen 
Ords (1922) scheinen zu beweisen, daß Kolloide zum Ausfall steinbilden- 
der Substanzen führen. 

Für die Entstehung der Gallensteine werden nicht nur der Cholesterin¬ 
gehalt, die Stauung und Infektion verantwortlich gemacht. Der Gallen¬ 
grieß soll nach Aufrechte Untersuchungen die Grundlage der Gallensteine 
bilden. Die Gallengrießkömer entstehen nach ihm nicht in den Gallen- 
gängen, sondern in den Leberzellen. Die Störungen der Leberzellen¬ 
funktion infolge schwer verdaulicher oder verdorbener Speisen hätten 
die Bildung oder Lokomotion von Grieß zur Folge. Auf die intra- 
hepatische Lithiasis wies ich bereits oben hin. 

Über die konstitutionelle Disposition zur Steinbildung gehen die An¬ 
sichten auseinander. Aus den vorstehenden Ausführungen muß ge¬ 
folgert werden, daß Frauen eine erhöhte Disposition zu Cholelithiasis 
haben müssen. Diese bekannte Tatsache wird in letzter Zeit durch neue 
Statistiken weiter gestützt. An unserer Klinik betrug das Verhältnis 
der Gallensteinerkrankung bei Mann und Frau 1 : 4,3, Mayo (1919) gibt 
1 : 3,5 an, Körte 1:5, O. R. Haas 1 :8, Rovsing 1:9, D. S. Adams 
1 :25, Miyaleo (bei den Japanerinnen) 2 : 3, Swend Hansen an seinem 
Sektionsmaterial 2 : 3, Pouchet 2:5. In zahlreichen Fällen konnten wir 
an unserem Materiale die erbliche Disposition zu dem Gallensteinleiden 
bestätigt finden. Mayo-Robson betont das häufige Vorkommen von 
Steinen bei Gichtikem, welche eine stickstoffarme Diät einhalten, sowie 
die Seltenheit der Cholelithiasis bei Diabetikern und den Engländern, im 
Gegensatz zu den mehr vegetarisch lebenden Deutschen. Die Ernährung 
mit Eiern soll nach Luis- Yagüe y Espinosa zur Steinbildung Anlaß geben, 
weil das Eidotter reich an Lipoiden und Cholesterin sei. Ein bestimmter 
Einfluß der Nahrung auf die Gallensteinbildung ist bisher noch nicht 
erwiesen. Jedoch geben die Angaben Miydkes zu denken bezüglich der 
seltenen Gallensteinerkrankungen bei den Japanern. Deren Nahrung 
enthält sehr wenig Fett und Eiweiß. Diese Beobachtung steht meines 
Erachtens in gewissem Gegensatz zu der Tatsache, daß während und 
nach dem Kriege in Österreich und Deutschland die Cholelithiasis ge¬ 
häufter auftritt als vor 1914. Bei jugendlichen Individuen tritt in diesen 
Ländern nach R. Ehrmann infolge der Eiweiß- und Fettarmut in der 
'Nahrung die Cholelithiasis besonders häufig auf. Das Alter unserer 
meisten Patienten betrug 20 — 35 Jahre. Fette Männer und Frauen 
sollen nach Orant mehr zu Gallensteinen neigen als magere Personen. 
Unser Material kann diese Ansicht nicht stützen. 

Nach Borghi, L. Michaud, Riese, Romanzeff u. a. genügen die Gallen¬ 
stauung, Infektion, der gestörte Cholestearinstoffwechsel in Form der 
Hypercholesterinämie nicht allein zur Steinbildung. Die einzelnen 


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Cholelithiasis. 


423 


Faktoren müssen Zusammentreffen. Der Anstoß zur Steinbildung sei die 
Infektion ( Romameff). Michaud vertritt den Standpunkt, daß die 
Gallensteine nicht die Krankheit selbst sind, sondern nur das Produkt 
einer Reihe der genannten Störungen. Endlich sei erwähnt, daß multiple 
Steine oft nicht anders als die Trümmer eines oder zweier großer Steine 
zu deuten sind. Sie können den Grundstock zu neuer Steinbildung liefern. 
Hingegen vermögen zerfallene Steine durch das Cholesterin als Kitt¬ 
substanz wieder zusammenzuwachsen (Fedoroff und Romameff). 

Symptome und Diagnose. 

Latente Gallensteine sind sehr häufig. Bisher wurde angegeben, daß 
bei Obduktionen sich 10% Gallensteinträger finden. Nach S. Lembo 
beträgt der Prozentsatz bei den sezierten Leichen in Straßburg 12,5%, 
Wien 12%, Basel 8%, Dänemark 3,8%, Norwegen 2,6%, England 1,2% 
und Italien 0,51—4%. Das Kölner Material weist etwa 10,5% auf. 
Diese „latenten“ Gallensteine geben oft Anlaß zu Fehldiagnosen. 

Zwei divergierende Anschauungen über die Entstehung der QdUen- 
steinkoliken werden zur Zeit eifrig diskutiert. Die einen stellen die In¬ 
fektion und Entzündung in den Vordergrund, die anderen beschuldigen 
den eingeklemmten Stein. Die Wanderung des Steines hat nach Michaud 
keine Koliken zur Folge. Holz macht die Steineinklemmungen dafür 
verantwortlich. Untersuchungen an der Leiche konnten mich davon 
überzeugen, wie reichlich das sympathische Nervengeflecht besonders im 
Gebiete des „Wetterwinkels“ vorhanden ist. Bei der Steinwanderung 
werden meines Erachtens nicht nur die in immittelbarer Umgebung 
verlaufenden Nervenfasern irritiert, sondern auch die zarten Nerven¬ 
geflechte um die Gallengänge und die Gefäße. Die uns geläufigen aus¬ 
strahlenden Schmerzen in die rechte Schulter, der Leib-, Gürtel-, Brust- 
und Rückenschmerz sind auf diesem reflektorischen Wege zu deuten. 
Daß daher der eingeklemmte Stein ohne Begleitung einer Entzündung 
rasende Schmerzen verursachen kann, dürfte sich als richtig erweisen. 
Da aber jede entzündliche Schwellung das umliegende Nervengeflecht 
ebenfalls reizt, so ist m. E. Michauds Behauptung gerechtfertigt. Kennen 
wir doch typische Gallensteinkoliken, bei welchen der Operateur keine 
Steine in der Gallenblase oderden Gallengängenfindet. Nur eine Cholangitis 
sine concremento besteht oft in solchen Fällen. Auf die Bedeutung der 
Koliken ohne Steine infolge entzündlicher Prozesse weist W. Körte 
nachdrücklich hin. John Berg beschreibt 1922 einen Fall von typischen 
Kolikanfällen ohne Steine, beruhend auf einer gesteigerten Ausdehnung 
der intrahepatischen Gallenwege bis zur Olisson sehen Kapsel. Schmie¬ 
den zeigt, daß typische Gallenkoliken ausgelöst werden können, wenn bei 
der Stauungsgallenblase die übervolle Gallenblase plötzlich zur Ent¬ 
leerung einsetzt. Der Gallengrieß in den intrahepatischen Gallengängen 


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424 


II. F. O. Habcrland: 


kann bereits durch Diätfehler zu den heftigsten Koliken führen. Durch 
schwer verdauliche oder verdorbene Speisen wird die Leberzellenfunktion 
geschädigt. Dies führt nach Aufrecht zur Bildung oder Lokomotion des 
Gallengrießes. 

Während des Anfalles ist nach Hans Smidts Untersuchungen der 
Magen wesentlich mit beteiligt. Eine Hypertonie mit Auftreten spastischer 
Zustände des Magens begleitet die Gallensteinkoliken. Nach deren Auf¬ 
hören tritt ein Erschöpfungszustand am Magen ein. Dieser Symptom¬ 
komplex wird als „akute Reflexneurose“ von Smidt gedeutet. Damit 
erklärt sich das zweite Hauptsymptom des Gallensteinleidens, der 
Magenkrampf. Bei sämtlichen chronischen Gallenblasenerkrankungen 
beschreiben Stewart und Barker eine Hypermotilität des Magens. Gra¬ 
ham bestreitet dies. Die Magensekretion ist bei der Cholelithiasis er¬ 
heblich in Mitleidenschaft gezogen. In 50% der Fälle findet M. Behm 
eine Hyperacidität oder Fehlen der freien HCL im Magensaft nach dem 
Probefrühstück. Lyon bestätigt diese Angabe. 47,4% der Patienten 
Rydgaards leiden an Hypo- oder Achylie der Magensekretion. Cheney 
erhebt ähnliche Befunde. W. Boss gibt über 60% an. Vor allem besteht 
nach diesem Autor die Hypo- und Achylie bei Cysticusverschluß. Dieses 
Vorkommen beobachtet Rydgaard sogar in 74% seiner Fälle. 

Das dritte Hauptsymptom bei Cholelithiasis, der Ikterus, ist nur dann 
vorhanden, wenn ein oder mehrere Steine die D. hepatici oder den 
Choledochus verlegen, oder wenn eine Cholangitis resp. eine Zuschwellung 
der Vater sehen Papille gleichzeitig besteht. 

Die Druckpunkte bei den Gallensteinleidenden werden verschieden 
angegeben. Auf das Murphysche Zeichen, den ausstrahlenden Schulter¬ 
schmerz, habe ich bereits hingewiesen. Als typischen Schmerzpunkt 
gibt Pavly den 4. und 5. Intercostalraum an, etwa 2—3 cm rechts von 
der Domfortsatzlinie, Chauffard in der Höhe des rechten 8.—11. Dom¬ 
fortsatzes. Schmerzen im linken Hypochondrium kommen bei Chole¬ 
cystitis mit Steinbildung öfter vor als bei solchen ohne Steine (W.Meyer). 
Die Schmerzempfindlichkeit unter dem rechten Rippenbogen und im 
Rücken unterhalb der rechten 12. Rippe sind nicht eindeutig. Giacobini 
beschreibt einen speziellen Druckschmerz in der Gegend des Mc. Bumey- 
schen Punktes bei Gallensteinkoliken. Dieser Schmerz würde regel¬ 
mäßig einige Stunden nach der Mahlzeit ausgelöst. Jenes Phänomen 
können wir nicht bestätigen. Schwerste Gallenblasenkoliken vermag 
Läwen durch Novocaininjektionen an dem 10. Dorsalnerv sofort zu 
kupieren. Friedemann beschreibt den Erschütterungsschmerz des Gallen¬ 
blasenhalses bei Cholelithiasis. In 3 Fällen konnte er bei Erschütterung 
die Steine „klappern“ hören. Endlich halten Ramond, Jacquelin und Bornen 
das Atmungszeichen, eine starke Herabsetzung des Bläschenatmens recht« 
hinten unten für absolut spezifisch für die Gallensteinerkrankung. 


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Cholelittiiasis. 


425 


Der Duodenalinhalt beansprucht zurzeit größtes diagnostisches Inter¬ 
esse. Während in Amerika die Duodenalsondierung zu diagnostischen 
und therapeutischen Zwecken sehr viel geübt wird, hat in Deutschland 
das Verfahren kaum Eingang gefunden. 

Meitzer behauptete 1917, daß bei der Kontraktion der Gallenblase derSphinoter- 
muskel der Vater sehen Papille erschlaffe. Führt man nach diesem Autor 50 ccm 
einer 25 proz. Magnesium sulfuricum-Lösung mittels Einhorn sehe Sonde ins Duo¬ 
denum, so soll jener Schließmuskel erschlaffen und eine Entleerung der Galle 
ins Duodenum stattfinden. Die Entleerung der Gallenblase erfolgt also reflek¬ 
torisch. Die Richtigkeit dieses Offnungs- und Schließungsmechanismus bestätigt 
John Berg 1922. Die Vesica feile» soll erregende und lähmende Fasern aus dem 
Splanchnicus, erregende vielleicht auch aus dem N. vagus erhalten (Stewart). 
Die contractile Kraft der Gallenblase schätzt John Berg hoch, Beimann dagegen 
sehr gering ein. Der Magnesiumsulfatversuch ist später von dem Amerikaner 
Lyon in die Praxis übernommen und ausgebaut worden. Nach der Injektion des 
Bittersalzes ins Duodenum saugt man nach etwa 4—6 Minuten mit einer auf die 
Sonde angesetzten Spritze den Inhalt des Zwölffingerdarmes an. Die erste Portion 
enthält die mit Magnesiumsulfat verdünnte Galle, die zweite (A-bile) die Gallen¬ 
blasengalle nebst Galle aus dem rechten und linken Lebergange. Die dritte (B-bile) 
Portion soll reine hellgelbe Lebergalle enthalten. 

Lyon schließt auf eine Erkrankung der Gallenblase und Gallenwege, 
wenn nach der Meitzer sehen Magnesiumsulfat-Einverleibung ins Duo¬ 
denum eine dunkle Galle aspiriert wird. Falls nach der Injektion des 
Bittersalzes später als 6 Minuten die Galle in einer Menge von nur 
30 ccm erscheint, so stellt 0. W. Crile die Diagnose Cholelithiasis. Whipple 
deutet die mit der Duodenalsonde nach Magnesiumsulfat-Einspritzung 
gewonnene Galle folgendermaßen: Wenn dicke dunkelgrüne Galle 
rasch abfließt, so ist der Cysticus offen und die Gallenblasenwand in 
Ordnung. Enthält die Galle viel Schleim, Epithelien, Leukocyten, 
intracelluläre Bakterien usw., aber wenig Cholesterinkrystalle, so sei 
eine chronische Cystitits’ ohne Steine anzunehmen. Steine seien vor¬ 
handen, wenn zahlreiche Cholesterinkrystalle mikroskopisch vorhanden 
sind. Falls keine Galle aus der Gallenblase nachzuweisen ist, bestanden 
jedoch Koliken, so sei ein Cysticusverschluß wahrscheinlich. O. Frieden¬ 
wald und Th. H. Morrison bestätigen, daß das Ausbleiben der Gallen¬ 
blasengalle nach Erschlaffung des Sphincters der Vater sehen Papille 
einen völligen Verschluß des Cysticus beweise. Das Ausbleiben der 
klaren, zitronengelben Galle des Choledochus stütze die Diagnose 
Choledochusverschluß. Wenn bei der Untersuchung kolikartige Schmer¬ 
zen auftreten, so bedeutet dies nach Ansicht dieser beiden Ärzte Gallen- 
eindickung oder irreparable Gallenblasenatonie oder -atrophie. Nach 
Crile sollen sich nur etwa in 10% dieser Gallensaftprüfungen Fehl¬ 
diagnosen einschleichen. 

Demgegenüber lehnen zahlreiche Arbeiten aus den Jahren 1921 und 
1922 das Meitzer-Lyon sehe Verfahren ab, weil die Voraussetzungen 
falsch sind. Zunächst sei bemerkt, daß sich in der Blasengalle häufig 


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H. F. O. Ilabcrland: 


CholesterinkrystaUe ohne Gallensteine finden. Die Annahme Meitzers 
vom Gesetz der entgegengesetzten Innervation bei der Erschlaffung 
des Choledochussphincters und der Gallenblasenkontraktion lehnen 
Basster und Luckett ab. Letztere führten die Meitzer-Lyonsehe Methode 
während einer Gallenblasenoperation aus: Es trat keine Gallenblasen¬ 
kontraktion ein. Ob der Gallenfluß nach Einspritzung von MjgS0 4 
auf einer Sphinctererschlaffung oder einem Leberreize beruhe, läßt 
White dahingestellt sein. Die nach MgS0 4 -Injektion sezemierte dunk¬ 
lere Galle wird auch ohne Gallenblase abgesondert, wie der Operations¬ 
fall von Dünn und Connel nach Cholecystektomie zeigt. Dagegen finden 
Cutter, EUiot und Newton nach Cholecystektomien niemals dunkle Galle 
und deuten dieselbe deshalb als Gallenblasengalle. Durch Injektion mit 
Methylenblau in die Vescia fellea beweisen Auster und Crohn , daß 
die Bittersalzlösung keine Entleerung der Blasengalle hervorruft. 

Die nach dem Meitzer-Lyonsehen Verfahren gewonnene schwarzflüssige 
Galle hält Meyer für ein Leberprodukt. Es sei der unmittelbare 
Effekt der Absorption der injizierten 25% MgS0 4 auf die Leberg&lle. • 
Ein Gallenblasenprodukt sei es sicher nicht. Noch beweisender sind die 
an einer Gallenfistel ausgeführten Untersuchungen von Tenney und 
Patterson. Nach MgS0 4 -Einspritzungen in das Duodenum erfolgt keine 
Vermehrung oder Veränderung der Gallenabsonderung. Auch Leon 
Bloch, Crohn, Badin sowie Beiss verhalten sich ablehnend gegenüber der 
Lyon sehen Probe. 

Stepp bedient sich zur Gewinnung des Gallenblaseninhaltes der Witte- 
Pepton- Lösung. Mit der Duodenalsonde werden 30 ccm einer solchen 
5—lOproz. Lösung injiziert. Daraufhin wird bei Gesunden regelmäßig 
Blasengalle abgesondert (= W i#e-Peptonreflex). Bei Verlegung des 
D. cysticus unterbleibt die Absonderung, ebenfalls bei Cholecystektomier- 
ten. Leukocyten in der Gallenprobe deuten auf Cholecystitis hin. 

Die Sondierung des Zwölffingerdarmes mit der Einhomschen Duode¬ 
nalsonde übt Benschen, um Aufschluß zu erhalten über die Bakteriologie 
der Gallenwege und des Duodenums sowie über die Chemie der Galle 
und der Pankreasenzyme. 

Die Chromocholoskopie ist 1921 von Rosenthal und v. Falkenhausen 
eingehend geprüft: Einführung der Groß sehen Duodenalsonde und ab- 
warten, bis goldgelber Duodenalsaft herausfließt. Nach einer darauf¬ 
folgenden subcutanen Injektion von 5 ccm einer 2proz. Methylenblau¬ 
lösung wird innerhalb 60— 95 Minuten bei normaler Leberfunktion 
dieser Farbstoff ausgeschieden. Besteht Ikterus mit Parenchymschädi¬ 
gung der Leber, so erhält man Methylenbau bereits nach 15—30 Minuten. 

Im Verlauf einer Cholecystitis calculosa kann sich die Entzündung 
auf die unmittelbare Umgebung fortpflanzen. Adhäsionen bilden sich mit 


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Cholelithiasis. 


427 


den Nachbarorganen. Daraus resultiert die Rechtsverziehung des Magens, 
auf welche wir im Röntgenbüd großen Wert legen. Die Gallenblase selbst 
ist im Röntgenbild nur dann sichtbar, wenn sie pathologisch verändert 
ist (Sessa). Um die Diagnose der Gallensteine mit Hilfe der Röntgen¬ 
strahlen haben sich besonders amerikanische Ärzte, wie Carmon, Cast, 
Cole, Knox, MiUer, Mdeod u. a. verdient gemacht. Riese glaubt, daß der 
röntgenologisehe Nachweis vom Kalkgehalt der Steine abhängt. Je¬ 
doch sind selbst reine oder nur mit einem feinen Kalküberzug versehene 
Cholesterin- und Bilirubinsteine durch die X-Strahlen festzustellen 
{Rieder). Im Röntgenbild bringen Laroche, Ghiy und Romeaux Steine 
zur Darstellung, welche nur 0,6 Gewichtsprozent Mineralsalze enthielten. 
Nach Sessa sind auf der Platte Steine bei mindestens 0,5 Calcium¬ 
gehalt noch sichtbar. Zur Herstellung kontrastreicher Bilder empfiehlt 
Schütze, nur weiche Strahlen mit hoher Belastung zu nehmen. Der Tubus 
soll höchstens 10 cm Durchmesser haben. Ferner ist ein Verstärkungs¬ 
schirm unbedingt erforderlich. Gleichfalls ist die Verwendung von 
Doppelplatten nach Alban Köhler empfehlenswert. Bei dieser Technik 
erhält man etwa in 60% der Fälle positive Resultate. Wenn Magnesium¬ 
sulfat ins Duodenum mit der Duodenalsonde eingespritzt wird, so er¬ 
geben sich nach S. Weiss beim Vorhandensein von Gallensteinen bei der 
Röntgenaufnahme deutliche Schatten in der Gallenblase. Dabei besteht 
die Voraussetzung, daß sich neben den Steinen noch Galle in der Vesica 
fellea findet und der D. cysticus noch durchgängig ist. Die weintrauben¬ 
artigen, honigwabenähnlichen oder ringförmigen Flecke hält Madeod für 
Steine 1 ). Verkalkte Mesenterialdrüsen, Nieren- und Pankreassteine kön¬ 
nen im Röntgenbilde oft Gallensteine Vortäuschen und umgekehrt. Des¬ 
halb bevorzugt Mdeod Stereogrammaufnahmen, um die Tiefenlage z. B. 
gegenüber den Nierensteinen zu bestimmen. Derselbe Autor warnt 
vor der vielfach geübten Nierenbeckenfüllung bei den Röntgenaufnah¬ 
men zu diffemtialdiagnostischen Zwecken. Denn leicht können dadurch 
beide Steinarten verdeckt werden, zumal das Zusammentreffen einer 
Cholelithiasis mit Nephrolithiasis nicht zu den Seltenheiten gehört (s.oben). 

Eindringlich muß davor gewarnt werden, bei der Röntgenunter¬ 
suchung zu diagnostischen Zwecken in eine Gallenfistel unter Druck 
Wismutpaste einzuspritzen. Dabei beobachteten Tenney und Patterson 
einmal schwerste Erscheinungen mit heftigsten Schmerzen in der Leber¬ 
gegend und Ikterus. 

Differentialdiagnose. 

Die Diagnose „Cholelithiasis“ stößt deshalb auf besondere Schwierig¬ 
keiten, weil im Wetterwinkel der Bauchhöhle zahlreiche Organe dicht 
beieinander liegen. Außerdem sind sehr oft mehrere Bauchorgane gleich- 

*) Händfield-Jones verwendet bei der röntgenologischen Darstellung der 
Gallensteine das Pneumoperitoneum. 


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H. F. 0. Haberland: 


zeitig erkrankt, wie wir an unseren 279 Patienten 23 mal feststellen konn¬ 
ten. Weil die Patienten häufig durch Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbre¬ 
chen (infolge von Adhäsionen) und Magenschmerzen belästigt werden, 
so denkt man zunächst vielfach nicht an eine Affektion der Gallenwege. 
Die Magenbeschwerden liegen nicht selten Jahrzehnte zurück ( Foider ), 
ohne daß die eigentliche Ursache, die Colelithiasis, erkannt wird- Gra¬ 
ham ist der Ansicht, daß in 90% der Magenbeschwerden die Vesica 
fellea das auslösende Moment sei. Bei unseren 279 Patienten stellten wir 
27 mal eine Fehldiagnose. Wir dachten an Ulcus ventriculi (7 mal), 
Gastroptose resp. Gastrektasie (5), Magenatonie (1), Magencarcinom (1), 
Pylorus Ca. (1), Appendicitis (3), Ca. vesicae (1), Tumor der hinteren 
Bauchwand (1); es handelte sich aber um Cholelithiasis, darunter 2 mal 
kombiniert mit Ca. hepatis. Anderseits stellten wir die Diagnose Chole¬ 
lithiasis, es handelte sich aber um Ulcus duodeni (3), Appendicits (1), 
Ca. vesicae (1), Lebersarkom (1), Lebercirrhose (1). Auch B. Schröder 
beschreibt Fälle, in denen •Lebercirrhose und Leberatrophie eine Gallen¬ 
steinerkrankung vortäuschten. Nicht weniger als 21 mal schwankten wir 
in der Diagnose trotz eingehender Untersuchung. In 17 unserer Fälle 
bestand gleichzeitig mit dem Gallensteinleiden eine Magenerkrankung, 
welche in derselben Sitzung operativ behandelt wurde. 

Zahlreiche neue Angaben werden über die Differentidldiagnoae ge¬ 
macht. Bei Gallenblasenerkrankungen findet Chenney eine Magen¬ 
hypersekretion häufiger als eine Hyposekretion. Achylie sei besonders 
für Cholelithiasis charakteristisch. Derselbe Autor hat sofort Verdacht 
auf eine Gallenblasenerkrankung, wenn Galle aus dem nüchternen Magen 
oder Duodenum ausgehebert wird. Ortner legt Wert darauf, daß beim 
Ulcus duodeni der Schmerz durch Druck in die Tiefe dagegen bei Ch. 
durch Palpation nach oben hinter dem Rippenbogen auszulösen sei. 
Bei einerVerengerung des Pylorus oder Duodenums ist uns ante op. nicht 
immer eine sichere Diagnose, ob Ulcus oder Cholecystitis mit Adhäsionen, 
möglich gewesen. Differentialdiagnostisch hält M. Behm das Fehlen 
der Hyperacidität von Bedeutung gegenüber dem juxtapylorischen oder 
duodenalen Geschwüre. Das Zusammentreffen mit dem Duodenalulcus 
ist keineswegs selten. 3 mal begegnete uns diese Komplikation. Es wird 
darüber gestritten, welches Leiden das primäre sei. Moore und Simon 
betonen, daß eine kranke Gallenblase die Ursache vieler Krankheiten 
sei, z. B. Anämie, Ulcus duodeni, Pankreatitis usw. Von der Vesica 
fellea aus können kryptogene Infektionen auf dem Wege der Blutbahn 
zustande kommen. Demgegenüber vertritt Moynihan den Standpunkt, 
daß das Gallensteinleiden und Zwölffingerdarmgeschwür eine sekun¬ 
däre Erkrankung seien: der entzündete Wurmfortsatz sei der Ausgangs¬ 
punkt. KeUing bestätigt, daß häufig durch eine Appendicitis einer Gallen¬ 
blasenaffektion entstehe. Da die Vesica fellea gleich wie der Wurm- 


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C'holelithiasis. 


429 


fortsatz ein. blutarmes Organ ist, so neigt sie nach Graham zu chronischen 
Entzündungen. Graham erklärt sich das Zusammentreffen der Chole¬ 
cystitis mit der Appendicitis durch eine primäre Affektion der Leber 
auf dem Wege der Pfortader. Sekundär greife diese Infektion auf dem 
Lymphwege von der Leber auf die Gallenblase über. Auch Bvrch- 
Hirschfeld ist davon überzeugt, daß Appendicitis und Cholecystitis durch 
den hämatolymphatischen Vorgang kombiniert werden. Moore findet 
in 30—40% seiner Fälle die Appendicitis als Begleiterscheinung. Wir 
hatten nur 3 mal diese Komplikation, wobei der Wurmfortsatz und die 
Gallenblase in einer Sitzung entfernt wurden. Schrijver bestreitet einen 
Zusammenhang mit der Appendicitis. Häufig wird, insbesondere bei 
hochgeschlagenem, entzündetem Wurmfortsätze an Cholecystitis ge¬ 
dacht. Nicht selten glaubt man an Appendicitis, während es sich um 
Gallenblasensteine handelt. So maskierte bei uns einmal eine Appendi¬ 
citis perforativa eine Gallenblasenperforation (vgl. auch oben). Die 
Vesica fellea erfährt in der letzten Zeit eine solche Berücksichtigung, daß 
Karsner behauptet, sie sei öfter die Ursache abdominaler Erkrankungen 
als der Wurmfortsatz. 

Auf der deutschen Naturforscher- und Ärzteversammlung in Leipzig 
1922 gibt Läioen differentialdiagnostische Anhaltspunkte bei intraabdo¬ 
minalen Erkrankungen mit der paravertebralen Novocaininjektion. Beim 
Ulcus ventriculi ist der rechte 7. Dorsalnerv der Hauptschmerznerv. 
Anästhesie des 1. und 2. rechten Lumbalnerven hat bei akuter 
Appendicitis völlige Schmerzlosigkeit zur Folge, während die Gallen¬ 
blasenkoliken durch Injektion des 10. Dorsalnerven sofort beseitigt 
werden. 

Die immittelbare Nachbarschaft des Pankreas läßt es erklärlich er¬ 
scheinen, daß eine Affektion der Bauchspeicheldrüse öfters mit einer 
Cholelithiasis verwechselt wird. Anderseits ist eine Pankreatitis öfters 
durch ein bestehendes Gallenblasenleiden bedingt. Die entlang dem 
Choledochus zum Pankreas verlaufenden Lymphgefäße leiten die Keime 
von der Gallenblase resp. Leber über. Auf diesem Wege der Lymph- 
angitis kann die Pankreatitis entstehen (Graham). Eine andere Infektions¬ 
möglichkeit besteht darin, daß die Mikroorganismen durch die Gallen¬ 
gänge ins Duodenum und von dort in die D. pankreatici gelangen 
(0. Nordmann). Judd hält diesen Weg für selten und glaubt, daß der 
Lymphweg die größere Rolle dabei spiele. Ein Viertel des Mayoschen 
Materials litt gleichzeitig an schwerer Pankreaserkrankung, während 
bei uns dieses Zusammentreffen selten war (3 mal). Unter 150 Gallen¬ 
wegsoperationen beobachtet H. Zoepffd 10 mal eine akute Pankreas¬ 
nekrose als Komplikation des Gallensteinleidens. „Bei der Einklemmung 
eines Steines in einem gemeinsamen Endstück der Ausführungsgänge 
von Leber und Pankreas entsteht durch die, ins Pankreas übertretende, 


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H. F. 0. Haberland: 


Infektionsstoffe mit sich führende Galle eine Aktivierung des Pankreas- 
fermentes. Es kommt zur Selbstverdauung der Drüse und akuter 
Pankreasnekrose. ‘ * 

Die Nieren können auf dem Blut- oder Lymphwege in Mitleiden¬ 
schaft gezogen werden (Albuminurie, Nephritis, Pyelitis). Auf das Zu¬ 
sammentreffen von Gallen- und Nierenstein«! weist besonders H. Riese 
hin, welcher die letzteren meist für das Primäre hält. Die von M. C. 
Sexton beschriebenen Fälle veranschaulichen die Schwierigkeit der 
Differentialdiagnose bei gleichzeitigem Bestehen dieser Steinleiden. Der 
Wert des Röntgenbildes dabei ist bereits von mir gestreift. 

Auf die Beziehungen der Milzerkrankungen zu den Affektionen 
der Gallengänge sei hingewiesen. 

Die Wechselbeziehungen zwischen dem Blute und der Ätiologie der 
Gallensteine, wie ich sie kurz geschildert habe, nutzt Babarczy zur 
Differentialdiagnose aus. Seine Untersuchungen ergeben, daß der Chole¬ 
steringehalt des Blutes in unkomplizierten Fällen von Gallensteinkrank¬ 
heiten in der anfallsfreien Zeit normal ist. Nach dem Anfall steigt der 
Cholesteringehalt des Blutes auffallend. Durch die herabgesetzte Leber¬ 
funktion findet eine C M H 43 OH-Retention statt und im Anschluß daran 
die Hypercholesterinämie. Dieser Befund sei charakteristisch für den 
Gallensteinanfall. Weil nun niemals eine Hypercholesterinämie nach 
kolikartigen Schmerzen infolge Ulcus ventriculi sive duodeni, Nieren¬ 
steinen, gastrischen Krisen oderAppendicitis auf tritt, so soll diese Erschei¬ 
nung nach Babarczy ein wertvolles differentialdiagnostisches Mittel sein. 
De Witt Stetten legt das Hauptgewicht auf das Vorhandensein von Gallen¬ 
farbstoffen im Blutserum. Der Bilirubin wert im Blute stütze die Diagnose 
Cholelithiasis, wenn man zwischen dieser Erkrankung, Magenulcus, 
Nierenaffektion und Appendicitis schwanke. 

Auf andere Erkrankungen sei noch aufmerksam gemacht. Bei Chole¬ 
dochussteinen mit Cholangitis können Schüttelfröste oft in so regel¬ 
mäßigen Intervallen ohne Koliken und ohne Ikterus auf treten, daß man 
an Malaria denken muß. In einem Falle von Urrutia wird das Bild des 
Gallensteinleidens infolge des Durchbruches von Echinokokkencysten 
in die Gallenwege vorgetäuscht. Nach Damine erfolgt bei Leberechino¬ 
kokkus in 11% der Fälle ein Durchbruch in die Gallengänge. Das Vor¬ 
kommen von Ascariden in der Gallenblase und der Gallenwege ist in den 
letzten Jahren häufiger beobachtet worden, so von Butt, Eberle, Fischer, 
F. Franke, Kaiser, W. Kauert, Landgraf, F. Liebscher, Makai, Molndr 
Elek Ldszlö, McWharter, Neudörfer, Pribram, Reich, Tsujimura, R. Veit. 
Die Spulwürmer wirken indirekt schädlich durch das Einschleppen einer 
Infektion. Irgendwelche Schädigungen infolge der Wurmtoxine vermag 
Reich nicht festeustellen. Nach der Ansicht Butts und Eberles können 
die Ascarideneier in der Gallenblase zur Steinbildung führen. Deshalb 


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Ch olelith iasis. 


431 


soll stets die Cholecystektomie gemacht werden. Reich fügt noch eine 
Hepaticusdrainage hinzu. 

Therapie. 

Bei vielen Gallensteinträgem zeigen sich zu Lebzeiten keinerlei 
Krankheiteerscheinungen. Ein kleiner Teil der Patienten hat nur vor* 
übergehend Beschwerden. Angeblich. Denn zahlreiche andere Krank¬ 
heiten sind imstande, das Leiden zu maskieren (s. oben). Die steinhaltige 
Gallenblase kann zunächst symptomlos pathologisch-anatomische Ver¬ 
änderungen erfahren, welche den Menschen in die größte Gefahr (Ca! 
usw.) bringen können. An verschiedenen Beispielen der sog. „occulten“ 
Gallensteinkrankheit führt dies Galewski aus. Sicher ist bewiesen, daß 
sich öfters eine Lösung der Gallensteine zu Bröckeln vollzieht, welche 
abgehen können ( Naunyn ). Aufrecht ist von dem Wert der alkalischen 
Brunnen überzeugt. Sie verflüssigten den Gallengrieß resp. verhüteten 
seine anfängliche Bildung in den Leberzellen. Ebenfalls legt Ehrmann 
großen Wert auf die Trinkkuren mit alkalisch-salinischen Mineralwässern. 
Hedinger glaubt, daß die Ringform der Steine nur durch Auflösung in¬ 
folge Einwirkung chemischer Substanzen zustande kommen könnte. 
Deshalb sei es möglich, die Cholelithiasis durch interne Mittel zu be¬ 
einflussen. Eine Lösung der Steine an Ort und Stelle sei zu versuchen. 
Das Agobilin soll nach M. Benins alles leisten, was man von einem inne¬ 
ren Mittel verlangen kann. Es sei ein wertvolles Unterstützungsmittel 
und frei von schädlichen Nebenwirkungen. Mit Cholaktol hat Schirmer 
ausgezeichnete Erfolge, Sonnenfel mit Felamin „Sandoz“. Gemmd rühmt 
die Darreichung des Degalol, welches nach 12 tägiger Kur eine Patientin 
von ihrem 20jährigen Gallensteinleiden durch Steinabtreibung geheilt 
haben soll. H. C. Kidd will eine Patientin mit Petersilienblättern geheilt 
haben. Die Kranke erhielt täglich */ 4 1 einer Aufschwemmung dieser 
Blatter. Glaser will mit Cholsanin eine einwandfreie Auflösung der 
Steine in der Blase beobachten, indem er sich auf Röntgenogramme bei 
einer Patientin stützt. Zwei Monate später muß Brun dieselbe Kranke 
wegen Cholecystitis operieren und fand die Gallenblase vollgepfropft 
mit Steinen, die der Form und der Zahl nach denen auf dem von Glaser 
aufgenommenem Röntgenogramm vor der Cholsaninkur entsprachen. 
Über die spontane Auflösung der Steine äußert sich Kleinschmidt (Heidel¬ 
berg). Diese führe nicht zur Heilung, sondern oft zur Kolik oder zur 
Vermehrung der Steine. Michaud als Internist stellt die Erfolge der 
Ölkuren, sowie die Kuren mit Karlsbader- und Vichywasser als pro¬ 
blematisch hin. Nach seiner Ansicht können zuweilen Steinbestand¬ 
teile in der Galle wieder aufgelöst und resorbiert werden. „Die 
Medikamente schaden zwar nicht, nützen aber auch nicht viel.“ 
John Berg regt an, besondere Aufmerksamkeit den Lebensgewohnheiten 
und Ernährungsweisen zu schenken, damit die träge Eröffnung der 


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432 


H. F. O. Haberland: 


Oddi sehen Schließmuskels, welche für Cholelithiasis disponiert, beseitigt 
werde. 

Das Einbringen von Magnesiumsulfat ins Duodenum nach Meitzer- 
Lyon ist nach Gäbe ein vorzügliches Mittel zur Behandlung der katarrhali¬ 
schen Gelbsucht. Von dieser ,.nicht chirurgischen Drainage der Gallen¬ 
wege“ sehen J. Meakins, Oleson und F. Smithies die besten Erfolge, des¬ 
gleichen Cheney, Crile, Lucas, W. Meyer, Simon, Stewart. Dovoden und 
Enfiedl beobachten sogar einen Steinabgang nach derartigen Duodenal¬ 
waschungen. Stewart injiziert 60—76 ccm einer 30proz. sterilen warmen 
Magnesiumsulfatlösung mit der Einhorn sehen Sonde in den Zwölffinger¬ 
darm. Diese Flüssigkeit wird nach Stewart sofort wieder abgelassen, der 
Vorgang eventuell wiederholt, oder es erfolgt eine Nachspülung mit schwa¬ 
cher Borsäurelösung resp. anderen Adstringentien. Von diesen „Duodenal» 
Waschungen“ ist Stewart begeistert, da sie die Diagnose sicherten, die 
Galle frei von Bakterien machten und bei katarrhalischem Ikterus die 
Krankheitsdauer um die Hälfte abkürzten. Die Anhänger dieses Ver¬ 
fahrens betonen, daß derartige, oft täglich wiederholten Waschungen die 
Patienten nicht belästige. Ich habe mir mehrmals die Duodenalsonde 
eingeführt und als gesunder Mensch diesen Eingriff als Schinderei emp¬ 
funden. Ferner sprechen die Untersuchungen von Hecht, Mantz und 
Wilensky nicht für eine klinische Brauchbarkeit der Duodenalwaschun¬ 
gen bei Gallenwegerkrankungen. 

Aus den in der Galle enthaltenen, mit der Duodenalsonde gewonnenen 
Bakterien stellen Bartle, EUison, Lanford und Lyon eine Vaccine her, 
welche sie subcutan injizieren. In dieser autogenen Vaccination erblicken 
sie einen bedeutenden Fortschritt bei der Therapie des Gallenblasen¬ 
leidens. Im Anschluß an eine Cholecystektomie entnimmt Gundermann 
aus der noch uneröffneten Gallenblase die Mikroben, stellt davon eine 
Vaccine her und verwendet dieselbe zur Nachbehandlung der Kranken 
mit zum Teil gutem Erfolge (s. später). 

Auf den Wert der Diathermie bei spastischen oder entzündlichen 
Affektionen der Gallenwege weist Aimard nachdrücklich hin. 

Die neu angegebenen Vorschläge in der internen Behandlung ver¬ 
mögen, gleich wie die alten, im günstigsten Falle für einige Zeit die 
Symptome zu beseitigen. Eine definitive Heilung wird aber nur in den 
seltensten Fällen erzielt. Nach Körtes Meinung kann selbst eine akute 
Cholecystitis nie völlig ausheilen. 

Die Internisten machen in letzter Zeit vorwiegend 3 Einwände 
gegen einen operativen Eingriff geltend: 1. die Gallenblase ist kein 
unwichtiges Organ, 2. die Gefahren, die jede Laparotomie mit sich 
bringt, 3. die zahlreichen Komplikationen und Rezidive nach Chole¬ 
cystektomie. 


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Cholelithiasis. 


433 


Porter verwirft die Ektomie, weil nach seiner Ansicht die Vesica 
fellea ein wichtiges Organ sei. Die Cholecystostomie sei das richtige 
Vorgehen. Experimentell zeigen P. Rom und Mc. Master , daß in der 
normalen Gallenblase eine starke und sehr rasche Konzentration der 
Galle stattfindet. Die Flüssigkeit würde absorbiert, aber nicht das Pig¬ 
ment. Der Funktionsausfall der herausgenommenen Gallenblase sei 
nach diesen amerikanischen Autoren nicht unwesentlich. Ähnliche 
Untersuchungen führten Harer, Hargis, Deaver, Meter und Reimann aus. 
Die Lymphgefäße der Gallenblase sollen die Galle eindicken und die 
überflüssige Flüssigkeit abtransportieren. Der Wert der Gallenkonzen¬ 
tration würde beim Fehlen der Gallenblase beeinträchtigt. Die Anschau¬ 
ung der Amerikaner Baseler und Lückert über die Funktion der Gallen¬ 
blase ist besonders hervorzuheben: Sie ist nicht nur ein Reservoir, son¬ 
dern soll den Druck in den Gallenwegen ausgleichen und das Pankreas 
schützen. Auch C. H. Mayo und Deaver betrachten die Gallenblase als 
Druckregulator. John Berg ist davon überzeugt, ,,daß die Gallenblase 
eine funktionelle Aufgabe hat, und zwar wahrscheinlich sowohl als 
contractiles Reservoir wie als sekretorisches Organ und als Regulator 
für den Gallenstrom“. 

Die meisten Autoren vertreten die Ansicht, daß die Ausschaltung 
der Gallenblase keinerlei schädlichen Einfluß ausübt. Rex hält die 
Gallenblase für einen modifizierten Gallengang, Ivar Broman für ein 
rudimentäres Organ, und zwar für eine rudimentäre Leberschlauchpartie. 
Viele Tiere besitzen keine Gallenblase, wie Beuteltiere, Ratte, Esel und 
Pferd. Auf eine Anfrage teilt mir Herr Geh.-Rat R. Wiedersheim mit, 
daß sich bei vielen Papageien, den Kuckucken, Tauben sowie auch bei 
den zwei- und dreizehigen Straußen keine Gallenblase bildet; ferner 
nicht bei den Cetaceen, den meisten Huftieren und einem Teile der Nager 
und Edentaten. Unter normalen Verhältnissen wird die Galle von der 
Leber ununterbrochen sezemiert, dagegen in den Darm periodisch 
entleert. Die Experimente Wesselkim zeigen, daß kein wesentlicher 
Unterschied im Rhythmus des Gallenabflusses vor und nach der Ekto¬ 
mie zu bemerken ist. Nach operativer Entfernung der Gallenblase ent¬ 
wickelt sich nach Rost in der ersten Zeit ein Zustand der Inkontinenz der 
Fa/erschen Papille. Bald stellen sich aber im Entleerungsmechanismus die 
früheren Zustände wieder ein. Die extrahepatischen Gallengänge, die bei¬ 
den D. hepatici und der D. choledochus erweitern sich kompensatorisch 
für die exstirpierte Gallenblase ( Homans und Wesselkin). Die Anschau¬ 
ungen, daß durch die Ektomie die sekretorische Magenfunktion herab¬ 
gesetzt werden könnte, widerlegt Boss. 

Die Gefahren,welche jede Laparotomie mit sich bringen kann, werden in 
der heutigen Zeit von den Internisten überschätzt. Bezüglich der Schmerz¬ 
betäubung verweise ich auf spätere Angaben (unter Operationstechnik). 

Archiv f. klln. Chirurgie. 125. 28 


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434 


H. F. 0. Haberlaml: 


Den postoperativen Komplikationen sind in den letzten 4 Jahren 
zahlreiche Arbeiten gewidmet. Die Reflexanurie, welche wir nie be¬ 
obachteten, entsteht nach E. Stähelin meist bei entzündlichen Er¬ 
krankungen der Gallenwege, insbesondere bei vorhandenem Ikterus, und 
wenn vor der Operation die Leber und Nierenfunktion geschädigt war. 
Falls eine Anurie eintritt, so empfiehlt Stähelin die Nierendekapsulation. 
Strauch weist besonders auf rechtsseitige Pleuritiden hin, die wir 7 mal 
zu behandeln hatten. Die Hypo- oder Achylia gastrica bleibt nach der 
Gallenblasenexstirpation noch eine Zeitlang bestehen, bessert sich dann 
aber rasch (Boss). Die großen Gallengänge erweitern sich kompensatorisch 
für die entfernte Gallenblase und können zu Schmerzrezidiven (s. unten) 
Anlaß geben. — Ein imangenehmes Ereignis ist die Bildung einer Gallen¬ 
fistel. Bei längerem Bestehen leidet die Ernährung erheblich. Die Pa¬ 
tienten kommen körperlich sehr herunter. Deshalb empfiehlt Jenkd, 
die abgeleitete Galle per Klysma in kleinen Dosen dem Kranken wieder 
zuzuführen. Die danach erzielten Resultate sollen gut sein. Gallenfisteln 
haben folgende Ursachen: 1. Abgleiten oder Durchschneiden der Cysticus- 
ligatur (s. später), 2. Undichtwerden der Hepaticusdrainage resp. der 
genähten Choledochuswunde nach der Choledochotomie, 3. während der 
Ektomie nicht bemerkte Nebenverletzung der Gallengänge, 4. zurück- 
gelassene Steine in den Gallengängen, 5. Strikturbildung im Chole- 
dochus. Bei 9 unserer Patienten bildete sich eine feine Gallenfistel, die 
nach kürzerer oder längerer Zeit versiegte. Nur 2 mal schlossen wir 
operativ dieselben erfolgreich, während Balfour und J. Ross in der 
Mayo sehen Klinik nach 166 Fisteloperationen 10% Mortalität sahen. 
Diese 166 Gallenfisteln entstanden bei 105 Kranken durch zurück¬ 
gelassene Steine in der Gallenblase oder den Gallengängen, 22 mal 
infolge rezidivierender Cholecystitis sowie 13 mal im Anschluß an eine 
Verletzung des D. choledochus und 11 mal durch Striktur der Gallen¬ 
gänge. Nach 5997 Cholecystektomien beobachteten Balfour und Ross 
nur einmal eine Gallenfistel, dagegen 11 mal nach 1879 Cholecystosto- 
mien. Deshalb soll grundsätzlich die Gallenblase entfernt werden. Die 
vielen Methoden zur spontanen Schließung der Gallenfisteln sind bekannt. 
Die Galle kann den richtigen Weg wiederfinden. Tamponade oder 
Einführen eines Holzstöpsels in den Fistelgang werden bevorzugt. Bei 
allen Gallenfisteln hat Gross durch 2—3 ständige Nahrungsaufnahme, 
ähnlich der Schonungsdiät des Magens, verblüffende Erfolge gehabt. Bei 
kompletter Fistel empfiehlt derselbe Autor die perduodenale Gummi¬ 
drainage des Hepaticusstumpfes. Von den zahlreichen, neu angegebenen 
Fisteloperationen ist diejenige von KümmeJl jun. bemerkenswert. Er 
vereinigt mit einem T-Rohre die Fistelhöhle mit dem Duodenum. 

Bei unseren 232 operierten Patienten traten folgende postoperative Kompli¬ 
kationen ein: Bronchitis 4, Pneumonie dextr. 1, doppelseitige Unterlappenpneu- 


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Cholelithiasis. 


4B5 


monie 2, Pleuritis exsudativa dextr. 7, Gallenfistel 9, Infektion der Bauchdecken¬ 
wunde und Fasciennekrose 7, Gallenfluß in die Bauchhöhle aus genähter Chole- 
dochuswunde 1 (operativ geheilt). Nach 10 Tagen eine Nachblutung aus dem Opera¬ 
tionsgebiet 1 (operativ geheilt), postoperativer Kollaps 1, Debilitas cordis 1, Sin- 
gultus 2 und endlich eine Sprachstörung (Hy ?), die nach einigen Tagen spontan 
zurückging. 

Die Infektionen der Bauchdeckenwunde waren bedingt durch in¬ 
fizierte Galle, welche neben dem Hepaticusdrain durch den eingelegten 
Vioformgazestreifen nach außen geleitet wurde. Auf das häufige Vor¬ 
kommen der Pleuritis dextr. nach Gallenwegsoperationen macht auch 
Strauch (s. oben) aufmerksam. Die Kombination des Magenileus, welche 
wir ganz vereinzelt nur angedeutet beobachteten, ist nach Bircher 
nicht selten. Die souveräne Behandlung besteht nach ihm in der Knie¬ 
ellenbogenlage und der Magensonde. — Todesfälle haben wir 36 zu be¬ 
klagen. Davon entfallen auf nicht Operierte 3 Patienten. Rechnen wir 
noch die wegen Ca. vesica (15), Lebersarkom (1), Lebercirrhose (1) Ver¬ 
storbenen ab, so haben wir 16 Exitus, d. h. eine Mortalität von 7,4% zu 
verzeichnen (vgl. unten). Die Todesursachen waren (außer Ca.): Herz¬ 
schwäche 2, Herzschwäche und braune Atrophie des Herzens 1, Herz¬ 
schwäche und cholangitische Leberabscesse 1, Embolie 1, Pneumonie 1, 
Bronchopneumonie und Gallenthromben in der Leber 1, Sepsis und Pye¬ 
litis 1, Ruhr 1, eitrige Peritonitis 1, Gallenperitonitis nach Gallenblasen¬ 
perforation 2, gallige Peritonitis, Galle neben dem Hepaticusdrain aus¬ 
geflossen, 1, gallige Peritonitis durch Einriß am Cysticusstumpf 1. Auf 
die einzelnen Lebensalter verteilten sich die gestorbenen Patienten wie 
folgt: 


Alter 

| Minner j 

Exitus 

Frauen 

Exitus 

Alter 

Minner 

Exitus 

Frauen 

Exitus 

0—») 

i ' 

i 

9 

_ 

46—50 

4 

_ 

21 

2 

21—25 

i- 

— 

30 

— 

51—55 

11 

3 

22 

10 

26—30 1 

3 | 

— 

35 

— 

56—60 

3 1 

2 

18 

3 

31—35 ; 

1 5 

1 

20 

! 1 

61—65 

5 

1 

6 : 

2 

36—40 i 

i 4 

— 

26 

1 

66—70 

2 

1 

7 

5 

41—45 

j 4 

— 

21 

1 

über70 

2 

1 

4 

1 


Der größte Prozentsatz war über 66 Jahre, das männliche Geschlecht 
war viel schlechter gestellt als das weibliche, nämlich von 53 Männern 
starben 10, dagegen von 226 Frauen 26. Hotz hat eine Gesamtmortalität 
von 10,7% nach seiner Sammelstatistik von 42 Schweizer Chirurgen aus 
dem Jahre 1921. Im entzündlichen Stadium gibt Hotz die Mortalität 
auf 21,4% an. Im akuten Stadium hat Körte nur 4% Mortalität, Gebr. 
Mayo bei der Frühoperation 1,47%, Wilensky 2—3%, Eiseleberg 5%, 
Stich 7,5%, Viecher 10%. Witzei hat bei einfacher Cholecystitis mit 
Steinen 0,2%, Borghi bei einfachen Operationen 2,3%, bei komplizierten 
Fällen 27,8%, Kleimchmidt bei rechtzeitig operierten Fällen 3,4%, bei 

28 * 


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436 


H. P. 0. Haberland: 


verschleppten 20,8%, Heidenhain bei „einfachen“ Fällen 1,5%, bei 
seinen anderen Patienten etwa 15% Sterblichkeit. Ooodunn 5,8%, 
Branon 7,8%, Balfour und Boss 10%, Hirn 10,5%, Moore 5%, John 
Hormans 5,4%, Jacobson 6,5%, Barling 6%, Kostic 3%. Letzterer 
Autor betont, daß diese Zahl geringer sei als diejenige seiner Append¬ 
ektomien (= 4 1 / 2 %). Crile verzeichnet eine Mortalität von 6,2%. 
Seitdem er aber nur Lokalanästhesie mit oberflächlicher Lachgas- 
Sauerstoffnarkose verwendet und großes Gewicht legt auf zarte Be¬ 
handlung der Eingeweide, Vermeidung jeglicher Abkühlung, Wärme¬ 
zufuhr, Bluttransfusion und tägliche Einverleibung von 3—41 Koch¬ 
salzlösung zur Herstellung des normalen Wassergleichgewichtes, so sei 
sein Prozentsatz auf 1,6% zurückgegangen. 

Von allgemeinem Interesse ist die große amerikanische Sammelstatistik 
F. L. Hoffmans. Die größten Sterblichkeitsziffem an Gallensteinen zeigen die 
Staaten Minnesota, Oregon und Utah mit 107,6, 96,3 und 95,8 Fällen, berechnet 
anf je 1 Milli on Einwohner. Die kleinsten Ziffern weisen Californien und Carolina 
auf mit 52,7 und 32,2 Fällen. Die Mortalität an Cholelithiasis ist bei den weißen 
Frauen am höchsten, am niedrigsten bei farbigen Männern. 

Von den europäischen Ländern hat England die höchste MortaLit&teziffer, 
nämlich 21,4, von den Städten Berlin 56,4 und Kopenhagen 49,9. In St. Johns 
(Neufundland) beträgt die Zahl nur 0,8. 

Diese in der neuesten Literatur angegebenen Mortalitätszahlen sind 
erschreckend hoch. Der Grund liegt darin, daß die Patienten uns 
Chirurgen viel zu spät geschickt werden. 

Von den in unserer Klinik operierten 232 Patienten hatten bereits 
78 mehr oder weniger schwere Verwachsungen mit der Umgebung 
(Netz, Magen, Duodenum, Kolon), Durchbruch ins Duodenum 1, Per¬ 
foration in die freie Bauchhöhle mit Peritonitis 2, Stein in die Leber per¬ 
foriert 1, Leberabsceß 2, Verlegung des Choledochus durch Drüsenpaket 1, 
Pankreatitis 3, Perihepatitis 1, Perigastritis 1, Gastroptose 5, Ulcus 
ventriculi 6, Ulcus duodeni 3, Ren mobilis 1, Diabetes 1 und endlich die 
hohe Zahl der Gallenweg-Ca. 19. Infolgedessen mußte 20 mal die Ektomie 
mit anderen Eingriffen kombiniert werden, nämlich Ektomie und Gastro¬ 
enterostomie 10, Ektomie und Gastropexie 4, Ektomie und Magen¬ 
resektion (Billroth II) 1, Ektomie und Fixation der Wanderniere I, 
Ektomie und Appendektomie 2 und 2mal die Kombination: Chole¬ 
cystektomie und Appendektomie und Gastropexie. Auf unsere 232 
Operationen fielen 182 Ektomien ohne, 40 Ektomien mit Hepaticus- 
drainage, 4 Ektomien mit Choledochotomie und Naht dieser Wunde, 
1 Ektomie mit Choledochoduodenostomie. Sigaud und Adams weisen 
auf die häufige Kombination von Cholecystitis calc. und Appendicitis 
hin. Deshalb solle man bei allen Gallenblasenoperationen den Wurm¬ 
fortsatz mit entfernen. Auch Oarrow und McOuire nehmen den Appen¬ 
dix mit fort. Hartmann und Petit-Dutaillis entfernen in 6% ihrer 


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Cholelithiasis. 


437 


Fälle gleichzeitig den miterkrankten Wurmfortsatz. Wir sahen die 
Komplikation nur 4 mal, können daher die operative Indikation dieser 
Autoren nicht teilen. Die Kombination Ulcus ventriculi resp. duodeni 
hatten wir nur 9 mal, während Kehr 10% angibt. 

Schieben wir die Operation der Cholelithiasis nicht zu lange heraus, 
so sind auch die Resultate ganz andere; so hatte Witzei bei der einfachen 
entzündeten steinhaltigen Gallenblase nur 0,2% Mortalität. 

Die so gefürchteten Rezidive entpuppen sich beim näheren Zusehen 
nur als Pseudorezidive. Es hat für die Praxis nichts zu sagen, daß es 
keine Steinkoliken sind. Der operierte Patient will von seinen Schmerzen 
definitiv befreit sein und keine postoperativen Schmerzen haben. 

Bei mehr als 50% der Cholecystektomierten soll nach Hinz die 
Hypochylie und Achylie als irreparable Begleiterscheinung bestehen 
bleiben. Dagegen spricht Simon dem Verhalten des Magensaftes einen 
'Rrnfl nß auf spätere Beschwerden nach der Gallenblasenexstirpation ab. 
Verdauungsstörungen, Schmerzen, besonders diarrhoische Zustände, 
weiteres Bestehenbleiben der Obstipation geben Hartmann und Petit- 
DviaiUis als Spätfolgen einer Cystektomie an. Die Rezidive nach 
Ektomie schätzt E. Lieck auf x / 3 — 1 / i der Operierten. Dagegen findet 
Simon von 140 nachuntersuchten Cholecystektomierten 124 beschwerde- 
frei. Die Statistik Ooodtoins ergibt bei 512 Fällen nach der Ektomie 
88% Heilung, 9% Besserung, 3% ungeheilt. Kleinschmidt stellt bei 
90%, Hartmann und Petit-Dutaillis bei 92% der Nachuntersuchten 
einen vollen Erfolg durch die Operation fest. 

Vor allem wird immer wieder auf die mit Recht so gefürchteten 
Adhäsionsbeschwerden hingewiesen. Insbesondere sind nach Körte 
Adhäsionskoliken zu berücksichtigen. Qlass lenkt die Aufmerksamkeit 
auf die pericholecystitischen Adhäsionsstenosen des Duodenums als 
Spätfolge einer Cholecystektomie. In neuester Zeit macht man die Ver¬ 
wachsungen weniger dafür verantwortlich und weist auf die bei der 
Operation übersehenen Magen- und Duodenalulcera hin, sowie auf das 
Carcinom, die Stenosierung des Choledochus durch vernarbendes Ge¬ 
schwür, die Pankreatitis oder zurückgelassene resp. sich neubildende 
Steine in den Gallengängen. Wir hatten 8 Rezidivoperationen wegen Ver¬ 
wachsungen (6), ferner anläßlich eines Choledochussteines, welcher bei 
der ersten Operation übersehen war (1), und wegen einer Gallenfistel 
(1). Davon wurden 6 geheilt. 1 Patient bekam wieder Adhäsions¬ 
beschwerden und 1 Kranker wurde nach Lösung der postoperativen Ver¬ 
wachsungen mit einer feinen Gallenfistel entlassen. Barling betont, daß 
die Entfernung der Gallenblase die Neubildung von Steinen im D. chole¬ 
dochus nicht verhüte. Anderseits befördere sie aber auch nicht eine 
derartige Neubildung. An seinem Material berechnet er 6% solcher. 


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438 


H. F. 0. Haberland: 


Rezidive. Poppert führt die nach Ektomie öfters auftretenden kolik¬ 
artigen Schmerzen nicht auf Adhäsionen zurück, sondern auf eine rezi¬ 
divierende katarrhalische Cholangitis. Die Behandlung sei nicht opera¬ 
tiv. Er verordnet Natr. salicyL und Trinkkuren mit Karlsbader Wasser. 
Die beste Prophylaxe gegen Rezidive bei Steineinklemmung in die Pa¬ 
pille erblickt Lorenz in seiner transduodenalen Choledochotomie. Stein- 
rezidive entstehen nach richtig ausgeführter Ektomie niemals ( Riegel , 
Voelcker). 

Weiterhin werden Strikturen des Choledochus nach der Unter¬ 
bindung des Cysticus dicht am D. communis von Liek für Rezidive ver¬ 
antwortlich gemacht. Simon beschuldigt Choledochusstenosen im An¬ 
schluß an die Hepaticusdrainage. Durch das weiterbestehende Vermögen 
der Sphincterfunktion, periodisch einen Überdruck aufrechtzuerhalten, 
erklärt sich John Berg die sog. falschen Rezidive nach der Ektomie. 
Treplin glaubt, daß die Ätiologie der nach Cholecystektomie öfters auf¬ 
tretenden kolikähnlichen Schmerzen in der Dehnung des Choledochus 
zu suchen sei. Sie sei bedingt durch die Aufspeicherung der Galle in den 
Gallenwegen. 

Der Cysticusstumpf kann durch passive Dehnung (gestaute Galle) 
ein sackförmiges Gallenreceptaculum werden. Walzel führt Rezidiv¬ 
beschwerden von kolikartigem Charakter mitunter auf diese Stumpf¬ 
erweiterung zurück. Strauch hält in der Mehrzahl der Fälle die nach 
Ektomie auftretenden kolikartigen Schmerzen nicht für Adhäsions¬ 
beschwerden, sondern für nervöse Krampf zustande des Magens bzw. 
Duodenums. 

Aus allem geht hervor: Je früher ektomiert wird, desto seltener stellen 
sich Rezidive ein. 

Obgleich Frangenheim ein Anhänger der operativen Behandlung ist, 
so kamen von 279 Gallensteinleidenden nur 232 zur Operation. Die 
andern 47 wurden intern behandelt, weil eine dringende Indikation zum 
Eingriff nicht vorlag oder derselbe aus anderen Gründen (s. später) auf¬ 
geschoben wurde. 

Indikation zur Operation. 

Die neuesten Veröffentlichungen von interner Seite zeigen, daß der 
operative Eingriff immer mehr Anhänger gewinnt. Die Indikations- 
Stellung wird erweitert. Strauch betont, daß Herzsymptome, Puls- 
unregelmäßigkeiten, Kurzatmigkeit als Folgen einer toxischen Herz¬ 
muskelschädigung durch die Cholecystektomie oft beseitigt wurden. 
Beim Unterlassen des operativen Eingriffes kann akute und chronische 
Pankreatitis entstehen. Fowler, Sigaud u. a. wünschen bei jeder Chole¬ 
cystitis chirurgisches Eingreifen wegen der Gefahr der Steinbildung. 
Sobald Koliken und Entzündungserscheinungen häufiger auftreten, rät 
Uffreduzzi zur Frühoperation. Denn beim längeren Zuwarten können die 




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Cholelittiiasis. 


439 


Steinabwanderung in den Choledochus, Infektion der intrahepatischen 
Gallenwege, Dannverschluß durch Gallensteine, Perforationsperitonitis 
und krebsige Entartung der Gallenblase eintreten. Nach Ansicht De- 
nekes ist es die Aufgabe des inneren Klinikers, „den modernen Chi¬ 
rurgen bei seinem Bestreben, die Gallenblasenleiden früh zu operieren, 
um ein Ubergreifen der Krankheit auf die tiefen Gallenwege zu ver¬ 
hüten, nachdrücklich zu unterstützen“. 

Als Indikationen zum chirurgischen Eingriff nennt der Internist 
Michaud (1921) 1. die sehr virulenten Infektionen der Gallenblase 
und Gallenwege; 2. das akute und das chronische Empyem; 3. Gallen¬ 
stauung, durch Steine erzeugt, und Steine, die zur Bildung einer Fistel 
zum Darm hingeführt haben; 4. länger anhaltende, schmerzhafte Ver¬ 
größerung der Gallenblase bei chronischem Ikterus (länger als 6 Wochen) 
sowie Schüttelfröste. 

Wir müssen die Indikationen noch ergänzen. Alle Gesichtspunkte, 
welche 1918 Kirschner mit größter Prägnanz für eine Operation auf¬ 
stellte, haben auch jetzt noch ihre Gültigkeit. Die Gallenblase ist vor¬ 
wiegend die Bildungsstätte der Steine, sie ist ein Infektionsherd und zieht 
andere Organe in Mitleidenschaft, wie ich oben beschrieb. Choledochus- 
verschluß durch eingeklemmten Stein, Infektion des Pankreas und der 
intrahepatischen Gallenwege, Obturationsileus durch größere Steine, 
Gallenblasenperforation u. a. Gefahren bilden genügend Anlaß, den 
Schädling radikal zu entfernen. Bei ausgedehnten Verwachsungen kann 
die Magen- und Duodenalentleerung behindert sein. Besonders weist 
Frangenheim in Übereinstimmung mit Uffreduzzi, Voelclcer und Zoepffel 
darauf hin, daß soziale Momente oft bestimmend für einen Eingriff 
sind. Endlich die vielen unsicheren Diagnosen und Fehldiagnosen, 
welche dem geschultesten Arzte trotz eines Röntgenbildes unterlaufen. 
Prophylaktisch sollte bei der Cholelithiasis die Ektomie ausgeführt wer¬ 
den wegen der Gefahr der krebsigen Entartung. Von unseren 232 ope¬ 
rierten Fällen hatten 22 Patienten Careinom der Gallenwege, d. h. fast 
10%; Uffreduzzi gibt 8% an. Die Kümmellsehe Klinik (zit. nach Brütt) 
hatte unter 730 Fällen 64 mal Krebs, von denen nur etwa 1 / 3 radikal ope¬ 
riert werden konnten. 

In letzter Zeit ist von neuem darüber gestritten worden, ob zwischen den 
Gallensteinen und der Krebsbildung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. 
Aldor zeigt durch statistische Erhebungen, daß kein Zusammenhang zwischen Carci- 
nom und Steinen anzunehmen sei. Die Steine seien ein zufälliger Befund. Auch 
Magoun und Renshaw halten es für fraglich, ob bei Gallenblasenoarcinom die 
Steine primär oder sekundär entstanden sind. Denn nur in 69% ihrer Fälle 
waren Steine bei Gallenwegscarcinom vorhanden. Nach ihren Erfahrungen er¬ 
kranken vorwiegend Frauen an GällenwegBcarcinom-Metastasen 4:1. Pallin 
findet in nur 26% der Careinomfälle Gallensteine. Mit Vorbehalt glaubt John Berg, 
„daß nicht die Gallensteine, sondern die jahrelang andauernde (von ihm benannte) 
Mucostase mit ihrem Einfluß auf die Biologie des Schleimhautepithels es ist, die 


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440 


H. F. 0. Haberland: 


in einer Reihe von Fällen zum Cancer prädisponieren kann“. Diesen Behaup¬ 
tungen tritt Marchani mit aller Schärfe entgegen. G. Hotz unterstreicht, daß 
nach den Baseler Erhebungen der Krebs sich vorzugsweise auf dem Boden des 
chronischen Steinleidens bilde. Die Angaben Pollels, daß der Gallenblasenkrebe 
vorwiegend das weibliche Geschlecht im mittleren Alter befalle, können wir durch 
unser Material nicht stützen. Wegen der auffallenden Häufigkeit des Carcinoma 
stimmen wir mit Paulet darin überein, daß die Vesica fellea prophylaktisch zu ent¬ 
fernen ist. 

Von primären Gallenblasens&rkomen sammelt RoUestone 14, Oold- 
stein 16 Fälle aus der Weltliteratur. 

Für die Ektomie treten die meisten Chirurgen ein. 37 Operateure 
nehmen dazu in den letzten Jahren ausführliche Stellung. Einige be¬ 
merkenswerte Angaben seien herausgegriffen, da es auch Kontraindi¬ 
kationen für eine Cholecystektomie gibt. Bei schlechtem Allgemeinzu¬ 
stand begnügt sich Brooks stets mit der Cholecystostomie. In Aus¬ 
nahmefällen, besonders bei alten Patienten, begnügen sich KümmeU, 
W. Müller, Schoenaker sowie Viecher mit der Cholecystotomie und Stein¬ 
extraktion. Die gleichen Gesichtspunkte veranlaßten uns, dreimal diese 
Notoperation auszuführen. Bei schwerem Anfalle mit ungünstigen Um¬ 
ständen muß auf dem schnellsten Wege das Hindernis beseitigt werden. 
Dies geschieht nach Hotz durch die Cystostomie, welche er in den schwe¬ 
ren Fällen zu den dankbarsten Operationen rechnet. CipoUino und 
Oelpke führen die Cholecystektomie nur aus, wenn die Gallenblase tief¬ 
greifende anato m ische Veränderungen infolge von Infektionen, Steinen 
oder Tumorbildung zeigt. Nach unserer Auffassung bedeutet dies einen 
Rückschritt. Aus der Monographie CipoUinoe entnehme ich, daß zurzeit 
in Italien die Cholecystostomie sehr häufig geübt wird. Die primäre 
Ektomie verwirft Crile. Zunächst eröffnet er den Choledochus, entfernt 
die Steine und führt die Hepaticusdrainage aus. Wenn die Gallenblase 
vergrößert ist, so indiziert er dieselbe ein wenig und drainiert sie. 
Als einen Irrweg halte ich Martins Vorgehen: Eröffnung der Gallen¬ 
blase bis zum Cysticus, Abkratzen der Schleimhaut, Jodierung und Tam¬ 
ponade, damit eine Verklebung mit dem Netz und Kolon entsteht. Die 
Vesica fellea muß auf diese Weise veröden. — Daß die Dauererfolge bei 
den Cystektomierten bedeutend besser sind als bei den Cystoetomierten, 
zeigt die neueste Statistik von Viecher. Ooodunn führt 30 Rezidiv¬ 
operationen aus, unter denen 23 Patienten vorher mit Cholecystostomie 
behandelt waren. Grundsätzlich soll die Gallenblase nach Balfour und 
Ross entfernt werden wegen der Gefahr der postoperativen Gallen¬ 
fisteln. Adams macht mit der Cholecystostomie die schlechtesten Er¬ 
fahrungen. Alle Patienten mußten später ektomiert werden. Wir haben 
zahlreiche Fälle operiert, bei denen der Verschlußstein bei einer Chole- 
eystostomie technisch nicht hätte entfernt werden können. Denn oft¬ 
mals hat sich eine Schleimhautfalte über ihn gelegt oder er sitzt so ver- 


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Cholelithiasis. 


441 


steckt, daß ihm mit einer Cystostomie nicht beizukommen ist. Während 
wir die Cholecystotomie ablehnen, empfehlen Bryan und Willis dieselbe. 
Sogar bei Ruptur der Gallenblase wäre die Endyse das Richtige. Willis 
lobt die „ideale“ Cystotomie als explorativen Eingriff. Wir dagegen 
explorieren nicht, sondern exstirpieren. 

Über den Zeitpunkt der Operation hat man sich noch nicht einigen 
können. Heidenhain hält den Eingriff im akuten Anfalle für nicht ge¬ 
fährlicher als im Intervall. Für die Frühoperation setzen sich in der 
letzten Zeit ein: Bircher, Bier, Bryan, CipoUino, Culcor, Fowler, Hinz, 
Horsley, Hotz, Lembo, Sloan, C. H. Mayo (bedingt), Nordmann, Sandor, 
Uffredvzzi, Vidakovits, Wilensky, Zoepffel u. a. Am weitesten geht wohl 
CipoUino, welcher bei jeder Diagnose Cholelithiasis sofort operiert. 
Zum sofortigen Eingriff entschließt sich Zoepffel bei Bauchdeckenspan¬ 
nung. Bei schwerer akuter Cholecystitis, Absceß, Perforation, Stein¬ 
verschluß muß nach Körte sofort operiert werden. Von den meisten 
deutschen Chirurgen wird der Ansicht Kirschners beigepflichtet, daß eine 
absolute Indikation zur sofortigen Operation gegeben ist, wenn Anzeichen 
akuter Lebensgefahr, wie Übergreifen des infektiösen Prozesses auf das 
Peritoneum und die Gefahr einer allgemeinen Infektion vorhanden sind. 
Hotz tritt für frühzeitiges Operieren ein, damit das Herz, die Lunge, 
Nieren und Leber nicht zu schwer verändert werden. Die Pathogenese 
und Indikationsstellung zur Operation am Appendix stellt Zoepffel 
auf die gleiche Stufe mit der Gallenblasenoperation. Dagegen betont 
Voelcker mit Recht, daß der grundsätzliche Standpunkt der Früh¬ 
operation bei Appendicitis sich bei der Cholecystitis nicht mit derselben 
Logik vertreten lasse. Gleichwie Mayo warten wir bei akuten Anfällen, 
einhergehend mit Ikterus, bis der Anfalle vorübergegangen ist. Wir ver¬ 
ordnen beim akuten Anfalle strenge Bettruhe, legen eine Eisblase auf die 
Gallenblasengegend, lassen den Patienten Diät einhalten und Karlsbader 
Wasser trinken. Wenn die Schmerzhaftigkeit geschwunden ist und kein 
Fieber mehr besteht, so applizieren wir einen Thermophor. Erst nach 
dem Verschwinden der Gelbsucht, im Intervall und nach mehrtägiger 
Zufuhr von Calzan per os pflegen wir zu operieren. Von unseren 232 Ope¬ 
rationen sind nur 43 im akuten Stadium ausgeführt worden. Dabei 
hatten wir 5 Todesfälle, d. h. also über 10%. Wir stimmen mit Pauchet 
überein, der den Satz aufstellt: Eine Operation hei Gattensteinkranlcen 
ohne Ikterus ist so gut une gefahrlos. Gelbsucht bei Operationen ist pro¬ 
gnostisch ungünstig und die Blutungsgefahr bei bestehendem Ikterus ist 
während und nach der Operation außerordentlich groß. Walters’ Statistik 
aus der Mayo sehen Klinik zeigt 50% Exitus bei ikterisch operierten 
Patienten, bedingt durch intraabdominale Blutung. Die Nachblutung 
entsteht aus den verletzten Organflächen. Wir hatten 10 Patienten mit 


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442 


H. F. O. Haberland: 


schwerem Ikterus (4 Exitus), 9 Patienten mit mittelschwerem (3), 
28 Patienten mit leichtem (1) operiert. Beim akuten Anfalle und Ikterus 
verhalten wir uns sehr zurückhaltend. 6 mal mußten wir eingreifen 
(1 Exitus). Zur Vermeidung cholämischer Blutungen, welche wir nie¬ 
mals beobachteten, werden empfohlen: Instillationen, Chlorcalcium, Ge¬ 
latineinjektionen, Kochsalz löffelweise essen, Milz- und Leberbestrahlung 
sowie ändere hämostatische Mittel. Nach Walters haben wir mit ihr zu 
rechnen, wenn das entnommene Blut später als 9 Minuten koaguliert. 
Qraham gibt 12 Minuten an. In der Jfayosehen Klinik erhalten die ikteri- 
schen Patienten 3 Tage vor der Operation täglich eine intravenöse 
Injektion von 5 ccm einer lOproz. Calciumchloridlösung. Diese Ein¬ 
spritzung soll zugleich eine gewisse Entgiftung der Kranken bewirken. 
Bei ikterischen Patienten raten Crile und Qraham vor und nach dem 
Eingriffe zur Bluttransfusion und Kochsalzinfusion. Bei Gelbsucht be¬ 
fürwortet Fauchet zunächst das Anlegen einer Gallenblasenfistel analog 
einem Anus praeter naturalis im Stadium des Ileus oder z. B. analog 
einer Blasenfistel im Retentionsstadium eines Prostatikers. Diese „Vor¬ 
operation“ soll in Lokalanästhesie ausgeführt werden. In der Maya 
sehen Klinik verfährt man in solchen Fällen ebenso und exstirpiert 
die Vesica fellea in einer zweiten Sitzung. Die zweizeitige Ektomie 
üben gleichfalls James Sherren und Orant. Wenn in der Gravidität ein 
Eingriff an der Gallenblase notwendig erscheint, so wählt Laurentie 
als Methode der Wahl die Cholecystostomie im Interesse des Foetus. 
Nach der Geburt wird die Ektomie angeschlossen. 

Wegen der Gefahr einer Reflexanurie soll man vor der Operation 
nach Stähelin eine Funktionsprüfung der Leber und Niere vornehmen. 
Leber: Campher-Glykuronsäureprobe, Probe auf Urobilin, Belastung mit 
Lävulose und Galaktose. Niere: Wasserversuch, Jod- und Milchzucker¬ 
probe. 

Operationstechnik . 

Als Betäubungsmittel wählten wir stets die Äther-Sauerstoffnarkose 
(Apparat Roth-Draeger). Chloroform schädigt bereits in kleinen Mengen 
die Leberzellen, welche vor dem Eingriffe durch die Affektion der Gallen¬ 
wege schon in Mitleidenschaft gezogen waren. Mit Trichlormetan würde 
eine Schädigung auf die andere aufgepflanzt werden. Um diese zu 
vermeiden, wenden Crile, Goodwin und Sloan eine oberflächliche Lachgas- 
Sauerstoffnarkose oder Lokalanästhesie an resp. beides kombiniert. Nur 
Lokalanästhesie mit Morphium-Cocain empfiehlt Mastrosimone. Da¬ 
gegen warnt Crile vor Morphiumdarreichung, welches die Leberfunktion 
beeinträchtigen soll. 

Über die Schnittführung ist viel geschrieben. Wir bedienen uns stets 
des ÄeAr sehen Wellenschnittes. 19 mal eröffneten wir das Abdomen mit 


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Cholelithiasis. 


443 


einem Medianschnitt oberhalb des Nabels, da wir zunächst eine Magen¬ 
affektion vermuteten. Während Witzel Wert darauf legt, daß der senk¬ 
recht zum Medianschnitt gelegte Bauchschnitt in eine Inscriptio tendinea 
fällt, haben wir keinerlei Nachteile gesehen, wenn die Bektusmuskulatur 
quer durchtrennt wird. Eine sorgfältige Etagennaht verhütet eine 
spätere Heroienbildung bei aseptischer Wundheilung. Nach Melchiors 
Darlegungen nimmt der intraabdominale Druck in den oberen Bauch¬ 
partien so ab, daß ein postoperativer Bauchbruch imwahrscheinlich ist. 
Nur in einem Falle hatten wir eine Hernie nach dem Kehrsohen Schnitt 
in einer Nachoperation zu beseitigen. Die Wunde war jedoch durch 
eitrige Galle infiziert worden. 

Die Technik der Gaüenblasenexstir'pation, wie sie an unserer Klinik 
geübt wird, habe ich in meiner Operationslehre beschrieben. Wenn es 
technisch möglich ist, so geben wir in letzter Zeit der subserösen Aus¬ 
schälung nach Witzel den Vorzug. Nebenverletzungen sind dabei so gut 
wie ausgeschlossen. Die am Gallenblasenbett oberflächlich gelegenen 
intrahepatischen Lebergänge werden dabei nicht eröffnet. (Das geschieht 
leicht bei der von uns früher geübten retrograden Exstirpation mit dem 
Paquelin.) Galle, Lymphe, Serum und Blut sickern nach der Blasen¬ 
ausschälung nur in geringer Menge ins Wundbett. Der auf das Wund¬ 
bett zurückgelegte Peritonealüberzug der Vesica fellea befördert die 
Gerinnung. Durch die Peritonealisierung des gesamten Operations¬ 
feldes ist eine Drainage imnötig. Aber diese subseröse Ausschälung 
gelingt nur in nicht komplizierten Fällen. 

Während Peitmann die Art. cystica präparatorisch freilegt, um sie 
isoliert unterbinden zu können, sehen wir von dem systematischen Auf¬ 
suchen der Art. cystica vor der eigentlichen Ektomie ab. Es verzögert 
die Operation unnötig durch die zahlreichen und häufigen Anomalien des 
Gefäßverlaufes im Gebiete der Gallenwege ( Eisendraht ). 

Auf die Versorgung des Cysticusstumpfes wird in letzter Zeit besondere 
Sorgfalt verwendet. Wir ligieren denselben zweimal und erlebten bei 
den Ektomien nur 3 mal ein Undichtwerden des Verschlusses. Enderlen 
beobachtet dies öfters. In der Qarri sehen Klinik wird der Cysticus 
isoliert und mit einem Seidenfaden abgebunden. Sodann durchsticht 
Qarri mit einem zweiten Seidenfaden und extraperitonealisiert. Nur 
in 1 % seiner Fälle rutschte die Naht ab. Durch sofortige Laparotomie 
wurde Heilung erzielt. Cignozzi hat in 30% seiner Fälle trotz doppelter 
Unterbindung des Cysticusstumpfes Gallenfisteln zu behandeln. Auch 
CipoUino erachtet die Gefahr des Abgleitens der Ligatur sehr groß. 
Für die Sprengung des Verschlusses soll der hohe Gallendruck im 
Cysticusstumpf verantwortlich gemacht werden. Die Behauptung 
Richters, daß der Gallendruck im Cysticusstumpf wesentlich schwächer 


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H. F. 0. Haberland: 


sei als derjenige in einer sehr kleinen Arterie, bedarf noch des Beweises. 
Damit nicht irgendein Fremdkörper die auslösende Ursache des Undicht¬ 
werdens abgebe, ligiert Richter den Cysticusstumpf mit feinstem Cat¬ 
gut, welches schnell resorbiert wird. Wir dagegen wählen je einen 
kräftigen Catgut- und Seidenfaden. Bei schwierigeren Operationen soll 
man ohne Bedenken die Abtrennung der Gallenblase im Blasenhalse 
oder mitten im Cysticus vornehmen. Kehr und Crüe befürchten zwar 
eine Neubildung der Vesica fellea. Die Untersuchungen Spechts und 
Walzeis beweisen, daß es keine Gallenblasenregeneration gibt. Es findet 
höchstens eine Dehnung der Wand der Gallengänge resp. des Cysticus- 
stumpfes statt. Bei 54 Relaparotomierten nach Ektomie sieht Specht 
3 mal einen erweiterten Cysticusstumpf, bei 33 Rezidivoperationen nach 
Cystostomie nur 2 mal eine Erweiterung des Cysticus. Anhaltspunkte 
liegen nicht dafür vor, ob dieses Receptaculum eine Stätte für neue 
Steinbildung abgibt. Zur Deckung des Cysticusstumpf es wird empfohlen: 
Peritonealisieren mit einem Netzzipfel oder Verwendung das Lig. hepato- 
duodenale. Burchhardt, Körte und Plenz verwenden zur Deckung das 
Lig. teres. Den Cysticusstumpf in eine Falte des anliegenden Duodenums 
zu versenken, wie es in 15 Fällen Belzinger tat, erscheint mir nicht zweck¬ 
mäßig (Darmperistaltik!). Das Decken resp. Peritonealisieren des 
Cysticusstumpfes hält Richter für unnötig. Buchbinder warnt direkt 
vor der Peritonealisierung des Leberbettes, weil damit eine Infektion in 
das retroperitoneale Gewebe gepreßt werden könnte. Die ganze Frage 
der Cysticusstumpf-Versorgung wird durch die neueste Arbeit Hofmanns 
kaum in andere Bahnen geleitet. Dieser Autor weist nach, daß der 
nachträgliche Gallenfluß nicht durch ein Abgleiten der Unterbindungs- 
fäden zustande kommt, sondern die unterbundene Wandstelle des D. 
cystic. wird nekrotisch, und Galle tritt heraus. Deshalb sei jede Ligatur 
am Cysticusstumpf von Nachteil. Hof mann glaubt das Verschlußproblem 
zu lösen, indem er aus dem D. cystic. einen Knoten bildet. Zweifellos 
ist dies das Ideal verfahren. Technisch läßt es sich in den meisten 
Fällen, besonders bei kurzem, dickem D. cysticus, nicht ausführen. 
Vielleicht haben wir deshalb mit der Ligatur so wenig Zwischenfälle 
erlebt, weil wir kräftige Fäden verwenden, welche zartes Gewebe nicht 
durchschneiden. Außerdem ist zu bedenken, daß am 3. Tage bereits 
die Wunde des Cysticusstumpfes fest verklebt sein soll. 

Drainage und Tamponade. Bei den meisten Patienten legen wir 
einen feinen Vioformgazestreifen auf den Cysticusstumpf und das Leber¬ 
bett. Gazetamponade saugt besser als ein Drain. Sie bildet ein Sicher¬ 
heitsventil, welches wir schon am zweiten Tage entfernen, wenn bis 
dahin alles normal verläuft. Nachteile haben wir mit diesem Vorgehen 
niemals beobachtet. Buchbinder verwirft diese Drainage, weil sie 


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Cholelithiasis. 


445 


Schmerzen, Übelsein und peritoneale Heizung auslösen sollen. Die 
Diskussion, ob nach Gallenwegoperationen drainiert resp. tamponiert 
werden soll, ist zur Zeit in vollem Fluß. Ausgesprochene Gegner des 
primären Bauchdeckenschlusses sind: Crüe, Fink-Finkenheim, Franke, 
HoUenbach, de Quervain, König, Körte, Linnartz, Orth, Schloffer, 
Wilenaky u. a. Frangenheim entscheidet von Fall zu Fall. Es herrscht 
fernerhin keine Übereinstimmung, ob Tamponade oder Drainage. Außer 
in unserer Klinik wird anscheinend nur noch von König stets ein 
schmaler Tamponadestreifen gewählt. Tamponade und Drainage wählen 
CipoUino, Eiseisberg, Hintz, Hotz, Schmieden u. a. Heide bedient sich 
eines kleinen Mikuliczbeuteh. In diesen legt er noch ein dünnes 
Gummidrain. Beides entfernt er nach Lockerung mit Hjöa am 6. Tage, 
während die meisten Chirurgen am 2. und 3. Tage die Drainage fortlassen. 
Nur ein Drain verwenden Baumann, Bloodgood, Bonn, Crile, Cignozzi, 
Finsterer, F. Franke, Ooodwin, HoUenbach, Kehr, Körte, Liek, Marquardt, 
W. Meyer, Orth, Papin, de Quervain, Wilensky. C. H. Mayo übt Faden¬ 
drainage mit mehreren Catgutfäden bei festverschlossener Bauchwunde 
aus, O’Conor mit Silkwomsträhnen. Harting gibt der Tamponade mit 
Silbergaze den Vorzug. Zigarettendrains empfehlen Branham und Yates. 

Fast alle Operateure sind zu dieser Vorsichtsmaßregel gekommen 
durch die Gefahr des Abgleitens bzw. Durchschneidens der Cysticus- 
ligatur (vgl. oben). Enderlen sah mehrmals nach dem Abbinden des 
Cysticus ein Undichtwerden des Verschlusses. Wir hatten uns zweimal 
mit diesem gefährlichen Ereignis zu beschäftigen, obgleich wir stets 
doppelt ligieren. Es ist aber nicht mit Sicherheit gesagt, daß der 
Gallenfluß aus dem Cysticusstumpf kommt. Walzd und Wiesentreu 
betonen, daß die aus drainierten Wunden abfließende Galle sicherlich 
häufiger aus dem Leberbett stamme. Nach unseren Erfahrungen kommt 
die in den beiden ersten Tagen durch den Gazestreifen abgesaugte Galle 
aus dem Leberbett. Erst wenn später Galle im Verbände erscheint, 
ist der Cysticusstumpf undicht geworden. Dagegen hält Buchbinder 
einen Gallenfluß oder eine Blutung aus dem Leberbette der Gallenblase 
für sehr selten. Einen weiteren Grund zur Tamponade bilden die in¬ 
fektiösen Prozesse der Gallenwege. Jedoch ist man in letzter Zeit kühner 
geworden und schließt trotzdem primär die Bauchwunde. 


Ideale Cholecystektomie. Die ideale Cholecystektomie, unter der wir 
die Gallenblasenentfemung mit sofortigem vollständigen Bauchdecken¬ 
verschluß verstehen, befürwortet besonders v. Haberer. Nach Schulz 
ist die Bezeichnung falsch. Denn man spricht auch nicht von idealer 
Appendektomie, wenn nach der Entfernung des Wurmfortsatzes die 
Bauchwunde drainagelos geschlossen wird. Als ihre begeisterten An- 


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II. P. 0. Haberland : 


hänger sind zu nennen: Bier, Belzinger, Heller, Ritter, Schulz, Vorschub 
u. a. Erst in den letzten Jahren haben sich in Amerika Boüomley, Buch¬ 
binder, C. H. Mayo, Richter, Willis u. a. zum primären Bauchdecken* 
Schluß nach Ektomie bekannt. Bier, Belzinger und Höherer scheuen sich 
nicht davor, bei schwer entzündeter Gallenblase oder selbst beim Empyem 
derselben den drainagelosen Bauchdeckenverschluß auszuführen. Sogar 
das Ausfließen von Galle und Eiter während der Operation bedeutet 
für Bier keine Gegenanzeige. Gegenindikation bilden in der Bier sehen 
Klinik nur grießförmige Konkremente im Choledochus und schwammiger 
Katarrh der Choledochusschleimhaut. Bei entzündlich infektiösen Ver¬ 
änderungen der tiefen Gallenwege mit und ohne Steine, bei schweren 
entzündlichen Veränderungen in der Umgebung der Blase oder in der 
Leber (Phlegmone, Absceß usw.) pflegt Höherer zu drainieren. Während 
Bier bei einer genähten Choledochus wunde nicht drainiert, legen 
Frangenheim, Höherer und Payr dabei größtes Gewicht auf Drainage. 
Einmal erlebten wir eine Gallenperitonitis nach sorgfältiger Chole- 
dochusnaht und drainagelosem Verschluß. Aus den feinsten Stich¬ 
kanälchen in der Choledochuswand kann sich Galle ergießen. Payr hält 
nur 10% aller Fälle geeignet für die „ideale Cholecystektomie“. Er 
wendet sie an 1. bei der subserösen Ausschälung der Gallenblase, 2. beim 
Fehlen der Infektion der tiefen Gallengänge, 3. bei Beschränkung der 
Steinbildung auf die Vesica. Vorschub schließt die Bauchhöhle primär 
in 19%, Heller in 37%, v. Höherer in 40%, Schulz in 60%, Belzinger 
in 71%, Richter in 88% (zitiert nach Heller). Nur bei infizierten Gallen¬ 
gängen drainiert Bircher. Dagegen tamponiert und drainiert Schmieden 
in den meisten Fällen wegen der Gefahr der vorhandenen oder ruhenden 
Infektion einer Gallenblase. Schevmann schließt die Bauchhöhle nur bei 
unveränderter Blase mit wenigen Steinen. Weil Fink-Finkenheim regel¬ 
mäßig innerhalb der ersten 10—14 Tage Choledochusspülungen aus¬ 
führt, so ist für ihn der primäre Verschluß der Bauchhöhle ein Nonsens. 

Die Drainage resp. Tamponade wird deshalb verworfen, weil sie An¬ 
laß zu Adhäsionsbildungen geben soll. Demgegenüber schildert Hartung 
schwerste Verwachsungen nach Ektomie ohne Drainage. König sieht 
keinerlei Vorteile von der idealen Cholecystektomie. 

Die Meinungen über die Choledochotomie mit nachfolgender BeAr scher 
Hepaticusdrainage sind sehr geteilt. Bei Cholangitis, Choledochussteinen 
resp. Grieß in den Gallenwegen, Zuschwellung der Foferschen Papille 
oder Verdickung des Pankreaskopfes schlitzen wir den D. choledochus 
und verfahren genau wie Kehr. Wenn man bedenkt, daß Eisendraht 
in 20% seiner Fälle latente Choledochussteine hatte, die in fast der 
Hälfte dieser Fälle auch bei der Operation nicht zu fühlen, sondern nur 
zu sondieren waren, so soll für die Choledochotomie die Indikation nicht 
zu eng gestellt werden. So wählt sie z. B. Anschüb bei der Pankreatitis 


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Cholelithiasis. 


447 


chron. mit Tumorbildung. Regelmäßig führen wir die Hepaticusdrainage 
nach der Eröffnung des D. communis aus. In 4 Fällen, wo der Chole- 
dochus sofort wieder durch Naht verschlossen wurde, stellten sich 
zweimal erhebliche Störungen trotz Einlegen eines Gazestreifens ein. 
Das eine Mal bildete sich eine schwer zu schließende Gallenfistel. Im 
2. Falle trat am 2. Tage Gallenfluß in die Bauchhöhle ein. Nur durch 
sofortige Nachoperation konnte die Patientin gerettet werden. Dagegen 
haben wir nach 43 Choledochotomien mit anschließender Hepaticus¬ 
drainage nur gute Erfolge gehabt. Das T-Rohr verwerfen wir allerdings, 
ebenfalls Hotz und de Quervain. Seine Entfernung reißt eine neue 
Wunde in den D. communis. Nur das bekannte einfache Hepaticus- 
gummidrain führen wir von der Choledochuswunde aus nach oben in den 
Hepaticus bis zu seiner Markierung ein, befestigen das Rohr mit 2 Cat¬ 
gutknopfnähten, verschließen die Incisionsstelle wasserdicht und legen 
an das Gummirohr noch einen kleinen Gazestreifen, der gleichzeitig den 
Cy8ticusstumpf und das Leberbett deckt. Stets entfernt Frangenheim 
im Anschluß an die Hepaticusdrainage die Vesica fellea. Hotz und 
Heid führen das Drain vom Cysticus ein. Letzterer bezeichnet dies Vor¬ 
gehen als Cystico-Choledochostomie. Narbenstenosen des Choledochus 
kommen dabei in Fortfall. Das Verfahren ist meines Erachtens das 
richtigere. Aber es ist in den meisten Fällen nicht ausführbar (enger 
oder verlagerter Cysticus). Strikturen nach der AeAr sehen Drainage 
beobachteten wir nie. Für Flörcken, Qöpel und Morian bedeutet die¬ 
selbe eine Notoperation. Erstere empfehlen eine seitliche Anastomose 
zwischen Choledochus und Duodenum, damit die Galle dem Patienten 
nicht verloren geht. Die dauernde breite Verbindung verschafft bei be¬ 
stehender Cholangitis der Galle freien Abfluß. Zurückgebliebene Steine 
können ohne Schwierigkeiten abgehen (ideale „Cholelithotomie“, 
Gfoepel). Dagegen macht i2. Ahrens geltend, daß mit einer späteren Oblite¬ 
ration der bleistiftstarken Kommunikation zu rechnen sei. Deshalb 
pflanzt er den l x /a cm langen D. cysticus termino-lateral in das Duodenum 
oder in den juxtapylorischen Teil des Magens. Die schwerinfizierte Galle, 
welche nicht nach außen, sondern in den Zwölffingerdarm abgeleitet wird, 
kann meines Erachtens das Pankreas infizieren (s. oben). Die vom Darm 
aus resorbierten Bakterientoxine sind für den Patienten nicht belanglos. 
Wir lehnen daher derartige Maßnahmen ab, zumal wir die Infektions¬ 
gefahr eines eröffneten Duodenums sehr fürchten. Dies hält uns auch 
davon ab, die vielfach empfohlene transduodenale Choledochotomie 
(R. Gfoepel, Lorenz u. a.) anzuwenden. 

Die Anastomosenbildung zwischen Leber resp. Gallenwegen und dem 
Magendarmtraktus ist in den letzten Jahren viel erörtert worden. 
Unsere diesbezüglichen Tierexperimente lassen erkennen, daß man nicht 
pessimistisch genug sein kann. Die Literatur zeigt, daß den Patienten 


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H. F. 0. Haberland: 


nur für kürzere Zeit gedient ist. Eine ausführliche Bearbeitung dieses 
Kapitels erscheint von mir an anderer Stelle. 

Nachbehandlung. 

Nach der Operation erhalten unsere Patienten Tropfeinlauf resp. 
Kochsalzinfusion. Der feine Gazestreifen wird am 2. Tage entfernt, falls 
keine Komplikationen zu erwarten sind. Die Hautnähte entfernen wir 
am 7. Tage. Am 10.—12. Tage steht der Patient auf und verläßt durch¬ 
schnittlich nach l x / 2 —2 Wochen, vom Tage der Operation an gerechnet, 
die Klinik. Wenn eine Hepaticusdrainage erforderlich war, so verzögert 
sich die Heilung durchschnittlich um eine Woche. Nach schwierigeren 
Operationen verabfolgt O'Conor seinen Patienten Champagnerklysmen. 
Young empfiehlt die aufrechtsitzende Stellung nach der Operation. 
Peitmann läßt seine Patienten unbedingt 10—14 Tage liegen, damit 
sich die Leber wieder zurückbilden kann. Ein Fall John Bergs illu¬ 
striert die Schädlichkeit der Morphiumdarreichung nach der Operation. 
Der Sphincterspasmus und die Selbstretention der Leberzellen wurden 
dadurch unterhalten und bildeten die Ursache zum Bestehenbleiben 
des Ikterus. Mayo führt seinen Kranken nach der Operation möglichst 
viel Kohlenhydrate und Glucose zu. Gramin empfiehlt reichliches 
Fruchtwassertrinken. Von der postoperativen Bluttransfusion sieht 
Crile glänzende Erfolge. Sloans lobt die intravenöse Zuckerinfusion. 
Die Vaccination (s. oben) wendet Gundermann auch in der Rekon¬ 
valeszenz nach Ektomie mit gutem Erfolge an. Um die Durchlässig¬ 
keit der Vater sehen Papille zu erreichen, empfiehlt Treplin bei kolik¬ 
artigen Schmerzanfällen nach Cholecystektomie eine kräftige Bauch¬ 
massage auf den Choledochussphincter. Poppert verordnet Natr. salicyL 
und Karlsbader Salz. Weil mangelhafte Lebertätigkeit häufig zu post¬ 
operativen Störungen Anlaß geben, so leiten Hartmann und Pdit- 
Dutaillis nach der Entfernung der Gallenblase eine längere innere Kur 
ein. Deneke betont die Notwendigkeit einer „längeren sorgsam diäte¬ 
tischen, vielfach auch medikamentösen Nachbehandlung im Anschluß 
an alle Operationen am Gallensystem“. Bei den sog. falschen Rezidiven 
nach Ektomie infolge Sphincterkrampfes an der Vater sehen Papille ver¬ 
abfolgt John Berg wiederholte kleine Getränkportionen. 


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Cholelithiasis. 


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und dürfen wir die Indikation zur Cholecystektomie erweitern? (Eine Parallele 
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Nr. 12, S. 583. — Zoepffd , H. 9 Vorstufen der akuten Pankreasnekrose, zugleich 
ein Beitrag zur Zweckmäßigkeit der Frühoperation bei Gallensteinleiden. Klin. 
Wochenschr. Nr. 24, 1922, S. 1203. 


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Zur Totalresektion des carcinomatösen Magens 1 ). 

Von 

Prot Dr. G. Helling, Dresden. 

(Eingegangen am 12. Juni 1923.) 

In einem Artikel im Zentralblatt für Chirurgie 1923, Nr. 16, S. 633 
empfiehlt Hörhammer das Einmanschettierungsverfahren von Göpel 
selbst für die schwierigsten Operationen an der Kardia und am Oeso¬ 
phagus. Seine 2 Fälle sind so operiert, daß er am Magen eine Serosa- 
muskelmanschette stehen läßt, einmal an der Kardia, mit welcher das 
Duodenum übemäht wurde, und einmal am präpylorischen Teil, in den 
der Oesophagus eingestülpt wurde. Natürlich gibt es Fälle von Total¬ 
resektion, wo sich das Verfahren, besonders bei der hinteren Oesophagus- 
darmnaht kaum durchführen läßt, und wo man sich auf andere Weise 
helfen muß. Hat man den Oesophagus aus dem Zwerchfellschenkel 
herauspräpariert, so wird das Gewebe leicht zerreißlich, und die Nähte 
schneiden durch und schlitzen die Wandung in der Längsrichtung, 
so daß Locher entstehen. Diese Löcher sind gefährlich für Infektionen 
wegen des Hohlraumes, der durch den Wegfall des Tumors entsteht, 
und wegen des negativen Druckes, der unter dem Zwerchfell, besonders 
bei der Exspiration eintritt. 

Ich habe mir bei meinen gelungenen 2 Fällen bei Ausführung der 
Naht im Oesophagus so geholfen, daß ich die Naht erst in die Oeso- 
phaguswand einknotete. Auf diese Weise wird die Naht mit dem 
Gewebe verankert, und es wird mehr die Zerreißfähigkeit der Oesophagus- 
wand beansprucht, welche größer ist als die Schlitzfähigkeit. Die Naht 
wird so ausgeführt, daß man feine Seide und drehrunde Nadeln nimmt 
und diese erst ein kleines Stück parallel der Bingmuskulatur durch die 
Wand führt und dann knotet. Bei der vorderen seroserösen Naht kann 
man dann gleich den Faden durch die Darmwand hindurchführen. 
Anders aber bei der hinteren Naht, wenn man sie von innen anlegt. 
Man muß dann einen kleinen Streifen zwischen der eingeknoteten Naht 
und dem Schnittrand stehenlassen und hier die Nadel nochmals von 
innen nach außen durchführen, ehe man sie durch die Darmwand von 
außen nach innen durchsticht. Dies Verfahren hat unter Umständen 

x ) Vortrag, gehalten auf der 3. Tagung der Mitteldeutschen Chirurgen¬ 
vereinigung in Leipzig am 10. VI. 1923. 


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G. Kelling: Zur Totalresektion des carcinomatösen Magens. 459 

einen Nachteil, indem eine Verengerung an der Anastomose eintreten 
kann, welche beim Schlucken großer Bissen stört. So war das z. B. 
bei meinem zweiten • Patienten (55 jähriger Mann) der Fall. Aber ein 
so kleiner Nachteil muß bei einer so großen Operation eventuell mit in 
Kauf genommen werden. 

Was nun das Fehlen der Kardia anbetrifft, so machte sich das in 
meinem 2. Falle bemerkbar. Beide Fälle waren so operiert, daß der 
Oesophagus in die laterale Jejunalwand eingenäht und dann zwischen 
den beiden Schenkeln eine Enteroanastomose hergestellt wurde. In 
dem einen Fall, wo die Anastomose mit Naht breit angelegt war, trat 
keine Störung ein. In dem zweiten Fall, bei welchem sie durch einen 
kleinen Murphyknopf hergestellt wurde, um die Operation schneller zu 
Ende zu bringen, war die Ableitung des Dünndarminhaltes von der 
Speiseröhre nicht genügend, und es lief dem Patienten in Bückenlage 
Darminhalt in den Oesophagus und verursachte Sodbrennen. Es waren 
hier zwei Möglichkeiten vorhanden: entweder handelte es sich um 
Gärungssäuren, da bei der Prüfung mit dem Magenschlauch der Dünn- 
darminhalt mitunter leicht sauer war und Magnesia usta etwas half. Es 
kam aber auch vor, daß Beschwerden von Sodbrennen bestanden, wenn 
der Darminhalt gallig und alkalisch war, so daß man infolgedessen diese 
Klagen auf den gewöhnlichen Darminhalt beziehen mußte. Bekannt¬ 
lich ist ja der Pankreassaft ein starkes Beizmittel für alle Epithelhäute, 
die an ihn nicht gewöhnt sind. Der Patient half sich im allgemeinen so, 
daß er sich nach dem Essen nicht hinlegte und mit etwas erhöhtem 
Oberkörper schlief. 

Es interessierte nun ferner zu wissen, wie sich das Hunger - und, das 
Sättigungsgefühl bei fehlendem Magen verhielt. Die Patienten wurden 
nach dem Essen rasch voll, aber doch nicht satt; es fehlte in den ersten 
Monaten das Sättigungsgefühl, es bestand aber kein Hungerschmerz. 
Im zweiten Falle habe ich eine Böntgenaufnahme machen lassen: die 
Speiseröhre blieb beim Trinken eng, die Darmschlingen füllten sich 
sofort. Irgendeine Sphincterbildung war nicht vorhanden, sonst hätte 
der Speisebrei an der Anastomose einige Sekunden Halt machen müssen. 
Eine Erweiterung der angenähten Darmschlinge, die etwa an die Stelle 
eines Speisereservoirs hätte treten können, war nicht vorhanden. Die 
subjektiven Empfindungen entsprechen durchaus dem, was die Physio¬ 
logen über das Hungergefühl und den Hungerschmerz lehren. Der 
Hunger entsteht im Gehirn durch Mangel an abbaufähigen Substanzen 
im Blut; hingegen entsteht der Hungerschmerz durch Kontraktionen 
des Magens, die auch am nervenlosen Magen ausgeführt werden, wenn 
Hungerblut einem satten Tiere injiziert wird. Daher mochten die 
magenlosen Patienten fast immer essen in den ersten Monaten. Sie 
hatten^keinen Hungerschmerz im Epigastrium, sie hatten aber auch 


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460 


G. Kelling: 


kein Sättigungsgefühl, wie es vom vollen Magen aus reflektorisch aus¬ 
gelöst wird. Das Bedürfnis nach so häufigem Essen rührte davon her, 
daß die Nahrung schlecht ausgenutzt wurde, besonders in den ersten 
Monaten, und infolgedessen das Blut zu wenig Nährstoffe enthielt. 

Was die Stuhlgänge anbetrifft, so waren diese in den ersten Monaten 
hellgelb, gallearm und deutlich sauer. Kohlenhydrate waren gänzlich 
verdaut, Muskeln etwa zur Hälfte, am schlechtesten Fette (nach 
5 Wochen). Später ließ sich bei entsprechend leichter Diät bessere 
Ausnutzung und auch Verstopfung erzielen (durch mageres Fleisch, 
Kohlenhydrate und Zugabe von wenig Fetten und breiigen, gekochten 
Gemüsen). Zur Verbesserung der Verdauung habe ich in beiden Fällen 
vor den Mahlzeiten Acidolpepsintabletten und hinterher Pankreon- 
tabletten nehmen lassen und etwa alle 2 Stunden Mahlzeiten verordnet. 

Was das Körpergewicht anbelangt, so nahm der eine Patient 
(55 jähriger Mann) die ersten 3 Wochen 7 Pfund ab (von 98 auf 91 Pfund) 
und dann in den nächsten 4 Wochen 10 Pfund zu, in den nächsten 
ö Wochen noch 11 Pfund, so daß er von 91 Pfund auf 112 Pfund kam. 

Der zweite Patient (öl jähriger Mann) nahm von 112 Pfund in 4 Wochen 
8 Pfund ab, dann in den nächsten 6 Wochen 6 Pfund zu und in den 
nächsten 6 Wochen noch einmal 4Pfund und dann in 2Monaten noch 
5 Pfund (119 Pfund). 

Was die Zeit des völligen Wohlbefindens anbetrifft, so dauerte sie 
bei dem ersten Patienten 9 Monate, dann traten wieder leichte Be¬ 
schwerden ein (öl jähriger Mann). Im zweiten Falle (ööjähriger Mann) 
ö Monate. Der erste Patient war 6 Monate für leichte Tätigkeit arbeits¬ 
fähig, der zweite 3 Monate. Die Lebensdauer betrug bei dem ersten 
(öl jähriger Mann) 14 Monate weniger 3 Tage, bei dem zweiten Patienten 
19ö Tage = (i 1 ^ Monate. Die Todesursache war bei beiden Rezidiv in 
der Bauchhöhle, bei dem ersten Fall offenbar Drüsen in der Umgebung 
der Speiseröhrenverbindung, da langsam Stenosenerscheinungen und 
damit Schluckhindernisse eintraten, in dem zweiten Falle krebaige Ent¬ 
artung der Mesenterialdrüsen mit Ascites und Stenosenerscheinungen 
im Jejunum, so daß in den letzten 2 Wochen galliges Erbrechen auftrat. 
Leider konnte in beiden Fällen die Sektion nicht ausgeführt werden. 

Wenn auch der schließliche Ausgang durch die Operation nicht zu 
vermeiden war, so hat sie sich doch berechtigt erwiesen, denn sie hat 
den Patienten trotz ihres desolaten Zustandes doch durch eine Anzahl 
Monate ein beschwerdefreies Dasein und sogar eine vorübergehende 
Arbeitsfähigkeit ermöglicht. 

Was nun die Herabsetzung der Mortalität bei derartigen großen 
Magenresektionen anbetrifft, so ist vorherige gründliche Reinigung und j 

Desinfektion des Magens wichtig. Ich benutze dazu Spülungen mit j 

Pepsinsalzsäurelösung, 2 —3 Tage vorher; natürlich ist notwendig sau- 


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Zur Totalresektion des carcinomatösen Magens. 


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beres Operieren, haltbare Nähte, Trockenlegen des Operationsfeldes 
und dann Beseitigung des großen Hohlraumes, der unter dem Zwerchfell 
durch den Wegfall des krebsigen Magens entsteht. Letzteres geschieht 
dadurch, daß man das Fußende des Bettes so hochstellt, daß die Dünn¬ 
darmschlingen brustwärts fallen und somit den Hohlraum beseitigen, 
mindestens auf 2 Tage. Wenn man der Naht nicht traut, wie dies bei 
meinem ersten Patienten der Fall war, so empfiehlt es sich, einen 
Gummischlauch durch die Nase bis in den untersten Oesophagusteil 
vorzuschieben und dann durch Heberwirkung den Inhalt abfließen zu 
lassen; eventuell kann man auch von Zeit zu Zeit mit der Spritze ab¬ 
saugen. Die Ernährung muß natürlich für die ersten 2 Tage per rectum 
und eventuell durch die Haut erfolgen. Aber alle diese Vorsichts¬ 
maßregeln sind nicht genügend, wenn man nicht Glück hat, d. h. wenn 
der Patient nicht genügend widerstandsfähig ist. Wir haben aber kein 
Mittel, dies in zweifelhaften Fällen vorher mit Sicherheit zu bestimmen. 
Was hierbei hauptsächlich in Betracht kommt, das ist die Widerstands¬ 
fähigkeit des Patienten gegen die Infektion. Man macht bei Resektion 
von krebsigen Magengeschwüren immer wieder die Erfahrung, daß es 
Fälle gibt, die die Infektion des Operationsterrains mit dem Mageninhalt 
vertragen. So reißt z. B. bei der Operation die morsche Magen wand 
ein, es kommt Inhalt in die Bauchhöhle, und trotzdem tritt nicht 
einmal Fieber auf. Und in anderen Fällen operieren wir so sauber, daß 
wir überzeugt sind, daß auch nicht ein Tropfen des Mageninhaltes in 
die Bauchhöhle kommt, und trotzdem geht der Patient bald an sep¬ 
tischen Erscheinungen zugrunde. Ich habe einmal (siehe Arch. f. klin. 
Chirurg. 99) 72 Fälle von Magencarcinom hintereinander so reseziert, daß 
ich auch nicht eine Naht durch die unsauberen Schleimhäute hindurch¬ 
gelegt habe, um jede Infektion zu vermeiden, und trotzdem kamen 
Fälle von Sepsis vor, die man nicht anders erklären konnte, als daß 
man Kokken in den Lymphgefäßen bei der Operation mobil gemacht 
hatte. Die Technik erfolgte in diesen Fällen so, daß das Duodenum und 
der Magenstumpf nach Doyen abgebunden wurde; der Bürzel wurde 
mit roher Carbolsäure und Alkohol desinfiziert. Die Enteroanastomose 
•wurde mit Murphyknopf hergestellt, dessen eine Hälfte vorher in 
die Magenhöhle eingeführt war und dann durch einen Schnitt heraus¬ 
geschoben wurde. Es wurden also hierbei nur seromuskuläre Lembert- 
nähte angelegt. Diese ungleichen Resultate in bezug auf die Infektion 
der Patienten kann man doch kaum anders erklären, als daß manche 
vor der Operation schon gegen die in ihrem krebsigen Magengeschwür 
oder Lymphgefäßen resp. Drüsen herrschenden Kokken immunisiert 
sind, während bei anderen das nicht der Fall ist. Das führt auf den 
Gedanken, ob man die Statistik nicht verbessern könnte, dadurch daß 
man solche Patienten prophylaktisch immunisiert, wie schon 1905 Bumm 


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462 


Gr. Kelling: Zur Totalresektion des carcinomatösen Magens. 


bei Uteruscarcinom vorgeschlagen hat, und wie es neuerdings wieder 
gegen Puerperalfieber ausgeführt wird ( Lauros , Med. Klinik 1923, Nr. 9, 
S. 273). Ich glaube, daß die Verbesserung unserer chirurgischen Ope¬ 
rationsresultate bei Magencarcinom nicht allein von der Frühdiagnose 
abhängt, da das Carcinom doch sehr latent verläuft, und nicht wenige 
der Patienten die ersten Symptome zeigen, wenn sie schon eitrig in¬ 
fizierte Krebsgeschwüre mit sich herumtragen. 

Auszug aus den Krankengeschichten: 

1. H. E., 51 jähriger Gärtner. Operation am 11. I. 1915. Operationsbefund: 
Hoch oben im Fundus des Magens eine Verhärtung, die ringsherum geht und den 
Magen sanduhrförmig einschnürt, und sich dann an der kleinen Kurvatur nach 
dem Pylorus zu erstreckt. Verhärtete Drüsen an der kleinen Kurvatur. Leber frei. 

Resektion des Magens nach BillrothIL Verschlußnaht des Duodenum 
Der Oesophagus wird an das Jejunum befestigt mit terminolateraler Anastomose. 
Da eine zweite Naht nicht gut ausführbar ist, Jodtinktur darüber. Das große 
Netz wird ringsherum darüber gelegt und mit einigen Knopfnähten befestigt. 
Dann Lateralanastomose mit Naht. Die Operation war leidlich sauber, etwas 
blutig bei dem Abpräparieren des Magens vom Milzhilus. Dauer 2 1 /* Stunden. 
Heilung unter leichter Temperatursteigerung bis 38,0° und einem kleinen Bauch- 
höhlenabsceß. Pat. steht nach 3 Wochen auf und wird nach 4 Wochen nach 
Hause entlassen. Später Exitus am 8. IV. 1910. 

2. R. B., ööjähriger Mann, Schuhmacher. Operation am 31. XIL 1921. 
Cirrhose des ganzen Magens mit Drüsen an der kleinen Kurvatur, ebenso an der 
großen. Leber frei. Totalresektion. Verschlußnaht des Duodenums. Oesophago- 
enteroanastomose mit Naht terminolateraL Darüber wurden noch einige Knopf¬ 
nähte gelegt. Enteroanastomose mit kleinem Murphyknopf. Die Operation war 
sauber und wenig blutig. Dauer 2 Stunden. 

20. I. 1922: Befund gut. Knopf durch Stuhl abgegangen. 

22. I. 1922 wurde Pat. aus der Klinik entlassen. Am 6. März 1922 Vor¬ 
stellung in der Gesellschaft für Naturheilkunde in Dresden. Anfang Juli klagte 
Pat. über galliges Erbrechen. Drüsentumor in Epigastrium palpabeL Beginnender 
Ascites. 

9. VH. 1922: Exitus unter Erbrechen und Erscheinungen von Darmstenoee 
und Ascites. 


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(Aus dem Städt. Kinderhospital zu Riga 
[Chefarzt der Chirurg. Abt.: Dr. R. Girgensohri].) 

Zur Kasuistik der akuten Magendilatation. 

Von 

Dr. E. Girgensohn. 

(Eingegangen am 12. Mai 1923.) 

Die akute Magendilatation ist ein Ereignis, das nicht so ganz selten 
zur Beobachtung kommt. Es gibt Chirurgen, die über 5 und mehr 
Fälle dieser Erkrankung aus eigener Beobachtung zu berichten wissen. 
Die Literatur über diesen interessanten Gegenstand ist auch demgemäß 
stark angewachsen. Trotzdem scheint mir auch heute noch die Ver¬ 
öffentlichung eines jeden einzelnen Falles dringend geboten, denn 
erstens ist man auch jetzt noch weit entfernt davon, vollkommene 
Klarheit in allen Fragen, die dieses komplizierte Krankheitsbild be¬ 
treffen, zu besitzen. Immerhin ist schon viel erreicht worden, und durch 
klinische Beobachtung und Tierexperiment wurde es möglich, viel 
Boden zum Verständnis der Magendilatation zu gewinnen. Zweitens 
aber haben wir es hier mit einer Erkrankung zu tun, die sehr akut 
auftritt, bei der sich die allerschwersten Symptome sehr schnell ent¬ 
wickeln, und bei der das Ausschlaggebende für die Prognose das sofortige 
Erkennen und die genaue Kenntnis des Wesens der Erkrankung und 
der verschiedenen Möglichkeiten ihrer Entstehung sind. Wenn ich 
meinen Ausführungen die ätiologisch zu nichts verpflichtende Be¬ 
zeichnung ,,akute Magendilatation“ vorangestellt habe, so geschah das 
aus dem Wunsche heraus, die verschiedenen Erkrankungen, die das 
Bild der akuten Magendilatation erzeugen können, sich gegenüber¬ 
stellen zu können und voneinander abzugrenzen. Das Register der 
Benennungen für die akute Magendilatation ist ein überaus großes. 
Payr führt 21 Benennungen an, die angeblich dasselbe Krankheitsbild 
bezeichnen sollen, und die mehr oder weniger nur den Standpunkt, 
den der Autor der Ätiologie des Leidens gegenüber einnimmt, charak¬ 
terisieren. Ich nenne hier nur einige häufig gebräuchliche: Hoch¬ 
sitzender Ileus, Duodenalverschluß, Magenileus, akute Magenlähmung, 
Kombinationsileus, Pseudoileus, mesenterialer Ileus, arteriomesen- 
terialer Ileus, akuter Pylorusverschluß usw. Heutzutage ist man in 


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R. Girgensohn: 


der Lage, gestützt auf die Arbeiten von Stieda, Payr, Bircher, Melchior, 
Höherer, Nieden u. a. m., mit absoluter Sicherheit sagen zu können, 
daß allen diesen Bezeichnungen weder ein einheitliches Krankheitsbild 
zugrunde liegt, noch daß sie alle etwas Verschiedenes sind. Wir können 
jetzt 2 Gruppen vollkommen voneinander trennen: 1. die akute Magen¬ 
lähmung (die Bezeichnung stammt von von Herff) oder Atonia gastrica, 
2. den akuten Duodenalverschluß. Diese 2 Erkrankungen sind voll¬ 
kommen voneinander zu trennen. Eine jede von diesen Erkrankungen 
verfügt über einen ganz bestimmten Symptomenkomplex, der wenigstens 
zu Beginn der Erkrankung wohl meist die Möglichkeit der Differential¬ 
diagnose zulassen wird. Daß aber sehr häufig überhaupt die Diagnose 
auf, auch ganz allgemein gehalten, Magendilatation nicht gelingt, geht 
aus der Literatur zur Genüge hervor. Die Fehldiagnosen lauten: 
Pelveoperitonitisches Exsudat (Walzberg), hochsitzender Ileus infolge 
einer Hernie (Bircher), Perforationsperitonitis (Körte), Peritonitis 
(Borchardt), Urämie (Payr), torquierte Ovarialcyste (Rignier), innere 
Incarceration (Hochenegg) usw. Auch ich mußte mich mit der Diagnose 
hochsitzender Ileus begnügen. Der Entstehungsmechanismus der 
akuten Magendilatation wurde früher, und vielleicht teilweise auch 
heute noch, sehr divergierend beurteilt, und es gelang hauptsächlich 
aus diesem Grunde nicht, eine vollkommen klare Abgrenzung der beiden 
in Frage kommenden Krankheitsbilder zu gewinnen. Ich komme 
hierauf noch später zurück. Der Fall, den ich klinisch und durch die 
Autopsie in vivo und post mortem Gelegenheit hatte zu beobachten, 
ist folgender: 

Am 6. XI. 1921 wurde um 10 Uhr abends der 19 Jahre alte Woldemar P. 
ins Hospital eingeliefert. Anamnese. Am Morgen mit Übelkeit erkrankt. Von 
11 Uhr vormittags an starkes Oppressionsgefühl im Epigastrium. Seit 3 Uhr 
mittags starke Schmerzen im Leibe und Erbrechen. Am Tage vorher kam Pat. 
abends von einer längeren Fahrt zurück, war hungrig und aß eine reichliche 
Portion Kartoffeln mit Butter und trank Tee. Er meint, vielleicht habe er sich 
überhoben, da er nach dem Essen seinen 14 Jahre alten Bruder aufgehoben habe. 
Am Tage der Erkrankung trank Pat. am Morgen Kaffee. Zu Mittag aß er klare 
Suppe. Stuhl erfolgte zweimal Um 5 Uhr nachmittags legte er sich zu Bett. 
Gegen Abend nahm er Soda ein. Status pr. 10 Uhr abends. Mittlerer Ernährungs¬ 
zustand, normal gebauter junger Mann. Gesichtsfarbe sehr blaß. Gequälter, 
ängstlicher Gesichtsausdruck. Puls frequent, aber kräftig. Temp. 37,1°. Cor 
und Pulmones o. B. Abdomen bis ca. 3 Querfinger oberhalb der Symphyse stark 
aufgetrieben. Die Auftreibung ist keine gleichmäßige, sondern läßt drei stärker 
hervortretende Partien unterscheiden, eine links unter dem Bippenbogen, eine 
in der Mitte und eine im rechten Mesogastrium. Dicht oberhalb der Symphyse 
ist der Leib eingefallen und die Bauchdecken nicht gespannt. Über den oberen 
Partien der Auftreibung ist der Perkussionsschall tympanitisch. Sehr häufiges 
Erbrechen von nicht sehr großen Mengen braungefärbter Flüssigkeit. Kein Ructus. 
Ich nahm ein hochsitzendes Passagehindemis an und schritt zur Operation. Den 
7. XI. um 1 Uhr morgens Laparotomie in Chloroform-Äthemarkose. Beim Er¬ 
öffnen des Abdomens in der Mittellinie stellt sich der enorm aufgetriebene Magen 


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Zur Kasuistik der akuten Magendilatatiou. 


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ein, der vom Epigastrium bis nahe an die Symphyse heranreicht. Da eine Ex¬ 
ploration des Abdomens in diesem Zustande nicht möglich war, punktierte ich den 
Magen. Es entwich eine gewaltige Menge von Gasen, und der Magen kollabierte 
beträchtlich. Nach Übemähung der Punktionsöffnung konnte der Magen nach 
oben herausgewälzt werden. Das Duodenum präsentierte sich jetzt in gleichfalls 
stark dilatiertem Zustande. Nach Heraufschlagen des Colon transversum zeigte 
sich der Dünndarm in vollkommen kollabiertem Zustande, er begann sich jedoch 
jetzt in den obere Partien vom Duodenum her progredient zu füllen. An der 
Durchtrittsstelle des Jejunums unter der Radix mesenterii konnte nichts Abnormes 
konstatiert werden. Es war nun klar, daß keine organische Okklusion vorlag, 
sondern eine akute Magenlähmung. In der Absicht, den Magen weiter per os 
mit dem Schlauch zu entleeren, schloß ich die Laparotomie wunde. Die Magen¬ 
spülungen, die jetzt einsetzten, beförderten jedesmal gewaltige Mengen einer 
braunen Flüssigkeit zutage. Das Erbrechen sistiert. Der Leib war weich, und die 
untere Magengrenze verschob sich langsam nach oben. Pat. klagte mehrfach 
über Durst und Hunger. Der Puls blieb jedoch frequent und war von nicht sehr 
guter Füllung. Es wurden wiederholt Kochsalzinfusionen gemacht und Campher 
injiziert. Ara 8. XI. waren bronchopneumonische Herde nachweisbar. Untere 
Magengrenze in Nabelhöhe. Abdomen weich. Keine Übelkeit, kein Erbrechen. 
Am 9. XI. Status idem. Am 10. XI. um 5 Uhr morgens plötzlich heftige Schmerzen 
im Abdomen und gleich darauf Exitus letalis. Bei der Obduktion erwies sich die 
ganze Bauchhöhle mit einer großen Menge dunkelbrauner Flüssigkeit angefüllt, 
von derselben Beschaffenheit, wie sie bei den Magenspülungen entleert wurde. 
Der Magen lag an normaler Stelle und macht jetzt keinen stark vergrößerten 
Eindruck mehr. Der Fundus wies ganz in der Nähe der Kardia an der Vorderwand 
des Magens eine ca. 7 cm lange, ca. 5 cm breite gangränöse perforierte Stelle auf, 
eine ebensolche lag an der Hinterfläche des Magens. Der Dünndarm war von 
mittlerer Füllung. 

Es handelt sich in meinem Falle ganz einwandfrei um eine akute 
Magenlähmung. Der Beginn der Erkrankung war ein nicht sehr plötz¬ 
licher, das schwere Bild schlich sich im Laufe von mehreren Sonden 
gewissermaßen ein. Von einem anatomischen Hindernis am Mesenterial¬ 
schlitz, also von einem Duodenal Verschluß konnte hier keine Rede 
sein. Sobald der Magen genügend durch die Punktion entlastet war 
und nach oben gehoben wurde, füllte sich das Jejunum anstandslos. 

Die große Mehrzahl der Arbeiten über die akute Magenlähmung ist 
der Ätiologie des Leidens gewidmet. Man hat zu unterscheiden 
zwischen einem auslösenden Moment und einer Disposition. Das aus¬ 
lösende Moment ergibt sich einfach aus der Aufzählung der aus der 
Kasuistik gewonnenen Erhebungen. Bei weitem am häufigsten tritt 
das Leiden nach Operationen auf, und zwar gleich im Anschluß an die 
Operation oder als Spätform am 3. —14. Tage nach der Operation. 
Her ff meinte, daß dem Chloroform hierbei die Hauptrolle zufalle. 
Das hat sich aber später als falsch erwiesen, da das Ereignis auch 
nach Äthernarkosen und auch nach ohne jede Narkose ausgeführten 
Operationen auftreten kann. Die Operationen, nach denen es zur 
Magenlähmung gekommen ist, sind die aller verschiedensten. An erster 
Stelle aber stehen Laparotomien, namentlich Operationen an den 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 30 


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R. Girgensolin: 


Gallenwegen vmd am Uterus. Aber auch eine große Zahl anderer 
Operationen sind vertreten, wie Appendektomien, Bruchoperationen, 
einfache Narkosen, normale Geburten, Operationen an der Wirbel¬ 
säule. Operationen an den Extremitäten werden von Payr 7 an¬ 
geführt mit 7 Todesfällen. Es geht hieraus wohl zur Genüge hervor, 
daß die Art der Operation kaum eine große Rolle spielen kann. Ferner 
ist die akute Magenlähmung beobachtet worden nach schwächenden 
Krankheiten, unter denen der Typhus abdominalis die erste Stelle 
einnimmt. Es sind gewöhnlich Diätfehler, die, während der Krankheit 
oder in der Rekonvaleszenz begangen, das auslösende Moment abgeben. 
Die Erkrankung tritt aber auch bei vorher ganz gesunden Personen 
auf, nach einer zu reichlichen Mahlzeit, nach physischen oder psychischen 
Traumen usw. Alle diese Momente werden aber wohl nur dann imstande 
sein, reflektorisch eine akute Magenlähmung zu erzeugen, wenn das 
betreffende Individuum eine individuelle Veranlagung zur akuten 
Dilatation besitzt (nach Chavannaz) oder, nach Payr, nervös disponiert 
ist. Nieden sagt in seiner großen Arbeit über die akute Magenatonie: 
Als Ursache der akuten Magenlähmung ist eine individuelle nervöse 
Disposition anzunehmen. Vorausgegangene Schädigungen, wie Narkose 
und andere toxische Schädigungen, operative Eingriffe, Traumen, 
mechanische Überlastungen usw., wirken als auslösende Momente. 
Nieden geht aber weiter. Es ist ihm bereits möglich, diese nervöse 
Disposition näher zu definieren. Er sagt: Der Vergleich experimenteller 
und klinischer Befunde spricht dafür, daß die nervöse Disposition für 
die Entstehung der akuten Magenlähmung teilweise auf einer Dis¬ 
harmonierung zwischen Sympathicus und Parasympathicus besteht, 
neben dieser muß eine Lähmung des intramuralen Magennerven¬ 
systems angenommen werden ( Eppinger, Hess, Rössle und v. Bergmann). 
Diese Disharmonierung besteht in Vaguslähmung und Sympathicus- 
reizung. Die Vaguslähmung erzeugt Atonie des Fundus und Gastrorrhöe, 
aber nie Lähmung des Pylorus, die nach Nieden sehr charakteristisch 
für die akute Magenlähraung ist. Letztere kann nur durch Lähmung 
des intramuralen Systems des Magens erklärt werden. 

Heutzutage kann darüber kein Zweifel mehr bestehen, daß die 
akute Magenlähmung ein funktionelles Leiden ist. Eine Abknickung 
oder Kompression an der Radix mesenterii ist nicht imstande, das 
charakteristische Bild der Magenlähmung zu erzeugen, sondern kann 
hier nur eine sekundäre Bedeutung haben. Dafür sprechen eine große 
Zahl von Tatsachen und Experimenten. Ach in München führt den 
Beweis durch Tierexperimente, daß man durch Verlagerung und 
Fixation des Dünndarms im kleinen Becken das Bild der Magenlähmung 
nicht erzeugen kann, wohl aber durch Schädigung des linken Vagus¬ 
astes am Hiatus oesophagi. Melchior weist darauf hin, daß, wenn man 


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Zur Kasuistik der akuten Magendilatation. 467 

den Vasa mesenterica superiora die primäre Bolle für das Zustande¬ 
kommen der Dilatation zuschreiben wollte, so wäre es ganz unver¬ 
ständlich, warum in keinem Falle eine Druckmarke am Darm nach¬ 
zuweisen ist, und vice versa müßte man auch eine Stauung in den 
Dünndarmvenen erwarten, was auch nicht der Fall ist. Schon 1904 
äußert Braun, daß die akute Magendilatation ein funktionelles Leiden 
sei, das durch alle möglichen Schäden ausgelöst werden könne. Von 
großem Interesse ist die Arbeit von Braun und Seidel, die 1907 in den 
Grenzgebieten erschienen ist. Hier führen die genannten Autoren 
schon den Beweis durch Tier- und Narkosenexperimente, daß die 
akute Magendilatation auf einer akuten Mageninsuffizienz beruhe. Die 
akute Magendilatation könne ebensogut einen geschwächten wie einen 
bis dahin gesunden Magen betreffen. Auch kommen sie schon zur 
Erkenntnis, daß die akute Magenlähmung durch Schädigung der Vagi 
und des intramuralen Nervensystems entstehen müsse. Wenn wir 
uns vergegenwärtigen, daß solche Momente wie Uretherenkatheteris- 
mus, das Einführen eines Verweilkatheters, eines Bauchdrains, der 
Genuß einer Mandarine nach längerer strenger Diät — das auslösende 
Moment für die Lähmung des Magens werden können, so drängt sich 
uns unwillkürlich der Vergleich mit ähnlichen bekannten Reflex- 
vorgängen auf, wie die Wirkung eines leichten Schlages auf den Bauch 
eines Frosches, im Gott« sehen Klopf versuch, Stillstand des Herzens 
erzeugen kann, wie eine unbedeutende Manipulation an der Nasen¬ 
schleimhaut, wie ein psychisches Trauma reflektorischen Herztod 
herbeiführen kann. Die auslösenden Momente sind auch hier sicher 
recht unwesentlich. Der Schwerpunkt liegt in der nervösen Disposition. 
Es ist vielleicht nicht ohne Interesse zu bemerken, daß es sich fast in 
jedem Falle von akuter Magenlähmung um Personen handelt, die 
eine Zeitlang gehungert haben, und die dann einen relativen Diätfehler 
begingen. Daß es sekundär bei der Lähmung des Magens und Duo¬ 
denums, letzteres ist von der Lähmung sehr häufig mit betroffen, zu 
einer Abknickung am Mesenterialschlitz oder am Lig. hepato-duodenale, 
im Falle nur der Anfangsteil, die Pars superior, der Duodenums paretisch 
ist — kommen kann, ist durch die anatomischen Verhältnisse begründet. 
Auch wird gewiß der Dünndarm durch den das ganze Abdomen ein¬ 
nehmenden Magen ins kleine Becken hinabgedrängt werden können 
und auf diese Weise durch Anspannung der Radix mesenterii eine 
gewisse Kompression auf das Duodenum ausgeübt werden können. 
Man war früher der Ansicht, daß dieses Ereignis das Primäre sei, und 
nannte diesen Zustand deswegen den arteriomesenterialen Ileus (nach 
Albrecht). Als man anfing zu erkennen, daß die Magenlähmung das 
Primäre ist, und daß der akute Duodenalverschluß ein ganz anderes 
Leiden repräsentiert, das meist ohne wesentliche Magendilatation ver- 

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R. Girgensolin: 


läuft, fing man an, von einem echten und einem unechten arterio- 
mesenterialen Ileus zu sprechen, was die Begriffe nur noch mehr kom¬ 
plizierte. Es sei also noch einmal gesagt, wir haben 2 Krankheitsbilder 
voneinander zu trennen, 1. die akute Magenlähmung oder Atonia 
gastro-duodenalis (nach Melchior), für die früher häufig der Ausdruck 
arteriomesenterialer Ileus gebraucht wurde, und 2. den akuten Duo¬ 
denalverschluß. Die akute Magenlähmung wird zuweilen durch einen 
sekundären Duodenalverschluß kompliziert; der akute Duodenalver¬ 
schluß kann eine ausgesprochene Dilatation des Magens zur Folge 
haben. 

Die Faktoren, die zur Magenlähmung führen, haben wir kennen 
gelernt. Der akute Duodenalverschluß tritt auch häufig postoperativ 
auf, aber fast ausschließlich nach Magenoperationen, namentlich der 
Gastroentero posterior, durch Narbenzüge, Netzstränge usw. Ferner 
werden als Ursache angeführt: retroperitoneales Lymphosarkom, Pan¬ 
kreaskrebs, Aortenaneurysma, große incarcerierte Gallensteine, Nabel¬ 
brüche usw. Der akute Duodenal Verschluß zeichnet sich durch krampf¬ 
artige Schmerzen im Epigastrium und deutliche Peristaltik sowie Anti¬ 
peristaltik als Initialsymptom aus, die „motorische Unruhe des Magens“ 
nach Ktissmaul. Der nicht gelähmte Magen bemüht sich lebhaft, das 
Hindernis zu überwinden. In den meisten Fällen kommt es hier über¬ 
haupt nicht zu einer Dilatation des Magens. Aber dauert der Zustand 
längere Zeit an, so kann sekundär eine Erschlaffung und Dilatation 
des Magens entstehen. Gastrorrhöe ist für beide Erkrankungen charak¬ 
teristisch. Es werden Fälle angeführt, in denen der Magen in 24 Stunden 
30 Liter sezernierte. 1904 demonstrierte Strauss einen Magen, der 
5 1 / 2 Liter Flüssigkeit enthielt. Das Erbrechen ist meistens sehr lebhaft, 
aber es werden auf einmal selten große Mengen erbrochen. In den 
schwersten Fällen von Magenlähmung kann das Erbrechen ganz fehlen. 
Das Erbrochene kann gallig oder nicht gallig sein, es ist aber nie fäkulent. 
Der akute Duodenalverschluß setzt viel stürmischer ein wie die akute 
Magenlähmung. Bei letzterer kann der Allgemeinzustand in der ersten 
Zeit nur wenig gestört sein. Die Patientin von Zweifel erbrach „große 
Mengen nicht ohne einen gewissen Humor“. 

Die Prognose ist in jedem ausgebildeten Falle sehr ernst zu stellen. 
Wenn man eine Mortalität von 50% angibt, so ist das meines Erachtens 
wohl noch eher zu niedrig wie zu hoch gegriffen, denn es ist ja selbst¬ 
verständlich, daß viel eher genesene Fälle wie ad exitum gekommene 
veröffentlicht werden. Wodurch der Tod eintritt, wird in den meisten 
Fällen wohl schwer sein zu konstatieren. Der große Flüssigkeitsverlust, 
Intoxikation durch Retentionsprodukte, Kompression des Herzens 
werden das ihrige zum ungünstigen Ausgang beitragen. Solche Er¬ 
eignisse, wie die Perforation des Magens durch Gangrän, scheinen nur 


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Zur Kasuistik der akuten Magendilatation. 


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äußerst selten in diesen Fällen dem Leben ein Ziel zu setzen. Ich habe, 
außer meinem, nur einen derartigen Fall in der Literatur gefunden. 
Es handelt sich um den von Körte 1904 berichteten Fall. Ein 14jähriges 
Mädchen erkrankte nach einer sehr reichlichen Mahlzeit von Mohr¬ 
rüben. Sie wurde als Perforationsperitonitis eingeliefert und von Körte 
unter dieser Diagnose operiert. Bei der Operation wurde ein ad maximum 
dilatierter Magen gefunden. Die Entleerung des Magens mit der 
Schlundsonde gelang nicht, da der Magen sich nicht kontrahierte. 
Körte legte darauf eine Gastroenterostomia post. an. Der Verlauf schien 
zuerst, wie auch in meinem Falle, ein günstiger zu sein, aber 5 Tage 
später starb das Mädchen ziemlich plötzlich an einer Perforation. Bei 
der Sektion fand sich, auch ganz wie in meinem Falle, eine gangränöse 
Stelle am Fundus, die zur Perforation geführt hatte. Körte glaubt, 
daß es sich um Überdehnung des Magens infolge von Gärungsprozessen 
in dem überfüllten Magen handelt, und faßt die Nekrose als Dehnungs¬ 
geschwür auf. Daß die Nekrose eine Folge der Überdehnung war, 
wird man wohl ohne weiteres zugeben können. Ich konnte mich durch 
Vollpumpen von Leichenmägen davon überzeugen, daß es gerade der 
Fundus des Magens ist, der hierdurch am meisten in Mitleidenschaft 
gezogen wurde. Hier entstehen durch Einrisse in die Muskulatur und 
Schleimhaut längsverlaufende Striae, und hier kommt es schließlich 
durch Bersten der Serosa zur Perforation. Die Wand des pylorischen 
Teiles bleibt makroskopisch unverändert. Daß hingegen die Dilatation 
auf die von Körte angegebene Weise erklärt werden kann, muß nach 
dem heutigen Stand der Frage zweifelhaft erscheinen. Ein funktions¬ 
tüchtiger Magen vermag sich immer durch Erbrechen und Ructus 
seines Inhaltes zu erledigen, wenn er auch noch so stark belastet war. 

Die Leichenversuche von KeUing, der einen Klappenverschluß an 
der Kardia glaubte nachweisen zu können und der Ansicht war, man 
könne die Magendilatation auf mechanischem Wege erklären — haben 
sich nicht bestätigt. 

Die größte Aufmerksamkeit des chirurgisch tätigen Arztes ist der 
Prophylaxe der Erkrankung zuzuwenden. Wir wissen durch die Nar¬ 
kosenexperimente von Payr, daß während jeder tiefen Narkose der 
Magen gelähmt ist und der Brechreflex sistiert. Wir müssen uns dessen 
bewußt sein, daß, wenn das Erbrechen nach der Narkose übermäßig 
lange anhält, Gefahr im Anzuge ist. Es handelt sich in diesen Fällen 
häufig um den ersten Grad der akuten Magenlähmung, die unter Um¬ 
ständen, zum Glück nicht häufig, in das Bild der akuten vollausgebildeten 
Magenlähmung ausklingen kann. Wir müssen es strengstens vermeiden, 
in solchen Fällen per os Nahrung, namentlich in größeren Mengen, 
zuzuführen. Wir müssen rechtzeitig therapeutische Maßnahmen er¬ 
greifen, die geeignet sind, die akute Magenlähmung zu verhindern. 


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R. Girgensohn: Zur Kasuistik der akuten Magendilatation. 


Diese Maßnahmen bestehen in der Schnitzler sehen Bauch- oder Knie¬ 
ellenbogenlage oder in der Lagerung des Patienten auf die rechte Seite. 
Ferner hat man in diesen Fällen nicht zu lange mit der Magenspülung 
zu warten. Morphium ist nach den Versuchen von Nieden strikt kontra¬ 
indiziert. Eventuell wäre ein Versuch mit Adrenalinanwendung zu 
machen. Haruzo Kuru bringt die Magenlähmung mit einer Störung 
der Funktion der Nebennieren in Zusammenhang und schlägt vor, 
Adrenalin zu verwenden. Weitere Versuche in dieser Hinsicht sind 
ausgeblieben. Dieselben Maßnahmen sind bei ausgebildeter Magen¬ 
lähmung anzuwenden. Ob man aber dann noch zum Ziele gelangt, ist 
durchaus nicht sicher. Versucht müssen sie aber in jedem Falle werden, 
denn dieses sind die rationellsten Mittel, die erfahrungsgemäß die 
Situation zu retten imstande sind. Namentlich die Lagerungstherapie 
gibt die besten, ja häufig glänzende Resultate. Der Magenschlauch 
hat sich häufig als zu kurz erwiesen, so daß er den Flüssigkeitsspiegel 
überhaupt nicht zu erreichen vermochte. Es sei auch erwähnt, daß 
die Magenspülungen systematisch fortzusetzen sind, bis die Funktion 
des Magens wieder vollkommen normal geworden ist, was in einigen 
Fällen bis zu 14 Tagen gedauert hat. Auch die Lagerungstherapie 
hat in einigen Fällen Verschlimmerung des Zustandes, angeblich durch 
Kompression des Herzens durch das ohnehin hochstehende Zwerchfell 
erzeugt. Von operativen Maßnahmen sind empfohlen worden: Gastro¬ 
stomie, Gastroentero, Jejunostomie, Duodeno-jejunostomie, Punktion 
des Magens und Entleerung des Magens durch Laparotomie. Die 
Statistik, 17 Todesfälle auf 22 Operationen, ist nicht ermutigend. 

Die akute Magenlähmung ist somit ein Leiden, das ätiologisch, 
diagnostisch und auch therapeutisch recht beträchtliche Schwierig¬ 
keiten zu verursachen imstande ist, und es wird noch viel zur Klärung 
aller dieser Fragen zu leisten sein. 

Literaturnachweis bei H. Nieden, Arch. f. klin. Chirurg. 117 , 2. 1921. 



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(Aus der chirurgischen Universitätsklinik in Würzburg [Vorstand: Geheimrat 

F. König].) 

Beitrag zur Kasuistik des angeborenen, nicht eingeklemmten, 
falschen Zwerchfellbruches. 

Von 

Dr. med. Otto Wiemann. 

(Eingegangen am 14. Mai 1923.) 

Angeborene Zwerchfellbrüche sind ihrem Vorkommen nach keine 
Seltenheit, dagegen sind sie recht selten, besonders in nicht einge¬ 
klemmtem Zustand, Gegenstand chirurgischer Behandlung. Diese 
Tatsache erklärt sich ohne Schwierigkeiten aus dem Umstand, daß weit¬ 
aus der größte Teil aller angeborenen Zwerchfellbrüche, wenn über¬ 
haupt Lebensfähigkeit besteht, innerhalb des 1. Lebensjahres zugrunde 
geht, auf Grund verschiedener Berechnung rund 70%. Auch die chirur¬ 
gische Literatur zeigt, daß bezüglich des angeborenen Zwerchfellbruches 
weniger genaue Angaben vorliegen als für den erworbenen Zwerchfell¬ 
bruch, der als Kriegsfolge eine erhebliche Zunahme erfahren hat. Der 
folgende Fall erscheint aus mehrfachen Gründen einer ausführlichen 
Mitteilung wert: 

Am 20. XI. 1922 kam der Pat. G. E., 15 Jahre alt, zur Aufnahme in die hiesige 
Klinik mit folgender Vorgeschichte: 

Keine erbliche Belastung, in den ersten 0 Lebensmonaten normale Entwick¬ 
lung, weiterhin stets schwächlich, schlechte Gewichtszunahme. Mit 1 Jahr Rachitis. 
Von der Mutter wurde beobachtet, daß im 10. bis 12. Lebensjahre wiederholt beim 
Laufen Atemnot auftrat. 

Vor 3 Jahren erkrankt mit Erbrechen, 3—4 Stunden nach dem Essen. Nah¬ 
rungsaufnahme, Schlucken damals imbehindert, auch sonst keine besonderen 
Beschwerden. Der Junge war 6 Wochen bettlägerig und wurde vom Arzt wegen 
Magensenkung behandelt. 

Seit dieser Erkrankung zunehmende Abmagerung, besonders stark vom Sep¬ 
tember 1922 ab, als Pat. wieder mit Erbrechen und Druckgefühl in der Magen¬ 
gegend erkrankte. Stuhlgang soll immer regelmäßig erfolgt sein. Vom Turn¬ 
unterricht war der Junge stets befreit, in den letzten Jahren soll er immer ängstlich 
und leicht aufgeregt gewesen sein. 

Verletzung, Unfall nicht bekannt. 

Befund: Größe 152 cm, Gewicht 67 Pfund. Muskulatur schwächlich, Fett¬ 
polster kaum vorhanden, tiefeingesunkene Oberschlüsselbeingruben und Zwischen¬ 
rippenräume. Gesichtsfarbe blaß, Schleimhäute schlecht durchblutet. Zunge 
feucht, ohne Belag. Kopf und Hals sonst ohne besonderen Befund. Gaumen- 


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O. Wiemann: 


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mandeln klein, Schilddrüse gut abtastbar, kaum vergrößert. Am Unterkiefer zu 
beiden Seiten vergrößerte Lymphdrtiaen. 

Brustkorb schmal, die unteren Teile vorn eingedrückt, besonders auf der 
linken Seite. Mäßige Verbiegung der ganzen Wirbelsäule im Sinne einer Kypho¬ 
skoliose. Brustumfang 66/10 1 / 2 cm. Ausdehnung der rechten Brustkorbhälfte 
bei tiefer Atmung um 3 cm, der linken um l 1 /* cm. Lungengrenzen rechts unten, 
vorn und hinten normal und verschieblich. Auf der rechten Lunge normales Zellen¬ 
atmen. 

Auf der linken Brustkorbhälfte findet sich vom von der 3. Rippe abwärts 
eine Schallabschwächung, die nach dem Rippenbogen hin in Tympanie übergeht. 
In der vorderen Achselhöhlenlinie von der 6. Rippe abwärts, in der hinteren von 
der 8. Rippe abwärts deutliche Schallabschwächung. Stirnmfremitus links hinten 
unten deutlich schwächer wie rechts, das Atemgeräusch ist hier sehr leise, in den 
seitlichen und vordem Lungenpartien teils fehlend, teils bronchial. 

Herz: Spitzenstoß im 5. Zwischenrippenraum etwa 2 Querfinger neben dem 
linken Brustbeinrand, die Herzdämpfung reicht nach rechts bis 2 Querfinger über 
den rechten Brustbeinrand hinaus. Töne rein, Tätigkeit regelmäßig. 

Bauch: Ohne Auftreibung, eher etwas eingesunken, ohne Erguß, Bauchdecken 
überall weich und eindrückbar. In der Mittellinie oberhalb des Nabels geringe 
Diastase. Ober- und unterhalb des Nabels lautes Plätschergeräusch. Unterer Pol 
der rechten Niere deutlich fühlbar. Leberdämpfung normal. 

Leistenkanal beiderseits weit. Rechter Hoden weder im Hodensack noch im 
Leistenkanal nachweisbar. Beiderseits Plattfußbildung. Deutliche Dermo- 
graphie der Haut, die sonstigen Reflexe lebhaft. 

Blut: Hämoglobin 75%, Leukocyten 5700, Erythrocyten 3 000 000. 

Urin: Eiweiß negativ, Zucker negativ, kein Sediment. 

Mageninhalt morgens nüchtern ausgehebert ca. 50 ccm leicht getrübter Magen¬ 
saft mit Schleimfetzen vermischt. Reaktion sauer, Gesamtacidität 55, freie Salz¬ 
säure 51, Milchsäure negativ, Sarcine vereinzelt vorhanden, einzelne Hefe- und 
Stärkekömer. 

22. XI. 1922. Gestern einmal, heute zweimal Erbrechen. 

Röntgendurchleuchtung ergibt: Herz deutlich nach rechts verlagert. Auf 

der linken Brustkorbhälfte fällt ein dichter Schatten auf, der seitlich vom 2. Zwi¬ 
schenrippenraum schräg einwärts zieht nach der Vorhofkammergrenze. Inner¬ 
halb des dichten Schattens eine unregelmäßige Aufhellung. Zwerchfellkuppe rechts 
deutlich sichtbar, gut beweglich. Links ist eine Zwerchfellgrenze nicht erkennbar, 
dagegen ihrer Höhe scheinbar entsprechend eine auffallend große Magenblase. 

23. XI. 1922. Magendurchleuchtung nach Einnahme von Kontrastbrei: 
caudaler Magenpol steht außerordentlich tief, innerhalb des kleinen Beckens, 
Mittelteil in der Mittellinie, völlige Atonie, keine Spur von Peristaltik, nach 6 Stun¬ 
den noch fast keine Entleerung. 

24. XI. 1922. Magen 20 Stunden nach Aufnahme der Kontrastmahlzeit noch 
zum größten Teil gefüllt. 

Untersuchung der Lunge am Abend ergibt eine wesentliche Veränderung des 
Befundes im Vergleich zu der Untersuchung vom 21. XI. Über der linken Lunge 
in den unteren Partien auffallende Tympanie, auch an Stellen, wo seither deut¬ 
liche Schallabschwächung bzw. Dämpfung bestand. Außerdem sind hinten in 
Höhe der 8., 9., 10. Rippe auffallend deutlich Darmgeräusche zu hören. Auf Grund 
dieser Beobachtung und unter Berücksichtigung der Verlagerung des Herzens 
nach rechts wurde die Diagnose Zwerchfellbruch gestellt (Prof. Ganter). 

Diese Diagnose wurde bestätigt durch die am nächsten Morgen nochmals 
vorgenommene Röntgendurchleuchtung 48 Stunden p. c.: 


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Kasuistik des angeborenen, nicht eingeklemmten, falschen Zwerchfellbruches. 473 

25. XI. 1922. Im Bereich des verschatteten linken unteren Lungenfeldes 
sind sehr deutlich mit Kontrastmasse gefüllte Dünnd&rmschlingen mit lebhafter 
Peristaltik zu sehen. Etwa 1 / 3 der Kontrastmahlzeit noch im Magen. Nachmittags 
noch immer gefüllte Dünndarmschlingen in der linken Brustkorbhälfte bis hinauf 
zur 2. Rippe sichtbar. Durchleuchtung in seitlicher Richtung zeigt, daß die Darm¬ 
schlingen dorsal wärt s liegen und sich mit dem Wirbelsaulenschatten zum großen 
Teil decken. Nach Lufteinblasung in den Mastdarm hellt sich zunächst der in der 
Bauchhöhle liegende Teil der Flexura sigmoidea und das Colon descendens auf, 
diese Aufhellung setzt sich aber auch weiter fort in die linke Brustkorbhälfte, so 
daß die gefüllten Dünndarmschlingen sich noch viel kontrastreicher wie vorher 
abheben. Demnach müssen auch Teile des Dickdarms innerhalb der linken Brust¬ 
korbhälfte liegen. Während der Lufteinblasung Klagen über Spannungsgefühl 
auf der linken Brustseite. 

27. XI. 1922. Nach Einstich einer Kanüle in der Mitte zwischen linkem Darm¬ 
beinstachel und Nabel Einblasung von 500 ccm Sauerstoff in die Bauchhöhle. 
Unmittelbar danach sehr starke Tympanie der ganzen linken Brustkorbhälfte 
bis hinauf zur 2. Rippe, mit Ausnahme eines Teiles links hinten unten, wo noch 
eine gewisse Dämpfung bestehen bleibt. Herzdämpfung jetzt noch stärker nach 
rechts verschoben bis zur rechten Brustwarzenlinie. Subjektiv keine besonderen 
Beschwerden, außer geringem Spannungsgefühl. Puls dauernd gut. Vor dem 
Röntgenschirm sieht man die ganze linke Brustkorbhälfte luftgefüllt, Mittelfell 
und Herz weit nach rechts verdrängt. Rechte Lunge jetzt deutlich dichter ver- 
schattet wie früher. In dem linken Brustfellraum noch einzelne gefüllte Dünn¬ 
darmschlingen sichtbar. 

Anschließend an die Durchleuchtung Füllung des Mastdarms mit Kontrast¬ 
einlauf, der zunächst Flexura sigmoidea und Colon descendens füllt, dann weiter 
in die linke Brustfellhöhle bis zur 2. Rippe hinaufsteigt, hier in einen absteigenden 
Schenkel umbiegt, der nach unten etwa der Höhe der rechten Zwerchfellhälfte 
entsprechend herunter reicht. Sonst innerhalb der Bauchhöhle keine Dickdarm¬ 
füllung mehr zu erzielen. Zwerchfellgrenze links auch jetzt trotz gleichzeitig vor¬ 
handenem Pneumo peritoneum und Pneumothorax nicht zu erkennen. Dagegen 
ist jetzt deutlich der Milzschatten sichtbar neben und unterhalb der Magenblase 
einwärts vom Colon descendens. Die Anlegung des Pneumoperitoneums bzw. des 
Pneumothorax hat auch weiterhin zu keinen Störungen geführt, auffallend war 
aber, daß sich am linken Rippenbogen ein mäßiges Hautemphysem entwickelte. 

Auf Grund der mehrfachen Untersuchungen konnte demnach festgestellt 
werden, daß bei den jugendlichen Pat. eine hochgradige Erweiterung und erheb¬ 
licher Tiefstand des Magens vorlag, daß die Entleerung des Magens sehr stark 
verzögert war und daß außerdem noch ein linksseitiger Zwerchfellbruch bestand. 
Bezüglich des letzteren waren noch folgende Einzelheiten festgestellt, daß nämlich 
Leber, Magen und Milz sich in der Bauchhöhle fanden, daß in der linken Brust¬ 
fellhöhle Teile des Dünndarms und wahrscheinlich mit Ausnahme des absteigenden 
Teils und der Flexura sigmoidea der ganze übrige Dickdarm gelegen war. Da der 
Milzschatten einwärts vom Colon descendens lag, wurde angenommen, daß die 
Zwerchfellticke, durch die die Baucheingeweide in die Brustfellhöhle eintraten, 
seitlich und unter Berücksichtigung der Durchleuchtung in seitlicher Richtung 
im hinteren Teil der Linken Zwerchfellhälfte sich befand. Die Tatsache, daß in 
der Vorgeschichte eine Verletzung oder ein Unfall nicht nachgewiesen werden 
konnte, sprach für die Annahme eines angeborenen Zwerchfellbruches. Dafür 
sprach auch der Nachweis anderer Mißbildung, nämlich die abnorme Verlagerung 
des Dickdarms, die beim normalen Befestigungsverhältnis desselben in der Bauch¬ 
höhle nicht möglich gewesen wäre, und der Monorchismus. 


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474 


0. Wiemann: 


Die klinische Diagnose fand ihre Bestätigung durch die am 4. XII. vorge¬ 
nommene Operation (Geh.-Rat König . Mischnarkose): 

Schnitt unterhalb des linken Rippenbogens. Nach Eröffnung des Bauchfells 
liegen Milz, Magen und linker Leberlappen, der weit nach links hinüber reicht, 
vor. Die Milz ist nach rechts hin verlagert und liegt der vorderen Bauchwand an. 
Der Magen ist sehr groß, reicht weit nach unten, Pylorus weit* ebenso auch der 
Anfangsteil des Duodenums. Sonst am Magen nichts Besonderes. Die linke Zwerch¬ 
fellkuppe ist gut zugänglich und man sieht durch einen Spalt in ihr Dickdarm 
und Dünndarmschlingen in der linken Brustfellhöhle verschwinden. Zunächst 
wird der Dickdarm entwickelt, dabei zeigt sich, daß das ganze Colon transversal» 
mit Netz und das ganze Colon ascendens in der Brustfellhöhle lag. Zuletzt er¬ 
scheint das Coecum und der mit ihm verwachsene Wurmfortsatz. Der Dickdann 
war rückwärts von Magen und Milz in den Zwerchfellspalt eingetreten. Weiterhin 
werden dann Dünndarmschlingen aus der Brustfellhöhle herausgezogen, wobei 
sich zeigt, daß auch der größte Teil des Dünndarms verlagert war. Die Entwick¬ 
lung des Dünndarms ist an einzelnen Stellen erschwert durch Verwachsungen des 
Mesenteriums mit dem medialen Rand des Zwerchfellspaltes. Bei Lösung der¬ 
selben trat durch Einreißen mehrerer Venen eine ziemlich starke Blutung ein, die 
erst nach Erweiterung des Bauchdeckenschnittes nach außen gestillt werden konnte. 
Es ist zunächst unmöglich, die Dünndarmschlingen in die viel zu kleine Bauch¬ 
höhle zurückzubringen, sie müssen deshalb vorgelagert werden. Der Zwerchfell¬ 
spalt befindet sich im hinteren Teil der linken Hälfte ziemlich weit lateral, in der 
Länge mißt er etwa 10 cm, in seiner größten Breite in der Mitte 4 cm, die Ränder 
sind glatt und kräftig entwickelt. Soweit man durch den Zwerchfellspalt hindurch 
die linke Brustfellhöhle abtasten kann, ist von Lunge nichts zu fühlen. Der Ver¬ 
schluß des Zwerchfellspaltes durch kräftige Seidenknopfnähte gelingt im hinteren 
Teil ohne Schwierigkeit, ist dagegen im vorderen Teil schwieriger, so daß hier 
einzelne verwachsene Teile des Mesenteriums mit in die Naht hineingenommen 
werden. Daran schließt sich weiterhin die Reposition der noch außerhalb der 
Bauchhöhle gelegenen Dünndarmschlingen, die sich als der bei weitem schwierigste 
Teil der Operation erweist, so daß auch die Bauchdeckennaht recht schwierig 
ist und nur unter größter Spannung mit durchgreifenden Nähten ausführbar ist. 

Der Allgemeinzustand des Pat., der durch die Operation recht mitgenommen 
war, war auch in den folgenden Tagen noch sehr schwer, wie sich aus den folgenden 
Angaben der Krankengeschichte ergibt: 

4. XII. 1922. Atmung sehr erschwert, linke Brustkorbhälfte steht dabei voll¬ 
kommen still. Bauchdecken vorgewölbt, bretthart gespannt, nirgends eindruck- 
bar. Puls 120. 

5. XII. 1922. Zustand unverändert. Puls 130. Temperatur wie vor der 
Operation zwischen 36 und 37°. 

6. XII. 1922. Atmung etwas leichter, Bauchdecken etwas weicher, Puls 
noch 130. Heute von selbst Stuhlentleerung. 

7. XII. 1922. Befinden auch subjektiv besser, Puls zwischen 115 und 120. 

11. XII. 1922. Atmung freier, linke Brustkorbhälfte atmet aber kaum mit. 

Puls allmählich auf die Werte vor der Operation zwischen 80 und 90 gesunken. 
Erbrechen seit der Operation nicht mehr aufgetreten, täglich von selbst Stuhl¬ 
entleerung. 

17. XII. 1922. Befinden nach wie vor befriedigend. Perkutorisch über der 
linken Brustkorbhälfte lauter, tympanitischer Schall, mit Ausnahme eines kleinen 
Bezirks links hinten neben der Wirbelsäule. Herz perkutorisch und vor dem 
Röntgenschirm nicht mehr so stark nach rechts verlagert wie vor der Operation, 
fast in normaler Lage. Links Zwerchfellkuppel jetzt deutlich zu erkennen, steht 


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Kasuistik des angeborenen, nicht eingeklemmten, falschen Zwerchfellbruches. 475 

etwas tiefer wie die rechte, ist aber vollkommen imbeweglich. Wundverlauf un¬ 
gestört, bis auf einzelne Nekrosen an den Hauträndern, die in Abstoßung be¬ 
griffen sind. 

20. XII. 1922. Seit 2 Tagen Puls und Temperaturi im Ansteigen. Gestern 
abend plötzlich Klagen über Stiche auf der linken Brustseite beim Atmen. Atmung 
auch objektiv wieder schwerer wie seither. Perkutorisch deutliche Dämpfung 
links hinten unten bis 1 Querfinger unterhalb des oberen Schulterblattwinkels. 
Beim Schütteln deutliches Plätschern. Röntgenologisch wagrechter Flüssigkeits¬ 
spiegel in der linken Brustfellhöhle. Punktion ergibt: Klares seröses Exsudat, 
von dem 200 ccm abgelassen werden. Mikroskopisch und kulturell steril. 

22. XII. 1922. Allgemeinbefinden weiterhin verschlechtert. Puls 120, At¬ 
mung mühsam, Erguß bis 2 Querfinger oberhalb des unteren Schulterblattwinkels 
gestiegen. Es werden 800 ccm abgelassen, das Exsudat ist jetzt deutlich getrübt und 
zeigt mikroskopisch zahlreicheLeukocyten, Staphylokokken und Streptokokken. 

23. XII. 1922. Resektion der 9. Rippe in der hinteren Achselhöhlenlinie, 
Entleerung des Empyems und Drainage. Bei der Operation zeigt sich, daß die 
linke Zwerchfellkuppe von oben her vollkommen geschlossen ist. 

27. XII. 1922. Aus der Rippenresektionswunde Absonderung von dünn¬ 
flüssigem, jetzt ziemlich übelriechendem Eiter. Im Anschluß an die letzte Opera¬ 
tion kurze vorübergehende Besserung, weiterhin aber zunehmende Verschlechte¬ 
rung des Allgemeinbefindens. Appetit sehr schlecht, zunehmende Abmagerung, 
dauernd hohe Pulsfrequenz. Am rechten Oberschenkel hat sich im Anschluß an 
eine Normosal-Infusion ein Absceß gebildet. 

4.1. 1923. Exitus letalis. 

Da die Sektion in manchen Punkten interessante Aufklärung ergab, ist es 
notwendig, an dieser Stelle auch die wichtigsten Angaben aus dem Sektionsbericht 
(Geh.-Rat M. B. Schmidt) anzuführen: 

Sehr magere Leiche. Linkes Bein etwas geschwollen. Am rechten Ober¬ 
schenkel eine schlitzförmige Öffnung in der Haut, aus der sich aus der Tiefe Eiter 
entleert. Über der linken Kreuzbeinhälfte fünfmarkstückgroßer Dekubitus. Auf 
der linken Hälfte des Rückens eine große Operationswunde, in die die Resektions¬ 
stümpfe einer Rippe hineinragen. Vorne findet sich entsprechend dem linken 
Rippenbogen eine Reihe von verschiedenen rundlichen Defekten der Haut mit 
eingetrocknetem Grund, die miteinander durch Narben verbunden sind. 

Bei Eröffnung der Bauchhöhle tritt zunächst der sehr große Magen zutage, 
der einen großen Teil der rechten Hälfte der Bauchhöhle einnimmt und bis ins 
kleine Becken hineinhängt. Der Magen ist stark hufeisenförmig gekrümmt, die 
kleine Kurvatur ragt noch unter dem unteren Leberrand hervor, obwohl letzterer 
3 Querfinger breit den Rippenrand überschreitet. Unter dem Magen liegt ein 
Teil des Kolon im kleinen Becken und zwar das Colon ascendens und rechte Hälfte 
des Colon transveraum. Coecum und Colon ascendens sind gegen die hintere Bauch¬ 
wand frei und nicht durch ein eigenes Mesenterium befestigt, so daß die hintere 
Bauchwand in ihrer rechten Hälfte einen ganz glatten Überzug von Bauchfell 
besitzt. Erst in der Mittellinie erhebt sich dasselbe zu einer Verdoppelung, welche 
an das Mesocolon transversum sich ansetzt. Auch die untersten Ileumschlingen 
liegen im kleinen Becken. An der medialen Seite des ganz langen beweglichen 
Mesocolon ascendens sind mehrere Dünndarmschlingen durch bindegewebige 
Stränge adhärend. Die Schlingen sind auch untereinander verwachsen, zum Teil 
auch, und zwar weit mit der vorderen Bauchwand. Mit der letzteren ist auch die 
linke Hälfte des Colon transveraum verwachsen. 

Die rechte Zwerchfellhälfte ist geschlossen, steht an der 5. Rippe. Die Kuppe 
der linken Zwerchfellhälfte ebenfalls an der 6. Rippe. Sie ist zum Teil durch die 


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476 


O. Wiemann: 


Milz ausgefüllt, welche etwas adhärend ist. Neben der Milz ist an das Zwerchfell 
die linke Hälfte des Colon transversum und die Flexura linealis herangezogen. Die 
letztere ist ganz breit daran fixiert. Hinter derselben liegt ein Paket von Dünn¬ 
darmschlingen, ebenfalls durch lockeres Gewebe fixiert. Im kleinen Becken ca. 
70 ccm fast klares gelbes Serum. Die Oberfläche der Dünndarmschlingen ist 
spiegelnd, vielfach schwärzlich pigmentiert. 

Die linke Zwerchfellhälfte ist vorne und seitlich bis zur Höhe der 7. Rippe 
an die seitliche Brustwand herangezogen und bindegewebig verwachsen. Die 
linke Brustfellhöhle ist weit, die linke Lunge als kleiner Körper gegen die Wirbel¬ 
säule gedrängt und die Oberfläche mit einer Schicht grünlichen Eiters überzogen. 
Die rechte Lunge ist durch vereinzelte Stränge an Brustwand und Mittelfell fixiert. 
Die linke Zwerchfellhälfte wölbt sich als geschlossene Kuppe gegen die Brusthöhle 
vor. Die erwähnte Resektionswunde liegt nur wenig über dem Ansatz des Zwerch¬ 
fells an der hinteren und seitlichen Wand. 

Der Herzbeutel ist etwas nach rechts verschoben, das Herz steht ziemlich 
steil. Im Herzbeutel etwas klare Flüssigkeit. Die Zwerchfellfläche des Herz¬ 
beutels ist gut gebildet, das Herz von mittlerer Größe, der linke Ventrikel gut 
kontrahiert. Das Myokard ist blaß, in der Spitze des linken Ventrikels befindet 
sich ein an der Oberfläche rötlichweißer kugeliger Thrombus von Kirschengröße. 
Aus der linken Septumwand erhebt sich das Reizleitungssystem ungewöhnlich 
stark heraus, aus ihm isoliert sich ein kleiner Strang, welcher quer durchs Lumen 
zur seitlichen Herzwand zieht. Der Conus pulmonalis ist etwas dünnwandig und 
dilatiert, die Klappen sind beiderseits gut entwickelt. 

Die Schleimhaut des erweiterten Magens ist sehr blaß, etwas in Falten gelegt, 
sonst ganz unverändert. Der Pylorusring ist sehr weit, beim Aufschneiden 12 1 /, cm. 
Auch das Duodenum ist stark erweitert und ebenso der obere Dünndarm bis zu 
einer Stelle, an der der Darm stark in Schlingen gefaltet ist und dieselben mitein¬ 
ander stark verwachsen sind. Die Gallengänge sind wegsam, die Gallenblase lang 
und schmal. 

Die Leber ist ziemlich groß, enthält viel Fett in den äußerenTeilen der Läppchen. 

Die Milz ist von durchweg blasser Farbe, etwas groß, Pulpa blutreich und derb. 

Der ganze mittlere Teil der linken Zwerchfellhälfte ist wohlgebildet. Unter 
der breit adhärenden Flexura coli sinistra kommt eine Nahtlinie, welche dem 
hinteren seitlichen Teil des Zwerchfells angehört und vollständig durch die er¬ 
wähnten Verwachsungen gedeckt ist und welche ungefähr in der Schulterblatt¬ 
linie ganz nahe an die Rippen heranreicht, zum Vorschein. Von oben gesehen 
tritt die Nahtlinie selbst nicht zutage, sondern ist gedeckt durch die früher er¬ 
wähnten Verwachsungen des Zwerchfells an der seitlichen Bauch wand. Eine 
deutliche Nahtlinie ist weder an der Ober- noch an der Unterfläche deutlich fest¬ 
zustellen, vielmehr finden sich nur einzelne Fadenschlingen in dem Granulations¬ 
gewebe, welches unten durch die Verwachsungen des Kolons und längs der Ver¬ 
wachsungen der Flexura lienalis zurückbleibt und eine dreieckige Form hat. Von 
dem HiatuB oesophageus sind diese Nähte in querer Richtung 11 cm entfernt. 

Von der linken Lunge ist der Unterlappen ganz luftleer und umgewandelt 
in ein rotes derbes Gebilde von 6 cm Länge, S l / 2 cm Breite und 2 cra Dicke. Der 
Oberlappen ist stark gewölbt, aber ebenfalls vollkommen luftleer. Die ganze 
Oberfläche der Lunge ist überzogen von verdickter Pleura, die ca. 2 mm dick ist. 
wie die gesamte linksseitige Pleura. 

Die rechte Lunge ist recht voluminös, durchweg lufthaltig, die Schleimhaut 
der Bronchien ist blaß. 

Die linke Niere ist von mittlerer Größe, an der Hinterfläche besteht eine 
kleine narbige Einziehung, sonst ist die Oberfläche glatt. Das Nierenbecken ist 


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Kasuistik des angeborenen, nicht eingeklemmten, falschen Zwerchfellbruches. 477 

etwas breit, das Nierengewebe gut transparent. An der rechten Niere finden sich 
einzelne adhärende Gefäße, auch hier ist das Nierenbecken leicht erweitert, das 
Gewebe wie links. 

Das Scrotum ist sehr schmal, die rechte Hälfte klein und leer. Der rechte 
Hoden sitzt über dem Poupart sehen Band dem oberen Teil der Darmbeinschaufel 
breit aufgelagert. Der rechte Hoden ist von mittlerer Größe. In der Excavatio 
vesico-uterina ist das Bauchfell stark gerötet und enthält etwas trockenes Fibrin 
in Form zweier Membranen. Der rechte Hoden ist wesentlich kleiner als der linke, 
liegt in einer dicken Tunica, sein Gewebe unterscheidet sich von dem des linken 
nur durch die Blässe. 

Am Darmkanal sonst keine Veränderung; in der linken Vena femoralis findet 
sich ein obturierender frischer Thrombus. 

Gehirn o. B. 

Aus dem vorstehenden Sektionsbericht ist zunächst besonders her¬ 
vorzuheben die festgestellte Dünndarmstenose, die, durch Verwach¬ 
sungen bedingt, zu einer Erweiterung des oberen Dünndarmabschnittes, 
des Zwölffingerdarms und des Magens geführt hat. Diese Behinderung 
der Darmpassage steht offenbar in ursächlichem Zusammenhang mit 
den in der Vorgeschichte erwähnten Störungen von seiten des Magens. 
An und für sich sind Beschwerden von seiten des Magens bei gleichzeitig 
bestehendem Zwerchfellbruch sehr häufig und in ersten Linie durch die 
Tatsache erklärt, daß in rund 90% aller Zwerchfellbrüche der Magen 
ganz oder teilweise verlagert ist. Da nun im vorliegenden Fall die 
Röntgenuntersuchung ergeben hatte, daß der Magen sich in der Bauch¬ 
höhle befand, so war natürlich eine Erklärung des Erbrechens, das auch 
während des Aufenthaltes in der Klinik beobachtet wurde, und des vor 
dem Röntgenschirm festgestellten ungewöhnlichen Tiefstandes des 
Magens und der schweren Entleerungsstörung durch den bestehenden 
Zwerchfellbruch nicht ohne weiteres gegeben. Es blieb aber die Möglich¬ 
keit bestehen, daß durch die Verlagerung der anderen Eingeweide, die 
innerhalb der Brustfellhöhle nachgewiesen wurden, doch irgendwie eine 
Abknickung am Pylorus zustande gekommen war. Selbstverständlich 
wurde auch an die Möglichkeit eines Magenulcus gedacht, das in seltenen 
Fällen neben gleichzeitig bestehendem Zwerchfellbruch gefunden wurde 1 ) 
( Boysen ). Die Möglichkeit muß auch offengelassen werden, daß vielleicht 
früher andere Teile der Baucheingeweide in die Brustfellhöhle verlagert 
waren und damit die erwähnten Verwachsungen in Zusammenhang 
stehen, deren Erklärung natürlich nicht sicher möglich ist, die aber schon 
längere Zeit vor der Operation bestanden haben müssen. Für die Wahr¬ 
scheinlichkeit, daß außer der erwähnten Stenosierung des Dünndarms 
noch anderweitige Ursachen gelegentlich zu einem völligen Verschluß 
und damit auch zu den anfallsweisen auf getretenen Störungen Ver¬ 
anlassung gaben, spricht auch der postoperative Verlauf. Nach der 

1 ) Über Zusammenhang von Zwerohfellbruch und Magengeschwür siehe 
auch Lacher. 


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Qrigiralfrcm 

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478 


0. Wiemaim: 


Reposition der verlagerten Eingeweide in die Bauchhöhle waren die 
Erscheinungen von seiten des Magens beseitigt, obwohl an den Ver¬ 
wachsungen des Dünndarms nichts geändert war. 

Über die Diagnostik der Zwerchfellhemie hier nähere Angaben zu 
bringen, erübrigt sich, da alles Wissenswerte sich in den Zusammen¬ 
stellungen von Eppinger, Lacher und Struppler findet. Erwähnt sei nur 
die Anlegung des Pneumoperitoneums, die in der Absicht geschah, 
einen etwa vorhandenen Bruchsack sichtbar zu machen, aber in diesem 
Sinne kein positives Ergebnis bringen konnte, da es sich ja um einen 
angeborenen Vorfall, nicht aber um einen echten Zwerchfellbruch 
handelte. Immerhin ist zu bemerken, daß die Anlegung des Pneumo¬ 
peritoneums und der sich unmittelbar im Anschluß daran ausbildende 
Pneumothorax trotz hochgradiger Verdrängung des Mittelfelles und 
des Herzens zunächst weder zu Störung von seiten der Kreislauforgane 
noch der Atmung führte. 

Was die röntgenologische Darstellung der Zwerchfellkuppel bei be¬ 
stehendem Zwerchfelldefekt betrifft, so sei hier nur hervorgehoben, 
daß es nicht möglich war, auch nicht nach Anlegung von Pneumoperi¬ 
toneum und Pneumothorax eine Zwerchfellgrenze festzustellen, obwohl 
der größte Teil der linken Zwerchfellkuppel gut und kräftig entwickelt 
war, und der Defekt ungewöhnlich weit seitlich sich befand. Erst nach 
der Naht des Defektes trat die Zwerchfellkuppel in normaler Weise ab 
allerdings unbewegliche Grenze zwischen Brust- und Bauchhöhle hervor. 
Auf den Wert der Sichtbarkeit der Zwerchfellgrenze für die Unter¬ 
scheidung von echtem Zwerchfellbruch, falschem Zwerchfellbruch und 
der sog. Relaxatio diaphragmatica hier näher einzugehen, erübrigt sich. 

Wie aus dem Sektionsbericht weiter hervorgeht, fanden sich auch 
anormale Befestigungsverhältnisse des Dickdarms, die bereits bei der 
klinischen Untersuchung auf Grund der Verlagerung von Dickdarm¬ 
teilen innerhalb der Pleurahöhle vermutet werden konnten. Coecum 
und Colon ascendens waren gegen die hintere Bauchwand nicht durch 
ein eigenes Mesenterium befestigt, sondern erst in der Mittellinie hat 
sich der Peritonealüberzug der hinteren Bauchwand zu einem langen 
beweglichen Mesocolon ascendens entwickelt. Derartige Mißbildungen 
in der Befestigung der Baucheingeweide bei gleichzeitig bestehender 
Zwerchfellhemie finden sich bei Durchsicht der Literatur nicht selten 
und sind von Schivalbe und Qruber als Mesenterium commune ausführ¬ 
lich beschrieben worden. 

Bezüglich der Operationstechnik ist an Hand des vorliegenden Falles 
nur wenig hervorzuheben. Der Zugang zur Zwerchfellücke vom Schnitt 
parallel dem linken Rippenbogen erwies sich vollkommen ausreichend. 
Wie erwähnt, bot die Entwicklung des Darmes aus der Pleurahöhle 
keine Schwierigkeiten und wäre bei Anlegung eines thorakalen Schnittes 



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Kasuistik des angeborenen, nicht eingeklemmten, falschen Zwerchfellbruches. 479 


von der Pleurahöhle aus nicht leichter gewesen. Dagegen ist im vor¬ 
liegenden Falle anzunehmen, daß bei thorakalem Vorgehen die Re¬ 
position der Darmschlingen in die Bauchhöhle nicht vollkommen ge¬ 
lungen wäre oder die Naht des Zwerchfelldefektes den größten Schwie¬ 
rigkeiten begegnet wäre, während sich die letztere vom Bauchschnitt 
aus ohne wesentliche Schwierigkeiten durchführen ließ, zu einer Zeit, 
als ein großer Teil der Darmschlingen vor die Bauchhöhle gelagert war. 
Wie bereits im Operationsbericht erwähnt, war das Hineinbringen des 
Darmes in die Bauchhöhle und die Bauchdeckennaht durchaus der 
schwierigste Teil der Operation, die Bauchdeckennaht nur unter größter 
Spannung möglich. Die abnorm starke Spannung der Gewebe ist wohl 
auch als Ursache anzusehen für die sich entwickelnde anfänglich asep¬ 
tische Hautnekrose an den Wundrändern. Diese Schwierigkeiten sind 
ohne weiteres verständlich, wenn man bedenkt, daß bei der Operation 
deB angeborenen Zwerchfellbruches nach Reposition der Baucheingeweide 
und Verschluß des Zwerchfelldefektes die Bauchorgane, die seither in 
Bauchhöhle und einer Brustfellhöhle sich befanden, plötzlich mit dem 
Raum in der Bauchhöhle allein sich begnügen müssen. Die Verhältnisse 
liegen hier ähnlich wie bei der Reposition lange Zeit bestehender großer 
Hernien an anderen Stellen und bieten auch die gleichen Gefahren für 
die Atmungs- und Kreislauforgane. Tatsächlich standen auch im post¬ 
operativen Verlauf die Behinderung der Atmung und die stark beschleu¬ 
nigte Herztätigkeit tagelang durchaus im Vordergründe. Das jugendliche 
Alter des Patienten mag wohl an dem zunächst guten Verlauf wesentlich 
mitgeholfen haben. Bei der noch nicht lange Zeit bestehenden trau¬ 
matischen Zwerchfellhemie sind derartige Schwierigkeiten in der Regel 
nicht gegeben. 

Die abnorm hohe Spannung, die zunächst in solchen Fällen in der 
Bauchhöhle nach der Bauchdeckennaht entsteht, ist nun noch in einer 
anderen Beziehung wichtig, da sie nämlich von vornherein die Naht des 
Zwerchfelldefektes unter starke Spannung bringt. Es hat sich aber 
im vorliegenden Fall nicht nur bei der Röntgenuntersuchung nach 
der Operation, sondern auch bei der Autopsie gezeigt, daß die Naht 
des Zwerchfelldefektes vollkommen fest und sicher geblieben ist, so daß 
eine Verstärkung der Naht durch Plastik überflüssig gewesen wäre. 

Wie in der Krankengeschichte bereits erwähnt, war der Verlauf in 
den ersten 14 Tagen nach der Operation durchaus befriedigend, der 
Patient fühlte sich, abgesehen von den ersten Tagen, subjektiv und ob¬ 
jektiv recht wohl, insbesondere traten auch von seiten des Magendarm¬ 
kanals keine Störungen auf. Eine ungünstige Wendung trat erst auf mit 
der Entwicklung eines pleuritischen Exsudates, das in ein Empyem 
überging. Nach Eingriffen in der Brustfellhöhle ist die Entstehung 
eines Exsudates nichts Ungewöhnliches, in diesem Falle ist es aber doch 


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480 


O. Wiem&im: 


auffallend, daß es erst nach etwa 14 Tagen, bei sonst ungestörtem Heil¬ 
verlauf, in Erscheinung trat. Die Entstehung des Ergusses kann in Zu¬ 
sammenhang gebracht werden mit dem nach der Operation zurück¬ 
gebliebenen geschlossenen Pneumothorax, wobei aber auch berück¬ 
sichtigt werden muß, daß bereits schon 7 Tage vor der Operation durch 
Anlegung des Pneumoperitoneums gleichzeitig ein Pneumothorax er¬ 
zeugt wurde. Der Übergang des Ergusses in ein Empyem ist nicht 
auffallend, wenn man die bekannten klinischen und experimentellen 
Erfahrungen über die Herabsetzung der Resistenz der Pleurahöhle 
gegenüber Infektion durch gleichzeitig vorhandene Luft in der Pleura¬ 
höhle berücksichtigt. Die Infektion des Ergusses ist wahrscheinlich 
erfolgt von den unterhalb des linken Rippenbogens in Abstoßung be¬ 
griffenen Hautnekrosen und der begleitenden Eiterung. 

Im Zusammenhang mit diesen Erwägungen muß allerdings noch 
eine Tatsache erwähnt werden, daß nämlich bei der Autopsie eine Hypo¬ 
plasie und vollständige Atelectase der linken Lunge festgestellt wurde. 
Die in ihrer Entwickelung stark zurückgebliebene Lunge war selbst¬ 
verständlich nicht imstande, sich genügend auszudehnen, um nach der 
Reposition der Eingeweide aus der Brusthöhle in die Bauchhöhle die 
erstere genügend ausfüllen zu können. In diesem Fall war also die Aus¬ 
sicht, daß durch Ausdehnung der Lunge ein Rückgang des Pneumo¬ 
thorax bezw. des pleuritischen Exsudates herbeigeführt werden konnte, 
nicht vorhanden. Daraus folgt, daß besonders bei dem angeborenen 
Zwerchfellbruch für den postoperativen Verlauf das Verhalten der be¬ 
treffenden Lunge sehr bedeutsam werden kann. 

Dabei ist hier nicht in erster Linie an die Kompression einer normal ent¬ 
wickelten Lunge durch die verlagerten Eingeweide gedacht, wie sie sich bei 
angeborenen und erworbenen Zwerchfellbrüchen findet, sondern an die mit 
angeborenem Zwerchfellbruch einhergehenden Mißbildungen der Lunge. 

Lacher gibt an, daß beim kongenitalen Zwerchfellbruch die be¬ 
treffende Lunge meist nur ganz rudimentär oder ganz bedeutend kom¬ 
primiert vorhanden ist und fast luftleer nach oben und hinten gegen 
die Wirbelsäule gedrängt gefunden wird. In der Literatur finden sich 
zahlreiche Fälle, bei denen die betreffende Lunge als rudimentär, un¬ 
gewöhnlich klein, hypoplastisch bezeichnet wird, abgesehen von den 
Fällen, wo die betreffende Lunge überhaupt fehlt oder bei denen es 
sich um mangelhafte Lappenbildung handelt oder eine Bildung über¬ 
zähliger Lungenlappen vorliegt ( V. Oössnitz, Rauert , Reinhardt, Bischoff, 
Lacher). Eine derartige Mißbildung der Lunge findet sich allerdings 
besonders häufig bei den Fällen von angeborenem Zwerchfellbruch, 
bei denen entweder gar keine oder nur kurze Zeit Lebensfähigkeit be¬ 
standen hat. Beim Erwachsenen scheint das gleichzeitige Vorkommen 
von angeborenem Zwerchfellbruch und mangelhafter Entwicklung der 


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Kasuistik des angeborenen, nicht eingeklemmten, falschen Zwerchfellbruches. 481 

betreffenden Lunge selten zu sein und wird natürlich, wie im vorliegenden 
Fall, noch seltener Gegenstand chirurgischer Behandlung. Bei Lacher 
findet sich unter 123 angeborenen Zwerchfellbrüchen nur 1 Erwachsener, 
wo gleichzeitig eine rudimentäre Entwicklung der Lunge Vorgelegen hat. 

Die Kombination von kongenitaler Zwerchfellhemie und Hypo¬ 
plasie der Lunge ist nicht allein wegen ihrer Seltenheit bemerkenswert, 
sondern auch wegen ihrer praktischen Bedeutung für die chirurgische 
Behandlung. Es liegt auf der Hand, daß in diesen Fällen mit der Ver¬ 
lagerung der Eingeweide in die Bauchhöhle und dem sicheren Verschluß 
des Zwerchfellspaltes ideale Verhältnisse insofern nicht geschaffen 
werden als infolge der mangelhaften Ausdehnungsfähigkeit der Lunge 
stets ein Pneumothorax auch weiterhin bestehen bleiben muß. 

Diese Tatsache ist selbstverständlich auch von Bedeutung für die 
Indikationsstellung zur Operation. Die Angaben in dieser Beziehung 
in der Literatur lauten recht verschieden, teils wird, wenigstens in den 
Veröffentlichungen der neueren Zeit, die Radikaloperation nicht ein¬ 
geklemmter Zwerchfellbrüche ohne besondere Einschränkung verlangt, 
teils wird z. B. von Schumacher bei angeborenen Zwerchfellbrüchen, 
die keine oder unbedeutende Beschwerden verursachen, ein abwartendes 
Verhalten für angebracht gehalten. Vom praktischen Standpunkt aus 
erhebt sich die Frage, ob es gelingt, klinisch oder bei der Operation dar¬ 
über Aufschluß zu bekommen, wie weit die betreffende Lunge noch aus¬ 
dehnungsfähig ist. Bestehen in letzter Beziehung berechtigte Zweifel 
oder erscheint eine genügende Ausdehnung der Lunge ausgeschlossen, 
so muß selbstverständlich die Operationstechnik darauf Rücksicht 
nehmen. Die Reposition der Eingeweide und der Verschluß des Zwerch¬ 
fellspaltes ist dann keine ideale Operationsmethode, deshalb erscheint 
es in diesen seltenen Fällen zweckmäßig, auf die sog. Radikaloperation 
zu verzichten. Als Ersatz für die letztere können Operationsmethoden 
in Betracht kommen, die unter Verzicht auf die Reposition nur die 
Gefahr der Einklemmung herabsetzen oder beseitigen wollen. Iselin 
erwähnt 2 Fälle von eingeklemmten Zwerchfellbrüchen, wo bei Un¬ 
möglichkeit der Reposition durch genügende Erweiterung der Bruch- 
pforten ein gutes Dauerresultat erreicht wurde. Daß zu diesem Zweck 
unter Umständen eine ausgedehnte Resektion des Zwerchfells in Be¬ 
tracht kommt, soll an dieser Stelle nur angedeutet werden. 

Literaturverzeichnis. 

Bischoff, Arch. f. Gynäkol. Ü5. 1886. — Boysen, Arch. f. klin. Chirurg. 1 IT. — 
Eppinger, Allgemeine und spezielle Pathologie dt« Zwerchfells. 1911. — von Qössnitz 
Dias. Jena 1903. — Oruber, Virchows Arch. f. pathoL Anat. u. Physiol. 4T. 1809. — 
Iselin, Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 88. — Lacher, Dtsch. Arch. f. klin. Med. JtT. — 
Rauert, Dias. Freiburg 1900. — Reinhardt, Dtsch. med. Wochenschr. 1891. — 
iStruppner, Arch. f. klin. Med. 1901. — Schwalbe, Münch, med. Wochenschr. 1899. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 


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Wirkungsweise der wässerigen Sulfosalicylsäure-Lösungen 
auf gesundes und krankes tierisches Gewebe. 

Experimentelle und klinische Studie. 

Von 

Dr. med. Theodor y. Liebermann, 

chirurgischer Spesi&larzt für Kehlkopf-, Nasen- und Ohrenkrankheiten in Budapest 
(Eingegangen am 1 . Juni 1923.) 

In einer Reihe von Experimenten, welche an anderer Stelle besprochen 
werden, stellte ich die bactericide Kraft der wässerigen Sulfosalicylsäure- 
Lösungen fest. Es zeigte sich, daß wir in der 3proz. Sulfosalicylsäure- 
Lösung ein sehr wirksames Desinfiziens besitzen, ja daß die meisten 
Bakterien schon Lösungen von 2% nicht standhalten. Eine Ausnahme 
hiervon machten nur die Sporenbildner. 

Es war notwendig, einesteils festzustellen, welche Lösungsstärken 
vom Organismus des lebenden Säugers vertragen werden, anderenteils 
zu erproben, wie sich die Wirkung der Sulfosalicylsäure auf der Ober¬ 
fläche infizierter Wunden oder erkrankter Schleimhäute gestattet, da wir 
ja wissen, daß in vitro vorgenommene Versuche keineswegs gestatten, 
aus ihnen direkte Schlüsse auf die praktische Anwendbarkeit zu ziehen. 

Im folgenden werden die vorgenommenen Tierversuche in Kürze 
geschildert, und einige herausgegriffene klinische Erfahrungen wieder¬ 
gegeben. 

Die detaillierten Protokolle können wegen Raummangels nicht er¬ 
scheinen, von den Krankengeschichten wurde nur das Wesentlichste 
gebracht. Immerhin mußten diese, wenigstens teilweise, ausführlicher 
gehalten werden, sollten sie nicht jeden Wert verlieren. 

Tierversuche zur Untersuchung der Wirkung der Sulfosalicylsäure auf die Ge¬ 
webe. [An Hunden, Kaninchen und weißen Mäusen 1 ).] 

I. und II. Versuch. In das Auge von Hunden wurde Sulfosalicylsäure in wässe¬ 
rigen Lösungen von 5, 10 und 20% Konzentration eingeträufelt und die Wirkung 
beobachtet. Ergebnis : Die 20proz. Lösung löst eine einige Tage andauernde 
Reaktion aus, welche mit Abstoßung der oberflächlichen Epithelschichten abheilt. 
Eine heftigere Reaktion war 3 Tage lang zu sehen. Die lOproz. Lösung verursacht 
bloß eine 1—2 Tage lang anhaltende schwache Hyperämie. Die Reaktion der 
Sproz. Lösung schwindet über Nacht. 

1 ) Die genauen Versuchsprotokolle können wegen Raummangels und der 
jetzigen Papier- und Druckereinot nicht wiedergegeben werden. 


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Th. v. Liebermann: Wirkungsweise der wässerig. Sulfosalicylsäure-Lösungen. 483 


III. und IV. Versuch. In das Auge von Kaninchen werden 10- und 20 proz. 
Sulfosalicylsäure- Lösungen geträufelt und die Wirkung beobachtet. Ergebnis: 
Die 20 proz. Lösung verursacht am Kaninchenauge eine in 2 Wochen heilende eitrige 
Entzündung, welche die Hornhaut für 6 Tage trübt. Die Heilung ist nach Ab¬ 
stoßung der oberflächlichen Epithelschichten vollkommen. Die 10 proz. Lösung 
verursacht bloß eine sehr schwache Reaktion, welche sich nicht auf das Epithel 
der Hornhaut erstreckt, in einem Tage abläuft und eine einige Tage andauernde 
arterielle Hyperämie hinterläßt. 

Als auf diese Weise die Toleranz der Gewebe der Augen gegen Sulfosalicyl- 
säure festgestellt war, ging ich dazu über, die Wirkung der Sulfosalicylsäure zu 
studieren, sobald diese innerhalb der Gewebe wirkt. 

V., VI., VII. und VIII. Versuch . In die Ohrmuschel von Hunden werden 
wässerige Lösungen von Sulfosalicylsäure von 0,5, 1 und 2,5% subcutan ein¬ 
gespritzt, während zum Vergleich ins andere Ohr der Hunde ebenso bzw. 
halb so starke Silbernitratlösungen gegeben werden. Der Erfolg wird in vivo 
beobachtet, danach aber auch die Ohrmuscheln abgetragen und mikroskopisch 
und makroskopisch pathologisch-anatomisch untersucht. 

Ergebnis der klinischen Beobachtung: Die 2,6 proz. Lösung verursacht 1 Woche 
dauernde, anscheinend schmerzlose und nicht eiternde Infiltration, die von 1- und 
0,5 proz. Lösungen verursachten Infiltrate verschwanden in 3—4 Tagen. Die zum 
Vergleiche gegebenen Injektionen mit halb so starken Silbemitratlösungen ver¬ 
ursachten eine schwere, schmerzhafte und eitrige Entzündung. 

Die histologische Untersuchung zeigte, daß es sich in beiden Fällen um im 
Prinzip die gleiche Wirkung handelt: um Absceßbildung infolge Koagulation. 
Zur Beurteilung der quantitativen Verhältnisse zeigte sich das mikroskopische 
Präparat als imgeeignet. 

Daher wurde des weiteren wieder zur klinischen Beobachtung gegriffen. Um 
die Wirkung leichter ablesbar zu gestalten, wurde das Mittel subcutan über aktiver 
Muskulatur erprobt. Es wurden 2 mal 3 Paar weiße Mäuse in den Versuch gestellt, 
deren jeder möglichst an kongruenter Stelle und in der gleichen Menge 2 proz. 
Sulfosalicylsäure resp. lproz. Silbemitratlösung unter die Haut des rechten 
hinteren Oberschenkels injiziert wurde. Die Schwere der verursachten Läsion 
war an der Bewegungshinderung und an der Heilungsdauer abzulesen. 

So ergaben sich die Versuche Nr. IX, X und XI. Ergebnisse: Die ersten 3 Paar 
Mäuse ergaben folgendes: Von den 3 mit Sulfosalicylsäure behandelten sind alle 3 
vollständig geheilt, die eine sozusagen gar nicht erkrankt. Die erkrankten heilten 
in 15 Tagen. Während dieser Zeit konnten alle ihre Gliedmaßen mehr oder minder 
gebrauchen. Von den 3 mit Silbemitrat behandelten heilte nur eine vollständig, 
und zwar in 20 Tagen, also um Vs der Zeit später; von den anderen zweien heilte 
eine mit einer Lähmung und verlor eine Zehe, die andere heilte mit ständig bleiben¬ 
der Motilitätsstörung. Während der Heilungsdauer konnten alle auf kürzere oder 
längere Zeit ihr Bein nicht gebrauchen. Jene Mäuse, die in die Versuche Nr. XII , 
XIII und XIV eingestellt wurden, ergaben folgendes: Alle 3 mit Sulfosalicylsäure 
behandelten heilten in 2 Wochen vollständig aus. Bei einer dauerte die Heilung 
bloß 5 Tage. Die mit Silbemitrat behandelten heilten alle mit dauernder Motili¬ 
tätsstörung, und zwar ebenfalls in 2 Wochen. Die verursachte Erkrankung war 
bei diesen viel schwerer, in einem Falle trat eine Nekrose auf. 

Die kürzere Heilungsdauer im zweiten Versuch findet ihre Erklärung darin, 
daß die zweiten 6 Mäuse viel jüngere Tiere waren als die ersten 6. 

Wir sehen also, daß die doppelt starke Sulfosalicylsäure-Lösung eine der halb 
so starken Silbemitratlösung analoge Wirkung auslöst, diese aber viel milder ist 
als die Silberwirkung. 

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484 


Th. v, Liebermann: 


Klinische Erfahrungen« 

Otologie . 

1« G. Z., 6 Jahre alt, am 19. IX. 1921 erkrankt nach Scarlatina und Morbilli 
an Otitis media. Der Prozeß ist beiderseitig, Rechts nach Spontanperforation 
reichlicher Eiterausfluß, links nach Paracenthese desgleichen. Nach gewöhnlichem 
Verlauf am 26. IX. Anzeichen linksseitiger Mastoiditis, die am 27. IX. so weit fort¬ 
schreitet, daß die Aufmeißelung ins Auge gefaßt wird. Am 28. IX. träufelt das 
Pflegepersonal infolge Arzneiverwechslung 20proz. Sulfosalicylsaure in das Ohr. 
Temperatur um 38°, Operation für den nächsten Tag festgelegt. Am 29. IX. Tem¬ 
peratur 36,7°, kein Ohrenfluß. Pat. frisch, ißt mit gutem Appetit. Pat. bleibt 
fortan fieberfrei, es stellt sich wieder Ohrenfluß ein, der Prozeß heilt aber in Kürae 
mit völliger Restitutio in integrum aus. Etwas später heilt auch das andere Ohr. 

2* Nr. 71. Subakute Otitis media. Es werden Spülungen mit Borwasser 
und danach zu applizierende Einträufelungen mit 2 proz. Sulfosalicylsaure an¬ 
geordnet. Nach 2 Tagen nimmt der Ohrenfluß stark ab. Heilung in ca. 6 Tagen. 
(Pat. blieb aus.) 

8. Nr. 29. Otitis media acuta. Paracenthese. Ähnliche Behandlung. Heilung 
in 9 Tagen. 

4* Nr. 2. Otitis externa chronica. 3 mal täglich Einträufelung von 2 pro«. 
Sulfosalicylsäure. Heilung in 10 Tagen. 

6« Nr. 85. Otitis externa subacuta. Dieselbe Behandlung. Heilung in 

2 Tagen. 

6. Nr. 30. Otitis externa. Dieselbe Behandlung. Heilung in 3 Tagen. 

Rhinologie. 

1. Nr. 86. Sinusitis maxillaris chronica. Punktion. Spülung mit Borwasser, 
danach mit 2 proz. Sulfosalicylsäure. Nach 2 Tagen punktiert, eiterfrei. Prüfungs- 
punktion nach 3 Wochen. Geheilt. 

2. M. D., 44 Jahre alt. Subakute Sinusitis maxillaris. Keine Besserung 
nach wiederholten Borspülungen. Nach einer solchen Spülung mit 2 proz. Sulfo¬ 
salicylsäure. Nach 3 Tagen bei Beschwerdefreiheit Spülung, die große Besserung 
zeigt, danach geheilt. 

8. Nr. 101. Ekcema sycoticum narium et labii superioris. Ordination 
von 3 proz. Sulfosalicylsäure-Salbe. Heilung in 4 Tagen. 

Laryngologie. 

1« Laryngitis subacuta. Trotzt wochenlang der Behandlung mit Einblasungen 
von Zincum sozojodolicum-Pulver. Auf Pinselungen mit 2 proz. Sulfosalicylsäure 
in 6 Tagen geheilt. 

2« Nr. 118. Pharyngitis acuta. Ordination von 2 proz. Sulfosalicylsäure als 
Gurgelwasser. Heilung in 4 Tagen. 

8. Nr. 14. Angina. 2 proz. Sulfosalicylsäure-Gurgelwasser. Heilung in 

3 Tagen. 

4 * Ulcera stomachi. Touchierung mit 30 proz. Sulfosalicylsäure. Heilung dei 
meisten in 2 Tagen, aller in 4 Tagen. 

Diese Serie stellt bloß eine Auslese dar. Die Zahl der Beobachtungen 
ist bedeutend höher. Da es aber an der Art des Materials liegt, daß es 
meist an ambulantenKranken zu sammeln ist, anderenteils das relativ 
große Krankenmaterial, welches in kurzen 2 Stunden erledigt werden 


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Wirkungsweise der wässerigen Sulfosalicylsäure-Lösungen. 485 

muß, es nicht gestattet, detaillierte Aufzeichnungen zu fuhren, mußte 
ich davon Abstand nehmen, in diesem Fach krankengeschichtenartige 
Protokolle zu geben. 

Meine Erfahrungen sind recht eindeutige. Das Mittel hat sich als 
gutes Oberflächendesinfiziens bewährt. Das einzige Gebiet, in dem es 
nicht die gewünschte Wirkung hatte, war die Schleimhaut der freien 
Nasenhöhle. Hier zeigte sich nämlich, wie es scheint einer Beizwirkung 
zufolge, Schwellung der Muscheln, was nicht nur dem Patienten unan¬ 
genehm war, sondern auch auf die Heilung ungünstig wirkte, weil durch 
Verlegung der Nase der Sekretabfluß gehemmt wurde. Um so schöner 
waren die Erfolge bei den Parasinusitiden. Es scheint, daß hier die 
Hyperämisierung der Schleimhaut mit chemischen Mitteln günstig auf 
den Prozeß ein wirkt, vielleicht im Sinne der Bier sehen Stauung. 

Es ist interessant, daß die Schleimhaut des Kehlkopfes nicht mit 
Schwellung oder Hyperämie antwortet, sondern daß hier im Gegenteil 
eine adstringente Wirkung zu verzeichnen war. Die Laryngitiden liefen 
noch viel rascher ab, als wir es nach Pinselungen mit Silbemitrat zu 
sehen gewöhnt sind, dabei vertrugen die Patienten diesen Pinsel viel 
besser als den mit Lapislösung. 

Wenn wir also unsere Erfahrungen zusammenfassen, können wir 
sagen, daß wir an den Schleimhäuten des Ohres und des Respirations- 
traktus mit Ausnahme der Nasenhöhle die 2proz. Sulfosalicylsäure als 
sehr günstig wirkendes Oberflächendesinfiziens und Adstringens an¬ 
wenden konnten. 

Chirurgie. 

Zum Studium der Anwendbarkeit des Mittels in der Wundbehand¬ 
lung wählten wir einesteils solche chronisch infizierte Wunden, deren 
profuse Eiterabsonderung, der üble Geruch dieser Sekrete sowie der 
Mangel an Heilungstendenz es nötig machten, ein Wunddesinfiziens 
anzuwenden, anderenteils solche, die mit anderen Wunddesinfizienzien 
nicht genügend günstig zu beeinflussen waren. Die dritte Art waren die 
auf tuberkulöser Grundlage bestehenden Wunden, die während längerer 
Behandlung eine sekundäre Infektion erlitten hatten. In einem Falle 
wurde auch die Wunde einer frisch eröffneten Caries mit Sulfosalicyl¬ 
säure behandelt. 

In sämtlichen Fällen wurde der Urin mehrmals untersucht, derselbe 
wies nie etwas Abnormes auf. 

1. J. V. Einige Wochen nach Oberschenkelamputation. Der Stumpf zeigt 
keine Heilungstendenz. Vuzinbehandlung erfolglos. Die Muskelbündel sind 
speckig überzogen, fallen sozusagen auseinander. Sehr reiche Sekretion, besonders 
aus den Kanälen der großen Gefäße. Die Manschette ist nirgends mit der Mus¬ 
kulatur verklebt. Pat. macht einen septischen Eindruck, fiebert. Am 31.1. 1923 
Spülung mit 3proz. Sulfosalicylsäure. Am 1. II. weniger Sekret, die Wunde 
hat eine frische Farbe. Am 2. II. Beträchtlich vermindertes Sekret. Speckiger 


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486 


Th. v. Liebermann: 


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Bezug im Verschwinden. Die Hautmanschette stellenweise verklebt. Am 3. IL: 
Lebhafte Granulationen am ganzen Stumpfe, kein speckiger Belag, die Wunde 
zieht sich zusammen. Am 5. II. sind die Muskelbündel fest miteinander verwachsen, 
zeigen gute Heilungstendenz. Manschette rings verklebt, bloß unten noch kleine 
Tasche. Oben beginnt schon die Epithelisierung des Stumpfes. Anzeichen von 
Pyocyaneus. Daher feuchter Verband mit Sulfosalicylsäure. 6. IL Kein Pyo- 
cyaneus. Trockener Verband. 7. II. Neuerlich Pyocyaneus. Feuchter Verband. 
8. II. Dasselbe. Unter dem feuchten Verband granuliert die Wunde noch besser. 
Manschette überall verklebt. Die mediale Gefäßscheide ist bis auf eine seichte 
Mulde ausgefüllt. Die laterale hat sich stark verkleinert und verkürzt, tragt noch 
ein Gummidrain. In die seitlichen Öffnungen des Drains wachsen schon von An¬ 
fang an Granulationen binnen 24 Stunden, die beim Herausziehen des Drains 
abreißen und stark bluten. Vom 10. II. an endet der Stumpf in einer sich rasch 
epithelisierenden Wunde, an der die Sulfosalicylsäure bloß noch die granulations¬ 
glättende Wirkung der Silbemitratbehandlung vertritt und dabei zur guten 
Durchblutung beiträgt. Pat. macht den Eindruck imgestörter Rekonvaleszenz. 

2. Z. J., 20 Jahre alt. Nicht heilender Absceß der Psoasgegend, welcher seit 
5. VIII. 1922 unverändert ist. Am 5. II. 1923 massenhaftes Sekret, stark übel¬ 
riechend. Coligeruch. Von der oberen Leistengegend geht ein überspannenlanges 
und daumendickes Drainrohr gegen den Psoas. Spülung mit Borwasser, danach 
mit 3proz. Sulfosalicylsäure. Am 6. II. sehr wenig Sekret. Coligeruch kaum fühl¬ 
bar. Am 7. II. minimale Sekretmengen, völlig geruchlos. Am 10. II. sehr lebhafte 
Granulationen. In die Seitenöffnungen des Drains wachsen Granulationen, die 
beim Entfernen des Drains stark bluten. Die Verengerung und Verkleinerung ist 
so stark, daß schon am 7. II. nur ein 4 cm langes und bleistiftdickee Röhrchen 
eingeführt werden konnte. An diesem Tage tritt jedoch wieder der charakte¬ 
ristische Geruch und massenhaftes Sekret auf. An der Außenfläche des rechten 
Oberschenkels zeigt sich ein Absceß. Am 12. II. wird dieser eröffnet, wobei es sich 
herausstellt, daß er über der Fascia lata entstanden war, wohin sich der Eiter 
zwischen den Muskelbündeln den Weg gebahnt hatte. Es war möglich, den Tunnel 
von der oberen Wunde aus durchzuspülen. Am 14. II. war die Wunde wieder 
geruchlos und die Sekretion minimal. 

Aus dem Falle geht hervor, daß das Mittel die Eiterung selbst, die aus dem 
Os ilei stammen muß, nicht beseitigen konnte, hingegen die sekundäre Infektion 
und die Alteration der Weichteile in hohem Grade beeinflußte, so daß die große 
und tiefe Weichteiltasche sich verschloß, worin die lebhafte Granulationsbildung 
die Hauptrolle spielte. Der so unter Druck geratene Eiter brach sich nach unten 
einen Weg. Auch in diesem Fall erwies sich die Sulfosalicylsäure wirksamer ak 
das Vuzin. 

8. J. K. Bursitis praepatellaris. Eröffnung am 18.1. Am 21.1. reichliches, 
übelriechendes Sekret. Am 31.1. Spülung mit Sulfosalicylsäure. Am 1. H. wesent¬ 
lich reinere Wunde. Am 2. II. ist die Wunde rein, unter die Haut wird kein Docht 
mehr eingelegt. Am 5. II. ist die Haut mit der Unterfläche verwachsen, die Wunde 
reichlich durchblutet, stark granulierend, die Sulfosalicylbehandlung wird als 
nunmehr überflüssig abgebrochen und auf Salbenbehandlung übergegangen. 

4. M. K., Decubitus der Kreuzgegend nach Verletzung des Rückenmarkes. 
Am 25.1. handtellergroßer Decubitus, torpide Wundfläche, speckiger Belag, 
tiefe Wallbildung, profuse, übelriechende Sekretion. Vom 31.1. tägliche Spülung 
mit 3proz. Sulfosalicylsäure. Am 2. II. ist das eine große Geschwür gereinigt. 
Der unterminierte Rand zurtickgeheilt. Sekret bedeutend geringer, geruchlos. 
Am 4. II. lebhafte Granulation, am 6. II. ist die ganze Wunde von lebhaften 
Granulationen überzogen, vollkommen rein. Die Behandlung wird als nunmehr 
überflüssig abgebrochen. 


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Wirkungsweise der wässerigen Sulfosalicylsäure-Lösungen. 


487 


5. B. K., Pyopneumothorax traumaticus. Das Empyem entstand am 5. V. 

1922 durch Schußverletzung und sondert nach wiederholten Operationen am 12. II. 

1923 noch ungeheure Massen Eiter ab. Am 16. II. die erste Spülung mit Sulfo- 
salicylsäure nach vorangehender Borwassersptilung. Am selben Tag Abendtempe¬ 
raturanstieg bis 38,1°. Am 18.11. Sekret bedeutend geringer, fieberfrei. Am 
20.11. wieder Sulfosalicylsäure, abends wieder Temperatur bis 38,1° gestiegen. 
Die Behandlung wird in dieser Art fortgesetzt, die Sekretion konnte bis aufs Minimum 
zurückgedrängt werden. Die Wunde zeigt sehr lebhafte Granulationstendenz, 
blutet leicht. Das Einwachsen in die Drainöffnungen ist wieder zu beobachten. 
Die Fieberanstiege erklären wir uns dadurch, daß von den Wänden der großen 
Wunde die koagulierten Eiweißmassen zur Resorption gelangen. Daher wird 
am 27. II. die Behandlung ausgelassen, am 28. II. ist Pat. fieberfrei. Sekret¬ 
verminderung bleibt konstant. Die weitere Behandlung richtet sich danach: 
sobald die Sekretion in einigen Tagen wieder stark wird, bekommt Pat. 1—2 Sulfo¬ 
salicylsäure-Spülungen, worauf diese wieder abnimmt, der Pat. nach 2 Fiebertagen 
wieder fieberfrei wird. Bei diesem Vorgehen fühlt sich Pat. sehr wohl, die Wunde 
füllt sich sehr gut aus, das Drainrohr kann nach und nach verkürzt werden. 

6. Caries femoris, Abscessus frigidus femoris. 3 Kontraaperturen. Caries 
frigidus axillae. Ara 29. II. entleert sich aus allen Öffnungen viel Eiter. Nach 
erfolgloser Vuzintherapie am 31.1. Sulfosalicylbehandlung als Spülung und Ein¬ 
führung mit Sulfosalicylsäure befeuchteter Dochte. Die Sekretmenge schon am 
nächsten Tag sehr vermindert, bleibt auch so während der Behandlung, eine voll¬ 
kommene Heilung war aber infolge des Knochenprozesses nicht zu erwarten. 

7. Caries stemi. Am 4. II. wird ein großer Absceß über der stemalen Caries 
punktiert. Am 6. II. gespalten. Am 7. II. Sulfosalicylsäure. Am 8. II. ist das 
Sekret bedeutend vermindert. Feuchter Verband mit Sulfosalicylsäure. Am 
10. II. zeigen sich anstatt der gewohnten transparenten trägen Granulationen 
gesunde lebhafte stark durchblutete Granulationen. 

8. I. B., Caries ilei. In der Gegend des rechten Gesäßes ein Incisionsöffnung, 
aus der ungeheure Eitermassen abgesondert werden. Am 31.1. Anfang der Sulfo¬ 
salicylsäure- Behandlung. Am I. II. bedeutend verminderte Sekretion. Am 6. II. 
Kontraincision. Die Sulfosalicylsäure-Behandlung wurde wochenlang beibehalten, 
da sie zur auffallenden Verminderung der Sekretion führte. Auch in diesem Falle 
wurde die Wundfläche rein und leicht blutend. 

Wenn wir unsere chirurgischen Erfahrungen mit unserem Mittel 
zusammenfassen, können wir feststellen, daß seine Wirkung in jedem 
Falle als segensreich angesprochen werden mußte. In Fällen, in denen 
der Heilung keine anatomischen Ursachen, wie z. B. Knochenlade oder 
langsame Sequestration, im Wege standen, wo aber schwere mikrobiolo¬ 
gische Hindernisse zu überwinden waren, führte das Mittel rasch zur 
Heilung. In den übrigen Fällen verminderte es die Unannehmlichkeiten 
der Patienten, die Schwierigkeit ihrer Reinhaltung usw. in bedeutendem 
Maße. In allen Fällen konnte die Sekretverminderung, das Geruchlos¬ 
werden der Wunde und die Erzeugung gut durchbluteter, lebhafter Granu¬ 
lationen in 1—3 Tagen beobachtet werden. Die Granulationen waren 
auffallend glatt und neigten zur raschen Epithelisierung. Die Anwen¬ 
dung von Silbemitrat wurde überflüssig. Die Patienten vertrugen die 
Behandlung sehr gut. Die Anwendung geht zwar mit einem kurzen 


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488 


Th. v. Liebennann: 


% 


brennenden Schmerz einher, besonders im Anfang (auch da nicht immer), 
dieser Schmerz dauert aber nur so lange, als wir spülen, und hört danach 
sofort auf. Auch der feuchte Verband schmerzt höchstens wenige Mi¬ 
nuten lang. 

Andere Erlahrungen. 

Es wurden mit Sulfosalicylsäure auch in der Urologie Versuche an¬ 
gestellt. Meine Erfahrungen waren hier, vielleicht, weil ich mangels 
an Fachkenntnissen nicht in der Lage war, die geeigneten Fälle auszu¬ 
suchen, sehr verschiedene. Einesteils sah ich solch frappante Wirkungen, 
daß z. B. eine akute nicht gonorrhoische Urethritis beim Manne, welche 
sehr reichlich Sekret absonderte, in welchem massenhaft Bakterien, 
jedoch wenige Eiterzellen waren, auf 2 Einspritzungen steril wurde, in 
einem weiteren Tag heilte und nicht mehr rezidivierte. Oder bei den 
älteren cervicalen und vaginalen Prozessen der Puellae publicae sowie 
bei den Urethritiden dieser Patienten in den meisten Fällen eine Abnahme 
der Sekretion stattfand. Anderenteils aber konnten bei Männern akute 
Gonorrhöen nicht günstig beeinflußt werden. Von den Blasenkatarrhen 
reinigte sich der eine, paretische, bei einem Tabiker sehr schön, während 
der andere ähnliche Fall ausgesprochen ungünstig beeinflußt wurde. 

Ähnlich uneinheitlich waren die Erfahrungen, die in der Augenheil¬ 
kunde gemacht wurden, so daß ich über diese keine Meinung abzugeben 
gedenke. Zwar bin ich überzeugt, daß die Sulfosalicylsäure in all diesen 
Disziplinen die ihr gebührende Stelle zwischen den Therapeuticis er¬ 
halten wird, das wird aber nur zu erreichen sein, wenn Fachleute auf 
Grund ihrer Materialkenntnis das Mittel rationell erproben und seine 
Indikationen auf stellen werden. 

Ein festzustellender Vorteil des Mittels ist jedoch sicherlich der, daß 
der durch dasselbe verursachte geringe Schmerz sehr rasch verschwindet. 
Wenn wir aber auch diesen ausmerzen wollen, so können wir jedes be¬ 
liebige Analgeticum, Anaestheticum vorausschicken (Cocain, Novocain, 
Alipin nsw.), ohne daß wir die Wirkung der Sulfosalicylsäure beein¬ 
trächtigen würden. Im Gegensatz zur Silbemitratlösung, welche nicht 
wie die Sulfosalicylsäure nur von den Eiweißkörpem, sondern auch 
von den Chloriden gefällt wird. 

Nach alldem kann ich also das Resultat meiner Versuche und Er¬ 
fahrungen mit Sulfosalicylsäure im folgenden zusammenfassen: 

Zusammenfassung : 

Die Sulfosalicylsäure ist in wässerigen Lösungen von 2% an ein sehr 
verläßliches Desinfiziens. 

Eine Allgemeinwirkung auf den Organismus ist klinisch nicht zu 
sehen. 


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Wirkungsweise der wässerigen Sulfosalicyls&ure-LOsungen. 


489 


Auf der Oberfläche von Wunden und Schleimhäuten hat sie außer der 
desinfizierenden Wirkung auch eine hyperämisierende, so daß sie auf 
infizierten und trägen Wunden mit großem Vorteil als Spülmittel und 
zu feuchten Verbänden angewandt werden kann. 

In Fällen der Entzündung der Schleimhäute des Ohres und des 
Respirationstraktus kann sie als Desinfiziens und Adstringens gut ver¬ 
wendet werden. Die Schleimhaut der freien Nasenhöhle ist kein gün¬ 
stiges Gebiet für ihre Anwendung. 

Auf der Außenhaut wirkt sie als stark austrocknendes Desinfiziens. 

An den übrigen Schleimhäuten, wie Blase, Urethra, weibliche Geni¬ 
talien, Auge, ist ihre Wirkung wechselnd und erfordert eine fernere 
Erprobung durch Fachleute. 

Zum Schlüsse meiner Arbeit erfülle ich noch eine angenehme Pflicht 
mit großer Freude: den Leitern und Ärzten jener Institute, die mir 
Gelegenheit zur Durchführung meiner Arbeit gegeben haben, meinen 
wärmsten Dank aus ganzem Herzen auszusprechen. 

Die Leitung des Physiologischen Institutes der Pdzmany-Universität 
Budapest machte es mir möglich, die Toleranzversuche an größeren 
Tieren durchzuführen. Das Hygienische Institut derselben Universität 
gab mir Platz und Gelegenheit, den Teil meiner Versuche zu ab¬ 
solvieren, zu welchem kleinere Versuchstiere und die bakteriologische 
Apparatur notwendig waren. 

Zur Sammlung klinischer Erfahrungen gab mir die Station für sep¬ 
tische Chirurgie des hauptstädtischen St. Stefan-Spitals, deren Gast zur 
Zeit die chirurgische Klinik der „Elisabeth-Universität“ ist, Gelegenheit. 
Desgleichen war mir die dort befindliche urologische Ambulanz und die 
Hautabteilung sowie Prostituiertenstation des Stefanspitals in zuvor¬ 
kommendster Weise behilflich. 

Ich kann nicht umhin, an dieser Stelle auch meinem hochver¬ 
ehrten Chef, dem Direktor der Internen Klinik Nr. 1 der Budapester 
Pazmäny-Universität, sowie meinen Herrn Kollegen meinen Dank aus¬ 
zusprechen, da die in dieser Klinik bestehende Spezialambulanz es mög¬ 
lich gemacht hatte, die klinischen Erfahrungen, die sich auf Hals-, Nasen- 
und Ohrenleiden beziehen, zu ermitteln. 

Es sei mir gestattet, den Leitern dieser Institute, den Herren o. ö. Pro¬ 
fessoren Oeza v. Farkas, Ludwig v. Bakay, Rudolf Bdlint, den Herrn Do¬ 
zenten: Direktor Giza v. Hainiss, Franz v. Poor, BUa v. Nädory und 
Desiderius Rdsfcai sowie ihren Herren Ärzten meinen wärmsten Dank 
nochmals auszusprechen. 


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(Aus dem Institut für operative Chirurgie und topographische Anatomie des 
Prof. W. N. Schewkunenko an der Militär-Medizinischen Akademie in St. Petersburg.) 

Die Grundtypen der Form und der Lage der Bauchorgane 
des menschlichen Körpers. 

Von. 

Dr. med. F. Walcker, 

Privatdozent. 

Mit 7 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 20. April 1923.) 

Die unzähligen Varianten der Form und der Lage der Organe können 
in gewisse Typen eingeteilt werden. Von diesen Typen wird jedoch in 
der „normalen“ Anatomie nur einer erwähnt. Dieser Typus ist aber 
durchaus nicht der einzige, wodurch sich ja einige Überraschungen 
erklären lassen, welchen der Chirurg auf seinem Wege bei den Laparo¬ 
tomien begegnet. 

Für die meisten Organe der Bauchhöhle sind von einer Reihe von 
Autoren Untersuchungen unternommen worden und gewisse Typen 
der Form- und Lagerungsvarianten festgestellt. 

Typen der Form und der Lage des Magens. 

Es ist eine große Menge von Arbeiten der Frage über die Anatomie 
des Magens gewidmet worden. 

W. Schüren 1 ) hat die Lage, die Größe und die Form des gesunden 
und des kranken Magens studiert. Lesshaft*) hat nicht nur die Lage, 
sondern auch das Verhältnis der Form des Magens zu seiner Funktion 
an einem großen Leichenmaterial studiert. Bourget beschreibt die Ge¬ 
schlechtsverschiedenheiten der Magentopographie. Ferner haben Key- 
nier und Souligovs*) die Lage des Magens studiert. In der Monographie 
von Herz 5 ): „Abnormitäten in der Lage und Form der Bauchorgane usw.“ 
werden die „normalen“ und „pathologischen“ Lagen und Formen des 
Magens beschrieben. Mit der Entwicklung der Gastroskopie änderte 
sich der Charakter einiger anatomischer Arbeiten [Isert. Per? 8 )]. Die 
großen individuellen Schwankungen der Form und der Lage des Magens, 
wovon sich ja fast alltäglich die Chirurgen in der Klinik oder die Ana¬ 
tomen an dem Sektionstisch überzeugen konnten, erforderten neue 


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F. Walcker: Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane usw. 491 

Untersuchungen, in welchen die Grenze zwischen dem „Normalen“ 
und dem „Pathologischen“ klargelegt wurde [Meinen 1 ] 7 ]. In einer ver¬ 
hältnismäßig großen Monographie von Ssiooechotoff 8 ), welche eine Unter¬ 
suchung von 50 Leichen darstellt, ist ein Versuch gemacht worden, die 
vielzähligen Varianten der Magenlage in gewissen Typen wiederzugeben. 
Gleiche Arbeiten sind ferner von His 9 ), Hasse und Strecker 11 ) u. a. aus¬ 
geführt worden. 

Hasse und Strecker haben auf einige Altersverschiedenheiten des 
Magens, auf das Einwirken des Füllungszustandes der benachbarten 
Organe auf die Form und Lage des Magens usw. hingewiesen. 

Mit der Entwicklung der entsprechenden anatomischen Literatur 
vergrößerte sich auch die Nomenklatur. Einige von den vorgeschlagenen 
Benennungen sind schon allgemein angenommen und in den wissen¬ 
schaftlichen Lehrbüchern erschienen; ein anderer Teil ist aber in den 
einzelnen Arbeiten zerstreut geblieben. Die anatomische Nomenklatur 
gewissermaßen zu systematisieren versuchten Hasse und Strecker in der 
oben angeführten Arbeit und in der letzten Zeit Volkmann 11 ). 

Die Untersuchungen der Röntgenologen riefen eine Verwirrung in 
der Frage von den Typen der Form und der Lage des Magens hervor, 
indem deutlich zwei Formen — die Rieder sehe und die Holzknecht¬ 
ache — festgestellt wurden. Jedoch die Beobachtungen bei den Sek¬ 
tionen und bei den Laparotomien konnten nicht mit genügender Ge¬ 
nauigkeit die röntgenologischen Angaben bestätigen. Nur in der alten 
Literatur, nämlich bei Pirogoff 13 ), finden wir einige Anmerkungen, daß 
es 2 Magenformen gibt. Jedoch muß man gestehen, daß es auf Grund 
der vorherigen Literatur, trotz der großen Anzahl entsprechender Ar¬ 
beiten, noch keine genaue Typen der Varianten der Form und der Lage 
des Magens gibt. Die Angaben der neuesten Arbeiten MossktUenkos 13 ) 
und Makssimowitschs 1 *) aus dem Institut für operative Chirurgie und 
topographische Anatomie des Prof. W. N. Schewkunenko werfen aber 
ein Licht auf diese Frage und ihre anatomischen Angaben stimmen 
mit den röntgenologischen überein. Es gelang Maksimouritsch, 3 Typen 
der Magentopographie festzustellen: 1. horizontale, 2. schräge und 
3. vertikale Lage. Jeder Typus stimmt mit einer gewissen Größe und 
Form der Apertura thoracis inf. überein. 

Der bisherige Unterschied zwischen den Beobachtungen der Ana¬ 
tomen und der praktischen Ärzte läßt sich dadurch erklären, daß der 
Magen ein Organ darstellt, welches einen großen Hohlraum besitzt und 
mit einer starken Muskulatur versorgt ist. Deshalb verändert sich leicht 
seine Form unter dem Einfluß seines Füllungszustandes, seiner Be¬ 
wegungen usw. Es muß auch noch hervorgehoben werden, daß die 
Untersuchungen an der Leiche sich von denen am Lebenden unter¬ 
scheiden. Die Bewegungen und der Muskeltonus fehlen an der Leiche; 


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492 


F. Walcker: 


die Eröffnung der Bauchhöhle an frischen Leichen kann die topo¬ 
graphischen Verhältnisse verändern; die Härtung mit einer Formol- 
oder Chromsäurelösung ruft Schrumpfungsprozesse in den Geweben 
hervor, welche die anfängliche Form der Organe stark verunstalten. 
Die Gefriermethode ist auch nicht einwandfrei, denn die mit Wasser 
gefüllten Organe erweitern sich stark in dem Augenblick, wo das Wasser 
die 4°-Temperatur erhält. Am Lebenden werden die Untersuchungen 
durch andere Umstände ungenau. Die Magenbewegungen, der Bismut¬ 
brei und andere Faktoren können als große Fehlerquellen dienen. Und 
sogar erfahrene Röntgenologen gestehen es, daß sie eigentlich meisten¬ 
teils eine krampfhaft kontrahierte Form des Magens beobachten und 
daß dieselbe sich bei ein und demselben Individuum unter dem Einfluß 
verschiedener Verhältnisse merkbar verändert [E. F. Weber 16 )]. 

Weber führt folgende Faktoren an, welche die Lage des Magens 
beeinflussen: 

1. Teilweise das Alter — hoch- und querliegender Magen bei Säug¬ 
lingen. 

2. Nach Schwarz die Form der unteren Thoraxapertur: vertikale 
Lage bei schmaler und horizontale oder subvertikale bei breiter Apertur. 

3. Die Konfiguration der Bauchhöhle: bei schmaler Bauchhöhle der 
Frauen liegt der Magen mehr nach links und vertikal; bei Männern 
umgekehrt. 

4. Die Verunstaltung des Skeletts. 

5. Eine angeborene Verlagerung des Magens wird bei Situs vis- 
cerum inversus beobachtet. 

6. Der Hochstand des Diaphragmas und die Tiefe der Atem¬ 
bewegungen. 

7. Der Tonus der Bauchmuskulatur. 

8. Die Lage des Untersuchten. 

9. Der Zustand des Darmkanals. Bei starkem Meteorismus wird 
der Magen nach oben verschoben und geknickt, wobei er zwischen der 
Flexura coli hepatica und lienalis eingeklemmt erscheint. Durch Meteo¬ 
rismus der Flexura coli hepatica wird der Magen nach links, der Flexura 
coli lienalis nach rechts und nach oben verschoben. 

10. Der Ernährungszustand: bei Fettleibigen liegt der Magen höher 
und mehr nach rechts. 

11. Palpatorisch kann der „normale“ Magen stark verschoben 
werden. 

Jedoch waren bisher in der Literatur keine genügenden Angaben vor¬ 
handen, welche die Meinung Webers beweisen könnten. Erst in diesem 
Jahre ist aus dem Institut f. oper. Chir. u. topogr. Anatomie des Prof. 
W. N. Schewleunenko eine Arbeit Maximowitschs erschienen („Die Typen 
der Lage des Magens und ihre chirurgische Bedeutung“, Inaug.-Diss. 


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I 



Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 493 

St. Petersburg 1923), in welcher die Typen der Lage des Magens und 
die Faktoren, welche auf die Topographie des Magens einwirken, mit 
großer Genauigkeit festgestellt sind. Die Untersuchung wurde an 
100 Leichen angestellt. Sie ergab folgendes: 

1. Es gibt 3 Typen der Lage des Magens: a) vertikale, b) schräge, 
c) horizontale Lage. Diese Typen sind embryonären Ursprunges und 
können auf Grund einfacher Messungen der Durchmesser des unteren 
Thoraxapertur vorbestimmt werden. Bei schmaler Apertura thor. inf. 
wird gewöhnlich die vertikale, bei breiter die horizontale und bei 
mittelgroßer die schräge Lage angetroffen. 

2. Mit dem Alter wird eine Senkung des Magens beobachtet. 

3. Ähnliche Veränderungen werden bei starker Abmagerung beob¬ 
achtet. 

Typen der Varianten der Form, und der Lage des Duodenums. 

Die Varianten der Form und der Lage des Duodenums sind auch 
höchst mannigfaltig und haben schon längst die Aufmerksamkeit der 
Untersucher auf sich gezogen. Schon Luschka 1 *), Treitz 17 ), Bourgery 18 ) 
und Hehle 1 *) sind von der schablonenmäßigen Beschreibung der Hufeisen¬ 
form des Zwölffingerdarms abgewichen. Braune 70 ) meint, daß das Duo¬ 
denum stets eine Bingform besitzt. Schiefferdecker 71 ) untersuchte haupt¬ 
sächlich die Topographie des Zwölffingerdarms. Bruce Joung 77 ), Mayo 
Collier 70 ), Treues 7 *), Hartmann 70 ), Jonnesco 7 *) und BaUowitz 71 ) unter¬ 
suchten die Form und die Lage des Duodenums. Kurze Bemerkungen 
über die Form des Duodenums findet man bei Tschaussoff 70 ). Von den 
späteren Arbeiten müssen die von Roud 79 ), Dargein 70 ), Adisson 71 ), 
Aitken 77 ) u. a. genannt werden. Einige Besonderheiten angeborenen 
und indviduellen Charakters stehen so nahe zur Pathologie, daß spe¬ 
zielle Untersuchungen in dieser Hinsicht unternommen werden mußten 
(z. B. die Frage über die Divertikel des Duodenums, über die Be¬ 
weglichkeit des Zwölffingerdarms, über die Größe, die Zahl und die 
Richtung des Recessus duodeno jejunalis usw.) 

Meine eigenen Erfahrungen über den Zwölffingerdarm betragen 
100 Leichen, wobei die Untersuchungen vom Standpunkte der Schew- 
kunenkoachen Schule unternommen wurden, und nur teilweise kon¬ 
trollierte ich die Angaben der früheren Autoren. 

Die verschiedenen Varianten der Form des Duodenums gelingt es 
in 3 Grundtypen einzuteilen: 1. ringförmiger, 2. hufeisenförmiger und 
3. V-förmiger Typus. Außerdem gibt es noch Übergangsformen. Die 
ersten 3 Typen sind schon von den früheren Autoren beschrieben worden. 
Sie erschöpfen aber durchaus noch nicht alle Verschiedenheiten der 
Duodenumform und deshalb halte ich es für notwendig, noch auf die 
Faltenform hinzu weisen (Abb. 1). 


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F. Waleker 


Die Häufigkeit der einzelnen Typen ist in folgender Tabelle dar 


gestellt 


Eingehendere Beobachtungen haben 
nachgewiesen, daß das Vorhandensein des 
einen oder des anderen Typus keine zufäl¬ 
lige Erscheinung ist, sondern deren Wahr¬ 
scheinlichkeit man ohne große Schwierig¬ 
keiten vorbestimmen kann. Im Grunde 
liegen die 3 oben beschriebenen Typen: 
der ringförmige, der hufeisenförmige und 
der V-förmige, welche embryonären Ur¬ 
sprungs sind. Während des weiteren 
Lebens verändern sich unter dem Ein¬ 
flüsse verschiedener Verhältnisse die an¬ 
fänglichen Typen des Duodenums und 
nähern sich allmählich der Faltenform an. 
Zu diesen Verhältnissen muß z. B. das 
Alter gezählt werden, welches die Ring¬ 
form, die Hufeisenform und die V-Form 
allmählich in die Faltenform verwandelt 
(Abb. 2). Dieselbe Einwirkung erzeugt 
auch der Ernährungszustand: bei Fett¬ 
leibigen steht z. B. die Hufeisenform und 
die V-Form näher zur Ringform*); bei 
Mageren aber wird, umgekehrt die Falten¬ 
form häufiger angetroffen. Auch bleibt 
die äußere Architektur des menschlichen 
Körpers resp. die Form der Bauchhöhle 
(lange und schmale oder breite und kurze 
Bauchhöhle) nicht ohne Einfluß auf die 
allmählichen Veränderungen des Duode- 
Abb. 2 . Fallenförmiges Duodenum. nuius. Bei breiter und langer Bauchhöhle, 

besonders bei schlaffer Bauchmuskulatur 
wird die Faltenform häufiger angetroffen. In anderen Fällen nähert sich 
die Gestalt des Zwölffingerdarms der Ringform, der Hufeisenform oder 
der V-Form an. Man muß noch zum Schluß auf den möglichen Einfluß 

*) Denn die Winkel des Duodenums sind nicht so stark ausgedrückt. 


Hufeisenform des Duodenums 
(Typus I). 


V-Form des Duodenums (Typus II). 


Ringförmiges Duodenum (Typus III), 
Abb. 1. 


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Typen der Varianten 
der Form des Duodenums 

, Proi. 

Ringfönniger Typus. 

60 

Hufeisenförmiger Typus . . . 

. . 25 

V-förmiger Typus. 

15 






Grandtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 495 

einiger physiologischer Verhältnisse auf die Form des Duodenums hin- 
weisen, wie z. B. die Gewohnheitsfüllung des Darmes, die Angewohn¬ 
heiten des Individuums (Lage des Körpers während des Schlafs usw.) 

Auf die Lage des Zwölffingerdarms und gewissermaßen auch auf 
die Form desselben wirkt der Bänderapparat ein. Letzterer besteht, 
wie bekannt, aus 3 Komponenten: 1. Lig. hepato-duodenale, 2. Lig. 
duodeno-renale und 3. Lig. Suspensorium duodeni. Alle sind sie auch 
starken individuellen Schwankungen unterworfen. 

Das Lig. hepato-duodenale ist bei kurzer Bauchhöhle, bei Fett¬ 
leibigen und im jungen Alter mehr horizontal gelegen. Die vertikale 
Richtung desselben ist fast immer mit schlaffer Bauchwandmuskulatur, 
mit einer langen Bauchhöhle, mit starker Abmagerung und mit dem 
hohen Alter verbunden, was zu verhältnismäßig großer Beweglichkeit 
des Duodenums führt. Die Anfangs- und die Insertionsstelle und die 
Dicke des Bandes können verschieden sein. Ein dünnes Lig. hepato- 
duodenale mit einer kleinen Anheftungs- und Insertionsebene bedingen 
eine größere Beweglichkeit des Duodenums. Das Lig. hepato-renale 
kann auch von verschiedener Richtung, Dicke, Breite und Größe sein. 
Alle angeführten Besonderheiten stehen ebenso im Verhältnis zu ge¬ 
wissen Faktoren, wie wir es am Lig. hepato-duodenale beobachteten. 
Die Höhe, die Breite der Basis und die Dicke des Lig. Suspensorium 
duodeni sind auch großen individuellen Schwankungen unterworfen. 
Bei langer Bauchhöhle wird ein hohes und an der Basis breites Lig. 
Suspensorium duodeni beobachtet; bei breiter Bauchhöhle sind die 
Verhältnisse umgekehrt. Dementsprechend ist auch die Beweglichkeit 
der Flexura duodeno-jejunalis verschieden. Was die Varianten der 
Lage des Duodenums anbetrifft, so kann man dieselben in 3 Typen 
darstellen: 1. die sog. „normale“ Lage des Duodenums: der Darm liegt 
meistenteils rechts von der Mittellinie und nur ein kleiner Teil der 
P. horizontalis inf. und der Flexura duodeno-jejunalis befindet sich 
links von der Linea corporis mediana; 2. die rechtsseitige Lage des 
Duodenums (Dextropositio): der ganze Darm liegt rechts von der 
Mittellinie; 3. linksseitige Lage des Duodenums (Sinistropositio): der 
Darm liegt links von der Mittellinie. Bei „rechtsseitiger“ Lage ist 
der Bänderapparat sehr verkürzt; bei „linksseitiger“ umgekehrt, stark 
verlängert und die Beweglichkeit des Darms ist groß. Deshalb sind 
alle die Verhältnisse, welche einen langen Bänderapparat und eine große 
Beweglichkeit des Duodenums vorbestimmen, bei der „Sinistropositio“ 
vorhanden; bei einer „Dextropositio“ fehlen sie aber. 

Der Dünndarm. 

Die Topographie der einzelnen Teile des Dünndarms stellt den 
ärmsten Abteil der Anatomie dar. Es wird angenommen, daß die 


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496 


F. Walcker: 


einzelnen Darmschlingen ohne jegliches System in der Bauchhöhle 
gelagert sind. Und deshalb haben die meisten Autoren bei der Unter¬ 
suchung der Bauchorgane diese Frage wegen der vorgefaßten Meinung 
umgangen (Treues, Adisson u. a.). In der russischen Literatur gibt es 
diesbezügliche Arbeiten von Semoff**), PaschkowJeij **) und Stopnitzkip *), 
welche die Frage über die Topographie des Dünndarms behandeln. Je¬ 
doch wegen der geringen Anzahl der untersuchten Präparate kann man 
auf Grund ihrer Angaben keine großen Schlüsse ziehen*). Für den 
Chirurgen aber ist manchmal notwendig, zu wissen, was für ein Teil des 
Jejunums oder des Ueums in der gegebenen Stelle vor ihm liegt. Des¬ 
halb könnte ein eingehenderes Studium der Lage der Dünndarmschlingen 
auf einem großen Leichenmaterial vielleicht die Möglichkeit geben, eine 
gewisse Regelmäßigkeit in ihrer Verteilung zu konstatieren und gewisse 
Typen festzustellen. Der Chirurg könnte sich ja dann während der 
Operation (das Omentum majus nach oben abwerfend und die Dünn¬ 
darmschlingen betrachtend) leicht orientieren, was für ein Teil des 
Jejunums oder des Ueums sich unter den Händen befindet: das pro¬ 
ximale oder das distale Ende, und in was für einerEntfemung von der 
Flexura duodeno-jejunalis usw. Bisher gab es noch keine diesbezüglichen 
genauen Untersuchungen und nur unlängst ist im Institut des Prof. 
W. N. Schewkunenko von W. A. Pawlenko ein entsprechendes Studium 
der Topographie des Dünndarms und seines Mesenteriums an einem 
großen Leichenmaterial unternommen. Pawlenko hat 3 Typen der Lage 
des Dünndarms festgestellt: 1. die Darmschlingen liegen meistens hori¬ 
zontal; 2. die meisten Darmschlingen liegen vertikal und 3. schräge Lage 
der Dünndarmschlingen. Dementsprechend ist auch die Radix mesen- 
terii im ersten Falle vertikal, im zweiten horizontal und im dritten 
schräg gerichtet. Der 1. Typus wird bei schmaler, der 2. bei breiter 
Apertura thoracis inf. angetroffen. Die schräge Lage der Darmschlingen 
muß als Übergangstypus angesehen werden. 


Typen der Varianten der Form und der Lage des Coecums und des 

Appendix. 

Der Frage über die Anatomie des Blinddarms und des Wurmfort¬ 
satzes ist eine große Anzahl von Arbeiten gewidmet worden, w T as sich 
ja durch die häufige Erkrankung dieses Darmteils leicht erklären läßt. 
So standen z. B. Bardeleben 3# ) 610, Treues 104, Tufjier*" 7 ) 125, Turner**) 
104, Laffargue **) 200, Robinson* 0 ) 415, Debele* 1 ) 500, Sydow **) 586 und 
Rostowzeff**) 283 Präparate zur Verfügung. Jedoch wird es ja klar, 
sogar wenn man nur einige von den Angaben als Beispiel nimmt, daß 
sogar die große Anzahl der ausgeführten Untersuchungen noch keine 

*) Semoff hat 4, Paschkowskij 2 und Stopnitzlcij 17 Leichen untersucht 


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Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 497 


gleichartigen Resultate gegeben hat. Wollen wir z. B. die Länge des 
Coecums nach verschiedenen Autoren vergleichen, so sehen wir, wie 
groß, die individuellen Schwankungen sind: 


Luschka . . 
Tarenetzkij**) 
Treves . . 
Tuffier . . 
Fender**) . 
Turner . . 
HenL . . . 


1—5 Zoll 
4,5 cm 
11,0 cm 
11,0 „ 

7,0 „ 

3,5—4,5 ccm 
2,7—10,0 ccm 


Eine andere Reihe von Autoren [ Loesecke**), Fürstenau* 1 ), Thomas* 6 ), 
Rostoiozeff u. a.] haben das Fehlen oder die schwache Entwicklung 
[Bezin* 9 ]] des Coecums beschrieben. Die Topographie des Blinddarms 
haben Tarenetzkij, Turner, Rostoiozeff, Treves, VaUe 60 ) und andere 
Autoren studiert. Die Lage des Coecums unter der Leber ( Fowler ) und 
die umgekehrte Lage [mit der Spitze nach oben (Curschmann 61 )], die 
Lagerung des Blinddarms neben der Milz im linken Hypochondrium 
[Lennander 62 )], die linksseitige Lage des Coecums ( Rostoiozeff u. a.) und 
viele andere Abweichungen von der sog. „üblichen“ Lage des Blind¬ 
darms sind von verschiedenen Autoren beschrieben worden. Es wurden 
sogar Versuche gemacht, die Altersverschiedenheiten des Coecums fest¬ 
zustellen. So hat z. B. Valee in 72% bei Kindern eine niedrigere Lage 
als bei Erwachsenen und im Greisenalter beobachtet. 

Die Größe des Appendix ist ebenso wie die Größe des Coecums 
starken individuellen Schwankungen unterworfen, wie man es aus fol¬ 
gender Tabelle ersehen kann: 


Luschka . 30 cm Länge 

Tichomiroff M ).von 16,5 bis 16,5 cm Länge 

Ribbert**) . „ 16,0 „ 21,0 „ „ 

Sonnehburg M ) . „ 18,0 „ „ 

Hassler M ) . 22,0 „ „ 

Rostoiozeff . „ 1,0 „ 15,0 „ „ 


Die Richtung, die Form und die Lage der Appendix und seines 
Mesenteriums wurden auch speziellen Untersuchungen unterworfen 
[Treves, Sonnenburg, Turner, Bryant 51 ), Debele, Sydow, Laffargue, 
Bristowe 66 )]. Es ist auch das Fehlen des Wurmfortsatzes bekannt 
[Meckel 69 ), Delius 60 ), Fürstenau, Gerlach 61 ), Tarenetzkij, Fergusson 62 ), 
Fawcet* 3 ), Blackford**), Robinson, Swan* 5 ) u. a.]. Ein Fall, wo ein 
verdoppelter Appendix vorhanden war, ist von Fleischmann **) be¬ 
schrieben worden. Einige Autoren haben Altersverschiedenheiten des 
Wurmfortsatzes festgestellt ( Ribbert, Turner, Rostoiozeff). Dieselben 
sind leicht aus folgender Tabelle zu ersehen: 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 


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32 


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498 


F. Walcker: 


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Alter 


Nach Ribbert 

Nach Rostowzejf 

Beim Neugeborenen . . 


Länge 3 3 /g 

cm 

Lange 

— 

Breite 

— 

Im Alter bis 5 Jahren 


» 7*/ s 

99 

99 

— 

99 

— 

„ von 5—10 Jahren . . 

„ 9 

99 

99 

— 

99 

— 

„ „ „ 10—20 

99 • • 

.. 97, 

99 

99 

8,8 cm 

99 

0,6 cm 

,, ,, 20—30 

99 • • 

.. 97, 

99 

99 

8,6 „ 

99 

p 

Ox 

oo 

,, „ 30 -40 

99 • • 

.. 87, 

99 

99 

7,8 „ 

•9 

0,58 „ 

„ „ „ 40—50 

99 * • 

» 87, 

99 

99 

8,1 „ 

99 

0,55 „ 

99 99 99 50-60 

99 • • , 

„ 87, 

99 

:9 

7,4 „ 

•9 

0,57 ., 

99 9> 99 über 60 

99 * • | 

— 


99 

7,5 „ 

• 

0,55 „ 


Die retrocöcale Lage des Wurmfortsatzes gab Grund zu Unter¬ 
suchungen des Verhältnisses des Peritoneums zur hinteren Fläche des 
Blinddarms [Bardeleben, Luschka, Tarenetzkij, Treues, Turner, Tuffier, 
Maurin ® 7 ), Toldt, Orohe, Schewkunenko u. a.]. 

Aus den oben angeführten Literaturangaben sieht man, daß das 
große untersuchte Material uns schon einige Hinweise auf die einzelnen 
Abweichungen von den „üblichen“, „normalen“ Typen des Blinddarms 
unter dem Einflüsse bestimmter Faktoren (z. B. dem Alter) gibt. 
Diese Altersverschiedenheiten, von denen hier die Rede ist, stellten bisher 
bloß theoretisches Interesse dar; jedoch können sie auch von prak¬ 
tischer Bedeutung sein, indem sie z. B. die Häufigkeit der Erkrankung 
des Wurmfortsatzes in einem gewissen Alter erklären usw. Das Alter 
muß aber durchaus nicht als der einzige Faktor, welcher auf die Form 
und die Topographie des Blinddarms und des Wurmfortsatzes einwirkt, 
angesehen werden. Darin überzeugen uns die Untersuchungen Schew- 
lcunenkos 68 ) und seines Schülers M. S. Lissitzin 69 ). Die Untersuchungen 
des ersteren umfassen ein Material von 300, die des letzteren von 104 
Präparaten (Abb. 3). Es sind durch die angeführten Untersuchungen 
nicht nur die Typen der Varianten des Coecums, sondern auch noch 
der fixierende Apparat desselben, die Einmündungstypen des Ileums, 
die Typen der Valvula Bauhini usw. studiert worden, wobei auch auf 
die Faktoren, welche auf die morphologischen und topographischen 
Besonderheiten des Coecums und der Appendix achtgegeben wurde. 
Es erwies sich, daß die Radix coeci, d. h. die Übergangsstelle des 
parietalen Peritonealblattes in das viscerale, welches zur Fixation des 
Blinddarms dient, in verschiedener Höhe gelagert sein kann: entweder 
über oder unter der Einmündungsstelle des Ileums oder auf einer Höhe 
mit derselben. Manchmal kommt es sogar zu einer Bildung des sog. 
Mesenterium commune, d. h. es bildet sich ein allgemeines Mesenterium 
für den proximalen Teil des Dickdarms und für den distalen des Dünn¬ 
darms. Das Vorhandensein des einen oder des anderen Typus bewirkt 
die Größe der Beweglichkeit des Blinddarms des Individuums. Die 


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Grandtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 499 


Radix coeci kann sagittal, frontal oder schräg (links- oder rechtsseitig) 
gerichtet sein (Abb. 3). 

Es lassen sich 3 Formen des Coecums unterscheiden: 1..trichter¬ 
förmiges Coecum, 2. sackförmiges und 3. asymmetrische Ektasieform. 
Die erste Form entspricht einer hohen Lage des Radix coeci und einer 
sagittalen Richtung desselben; die zweite Form ist mit der zweiten 
Lage der Radix coeci und mit einer frontalen Richtung desselben ver¬ 
bunden; bei der dritten Form wird eine niedrige Lage des Coecums 
und eine schräge Richtung seiner Wurzel beobachtet. Die drei be¬ 
schriebenen Typen des Coecums müssen als Grundlagen angesehen 
werden, d. h. sie sind embryonären Ursprungs. Die 3 Grundtypen 
verändern sich unter dem Einfluß folgender Faktoren: 1. des Alters, 
2. des Ernährungszustandes usw. Mit dem Alter senkt sich die Coecum- 
wurzel nach unten und die Länge und die Breite des Coecums nimmt 
zu. Letzteres läßt sich 
wahrscheinlich durch eine 
Atrophie der Gewebe, durch 
eine Erschlaffung und Aus¬ 
einanderziehung der Darm¬ 
muskulatur erklären. Da¬ 
durch kann es zu Stauungs¬ 
erscheinungen kommen, 
welche noch stärker das 
anatomische Bild verän¬ 
dern. Das Fettgewebe dient teilweise als fixierender Apparat und des¬ 
halb sind bei Fettleibigen die Altersveränderungen nicht so stark aus- 
gedrückt. Bei Frauen wird häufiger ein großes, breites und schräg 
liegendes Coecum angetroffen. Die Einmündung des Ileums ins Coecum 
kann entweder von der linken Seite, von oben nach unten oder von 
unten nach oben usw. geschehen. Die Lage des Ileums kann entweder 
antecöcal oder retrocöcal sein. Die Valvula Bauhini kann vertikal, 
schräg oder horizontal gerichtet sein. 




Die Lage de» Coecums bei Die Lage des Coecums bei 
einem jungen Individium. einem alten Individium. 
Abb. 8. 


Ty'pen der Varianten der Form und der Lage des Colon ascendens y trans - 

versum und descendens. 

Das Colon ascendens, welches stark an der hinteren Bauchwand 
angeheftet ist, besitzt eine ziemlich konstante Lage und die Abweichun¬ 
gen von seiner ,,üblichen“ Lage werden sehr selten angetroffen. (Die 
Frage von dem Situs viscerum inversus wird hier noch berührt.) Die 
Form des Colon ascendens ist auch sehr beständig. Nur höchst selten 
werden z. B. die Fälle beobachtet, welche Scheiter 10 ) beschrieben hat, 
wo das Colon ascendens sich gabelförmig spaltet und an seinem Ende 
von neuem in einen Stamm vereinigt. Die Länge des Colon ascendens 

32* 


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500 


F. Walcker: 


ist aber variabel. Das betrifft besonders jene Fälle, wo, wie es weiter 
beschrieben wird, das Colon transversum eine schräge Lage besitzt und 
von rechts nach links verläuft. Auch bei der hohen Lagerung des 
Coecums (z. B. unter der Leber) ist das Colon ascendens sehr kurz. 
Leider fehlen eingehende anatomische und topographische Unter¬ 
suchungen des auf steigenden Colons fast gänzlich. 

Das Colon transversum aber diente oft als Thema für spezielle 
Untersuchungen. Außer den oben benannten Autoren — Treves, 
Adia8on u. a. — beschäftigten sich damit noch Bertin 71 ), Schieffer- 
decker 78 ), Maudaire und Mouchet 78 ), Cohan 7 *), Collin 76 ), Buy 76 ) u. a. 
Durch diese Arbeiten wurde festgestellt, daß die „klassische“ Quer¬ 
lage des Colon transversum durchaus nicht immer vorhanden ist und 
daß man folgende Typen der Lage dieses Darms unterscheiden muß: 
1. quere Lage, 2. schräge Lage — von rechts nach links und von unten 
nach oben —, 3. schräge Lage — von rechts nach links und von oben nach 



unten—, 4. hufeisenförmiges, nach oben gewölbtes Quercolon, 5. V-förmiges 
—, mit der Spitze der Knickung nach unten gerichtetes Quercolon. Auch 
finden wir in der Literatur einige Versuche, die Besonderheiten des 
Kindesalters festzustellen [$miJÄ 77 )]. Verschiedene Bildungsfehler dien¬ 
ten als Thema für eine große Reihe von Arbeiten kasuistischen Charak¬ 
ters. So hat z. B. Alexander 78 ) eine Verdopplung des Colon trans¬ 
versum beschrieben: Erdmann 79 ) hat eine ungewöhnlich niedrige Lage 
des Quercolons (im Kleinbecken) beobachtet. Eine Reihe anderer sel¬ 
tener Varianten und Mißbildungen sind von Smith 80 ), Walters 81 ), 
Dressei 88 ), Ingelbrisien 88 ), Oerard 8i ), Hör der 88 ), Roud 86 ) u. a. beschrieben. 
Es sind sogar Fälle von gänzlichem Fehlen des Colon transversum 
bekannt [Morton 87 )]. 

Unlängst wurde die Frage über die Anatomie des Quercolons ein¬ 
gehend im Institut für operative Chirurgie und topographische Ana¬ 
tomie des Prof. W. N. Schewkunenko an der Mil.-Med. Akademie in 
St. Petersburg eingehend von P. A. Kuprijanoff 88 ) in Bezug auf die 
Einwirkung gewisser Faktoren auf die Form und die Topographie des 
Colon transversum studiert (Abb. 4). 


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Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 501 

Die Untersuchungen wurden an 100 Leichen verschiedenen Alters 
und Geschlechts angestellt, wobei sich ergab, daß auf die Topo¬ 
graphie des Colons folgende Faktoren einwirken: 1. der Umfang der 
Apertura thoracis inf., 2. der Ernährungszustand, 3. das Geschlecht 
und 4. das Alter. In 43,6% verläuft das Quercolon bei Erwachsenen 
schräg, wobei die linke Flexur sich etwas höher (auf der 7. bis 8. Rippe 
und bis zum unteren Rand der 5. Rippe) als die rechte (auf der Höhe 
des Arcus costarum) befindet. Es können 4 Typen der Varianten des 
Quercolons unterschieden werden: 1. das Colon transversum ist huf¬ 
eisenförmig nach oben gewölbt. Bei dieser Form liegt der Darm hoch, 
seine Flexuren sind schwach ausgedrückt oder fehlen gänzlich; 2. beim 
zweiten Typus liegt das Quercolon horizontal, seine Flexuren sind gut aus¬ 
gedrückt, der Darm liegt verhältnismäßig niedrig; 3. der dritte Typus 
zeichnet sich durch die U- oder V-Form aus, wobei drei Flexuren vor¬ 
handen sind: a) die Flexura coli hepatica, b) die Flexura coli lienalis 
und — zwischen denselben — c) die Flexura coli ransversa. 4. Beim 
vierten Typus wird ein schräger Verlauf des Quercolons beobachtet, wobei 
die rechte Flexur stets einen stumpfen, die linke einen scharfen Winkel 
bildet. Die prozentuale Häufigkeit der einzelnen Typen in folgender 
Tabelle dargestellt: 


Typen der Varianten der Form und der Lage des Colon transversum 


(bei Erwachsenen) 


Hufeisenform, nach oben gewölbt .... 
Querliegendes Colon transversum .... 

U- oder V-Form. 

Schräger Verlauf.. 

Ausnahmsweise seltene Lagen und Formen 


43,6 

£ 6,8 

16,5 

3,8 


Der 1. Typus wird hauptsächlich bei Kindern angetroffen. Im 
Alter bis zum 12. Jahre trifft man ihn in 92,9% an, wobei der Bänder¬ 
apparat und das Mesocolon kurz sind. Der 2. Typus ist den Männern 
mit einer breiten (im queren Durchmesser) Apertura thoracis inf. eigen, 
im mittelwertigen Ernährungszustand und im Alter von 40—45 Jahren. 
Der Bänderapparat ist gut entwickelt. Der 3. Typus wird hauptsächlich 
bei Frauen mit schmaler (im queren Durchmesser) Apertura thoracis 
inf., bei Abgemagerten im Alter von 30 —45 Jahren angetroffen (78,9%). 
Der Bänderapparat ist lang, das Mesocolon ebenfalls. Der 4. Typus wird 
häufiger bei vollen Männern im Alter von 30—35 Jahren beobachtet 
(63,7%). Der Bänderapparat der linken Flexur ist gut entwickelt, das 
Mesoion kurz, seine Anheftungslinie hat eine schräge Richtung (von 
der rechten Ileocoecalgegend bis zur linken Rippengegend). Das Lig. 
phrenico-colicum dextrum fehlt, das Colon ascendens ist kurz. 


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502 


F. Walcker: 


Betrachtet man das Quercolon in sagittaler Richtung, so kann man 
auch einen verschiedenen Verlauf und eine verschiedene Lage desselben 
beobachten. Der Darm liegt manchmal näher zur vorderen Bauchwand 
als das Colon ascendens oder descendens, wobei auch sagittale Knik- 
kungen Vorkommen können. Wenn man den Gang des Colon ascendens 
von der hinteren Bauchwand zur vorderen verfolgt, so kann man sehen, 
wie das Colon, die erste Knickung in sagittaler Richtung bildend, sich 
nach unten senkt, eine neue sagittale Knickung bildet und erst dann 
seine Richtung frontal wendet. 

Die Form und die Lage des Colon descendens ist verhältnismäßig 
wenig individuellen Schwankungen unterworfen, und deshalb gibt es 
fast gar nicht diesbezügliche Untersuchungen. Nur höchst selten bei 
der Beschreibung einiger Besonderheiten des Verlaufes oder der Form des 
Colon transversum oder des Colon sigmoideum beschreiben die Autoren 




Abb. 5. Typen der Lage des S-romanum. 


eine Ablenkung von dem üblichen anatomischen Bilde des absteigenden 
Colons (z. B. Fälle von Situs viscerum inversus, ein von Seiffert 89 ) be¬ 
schriebener Fall usw.]. 

Typen der Varianten der Form und der Lage des Colon sigmoideum. 

Von den einzelnen Abteilen des Darmkanals verändert das Colon 
sigmoideum seine Form und seine Lage am häufigsten. Die Varianten 
der letzteren haben Treves, Bourcart 90 ), Samson 91 ), Schreiber 92 ), Blumen¬ 
feld 93 ) u. a. studiert. Besondere Aufmerksamkeit wurde auf das Meso- 
sigmoideum gewendet. Als Ursache dazu diente die verhältnismäßig 
große Häufigkeit des Volvulus sigmoideus. Gruber 9X ) und andere Autoren 
haben eine Reihe von Fällen ungewöhnlicher Form und Lage des Colon 
sigmoideum beschrieben. Einige Autoren haben auf die Besonderheiten 
des Kindesalters acht gegeben [ Stocquart 95 ) u. a.]. 

Den Einfluß gewisser Faktoren auf die Topographie des Colon sig¬ 
moideum, auf die Form desselben und auf das Mesosigmoideum hat 
in letzter Zeit A. J. Ssoson-Jaroschewitsch 96 ) festgestellt (Abb. 5). Es 
gelang ihm, eine „rationelle Erläuterung aller topographischen und 



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Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 503 

anatomischen Verschiedenheiten“ zu geben. Die Untersuchungen wurden 
kn 101 Leichen verschiedenen Alters (von 6monatigen Embryonen bis 
zum 70jährigen Alter) und Geschlechts angestellt. Alle Form- und 
Lagevarianten des Colon sigmoideum können in 4 Grundtypen ein¬ 
geteilt werden: 

1. Das S-romanum stellt ein kurzes, wenig geschlängeltes Rohr dar, 
welches fast ohne jegliche Biegungen aus der Fossa iliaca sinistra zur 
Artic. sacro-iliaca verläuft; das Mesosigmoideum ist kurz. Dieser Typus 
wird ungefähr in 8% der Fälle und hauptsächlich bei 3—4monatigen 
Embryonen angetroffen. Deshalb muß das Vorhandensein dieser Form 
bei Erwachsenen als das Resultat einer Hemmungsbildung im frühen 
Entwicklungsstadium angesehen werden. 

2. Das Colon sigmoideum ist lang, liegt über dem Eingang ins 
kleine Becken und bildet eine Reihe von Schlingen, welche links von 
der Columna vertebrarum* gelagert sind. Die oberen Schlingen heben 
sich in einigen Fällen bis zur Milz. Das Mesosigmoideum ist lang. 
Dieser Typus wird in 26,7% der Fälle und hauptsächlich bei Em¬ 
bryonen des späten Entwicklungsstadiums angetroffen. 

3. Die Schlingen des Colon sigmoideum gelangen bis in die rechte 
Hälfte der Bauchhöhle und strecken sich manchmal bis zur Leber 
hinauf. Das Mesosigmoideum ist lang. Die Häufigkeit beträgt 11,8%. 

4. Die Schlingen des Colon sigmoideum befinden sich im Klein¬ 
becken; der Darm ist lang und bildet eine Reihe von Krümmungen; 
das Mesosigmoideum ist lang. Dieser Typus wird hauptsächlich bei 
Erwachsenen angetroffen (53,4%). Er muß als der „vollkommene“ 
Typus betrachtet werden. 

Der Charakter dieser Grundtypen, welche embryonären Ursprungs 
sind, kann sich im Verhältnis von dem Alter und von dem Füllungs¬ 
zustande des Darms ändern. Eine Vorbestimmung des Vorhandenseins 
des einen oder des anderen Typus des Radix mesosigmoidei ist durch 
die Untersuchung der äußeren Konfiguration des Beckens möglich. 
Bei schmalem (männlichen) Becken liegt das Radix mesosigmoidei 
mehr vertikal und der Neigungswinkel desselben in im Durchschnitt 
52° gleich; deswegen liegt auch der Darm selbst mehr vertikal. Bei 
breitem (weiblichen) Becken ist die Anheftungslinie des Mesosigmoi- 
deums mehr horizontal gerichtet und der Neigungswinkel 29° gleich. 
Dementsprechend liegt auch der Darm mehr horizontal. Sehr stark ist 
die Einwirkung des Alters auf die Höhe der Mesosigmoideumlage aus¬ 
gesprochen: bei Embryonen liegt das Radix mesosigmoidei auf der Höhe 
des 3. Lumbalwirbels; im Alter von 1 — 10 Jahren auf der Höhe des 4., 
im Alter von 10—25 Jahren auf der Höhe des 5., im Alter von 25 bis 
50 Jahren senkt es sich bis zum Promontorium. 


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504 


F. Waleker: 


Typen der Form- und Layevarianten der Bauchspeicheldrüse. 

Die Bauchspeicheldrüse besitzt eine höchst konstante Form und 
Lage. Die letztere sowie auch die Lage der Ausführgänge des Pankreas 
dienten oft als Thema für spezielle Untersuchungen, mit denen die 
Namen einer ganzen Reihe von Autoren verbunden sind [ Bicourt l* 7 ), 
Bemard 98 ), Vemeil"), Herzen 10 °), Schirmer 101 ), Thiroloix 102 ), Jonosik 103 ), 
Symington 10 *), Pischinger los ), Sandras 106 ), Titone 107 ), Tschaussoff 106 ). 
Sobotta 109 ) u. a.]. Häufig wurden in der Literatur seltene Varianten 
oder „Anomalien“, wie man sie gewöhnlich nennt, beschrieben [Bu¬ 
cheier 110 ), Symington 111 ) u. a.]. Es sind auch noch Fälle von ring¬ 
förmigem Pankreas bekannt [Cords 113 ) u. a.]. Das Fehlen des Cauda 
pancreatici hat Heiberg 116 ) beschrieben. Nicht selten gibt es akzes¬ 
sorische Pankreaskeime [Gaudy und Griffon 113 ), Hyrtl 115 ), Letulle 11 *), 
Nauwerk 117 ), Neumann 113 ), Zenker 119 ), Wagner m ) u. a.]. Dieselben 
können manchmal in der Magenwand eingebettet sein. Die Lage des 
Pankreas bei Embryonen und Kindern haben Jackson 1 * 1 ), Trolard 1 **) 
und andere studiert. 

Jedoch trotz der großen Anzahl entsprechender Arbeiten (in der 
Monographie Sobottas allein sind z. B. 386 Autoren angeführt) bleibt 
doch die Anatomie der Bauchspeicheldrüse nicht gänzlich geklärt, denn 
die verschiedenen Varianten waren nicht in gewisse Typen eingeteilt; 
die Altersverschiedenheiten der Form und der Lage und der Einfluß 
bestimmter Faktoren auf die anatomischen Besonderheiten der Bauch¬ 
speicheldrüse blieben unbekannt. Deswegen ist keine Individualisation 
der einzelnen operativen Zugänge und keine rationelle Anwendung der¬ 
selben vom Standpunkte der chirurgischen Anatomie möglich. Doch 
muß man gestehen, daß einige Versuche in dieser Hinsicht doch ge¬ 
macht wurden [Dieulafi 123 ), Sandras u. a.]. 

Die Untersuchungen von A. W. Melnikoff 1 **), welche im Institut 
für operative Chirurgie und topographische Anatomie in der Mil.-Med. 
Akademie in St. Petersburg angestellt wurden, zeigen uns 3 Grundtypen 
der Lage der Bauchspeicheldrüse: 1. horizontale, 2. schräge und 3. ge¬ 
knickte, winkelförmige Lage. Der 3. Typus wird bei gleichmäßiger 
„vollkommener“ Apertura thoracis inf. angetroffen; der 1. und 2. Typus 
bei „unvollkommener“ Apertura thoracis inf., deren Durchmesser von 
verschiedener Größe sind. Mit dem Altern des Individuums wird eine 
Senkung der Bauchspeicheldrüse beobachtet. 

Typen der Varianten der Form und der Lage der Leber. 

Giraudel 125 ), Jamagiva 126 ), Letulle 127 ), Alezaio 128 ), Airnes und Val- 
lots 129 ), Hoffmann 130 ), Rüge 131 ) u. a. Autoren haben die Frage über 
die Anatomie der Leber speziellen Untersuchungen unterworfen. Diese 
Arbeiten sind morphologischen Charakters und enthalten eine Beschrei- 


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Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 505 


bung einer ganzen Reihe von Abweichungen der Leber vom sog. „nor¬ 
malen“ Typus. In der letzten Zeit sind von Melnikojf 132 ) Unter¬ 
suchungen angestellt, welcher ebenso wie Herz 133 ) annimmt, daß bei 
der Fixation der Leber nicht nur der Bänderapparat, sondern auch 
noch eine Reihe anderer Faktoren eine große Rolle spielten (z. B. der 
Einfluß der Lungen, des Zwerchfells, des Intraperitonealdrucks usw.). 
Es müssen 2 Typen des Bänderapparats unterschieden werden: 1. der 
„vollkommene“ und 2. der „unvollkommene“ Typus. Beim voll¬ 
kommenen Typus ist das intraperitoneale Feld der Leber groß, die Liga¬ 
menta, welche die Leber festhalten, sind kurz und die V. cava inf. wird 
auf einer großen Strecke von der Leber umfaßt. Beim unvollkommenen 
Typus ist das intraperitoneale Feld der Leber klein, die Ligamenta 
lang. Der 1. Typus wird bei breiter, der 2. bei schmaler Brust an¬ 
getroffen. Mit dem Alter senkt sich die Leber und wird beweglicher. 


Typen der Varianten der Form, und der Lage der Milz. 

Es gibt nicht viele Typen der Form- und Lagevarianten der Milz. 
In den Arbeiten von Herzen, Janosik, Picon 134 ) und Sobotta 135 ) finden 
wir ausführliche anatomische Angaben. Jedoch wird in allen genannten 
Untersuchungen der Versuch gemacht, einen „normalen“ Milztypus 
festzustellen; die Angaben Sxoson-Jaroschewitschs 136 ) zeigen aber, daß 



die Lage der Milz unbeständig ist und in 2 Typen dargestellt werden 
kann: 1. hohe Lage und 2. niedrige Lage (Abb. 6). In dem ersten Falle 
liegt der lbere Rand der Milz aufwärts von der 11. Rippe und hebt 
sich oft bis zum unteren Rand der 8. Rippe. Die Milzachse verläuft 
in diesem Fall mehr horizontal. Im zweiten Falle überschreitet die 
Grenze des oberen Milzrandes nicht die Höhe der 11. Rippe; die Milz¬ 
achse verläuft mehr vertikal. Der 1. Typus wird hauptsächlich bei 
schmaler Brust, stark gesenkten Rippen und kleinem Winkel zwischen 
den beiden Arcus costarum angetroffen. Bei breiter Brust, hoch¬ 
stehenden Rippen und großem Rippenwinkel ist häufiger der 2. Typus 
vorhanden (d. h. eine niedrig gelegene und vertikal gerichtete Milz). 
Außerdem wirken auch noch der Füllungszustand der benachbarten 
Organe und ihre pathologischen Veränderungen auf die Lage der Milz 


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506 


F. Walcker: 


ein. Bei gefülltem Magen wird die Milz zur hinteren-Brustwand und 
auf 1 —2 Wirbel nach oben verschoben, indem sie in frontaler Richtung 
wendet. Auch der Füllungszustand der Pleuralhöhle ändert die Lage 
der Milz. Dieselbe kann sich auf 2, 3 und sogar 5 Wirbel senken. 
Der Ernährungszustand des Individuums bleibt auch nicht ohne Elin¬ 
fluß auf die Topographie des geschilderten Organs. Bei stark Ab¬ 
gemagerten liegt die Milz näher den Rippen an als bei Fettleibigen. 

Die Form der Milz ist, abgesehen von Fällen, wo es sich um eine 
lappige Milz handelt, ziemlich konstant. Ungefähr in 4% der Fälle 
gibt es akzessorische Milzen. 

Typen der Varianten der Form und der Lage der Nieren. 

Lappenförmige Nieren, Hufeisenform derselben und andere Ab¬ 
weichungen von dem gewöhnlichen Bilde, den die Nieren darstellen, 
sind schon genügend bekannt; jedoch auf das Einwirken gewisser 
Faktoren auf die Lage und die Form dieses Organs wurde bisher noch 
nicht hingewiesen. Die topographischen Verhältnisse der Nieren wurden 
an einem großen Leichenmaterial (104 Präparate) von Helm m ) stu¬ 
diert. In der letzten Zeit sind Untersuchungen von W. A. Paudehko m ) 
unternommen worden, welcher auf einer großen Anzahl von Präpa¬ 
raten das Verhältnis der Nieren zur 12. Rippe und hauptsächlich 
das Einwirken verschiedener Faktoren auf die Topographie dieses Or¬ 
gans feststellte. Aus den Pawlenko sehen Untersuchungen geht hervor, 
daß die Lage der Nieren vom Alter (je älter das Individuum, desto 
niedriger liegen die Nieren, und umgekehrt), vom Ernährungszustand 
(bei abgemagerten Personen liegen die Nieren niedriger als bei fett¬ 
leibigen) und von dem äußeren Körperbau beeinflußt werden. Die 
unzähligen Varianten der Nierenlage können in 3 Grundtypen ein¬ 
geteilt werden: 1. hohe, 2. mittlere und 3. niedrige Lage. Der 1. Typus 
wird bei schmaler, der 2. bei vollkommener gleichmäßiger und der 3. 
bei breiter Apertura thoracis inf. angetroffen. Auch gelang es, Ge¬ 
schlechtsverschiedenheiten festzustellen: bei Frauen liegen die Nieren 
gewöhnlich niedriger als bei Männern. 

Über die Gefäße und Nerven der Bauchhöhle. 

Die Form und andere Besonderheiten der Organe beeinflussen ge¬ 
wissermaßen auch den Bau des Gefäß- und Nervensystems, welches 
ebenso wie alle anderen Bauchorgane mit den oben angeführten Fak¬ 
toren in Zusammenhang stehen. Meine eigenen Untersuchungen des 
Pfortadersystems 139 ), die Untersuchungen der Lebergefäße von Melni- 
koff 14 °) und der Milzarterie von Ssoson-Jaroschewitsch 1 * 1 ) weisen auf 
die Altersveränderungen hin, welche sich in einer Verlängerung und 
Verkrümmung der Gefäßstämme äußern. Auch im Nervensystem 


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Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 507 

lassen sich Altersveränderungen bemerken, wie es Pawlenko 142 ) an 
dem N. splanchnicus und seinen Verzweigungen bewiesen hat. 

Das Diaphragma. 

Die einzelnen Organe der Bauchhöhle beschreibend, habe ich mit 
Absicht bisher mich von der Beschreibung des Diaphragmas zurück¬ 
gehalten, welches stark auf die Lage der Bauchorgane einwirkt. Durch 
das Zwerchfell verlaufen der Oesophagus, die V. cava inf., die Aorta 
abdominalis usw. Die Öffnungen für dieselben sind nicht immer im 
Diaphragma in gleichem Verhältnis zueinander und in gleicher Ent¬ 
fernung und Richtung gelegen. Und es ist selbstverständlich, daß 
die topographischen Verhältnisse der Diaphragmaöffnungen, welche 
den Anfangspunkt der Bauchorgane bilden, für die Lage der letzteren 
von großer Bedeutung sind, wobei die Bauchorgane gezwungen sind, 
denselben Bauplan zu wiederholen, welchen wir an dem Diaphragma 
des Individuums antreffen. Das Diaphragma wirkt, mit anderen Worten, 
auf die Topographie aller Bauchorgane ein. D. h. nach dem Bautypus 
des Zwerchfells, nach dem Verhältnis der Diaphragmaöffnungen zu¬ 
einander, der Lage und der Richtung derselben kann man sich ein 
Urteil über den Bautypus aller Bauchorgane bilden. Da aber die 
äußeren Körperformen (z. B. die Durchmesser der Apertura thoracis 
inf. usw.), das Alter, der Ernährungszustand und andere Faktoren 
uns in jedem einzelnen Falle den Typus vorbestimmen, so wird es ja 
klar, daß wir in der vorläufigen Mitteilung Mos kalenkos 13 *), von denen 
hier die Rede ist, einen Schlüssel zum Rätsel haben, welches die Topo¬ 
graphie der Bauchorgane in jedem einzelnen Falle darstellt. 

Aus der oben angeführten Beschreibung ist zu ersehen, daß wie die 
Form, so auch die Lage der Bauchorgane höchst verschieden ist. Auf 
der Abb. ist die Lage der Organe abgebildet, welche man gewöhnlich 
als „ normal “ bezeichnet. Wird aber die Frage angestellt, ob man oft 
bei den Sektionen oder Laparotomien genau dieselbe Lage antrifft, so 
muß man gestehen, daß das durchaus nicht häufig der Fall ist. Die 
angeführte Zeichnung aber stellt jene Organlage dar, welche dem His- 
schen Modell entnommen ist, welche genau die Topographie der Organe 
wiedergibt und als „klassisch“ betrachtet werden muß. Es gibt viele 
Abweichungen von diesem „klassischen“ Typus der Lage der Bauch¬ 
organe, welche man als „Varianten“ bezeichnet. Die unzähligen Va¬ 
rianten besitzen trotz ihrer Verschiedenheiten doch einige gemein¬ 
samen Züge, auf deren Grund man die ähnlichen Varianten in gewisse 
Gruppen oder Typen einteilen kank. Jener Typus, welcher am häu¬ 
figsten angetroffen wird, wird als „normal“ bezeichnet. Es gibt also 
keine „normale“, sondern bloß eine häufiger antreffbare Lage der Organe. 

Es gibt also noch viele andere Typen der Form und der Lage der 


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508 


F. Walcker: 


Bauchorgane außer der, welcher gewöhnlich in den anatomischen Lehr¬ 
büchern beschrieben wird. Für einige Organe sind schon diese Typen 
festgestellt, und es ist sogar ihr Häufigkeitsprozent bekannt. Die meisten 
anatomischen Arbeiten aber verfolgen bloß theoretische Ziele, und die 
meisten Autoren beschränkten sich deshalb bisher während der Unter¬ 
suchungen der Körperorgane bloß mit den angeführten abstrakten 
Prozentzahlen und gaben wenig auf jene Faktoren acht, welche auf 
die Form und die Topographie der Organe einwirken. Für praktische 
Ziele aber ist es ja nicht wichtig zu wissen, was für Varianten oder Typen 
der Varianten Überhaupt existieren, sondern was für ein Typus in jedem 
einzelnen vorliegenden Falle vorhanden ist und wie derselbe vorzubestimmtn 
ist. Denn bei verschiedenen Typen sind auch verschiedene operative Ein¬ 
yriffe angezeigt. Es hängt also vom Typus der Form und der Lage der 
Bauchorgane die Wahl der Operation ab. Man kann als Beispiel die 
linksseitige Lage des Duodenums anführen, wo der gewöhnlich ge¬ 
brauchte Operationsschnitt zur Bloßlegung dieses Organs nicht ge¬ 
nügend ist. Auch ist bei hoher Lage des Blinddarms und bei retro- 
coecaler Lage der Appendix ein anderer operativer Weg notwendig 
als wie gewöhnlich. Die Zahl der Beispiele könnte man ja noch ver¬ 
größern. Außerdem muß man noch darauf hinweisen, daß einige Typen 
der Form und der Lage sehr nahe zur Pathologie stehen und sogar eine 
Reihe krankhafter Erscheinungen oder Prädisposition zu denselben 
hervorrufen können. So kann z. B. die Faltenform des Zwölffinger¬ 
darms, mit welcher eine große Beweglichkeit des Darms verbunden ist, 
ein langes Mesosigmoideum oder eine V-Form des Colon transversum 
als Ursache krankhafter Erscheinungen dienen. 

Eine Reihe kekannter Anatomen, wie z. B. Engel 144 ), Luschka, 
Herz, Lemaire M5 ), Swaen lM ), Adisson und Sugai 1 * 7 ) haben die Topo¬ 
graphie der Bauchorgane studiert, jedoch finden wir bei ihnen keine 
Hinweisung auf die Faktoren, welche auf die Topographie einwirken. 
Erst in der letzten Zeit haben Lubosch 148 ) in Deutschland und Gregoire 14 *) 
in Frankreich die vorliegende Frage von dem angeführten Standpunkte 
aus rein theoretisch verhandelt. Sie selbst (wenigstens ist es aus ihren 
Arbeiten nicht zu ersehen) haben keine entsprechenden Untersuchungen 
angestellt. Von dem Standpunkte ausgehend, daß eine Vorbestimmung 
der Typen der Lage der Bauchorgane ohne Eröffnung der Bauchhöhle 
in jedem einzelnen Falle für praktische Ziele höchst wichtig ist, wurden 
im Institut für operative Chirurgie und topographische Anatomie an 
der Mil.-Med. Akademie in St. Petersburg nach der Idee TF. N. Schew- 
kunenkos von einer Reihe von Ärzten, darunter auch von mir, Unter¬ 
suchungen angestellt, um jene Faktoren festzustellen, welche auf die 
Form und Topographie der Körperorgane einwirken und ein Kriterium 
für die Vorbestimmung der Typen in jedem einzelnen Falle aufzufinden. 


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Grnndtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 509 

Auf Grund der oben angeführten Angaben über die Grundtypen 
der einzelnen Körperorgane kann man folgende Faktoren, welche auf 
ihre Topographie einwirken, feststellen: 1. embryonale Grundlage, 2. das 
Alter, 3. der Ernährungszustand, 4. Geschlechts-, Rassen- und individuelle 
Verschiedenheiten, 5 das Einwirken der Gewohnheiten, der Profession usw. 
6. der Fvllungszustand der benachbarten Organe und 7. pathologische 
Prozesse. 

1. Embryonale Grundlage. Durch dieselbe wird ein gewisser Typus 
des Baues der Organe des Individuums bestimmt. So wird z. B. durch 
die embryonale Grundlage das ringförmige Duodenum, das kurze, 
schwach geschlängelte S-Romanum usw. erzeugt. Außerdem wird auch 
durch die embryonale Grundlage die erbliche Übertragung gewisser 
Besonderheiten, welche die Architektur der Organe der Eltern auf¬ 
weist, bedingt. Zu solchen Besonderheiten müssen z. B. der „atavi¬ 
stische“ Typus (d. h. die Rückkehr zum Typus der Vorahnen) und der 
„Zukunftstypus“ (zu dem der menschliche Organismus in seiner 
Vervollkommnung strebt) zugezählt werden. Der 1. Typus muß vom 
vergleichend-anatomischen Standpunkte aus als „unvollkommener“ be¬ 
trachtet werden, denn er ist den Tieren eigen, welche auf einer niedrigeren 
Stufe der Entwicklung als der Mensch stehen; der 2. Typus — der 
„vollkommene“ — ist nur dem Menschen eigen und wird bei den 
Tieren fast nie angetroffen. Als Beispiel können die 3 Typen der Bil¬ 
dung der Pfortader dienen (das dem Zusammenfließen der V. lienalis, 
der V. mesenterica sup. und der V. mesenterica inf.). In einigen Fällen 
bildet sich die V. portae mittels 3 Venen: 1. V. lienalis, 2. V. mesenterica 
sup. und 3. V. mesenterica inf. Dies ist der „unvollkommene“ Typus. 
Er wird fast immer bei den Tieren angetroffen. In anderen Fällen wird 
die Pfortader nur durch 2 Venen gebildet: 1. V. mesenterica sup. und 
2. V. lienalis. Die V. mesenterica inf. mündet in die V. lienalis ein. 
Dieser Typus muß als „vollkommener“ bezeichnet werden, denn er ist 
hauptsächlich dem Menschen eigen. Der 3. Typus nimmt die Mittel¬ 
stellung zwischen den ersten 2 Typen ein. Die V. portae wird in diesem 
Falle auch durch oben benannte Venen gebildet, wobei die V. mesen¬ 
terica inf. in die V. mesenterica sup. einmündet (Abb. 7). 

2. Das AUer. Die Altersverschiedenheiten machen sich an allen 
Bauchorganen bemerkbar. Die Faltenform des Duodenums, die Ver¬ 
längerung und Erweiterung des Coecums, die Senkung des Radix coeci, 
U- oder V-förmiges Colon transversum, langes, geschlängeltes und stark 
in dem Kleinbecken gesenktes S-Romanum, niedrige Lage der Nieren 
und der Leber usw. stellen Besonderheiten des späteren Alters dar. 
Die Ringform des Duodenums, kurzes und hochgelegenes Coecum; 
nach oben gewölbtes Colon transversum; kurzes hochgelegenes Colon 
sigmoideum; hohe Lage der Nieren und der Leber sind dem Kindes- 


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alter eigen. Es scheint also, als ob die Bauchorgane sich mit dem 
Alter senken, und schlaff und beweglicher werden. 

3. Der Ernährungszustand. Das Fettgewebe stellt nicht bloß eine 
Unterlage für die einzelnen Bauchorgane dar, sondern dient auch noch 
für die Befestigung derselben. Es wird deshalb bei abgemagerten In¬ 
dividuen eine stärkere Beweglichkeit der Organebeobachtet. Auch 
werden dieselben schlaffer und können dem äußeren Aussehen nach den 
Organen eines alten Organismus gleichen. Bei gutem Ernährungs¬ 
zustand*) sind die Organe höher gelegen. Sie nähern sich nach dem 
äußeren Bau den Organen eines jugendlichen Organismus. 

4. Geschlechts-, Rassen- und individuelle Verschiedenheiten. Am 
meisten sind uns die Geschlechtsverschiedenheiten bekannt. Sie äußem 



Abb. 7. 

sich in einem mehr „vollkommenen“ Bau des männlichen Organismus. 
Auch die Zeichen der Veralterung der Organe treten im männlichen 
Organismus später als beim weiblichen ein. So wird z. B. die Falten¬ 
form des Duodenums, ein breites und schlaffes Coecum, die V-Form 
des Colon transversum usw. öfters bei Frauen als bei Männern im 
mittleren Lebensalter angetroffen. 

Die Rassenverschiedenheiten sind wenig bekannt. Die individuellen 
Besonderheiten stellen eine spezifische Eigentümlichkeit des Indivi¬ 
duums dar, die als Ursprung der weiteren erblichen Übertragung dienen. 
So kann z. B. eine höchst seltene Variante, welche sich bei einem In¬ 
dividuum zufällig entwickelt hat, weitervererbt werden und bei den 
Nachkommen schon als ein Resultat der embryonalen Grundlage er¬ 
scheinen. 

*) Starke Fettleibigkeit wird hier ausgeschlossen. Sie wird zum letzten der 
oben angeführten Faktoren, d. h. zu dem Einfluß der pathologischen Prozesse 
zugezählt. 


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Grundtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 511 


5. Die Einwirkung der Angewohnheiten , der Profession usw. ist 
auch unbestreitbar. Die gewohnte Lage während des Schlafs auf 
der rechten oder auf der linken Seite schaffen gewisse statische Ver¬ 
hältnisse, welche nicht ohne Einwirkung auf die Lage einiger Organe 
bleiben können; starkes Trinken verändert die Form und die Größe 
des Magens usw. Einige Professionen können auch gerade oder in¬ 
direkt auf die Form und die Topographie der Körperorgane einwirken. 

6. Durch die Füllung der benachbarten Organe werden mechanisch 
die einzelnen Organe verschoben. Diese Tatsache ist z. B. für das 
Colon sigmoideum und andere Abteile des Magendarmkanals be¬ 
wiesen. 

7. Pathologische Prozesse. Die Einwirkung der pathologischen Pro¬ 
zesse auf die Form und Topographie der Organe ist ja selbstverständlich 
groß und kann entweder gerade oder indirekt sein. Das Studium dieses 
Faktors liegt einem speziellen Wissenschaftszweige zugrunde, welcher 
als chirurgische Anatomie bezeichnet wird und ein systematisches Stu¬ 
dium der Form und der Topographie der pathologisch veränderten und 
pathologisch verschobenen Organe darstellt. 

Alle oben angeführten Faktoren außer dem einen können mit großer 
Wahrscheinlichkeit als Kriterium für die Vorbestimmung des vor¬ 
handenen Typus in einem jeden einzelnen Falle dienen. Nach dem 
Alter, dem Ernährungszustand, dem Geschlecht usw. kann man sich 
ein Urteil bilden, was für eine Form und Lage des Colon sigmoideum, 
des Colon transversum, des Coecum, des Dünndarms und des Duo¬ 
denums wir in jedem einzelnen Falle vor uns haben. Und nur die 
embryonale Grundlage stellt noch ein Rätsel dar, welches schwer zu 
erraten ist. Hier kommen uns aber andere Angaben der oben an¬ 
geführten Untersuchungen zu Hilfe, welche leicht zu berechnen sind. 
Ich verstehe darunter den Zusammenhang zwischen der Form und der 
Lage der Bauchorgane und der äußeren Architektur des Körpers. Diesen 
Zusammenhang zwischen dem Bau der inneren Organe und dem Bau 
des Körpers haben ja schon lange die Gynäkologen für praktische Ziele 
angewandt. Es ist ja allgemein bekannt, daß nach der Form des Bauches, 
der Michaelis sehen Raute und den äußeren Größen der Beckendurch¬ 
messer man sich ein Urteil über den Zustand der Gebärwege und des 
Beckenringes stellen kann. In der Chirurgie hat man aber bisher auf 
diese Angaben wenig acht gegeben. Und auch sogar in der anatomischen 
Literatur gibt es ja darüber fast gar keine Angaben. Nur Froriep 150 ) 
spricht mit großer Überzeugung von einem Zusammenhang zwischen 
der Lage der Hemisphären des Großhirns und dem fronti- oder occipito- 
petalen Bau des Schädels. 

Die Angaben, auf welche sich meine Arbeit gründet, zeigen uns, 
daß die äußeren Besonderheiten der Bauchhöhle (Breite, Länge usw.) 


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F. Walcker: 


und die oben angeführten Faktoren uns die Möglichkeit geben, den 
Typus der Varianten einzelner Organe in jedem einzelnen Falle fest¬ 
zustellen. Zu den benannten „äußeren“ Faktoren, welche uns auf die 
topographischen Verhältnisse hinweisen, muß man noch die Angaben 
der Untersuchungen Moskalenkos hinzufügen, welcher den Zusammen¬ 
hang zwischen dem Bau der Apertura thoracis inf. und der Topo¬ 
graphie der Bauchorgane feststellte. Das Diaphragma dient uns zur 
Vorbestimmung für die Topographie der Baucheingeweide. Die Be¬ 
sonderheiten des Zwerchfellbaues können durch die Feststellung der 
Größen des frontalen und des sagittalen Durchmessers der Apertura 
thoracis inf. ermittelt werden. Zu diesem Zweck muß die Distanz 
zwischen den niedrigsten Punkten der 10. Rippen und zwischen dem 
Proc. spinosus des 12. Brustwirbels und der Artikulation zwischen 
Proc. xiphoideus und Corpus sterni. Die erste Größe dient zur Be¬ 
stimmung des frontalen, die zweite des sagittalen Durchmessers der 
Apertura thoracis inf. Bei großem frontalen und kleinem sagittalen 
Durchmesser der Apertura thoracis inf. sind die Diaphragmaöffnungen 
in frontaler Richtung längsgezogen und liegen nahe einander an; bei 
kurzem frontalen und langem sagittalen Durchmesser sind die Dia¬ 
phragmaöffnungen in sagittaler Richtung längsgezogen. Dementspre¬ 
chend werden in dem ersten Falle die Organe, welche durch das Zwerch¬ 
fell verlaufen, wie z. B. Oesophagus, Aorta, V. cava inf. usw. dieselbe 
Form und Lage besitzen, die die Diaphragmaöffnungen aufweisen. Bei 
breiter Apertura thoracis inf. steht das Zwerchfell niedriger als bei 
schmaler Thoraxapertur. Es wird noch eine weitere Analyse von Mos- 
kalenko unternommen, um den Zusammenhang zwischen der Form der 
Apertura thoracis inf. und den topographischen Verhältnissen aller 
Bauchorgane festzustellen. 

Wir können somit ersehen, daß eine Reihe wichtiger Angaben uns 
zur Verfügung stehen, welche leicht berechnet werden können und 
uns mit großer Wahrscheinlichkeit den Bautypus der einzelnen Or¬ 
gane beim Individuum vorbestimmen. Nehmen wir z. B. folgenden 
Fall: Es muß die Form und die Lage des Magens, des Duodenums, des 
Coecums, des Colon transversum und des Colon sigmoideum bei einem 
40jährigen, stark abgemagerten Kranken, mit schmalem, langem und 
hängendem Bauch und schmaler Apertura thoracis inf. vor der Ope¬ 
ration festgestellt werden. Auf Grund der oben angeführten Unter¬ 
suchungen kann man mit großer Wahrscheinlichkeit auf die angestellten 
Fragen folgende Antwort geben: 1. der Magen liegt fast vertikal, 
Cardia — hoch, Pylorus — rechts von der Mittellinie des Körpers: 
2. das Duodenum ist faltenförmig, leicht verschiebbar und verläuft 
weit nach rechts von der Wirbelsäule; 3. das Coecum liegt niedrig, ist 
sackförmig, die Haustra sind schwach ausgedrückt; das Colon trans- 


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Grandtypen der Form und Lage der Bauchorgane des menschl. Körpers. 513 

versum ist V-förmig und niedrig gelagert; 4. der größte Teil des Colon 
sigmoideum liegt im Kleinbecken, sein Mesenterium ist lang. 

Eine mehr oder weniger genaue Feststellung der Form und der 
Lage der Organe beim Kranken vor der Operation kann als Kriterium 
für die Wahl der operativen Zugänge in jedem einzelnen Falle oder als 
diagnostisches Hilfsmittel dienen. So ist z. B. bei sehr schmaler Aper- 
tura thoracis inf., der eine hohe Lage der Nieren entspricht, der übliche 
Operationsschnitt für die Bloßlegung dieses Organs nicht immer ge¬ 
nügend : es muß noch das Lig. costo-transversaiium Herde durchtrennt 
werden, um sich ein freies Operationsfeld zu verschaffen. 

Die vorliegende Arbeit verfolgte durchaus nicht das Ziel, dem Leser 
ein genaues Bild der Einwirkung einzelner Faktoren auf die Bauch¬ 
organe zu geben und auf die dementsprechende Wahl der operativen 
Eingriffe hinzuweisen. Die Arbeit soll nur den Weg anzeigen, auf dem 
die Untersuchungen über den Einfluß einzelner Faktoren auf die Topo¬ 
graphie der Organe verliefen. Denn die genaueren Angaben kann ja 
der Leser in jenen Arbeiten finden, welche im Text angeführt sind. 

Ich möchte noch zum Schluß darauf hinweisen, daß die Vorbestim¬ 
mung des „vollkommenen“ oder des „unvollkommenen“ Typus der 
Form und der Lage der Organe vielleicht auch von gewisser Bedeutung 
für die Feststellung der wahrscheinlichen Lebensdauer des Individuums 
ist. Denn je vollkommener der Bau der einzelnen Organe ist, desto 
mehr nähert sich die Konstitution des Individuums dem idealen „Zu¬ 
kunftstypus“, desto mehr ist seine Standhaftigkeit und desto größer 
die wahrscheinliche Lebensdauer. 

Der Zusammenhang zwischen der Form und der Lage der Körper¬ 
organe und jenen Faktoren, auf welche oben hingewiesen wurde, stellt 
durchaus keine zufällige Erscheinung dar, die die einzelnen Autoren 
beobachtet haben. Die große Anzahl der untersuchten Objekte geben 
uns die Möglichkeit, auf die Regel der großen Zahlen und auf die 
Wahrscheinlichkeitstheorie hinzuweisen. Dieselbe zwingt auch den Kli¬ 
niker, auf die angeführten anatomischen Angaben acht zu geben, da 
sie für praktische Ziele verwertet werden können. Denn da, wo keine 
absolute Genauigkeit in der Lösung einer Frage möglich ist, da muß 
als Regel des Weisen die größere Wahrscheinlichkeit dienen. 


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Grundtypen der Form und Lago der Bauchorgane des menschl. Körpers. 515 


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(Aus dem Institut für operative Chirurgie und chirurg ; 8ohe Anatomie des Prof. 
Schewkunenko an der Militär-Medizinischen Akademie zu Petersburg.) 


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Über die Lage des Colon transversum. 

Von 

Dr. med. Kuprijanoff, 

Privatdozent. 

Mit 1 Textabbildung. 

(Eingegangen am 30. Aprtl 1923.) 

Alle Forscher stimmen darin überein, daß das Colon transversum 
nicht der Bezeichnung entspricht, und daß die von den Klassikern 
(Cruveillier, Sajypey usw.) beschriebene Lage desselben ungenau ist. 
Fromont, Maudaire, Mouchet, Cohan, Buy bezeichnen den tatsächlich 
horizontalen Verlauf des Colon transversum als Seltenheit. Die Lage 
des Colon transversum variiert derart, daß Cohan es nicht für möglich 
halt, über einen normalen oder anormalen Typus zu sprechen. Es ist 
verständlich, daß diese enorme Verschiedenartigkeit der Erklärung 
bedurfte und solche von verschiedenen Autoren ( Klaatsch , W. Koch 
und anderen) vom Standpunkt der Abneigungen oder Eigenartigkeiten 
in der Entwicklung des Darmtraktus gegeben wurden. Die Syste¬ 
matisierung und eine gewisse Klassifikation der Lage des Dickdarms 
war notwendig, und wenn sie in der Literatur (Fromont, Cohan, W. Koch, 
de Quervain, Braun, Black) gegeben ist, so kann sie nicht als genügend 
angesehen werden. 

Es muß bemerkt werden, daß einige Autoren gewisse Lagen des 
Dickdarms beobachteten, die dem einen oder anderen Geschlecht eigen 
sind. Mauclaire und Mouchet behaupten, daß die tiefe Lage des Colon 
transversum (unterhalb des Nabels) bei Frauen 2 mal öfter als bei 
Männern angetroffen wird, wobei letzteres fast immer eine V- oder 
U-Form aufweist. Desgleichen blieben die Altersverhältnisse nicht un¬ 
bemerkt. Cohan, der seine Untersuchungen an im höheren Alter ste¬ 
henden Leichen ausführte, kann infolgedessen seine Schlüsse nicht auf 
alle Altersstufen ausdehnen und bezeichnet die von ihm beobachteten 
Lagen als „Colon transverse des vieillards“. Da diese Beobachtungen 
zufälligen Charakters sind und nicht näher analysiert worden sind, so 
hat Cohan zu den Arbeiten von Fromont, Maudaire und Mouchet nichts 
Neues hinzugefügt. 


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Kuprijanoff: Über die Lage des Colon transversum. 


519 


Die von Schewlcunenko gemachten Beobachtimgen, daß die Topo¬ 
graphie der inneren Bauchorgane mit der äußeren Körperform über¬ 
einstimmt, tritt aus seinen eigenen Arbeiten sowie auch aus den Ar¬ 
beiten seiner Schüler (Walcker, Mdnikoff, Kuprijanoff, Lissitzin, Mos- 
kalenko, Ssoson-Jaroschewitsch und Pawlenko) klar zutage. Die vor¬ 
liegende Arbeit hat die Aufgabe, die Form und Lage des Colon trans¬ 
versum zu bestimmen und die Verhältnisse zum Alter und Geschlecht 
zu beleuchten. Die Untersuchungen sind an 8 Embryonen, 3 Neu¬ 
geborenen, Kindern bis zu 12 Jahren und an Erwachsenen verschiedenen 
Alters (100 Fälle) ausgeführt worden. 

Teil I. 

Die Entwicklung des Darms . Vollkommene und unvollkommene Typen. 

Die Verschiedenartigkeit und Lage der Form des Dickdarms ist 
enorm. Die von den Klassikern als normal bezeichnete Lage wird von 
den meisten Autoren anerkannt, während alle Ablenkungen als Ano¬ 
malien bezeichnet werden, wobei die eine oder andere Lage des Kolons 
entweder durch die Entwicklungsgeschichte, also angeboren oder als 
Folge verschiedener Ursachen, also erworben erklärt wird. Dement¬ 
sprechend erhalten wir 2 Gruppen, die ihrerseits in Untergruppen 
zerfallen. Bevor wir diese Frage berühren, ist es notwendig, wenn auch 
in Kürze, die Entwicklung des Darmtraktus zu beschreiben. 

In dem Stadium, in dem die Formation des Magens beginnt, d. h. 
wo dessen vordere Wand schon sichtlich eingedrückt und die hintere 
zur Wirbelsäule gerichtet ist und eine Krümmung zur letzteren zeigt, 
hat der Urdarm schon einige Veränderungen erfahren: er hat schon 
einige Krümmungen gebildet, von denen sich als erste die Flexura 
duodenojejunalis andeutet. Ihr folgt die Dotterschlinge, deren abwärts¬ 
steigender (Toldt) oder proximaler ( Broesike) Schenkel nach abwärts 
gerichtet ist, deren aufsteigender oder distaler Schenkel nach aufwärts 
zieht, an die Wirbelsäule herangeht und eine dritte Krümmung (die 
spätere Flexura lienalis) bildet, die in den Enddarmabschnitt übergeht. 
Die Spitze der eben beschriebenen Darmschlinge steht durch den Ductus 
vitello-intestinalis mit der Dotterblase in Verbindung. Der obere Schen¬ 
kel bildet sich später in den Dünndarm und der Endabschnitt in das 
untere Ueum und den Dickdarm aus. Im weiteren treten 2 Faktoren 
auf, die die Lagerung der Organe in der Bauchhöhle bedingen: das 
unregelmäßige Wachstum der eben erwähnten Abschnitte des Urdarms 
und das mit der Drehung des Darmkanals um den Dottergang zwischen 
dem Nabel und der Wirbelsäule im Zusammenhang stehende Moment 
(Axe ä la rotation de l’intestin: Lardennois). Welch eine Ursache die 
Drehung des Darmkanals bedingt, ist noch nicht genügend geklärt, 
doch ist es möglich, daß die gleichen Bedingungen, die die spiralförmige 


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Kuprijanoff: 


Drehung der Nabelschnur (immer von links nach rechts vom Foetus) her- 
vorrufen, auch auf die Drehung des Darmkanals ihren Einfluß ausüben. 

Resanoff glaubt das unregelmäßige Wachstum durch die verschiedene 
Blutversorgung der einzelnen Abschnitte erklären zu können; so weist 
er darauf hin, daß die große Kurvatur des Magens von starken Ästen 
der Magen- und Leberarterien versorgt wird, während die Blutzufuhr 
zur kleinen Kurvatur durch akzessorische Äste der linken Magen- und 
Leberarterien erfolgt; die Hauptmasse des Blutes muß hingegen die 
Leber versorgen, die in dieser Periode stark zunimmt. Der proximale 
und distale Schenkel des Urdarms wird gleichfalls äußerst unregelmäßig 
mit Blut versorgt: zum proximalen Abschnitt ziehen 15—16 Äste der 
Art. mes. sup., während der distale Abschnitt nur von 3 Ästen versorgt 
wird. Der proximale Abschnitt findet sich folglich im besseren Er¬ 
nährungszustand und entwickelt sich stärker, so daß zur ersten Hälfte 
des intrauterinen Lebens die Bauchhöhle schon größtenteils vom Dünn¬ 
darm ausgefüllt ist. E. Müller weist darauf hin, daß die Ausbreitung 
des Dünndarms nur in der Richtung von der unteren Oberfläche des 
rechten Leberlappens nach unten, darauf nach links und oben vor sich 
gehen kann; hierbei wird der sich aus dem distalen Schenkel bildende 
Dickdarmabschnitt nach oben zur mittleren Ebene gedrängt; die An¬ 
lage des Coecums liegt am Fundus ventriculi und an der unteren Ober¬ 
fläche des rechten Leberlappens; die Flexura lienalis ist zu dieser Zeit 
schon deutlich ausgeprägt. Im folgenden Stadium, wo der Descensus 
coeci beginnt, kann die Drehung der Schlinge als beendigt angesehen 
werden. Im 3. Stadium geht die Formation des Dickdarms vor sich, 
die mit dem Descensus coeci in Zusammenhang steht. (Der Dickdarm 
nimmt die beim Erwachsenen zu beobachtende Lage ein.) 

Somit ist bei genügend ausgeprägtem Colon transversum das Colon 
asc. noch nicht vorhanden, da das Coecum unter der Leber verweilt. 
Die Formation des Colon asc. und der Flexura hepatica beginnt mit 
dem Descensus coeci in die rechte Unterbauchgegend. Hierbei wird 
der Prozeß der Drehung der Nabelschlinge beendigt. Wenn das Coecum 
während des Descensus fixiert wird, wird das Colon asc. kleiner oder 
fehlt ganz, während die ihm zugehörige Energie dem Colon transversum 
übergeben wird, das in solchen Fällen stark ausgebildet zu sein pflegt, 
indem es 2 und mehr Schlingen bildet ( Sawin ). 

Wenn man die Unregelmäßigkeiten im Wachstum des Darmtraktus 
durch die bessere Blutversorgung resp. Ernährung erklären kann, so 
läßt sich der Weg, den der Darm im Drehungsprozeß einschlägt, schwer 
durch diesen Umstand allein erklären. E. Müller weist darauf hin, daß 
der Darm nur einen Weg der Verlagerung besitzt. Dieser Weg liegt 
zwischen der Bauchwand und den Bauchorganen, deswegen muß das 
Vorhandensein von mechanischen Einflüssen anerkannt werden. 


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Über die Lage des Colon transversum. 


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Der Darmtraktus entwickelt sich in seinem Abschnitte unregelmäßig 
nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Tieren; die Drehung findet 
jedoch nur bei einigen von letzteren wie auch beim Menschen statt. 
Beim Menschen kann die Drehung ungeachtet des sonst normal aus¬ 
geprägten Darms ausbleiben. Klaatsch hat bedingungslos festgestellt, 
daß verschiedene Zwischenstadien der Schlingendrehung beim Menschen 
und die daraus folgenden Lagerungen des Darms bei verschiedenen 
Tieren als konstante beobachtet wurden. Der Einfluß der einfachen 
mechanischen Ursachen (Lage des Tierkörpers, asymmetrische Lage 
der Bauchorgane, der Zustand der Bauchdecken) wird von W. Koch 
nicht als genügend angesehen, um die endgültige Form und Lage des 
Darmes zu erklären. Es muß eine spezielle Energie, die in den Elementen 
des Darms liegt, anerkannt werden, die den Darm nach der einen oder 
anderen Richtung hin formiert. Er meint, daß die mechanischen Ein¬ 
flüsse in toto dieser Energie eine feste Richtung geben, in der sie sich 
kundtut. Außerdem weist die Beständigkeit und Gesetzmäßigkeit der 
Abweichungen von der Norm auf das Vorhandensein einer relativ 
konstanten Kraft hin, zu welcher die mechanischen Ursachen gerechnet 
werden müssen. 

Daher muß anerkannt werden, daß die Verschiedenartigkeiten des 
Wachstums eine gewisse Bedeutung in der Entwicklung des Darmes 
haben müssen. Die Ursachen dieser Wachstumsverschiedenheit der 
einzelnen Abschnitte liegt in der unregelmäßigen Blutverteilung. Der 
Drehungsprozeß wird durch die Notwendigkeit der Verbreiterung der 
aus dem proximalen Schenkel sich bildenden Darmschlingen in der 
von E. Müller angegebenen Richtung hervorgerufen. Die Masse der 
sich bildenden Dünndarmschlingen drängt den Dickdarm nach auf¬ 
wärts, während aus der Summe der mechanischen Einflüsse eine kon¬ 
stante Wachstumsrichtung resultiert (W. Koch). Die endgültige Lage 
der Bauchorgane wird nämlich durch die Verwachsungen der serösen 
Flächen der Nachbarorgane und des Mesenteriums bestimmt. Dieser 
Umstand ist in den Fällen von besonderer Bedeutung, wo es sich um 
Lageanomalien handelt, wobei die Wachstumsenergie sich als un¬ 
genügend erweist oder aber wegen mangelhafter Blutversorgung sich 
zu wenig plastisches Material vorfindet ( Resanoff ); daher bleibt der 
proximale Abschnitt des Dickdarms mit allen Anzeichen der mangel¬ 
haften Entwicklung im rechten Hypochondrium. Die darauffolgende 
Verwachsung mit den Nachbarorganen oder mit dem Peritoneum fi¬ 
xiert den Darmabschnitt in der Lage, welche als unvollendet anormal 
beim Erwachsenen angesehen werden muß. Wenn man darüber einig 
ist, daß in den Elementen des Darms die für das gegebene Individuum 
nötige Energie und Quantität plastischen Materials vorhanden ist, so 
muß anerkannt werden, daß bei den gegebenen Verhältnissen die Ent- 


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Kuprijanoff: 


Wicklung des Darms vollendet ist und letzteres nicht als Anomalie 
bezeichnet werden kann. Hier tritt die Bedeutung der Vollkommenheit 
und der Unvollkommenheit hervor (SchewkunenJco). Welche Verhält¬ 
nisse auch das gegebene Individuum darbietet, müssen sie vom Stand¬ 
punkt der Anlage der Wachstumsenergie und des plastischen Materials 
als vollendet angesehen werden. Im Vergleich mit einem anderen In¬ 
dividuum, bei dem sich die Entwicklung unter gesteigerten Verhält¬ 
nissen vollzog, muß ersterer Fall als weniger vollkommen als der zweite 
angesehen werden. Da aber auch die Wachstumsenergie und die Qan- 
tität des plastischen Materials im Zusammenhang mit der Blutversor¬ 
gung steht, so tritt hier deutlich der Einfluß der Gefäßarchitektur und 
die anatomo-mechanischen Verhältnisse der Blutversorgung hervor 
(vollkommen — magistralartig, unvollkommen — en bouquet — Schew- 
kunenko). Bei einer großen Anzahl von Beobachtungen kann man eine 
Reihe von ähnlichen Objekten mit gleichen Merkmalen finden, sie in 
Gruppen vereinigen, die sich durch gewisse Symptome voneinander 
unterscheiden. Auf Grund der letzteren und aus der äußeren Körper¬ 
form kann man die Verhältnisse der inneren Organe feststellen. 

Teiin. 

Die Teilung des Dickdarms in Abschnitte. Ihre Grenzen, Lagearten des 
Dickdarms . Die Form des Bauches. Index. Untersushungsmethode. 

Der Dickdarm wird in folgende Abschnitte eingeteilt: Colon as- 
cendens, Flexura hepatica s. dextra, Colon transversum, Flexura lienalis 
8. sinistra, Colon descendens und Flexura sigmoideum s. S-Romanum. 
Dieses ist allbekannt. Was nun die Grenzen anlangt, besonders die 
Grenzen der Flexuren, die dieser Einteilung zugrunde liegen, so können sie 
noch nicht als endgültig anerkannt bezeichnet werden. In den meisten 
Lehrbüchern der deskriptiven und der topographischen Anatomie wird 
die Flexura hepatica und lienalis als solche und die Grenze zwischen 
der Pars ascendens und transversa nicht bestimmt, sondern als Über¬ 
gang des einen in den anderen Abschnitt bezeichnet: der eine liegt an 
der Berührungsstelle mit der Leber, der zweite an der mit der Milz. 
Cunningham führt in der Vorstellung der Flexur den Begriff des Seg¬ 
ments ein, der eine gewisse Länge aufweist, dessen Teile die Flexura 
hepatica und lienalis darstellen und als Endabschnitte des Colon trans¬ 
versum betrachtet werden. W. Koch, der sich auf den Angaben der 
Embryologie und der vergleichenden Anatomie basiert, rechnet zur 
Beurteilung der Flexura ilei dextra s. hepatica ihr Verhältnis zum 
Lig. cavo-duodenale für durchaus als notwendig und bestimmt diese 
Krümmung nach dem letzteren, als Symptom, ohne auf die anatomische 
Lage, z. B. beim Foetus in der Lage des Colon obliq. (Prschewalsky), 


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Über die Lage des Colon transversum. 


52B 


zu achten. Ch. Addisson bestimmt den Übergang des Colon ascendens 
in die Flexura hepatica entsprechend dem rechten Anfangsteil des 
Colon transversum. Obiges in Betracht ziehend, versteht PrscheuxUsky 
unter der Bezeichnung Flexura ilei ein Segment von entsprechender 
Länge, nicht aber eine Linie, Apex oder Winkel des Übergangs eines 
Teils in den anderen — hierbei wird die Analogie der Flexura sigmoidea 
beibehalten; das Colon sigmoideum besitzt einige Apices und Krüm¬ 
mungen; stellt aber keine Anfangs- und Endigungslinie in den Punkten 
von Schieferdecker, Samson oder Treves-Jonnesko dar. 

Man muß die Folgerichtigkeit in den von Prschewalsky angeführten 
Überlegungen anerkennen. Die Analogie mit der Flexura sigmoidea 
gewinnt in den Fällen eine besondere Bedeutung, wo im Bereich der 
Krümmungen (Flexura hepatica und lienalis) Duplikaturen vorhanden 
sind. Daher wäre es wahrheitsgetreuer, unter der Flexur nicht eine 
Linie oder dergleichen mehr des Dickdarms, sondern ein Segment von 
entsprechender Länge zu verstehen. Wenn man mit Cunningham 
übereinstimmt und daran festhält, daß die Flexur den Anfangs- und 
Endabschnitt des Colon transversum darstellt, so bleibt dem letzteren 
als Teil für sich nichts übrig. Dann könnte man mit vollem Recht 
den ganzen Dickdarm in die Flexura dextra — vom Coecum bis zum 
Anfang der Flexura sinistra auf der Mittellinie des Körpers und in 
die Flexura sinistra — vom letzteren Abschnitt bis zur Flexura sig¬ 
moidea einteilen. Dieses jedoch würde dann dem widersprechen, worauf 
sich Prschewalsky in seinen Erklärungen basiert: der Begriff Colon 
ascendens und transversum ist nicht nur ein anatomischer, sondern 
auch ein physiologischer, und die Grenzen zwischen ihnen können nicht 
willkürlich gewählt werden, da das Colon descendens wie auch die 
Flexura sigmoidea und das Rectum als Receptaculum alvi anzusehen 
ist, während der übrige Dickdarm vom Coecum bis zur Flexura lienalis 
eine Verdauungsfunktion ausübt, wobei 10% fester Massen und gegen 
50% Flüssigkeit resorbiert wird. Daher halte ich es für richtiger, die 
Flexur als Krümmungsstelle des Colon acsendens und transversum 
rechts und Colon transversum und descendens links anzusehen; die 
Grenzen zwischen ihnen werden durch die Lig. phrenico-colicum beider¬ 
seits bestimmt. Im Falle des Fehlens eines solchen rechts ist das Lig. 
felleo-cysto-pyloro-colicum als solches anzusehen (Resanoff). In den 
Fällen, wo im Bereich der Krümmungen Duplikaturen vorhanden sind, 
muß die Flexur als Segment im Bereich von der ersten bis zur letzten 
Krümmung angesehen werden. Somit ist das Colon transversum ein 
Abschnitt des Dickdarms, der zwischen der Flexura hepatica und lie¬ 
nalis liegt; dessen Lage in der Bauchhöhle wird durch die Lage der 
eben genannten Flexuren bestimmt. 

Das Colon transversum ist tatsächlich nicht der quere Abschnitt 


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524 


Kuprijanoff: 


des Dickdarms; seine quere Lage im Epigastrium, die als normale 
Lage bezeichnet wird, wird relativ selten beobachtet. 

Mir scheint eine solche Teilung des Colon transversum in diesen 
beiden Abschnitte überflüssig zu sein, da seine Lage nach meinen 
Beobachtungen in 4 Grundformen zusammengefaßt werden kann: Mit 
der schrägen Lage des Colon transversum rechnend, unterscheide ich 
folgende Typen: 1. die hufeisenförmige (nach oben zum Diaphragma 
gekrümmt), 2. die transversale, 3. die U- oder V-förmige (nach dem 
Becken zu gekrümmt) und 4. die schräge Lage. 

Die 1. Gruppe wird dadurch charakterisiert, daß Krümmungen 
(Leber- und Milzkrümmungen als solche) nicht vorhanden sind. Das 
Colon ascendens geht hufeisenförmig in das Colon transversum und 
letzteres in das Colon descendens über. L. Saias weist in seiner Disser¬ 
tation darauf hin, daß solch eine Hochlage des Colon transversum bei 
Brustkindern oft zu beobachten war. Auf Grund meiner Untersuchungen 
kann ich sagen, daß die hufeisenförmige Lage besonders häufig im 
Kindesalter festgestellt werden konnte. 



Abb. i. 


Die 2. Gruppe kann durch die fast gleichen Winkel, die die Flexura 
hepatica und lienalis bilden, charakterisiert werden. Der rechte Winkel 
ist dabei fast immer etwas größer. 

Im 3. Fall werden 3 Winkel gebildet: 2 Winkel (von 45° und we¬ 
niger) bilden die Flexura hepatica und lienalis und den 3. das Colon 
transversum selbst (Flex. transversa), der nach abwärts als Schlinge zu 
liegen kommt. Dieser Winkel ist mit seiner Basis nach unten (zur 
Symphyse) gerichtet und besitzt 2 Schenkel (einen absteigenden von 
der Flexura dextra bis zur Basis der Flexura transversa und einen 
aufsteigenden von der letzteren bis zur Flexura lienalis). Der Winkel 
kann von verschiedener Größe sein: spitzwinklig (die Schenkel liegen 
fast aneinander) oder größer, wobei die Schlinge frei herabhängt [fi¬ 
xiert an der Flexura hepatica und lienalis (girlandenartig)] und mit¬ 
unter bis an die Symphyse herabreicht. 

In der 4. Gruppe besitzt das Colon transversum 2 Winkel: der 
rechte ist immer größer und der linke immer kleiner als 90°. Die 
schräge Lage des Colon transversum in Betracht ziehend, rechne ich 
zu dieser Gruppe nur die Fälle, wo die rechte Krümmung tiefer liegt 


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Über die Lage des Colon transversum. 520 

und das Colon transversum eine nach links aufsteigende Tendenz 
aufweist. 

Diese Lagen hängen streng mit der Konfiguration des Bauches und 
seiner Form zusammen. Überhaupt kann man sich folgende Bauch¬ 
formen (Abb. 1) vorstellen: 1. ovalförmig eingezogen, 2. im langen 
Durchmesser der Ovalform verkürzt, 3. bimenförmig mit der Spitze 
nach oben und 4. birnenförmig mit der Spitze nach unten. Der Index 
jugulo-pubicus ( Stiller , Das Verhältnis der Entfernungen von der In- 
cisura jugularis bis zur Symphysis ossis pubis zum Taillenumfang mit 
100 multipliziert) kann z. B. beim Hängebauch keine richtige Vor¬ 
stellung geben. Um solchen Ungenauigkeiten aus dem Wege zu gehen, 
berechne ich den Index aus dem Verhältnis der Entfernungen zwischen 
den 10 Rippen, dem Ang. cost. (Basis des Proc. ensiformis) und der 
Symphyse mit 100 multipliziert. Dieser Index costalis (abgekürzt IC) 
drückt die Abhängigkeit der Form der oberen Bauchhälfte zur allge- 
meinen Form der Apertura thoracis inferior aus. 

Zur Bestimmung der untereren Bauchhälfte werden die Verhältnisse 
zwischen den Spinae ilei ant. sup. und den obengenannten Punkten mit 
100 multipliziert bestimmt. Dieser Index spinarum (abgekürzt (ISP) 
stellt die Abhängigkeit der unteren Bauchhälfte zur Beckenform dar. 
Durch diese beiden Indices kann man sich eine Vorstellung von der 
Form des Bauches machen. Auf Grund meines gesamten Materials 
bestimme ich für IC = 58,0 und für ISP = 73,0. Die Bauchform wird 
demnach 58,0—73,0 lauten. 

Alle denkbaren oben angeführten Bauchformen lassen sich faktisch 
bestimmen, wobei ihre Abhängigkeit vom Alter und Geschlecht hervor¬ 
tritt. Die 1. Gruppe wird durch einen kleinen IC und ISP (im Mittel 
53—69) charakterisiert. Die 2. Gruppe weist einen größeren IC und 
ISP (im Mittel 61—75) auf. Im 1. Fall ist die Apertura thoracis inf. 
und das Becken gleichmäßig schmal; im 2. gleichmäßig breit. Im 
3. Fall ist IC kleiner und ISP größer (54—74), d. h. die Apertura tho¬ 
racis ist im Verhältnis zum Becken verengt (schmale platte Brust). 
Im 4. Fall ist IC gleich oder fast gleich dem Mittelwert und ISP ver¬ 
kleinert (im Mittel 58—69), d. h. bei genügend entwickeltem Brust¬ 
korb besteht ein enges Becken. 

Die Durchsicht des ganzen Materials zeigt, daß der Einfluß des 
Geschlechtes sich in allen Gruppen kundtut; im allgemeinen ist dem 
männlichen Geschlecht eine breitere Brustkorbform und ein engeres 
Becken eigen als dem weiblichen, doch die Verteilung nach den ein¬ 
zelnen Gruppen geht folgendermaßen vor sich: Die 1. Gruppe ist haupt¬ 
sächlich Embryonen und Neugeborenen eigen, die 2. Gruppe ist dem 
männlichen Geschlecht (M. = 75,8%, W. = 24,2%), die 3. Gruppe dem 
weiblichen (W. = 78,9%, M. = 21,1%) und die 4. Gruppe dem männ- 


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526 


Kuprijanoff: 


liehen (M. = 70,0%, W. = 30,0%) eigen. Dementsprechend ist auch 
die Lage des Colon transversum in der Bauchhöhle. Dessen 1. Lage 
entspricht der 1. Bauchform (schein. Abb. 1—I), die 2. Lage entspricht 
der 2. Bauchform (schein. Abb. 1—II), die 3. Lage (U- oder V-förmige) 
der 3. Bauchform (Abb. 1—III), die 4. Lage der 4. Bauchform (Abb. 1 
bis IV). 

Die Untersuchungen der Lage des Colon transversum wurden immer 
unter den gleichen Bedingungen ausgeführt: der Leiche wurde die zur 
Laparotomie übliche horizontale Lage gegeben und die Bauchhöhle 
durch einen queren und medialen Schnitt eröffnet. Die Veränderungen 
des inneren Bauchdruckes spielen, wenn solche existieren, somit von 
diesem Standpunkt keine Rolle. Alle Leichen befanden sich in gleichen 
Verhältnissen, und die Organverlagerung entspricht der bei der Lapa¬ 
rotomie. 

Bei Durchsicht von Röntgenogrammen von Lebenden ( Schwarz . 
Weber u. a.) komme ich zur Überzeugung, daß die Form und Lage des 
Colon transversum beim Lebenden und auf der Leiche identisch sind. 
Nach Eröffnung der Bauchhöhle wurde die Lage des Colon transversum 
auf Glas gezeichnet. Es wurde die Gefriermethode angewandt und nach 
Entfernung der Bauchwand durch die Skulpturmethode nach Pirogoff 
die Lage des Colon transversum eingezeichnet. 

Um festzustellen, iilwieweit der Füllungszustand auf die Lage und 
Form des Colon transversum einwirkt, wurde das Colon mit Luft auf¬ 
geblasen, die Luft entfernt, mit Wasser gefüllt und Gipseingüsse ge¬ 
macht. Hierbei stellte es sich heraus, daß die Lage des Colon trans¬ 
versum (bei horizontaler Körperlage) so gut wie gar keine Verände¬ 
rungen erlitt. 

Somit wird die Lage des Colon transversum durch die Bauchform 
bestimmt oder aber hängt von ihr ab. Der Index, der eine Vorstellung 
von der einen oder anderen Bauchform gibt, weist auch gleichzeitig 
auf eine bestimmte, dieser Bauchform eigene Lage des Colon trans¬ 
versum hin. 

Teil III. 

Flexura coli hepatica, S. dextra. Der Hochstand, der Winkel, der Bänder - 

apparat « Ablagerungen. 

Die Flexura hepatica ist wenig erforscht. Wahrscheinlich deshalb, 
weil sie nicht beständig ausgeprägt ist, oder aber, daß ihre praktische 
Bedeutung gering ist. Wandel weist auf Grund eines reichen Materials 
darauf hin, daß sie in 50% schwach ausgeprägt ist, oder aber sie bildet 
nach den Beobachtungen von Saias eine Figur, die dem griechischen 
Omega entspricht. Sie liegt unter dem rechten Rippenrand unter der 
unteren Oberfläche des rechten Leberlappens auf der Höhe der Gallen¬ 
blase und hinterläßt auf der Leber einen Abdruck. Solch eine Lage 


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Über die Lage des Colon transversum. 


527 


wird nach Mauclaire und Mouchet in 95% beobachtet. Deren Höhe 
wird nach diesen Autoren durch den Rippenbogen, den Knorpel der 
10. Rippe nach vom zu oder durch das vordere Ende der 10. Rippe 
bestimmt. 

Nach meinen Beobachtungen liegt die Flexura hepatica fast in der 
Hälfte aller Fälle auf der Höhe der 10. Rippe (44,6%), in 23,4% auf 
der Höhe der 11. Rippe, in 14,8% auf der 8. Rippe, in 6,8% auf der 
9. Rippe, in 4,2% auf der 12. Rippe oder über dem Darmbeinkamm 
und in 2,1% auf der 7. Rippe. 

Der Übergang des Colon ascendens in das Colon transversum ist 
verschiedenartig ausgeprägt; dieses hängt entschieden von der Höhe 
der Flexura lienalis und der Lage des Colon transversum in toto ab. 
Im allgemeinen ist dieser Winkel gewöhnlich größer als der linke und 
meistenteils größer als ein rechter. Cohan, Mauclaire und Mouchet, 
Saias behaupten, daß der rechte Winkel des Kolons oft ein rechter oder 
spitzer und selten ein stumpfer nach unten und vorn offener ist. Auf 
Grund meines Materials kann ich dem nicht beistimmen, da ich öfter 
einen stumpfen und seltener einen spitzen Winkel beobachten konnte. 
Jedenfalls ist er immer größer als der linke Winkel, der immer ein 
spitzer ist. Dieses scheint mir ganz verständlich, wie es im weiteren 
zu sehen sein wird. Die Flexura hepatica steht immer niedriger als 
die Flexura lienalis oder, was dasselbe ist, und worüber schon oben 
geschrieben ist, das Colon transversum hat einen schrägen nach links 
oben ziehenden Verlauf. Da nun das Colon ascendens und descendens 
fast parallel und streng vertikal zueinander liegen (ohne die möglichen 
Krümmungen in Betracht zu ziehen), so ist es offensichtlich, daß der 
rechte Winkel immer größer als der linke sein muß. Im gleichen Ver¬ 
hältnis befindet sich auch die Fixation der einen sowie der anderen 
Flexur. Die rechte Flexur weist einen weniger beständigen und klar 
ausgeprägten Fixationsapparat wie die linke auf. 

Die verschiedenen Autoren beschrieben diesen Fixationsapparat 
(Jonnesco, Huschke, Ancel et Sencert u. a.). Resanoff beschrieb das Lag. 
phrenico-colicum dextrum, welches von der unteren Oberfläche des 
rechten Leberlappens zum Colon transversum zieht, wobei es sich auf 
die vordere Oberfläche der rechten Niere lagert. Wenn es mit letzterem 
verwächst, so ist die Verwachsung äußerst locker; meistenteils bestehen 
nur Verwachsungen auf einzelnen Bezirken. Mitunter bleiben vom Li¬ 
gament nur einzelne Faserzüge übrig, die von der Leber zum Colon 
transversum ziehen und als hohe Falten sich kundtun. Unter ihnen 
treten die zur Flexura hepatica coli ziehenden Falten hervor. Am 
rechten Leberrand biegen letztere unter denselben, gehen in das Peri¬ 
toneum über und bilden das Lig. phrenico-colicum dextrum. Diese 
Gebilde lassen sich fast auf allen Leichen verfolgen. Im Falle, daß 


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Kuprijanoff: 


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letzteres unter den Leberrand geht und in das Peritoneum ausläuft, 
kann dieses Gebilde nicht als Lig. phrenico-colicum dextrum nach der 
Analogie mit dem Lig. phrenico-colicum sinistrum bezeichnet werden. 
In diesem Fall beginnt es von der Leber, bleibt als Leberligament be¬ 
stehen und bildet einen Teil des Leberbandapparates [Lig. hepatocolicum 
(Huschke), s. Lig. hepato-duodeno-epiploicum (Ancd und Sencert)]. 

Ich konnte jedoch in 38,3% ein Ligament beobachten, welches als 
Lig. phrenico-colicum dextrum bezeichnet werden kann, und welches 
der Lage, Bestimmung und Entwicklung nach dem linken Lig. phre¬ 
nico-colicum analog ist. 

Dieses Ligament stellt eine Bauchfellfalte dar, welche verschieden 
ausgeprägt ist; es zieht von der diaphragmalen Rippenoberfläche unter 
den anderen Rand des rechten Leberlappens in die Gegend der Flexura 
hepatica coli. Hier vereinigt es sich, wie dieses am Embryo und am 
Neugeborenen leicht festzustellen ist, auf der Oberfläche des Kolons 
mit dem rechten Rand des Omentum majus. Der rechte Rand senkt 
sich auf der äußeren und vorderen Oberfläche des Colon ascendens 
nach abwärts und verliert sich hier. Das Ligament hat eine dreieckige 
Form (mit der Basis zum Kolon) und liegt zwischen der vertikalen 
und horizontalen Ebene. Selten teilt es sich in 2 Züge: der eine geht 
links in den rechten Rand des Omentum majus über, und der andere 
verliert sich auf der vorderen Oberfläche des Colon ascendens. Im 
ganzen bildet es einen Behälter, in dem der rechte Leberrand hegt. 

Bei der Anwesenheit dieses Ligaments befindet sich die Flexura 
hepatica unter dem unteren Leberrand, und beim Versuch, die Flexura 
hepatica nach unten und medial zu verlagern, stößt man auf ihren 
Widerstand. Wenn man jedoch diese beiden Faserzüge durchschneidet, 
so wird die Flexura hepatica bedeutend mobilisiert. 

Teil IV. 

Flexura lienalis s. sinistra. Hochstand, Winkel, Bandapparat. 

Die Flexura lienalis ist oft und vielseitig untersucht worden. Ihre 
Form, ihr Hochstand, der Winkel und der Bandapparat interessiert 
bis in die neueste Zeit die Anatomen und Chirurgen. Die Chirurgen 
legten, durch die Notwendigkeit veranlaßt, den Grundstein zu anato¬ 
mischen Untersuchungen. Adenot unterstrich im Jahre 1895 klar die 
Bedeutung des Zustandes dieser Flexur für die Klinik. Wenn man 
beim postoperativen Ileus weder Volvulus noch entzündliche Prozesse 
als Ursache feststellen kann, muß man sein Augenmerk auf den Zustand 
des Dickdarms und des Kolons im Bereich des Unken Winkels lenken. 
Adenot sowie Bochdalek und Glenard rechnen, daß die Flexura lienalis 
sich auf der Höhe der letzten Rippen (öfter auf der 10.) befindet und 
in diesem Sinn etwas Beständiges darstellt. Jonnesco behauptet, daß 


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Ober die Lage des Colon transrersum. 


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die Höhe des Winkels dem vorderen Abschnitt der 7. oder 8. Rippe 
entspricht. Buy bestimmt die Höhe auf der Axillarlinie zwischen der 
9. und 10. Rippe. Nach meinen Beobachtungen liegt die Flexura 
lienalis der Frequenz nach auf folgender Höhe: auf der 6. und 7. Rippe 
in 20,7%, der 10. Rippe in 18,8%, der 8. und 9. Rippe in 17%, auf der 
11. Rippe in 3,8% und auf der 5. Rippe in 1,9%. Somit muß man 
konstatieren, daß die Flexura lienalis öfter auf der 8. Rippe und seltener 
auf der 9. und 10. Rippe liegt (auf der Lin. axill.); d. h. sie liegt immer 
höher als die Flexura hepatica. Der Übergang des Colon transversum 
in das Colon descendens geht unter einem größeren oder kleineren 
Winkel vor sich, doch ist letzterer immer spitzer als der rechte (Flex. 
hepatica). Er ist nie gleich einem rechten, sondern immer ein spitzer. 
Dieses hängt von 2 Ursachen ab: 1. von der allgemeinen Lage des 
Colon transversum und 2. vom Zustand des Fixationsapparates der 
Flexur. Im Falle des Tiefstandes (U- oder V-förmige Abwärtsverlage¬ 
rung des Colon transversum) wird die kräftig fixierte Flexura lienalis 
einen spitzeren Winkel bilden. Auf diesen Umstand ist schon früher 
hingewiesen worden (Buy, Maudaire und Mouchet, Quenu, Berard, 
Patd), und er wird durch meine Untersuchungen bestätigt. Der Band¬ 
apparat der Flexura lienalis ist äußerst konstant und zeichnet sich 
durch relative Einfachheit aus. Er besteht aus einem Ligament, welches 
schon im Jahre 1765 von Haller beschrieben worden ist. Loder sowie 
Haller bezeichnen ihn als Lig. spleno-omentale. Später (1835) benannte 
Phoebius es als Lig. pleuro-colicum. Doch erst Bochdaleck (1867) gab 
ihm die gebührende Definition und Bezeichnung Lig. phrenico-colicum; 
letzteres ist auch durch Toldt bestätigt worden. Die Entwicklungs¬ 
geschichte, die Frequenz, der Ursprung und die Lage zeitigten eine 
Reihe von Untersuchungen. Bochdaleck und Toldt glaubten, daß es 
sich aus dem Omentum majus entwickelt; Treves, Fromont lassen es 
aus dem Mesocolon transversum entstehen, Jonnesco, Fredet und Buy 
sehen es als linkes Divertikel des Netzes an. Jonnesco , Maudaire , 
Moudiet, Berard, Patel beobachteten, allerdings nicht konstant, dessen 
Übergang in das große Netz. Dieses gibt ihnen Grund, anzunehmen, 
daß es sich aus dem großen Netz bildet. Dieses wird indirekt durch den 
von Quenu berichteten Fall bekräftigt, in dem der distale Abschnitt 
des Kolons vom großen Netz von vom her überzogen war. Bei Em¬ 
bryonen ist dieser Abschnitt nach den Untersuchungen von Jonnesco 
(1892) beweglich, von allen Seiten von einem Peritonealblattt umgeben 
und hängt vom terminalen primären Mesenterium ab. Während des 
Embryonallebens (etwa im 5. Monat) verschwindet dieses Mesenterium 
in der Richtung vom Milzwinkel zum unteren Abschnitt des Colon 
descendens. In dieser Zeit kommt die Fixation der Flexur sowie die 
Entwicklung des Lig. phrenico-colicum zustande. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 


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Kuprijanoff: 


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Nach Jonnesco stellt dieses Ligament beim Embryo ein kleines 
Dreieck dar, welches mit seiner Höhe an die laterale Bauchwand und 
an das Diaphragma fixiert ist. Die Basis dieses Dreiecks verschmilzt 
nach abwärts mit dem Mesocolon descendens nach aufwärts und vom 
mit dem großen Netz; dieses Blatt befindet sich zwischen der frontalen 
und sagittalen Ebene und umfaßt den unteren Milzpol. In einzelnen 
Fällen (beim 8 monatigen Embryo) ist das Verhältnis der Milz zu diesem 
Ligament derart, daß es durch die Milz quasi unterbrochen wird, und 
dann bestehen 2 Abschnitte: das Lig. parieto-splenicum und das Lig. 
splenico-colicum ( Berard und Patd). Diese Fälle geben scheinbar einigen 
Autoren ( Tillaux, Mauclaire u. a.) den Grund, auch beim Erwachsenen 
2 Ligamente (phrenico-colicum und splenico-colicum) zu unterscheiden. 
Jonnesco, Buy, Adenot halten das Fehlen des Ligaments für eine große 
Seltenheit. Bei meinen Untersuchungen fehlte es nur einmal (Nr. 60). 
Berard und Patel glauben, daß ihre Konfiguration vom Alter und Ge¬ 
schlecht abhängig ist. Adenot untersuchte den Ursprung, die Fixation 
und die Form dieses Ligaments. Nach ihm besteht es aus 3 Bündeln: 
der mittlere fixiert sich auf der Höhe des Kolonwinkels, der obere fast 
horizontale geht auf das Colon transversum über und endigt auf letz¬ 
terem als langer Streifen, der untere zieht auf das Colon descendens. 
Das mittlere Bündel ist am konstantesten ausgebildet, und oft besteht 
es allein (besonders bei Frauen), und dann sind die anderen atrophisch. 
Ducaüe (1899—1900) weist in seiner Dissertation darauf hin, daß in 
den Fällen, wo das Lig. phrenico-colicum gut ausgebildet ist, es vertikal 
steht und eine dreieckige Form mit gebogenen Rändern aufweist (Horn 
des Halbmondes). 

Buy und Charpy behaupten, daß die Beschreibung von Adenot zu 
schematisch ist, und daß das Ligament in dieser Form oft fehlt. Speziell 
fanden sie nie das untere Bündel, das nach Adenot in das Colon des¬ 
cendens auslaufen soll. 

Berard und Patel unterwarfen diesen Bänderapparat einem speziellen 
Studium. Die von Fredet angegebenen serösen Falten, die das Colon 
descendens mit der lateralen Bauchwand verbinden, in der Ein- oder 
Mehrzahl am Anfang des Colon descendens unter dem Lig. phrenico- 
colicum liegen und von Hensing als Lig. vera bezeichnet worden sind, 
konnten die Autoren in allen Fällen nachweisen, doch behaupten sie, 
daß sie mit dem Lig. phrenico-colicum in keinem Zusammenhang stehen 
und die Reste des terminalen Mesenteriums darstellen. Das Ligament 
selbst, nach Berard und Patel, besteht aus 2 Bündeln mit gemeinsamer 
Ursprungsstelle und verschiedener Fixation: das eine untere ist ge¬ 
wöhnlich konstant und fixiert sich derart am Kolonwinkel, das zweite 
unbeständigere obere fixiert sich am Endabschnitt des Colon trans¬ 
versum. Ein aus 3 Bündeln bestehendes Ligament konnte ich nie 


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Über die Lage des Colon transversum. 


531 


nachweisen. Gewöhnlich stellte es in meinen Fällen ein ziemlich breites 
Bündel dar, das sich breit am Kolonwinkel fixierte; künstlich konnte 
es leicht in 2 Bündel getrennt werden. Ein 2teiliges Ligament konnte 
ich nur in 11 Fällen beobachten; dessen Länge sowie auch die Masse 
variiert zwischen 3—13 cm (Nr. 20). HeuUy führt einen Fall an, wo 
das Ligament nur 1 cm lang war und die Fixationsfläche (auf dem 
Kolonwinkel) nur 2 cm betrug. 

Resanoff führt an, daß ein breites gut ausgeprägtes Lig. phrenico- 
colicum den Trägem von ligamentösen Ablagerungen eigen ist, und daß 
ihr Entwicklungsgrad im geraden Verhältnis zu der Entwicklung der 
ligamentösen Ablagerungen steht. Er führt einen Fall an, wo bei einer 
35—40jährigen Frau bei gut entwickelten ligamentösen Ablagerungen 
der linke Band des großen Netzes den Magenfundus umfaßte, für den 
letzteren eine Tasche bildete, weit unter das Diaphragma reichte und 
sich an diesem sowie am linken Leberrand fixierte. Unterhalb dieser 
Tasche zweigte eine Falte ab, die am linken Rippenrand fixiert war 
und das Lig. phrenico-colicum sin. bildete, welches in sagittaler Rich¬ 
tung 15 cm Breite aufwies. 

Beim Vergleich der Verhältnisse, in denen sich beide Flexuren 
befinden (ihre Lage, Winkel und Fixationsapparat), sieht man, daß 
die Flexura hepatica immer niedriger als die Flexura lienalis liegt, 
wodurch die schräge Lage des Colon transversum bedingt wird. Daher 
stellt die Flexura hepatica fast immer einen größeren als rechten Winkel 
dar, der medial und nach abwärts offen ist, und die Flexura lienalis 
ist fast immer spitz. 

In den Fällen, wo das Colon transversum die 3. Lage (U- oder V- 
förmige) einnimmt, ist die Flexura hepatica und lienalis kleiner als 
ein rechter Winkel, besonders wenn ein kräftiger und kurzer Fixations¬ 
apparat vorhanden ist. Jedenfalls ist es klar, daß, je tiefer das Colon 
transversum nach abwärts verlagert ist, um so spitzer die Winkel in 
der Gegend der Flexura hepatica und lienalis sind. In den Fällen, wo 
das Colon transversum hufeisenförmig (mit der Krümmung nach oben) 
gelagert ist und der Übergang des Colon ascendens in das Colon trans¬ 
versum und vom Colon transversum in das Colon descendens bogen¬ 
förmig verläuft, keine Winkel vorhanden sind, oder aber sie sind größer 
als ein rechter. Ein zweiter Faktor, der auf die Größe des Winkels 
seinen Einfluß ausübt, ist der Fixationsapparat. In der Gegend der 
Flexura hepatica ist er sehr kompliziert und vielfältig wie auch sehr 
imbeständig und dieses dient als Beweis seiner Mangelhaftigkeit, wäh¬ 
rend die Flexura lienalis durch einen beständigen und gut ausgebildeten 
Fixationsapparat ausgezeichnet ist. Daher ist die Flexura hepatica 
unbeständig und sehr variabel und kann mitunter ganz fehlen. Die 
Flexura lienalis ist hingegen immer vorhanden und variiert nur im 

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Kuprijanoff: 


Sinne der ausgeprägten Krümmung, welche von der Länge, der Form 
und der Masse des Ligamentes abhängig ist (Lig. phrenico-colicum 
sin.). Die Festigkeit des Ligaments wird durch die Länge (bei kurzem 
Ligament sind die Exkursionen gering), durch die Fixationsfläche und 
durch die Fixation selbst bestimmt: je größer letztere sind, um so 
fester ist die Fixation. Daher fixiert das einfache Lig. phrenico-colicum, 
welches in dieser Form öfter beobachtet wird und sich auf der Höhe 
der Flexur befestigt, die Flexura lienalis hoch unter dem Diaphragma, 
wobei der spitze Winkel durch die hohe Lage des Kolons noch verringert 
wird. Diese Beobachtung ist, wie weiter ersichtlich, in der Ätiologie 
des Dickdarmileus bekannt. Die Kombinationen der besagten Ur¬ 
sachen, nämlich die feste Fixation der Flexuren durch kurze und 
schmale Ligamente, die tiefe (U- oder V-förmige) Lage des Colon 
transversum ist hauptsächlich Frauen eigen, die eine schmale Apertura 
thoracis inf. und ein breites Becken besitzen. 


Teil V. 

Flexuren des Colon transversum in sagittaler Richtung. Duplikaturen. 

Das Kolon ändert in seinem Verlauf im allgemeinen 2 mal seine 
Richtung in der frontalen Ebene: an der Flexura hepatica und lienalis. 
Der Übergang des Colon ascendens in das Colon transversum und weiter 
in das Colon descendens ist mit der Richtungsänderung des Kolous nicht 
nur in dieser (frontalen) Ebene verbunden. Man kann auf Gefrier¬ 
schnitten oder durch die Skulpturmethode nach Pirogoff sich über¬ 
zeugen, daß das Colon transversum besonders bei der bedingt queren 
Lage einen nach vom zu gekrümmten Bogen beschreibt, d. h. das 
Colon transversum liegt nicht in einer frontalen Ebene mit dem Colon 
ascendens und descendens. Folglich ändert das Kolon in der Gegend 
der Flexuren seine Richtung auch in sagittaler Ebene. Dieser Übergang 
wird oft durch die Bildung von Falten (harmonikaartig) und Doppel¬ 
falten bei verschiedener Lage des Kolons verschiedenartig ausgebildet 
(Duplikaturen) begleitet. Bei ihrem Bestehen ist die Flexur quasi 
dubliert (das Kolon geht von der hinteren Bauchwand nach vom, 
bildet eine Krümmung, die Flexura hepatica senkt sich etwas nach 
abwärts), geht an die vordere Bauchwand heran, steigt empor und 
bildet eine 2. Krümmung in der sagittalen Ebene und ändert seine 
Richtung in die frontale Ebene). Folglich ist die 1. Krümmung der 
Flexura hepatica mit der Höhe des Winkels nach der Leber gerichtet; 
die 2. Krümmung ist mit der Höhe des Winkels nach abwärts gerichtet. 
Solch eine Duplikatur kann an der Flexura hepatica sowie an der 
Flexura lienalis wie auch gleichzeitig an beiden beobachtet werden. 
In der Gegend der Flexura hepatica wird sie in 33,7% und in der 


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Über die Lage des Colon transversum. 533 

Gegend der Flexura lienalis wird sie in 34,8%, d. h. fast gleich oft an 
beiden Flexuren beobachtet. 

Da die Anwesenheit der Duplikaturen allen 4 Gruppen der Colon 
transversum eigen ist, kann man je 4 Untergruppen unterscheiden: 

1. Duplikaturen werden weder rechts noch links beobachtet, 2. Du¬ 
plikaturen bestehen in der Gegend beider Flexuren, 3. die Duplikatur 
ist nur in der Gegend der Flexura hepatica und 4. nur in der Gegend 
der Flexura lienalis vorhanden. Die 1. Untergruppe (Abwesenheit der 
Duplikaturen) ist am häufigsten. Doppelseitige Duplikaturen werden 
öfter bei der 2. Gruppe (quere Lage des Colon transversum) und an 

2. Stelle bei der 3. (U- oder V-förmige) Lage beobachtet. Das Bestehen 
von Duplikaturen steht scheinbar mit dem Hochstand der Flexuren 
resp. mit der Länge, Masse und Form des Fixationsapparates der 
Flexuren in Verbindung. Das kurze geteilte, auf kleinen Flächen fi¬ 
xierte Lig. phrenico-colicum zieht die Flexur hoch unter das Diaphragma 
empor und begünstigt die Bildung von Duplikaturen. Außerdem be¬ 
günstigen Ablagerungen (entzündlichen oder embryonalen Ursprungs) 
die Bildung von Falten an den Übergangsstellen des Colon ascendens 
in das Colon transversum und weiter in das Colon descendens. 

In den Fällen von einseitigen Duplikaturen entspricht ihr Vor¬ 
handensein einem gewissen Hochstand der Flexur und ist verschieden 
in den einzelnen Gruppen. Die Flexura hepatica zeigt öfter Dupli¬ 
katuren in der 2. Gruppe, seltener in der 3. und vereinzelt in der 4. 
und 1. Gruppe. Die Frequenz der Duplikaturen für die Flexura lienalis 
nach den Gruppen ist 2, 3, 1 und 4. An letzter Stelle steht hier die 
4. Gruppe; dieses ist auch verständlich, da hier das Kolon quasi am 
Ug. phrenico-colicum hängt; die Flexur selbst ist in die Länge gezogen 
und der Winkel stark verkleinert, was tatsächlich auch beobachtet wird. 

Auf Grund des Obigen kann man folgende Schlüsse ziehen: 

1. Die Lage des Dickdarms wird im hohen Grade durch die intrau¬ 
terinen Lebensverhältnisse bestimmt (Quantität des plastischen Mate¬ 
rials und Wachstumsenergie). 

2. Die Lage des Colon transversum beim Erwachsenen als Ab¬ 
schnitt des Dickdarms zwischen der Flexura hepatica und lienalis wird 
durch die Lage dieser Flexuren bestimmt. 

3. Der Hochstand, die Form der Flexuren der Krümmungswinkel, 
wird durch den Zustand des Fixationsapparates bestimmt. Die Lage 
der Flexura lienalis entspricht meistenteils der 8. und der Flexura 
hepatica der 10. Rippe. 

4. Die streng horizontale Lage des Colon transversum ist sehr 
selten zu beobachten. 


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534 


Kuprijanoff: Über die Lage des Colon transversum. 



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5. Die Verschiedenartigkeit des Colon transversum läßt sich in 
4 Typen zusammenfassen: a) hufeisenförmig (nach oben gekrümmt), 
b) horizontal, c) U- und V-förmig und d) quer. 

6. Die Lage des Colon transversum ist von der Form des Bauches 
abhändig. Die Form des Bauches wird durch das Verhältnis zwischen 
den 10. Rippen und den Spin, ilei ant. sup. zur Entfernung vom An- 
gulus costarum zur Symphyse bestimmt. 

7. Der Übergang des Colon ascendens in das Colon transversum 
und letzteren in das Colon descendens ist in sagittaler Ebene mit Bil¬ 
dung von Duplikaturen begleitet, die verschieden oft und verschieden¬ 
artig ausgeprägt sind. 


Literaturverzeichnis. 

Adenot , Rev. de Chirurg. 1877; Gaz. hebdomacL des scienc. m&L de Bor¬ 
deaux 1895: Gaz. des höp. civ. et milit. 1895. — Berard et Patel* Rev. de 
Chirurg. 1903, T 27. — Buy , Th&se de Toulouse 1900—1901. — Black, C 
Ann. of surg. 5 t. 1912. — Braun, Dtsch. Zeit sehr. f. Chirurg. 1t. 1905. — 
Cohan , Thäse de Paris 1898. — Promord , Th&se de Lille 1890. — Klaatsck. 
Morph. Jahresber. 18. — Koch , W. 9 Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 5t. 1899. — 
Lardennois , Lamy , Berger , Bull, et mem. soc. Anat. de Paris 8t. 1911. — 
Lardennois et Oxynegye, Bull, et mem. de la soc. Anat. de Paris 12. S. 63 
et 531. 1910. — Maudaire et Mouche! , Bull, et mem. de la soc. Anat. de 
Paris 10. 1896. — Müller , E. 9 Beiträge zur Anatomie des menschlichen Foetus, 
Stockholm 1897.— Pr8hevalsky 9 Charlcowsky , Med. Joum. 14. 1912. (Russisch.) — 
Resanojf , Chirurgia 33. 1913 (Russisch). — Salon, Th6se de Paris 1905. — 
Sawir 9 Chirurgia 24. 1908. (Russisch.) — De Quervain , Semaine med. Paris 21. 
1901. — Quenu , Bull, et mem. de la soc. de Chirurg. Paris 28. 1902. 


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(Aus dem Institut für operative Chirurgie und chirurgische Anatomie von 
Prof. W . N. Schewkunenko an der Militär-Medizinischen Akademie zu Petrograd») 

Die Bedeutung der anatomischen Verhältnisse in der Pathologie 
und Chirurgie des Colon transversum. Ihre Bolle in der Bildung 

des Heus. 

Von 

Peter Kuprijanofl, Privatdozent. 

(Eingegangen am 30. April 1923.) 

Abnormitäten in der Lage des Darmes, Bildung von Schlingen 
und Krümmungen, unerwartete Lageveränderungen der einzelnen 
Abschnitte waren oft Ursache von schweren Fehlem bei der opera¬ 
tiven Behandlung solcher Fälle. Sie sind in der Literatur nicht so 
selten, daß man sie mit Stillschweigen übergehen kann, ohne auf die 
anatomischen Verhältnisse hinzuweisen. Ein großer Abschnitt in der 
Bauchchirurgie ist der Frage über die Beteiligung der Flexura lienalis 
in der Bildung des Ileus gewidmet. Die anatomischen Verhältnisse 
spielen unbedingt eine große Rolle in der Bildung einer Reihe von 
pathologischen Prozessen im Bereich des Dickdarms. Dieser letzte 
Umstand fand auf dem III. Internationalen Chirurgenkongreß in fol¬ 
genden Worten von Sonnenburg seine Bestätigung: „Der Chirurg hat 
oft mit Entzündungen der einzelnen Dickdarmabschnitte zu tun. Die 
Entzündung lokalisiert sich oft im Bereich des Coecum, der Flexura 
hepatica und lienalis. Angeborene Verhältnisse machen diese Bezirke 
oft sehr beweglich, entzündliche Prozesse jedoch verringern durch Ver¬ 
wachsungen diese Beweglichkeit.“ Diese Thesen bleiben bis auf den 
heutigen Tag bestehen. 

Polenoff (1918) resümiert die Literaturangaben wie folgt: Ab¬ 
weichungen von der Lage, der Form und Beweglichkeit der verschie¬ 
denen Abschnitte des Dickdarms von der Norm spielen eine große 
Rolle in der Pathologie des Darmtraktus, rufen schwere Erkrankungen 
hervor, die in ihrer Grundlage solche Veränderungen aufweisen, die 
durch therapeutische Mittel allein nicht radikal geheilt werden können. 
Offensichtlich ist, daß ein girlandenförmiges Colon transversum günstige 
Verhältnisse zu Fäkalstauungen Veranlassung gibt und krankhafte Er¬ 
scheinungen in demselben hervorrufen kann. Da solch eine Lage des 
Colon hauptsächlich Frauen und dem höheren Lebensalter eigen ist, 


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536 


P. Kuprijanoff: 


so ist es natürlich, daß solche Erkrankungen von den Klinikern haupt¬ 
sächlich bei Frauen beobachtet werden. 

Die tiefe U- oder V-förmige Lage des Colon transversum ist über¬ 
haupt folgenschwer. Ohne darüber zu sprechen, daß durch Entzün¬ 
dungsprozesse das Colon fixiert werden und es zu Knickungen des¬ 
selben kommen kann, ruft die Lage des Colon im Bereich der einen 
oder anderen Regio inguinalis Komplikationen bei der Operation hervor. 
Wenn man sich vorstellt, daß die Flexura hepatica eine Schlinge bildet, 
zum rechten Lig. Pouparti reicht, oder das Colon transversum soweit 
herabreicht, so wird das Coecum und Colon ascendens vom ersteren 
bedeckt und kann bei der Aufsuchung des Appendix durch den ge¬ 
wöhnlichen kleinen Bauchschnitt große Schwierigkeiten hervorrufen. 
Große Schwierigkeiten werden bei der Aufsuchung von Tumoren des 
Dickdarms, bei Resektionen des befallenen Abschnittes in solchen Fällen 
zutage treten. Braun berichtet über einen Fall, wo er eine Anastomose 
zwischen dem Ileum und dem Colon ascendens anlegen wollte, tat¬ 
sächlich aber, wie es sich später erwies, zwischen dem ersteren und dem 
nach abwärts verlagerten Colon transversum angelegt hatte. Ähnliche 
Schwierigkeiten treten bei Operationen im Bereich des Colon descendens 
und S-Rom. hervor, wenn die Schlinge des Colon transversum in der 
Gegend der Regio inguinalis sin. liegt. Über solche Schwierigkeiten 
berichten Curschmann, Tuffier, Riedel, Lauenstein, Zeidler und eine 
Reihe von anderen Autoren. Ducatte führt den Fall von Tuffier an, 
in dem ein Tumor des Colon transversum, als solcher des Colon as¬ 
cendens angesehen wurde; desgleichen operierte Kappeier, wie er glaubte, 
auf dem Colon sigm., während in Wirklichkeit er es mit dem Colon 
transversum zu tun hatte. 

Zur Illustration solcher Schwierigkeiten kann der von Braun berichtete Fall 
dienen: 20. II. 1898: Bei einer 42jährigen Frau wurde der durch Carcinom eteno- 
sierte Pylorus reseziert und nach Verschluß des Magens und des Duodenums die 
Gastroenterostomia retrocolica posterior angeschlossen. Am 20. HI. 1893 verließ 
die Patientin die Klinik. Im Januar 1899 trat die Patientin mit Klagen über 
Schmerzen im Leibe und Obstipation wieder in die Klinik; von seiten des Magens 
waren keine schmerzhaften Erscheinungen nachzuweisen. Bei der Untersuchung 
stellte es sich heraus, daß unter dem linken Lig. Pouparti ein Tumor nachzuweisen 
ist, der als sekundäres Carcinom des S.-Rom. gedeutet wurde. Am 20.1. Laparotomie: 
Schnitt parallel dem Lig. Pouparti: es wurde ein stark mit der Umgebung ver¬ 
wachsener inoperabeler Tumor festgestellt; daher wurde in einiger Entfernung vom 
Tumor eine Anastomose zwischen dem proximalen und distalen Dickdarmabschnitt 
angelegt. Am 2. Tage unter Peritonealerscheinungen Exitus. Bei der Sektion 
(Aschoff) fand man Gase und Kotmassen in der Bauchhöhle, die durch eine Perfora¬ 
tionsöffnung im Colon asc. in die Bauchhöhle gelangt waren. Die Flexura hepatica 
fixiert und stark geknickt, der proximale Abschnitt des Colon asc. war derart 
gedehnt, daß es zur Perforation kam. Die angelegte Anastomose war gut ver¬ 
heilt. Das Carcinom befindet sich im mittleren Abschnitt der Schlinge des Colon 
transversum und ist mit dem linken Ovarium fest verwachsen. 


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Zur Pathologie und Chirurgie des Colon transversum. 


537 


Diesem Fall liegen eine Reihe von anatomischen Verhältnissen 
zugrunde: 1. die tiefe Lage des Colon transversum (bei einer 42jährigen 
Frau); die daraus folgenden begünstigenden Verhältnisse zur Bildung 
von Knickungen im Bereich der Flexura hepatica; 2. die Lage wird 
mit der Fixation der herabhängenden Schlinge mit den Beckenorganen 
verschärft; 3. während der Operation wurde der Dickdarmabschnitt 
nicht erkannt und irrtümlicherweise als S-Rom. angesehen. Die Opera¬ 
tion an sich ist sogar bei fehlerhaft diagnostiziertem Dickdarmabschnitt 
angezeigt und zweckmäßig. Sie tat sich im weiteren Verlauf nicht kund, 
da nicht an die Knickung der Flexura hepatica gedacht wurde, worauf 
die Lage des Dickdarms hinweisen konnte. Solch eine Gefahr kann 
man öfter von der Flexura lienalis als von der Flexura hepatica er¬ 
warten. Fälle von Heus im Bereich der Flexura hepatica sind tatsächlich 
selten beschrieben worden. Offensichtlich gibt sich hier die Unbeständig¬ 
keit des Fixationsapparates der rechten Flexur im Vergleich zur linken 
und die Mangelhaftigkeit kund, von der oben die Rede war. Die größere 
Beweglichkeit des rechten Winkels läßt eine größere Verlagerungs¬ 
möglichkeit nach auf- und abwärts zu. Der Fall von Mauclaire und 
Mouchet ist in dieser Hinsicht lehrreich und stellt ein großes Interesse 
vom diagnostischen Standpunkt dar. Diese Erscheinung ist im Gegen¬ 
satz zur Abwärtsverlagerung äußerst selten. Die Lage der Dickdarm- 
schlinge in der rechten Unterbauchgegend {W. Koch) kann zu bedeu¬ 
tendem Irrtum führen. Fuhr und Wesener fanden auf dem Operations¬ 
tisch eine der W. Kochachen analoge Lage vor. 

In diesem Fall waren alle angeführten Möglichkeiten, die dem 
anatomischen Faktor zugrunde liegen, vorhanden: die tiefe Lage des 
Colon transversum. Auch in diesem Fall wurde die Ursache der krank¬ 
haften Erscheinungen durch die Operation nicht behoben, da ein Dia¬ 
gnosenfehler (in betreff des Dickdarmabschnittes) vorlag. Wenn im 
Falle Braun die Verhältnisse zur Knickungsbildung durch die ent¬ 
zündlichen Verwachsungen der herabhängenden Darmschlinge hervor¬ 
gerufen waren, rief im letzteren Fall der operative Eingriff — die 
Anlegung des Anus praeternaturalis — auf dem Colon transversum. 
wodurch es im linken Hypochondrium an der Bauchwand fixiert wurde, 
diese Verhältnisse hervor. Dadurch wurde die Knickung im Bereiche 
der Flexura lienalis vergrößert, wodurch ein chronisch ausgedehnter 
Dickdarmabschnitt resultierte und eine enorme Größe erreichte. 

Durch diesen Fall will ich die Notwendigkeit unterstreichen, daß 
bei herabhängendem Colon transversum eine Möglichkeit der Knickung, 
besonders im Bereich der Flexura lienalis vorhanden ist. Diese letztere 
stellt besonders begünstigende Verhältnisse speziell von seiten des Band¬ 
apparates durch die Lage des Colonwinkels, der unbedingt mit der all¬ 
gemeinen Lage des Dickdarms im Zusammenhang steht. Der Hochstand 


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538 


P. Kuprijanoff: 


der Flexura lienalis im Verhältnis zur Flexura hepatica ist von 
mir schon wiederholt festgestellt worden. Durch die Tieflage des 
Colon transversum werden sich diese Verhältnisse verschärfen. Wenn 
sich nun noch ein kurzer Fixationsapparat hinzugesellt, so sind 
alle begünstigenden Momente zur Bildung von Knickungen ge¬ 
geben. 

Interessant ist zu vermerken, daß schon Monterossi im Jahre 1819 
auf Knickungen im Bereich des Dickdarms als Todesursache bei Neu¬ 
geborenen hinweist; doch erst Adenot richtete sein Augenmerk im 
Jahre 1895 auf die Bedeutung solcher Knickungen, besonders im Bereich 
der Flexura lienalis hin. Seine Untersuchungen an Leichen mit solchen 
Todesursachen und seine Versuche an Leichen sind äußerst überzeugend. 
In demselben Jahr berichtet Legueu über seinen in dieser Hinsicht 
sehr lehrreichen Fall, der als Illustration der Lage von Adenot die¬ 
nen kann. 

Hier kann deutlich der Zusammenhang zwischen der Operation 
und der Entwicklung von üeuserscheinungen nachgewiesen werden. 
Letztere traten unmittelbar nach der Operation auf. Der im Sektions- 
protokoll erwähnte Strang ist alter Herkunft und hat seine verhängnis¬ 
volle Wirkung bis zur Exstirpation des Ovarialtumors nicht ausgeübt. 
Da die Ovarialcyste von bedeutender Größe war und das ganze Becken 
ausfüllte, so ist es erlaubt zu glauben, daß es nach dessen Entfernung 
zur Senkung des Colon transversum kam, d. h. es wurden durch das 
Herabtreten des Colon transversum begünstigende Verhältnisse zur 
Darmeinklemmung in der Gegend der Flexura lienalis geschaffen. 
Dieser Dickdarmabschnitt war so hoch gelagert, daß er mit dem Auge 
nicht übersehen werden konnte; dadurch wurden begünstigende Ver¬ 
hältnisse anatomischen Charakters geschaffen. Man kann im ge¬ 
gebenen Fall noch nicht von einer großen Bedeutung des Lig. phre- 
nico-colicum in der Bildung des Ileus sprechen, ebensowenig kann 
man die Bedeutung der Lage des Colon transversum in dieser Hinsicht 
verneinen. 

Wenn man die Fälle Berards und Terriers vergleicht, so kann man 
bemerken, daß die Fixation der Dickdarmschlinge keine unerläßliche 
Bedingung zum vollständigen Lumenverschluß an der Knickungsstelle 
ist. Letzteres ist auch bei freiem Herabhängen des Colon transversum 
möglich: Im Falle Berard war das Colon fixiert und im Falle Terrier 
war es frei. Im letzteren Fall spielte der Fixationsapparat und die 
Form desselben eine ausschlaggebende Rolle. Die Bedeutung dieses 
Umstandes muß durch die Untersuchungen von Berard und Patel als 
erwiesen betrachtet werden. Schon Adenot wies darauf hin, daß im 
Falle der Anwesenheit eines (mittleren) Bündels der Darm beweglich 
ist und stärker gekrümmt wird, so daß der Darminhalt und die Gase 


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Zur Pathologie und Chirurgie des Colon transversum. 


539 


aus dem Colon transversum nicht in das Colon descendens übergehen 
können. Berard und Patel behaupten kategorisch, daß bei Anwesenheit 
des unteren (nach Adenot mittleren) Bündels allein die Senkung des 
Colon transversum begünstigende Momente eines sehr spitzen Winkels 
im Bereich der Flexura lienalis beiträgt. Das ist die Ursache des 
Heus. 

Die Untersuchungen von Berard und Patel müssen als endgültige 
Antwort auf den Versuch von Quenu betrachtet werden, der die Be¬ 
deutung des anatomischen Faktors bei der Bildung des Heus ver¬ 
mindert wissen wollte. 

Ich will nicht die ganze Diskussion wiedergeben, die sich an diese 
Mitteilung anschloß. Es muß hier nur erwähnt werden, daß der Ver¬ 
gleich einer toten DarmschUnge mit einer lebenden (peristaltischen), 
die mit verschieden konsistentem Inhalt gefüllt ist, nicht als 
passend bezeichnet werden kann. Andererseits kann man Verwach¬ 
sungszüge, die zwischen den Appendices epiploicae und dem großen 
Netz statthaben können, nicht außer acht lassen. Über die Bedeutung 
des Fixationsapparates sprechen genügend die Untersuchungen von 
Berard und Patel. Man kann die Untersuchungen von Heinrich Braun 
nicht mit Stillschweigen übergehen, der diese beiden Anschauungen 
miteinander zu versöhnen sucht. Braun studierte diese Frage am 
fixierten Colon transversum und Colon descendens und kommt zum 
Schluß, daß kurze stark kontrahierte Verwachsungen zwischen dem 
Colon transversum und descendens durch Spornbildung und Bildung 
von Schleimhautfalten große Widerstände zum Passieren der Kotmassen 
entwickeln können. Doch die hier vorhandenen breiten Verwachsungen, 
wenn sie eine große Fläche einnehmen, können solch einen Einfluß 
nicht ausüben. 

Bei meinen Untersuchungen der Flexura lienalis interessierte mich 
besonders diese Frage und ich füllte den Dickdarm mit Massen ver¬ 
schiedener Konsistenz (Gips, Wasser und Luft allein oder in Kombination 
miteinander). Ich beobachtete folgendes: Bei kurzem Lig. phrenico- 
colicum und hoch emporgezogenem Flexura lienalis ist fast immer im 
Bereich der Fixationsstelle des Lig. phrenico-colicum eine in das Dick¬ 
darmlumen reichende Schleimhautfalte vorhanden. Diese Falte wird 
durch die kurze Fixationslinie bedingt, da nach Trennung des Lig. 
phrenico-colicum diese Falte sich glättet. Sie kann auch schwach 
ausgeprägt sein, ihre Rolle bleibt jedoch bestehen. Sie stellt gewisser¬ 
maßen einen Kamm dar, den die Kotmassen überwinden müssen, um 
in das Colon descendens zu gelangen. Dieses Übertreten ist mit der 
Dehnung oder Aufblähung des Endabschnittes des Colon transversum 
verbunden. Wenn die Kotmassen an diesen Kamm herantreten, wird 
die Falte derart gedehnt, daß das Lumen des Anfangsteils des Colon 


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540 P. Kuprijanoff: 

descendens komprimiert und verschlossen wird. Daher ist zur Bildung 
eines totalen Darmverschlusses ein zirkulärer Verschluß in der Gegend 
dieses Kammes, Sporn, Falte nicht erforderlich. Das Vorhandensein 
von Duplikaturen im Bereich der Flexura lienalis kompliziert das 
Passieren der Kotmassen und begünstigt die Bildung des Deus. Die 
Anwesenheit von entzündlichen Verwachsungen oder Strängen, die die 
Flexura lienalis fixieren, spielt eine gewisse Rolle, doch ihre Anwesenheit 
allein ist zur Bildung des Ileus jedoch ungenügend. 

Ich beobachtete einen Fall (Nr. 101), in dem das Colon ascendens 
und der Anfangsteil des Colon transversum aneinander gelagert und 
miteinander verwachsen waren; daher war der Colonwinkel ein sehr 
spitzer. Beim Anfüllen dieses Teils mit Wasser und Luft war kein 
Hindernis in der Passage des Darminhalts im Bereich der Flexur zu 
verzeichnen und das Lumen des Colon ascendens und transversum 
zeigten keine merklichen Abweichungen von der Norm. Da hier kein 
Lig. phrenico-colicum dextrum oder ein analoger Fixationsapparat vor¬ 
handen war, kann man sich durch diesen Fall überzeugen, daß die 
Anwesenheit von Verwachsungen oder ligamentösen Ablagerungen 
allein zur Bildung von Ileus nicht genügt. 

Quenus Einwendungen und seine Versuche fanden keine Stütze 
auch von der Klinik. Weitere Beobachtungen {Payr, Madelung, Ma- 
nasse, Kothe, Oppel, Kobylinsky) geben eine Reihe Fälle von Ileus, in 
denen die Ursache in einer starken Krümmung im Bereich der Flexur 
zu suchen war; dadurch wird die Bedeutung der anatomischen Fak¬ 
toren, von denen oben die Rede war, noch verschärft. 

Zur Bestätigung dieser Meinung sei es mir erlaubt, einen Fall aus 
der Klinik des Prof. Oppel anzuführen: 

58 jähriger Patient trat mit Klagen über beständige Obstipation 
(Stuhlgang zeitweise mit Schleim und Blut), starke krampfartige 
Schmerzen im Leibe, hauptsächlich unter dem linken Rippenbogen, 
Auftreibung des Leibes in der rechten Bauchhälfte, Erbrechen und 
Abmagerung in die Klinik. (Gewichtsabnahme in letzter Zeit 
bis 16 kg.) Laxantia rufen starke Schmerzen hervor. Das Alto 
und der Krankheitsverlauf ließen einen Tumor malignum S-rom&ni 
vermuten. 

Unter Äthernarkose Laporotomie (Wahrscheinlichkeitsdiagnose = 
Ca S-romani). Dieselbe ergab, daß das Colon transversum mit festen 
Kotmassen überfüllt und bis zur Symphyse verlagert war. In der 
Gegend der Flexura lienalis eine starke Krümmung. Pexia coli trans- 
versi an die vordere Bauchwand. (Wegen starker Überfüllung des 
Colon mit Kotmassen war eine Anastomose aus Infektionsgefahr nicht 
angezeigt.) Schied 2 Monate nach der Operation aus der Klinik. 



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Zur Pathologie und Chirurgie des Colon transversum. 


541 


Über operative Eingriffe. 

Somit stehen die Verhältnisse zur Bildung des Ileus im Bereich 
der gewöhnlichen Krümmungen (Flexura lienalis und hepatica) von 
folgenden, die Krümmung verschärfenden Umständen im Zusammen¬ 
hang: 1. Ein kurzer Fixationsapparat, der hoch und fest die Flexur 
immobilisiert. 2. Stränge und ligamentöse Ablagerungen entzündlichen 
und embryonalen Ursprungs, die die distalen und proximalen Colon¬ 
abschnitte miteinander verbinden. 3. Duplikaturen. 

Man kann sich auch Kombinationen aus diesen 3 Komponenten 
vorstellen. Es ist offensichtlich, daß das Vorhandensein der oben 
erwähnten Verhältnisse sowie ihre Kombinationen beim Zustande¬ 
kommen des Ileus lange Zeit latent bleiben kann. Es bedarf eines 
gewissen Moments, um sie hervorzurufen. Als solch ein Moment ist 
die Lage des Colon transversum anzusehen: die Tieflage der Colon¬ 
schlinge mit oder ohne Fixation in der Untorbauchgegend; im ersten 
Fall wird die Krümmung schärfer ausgeprägt sein. 

Alle diese Mäglichkeiten in Betracht ziehend, kann man sich fol¬ 
gende operativen Eingriffe vorstellen: 

1. a) Mobilisation der Flexuren, d. h. Trennung des Fixations¬ 
apparates (Lig. phrenico-colicum). 

b) Die Trennung der Verwachsungen und Stränge. 

Bei Tiefstand des Colon transversum: 

c) Mobilisation der durch Verwachsungen fixierten Schlinge des 

Colon transversum. * 

2. a) Anastomose zwischen verschiedenen Abschnitten des Dick¬ 
darms und dem Endabschnitt des Ileus. 

b) Resektion der Flexuren. 

c) Resektion des herabhängenden Abschnittes des Colon trans¬ 
versum. 

3. Anus praeternaturalis im Bereich des Colon transversum oder 
coecum. 

Die Durchtrennung des Lig. phrenico-colicum an sich ist kein ge¬ 
fährlicher operativer Eingriff und ist bedeutend öfter ausgeführt worden 
als man annehmen könnte ( Oppel , Payr). Okinczyc meint, daß das 
Lig. phrenico-colicum in allen Fällen durchtrennt werden muß, wo 
eine genügende Beweglichkeit des Angulus splenicus erzielt werden 
soll. Bilton Polard unterstreicht in einem seiner Fälle, daß das Lig. 
phrenico-colicum durchschnitten und ligiert worden ist. Offensichtlich 
führten auch andere Autoren solche Operationen aus. 

Als ich Oppel den Zutritt durch die Laparotomiewunde zur linken 
Glandula suprarenalis demonstrierte, wies ich auf die unbedingte Not¬ 
wendigkeit hin, das Lig. phrenico-colicum zu durchschneiden, um ge¬ 
nügenden Zutritt zur letzteren intraperitoneal zu erhalten. Dieses 


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542 


P. Kuprijanoff: 


Moment ist so überzeugend und erleichtert im weiteren den Zutritt, 
daß Oppel es als Schlüssel der Operation bezeichnet. Oppel hat diese 
Methode in seinen Fällen mit ausgezeichnetem Resultat angewandt. 

Diese an und für sich einfache Operation kann mitunter äußerst 
schwierig und kompliziert und in einzelnen Fällen unausführbar sein. 
Im Falle des Hochstandes der Flexur kann das Lig. phrenico-colicum 
nicht gesehen * werden; die Manipulation im Dunkeln ist wegen der 
Nähe der großen Milzgefäße äußerst gefährlich. Die einzig mögliche 
Operation ist die von Marwedel. Kann aber ein solches Trauma in 
allen Fällen indiziert sein? Daher ist die Discision des Lig. phrenico- 
colicum bei verhältnismäßigem Tiefstand der Flexur, d. h. bei breiter 
Apertura thoracis inferior möglich. Da aber letztere bei Tiefstand des 
Colon (3. Lage des Colon) eng ist, so ist es offensichtlich, daß die meisten 
Chirurgen nicht diese Methode haben anwenden können. 

Die Durchtrennung vpn Strängen und ligamentösen Ablagerungen 
kann nicht als endgültiger operativer Eingriff angesehen werden. Dazu 
muß die Mobilisation des herabhängenden Colon transversum, von den 
Verwachsungen einerseits und dessen Fixation in entsprechender Höhe 
angeschlossen werden. 

Mauclaire und Mouchet schlagen auf Grund ihrer Untersuchungen 
vor, die Colopexie auszuführen: Flexura hepatica an die vordere Bauch¬ 
wand auf der Höhe des Leberrandes; Flexura lienalis an das Periost 
der 9. Rippe auf der Lin. axill. und den mittleren Abschnitt des Colon 
transversum an die Bauchwand oberhalb des Nabels. 

Mir scheint, daß gerade auf dieser Höhe die Fixation zu erfolgen 
hat, wenn auch den einzelnen Lagegruppen verschiedene Höhen der 
Flexuren eigen sind. Eine allzu hohe Fixation wird immer als ileus- 
begünstigendes Moment anzusehen sein. Nach meinen Untersuchungen 
muß die Fixation der Flexura hepatica auf der Höhe der 10. Rippe auf 
der Lin. axill. und des Colon transversum auf der Höhe des Nabels 
erfolgen. Bei schmaler Apertura thoracis inferior muß die Fixation auf 
eine Rippe tiefer ausgeführt werden, wobei die Flexura lienalis über¬ 
haupt nicht fixiert werden soll. Die beschriebenen Operationen stellen 
Eingriffe dar, die direkt auf die Ursache wirken sollen. Die von mir 
im Punkt 1 des II. Abschnittes angeführten Operationen sind mit 
mehr oder weniger Schwierigkeiten verbunden. Die Anastomosen zwi¬ 
schen den einzelnen Abschnitten des Darmes klassifiziert E. Payr 
folgendermaßen: 

1. Colo-colostomia (zwischen Colon transversum und Colon desc.). 

2. Colosigmoideostomia. 

3. Heosigmoideostomia. 

Zu dieser 3. Gruppe müssen auch die Anastomosen zwischen dem 
Ileum und dem übrigen Dickdarm hinzugerechnet werden (Colon asc. 


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Zur Pathologie und Chirurgie des Colon transversum. 543 

transv. und desc., je nach der Lage der Krümmung). Es ist klar, daß 
die Anlegung der Anastomose nicht als radikale Operation angesehen 
werden kann. Die Anastomose muß als klinisch günstige Resultate 
gebende Operation betrachtet werden. Doch muß hier mit den un¬ 
angenehmen Folgen, die die Ausschaltung haben kann und auf die 
Oppel in seinen Grundzügen der operativen Behandlung des Dickdarms 
hinweist (Bildung von Blindsäcken) unbedingt gerechnet werden. 

Oppel gibt auf Grund seiner klinischen Beobachtungen eine ganze 
Serie von solchen Blindsäcken. 

Im Falle, wo die rechte Hälfte des Colon transversum eine in das 
Becken reichende Schlinge bildete, Obstipation und Schmerzen im 
Bereich des Colon ascendens hervorrief, führte Oppel, um das Coecum 
und das Colon ascendens von den Kotmassen zu befreien, die Ileo- 
transversotomia aus, ohne das Ileum zu durchtrennen. Nach dieser 
Operation schwanden die Obstipationen und die Schmerzen vollständig. 
Man muß Oppel beistimmen, daß bei beweglichem und nach abwärts 
verlagertem Colon transversum die Colo-colostomia zwischen dem Colon 
transversum einerseits und dem Colon ascendens oder descendens 
andererseits als günstiger operativer Eingriff schon deshalb angesehen 
werden muß, weil keine Blindsäcke resultieren. Diese Operation ist 
nicht so schwierig und gefährlich wie die Resektion des ganzen Krüm¬ 
mungsabschnittes und hat letztere verdrängt, da sie keine breite An¬ 
wendung gefunden hat, wie Payr berichtet. 

Die Anlegung eines Anus praeternaturalis hat eine zeitweise Be¬ 
deutung und ist bei akuten Ileusfällen angezeigt. Hierauf beschränkt 
sich auch ihre Indikation. 

Literaturverzeichnis. 

Adenot, Rev. de Chirurg. 1877; Gaz. hebdom. des Sciences m&L de Bordeaux 
1895; Gaz. des hop. civ. et milit. 1895. — Braun, Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 1905, 76 . 
— Berard et Patel, Rev. de chirurg. * 7 . 1905. — Curschmann, Arch. f. klin. Med. 53 . 
1894. — Ducatte, Thöse de Paris 1899—1900. — Fuhr und Wesener, Dtsch. Zeitschr. 
f. Chirurg. 23 . 1886. — Kappeier, Korresp.-Blatt f. Schweiz. Ärzte 1892, Nr. 1. — 
Legueu, Gaz. des h6p. civ. et milit. 68. 1895. — Monierossi, Meckels Arch. 1820. — 
Oppel, Raboti klin. prof. Oppel 1913. (Russisch.) — Quenu, BulL et mäm. de la 
80C. de chirurg. de Paris 28. 1902. — Terrier, BulL et mäm. de la soo. de chirurg. 
de Paris 28, 467. 1902. — Zeidler, Letopiss Russkoy Chirurgü 1898. (Russisch.) 


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(Mitteilung aus der I. Chirurgischen Universitäte-Klinik in Budapest. 

[Vorstand: Prof. Dr. T. v. Verebüy.]) 

Über die Wirkung intravenöser Urotropineinspritzungen. 

Von 

Dr. G. von Tak&ts, 

Assistent der Klinik. 

(Eingegangen am 4. Mai 1923.) 

Das Urotropin (Hexamethylentetramin) wurde am Ende des vorigen 
Jahrhunderts durch Nicolaier in die Therapie eingeführt. Die orale Dar¬ 
reichung des Mittels fand seitdem eine große Verbreitung. Intravenös 
Wurde es zuerst von Crowe in Tierversuchen angewendet, wobei es ihm 
gelang, das Urotropin im Liquor, Galle und Pankreassaft nachzuweisen 
und festzustellen, daß die höchste Konzentration im Blute nach 5 bis 
8 Stunden erreicht wird. In 24 Stunden wurde nichts mehr gefunden. 
Sachs empfahl als erster die intravenöse Darreichung bei Lues, später 
bei Angina Plaut-Vincenti, bei Tonsillitis, Stomatitis und Tricho- 
phytiasis. Nach ihm empfahlen mehrere Autoren das Mittel bei In¬ 
fektionskrankheiten ( Loeper und Grosdidier, Hotz), Polyarthritis rheu- 
matica (Deutsch), Cholecystitis ( Minet ), Thrombophlebitis (Rhinon- 
Richet). Unlängst teilte Buzeilo seine günstigen Erfahrungen bei 18 
Fällen pyogener Blutinfektionen mit. Obwohl also die perorale Dar¬ 
reichung seit mehr als 20 Jahren eine allgemeine Verbreitung fand, 
wurde das Mittel erst seit kurzer Zeit und in geringem Umfange intra¬ 
venös gegeben. 

Alle diese Mitteilungen gaben hinsichtlich der Wirkungsweise des 
Urotropins keine eindeutige Aufklärung. Schon Nicolaier betonte, daß 
die Wirkung auf der Spaltung in Formaldehyd und Ammoniak bestünde; 
dieselbe vollzieht sich aber nur auf Körpertemperatur und bei sauerer 
Reaktion. Daher empfahlen mehrere Autoren Verbindungen, die sich 
in alkalischem Milieu spalten: wie Helmitol (methylencitronensaueres 
U.), Amphotropin (camphersaueres U.), Borovertin usw. Andere wollten 
dagegen die sauere Reaktion des Urins durch reine Fleischdiät oder 
Verordnung von sauerem Natriumphosphat sichern. 

Die Therapie bestünde also in einer sich in statu nascendi befind¬ 
lichen Formaldehydwirkung. Als keimhemmendes und -tötendes Mittel 
ist das Formaldehyd gut bekannt; Bac. anthracis wird in einer Kon- 


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G. von T&käts: Über die Wirkung intravenöser Urotropineinspritzungen. 545 

zentration von 1 :2000, die Sporen in 1 : 1000 nach 1 Stunde ver¬ 
nichtet. Hinman fand das Urotropin selbst bis 1 :7000 keimtötend, 
bis 1 :30 000 keimhemmend. Nach Deutsch soll es Staphylokokken 
und Proteus hemmen, während auf Coli und Streptokokkus keine 
Wirkung zu beobachten ist. Handik beobachtete eine Wachstums¬ 
hemmung Typhus-, Coli- und Dysenteriebacillen auf einer Agarplatte, 
die formaldehydfreies Urotropin enthielt. BuzeUo benützte Serum¬ 
bouillon als Nährboden und fand Urotropin bei Pneumokokken, Strepto¬ 
kokken und Pyocyaneus am meisten wirksam, weniger bei Staphylo¬ 
kokken, noch weniger bei Coli. Alle diese und noch viele andere 
Reagenzglasversuche, die sich teilweise widersprechen, können bei der 
Beurteilung der Wirkung auf den menschlichen Organismus nicht ent¬ 
scheidend ins Gewicht fallen. Wir müssen uns einmal darüber klar 
werden bei der Deutung aller chemotherapeutischen Eingriffe, daß die 
Keime nickt durch das Mittel selbst getötet oder gehemmt werden, sondern 
der menschliche Körper erledigt sie als Antwort auf unsere Medikation, 
ob wir es auch Kolloidalverschiebung oder Protoplasmaaktivierung nennen 
wollen. Man müßte, wie auf Grund seiner Reagenzglasversuche BuzeUo 
feststellt, 115 g Urotropin auf einmal in die Blutbahn werfen, um eine 
sofortige Abtötung pyogener Bakterien zu erreichen. Von solchen Gaben 
kann doch keine Rede sein. Bei täglichen Gaben von 4—6 g können 
die verschiedenen Abwehrmittel des Organismus mit vollem Erfolge 
mobilisiert werden; bleibt der Erfolg aus, so ist es nicht die Folge der 
zu geringen Dosis, sondern der Erschöpfung des Organismus. Die bio¬ 
logische Kontrolle der Wirkung könnte noch am ehesten durch Aus¬ 
zählung der Blutkulturen in Petrischalen vor und nach der Einspritzung 
geschehen ( Buzello, eigene Versuche). 

Wenn wir also — bei schärfster Betonung der Rolle, welche dem 
reagierenden menschlichen Körper zukommt — den Wirkungsmecha¬ 
nismus des Urotropins erforschen wollen, muß zunächst auf den großen 
Unterschied der peroralen und intravenösen Einführung hingewiesen 
werden. Bei vielen Mitteln besteht der Unterschied lediglich in der 
schnelleren und stärkeren Wirkung; bei Urotropin verhält sich die 
Sache anders. Der sauere Magensaft spaltet Urotropin sofort, das 
Formaldehyd reizt die Magenschleimhaut und erreicht den beabsich¬ 
tigten Angriffspunkt nur teilweise, schon in abgespaltenem Zustande, 
vielleicht nur als Ameisensäure. Um den Magen unverändert passieren 
zu lassen, wurde das Mittel zusammen mit sauerem Natriumphosphat 
in Gelatinkapseln verordnet (Urotropacid Svestlca)-, diese Anwendungs¬ 
form verbreitete sich aber unseres Wissens nicht. Das mit Umgehung 
des Magens direkt in die Blutbahn eingespritzte Urotropin kann dagegen 
sofort an der Stelle der krankhaften Veränderung angreifen, was auf 
physikalisch-chemischem Wege erklärbar ist. Mit wunderbarer Präzision 

Archiv (. klln. Chirurgie. 126. 


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546 


G. von Takäts: 


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wird im Organismus an einer ständigen HOH-Konzentration fest¬ 
gehalten, und zwar in geringem Maße nach der alkalischen Seite ver¬ 
schoben (HOH-Isoionie). Der menschliche Körper sucht jede Störung 
dieses Gleichgewichts sofort auszugleichen; doch kann unter krank¬ 
haften Zuständen — Hungern, lange Narkose — eine Acidose, bei 
Rachitis eine Alkalose entstehen, wenn wir unter Acidose — als Zeichen 
einer Kompensation — den Zustand verstehen, wo Salze organischer 
Säuren in größeren Mengen im Blut kreisen (Schade). Nun besteht 
gegenüber dieser allgemeinen Acidose auch eine lokale. In jedem ent¬ 
zündeten Gewebe ist sie nachweisbar und mit der Konzentrations¬ 
steigerung der Hydrogenionen auch meßbar. Milchsäure und andere 
sauer reagierenden Eiweißspaltprodukte, die bei keiner Entzündung 
fehlen, verursachen diese Ionenverschiebung. Hier in diesem relativ 
sauerem Medium wird das Urotropin ausgeschieden und gespalten. 
So wird es verständlich, daß dieses Mittel einmal im Liquor, einmal 
im Urin oder Galle seine keimtötende Wirkung entfaltet und so ist 
die Vielseitigkeit der Anwendungsmöglichkeiten erklärlich. Auch das 
Cholin, das im entzündeten Gewebe immer nachweisbar ist, spaltet 
das Urotropin (Zimmermann). Ich möchte nur betonen, daß wir mit 
dieser einfachen physikalisch-chemischen Erklärung unschwer die un¬ 
klaren Begriffe der Bakterienaffinität, Gewebsimprägnation, Locus 
minoris resistentiae, die gewöhnlich den Angriffsmechanismus ver¬ 
schiedener Mittel verständlich machen wollen, ausschalten können. 
Das Formaldehyd wirkt also an der Stelle der lokalen Acidose, und 
zwar in statu nascendi; das Ammonia und teilweise ungespaltenes 
Urotropin schädigt vielleicht den Nährboden der Bakterien: jedenfalls 
ist diese Wirkung im Thermostat nachweisbar. Ob die stark alkalische 
40proz. Urotropinlösung auch die allgemeine Acidose beeinflussen 
kann, wie Soda- und Traubenzuckerinfusionen, wurde noch nicht 
genauer untersucht, theoretisch scheint die Annahme begründet zu sein. 

Der Umstand, daß die 40proz. Urotropinlösung stark hypertonisch 
ist, wurde auch nie gebührend hervorgehoben. Die hypertonischen 
Lösungen, wie es Bürger und Hagenmann, Nonnenbruch und Szyszka, 
Steysical u. a. besonders bei Traubenzucker nachgewiesen haben, ver¬ 
mindern Zahl und Volumen der roten Blutkörperchen und den Eiwei߬ 
gehalt des Serums, vermehren die Gewebsresorption und steigern die 
Diurese. Die intravenöse Einführung einer hypertonischen Lösung 
verursacht eine Strömung zwischen Blut und Gewebssaft, es kommt 
zu einem Austausch des Wassers, der Salze und Kolloide, wobei die 
in die Blutbahn gerichtete Flüssigkeitsströmung das Primäre ist. Dies 
ist die Erklärung für die gute Wirkung konzentrierter Kochsalzlösungen 
bei Durchfall (Gärtner) und bei Zunahme des Hirndrucks (Foley). 
Wahrscheinlich wird auch bei dieser Gelegenheit Thrombokinase von 


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Über die Wirkung intravenöser Urotropineinspritzungen. 


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den Geweben in die Blutbahn ausgeschwemmt, daher die blutstillende 
Wirkung konzentrierter Salzlösungen; gleichzeitig verändert die hyper¬ 
tonische Lösung den kolloidalen Zustand des Blutes in dem Sinne, daß 
sie als oberflächenaktiver Stoff die Ausflockung des kolloidalen labilen 
Systems begünstigt, also gerinnungsbeschleunigend wirkt. Wir treiben 
also mit der 40proz. stark hypertonischen Urotropinlösung eine Osmo- 
therapie, wie die begleitende Diuresesteigerung beweist, die besonders 
dann auftritt, wenn Flüssigkeitsansammlungen vorhanden sind. So 
sind die Fälle von Loeper und Grosdidier zu erklären, die nach Uro¬ 
tropininjektionen bei tuberkulösen Pleuraexsudaten tägliche Diuresen 
von 2000 g und rasches Verschwinden des Exsudates erzielten, was sie 
als eine spezifische Formaldehydwirkung gegen die Brustfelltuberkulose 
auffaßten. Unsere Messungen des Liquordrucks vor und nach Uro¬ 
tropininjektionen zeigten besonders bei pathologischer Zunahme des¬ 
selben eine starke Herabsetzung infolge der Einspritzung. 

Klinischer Teil. Das Urotropin wurde in etwa 500 Fällen intra¬ 
venös gegeben und konnte jedesmal in 10—15 Minuten im Urin nach¬ 
gewiesen werden; die Ausscheidung dauerte 36—48 Stunden. 

Der Urotropinnachweis geschah nach der empfindlichen Methode von Siegfried 
Gross-, es kann dadurch 0,0003 Urotropin im Kubikzentimeter nachgewiesen werden. 
Der Urin wird zu einem Viertel mit lOproz. Essigsäure angesäuert, dann gibt man 
tropfenweise konzentrierte (7proz.) Sublimatlösung hinzu, so lange bis die sofort 
auftretende Trübung Btärker wird. Falls viel Eiweiß vorhanden ist, soll man 
enteiweißen. Diese Methode ist viel empfindlicher als die übrigens sehr zuver¬ 
läßliche Bromwassermethode von Nicolaier. 

Fünf bis zehn Minuten nach der Urotropineinspritzung kann auch 
Formaldehyd immer nachgewiesen werden. Die Reaktion ist mit seltener 
Ausnahme am 2. Tage negativ; einen positiven Ausfall findet man nach 
jeder Neosalvarsaneinspritzung, bedingt durch den wirklich minimalen 
Formaldehydkomponenten (0,07 g Formaldehyd in 1 g Neosalvarsan). 
Nach Altsalvarsan, wo die Formaldehydsulfoxylsäurenatriumgruppe 
fehlt, fällt die Formaldehydprobe negativ aus (Kall). Wir konnten 
auch in etwa 20 Fällen 15 Minuten nach der Neosalvarsaneinspritzung 
eine positive Reaktion bekommen, aber nur auf einige Stunden. Die 
günstige Beeinflussung der Pyelitis durch Neosalvarsan dürfte viel¬ 
leicht auf der Formaldehydausscheidung beruhen. 

Das Formaldehyd wurde mit den Methoden von Jorissen und Schrywer nach¬ 
gewiesen. Letztere ist empfindlicher, doch sind in letzter Zeit Bedenken erhoben 
worden, ob dadurch wirklich freies Formaldehyd nachgewiesen wird, oder ob die 
Reaktion selbst das Formaldehyd vom anwesenden Urotropin abspaltet. Meines 
Erachtens ist dies praktisch ohnehin nicht wichtig, die Hauptsache ist nur, ob 
abspaltbares Formaldehyd vorhanden ist oder nicht. Wenn ja, da wird es nach 
den in der Einleitung Gesagten ohnehin abgespaltet. Der positive Befund nach 

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G. von Takäts: 


Neosalvarsan — wo also überhaupt kein Urotropin gegeben wird — spricht auch 
für die Gebrauchsfähigkeit der Probe. 

Methode nach Jorissen: 2 ccm einer 0,1 proz. wässerigen Phloroglucinlöeung, 
dann 5—10 Tropfen Kali oder Natronlauge geben in der Anwesenheit von Formal- 
dehyd eine rote Verfärbung des Urins. Viel empfindlicher ist die Methode Schrywers : 
Man gibt 2 ccm einer 1 proz. frisch bereiteten und filtrierten Lösung von salzsaurem 
Phenylhydrazin zum Urin, wärmt, kühlt ab und setzt 1 ccm frische 5 proz. Feni- 
cyankaliumlösung hinzu. Meistens entsteht eine Trübung, zu welcher 5 ccm 
konz. Salzsäure gegeben wird. Bei positivem Ausfall fuchsinrote Verfärbung. 
Das Verfahren ist einfacher, wenn das Phenylhydrazin und Ferricyankalinm in 
substantia verwendet werden. Die zu untersuchende Flüssigkeit muß sauer rea¬ 
gieren. Bei schwacher Reaktion wird zur Verstärkung derselben folgendes emp¬ 
fohlen: Nach Ausfall der Reaktion muß aa Wasser und etwas Äther dazu gegossen 
werden, gut aufschütteln, wobei der Farbstoff mit gelber Farbe in den Äther 
übergeht: nun wieder konz. Salzsäure zum Ätherextrakt, gibt lebhaft rote Farbe 
trotz ursprünglich schwacher Reaktion. 

Die Einspritzungen wurden im Frühjahr 1920 begonnen. 10 ccm 
einer 40proz. Lösung, also 4 g Urotropin wurden intravenös gegeben, 
täglich, manchmal auch 10—12 Tage lang. Bei dieser Dosierung konnte 
die angebliche Nebenwirkung: die Hämaturie bei 500 Einspritzungen 
kein einziges Mal beobachtet werden; nur in einem Falle, als der Kranke 
versehentlich neben der Injektion auch per os 3 g bekam, wurde die 
Hämaturie in geringem Grade beobachtet; bei Aussetzung des Mittels 
hörte sie sofort auf. Die Hämaturien, die andere Autoren (Simon, 
Sachs) beobachtet haben, traten erst bei Gaben von 8—10—12 g auf, 
welche Dosierung nach dem im allgemeinen Teil Gesagten ohnehin 
überflüssig ist. Das Blut ist übrigens in diesen Fällen nicht renalen 
Ursprungs, sondern stammt aus punktförmigen Blasenschleimhaut¬ 
blutungen, wie dies Buzello bei der Sektion eines an schwerem Vitium 
Verstorbenen, der kurz vor dem Tode die tägliche Dose von 8 g bekam, 
feststellen konnte. Die einzige Beschwerde, die von den Patienten ab 
und zu geäußert wurde, war ein mäßiger Urindrang, der beim Fort¬ 
lassen des Mittels sofort auf hörte. Besonders wurde der Urindrang bei 
unmittelbar vor der Operation gegebenen Einspritzungen beobachtet, 
was vielleicht mit dem Umstand erklärt werden könnte, daß nach der 
Operation verlangsamte Blasenentleerung besteht und im gestauten 
Urin, der noch durch Wasserresorption auch eindicken kann, die Formal¬ 
dehydkonzentration höher wird. Diese Nebenwirkung habe ich bei der 
Behandlung postoperativer Blasenlähmungen gleichzeitig mit Vogt thera¬ 
peutisch ausgenützt, worüber weiter unten berichtet wird. 

Die Einspritzung kann auch intramuskulär gegeben werden, ist aber 
schmerzhaft und wirkt naturgemäß doch nicht so prompt; im sub- 
cutanen Bindegewebe verursacht die Lösung — obwohl wegen ihrer 
Hypertonie sehr schmerzhaft — keine Nekrose. Ich habe mehrmals 
die Lösung bei schlechten Venen absichtlich in die Umgebung der 


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Über die Wirkung intravenöser Urotropineinspritzungen. 549 

Vene verteilt und sah dabei nicht einmal Infiltrate. Nachdem das 
Urotropin in 5—8 Stunden seine höchste Konzentration im Blute er¬ 
reicht und in 24 Stunden weder Urotropin noch Formaldehyd im Urin 
nachgewiesen werden kann, ist eine Kumulation des Mittels nicht zu 
befürchten. Überblicken wir jetzt ganz kurz die Anwendungsmöglich¬ 
keiten der intravenösen Urotropineinspritzungen und die damit er¬ 
zielten Erfolge, so ist folgendes zu sagen. 

Hirnhäute. Bei Infektionen der Hirnhäute wurde die perorale Dar¬ 
reichung des Urotropins von Crowe, van Caneghem, Ibrahim, Stockmayer 
und anderen empfohlen. Die Eiseisberg sehe Klinik empfahl das Mittel 
am Chirurgenkongreß von 1911 prophylaktisch vor Schädeloperationen 
(Denk und Leischner). Während wir über die Urotropinbehandlung der 
Meningitis keine Erfahrung besitzen — und versuchten es nur in zwei 
Fällen von Hirnabsceß mit begleitender allgemeinen Meningitis, selbst¬ 
verständlich mit negativem Erfolg —, wurde dagegen die Einspritzung 
prophylaktisch vor Schädeloperationen in ausgedehntem Maße an¬ 
gewendet. 2 Fälle von Meningokele, 3 Schädelbruchrevisionen bei er- 
öffneter Dura, 3 Hirntumoren, 4 Jacksonepilepsien, 2 Stirnhöhlenkrebse 
und 2 Stimbeinsarkome heilten ohne miningealen Komplikationen, 
was nicht viel beweist, obzwar für die Infektion öfters Gelegenheit ge¬ 
boten war (Meningokele, Liquorfisteln). Auffallend war aber eine 
andere Wirkung des Mittels, die durch seine Hypertonie bedingt ist: 
die heftigen Kopfschmerzen, epileptiformen Krämpfe, Schwindelgefühle, 
die nach Eingriffen in der Schädelhöhle aufzutreten pflegen, wurden 
prompt beseitigt. Es ist bekannt, daß der Organismus bei jeder Ein¬ 
wirkung in der Schädelhöhle mit einer Hirndrucksteigerung reagiert, 
sei sie aseptische Verletzung, Infektion oder chemischer Reiz (aseptische 
Meningitis nach intralumbaler Anwendung von Gummi arabicum, 
Dönitz). Die Himdrucksteigerung kommt zustande, entweder durch 
vermehrte Liquorabsonderung oder durch kollaterales ödem der Hirn¬ 
häute, jedenfalls durch vermehrte Flüssigkeitsansammlung in den Ge¬ 
weben, die das hypertonische Urotropin in die Richtung des Blutstromes 
mobilisiert. Die Richtigkeit unserer Auffassung wird durch die im 
vorigen Jahre mitgeteilten Versuche von Foley bestätigt, der mit pero¬ 
raler oder intravenöser Darreichung von großen Kochsalzmengen hart¬ 
näckige Kopfschmerzen beseitigte, sogar nach entlastenden Trepana¬ 
tionen aufgetretene mächtige Hirnprolapse verringern konnte. In einem 
durch Hirngeschwulst verursachten Falle von chronischem Hydro- 
cephalus konnte ich nach einer Urotropininjektion das Herabsinken 
des Liquordruckes von 180 mm Wasser auf 130 mm Wasser nach Krönig 
beobachten. 

QaUenwege. Chauffard konnte in der Galle einer Choledochusfistel 
nach peroraler Urotropindarreichung Formaldehyd nachweisen, auf 


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G. von Takäts: 


Grund dieser Beobachtung empfahlen hauptsächlich englische und 
französische Autoren das Urotropin oder andere Derivate, die sich 
im alkalischen Medium spalten. Unsererseits wurde eine ausgezeichnete 
Wirkung bei Infektionen der Gallenwege beobachtet. Eitrige Cholan¬ 
gitis (durch Hepeticusdrainage kontrolliert) reinigt sich nach 2—3 Ein¬ 
spritzungen; Fälle von katarrhalischer Gelbsucht, wenn die Ursache 
tatsächlich eine ascendierende Cholangitis ist und keine akute Hepa¬ 
titis (direkte oder indirekte Diazoreaktion im Serum) heilen nach einigen 
Injektionen. Am auffallendsten war aber die Wirkung bei Krampf- 
rezidiven nach Gallensteinoperationen. Diese Wirkung scheint die 
Auffassung von Poppert zu bestätigen, der diese Krämpfe für Cholan- 
gitiden hält, als Zeichen der alten schlummernden und zeitweise auf¬ 
flackernden Infektion; vorausgesetzt muß natürlich sein, daß eine 
radikale Operation mit Choledochuseröffnung vorausgegangen ist und 
Steine, Striktur oder ein übersehenes Magengeschwür auszuschließen 
sind. Es folge eine Krankengeschichte. 

Frau E. leidet seit 15 Jahren an in Abständen von 1—2 Jahren, in letzter 
Zeit alle 4—6 Wochen wiederkehrenden typischen Gallensteinkoliken, die zweimal 
Gelbsucht verursachten. Die Operation zeigte eine Gallenblase, die mit dicker 
narbiger Wand in Netz eingehüllt, mit dem Magen und Duodenum in großer 
Ausdehnung verwachsen war und ungefähr 30 linsen- bis haselnußgroße gemischte 
Steine enthielt; 4 facettierte Steine im Choledochus. Sehr trübe Galle, voll eitriger 
Klumpen. T-Drain, Bauchwandnaht. Entlassung nach 4 Wochen mit verheilter 
Wunde. Nach einem Jahr Wiederaufnahme mit 39° Fieber, Schüttelfrost, Leber¬ 
rand 3 Querfinger breit unterhalb des rechten Rippenrandes, geschwollen, 
sehr druckempfindlich. Subikterische Sclera. Entfieberung auf 2 Urotropinein¬ 
spritzungen, wird nach einer Woche beschwerdefrei entlassen. Nach weiteren 
8 Monaten neuerlicher Krampf mit erhöhter Temperatur, jedoch im allgemeinen 
viel mUderen Symptomen, die nach einmaliger Injektion verschwinden. Seit 
einem Jahre nach der letzten „Rezidive“ ganz fceschwerdefrei. 

Harnwege. Die ausgedehnteste Anwendung des Urotropins findet 
auch heute auf diesem Gebiete zur Desinfektion des Urins statt (Jordan, 
Hinman, Simon). Doch nimmt die intravenöse Einführung des Mittels 
in der Urologie nicht ihren gebührenden Platz ein, obwohl die Be¬ 
handlung der Pyelitis und Cystitis besonders zur raschen Desinfektion 
vor dringlichen Operationen sehr aussichtsreich erscheint. Unsererseits 
wurde vor jeder Operation an den Hamwegen eine Einspritzung ge¬ 
macht; weitere Untersuchungen von spezialistischer Seite wären er¬ 
wünscht. 

Eine sehr gute Wirkung wurde außerdem bei der Behandlung post- 
operativer Blasenlähmungen erzielt. Während unseren diesbezüglichen 
Versuchen erschien die Mitteilung von Vogt, der sich in gleichem Sinne 
äußert. Die Urinretention, die nach gynäkologischen und Rectum- 
operationen, aber auch nach Hernien, Bauchoperationen, oder über¬ 
haupt nach jeder Narkose auftreten kann, wird durch eine Urotropin- 


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Über die Wirkung intravenöser Urotropineinspritzungen. 


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einspritzung beseitigt. Die einzige Nebenwirkung des Mittels, der Urin¬ 
drang, gab uns den Gedanken zu diesem therapeutischen Eingriff. Das 
Formaldehyd, das während der Urinretention mit der Blasenschleimhaut 
in längere Berührung kommt, erzielt durch die Beizung des para- 
sympatischen N. pelvicus die Kontraktion des M. detrusor vesicae und 
erschlafft gleichzeitig den durch den Sympathicus innervierten Blasen- 
sphincter. Die Wirkung äußerte sich in 1—2, spätestens 5—8 Stunden 
in spontanem Urinieren und dient gleichzeitig zur Verhütung post- 
operativer Blasen- und Nierenbeckenentzündung. Der Erfolg war in 
etwa 60 Fällen prompt, ausgenommen die durch Hysterie bedingten 
Fälle. Diese hysterischen Blasenlähmungen, die manchmal durch den 
ganzen Krankensaal wandern und jeder Behandlung (Thermophor, 
Aufsetzen, Aufstehen) trotzen, können nur suggestiv behandelt werden 
und deutet die Wirkungslosigkeit des Urotropins gerade auf hyste¬ 
rischen Ursprung. 

Akute und chronische 'pyogene Blutinfektionen. Der Zeitpunkt, wann 
eine örtliche pyogene Infektion allgemein wird, ist schwer zu sagen, 
ist es doch bekannt, daß bei lokaler Infektion, ohne sonstigen Befund 
der allgemeinen Sepsis positive bakteriologische Befunde im Blute zu 
erhalten sind. Ob eine plötzliche Überschwemmung des Organismus 
mit großen Mengen von Bakterien oder deren Produkte oder die Er¬ 
schöpfung der Abwehrkräfte des menschlichen Körpers dem Zeitpunkte 
entspricht, was wir klinisch eine allgemeine Blutinfektion, Septico- 
pyämie, nennen, kann hier näher nicht erörtert werden. Tatsache ist, 
daß typische Symptome (Schüttelfrost, Brechreiz, Fieberkurve, Aus¬ 
schläge, Blutungen) und gleichzeitig nachweisbar große Mengen von 
Bakterienkolonien im Blute das gut abgegrenzte Krankheitsbild der 
pyogenen Blutinfektion abgeben (Buzello). Daß neben der radikalsten 
örtlichen Behandlung und der Aufsuchung entfemster Metastasen auch 
ein Bedürfnis der Bekämpfung der eigentlichen „Blutvergiftung“ be¬ 
steht, zeigen die vielen Metall- und Farbstoffverbindungen, die zu 
diesem Zwecke empfohlen wurden. Buzello berichtet über sehr guten 
Erfolg bei 18 mit Urotropin behandelten Fällen. Wir geben seit zwei 
Jahren bei jedem mit allgemeiner Sepsis drohenden Fall Urotropin. 
Die Beurteilung der Wirkung ist sehr schwer, und daß bei ausgedehnten 
Organdegenerationen (Herz, Niere, Leber) nicht mehr zu helfen ist, 
ist klar. Aber oft hat man den Eindruck, daß der ganze Prozeß in 
eine andere Richtung gelenkt wurde, nach 1—2 Einspritzungen ändert 
sich plötzlich das subjektive Befinden der Kranken, das Aussehen der 
Granulationen wird gesund. Es erfolgt eine richtige „Umstimmung“ 
des Organismus. Objektiv ist die Verringerung und Verschwinden der 
Bakterienkolonien im Blute nachweisbar. Seit Monaten fieberndes, mit 
schwerer Thrombophlebitis eingeliefertes Kind, entfiebert in 3 Tagen 


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Gr. von Takäts: 


und heilt endgültig. Allgemeine Sepsis, von eitriger Fußgelenksentzün- 
dung stammend, mit metastatischem periostalen Absceß an der Rippe, 
bessert sich trotz radikaler örtlichen Behandlung nicht, heilt auf Uro¬ 
tropin. Wanderndes Rumpferysipel, das trotz mehrmaliger Caseosan- 
ein8pritzungen und örtlicher Umspritzung mit Rivanol immer weiter¬ 
schreitet, heilt endgültig auf 2 Einspritzungen. Meinerseits möchte ich, 
bis wir kein besseres Mittel kennen, das unschädliche und zweifellos 
wirksame Urotropin in jedem Falle von Sepsis versuchen. 

Erstaunliche Wirkung erzielte ich bei 4 Fällen monatelang be¬ 
stehender Furunkulose. Nach 3—4 in täglichen Intervallen gegebenen 
Einspritzungen trockneten die Furunkel aus, neue bildeten sich nicht 
und in durchschnittlich 10 Tagen tritt völlige Heilung ein. Die Erfolge 
von Sacka bei tiefem Trychophytiasis konnten wegen Mangel an ent¬ 
sprechendem Material nicht nachgeprüft werden. 

Zusammenfassend möchten wir die Wirkung der intravenösen Uro¬ 
tropineinspritzungen folgendermaßen deuten: 

1. Wirkt bakterientötend und hemmend durch das im angegriffenen 
Gewebe — bei lokaler Acidose — in statu nascendi sich bildendes Formal¬ 
dehyd. 2. Das Ammonia und das ungespaltene Urotropin verschlechtert 
die Wachstumsverhältnisse der Bakterien durch Schädigung des Nähr¬ 
bodens. 3. Als hypertonische Lösung fördert es den Austausch des Wassers, 
der Salze und Kolloide zwischen Blut und Gewebssaft, steigert die Re¬ 
sorption und erhöht die Urinmenge. 4. Als stark alkalische Lösung könnte 
eine Beeinflussung der allgemeinen Acidose in Frage kommen. 

Klinisch hat sich das Mittel bewährt vor Operationen an den Hirn¬ 
häuten, Gallenwegen und Hamwegen zur Verhütung der Infektion-, bei 
Hirndrucksteigerurig — falls sie durch Flüssigkeitsansammlung beding! 
ist — zur temporären Verringerung derselben, zur Beseitigung der post¬ 
operativen Blasenlähmung und endlich bei der Behandlung pyogener 
Blutinfektionen neben gründlicher lokaler Behandlung. 


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(Aus der II. chirurgischen Universitätsklinik in Wien [Vorstand: Hofrat'Prof. 

Dr. J. Hochenegg].) 

Die Oesophago-Gastro-Anastomose nach Heyrovsky 
im Röntgenbild. 

Ein Beitrag zum funktionellen Verhalten der Speiseröhre und des 
Magens nach der Operation. 

Von 

Dr. Josef Palugyay, 

Leiter des Röntgenlaborstoriums der Klinik. 

Mit 3 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 16. Mai 1923.) 

Obzwar mit unblutigen therapeutischen Maßnahmen in vielen Fällen 
von Cardiospasmus eine weitgehende Besserung, in manchen Fällen 
auch eine Dauerheilung erzielt werden kann, bleibt doch eine große 
Reihe von Fällen übrig, welche jedem Dilatationsverfahren trotzen 
und bei denen auch die extramuköse Plastik nach Heller nicht zum 
Ziele führt. In diesen Fällen kann wohl nur das operative Verfahren 
zu einer dauernden Behebung der Passagestörung führen. Abgesehen 
von den Fällen von reinem Cardiospasmus, bei denen die Behinderung 
des Durchtrittes von Speisen durch die Kardia funktioneller Natur ist, 
kommen Fälle in Betracht, bei denen die Passagestörung durch post- 
ulcerative Narbenstenose oder durch eine andere organische Verände¬ 
rung an der Kardia bedingt ist. Bei diesen Fällen kommen operative 
Methoden in Betracht, welche mit Ausschaltung des kardialen Weges 
eine neue Verbindung zwischen Oesophagus und Magen herstellen. 
Dazu stehen bisher 2 Operationsarten zur Verfügung: Die Oesophago- 
Gastro-Anastomose nach Anschiitz und Sauerbruch, mit Verlagerung des 
Magens in die linke Pleurahöhle und die subphrenische Oesophago- 
Gastro-Anastomose nach Heyrovsky. Die erstere hat bisher keine be¬ 
friedigenden Resultate ergeben. Mit der Methode nach Heyrovsky hin¬ 
gegen sind einwandfreie Resultate erzielt worden. Wenn auch erst 
einige Angaben in der Literatur vorliegen ( Heyrovsky 2 Fälle; Einer 
1 Fall; Schnitzler 1 Fall; Enderlen 1 Fall; Finsterer 2 Fälle; Sauerbrudi 
3 Fälle; letzterer mit 1 Todesfall, die übrigen ohne Mortalität), so ist das 
Ergebnis doch als ein günstiges anzusehen, und zwar um so mehr, da 


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J. Palugyay: Die Oesophago-Gastro-Anastomose nach Heyrovsky. 555 


es sich um lauter Fälle handelte, bei denen alle übrigen therapeutischen 
Maßnahmen versagten. 

Auf die Operationstechnik der subphrenischen Oesophago-Gastro- 
Anastomose nach Heyrovsky möchte ich an dieser Stelle nicht näher 
eingehen und verweise auf die einschlägige Literatur ( Heyrovsky , Arch. 
f. klin. Chir. 100, H. 3, 1913). Hervorheben möchte ich, daß die Oeso¬ 
phago-Gastro-Anastomose nach Heyrovsky auch das Schlucken von grö¬ 
ßeren kompakten Bissen ermöglicht. 

Auf einen Nachteil weist Finsterer hin, nämlich, daß bei stärkerer 
Füllung des Magens und vermehrter Peristaltik die Speisen, durch die 
offenstehende Anastomose, regurgitiert werden, besonders wenn sich 
der Patient in Horizontallage befindet. Daß dieser Nachteil nicht in 
allen Fällen vorhanden sein muß, glaube ich an der Hand des nachstehen¬ 
den Falles beweisen zu können. 

F. S., 34 Jahre alte Ehefrau. Spitalsaufnahme den 16. X. 1922. Prot.-Nr. 
744/22. 

Anamnese: Familienanamnese ohne Belang. Keine Kinderkrankheiten. Pat. 
war bis zu ihrem jetzigen Leiden immer gesund. Seit ungefähr 8 Jahren hat Pat. 
Beschwerden beim Schlucken. Sie hat das Gefühl, daß die Speisen den Oesophagus 
bis zu einer bestimmten Stelle passieren, und dann steckenbleiben. Nach ihrem 
Gefühl befindet sich diese Stelle in der Höhe des Processus xyphoideus. Durch 
Nachtrinken von Wasser wurden die Speisen stets weiterbefördert. Niemals Er¬ 
brechen. Die Beschwerden bestehen dauernd, nehmen konstant an Intensität 
zu. Appetit ist gut, trotzdem hat Pat. in den letzten Jahren viel an Gewicht ver¬ 
loren. Vor 2 Monaten 3 Wochen hindurch erfolglose interne Behandlung. Nun 
wurde Pat. der Klinik überwiesen zwecks Operation durch Prof. Heyrovsky . 

Status praesens: Kleine schwächliche Pat., von reduziertem Ernährungs¬ 
zustände. Keine tastbaren Drüsen, kein ödem. Himnerven frei. Lungen und 
Herz ohne pathologischem Befund. Bauchdecken etwas eingesunken. Reflexe 
sehr lebhaft. Leber und Milz nicht palpabel, perkutorisch nicht vergrößert. 

Läßt man die Pat. schlucken, so scheint die Speise zunächst anstandslos 
zu passieren, die Pat. ist imstande 3 Brötchen zu essen; sofort nach Aufnahme der 
Nahrung klagt sie über einen unangenehmen Druck in der Magengegend. Die 
Pat. nimmt dann, in kleinen Portionen, Wasser und nach eigentümlichen, an¬ 
strengenden Würgakten verschwindet dieser Druck, als Zeichen, daß die Speise 
in den Magen gelangte. 

Röntgenbefund am 20. X. 1922: Bogenförmige Verbreiterung des Mediastinal- 
schattens nach rechts, in der Höhe des rechten Aorten-Vorhofbogenwinkels. Nach 
Füllung der Speiseröhre mit Kontrastflüssigkeit ergibt sich, daß die Verbreiterung 
des Mediastinalschattens durch die dilatierte, geschlängelte, elongierte Speiseröhre 
bedingt ist. Sowohl Kontrastflüssigkeit als auch Kontrastbrei oder Kontrastpaste 
bleibt an der Kardia stecken. Die Kardia selbst ist vollkommen geschlossen. Erst 
nach stärkerer Füllung und Erhöhung des intrathorakalen Druckes durch Pressen, 
wird der ganze Inhalt des Oesophagus auf einmal in den Magen befördert. Der 
oesophageale und auch der ventrikuläre Kontur der Kardia ist vollkommen scharf 
und glatt. Der subphrenische Abschnitt der Speiseröhre ist elongiert und stärker 
gebogen, so daß der Speiseröhren-Magen-Winkel stumpfer als der normale ist. 
Auch der thorakale Speiseröhrenabschnitt ist geschlängelt und mittelstark di- 
latiert. 


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J. Palugyay: 


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In der Beckenhochlage erreicht die Kontrast masse, bei gutem Tonus der 
Speiseröhre und lebhafter Peristaltik, die Kardia anstandslos im normalen Zeit¬ 
intervalle. 

Ergebnis der Untersuchung: Kardiospasmus, mit Elongation und Dilatation 
der Speiseröhre. Tonus der Speiseröhre normal (siehe Abb. 1). 

Operation am 24. X. 1922. Prof. Heyrovsky : Äthemarkose. Mediane Lapara- 
tomie. Der Magen etwas atonisch, tiefstehend. Mobilisierung des Oesophagus; 
zunächst Incision des Fascienringes und des Muskelschlauches im Zwerchfell. 
Schrittweise, fast unblutige Herabholung des Oesophagus in der Ausdehnung von 
mindestens &—7 cm. Der Oesophagus wird dann im Bereiche des Teiles, wo er 
in den Magen mündet, mit einem Halteband vorgezogen und in dieser Stellung fest¬ 
gehalten. Sodann wird der obere Anteil der Speiseröhre mit dem Zwerchfellschlitz 
wieder vernäht. Schließlich wird, nach genauer, sorgfältiger Abdichtung, eine 
6 cm lange Anastomose zwischen dem nun subdiapliragmalen Oesophagusantcil 

und der oberen Funduspartie des 
Magens angelegt. Dreischichtige, hin¬ 
tere Naht (die Muskulatur des Oeso¬ 
phagus mindestens 4—5 mm dick). 
Ecknähte. Der Verschluß der Vorder¬ 
wand wie bei einer Gastro-En tero- 
Anastomose in 2 Schichten. Der un¬ 
tere Anteil wird mit einem Anteil des 
kleinen Netzes überdeckt. Der obere 
Anteil der Anastomose wird mit einer 
Naht, die den Magen, den Oesophagus 
und das Zwerchfell ein bezieht, nach 
oben fixiert. Die Blutung ist bei der 
Anlegung der Anastomose äußerst ge¬ 
ring, nachdem die wichtigsten Gefäße 
des Oesophagus und des Magens pro¬ 
phylaktisch unterbunden w orden sind. 
Der Vagus wurde links durchschnit¬ 
ten und nach aufwärts abgescho¬ 
ben. Der Oesophagus wurde bei der 
Operation vollständig leer befunden, nur aus dem Magen regurgitierte etwas 
Flüssigkeit, die sich aber nicht in die Abdominalhöhle ergießen konnte. Die obere 
Hälfte der Anastomose wird von dem breit nach links herüberragenden linken 
Leberlappen plombiert. Zum Schluß w r ird am horizontalen Anteil der Pars media 
des Magens eine Gastrostomiefistel angelegt. Bauchdeckennaht in 3 Etagen, bis 
auf die Fistel. Dauer l 1 /* Stunden. 

Dekursus: 25. X. 1922. Pat. hat den Eingriff gut überstanden. Nach der 
Operation kein Erbrechen, da der Gastrostomieschlauch präventiv offen gehalten 
wurde, um das Magensekret durch ihn herauszuleiten. Aus demselben Grunde 
Hochlagerung des Oberkörpers. 

27. X. 1922. Langsamer Temperaturanstieg bis 37,8. Infiltrationsherd im 
linken Lungenunterlappen. Ernährung durch die Gastrostomiefistel. Milch und 
Kakao 4 mal täglich je 450 g. 

29. X. 1922. Temperatur ständig zwischen 37 und 38. Expektoration reich¬ 
lich, nicht hämorrhagisch. 

31. X. 1922. Temperatur zur Norm abgefallen. 

1. XI. 1922. Entfernung der Nähte. Wundheilung p. p. 

5. XI. 1922. Per os verabfolgte Flüssigkeit passiert die Anastomose an¬ 
standslos. 



Abb. 1. Kardiospasmus in der Vertikalstellung 
vor der Operation (verkleinerte Photopause). 


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Die Oesophago-G<astro-Anastomose nach Heyrovsky im Röntgenbild. 557 

8. XI. 1922. Breiige Kost per os. 

11. XI. 1922. Feste Speisen per os. 

14. XI. 1922. Schließung der Gastrostomiefistel. 

24. XI. 1922. Bei andauerndem Wohlbefinden. Nahrungsaufnahme per os 
in Form von gemischter Kost, ohne Beschwerden. Geheilt entlassen. 

Röntgenbefund beim Austritt am 24. XI. 22: Untersuchung in 
Vertikalstellung: Sowohl Kontrastpaste als auch Kontrastbrei und 
Flüssigkeit passieren die Speiseröhre und die Anastomose anstandslos. 
Rascher Durchtritt der Kontrastmasse durch die breite Anastomose. 
Der Magen ist etwas längsgedehnt. Am Anfangsteil des canalis egesto- 
rius (pars pylorica) eine konstante Einschnürung der großen Kurvatur 
(Gastrostomienarbe). Die Dilatation und Elongation der Speiseröhre 



Abb. 2. Funktion der Oesophago-Gastro-Ana- 
jl stomose nach Heyrovsky in Vertikalstellung 
(verkleinerte Photopause). 



hochlagerung mit Oesophago-Gastro-Aana- 
stomose. Kein Rückfluß in die Speiseröhre 
(verkleinerte Photopause). 


ist, im Vergleich zu dem Befunde vor der Operation, vermindert (s. 
Abb. 2). 

In der Beckenhochlage gelangen Kontrastmassen aller Konsistenzen 
im normalen Zeitintervall vom Mund bis an die Kardia und werden 
anstandslos durch die Anastomose in den Magen befördert. Auch bei 
stärkerer Füllung des Magens (über 1 j 2 1 Kontrastbrei) findet keine 
Regurgitation aus dem Magen in den Oesophagus statt. Es sind am 
oesophagealen Kontur der pars cardiaca ventriculi konstant 2 Fortsätze 
der Fundussilhouette nachweisbar (s. Abb, 3). Der caudale Fortsatz 
entspricht der Kardia; der kraniale Fortsatz entspricht der Anasto¬ 
mose; letzterer wechselt konstant seine Länge und Form. 

Ergebnis der Untersuchung: Gute Funktion der Oesophago-Gastro- 
Anastomose. Keine Regurgitation vom Magen in die Speiseröhre, auch 
nicht bei negativem hydrostatischem Druck. 


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558 


J. Palugyay: 


Wenn wir uns nun die Frage vorlegen, wodurch in diesem Falle die 
Regurgitation von Speisen auch in Beckenhochlage, also bei einem 
hydrostatischen Druck, welcher vom Magen gegen den Oesophagus zu 
gerichtet ist, verhindert wird, können wir die Ursache in mechanischen 
oder funktionellen Momenten suchen. Eine mechanische Verhinderung 
der Regurgitation von Speisen aus dem Magen in die Speiseröhre ist 
nach dem Röntgenbefunde mit allergrößter Wahrscheinlichkeit aus¬ 
zuschließen; in Betracht kommt eine Adhäsionsabschnürung oder eine 
Abknickung der Anastomose, die dadurch zustande kommen könnte, 
daß der Fundus des Magens in der Beckenhochlage in die Höhlung des 
linken Zwerchfellschenkels gleitet, wodurch sich der Winkel zwischen 
Magen und Speiseröhre verschärfen würde; doch müßte in diesem Falle 
auch die Passage aus der Speiseröhre in den Magen behindert, oder, 
zu mindest, wesentlich erschwert und dementsprechend auch verlang¬ 
samt sein. Das war aber nicht der Fall. Auch konnte bei der Röntgen¬ 
untersuchung in der Beckenhochlage beobachtet werden, daß der 
Fundus nur im Zusammenhänge mit dem Zwerchfellschenkel höher¬ 
rückte und mit beiden in gleichem Maße der Oesophagus. Daß sich an 
der Anastomose ein echter Sphyncter ausbilde, erscheint schon aus 
dem Grunde als äußerst unwahrscheinlich, da an der Kardia selbst 
kein echter Sphyncter nachweisbar ist. Wie weit im Sinne einer funk¬ 
tionellen Anpassung eine Verstärkung der Muskulatur eintreten kann, 
darauf möchte ich erst später zurückkommen. 

Am wahrscheinlichsten erscheint es mir, daß die gegen den Magen 
zu gerichtete Peristaltik des Oesophagus bei gutem (vielleicht erhöhtem) 
Tonus, allein ausreicht, dem vom Magen gegen den Oesophagus zu ge¬ 
richteten hydrostatischen Druck vollwirksam entgegenzuwirken. 

Zur Begründung dieser Annahme muß ich ein wenig auf das normale 
funktionelle Verhalten der Speiseröhre bei negativem hydrostatischen 
Druck eingehen. 

Bei den zahlreichen Versuchen, welche ich ausführte, konnte ich 
die Beobachtung machen, daß bei Individuen, bei denen der Tonus 
der Speiseröhre ein guter ist, Speisen jeder Konsistenz auch dann durch 
die Speiseröhre und durch die Kardia in den Magen gelangen, wenn die 
Passage entgegen der Wirkungsrichtung der Schwerkraft zu erfolgen 
hat. Und zwar gelingt dies bis zu einer Neigung des Körpers von 50—60° 
zur Horizontalen (wenn der Kopf nach unten und das Becken hoch¬ 
gelagert ist). Erst wenn der Neigungswinkel des Körpers zur Hori¬ 
zontalen einen Winkel von 50— 60° überschreitet, wird auch bei Zu¬ 
nahme der peristaltischen Tätigkeit der Oesophagusmuskulatur die 
Speise, welche in einem Schluck in den Oesophagus gelangte, nicht mehr 
über die Mitte des thorakalen Oesophagusabschnittes weiterbefördert. 
Erst wenn durch reichliche Zuführung von Kontrastmasse ein Bissen 


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Die Oesophago-Gastro-Anaatomose nach Heyrovsky im Röntgenbild. 559 

den anderen in der Speiseröhre so weit vorschiebt, daß die Spitze der 
Kontrastsäule bis in den subdiaphragmalen Oesophagusabschnitt 
hinabreicht, gelangt Kontrastmasse in den Magen. Die Erregbarkeit 
und Intensität der Oesophagusperistaltik wächst von oben nach unten 
kardiawärts (Kahn). Zu einer Regurgitation von Speisen aus dem 
Magen in die Speiseröhre kommt es auch in der Beckenhochlage nicht, 
selbst wenn der Magen schon sehr stark gefüllt ist. Nochmals möchte 
ich hervorheben, daß diese Beobachtungen Fälle betrafen, bei denen 
ein guter Tonus und lebhafte Peristaltik der Speiseröhre nachzuweisen 
war. 

Im Gegensatz zu diesem Verhalten konnte ich in Fällen, bei denen 
ein gestörter Tonus (Peristole) der Speiseröhre vorhanden war und bei 
denen bereits bei der Durchleuchtung in Vertikalstellung die von 
Holzknecht und Olbert für die Speiseröhrenatonie als charakteristisch 
angegebenen Symptome, nachweisbar waren, in manchen Fällen schon 
in Horizontallage den Kontrastbrei, wenn er verschluckt war, nicht bis 
in den Magen gelangen sehen. In den meisten Fällen gelangte er nur bis 
in die Höhe der Trachealbifurkation. In Beckenhochlage konnte ich 
in keinem Falle, bei dem eine Speiseröhrenatonie vorlag, den Kontrast¬ 
brei über den thorakalen Speiseröhrenabschnitt hinauswandem sehen. 
Bei höheren Graden von Oesophagusatonie, wie sie besonders häufig 
bei Kardiospasmus mit starker Dilatation der Speiseröhre zu beobachten 
sind, bleibt der verschluckte Kontrastbrei meist schon im Halsteil der 
Speiseröhre liegen. 

Nun konnte ich aber auch in Fällen von Speiseröhrenatonie, bei 
denen eine unbehinderte Kardiafunktion vorlag, auch beobachten, daß 
bei stärkerer Füllung des Magens der Kontrastbrei in Beckenhochlage 
des Patienten aus dem Magen in die Speiseröhre regurgitierte. 

Endlich muß ich noch einer Beobachtung Erwähnung tun, nämlich, 
daß nur in den Fällen von Kardiospasmus, bei denen nebst der Quer¬ 
dehnung vorwiegend eine Längsdehnung und Schlängerung der Speise¬ 
röhre vorlag (unter 18 beobachteten Fällen von Kardiospasmus in 3 Fällen, 
keine Symptome für Atonie nachweisbar waren. 

Auch in vorliegendem nach Heyrovsky operiertem Falle konnte ich 
im Stehen das Holzknecht-Olbert sehe Symptom nicht beobachten, und 
auch in der Beckenhochlage gelangte der Kontrastbrei anstandslos in 
den Magen. Alle übrigen 15 Fälle von Kardiospasmus, bei denen eine 
mehr oder minder hochgradige Dilatation der Speiseröhre ohne Elon¬ 
gation und Schlängelung bestand, wiesen eine ausgesprochene Atonie 
der Speiseröhre auf. 

Nun ist es auffallend, daß gerade in vorliegendem Falle, bei dem 
es sich um eine orthotonische Speiseröhre handelt, nach der Operation 
auch bei stärkerer Füllung des Magens nicht nur in der Horizontallage, 


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560 J- Palugyay: Die Oesopi) ago-Gastro-Anastomose nach Heyrovsky. 

sondern auch in Beckenhochlage des Patienten keine Regurgitation 
aus dem Magen durch die Anastomose erfolgt. Die Annahme liegt wohl 
nahe, daß die durch die Anastomose in den Oesophagus regurgitierten 
Speisen sofort von der Peristaltik des Oesophagus erfaßt und in den 
Magen zurückgedrängt werden. Daß die Speisen nicht schon im Magen, 
sondern erst beim Eintritt in den untersten Abschnitt der Speiseröhre 
zurückgehalten werden, zeigt auch das Röntgenbild (Abb. 3). Auch 
bei der Durchleuchtung konnte der auf Abb. 3 sichtbare, in den Oeso¬ 
phagus ragende Zapfen in konstant wechselnder Form und Länge nach¬ 
gewiesen werden. 

Vielleicht kann es bei einem Oesophagus mit normalem Tonus 
nach der Operation sogar zu einer hypertonischen Einstellung der Oeso- 
phagusmuskulatur kommen im Sinne einer funktionellen Anpassung. 
Ein Analogon sehen wir im Jejunum nach Gastro-Entero-Anastomosen. 
Besonders in Fällen, bei denen eine rasche Entleerung des Magens durch 
die Anastomose erfolgt, kommt es alsbald zu einer Dilatation und 
Hypertrophie des abführenden Anastomosenschenkels und 10—15 cm 
aboral von der Anastomose zu einer starken ringförmigen Kontraktion 
des Dünndarmes; mit der Zeit bildet sich sogar ein Muskelring aus 
(Pseudosphyncter). 

Wie weit nun außer der Anpassung des Oesophagustonus auch eine 
funktionelle Anpassung der Magenwandmuskulatur an der Anastomose 
eine retardierende Rolle spielt, wird sich erst durch autoptische Be¬ 
funde feststellen lassen. Ebenso werden die Beobachtungen in vorliegen¬ 
dem Falle an der Hand eines größeren Beobachtungsmateriales und 
durch autoptische Befunde ihre Bestätigung finden müssen. 

Jedenfalls sprechen die Beobachtungen des physiologischen funk¬ 
tioneilen Verhaltens der Speiseröhre und die Beobachtungen bei ge¬ 
störtem Speiseröhrentonus im Zusammenhänge mit den Beobachtungen 
in vorliegendem Falle dafür, daß die von Finsterer hervorgehobenen 
unangenehmen Erscheinungen der Regurgitation von Speisen durch 
die Oesophago-Gastro-Anastomose, in Fällen, bei denen keine Atonie 
der Speiseröhre vor der Operation zu beobachten ist, zumindest selten 
zu erwarten sind. 


Literaturverzeichnis. 

Heyrovsky, Arch. f. klin. Chirurg. IM, Heft 3 (daselbst weitere Literatur). — 
Finsterer, Wien. klin. Wochenschr. 1922, (daselbst weitere Literatur). — Holz- 
knecht und Olbert, Zeitschr. f. klin. Med. Nr. 71, Heft 1/2. 


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(Aus der I. Chirurgischen Universitätsklinik [Professor v. Eiseisberg] und aus dem 
Neurologischen Institut [Professor Marburg ] in Wien.) 

Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis unter dem 
Bilde des Hirntumors und ein Beitrag zu ihrer Ätiologie. 

Von 

Dr. Rudolf Demel, 

Assistent der L Chirurgischen Klinik. 

Mit 3 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 18. Mai 1923.) 

Es war niemand anders als BiUroth, welcher als Erster den Begriff 
der Meningitis serosa aufstellte, als er im Jahre 1869 zwei Patienten — 
den einen nach einer Kniegelenksresektion, den zweiten nach einer ein¬ 
fachen Strumaoperation — kurz nach der Operation an akuten menin- 
gealen Symptomen verloren hat, wobei die Autopsie ein akutes Hirn¬ 
ödem resp. einen serösen Erguß in den Meningen feststellen konnte. 
Solche Veränderungen sind dann viel später, zuerst an den Rücken¬ 
markshäuten beobachtet worden, da eine ganze Reihe von Autoren, wie 
Schlesinger, Bruns, Mendel de Montet, Munro, Horsley, Spiller, Hilde¬ 
brandt und Schuster, Mingazzini u. a., sich mit diesem Krankheits¬ 
prozeß, soweit er auf die Rückenmarkshäute beschränkt war, eingehend 
beschäftigt hat. Durch diese Arbeiten wurde die Kenntnis der Meningitis 
serosa wesentlich gefördert und es gelang außerdem bald, eine Form 
derselben — die Meningitis serosa spinalis circumscripta — genau zu 
umschreiben, wobei auf deren Symptomatologie und die Differential¬ 
diagnose besonders gegenüber dem Rückenmarkstumor hingewiesen 
wurde. Immerhin gelten erst Oppenheim und Krause als die eigentlichen 
Begründer der Lehre von der Meningitis circumscripta spinalis, nachdem 
sie im Jahre 1906 die Meningitis (Arachnitis) chronica serosa circum¬ 
scripta cystica sowohl in differentialdiagnostischer als auch in thera¬ 
peutischer Hinsicht genau beschrieben haben. Im Krieg haben dann 
Eiseisberg, Marburg und Ranzi, Krüger, Maus auf die Erkrankung bei 
den Kriegsschädigungen des Rückenmarks hingewiesen, wobei auch 
die verschiedenen Symptomenbilder, welche diese posttraumatischen 

Archiv f. klln. Chirurgie. 125. 


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562 


R. Demel: Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 


circumscripten Meningitiden je nach ihrer Lokalisation hervorgerufen 
haben, eine ausführliche Beschreibung fanden. 

Andererseits mußte aber die einfache Feststellung sehr auffallen, 
daß bei einigen Fällen, welche unter der Diagnose Tumor eerebri operiert 
wurden, die Autopsie nichts finden konnte und man war deshalb ge¬ 
zwungen, auch dieser Frage die größte Aufmerksamkeit zu schenken, 
denn die bisherige Auslegung „Pseudotumor (Nonne)“ oder „Spontan¬ 
heilung des Tumors“ konnte nicht mehr befriedigen. Und es haben in der 
Tat, bald nachdem durch Oppenheim und Krause das Bild der Meningitis 
(Arachnitis) serosa circumscripta spinalis bekannt geworden ist, Krause 
und Placzek im Jahre 1907 eine Arachnoidalcyste der hinteren Schädel¬ 
grube beobachtet und dadurch das Interesse auf einen analogen Prozeß 
in den Meningen des Gehirns gelenkt. Erst durch die Publikation von 
Krause und Placzek sind dann auch andere, schon früher beobachtete 
Fälle richtig gedeutet worden. So wurde der schon früher veröffentlichte 
Fall von Frazier nachträglich als eine Cyste am Angulus cerebellopon- 
ticus erkannt, und es wurde angenommen, daß auch bei einigen Fällen 
von Henneberg, Strümpell, Hoppe, Nonne, Grasset, Finkelnburg und 
Eschbaum es sich statt um einen Pseudotumor um eine Meningitis serosa 
gehandelt haben dürfte, worauf auch schon Schwarz hinweist. Es dauerte 
nicht lange und von vielen Seiten (Alexander, Axhausen, Bacheliier. 
Beck, Bing, Borchardt, Boucher- Bouget, Claude, Dana Eisberg , v. Eiseis¬ 
berg, Emerson, Finkeistein, Fischer, Frazier, Garei, Gerhardt, Haike, Herz, 
Herzfeld, Hildebrand, Jaboulay, Klebeisberg, Macewen, Muskens, Myss- 
lowskaja, Nordmann, Oppel, Oppenheim, Payr, Ptchadre, Perthes, Pittei¬ 
stein, Quincke, v. Sarbo, Sargnon, Vignard, Weill) sind zahlreiche Beiträge 
über die Meningitis serosa circumscripta cerebralis geliefert worden, so 
daß dieselbe sowohl vom pathologisch-anatomischen Standpunkt als 
auch in klinischer Hinsicht eine gründliche Bearbeitung erfahren hat. 
Es folgten dann Arbeiten von Quincke, Boenninghaus, Raymond und 
Claude im Jahre 1909 und ein Bericht von Wendel am Chirurgen- Kongreß 
in Berlin 1912, an welchen sich eine interessante Diskussion angeschlossen 
hat. Die Einzelbeobachtungen sind dann in der Abhandlung von Zesas 
über Ätiologie und Behandlung der Meningitis serosa circumscripta cere¬ 
bralis aus dem Jahre 1913 und in einer Diskussion von Bachellier über 
Meningitis serosa circumscripta cystica aus demselben Jahr zusammen¬ 
gestellt worden, welcher den Fällen aus der Literatur, die bereits von 
Zesas erwähnt wurden, noch Fälle aus der französischen Literatur ange¬ 
schlossen hat. Die letzten Fälle der Meningitis serosa circumscripta 
cystica hat Schultheiß aus der Literatur in seiner Arbeit aus dem Jahre 
1920 zusammengetragen, in welcher neben der Pathogenese und Ätiolo¬ 
gie auch die Liquorbildung eingehend besprochen ist. Ich möchte diesen 
Fällen noch die Beobachtung von Meyer und von Benders-Neuwenhttyse 


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unter dein Bilde des Hirntumors und ein Beitrag 1 zu ihrer Ätiologie. 563 

an&chließen. Um Wiederholungen zu vermeiden, soll hier nicht weiter 
au| die Literatur eingegangen werden und auf das von Schultheiß sorg¬ 
fältig zusammengesetzte Literaturverzeichnis hingewiesen werden. 

[Einen allgemeinen Eindruck über die recht interessante Erkrankung 
der Meningen erhalten wir am schnellsten, wenn wir die bekannten Fälle 
der Literatur kurz zusammenstellen. Wenn wir den Fall von Haicke 
(zit, nach Schultheiß) mit der vermutlichen Liquorabsackung nach Stirn¬ 
höhleneiterung und den Fall von Jaboulay (zit. nach Bacheliier ), bei 
welchem sich zwar keine Adhäsionen an den Meningen beschrieben finden, 
bei dem wohl aber eine reichliche Liquoransammlung nach Durainzision 
bloßgelegt wurde, den übrigen Fällen von Meningitis serosa circumscripta 
cystica dazu zählen, dann gelangen wir zu folgenden Zahlen: 


1 

Lokalisation 


Operierte Fälle, davon 


a 

4» 


Großhirn 

Hintere 

Schädelgrube 

Operiert 

geheilt 

gebessert 

nicht 

gebessert 

gestorben 

Nicht operie 

U 

O 

+* 

ut 

tfi 

a 

o 

> 

CB 

Q 

Fälle zitiert nach Schultheiß . . 

17 

13 

24 

20 

2 

i 1 2 ) 

i*) 

6 

3 

Fall Meyer .: 

Fall Benders-Nieuwenhuyse . . 

1 

1 

1 

1 




1 

1 

Fälle zitiert nach Bachellier. . 

12 


10 

10 




2 

2 

Fälle zitiert nach Zesas 3 ) . . j 

2 

2 

4 

4 






Summa 

32 

16 

39 

35 

2 

i 

1 

9 

6 


48 









Schon aus dieser kleinen Tabelle geht hervor, daß die Meningitis 
serosa circumscripta cystica einen gar nicht so selten in den Meningen sich 
lokalisierenden Erkrankungsprozeß darstellt, welcher in einem Drittel 
aller Fälle sich in der hinteren Schädelgrube lokalisiert und sehr günstig 
operativ zu beeinflussen ist. Nach der obigen Zusammenstellung sind 
89,7% Heilungen nach der Operation zu verzeichnen, mit einer Opera¬ 
tionsmortalität von 2,5%, während die allgemeine Mortalität, wenn man 
die nicht operierten Fälle berücksichtigt, auf 14,5% steigt, was für die 
relativ ungünstige Prognose der Nichtoperierten spricht. 

Nach 'Marburg und Rami, Mam und Krüger besteht das Wesen der 
Meningitis serosa circumscripta cystica in einer scharf umgrenzten, zur 
Cystenbildung führenden Erkrankungsform der weichen Hirnhäute. Die 
Entstehung von Cysten führte Stroebe auf chronisch-entzündliche Pro¬ 
zesse in den Meningen zurück, wodurch es zu Verklebungen und 

1 ) Fall Hildebrand. 

2 ) Fall Raymond-Claude. 

3 ) Fälle, soweit sie bei Schultheiß nicht erwähnt sind. 

36* 


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564 


R. Deine): Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 


Verwachsungen des arachnoidalen und subarachnoidalen, nach Herde phy¬ 
siologisch wassersüchtigen Gewebes von lockerer Beschaffenheit mit der 
Pia kommt. An einzelnen Stellen verdichtet sich die Arachnoidea und 
teilt den Subarachnoidalraum in einzelne Kammer ab. Dadurch wird die 
Kommunikation eines umschriebenen Areales mit der Umgebung aufge¬ 
hoben, so daß der abgeschlossene Raum das Bild einer Cyste darbieten 
kann. Nimmt der seröse Inhalt in der Cyste weiter zu und ist außerdem 
noch die Resorption gehemmt, dann wird der Cysteninhalt schließlich 
unter einem Druck stehen und die Cyste auf die Umgebung drücken und 
allgemeine oder lokale Kompressionserscheinungen hervorrufen. Es kann 
sich bei diesem Prozeß um eine oder um mehrere Cysten von verschie¬ 
dener Größe handeln, welche evtl, miteinander kommunizieren und unter 
welchen das Gehirn auch normal beschaffen sein kann, wenn auch für 
gewöhnlich leichte Veränderungen sich vorfinden, auf die wir gleich zu 
sprechen kommen. Die Cysten sind gegenüber der Umgebung scharf ab¬ 
gegrenzt und ihre Wände entweder von den Meningen oder vom Gehirn 
und der angrenzenden Pia gebildet. Sie enthalten eine klare, seröse 
Flüssigkeit. Muskens hat aber auch Cysten beobachtet, deren Grenzen 
nicht immer scharf ausgesprochen und mit einem geleeartigen Inhalt 
gefüllt waren. Er bezeichriete sie als wandlose Cysten. Die Meningen 
über der cystischen Kavität zeigen eine Reihe von Veränderungen: Die 
Dura, die Arachnoidea und die Pia sind verdickt, sklerosiert, trüb, ge¬ 
spannt und hyperämisch. Ihre Gefäße vermehrt. — An der Peripherie 
gehen die Arachnoidea und Pia Verwachsungen ein. In den Adhäsionen 
sind Leukocyten- und Lymphocyteninfiltrationen. Dasselbe auch in 
den subarachnoidealen Maschen und längs der Meningealgefäße. Diese 
Infiltration kann mitunter so stark sein, daß Schultze, welcher im Jahre 
1887 über meningeale Symptomenkomplexe geschrieben hat, keine in¬ 
filtrativen Veränderungen der Hirnhäute, jedoch solche von Gefäßen 
gesehen und dieselben als Perivasculitis bezeichnet hat. Nach Marburg 
kommen an den Leptomeningen zweierlei Veränderungen vor: Die Me¬ 
ningen sind entweder stark mit Lymphocyten und Leukocyten infiltriert 
oder das Infiltrat fehlt und man hat das Bild eines mehr produktiven 
Prozesses vor sich, durch Verdichtung der Arachnoidalbalken hervor¬ 
gerufen. Die Meningitis serosa, bei der Marburg ebenfalls zweierlei Arten 
unterscheidet, erscheint entweder in Form einfacher Verwachsungen, 
Verklebungen oder fibröser Verpackungen oder in einer anderen Form, 
bei welcher die Cystenbildung im Vordergrund steht. 

Die Gehirnrinde ist entsprechend der Cyste eingedrückt und ist bald 
blaß, bald hyperämisch und zeigt neben abgeflachten Windungen sehr 
kleine Encephalitisherde in der Zone der großen Pyramiden und der 
polymorphkernigen Zellen bis in die weiße Substanz. Auch hier finden 
sich Leukocyteninfiltrate um die Gefäße, selbst in Fällen, in welchen 


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unter dem Bilde des Hirntumors und ein Beitrag- zu ihrer Ätiologie. 565 

man nur mikroskopisch geringfügige Veränderungen, makroskopisch 
jedoch keine Zeichen für die klinisch angenommene Meningitis finden 
konnte. Die Nervenzellen sind deformiert und die Neurogliafibrillen 
vermehrt. Es macht den Eindruck, als ob die Meningen durch Bildung von 
Adhäsionen das Leiden lokalisieren wollten. Es sind also an dieser Affek¬ 
tion sowohl die Meningen als auch das Gehirn beteiligt, so daß uns die 
meningealen und die cerebralen Syndrome erklärlich erscheinen (Meningo¬ 
encephalitis, Quincke-Boenninghaus). 

Die Bildung einer Cyste wäre die eine Form. Sie kann sich aber auch 
auf andere Weise äußern, nämlich in Form eines mehr oder weniger stark 
umschriebenen Ödems der Hirnhaut, wie es die Fälle von Axhausen, 
Raymond-Clavde und Bacheliier zeigen. Die Ansammlung von Flüssigkeit 
bei einem starken ödem der Arachnoidea kann mitunter so groß werden, 
daß sie die Form einer Cyste annehmen kann (Fall Perthes und Bing), 

Die Fälle von Placzek und Krause, Oppenheim und Borchardt , Unger , Frazier 
und Finkeistein zeigen, daß für die Entwicklung solcher seröser Cysten die prä- 
formierten Zisternen in der Schädelkapsel eine Prädilektionsstelle abgeben können, 
wenn eine abgelaufene Entzündung den Arachnoidealtrichter durch Adhäsionen 
gegen die Umgebung abgeschlossen hat. Die hintere Schädelgrube, welche schon 
normalerweise die große Cistema acustico-facialis und cerebello-raedullaris ent¬ 
hält, wird aus diesem Grunde von der Meningitis serosa circumscripta cystica 
oft bevorzugt. 

Zum Unterschied von der jetzt beschriebenen Form der Meningitis serosa, 
welche umschrieben ist, wäre noch auf jene diffuse chronische Form der Meningitis 
serosa aufmerksam zu machen, welche von Quincke 1893 und von Boenninghaus 
beschrieben wurde. Die beiden Autoren unterscheiden eine Meningitis serosa 
diffusa corticalis (externa) und ventricularis (interna). Die erste Form mit Sitz 
des entzündlichen serösen Ergusses im Subarachnoidalraum zeigt Hyperämie 
der Hirnhäute und Auswanderung von Leukocyten in die perivasculären Lymph- 
räume. Durch nachträgliche entzündliche Abkapselung solcher äußerer hydro- 
cephalischer Ergüsse, durch Adhäsionen oder durch Verschluß der abführenden 
Lymphbahnen können sich solche arachnoideale Bildungen entwickeln, welche 
lokale Druckerscheinungen wie ein Hirntumor erzeugen können. Diese Form, 
auch Hydrocephalus extemus oder Hydrops e vacuo genannt, findet sich bei 
meningitischen Prozessen mit Rindenatrophie, bei progressiver Paralyse, bei Arterio¬ 
sklerose, Sclerosis multiplex (Marburg), wo der nach Verlötung von Arachnoidal- 
räumen entstandene Raum ausgefüllt werden soll. Auch fötal abgelaufene Prozesse 
geben Anlaß zu solchen Hydromen ( Bostroem , Durante , Bokai und <FAstros), bei 
welchen es sich um Flüssigkeitsansammlungen an der Himkonvexität handelt, 
oft in solcher Menge, daß das Gehirn ebenfalls zusammengedrückt wird. Zum 
Unterschied von der Meningitis serosa corticalis findet sich bei der Meningitis 
serosa ventricularis (interna) die Ansammlung von seröser Flüssigkeit haupt¬ 
sächlich in den Hirnventrikeln. Das Gehirn und die Gehirnhäute sind an dem 
entzündlichen Prozeß nicht beteiligt. Nur nebenbei sei kurz bemerkt, daß nach 
Boenninghaus jede Meningitis in den Meningen beginnt und sich dann auf die 
Ventrikel fortsetzt. 

Bei der Beschreibung der entzündlichen Prozesse an den Meningen dürfen 
wir jedoch nicht der Gefäßschädigungen vergessen, welchen sicher eine Rolle zu¬ 
kommt, wie es den eingehenden Untersuchungen an Meningen nach Trauma zu 


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566 R. Demel: Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 

entnehmen ist, auf welche wir noch weiter unten bei Besprechung der Ätiologie 
der Meningitis serosa circumscripta näher eingehen werden. Hier sei nur bemerkt, 
daß auch Lövy, der ebenfalls verschiedene Formen der serösen Meningitis unter¬ 
scheidet, diese Differenz bald in einer diffusen Schädigung der weichen Hirn¬ 
häute, bald in einer rein funktionellen Gefäßschädigung suchen will, welche ihn 
veranlaßt, drei Stadien der Meningitis serosa auseinanderzuhalten, und zwar 
das Stadium der Gefäßreizung ohne anatomischen Befund, dasjenige der schweren, 
histologisch feststellbaren Gefäßschädigung und endlich jenes der plastischen 
meningealen Infiltration mit Gefäßschädigung. 

Nun wäre zu entscheiden, woher die Liquoransammlung kommt. Es 
ist bekannt, daß die normalen Meningen sehr schwer oder überhaupt 
nicht permeabel sind, so daß bei sonst normalen, angrenzenden Hirn¬ 
abschnitten eine abgesackte Liquoransammlung nicht entstehen kann. 
Diese ist nur möglich bei Erkrankung der Meningen, besonders mit Ge- 
fäßschädigung, wobei, wenn außerdem noch dazu die Abflußwege für 
den Liquor in den perivasculären Lymphräumen nicht erhalten sind, es 
ziemlich rasch zu zunehmender Druckerhöhung kommen kann. Die Tat¬ 
sache, daß der Cysteninhalt sich so weit vermehren kann, bis er unter 
einer starken Spannung steht, legt es nahe anzunehmen, daß unter diesen 
pathologischen Verhältnissen die Zellen der Cystenwand den Liquor 
produzieren. Denn es ist noch nicht festgestellt, ob die normale Pia 
Liquor liefert, und auch von der Gehimsubstanz und deren Gefäßen ist 
es ebenfalls noch nicht bekannt. In den Arbeiten von Jakob , Blumen¬ 
thal, Pötzl, Redlich, Hess und v. Jaksch wird erwähnt, daß die Liquorbil¬ 
dung an eine spezifisch sekretorische Funktion bestimmter Organe ge¬ 
bunden ist, für welche nach den Untersuchungen von Raubitschek, 
Joshimura, Wohlgemuth, Szecsi, Quincke, Ahrens, Luschka, Kramer, 
Kafka, Qoldmann und Schlüpfer nur der Plexus chorioideus und das Ven- 
trikelependym in Betracht kommen. Bouchut und Bouget, Birch, Hirsch¬ 
feld und Ziegler lassen die Cysten nach Hämorrhagien in der Pia resp. 
nach Resorption der Blutergüsse zwischen den Neomembranen der Dura 
entstehen. Außer bei entzündlichen Prozessen kommt es nach Grimbach 
auch bei Herzfehler, Nephritis und bei Stauung im Gebiete der Vena 
galeni durch Tumor der hinteren Schädelgrube zur Vermehrung des 
Liquors sowohl in den Subarachnoidalräumen als auch in den Ventrikeln. 

In der Ätiologie der serösen Meningitis circumscripta spielen neben 
anderen Ursachen vor allem das Trauma und die Infektion eine wichtige 
Rolle. 

Wie häufig nach einem Trauma meningeale Veränderungen auftreten, geht 
schon aus der Arbeit von Marburg und Ranzt, „Über Kriegsbeschädigungen des 
Rückenmarks“, hervor, in welcher darauf hingewiesen wird, daß unter den 
152 Fällen häufiger Veränderungen an den RUckenmarkshäuten als direkte Schä¬ 
digungen des Rückenmarks beobachtet wurden. Auch Maus-Krüger haben &n 
Kriegsverletzten bei 54 Laminektomien 23 mal circumscripte meningeale Iw* 
änderungen gesehen. Es liegen aber auch zahlreiche Beobachtungen vor, in denen 


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unter dem Bilde des Hirntumors und ein Beitrag zu ihrer Ätiologie. 567 

nach Kopftrauma eine seröse circumscripte Meningitis beobachtet wurde (Lind¬ 
berg, Bittorf, Minz, Stieda, Schüttze, Schlecht, Dümann). Auch Zesas hat unter 
den von ihm zusammengestellten 20 Fällen von Meningitis serosa circumscripta 
cerebralis in 6 Fällen das Trauma als auslöeende Ursache ansprechen können. 
Nicht immer kommt es aber zu einer umschriebenen Liquoransammlung, sondern 
oft entwickelt sich im Anschluß an ein Schädeltrauma ein chronisches ödem der 
weichen Hirnhäute häufig an der Contrecoup-Stelle der Großhirnhemisphäre. 
Uber derartige Beobachtungen berichten Axhausen, Mühsam, Krön, Seefisch 
und Ziegner. 

Für die Veränderungen an den Meningen nach einem Trauma kommen be¬ 
sonders die traumatischen Spätfolgen in Betracht, welche durch Gefäßveränderungen 
zu Zirkulationsstörungen führen. Als Folge der Zirkulationsstörung treten dann 
kleine Blutungsherde in den Meningen und im Gehirn auf, es kommt zur Aus¬ 
wanderung von Leukocyten und endlich zu einer milchigen Trübung und Ver¬ 
dickung der Meningen. Halten die Zirkulationsstörungen an der Himoberfläche 
länger an, dann kommt es zu Zerreißungen des arachnoidalen Gewebes, welche 
einen Reiz bedeuten, der zu chronisch entzündlichen Veränderungen an den Hirn¬ 
häuten führt und zu Verklebungen und Flüssigkeitsabsackungen Anlaß gibt. 
Marburg hat die akuten Veränderungen, welche sich an den Meningen nach einem 
Trauma abspielen, genau studiert und es lassen sich aus seinen Untersuchungen 
folgende Details entnehmen. Die Dura zeigt Blutungen und Zerreißungen, sowie 
proliferative Prozesse an der Innenseite, welche sich auf die Arachnoidea fort¬ 
setzen und zur Verlötung führen, wodurch ein Abschluß gegen die Umgebung ent¬ 
stehen kann. Die Piaveränderungen sind geringfügig und bestehen in geringer 
Bindegewebsvermehrung, welche zur Verklebung der Hirnhaut führt. Diese Binde- 
gewebsverklebungen sind das Produkt einer gegenseitigen Beeinflussung des Rücken¬ 
marks und seiner Häute. Nach Pollak können ja selbst geringe meningeale Schä¬ 
digungen die Randglia zu Wucherungen anregen. Auch an den Gefäßen hat 
Marburg schwere Veränderungen gesehen in Form von primärer Intimaabhebung 
mit sekundärer Intimahyperplasie und Blutungen zwischen der Intima und Media. 
Da entzündliche Veränderungen fehlten, bezeichnete Marburg diese durch Trauma 
bedingte Veränderung der weichen Hirnhäute als Meningopathia traumatica. 
Die von ihm beobachteten Veränderungen an den Gefäßen führt er auf die durch 
abnorme Gefäßinnervation ausgelösten Zirkulationsstörungen zurück und lehnt 
jeden entzündlichen Vorgang als Ursache der posttraumatisch entstandenen Ge¬ 
websveränderungen im Gehirn und den weichen Hirnhäuten ab, so daß diese der 
Meningitis serosa zugezählten Symptomenbilder mit der Entzündung der weichen 
Hirnhäute pathogenetisch nichts zu tun haben. 

Hansemann schreibt den angioneurotischen Zuständen bei der Ent¬ 
stehung besonders der Meningitis serosa interna eine wichtige Rolle zu. 
Die Infektion, welche als nächste wichtige Ursache der Meningitis serosa 
circumscripta in Betracht kommt, führt entweder zu einer akuten oder 
einer chronischen Entzündung. Die akute Form hat ihre Ursache in 
eitrigen Prozessen der Schädelknochen, besonders im Anschluß an Mittel¬ 
ohrerkrankungen, in Entzündungen der Nebenhöhlen, Mastoiditis, Sinus¬ 
thrombose, in entzündlich eitrigen Erkrankungen des Gehirns und der 
Wirbelsäule. 

Im Falle Wendel nahm die Meningitis serosa circumscripta ihren Ursprung 
von einer Infektion der Orbita und auch in den Fällen von Beck und Herz waren 
ee entzündliche Momente, welche als Quelle der Meningitis gedient haben. Im 


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568 R. Demel: Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 

Falle Unger war es die Lues. Die chronische seröse circumscripte Meningitis kann 
primär als eine diffuse seröse Meningitis im Verlauf einer Infektionskrankheit 
(Pneumonie, Influenza, Masern, Lues, Tuberkulose) oder einer lokalen Erkrankung 
auftreten und kann nach deren Abklingen unter Verwachsungen und Bindegewebe- 
neubildung in den weichen Hirnhäuten sich so weit zurückbilden, daß als einziger 
Rest eine Liquorcyste persistiert (Axhausen, Payr). 

Lövy sah diffuse akute seröse Meningitis beim Typhus abdominalis exanthe- 
maticus, Encephalitis lethargica und epidemica. Auch der Fall Fuchs-Reih trat 
im Anschluß an eine Infektionskrankheit auf. Die Infektion spielt weiter eine Rolle 
bei jenen Fällen von Meningitis serosa, welche sich im Anschluß an ein Trauma 
entwickelt haben. Sie beeinflußt nicht nur den ganzen Verlauf und die Symptome 
der Erkrankung, sondern auch in prognostischer Beziehung ist ein großer Unter¬ 
schied zu verzeichnen. Aus diesem Grund spricht Payr in denjenigen Fällen 
von Meningitis serosa, welche sich nach aseptischen Schädelschüssen entwickelt 
haben, von Meningitis serosa traumatica aseptica, während er sie bei infizierten 
Schädelschüssen als Meningitis serosa traumatica committans sive sympathica 
bezeichnen will. Sowohl die aseptische als auch die sympathische Form können 
als regionäre Meningitis serosa externa oder interna auftreten. 

Von Klebeisberg ist darauf hingewiesen worden, daß oft neben der 
Cystenbildung auch die Gehirnwindungen abnorm plump und groß sind, 
so daß man in solchen Fällen auch an eine Entwicklungshemmung denken 
könnte. Daß für die Entstehung der Meningitis serosa circumscripta 
auch bereits intrauterin abgelaufene meningeale Erkrankungen, welche 
später wieder aufflackem können, in Betracht kommen, zeigen die Fälle 
von Hildebrand und Perthes. 

Klinisch liefert die Meningitis serosa circumscripta kein typisches 
Symptomenbild, weil es ihr an spezifischen Symptomen fehlt. Im Ver¬ 
lauf der Erkrankung lassen für gewöhnlich die für einen allgemeinen oder 
lokalen himdrucksteigemden Prozeß sprechenden Symptome (Kopf¬ 
schmerzen, Erbrechen, Schwindel, Paresen, Stauungspapille, Ataxie) 
verzeichnen, so daß bei der Diagnosenstellung die Entscheidung gewöhn¬ 
lich getroffen werden muß zwischen einem Tumor cerebri oder einem 
tumorartigen chronisch entzündlichen Prozeß (Tuberkulose, Lues) und 
der Meningitis serosa circumscripta. Von den Einzelbeobachtungen, 
welche einen Beitrag zur Symptomatologie der Meningitis serosa cir¬ 
cumscripta lieferten, seien hier einige erwähnt; so beobachtete Payr 
bei der umschriebenen kortikalen Meningitis serosa Spasmen, Lähmungen 
und epileptische Anfälle von Jackson-Typus, Bdrdny beschrieb 1911 ein 
für die Meningitis serosa circumscripta der hinteren Pyramidenfläche 
charakteristisches Syndrom, welches in Schwerhörigkeit vom Charakter 
der Läsion des inneren Ohres, in Ohrensausen, vestibulärem Schwindel, 
Schmerzen im Hinterhaupt und im Vorbeizeigen im Handgelenk der 
kranken Seite nach außen besteht. Von mehreren Autoren ist dann als 
charakteristisch für die Meningitis serosa auf das Schwanken der Er¬ 
scheinungen und den raschen Wechsel zwischen Besserung und Ver¬ 
schlechterung besonders hingewiesen worden. Goldstein macht auf die 


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unter dem Bilde des Hirntumors und ein Beitrag zu ihrer Ätiologie. 569 

Schmerzhaftigkeit der Wirbeldornen, auf die Abduzenslähmung (Finkeln¬ 
burg), weiter auf die Pulsbeschleunigung und die Stauungspapille in den 
ersten Stadien sowie auf die konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung 
aufmerksam. 

Aber auch durch die Liquoruntersuchung wird die Diagnose nicht 
wesentlich gefördert. Die Liquoruntersuchung ergibt im allgemeinen 
einen klaren und sterilen Liquor. Der Eiweißgehalt und die Zahl der 
Lymphocyten sind normal oder leicht erhöht; sie sind jedenfalls gegen¬ 
über dem Hirntumor nach König bedeutend herabgesetzt. Das spezi¬ 
fische Gewicht ist nicht vermehrt. Bei der Meningitis serosa traumatica 
sympathica (Payr) ist gegenüber der aseptica der Eiweißgehalt und die 
Zahl der Lymphocyten vermehrt. Viel versprechender scheinen die 
Untersuchungsergebnisse von Lövy zu sein, welcher bei der Meningitis 
serosa acuta in der Lumbalflüssigkeit den vasculären Typus der Gold¬ 
fällungskurve und beim ausgeprägten meningitischen Stadium eine 
starke Zell- und Eiweißvermehrung gefunden hat. 

Es ist begreiflich, daß bei dieser unsicheren Symptomatologie die 
Diagnostik oft mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen hat, welche die¬ 
selbe doch oft nicht über die Grenze der Wahrscheinlichkeit hinweg¬ 
bringen. Dafür spricht auch der Umstand, daß man unter dem Krank¬ 
heitsbild der Meningitis serosa nicht bloß ätiologisch verschiedene Pro¬ 
zesse zusammenfaßt, sondern daß man darunter auch pathologisch-ana¬ 
tomisch verschiedene Veränderungen der Meningen und auch noch solche, 
bei denen kein anatomisches Substrat nachgewiesen werden konnte, ein¬ 
bezieht. Wie verschiedenartig das Krankheitsbild der Meningitis serosa 
circumscripta sein kann, zeigen die Fälle von Pseudotumor (Nonne, 
Finkebiburg-E8chbaum) und die Fälle von Cushing, Bergmann, Ooldmann, 
Marburg, Ranzi, Muskens und Oppenheim, welche unter dem Bild eines 
Hirntumors verliefen und histologisch entzündliche Veränderungen an 
den weichen Hirnhäuten im Sinne einer Meningitis serosa acuta auf¬ 
wiesen. Außerdem kann die Meningitis serosa unter dem Bild eines 
Kleinhirn- oder Kleinhimbrückenwinkeltumors (Fall v. Eiseisberg) ver¬ 
laufen; dazu hat Goldstein 3 Fälle von Meningitis serosa beschrieben, 
welche die Ähnlichkeit mit einem Hypophysentumor hatten. Bei allen 
diesen Schwierigkeiten und feinen Übergängen, welche diese Fälle von 
Meningitis serosa und von Tumor klinisch gegenseitig zeigen können, 
fehlt es an sicheren diagnostischen Kriterien der Meningitis serosa cy- 
stica cerebralis einerseits und des Tumors andererseits. Aber trotz 
diesen Schwierigkeiten wird man sich nach dem Vorschlag von Zesas 
dann wenigstens mit einer Wahrscheinlichkeitsdiagnose für die Menin¬ 
gitis serosa gegenüber dem Tumor entscheiden können, wenn die Er¬ 
krankung eine entzündliche Ätiologie hat und einen schnelleren Verlauf 
und Temperatursteigerung zeigt mit sehr flüchtigen Herderscheinungen 


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570 


R. Demel: Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 


und wenn außerdem im Verlaufe der Erkrankung Remissionen und 
Intermissionen auftreten, was Oppenheim, besonders betont. Die Menin¬ 
gitis serosa wird aber auch dann anzunehmen sein, wenn nach vorher¬ 
gegangenen stürmischen Erscheinungen spontan oder auf eine Lumbal¬ 
punktion unmittelbar ein günstiger Verlauf folgt ( Karfunkel ). Ist die 
Zeit, innerhalb welcher sich der Himdruck entwickelt hat, eine relativ 
kurze, dann ist ebenfalls an eine Meningitis serosa zu denken. Außerdem 
werden auch solche Krankheitszustände von Nonne zu den Pseudo¬ 
tumoren gerechnet, welche eine fieberlose progredient« Entwicklung 
schwerer cerebraler Allgemein- und Herdsymptome unter dem Bild 
eines Tumors des Großhirns oder der hinteren Schädelgrube zeigen und 
bei denen der gesamte Symptomenkomplex zum Teil spontan, zum Teil 
unter Quecksilberbehandlung (keine Lues vorhanden) zur völligen Rück¬ 
bildung kam, jetzt auch wenigstens teilweise zur Meningitis serosa ge¬ 
rechnet. 

Die Heilungsaussichten der Meningitis serosa diffusa und circum¬ 
scripta sind nicht so schlechte, denn sie können nach Quincke, Nonne 
und Oppenheim auch spontan ausheilen. Die cystische Form erfordert 
meist eine chirurgische Behandlung, welche in Bloßlegung und Entfer¬ 
nung der Cyste resp. der Verklebungen und Adhäsionen besteht. Aber 
auch die Meningitis serosa diffusa erfordert in manchen Fällen die Lumbal¬ 
punktion, worauf die Erscheinungen zurückgehen. Nach Finkelnburg , 
Eschbaum sind aber nur jene Fälle als geheilte Meningitis serosa anzu¬ 
sehen, welche längere Zeit (1 Jahr) geheilt geblieben sind. Auch für das 
weitere therapeutische Vorgehen ist es wichtig zu wissen, ob wir es mit 
einer Meningitis serosa oder mit einem Tumor zu tim haben, da im Falle 
einer serösen Meningitis die Lumbalpunktion so lange zu wiederholen 
ist, bis Heilung eingetreten ist. 

Über einen klinisch unter den allgemeinen Erscheinungen eines Hirn¬ 
tumors verlaufenden Fall, bei dem lokal neben einer Meningitis serosa 
auch eine Anlagestörung des Gehirns gefunden wurde, welche sich in 
ätiologischer Beziehung zu der hier vorliegenden Meningitis serosa 
bringen läßt, gibt folgende Krankengeschichte nähere Auskunft: 

Der 34 jährige Patient J. L. rückte im Jahre 1915 ein und ging im Dezember 
1915 ins Feld. Er gibt an, daß er eine Zeitlang an Kopfschmerzen litt und ein¬ 
mal plötzlich einen Anfall von Bewußtlosigkeit bekam, die den ganzen Tag an¬ 
hielt. Auf nähere Details kann Pat. sich nicht erinnern, jedenfalls sollen sich — 
seiner Angabe nach — ähnliche Anfälle nicht mehr wiederholt haben. Pat. soll 
damals auch erbrochen haben und litt nach dem Anfall an heftigen Kopfschmerzen 
und Schwindet Diese Beschwerden wurden immer lästiger, so daß er wegen der¬ 
selben am 4. IV. 1917 in die Nervenabteilung des Reservespitals in Innsbruck 
abgeschoben wurde. Zur Zeit klagte Pat. über Kopfschmerzen in beiden Schläfen, 
über Stechen in den Augen und schlechtes Sehen (Nebel). Objektiv bestand nur 
Parese des rechten Mundfacialis. Wegen Verdacht auf Hirntumor wurde Pat 
am 9. V. 1917 auf die Nervenklinik in Innsbruck verlegt. Prof. Meyer hatte den 


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unter dem Bilde des Hirntumors und ein Beitrag- zu ihrer Ätiologie. 571 

Pat. wegen Verdacht auf Tumor cerebelü auf die chirurgische Klin ik Prof. v. Höherer • 
transferiert, wo derselbe am 15. V. 1917 von Prof. v. Höherer operiert wurde. 

Operation: 1. Akt. Subperiostale Wegnahme der Hinterhauptschuppe und 
des Knochens über beiden Kleinhirnhemisphären bis herab an das Foramen 
occipitale magnum. Ein Unterschied zwischen der rechten und der linken Klein¬ 
hirnhemisphäre läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen. Das rechte Emissarium 
mastoideum muß mit Span verklopft und mit Wachs verschmiert werden. Nach 
diesem 1. Akt wird der Hautlappen exakt vernäht. 

26. V. 1917. 2. Akt. Der bereits gut verwachsene Hautlappen wird vorsichtig 
abpräpariert. Die Dura ist von leichten Fibrinbelägen und alten Blutkoagulis 
bedeckt. Dieselben lassen sich leicht entfernen, darunter liegt dann die spiegelnd 
weiße Dura. Zunächst wird über der rechten Kleinhimhemisphäre die Dura in¬ 
diziert und nach unten geklappt. Dabei entleert sich Liquor im Strahl, der schein¬ 
bar auf der inneren unteren Partie der Kleinhimhemisphäre sich ergießt. Beim 
näheren Zusehen zeigt sich jedoch, daß derselbe aus einer Arachnoidealoyste 
stammt, die einfach mit der Pinzette zerrissen wird. Daraufhin sinkt die rechte 
Kleinhimhemisphäre ein und weder Palpation noch Punktion noch eine seichte 
Spaltung der Kleinhimhemisphäre führen auf ein pathologisches Gebilde. Nun 
wird auch die linke Kleinhimhemisphäre von der Dura entblößt; dieselbe ist be¬ 
reits weit zurückgesunken, so daß ein beträchtlicher Zwischenraum zwischen ihr 
und der Dura besteht. Pathologische Mengen von Liquor sind hier nicht nachweis¬ 
bar. Nim wird der Sinus longitudinalis inferior zwischen 2 Ligaturen durchtrennt 
und der Wurm besichtigt; auch hier findet sich nichts Pathologisches. Exakte 
Naht der Duralappen bis auf die mittlere rechte Partie, die dem durchtrennten 
Sinus entspricht, hier bleibt ein rechtwinkliges Fenster offen. Exakte Hautnaht. 

Bei der neuerlichen Untersuchung am 14. VI. 1917 konnte völlige Zurück¬ 
bildung der Stauungspapille festgestellt werden, die Sehschärfe war beinahe normal. 
Die motorischen und sensiblen Störungen sind zurückgegangen, keine Gleich¬ 
gewichtsstörungen, kein Vorbeizeigen. Gelegentlich Klage über stärkere Kopf¬ 
schmerzen, einmal durch 2 Tage starke Kopfschmerzen mit Erbrechen. 

Am 31. VU3. 1917 wurde Pat. über Salzburg ins Gamisonspital Nr. 1 Wien 
abgeschoben. Pat. klagte neuerdings über Kopfschmerzen, Schwindel, Sprach¬ 
störung, Gedächtnisschwäche, sowie über Störung beim Schreiben. Pat. will seine 
Sprachstörung auf eine Schwere in der Zunge zurückführen, beim Schreiben ver¬ 
gißt Pat., was er weiter zu schreiben hat, und meint aber auch, daß er die Hand 
beim Schreiben nicht recht gut führen kann. 

14. XII. 1917. Augenbefund (Klinik Prof. Fuchs): Beiderseits hochgradige 
Stauungspapille. Pupillen weit, auf Licht etwas träge reagierend, keine Gesichts- 
feldeinschränkung bei grober Prüfung. Augenbewegungen frei, ohne Augen¬ 
muskelparese, dagegen macht es Pat. Schwierigkeiten, extreme Blicklagen bei¬ 
zubehalten. Kein Nystagmus, Comealreflex beiderseits etwas herabgesetzt, rechts 
mehr als links. 

Sensibilität im Gesichte ungestört, sonst Himnerven frei. Die Sprache ist 
eigentümlich, hesitierend, abgehackt, ohne aphasische Störung. Gaumensegel 
wird unvollkommen, jedoch symmetrisch innerviert. Die rechte obere Extremität 
ist deutlich paretisch, in leichter Beugecontractur und ataktisch. Periost- und 
Sehnenreflexe an der rechten oberen Extremität leicht gesteigert. Bauchdecken¬ 
reflexe vorhanden, aber nicht sehr lebhaft, Ataxie und Parese der rechten unteren 
Extremität. Patellarsehnenreflex rechts stärker als links. Rechts Fußklonus. 
Die rechte Großzehe wird in habitueller Dorsalflexion gehalten, daneben deutlich 
Babinski, Fußsohlenstreichreflex rechts viel lebhafter als links. Schon beim 
Sitzen droht Pat. nach rückwärts zu fallen besonders beim Augenschluß. Objektiv 


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R. Demel: Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 


kein Unterschied in der Sensibilität zwischen rechts und links nachweisbar. Leichte 
Hyperästhesie gegen Nadelstiche scheint im allgemeinen zu bestehen. Trotz der 
Parese ist Pat. imstande, Schlingen zu knüpfen. Pat. geht wie ein Hemiplegiker 
und schleift die rechte Seite nach. Beim Augenschluß fällt Pat. nach rückwärts 
ohne seitliche Komponente der Fallrichtung. Daraufhin wird der Pat. von der 
Klinik Prof. Wagner-Jauregg auf die Klinik Prof. v. Eiseisberg zur Operation 
transferiert. 

2.1. 1918. Augenbefund: Beiderseits rezente Stauungspapille. 

4.1. 1918. Röntgenbefund (Dozent Sgalüzer ): Schädel von normaler Ge¬ 
stalt und Kapseldicke. Kompletter Defekt der Hinterhauptschuppe von scharfen 
Rändern umgeben. Keine Vermehrung der Impressiones digitatae. Pneumatische 
Räume ohne Besonderheiten. Die Sella ist im sagittalen Durchmesser leicht ver¬ 
größert, nicht vertieft. Processus clinoidei anteriores spitz zulaufend. Dorsum 
sellae verdünnt, usuriert. Keine Reklination der Processus clinoidei posteriores. 
Verdacht auf Usur des Sellabodens in seiner hinteren Hälfte. Unter der Diagnose 
„basaler Tumor der mittleren oder hinteren Schädelgrube, wahrscheinlich der 
mittleren“ wird Pat. punktiert. 

Operation 6.1. 1918 (Prof. Ranzi ): Entsprechend der fluktuierenden Stelle 
am Hinterhaupt wird punktiert, wobei 1 / 8 1 klarer Liquor abgelassen wird. Die 
früher pralle Vorwölbung fällt vollkommen zusammen. 

Am nächsten Tage nach der Punktion füllt sich jedoch die Vorwölbung am 
Hinterhaupt rasch wieder und 6 Tage nach der Operation wird Pat. plötzlich be¬ 
wußtlos und stirbt. 

Obduktionsbefund (Prof. Erdheim): Große, subarachnoideale Cyste an der 
linken Insula Reilii mit starker Auseinanderdr&ngung des linken Stirn- und 
Schläfelappens und Überspannung des Abstandes durch ausgedehnte Arach- 
noidea. Eine viel kleinere, ähnliche Cyste im Bereiche des linken Ammonshomee. 
Mäßige Abplattung der Hirnwindungen, jedoch keine Usur der Tabula vitrea. 
Großer Operationsdefekt der Hinterhauptschuppe. Dieser zum größten Teil durch 
eine derbe fibröse Membran geschlossen, in deren Zentrum jedoch in einem zwei¬ 
kronenstückgroßen Bereiche das angewachsene Kleinhirn bloßliegt. Im Bereiche 
des Schädeldefektes eine glattwandige, prall mit Flüssigkeit gefüllte Cyste, welche 
größer ist als der Knochendefekt selbst, dessen Rand von einem Knochenwall 
rings umgeben ist, der vom spitzwinklig abgehobenen Periost aufgebaut wurde. 
Lobulärpneumonie in beiden Unterlappen. Parenchymatöse Degeneration de« 
Herzens und der Leber. 

Bei der Betrachtung der linken Großhirnhemisphäre (Abb. 1) hat 
man im allgemeinen den Eindruck, daß die Windungen abgeflacht sind 
und besonders im Stimlappen eine reichere Fältelung aufweisen. Auch 
zeigt sich deutlich eine Verzerrung der Windungen, die Zentralfurche 
beginnt, wenn man die Länge der Hemisphäre mit etwa 17^2 cm angibt, 
bei 11Y 2 cm an der Mantelkante gemessen. Sie erstreckt sich nach vorne 
bis etwa 7 cm vom Stirnpol. Die Präzentralfurche ist deutlich. Die 
vordere Zentral Windung zeigt jedoch eine Unzahl von Nebenfurchen und 
Windungen; sie reicht bis an die Sylvische Furche, in welche die beiden 
sie begrenzenden Furchen einmünden; die hintere Zentralwindung ist 
ebenfalls mächtig und bis an das untere Ende von Sulcus postcentralis 
reichend. Der Sulcus intraparietalis ist gleichfalls intakt, ebenso der Lo- 
bulus parietalis superior. Während die beiden Stimfurchen die obere und 


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unter dem Bilde des Hirntumors und ein Beitrag zu ihrer Ätiologie. 573 


mittlere Stimwindung in ziemlich normaler Weise begrenzen, zeigt sich 
die untere Stirnwindung fast als selbständiger Lappen. Es ist schwer, 
den Ramus ascendens anterior und Ramus horizontalis anterior der 
Sylvischen Furche zu unterscheiden. Es befinden sich zwischen diesen 
beiden vier kleine Windungszüge, die strahlenförmig von der Sylvischen 
Furche gegen den Stimlappen ziehen. Am Occipitallappen ist deutliche 
Opercularbildung zu sehen. Der Lobulus parietalis inferior ist unvoll¬ 
ständig, und zwar sowohl der Gyrus supramarginalis als auch der Gyrus 
angularis; von beiden fehlt die ventrale Partie, vom ersteren mehr als 



S.p. = Sulcus praecentralis 
G. c. a. = Gyrus centralis ant. 

S. c. = Sulcus centralis 
G. c. p, = Gyrus centralis post. 

S. r. = Sulcus retrocentralis 
L. p.s. = Lobulus parietalis sup. 


S.i. = Sulcus interparietalis 
G.s . = Gyrus supramarginalis 
G. a. = Gyrus angularis 
M. = Membran 

G. t. 8. = Gyrus temporalis sup. 
H m Höhle 


vom letzteren. Ein Gleiches gilt für die erste Temporal Windung, die 
gegenüber den darunter befindlichen Temporalwindungen um die Hälfte 
verschmälert ist. Gegen ihre Mitte sieht man einen kleinen YVindungszug 
in die Tiefe gehen. Kaudal ragt ein Zapfen frei in das Lumen der Höhle. 
Die Höhle selbst hat eine breite, von einer dünnen Membran bedeckte 
Öffnung, die 7 cm lang und an der höchsten Stelle 2 cm hoch ist. Das 
Höhlenfenster war von einer dünnen Membran bedeckt, die bei der Ob¬ 
duktion einriß. Die Membran bildet die direkte Fortsetzung der geschä¬ 
digten Windungen. In der Tiefe der Höhle sieht man, von den Zentral¬ 
windungen ausgehend, Windungen, offenbar der Insel entsprechend, 
und zwar drei kurze und zwei lange, hintere. Die Höhle ist etwa 


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574 R. Demel: Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 

hühnereigroß. An der basalen Fläche der linken Hemisphäre (Abb. 2) 
sind einzelne Partien mikrogyr verändert. 

Die histologische Untersuchung des erkrankten Gebietes der linken 
Hemisphäre ergibt einen merkwürdigen Befund (Abb. 3). Es zeigt sich 
nämlich, daß die Sylvische Furche eine tiefe Cyste darstellt, die oral einen 
schmalen, kaudalwärts, aber immer breiter werdenden Zugang besitzt. 
Flankiert ist diese Cyste von zwei opercularen Windungen, die beide 
relativ zart sind, aber nirgends Spuren eines degenerativen Prozesses 
erkennen lassen. Die äußere Oberfläche dieser Windungen ist etwa halb 
so groß als die der darunter resp. darüber befindlichen Windungen. 
Der Markstrahl ist relativ gut gefärbt, im Inneren der Cyste, denn als 
solche kann man wohl die erweiterte Sylvische Grube bezeichnen, sind, 
gleichsam als Sprossen von dem Markstrahl ausgehend, kleine Win¬ 
dungen aufgesetzt, die zu jenen der Insel hinüberleiten. Auch die Insel¬ 
windungen sind relativ flach und zahlreich. Die Windungen, deren man 
an einem Querschnitt 17 zählen kann, sind von Pia bedeckt, die wohl 
etwas dichter erscheint, aber keine pathologischen Merkmale sonst er¬ 
kennen läßt. Der Durchmesser der Höhle ist an den weitesten Stellen 
gemessen 4 1 /* : 3 x / 2 cm, letzteres die Höhe, ersteres die Breite am Quer¬ 
schnitt. Die größte Breite des Zugangs beträgt 2 cm. Der Abschluß 
der Höhle bildet ein fibröses Gewebe, das arachnoideale Struktur er¬ 
kennen läßt. 

Es erhebt sich nun die Frage, wie dieser Befund pathologisch-ana¬ 
tomisch zu qualifizieren ist. Man könnte natürlich daran denken, daß 
es sich um eine umschriebene seröse Meningitis handelt, die zu einer Ver¬ 
klebung um die Fossa Sylvii geführt hat. Dadurch kam es zu einer 
Cystenbildung, in welche die Fossa Sylvii miteinbezogen wurde. Das 
würde wohl aber kaum ohne Schädigung der Umgebung zustande ge¬ 
kommen sein. Wir müßten zunächst Kompressionserscheinungen höhe¬ 
ren Grades vorfinden, die hier nicht besonders stark ausgeprägt sind, 
wenn wir von der Randsklerose absehen. Man muß demnach annehmen, 
daß das Gebiet der Fossa Sylvii bereits ab von eine von der Norm ab¬ 
weichende Gestaltung besessen hat, eine von Anbeginn bestehende Aus¬ 
weitung, die bei leichtester Verklebung zu einer relativ großen Cyste 
führen mußte. Dafür spricht vor allem die nahezu mikrogyre Beschaffen¬ 
heit des Fronto- und des Temporo-Operculargebietes. Wir werden 
demnach daraus schließen, daß hier eine angeborene Anomalie im Ge¬ 
biete der Fossa Sylvii bestanden hatte, welche im Verein mit einer 
relativ leichten Meningitis serosa zur Bildung eines beträchtlichen, um¬ 
schriebenen Hydrocephalus externus führte. 

Überblickt man den Fall in toto, so zeigt sich, daß von Anbeginn an 
die Erscheinungen eines Tumors auftraten; manifest wurden diese 
eigentlich erst im Jahre 1917, als Patient einen Anfall erlitt. Näheres 


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unter dem Bilde des Hirntumors und ein Beitrag zu ihrer Ätiologie. 575 




Mikrogyre Partien . 

Abb. 2. 


TI F 

Abb. 8. F = Frontal; T = Temporal; I = Insel. 

über diesen Anfall läßt sich nicht feststellen, doch waren die allgemeinen 
Hirndruckerscheinungen und die primäre Stauungspapille so deutlich, 
daß man trotz der rechten Mundfacialisparese einen Tumor der hinteren 
Schädelgrube annahm. Bei der Operation wurde die Cistema magna 


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576 


R. Demel: Die Meningitis serosa circumscripta cerebralis 


cerebello-medullaris punktiert, wobei es zu einem mächtigen Liquoraus¬ 
fluß kam. Es bildeten sich die Allgemeinerscheinungen zurück bis auf 
Kopfschmerzen, die andauernd bestehen blieben und sich später wieder 
verstärkten. 

Es zeigten sich dann Störungen, die mehr und mehr auf die linke 
Hemisphäre hinwiesen (Sprachstörung, Schreibstörung), beides aus 
Paresen zu erklären. Da sich auch eine rechtsseitige Parese ausgebildet 
hatte, wird Patient neuerdings der Operation zugewiesen, wobei zu¬ 
nächst, entsprechend einer fluktuierenden Stelle, am Hinterhaupt punk¬ 
tiert wird. Trotz Ablassens einer serösen Flüssigkeit füllt sich die Vor¬ 
wölbung wieder, der Patient bekommt nach einigen Tagen einen Anfall 
von Bewußtlosigkeit, aus dem er nicht mehr erwacht. 

Charakterisiert ist das Symptomenbild durch die undeutliche Aus¬ 
prägung der Lokalsymptome bei Hervortreten der Allgemeinsymptome. 
Es dürfte wohl keinem Zweifel begegnen, daß die Ursache aller dieser Er¬ 
scheinungen von Anbeginn der eigentümliche Prozeß der linken Hemi¬ 
sphäre über der Sylvischen Grube gewesen ist. 

Ohne weiter auf die genaueren Beziehungen der Symptome der Affek¬ 
tion näher eingehen zu wollen, sei nur betont, daß gleich zu Beginn eine 
leichte Mundfacialisparese sich bemerkbar machte, der sich eine relativ 
leichte Parese der Extremitäten anschloß; auch die Sprachstörung muß 
als eine Parese der Sprachmuskeln und nicht als Aphasie aufgefaßt werden. 

Alles weist darauf hin, daß das motorische Gebiet von der Nachbar¬ 
schaft her lädiert wurde. Auffällig ist im Gegensatz zu den leichten Er¬ 
scheinungen die starke Ausprägung der allgemeinen Symptome. Hier 
kann der lokale Prozeß nicht allein maßgebend gewesen sein, sondern 
man muß mit einer allgemeinen Steigerung der Liquorproduktion rech¬ 
nen, was auch in einer leichten Erweiterung der Ventrikel zum Ausdruck 
kommt. Zudem hat sich nach dem ersten Eingriff im Bereiche des 
Schädeldefektes eine Cyste gebildet, die größer als dieser und sicherlich 
nicht gleichgültig für die allgemeinen Druckverhältnisse des Gehirns war. 

Wir müssen aus diesen klinischen Tatsachen heraus schließen, daß 
in allererster Linie die Liquorverhältnisse die Erscheinungen bestimmen. 
Was die Ursache der Verklebungen der Meningen gewesen, die zu um¬ 
schriebenen Ansammlungen führten, läßt sich hier nicht erschließen. Es 
ist immerhin merkwürdig, daß eine solche Anlage erst in so später Zeit 
sich bemerkbar macht, denn daß es sich um eine Anlagestörung han¬ 
delte, dafür spricht allein das Verhalten der Windungen, die auch an 
einer anderen Stelle einen anormalen Charakter tragen. Vielleicht ent¬ 
hält dieser Fall einen Hinweis für ähnliche Krankheitsfälle, wobei die 
Meningitis serosa nicht lediglich Ausdruck einer erworbenen Schädigung 
zu sein braucht , sondern daß ihr, wie vielen anderen Neubildungen, ein dis¬ 
positioneller Faktor (Anlagestörung) zukommt. 


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unter dem Bilde des Hirntumors und ein Beitrag zu ihrer Ätiologie. 577 


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Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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(Aua dem Pathologischen Institut der Universität Freiburg i. Br. [Prof. Dr. AseJioff].) 

Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis and Sepsis. 

Von 

Dr. G. Walter Dencher, 

VolonUrassistent am Institut. 

(Eingegangen am 11. Juni 1923.) 

Entsprechend der Erkenntnis von der funktionellen Bedeutung und 
der Lebenswichtigkeit des Interrenalsystemes für die Gesamtfunkticra 
der Nebenniere \Chvostek l ]\, Biedel 2 ) hat sich die pathologisch-ana¬ 
tomische Forschung in den letzten Jahren in besonderem Maße dem 
Studium und der Deutung der Veränderungen der Nebennierenrinde 
zugewandt. Es konnte dies um so eher geschehen, als die Fragestellun¬ 
gen, die das Nebennierenmark betreffen, mehr und mehr zu chemischen 
oder chemisch-physiologischen Problemen geworden waren. Zudem 
zeigte sich von den beiden Geweben der Nebenniere die Rinde als der 
weitaus empfindlichere Teil gegenüber den jeweiligen physiologischen 
Zuständen und krankhaften Veränderungen des Gesamtkörpers [Lan¬ 
dau 3 )] . Wir kennen heute weitgehende Schwankungen und charak¬ 
teristische Reaktionen im morphologischen Verhalten der Rindenzellen 
bei den verschiedensten Affektionen des Organismus. Insbesondere bei 
den uns hier interessierenden toxischen und bakteriellen Schädigungen 
des Körpers durch Infektionskrankheiten zeigen sich fast regelmäßig 
sehr schwere und tief greifende Veränderungen in der Struktur der 
Nebennierenrinde, die den Pathologen seit einer Reihe von Jahren gut 
bekannt sind. Ihr histologisches Bild ist durch Arbeiten von Napp *). 
Babes und Jonescu 5 ), Goldzieher*), Beitzlce 1 ), Löschice s 8 ) u. a. näher be¬ 
schrieben worden. Es setzt sich zusammen, je nach Stärke und Art der 
Reizwirkung, aus Vorgängen von Lipoidverarmung der Rinde, Störungen 
von seiten des Blutgefäßapparates, wie Vermehrung des Blutgehaltes bis 
zu Blutungen, Thrombenbildung, Infiltrationen und Nekrose. Thomm?). 
Aschoff 10 ) haben auf ein ödem der Rinde besonders aufmerksam ge¬ 
macht, das bei Allgemeininfektionen eine Rolle spielt. Matema 11 ) hat 
neuerdings wiederum auf Spaltungen und Zerfallsherde hauptsächlich 
an der Mark-Rindengrenze hingewiesen, die er in der Mehrzahl von akut 
entzündlichen und infektiösen Erkrankungen, besonders auch bei 
Allgemeinsepsis beobachtete. Sie sind nach seinen Untersuchungen in 


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G. W. Deucher: Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis usw. 579 

Übereinstimmung mit Bosenstein 12 ), Goldzieher und Löschke als intra¬ 
vitale Prozesse zu betrachten. Dann sind vor allem durch Landau und 
Kaicamura 13 ) aus der Freiburger Schule die Veränderungen des Chole¬ 
sterinstoffwechsels und des Lipoidgehaltes der Bindenzelle einem ge¬ 
nauen Studium unterzogen worden. Diese Autoren kommen dabei im 
wesentlichen zu den Ergebnissen, daß bei infektiös-toxischen Prozessen 
immer in ausgesprochener Abhängigkeit vom Lipoidgehalt des Blutes 
die Lipoidmenge in den einzelnen Schichten der Binde in der über¬ 
wiegenden Mehrzahl der Fälle herabgesetzt ist, wobei der Cholesterin¬ 
gehalt der Nebennierenrinde ihrem Gesamtlipoidgehalt parallel läuft. 

Diese Befunde sind größtenteils durch die experimentelle Patho¬ 
logie in einer Beihe von Tierversuchen nachgeprüft und bestätigt 
worden [Bogomolez 1 *), Bemard und Bigard 15 ), Thomas, Dietrich und 
Kaufmann 13 ) u. a.]. 

Durch den Krieg war die Möglichkeit gegeben, an dem so sehr 
großen Materiale der Infektionskrankheiten sozusagen unter optimalen 
Bedingungen die Fragen der Rindenreaktionen bei Infektionen erneut 
zu studieren. Es ist dies, wie sich aus der mir zugänglichen Literatur 
ergibt, von verschiedenen Seiten aus geschehen. So hat Geringer 17 ) bei 
Gasbrand regelmäßig Veränderungen in der Nebennierenrinde gefunden. 
Er konnte insbesondere neben speckiger Beschaffenheit der Binde, 
mikroskopisch und chemisch Verminderung des Lipoidgehaltes bis zum 
völligen Schwunde desselben feststellen. Goormaghtigh 18 ) untersuchte 
Fälle von Gasphlegmone in allen Stadien eine Stunde nach dem Tode. 
Er fand die gelben Bindenpartien reduziert, auffallenderweise aber nur 
selten gröbere Veränderungen, wie Hämorrhagien usw. Über Befunde 
bei den gewöhnlichen Infektionskrankheiten berichtete weiterhin PAo- 
lakis u ) aus einem griechischen Militärspital. Er beobachtete nach In¬ 
tensität des Krankheitsprozesses verschieden bald Degeneration, Atro¬ 
phie, Nekrose, bald auch wieder reaktive Hypertrophie. 

Es bilden diese, an einem größeren und unter einheitlichen Lebens¬ 
bedingungen gestandenen Material gewonnenen Besultate im wesent¬ 
lichen lediglich eine Bestätigung unserer bisherigen Kenntnisse über die 
Rindenreaktion bei den Infektionskrankheiten. 

Dietrich 20 ), der die Nebenniere als einen besonderen Reaktionsort 
infektiös-toxischer Körperschädigung betrachtet, hat nun in einer 
Arbeit über die Nebennierenveränderungen bei den Wundinfektions¬ 
krankheiten auch das besondere Schicksal des Rindenlipoids patho¬ 
logisch-histologischen Untersuchungen unterzogen. Er hat die gefunde¬ 
nen Veränderungen mit den bisher bekannten Prozessen der Blutung, 
Infiltration, Nekrose usw. in Beziehung gebracht. Bei diesen Unter¬ 
suchungen, die sich auf Fälle von Peritonitis, Gasbrand und Sepsis 
beschränken, konnte er nämlich in der Hauptsache Störungen des 

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580 


G. W. Deucher: 


cellularen Stoffwechsels in Form von Lipoidschwund nach Aufsplitte¬ 
rung und Bandstellung der Lipoidtropfen, tiefergreifendere Zell¬ 
schädigungen, wie Vakuolenbildung, wabige Aufquellung, Zerfall, 
drüsenähnliche Hohlräume und die übrigen bekannten reaktiven Vor¬ 
gänge seitens des Kreislaufsystemes beobachten. 

Während es sich bei den Befunden früherer Untersucher, was das 
Schicksal desZellfettes anlangt,fast ausschließlich um quantitativ morpho¬ 
logische oder chemisch-physiologische Erforschung gehandelt hatte, hat 
hier Dietrich neue Gesichtspunkte für eine sozusagen qualitativ morpho¬ 
logische Beurteilung des Zellfettes in der Nebennierenrinde dargelegt. 

Es stellen diese Befunde in gewisser Beziehung eine Erweiterung der 
Beobachtungen von Weltmann 21 ) und Thomas dar. Weltmann sah ganz 
allgemein in Fällen vollkommenen Lipoidschwundes das ganze Gesichts¬ 
feld von kleinsten, gleichgroßen Granula übersät, die dichtgedrängt 
aneinander lagen und mitunter mit Lipoid beladen waren. In Fällen 
von beginnendem oder mehr oder weniger vorgeschrittenem Schwunde 
des Lipoids konnte er sehen, wie diese Granula noch partielle, häufig 
halbmondförmige „Hüllen“ von Lipoid in verschiedener Breiten- und 
Dickenentwicklung besaßen. Thomas beschreibt, allerdings an Paraffin¬ 
schnitten, vorwiegend bei Diphtherie und Scharlach eine ausgesprochene 
vakuoläre Degeneration als Schädigung des Rindenparenchyms. In 
solchen Fällen schlossen die Protoplasmamaschen der geschrumpften 
Zellen eine oder spärliche Vakuolen ein, daneben bestanden die Er¬ 
scheinungen der Zellkemschädigung. Demgegenüber hat Weißenfeld **) 
neuerdings bei einem kleinen und nicht ganz einheitlichen Materiale von 
15 Fällen von Sepsis, Grippe und akuter Tuberkulose diese Verände¬ 
rungen der Aufsplitterung der großen Fetttropfen, der Vakuolisierung 
und Hohltropfenbildung nicht beobachtet. Er hält das Vorkommen 
solcher degenerativer Vakuolenbildungen überhaupt für selten, jeden¬ 
falls nicht für einen für alle Fälle von Sepsis charakteristischen Befund. 
Typische Befunde über den Lipoidgehalt der Nebennierenrinde konnte 
ebensowenig Wolff 28 ) bei seinen Gasödemfällen feststellen. Er fand den 
Lipoidgehalt meist unbekümmert um den Verlauf der Erkrankung in 
verschiedenstem Mengenverhältnis. Eine besondere Aufsplitterung der 
Lipoidtröpfchen konnte er bei 8 auf Dietrichsche Befunde untersuchten 
Fällen nicht antreffen. Das Lipoid war meist in feinen und feinsten 
Tröpfchen vorhanden, doch kamen auch größere und sogar auffallend 
große Tropfen vor. Vakuolenbildung fand er häufig und dann meist 
mit Krystallisationsvorgängen der Lipoide verbunden, was er als Kunst¬ 
produkt ansieht. Den Lipoidgehalt der Gefäßendothelien deutet er ab 
normalen Filtrationsprozeß der Lipoide vom Blut in die Nebennieren¬ 
zellen und umgekehrt. Besondere Blutfülle, Blutung oder leukocytäre 
Anschoppung war in seinen Fällen nicht vorhanden. 


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Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis und Sepsis. 581 

Diese Befunde und Ausführungen haben uns angeregt, das vor¬ 
wiegend in der kriegspathologischen Sammlung des Freiburger patho¬ 
logischen Institutes niedergelegte Material von Nebennieren bei an Sepsis 
und Peritonitis verstorbenen Soldaten einer Durchuntersuchung zu 
unterwerfe^. Das Nebennierenmark wurde dabei nicht berücksichtigt. 

Hand in Hand damit gingen Untersuchungen an Nebennieren von 
Meerschweinchen, die an experimenteller Peritonitis und Sepsis zu¬ 
grunde gegangen waren. 

Ich danke Herrn Prof. Aschoff auch an dieser Stelle für die Über¬ 
lassung des Materiales bestens, vor allem aber für die freundliche Unter¬ 
stützung bei der Bearbeitung desselben. 

Wir haben vorgängig unseren pathologisch-histologischen Unter¬ 
suchungen die Rinde des normalen Organes einer Durchforschung 
unterzogen, um Vergleichsbilder zu besitzen, und um neben dem quanti¬ 
tativen Ausmaße des Rindenfettgehaltes von dem uns hier besonders 
interessierenden normalen physikalischen Verhalten der Fetttropfen¬ 
bildung in den Parenchymzellen Kenntnis zu erhalten. Es erschien uns 
dies wertvoll, weil die zahlreichen Arbeiten der uns zur Verfügung 
stehenden Literatur auch beim normalen Organ vorwiegend quantitative 
Fettstoffwechselveränderungen berücksichtigen und auf die Beschaffen¬ 
heit der Lipoidtropfen in den Zellen weniger Gewicht legen. Die Normal¬ 
breite dieses Zustandes zu kennen, muß aber gerade für die Beurteilung 
der pathologischen Veränderungen von Wichtigkeit sein. Über das 
Vorkommen physiologischer Größenunterschiede der Fetttropfen und 
Fettkömchen in der normalen Rindenzelle machen einige Autoren Hin¬ 
weise. Feintropfigkeit als normalen Befund erwähnen Landau und 
Sisson 2 *). Hermann 26 ) traf die doppelbrechende Substanz in der mensch¬ 
lichen Nebennierenrinde in Form von runden, in der Größe wechselnden 
Tropfen an. Weltmann sah im Zupfpräparat von normalen, frischen 
Nebennieren reichlich verschieden große Tropfen. Nach Schaffet 26 ) sind 
die Rindenzellen in den äußeren Lagen von mehr feinkörnigem Bau. 
Diese Körnchen nehmen in den inneren Teilen der Fasciculata den 
Charakter von Fetttropfen an. Dietrich, der in seiner Arbeit das Bild 
der normalen Nebenniere kurz erwähnt, spricht lediglich von Lipoid¬ 
tröpfchen in den Zellen der Glomerulosa, kleineren Tropfen in der 
Reticularis und von Tropfenformen resp. einzelnen großen Tropfen in der 
Fasciculata. Weißenfeld fand Feintropfigkeit des Lipoids regelmäßig 
an Präparaten von normalen Nebennieren zusammen mit großen 
Tropfen. Wolff beobachtete die Lipoidsubstanz in feinsten Tropfen 
auch in Nebennieren von Leuten, die eines raschen, gewaltsamen Tode 
gestorben waren. 

Bei den von uns untersuchten 10 als normal anzusprechenden 
Nebennieren handelte es sich um Kriegsmaterial von männlichen 


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582 


G. W. Deucher: 


Leichen mittleren Alters, wo eine plötzliche gewaltsame Todesursache 
zu verzeichnen war und die Sektion im übrigen normale Organe und 
Gewebebestandteile ergab. Die hierbei, wie auch später untersuchten 
Nebennieren waren in 5proz. Formollösung fixiert und gehärtet. Sie 
wurden grundsätzlich nach kurzem Wässern mit dem Gefriermikrotom 
geschnitten, wofür die Nebenniere sich bekanntlich vorzüglich eignet. 
Zur Darstellung der Zellfette wurde die Daddiache Sudanlösung in 
70proz. Alkohol verwandt und mit Hämatoxylin nachgefärbt. Um 
Vergleichsbilder zu haben und die Struktur genauer berücksichtigen zu 
können, wurde ferner die Hämatoxylin-Eosinfärbung, die Oxydase und 
Alaunkarminfärbung verwendet. Die Sudan- und Oxydaseschnitte 
wurden in Glycerin-Gelatine eingeschlossen und das Präparat behufs 
größerer Haltbarkeit mit Lack umrändert. 

Die Gesamtrinde zeigte in der Mehrzahl der Fälle breite Ausmaße 
und wies durchwegs einen sehr reichlichen Fettgehalt auf. Die Fascicu- 
lata speicherte am reichlichsten vorzugsweise im äußeren Drittel der 
Zone, und zwar in so ausgeprägter Weise, daß dieselbe im mikroskopischen 
mit Sudan gefärbten Bilde bei schwacher Vergrößerung ab gelbrot 
leuchtendes Band imponierte. Die Glomerulosa zeigte durchwegs ge¬ 
ringeren Fettgehalt, in einzelnen Fällen auch eine gewisse Lipoidarmut. 
In der Reticularis fanden sich die Lipoide nur spärlich und dann vor¬ 
wiegend an der Rindenmarkgrenze, gemeinsam mit den besonders hier 
auf tretenden gelbrotbraunen Lipofuscinen. 

Was die weiteren Befunde der einzelnen Schichten getrennt betrachtet 
anlangt, so wurde die Glomerulosa in der Regel und entsprechend der 
mittleren Altersstufe der Verstorbenen schmal angetroffen, das Fett 
in ihren Zellen fast immer in feiner Körnung diffus verteilt. Nur an 
seltenen Stellen zeigte der reticuloendotheliale Apparat Einschlüsse 
feinster Fettkömchen. In der durchwegs breiten Zone der Faseiculata 
war das Lipoid meist mitteltropfig, seltener großtropfig, untermischt 
mit spärlichen feinen Tröpfchen oder Körnchen. Fast ausschließliche 
Größtropfigkeit des Zellfettes haben wir eigentlich nur an einem einzigen 
Falle beobachten können, und da ergab das Sektionsprotokoll allgemeine 
Fettsucht. Es war uns gerade dieser Fall ein Beweis dafür, wie schwer 
es überhaupt zu entscheiden ist, welche Menge und welchen physikali¬ 
schen Bau des Fettes wir als normal ansprechen dürfen. Auch in der 
Faseiculata zeigte das Reticuloendothel in einigen wenigen Schnitten 
seine Beteiligung am Vorgänge der Fettspeicherung. Bei einigen Fällen 
war ein sehr deutliches Hervortreten der Capillaren zu beobachten, die 
gegen die Reticularis zu, besonders aber an der Rindenmarkgrenze ein 
fast plexusartiges Capillametz zu bilden schienen. 

Die Zone der Reticularis ließ besonders bei den Fällen, wo es sich 
um vorgeschrittenes Alter handelte, breite Ausmaße erkennen. Unter 


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Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis und Sepsis. 583 

den sehr spärlichen und vorzugsweise an der Rindenmarkgrenze ge¬ 
lagerten Fettkörpem herrschte die feinkörnige Form vor, nur vereinzelt 
konnte auch gröbere Tropfenbildung beobachtet werden. Das Bild der 
physikalischen Fettformen wurde leider in einer großen Zahl unserer 
Fälle nicht unwesentlich gestört durch massenhafte Auskrystallisationen 
in dem Formolmaterial, die auch durch Erwärmen im Brutofen nicht 
immer behoben werden konnten. Vakuolenbildung in den Fetttropfen, 
Halbmondformen oder wabige Aufquellung wie auch Störungen des 
Gefäßapparates haben wir nicht beobachten können. Die Ausbildung 
drösenähnlicher Hohlräume oder Spaltbildung in den Parenchym- 
Zellkomplexen wurde nicht angetroffen. 

Fassen wir unsere, an den Fettkörpem der normalen Nebennieren¬ 
rinde gemachten Beobachtungen zusammen, so ergibt sich neben dem 
bekannten und recht konstanten Fettreichtum der Rinde ein Auftreten 
des Fettes zonulär und auch cellular vorwiegend in einer Mischform 
größerer und feinerer Körnchen und Tropfen. Dabei sind besonders 
in der Glomerulosa, weniger in der Reticularis die feinen und feinsten 
Formen, in der Fasciculata meist vorwiegend die mittleren oder groß- 
tropfigen Formen zu finden. Diese großen Tropfen können dann in der 
Zelle selbst oft die kleinen zentral zusammendrängen oder ganz ver¬ 
decken, vielfach randständig gelagert sein oder maulbeerförmige Kon¬ 
glomerationen bilden. Eine stärkere Beteiligung des reticuloendothelia- 
len Apparates an den Umsetzungen der Lipoide haben wir wohl ent¬ 
sprechend dem stationären Verhalten derselben nicht beobachtet. Es 
zeigt sich, was uns hier wichtig erscheint, schon in der normalen Rinde 
unter physiologischen Verhältnissen ein ganz beträchtlicher Großem 
unterschied in der Ausbildung der einzelnen Tropfen und Körnchen 
des Lipoids, teilweise in der Zelle selbst, zum Teil auch auf die einzelnen 
Zonen verteilt. 

Wir möchten diese Tatsache festhalten da sie uns ermöglichen 
dürfte, die bei krankhaften Einwirkungen besonders in Erscheinung 
tretende Feintropfigkeit des Lipoids in ihrem Ausmaße und vielleicht 
auch in ihrer Genese genauer bewerten zu können. 

Im folgenden soll nun auf unsere Fälle von Peritonitis und Sepsis 
eingegangen werden. Das hier verwertete Material von Nebennieren um. 
faßt 50 Fälle, die eingehend untersucht wurden. Gemeinsam betrachtet 
zeigt sich bei diesem Material durchweg und zum Teil bei schon bald 
der Krankheit erlegenen Fällen deutlicher und sehr ungleichmäßiger 
Lipoidschwund in der gesamten Rinde. Das normalerweise mehr oder 
weniger breite Band des Rindenlipoids scheint wie angefressen und 
zernagt. In der überwiegenden Mehrzahl der Schnitte ist dabei das 
Lipoid aus der Glomerulosa völlig geschwunden, fast immer fehlt es in 
der Reticularis. Es handelt sich hier um die Schichten, die wir bereits 


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584 


G. W. Deucher: 


beim normalen Organ als lipoidärmer gegenüber der Fasciculata kennen 
gelernt haben. Sie dürften eben bei den konsumierenden Krankheits¬ 
prozessen ihre geringen Vorräte zuerst verlieren. Die noch lipoid¬ 
haltigen Bezirke der Fasciculata zeigen sich ausnahmslos herdweise 
angeordnet und meist im peripheren Drittel gegen die Glomeruloea 
hin gelegen. Dies wohl wieder entsprechend der stärkeren Anhäufung 
daselbst- beim normalen Organe. Auch in Fällen, bei denen sich wegen 
der kürzeren Dauer der Erkrankung sehr viel Fett, teils in Tropfenfoim 
teils in Form feinster Körnchen noch in allen Schichten findet, Hegen 
dazwischen wieder Bezirke, die aus vollkommen fettfreien Zellen ge¬ 
bildet sind und vorzugsweise der Glomerulosa oder Reticularis an¬ 
gehören. In einer Minderzahl von Fällen kommt diese Lipoidver- 
armung in den einzelnen Schichten wechselnd zum Ausdruck. Es findet 
sich das Fett bald ausschließUch in der Glomerulosa, bald nur in der 
Reticularis. 

Eine Vermehrung des Lipoidgehaltes, wie es initial bei den In¬ 
fektionskrankheiten von Weltmann, Dietrich u. a. beobachtet worden 
ist, konnten wir nicht feststellen. Es mag dies daran Hegen, daß unter 
unserem Materiale eigentUche Frühfälle fehlen. Es kam kein Fall von 
weniger als 2 Tagen Krankheitsdauer zur Obduktion. 

Was die Abhängigkeit der Lipoidtropfenform gegenüber infektiös¬ 
toxischen Krankheitseinflüssen anlangt, fanden wir in der Glomerulosa 
und Reticularis ausgeprägtes und gegenüber dem normalen Organe 
bedeutend vermehrtes Auftreten von besonders kleinen und kleinsten 
Lipoidkömehen und -tröpfchen. Diese Fette waren vielfach so fein 
ausgebildet, daß sie in ihrer meist diffusen Verteilung über den ganzen 
Zelleib die Zelle wie bestäubt erscheinen Ueßen. Ein e Mischung mit 
gröberen Tropfen war in diesen Schichten nur stellenweise und spärHch 
erkennbar. 

Demgegenüber sahen wir in der Fasciculata, ziemUch unabhängig 
von der Dauer des Krankheitsprozesses vorwiegend Mischung von fein- 
und grobtropfigem Lipoid in verschiedenem Mischungsverhältnis. Grobe, 
stellenweise die Zelle fast ausfüllende Tropfenbildung fehlte fast nie. 
solange überhaupt noch Lipoidkömer vorhanden ■waren. Doch war sie. 
mit dem normalen Verhalten vergHchen, immer bedeutend vermindert. 

Wo in der Rinde die tropfigen und körnigen Lipoide randständig in 
der Zelle gegen die Capillaren hin gelagert waren, erschienen die 
Glomerulosa-Zellkomplexe und Fasciculatasäulchen wie gelbrot um¬ 
rändert. Regelmäßig war dieser Befund weder im einzelnen Schnitte 
noch von Fall zu Fall. 

Es hat den Anschein, wie wenn das normalerweise auch in Über¬ 
gangsformen von Feintropfigkeit zu Großtropfigkeit in der Rinde vor¬ 
kommende Lipoid unter krankhaften Bedingungen sich in die beiden 


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Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis und Sepsis. 585 

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Formen der Fein- und Großtropfigkeit mehr und mehr auszuscheiden 
suche. Ausgesprochene Mitteltropfigkeit schwindet und fehlt bei 
älteren Fällen meist. Dies zeigt sich regelmäßig in jenen Schichten, 
wo normalerweise die Feintropfigkeit überwiegt. Der das Lipoid kon¬ 
sumierende Krankheitsprozeß führt offenbar die kleineren und mitt¬ 
leren Fetttropfen sehr rasch in kleinste Formen über, während die 
Verkleinerung der großen Tropfen nur langsam vor sich geht. Dadurch 
verschwinden wohl die Zwischenformen. 

Fetttropfen mit ungefärbter Mitte, die als Hohltropfen imponieren, 
und Bildung von Ring- oder Halbmondformen durch das Zelllipoid, 
wie sie Dietrich beschreibt, haben wir in unseren Fällen von Peritonitis 
und Sepsis häufig beobachten können. Diese Erscheinungen treten 
nicht nur an gröberen Tröpfchen auf, sie sind auch an den vorhandenen 
kleineren Tröpfchen oft sehr zierlich zu sehen. Vergesellschaftet damit 
konnte vakuoläre oder wabige Degeneration auftreten. Die davon 
betroffenen Zellen sahen heller aus, und die Protoplasmamaschen 
schienen gröber. Im Protoplasma selbst waren eine oder mehrere 
Vakuolen sichtbar. Wo die Parenchymzellen wabige Degenerations¬ 
erscheinungen zeigten, bot der Zelleib meist das Bild eines schaumigen 
Gebildes, das sich heller aus dem Zellkomplexe abheben und manchmal 
fast eine Lücke Vortäuschen konnte. Manche Kerne zeigten verminderte 
Färbbarkeit. Gelegentlich schien auch körniger Zerfall der Zellen vor¬ 
zukommen. Diese Zellveränderungen waren vielfach im Bilde neben¬ 
einander zu sehen, wobei allerdings die eine oder andere Veränderung 
überwiegen konnte. 

Es zeigt dieses Nebeneinander degenerativer Prozesse verschiedener 
Schwere, wie sehr außer der Zeitdauer auch Art und Intensität der 
stattgehabten Schädigung bei ein und demselben Krankheitsbilde von 
wesentlichem Einflüsse auf Ausbildung und Umfang des Lipoidumbaues 
der Rinde und ihrer Zellveränderungen sind. 

Eine Beteiligung des Retikuloendothels an den Umsetzungen der 
Lipoide, charakterisiert durch oft pralle Anschoppung der Capillar- 
endothelien mit feinen und feinsten Körnchen und Tröpfchen, haben 
wir in fast allen Fällen beobachten können, in gradueller Verschiedenheit. 

Die beim normalen Organe massenhaft in den Schnitten vorhandenen 
Krystallisationen des Zellfettes treten interessanterweise bei den Prä¬ 
paraten unserer Peritonitis- und Sepsisfälle zurück. Dies war gerade 
in jenen Fällen besonders auffällig, wo bedeutender Lipoidschwund und 
reichliche Hohltropfen, Vakuolen und wabige Bildungen auf schwerere 
Organschädigung schließen ließen. Wir hatten nun in den Fällen von 
Hohltropfen und Halbmondbildung manchmal den Eindruck, wie wenn 
die Konturen dieser heller erscheinenden Hohlräume oft wie eckig, 
unregelmäßig, scharfrandig, wie von Teilen eines Krystallkörpere 


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G. W. Deucher: 


gebildet wären, dem der Hohltropfen oder die halbmondartige Lipoid- 
kalotte wie eine Kappe aufzusitzen schien. Wir lassen die Frage offen, 
ob gerade diese Tropfeijbilder in einem Teil der Fälle nicht Zwischen¬ 
stufen des Umbaues von Lipoidkryswillen zu Lipoidtropfen darstellen, 
die durch den Krankheitsprozeß eben unter veränderte Krystallisations- 
bedingungen gekommen sind. Es würde uns dies dann eine Frühperiode 
im Aufbrauchprozesse der Rindenlipoide anzeigen. 

Störungen von seiten des Gefäßsystems fanden sich regelmäßig. 
Hyperämie haben wir in keinem Falle vermißt. Fast immer trat auch 
ein ödem in Erscheinung, mit welchem zusammen nicht allzu selten 
eigentliche Höhlen- und Spaltenbildung vorhanden war. Hierzu be¬ 
sonders disponiert schienen die Zellkomplexe der Übergangszone von 
der Fasciculata zur Glomerulosa, wo die bekannten mit dem Detritus 
der allmählich zugrunde gehenden Zellen gefüllten, drüsenartigen Hohl- 
räume erkennbar waren. Beim Gitterwerk der Fasciculatasäulen kam 
es in entsprechenden Fällen durch Auseinanderdrängen der Zellen und 
Zelltod zu diffuser, einer Fragmentation ähnlichen Verzerrung der 
ganzen Zone. Die Zellsäule der Fasciculata war dann mehrfach 
unterbrochen und an diesen Stellen war von den ursprünglichen Zellen 
nur noch eine körnige Masse sichtbar. 

Die toxische Alteration der Gefäßwände führte vereinzelt zu kleineren 
Extravasaten. Umfangreichere Blutungen haben wir bei unseren Fällen 
nicht angetroffen. Auch fehlten auffälligerweise Erscheinungen emi- 
grativer Infiltration fast völlig. Da und dort zeigten sich in einem 
Gefäßchen eine Kette weißer Blutkörperchen, ab und zu fand sich auch 
ein Leukocyt oder ein Häufchen solcher außerhalb eines Gefäßes. In 
den meisten Schnitten erschienen jedoch die w'eißen Blutzellen nicht 
vermehrt. Typische größere und mehrfache Emigration fanden wir nur 
in einem älteren Sepsisfalle. An der Nebennierenrinde zeigt sich so eine 
je nach gegenseitigem Reaktionsvermögen von Makro- und Mikro¬ 
organismus große Verschiedenartigkeit des Krankheitsprozesses. 

Die vergleichende Betrachtung der Veränderungen bei den Erkran¬ 
kungsgruppen der Peritonitis und Sepsis läßt in weiten Grenzen einen 
rascheren und quantitativ stärkeren Lipoidschwund bei den Peritonitis¬ 
fällen erkennen. Wir finden bei unseren Fällen schon nach einigen 
Tagen nur noch sehr spärlich Lipoide, nach 6 Tagen beispielsweise fast 
völligen Fettmangel in den Rindenpartien. Demgegenüber zeigen etwa 
gleich alte Sepsisfälle noch ziemlich reichlich Lipoide. Es finden sich 
Sepsisfälle mit kurzer Erkrankungsdauer in unserem Material, die einen 
fast normalen Lipoidgehalt der Rinde auf weisen. Es scheint, wie wenn 
die Peritonitis mit ihren frühen und schweren Folgeerscheinungen 
massenhafter Überschwemmung des Körpers mit resorbierten Toxinen, 
allgemeiner Lähmung der assimilatorischen Darmfunktion, Abscheidung 


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Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis und Sepsis. 587 

großer Exsudatmassen usw. Bindenlipoide in hohem Grade mobilisiere. 
Vielleicht wirkt zudem die Nachbarschaft einer hyperämischen, hyper- 
thermischen Serosa durch Abschmelzungsvorgänge in beschleunigendem 
Sinne mit. 

Interessant war die Beobachtung, daß bei Peritonitis die Auskrystalli- 
sation der Lipoide, die beim normalen Organe so häufig und störend 
vorhanden ist, fast völlig fehlt, im Gegensätze zum septisch veränderten 
Organ, wo sie doch nicht allzu selten noch angetroffen wird und dann 
meist mit Lipoidreichtum der Rinde einhergeht. 

Die Tropfigkeit des Lipoids schien in unseren Fällen parallel mit 
den quantitativen Veränderungen zu gehen und ein besonders typisches 
Verhalten gegenüber Dauer und Art des Prozesses nicht zu zeigen. 
Je mehr die Rinde ihr Lipoid verliert, um so mehr beobachtet man 
Feintropfigkeit neben größeren Tropfen, die mitteltropfigen Gebilde 
verschwinden zusehends. Sind die feintropfigen Gebilde völlig auf¬ 
gebraucht, zeigt das Präparat oft nur noch größere Tröpfchen, die ent¬ 
sprechend ihrer Masse wohl länger den Aufbrauchprozessen widerstehen. 
Es entspricht dies auch unserer Auffassung von der „Aufsplitterung“ der 
Lipoidtropfen als einem Verkleinerungsvorgange präexistenter Tropfen 
und Tröpfchen durch den Lipoidkonsum des kranken Organismus. 

Besonders früh und ausgeprägt führt nun gerade die peritonitische 
Erkrankung zur Hohltropfen- und Vakuolenbildung, zu einer Zeit und 
in einer Ausdehnung, wie wir es bei septischen Prozessen nicht in dem 
Maße gefunden haben. Es bildet dies eine Bestätigung der Befunde 
Dietrichs, der solche offenbar tiefergreifenden Störungen im Lipoid¬ 
haushalte der Parenchymzellen bereits nach wenigen Stunden be¬ 
obachten konnte. 

Die regelmäßig auftretenden Erscheinungen von seiten des Zirku- 
lationssystemes, wie ödem, starke Füllung der Gefäße bis zur Blutung, 
charakterisieren den hoch toxisch-infektiösen Prozeß der Peritonitis. 
Dementsprechend fanden wir hier auch häufig vergesellschaftet mit 
Ödem und Exsudat die Bildung von Lücken in den Parenchymzell- 
komplexen. 

Bei Sepsis traten diese Befunde eher zurück. Die Mannigfaltigkeit 
des Verlaufes der septischen Erkrankung ergibt eben bei den inter¬ 
stitiellen Reaktionen sehr schwankende Befunde. Nur in älteren Sepsis- 
fällen tritt mit einer gewissen Regelmäßigkeit eine Verschmälerung der 
Rinde durch Atrophie der Parenchymzellen neben Wucherung des 
Reticuloendothels in Erscheinung. Leukocytäre Auswanderung und 
Infiltration haben wir auffälligerweise bei Peritonitis in nennenswerter 
Ausbildung überhaupt nicht beobachten können. Bei Sepsisfällen, be¬ 
sonders nach längerer Erkrankungsdauer haben wir spärliche Häufung 
von Leukocyten angetroffen, ausgeprägt in Form von mehrfachen 


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G. W. Douchert 


Infiltraten jedoch nur in einem Falle, der 22 Tage krank gelegen hatte. 
Hier und in einem weiteren Falle fanden sich zudem Kokkenembolien. 
Bei dem Fehlen jeglicher leukocytärer Reaktion in der Umgebung 
möchten wir diese Embolien als agonale Erscheinung bewerten. 

Nachdem wir durch diese bisherigen Untersuchungen von den viel¬ 
fachen Auswirkungen der Peritonitis und Sepsis an der Nebennieren- 
rinde und von den feineren Reaktionen des Rindenparenchyms ein 
Bild gewonnen hatten, war es unser Bestreben, die erhaltenen Anschau¬ 
ungen durch das Tierexperiment zu stützen. Unsere Absicht ging dahin, 
durch entsprechende Wahl und Applikation des Infektionsstoffes die 
Schwere und Art der Einwirkung des infektiös-toxischen Prozesses bei 
verschieden langer Dauer der Erkrankung studieren zu können. Zudem 
hofften wir an dem völlig frischen Tierleichenmaterial experimentell 
bessere Kriterien für eine Abgrenzung der bei Peritonitis und Sepsis in 
der Nebennierenrinde auftretenden Veränderungen zu erhalten. Ober 
diese Ergebnisse möchten wir hier noch in Kürze an Hand einer Anzahl 
von Versuchen berichten. 

Als Versuchstier bedienten wir uns der Meerschweinchen, einmal, 
weil diese Tiere sich durch einen fast völligen Mangel akzessorischer 
Nebennieren auszeichen [FeZicA 27 )], eine Noxe sich also voll und ganz 
an dem Organe auswirken kann. Dann auch deshalb, weil für diese 
Tierart die besonders mächtige Entwicklung der Nebennierenrinde 
charakteristisch ist [Eüiot und Ttickett 28 )], wodurch Untersuchungen 
leichter und klarer durchführbar sind. 

Der experimentellen Erzeugung von Peritonitis und Sepsis mit den 
gewöhnlichen Eitererregern erwies sich die hohe Resistenz der Versuchs¬ 
tiere gegen bakterielle Infektion sehr hinderlich. Durch Auswahl eines 
bestimmten Bakterienstammes, des Bacterium coli commune und bei 
hoher Dosierung gelang es uns, eine Infektion zur Entwicklung zu bringen. 

Das Bild der normalen Meerschweinchennebenniere haben wir an 
einer Reihe von gesunden, durch Nackenschlag getöteten Tiere studiert. 
Es unterscheidet sich nur unwesentlich von dem des menschlichen Organes. 
Die Glomerulosa kann fehlen, die Fasciculata ist meist sehr breit und 
sehr lipoidreich, das Lipoid in mittelfeiner und gröberer Tropfung. Die 
Reticularis ist ziemlich breit ausgebildet, pigmentreich und fast fettfrei. 
Auf weitere Einzelheiten einzugehen, glauben wir uns ersparen zu dür¬ 
fen und möchten uns nun dem Organe der erkrankten Tiere zu wenden. 

Aus dem ganz knappen Protokollauszuge ergibt sich: 

Peritonitis fälle. 

Meer8chuxinchen Nr. 1. Injektion von 1 ccm, einer Bouillonkultur von Bact. 
coli commune intraperitoneaL Nach 15 Stunden eingegangen. Eitrige Peritonitis 
mit reichlich trübem Exsudat, spärlicher Fibrinausscheidung. Im Exsudat massen¬ 
haft gramnegative Stäbchen, kulturell Coli. 


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Veränderungen der Nebennierenriiide bei Peritonitis und Sepsis. 589 

Histologischer Befund, Diffuser Lipoidschwund der Rinde. Lipoid in feinster 
Tropfung regellos in den Zellen der Fasciculata verteilt. Insular gröbere Tropfen¬ 
bildung. Reticuloendothelien stark lipoidhaltig. Vereinzelte wabige ZeÜum- 
wandlungen in der Fasciculata. Spaltbildung durch Exsudation. Unwesentliche 
Hyperämie. Leukocytenanhäufungen fehlen. Hohltropfen, Halbmond- oder 
Vakuolenbildungen werden nicht angetroffen. 

Meerschweinchen Nr. 2. Injektion von l / i ccm einer Bouillonkultur von 
Bact. coli commune intraperitoneaL Nach 18 Stunden eingegangen. Eitrige 
Peritonitis mit reichlicher trüber Exsudation. Im Exsudat massenhaft gramnega¬ 
tive Stäbchen, kulturell Coli. 

Histologischer Befund . Das Lipoid ist erheblich vermindert, fast durchwegs 
feintropfig, insular gröbere Lipoidtropfen oder maulbeerförmige Konglomerate 
feinerer Tröpfchen in den Parenchymzellen der Fasciculata. Zum Teil deutliche 
Randständigkeit der Tröpfchen in den Zellen. Reticuloendothel reichlich mit 
feinen Lipoidtröpfchen. Hohltropfen sind nicht vorhanden. Vakuolisierung 
findet sich reichlich. In den Fasciculatasäulen zahlreiche Zellen in wabiger De¬ 
generation. Stärkste Blutfülle der Fasciculata verwischt ihre Struktur weit¬ 
gehend. Vereinzelt kleinere Blutungen. Einzelne Leukocyten sehr spärlich 
zerstreut. Leichtes ödem der peripheren Fasciculatapartien. 

Meerschxoeinchen Nr. 3. Injektion von 1 / A ccm einer Bouillonkultur von Bact. 
coli commune intraperitoneaL Nach 24 Stunden eingegangen. Reichlich trübes 
eitriges Exsudat mit Fibrinflocken, dicke Fibrinbeläge der Peritonealblätter, eitrige 
Peritonitis. Im Exsudat massenhaft gramnegative Stäbehen, kulturell Coli. 

Histologischer Befund. Der Schnitt ist fast lipoidfrei, nur in den periphersten 
Partien der Fasciculata Lipoid staubartig fein in den Parenchymzellen verteilt. 
Ganz spärlich regellos dickere Tropfenbildung. Einzelne Reticuloendothelien mit 
feinen Lipoidtröpfchen. Andeutung von Eindellung einzelner Lipoidtropfen. 
Vereinzelt Bildung kleinster Vakuolen. Reichlich verstreut wabiger Zustand der 
Zellen und Zelldegeneration. Stärkste Blutfüllung der Capillaren der Fasciculata, 
besonders an der Grenze gegen die Reticularis. Mehrere größere Extravasate in 
der Fascicularis. Vereinzelt in ihren peripheren Partien Leukocyten. 

Meerschweinchen Nr. 4. Injektion von 1 / 20 ccm einer Bouillonkultur von 
Bact. coli commune intraperitoneal. Nach 26 Stunden eingegangen. Eitrige 
Peritonitis mit reichlich trübem Exsudat mit Fibrinflocken, Fibrinbelägen usw. 
Im Exsudat massenhaft gramnegative Stäbchen, kulturell Coli. 

Histologischer Befund. Weitgehender Schwund des Lipoids der Fasciculata. 
Lipoidtröpfchen besonders in feinster Form untermischt mit spärlichen gröberen 
Tropfen diffus in den Zellen verteilt. Reichliches Auftreten von Lumina in der 
Fasciculata durch Exsudation. Daneben wabige Degeneration und fein vakuoli- 
sierte Zellen. Ganz vereinzelt eingedellte Tröpfchen. Überall finden sich Reticulo- 
endothelzellen mit Lipoidtröpfchen. Sehr starker Blutgehalt der Fasciculata. 
Blutungen. Keine wesentliche. Infiltration. 

Meerschweinchen Nr. 5. Injektion von x /*o ccm einer Bouillonkultur von 
Bact. coli commune intraperitoneal. Nach 27 Stunden eingegangen. Eitrige 
Peritonitis mit reichlich trübem Exsudat mit Fibrinflocken, Fibrinbelägen usw. 
Im Exsudat massenhaft gramnegative Stäbchen, kulturell Coli. 

Histologischer Befund. Lipoid fehlt fast völlig bis auf kleine Fleckchen, wo 
das Lipoid staubartig fein, diffus in den Zellen der Fasciculata liegt. Beteiligung 
des Reticuloendothelapparates durch Zelleinschlüsse feinster Lipoidtröpfchen. 
Wabige Zelldegeneration mit Kemschwund, besonders in den lipoidarmen Ab¬ 
schnitten der Fasciculata. Sehr starke Hyperämie. Zahlreiche Blutungen und 
Gruppen von Leukocyten, besonders in der Nachbarschaft untergegangener Zellen. 


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G. W. Deucher: 


Fassen wir diese Befunde zusammen, dann ergibt sieb bei unseren, 
der Peritonitis erlegenen Tieren diffuse Verminderung des Rinden¬ 
lipoids schon bei einer kurzen Reaktionszeit von 18 Stunden. Der 
peritonitische Prozeß führt dabei in akuter Weise nach 24 und mehr 
Stunden zu fast völligem Lipoidschwunde. Die beim menschlichen 
Organe angetroffene herdweise Anordnung der Lipoidreste findet sich 
hier nicht. Die normalerweise beim Meerschweinchen mit vorwiegend 
grobtropfigen Fettkörpem strotzend gefüllten Parenchymzellen der 
Fasciculata lassen nun regellos verteilt feine und feinste Lipoidkömehen 
und Lipoidtröpfchen erkennen. Daneben finden sich vereinzelte grobe 
Tropfen, Übergangsformen sind kaum vorhanden. Auch hier also das 
bereits bekannte Bild. Die präexistenten klein- und mitteltropfigen 
Lipoide sind durch den Aufbrauch feinste Partikelchen geworden, die 
größeren Tropfen folgen diesem Schwunde nur langsam. Der reticulo- 
endotheliale Apparat zeigt seine Mitbeteiligung an dem offenbar stür¬ 
mischen Abbau der Lipoide durch stellenweise pralle Füllung seiner 
Endothelien mit feintropfigem Fett. Fetttropfen und Tröpfchen mit 
ungefärbter Mitte haben wir in keinem unserer Schnitte gesehen. Dem¬ 
gegenüberfinden sich vakuolisierte Zellen und schaumig-wabige Quellung 
besonders mit Zunahme der Reaktionszeit reichlich besonders da, wo 
das Lipoid weitgehend geschwunden ist. Dabei sind die Zellen sehr 
fein und meist multipel vakuolisiert. Sehr charakteristisch ist ein 
bald stärker, bald geringer vorhandenes ödem, das die Zellsäulen der 
Fasciculata auseinanderdrängt und das strukturelle Bild verwischt. 
Ein regelmäßiger Befund ist die sehr starke Blutfülle, die in den Fällen 
mit 24- und 27 ständiger Erkrankungsdauer zu eigentlichen Extra¬ 
vasaten geführt hat. Auffällig war das Fehlen jeder stärkeren leuko- 
cytären Reaktion. 

Sepsisfälle. 

Meerschweinchen Nr. 1. Injektion von 1 / 2 ccm einer Kultur von Bact. coli 
commune intrakardial. Nach 34 Stunden eingegangen. Im Herzpunktionsbhrt 
kulturell Coli. 

Histologischer Befund. Bedeutender diffuser Lipoidschwund der Rinde. Lipoid 
in feiner und feinster Körnung diffus in den Zellen verteilt. In den mittleren Par¬ 
tien der Fasciculata Lipoid etwas reichlicher vorhanden, hier auch zum Teil grobe 
Lipoidtropfenbildung. Geringes ödem. Hohltropfen fehlen völlig. Reichliche 
Zellvakuolisierung. Spärliche Waben- oder Lumenbildung über die Rinde ver- 
teüt. Beteiligung des Reticuloendothels. Mäßige Blutfülle der Capillaren. Keine 
wesentliche Blutung oder Infiltration. 

Meerschweinchen Nr. 2. Injektion von 1 f % ccm einer Kultur von Bact. coli 
commune intrakardial. Nach 29 Stunden eingegangen. Im Herzpunktionsblut 
kulturell Coli. 

Histologischer Befund. Lipoid der Rinde in mäßigem Grade diffus vermindert, 
regellos in feinster Körnung über die Zellen der Fasciculata verteilt, mit Bevor¬ 
zugung des Zellrandes an einigen Stellen. 0 Bildung von Hohltropfen- oder Halb¬ 
mondformen fehlt völlig. Struktur durch beträchtliches ödem verwischt. Reich- 


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Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis und Sepsis. 591 

liehe Bildung von Wabenzellen der Fasciculata, Vakuolen, stellenweise Lumen¬ 
bildung. Reticuloendothel mit reichlich feinstem Lipoid. Hyperämie und kleinste 
Blutungen. Keine Leukocyteninfiltration. 

Meerschweinchen Nr. 3. Injektion von 1 / 1 ccm Bact. coli commune ent¬ 
haltendem Meerschweinchenexsudat intrakardial Nach 24 Stunden eingegangen. 
Im Herzpunktionsblut kulturell Coli. 

Histologischer Befund. Ziemlich reichliche Lipoidmengen in der Fasciculata, 
in vorwiegend feintropfiger, weniger grobtropfiger Form, diffus in der Zone, viel¬ 
fach randständig in den Zellen verteilt. Hohltropfenbildung fehlt. Ziemlich 
starkes ödem der Binde. Stellenweise Reticuloendothelzellen mit feinstem Lipoid. 
Vakuolisierung und wabige Aufquellung vieler Zellgruppen bis zu Zellzerfall und 
Bildung rundlicher Lumina. Der Blutgehalt ist erhöht. Zwei größere Extravasate. 
Leukocyteninfiltrationen fehlen. 

Meerschweinchen Nr. 4. Injektion von 1 / 2 ccm Bact. coli commune ent¬ 
haltendem Meerschweinchenexsudat intrakardial. Nach 20 Stunden eingegangen. 
Im Herzpunktionsblut kulturell Coli. 

Histologischer Befund . Beträchtlicher Lipoidgehalt der Rinde, besonders der 
peripheren Partien der Fasciculata. Lipoid durchgehende in feinen Tröpfchen, 
vorzugsweise am Bande der Zellen angehäuft. Reichliche Beteiligung des Reticulo- 
endothels. Hohltropfenbildungen fehlen völlig. Geringe Vakuolisierung, spärliche, 
wabige Zellquellung und Zelldegeneration. Stärkste Hyperämie mit Extravasaten. 
Unbedeutende Leukocyteninfiltration. 

Meerschweinchen Nr. 5. Injektion von 1 / t ccm Bact. coli commune ent¬ 
haltendem Meerschweinchenexsudat intrakardial Nach 19 Stunden eingegangen. 
Im Herzpunktionsblut kulturell Coli. 

Histologischer Befund. Lipoidmenge noch reichlich, doch überwiegt feintropfige 
Form des Lipoids über die mittlere und grobe Tropfung. Starke Beteiligung des 
Reticuloendothels. Keine Hohltropfen- oder Halbmondformen, ödem der Rinde. 
Verstreut in den Säulen der Fasciculata vakuolisierte und wabige Zellen, auch 
Lumina. Stärkste Hyperämie mit Extravasaten. Unbedeutende Leukocyten¬ 
infiltration. 

Charakteristische Reaktionsbilder scheint die Sepsis an der Rinde 
der Meerschweinchennebenniere nicht hervorzurufen. Lipoidschwund 
und Verkleinerung ihrer Tropfen finden sich neben starker Hyperämie 
und Extravasaten. Auch hier tritt die Feintropfigkeit in den Vorder¬ 
grund neben vereinzelten gröberen Tropfen. Ebenso fehlt bei den sep¬ 
tischen Veränderungen die Bildung von Hohltropfen und die halbmond¬ 
förmige Ausbildung der Lipoidreste. Vielleicht finden sich diese Bil¬ 
dungen überhaupt nicht beim Meerschweinchen. Wieder erscheint sehr 
früh und ziemlich ausgeprägt Vakuolisierung und wabige Degeneration. 
Interessant ist ähnlich wie beim menschlichen Organe und im Gegen¬ 
sätze zur Peritonitis die relativ geringere Beanspruchung des Lipoid¬ 
speichers. Während bei einem Peritonitistiere die Rinde bereits nach 
24 Stunden fast völlig lipoidfrei war, zeigt sich hier bei den Sepsistieren 
selbst bei 34ständiger Erkrankungsdauer noch immer in mäßiger Menge 
Lipoid. 

Das bei den Peritonitistieren vorhandene ödem tritt auch bei den 
Sepsisfällen mehr oder weniger ausgesprochen in Erscheinung. Während 


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G. W. Deucher: 


der Lipoidaufbrauch sich in der menschlichen Binde mehr herdweise 
kundgibt und dadurch zur Bildung von Inseln lipoidhaltiger Parenchym¬ 
zellen führt, ist er bei der Meerschweinchenrinde diffus. Krystallisationen 
der Fettkörper fehlen hier auch durchwegs. 

Auffällig erschien die starke Reaktion des Gefäßsystemes unter 
Bildung von größeren Extravasaten gerade in jenen 2 Fällen experi¬ 
menteller Sepsis, die die kürzeste Erkrankungsdauer auf weisen. Bei 
diesen Tieren wurde Meerschweinchenexsudat intrakardial injiziert, das 
einen Colistamm enthielt, der bereits mehrfach von Tier zu Tier über¬ 
impft worden war. Dadurch haben wohl die Keime eine Verstärkung 
ihrer Virulenz erfahren. In ihrer entsprechenden Auswirkung am 
Gefäßapparate haben sie trotz der kürzeren Dauer des Krankheits¬ 
prozesses zu schweren Organveränderungen geführt. 

Eine besondere Differenzierung der Gewebsveränderungen durch die 
verschieden lange Dauer der Erkrankung wurde sonst eigentlich nicht 
beobachtet. Es fanden sich immer alle Stadien und Formen der Ver¬ 
änderung nebeneinander vor. Es kann dies daran liegen, daß es uns 
nicht gelungen ist, weder bei Sepsis noch bei Peritonitis die Erkrankung 
auf längere Zeit hinzuziehen. Die längste Erkrankungsdauer betrug 
34 Stunden in einem Falle von Sepsis, die kürzeste 15 Stunden in einem 
Falle von Peritonitis. Wie unsere histologischen Befunde zeigen, ließ 
sich das pathologisch-histologische Bild der Sepsisfälle gegenüber den 
Peritonitisfällen nicht abgrenzen. 

Immerhin konnten durch Infektion mit virulenten Bakterien Rinden¬ 
veränderungen erzeugt werden, die denen beim menschlichen Organe 
in mancher Hinsicht gleich gesetzt werden können. Es gelang, neben 
den Erscheinungen von seiten des Gefäßsystemes, das Lipoid der 
Nebennierenrinde zum Schwinden zu bringen und insbesondere das 
Auftreten von Feintropfigkeit der Lipoide auch beim Tiere nach¬ 
zuweisen. 

Gemeinsam ist unseren Untersuchungen menschlicher und tierischer 
Organe bei Peritonitis und Sepsis neben den quantitativen Veränderun¬ 
gen des Lipoidgehaltes und den Störungen von seiten des Blutgefä߬ 
apparates der physikalische Umbau des Zelllipoids. Neben dem charak¬ 
teristischen Auftreten feinster und feiner Tröpfchen und Körnchen da, 
wo normalerweise gröbere Lipoidkömer zu finden sind, tritt in der 
Rindenzelle beim Menschen noch die Bildung von Hohltropfen, Halb¬ 
mondformen, Vakuolen und die wabige Degeneration in Erscheinung. 

Es wäre vielleicht denkbar, um dies vorwegzunehmen, daß es sich 
bei diesen physikalischen Tropfenveränderungen um artifizielle oder 
postmortale Erscheinungen handeln könnte. Gerade bei Peritonitis, wo 
wir häufig die Hohltropfenform und Halbmondbildung beobachtet 
haben, liegen die Nebennieren einige Zeit in der hochtemperierten 


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Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis und Sepsis. 593 

Bauchhöhle und sind dabei wohl Abschmelzungsprozessen unter* 
worfen. Dann könnte die Formolfixierungsflüssigkeit zu Kunstproduk¬ 
ten führen. Die Sudanfärbung setzt die Passage alkoholischer Lösungen 
voraus, die auf die Fettstoffe extrahierend einwirken kann. Die in der 
Kälte in unserem Formolmaterial auftretenden Auskrystallisationen der 
Lipoide führt vielleicht zur Änderung der Affinität gegenüber dem 
Anilinfettfarbstoff. Wir sind diesen Entstehungsmöglichkeiten von 
Kunstprodukten im Tierversuch und durch Modifikation der Sudan¬ 
färbung nachgegangen. Wir haben bei gesunden, durch Nackenschlag 
getöteten Meerschweinchen die eine Nebenniere sofort post mortem 
entfernt und in Formol eingelegt, # dann nach Vemähung der Bauch¬ 
wunde das andere Organ einmal 12, in einem weiteren Falle 24 Stunden 
bei Zimmertemperatur den postmortalen autolytischen Prozessen aus¬ 
gesetzt und dann entsprechend weiterverarbeitet. Auf dieselbe Art 
sind wir bei Peritonitistieren vorgegangen. Bei der vergleichenden 
Mikroskopie dieser Organe war eine Umwandlung der kleinen Körnchen 
und Tröpfchen zu größeren oder umgekehrt die Entstehung anderer 
physikalischer Formgebilde nun allerdings nicht ersichtlich. Das Zupf- 
präparat hat uns lediglich gezeigt, wie ungeheuer reichlich sich größere 
und kleinere und feinste Tropfen und Tröpfchen in den Zellen gedrängt 
zusammenfinden, in einer Zahl, die das mikroskopische Bild auch des 
normalen Rindenschnittes kaum vermuten ließe. 

Färbung mit Sudanlösung, nach der Herxheimerschen Vorschrift, 
jedoch mit Variation der Färbungs- und Auswaschzeiten, endlich 
Färbung der im Brutofen vorgewärmten Schnitte mit ebensolcher 
Farblösung beeinflußten das physikalische Verhalten der Lipoidtropfen 
nicht. Zudem müßte ja eine Fehlerquelle alle, auch die normalen 
Schnitte betreffen. Es wäre so das Vorkommen von Volltropfen in 
einem Teile unseres Materiales nicht verständlich. Wir möchten, ge¬ 
stützt auf diese Untersuchungen und Überlegungen, die Möglichkeit, 
daß es sich um Erscheinungsformen von Artefakten handelt, ablehnen. 
Dietrich hat die Ausbildung dieser feintropfigen Lipoidformen als einen 
Aufsplitterungsvorgang bezeichnet. Dies würde u. E. ein sozusagen 
aktives Zerfallen eines größeren Lipoidtropfens in zahlreiche kleinere in 
sich begreifen. Unsere Beobachtungen an Schnitten des normalen 
Organes bei Mensch und Tier und am Zupfpräparat scheinen uns nun 
eher dafür zu sprechen, daß es sich bei dieser „Aufsplitterung“ lediglich 
um eine Verkleinerung, einen Schwund präexiotenter Tropfen durch den 
konsumierenden Krankheitsprozeß handeln dürfte. Wir haben gesehen, 
wie große Tropfen in der Zelle selbst oft die kleinen zentral zusammen¬ 
drängen oder ganz verdecken können. Gibt nun der celluläre Lipoid¬ 
speicher seine Fettkörper bei Krankheitsprozessen an den Organismus 
ab, dann treten diese Tröpfchen und Körnchen deutlicher hervor. In 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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(i. W. Deucher: 


welch großer Zahl sie im Zelleibe vorhanden sind, schon normalerweise, 
das zeigt ihr massenhaftes Freiwerden im Zupfpräparat. Da sich diese 
physiologisch schon kleinen Tröpfchen ebenso an der Lipoidabgabe 
beteiligen dürften, wie die großen Tropfen, kommt es zur Ausbildung 
jener feinsten, fast staubartigen Granula. In den Schichten der Glo- 
merulosa und Reticularis, wo normalerweise schon feinere Formen 
überwiegen, sind sie besonders reichlich vorhanden. 

Über die Art der Vorgänge bei dieser Lipoidkonsumption in den 
Parenchymzellen, die zu den verschiedenen Veränderungen der Lipoid¬ 
tropfen führen dürfte, sind natürlich nur Vermutungen zulässig. Wir 
möchten uns hierzu noch einige Bemerkungen gestatten. 

Kaivamura, der auch bei Allgemeinerkrankungen diese feineren und 
gröberen Körner und Tropfen beobachtete, wirft bei seinen Befunden 
die Frage auf, ob wohl diese feinkörnigen Fettsubstanzen als inte¬ 
grierender Bestandteil letzten Endes die Matrix der gröberen Fett- 
kömer abgeben könnten. Weltmann glaubt als sicher annehmen zu 
dürfen, daß die von ihm nach kompletter Ausschwemmung des Lipoids 
in den Rindcnzellen gefundenen Granula „die Träger des Lipoids sind, 
die nur sichtbar bleiben, wenn sie damit beladen sind“. Mit Jaffi und 
Löwenfeld 49 ) spricht er diesen Granula nach einer starken Lipoid¬ 
ausschwemmung, wie beispielsweise durch akute Infektionskrankheiten 
oder lang dauernde kachektische Zustände, Beziehung zur Regeneration 
zu. Daß es sich bei den Hohltropfen und der Vakuolenbildung nicht 
um Entstehung bloßer Lücken handeln kann, zeigt ihre Färbbarkeit 
mit Eosin. 

In der Tat ließe sich sehr wohl die Bildung grobtropfigen und groß- 
körnigen Lipoides aus den feinen Formen durch eine Art appositionelles 
Wachstum oder durch Konfluenz von Lipoidhüllen der in den Proto¬ 
plasmamaschen hegenden Rindenkömer verstehen. Dabei möchten wir 
mit Aschoff, Landau, Stemberg ®°) u. a. an diesem Vorgänge als dem 
Prozesse einer Speicherung festhalten. Ebenso wäre natürlich der 
reversible Vorgang des Abbaues resp. der Verkleinerung der großen 
Tropfen und Körner bei Erkrankungen, die diese Fettkörper kon¬ 
sumieren, denkbar. Durch Schwund dieser, die Matrixkömer um¬ 
gebenden Lipoidhüllen, wäre dann auch die Entstehung jener kalotten¬ 
artigen und ringförmigen Gebilde erklärbar, die uns als Hohltropfen 
und Halbmondformen imponieren. 

Vergleiche ich meine Befunde mit den Angaben Dietrichs , so kann 
ich dieselben in allen wesentlichen Punkten bestätigen. In bezug auf 
die Entstehung der Feintropfigkeit und angebüchen Zersplitterung der 
großen Fetttropfen weiche ich von ihm ab, da ich schon in der normalen 
Nebenniere neben den großen Tropfen regelmäßig mittlere und feinere 
Fetttropfen nachweisen konnte. Auch glaube ich hervorheben zu müssen, 


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Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis und Sepsis. 595 

daß zwischen Peritonitis einerseits und Sepsis andererseits ein wichtiger 
Unterschied besteht, insofern die regressiven Prozesse an der Neben¬ 
nierenrinde bei den septischen Vorgängen durchschnittlich langsamer, 
oft auffallend langsam verlaufen und auch die Hohltropfenbildung 
an den Lipoiden in einem bestimmten Prozentsatz der Fälle überhaupt 
nicht oder nur angedeutet vorhanden ist. Auch der wabige Zerfall 
der Parenchymzellstränge ist nur bei einem Teil der Sepsisfälle nach¬ 
weisbar und auch dann nicht in dem Maße wie bei den Peritonitisfällen. 

Aus dieser Verschiedenheit der Befunde bei Sepsis und Peritonitis 
erklärt es sich vielleicht auch, daß Weißenfeld bei seiner kleinen Zahl 
von Sepsisfällen wohl zufällig gar keine der von Dietrich beschriebenen 
beiden Formveränderungen, nämlich Hohltropfigkeit und wabigen 
Zerfall nachweisen konnte, sondern nur einen größeren oder geringeren 
Lipoidschwund, aber ohne Aufsplitterung der großen und kleinen 
Tropfen festzustellen vermochte. Dann ist andererseits auch ver¬ 
ständlich, daß Wolff neben Feintropfigkeit zwar auch Vakuolisierung 
fand, sie aber nicht als einen charakteristischen Befund für Gasödem 
ansprechen konnte. Ich glaube also, daß auch diese Befunde keinen 
Gegensatz zu den Dietrichachen Beobachtungen bedeuten, sondern nur 
eine Ergänzung in dem Sinne, daß eben bei Sepsis die Veränderungen 
nicht so charakteristisch sind wie gerade bei Peritonitis. Meine eigenen 
Beobachtungen zeigen mir aber, daß auch bei Sepsis die von Dietrich 
beschriebenen Befunde erhoben werden können. 

Am Schlüsse unserer Ausführungen angelangt, möge hier zusammen¬ 
fassend das uns im Laufe der Untersuchungen wichtig Erschienene 
noch einmal zusammengestellt werden. 

In der normalerweise durchwegs sehr fettreichen Nebennierenrinde 
wurde das Lipoid in den Schichten der Glomerulosa und Reticularis 
vorwiegend in feiner Tropfung in den Parenchymzellen angetroffen. 
In der Fasciculata fand sich eine Mischform gröberer und feinerer 
Tropfen In den Schnittpräparaten zeigten sich sehr reichliche Aus- 
krystallisationen dieser Fettkörper. 

Bei den infektiös-toxischen Prozessen der Peritonitis und Sepsis trat 
ein vorzugsweise herdförmiger Lipoidschwund in Erscheinung, wobei 
Glomerulosa und Reticularis in der Regel zuerst ihren Lipoidgehalt 
einbüßen. Die vorhandenen kleinen Lipoidtropfen nehmen dabei feinste 
Formen an, in der Fasciculata finden sich feinste neben gröberen Tropfen, 
Mittelformen verschwinden fast völlig Zunehmend mit dem Lipoid¬ 
schwunde verliert sich das Krystallisationsvermögen der Lipoide. 

Neben der Verkleinerung der Tropfengröße bis zu ihrem Verschwinden 
konnte Hohltropfenbildung, Vakuolisierung und wabige, schaumige Zell¬ 
degeneration beobachtet werden. 

Der Blutgefäßapparat zeigte seine Mitbeteiligung an den Prozessen 

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596 Gr- W. Deucher: Veränderungen der Nebennierenrinde bei Peritonitis usw. 

durch ödem und Hyperämie. Extravasate und Infiltrationen wurden 
selten beobachtet. 

Charakteristisch für den peritonitischen Prozeß ist das raschere und 
stärkere Auftreten dieser Veränderungen. Demgegenüber zeigt die 
septische Erkrankung langsamere Entwicklung leichterer Formen, doch 
ist das Bild gerade bei Sepsis sehr wechselnd. 

Ähnliche Befunde ergeben Tierversuche an Meerschweinchen, wobei 
allerdings Hohltropfenbildung nie beobachtet werden konnte und der 
Lipoidschwund immer in diffuser Weise vor sich ging. 

Literaturverzeichnis. 

*) Ghvostek, Lubarsch-Ostertag 9. 1903. — Ä ) Biedel, Innere Sekretion. Wien 
und Berlin 1910. — 3 ) Landern, Die Nebennierenrinde. Jena 1916. — 4 ) Nopp, 
Virchows Arch. f. pathol. Anat. u. PhysioL 18t. 1905. — 6 ) Babes und Jonescu, 
Cpt. rend. dess6ances de la soc. de bioL 1908. — 8 ) Goldzieher, VerhandL d. Dtech. 
Ges. f. Pathol. 1909; Wien. klin. Wochenschr. 1910, Nr. 22. — 7 ) Beitzi fce, Berl. 
klin. Wochenschr. 1909, Nr. 39 (Referat). — 8 ) Löschte, Münch, med. Wochenschr. 
1910, Nr. 1; Beitr. z. pathoL Anat. u. z. allg. Pathol. 49. 1910. — *) Thomas , 
Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. 50. 1911. — 10 ) Aschoff, Kriegspatbo- 
logische Tagung, Berlin 1916. — n ) Materna, Virchows Arch. f. pathol. Anat 
u. PhysioL 32T. 1920; Zeitschr. f. & ges. Anat., Abt. 1: Zeitschr. f. Anat. u. Ent- 
wicklungsgesch. 9. 1923. — 12 ) Rosenstein, Arbeiten aus dem Pathologischen 
Institut Posen, 1901—1902. — 1S ) Kawamura , Die Cholesterinesterverfettung. 
Jena 1911. — 14 ) Bogomolez , Beitr. z. pathoL Anat. u. z. allg. Pathol. 38. 1905. — 
15 ) Bemard und Bigard , Cpt. rend. des säances de la soc. de bioL 1901—1905. — 
1Ä ) Dietrich, A . und E. Kaufmann, Zeitschr. f. <L ges. exp. Med. 14. 1921. — 
1? ) Geringer , Wien. klin. Wochenschr. 1917, Nr. 30. — 18 ) Goormaghtigh, Arch. 
de med. exp. T. 38, zitiert nach Zeitschr. f. allg. Psychiatrie 31. 1918. — w ) Pho- 
takis, BerL klin. Wochenschr. 1921, Nr. 45. — *°) Dietrich , ZentrlbL f. allg 
Pathol. 39. 1918. — 21 ) Weltmann , Beitr. z. pathol Anat. u. z. allg. Pathol. 5i 

1913. — 22 ) Weißenfeld , Beitr. z. pathoL Anat. u. z. allg. Pathol 70. 1922. — 

23 ) Wolff, Statistisches und Bakterioskopisches zur Gasödemfrage. Jena 1922. — 

24 ) JSisson , Beitr. z. pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. 49. 1910. — 15 ) Herrmann, 
Inaug.-Diss. Tübingen 1905. — 2Ä ) Schaffer, Histologie und Histiogenese. Leipzig 
1920. — 27 ) Velich, Virchows Arch. f. pathol Anat. u. PhysioL 184. 1906. — 
28 ) EUiot und Tuctett, Joum. of physiol. 34. 1906. — 29 ) Jaffe und Löwenfeld, 
Virchows Arch. f. pathoL Anat. u. Physiol. 310. 1912. — ®°) Stemberg, Beitr. z. 
pathol. Anat. u. z. allg. Pathol. 00. 1915. 


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Über die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 

Von 

E. Liek, Danzig. 

(Eingegangen am 16. Juni 1923.) 

3 Jahren habe ich in einer ausführlichen Arbeit 1 ) das Krank- 
^ Id, das gemeinhin unter dem Namen der chronischen Appendicitis 
. iner Kritik unterworfen. Ich versuchte zu zeigen, daß in vielen 
vielleicht in den meisten, ein kranker Wurmfortsatz als Ursache 
n Frage kommt, daß es sich vielmehr um funktionelle Störungen 
-0 reich des vegetativen Nervensystems handelt, Störungen, die 
-'J unter dem Bilde des Spasmus verlaufen und ein der Blinddarm¬ 
entzündung ähnliches Bild hervorrufen können. 

Wie ich erwartete und in der Arbeit auch aussprach, sind meino 
Anschauungen im Kreise der Chirurgen auf Widerspruch gestoßen. 
Dieser Widerspruch ist weniger im Schrifttum als in persönlicher Aus¬ 
sprache zutage getreten. Viele Gegensätze beruhen allerdings einfach 
auf Mißverständnissen. Als meine Arbeit in den Grenzgebieten erschien, 
war mehr als ein Drittel — dem Platzmangel zuliebe —• gestrichen. 
Nicht immer hatte dabei der Stift des Herausgebers einen glücklichen 
Tag. Wenn ich einiges von diesem Versunkenen hier hervorhole, anderes 
Neue hinzufüge, so geschieht dies nicht, um das genügend, oft bis zum 
Überdruß bestellte Feld der Appendicitis nochmals abzuemten. Wich¬ 
tiger scheint mir, daß gerade auf diesem umschriebenen Gebiet Einblicke 
in ärztliche und chirurgische Denkweisen sich eröffnen, die für die 
Bewertung und zukünftige Entwicklung unserer Kunst von Bedeutung 
sind. 

Eins der schwerwiegendsten Mißverständnisse liegt in dem Vorwurf, 
ich wolle einen Abbau der mit so viel Mühe und mit so viel Segen aus- 
gebauten Blinddarmchirurgie. Kaum sei die gemeinsame und ersprie߬ 
liche Arbeit von Praktikern und Chirurgen erreicht, da blase ich, aus¬ 
gerechnet selbst Chirurg, wieder zum Rückzug. Das bedeute nicht nur 
wissenschaftlich einen Rückschritt, sondern leider auch Unheil und 
Verderben für zahlreiche Kranke. Höre ich solchen Einwand, so nehme 

x ) Über Pscudoappendioitis usw. Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 3t. 
1920; daselbst auch Angabe der benutzten Arbeiten. 



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E. Liek: 


ich immer wieder meine Arbeit vor und finde nirgends eine Zeile, die 
dazu berechtigt. Ich habe jetzt etwas über 1200 Blinddarmoperationen 
selbst ausgeführt, bin nach wie vor unbedingter Anhänger der chirurgi¬ 
schen Behandlung der Appendicitis, unbedingter Anhänger auch der 
Frühoperation. Wogegen ich angegangen bin, sind die ungezählten, 
kritiklosen Appendektomien bei Erkrankungen, die nichts mit dem Wurm¬ 
fortsatz zu tun haben. Bei akuten Erkrankungen dieser Art dürfte ein 
Widerspruch sich nicht erheben. Keiner von uns wünscht, daß die 
Appendix bei Pneumonie, Masern, Pleuritis, Lungentuberkulose, Nieren¬ 
steinen, Pyelonephritis, Pyosalpinx usw. herausgenommen wird, daß 
zu dem an sich bestehenden Leiden noch eine Operation, und zwar eine 
niemals ganz ungefährliche Operation, hinzukommt. Daß auch dem 
gewissenhaftesten und erfahrensten Arzt immer wieder einmal ein solcher 
Irrtum unterläuft, ändert an der grundsätzlichen Stellung nichts. Wir 
müssen unter allen Umständen darauf bedacht sein, die Zahl dieser 
Fehldiagnosen zu verkleinern. 

Nebenbei, eins gebe ich zu: Man sollte diese Fehldiagnosen nicht mit dem 
Namen „Pseudoappendicitis“ bezeichnen, ebensowenig wie man von einei Pseudo 
le ukämi e usw. sprechen sollte. Eine Pneumonie ist eine Pneumonie; sie kann 
übersehen oder verkannt werden, aber auch in der Namensnennung sollte besser 
jeder Hinweis auf ein Organ, das mit dem vorliegenden Leiden nichts zu tun hat. 
unterbleiben. Ich habe in meiner Arbeit in Anlehnung an die von Nothnagel 
eingeführte „Pseudoperityphlitis“ den Ausdruck „Pseudoappendicitis“, als in 
unserm Schrifttum vielfach verbreitet und allgemein bekannt, beibehalten, werde 
es aber in Zukunft unterlassen. 

Ganz anders liegen die Dinge bei der sogenannten chronischen 
Appendicitis. Auch hier habe ich den Standpunkt vertreten, man solle 
in chronischen Fällen operieren, sobald der Wurmfortsatz als Ursache 
der Erkrankung sicher erkannt oder wenigstens mit großer Wahr¬ 
scheinlichkeit angesprochen werden kann. Der Entschluß wird er¬ 
leichtert durch die Tatsache, daß solche Operationen, wenn nicht gerade 
hohes Alter, schwere Erkrankungen anderer Organe usw. vorliegen, als 
wenig gefährlich zu erachten sind. 

‘Aber — nun kommt der Haken — wann und wo ist der Wurm¬ 
fortsatz Ursache chronischer Erkrankungen und wie erkenne ich diesen 
Zusammenhang ? Über das Krankheitsbild sind wir alle uns einig. Ich 
habe es in der erwähnten Arbeit geschildert und fasse daher hier nur 
kurz zusammen: 

Unangenehme Empfindungen, besonders Druck und Völle im Leibe, mit 
Vorliebe im Bereich der rechten Beckenschaufel und im Epigastrium. Zeitweise 
Appetitmangel, Übelkeit, Verdauungsstörungen (Verstopfung, gelegentlich auch 
Durchfälle), Gefühl der Abgeschlagenhcit, Arbeitsuulust. Nicht selten treten in 
mehr oder weniger großen Zwischenräumen kolikartige Schmerzen auf. Das 
Körpergewicht kann unverändert bleiben, bei anderen Kranken aber auch er¬ 
heblich zurückgehen; Temperatursteigerungeu fehlen oder sind unbedeutend. 


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Uber die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 


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Soweit etwa das Krankheitsbild. Erst in der Deutung klaffen die 
Gegensätze auf. Viele Chirurgen sehen keine Schwierigkeiten. Für sie 
ist mit den oben geschilderten Erscheinungen — es können einige 
fehlen, andere hinzukommen — das Krankheitsbild der „chronischen 
Appendicitis“ genügend Umrissen. Es wird operiert, am Wurm werden 
chronische Veränderungen makroskopischer oder mikroskopischer Natur 
gefunden. Wird der (oder meistens die) Kranke geheilt, nun so ist der 
Kreis geschlossen. Bleiben die Beschwerden, dann liegt bedauerlicher¬ 
weise Hysterie vor, und es ist wenigstens von seiten des Chirurgen nichts 
zu machen, wenn er sich nicht auf weitere Operationen als Lösen von 
Verwachsungen, Annähen des Coecum mobile, Anastomosen, Resek¬ 
tionen usw. einlassen will. 

Ich denke über diese Dinge anders. Ich bin mir dabei wohl bewußt, 
daß es keine objektive Wahrheit gibt, am .allerwenigsten in der Heil¬ 
kunde. Der Glaube spielt nicht nur beim handelnden Arzte und beim 
Kranken, sondern auch bei „exakten“ Forschern eine sehr große, oft 
genug eine ausschlaggebende Rolle. 

Weiter in der Erkenntnis werden wir nur kommen, wenn wir von den 
einfachsten Dingen ausgehen. Ich will daher zunächst alltägliche, ganz 
unbestrittene Befunde wiedergeben, dann die gegnerische und meine 
Deutung. Das Urteil überlasse ich den Lesern. Entscheiden wird immer 
Denk- und Anschauungsart des Einzelnen. 

1. Ein Chirurg weist einen Wurmfortsatz vor, den er soeben einem 14 jährigen, 
kräftigen Landjungen entfernt hat. Der Knabe ist bisher stets völlig gesund 
gewesen und hat seine nicht gerade leichte Arbeit ohne Unterbrechung verrichtet. 
Vor 8 Tagen Leibschmerzen und Erbrechen. Die Erscheinungen ließen am 2. oder 
3. Tage nach, um am 6. und 6., diesmal aber sehr viel stärker, wiederzukehren. 
Fieber, Druckschmerz, Bauchdeckenspannung machten eine schwere akute Appen¬ 
dicitis sicher. Operation: Empyem fast des ganzen Wurmfortsatzes mit teilweiser 
Gangrän und Perforation der Wand. Unweit des Coecums zeigt die aufgeschnittene 
Appendix eine etwa 1 cm lange, sehr enge, narbige Stenose; distal davon die 
eben beschriebenen, schweren Veränderungen. 

Schlußfolgerung des Chirurgen; Wir sehen nicht selten auf dem Boden 
einer chronischen Appendicitis (hier narbige Stenose) schwere lebens¬ 
bedrohliche Erkrankungen. Daher Operation der chronischen Appen¬ 
dicitis, um der akuten vorzubeugen. 

Meine Schlüsse aus dem Falle sind ganz andere'. Die narbige Stenose 
der Appendix kann nur die Folge einer schweren akuten Entzündung 
sein. Eine mikroskopische Untersuchung fehlt, aber es kann nicht 
zweifelhaft sein, daß eine ulceröse Entzündung, die zum mindesten 
Mucosa und Submucosa, nach dem makroskopischen Aussehen aber auch 
die Muscularis betroffen hat, vorausgegangen ist. Nur eine geschwürige 
Veränderung kann zu solcher schweren Narbenstenose führen. In der 
Vorgeschichte fehlt aber, wie immer wieder hervorgehoben wird, jede 


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E. Liek: 


Angabe über eine durchgemachte Blinddarmentzündung. Ich ziehe 
daraus den sehr wichtigen Schluß: Auch schwere, d. h. vlceröse Eni- 
Zündungen des Wurmfortsatzes können auftrelen und unter Narbenbildung 
abheilen, ohne daß der betreffende Kranke es gewahr wird. Es liegt gar 
kein Anlaß vor, dies Vorkommnis als ein seltenes anzusehen. Ich will 
die vorliegende Arbeit nicht allzusehr mit „Fällen” belasten und gebe 
daher aus einer ganzen Reihe gleicher Beobachtungen nur den letzten, 
der mir in frischer Erinnerung steht, wieder: 

Herr R. S., 30 Jahre alt, aufgenommen 28. III. 1923. Vor 24 Stunden er¬ 
krankt mit heftigen Schmerzen in der Magengegend, dann in der rechten Becken¬ 
schaufel, zunehmender Übelkeit. 

Kräftiger Mann, mit ängstlichem Gesichtsausdruck. Temperatur 37,2°; 
Puls 96. Appendixgegend äußerst druckempfindlich und reflektorisch gespannt. 

Sofortige Operation. Der Wurmfortsatz liegt in dichten Verwachsungen 
nach unten innen, Kuppe kugelig aufgetrieben und stark gerötet. In der Bauch¬ 
höhle reichlicher trüber Erguß. Ektomie, völliger Schluß der Bauchwunde. Das 
proximale Ende des 8 cm langen Wurms ist bis auf mäßige Gefäßinjektion regel¬ 
recht, dann folgt eine enge, schwielige Narbenstriktur und distal davon ein 
kugeliges Empyem der Kuppe, mit beginnender Gangrän. 

Die Narbenstenose kann nur von einer früheren, ulcerösen Entzündung 
herrühren. Wiederholtes Befragen des sehr intelligenten Kranken ergibt aber 
immer wieder eine völlig negative Vorgeschichte. 

Entlassung aus der Klinik 9 Tage nach der Operation. 

Wir Chirurgen laufen Gefahr, in dieser Frage einen kleinen Denk¬ 
fehler zu begehen. Uns gehen vorzugsweise die schweren Fälle von 
Blinddarmentzündung zu. Wenn wir von unseren Kranken mit akuter 
Appendicitis, sagen wir 95% operieren, so ist damit noch lange nicht 
gesagt, daß die Blinddarmentzündung zu 95% operative Behandlung 
erfordert. Auf ebenso unsicheren Schlüssen sind unsere Angaben über 
die rückfällige Appendicitis aufgebaut. Man spreche einmal mit viel 
beschäftigten Praktikern, namentlich mit Landärzten, und man wird 
oft mit Erstaunen hören, wie unendlich viele, leichte Erkrankungen 
unterlaufen, wieviel schwere Blinddarmentzündungen aber auch ohne 
Eingriff heilen ; und das sehr oft ohne späteren Rückfall. Schließlich sieht 
auch jeder Chirurg von Zeit zu Zeit einen Kranken, der bei schwerer 
Blinddarmentzündung den Eingriff verweigert und trotzdem gesund 
wird und gesund bleibt. 

• 

Hier muß ich eine kurze Bemerkung einschalten, um mich vor weiteren 
Mißverständnissen zu schützen. Sonst höre ich wieder, ich wolle die Blinddarm¬ 
entzündung mit Atropin behandeln und verderbe durch meine Lehren die ärztliche 
Jugend. Ich teile aber den Standpunkt jener ländlichen Kollegen ganz und gar 
nicht und habe sie bei jeder Gelegenheit nachdrückliche gewarnt vor den Nacken¬ 
schlägen, die sicher vorauszusagen sind. Mag die Sache noch so oft gut ablaufen, 
immer wieder werden angesichts unseres Unvermögens, leichte und schwere 
Anfälle stets mit Sicherheit zu unterscheiden oder den Verlauf voratuwusagen, 
bei ab wartender Behandlung unvermutete Lebensbedrohungen und unnötige 


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Über die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 


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Todesfälle sich ereignen. Wer in so viele Blinddarmbäuche wie ich hineingesehen 
hat, für den fallen im allgemeinen Diagnose der akuten Appendicitis und sofortige 
Operation zusammen. Wenn wir jetzt leider mehr verschleppte Fälle zu sehen 
bekommen, so liegt der Grund nicht in meiner gefährlichen Arbeit, sondern in 
dem Schandfrieden von Versailles. Die furchtbare Verarmung verbietet sehr 
vielen unserer Volksgenossen einen Arzt rechtzeitig hinzuzuziehen. Daß die Not 
der Ärzte selbst auch dazu führt, Kranke weniger leicht an den Chirurgen ab¬ 
zugeben, kommt gewiß nicht allzu häufig vor, muß aber doch einmal erwähnt 
werden. 

Ich gehe nun einen Schritt weiter und sage, daß ein Mensch eine 
akute Blinddarmentzündung durchmacht, ohne daß er oder seine Um¬ 
gebung etwas davon merkt, ohne daß ein Arzt ihn sieht, ist nicht Ausnahme, 
sondern Regel. Ausnahmen sind die schweren Fälle. Wie es einen am¬ 
bulanten Typhus gibt, so gibt es eine ambulante Appendicitis, nur mit dem 
Unterschiede, daß der Typhus einige wenige befällt, die akute Appendicitis 
aber uns alle. Eine völlige Wiederherstellung ist selten. Es bleiben am 
Wurmfortsatz Folgen zurück in allen Graden, von nur mikroskopisch 
sichtbaren Veränderungen bis zu schweren Narben, wie sie soeben 
beschrieben. Daß Stenosen, Abknickungen, Verwachsungen bei einem 
neuen Anfall durch Verhaltung, Virulenzsteigerung usw. zu schweren, 
ja bedrohlichen Veränderungen führen können, leuchtet ohne weiteres 
ein und steht im Einklang mit unsern tagtäglichen klinischen Er¬ 
fahrungen. 

Systematische Untersuchungen der pathologischen Anatomen be¬ 
stätigen die Häufigkeit solcher Veränderungen. 

Aschoff fand bei Menschen im höheren Lebensalter in etwa 80%, Mardand 
und Kulcula in 100% chronisch-entzündliche Veränderungen des Wurmfortsatzes. 
Nach Ribbert zeigen die Wurmfortsätze des Menschen über 60 Jahre in mehr als 
der Hälfte der Fälle Obliterationen. Auch Oberndorfer und Henke kommen zu 
dem Schluß, daß normale Wurmfortsätze in vorgeschrittenem Alter zu den größten 
Seltenheiten gehören. Sonnenburg sagt: „Nach dem 40. Lebensjahre haben nur 
noch wenige Menschen einen völlig normalen Wurmfortsatz.“ Comil konnte bei 
der Untersuchung von Wurmfortsätzen gelegentlich anderer Operationen fast 
ausnahmslos derartige Veränderungen nachweisen. 

Klinische und anatomische Untersuchungen lehren uns also das 
Gleiche: Es macht nahezu jeder Mensch seine Appendicitis durch. Ein 
Einwand ist möglich. Wer sagt uns, daß diese Veränderungen Folge 
akuter Entzündungen seien; es sei doch ebensogut ein chronischer 
Beginn und Verlauf möglich. Ein genaues Eingehen auf diese Frage 
muß ich mir versagen, das würde ein Aufrollen der ganzen Appen- 
dicitisätiologie bedeuten und uns zu weit abführen. Hier nur soviel: 
Pathologen, die sich besonders mit diesen Dingen befaßt haben, wie 
z. B. Aschoff, vertreten den Standpunkt, daß die beschriebenen Ver¬ 
änderungen ausnahmslos Reste oder Folgen akuter Entzündungen 
seien. Die klinischen Beobachtungen sprechen zum mindesten nicht 


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602 


E. Liek: 


dagegen. Der Haupteinwand, die negative Vorgeschichte, ist kein 
gewichtiger Gegengrund. Oft genug gelingt es, bei genauem Befragen, 
doch den akuten Anfall sicher oder wenigstens wahrscheinlich zu machen. 
In anderen Fällen ist der akute Anfall — sei es, daß er sehr leicht war, 
sei es, daß es sich um einen wenig empfindlichen Kranken handelte — 
übersehen oder schnell vergessen. Eine negative Vorgeschichte ist hier 
nur mit Vorsicht zu bewerten, genau wie wir z. B. in vielen Fällen einer 
negativen Syphilisanamnese kritisch gegenüberstehen müssen. 

Ich wiederhole, wir dürfen bei einem erwachsenen Menschen mit 
einem normalen Wurmfortsatz nicht rechnen. Jeder von uns hat ana¬ 
tomisch seine „chronische Appendicitis“, d. h. mehr oder weniger 
ausgeprägte Folgen durchgemachter akuter Entzündungen. Sollen wir 
diese operieren? Ich denke, nein. Das käme auf die Forderung einer 
obligatorischen Appendektomie, ähnlich dem Impfzwange, hinaus. Die 
schweren Formen, denen das Gespenst einer akuten Blinddärmen^ 
zündung stärker droht, herauszugreifen, ist ebenso unmöglich. Ich 
erinnere an den ersterwähnten Fall des 14jährigen Jungen mit alter 
Narbenstenose und frischer Gangrän der Appendix. Wir hören ja 
immer wieder: Niemals hat der Junge vor der letzten Erkrankung 
irgendwelche Beschwerden gehabt, ist arbeitsfähig gewesen usw. Wie 
ihm ansehen, daß sein Wurmfortsatz eine solche Stenose enthält ? 

Die Frage einer grundsätzlichen Operation der chronischen Appen¬ 
dicitis auf werfen, heißt sie verneinen. Nicht die chronische Appendicitis 
sollen wir operieren, das sei hier vorweggenommen, sondern die chronisch¬ 
rezidivierende Appendicitis. Das ist ein großer Unterschied. Wir sollten 
selbst die Bezeichnung chronische Appendicitis aufgeben, ebensowenig 
von einer anfallsfreien Appendicitis sprechen, von einer larvierten usw. 

Die Bezeichnung „chronische Appendicitis “ trifft anatomisch zu, 
aber nicht klinisch. Es hegen hier ähnliche Verhältnisse vor, wie z. B. 
bei der Tuberkulose. Wir wissen aus den Untersuchungen Naegelis, 
daß man bei genauer Sektion von Leuten über 15 Jahren in 98% tuber¬ 
kulöse Veränderungen findet; wir wissen weiter, daß die Pirquetsche 
Probe bei Erwachsenen fast ausnahmslos positiv ausfällt. Was sagt das 
uns? Jeder von uns hat eine tuberkulöse Infektion hinter sich und 
trägt deren Folgen oder Reste in seinem Körper. Sollten wir uns aber des¬ 
wegen als tuberkulosekrank ansehen oder gar einer spezifischen Be¬ 
handlung unterziehen? Die Frage wird verneint, obwohl von diesen 
Resten jederzeit eine akute Tuberkulose aufflammen kann. Erst dann 
aber erwägt der Arzt eine spezifische Behandlung. Weshalb sollen wir 
nun in bezug auf den chronisch veränderten Wurmfortsatz anders 
denken als in bezug auf eine tuberkulöse Drüse? 

Doch kehren wir zum Ausgang zurück, zum einfachen Befund und 
der verschiedenen Deutung. 


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Über die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 


603 


2. Ein Chirurg zeigt den Wurmfortsatz eines 17 jährigen Mädchens. Es 
handelt sich um eine junge Dame, die Beit längerer Zeit an Kopfschmerzen, zeit¬ 
weisem Erbrechen und Bauchbeschwerden, hauptsächlich seitens des Magens, 
leidet, im übrigen aber ein Bild blühender Gesundheit ist. Eine 4 wöchentliche 
Beobachtung auf der inneren Station bringt keine Klärung. Es wird an Hysterie 
gedacht. Eine Atropinkur bessert den Zustand nur vorübergehend. Schließlich 
wegen anhaltender Magenbeechwerden Laparotomie: Magen und Umgebung frei 
von krankhaften Veränderungen, dagegen erweist sich die Appendix als auf¬ 
fallend lang (15 cm) und mit Kot gefüllt. Die Kranke ist nach der Appendektomie 
sofort beschwerdefrei und ist es bis zum Tage des Berichts (10 Tage post op.) 
geblieben. 

Schlußfolgerung: Es handelte sich um eine vor der Operation nicht 
erkannte, chronische Appendicitis. Durch die Entfernung des Wurm¬ 
fortsatzes ist die Kranke von ihrem Leiden geheilt. Man soll bei der¬ 
artigen Beschwerden an eine chronische Appendicitis denken und 
gegebenenfalls operieren. 

Auch hier kann ich nicht folgen, ich sehe nun einmal die Dinge 
anders. Zunächst sind für mich weder die ungewöhnliche Länge noch 
die Kotfüllung des Wurmfortsatzes krankhafte Erscheinungen. Wie 
die äußeren Glieder, so wechseln doch auch die inneren Organe zu sehr 
in Größe und Länge, als daß ein solches Urteil zulässig wäre. Ganz 
besonders gilt dies Schwanken von der Appendix. Darüber geben uns 
die anatomischen Lehrbücher Aufschluß. Nach Luschka z. B. schwankt 
die Länge des Wurmfortsatzes beim erwachsenen Menschen zwischen 
5 und 23 cm. Aber die Kotfüllung ? Nun, erfahrenen Röntgenologen 
gelingt es fast ausnahmslos nach einer Kontrastmahlzeit den wismut¬ 
gefüllten Wurmfortsatz auf die Platte zu bringen. Von vielen wird 
gerade die gute Füllung der Appendix für ein Zeichen gehalten, daß 
Veränderungen gröberer Art fehlen. Was dem Wismut recht ist, muß 
wohl auch dem normalen breiigen Kot billig sein. Weiter, in vielen Fällen, 
in denen ich gelegentlich einer Laparotomie auch nach dem Wurmfort¬ 
satz sah, fand ich ihn kotgefüllt, ohne daß je Beschwerden seitens des 
Wurmfortsatzes bestanden hätten. Wir würden diesen Befund noch 
häufiger erheben, wenn wir unsere Kranken nicht vor der Operation 
so gründlich abführten. Aber auch Kotsteinen bin ich häufig begegnet 
unter den gleichen Verhältnissen. Sie sind an sich in keiner Weise für 
eine klinische Erkrankung beweisend. Daß sie das Zustandekommen 
einer akuten Entzündung begünstigen, ist eine ganz andere Frage. 

Vielleicht aber hat der entfernte Wurmfortsatz auch noch Ver¬ 
wachsungen aufgewiesen, vielleicht hat die mikroskopische Untersuchung 
irgendwelche Veränderungen ergeben. Das mag alles sein, ist aber 
nichts Besonderes und beweist noch keinen ursächlichen Zusammenhang 
mit den Beschwerden. Seltsamer wäre nach dem Gesagten, wenn der 
Wurmfortsatz eines erwachsenen Menschen völlig gesund befunden 
wäre. 


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604 


E. Liek: 


Liegt ein zwingender Grund vor, die festgestellten Veränderungen 
als Ursache der Krankheitserscheinungen zu deuten ? Meines Er¬ 
achtens nicht. Aber, so wird eingewandt, die Entfernung der kranken 
Appendix hat doch sofort, mit einem Schlage, alle Beschwerden be¬ 
seitigt und damit den ursächlichen Zusammenhang bewiesen. Für mich 
nicht. Ich sage: möglich, aber nicht sicher. Nach meinen Erfahrungen 
nicht einmal wahrscheinlich. Einmal ist die Zeit der Beobachtung viel 
zu kurz. Magenbeschwerden, aus welcher Ursache sie auch herrühren, 
(Ulcus ventriculi und duodeni, Gallensteine, Hyperacidität, Neurose) 
können auch ohne jede Behandlung einige Zeit aussetzen. Solche Pause 
könnte einmal mit dem Zeitpunkt der Operation zusammenfallen. Die 
Narkose, die schmerzstillenden Mittel der nächsten Tage, die Diät 
könnten diese Pause begünstigen. Jedoch ich verzichte auf diese Be¬ 
weisführung. Nehmen wir an, die Operation läge Jahr und Tag zurück, 
die Kranke wäre beschwerdefrei geblieben. Ist dann der ursächliche 
Zusammenhang zwischen Appendixveränderungen und Magenbesehwer¬ 
den gesichert? Durchaus nicht. Eine Heilung solcher Beschwerden 
kommt auch auf anderem Wege zustande. Der Zufall wollte es, daß 
ich in jenen Tagen grade ein junges Mädchen mit genau den gleichen 
Beschwerden operiert hatte. 

FrL F., 20 Jahre alt, Bauemtochter, leidet seit einem halben Jahre an Magen- 
beschwerden, die angeblich nie ganz verschwinden, zeitweise aber zu außer¬ 
ordentlicher Heftigkeit sich steigern. Erbrechen ist nicht erfolgt. Der über¬ 
weisende Kollege, ein ausgezeichneter Röntgenologe, hat die Diagnose auf Ulcus 
callosum der kleinen Kurvatur gestellt. Da die innere Behandlung (Ruhe, Wärme, 
Diät, Alkalien, Belladonna) ohne Erfolg geblieben ist, schlägt der Hausarzt 
einen operativen Eingriff vor. 

Aufnahme in die Klinik am 31. L 1923. Mittelgroßes, kräftiges, hinreichend 
genährtes Mädchen, etwas blaß aussehend. Brustorgane o. B. Epigastrium rechts 
von der Mittellinie stark druckempfindlich. Urin o. B. Genitale o. B. Röntgen¬ 
bilder des Magens am 1. n. ergeben keinerlei Abweichungen, ebensowenig die che¬ 
mische und mikroskopische Untersuchung des ausgeheberten Probefrühstücks. Die 
Säurewerte sind subnormaL Ich kann mich nach dem negativen Befund der Diagnose 
des behandelnden Arztes nicht anschließen und eröffne der Kranken am 2. IL, daß 
ich eine Operation nicht für notwendig halte. Wenige Stunden später ein furchtbarer 
Schmerzanfall, Patientin krümmt sich im Bett, eine Pantoponinjektion bringt 
kaum Linderung. Am nächsten Tage das gleiche Bild. Erst als ich sage ich würde 
doch mal nachsehen, beruhigt sich die Kranke. 

Die Probelaparotomie (5. H.) ergibt, wie zu erwarten, nichts, w der am 
Magen noch am Duodenum, Gallenblase usw. Die Appendix habe ich leider nicht 
nachgesehen. Aber nutzlos ist der Eingriff trotzdem nicht gewesen. Die Schmerzen 
waren sofort, mit einem Schlage, wie weggeblasen. Pat. wurde am 17. II. völlig 
beschwerdefrei entlassen und ist es auch bisher geblieben. Letzte Nachricht vom 
12. VL 1923 1 ). 

*) Anmerkung bei der Korrektur; Auf eine Anfrage teilt mir der Hausarzt 
unter dem 23. 7. 23 mit: „Frl. F. ist seit der Operation ohne alle Besohwerden, 
fühlt sich vollkommen wohl und versieht seit einigen Monaten eine Stellung 
als Wirtin/* 


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Über die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 605 

Ich fasse zusammen: Eine 20jährige Kranke, die seit einem halben 
Jahre an heftigen Magenbeschwerden leidet — Beschwerden, die denen 
des Gegenfalles durchaus gleichen, auch darin gleichen, daß sie einer 
sorgfältigen inneren Behandlung trotzten — ist durch einen einfachen 
Bauchdeckenschnitt, ohne jeden weiteren Eingriff, geheilt. Das ist 
nichts Neues. Küttner z. B. sah einen Kranken, den er in der Annahme 
einer chronischen Appendicitis laparotomierte, dem er aber die an¬ 
scheinend gesunde Appendix beließ, nach 5 Jahren noch völlig be¬ 
schwerdefrei. Ich habe über diese Dinge in meiner früheren Arbeit 
ausführlich berichtet und will mich nicht wiederholen. Hier nur die 
Schlußfolgerung: Es gibt zahlreiche Kranke mit chronischen Abdominal¬ 
beschwerden, bald mehr den Magen, bald mehr den übrigen Verdauungs¬ 
kanal betreffend, Kranke, deren Leiden wir Chirurgen in einem gewissen 
Prozentsatz beseitigen können, und zwar auf den verschiedensten 
operativen Wegen: Hautschnitt oder Durchtrennung der Bauchdecken, 
Ausschaltung oder Entfernung der Appendix, Lösung oder Bildung von 
Verwachsungen, Beweglichmachen oder Annähen von Darmteilen ver¬ 
schiedenster Art und verschiedenster Ausdehnung, Anastomosen, Aus* 
Schaltungen, Resektionen usw. Der eine bevorzugt diesen Eingriff, der an¬ 
dere jenen. Früher viel angewandt, und damals mit gutem Erfolge, heute 
aber verlassen sind die Entfernung der Eierstöcke (die „chronische Oopho¬ 
ritis“ ist durch die „chronische Appendicitis“ abgelöst), die Fixation der 
Niere usw. Mit anderen Worten, ich komme nicht darüber hinaus, daß in 
der Mehrzahl dieser Fälle die Heilung auf suggestivem Wege erfolgt. Sug¬ 
gestion ist ein Wort, von dem viele Chirurgen in der Bewertung ihrer Er¬ 
folge nichts wissen wollen. Die Geschichte der Heilkunde aber wie die un¬ 
befangene und kritische Betrachtung lassen Tatsache und Wirksamkeit 
der Suggestion, und zwar der Suggestion in weitem Umfange, gesichert 
erscheinen. Ich komme in einer anderen Arbeit auf diese Dinge noch 
ausführlich zurück und möchte hier nur einen Irrtum berichtigen. Es 
ist eine viel verbreitete, aber darum doch falsche Vorstellung, daß 
nervöse Störungen nur oder hauptsächlich bei Asthenikern oder sonst 
konstitutionell Schwachen Vorkommen. Wir wissen heute, daß solche 
Störungen rein örtlicher Natur sein können. Ein Athlet kann eine Herz¬ 
neurose haben, eine muskulöse Sportjungfrau einen Morbus Basedow, 
ein kräftiges, blühendes, junges Mädchen nervöse Störungen im Magen¬ 
darmkanal usw. Eine wie überaus große Rolle die Suggestion gerade 
bei den Operationen wegen „chronischer Appendicitis“ spielt, lehrt uns 
ein Blick in das Schrifttum. Ich muß wieder auf meine frühere Arbeit 
verweisen und hebe hier nur eine Beobachtung noch einmal heraus: 
Krecke stellte Nachforschungen an bei Appendektomierten, deren Wurm¬ 
anhang als völlig normal (makroskopisch wie mikroskopisch) befunden 
war. Seit der Operation war mindestens 1 Jahr verflossen. 20 Antworten 


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606 


E. Liek: 


liefen ein; danach waren 17 Operierte = 85 % ganz oder nahezu 
ganz beschwerdefrei. Manche sprachen sich geradezu begeistert aus; 
erst seit der Operation fühlten sie sich wieder als normale Menschen. 

Wird der entfernte Wurmfortsatz aber verändert gefunden, so bringt 
die Operation in einem überraschend großen Prozentsatz durchaus nicht 
eine Beseitigung der Beschwerden. In mindestens einem Drittel der 
Fälle bleiben die Klagen bestehen. Selbst Höherer, ein Anhänger der 
Lehre von der chronischen Appendicitis, stellt 41,6% Mißerfolge fest. 
Alles in allem, von der klinischen Seite her, erhält die Lehre von der 
anfallsfreien, chronischen Appendicitis keine sehr brauchbaren Stützen. 

Bleiben aber doch noch jene nicht seltenen Fälle übrig, in denen bei 
unbestimmten oder den geschilderten ähnlichen Beschwerden am 
Appendix nicht Veränderungen alltäglicher, harmloser Art gefunden 
werden, sondern Empyeme, Wandabscesse, schwielige Narbenmassen, 
Granulationen, Abknickungen, Selbstamputationen des Wurmes, aus¬ 
gedehnte peritoneale Verklebungen und dergleichen. Hier kann von 
einer suggestiven Heilung natürlich keine Rede sein. Das Seltsame ist, 
daß kein akuter Anfall vorausgegangen ist. Gerade diese Befunde 
scheinen daher die Annahme einer rein chronisch verlaufenden Appen¬ 
dicitis am sichersten zu beweisen. Aber ist dem wirklich so? Ich bin 
seit Jahren diesen Dingen nachgegangen und dabei doch zu abweichen¬ 
den Anschauungen gekommen. Ich beginne mit einer Beobachtung aus 
der ersten Zeit meiner Tätigkeit. 

D. Sch., 4 Jahre alt, einziges Kind wohlbemittelter und liebevoller Eltern, 
feiert mit kleinen Freundinnen ihren Geburtstag. Es wird etwas zuviel und etwas 
durcheinander gegessen, die Folge davon ist eine Magenverstimmung. Das Kind 
erbricht, auch noch am nächsten Tage, wird ins Bett gesteckt, bekommt schmale 
Kost und Ricinus. Das Befinden verschlechtert eich aber, so daß am 3. Tage der 
Arzt geholt wird, der mich sofort zuzieht. Wir finden ein fieberndes Kind (38,5°), 
Puls 144, Leib aufgetrieben, rechte Unterbauchgegend druckempfindlich und 
gespannt. Die Diagnose „destruktive Appendicitis“ wird durch die sofortige 
Operation bestätigt. Appendix liegt hinter dem Coecum ganz nach oben leber- 
wärts geschlagen. Die Kuppe ist brandig und perforiert; Phlegmone der Um¬ 
gebung. Leider gelingt es nicht mehr, das Kind zu retten. Am 10. Tage erliegt 
es einer fortschreitenden Peritonitis. 

Nehmen wir nun einmal an, die Erkrankung wäre weniger schwer 
verlaufen — wieweit das Ricinus die Entzündung verschlimmert hat, 
lasse ich dahingestellt — und die Appendicitis wäre, wie in zahlreichen 
anderen Fällen, ohne Operation abgeklungen. Ein Arzt wäre nicht 
zugezogen, die Eltern hätten nicht im entferntesten an die Möglichkeit 
einer Appendicitis gedacht, die Krankheit wäre dann als „verdorbener 
Magen“ schnell vergessen und wäre niemals später in der Kranken¬ 
geschichte als akuter Blinddarmanfall erwähnt worden. Wenn die Er¬ 
krankung nicht ganz abgeheilt wäre, vielmehr eine Stenose, ein ebro- 


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Über die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 


607 


nisches Empyem, Verwachsungen zurückgeblieben wären, hätte dann 
wohl der Chirurg, der 3—4 Jahre später operiert, den akuten Anfall 
anamnestisch herausgefunden? Ich glaube nicht. Wenn ich mir vor¬ 
stelle, ich müßte mich heute wegen akuter Appendicitis operieren lassen, 
und man fände neben der frischen Entzündung alte Verwachsungen, 
Verengerungen usw., ich könnte beim besten Willen nicht angeben, 
wann ich einen akuten Anfall gehabt hätte. Dabei entsinne ich mich 
aber doch sehr gut der häufigen Unbilden nach allzu reichlichem Genuß 
von unreifem Ost, von schwerem Kuchen und dgl., Jugendsünden, die 
wir wohl alle hinter uns haben. Der Doktor konnte auch in meinem 
Elternhause aus wirtschaftlichen Gründen bei so einfachen Sachen nicht 
geholt werden. Wie leicht kann sich und wie oft wird sich hinter dem 
„verdorbenen Magen“, dem „gastrischen Fieber“, dem „Blasen¬ 
katarrh“ eine richtige Blinddarmentzündung verstecken? Ich denke 
an den zuerst erwähnten Fall, den 14jährigen Landjungen. Der akute 
Anfall, der zur narbigen Stenose des Wurmes führte, wird schon einmal 
dagewesen sein, er ist aber nicht erkannt worden, sondern unter irgend¬ 
einer Laiendiagnose entweder gar nicht oder mit Hausmitteln behandelt 
und schnell vergessen. Es handelt sich also nicht um eine 'primäre oder 
anfallsfreie chronische Appendicitis, sondern um eine rezidivierende 
Appendicitis, deren erster Anfall nicht als solcher erkannt worden ist. 

Beim Erwachsenen ist es mir in Fällen scheinbar chronischer Appen¬ 
dicitis doch wiederholt gelungen, den zurückliegenden ersten Anfall 
gewiß oder mindestens sehr wahrscheinlich zu machen. Erschwert wird 
die Diagnose der chronisch-rezidivierenden Appendicitis dadurch, daß 
die einzelnen Anfälle, wie die akuten Blinddarmentzündungen überhaupt, 
sehr ungleichartig sind, vom unbestimmten leichten Unbehagen bis zum 
schweren Anfall, daß die Anfälle, an sich schon wenig deutlich, oft sehr 
langsam abklingen und dadurch den Eindruck einer chronischen Er¬ 
krankung machen. Aber wir brauchen für nicht erkannte Krankheiten 
keine besonderen Bezeichnungen wie Appendicitis larvata und dgl. 
einführen. Das kann nur zur Verwirrung Anlaß geben. 

Wie schwer auch beim Erwachsenen die Diagnose der chronisch¬ 
rezidivierenden Appendicitis sein kann, dafür einige Beispiele: 

Frau W., 27 Jahre alt, leidet seit 3 Jahren im Anschluß an die zweite Entbin¬ 
dung an häufigen Schmerzanfällen in der rechten Oberbauchgegend, mit reichlichem 
galligen Erbrechen. Die Anfälle treten immer ganz plötzlich auf, z. B. in der 
Straßenbahn, und dauern einige Stunden bis Tage. Im Anfall selbst ist die Pat. 
bisher nie ärztlich untersucht. Objektiv findet sich bei der etwas überernährten 
Frau eine ausgesprochene Druckempfindlichkeit der Gallenblasengegend. Meine 
Diagnose „chronisch-rezidivierende Cholecystitis“ wird von mehreren Seiten 
(Chirurg, Interner, Gynäkologe) bestätigt, die übliche Gallensteinkur eingeleitet. 
Ganz zufällig sehe ich die Kranke beim nächsten Anfall. Geklagt wird auch diesmal 
nur über Schmerzen in der rechten Oberbauchgegend, Übelkeit und heftiges 


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608 


E. Liek: 


Galleerbrechen. Objektiv besteht Fieber (38,2°), Pulsbeschleunigung (96) und 
eine ausgesprochene druckempfindliche Resistenz am Mac Bumeyachen Punkte. 
Mit anderen Worten, kein Zweifel an einer akuten Appendicitis. Der Anfall klang 
am nächsten Tage ab. Die vorgeschlagene Operation hatte Pat. abgelehnt, um 
sich im Intervall operieren zu lassen. In der Zwischenzeit trat jedoch ein neuer 
Anfall ein. Diesmal Frühoperation in den ersten Stunden: ausgesprochene akute 
Appendicitis, Appendix inmitten eines großen Pakets verklebter Darmschlingen. 
Gallenblase frei. Nach Entfernung des Wurmfortsatzes dauernde Heilung (in 
11 Jahren keine weiteren Schmerzanfälle). 

Weshalb soll man wohl dies Krankheitsbild als eine Appendicitis 
larvata bezeichnen ? Schwierig war für uns beteiligte Ärzte die Diagnose 
doch nur so lange, als es nicht gelang, einen akuten Anfall zu beobachten. 
Als dies einmal zutraf, war die Diagnose eine Kleinigkeit. Verwickelter 
lagen schon die Verhältnisse bei dem nächsten Fall. 

Frau Sch., 42 Jahre alt, aufgenommen 26. IL 1923. Pat. leidet seit der ersten 
Entbindung (vor 24 Jahren) an fast dauernden Beschwerden im Bereiche des 
rechten Oberbauches. Sie ist in diesen Jahren vielfach behandelt worden und 
zwar immer unter der Diagnose „Gallensteine“. Zu einem richtigen Anfall ist 
es nie gekommen. Nur einmal, während einer Ölkur, soll ein solcher aufgetreten 
sein. Zwei Karlsbader Kuren, ein Aufenthalt in Mergentheim, Ölkuren und 
diätetische Maßnahmen sind ohne Erfolg geblieben. Ich sehe die Kranke zum 
ersten Male am 18. XII. 1922, finde einen etwas tiefstehenden, rechten Leberlappen 
und in der Gallenblasengegend in der Tiefe eine undeutliche druckempfindliche 
Resistenz. Die Blinddarmgegend ist frei. Ich nehme als das Wahrscheinlichste 
ein chronisches Empyem der Gallenblase an und empfehle die Operation. Bei 
der Aufnahme in die Klinik am 26. II. 1923 ist die Resistenz geschwunden. Es 
besteht aber noch eine Druckempfindlichkeit der Gallenblasengegend. 

Die Operation am 27. II. ergibt einen tiefstehenden rechten Leberlappen; 
die untere Wand der Gallenblase ist ausgedehnt mit dem Kolon verwachsen 
Elin Stein ist nicht zu fühlen. Die Gallenblase wird entfernt, erweist sich aber 
beim Aufschneiden als völlig frei von krankhaften Veränderungen. Das Gleiche 
gilt von den großen Gallengängen. Jetzt wird der Schnitt nach unten erweitert 
und der Wurmfortsatz hervorgeholt. Die Kuppe ist atrophisch und geschrumpft. 
Das Mesenteriolum ist auffallend dick, chronisch-entzündlich infiltriert. Als an 
der herausgenommenen Appendix die Quetschklemme entfernt wird, entleert 
sich aus der Lichtung des Wurms tropfenweise dünnflüssiger, gelber Eiter (mikro¬ 
skopisch gut gefärbte Leukocyten und zahlreiche Bakterien). 

Die Heilung wird durch reichlichen Gallenfluß verzögert, so daß die Kranke 
erst am 31. HL 1923 die Klinik verläßt. Die Beschwerden der rechten Oberbauch¬ 
gegend sind seitdem geschwunden. 

Auch hier haben wir eine chronisch-rezidivierende Appendicitis vor 
uns. Die Beschwerden der rechten Oberbauchgegend sind zurück¬ 
zuführen einmal auf eine adhäsive Peritonitis (Verwachsungen der 
Gallenblase) und auf eine Lymphadenitis. Für letztere spricht die wech* 
selnde, undeutliche Resistenz in der Tiefe des rechten Oberbauches. 
Von dem eiterhaltigen Wurmfortsatz sind von Zeit zu Zeit Infektions¬ 
schübe erfolgt, einmal in die Lymphbahnen und weiter ins Bauchfell 
(adhäsive Peritonitis). 


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Über die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 


609 


Ungewöhnliche Lage der Appendix, besonders Lagerung hinter dem 
Colon ascendens, dicke und straffe Bauchdecken, geringe Empfind¬ 
lichkeit der Kranken gegen Schmerz werden die Diagnose erheblich 
erschweren. 

Vor 10 Jahren sah ich einen damals 42 jährigen Arzt, der seit etwa einem 
Jahrzehnt häufiger an „Kolitis“ litt. Die Diagnose war von einem Facharzt 
bestätigt worden. Bei einem neuerlichen Anfalle wurde ich hinzugezogen und 
fand bei dem etwas fettleibigen Manne neben geringer Temperatursteigerung 
eine Auftreibung des Leibes und einen ausgesprochenen Druckschmerz am Mac 
Bumayschen Punkt. Danach stellte ich die Diagnose chronisch-rezidivierende 
Appendicitis. Der Kollege ließ sich einige Wochen später in Berlin operieren; 
man fand ein chronisches Empyem der Appendix mit Durchbruch ins Mesen- 
teriolum. Die Wunde mußte tamponiert werden. Ausgang in völlige und dauernde 
Heilung. 

Weshalb soll man hier von einer Appendicitis larvata sprechen? 
Die Anfälle von angeblicher Kolitis waren eben keine solchen, sondern 
Blinddarmentzündungen mit etwas ungewöhnlich klinischem Bilde. 

Ganz ähnlich liegt auch der nächste Fall: 

Herr P., 34 Jahre alt, aufgenommen 27. HI. 1923. Vor 3 1 /* Jahren katarrhali¬ 
scher Ikterus mit Leberschwellung. Der Ikterus verschwand nach einer Karlsbader 
Kur. Seitdem vielfache Verdauungsstörungen: Gefühl der Völle im Magen, Auf- 
stoßen, Verstopfung abwechselnd mit Durchfällen. Ab und an stärkere Schmerzen 
in der rechten Unterbauchgegend. Bei dem letzten dieser Anfälle, der vor 48 Stun¬ 
den einsetzte, fand der Hausarzt die Magen- und Gallenblasengegend frei und 
nur die Blinddarmgegend stark druckempfindlich. Daher Überweisung in die 
Klinik: Großer, kräftig gebauter Mann. Temperatur 37,4°, Puls 84. Der Leib 
ist weich, Magen und Gallenblasengegend frei. In der rechten Beckenschaufel 
fühlt man bei tiefem Eindrücken, soweit es die fettreichen Bauchdecken gestatten, 
eine undeutliche, druckempfindliche Resistenz. Ich stelle daraufhin die Diagnose 
„chronisch-rezidivierende Appendicitis im erneuten Anfall, Appendix wahr¬ 
scheinlich hinter dem Coecuni liegend“. Ich schlage Operation vor, Pat. aber 
wünscht weitere Beobachtung. Am Abend ist die Temperatur auf 36,9° gefallen, 
bei einem Pulse von 86. Am 28. III. erfolgt nach Rizinus eine ganz akute Ver¬ 
schlimmerung: aufgetriebener Magen, Magenschinerzen, Appendixgegend sehr 
druckempfindlich. Temperatur 36,9°, Puls 106, nach 2 Stunden wieder 88. Pat. 
gibt ausdrücklich an, so wären die Anfälle auch zu Hause verlaufen. Die oben 
genannte Diagnose erscheint ganz sicher, ich operiere daher am nächsten Tage: 
Coecum entzündlich injiziert, Basis des Wurmfortsatzes verdickt, der übrige Wurm 
verschwindet in einer retrocoecal gelegenen Bauchfelltasche. Er wird nach Durch- 
trennung der Basis mit ziemlicher Mühe entwickelt und abgetrennt. Der Wurm 
ist 12 cm lang, gut kleinfingerdick, rot verfärbt, fluktuierend. Inhalt: dünnflüssiger 
Eiter. Nach 9 Tagen wird Pat. geheilt aus der Klinik entlassen und ist seitdem 
beschwerdefrei. 

Fälle wie der eben geschilderte sind keineswegs selten. Die Kran¬ 
kengeschichten zeigen keinen ausgesprochenen Anfall, aber ebenso 
falsch wäre es, von einer chronischen Appendicitis zu sprechen. Immer 
läßt sich bei genauem Befragen eine wellenförmige Bewegung im Be¬ 
finden des Kranken erkennen. Die Wellentäler bedeuten die Pausen, 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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610 


K. Liek: 


die Wellenberge die Zunahme der Erscheinungen. Höhe und Länge 
der Wellen wechseln. Es finden sich alle Übergänge von einem nahezu 
gleichmäßigen Verlauf bis zu ausgesprochenem Abfall und Anstieg. 
Für die Diagnose wichtig sind immer wieder erneute Untersuchungen, 
rectale Temperaturmessungen, Pulszählungen. Einmal findet man doch 
ein leichtes Fieber, eine deutliche Pulsbeschleunigung, eine druck¬ 
empfindliche Schwellung in der Tiefe der rechten Beckenschaufel; wichtig 
ist auch die häufige Verschlimmerung nach Abführmitteln, besonders 
nach Ricinus. 

Klinisch haben wir uns den Vorgang so zu denken, daß eine akute 
Appendicitis, gleichgültig ob eine leichte oder schwere Form, nicht völlig 
abklingt. Es bleiben im geschädigten Gewebe virulente Infektions¬ 
erreger zurück. Die Infektion ruht, kann aber bei jedem Anlaß erneut 
aufflackern. Dabei werden neben örtlichen Veränderungen Infektions¬ 
schübe in die Lymphbahnen und ins Bauchfell eine besondere Rolle 
spielen. Das geht so lange auf und ab, bis entweder die Infektion von 
selbst oder richtiger, durch die Abwehrkräfte des Körpers erlischt, 
oder bis der Wurmfortsatz, einmal als Quelle der Erkrankung erkannt, 
entfernt wird. 

Nur diese chronisch-rezidivierende Appendicitis sotten wir operieren, 
und möglichst bald operieren , um drohendes Unheil zu verhüten. Von der 
sogenannten chronischen Appendicitis, wie ich sie in meiner Arbeit über 
den Darmspasmus gezeichnet habe, läßt der Chirurg besser die Hand. 
Ja, aber weshalb, höre ich einwenden. Mag immerhin die Heilung eine 
suggestive sein, das ist doch schließlich gleichgültig, es liegt uns nur 
daran, den Kranken von seinen quälenden Beschwerden zu befreien. Daß 
er nebenbei noch seinen Wurmfortsatz los wird, ein überflüssiges und ge¬ 
fahrbringendes Organ, kann unmöglich als ein Unglück erachtet werden. 

Dagegen ist zu sagen: 

1. Die suggestive Heilung durch eine Operation ist leider eine recht 
unsichere Sache. Man sollte niemals nach einigen schmerzfreien Tagen 
von einer Heilung sprechen. Rückfälle sind gar nicht selten, oft genug 
führt die Operation sogar zu einer Verschlimmerung des Zustandes. 
Beispiele habe ich in der ersten Arbeit angeführt. 

2. Eine Laparotomie, so gering auch ihre Gefahren heute sein mögen, 
schließt immer eine Lebensbedrohung ein. Fälle von „chronischer Appen¬ 
dicitis“, bei denen man nichts am Wurmfortsatz fand, verliefen ge¬ 
legentlich doch unglücklich. Postoperative Darmlähmung und Embolie 
sind dabei die häufigsten Todesursachen. Solche Ausgänge werden 
gewiß selten veröffentlicht, aber jeder Chirurg kennt sie aus eigener 
und fremder Erfahrung. 

3. Operationen, ohne hinreichende Indikation ansgeführt, sind nur 
allzusehr geeignet, das Ansehen der Chirurgie herabzusetzen. Ich kann 


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Über die chronisch-rezidivierende Appendicitis. 


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mich in diesem Punkte nur ganz Melchior anschließen, wenn er sagt: 
„Nicht zuletzt wird aber auch die Chirurgie insgesamt in ihrem An¬ 
sehen geschädigt, wenn sie in ihrer operativen Indikationsstellung nicht 
jene peinliche Sorgfalt walten läßt, zu der gerade unsere Disziplin 
wegen ihrer heroischen Arbeitsmethoden doppelt verpflichtet ist.“ 
Auf die Blinddarmentzündung übertragen heißt das: Operieren in 
jedem Fall von sicherer akuter Blinddarmentzündung, operieren ebenso 
bei chronisch-rezidivierender Blinddarmentzündung, nicht operieren bei 
jenen zahlreichen Erkrankungen, die eine Blinddarmentzündung nur 
Vortäuschen. Der nachträgliche anatomische Befund von chronischen Ver¬ 
änderungen der Appendix rechtfertigt in vielen Fällen keinesivesgs den 
operativen Eingriff. 


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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik Jena [Direktor: Professor Dr. Qvkkt\) 

Über den Vorgang der Blutstillung 1 ). 

Von 

Prof. Dr. Georg Magnus, 

Oberarzt der Klinik. 

(Mit 1 Textabbildung.) 

(Eingegangen am 18. Juli 1923.) 

Wo im Körper eine Blutung steht, sei es nach Unterbindung eines 
Gefäßes, sei es durch Versiegen einer Hämorrhagie aus offenem Lumen, 
da wird der Prozeß in der neueren chirurgischen Literatur im wesent¬ 
lichen aufgefaßt als das Resultat der Blutgerinnung. Eis mag dahin¬ 
gestellt bleiben, wie weit es gelungen ist, die Begriffe eines intra- 
vasculären Thrombus, eines geronnenen Blutextravasates und eines 
postmortalen Gerinnsels zu trennen, und wie weit überhaupt der Ver¬ 
such gemacht worden ist, diese Unterscheidung zu treffen. Die Frage 
kann auch bei den hier zu beschreibenden Experimenten offen bleiben. 
Und der springende Punkt ist der: Bedarf die Auffassung, daß das 
Stehen einer Blutung lediglich oder auch nur fast ausschließlich eine 
Angelegenheit des Blutes ist, in dieser Form nicht einer Prüfung? 

Zunächst sprechen einige klinische Erfahrungen dagegen. Wenn an 
jede Unterbindung sich eine Thrombose anschließen muß, damit das 
Gefäß organisch verschlossen werden kann, so dürfte es ein gefährliches 
Wagnis sein, einen Arterienast dicht am Abgang von einem größeren 
Stamm zu unterbinden. Die Fortsetzung der Thrombose in den Haupt¬ 
stamm hinein könnte durch das Abreißen eines kleinen Brockels ebenso 
bedrohliche Folgen für die peripheren Teile haben, wie ein progredienter 
Verschluß des Stammes, und mit diesem müßte doch stets zu rechnen 
sein, sobald der Prozeß einmal im Gange ist; die Analogie mit einer 
Venenthrombose und ihrem völlig unberechenbaren Verlauf liegt doch 
zu nahe. Tatsächlich ist das Ereignis offenbar extrem selten. Küttner 
hat es bei seinem erdrückenden Material von 600 Schußverletzungen 
größerer Gefäße keinmal gesehen. Und zugegeben, daß leichte Fälle 
an den Extremitäten der Beobachtung entgehen können, so würden 
doch bestimmt selbst kleine Embolien aus der Carotis interna Er- 

*) Vorgetragen auf der Mittelrhein. Chirurgentagung in Gießen, 9. VI. 1923. 


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G. Magnus: Über den Vorgang der Blutstillung. 


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scheinungen machen, sobald sie ins Gehirn einfahren. Wenn wir nach 
Unterbindung der Carotis externa dicht am Abgang mit einem Throm¬ 
bus rechnen müßten, der in den Blutstrom hineinragt, noch dazu an 
einer Stelle, wo das Strombett plötzlich eingeengt worden ist und wo 
Wirbel entstehen müssen, dann würde diese Unterbindung mit Recht 
für einen gefährlichen Eingriff gelten. Tatsächlich scheint eine Pro¬ 
gredienz solcher Thrombose nach Beschädigung der Carotis oder eine 
Embolie von dieser Thrombose aus sehr selten zu sein. Vemeuil weiß 
ein Beispiel für erstere, Marchand für letztere; und diese beiden Fälle 
werden überall in der Literatur erwähnt, wo von dem Ereignis die 
Rede ist, ohne daß die Autoren eigene Erfahrungen hinzufügen können. 

Neben diesen klinischen Bedenken, die Frage der primären Blut¬ 
stillung nur vom Blut aus zu betrachten, erheben sich historische Ein¬ 
wände. Mit Unrecht wird Ambroise Pari, als der Erfinder der Unter¬ 
bindung gefeiert: das Altertum wußte sehr genau um diese Technik 
und die mittelalterlichen Medizinschulen ebenso. Aus dem 13. Jahr¬ 
hundert gibt es ausgezeichnete Anweisungen, und es besteht gar kein 
Zweifel, daß die Unterbindung damals viel geübt worden ist. Dann soll 
sie in „Vergessenheit“ geraten sein. Wie soll so etwas geschehen? Eine 
Generation, welche das Verfahren von der vorhergehenden übernimmt, 
muß sich doch einmal bewußt davon abkehren, und muß dazu ihre ganz 
bestimmten Gründe haben. Und daß dem so war, daß das spätere 
Mittelalter die Ligatur, wohl unter Führung der Araber, bewußt verließ, 
um die Kauterisierung der Gefäße zu bevorzugen, das dürfen wir daraus 
schließen, daß nach Ambroise Pari die historische Entwicklung cyclisch 
wieder denselben Weg geht. Wieder gerät die Ligatur in Mißkredit, 
und Büguer und Theden, zwei Generalchirurgen Friedrichs des Großen, 
berichten, daß sie im ganzen 7jährigen Kriege keine Unterbindung 
gelegt hätten, auch nicht bei der Amputation des Oberschenkels oder 
Oberarms. Pirrogoff unterbindet wohl die Arterie, hält aber die Ligatur 
der Vene noch für einen tödlichen Eingriff; und auch Langenbeck hat 
ernstliche Bedenken dagegen. 

Wenn wir heute jedes sichtbar blutende Gefäß unterbinden, so ge¬ 
schieht das, weil einerseits die Blutstillung so die sicherste ist, anderer¬ 
seits die Gefahr dabei — und die Gefahr war früher die Infektion — 
so gering ist, daß sie vernachlässigt werden kann. Wenn in voranti¬ 
septischer Zeit die Ligatur wiederholt verlassen worden ist, so dürfen 
wir schließen, daß das Risiko dabei im Verhältnis zu groß war, und daß 
die alten Ärzte auf Grund ihrer Erfahrung lieber ein blutendes Gefäß 
unverschlossen ließen, als daß sie die Gefahr der Infektion durch die 
Unterbindung auf sich nahmen. 

Durch welchen Vorgang das Blut dabei zum Stehen kommt, darüber 
scheint man sich nicht sehr viel den Kopf zerbrochen zu haben. Erst 


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G. Magnus: 


im Beginn des 18. Jahrhunderts wird durch Petit die Aufmerksamkeit 
auf den „Thrombus“ gelenkt; die Theorie stößt aber sofort auf Wider¬ 
spruch ( Morand , Pouteau, KirJdand), und es wird dem Gefäß eine 
verstärkte Bedeutung gegenüber dem Blut zugesprochen. Ein sehr 
eindrucksvolles Experiment von Kirkland beschreibt Jones: Einem 
Pferde wird der Oberschenkel hoch oben amputiert. Dabei rutscht das 
Toumiquet ab, und es spritzen 5 Arterien mit vollem Strahl. Die 
Wunde wird sofort komprimiert, und nach 15 Minuten steht die Blutung 
vollständig. Eine sichtbar pulsierende Arterie wird unterbunden; der 
Stumpf klopft zunächst weiter, wird aber dann still. Auch die Chirurgen 
der Friedericianischen Kriege beschränkten sich auf die Kompression, 
die allerdings manchmal sehr lange fortgesetzt wurde. Man mußte hier 
und da „einige Stunden mit dem Finger recht gut zudrücken, um die 
Blutung völlig zu stillen“. 

Die Vorstellung vom thrombotischen Verschluß des blutenden Ge¬ 
fäßes ist aber von Anfang an stark bestritten worden, weil sie, zunächst 
einmal von den anatomischen Befunden abgesehen, theoretisch nicht 
voll befriedigen konnte. Und das ist heute auch noch so, trotz der 
immensen Arbeit, die auf dem Gebiet der Blutgerinnung geleistet 
worden ist. Für Blutung und Blutstillung geben die Resultate 
dieser Forschungen keine erschöpfenden Erklärungen, ganz abgesehen 
davon, daß ihre sehr zahlreichen Methoden zu sehr verschiedenen und 
wenig konstanten Ergebnissen kamen. Die echte Hämophilie ist un¬ 
bestritten eine Krankheit des Blutes; doch selbst bei ihr kann nach 
Sahli während der Blutung die Gierinnungszeit normal sein. Und 
warum bei gesunden Menschen örtlich und zeitlich begrenzte Blutungs¬ 
neigungen Vorkommen, warum Ikterische mit gar nicht oder nicht 
wesentlich verlängerter Gerinnungszeit tödlich nachbluten, warum 
endlich gewisse Arterien, wie die Arteria glutäa superior und inferior, 
mit Recht für besonders gefährlich gelten gegenüber anderen von 
gleichem Kaliber, darüber wissen wir nichts. 

Der stärkste Einwand aber liegt in den anatomischen Befunden. 
Virchoto vervollständigte die Lehre von Petit und schuf den Begriff 
der Stagnationsthrombose : Blut, das im Gefäß stillsteht, gerinnt. Der 
so entstehende Thrombus sollte dann organisiert werden. Der Frage 
ist häufig experimentell nachgegangen worden, fast ausschließlich mit 
negativem Resultat. Baumgarten hat das Thema erschöpfend be¬ 
arbeitet. Er hat bei 120 Kaninchen Arterienunterbindungen vor¬ 
genommen, teils doppelt, teils einfach, und kommt zu dem Resultat, 
„daß, wenn man unter Anwendung eines streng aseptischen Verfahrens 
mit möglichster Schonung des Gewebes operiert, weder in einfach noch 
doppelt in der Kontinuität unterbundenen Gefäßstrecken das Blut selbst 
nach Wochen oder Monaten zur Gerinnung kommt. Daraus eigibt sich 


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Über den Vorgang der Blutstillung. 


615 


aber von selbst, daß Ruhestellung des Blutes nicht, wie es die herrschende, 
von Virchow begründete Theorie der Blutgerinnung lehrt, eine Haupt¬ 
bedingung für die Thrombusbildung sein kann“. Das zwischen zwei 
Ligaturen eingeschlossene Blut bleibt durch Wochen flüssig, obgleich 
es stagniert, und obgleich an den Ligaturstellen Verletzungen der 
Intima unvermeidlich sind. Die Versuche von Baumgarten ergaben aber 
weiterhin für den endgültigen Verschluß des ligierten Gefäßes, „daß 
sich, wenn man aseptisch operiert, überhaupt gar kein Thrombus im 
unterbundenen Oefäß bildet “. 

Derselbe negative Befund ist auch in späteren experimentellen und 
klinischen Arbeiten immer wieder erhoben worden. So hat v. Qaza in 
einer ganz ähnlichen Weise in der Form der Volkmannechen Schlinge 
die Bedingungen für die Stagnationsthrombose hergestellt, und kon¬ 
statierte ebenfalls, daß das eingeschlossene Blut flüssig bleibt. Und bei 
der mehrfachen Unterbindung eines Gefäßes „fand sich ein Thrombus 
überhaupt nicht, oder nur andeutungsweise“. Stich und Fromme geben 
an, es bildeten sich „nur verhältnismäßig selten an der Verletzungsstelle 
größerer Gefäße Thromben“. 

Den Verschluß nichtunterbundener Gefäße hat Marchand an Am¬ 
putationswunden der Zunge untersucht, und zwar sowohl ohne jede 
Blutstillung, wie nach Kauterisierung der Wundfläche. Dabei bildet 
sich eine „fibrinöse Exsudatschicht an der Oberfläche“, aber ein eigent¬ 
licher Thrombus läßt sich nicht feststellen. „Auch nach der Unter¬ 
bindung der Arterie nach der Durchtrennung kommt die Heilung in der 
Regel ohne Bildung eines größeren Thrombus zustande.“ 

Die objektiven Befunde widersprechen also der Annahme, daß der 
endständige Thrombus als Resultat der Stagnation den definitiven 
Verschluß des Gefäßes bedingt, ganz abgesehen davon, daß auch der 
Vorgang der Organisation dieses Thrombus bestritten ist (Baumgarten, 
v. Gaza u. a.). Was für Momente aber werden, abgesehen vom Throm¬ 
bus, für den Verschluß verantwortlich gemacht? 

Eine wesentliche Bedeutung wird der „Einrollung“ der Intima 
zugesprochen, besonders dort, wo nach Abriß eines größeren Gefäßes 
die Blutung spontan zum Stehen kommt (Braun, Lexer, Petzsche, 
Marchand, Kroh). Bei demselben Vorgang soll auch die „Verfilzung“ 
der Wandschichten den primären Verschluß begünstigen ( Pels-Leusden , 
Petzsche). 

Für bedeutungsvoll gilt auch die „Elastizität“ der Wand, die be¬ 
wirken soll, daß das durchtrennte Gefäß sich zurückzieht und sein 
Lumen verengert. Retraktion und Kontraktion des blutenden Gefäßes 
haben seit Celsus und Galen als unterstützende Momente eine in ihrer 
Bedeutung wechselnde Rolle gespielt. Hach Leocer ist es wichtig, daß 
ein gerissenes Gefäß nicht durchweg in gleicher Höhe getrennt wird, 


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G. Magnus: 


sondern daß die Rißstellen der einzelnen Schichten in der Längsrichtung 
versetzt sind; dadurch zieht sich das Gefäß wie ein „bis zum Schmelzen 
erhitztes Glasröhrchen in einen dünnen Faden aus“. Das Absinken des 
Blutdruckes im ganzen System soll das Versiegen der Blutung am Orte 
der Verletzung bewirken oder unterstützen; eine Ohnmacht könne in 
diesem Sinne nützlich wirken. 

Der Bluterguß in die Umgebung des offenen Gefäßes soll, zumal 
wenn das Lumen sich zurückgezogen hat, durch Kompression blut¬ 
stillend wirken, ebenso eine entzündliche Schwellung der benachbarten 
Weichteile. 

Schließlich — und dieser Gedanke war der Anlaß der zu beschreiben¬ 
den Versuche — hat man der Konirakiionsfähigkeit der Arterie eine 
gewisse Bedeutung zugesprochen (Kirkland, Morand, Jones, Marchand, 
Stegemann, Heineke, Lexer, Kocher, Kiittner und Baruch, Reichte, Stich 
und Fromme, W. Müller u. a.). Die Vorstellung von einer stark aktiven 
Rolle des Gefäßes beim Vorgang der Blutstillung drängt sich ja heute auf, 
wo wir geneigt sind, überall dem peripheren Gefäßsystem in bezug auf 
eigene und autonome Motilität eine gesteigerte Bedeutung zuzuspreeben. 

Bei Gelegenheit einer Oberarmamputation wegen Sarkoms wurde 
die Arterie von der Radialisseite des Handgelenks an bis in die Achsel¬ 
höhle unter sorgfältiger Unterbindung aller Äste herauspräpariert. Die 
überall blind verschlossene Schlagader hing schließlich etwa 25 cm lang 
aus der Wunde heraus und pulsierte ungestört weiter. Die Wellen¬ 
bewegung der Wand also hielt in voller Stärke an, während der Inhalt 
schon ruhte, „stagnierte“. Ganz allmählich hörte die Pulsation vom 
blinden Ende der Arterie her auf, und schließlich stand fast der ganze 
Schlauch still. Die Schlagader zog sich dabei — ebenfalls vom Ende 
her — zusammen, bildete erst peripher einen spitz zulaufenden Konus 
und endlich in ganzer Ausdehnung einen harten, drehrunden Strang. 
Vor Abschluß der Operation wurde dieser Strang in Abständen von 
5 cm unterbunden und dann abgetragen. Die Portionen wurden dann 
einzeln eröffnet und untersucht ; sie erwiesen sich als leer, die Arterienwand 
auf ein virtuelles Lumen zusammengezogen. 

Der Versuch wurde dann an einer Arteria femoralis wiederholt. 
Ein 48jähriger Mann hatte eine ausgedehnte Osteomyelitis des unteren 
Femurendes mit Durchbruch ins Kniegelenk, der Zustand erforderte 
die hohe Amputation des Oberschenkels. — Zunächst wird die Arteria 
poplitea von medial her aufgesucht, doppelt unterbunden und ganz 
durchtrennt, dann wird das Gefäß mitsamt seiner Scheide bis an die 
Vene heran aus seiner Umgebung herauspräpariert unter sorgfältigster 
Unterbindung aller abgehenden Äste. Dabei zieht es sich in der Längs¬ 
richtung stark zusammen, so daß schließlich nur ein 15 cm langes, blind 
endigendes Stück frei heraushängt. Dieses verschlossene Schlauchstück 


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Über den Vorgang der Blutstillung. 


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hat zunächst noch normales Kaliber, ist prall gefüllt, das Ende sogar 
steil eregiert, und pulsiert außerordentlich lebhaft. Nach 10 Minuten 
jedoch, von der Durchtrennung an gerechnet, zeigt sich, daß die letzten 
2 cm vom blinden Ende her nicht mehr pulsieren; das Gefäß ist in dieser 
Ausdehnung zu einem festen leeren Strang kontrahiert. Die Grenze 
gegen den noch gefüllten und pulsierenden Bezirk ist ziemlich scharf. 
Nach weiteren 5 Minuten hat sich das stillgewordene Stück um weitere 
2 cm ausgedehnt; und allmählich schreitet der Kontraktionsprozeß 
immer mehr zentripetal fort. Nach Ablauf von 25 Minuten von der 
Durchtrennung an wird die Ligatur am Ende gelöst: Es entleert sich 
kein Tropfen Blut. Nun wird das Gefäßstück, an dem die Unterbindung 
gelegen hat, mit scharfem Skalpell zentralwärts von der Ligaturstelle 
abgeschnitten: Das Lumen ist völlig leer und virtuell; es bleibt beim 



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5» II 18 


Abb. 1. Querschnitte der unterbundenen und kontrahierten Arterie; die Ziffern be¬ 
deuten den Abstand von der endständigen Ligatur in Zentimetern. Natürliche Größe. 

Durchschneiden absolut trocken. Wohl aber erscheint in der Wand des 
Gefäßes ein einziger Tropfen arteriellen Blutes, das offenbar aus den 
Vasa vasorum stammt. Zum Schluß, nachdem die Amputation bereits 
vollendet ist, wird das heraushängende Gefäß oben doppelt unter¬ 
bunden und abgetragen. Es geschieht an einer Stelle, die noch deutlich 
Blut enthält und pulsiert. Dann wird de» frische Präparat in Ab¬ 
ständen von je 2 cm unterbunden und sofort in konzentriertem Formol 
fixiert. Nach Härtung wird das Gefäß stückweise immer zwischen 
zwei Ligaturen glatt durchtrennt, und die einzelnen Durchschnitte 
werden gezeichnet. 

Die Abbildung läßt den Befund deutlich erkennen. Zunächst ergibt 
sich, daß die Hüllen der Arterie in dicker Lage erhalten sind; an einzel¬ 
nen Stellen ist die Scheide sehr stark blutig infarciert. Die Durchschnitte 
zeigen bis zu 7 cm ein leeres Rohr mit zusammenliegenden Wänden, 
das Lumen bildet nur einen Schlitz. Von hier ab erscheint ein runder 
mit einer Blutsäule gefüllter Querschnitt. Die mikroskopische Ver¬ 
arbeitung des Materials ergab, daß auch innerhalb des kontrahierten 
Bezirkes, und zwar meist in der Nähe der Ligatur, kleine Reste von 


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G. .Magnus: 


Blut eingeschlossen sind; doch sind die Mengen sehr gering und stellen 
offenbar nur jene kleinen Quantitäten dar, die bei der Kontraktion der 
Arterie nicht rechtzeitig nach zentralwärts entweichen konnten und 
abgefangen wurden. Im ganzen ist die Arterie von der Unterbindungs¬ 
stelle an auf 7 cm leer, und bis zum Verschwinden des Lumens auf einen 
schmalen Spalt kontrahiert. 

Ein dritter Versuch verlief ganz anders. Bei einem 60jährigen 
Manne mit Diabetes und schwerer Arteriosklerose mußte wegen Gangrän 
des Fußes der Oberschenkel abgesetzt werden. Die Operation wurde in 
Lumbalanästhesie ausgeführt. Die Freilegung der Arterie geschah in der 
oben beschriebenen Weise, und zwar von der Teilungsstelle der Poplitea 
ab. Das Gefäß wird zwischen zwei gezähnten Klemmen durchtrennt 
und mitsamt der Scheide nach oben freipräpariert. Unterbindung aller 
abgehenden Äste. Nach 10 Minuten ist der freie Stumpf 13 cm lang, 
hängt zur Wunde heraus und pulsiert lebhaft bis an die schließende 
Klemme heran. Das Kaliber ist eher etwas vergrößert. Nach Ablauf 
von 12 Minuten ist das Gefäß noch immer bis zum blinden Ende prall 
gefüllt und pulsiert heftig. Jetzt wird die Klemme einen Augenblick 
gelüftet. Man sieht, wie das andrängende Blut fast momentan den 
Bürzel entfaltet, den die Klemme zusammengequetscht hatte, und sich 
dann im dicken pulsierenden Strahl entleert. Die Klemme wird sofort 
an derselben Stelle wieder angelegt. Nach Ablauf von 27 Minuten ist 
die Operation so weit beendet, daß der Versuch abgebrochen werden 
muß. Die Arterie ist auch jetzt noch prall gefüllt und pulsiert heftig. Sie 
zeigt keinerlei Neigung zur Kontraktion. Die Klemme wird noch 
einmal für einen Augenblick gelüftet, wieder mit demselben Erfolg: 
das Blut stürzt fast momentan im Strahl heraus. Nun wird die heraus¬ 
hängende Arterie in 12 cm Länge nach zentraler doppelter Unter¬ 
bindung abgetragen, das Präparat wird wieder durch Ligaturen in je 
2 cm lange Abschnitte zerlegt. Diese einzelnen Teile sind am frischen 
Präparat sämtlich bis zur Spitze ziemlich prall gefüllt, und zwar 
schätzungsweise in gleicher Stärke. Die Durchschnitte des gehärteten 
Präparates zeigen, daß alle Portionen gleichmäßig gefüllt sind. Alle 
Schnitte, die immer in der Mitte zwischen den Ligaturen angelegt 
sind, lassen den kreisrunden Kontur des Gefäßes und die massive 
gehärtete Blutsäule erkennen. Es besteht keine Spur von einer Ver¬ 
jüngung nach der Peripherie zu, nirgends ist etwas von Kontraktion 
zu sehen. 

Die Ergebnisse der Versuche differieren zunächst. Zweimal wird an 
einer mit Bezug auf ihren Kreislauf gesunden Extremität operiert ; die 
Resultate decken sich. Das 3. Experiment betrifft ein gangränöses 
Glied, also eine peripher insuffiziente Zirkulation: Der Ausgang ein 
völlig anderer, das Verhalten der Arterie diametral entgegengesetzt. 


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Über den Vorgang der Blutstillung. 


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Wird nach Ablauf von Minuten die endständige Ligatur geöffnet 
oder die ganze Ligaturstelle abgeschnitten, so blutet es aus der gesunden 
Arterie nicht, die kranke spritzt sofort. Die Einrollung oder Verklebung 
der Intima durch die quetschende Klemme oder den ligierenden Faden, 
die Verfilzung der einzelnen Wandschichten untereinander kann es 
also ebensowenig sein wie der Thrombus, der das querdurchtrennte 
Gefäß am Ende primär verschlossen hat. Dann hätte einerseits die 
kranke Arterie beim bloßen Lüften der Klemme nicht bluten dürfen, 
andererseits das gesunde Gefäß beim Abschneiden der ganzen gequetsch¬ 
ten Endpartie bluten müssen. 

Die Frage des Thrombus ist durch die Versuche nicht berührt; sie 
ist ja in der Literatur ausgiebig behandelt worden. Was zur Diskussion 
stand, ist die aktive Mitarbeit der Gefäßwand im Gegensatz zur Leistung 
des Blutes beim Vorgang der Blutstillung. In den beiden ersten Ex¬ 
perimenten hat sich die Arterie vom blinden Ende her maximal zu¬ 
sammengezogen, und zwar wäre bei genügend langer Fortsetzung des 
Versuches der Prozeß wohl so weit gegangen, wie der Inhalt stagnierte. 
Das Blut muß dabei stromaufwärts gegen den Druck der andrängenden 
Blutsäule entleert werden; kleine Beste können dabei abgefangen 
werden. Im übrigen wird das Bohr aber bis zum Verschwinden des 
Lumens kontrahiert. 

Der Vorgang hat nichts Überraschendes, wenn man ihn zusammen¬ 
hält mit dem „segmentären Gefäßkrampf“ (Küttner und Baruch, Kroh, 
Reichte). Hier wie dort zieht sich d'e Arterie maximal zusammen auf 
einen Beiz; und daß ein queres Durchreißen eines Gefäßes, das Fassen, 
Quetschen oder Abdrehen mit einer Klemme, das Kauterisieren, das 
Eisenchlorid, der Hochfrequenzstrom, das Auslösen aus seiner Um¬ 
gebung, schließlich die Ligatur selbst, und auch wohl die Beschaffenheit 
des im Blindsack stagnierenden Blutes einen starken Beiz für die Wand 
und ihre Muskulatur bedeuten, kann wohl nicht bezweifelt werden. Im 
übrigen zitiert Jones sehr ausführlich die Versuche von Kirkland, der 
1763 bereits zu denselben Besultaten kam in bezug auf die Wertung 
der Wand für den Verschluß des Gefäßes. Er fand, „daß Blutungen 
aus einem sehr beträchtlichen Arterienstamm leicht und kräftig allein 
durch einen senkrechten Druck auf die Gefäßwunde, einige Minuten 
lang angewandt, gestillt werden; daß man das Klopfen der Arterie 
zuerst sehr deutlich an ihrem Ende wahmehmen kann, aber nach einiger 
Zeit immer unwahmehmbarer wird, daß die Blutung nicht durch ge¬ 
ronnenes Blut gestillt wird, sondern dadurch, daß das Gefäß fast einen 
Zoll hoch und darüber von seinem Ende ganz fest zusammengezogen 
wird, und daß man, wenn man deh Druck von Zeit zu Zeit entfernt, 
leicht diese Kontraktion des Gefäßes an dem gradweisen Abnehmen des 
Blutstromes wahrnehmen kann“. In gleichem Sinne geht auch der 


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G. Magnus: 


obenerwähnte Versuch am Pferde aus, bei dem nach Abrutschen des 
Tourniquets die ganze Blutung einer Oberschenkelamputationswunde 
ohne jede Unterbindung steht, nachdem 16 Minuten lang die Wund¬ 
fläche komprimiert worden ist. Nicht ein Thrombus hat nach dieser 
kurzen Zeit dem ganzen Druck einer Pferdefemoralis standgehalten, 
auch nicht eine eingerollte Intimawand; sondern als flach 48 Stunden 
das Tier getötet wird, zeigt sich, daß die Arterien „fast einen Zoll oder 
auch darüber fest zusammengezogen sind“. Kirkland führt auch bereits 
als Beleg für seine Auffassung den Mechanismus an, unter dessen Wir¬ 
kung sich die Gefäße der Nabelschnur unmittelbar nach der Geburt 
verschließen; auch hier findet eine aktive Zusammenziehung der Wand 
statt. Jones selber hat einmal eine Kontraktion einer Arterie in der 
Kontinuität auf einen starken Reiz hin gesehen, also einen „traumati¬ 
schen, segmentären Gefäßkrampf“. 

Der 3. negativ verlaufene Versuch paßt sehr wohl in den Rahmen; 
eine Störung in der peripheren Zirkulation, welche schwerste ErnährungB- 
beeinträchtigungen bedingt, wird auch geeignet sein, diese Funktion der 
Gefäßwand, die Kontraktion bis zum Verschluß, zu verhindern. Dabei 
ist besonders hervorzuheben, daß bei sklerotischen Gefäßen die Blunk- 
sehe Klemme ebenfalls versagt. Daß die Lumbalanästhesie von Einfluß 
gewesen ist, kann wohl als sehr unwahrscheinlich abgelehnt werden. 

Die Heilung der Gefäßwunde wäre demnach ein sehr einfacher Vor¬ 
gang. Die einander durch die Wandkontraktion angenäherten Flächen 
des Endothels verkleben primär und wachsen von der Intimawunde her 
zusammen durch Proliferation der Endothelzellen (Thiersch, Waldeyer, 
Riedel). Die Vernarbung der übrigen Schichten macht dann keine 
Schwierigkeit. Die Überbrückung eines Defektes durch Organisation 
eines vermittelnden Thrombus ist jedenfalls nicht nötig, ja sogar über¬ 
haupt bestritten (Baumgarten, v. Gaza). Die vorliegenden sehr sorg¬ 
fältigen histologischen Untersuchungen lassen diesen Vorgang durchaus 
zu. Daß bisher lediglich von aseptischen Verhältnissen die Rede ge¬ 
wesen ist, mag noch einmal ausdrücklich hervorgehoben sein. Im in¬ 
fizierten Gebiet ist der Ablauf zweifellos ein ganz anderer. Es soll aber 
auch selbstverständlich nicht bestritten werden, daß an Gefäßwunden 
sich kleine Ansammlungen von Blutplättchen und kleine Fibringerinnsel 
ansammeln können, z. B. nach Gefäßnähten. Auch kann ein Gefäß weg- 
sam bleiben trotz querer Durchtrennung, wie die Methode der Blut¬ 
transfusion von Sauerbruch zeigt. Was zur Diskussion steht, ist der 
„Pfropf“, der ein Gefäß gegen den Druck des arteriellen Blutstromes 
verschließen soll wie ein Rohranker eine Hochdruckleitung. 

Bei der seitlichen Wunde im Gefäßrohr hat die Vorstellung von der 
Kontraktion der Wand immer eine größere Rolle gespielt. Die Elastizi¬ 
tät soll den Spalt zum Klaffen bringen und so die Blutung unterhalten. 


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Über den Vorgang der Blutstillung. 


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lm frühen Mittelalter war bekannt, daß eine völlige Durchtrennung 
eines so verletzten Gefäßes die Blutung zum Stehen bringen könne. 
Das wesentlichste Moment wird auoh hier nicht die Elastizität, sondern 
die muskuläre Kontraktion der Arterie sein. Im übrigen darf nicht 
vergessen werden, daß für einen haltbaren Thrombenverschluß die 
Bedingungen bei der seitlichen Verletzung sehr viel günstiger liegen als 
bei einer queren Durchtrennung, und Hahn fand im Gegensatz dazu 
unter dem großen Küttneraohen Material, daß 11 tödliche aseptische 
Nachblutungen sämtlich aus seitlichen Verletzungen erfolgt waren. 

Auch für die septische Nachblutung ist es von Bedeutung, ob die 
Muskelarbeit der Wand oder die Stagnationsthrombose als wichtigstes 
Moment der Blutstillung zu gelten hat, ob das Nachlassen des musku¬ 
lären Kontraktionszustandes, oder das Einschmelzen des Thrombus die 
Ursache der Nachblutung ist. Auffallend ist, daß, wenn eine solche im 
Anzuge ist, zunächst in der Granulationsfläche, die völlig still war, 
plötzlich von neuem ein pulsierender Stumpf erscheint, aus dem dann 
nach Stunden oder Tagen durch die Usur der Wand die Nachblutung 
erfolgt. Es wird also der verschlossene Blindsack wieder wegsam und 
blutführend; und es ist eigentlich wahrscheinlicher, daß dies geschieht 
durch Nachlassen der Wandkontraktion als durch Einschmelzen des 
hypothetischen Thrombus. Auch darf nicht vergessen werden, daß 
gerade im infizierten Gebiet die Bedingungen für die Thrombose eigent¬ 
lich besonders günstig sind. 

Die Vorstellung von der lokalen Regulierung des Arterienkalibers 
durch eine Funktion der muskulären Wand berührt sich mit den Unter¬ 
suchungen von Leriche und seinen Nachfolgern. Doch muß hervor¬ 
gehoben werden, daß in den beschriebenen Experimenten keine Ent- 
hülsung des Gefäßes stattgefunden hatte, sondern daß die Arterie 
mitsamt ihrer Scheide ausgelöst worden war. Immerhin muß zugegeben 
werden, daß eine energische Tangierung und Irritation des nervösen 
Geflechtes um das Gefäß sehr wohl denkbar ist. Im übrigen sind ja die 
theoretischen Unterlagen für die Sympathektomie zunächst noch durch¬ 
aus nicht befriedigend, und das letzte Wort über die Endresultate, d. h. 
über Erfolge, die mehr als eine Schwankung, ein Pendeln um eine gewisse 
Gleichgewichtslage bedeuten, ist noch nicht gesprochen. 

Es ist schließlich in weiteren Experimenten der Versuch gemacht 
worden, diese Beobachtungen auf die CapiUaren auszudehnen. Unter 
dem Hautmikroskop von 0. Müller wurden die Schlingen am Nagelfalz 
eines Fingers eingestellt, und sodann mit einer scharfen Augenlanze 
an einigen von ihnen die Kehre abgeschnitten. Die Beobachtung ist 
sofort sehr erschwert durch die momentan einsetzende Hyperämie des 
ganzen Bezirks: Das Gesichtsfeld wird stark verschleiert und gelbrot 
verfärbt. Die angeschnittenen Papillären bluten lebhaft, augenscheinlich 



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G. Magnus: 


aus beiden Schenkeln, und das ausströmende Blut bahnt sich Ka¬ 
näle in das bedeckende Cedemöl hinein. Steht dann die Blutung, so 
sind nirgends Rudimente der verletzten Schlingen zu sehen oder gar 
einzelne thrombosierte und blind endigende Schenkel; sondern die be¬ 
treffenden Capillarschlingen sind verschwunden. Die Versuche scheinen 
aussichtsreich und sollen fortgesetzt werden, auch am gedrosselten 
Kreislauf. Doch läßt sich schon jetzt so viel sagen, daß höchst wahr¬ 
scheinlich die CapiUaren mit der Tätigkeit ihrer Wand in demselben Sinne 
am Vorgang der Blutstillung teilnehmen wie die Arterien 1 ). 

Eine besondere Beachtung verlangen auch die Venen. Eine sehr 
bemerkenswerte Notiz von Petzsche besagt, daß die Blunkache Klemme 
an größeren Venen in ihrer Wirkung unsicher ist; und dabei müßte doch 
hier die Einrollung der Intima und die Verfilzung der Wandschichten 
ganz besonders wirksam sein gegenüber dem sehr geringen Innendruck. 
Vielleicht ist hier der Mangel an Muskulatur im Gegensatz zur Arterie 
die Ursache für den ausbleibenden Verschluß. 

Für die Therapie werden diese Vorstellungen nicht ohne Bedeutung 
sein. Es werden die blutstillenden Mittel darauf geprüft werden müssen, 
wie weit sie wirklich durch Beförderung der Gerinnung wirken und wie 
weit durch Beeinflussung der Gefäßkontraktion. Wenn heiße und kalte 
Spülung gleichmäßig als blutstillend gilt, so ist es viel wahrscheinlicher, 
daß — ganz allgemein gesprochen — der „Reiz“ auf das Gefäß wirkt, 
als daß die Gerinnungsbedingungen des Blutes dadurch umgestellt 
w’erden. Stegemann, der neuerdings mit vorwiegend theoretischen Er¬ 
wägungen die Frage: „Thrombose oder Kontraktion“ behandelt, spricht 
die Ansicht aus, daß blutstillende Mittel vasoconstrictorische Mittel 
sind, und daß solche Stoffe beim Gewebszerfall entstehen können. Er 
erwähnt ein eindrucksvolles Experiment mit dem Organpräparat 
Clauden, das er bei offener Bauchhöhle einem Tier intravenös gegeben 
hat: Es traten heftige Kontraktionen an Uterus, Blase und Darm auf 
als Beweis der Wirkung auf glatte Muskulatur. Stephan spricht dem 
Gefäß ebenfalls eine starke Bedeutung zu gegenüber dem Blut, wenn 


') Anmerkung bei der Korrektur: Die Versuche sind inzwischen fortgesetzt 
worden mit dem Milcromaniptdator (Peterfi) von Zeise. Das Instrument gibt 
die Möglichkeit, mit besonders fiir diesen Zweck angefertigten winzigen Messer¬ 
klingen unter dem Mikroskop eine einzige Capillare anzuschneiden und den 
Ablauf von Blutung und Blutstillung zu beobachten und zu photographieren. 
In der Tat thrombosiert die Schlinge nicht, sondern sie zieht sich auf ihre 
Basis zurück und verschwindet; nach Abschluß des Versuches fehlt die verletzte 
Schlinge in der Reihe der CapiUaren, der Tropfen ausgetretenen Blntes ist ohne 
Zusammenhang mit feiner QueUe. Uber diese Experimente soll anderwärts 
ausführlich berichtet werden. — Herrn Prof. Siedentopf und Herrn Oerlaeh vop 
der Abteilung Mikro der Firma Zeise bin ich für freundliche Unterstützung sehr 
zu Dank verpflichtet. 


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Über den Vorgang der Blutstillung. 


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auch auf etwas anderer Grundlage; und die Resultate seiner Milz* 
bestrahlung müssen durchaus unter diesem Gesichtswinkel betrachtet 
werden. W. Müller hat an der Marburger Klinik im Anschluß an ältere 
Untersuchungen seines Chefs über adrenalinähnliche Wiikungen von 
Toxinen auf die Gefäßwand die Frage mit dem Löwen- Trendelenburg- 
sehen Froschpräparat geprüft und hat nach Röntgenbestrahlungen im 
Serum des Patienten vasoconstrictorische Stoffe nachgewiesen, und er 
stellt im Anschluß an diesen wichtigen Befund die Behauptung auf, daß 
„die Anwesenheit der Zellzerfallsprodukte durch ihre gefäßverengende 
Wirkung einen Einfluß auf die Verminderung der Blutung hat“. So 
wäre es auch zu erklären, wenn Tichy ebenfalls aus der Läwens chen 
Klinik nach Bestrahlung der Leber dieselben Resultate berichtet. 
Grober hat neuerdings das Secale wieder bei Blutungen empfohlen, und 
zwar in subcutaner Injektion. Daß das Mutterkorn auf die Gefä߬ 
muskulatur wirkt, kann nach den schönen Untersuchungen von Nalus 
am Pankreas des lebenden Tieres nicht mehr bezweifelt werden, und 
unter dieser Voraussetzung und mit Berücksichtigung der vorliegenden 
Beobachtungen und Erwägungen ist diese Medikation durchaus zu 
diskutieren. 

Zusammenfassung: Die beschriebenen Unterbindungsversuche am 
lebenden Menschen legen den Gedanken nahe, daß der Vorgang der 
Blutstillung mehr als bisher als eine Angelegenheit deB Gefäßes 
betrachtet werden muß, und daß die Blutgerinnung — unbeschadet 
def Frage, ob es sich um eine Thrombose oder um eine Koagulation 
handelt — nicht der alleinige, vielleicht nicht einmal der wesentliche 
Faktor ist, der die Blutung zum Stehen bringt. 


Literaturverzeichnis. 

Asfhojj, Pathologische Anatomie. A. Dietrich, Störungen des Kreislaufes. 
Fischer, Jena. — Baumgarten, Die sogenannte Organisation des Thrombus. Leip¬ 
zig 1877. — Bier, Braun und KümmeU, Chirurgische Operationslehre. Barth, 
Leipzig. — Brücke, Über die Ursache der Gerinnung des Blutes. Virohows Arch. 
f. pathoL Anat. u. Physiol. 1Z. 1857. — Fonio, Über die Wirkung der intravenösen 
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624 


G. Magnus: Über den Vorgang der Blutstillung. 


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Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 120. 1920. — Pels-Leusden, Chirurgische Operations¬ 
lehre. Urban und Schwarzenberg, Berlin-Wien. — Petzsche, Über die Verwendbar¬ 
keit der Blunkschen Gefäßklemme zur definitiven Blutstillung. Bruns* Beitr. z. 
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bestimmungen für die Chirurgie ? Arch. f. klin. Chirurg. 102. 1913. — Stephan, Über 
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Wochenschr. 1920, S. 309. — Stephan , Elektive Schädigungen des Capillarappar&tes 
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zustände (Literatur.) Ergehn, d. Chirurg, u. Orthop. 13. 1921. — Tichy , Durch 
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Lehrbuch der Chirurgie, Bd. I. Fischer, Jena 1923. 


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(Aus der Propädeutischen-chirurgischen Universitätsklinik zu Saratow [Direktor: 

Prof. Dr. W. «/. Rasumowsky].) 

Über den Darmwandbruch. 

Von 

Dr. A. A. Kosyrew, 

Assistent der Klinik. 

Mit 5 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 20. Juni 1923.) 

Bevor ich an die Schilderung 1 ) der Fälle, deren Eigentümlichkeiten 
mir den Anlaß zu dieser Mitteilung gaben, herangehe, erlaube ich mir die 
Literatur kurz zu berühren. Noch im Jahre 1785 wurde der Darmwand¬ 
bruch zum ersten Male von Richter beschrieben, dessen Namen diese 
Bruchart beibehalten hat. Ihre Eigentümlichkeit besteht darin, daß bloß 
ein Teil der in der Regel dem Mesenterium gegenüberliegenden Darra- 
wand im Bruchringe hervorgewölbt und incarceriert wird. Mit anderen 
Worten, es kann bei derartigen incarcerierten Hernien eine totale Im¬ 
permeabilität des Darmes auch nicht vorhanden sein, was übrigens 
wohl mir in sämtlichen Fällen zur Beobachtung kam. Am häufigsten 
befinden sich diese Hernien im Cruralkanal. Dr. Sykow 2 ) hatte unter 
32 von ihm aus der Literatur zusammengestellten Fällen von Darm¬ 
wandbrüchen 29 mal Hernia cruralis, 19 mal inguinalis und 4 obturatoria. 
In 20 von ihm zusammengestellten Fällen von Darmwandbrüchen waren 
13 Männer und 7 Frauen, dabei 15 Crural- und bloß 5 Inguinalhernien. 

Die meisten Autoren, die sich für die vorwiegende Frequenz des 
Cruralkanals interessierten, erklären diese Erscheinung dadurch, daß 
eben im Cruralkanal die Bedingungen für das Zustandekommen der 
Incarceration der Darmwand gegeben sind. Die Bedingungen sind 
folgende: 1. der incarcerierende Ring muß sehr eng sein, was auch im 
Cruralkanal der Fall ist; 2. die eingeklemmte Darm wand muß mit einem 
langen Mesenterium versehen sein (muß sehr beweglich sein). Und 
in der Tat gehört am häufigsten der eingeklemmte Darmabschnitt dem 
Dünndarm als dem frei beweglichsten Teile an. Dr. Sykow berichtet 
(siehe Russische Chirurgie 1909. Art. Krymows: „Die Lehre von dem 
Bruche“), daß unter 70 eingeklemmten Darmwandhemien es sich in 
64 Fällen um den Dünndarm, in 6 Fällen um den Dickdarm handelte. 
Viele Chirurgen, die Gelegenheit hatten, Darmwandbrüche zu operieren, 

*) Den Darmwandbruch hat auch Pirogoff beschrieben. 

a ) Siehe Chirurg. Westnik 1894 November und Dezember. Sykow, Zur Frage 
über den Darmwandbruch (Russisch). 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 40 


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A. A. Kosyrew: 


haben sich die Aufgabe gestellt, die Entstehungsursachen der Ein¬ 
klemmung aufzudecken. Über den Mechanismus dieser originellen 
Einklemmung des Darmes gingen die Ansichten auseinander. Vor der 
experimentellen Arbeit Dr. Sykows bestanden darüber zwei Meinungen: 
einige Autoren mit Sachs, Riedel u. a. an der Spitze legten beim par¬ 
tiellen Hineingeraten des Darmes dem Intraintestinaldruck, andere — 
dem intraabdominellen beachtenswerte Bedeutung bei. Sykow stellte 
in seiner experimentellen Arbeit fest, daß dem partiellen Hineingeraten 
des Darmes beim Vorhandensein eines engen Bruchringes und eines 
langen Mesenteriums der erhöhte intraabdominelle Druck förderlich ist. 
Die Erhöhung aber des Intraintestinaldruckes behindert das Zustande¬ 
kommen der Darmwandbrüche. Auf Grund meiner Beobachtungen 
erlaube ich mir nun zu behaupten, daß es außer den angeführten Ur¬ 
sachen, wie Beweglichkeit des Darmes, Enge des incarcerierten Ringes, 
vermehrter intraabdomineller Druck, noch einen Faktor gibt, der in 
Rechnung zu stellen ist, nämlich: die Überfüllung mit harten Kot¬ 
massen sowohl des Darmabschnittes, dessen Wand incarceriert ist, 
als des incarcerierten Konus der Darmwand selbst. Ich hatte in allen 
meinen Fällen incarcerierte Darmwand mit darin befindlichen mehr 
oder weniger harten Kotmassen. Diese Hernien wurden von russischen 
Autoren ( Pirogoff , Abratanow, Bogajewsky u. a.) beschrieben. In der 
deutschen Literatur lieferte reichliches Material (63 Fälle) die Klinik 
des verstorbenen Prof. Riedel (siehe Dtsch. med. Wochenschr. 1910, 
Nr. 62). Es sei noch erwähnt, daß die Darmwandbrüche manchmal 
ziemlich große Dimensionen haben können, wohl aber gemäß unseren 
Beobachtungen steht die Größe der hineingeratenen Darmwand im 
direkt proportionalen Verhältnisse zu der Größe des intraabdominellen 
Druckes und der Größe des incarcerierenden Ringes. Der Darminhalt 
des hineingeratenen Teiles bedingt auch die Größe des Bruches. Nach 
dem Charakter der Incarceration nähern sich diese Hernien dem ge¬ 
mischten Typ der kotigen und elastischen Einklemmung; bloß dieser Typ 
der Incarceration kann uns zur Genüge erklären, auf welche Weise die 
hineingeratene Darmwand vom incarcerierenden Ringe im Sacke so stark 
festgehalten wird. Bei elastischer und kotiger Incarceration ist dieser 
Umstand selbstverständlich. In diesem Falle tritt in Erscheinung einer¬ 
seits die auf den hineingeratenen Darmkonus von außen Druck ausübende 
Kraft, andererseits — die Kraft des Darminhaltes (Gase, harter und 
flüssiger Kot), der den Darmkonus im Moment der Incarceration aus¬ 
füllt, d. h. die Kraft, die auf denselben Konus von innen her Druck 
ausübt. Diese beiden Kräfte, die auf den ersten Blick den Anschein 
erwecken, daß sie sich einander ausgleichen, summieren sich in eine, 
die freilich für die Incarceration des Konus und das Festhalten des 
letzteren in diesem Zustande in vollem Maße ausreicht. Bezüglich der 


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Über den Darmwandbruch. 


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des Kranken, manchmal sogar sehr \ \ !, J l J ' W | 1 ^ 

gutes, bringen den Chirurgen in eine \ \ Jj 

schwierige Lage, sogar auch bei der \/Tl7" 1 / —7—7— 7~ 
Diagnose selbst. Immerhin ist die voll- a r \ 1 / / / / / / / 
ständige Durchlässigkeit des Darmes 

bei derartigen Hernien ein ziemlich - 

seltenes Ereignis. So z. B. hatte Lorenz ^- 

in 11 Fällen totale Durchlässigkeit. 

Sylcow hatte in 30 von ihm zusammen- \ \ 7" ^ ^ 

gestellten Fällen, in deren Kranken- ' Jl '/ 

geschichten besonderer Wert auf diesen 
Umstand gelegt wurde, 18 mal Imper- 

meabilität, 4 mal Abgang von Winden --_ 

und bloß 8 mal Stuhlgang. Immerhin 

bietet die Diagnostizierung der Rieh- _ ____ 

{ersehen Brüche von kleinen Dirnen- \ ] ~f 

sionen bei fettleibigen Personen Schwie- Abb 

rigkeiten. In der Literatur werden die 

Kamen der Chirurgen (Keller u. a.) angeführt, die . u. .. 

mehrfach auf Grund der Durchlässigkeit des ^4^11 1 \)y 

Darmes die Diagnose auf Darmwandincarceration v/y 

stellten, sie wurde aber meistens von den Chi- 
rurgen, die diese Brüche operierten, erst intra 
operationem erkannt. :il \\ 

Zur Illustration erlaube ich mir das Schema- \%=y i 

tische Bild der Entwicklung der Impermeabilität 
des Darmes bei Darmwandbrüchen anzuführen .ili, .,i I 

(Abb. 4 und '5). 411 I 

Allein die Wiedersehen Hernien hören nicht \\)/'^' 

auf, auch wenn die Wegsamkeit des Darmes auf 
die Dauer erhalten wird, eine Gefahr zu bilden, (fT”^ 

Denn der enge incarcerierende Ring preßt die ; ^ • 

Darm wand sehr stark und bedingt hierdurch Er- Abb* 4 6 

uährungsstörungen. Nicht selten erfolgt dabei 

Gangrän der Darmwand schon in den ersten Tagen. Und wenn man 
in Betracht zieht, daß in einem incarcerierten Darm die Virulenz der 
Mikroben stärker zum Ausdrucke kommt, so wird man leicht ver¬ 
stehen können, was für eine Gefahr der incarcerierte Darmwandbruch 


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A. A. Kosyrew: 


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an und für sich darstellt, besonders wenn Perforation der Darm¬ 
wand eintritt. Ferner, wenn auch vor Auftreten der Perforation der 
incarcerierte Darmteil mit dem Peritoneum durch Entzündungs¬ 
adhäsionen schon genügend fest verlötet ist und keine Peritonitis auf- 
tritt, so ist immerhin die Darmwand derart verändert, daß sie für die 
Bakterien leicht passierbar ist und infolgedessen müssen wir auf Kom¬ 
plikationen außerhalb der Peritonealhöhle, die in hohem Grade sowohl 
die Erkennung der Erkrankung als die Vornahme der Operation selbst 
erschweren, gefaßt sein. So z. B. können ödem der Gewebe, Infiltration 
derselben im Bereich der Incarceration, Phlegmone in der Nähe des Bruch- 
■sackes, Absceß usw. eintreten, wie ich es in einem meiner Fälle, von 
dem nachfolgend die Rede sein wird, erlebte (siehe Krankengeschichte 
Nr. 1). Dasselbe berichtet Morton , indem er einen Fall der ÄicÄ&rschen 
Hernie bei einem 61jährigen Greise, der mit der Diagnose Absceß aufge¬ 
nommen wurde, schildert und betont, daß die verschleppte Bichiers che 
Hernie dem Aussehen nach mit dem Absceß identisch ist. Mit dem 
Falle, der klinisch am ehesten dem angeführten Falle Mortons ähnelt, be¬ 
ginne ich nun meine Fälle in chronologischer Reihenfolge zu schildern. 

Krankengeschichte Nr. 1. 14. XI. 1921. Die Kranke P., 59 Jahre. Aufnahme 
mit Diagnose: Drüsenentzündung des rechten Schenkelkanals. Seit 3 Tagen 
krank. Im Bereich des Schenkelkanals ein faustgroßer Tumor mit Infiltration 
ringsum, druckempfindlich. Leib aufgetrieben, Singultus und Erbrechen, obwohl 
am Tage der Aufnahme am Morgen Stuhlgang. Verdacht auf Brucheinklemmung. 
Operation sofort, in Cocainanästhesie. Befund: Kirschgroßer Darmwandbruch, 
Dünndarm wand incarceriert, incarcerierter Darmkonus an der Spitze perforiert 
Phlegmone in der Umgebung des Bruchsackes, 12—14 cm des mit Kotstücken 
angefüllten Darmes reseziert. Anastomose Seit-zu-Seit. Langdauemde Sup- 
puration. Der Fall ging in Genesung aus. Am 25. HI. 1921 Entlassung. 

Krankengeschichte Nr. 2. Die Pat. Sch., 63 Jahre alt. Am 22. HL 1921 Ein- 
lieferung mit incarceriertem rechtsseitigem Schenkelbruche. Seit 5 Jahren Bruch. 
Operation in Cocainanästhesie nach l 1 /*—2 Tagen bestehender Einklemmung. Im 
Bruchsacke Netz und incarcerierte Dünndarmwand. Darmkonus stark verändert, 
schwarz ohne Glanz. Im Darme harter Kot. Darm ödematös. Reseziert 10—12 cm 
des Dünndarmes. Anastomose Seit-zu-Seit. Daraufhin radikale Operation: Hemi* 
otomie. Heilungsverlauf reaktionslos. Am 3. IV. 1921 völlig gesund geschrieben. 

Krankengeschichte Nr. 3. 6. VT. 1921. Der Kranke M., 37 Jahre alt. Aufnahme 
mit der Diagnose: Rechtsseitige Leistenbruch. Operation in Lokalanästhesie nach 
24 Stunden bestehender Incarceration. Im Bruchsacke trübes Bruchwasser und 
incarcerierte Dünndarmwand, der Größe, Form und Farbe nach wie eine Pflaume. 
Incarcerierter Darmkonus und Darm mit Kot ausgefüllt. Reseziert 10—12 cm des 
Darmes. Anastomose Seit-zu-Seit. Genesung. Am 18. VI. 1921 entlassen. 

Krankengeschichte Nr. 4. 10. VTL 1921. Die Kranke J., 52 Jahre ah. 

Diagnose: Incarceration des rechtsseitigen Leistenbruches. Einklemmung besteht 
seit 2 Tagen. Operation in Lokalanästhesie. Im Sacke Netz, im Sackhalse schwarze 
incarcerierte Darmwand mit Darmwand angefüllt. Der Darm war mit Leichtigkeit 
hervorzuziehen. Erweiterung des incarcerierenden Ringes ergab, daß der meeen* 
terielle Teil des Darmes samt dem Mesenterium (nicht aber das gegenüberliegende 
Mesenterium, wie es immer der Fall ist) incarceriert war, was eben für diesen Fall 


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Ober den Darmwandbruch. 


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bezeichnend ist. Reseziert 12—15 cm des Dünndarmes. Anastomose Seit-zu-Seit. 
Heilungsverlauf ungestört. Am 25. VH. 1921 aus der Behandlung entlassen. 

Krankengeschichte Nr. 5. 4. IX. 1921. Die Pat. T., 77 Jahre alt. Einlieferung 
mit der Diagnose: incarcerierte linksseitige Cruralhemie. Peritomtische Symptome 
stark ausgeprägt. Die Incarceration erfolgte vor 6 Tagen. Am ersten Tage bekam sie 
Abführmittel. Durchfall 5 Tage. Am letzten Tage Leib stark aufgetrieben, heftige 
Schmerzen, Singultus und Erbrechen. Operation. Im Sacke schlaffe incarcerierte 
Dünndarmwand, mit Kot ausgefüllt. Reseziert 10—12 cm des Dünndarmes. Anasto¬ 
mose Seit-zu-Seit. Heilungsverlauf ungetrübt. 22. IX. 1921 Pat. verlaßt die Klinik. 

Krankengeschichte Nr. 6. 3. I. 1922. Die Pat. T., 57 Jahre alt. Aufnahme 
mit der Diagnose: incarcerierter linksseitiger Schenkelbruch. Incarceration seit 
3 Tagen. Am Vorabend der Einlieferung Stuhlgang. Operation in Cocainanästhesie. 
Im Sacke Netz und incarcerierte schwarze mit Kot angefüllte Darm wand. 12—14 cm 
der Dünndarmwand reseziert. Anastomose Seit-zu-Seit. 17. I. 1922 Heilung. 

Krankengeschichte Nr. 7. 1. IL 1922. Die Pat. J., 70 Jahre alt. Diagnose: 
incarcerierter Nabelbruch. Incarceration seit 3 Tagen. Operation in Lokal¬ 
anästhesie. Im Bruchsacke Verwachsung desselben mit dem Netze und mit Kot 
angefüllte incarcerierte Dünndarmwand. 10—12 cm des Darmes und Netz re¬ 
seziert. Anastomose Seit-zu-Seit. Genesung. Am 20. II. 1922 entlassen. 

Krankengeschichte Nr. 8. Aufnahme am 23. lEL 1922. Die Pat. R., 52 Jahre 
alt. Incarcerierte linksseitige Leistenhernie. Einklemmung seit 2 Tagen. Operation. 
Im Bruchsacke am Halse incarcerierte Dünndarmwand. Die in den Bruch hinein¬ 
geratene Darmwand ist schwarz und druckempfindlich. Darm ödematös. 10 bis 
12 cm des Darmes reseziert. Anastomose Seit-zu-Seit. Heilung. Am 5. IV. 1922 
Entlassung. 

Krankengeschichte Nr. 9. Die Kranke G., 50 Jahre alt, wird am 18. IV. 1922 
der Klinik überwiesen. Diagnose: incarcerierte rechtsseitige Cruralhemie. Ope¬ 
ration nach 1—l x /a Tagen bestehender Einklemmung in Chloroformnarkose. Im 
Bruchsacke Coecumwand und stark veränderter Appendix. Partielle Resektion 
des Coecum und Ileum in einer Ausdehnung von 15—17 cm. Anastomose Seit- 
zu-Seit. Nach 2 Wochen wurde die Kranke geheilt entlassen. 

Krankengeschichte Nr. 10. Die Kranke R., 59 Jahre alt. Aufnahme am 

22. V. 1922. Diagnose: Incarcerierter rechtsseitiger Schenkelbruch. Incarceration 
seit 2 Tagen. Operation in Lokalanästhesie. Im Bruchsacke incarcerierte Dünn¬ 
darmwand. Incarcerierter Darmkonus mit harten Kotstücken angefüllt. Darm¬ 
wand schlaff und schwarz. 10—12 cm des Darmes reseziert. Genesung. Am 
10. V. 1922 nach Hause entlassen. 

Krankengeschichte Nr. 11. Die Kranke K, 55 Jahre alt. Aufnahme am 
24. IV. 1922. Incarcerierter rechtsseitiger Cruralbruch. Nach 3 Tage bestehender 
Incarceration Operation in Lokalanästhesie. Im Sacke trübes Bruchwasser und 
incarcerierte Dünndarmwand. Der incarcerierte Darmteil stark verändert. Darm¬ 
resektion. Anastomose Seit-zu-Seit. Heilung. Näch 15 Tagen Entlassung. 

Krankengeschichte Nr. 12. Der Kranke K., 28 Jahre alt. Einlieferung am 

23. VTL 1922. Diagnose: incarcerierte linksseitige Leistenhernie. Incarceration 
seit 2 Tagen. Operation in Äthemarkose. Im Bruchsacke incarcerierte S-Romanum- 
wand> Incarcerierter Konus schwarz, ohne Glanz trotz der Tamponade mit NaCl- 
Löeung. Resektion des sehr beweglichen S-Romanum in einer Ausdehnung von 
12—15 cm. Heilungsverlauf ungestört. Am 6. VIII. 1922 Entlassung. 

Krankengeschichte Nr. 13. Am 6. IX. 1922 wurde die 45 jährige Pat. N. 
aufgenommen. Incarcerierte rechtsseitige Schenkelhemie, Incarceration seit 
3 Tagen. Operation in Äthemarkose. Im Sacke am Halse eine überkirschengroße, 
von dem in den Bruch hineingeratenen Netze bedeckte, incarcerierte Dünndarm- 


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A. A. Kosyrew: 


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wand. Di© Darm wand schlaff und schwarz. Netz und 10—12 cm des Darmes 
reseziert. Heilung. Nach 2 Wochen Entlassung. 

Krankengeschichte Nr. 14. Die Pat. M., 50 Jahre alt. Einliefemng am 
20. IX. 1922. Incarcerierte linksseitige Schenkelhemie. Incarceration seit 2 Tagen. 
Stuhlgang am Tage der Operation. Operation in Äthemarkose. Im Sacke in¬ 
carcerierte Dünndarmwand. Die Darmwand schwarz, der Darm ödematös. 10 bis 
12 cm des Darmes reseziert. Darm und dessen incarcerierte Wand mit Darm¬ 
inhalt angefüllt. Heilungsverlauf glatt. Am 5. X. 1922 entlassen. 

Krankengeschichte Nr. 15. 3. X. 1922. Die Pat. P., 65 Jahre alt. Diagnose: 
incarcerierte rechtsseitige Leistenhernie. Incarceration seit mehr als 2 Tagen. 
Operation in Cocainanästhesie. Im Sacke trübes Bruchwasser und incaroerierte 
Dünndarm wand. Darmwand schlaff und schwarz. 10—12 cm reseziert. Ana- 
stomose Seit-zu-Seit. Am 18. X. 1922 genesen entlassen. 

Krankengeschichte Nr. 16. Einlieferung am 11. HE. 1923. Die Pat. K, 
60 Jahre alt. Incarcerierte rechtsseitige Inguinalhernie. Incarceration seit 3 Tagen. 
Operation in Cocainanästhesie. Im Sacke incarcerierte vom Coecum 5 cm ent¬ 
fernte Heumwand. Im Sacke sehr lange, stark veränderte, mit dem Sacke ad- 
härente Appendix. Ablösung der Appendix vom Sacke und Extraktion des Darmes 
mit erheblichen Schwierigkeiten. Resektion des Dünndarmes in Ausdehnung von 
10—12 cm. Anastomose Seit-zu-Seit. Im postoperativen Verlauf Parese des 
Darmes. Es wurde Coeoostomia ausgeführt. Abgang von Winden. Stuhlgang 
erfolgt jeden Tag auf Einlaufe. Doppelseitige schwere Pneumonie mit Symptomen 
der Herzschwäche. Am 12. Tage nach der Operation Exitus. 

Krankengeschichte Nr. 17. Das 8 Monate alte Kind O., am 25. IV. 1923 
in die Klinik aufgenommen. Diagnose: incaroerierte rechtsseitige Leistenhernie. 
Incarceration seit 4 Tagen. Koterbrechen. Operation in Äthemarkose. Im 
Bruchsacke Coecumwand. Abgangsstelle des Fortsatzes incarceriert. Darm und 
Fortsatz mit dem Sacke adhärent. Fortsatz sehr lang, an der eingeklemmten 
Darmwand gebogen, adhärent mit dem Sacke und dem Darm, Teil (Ende) des 
Fortsatzes der Peritonealhöhle zugekehrt. Abtragung des Fortsatzes. Unter- 
dem Einfluß der wannen NaCl-Lösung gutes Aussehen nach wie vor. Darm in 
die Bauchhöhle versenkt. Heilungsverlauf glatt. Am 10. Tage wird das Kind 
aus der Klinik entlassen. Das Kind steht gegenwärtig unter unserer Beobachtung. 

Nach alledem erlaube ich mir folgendes zu sagen: Darmwandbruch 
ist in unserer Gegend eine nicht seltene Erscheinung. Das Alter spielt 
scheinbar keine große Rolle. Darmwandbruch wurde bei einem 70jähr. 
Greise und bei einem 8 Monate alten Kinde beobachtet. Am häufigsten 
kommt diese Bruchart im Alter von 50—60 Jahren vor. Am häufigsten 
kommen diese Hernien zur Operation am 2. und 3. Tage nach der 
Incarceration. Die incarcerierte Darm wand ist meistens nicht lebens¬ 
fähig, deshalb mußten wir in der übergroßen Mehrzahl der Fälle (in 
17 Fällen — 16 mal) Darmresektion ausführen. Technisch ist die An¬ 
wendung der Anastomose Seit-zu-Seit im Vergleiche mit der zirkulären 
Darmresektion, besonders im Falle einer Diameterdifferenz zwischen 
dem zuführenden und abführenden Darmende, wesentlich leichter. 
Dieser Umstand kam mir in meinen Fällen mehrfach zur Beobachtung: 
der zuführende Darmteil war im Gegensatz zu dem geschrumpften, 
abführenden Darmteile stark erweitert. Ich hatte Gelegenheit Kranke 


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Über den Darmvandbruch. 


631 


mit vorher wegen Bruchrezidiven u. a. Seit-zu-Seit angelegten Anasto- 
mosen zu operieren. Was geschah mit der Seit-zu-Seit angelegten Ana- 
stomose ? Es ergab sich, daß die blinden Enden ( a , a 1 ) verschwinden 
und die Lateralanastomose dank den Naturkräften sich in ein hohles 
Röhrchen mit Krümmungen verwandelte, nach 1 1 / a Jahren hat es sich 
gerade ausgeglichen und erweckt den Anschein, als wäre hier eine 
zirkuläre Resektion ausgeführt (siehe Abb. 3). Eine derartige Beobach¬ 
tung teilte mir Dr. A. Siebenhaar (Goly-Karamysch, das deutsche Wolga¬ 
gebiet) mit, der mir auch die Krankengeschichte des betreffenden 
Falles zur Verfügung stellte. Ich benutze die Gelegenheit, ihm meinen 
innigsten Dank dafür zu sagen. In seinem Falle bei nochmaliger Ope¬ 
ration bei einem 3 1 /*jährigen Kinde M., das vor 1 Jahr wegen eines 
gutartigen Tumors des Dünndarmes (Übergangsstelle in das Coecum) 
operiert worden war, konnte er die blinden Enden nicht finden und 
hatte an der Stelle der Anastomose bloß eine kleine Einkerbung. Die 
dynamischen Bedingungen für die Verschiebung des Speisebreies in 
dem Darme bei lateraler Anastomose, die ausführlich in der Arbeit 
von Prof. W. J. Rasumowsky (Arch. f. klin. Chirurg. 60) beschrieben 
sind, sind wesentlich verändert 1 ), wohl aber dank der vergrößerten 
Bewegungskraft der Peristaltik wird der Organismus mit den Hinder¬ 
nissen leicht fertig. Im Laufe der Zeit ändern sich die Verhältnisse 
an der Anastomosenstelle derart, daß die Kurvatur des Darmes mit 
der Verminderung (resp. mit dem Verschwinden) der blinden Enden, 
wie es schon Frey nachgewiesen hat und wie es gegenwärtig besonders 
unsere Beobachtungen beweisen, sich ausgleicht. Unter den von mir 
angeführten Fällen sind drei wegen ihrer Seltenheit besonders be¬ 
merkenswert. Im ersten Falle (siehe Krankengeschichte Nr. 4) war 
incarceriert der mesenteriale Teil des Darmes, nicht aber die dem 
Mesenterium gegenüberliegende Darmwand, wie es üblich ist. Im zweiten 
Falle (siehe Krankengeschichte Nr. 12) war in den Bruch die S.-Roma¬ 
numwand hineingeraten. Im dritten Falle (siehe Krankengeschichte 
Nr. 17) beim 8 Monate alten Kinde 0. war in den Bruch die Coecum- 
wand und die Appendix hineingeraten. Dieser Fall ist wegen des Alters 
und der Kombination der Erkrankungen interessant. Mortalität nach 
der Operation in meinen Fällen sehr klein (auf 17 Fälle einmal Tod). 
Durchschnittlich verweilten die Kranken nach der Operation 2—3 Wochen 
in unserer Klinik. Was die Operation der Richterschen Hernie selbst be¬ 
trifft, so muß ich hier einige Eigentümlichkeiten derselben hervorheben. 

Meines Erachtens soll man den Bruchsack weder an der Spitze des 
incarcerierten Darmkonus noch an seiner Basis, sondern in der Mitte 

*) Prof. W. J. Basumowaky teilte uns mit, daß ihm bei der Aufklärung der 
hydrodynamischen Verhältnisse, Prof, der theoretischen Mechanik D. Seliger be¬ 
hilflich war. 


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A. A. Koayrew: Über den Darmwandbruch. 


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zwischen ihnen öffnen, denn da wird die Darmw&nd am wenigsten 
zerstört und das Risiko, samt dem Bruchsacke den Barm zu öffnen, ist 
am geringsten. Wohl an der Spitze des Konus und an seiner Basis ist 
der Darm in der Regel so verändert und so fest mit dem Bruchsacke 
verwachsen, daß es ein Ding der Unmöglichkeit ist zu unterscheiden, 
wo die Darmserosa beginnt und wo das ödematöse Gewebe des Bruch¬ 
sackes endet. Nach Eröffnung des Bruchsackes muß man, bevor man 
an die Erweiterung des incarcerierenden Ringes herangeht, obligatorisch 
den incarcerierten Darmkonus fixieren; denn sonst kann die frei¬ 
gewordene Darmwand unter dem Einflüsse der heftigen Darmperistaltik 
oder des veränderten intraabdominellen Druckes leicht in die Bauch¬ 
höhle hineinrutschen, sie infizieren und zwingen, sie dort aufzusuchen, 
was freilich durch die enge Spalte des incarcerierenden Ringes aus¬ 
zuführen unmöglich ist; dadurch wird die Operation wesentlich kom¬ 
pliziert und gefahrvoller. Ich fixiere gewöhnlich den Darmkonus mit dem 
Ende der elastischen Darmklemme und gleich darauf erweitere ich den 
incarcerierenden Ring und extrahiere den Darm behufs weiterer Mani¬ 
pulationen. In sämtlichen von mir operierten Fällen sah ich mich veran¬ 
laßt, den Darm zu resezieren und ich muß betonen, daß derartige Resek¬ 
tionen außerhalb der Peritonealhöhle wesentlich aussichtsvollcr sind als 
in der Peritonealhöhle selbst. Und dieses Verfahren wird mit Zuhilfenahme 
oben angeführter Eingriffe eine relativ harmlose und gefahrlose Operation. 

Zusammenfassung: Meine persönliche Erfahrung, die sich auf die 
oben beschriebenen und von mir operierten 17 Fälle stützt, führt mich 
zu den folgenden Schlußfolgerungen: 

1. Die RicfUersche Hernie kommt in unserer Gegend ziemlich oft 
vor: 6% des gesamten Bruchmaterials. 

2. Die Wegsamkeit des Darmes, die ab und zu zur Beobachtung 
kommt, darf die Operation nicht kontraindizieren. 

3. Den Mechanismus der Incarceration muß man dem Charakter 
nach als kot-elastisch bezeichnen (in unseren Fällen stets Kot im in¬ 
carcerierten Darmteile). 

4. Die Spaltung des Bruchsackes muß an derjenigen Stelle vollführt 
werden, wo am allerwenigsten Adhäsionen mit der Darmserosa vor¬ 
handen sind (in der Mitte zwischen dem Apex des Konus und der 
Strangulationsfurche). 

ö. Der Erweiterung des incarcerierenden Ringes muß die präliminäre 
Fixation des incarcerierten Darmkonus mit der elastischen Dann- 
klemme vorangehen. 

6. In technischer Hinsicht ist die Anlegung der Anastomose Seit- 
zu-Seit wesentlich leichter, als die zirkuläre Darmresektion. 

7. Die blinden Enden bei der Lateralanastomose (Seit-zu-Seit) 
gleichen sich allmählich im Laufe der Zeit aus und verschwinden sogar. 


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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik Breslau [Direktor: Geheimrat Külttur].) 


Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 

Von 

Prof. Eduard Melchior. 

(Eingegangen am 7. Juni 1923.) 

Mit 1 Textabbildung. 

I. Der arterio-mesenteriale Duodenalverschlnfi. 

A. Akute Formen 1 ). 

Motto: „Reaaoning a priori, it seems iocre- 
dible that the relation of the meaentery to tbe 
duodemim should leave such a small factor of 
safety, that a mere gravitatlon of the small in- 
testine into the pelvis, such aa must occur ln 
every individual when Standing, could precipi- 
tate a life-endangering obstruction of the bowel" 
[L, R. und C. A. DragsUdi]*), 

Eine der umstrittensten Formen des hochsitzenden Heus stellt 
die als arterio-mesenterialer Duodenalverschluß (a. m. D.) bezeichnet« 
Erkrankung dar. Nicht nur hinsichtlich des klinischen Verhaltens gehen 
die Ansichten der einzelnen Autoren oft wesentlich auseinander, sondern 
vor allem auch, soweit es sich um die theoretische Seite dieser Frage, 
insbesondere den Entstehungsmechanismus handelt. Auf der einen 
Seite begegnen wir der überraschenden Vorstellung, daß überhaupt 
nur der Dünndarm in da# kleine Becken hinabzusinken braucht, damit 
„die räumlichen Beziehungen zwischen Duodenum und Mesenterial¬ 
wurzel in einer höchst unscheinbaren Weise geändert werden“ — wie 
es bei v. Höherer in anderem Zusammenhänge heißt —, die „selbst am 
Obduktionstische“ „nur mit Mühe zu erkennen“ ist, für den Träger 
aber eine lebensgefährliche Bedeutung besitzt. Nach anderer Auffassung 

*) Schilderungen des klinischen Bildes und Darstellungen des historischen 
Werdeganges des a. m. D. sind schon so oft gegeben worden, daß von einer 
nochmaligen synthetischen Wiederholung an dieser Stelle abgesehen werden kann. 
Ausreichende Orientierung nach dieser Hinsicht ermöglicht das Referat von 
v. Höherer (Ergehn, d. Chirurg. 5, 467. 1913) und meine Mitteilung in der BerL 
klm. Wochenschr. 1914, Nr. 38 und 39, bzw. die mit ihr im wesentlichen überein¬ 
stimmende Darstellung dieses Kapitels in der „Chirurgie des Duodenums“ (Neue 
dtsch. Chirurg. Z5. 1917). 

*) Journ. of the Americ. med. assoc. 79, 612. 1922. 

Archiv t. klln. Chirurgie. 125. 

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634 


E. Melchior: 


i 


handelt es sich dagegen bei diesen Zuständen um einen sekundären 
Vorgang, der darauf zurückzuführen ist, daß der durch anderweitige 
Noxen primär gelähmte und dilatierte Magen seinerseits den Dünndarm 
in das Becken herabdrängt, das Gekröse strafft und auf diese Weise 
sich gewissermaßen selbst die Schlinge zuzieht, d. h. den eigenen Abfluß- 
weg mechanisch verlegt. Schließlich aber begegnen wir auch wiederholt 
der Meinung, daß die Lehre vom a. m. D. zumeist eine willkürliche 
Konstruktion darstellt, indem in Wirklichkeit die so bezeichneten 
Fälle der Magenlähmung bzw. akut atonischen Zuständen, die auch das 
Duodenum in wechselnder Weise mitbeteiligen, zuzurechnen sind. 

Jede dieser verschiedenen Theorien zählt ihre Anhänger, und mehr 
oder weniger triftige Gründe sind im einzelnen dafür ins Feld geführt 
worden. Trotz zahlreicher immer wieder erscheinender Mitteilungen 
läßt sich jedoch ein wesentlicher Fortschritt der Diskussion kaum fest- 
steilen, und dies ist wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß auch 
exakte Feststellungen und zwingende Begründungen — soweit sie im Ver¬ 
lauf der vielfältigen Debatten vorgebracht wurden — von der Gegenseite 
entweder nicht anerkannt oder gar mit Stillschweigen übergangen werden. 
Deutlich macht sich hierbei leider auch mitunter jener Ton persönlicher 
Gereiztheit bemerkbar, der sich immer so leicht einstellt, wenn einer 
vorgefaßten Meinung trotz Versagens objektiver Argumente die An¬ 
erkennung erzwungen werden soll. Überdies scheint hierbei von der 
ursprünglichen mechanischen Theorie des a. m. D. vielfach eine förmlich 
suggestive Kraft auszugehen. 

Als charakteristisch hierfür mag die Tatsache gelten, daß Mayrhofer unter 
dem Titel: „Zur Klinik, Diagnose und Therapie des mesenterialen Darmverechlusse« 
im Kindesalter 1 ) einen Fall mitteilt, bei dessen Autopsie Tandler eine spitz¬ 
winklige Knickung am Übergang der Pars horizontalis inferior duodeni zur Para 
ascendens nachwies. „Die Knickung tritt in dem Moment ein, in welchem man das 
Dünndarmkonvolut beckenwärts verlagert, ist aber nicht herbeigefiihrt durch die 
Überlagerung des Duodenums von seiten der Arteria mesenterica swperior, wie dies 
beim a.m. D. geschieht"*). Trotz dieser Feststellung von autoritativer ana¬ 
tomischer Seite kann jedoch für Mayrhofer auf Grund „der klinischen Beobachtung 
und nach der aufklärenden Autopsie“ „kein Zweifel mehr obwalten“, daß es sich 
um die klassische „Incarcerationsform“ im Sinne Kundrats — d. h. also des 
a. m. D. — handelt; es ist daher auch nicht verwunderlich, daß in der Literatur 
dieser Fall gleichfalls wiederholt unter dieser ebenso zweifellos unrichtigen Rubri¬ 
zierung erscheint. Selbst Finsterers Mitteilung: „Arterio-mesenterialer Duodenal¬ 
verschluß und akute Magendilatation“ 3 ) kann bei oberflächlicher Durchsicht zu 
Mißverständnissen Anlaß geben, da die dort mitgeteilten 4 autoptischen Eigen¬ 
beobachtungen zunächst den Eindruck hervorrufen, als ob sie zur Illustration des 
primären tu m. D. dienen sollen, während an späterer Stelle der Autor seine eigene 
Auffassung mit guten Gründen dahin präzisiert, daß nur einer dazu zu rechnen 

!) Med. Klinik 1915, S. 642. 

*) Im Original nicht kursiv. 

*) Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 154, 375. 1920. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 635 

ist und überdies zur sekundären Form nach vorausgegangener akuter Über* 
dehnung des Magens. 

Aber auch in der Art und Weise, wie die literarischen Angaben Ver¬ 
wertung finden, macht sich zum Nachteil unbefangener Bericht¬ 
erstattung eine gewisse subjektive Tendenz oft unverkennbar bemerkbar. 
"Ein charakteristisches Beispiel liefert hierfür das vielumstrittene Problem 
der Magengröße beim a. m. D. Die Bedeutung dieses Punktes liegt 
nämlich darin, daß der Befund eines kleinen Magens in solchem Falle 
einen zwingenden Gegenbeweis gegen die grundsätzliche Annahme einer 
primären Magendilatation erbringen und außerdem den schwerwiegenden 
Unterschied beseitigen würde, der gegenüber dem Verhalten bei der 
gewöhnlichen Form des hochsitzenden Dünndarmileus in so charak¬ 
teristischer und von den Anhängern des klassischen a. m. D. unliebsam 
empfundenen Weise besteht (vgl. w. u.). 

Als wichtigste Beispiele für den Befund eines kleinen Magens beim 
typischen a. m. D. figurieren nun die Fälle von Schmort und Kundrat 
(Nr. 2), bei denen — wie es bei v. Höherer 1 ) ganz zutreffend heißt — 
von einer akuten Magendilatation „nicht die Bede ist“. In der Tat, 
denn im Falle Schmort beruht unser anatomisches Wissen allein auf dem 
von KeUing wiedergegebenen Satz: „Bei der Sektion fand man den 
Dünndarm im kleinen Becken und das Duodenum durch arterio- 
mesenteriale Kompression verschlossen.“ Ebenso beschränkt sich im 
Fall 2 Kundrate das mitgeteilte Sektionsprotokoll bezüglich des Bauch- 
befundes auf die Angabe: „Das Duodenum [ist] von dem Mesenterium 
der fast ins kleine Becken herabgesunkenen Dünndarmschlingen kom¬ 
primiert. Im Magen und Jejunum chymöse Massen 3 ).“ 

Daß also von einer Magendilatation in diesem Falle „keine Rede ist“, 
gilt also für den Fall Schmorls wörtlich, für den Fall Kundrats insoweit, 
als über die Größe nichts mitgeteilt wird, sondern nur angegeben ist, 
daß er Chymus enthielt. Wenn nun auch tatsächlich im letzteren Falle 
die Vermutung naheliegt, daß eine Magenblähung fehlte, so wird da¬ 
durch für die Gesamtbeurteilung wenig gewonnen, denn die Ileuser- 
scheinungen waren seit 3 Tagen vorübergegangen — worauf auch die 
Dünndarmfüllung hinweist —, der Tod war durch Lungenembolie 
eingetreten. Die Duodenalkompression — falls sie also überhaupt, 
nicht nur anatomisch als solche imponierte — machte klinisch jedenfalls 
keine Erscheinungen mehr. 

Leider wirkt aber der Ausdruck „keine Rede sein“ leicht mißver¬ 
ständlich, und so findet sich in der Tat bei Banzel (S. 363) der Passus: 
„Auf wie schwachen Füßen die Abhängigkeitstheorie des a. m. D. von 

J ) Arch. f. klin. Chirurg. 198, 307. 1917. 

*) Wiedergegeben bei P. A. Albrecht, Virohowa Arch. f. pathoL Anat. u. Phyaiol. 
IM, 286. 1899. 

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636 


E. Melchior: 


der akuten Magendilatation steht, beweisen jene Fälle, in welchen bä 
sichergestelltem Duodenalverschluß die Erweiterung des Magens vermißt 
wurde [Kundrat, Fall 2, Schmort] 1 ). 

Ebensowenig kann aber auch v. Hdberera Hinweis (Arch. f. klin. Chirurg. 
198, 338) auf mehrere von Binsuxmger mitgeteilte Fälle mit fehlender Magen¬ 
dilatation als stichhaltig gelten, da es sich hierbei um mehr zufällige au toptischt 
Feststellungen handelte und klinisch — wie der Autor besonders hervorhebt — 
die Verengerung sich in keinem dieser Fälle bemerkbar gemacht hatte. 

Ähnliche ungenaue, praktisch irreführende Angaben, welche es 
gerade beim Studium des a. m. D. zur unabweisbaren Notwendigkeit 
machen, stets auf die literarischen Quellen zurückzugehen, finden sich 
beispielsweise auch bezüglich der Art des Erbrochenen. So heißt es 
z. B. bei Linke*), daß dieses beim a. m. D. eine fäkulente Beschaffenheit 
annehmen kann — und zwar wie Wortmann*) an anderer Stelle an¬ 
nimmt — durch Gärung. Als Beweis hierfür werden 2 Beobachtungen 
von Wiehern sowie von Braun und Seidel angeführt. In Wirklichkeit 
aber betont Wiehern gerade umgekehrt, daß diese Erscheinung in seinem 
Falle dafür spricht, daß tatsächlich keine Verlegung vorlag, womit 
anatomisch übereinstimmt, daß hier „die Weite des Duodenums all¬ 
mählich abnahm“. Auch fand sich im Dünndarm dünnbreiiger gefärbter 
Stuhl, offenbar als Zeichen dafür, daß keine völlige Aufhebung dar 
Passage bestand. Die Annahme eines mechanischen Duodenalver¬ 
schlusses — im Sinne des a. m. D. — wird daher mangels ausreichender 
positiver Begründung vom Autor ausdrücklich abgelehnt und die Be¬ 
obachtung dementsprechend der akuten Magenerweiterung zugerechnet. 
Ähnlich liegt der von Braun und Seidel mitgeteilte Fall, der im übrigen 
in Heilung ausging und daher nur nach klinischen Gesichtspunkten 
gewertet werden kann. Denn nach dem Wortlaut der Verff. liegt hier 
„ein direkter Gegenbeweis gegen eine Duodenalverlegung“ vor. „Hier 
gingen Flatus noch zur Zeit starker Auftreibung ab; bei der Ausspülung 
des Magens wurde nun weiter ganz zweifellos konstatiert, daß nach 
vorübergehender Klärung des Spülwassers immer wieder von neuem 
stinkende trübe Massen in den Magen nachflossen. Nach der Menge 
dieser Massen und der Häufigkeit der Wiederholung konnten dieselben 
nur aus dem Jejunum stammen, dessen oberer Teil demnach an der 
Dilatation beteiligt gewesen sein muß.“ 

Es vnederholt sich also auch hier die Tatsache, daß unter die Symptome 
des a. m. D. eine Erscheinung gerechnet wird, die von kritischen Beobach¬ 
tern gerade als wichtiger Gegengrund gegen die Annahme eines solche x 
Zustandes bezeichnet wird. 

*) Dtsch. Zeitechr. f. Chirurg. 15t, 361. 

2 ) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 53, 361. 1914 

3 ) Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 14t, 407. 1918. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


637 


Gewiß kann auch bei reiner intrastomachaler Gärung der Magen¬ 
inhalt ausgesprochen übelriechend werden 1 ), und gerade auch bei den 
unter dem Begriffe des a. m. D. zusammengefaßten Zuständen ist 
wiederholt von dem außerordentlich fötiden Charakter der gestauten 
Flüssigkeit die Rede 2 ). Aber zwischen „fötider“ und „fäkulenter“ 
Beschaffenheit besteht doch wohl meist ein charakteristischer und un¬ 
verkennbarer Unterschied. Auch auf Grund eigener Erfahrungen bin 
ich der Überzeugung, daß die fähdente Beschaffenheit des Erbrochenen 
mit Sicherheit eine nur auf Magen oder Duodenum beschränkte Passage - 
Störung auszuschließen gestattety wie folgende Beobachtung lehrt: 

Fall 1. Elisabeth, K., aufgendmmen 31. II. 1923. 18jährig. Die an Schizo¬ 
phrenie mit hochgradigen Erregungszuständen leidende somatisch bis dahin 
gesunde Pat. soll seit etwa dem 26. oder 27. I. jegliche Nahrung verweigert haben. 
Bei der Aufnahme in die Nervenklinik am 30. I. erfolgte Erbrechen, das zuerst 
keine Besonderheiten aufwies, aber bei jedem Versuch, Nahrung einzuflößen, 
reichlicher wurde, wobei das Erbrochene eine immer grünere Verfärbung annahm. 
Am 1. IL morgens sieht das Erbrochene kotig gelb aus, riecht fäkvlent und wird 
in großen Massen entleert. Als ich am Mittag die Pat. als Consiliarius sehe, biete 
sie folgenden Befund: 

Haut sehr kühl; Temperatur 35°. Äußerste allgemeine Unruhe, Puls sehr 
klein, Gesichtsausdruck kollabiert. Bauch flach. Genauere Untersuchung wegen 
heftigen Tobens der Pat. nicht möglich; doch besteht jedenfalls keine reflektorische 
Muskelspannung. Rectal o. B. Schwache Darmgeräusche stellenweise hörbar. 

— Diagnose nicht absolut sicher. Das anfänglich gallige Erbrechen läßt an Atonia 
gastro-duodenalis acuta denken, doch weist die sekundäre fäkulente Beschaffenheit 
auf Mitbeteiligung des Dünndarmes hin. Die fehlende Auftreibung des Bauches 
spricht für hohe Lokalisation der Passagestörung. Obwohl eine Atonie weitaus 
am wahrscheinlichsten erscheint, macht hier die Unmöglichkeit exakter Unter¬ 
suchung die operative Revision erforderlich. 

Verlegung in die Chirurgische Klinik. Operation wenige Stunden später 
(Melchior). In Narkose erscheint die mittlere Bauchgegend etwas auf getrieben. 
Mediane Laparotomie ober- und unterhalb des Nabels. Kein Ascites, keine peri¬ 
toneale Injektion, keine venöse Stase. Magen erheblich gebläht, ebenso — unter 
diffusem Übergang — das gesandt Duodenum. Die Blähung setzt sich weiterhin 
kontinuierlich ohne jede Marke noch etwa 15 cm weit auf die obersteDünndarm- 
schlinge fort. Hier bestehen einige fibröse Adhäsionen zum Mesocolon trans- 
versum; es fehlt aber eine eigentliche Knickung oder Verengerung des Darmes; 
die Auftreibung verliert sich vielmehr allmählich in völlig kollabierten Darm. 
Der gesamte Dünndarm ist blaß, typischer Hungerdarm, liegt größtenteils im 
kleinen Becken. Keine Mesenterialstraffung. (Die Blähung der obersten Dünn¬ 
darmschlinge war schon sichtbar, bevor der übrige Dünndarm herauf genommen 
wurde, d. h. nach Hochschlagen des Netzes mit dem Colon transversum.) Dick¬ 
darm ebenfalls dünn, luftleer, aber mit eingedicktem knetbarem Kot gefüllt. 
Sonstige intraabdominelle Veränderungen fehlen. Diagnose: Atonia gastro-duo- 
denalis-jejunalis (superior) acuta. Bauchnaht. Dauer des Eingriffes 20 Minuten. 

— Beckenhochlagerung, Glycerinklysma, Kochsalzinfusion subcutan, Heizen des 
Rumpfes. 

x ) Ehrety Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. 3, 579. 1898. 

a ) Z. B. Legueu, Soc. de Chirurg, de Paris 1905, S. 875; Reynier , ibidem, 
S. 981. 


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638 


E. Melchior: 


Schon am Abend des Operationstages wird Stuhl erzielt, ebenso reichliche 
Entleerungen am folgenden Tage. Wegen des psychischen Verhaltens der Pst. 
muß sie schon am 4. II. in die Nervenklinih zurückverlegt werden. Wundverlauf 
ungestört. Keine gastro-intestinalen Erscheinungen mehr. (Letzte Beobachtung 
28. IV. 1923.) 

In Übereinstimmung mit Wiehern sowie Braun und Seidel lehrt also 
diese Beobachtung — auf die wir im anderen Zusammenhang noch 
einmal zurückkommen werden —, daß fäkulentes Erbrechen, weit 
entfernt zur gelegentlichen Symptomatologie des a. m. D. zu gehören, 
im Gegenteil diesen Zustand mit Sicherheit auszuschließen gestattet. 
Tatsächlich nimm t, auch v. Höherer in seinem 1917 als a. m. D. mit¬ 
geteilten Fall, bei dem das später gallige Erbrechen anfänglich leicht 
fäkulent war, an, daß rückgestauter oberster Dünndarminhalt hier¬ 
bei im Spiele war. Auch der weiter unten mitgeteilte Fall 2 illustriert 
dieses Verhalten in deutlichster Weise. 

Vollends unerfüllbare Anforderungen werden an die Einbildungs¬ 
kraft des Lesers gestellt, wenn wir von Fällen hören, in denen der 
a. nt. D. nach Gastroenterostomie oder Magenresektionen vom Ty¬ 
pus BUlroth II eingetreten sein soll, d. h. unter Umständen, in denen 
das fragliche mechanische Hindernis — falls es überhaupt bestehen 
sollte — bereits durch die Anastomose umgangen und demgemäß 
bedeutungslos ist. Höchstens bei extremer Strangulation, die reflek¬ 
torisch den Gesamttonus des Magen-Darmtraktus herabsetzt, könnte 
eine derartige Abschnürung zum Bilde des Heus führen. Wir werden 
aber später sehen, daß selbst von den Anhängern des primären a. m. D. 
eine derartig intensive Strangulation abgelehnt wird. 

Als Beispiel für derartige schon von vornherein recht unverständliche 
Beobachtungen mag Fall 5 aus der von Reinhard 1 ) mitgeteilten Kasuistik 
gelten: 

35 jährige Q Operation wegen perforiertem Ulcus duodeni. Naht. G. E. 
Poetoperativer Verlauf gestört. Brechreiz. „Im linken Epigastrium deutliche 
kugelige Auftreibung, die den Eindruck eines motorisch unruhigen Magens erweckt 
(Magensteifung?).“ Ausheberung von viel galliger Flüssigkeit. Da der Zustand 
anhält und besonders auch die Umlagerung nach Schnitzler versagt, Relaparotomie 
am 5. Tage. Kein freier Erguß. Magen mittelweit mit Flüssigkeit gefüllt. G. E. 
durchgängig; a. m. D. „in klassischer Weise“. Enteroanastomose. Tod an 
Peritonitis. 

Nach Reinhard handelt es sich hier um die „sogenannte mechanische 
Form des mesenterialen Verschlusses“. Hierfür wird insbesondere 
„die deutliche Magensteifung“ ins Feld geführt, „ein Beweis gegen die 
Atome des Organes“. Die G. E. hat seines Erachtens anfänglich funk¬ 
tioniert, „aber nur solange der Magen noch nicht atonisch und dilatiert 
war“. — Daß aber diese Deutung einer ernsthaften Kritik nicht stand¬ 
zuhalten vermag, liegt wohl auf der Hand. Selbst wenn wir von dem 

l ) Dtsch. Zeitschr. f. Chir. 148, 319. 1921. 


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Beitrage zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


639 


Widerspruch absehen, der hinsiohtlich des Verhaltens des Magens in der 
eigenen Fassung des Autors besteht, indem zunächst nur vom Verdachte 
einer Magensteifung, dann aber von „deutlicher“ Steifung die Rede ist, 
so würde natürlich bei motorisch erhaltener Magenfunktion die ein¬ 
fache Verlegung des Duodenums ohne wesentliche Wirkung bleiben und 
so wäre nicht einzusehen, warum es dann zur sekundären Atonie kommen 
sollte. Jedenfalls könnte aber diese Atonie nicht die Folge eines a. m. D. 
darstellen, so daß unter keinen Umständen die vom Autor gewählte 
Rubrizierung Anspruch auf Gültigkeit hätte. 

In Wirklichkeit dürfte aber wohl kaum ein Zweifel an einer primären 
Atonie bestehen können, zumal der fehlende Abgang von Stuhl und 
Winden zusammen mit dem Befunde der übrigen Darmleere der Annahme 
eines anfänglichen Funktionieren der G. E. unmittelbar widerspricht. 

Auch v. Höherer erwähnt eine eigene Beobachtung dieser Art — „am 
13. Tage nach bereits vollständig geheilter G. E. das typische Krank¬ 
heitsbild, das infolge der Vehemenz, mit der es einsetzte, an Embolie 
denken ließ und ebenso rasch durch zweckmäßige Lagerung zu beheben 
war“. Auch hier wurden „Magensteifungen deutlich gesehen“. Be¬ 
züglich der Kritik, dieses Falles möchte ich mich Finsterer durchaus 
anschließen, der es für ausgeschlossen hält, daß „ein gut funktionierender 
Magen mit ,Magensteifungen‘ den Inhalt durch die G. E. nicht sollte 
entleeren können, selbst dann, wenn das Duodenum durch die Art. 
mes. sup. wirklich komprimiert gewesen wäre, also ein echter Duodenal¬ 
verschluß bestanden hätte, da man doch, falls nicht der Pylorus absolut 
verschlossen ist, das Duodenum auch infrapapillär komplett abbinden 
kann, da dann der Duodenalinhalt (Galle, Pankreassaft) durch den 
Pylorus in den Magen und von da in die abführende Jejunumschlinge 
sich entleert“. 

Tatsächlich geht ja wohl schon seit langem ( Deibel , Kausch, Melchior 
u. a.) die allgemeine Auffassung dahin, daß es sich bei derartigen Stö¬ 
rungen nach G. E. — falls keine technischen Fehler vorliegen — 
vorwiegend nur um Atonie handelt. In besonders tragischer Erinnerung 
bleibt mir ein Fall von Ulcus duodeni, bei dem die tadellos funktio¬ 
nierende G. E. unmittelbar die bis dahin sehr heftigen Beschwerden 
beseitigte; am Tage vor der schon festgesetzten Entlassung wird eine 
Bi-Röntgenaufnahme gemacht; sofort nach dieser offenbar zu früh 
erfolgten mechanischen Belastung kommt es zur akuten paralytischen 
Dilatation des Magens, die jeder Therapie trotzend den tödlichen Aus¬ 
gang herbeiführt: 

Fall 2. Otto B., 40 jährig, aufgenommen 27. IV. 1914. 4 jährige Ulcusanamnese 
mit heftigen Beschwerden. Okkultes Blut +. Zapfenförmiger Ausguß des Bulbus 
duodeni mit divertikelartiger Ausbuchtung. Starke Hyperacidität. 5. V. Opera¬ 
tion. Magen dilatiert. Pars sup. duodeni durch Adhäsionen zur Leber fixiert. 
Bild des narbigen „pouched ulcer“. G. E. retr. post. — Postoperativer Verlauf 


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640 


E. Melchior: 


ungestört. 14. V. Völlig beschwerdenfret. Schmerzen geschwunden. Nahrungs¬ 
aufnahme ungestört, fühlt sich völlig wohl. 15. V. Röntgenaufnahme. Anastomoee 
funktioniert gut. — Unmittelbar darauf galliges Erbrechen, das sich am Abend 
wiederholt. Keine Flüssigkeitsaufnahme von oben. 16. V. Wieder Erbrechen in 
gleicher Weise. Magenspülung entleert große Mengen Galle mit Bi-Resten. 18. V. 
Zustand unverändert. Pat. erbricht täglich 2—3 mal größere fast rein gallige 
Mengen. Abends und morgens Spülungen; danach Besserung. Trotz Nährklystie- 
ren usw. macht Pat. einen kollabierten Eindruck. Bauchlage, r. oder L Seitenlage 
bei erhöhtem Fußgestell ohne Einfluß. 21. V. Nach anscheinender zeitweiliger 
Besserung Verfall, dauernder Singultus. Massiges Erbrechen galliger Flüssigkeit, 
Spülung fördert deutlich fähdenten Inhalt zutage. Relaparotomie: G. E. durch¬ 
gängig. Zuführende Schlinge mäßig gefüllt, abführende fast leer, ca. 50 cm unter¬ 
halb ist der Dünndarm maximal kontrahiert. Die abführende Schlinge scheint 
durch Adhäsionen an der G. E.-Stelle selbst etwsa abgeknickt zu sein (? ). Vordere 
Anastomoee nach Braun. Erholung tritt nicht mehr ein. Tod am nächsten Tage. 
Sektion: Anastomosen intakt und gut permeabel Oberster Dünndarm auf 
ca. 50 cm gebläht. 

Der klinische Hergang zusammen mit dem anatomischen Befund 
schließt demnach im voranstehenden Falle jede mechanische Erklärung 
des „Deus“ wohl mit Sicherheit aus; die nachträgliche Relaparotomie 
war natürlich zwecklos. Das schließliche Fäkulentwerden des Er¬ 
brochenen ist auch hier mit aller Deutlichkeit auf die nachträgliche 
Beteiligung des oberen Dünndarmes an der Lähmung zurückzuführen. 

Auch sonst pflegt sich bei dieser Komplikation — soweit in der 
Literatur Sektionsberichte darüber vorliegen — ein wesentlich anderes 
Bild zu finden, als es dem a. in. D. entspricht: 

So sah Tuffier 1 ) ebenfalls eine enorme Magendilatation bei durchgängiger 
Gastroenteroanastomoee („et il n’existait pas trace d’une disposition anatomique 
quelconque de circulus vitiosus“). In einem bei Kura 1 ) wiedergegebenen Falle 
von Mizoguchi zeigte sich außer der Magenblähung auch „ein Teil des Duodenums 
etwas meteoristisch“. In einem der von SteinthaP) mitgeteilten Fälle scheint ee 
sich ebenfalls um reine Magendilatation enormen Grades bei vorhandener G. E. 
gehandelt zu haben. („Hier kann immöglich die Radix mesenterii das primäre 
Hindernis geboten haben.“) Dubs*) berichtet Über zwei weitere Fälle dieser Art, 
wobei der Magen mächtig dilatiert bis zur Symphyse reichte, „Duodenum wenig 
gefüllt“, als sekundäre Ursache des Abflußhindernissee wird der Druck des ge¬ 
stauten Magensackes auf den abführenden Schenkel angenommen. Niede**) sah 
in einem Falle — bei entzündlich verengtem Pylorus und Ulcerationen — autop- 
tisch starke Erweiterung von Magen und Duodenum. „Mit dem Finger gelangt 
man (vom Jejunum aus) leicht unter die Gekrösewurzel, von ihr aus hinduroh 
nach dem Duodenum.“ Eine mesenteriale Kompression lag demnach nicht vor, 
wohl aber war durch Druck der ballonartig erweiterten horizontalen unteren 
Duodenalportion gegen den aufsteigenden Schenkel ein klappenartiger Verschluß 
seitens der Darmwand selbst zustande gekommen. Eine andere ähnliche Be- 


*) Soc. de Chirurg, de Paris 1906, S. 1032. 

*) Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. £3, 169. 1911. 

8 ) Zentralbl. f. Chirurg. 1913, S. 600. 

4 ) Zentralbl. f. Chirurg. 1919, S. 211. 

*) Arch. f. klin. Chirurg. 111 , 338. 1921; Zentralbl. f. Chirurg. 1920, S.418. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


641 


obachtung Niedens betrifft eine Magenresektion nach Potya-Beichd. Hier fand 
sieh bei der Sektion ein Kniokverachluß an der Flexura duodeno-jejunalis, der 
darauf zu beruhen schien, „daß der erweiterte Magen mit großer Kraft an dem 
zuführenden Schenkel zog, und da dieser an der Flexura duodeni-jejunalis in 
seiner Lage fixiert ist, trat eine bandartige Straffung und Undurchgängigkeit auf.“ 

Zusammenfassend handelt es sich also bei diesen üeusartigen Zu¬ 
ständen nach G. E. — die im wesentlichen dem Bild des Circulus vitiosus 
im alten Sinne entsprechen —, soweit sie nicht auf technische Fehler 
zurückzuführen sind, entweder um reine Atonie oder um das Mitspielen 
sekundärer mechanischer Passagestörungen, die entweder durch Knick, 
Druck des Magens auf die abführende Schlinge, vielleicht schließlich 
auch ausnahmsweise auf einer Mesenterialstraffung mit sekundärer 
Duodenalkompression beruhen. Bei Verschluß des Magenpförtners 
würde aber dieser letztgenannte Mechanismus naturgemäß zu einer 
reinen Binnenstauung innerhalb des Duodenums führen, und jedes 
gallige Erbrechen — das ja für diese Zustände so charakteristisch ist — 
bzw. überhaupt jeder gallige Reflux in Magen oder Dünndarm würde 
unter solchen Umständen einen wirksamen a. m. D. logischerweise mit 
aller Sicherheit ausschließen. Die klassischen Erscheinungen des „Cir¬ 
culus“ bei Magenresektionen vom Typus Billröth II sind also mit der 
Annahme eines a. m. D. von vornherein völlig unvereinbar. Bei durch¬ 
gängigem Pylörvs haben andererseits derartige sekundäre mechanische 
Hindernisse nur eine höchst untergeordnete Bedeutung, und vollends 
einen primären a. m. D. bei funktionsfähigem Magen anzunehmen, 
ist mit rationellen theoretischen Voraussetzungen gänzlich unvereinbar. 
Wenn trotzdem aber — wie wir sahen — derartige Behauptungen 
immer wieder auftauchen, so scheint das daran zu liegen, daß gerade 
beim a. m. D. jede These kritiklos passieren darf, wenn sie nur zur 
theoretischen Stützung dieses höchst problematischen Krankheits¬ 
zustandes irgendwie geeignet erscheint. 

Es gilt dies vor allem für die physikalische Begründung dieser 
Ilensform, bei der die ursprüngliche schon von Wunderlich (1856) 
geäußerte Vorstellung, daß der Dünndarm rein durch sein Eigengewicht 
eine zur Duodenalverlegung ausreichende Mesenterialstraffung herbeiführen 
könne , immer wieder auftaucht, obwohl die Unhaltbarkeit dieser An¬ 
schauung eigentlich schon längst nicht mehr zur Diskussion stehen 
dürfte. Damit nämlich — ganz abgesehen zunächst von dem Maße 
der hierbei auftretenden Zugkräfte — überhaupt eine wesentliche 
Spa nnung des Gekröses erfolgen kann, muß der Dünndarm sich im 
kleinen Becken befinden, was wiederum nur bei leerem Zustande möglich 
ist. Bestenfalls käme also das Eigengewicht des leeren Dünndarms in 
Betracht, das nach F. Müller und Olinard auf etwa 500 g anzunehmen ist. 
Tatsächlich handelt es sich jedoch bei einer derartigen anscheinend 
exakten Berechnung nur *um ein bloßes Spielen mit Zahlen. Denn in 


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642 


E. Melchior: 


der geschlossenen Bauchhöhle sind die Organe nicht etwa frei suspendiert, 
„sondern ihre Statik ist in der Weise gesichert, daß sie auf ihrer Grund¬ 
lage, d. h. den jeweilig benachbarten Organen sowie den Bauchwandungen 
einschließlich des Beckenbodens aufruhen, also gleichsam schwimmen“. 
(Melchior 1. c.) Ein gewiß nur sehr geringer Bruchteil jener oben ge¬ 
nannten Kräfte kann also innerhalb des geschlossenen Systems durch 
enterale Eigenstraffung des Mesenteriums aufgebracht werden, deren 
Einfluß auf die Duodenalpassage aber offenbar bedeutungslos bleibt, 
da sonst schon etwa jedes längere Fasten eine unmittelbare Ileusgefahr 
für den Betreffenden mit sich bringen würde. 

Nur bei Fortnahme des Beckenbodens könnte in Wirklichkeit das 
Eigengewicht des Dünndarmes voll als Zugkraft auf das Mesenterium 
zur Geltung gelangen, nicht aber etwa schon bei hochgradiger Enter- 
optose, da hierbei unter Erschlaffung der vorderen Bauchwand die 
Eingeweide gleichzeitig auch nach vorn sinken und der Winkel des 
Mesenterialansatzes sich infolgedessen vergrößert. Es erscheint daher 
einigermaßen willkürlich, wenn Rohde 1 ) einfach erklärt: „Unter den 
pathologischen Verhältnissen bei Enteroptose kommt daher diese 
Zugwirkung (d. h. 600 g) völlig *) zur Geltung. Dadurch wird der Winkel 
zwischen Art. mes. sup. und Aorta bzw. Wirbelsäule noch spitzer als 
normal und das in diesen Winkel laufende Duodenum komprimiert.“ 
Eher schon wäre unter diesen Voraussetzungen eine erheblichere Kom¬ 
pression bei den inguinalen Eventrationsbrüchen denkbar, und auch 
Rokitansky hat in diesem Sinne auf die Prädisposition des Mesenteriums 
hingewiesen, wenn es „durch Lagerung in großen (Leisten-, Scrotal-) 
Hernien zu einem Strang umgewandelt worden ist“. Um so eigentüm¬ 
licher ist, daß entsprechende klinische Beobachtungen völlig zu fehlen 
scheinen, obwohl derartige „übergroße“ Hernien doch nicht allzu selten 
in chirurgische Behandlung gelangen 3 ). 

Trotzdem also die Mechanik dieser Verhältnisse — zum mindesten 
für die praktischen Bedürfnisse — einigermaßen geklärt erscheint, 
wird in der Literatur dooh immer wieder noch mit längst widerlegten 
Begriffen weiter operiert, und es ergibt sich hieraus gleichzeitig die 
Berechtigung bzw. Notwendigkeit, diese eigentlich längst erledigten 
Probleme von neuem zur Sprache zu bringen. So heißt es z. B. noch 
jüngst bei v. Mutach*) bezüglich eines Falles, der unter einem als a. m. D. 
aufgefaßten Symptomenkomplex nach Cholecystektomie ad exitum ge¬ 
kommen war: „Bei der durch die vorangehende Krankheit geschwäch- 

x ) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 119 , 86. 1920. 

*) Im Original nicht kursiv. 

*) Bezüglich der Kritik eines von Delagenüre als hierhergehörig mitgeteilten 
Falles verweise ich auf meine Darstellung in der „Chirurgie des Duodenum“. 

*) Zentralbl. f. Chirurg. 1920, S. 1264. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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ten Pat. führte die Bettruhe und die allgemeine Gewebsschädigung 
durch die Narkose zu einer allgemeinen Gewebeerschlaffung. Infolge 
letzterer wurde das Dünndarmmesenterium durch das Gewicht der 
Därme allmählich in die Länge gezogen, die Dünndärme sanken über 
das Promontorium ins kleine Becken hinunter und übten dadurch bei 
Rückenlage am Mesenterium einen viel stärkeren Zug aus als zuvor.“ 
Während also die Tatsache, daß nach Narkose — insbesondere im Gefolge 
von Eingriffen in der Oberbauchgegend — eine akute Magen-Duodenal¬ 
dilatation eintreten kann, sowohl klinisch wie experimentell einwandfrei 
gesichert ist, liegt es hier dem Verf. näher, zunächst zur Hypothese 
einer vermehrten Dehnbarkeit des Gewebes (unter dem Einfluß von Bett¬ 
ruhe, Narkose usw.) zu greifen, sowie ferner die längst widerlegte „Zug¬ 
theorie“ des Dünndarmes wieder aufleben lassen mit der ebenso neuen 
wie physikalisch überraschenden Version, daß der tiefer getretene 
Darm — und dazu noch in Rückenlage! — zu einem stärkeren Zuge 
als zuvor befähigt sei. Ganz besonders auffällig erscheint dabei schlie߬ 
lich noch der Umstand, daß alle diese Vorgänge sich entwickeln konnten, 
obwohl Pat. zum besseren Abfluß einer interkurrent aufgetretenen 
Gallenfistel fast dauernd rechte Seiten- und Bauchlage einnahm, d. h. 
eine Haltung, die sonst vielfach — und zwar gerade bei den Anhängern 
des a. m. D. — ab unfehlbare kausal-mechanisch begründete Therapie 
dieses Zustandes gilt. Wir kommen auf diesen letzteren Punkt noch 
weiter unten zu sprechen. 

A. Braun 1 ) läßt seinerseits die zur Kompression des Duodenums 
notwendige Zugkraft dadurch zustande kommen, „daß* der Darm nicht 
fest dem Beckenboden aufliegt, sondern gewissermaßen an seinem 
Mesenterium hängt“. Eine solche Vorstellung würde abo — trotz 
Widerspruch des Verf. — darauf hinauslaufen, innerhalb der Bauchhöhle 
von den Einflüssen des hydrostatischen Druckes gänzlich unabhängige 
umschriebene Zonen anzunehmen bzw. gar luftleere Räume nach dem 
Vorgänge Keppichs — eine Hypothese, deren gänzliche Unabhängigkeit 
wir schon an anderer Stelle dargelegt haben®). Die seltsame Vorstellung 
Zades *), daß der Dünndarm nach „Orten niederen Druckes, abo nach 
abwärts ins kleine Becken“ ausweicht, lebt hier also in nur wenig ver¬ 
änderter Form wieder neu auf. Wenn A. Braun weiterhin bei einer 
Operation die Feststellung macht, daß „der Magen und das Duodenum 
außerordentlich stark gebläht, jedoch nicht über das physiologische 
Maß hinaus vergrößert sind“, so erscheint auch ein derartiger Befund 
einigermaßen befremdlich, da doch die Wandungen dieser Hohlorgane 
so nachgiebig sind, daß eine „außerordentlich starke“ Blähung not- 

i) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 1*8, 103. 

a ) E. und P. Melchior, Arch. f. klin. Chirurg. 118, 148. 1922. 

3 ) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 48 , 394. 1905. 


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E. Melchior: 


wendigerweise auch eine abnorme Dilatation — zumal bei äußerer 
Druckentlastung, d. h. bei geöffneter Bauchhöhle — unmittelbar 
herbeiführen müßte. Die größte Schwierigkeit für das Verständnis 
des Lesers bieten aber zweifellos die Ausführungen Reinhards. Auch 
dieser Autor hält die infolge langen und schweren Krankenlagers ab¬ 
gemagerten Patienten für prädisponiert, „da bei ihnen die Bauchein¬ 
geweide, insbesondere Magen und Darm, durch Schlaffheit der Ligamente 
und durch Fettarmut des veränderten langausgezogenen Mesenteriums 
in ihrer anatomischen und funktionellen Beschaffenheit stark geschädigt 
sein können. Durch diese zahlreichen pathologischen Verhältnisse 
wird nun eine Grundlage für die Entfaltung abnormer mechanischer 
Kräfte geschaffen, welche durch einen äußeren Anlaß — oft genügt 
schon der Schock einer Operation oder einer einfachen Narkose — in 
Tätigkeit treten und das Zustandekommen der Krankheit veranlassen 
können“. Warum freilich gerade ein langes Krankheitslager — also 
Umstände, die doch hinsichtlich des Längszuges gerade eher eine Scho¬ 
nung der Ligamente bedeuten — die Verlängerung des Mesenteriums 
herbeiführen soll, und in welcher Weise vollends physikalisch die Ent¬ 
stehung jener „abnormen mechanischen Kräfte“ zu verstehen ist, die 
der Operationsschock gewissermaßen explosionsartig zur Auslösung 
bringt, wird leider auch nicht nur andeutungsweise erklärt. Um so 
auffälliger ist es dagegen, wenn sich Reinhard gegenüber Druckkräften, 
die in der Tat wohl geeignet sind, das Darmkonvolut beckenwärts zu 
verlagern, äußerst skeptisch verhält, zumal derartige Momente sonst 
für die Ätiologie des a. m. D. häufig herangezogen werden. So ist z. B. 
von v. Höherer, der eine Frau wegen Bectusdiastase operierte und dabei, 
um die Wiederkehr gelöster Verwachsungen zu verhüten, das Netz über 
den Magen nach oben verlagerte, davon überzeugt, „daß dieser Faktor 
eine nicht zu unterschätzende Bolle bei dem Zustandekommen des 
a. m. D. (in seinem Fall) spielte. Es ist begreiflich, daß das selbst bei 
einem mageren Menschen immerhin ein gewisses Gewicht besitzende 
große Netz durch seine Verlagerung nach oben einen Druck ausüben 
kann, der gegen das kleine Becken zu wirkt“. Was hier aber bezüglich 
des gewiß nicht schweren großen Netzes — und sogar noch in Bettruhe 
bzw. bei Anwendung der SchnitzUrechen Lage — ohne weiteres ange¬ 
nommen wird, will Reinhard selbst bezüglich eines dilatierten und abnorm 
gefüllten Magens nicht gelten lassen; im Gegenteil bezeichnet er „die Er¬ 
klärung der rein mechanischen Wirkung des dilatierten Magens als völlig 
ungenügend und als haltlos. Ein erweiterter, ja sehr stark dilatierter 
Magen kann unmöglich einen Dünndarm, welcher gesund ist und nor¬ 
mal funktioniert, durch seinen Druck so nach unten dislozieren, daß hier¬ 
aus selbst nicht bei einer abnormen Badix mesenterii ein Abschluß des 
Zwölffingerdarms durch Zug und Straffung des Mesenteriums resultiert ". 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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Wir begegnen hier also sogar unter den Anhängern des primären 
a. m. D. physikalischen Vorstellungen, die — ganz abgesehen zunächst 
von ihrer Berechtigung im einzelnen — prinzipiell miteinander völlig 
unvereinbar sind. In welcher Weise sich im übrigen Reinhard vorstellt, 
daß ein gesunder normal funktionierender Dünndarm sich gegen einen 
kräftigen von oben her kommenden beckenwärts gerichteten Druck zu 
wehren vermag, bleibt leider — wie so manches andere in den Aus¬ 
führungen dieses Autors — unerläutert. Die ganze Frage erscheint 
freilich bis zu einem gewissen Grade aus dem Grunde gegenstandslos, 
da fast in unmittelbarer Folge zu lesen ist, daß sich aus dem Zustande 
einer primären akuten Magendilatation „sehr leicht eine mechanische 
Abschnürung der Pars inferior duodeni entwickeln kann, so daß nun 
durch die mesenteriale Abknickung (sic!) ein anatomisches Hindernis 
entstanden ist“. Der Autor von S. 322 (1. c.) setzt sich damit in so 
unvereinbaren Widerspruch mit den Ausführungen der voranstehenden 
Seite, daß der kritische Betrachter sich wohl damit begnügen darf, 
auf diesen Teil der wissenschaftlichen Fundamente der Lehre vom 
a. m. D. hingewiesen zu haben. Im einzelnen werden uns die Beziehungen 
der Magenatonie zum sekundären Duodenalverschluß noch weiter 
unten beschäftigen müssen. 

Wie sehr im übrigen durch derartige eigentümliche physikalische 
Vorstellungen die objektive Registrierung beeinträchtigt werden 
kann, ergibt sich anschaulich aus dem von Reinhard mitgeteilten 
Fall 8, in dessen Sektionsprotokoll es heißt: „Das Mesenterium 
ist durch die engen im Becken liegenden Dünndarmschlingen stark 
herabgezerrt und übt hierdurch den Druck auf das untere Duode¬ 
num aus.“ — 

Ein weiteres Argument, das ich in meiner 1914 erschienenen Mit¬ 
teilung als wenig vereinbar mit der herkömmlichen mechanischen 
Theorie des primären a. m. D. besonders hervorgehoben habe, besteht 
darin, daß jene hypothetischen durch das Darmgewicht bedingten Zug¬ 
kräfte immerhin noch relativ am beträchtlichsten in aufrechter Haltung 
sind, wogegen in der Überwiegend großen Mehrzahl der Fälle sich diese 
Komplikation bei bettlägerigen Patienten entwickelt, ja sogar — wie in 
dem oben zitierten Fall v. Mutachs — selbst die Bauchlage das Zustande¬ 
kommen des Syndroms nicht auszuschließen braucht. Auch v. Höherer 
teilte 1909 einen Fall von chronisch intermittierendem a. m. D. mit, 
bei dem das Erbrechen jedesmal dann eintrat, wenn Pat. lag, also unter 
Umständen, die einer supponierten Mesenterialstraffung gerade entgegen¬ 
gesetzt wirken sollten. Soweit ich ersehe, sind jedoch alle späteren Dis¬ 
kussionen an dieser Überlegung, an der ich auch heute nichts abzu¬ 
schwächen habe, mit völligem Stillschweigen vorübergegangen — ich 
wüßte in der Tat auch keinen triftigen Grund, den man ihr entgegen- 


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E. Melchior: 


stellen könnte. Und wenn Vogel 1 ) schreibt: „Die theoretischen Einwürfe, 
die Melchior gegen das primäre Entstehen des a. m. D. erhoben, sind 
durch v. Höherer schon widerlegt .. so leidet die anscheinend dogma¬ 
tisch gedachte Gültigkeit dieses Satzes schon daran, daß — wie betont — 
dieser Punkt überhaupt nicht zur Diskussion gelangt ist. An und für 
sich wird natürlich durch derartige Argumente eine wissenschaftliche 
Streitfrage kaum wesentlich gefördert, und mit gleichem Rechte könnte 
ich beispielsweise auch auf F. Cohens *) Ausspruch verweisen: „Ich halte 
die Einwände von Kayser und Melchior gegenüber Höherer auch heute 
noch nicht für entkräftet.“ Immerhin dürfte aber die eben berührte 
Frage sich einigermaßen mit der Beurteilung derjenigen seltenen Fälle 
decken, bei denen das klinische Syndrom sich aus anscheinend voller 
Gesundheit heraus bei wcA<-bettlägerigen Menschen entwickelt hat. 
Rohde hat eine Anzahl derartiger Beobachtungen — die freilich nicht 
sämtlich in diese Gruppe gehören — zusammengestellt, und sie „be¬ 
weisen“ ihm, „daß nicht eine postoperative Schädigung mit Dilatation 
des Magens das Primäre sein kann“. Natürlich — denn eine Operation 
ist ja gar nicht vorausgegangen. Sollte aber Rohde — wie ich vermute — 
das Schwergewicht auf die Schädigung mit Dilatation, d. h. Lähmung 
des Magens legen, so weiß ich nicht, wie er diese modifizierte These 
begründen wollte. Tatsächlich hält auch Finsterer umgekehrt gerade 
alle diejenigen Fälle, in denen keine Laparotomie vorgenommen wurde, 
für unvereinbar mit der Annahme eines primären a. m. D., da unter 
solchen Umständen nicht einzusehen wäre, warum das Jejunum plötzlich 
in das kleine Becken herabsinken und zur Kompression des Duodenums 
führen sollte, bzw. — wenn ein solcher Hergang überhaupt möglich wäre— 
warum es dann nicht öfters dazu käme. 

Tatsächlich berührt diese letztere Erwägung wohl den Ausgangs¬ 
punkt aller Opposition gegen die Lehre vom primären a. m. D., und ich 
möchte es — selbst auf die (Jefahr hin, gründlich mißverstanden zu wer¬ 
den — offen heraussagen, daß dieser Widerstand zunächst rein gefühls¬ 
mäßigen Quellen entstammt. Es widerstrebt unserer Vorstellung — wie 
es auch in dem vorangestellten Motto zum Ausdruck gelangt — die 
Annahme, daß nur jene „imscheinbare Veränderung“ in der Statik 
der Bauchorgane, wie sie namentlich im Hungerzustande und in stehender 
Haltung fast unvermeidlich und so häufig eintritt, ausreichen soll, um 
unmittelbar zur lebensbedrohlichen Unterbrechung der Darmpassage 
zu führen. Sollten aber die zahlreichen Bedingungen, die hierfür sonst 
noch als prädisponierend genannt werden, wirklich auch noch eine der¬ 
artige Bedeutung besitzen, so wäre eigentlich nur der Umstand über¬ 
raschend, daß das Menschengeschlecht diesem „abdominellen Konstruk- 

*) Wien. klin. Wochenschr. 1918, S. 237. 

*) Münch, med. Wochenschr. 1919, S. 1427. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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tion8fehler“ — wie man wohl sagen dürfte — nicht schon längst zum 
Opfer gefallen wäre, zum mindesten aber müßte diese Komplikation ganz 
außerordentlich häufig sein. 

Aber auch dies ist offenbar nicht der Fall, zum mindesten bestehen 
hierüber zahlreiche Differenzen in der Meinung der Autoren. So dürfte 
schon allein die Tatsache, daß Reinhard nicht weniger als 10 Fälle 
(darunter 8 mit tödlichem Ausgang) beobachten konnte, von denen 
9 einem Zeitraum von 5 Jahren angehören, dafür sprechen, daß wir 
es hierbei mit einem doch relativ häufigen Ereignis zu tun haben. 
Auch v. Haberers Mitteilung aus dem Jahre 1913 scheint deutlich nach 
dieser Richtung zu weisen 1 ). In der Folge scheint v. Höherer diese 
ursprüngliche Ansicht geändert zu haben, denn in seiner letzten Mit¬ 
teilung heißt es ausdrücklich, daß diese Krankheit „bestimmt nicht 
häufig“ sei (S. 327), an anderer Stelle wird sie sogar als eine „sehr 
seltene“*) bezeichnet (S. 331). Eine gleiche Auffassung kehrt bei Stier- 
lin*), Ranzel, Wortmann wieder. Unter 12 bei Nieden mitgeteilten 
klinisch hierhergehörigen Sektionsfällen zeigt dementsprechend auch 
nur einer das anatomische Bild des a. m. D. (1. c. Nr. 6). Aber auch dieser 
kann strenggenommen nicht hierher gerechnet werden, da eine G. E. 
bestand, das angenommene Passagehindernis also bereits umgangen 
war; im übrigen nimmt hier der Sekant wohl auch nur eine sekundäre 
Mesenterialstraffung an, da die im Becken liegenden kontrahierten 
Dünndarmschlingen „von dem Magen hinabgedrückt erscheinen“. 
Aus eigener Anschauung hat Nieden noch keinen Fall von primärem 
a. m. D. beobachtet und befindet sich damit in der gleichen Lage wie 
ich selbst. Wenn also derartig übereinstimmenden Erfahrungen gegenüber 
einzelne andere Autoren — wie insbesondere Reinhard — den a. m. D. 
entschieden häufig sehen, so dürfte schon daraus allein eine gewisse 
Reserve gegen die Richtigkeit ihrer Klassifizierung geboten sein. Ganz 
allgemein spricht aber eine derartige Seltenheit ganz entschieden gegen 
die Beweiskraft jener eingangs besprochenen statischen Einflüsse. ’ 

Wenn wir nunmehr die Theorie verlassen und zur Kritik der ana¬ 
tomischen Befunde übergehen, so werden hier die Schwierigkeiten für 
das Verständnis nicht geringer. In erster Linie gilt dies für das lokale 
Verhalten des Duodenums im Bereiche der Kompression durch die 
Mesenterialwurzel. Wir berühren hiermit zwar ein schon viel diskutiertes 
Thema, doch kann über diesen wichtigen Punkt nicht hinweggegangen 


*) Direkte Angaben finden sich darüber zwar nicht, doch dürften Ausdrücke 
wie „sehr viele Fälle in der Literatur“ (L c. S. 476), „eine ganze Reihe von Be¬ 
obachtungen“ (S. 479) usw. wohl den oben gezogenen Schluß rechtfertigen. 

*) Im Original nicht kursiv. 

8 ) Korrespondenzbl. f. Schweiz. Ärzte 1913, S. 1069. 


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E. Melchior: 


werden. Am auffälligsten erscheint hierbei der Umstand, daß eine 
Druckmarke — geschweige gar schwerere Ernährungsstörungen — 
fast regelmäßig fehlt. Unter den seltenen Ausnahmen von dieser Regel 
ist noch immer Bäumlers viel zitierte Beobachtung zu nennen; hier 
fand sich bei der Sektion außer demBefund des a. m. D. an der Über¬ 
kreuzungsstelle des Duodenums — bei glatter Serosa — ein hellroter 
Streifen, dem in der Schleimhaut eine fast ringförmige oberflächliche 
Nekrose entsprach, „die Umgebung ganz reaktionslos“. Schon in meiner 
ersten Mitteilung wies ich angesichts dieses Befundes darauf hin, daß 
derartige Veränderungen in Anbetracht des 14 tägigen Krankheits¬ 
zustandes — verglichen mit dem sonstigen Verhalten bei intestinaler 
Strangulation — als äußerst geringfügig zu bezeichnen sind, um so mehr, 
als die im Protokoll hervorgehobene fehlende Reaktion der Umgebung 
sowie die glatte Beschaffenheit des Bauchfells einen deutlichen Hinweis 
darauf abgibt, daß diese Läsion erst ganz spät, sub finem vitae zustande 
gekommen sein kann. In einem weiteren von Leriche 1 ) mitgeteilten 
Falle heißt es: „Die Gefäße imprägnieren sich am Duodenum“, Reinhard 
konstatierte bei einem operativ behandelten in Heilung ausgehenden 
Fajl „eine deutliche Schnürfurche im Darm“ 2 ). Diesen spärlichen bis 
auf Bäumlers Fall auch nur wenig eingehend mitgeteilten positiven 
Befunden gegenüber erscheinen mir nun von besonderer Bedeutung 
solche Beobachtungen zu sein, bei denen trotz angenommener langwieriger 
und kompletter Duodenalkompression jede lokale Veränderung fehlte , 
d. h. ausdrücklich als fehlend konstatiert wurde: 

Es gehört hierher beispielsweise ein von Nalcahara?) mitgeteilter Fall — bei 
Tetanus — von 10tägigem Bestehen der Erscheinungen. Sektion: „Die Para 
aacendens duodeni durch die darüber hinwegziehende Radix mesenterii kom¬ 
primiert jedoch ohne Druckmarke.“ 

Im Falle v. Mutachs hatten die auf Duodenalkompression bezogenen Er¬ 
scheinungen ebenfalls 10 Tage angehalten. Sektion zeigt mesenterialen Verschluß 
des Zwölffingerdarmes. „An der Abschnürungsstelle war die Mucosa des Duo¬ 
denums unverändert.“ 

In der von Urbach 4 ) mitgeteilten Beobachtung verliefen die Erscheinungen 
zwar anscheinend wesentlich rascher, doch verdient sie deswegen hier angeführt 
zu werden, weil hier offenbar mit ganz besonderer Sorgfalt der Magendarmkanal 
abgesucht wurde. Doch ließ sich auch hier „trotz genauester Sektion weder am 
Oesophagus noch am ganzen Darmtrakt außer der enormen Blähung des Magens 
und Duodenums irgendeine krankhafte Veränderung nachweisen“. 

J) Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. II», 583. 1912. 

2 ) Ob in einem von Nieden mitgeteilten Falle (nach Magenresektion Polya- 
Reichel). bei dessen Sektion ein Knickverschluß an der Plica duodeno-jejunalis 
gefunden wurde mit einem anämischen Streifen der Serosa „ähnlich einem leichten 
Schnürring“, dieser auf die Knickung oder auf die Mesenterialkompression be¬ 
zogen wird, vermag ich aus der Darstellung nicht ganz zu ersehen. 

3 ) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 61, 593. 1909. 

*) Wien. klin . Wochenschr. 1918, S. 1085. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


649 


Im Falle Bohdes schließlich, der auf Grund des Operationsbefundes als einer 
der charakteristischsten Beispiele des a. m. D. gelten kann, fanden sich bei der 
. 4 Tage nach symptomatisch erfolgreicher Operation vorgenommenen Sektion 
weder „Strangulation oder irgendwelche andere Veränderungen an der Duodeno- 
jejunalgrenze“. 

Ich glaube aber, daß derartigen auf wirklich eingehende Unter¬ 
suchung gestützten negativen Befunden wohl mindestens die gleiche 
Beweiskraft zukomnlt, wie jenen ausnahmsweisen spärlichen und meist 
nur summarisch erhobenen positiven Feststellungen. Und wenn 
Koennecke 1 ) auf Grund anderer Erwägungen die Möglichkeit ablehnt, 
„daß während der ganzen Entwicklung die Mesenterialwurzel in 
gleicher Weise gedrückt haben soll“, so ist dem gerade in Hinsicht 
auf dieses Fehlen typischer lokaler Druckschädigungen unbedingt 
beizupflichten. Daß aber ein solches Verhalten unmöglich mit dem 
Begriff des rein mechanischen primären a. m. D! vereinbar ist, liegt 
auf der Hand. — 

Ich habe fernerhin wohl zuerst darauf hingewiesen und innerhalb 
gewisser Grenzen auch experimentell begründet, daß eine nennenswerte 
mesenteriale Kompression des Duodenums natürlich auch ihrerseits 
Druckerscheinungen innerhalb der Oelcrösewurzel hervorrufen müßte, deren 
Wirkung an den dort verlaufenden Venen zuerst zum Ausdruck gelangen 
würde. Stauung, Transsudation, schließlich Infaroierung, Venenthrom¬ 
bose und Darmgangrän müßten sich notwendigerweise als Folge eines 
solchen anhaltenden Druckes ergeben. Tatsächlich konnte aber schon 
damals festgestellt werden, daß eine intraperitoneale Transsudation 
— wie sie sonst selbst bei ganz umschriebener, akuter venöser 
Stauung die Regel bildet 3 ) — niemals bestand, ferner vereinzelt nur eine 
lokale Dünndarmcyanose angetroffen wurde. An diesem meines Er¬ 
achtens für die Beurteilung des Herganges grundsätzlich bedeutungs¬ 
vollen Verhalten haben nun auch, die seit 1914 hinzugekommenen 
Beobachtungen nichts zu ändern vermocht. Wohl findet sich auch 
einige Male der Befund einer Dünndarmcyanose verzeichnet: 

So heißt es bei v. Höherer „der Dünndarm ist düster blaurot“; 
nach Herausheben der Schlingen aus dem kleinen Becken macht dies 
„einer normal rosigen Verfärbung Platz“. Im Falle 5 Reinhards ist 
von „dunkelblau gefärbten Dünndarmschlingen“ die Rede. In Bohdes 
Fall erscheinen die Dünndarmschlingen „leicht gestaut“, nach Empor¬ 
heben aus dem Becken schwindet diese „bläuliche Injektion“. Ähnlich 
lautet es bei Ramel, wonach die „im kleinen Becken liegenden, deutlich 
blaurot gefärbten Dünndarmschlingen“ nach Emporholen aus dem 
Becken die „normale rosarote Farbe“ annehmen. Die Beweiskraft 

*) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 1*T, 698. 

*) Vgl. Melchior, Über Peritonitis seroea acuta. Acta chirurg. soandinav. 
34 , 530 (siehe Bpez. S. 535). 1922. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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E. Melchior: 


aller dieser Befunde wird aber dadurch wesentlich beeinträchtigt, daß 
jegliche intraperitoneale Transsudation , die doch sonst eine derartige 
venöse Zirkulationsstörung so regelmäßig begleitet (vgl. oben), voll¬ 
kommen fehlte. Im Gegenteil wird sogar von v. Höherer im oben ge¬ 
nannten Falle die Bauchhöhle als „völlig trocken“ bezeichnet; bei 
Reinhard heißt es „im Bauch keine freie Flüssigkeit“, bei Rohde lautet 
dieser Passus „Bauchhöhle völlig ausgetrocknet“. 

Eine irgendwie nennenswerte Hemmung des venösen Rückflusses 
erscheint aber auf Qrund solcher — außerordentlich übereinstimmender — 
Angaben mit Bestimmtheit ausgeschlossen, ganz abgesehen davon, daß 
in der großen Mehrzahl der Fälle von derartigen Veränderungen der 
Dünndarmfärbung überhaupt nicht die Rede ist 1 ). 

Dieses Ausbleiben eines Transsudates, das nach den theoretischen Vor¬ 
aussetzungen des primären a. m. D. in diesen Fällen so zuversichtlich 
erwartet werden müßte, ist in praktischer Hinsicht übrigens recht be¬ 
dauerlich. Ein sich ansammelnder größerer Flüssigkeitserguß müßte 
nämlich eigentlich dazu beitragen, den Darm aus dem kleinen Becken 
zu verdrängen und damit den verhängnisvollen Mesenterialverschluß zu 
lockern bzw. völlig zu lösen. Jedenfalls hat Condon*) diesen Vorgang 
künstlich nachzuahmen gesucht, indem er in solchen Fällen die Bauch¬ 
höhle von einer Punktionsöffnung aus mit Ringerlösung füllt und die 
Patienten dann eine sitzende Stellung einnehmen läßt. 8 Fälle von 
a. m. D. wurden auf diese Weise mit Erfolg behandelt. 

Angesichts der voranstehend genannten Befunde überrascht es nun 
außerordentlich, wenn in einer Synthese Reinhards die sonst so recht 
diskreten Darmveränderungen eine ungleich schwerere Form annehmen. 
„Die Dünndarmschlingen sind dunkelblau mißfarbig, ihre Wandung in 
der Regel schlaff und dünn. Die Pulsation der Mesenterialgefäße ist 
gering, auch gänzlich aufgehoben .. Verf. zeichnet somit also das 
Bild schwerster progredienter Zirkulationsstörung des Darmes, wie es 
theoretisch auf Grund der Lehre vom a. m. D. zwar wohl zu erwarten 
gewesen wäre, praktisch aber ebenso regelmäßig vermißt wird. Tat¬ 
sächlich gründet sich aber diese Beschreibung auf einen Fall, welcher 
mit der hier in Rede stehender Erkrankungsform nur schwerlich etwas 
zu tun hat. Es erscheint nicht überflüssig ihn im Auszuge hier kurz 
wiederzugeben (1. c. Nr. 10.): 

42 jähriger Mann. Am Tage der Aufnahme plötzlich mit starken Schmerzen 
im Leib erkrankt. Befund: Puls 140. Abdomen aufgetrieben. Im Epigastnum 
deutliche motorische Unruhe. Der ganze Leib ist gespannt. Darmgeräusche nicht 

J ) Ein weiterer positiver Befund in einem Falle von A. Braun dürfte dagegen 
sich kaum zur unmittelbaren Verwertung eignen, da hier gleichzeitig eine Per¬ 
foration der Gallenblase bestand, die Darmveränderungen also ebenso gut — oder 
noch wahrscheinlicher — eine Folgeerscheinung der Peritonitis darstellen. 

*) Ann. of eurg. 1919; ref. ZentralbL f. Chirurg. 1920, S. 259. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 651 

hörbar. Flatus, und Stuhl Bistieren. Im Magen geringe Mengen grünlicher Flüssig¬ 
keit. Operation: Freie, stark blutig gefärbte Flüssigkeit im Bauch. Darmsohlingen 
mittelweit, schmutzig braunrot gefärbt, hier und da untereinander verwachsen, 
Wand sulzig verändert. Die hämorrhagische Infarcierung erstreckt sich bis zur 
Flerura lienalis coli. Die Mesenterialplatte ist mächtig verdickt, die Venen stark 
erweitert. Die Pars inferior duodeni ist durch das Gekröse abgeschnürt. Der 
Magen ist etwas ektatisch. Muskulatur kräftig. Tod am selben Tage. Sektion: 
a. m. D. „Jenseits der Abschnürung ist das Jejunum kleinfingerdick, geht all¬ 
mählich in den sich etwas erweiternden Dünndarm über. An der Überkreuzungs¬ 
stelle deutliche Schnürfurche erkennbar.“ Das Mesenterium bildet eine dicke Platte, 
auf dem Durchschnitt schwielig verdickt, „die Venen stark erweitert und mit 
Coagula gefüllt. Dünndarmschleimhaut schmutzig rot verfärbt und mit Blut be¬ 
deckt, Darminhalt blutig“. Mikroskopisch finden sich im Netz kleinzellige Infiltrate. 

Reinhard läßt in diesem Falle den Duodenalverschluß durch die 
Schwere der stark veränderten dicken Mesenterialplatte zustande kommen. 
Damit bleibt natürlich die ursprüngliche Erkrankung des Gekröses 
selbst unerklärt. Im übrigen erscheint aber eine solche Annahme auch 
schon deshalb einigermaßen willkürlich, da man das Mesenterium 
gelegentlich — insbesondere bei peritonealer Carcinose und Tuber¬ 
kulose — noch weit erheblicher verdickt und massiger trifft, ohne daß 
sonst in der Literatur irgendein Anhalt dafür zu finden wäre, daß 
hierdurch eine Kompression des Duodenums in der von Reinhard 
angenommenen Weise verursacht worden wäre. Wie überhaupt die in 
diesem Fall angetroffenen Veränderungen zu deuten sind, vermag ich 
natürlich ebensowenig zu sagen, doch gehört er jedenfalls in den Rahmen 
des a. m. D. nicht hinein. Hierfür spricht auch schon der Umstand, daß 
die intestinalen Veränderungen zweifellos wesentlich älter sind als die 
sich über kaum 24 Stunden hinziehenden manifesten klinischen Er¬ 
scheinungen. Gegen eine nennenswerte venöse Stauung spricht hier 
im übrigen auch noch die braunrote Färbung des Dünndarmes. Auch 
zeigte sich bei der Sektion — nicht ganz im Einklang mit dem oben 
wiedergegebenen Befunde — die Vena portae und die Mesenterialvene 
gesund und nicht thrombosiert. Pathologisch-anatomisch dürfte der 
mitgeteilte Befund vielleicht am ehesten als plastisch-hämorrhagische 
Enteritis zu deuten sein, während zum a. m. D. höchstens gewisse 
äußerliche Beziehungen bestehen: 

Die oben -wiedergegebene Schilderung, die Reinhard für das Verhalten 
des Dünndarmes beim a. m. D. entwirft, muß daher trotz ihrer anschau¬ 
lichen Prägnanz als höchst willkürlich bezeichnet werden und geeignet, 
die an sich schon bestehenden Widersprüche unnötig zu steigern. Auf 
den dabei enthaltenen Passus, wonach die Dünndarmwand in der 
Regel schlaff und dünn ist, werden wir in der Folge noch zurückkommen 
müssen 1 ). 

*) In einem von Finsterer — übrigens ausdrücklich als akute MagendUatation 
— mitgeteilten Falle Nr. 2, wo bei Fehlen eines a. m. D. ebenfalls ein hämorrhagi- 

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E. Melchior: 


Auch sonst begegnen wir in der Kasuistik des a. m. D. — ganz 
abgesehen von den strittigen Beziehungen zur primären Magen¬ 
dilatation — immer wieder einzelnen Beobachtungen, die systematisch 
wohl eine andere, Klassifizierung verdienen. 

Es dürfte dies auch für eine Beobachtung Vogels (1. c. Nr. 5) gelten: 

26 jährige Q. Ausgedehnte Ueocöcalresektion wegen Carcinoma. Später 
Exstirpation einer Ovarialcyste. Anschließend Erscheinungen des a. m. D. mit 
tödlichem Ausgang. Sektion: Das stark gespannte Dünndarmmesenterium geht 
in eine an die hintere Bauchwand fixierte „callöee Platte“ über, „in der die Pars 
ascendens und der mediane Teil der Pars horizontalis duodeni vollständig ein¬ 
geschlossen sind« Das Darmlumen ist hier nur für den kleinen Finger unter Druck¬ 
anwendung durchgängig. Der Magen und der oberhalb der Stenose gelegene Teil 
des Duodenums sind stark erweitert“. Diese narbige Umwandlung der Duodenal¬ 
platte wird — offenbar mit Recht — als Folgeerscheinung der Lymphdrüsen- 
ausräumung längs der A mes. sup. aufgefaßt. 

Es handelt sich also in diesem Falle um eine permanente, ausgedehnte 
organische Stenosierung des Duodenums durch die callös-narbig ver¬ 
änderte Mesenterialplatte. Unter dem Einfluß der zweiten Operation 
kommt es zur akuten Lähmung des Magens (Fehlen jeder Peristaltik), 
nachdem durch die chronische Stenose die Funktion dieses Organs 
offenbar bereits gelitten hat. So interessant diese Beobachtung auch 
sonst gewiß sein mag, so scheidet sie doch auf Grund dieses besonderen 
anatomischen Verhaltens aus dem übrigen Rahmen völlig aus. 

Noch größere Reserve scheint mir in dieser Hinsicht gegenüber 
einem von Baumann 1 ) als a. m. D. mitgeteilten Fall geboten zu sein: 

Hier handelt es sich um akute, zunächst als Appendicitis gedeutete Ab- 
dominalerecheinungen nach offenbar übermäßiger Aufnahme von Kartoffelsalat; 
„auscultatorisch absolute Darmruhe“. Bei dem als Frühoperation vorgenommenen 
Eingriff zeigte sich der „Magen kollabiert, etwas ektatisch nur wenig Flüssigkeit 
und Luft enthaltend“, „Duodenalpartie auffallend aufgetrieben“, vor allem aber 
das Querkolon armdick erweitert, „teils mit teigigen Kotmassen, teils mit harten 
Stücken (Kartoffelstücken) vollständig ausgestopft und drückt schwer gegen die 
hintere Bauchwand“. „Auch das Coecum ist enorm dilatiert und wie das Colon asc. 
und transv. vollständig ausgefüllt.“ Der leere Dünndarm erscheint durch das 
mächtig gefüllte Kolon in das kleine Becken abgedrängt, das Mesenterium ge¬ 
spannt, das Duodenum infolgedessen „abgeklemmt“. Reposition. Heilung. 

Nach diesem sehr charakteristischen Befund aber etwas anderes 
anzunehmen als eine akute Kolonblähung ex indigestione — eine eigent¬ 
liche Kolik im alten Sinne—erscheint entschieden gesucht und überdies 
unnötig, da schon die geschilderten Veränderungen allein eine aus¬ 
reichende Erklärung für die klinischen Erscheinungen bieten. 

Ein in mancher Hinsicht ähnlicher Fall wurde in der KüÄnerschen 
Klinik beobachtet: 

sches peritoneales Exsudat bestand, beruhte dies auf einer schweren Infarcierung 
des Magens, die rasch zur völligen Gangrän führte. 

l ) Schweiz, med. Wochenschr. 1922, S. 479. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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Fall 3. Berta S., 20j&hrig, aufgenommen 4. II. 1921. Seit 4 Wochen Stuhl¬ 
verstopfung. Vor 14 Tagen plötzliche Bauchschmerzen und Erbrechen. Seit 
5 Tagen Stuhlverhaltung, seit 4 Tagen angeblich auch Flatus sistiert. Mehrfaches 
Erbrechen, das gestern übelriechend gewesen sein soll 

Befund: Temperatur 37,7. Fäkulenter foetor ex ore. Leib aufgetrieben. 
Überall druckempfindlich. Bei Beklopfen sieht man einen breiten Streifen sich 
schräg in Nabelhöhe vorwölben, Darmger&usche jedoch nicht hörbar. Operation 
in Äthemarkose: Mäßig viel klare freie Flüssigkeit. Das gesamte Kolon zeigt im 
Gegensatz zum nicht geblähten Dünndarm starken Meteorismus und weist einen 
ausgesprochenen Pannus auf. Leichte Adhäsionen zwischen der Flexura hepatica 
und der Gallenblase bzw. dem Duodenum werden durchtrennt. Uterus ist über¬ 
faustgroß. (Graviditas mens. II-UL) Bauchnaht. Durch Glycerin und Darm¬ 
spülung wird am folgenden Tage Stuhl erzielt. Weiterer Verlauf durch Abort und 
anschließende Adnexentzündung gestört; doch sind seitens des Intestinaltraktus 
keine krankhaften Erscheinungen mehr aufgetreten. 

Es handelt sich also auch in diesem Falle um eine ileusartige Atonie, 
die sich vornehmlich auf den Dickdarm beschränkte. Ob Beziehungen 
zur Gravidität anzunehmen sind, bleibt fraglich, ebenso ob vielleicht 
etwa toxische Einflüsse — medikamentöse Abtreibungsversuche? — 
im Spiele waren. — 

Wenn wir nunmehr zu (Jen anatomischen Vo r bedingungen des a. m. D. 
zurückkehren, so schien noch zur Zeit meiner ersten Mitteilung Einigkeit 
darüber zu bestehen, daß der Dünndarm, um nur überhaupt eine wesent¬ 
liche Straffung der Mesenterialwurzel herbeiführen zu können, sich größten¬ 
teils innerhalb des kleinen Beckens befinden, also leer sein müsse. Das 
Bild des spastisch kontrahierten Darmes — auch die Bezeichnung 
„vogeldarmartig“ kehrt verschiedentlich in diesem Zusammenhänge 
wieder (v. Höherer, Röhde) — scheint also für diesen Zustand geradezu 
einen charakteristischen Befund darzustellen, wie auch Nieden hervor¬ 
hebt. Da nun aber erfahrungsgemäß der Darm „bei so vielen Menschen 
bei der Autopsie größtenteils im kleinen Becken liegend gefunden wird“ 
(P. A. Albrecht), ohne daß gleichzeitig eine Mesenterialkompression 
besteht — ich erinnere auch an die entsprechenden häufigen operativen 
Befunde bei Inanitionszuständen, insbesondere dem Oesophaguskrebs —, 
so schien sich weiterhin noch die Annahme besonderer Längenverhaltnisse 
des Mesenteriums als notwendig zu erweisen. Es muß nämlich dasselbe, 
damit ein derartiger Duodenalverschluß auch nur theoretisch denkbar 
sei, nach der Formulierung Borchardts gerade so lang sein, „daß die 
Dünndarme unter Straffung der Mesenterialwurzel im kleinen Becken 
fixiert werden können“. Demgegenüber nehmen nun viele neuerdings 
mitgeteilte Fälle dadurch eine — zunächst gewiß überraschende — 
Sonderstellung ein, daß bei ihnen der Dünndarm sich wesentlich anders 
verhielt. So heißt es beispielsweise in dem Sektionsfalle Urbachs: Je¬ 
junum mäßig mit flüssigem und gasförmigem Inhalt gefüllt zeigt ebenso¬ 
wenig wie das Ileum, welches im kleinen Becken liegt, irgendwelchen 


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E. Melchior: 


pathologischen Befund, wie starke Anämie, Cyanose, auffallende Kon¬ 
traktion oder dgl. 1 ) 

Baß nach Reinhard die Wandung des Dünndarmes sogar „in der 
Regel schlaff und dünn ist“ 2 ), also genau das Gegenteil von dem bisher als 
charakteristisch angesehenen Befunde, wurde bereits erwähnt. Wagrur 3 ) 
geht noch darüber hinaus und sieht sogar gerade eine besonders starke 
Füllung der Dünndarmschlingen — die dann „sehr leicht einen direkten 
kräftigen Zug am Mesenterium ausüben“ — als ursächlich wichtiges 
Moment dieser Erkrankung an. Da nun aber bei der Sektion seines 
Falles der Dünndarm größtenteils im kleinen Becken liegend und 
kontrahiert gefunden wurde, so schließt* eine solche Annahme not¬ 
wendigerweise die vom Autor freilich nicht selbst ausgesprochene 
Vorstellung ein, daß nach eingetretener Duodenalkompression die 
unterhalb gelegenen Darmabschnitte noch die Möglichkeit haben müssen, 
sich völlig zu entleeren. In besonders prägnanter Form hat Finiterer 
sich diesen Gedankengängen angeschlossen, indem er ebenfalls die 
Duodenalkompression zunächst auf das Herabsinken der gestauten 
obersten Dünndarmschlingen zurückführt, wobei weiterhin die Möglich¬ 
keit bestehen soll, daß nachträglich noch diese Schlingen „durch die 
unter der Behandlung einsetzende Peristaltik sich entleeren bzw. 
durch den schweren Magen ausgedrückt werden, so daß bei einer evtl. 
Operation oder Obduktion diese Darmschlingen leer gefunden werden“. 
A. Braun läßt sogar in einem Falle den a. m. D. mit aller Bestimmtheit 
dadurch zustande kommen, „daß der ins kleine Becken getretene Dünn¬ 
darm infolge Blähung und Einkeilung zwischen Promontorium und 
Symphyse einen sehr starken Zug am Mesenterium ausgeübt hat“. 

Der ursprünglichen Ansicht, daß der Dünndarm beim a. m. D. leer 
sein muß, um überhaupt eine Duodenalkompression auszuüben, steht also 
ebenso unvermittelt die Theorie gegenüber, daß er hierzu nur in gefülltem 
Zustande befähigt sei. Dieser Zustand selbst wird entweder als stationär 
oder auch als vorübergehend gedacht, wobei im letzteren Fall die 
Peristaltik nach Einsetzen der mesenterialen Passagestörung zunächst 
noch weiter fortbestehen soll. 

Zur Kritik dieser Frage ist zunächst ganz allgemein zu bemerken, 
daß die Aufstellung anatomischer Sonderbedingungen, durch die der 
Dünndarm erst befähigt sei, einen a. m. D. herbeizuführen, sicherlich 
nicht unbeeinflußt von der Erfahrung war, daß diese Komplikation 
doch praktisch so außerordentlich selten ist, daß es offenbar nur aus¬ 
nahmsweise gegebener anatomischer Verhältnisse bedarf, damit sein 
Zustandekommen auch nur theoretisch einigermaßen denkbar ist. 

*) lm Original nicht kursiv. 

*) Im Original nicht kursiv. 

8 ) Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 147 , 56. 1918. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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Wenn nun neuerdings auch eine Dünndarmfüllung das Entstehen dieser 
Ileusform nicht nur nicht ausschließt, sondern nach einzelnen Autoren 
sogar l»egün8tigt, so wird das Mißverhältnis zwischen der Seltenheit 
des tatsächlichen Vorkommens und der Häufigkeit, mit der die physi¬ 
kalischen Vorbedingungen dazu als gegeben erachtet werden, so er¬ 
heblich vergrößert, daß dies schon allein zur allergrößten Skepsis 
mahnen müßte. Im übrigen haben aber schon Braun und Seidel mit 
aller Deutlichkeit darauf hingewiesen, daß tatsächlich „Leere des 
Dünndarmes und seine Verlagerung in das kleine Becken zum Zustande¬ 
kommen einer Schnürung oder Abknickung an dieser Stelle nötig ist“. 
„Denn der außerhalb des Beckens befindliche Dünndarm füllt sich 
schrittweise und spannt bei besonders starker Füllung das Mesenterium 
stark an, dieses wird aber durch die geblähten Schlingen von der Wirbel¬ 
säule abgehoben, kenn also das D. nicht komprimieren.“ 

Was aber andererseits die Vorstellung betrifft, daß uer Dünndarm 
nach erfolgter Mesenterialstraffung noch eine Zeitlang funktionsfähig sein 
soll, so widerspricht dem doch sehr entschieden das gerade von den 
Anhängern des primären a. m. D. neuerdings immer mehr betont« 
akute Einsetzen dieser Komplikation mit sofortiger Aufhebung Oer ge¬ 
samten motorischen Darmtätigkeit. (Vgl. weiter unten.) Aber auch dort, 
wo offenbar die Atonie im Vordergrund steht, scheint letzteres fast 
regelmäßig der Fall zu sein; eine der seltenen Ausnahmen hiervon 
bildet etwa der eingangs zitierte Fall von Braun und Seidel. 

Unklar bleibt es mir vollends, wie in dem von v. Höherer auf dem 
Chirurgenkongreß 1909 mitgeteilten Fall von a. m. D. bei Nabelhemie 
die kritische Mesenterialstraffung zu erklären ist, da hier „das ganze 
Konvolut des freien Dünndarmes“ im Bruchsacke lag, das Mesenterium 
also nicht beckenwärts, sondern weiter nach vorn gerichtet wair, so 
daß der Ansatzwinkel jedenfalls mindestens so groß sein müßte wie unter 
normalen, d. h. für die Duodenalpassage unschädlichen Verhältnissen. 

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang erscheint mir schließlich 
ein von Bull beobachteter bei Hoyer 1 ) zitierter Fall, bei dem das kleine 
Becken durch Adhäsionen abgeschlossen war, die Möglichkeit einer 
kritischen Mesenterialstraffung damit also von vornherein gänzlich 
ausgeschlossen sein dürfte. 

Ein besonders wichtiges Argument gegen die Theorie des primären 
a. m. D. besteht nun darin, daß die sonst vorkommenden mechanischen 
Passagestörungen in der Gegend der lMiodeno-Jejunalgrenze ein 
wesentlich anderes Bild darbieten, als es für jenes KranhheitsbUd 
typisch ist. Bloodgood 2 ) scheint auf diesen bedeutungsvollen Unter¬ 
schied zuerst hingewiesen zu haben, weiterhin namentlich Axhausen. 

1 ) Norsk magaz. af laegevidenskaben 1918, Nr. 8. 

*) Ann. of. surg. t, 736. 1907. 


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Original frum 

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E. Melchior: 


Die klinische Inkongruenz besteht vor allem darin, daß bei der 
organischen Verlegung oder Stenosierung Steifungen des Magens im 
Vordergründe stehen; der Ventrikel vermag sich durch Erbrechen völlig 
oder größtenteils zu entleeren, es fehlt die profuse für den a. m. D. 
oft so charakteristische Hypersekretion, die gastrische Dilatation erreicht 
daher niemals jene exzessiven Grade wie bei jener Erkrankung. Es 
fehlt ferner, wie Axhausen besonders hervorhob, die schwere, rasch 
fortschreitende Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes, die nament¬ 
lich in der Senkung des Blutdruckes schon frühzeitig in die Erscheinung 
tritt (vgl. auch Nieden). Aber auch auf experimentellem Wege gelingt es 
nicht durch Blockierung des Duodenums ein dem a. m. D. auch nur an¬ 
nähernd ähnliches Krankheitsbild hervorzurufen [Ach 1 ), Nieden ]. Ganz 
vereinzelte Ausnahmen von diesem Verhalten können die Gültigkeit 
dieser Regel naturgemäß nicht erschüttern. So teilte Alkan*) einen Fall 
von akuter Magendilatation bei langjähriger Pylorusstenose mit, die 
sich klinisch immerhin von dem gewöhnlichen Verhalten der akuten 
gastrischen Atonie dadurch unterschied, daß die Lähmung nur den 
Fundusteil betraf, während die Antrumperistaltik erhalten war. Weiter¬ 
hin findet sich bei A. Braun die Beobachtung einer akuten Magen - 
dilatation bei einem auf das Duodenum übergehenden Carcinom des 
Pankreas mitgeteilt. In diesem Fall könnte aber die akute Lähmung 
ihre Erklärung finden in einem gleichzeitig bestehenden Volvulus des 
obersten Dünndarmes. Im übrigen ist natürlich nicht einzusehen, 
weshalb eine organische Duodenalstenose vor dem Entstehen einer 
akuten Magendilatation schützen soll. Jedenfalls ist diese Komplikation 
so enorm selten, daß ich weitere Einzelbeobachtungen in der Literatur 
nicht auffinden konnte. 

Zur Erklärung des Eintritts der schweren akuten Magenlähmung 
beim a. m. D. könnte man nun darauf verweisen, daß die Strangulation 
des Duodenums auf nervösem Wege die verhängnisvolle Tonusherab¬ 
setzung der Magenmuskulatur herbeiführt, ähnlich wie in dem oben 
genannten Fall A. Brauns der hochsitzende Dünndarmvolvulus vermu¬ 
tungsweise hierfür herangezogen wurde. Eine solche Annahme wird je¬ 
doch von vornherein dadurch hinfällig, daß ja — wie an früherer Stelle 
erörtert —, ganz abgesehen von allen theoretischen Möglichkeiten, 
schon der anatomische Befund, d. h. das regelmäßige Ausbleiben schwerer 
lokaler Ernährungsstörungen, mit aller Entschiedenheit eine Strangulation 
im eigentlichen Sinne ausschließen läßt, so daß höchstens eine leichte 
Kompression in Betracht kommen könnte, deren Wirkung natürlich 
bestenfalls nicht anders zu beurteilen ist, als die einer mäßigen organischen 
Stenose, v. Höherer meint sogar bestimmt annehmen zu dürfen, „daß 

*) Bruns’ Beitr. z. klin. Chirurg. 83, 721. 1913. 

*) BerL Hin. Wochensohr. 1921, S. 667. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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Melchior gleich anderen dem tatsächlichen Zug am Mesenterium, der 
zum Zustandekommen des a. m. D. nötig ist, weit überschätzt“. 
(L. A. 108, S. 333) und auch an anderer Stelle (1. c. S. 328) lehnt v. Ha- 
berer eine scharfe Strangulation des Duodenums ab und nimmt nur 
eine „einfache Kompression“ an, „die aber deshalb noch zu keiner 
bedrohlichen Ernährungsstörung zu führen braucht“. Dementsprechend 
steht auch v. Höherer auf dem Standpunkte, daß die Initialphase des 
a. m. D. durchaus dem eines gewöhnlichen mechanischen Ileus entspricht, 
insbesondere auch anfänglich eine „motorische Unruhe“ oberhalb des 
Hin dernisses besteht. „Sie verschwindet natürlich wie bei jedem 
mechanischen Heus, wenn derselbe einmal lange genug andauert“ 
(1. c. S. 309). Wir werden jedoch in der Folge sehen, daß die erste 
Prämisse v. Haberera nicht zutrifft, indem nämlich von verschwindenden 
Ausnahmen abgesehen das Syndrom des a. m. D. von vornherein unter 
dem Bilde der völligen Lähmung verläuft. Aber selbst dann, wenn eine 
solche initiale Phase im Sinne v. Haberers regelmäßig existierte, wäre 
nicht einzusehen, weshalb gerade in diesen Fällen die motorische Kraft 
des Magens so rasch erlahmen sollte, während doch bei typischem 
Obturationsileus tagelang deutliche Steifungen das Bild zu beherrschen 
pflegen. Und gerade beim a. m. D. sollte man eine frühzeitige sekundäre 
Lähmung — soweit sie überhaupt in Betracht kommt — um so weniger 
erwarten, als sich „die Stauung auf einen nur verhältnismäßig geringen 
Abschnitt des Magendarmkanals beschränkt, der sich relativ leicht 
per os seiner Inhaltsmassen entledigen kann“. Wenn v. Höherer hieran 
— freilich in anderer Beziehung — die Mahnung knüpft: „Ich glaube, 
hier liegen besondere Verhältnisse vor, denen man Rechnung tragen 
muß“, so pflichte ich dem gerade hinsichtlich des voranstehend be¬ 
handelten Punktes rückhaltlos bei. 

Jene oben berührte Auffassung, wonach der primäre a. m. D. trotz 
alledem im Prinzip eine Übereinstimmung mit einem hohen Obturations¬ 
ileus — wenigstens innerhalb des ersten Beginnes — zeigen soll, stützt 
sich nun im wesentlichen darauf, daß in ganz vereinzelten Fällen die 
motorische Funktion des Magens nicht erloschen schien, womit natürlich 
die Vorstellung einer totalen Atonie nicht vereinbar ist. Vielfach ist 
sogar von deutlichen „ Magensteifungen “ die Rede. Immerhin nimmt 
sich die Wirklichkeit doch etwas anders aus. 

So wies ich schon in meiner früheren Mitteilung darauf hin, daß die in Bäundcrs 
viel zitiertem Falle von Zeit zu Zeit beobachteten „schwachen“ peristaltischen 
Wellen doch wohl schwerlich dem entsprechen, wie man es etwa bei organischer 
Pylorusstenose so regelmäßig beobachten kann. Ähnliches dürfte für den Fall 
Wichems (Nr. 2) gelten, wo es im Texte heißt: „Zuweilen lassen sich bei genauer 
Betrachtung schwache peristaltische Wellen vom Fundus bis zum Pylorusteil 
verfolgen.“ Der Autor selbst trägt daher auch kein Bedenken, diesen Fall als 
toxisch bedingte Atonie des Magens aufzufassen, zumal für die Annahme eines 


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E. Melchior: 


mechanischen Hindernisses — insbesondere im Sinne des a. m. D. — sich „keine 
genügenden Anhaltspunkte“ ergaben 1 ). Deutlicher war die Peristaltik in einem 
von Bloodqood mitgeteilten Falle (1. c. Nr. 2), bei dem anfallsweise eine breite 
peristaltische Welle innerhalb des vorgewölbten Bezirkes zu sehen war. Die 
Operation ergab das für den a. m. D. als typisch geschilderte Verhalten, doch ist 
auffällig, daß der Zeigefinger durch den Mesenterialschlitz — „invaginating either 
duodenum or jejunum“ — durchgeführt werden konnte. G. E. Tod. Bemerkens¬ 
wert ist hierbei überdies, daß der Autor die Frage „whether dilatation was primary in 
the stomach or duodenum“ nicht für entscheidbar hält. Ferner hat Reinhard 4 Falk 
mit „Magensteifungen“ mitgeteilt, die bei kritischer Betrachtung freilich ein etwas 
anderes Bild ergeben. Hiervon wurde bezüglich des Falles 5 bereits erwähnt, daß 
die Angabe „Im 1. Epigastrium deutliche kugelige Auftreibung, die den Eindruck 
des motorisch unruhigen Magens erweckt (Magensteifung?)“ doch wesentlich 
anders klingt als das später gegebene Resümee einer „deutlichen Magensteifung“. 
Überdies bestand hier eine offene G. E., so daß unverständlich bleibt, warum ein 
motorisch funktionsfähiger Magen durch das hypothetische Hindernis am Duodenal¬ 
ausgang so schwer beeinträchtigt werden sollte. Deutlicher wird die Magenunruhe 
im Fall 6 geschildert, während im Falle 9 nur eine epigastrische anscheinend nicht 
wechselnde Prominenz beschrieben wird, die „den Eindruck“ macht, „daß es sich 
um eine Magensteifung handelt“. Die zweifelhafte Zugehörigkeit von Fall 10 mit 
den oben beschriebenen schweren Veränderungen des Mesenteriums und Dünn¬ 
darmes wurde schließlich bereits an früherer Stelle dargelegt; auch hier heißt cs: 
„in der Magengegend Vorwölbung, welche im Epigastrium eine deutliche motorische 
Unruhe (Magensteifung) zeigt, man hört hier gurrende Geräusche“. In t>. Haberm 
Falle (1917) ist ebenfalls auscultatorisch „deutliche peristaltische Bewegung“ 
wahrnehmbar; „sichtbar ist die Peristaltik des Magens nicht, wobei jedoch der 
außerordentlich spitze Rippenbogen hindernd im Wege stehen kann“. In dem von 
Ranzel mitgeteilten Falle ist während der Palpation „deutliches Gurren im Magen 
hörbar und durch die dünnen Bauchdecken sieht man peristaltische Wellen in der 
Richtung gegen den Pylorus laufen“. Stärker allein sind diese Erscheinungen im 
Falle Rohdes ausgesprochen, wo die Magengegend als Sitz lebhaftester Peristaltik 
angegeben wird; diese peristaltischen Wellen erfolgen in kurzen Schüben und 
sind nach Angabe des Pat. „mit leichtem Schmerzgefühl verbunden“. Auch bei der 
Operation laufen „dauernd peristaltische Wellen über Magen und Duodenum 
bis zur Jejunalgrenze“. 

Sehen wir zunächst von diesen beiden letzteren Fällen, welche in 
dieser Hinsicht eine Sonderstellung einzunehmen scheinen (vgl. später), 
ab, so dürfte insgesamt der Eindruck dem entsprechen, wie es eingangs 
für den Fall Bäumlers betont wurde, daß nämlich die beobachteten 
motorischen Phänomene doch wesentlich geringer sind , als man es sonst 
bei organischen nicht mit Strangulation einhergehenden Passagehinder¬ 
nissen sieht, also etwa bei der klassischen Stenose des Pylorus bzw. des 
Duodenums. Tatsächlich hat denn auch diese schwächliche Peristaltik 
Wiehern nicht an der Annahme einer primären Atonie gehindert; sie 
ließ auch Boodgood eine solche Möglichkeit nicht ausschließen; im oben 
genannten Falle Reinhards kam es trotz dieser anscheinend zunächst 
erhaltenen motorischen Funktion bei offener G. E. zur irreparablen 

l ) Die von Ranzel gemachte Angabe, daß auch im Falle RosenthaU ein der¬ 
artiges motorisches Phänomen bestand, beruht offenbar auf einem Versehen. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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Atonie und Dilatation. Daß schließlich auch v. Höherer neuerdings 
trotz derartiger Beobachtungen die Annahme einer vorübergehenden 
,,Atonie einzelner Abschnitte“, bzw. einer absolut zu hohen Überlastung 
derselben für notwendig erachtet, wird weiter unten noch zu besprechen 
sein. Vor allem aber stellen Fälle, wie die eben aufgeführten, ent¬ 
schiedene Ausnahmen dar, da in der großen Mehrzahl der als a. m. D. 
mitgeteilten Beobachtungen derartiges nicht mitgeteilt wird, bzw. sogar 
selbst in Frühfälleji — wie im Falle Baumanns — das auscultatorische 
Fehlen jeglicher peristaltischer Phänomene ausdrücklich hervorgehoben 
wird. Ebenso heißt es bei Vogel: „Ein Symptom, das in keinem unserer 
Fälle zur Beobachtung kam, das nach v. Höherer anfänglich gesehen 
werden kann, übrigens in seinem Falle auch nicht bestand, ist die 
sichtbare Magenperistaltik. In allen unseren Fällen wurde der Magen 
neben dem dilatierten Duodenum groß und gefüllt gefunden.“ Es 
scheint hier demnach die gelegentliche Nachweisbarkeit gewisser schwäch¬ 
licher motorischer Erscheinungen seitens des Magens in Fällen, die 
sonst klinisch völlig mit den übrigen dieser Gruppe übereinstimmen, 
darauf hinzuweisen, daß es atonische Zustände im Bereiche des oberen 
Digestionstraktus gibt, bei denen die Lähmung von vornherein nicht 
-eine vollständige ist, vielleicht in dissoziierter auf Teile des Muskel¬ 
systems beschränkter Form auftritt oder auch nur gewisse Phasen der 
normalen Peristaltik betrifft, in ihrer Auswirkung aber der totalen 
Paralyse praktisch im wesentlichen gleichkommt. Wahrscheinlich 
müssen wir auch mit der Möglichkeit weitgehender Aufhebung des 
Tonus rechnen, wobei die myomotorische Funktion zunächst bis zu 
einem gewissen Grade erhalten sein kann, aber infolge der Dilatation 
funktionell erfolglos bleibt. Das vereinzelte Vorkommen von Fällen, 
in denen bei ausgesprochener Magenatonie immerhin noch eine minimale 
Passage nach abwärts stattfindet — wie in dem schon eingangs an¬ 
geführten Fall von Braun und Seidel sowie in der weiter unten zit. 
Beobachtung Heiles 1 ) —, könnte nach gleicher Richtung weisen. — 
Aus welchem Grunde also Bircher 2 ) das Syndrom des a. m. D. auch 
generell als „ akute postoperative Magensteifung “ bezeichnet, ist nicht 
recht verständlich. 

Ein gewichtiger Gegengrund gegen die Theorie des akuten primären 
a. m. D. ist schließlich in der Lehre vom chronischen a. m. D. (vgl. Ab¬ 
schnitt B.) enthalten. Graduelle Unterschiede in der Intensität der 
angenommenen Duodenalkompression können hier nämlich kaum zur 
Erklärung der Verschiedenartigkeit des klinischen Verlaufes heran¬ 
gezogen werden, da ja neuerdings wohl allgemeine Übereinstimmung 
darüber besteht, daß eine wirkliche Strangulation auch in den akuten 

l ) Mitt. a. d. Grenzgeb. d. Med. u. Chirurg. Suppl. 3, 707. 1907. 

ä ) Zentralbl. f. Chirurg. 1912, Nr. 25. 


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E. Melchior: 


Fällen sicher nicht vorliegt. Wenn also der mechanische Faktor über¬ 
haupt im Vordergründe stehen soll, so ist nicht einzusehen, warum in 
einem Falle jenes schwere akute Krankheitsbild entstehen soll, in 
anderen aber das viel harmlosere einer intermittierenden chronischen 
Erschwerung der Duodenalpassage. — 

Eine wichtige Stütze der Lehre vom akuten a. m. D. bildete nun 
lange Zeit hindurch die in therapeutischer Hinsicht wichtige Erfahrung, 
daß die Anwendung der Bauch-, bzw. der Knie-EUenbogenlage ge¬ 
nügen soll, um den Dünndarm aus dem kleinen Becken heraustreten zu 
lassen und damit den ominösen Verschluß zu lösen. „Dank Schnitzler“ heißt 
es darüber geradezu enthusiastisch bei Ploos van Amstel 1 ) „bedeutet 
die richtige Diagnose hier doch Genesung, während bei einer falschen 
Diagnose der Patient bestimmt verloren ist.“ „Die ernste Prognose des 
unbehandelten oder falsch behandelten a. m. D. ist günstig, sobald man 
die Erkrankung erkennt und nach Schnitder rechte Seiten-, Bauch- oder 
Knie-Ellenbogenlage anwendet“, lautet die nur wenig davon abweichende 
Variation bei Wagner. Nach v. Höherer ist sogar die Wirkung dieser 
Lagerungstherapie eine derartige exklusive, daß in Fällen, wo sonstige 
Maßnahmen versagten, nach Anwendung der Schnitzlerschen Lage da¬ 
gegen in kürzester Zeit ein eklatanter Erfolg eintritt, man wohl be¬ 
rechtigt ist „ retrospektiv die Diagnose auf a. m. D. zu stellen“*). [Chir.- 
Kongr. 1909]. 

Leider versagt jedoch diese therapeutische Maßnahme, die sich als 
prägnantes Schlußglied in die Beweiskette des a. m. D. unwiderleglich 
einzufügen scheint, in so vielen Fällen, daß den vorangestellten Thesen 
eigentlich völlig der Boden entzogen wird. 

So trat in dem Falle v. Mutachs der a. m. D. ein, obwohl die Pat. bereite 
Bauchlage innehielt. Im Falle Nieaise vermochte die vom Pat. spontan gewählte 
Knie-Ellenbogenlage den fatalen Ausgang nicht zu verhindern. Aber auch in dem 
neuerdings von v. Höherer mitgeteilten Falle heißt es: „Alle Lagerung« manöver... 
bleiben erfolglos.“ Negativ bleibt diese Therapie ferner in einem Falle Vogels 
(der u. E. freilich wegen callöser Mesenterialveränderungen [siehe S. 652] überhaupt 
nicht hierher gehört), ferner in dem sonst so typischen Falle Ranzel sowie in den 
von Mayrhofer, Boüag, Theuerbauf und Stierlin mitgeteilten Fällen. Über gleiche 
Erfahrungen berichten Land) und Finsterer. In 5 Fällen Reinhards, in denen diese 
Methode zur Anwendung gelangte, versagte sie dreimal völlig, in dem 4 Falle 
(L c. Nr. 6) wird dagegen vom Autor selbst der operativen Darmrepoeition aus¬ 
drücklich der Erfolg zugeschrieben. Ich nenne schließlich noch den Fall Wort¬ 
manns, wobei der Pat. selbst auf Abstellen der Beckenhochlagerung drängte. 
Diese Beobachtung erscheint mir aber deshalb so bemerkenswert, weil gerade 
bei Störungen der Darmpassage die Patienten ein recht feines Gefühl dafür zu 
haben pflegen, ob ihnen eine getroffene Maßnahme nützt, und für jede Erleichte¬ 
rung ihres qualvollen Zustandes sehr dankbar sind. 

*) Würzburger Abh. a. d. Gesamtgeb. d. prakt. Med. 1917. 

*) Im Original nicht kursiv. 

3 ) ZentralbL f. Chirurg. 1914 S. 384. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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Man gewinnt aus diesen Beispielen wohl entschieden den Eindruck, 
daß diejenigen Beobachtungen , bei denen trotz angenommener Mesenterial¬ 
kompression die Schnitzlersche Therapie versagte, weit zahlreicher sind 
als die positiv reagierenden Fälle. Und wenn wir nun andererseits von 
v. Höherer hören, daß man Fälle von rein akuter primärer Magen¬ 
dilatation — die ja differentialdiagnostisch hier fast ausschließlich in 
Betracht kommen — naturgemäß „durch Lagerungsmanöver nicht 
wesentlich beeinflussen kann“, so müßte sich daraus, um konsequent 
zu bleiben, eigentlich die Folgerung ergeben, daß ein Versagen der 
Schnitzlerschen Therapie retrospektiv berechtigt, die Diagnose des a. m. D. 
auszuschließen. Wenn demgegenüber A. Braun die häufigen Mißerfolge 
einfach damit erklärt, daß der Dünndarm aus dem kleinen Becken 
nicht heraustreten konnte, „weil die Druckverhältnisse dies nicht zu¬ 
ließen“, so erscheint damit wenig gewonnen zu sein. Vor allem fragt 
man sich vergebüch, wie die Druckverhältnisse denn in den positiv 
reagierenden Fällen gewesen sein mögen. 

In Wirklichkeit vereinfachen sich aber derartige allzu detaillierte 
Überlegungen wesentlich auf Grund der banalen klinischen Erfahrung, 
daß auch bei rein atonischen Zuständen des Magens der Lagewechsel nach 
Schnitzler von Erfolg begleitet sein kann. „Überhaupt wird man ja, worauf 
schon Ketting hingewiesen hat, wohl kaum annehmen können, daß in 
solchen Fällen der Dünndarm bei der Anwendung der Bauchlage aus dem 
kleinen Becken ,herausrutscht'; bei wirklich vorhandener starker 
Ausdehnung des Magens würde der Baum dazu fehlen. Der Effekt 
dieser Lageveränderung dürfte vielmehr oft genug einfach dadurch be¬ 
dingt sein, daß, wie auch Payr vermutet, die Flüssigkeit — deren 
Spiegel bei maximaler Magenblähung sich weit unter dem Niveau des 
Pylorus befindet — infolge der Bauchlage in den Bereich des Magen¬ 
ausgangs gebracht wird und somit leichter abfließen kann. Ein ähn¬ 
liches Verhalten mag vielleicht gelegentlich auch hinsichtlich der Lage¬ 
beziehungen zur Kardia gelten. So berichten Mayo Robson und Moynihan 
über einen Fall, bei dem sofort nach Einnahme der Bauchlage kopiöses 
Erbrechen eintrat. Auch etwaige Knickungen könnten möglicherweise 
durch einen derartigen Lage Wechsel zum Ausgleich gebracht werden. 
Außerdem vermag unter Umständen, wie es z. B. Walzberg beobachtete, 
schon die einfache Seitenlage — die doch wohl kaum von entsprechendem 
Einfluß auf die Lagerung des Dünndarms im kleinen Becken sein kann 
— den gleichen therapeutischen Effekt wie die Bauchlage zu zeitigen.“ 

Diesen vor 9 Jahren von mir gemachten Ausführungen habe ich 
auch heute kaum etwas hinzuzufügen. Ich möchte nur noch darauf 
hinweisen, daß nach Resektionen vom Typus Billroth II — wie bereits 
erwähnt — jede gallige Beimengung zum Mageninhalt sogar von vorn¬ 
herein die Annahme eines a. m. D. mit aller Sicherheit auszuschließen 


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E. Melchior: 


gestattet, da ja gleichzeitig der blinde obere Verschluß des Duodenums 
jede Kommunikation dieses Darmteiles mit dem Magen unterbricht; 
natürlich würde ein solcher Zustand sicher in kürzester Frist zur 
Sprengung der Naht und damit zur Peritonitis — mindestens aber zur 
Entstehung einer Duodenalfistel — führen. In Wirklichkeit sind jedoch 
solche Stauungszustände in der Regel durch Passagestörungen in der 
zuführenden Anastomosenschlinge verursacht und beruhen damit wohl 
meist auf technischen Unzulänglichkeiten 1 ). 

Im einzelnen freilich begegnet es oft Schwierigkeiten, den prak¬ 
tischen Nutzen der Schnitzkrachen Lage bei rein atonischen Zuständen 
zu beweisen, weil die Anhänger des a. m. D. solche Beobachtungen 
natürlich für sich in Anspruch nehmen und Sektionsfälle begreiflicher¬ 
weise fehlen 2 ). 

Immerhin möchte ich hier auf einen Fall von generalisierter Ostitis fibrös» 
verweisen (Nr. 4 Emma I., aufgenommen 21. VL 1921), wo nach einem operativen 
Eingriff am Oberschenkel die Erscheinungen sich allmählich, d. h. ohne jede akute 
Phase und ohne alle Schmerzen entwickelten, so daß zunächst an einfaches 
prolongiertes Narkoseerbrechen gedacht wurde, bis schließlich am 3. Tage der 
zunehmende Kollaps (kalter Schweiß, elendes Befinden, kleiner Puls) die Magen¬ 
lähmung erkennen ließ. Bauchlagerung mit Hochstellung des Fußendes des Bettes 
führte fast unmittelbar einen völligen Umschwung herbei, so daß Pat. sogar noch 
eine nachfolgende Pneumonie überstand. 

Eindeutig dürfte aber demgegenüber die Erfahrung sein, daß auch 
bei atonischen Zuständen im Gefolge der G. E. — also unter Umständen, 
wo bei offenem Pylorus die Duodenalokklusion wenig bedeuten würde 
— die Schnitzlerache Lage oft ausgezeichnet wirkt und die entscheidende 
Besserung selbst dann herbeiführen kann, wenn die Ausheberung allein 
versagt. Ein besonders charakteristisches Beispiel dieser Art, bei dem 
ein a. m. D. mit aller Sicherheit auszuschließen ist, findet sich bei 
Linke (1. c. Nr. 3) mitgeteilt. 

Damit erweist sich aber auch die immer wiederkehrende Behauptung, 
daß ex juvantibus die Existenz eines primären a. m. D. zu begründen 
sei, als völlig unhaltbar. — 

Ein ktztes Argument gegen die Theorie des primären a. m. D. beruht 
auf der außerordentlichen Inkongruenz der anatomischen Befunde. In 
Wirklichkeit stellt nämlich das hierfür allgemein als typisch geltende 
autoptische Verhalten nur einen fast willkürlich herausgegriffenen 
SonderfaU innerhalb einer großen Zahl mannigfacher Varietäten dar. 

In einem Teil dieser Fälle gehört das anscheinend mechanische Hinder¬ 
nis dem oberen Duodenum an. 

l ) VgL Melchior und Weil, BerL klin. Wochenschr. 1914, Ni. 15. 

*) Eine Ausnahme hiervon bildet indessen wohl Wichems Fall 2, wo nach 
Ausheberung und Beckenhochlagerung die Heussymptome schwinden, der Tod 
aber unmittelbar darauf an typhöser Darmblutung erfolgt und die Sektion keinerlei 
Zeichen einer vorausgegangenen Strangulation ergibt. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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So wurde in einer Beobachtung A. Fraenkels 1 ) „eine komplette Abknickung 
des Pylorus am horizontalen Schenkel des Duodenums festgestellt“. Im Falle 
Finsterere (1. c. Nr. 2) heißt es: „Das Duodenum ist in seinem Anfangsteil ebenfalls 
enorm dilatiert, 4 Querfinger breit, verlauft vom Magen steil nach aufwärts bia 
unter die Leber und ist hier fixiert und geknickt. Der absteigende Schenkel ist 
leer.“ Ebenso bestand in einem Falle Wagners 2 ) „ein ventilartiger Verschluß“ 
unterhalb des Bulbus duodeni. Über einen ähnlichen autoptischen Befund hat 
Kayser berichtet. In dem von Chavanaz 3 ) mitgeteilten Falle nahm ebenso nur 
der oberste Teil des Duodenums an der Blähung teil. Das gleiche Verhalten zeigte 
ein von Bloodgood zitierter Fall Halsteads; in einer sonst vereinzelt dastehenden 
Beobachtung Reinhards zeigte sich außer dem a. m. D. eine „deutliche Ein¬ 
schnürung des Duodenums“ dicht unterhalb des Pylorus durch eine abnorm 
herübergeschlagene Dünndarmschlinge. 

In einer weiteren Gruppe von Fällen reicht — mit nachweisbarem 
Hindernis oder ohne solches, das unter solchen Umständen natürlich nicht 
durch die Mesenterialkreuzung hervorgerufen werden kann — die 
Dilatation auch noch eine Strecke weit auf das Jejunum hinüber . 

Es wurde auf Beobachtungen dieser Art schon an früherer Stelle — bei Be¬ 
sprechung des fäkulenten Erbrechens — hingewiesen. Außer den dort genannten 
Beispielen gehört hierher auch noch je ein von Kirch und Hood mitgeteilter Fall. 
Besonders interessant ist in dieser Hinsicht der von Kausch beobachtete Fall, 
wo die Übergangsstelle vom geblähten zum kollabierten Darm nur 2—3 cm jenseits 
der Mesenterialkreuzung gelegen war, also bei ungenauer Feststellung leicht das 
typische Verhalten des a. m. D. Vortäuschen konnte. Ähnlich war der Befund 
in dem bereits zitierten Falle Mayrhofers . Weitere Beobachtungen zeigen eine 
wegen der Häufigkeit dieses Befundes als typisch zu bezeichnende Abknickung 
an der Duodenvo-Jejurialgrenze. Einzelfälle dieser Art haben Jennicke 4 ) mitgeteilt, 
ferner Kuru sowie auch Finsterer (Nr. 4). Uoyer , dessen norwegisch geschriebene 
Arbeit mir nicht im einzelnen verständlich war, hat in der angefügten deutschen 
Zusammenfassung allgemein auf diese Möglichkeit hingewiesen sowie vor allem 
Koennecke, der diese Prädilektionsstelle damit erklärt, daß hier der stärkst fixierte 
Punkt des Zwölffingerdarmes zu suchen ist. 

Durchaus nicht in allen Fällen freilich, die klinisch unter dem Syn¬ 
drom des a. m. D. verlaufen, läßt die autoptische Feststellung überhaupt 
ein greifbares mechanisches Hindernis erkennen. 

Es gilt dies in erster Linie für die mit Beteiligung des obersten Jejunums 
einhergehenden Fälle, bei denen zumeist — wie in unserem Fall 1 — ein derartiger 
Befund vermißt wird. Aber auch bei rein intraduodenaler Passagestörung finden 
sich entsprechende Beobachtungen, So heißt es z. B. von Wichems Fall 1: „Die 
Weite des Duodenums nimmt ganz allmählich ab, und am Übergang der Pars 
horizontalis inferior in das Jejunum fehlt jede Einschnürung.“ 

Von ganz besonderem Interesse ist nun schließlich aber eine letzte 
Gruppe, bei der zunächst tatsächlich das äußere Hindernis der Mesenterial- 
kreuzung zu entsprechen scheint , während der genauere Versuch , die Art 

*) Dtech. med. Wochenschr. 1894, S. 155. 

2 ) Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 146, 421. 1918. 

3 ) Soc. de la Chirurg, de Paris 1905, S. 866. 

4 ) Dtsch. med. Wochenschr. 1917, S. 788. 


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E. Melchior: 


des mechanischen Hindernisses festzusteUen, entweder überhaupt resultat- 
los bleibt oder eine ganz andere Ursache ergibt. 

Zur enteren Gruppe dürften vielleicht die leider nur summarisch erwähnten 
4 Fälle Steinthal# 1 ) „von sog. a. m. D.“ gehören, „in denen die genaue Beobachtung 
ein primäres mechanisches Hindernis an der Radix mesenterii ausschließen ließ“. 
Prägnanter ist eine von Matthes mitgeteilte Beobachtung von akuter Dilatation 
des Magens, die auch das ganze Duodenum beteiligte, bis zum Durchtritt desselben 
unter der Radix mesenterii. „Ein mechanischer Verschluß war aber dort nicht vor¬ 
handen“*). 

Anders lagen die Verhältnisse in einem von Nieden mitgeteilten Sektionsfalle 
(Nr. 2, 1. c.). Bei oberflächlicher Betrachtung hätte man hier dazu kommen 
können, aus der scharfen Begrenzung der Dilatation an der Mesenterialwurzel die 
Ursache in einem durch die letztere verursachten Hindernis zu suchen. Genauere 
Beobachtung lehrte aber, daß ein solches nicht vorhanden war, sondern daß viel¬ 
mehr ein klappenartiger Verschluß am Übergang zur Pars ascendens bestand, mit 
dem Finger gelangte man in diesem Falle leicht unter die GekrösewurzeL Das 
gleiche war in einer von Bloodgood mitgeteilten Beobachtung — intra operationem 
— der Fall, obwohl bei Druck auf das Duodenum keine Flüssigkeit in das Je¬ 
junum übertrat. Es liegt daher gewiß die Vermutung nahe, daß auch hier ein 
ähnlicher Klappenverschluß bestanden haben muß. Und wenn Nieden der An¬ 
sicht ist, daß sich ein Befund wie in seinem Falle bei genauerer Beachtung viel¬ 
leicht noch häufiger feststellen lassen wird, so wird eine solche Vermutung durch 
diese letztgenannte Beobachtung entschieden gestützt. 

Wenn wir nun zunächst von der Genese dieser so ungemein mannig¬ 
fachen anatomischen Passagestörungen absehen und uns auf die Be¬ 
funde selbst beschränken, so ergibt sich aus ihnen wohl ohne weiteres 
die Folgerung, daß die klinische Diagnostik des a. m. D. von vornherein 
unmöglich sein muß. Denn wenn so viele Möglichkeiten des mecha¬ 
nischen Passagehindemisses bestehen, erscheint es natürlich aussichtslos, 
nach einem Symptom zu suchen, das innerhalb dieser zahlreichen 
Varianten gerade für jene seltene Sonderform charakteristisch sein sollte. 
Aber noch darüber hinaus lehren insbesondere die zuletzt genannten 
Beobachtungen, daß selbst der intra operationem erhobene „typische 
Befund “ — d. i. das Aufhören der Duodenalblähung an der Mesenterial- 
Überkreuzung — noch nicht notwendig zu bedeuten braucht, daß tatsächlich 
die Oekrösewurzel selbst das schuldige Hindernis darsteüt. Es gilt dies 
um so mehr, als der kritische Punkt selbst unterhalb der Mesenterial¬ 
platte gelegen ist und beim gewöhnlichen operativen Vorgehen ja 
überhaupt nicht zu Gesicht kommt. Bei Besprechung der sog. chroni¬ 
schen Form werden wir sehen, daß hier ebenfalls ein au »gesprochener 
Formenreichtum der anatomischen Befunde besteht. 

Wer den bisherigen Ausführungen gefolgt ist, wird diese zuletzt 
formulierten Schlußfolgerungen nicht für imbegründet halten. Eine 
solche Skepsis könnte zwar überflüssig erscheinen, wenn es sich beim 

1 ) Zentralbl. f. Chirurg. 1913, S. 600. 

*) Im Original nicht kursiv. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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primären a. m. D. um ein ausreichend begründetes Krankheitsbild 
handelte, dessen Existenz nicht mehr zu erweisen wäre; sie wird aber 
unumgänglich notwendig, da hierfür bisher sowohl die theoretischen 
wie klinischen Grundlagen versagten, jeder neue als hierhergehörig be- 
zeichnete Fall sich also seine Legitimation erst selbst schaffen muß. 

Ganz anders stellt sich dagegen das Bild dar, wenn wir den sog. a. m. D. 
als identisch bzw. als sekundäre Teilerscheinung der akuten Magenatonie 
auf fassen, wie es von einer großen Reihe der Autoren von jeher geschehen ist. 
Aus der Unverständlichkeit der physikalischen Genese, der Inkongruenz 
des klinischen Verhaltens begeben wir uns damit in ein gesichertes 
Terrain, das uns derartige elementare Rätsel nicht mehr aufgibt. Kli¬ 
nisch und experimentell kennen wir die akute Magenlähmung als Folge 
narkotischer Einwirkungen, traumatischer Einflüsse, sei es in Gestalt 
grober Kontusionen, wie etwa in den von Kochino (bei Kuru) sowie von 
Tuffier 1 ) mitgeteilten Fällen, sei es auch nur durch längeres operatives 
Manipulieren an diesem Organ bzw. am übrigen Verdauungstraktus 
bedingt. Ferner ist ätiologisch zu nennen die akute Überdehnung durch 
gärfähige Substanzen, ein Vorgang, für den neuere Beispiele durch 
Finsterer und Brunzel mitgeteilt wurden. Toxische Einflüsse werden 
gern angeschuldigt, wenn sich das Krankheitsbild im Anschluß an schwere 
Infektionen entwickelt — wobei einerseits etwa der Typhus zu nennen 
ist, ebenso aber auch septische Erkrankungen ( Routier, Walther 2 ), ins¬ 
besondere im Gefolge schwerer Wundinfektionen. Beobachtungen an 
Kriegsverletzten von Wortmann, Wagner, Vogel, Reinhard u. a. dürften 
wohl mit hierhergehören. Die bekannte Bedeutung, welche die An¬ 
wendung von Tampons in dieser Hinsicht besitzt — insbesondere nach 
Eingriffen am Gallensystem — legen zum Teil die Vermutung eines 
reflektorischen Charakters der Atonie nahe, zumal eine direkt mechanische 
Wirkung hierbei gewiß nicht immer in Betracht kommt. Das in diesen 
Fällen nicht selten völlig fehlende Erbrechen, trotz maximaler Dilatation, 
überhaupt die Eigenart des Erbrechens, das oft mehr einem Überfließen, 
einem ohne Anstrengung erfolgenden „Ausspucken“ entspricht als dem 
typischen Vomitus etwa bei organischer Pylorusstenose, wird bei einer 
solchen Voraussetzung ohne weiteres verständlich. Die Störung der 
Mageninnervation steht also in solchen Fällen offenbar im Vordergründe; 
die älteren hierher gehörigen Beobachtungen von Kausch als Komplikation 
spinaler Querschnittslähmungen, die neuere von Waltz 3 ) bei Heine- 
Medinscher Krankheit werfen auf diese Verhältnisse ein deutliches Licht. 
.Ich erinnere ferner an Küttners 4 ) Beobachtung einer akuten Magen- 

l ) Bull, de la aoc. d. Chirurg. , de Paria 1905, S. 1033. 

*) L. c., S. 987. 

®) Berl. klin. Wochenschr. 1921, S. 667. 

4 ) Chirurgen-Kongreß 1908, 1, 137. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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E. Melchior: 


dilatation nach Thoraxresektion, wobei sich der Vagus in Schwielen 
eingebettet fand, sowie an einen ähnlich gedeuteten Fall Hocheneggs 1 ) 
(SchußVerletzung des intrathoracischen Oesophagus). Ploos van Anutd 
spricht in dieser Beziehung sogar von „neurotischem a. m. D.“, doch 
ist die Bezeichnung insofern irreführend, als ja das mechanische Moment 
meist völlig fehlt oder höchstens nur als wahrscheinlich unwesentlicher 
sekundärer Faktor hinzutritt. Wenn nach Reinhard diese Erkrankung 
sogar sehr häufig solche Menschen befällt, die sich „speziell bei Prüfung 
des vegetativen Systems als neuropathische Individuen erweisen“, so 
habe ich mich vergebens nach einer objektiven Begründung dieser Be¬ 
hauptung umgesehen. — Von vornherein würde nun die Einordnung des 
a. m. D. unter diese Rubrik sicherlich geringerem Widerstande begegnet 
sein, wenn nicht hierbei die Lähmung des Magens meist allzu einseitig 
in den Vordergrund gestellt worden wäre. Für die große Mehrzahl der 
Fälle handelt es sich aber zweifellos nicht um eine isolierte Magenatonie, 
sondern namentlich auch das Duodenum ist hierbei in geringerer oder 
größerer Ausdehnung mitbeteiligt. Ich hatte deshalb seinerzeit auch die 
Bezeichnung der Atonia gastro-duodenalis acuta für dieses Krankheits¬ 
bild vorgeschlagen und erfreue mich hier der ausdrücklichen Zustimmung 
Niedens, der zur Erklärung dieses Verhaltens eine zusammenhängende 
nervöse Versorgung von Magen und Duodenum annimmt. Dagegen geht 
Reinhard — der mich hierbei übrigens mit keinem Wort nennt — wohl 
entschieden zu weit, wenn er jede neurogene Dilatatio ventriculi acuta 
mit einem „motorischen Ausfall im Duodenum (Atonie, Paralyse)“ 
gepaart sein läßt, wie sich ohne weiteres aus den nicht ganz seltenen 
Beobachtungen (vgl. oben) ergibt, wo die Magenblähung scharf am 
Pylorus aufhört. Daß dagegen andererseits auch das Jejunum in 
wechselnder Weise an der Parese beteiligt sein kann, wurde bereits mit 
Beispielen belegt, und schließlich gibt es zweifellos auch Fälle, bei denen 
die Magenlähmung nur Teilerscheinung einer den gesamten subdiaphrag¬ 
matischen Verdauungstraktus betreffenden Paralyse bildet. Namentlich 
bei der diffusen eitrigen Peritonitis dürfte dies dem häufigsten Typus 
entsprechen. Ebenso nun, wie die Magenlähmung isoliert auf treten kann, 
ist dies wahrscheinlich aber auch für das Duodenum möglich, obwohl 
sekundär meist wohl auch der Magen selbst hierbei seinen Tonus ver¬ 
lieren dürfte. Soweit ich sehe, hat Hoyer zuerst auf diese gewiß plausible 
Möglichkeit hingewiesen, wobei er speziell eine Paralyse der Pars tertia 
duodeni annimmt, bei deren Blähung es dann — ähnlich wie es bereits 
an früherer Stelle geschildert wurde — zu einem Knick- oder Falten¬ 
verschluß am Übergang zur Flexura duodenojejunalis kommen kann. 
Die Annahme einer derartig anfänglich isolierten tiefen Duodenalatonie 
würde damit auch ein Licht auf diejenigen seltenen Fälle werfen, bei 
1 ) Wien. klin. Wochenechr. 1912, Nr. 36. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


667 


denen tatsächlich der Magen nicht dilatiert gefunden umrde; ebenso ist klar, 
daß in diesem Stadium das Anlegen einer G.E. von Nutzen sein kann. 

Möglicherweise gehört hierher ein von Wortmann mitgeteilter Fall, bei dessen 
Operation der Magen nur bis zum Nabel reichte, das Duodenum enorm dilatiert 
war. Nach G. E stellte sich die Darmpassage wieder her, doch erlag der Pat. einer 
Pneumonie sowie allgemeiner Entkräftung am 6. Tage. Bei der Autopsie fand 
man den Magen nicht vergrößert, das Duodenum jedoch bis zum Übergang in das 
Jejunum mächtig aufgebläht. — Von einer Mesenterialkompression ist im Proto¬ 
koll nicht die Bede, obwohl — mit Rücksicht auf den sohlechten Allgemeinzustand 
— eine Reposition des Dünndarms nicht stattgefunden hat. 

Daß sekundäre Knickverschlüsse in ähnlicher Weise, wie es Hoyer 
für die isolierte Beteiligung Pars tertia duodeni angenommen hat, 
bei den verschiedenartigen Formen der Magen-Duodenalparalyse als 
ein der Spontanrestitution hinderlicher Faktor hinzutreten können, ist 
ohne weiteres begreiflich. Von pathologisch-anatomischer Seite hat 
Simmonds hierauf hingewiesen. Einzelbeispiele für diesen Hergang 
wurden schon an früherer Stelle mitgeteilt; Keüing, Kayser u. a. 
haben experimentell die MögÜchkeit derartiger Sekundärstörungen, die 
ja auch von sonstigen Formen des Heus her bekannt sind und von dem 
Begriff des ,, Wringverschlusses“ wohl nicht immer scharf zu trennen 
sind, erwiesen. Fraglich bleibt es freilich , ob diese Knickverschlüsse auch 
bei rationellem therapeutischen Vorgehen eine selbständige Bedeutung be¬ 
sitzen; persönlich möchte ich das im allgemeinen nicht glauben, doch 
handelt es sich dabei mehr um Vermutungen, als daß man diese An¬ 
schauung exakt beweisen könnte. Aber auch direkt vermag der oft 
gewaltig gefüllte Magen sicherlich einen die Passage erschwerenden 
Druck auf das Duodenum selbst auszuüben, wie das z. B. L. Meyer 1 ) 
in seinem Fall angenommen hat. Ebenso ist es m. E. aber auch zweifellos 
denkbar, daß der sich dilatierende Magen den Dünndarm in das kleine 
Becken drängt, die Mesenterialwurzd strafft und dadurch indirekt eine 
gewisse Kompression des Duodenums herbeifuhrt. Jedenfalls verstehe ich 
nicht, warum z. B. Reinhard einen solchen Vorgang für absolut „un¬ 
möglich“ erklärt. Freilich bleibt es hierbei sehr fraglich, ob ein derartig 
„sekundärer a. m. D.“ eine selbständige Bedeutung zu gewinnen vermag, 
denn auch unter solchen Umständen ist die Abschnürung niemals so 
beträchtlich, daß es zu den Zeichen echter Strangulation kommt. 

Gegen eine derartige Identifizierung des a. m. D. mit der akuten gastro- 
duodenalen Atonie hat nun v. Höherer außer den früher besprochenen 
Gründen schließlich auch noch den angeführt, daß im klinischen Verhalten 
meistens wesentliche Differenzen zwischen beiden Formen bestehen. 

Diese beziehen sich einerseits auf die Art des Beginnes, ferner auf die 
Wirkung der Ausheberung, den Einfluß der Schnitzlerschen Lage sowie 
nicht zuletzt schließlich auf die Prognose. 

x ) Virchowß Arch. f. pathol. Anat. u. Phyaiol. 115 , 326. 1889. 

43* 


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1668 


E. Melchior: . - 


„Wahrend die akute Magendilatation fast regelmäßig schleichend 
einzusetzen pflegt, tritt der a. m. D. fast ebenso regelmäßig ganz akut 
oft unter kollapsartigen Symptomen in die Erscheinung“ (t;. Höherer ). 
Nach Reinhard gilt dies sogar für den komplizierenden sekundären 
a. m. D. bei primärer Atonie: „Das anfängliche günstige Krankheitsbild 
ändert sich mit einem Schlage, starke Schmerzen, sichtbarer Verfall 
und rapide Veränderung des Pulses in seiner Frequenz und Qualität 
kündigen dies an.“ Jeder „auf diesem Gebiet Erfahrene“ ist daher 
diesem Autor zufolge bei genauer Beobachtung in der Lage, klinisch 
festzustellen, „wann der Abschluß im Duodenum einsetzt oder voll¬ 
ständig geworden ist“. 

Leider stimmen jedooh die tatsächlichen Verhältnisse mit diesen 
Angaben durchaus nicht Übereim Denn als typisch bezeichnet Fälle von 
a. m. D. können klinisch einen durchatt schleichenden Beginn zeigen, 
während andererseits die akute Magendilatation nicht selten unter jenen 
stürmischen Erscheinungen einsetzt , die für den Dttodenalüeus charak¬ 
teristisch sein soll. 

Um* diese Behauptung zu belegen, dürften einige der Literatur entnommenen 
Angaben nicht zu entbehren sein. So läßt"unter den. als a*.m. D. mitgeteilten 
Beobachtungen beispielsweise Reinhards Fall 4 einen akuten Beginn vermissen. 
Es heißt dort ? Tage nach Cholecystektomie: „Heute mehrmaliges grünliches 
Erbrechen in kleinen Mengen, Leib weich, nicht aufgetrieben, wenig druck¬ 
empfindlich. Auf Darmrohr und Klysma Flatus. Puls etwas frequent aber gut 
gefüllt.“ Ähnlich fliegt Fallß des gleichen Autors, wo die ersten Erscheinungen 
4 Tage nach Naht eines perforierten Magengeschwüres (bei gleichzeitiger G. E!) 
einsetzen. Das gleiche gilt für seinen Fall 7, wo sich das Syndrom 5 Tage nach 
Redressement eines contracten Hüftgelenkes in Narkose entwickelt. „Heute 
plötzlich Auftreten von galligem Erbrechen in kleinen Portionen, welches das 
Allgemeinbefinden wenig-stört.“ Ein ähnliches Bild ergibt sich aus den von Vogel 
mitgeteilten Fällen 1, 2 und 4. Vor allem aber auch läßt der 1917 von v. Höherer 
mitgeteilte Fall von a. m. D. sowohl einen akuten Beginn wie auch jede stürmische 
Entwicklung, vermissen. 

Andererseits finden sich dagegen nicht wenige Fälle von Magen- bzw. 
gastroduodenaler Atonie, deren klinische Zeichen durchaus jenen ent¬ 
sprechen, wie sie v. Höherer gerade als charakteristisch für den a. m. D. 
bezeichnet hat. , 

So teilt Euru einen von Qhmoru beobachteten Fall mit, bei dem sich die 
Erscheinungen im Anschluß an Überißdung des Magens entwickelt hatten und 
auch der übrige Verlauf — Heilung nur mittels Magenspülungen — einen 
a. m. D. wohl mit Sicherheit auszuschließen gestattet. Der Beginn erfolgte hier 
mit „heftigen Magensohmerzen“. Überhaupt scheint ja gerade für diese Genese 
der akuten Magendilatation ein solches klinisches Verhaltet! geradezu charak¬ 
teristisch zu sein. So heißt es irr einem derartigen Falle Finsterers (L c. Nr. 3): 
„3 Stunden nach einem sehr reichlichen Mittagessen (Kohl und Rüben) plötzlich 
Übelkeiten, Schweißausbruch, Brechen“; ähnliche vielleicht nöch prägnantere 
Beobachtungen hat Brunzel mitgeteilt und hebt am Schlüsse seiner Mitteilung 
hervor, daß durch Genuß reichlicher roher und nicht gapz einwandfreier Vege- 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 669 

tabilien unter bestimmten Umständen durch rapid einsetzende Gärungsvorgänge 
das vollkommene Bild eines Ileus entstehen kann mit oft ganz enormer Auf* 
treibung des Leibes und „heftigen akut einsetzenden Schmerzen“. 

Im Grunde kann dies ja auch nicht überraschen, denn da selbst bei 
den Anhängern des primären a. m. D. neuerdings die Vorstellung über¬ 
wiegt, daß es sich nur um eine milde Duodenalkompression handelt, 
wäre ja nicht einzusehen, warum eine derartige leichte Obturation 
klinisch die Zeichen einer akuten Strangulation — denn nicht anderes 
ist das von v. Höherer gezeichnete Bild aufzufassen — hervorrufen sollte. 
Daß andererseits eine starke Blähung des Magens, wie es die akute 
Atonie charakterisiert, schmerzhaft sein kann, erscheint begreiflich, 
wenn man sich das unangenehme Spannungsgefühl vergegenwärtigt, 
das häufig schon die vorsichtige diagnostische Luftfüllung des Magens 
hervorruft. Außer einer Einwirkung auf die nervösen Elemente inner¬ 
halb der Organwandung selbst dürfte hierbei die bei stärkerer Dilatation 
stattfindende Zerrung der Ligamente ursächlich in Betracht kommen. 
Wie rasch vollends eine selbst hochgradige paralytische Magenblähung 
eintreten kann, eigibt sich aus einer Beobachtung von Richardson 1 ), 
wo sich diese geradezu momentan bei Eröffnung der Bauchhöhle unter den 
Augen des Operateurs entwickelte. Über eine entsprechende eigene 
Beobachtung dieser Art hat Novak 2 ) Mitteilung gemacht, wobei vielleicht 
noch bemerkenswert ist, daß beide während Beckenhochlagerung ein¬ 
traten. 

Ebenfalls mit heftigen Koliken beginnt die Störung bei einem von Kuru 
mitgeteüten Falle von Mizoguchi. Das Bestehen einer G. E. sowie der Sektions¬ 
befund („ein Teil des Duodenums auch etwas meteoristisch“) schließen hier den 
a. m. D. ohne weiteres aus. Ähnlich gestaltet sich das Syndrom bei einem eigenen 
Falle Kurus (1. c. S. 180), bei dem die Sektion eine Abknickung an der Flexura 
duodenojejunalis ergab. 

Wie rasch ferner ein schwerer Kollaps bei reiner Atonie einsetzen kann, lehrt 
unser eingangs mitgeteüter Fall 1. 

Ich glaube, daß diese Beispiele, die sich noch vermehren ließen, 
wohl ausreichen, um den Beweis zu liefern, daß auf Grund des mehr plötz¬ 
lichen oder mehr allmählichen Beginnes bzw. des weiteren Verlaufes eine 
nur irgendwie sichere klinische Unterscheidung zwischen dem a. m. D. 
und der Atonia gastrica bzw. gastroduodenalis acuta nicht zu treffen ist. 

Daß auch der therapeutische Effekt der Schnitzlerschen Lagerung hier 
keine differentialdiagnostische Sonderung ermöglicht, wurde an früherer 
Stelle bereits begründet. Denn sie kann einerseits im Erfolg versagen bei 
Fällen, die als typisch zum a. m. D. gerechnet werden, während sie 
andererseits in Fällen von reiner Atonie erfahrungsgemäß oft wirkungs¬ 
volle Hilfe zu bringen vermag. 

1 ) Ref. bei Ploos van Amstel. 

*) Joum. of the Americ. med. assoc. TT, 81. 1921. 


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E. Melchior: 


Als ein letztes differentialdiagnostisches Symptom zur Abgrenzung 
des a. m. D. von der Magendilatation hat schließlich v. Haberer die 
Reaktion des Pulses auf die Magenausheberung genannt. Während diese 
Maßnahme bei der reinen Atonie einen wesentlichen Rückgang der stets 
gesteigerten Pulszahl zur Folge hat, vermag beim a. m. D. „die künst¬ 
liche Magenentleerung ... die Pulsfrequenz so lange nicht zu beeinflussen, 
bis nicht der Verschluß behoben ist“. Hiergegen hat schon Wortmann 
eingewendet, daß die „Entlastung des Magens auch beim a. m. D. eine 
Besserung des Pulses zur Folge haben kann“. Im Falle von Bloodgood, 
der nach allgemeiner Anschauung als Typus des a. m. D. gelten könnte, 
heißt es ebenfalls ausdrücklich nach der Magenauswaschung: „The 
distension rapidly disappeared, his pulse improved and he said he 
was more comfortable.“ Eine eingehende Biskussion über diese Frage 
könnte übrigens illusorisch erscheinen, da außer den von t?. Haberer 
beobachteten Fällen nach Finsterer „zu wenig brauchbare Fälle vor¬ 
handen [sind], die dieses wichtige Unterscheidungsmerkmal bestätigen 
könnten“. Wenn man sich aber auf den Standpunkt stellt, daß eine 
deutliche Besserung des Allgemeinzustandes auch wohl auf das Ver¬ 
halten des Pulses nicht ganz ohne Einfluß bleiben dürfte, so bieten sich 
immerhin eine Reihe analoger Erfahrungen, die sehr wesentlich gegen 
die Brauchbarkeit dieses differentialdiagnostischen Kriteriums sprechen. 
Denn in allen Fallen von Ileus, die mit starker Rückstauung einhergehen, 
— außer etwa sub finem vitae oder bei stärkster Strangulation (wovon 
hier natürlich nicht die Rede sein kann) —, ist die Wirkung der Magen¬ 
ausheberung gewöhnlich eine außerordentlich 'prompte, und zwar selbst 
noch bei peritonitischer Magenblähung, worauf Reynier 1 ) bei dieser 
Gelegenheit hinwies. Biese — unter solchen Umständen natürlich nur 
zeitweilige — Besserung kann sogar so ausgesprochen sein, daß es 
vorkommt, daß Patienten, die vorher zur Operation drängten, nach 
erfolgter Vorbereitung sich wieder so wohl fühlen, daß sie in ihrem 
Entschlüsse wankend werden. Ich glaube, daß wohl jeder Chirurg 
gelegentlich derartige Erfahrung gemacht hat. Es ist daher bezeichnend, 
wenn Rydygier vor längerer Zeit geradezu auf die Gefahren der Magen¬ 
ausheberung bei „inneren Barmeinklemmungen“ hinwies, da sie Arzt 
und den Patienten über die Gefährlichkeit der Sachlage zu täuschen 
vermag und dadurch Schuld daran trägt, wenn die richtige Zeit zur 
Operation versäumt wird*). 

Wie sehr aber das v. Haberersche Prinzip die Denkweise mancher 
Autoren beherrscht, ergibt sich sehr anschaulich aus einem von Rein¬ 
hard mitgeteilten Falle (1. c., Nr. 3): 


x ) Soc. de Chirurg. 1905, S. 1039. 
2 ) Cbirurgen-Kongreß 1887, 2, 32. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


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2 Tage nach operativem Eingriff setzt plötzlich Erbrechen grünlicher Massen 
ein. „Die Magenausheberung mit nachfolgender Dauerdrainage beeinflußte das 
subjektive Befinden und speziell die Pulsfrequenz sofort günstig..nach zeit¬ 
weiliger Intermission erfolgte ein stürmisches Rezidiv („keine Darmtätigkeit 
nachweisbar“); erneutes Aushebern hat auf das Befinden keinen Einfluß. Tod. 
Sektion: Hochgradige Magenblähung, „starke Ektasie des Anfangsteiles 1 ) des 
Duodenums“. Abklemmung der Pars inferior duodeni (a. m. D.). 

Diese ungleiche Reaktion auf die Ausheberung führt naturgemäß 
den Autor epikritisch zur Konsequenz, zunächst eine Dilatatio ventriculi 
acuta anzunehmen, wobei erst nach 14 Tagen „die duodenale Ab¬ 
schnürung“ vollständig wurde. Eine Erklärung, warum bei dieser an¬ 
genommenen tiefen Duodenalkompression nur der „Anfangsteil“ des 
Duodenum ektatisch war, unterbleibt leider. — 

Ein letzter Punkt, in dem sich der a. m. D. von der akuten Magen¬ 
lähmung diametral unterscheiden soll, bildet für v. Höherer die Prognose. 
„Die akute Magendilatation beweist ihren meist gutartigen Charakter 
dadurch, daß sie sich in der Mehrzahl der Fälle spontan zurückbildet; 
jedenfalls aber so gut wie immer durch rechtzeitig vorgenommene 
Magenausheberung und Magenausspülung zu bekämpfen ist.“ „Dem¬ 
gegenüber stellt sich das ganze Krankheitsbild beim a. m. D. viel ernster 
und hartnäckiger dar.“ Auch für Reinhard gestaltet sich die Prognose 
des a. m. D. „durchweg sehr ernst“, während die akute Magenerweiterung 
,4ast durchweg günstig verläuft“. Andererseits lesen wir bei Ploos van 
Amstel, daß die Schnitzlersche Therapie den a. m. D. „zu einer un¬ 
gefährlichen Affektion machte“, eine Angabe, die einigermaßen be¬ 
fremdlich erscheint, da — wie bereits an früherer Stelle ausgeführt — 
diese Art der Behandlung doch recht häufig versagt. Im übrigen aber 
kann die von v. Höherer angenommene Gutartigkeit der Atonie, die 
sich meist spontan zurückbilden soll, wohl nicht unwidersprochen 
bleiben. Im Gegenteil bin ich durch vielfältige Erfahrung zu der Ansicht 
gelangt, daß insbesondere die postoperative gastrische Atonie, wenn 
sie nicht im ersten Beginn richtig erkannt und zielbewußt behandelt 
wird, eine sehr gefährliche Komplikation darsteUt, und gar in vorgeschritte¬ 
nen Stadien gehören Heilungen m. E. zu den größten Seltenheiten. 
Die zahlreichen in der Literatur niedergelegten Todesfälle dürften dies 
wohl hinreichend erläutern; ich verweise hierzu auch noch auf unseren 
eingangs mitgeteilten Fall 3. Überhaupt sind die namentlich früher 
nicht so seltenen, aber auch heute noch nicht gänzlich von der Bild¬ 
fläche geschwundenen Todesfälle an „Circulus“ nach G. E. sicher zum 
großen Teil auf Atonie zurückzuführen, während ein a. m. D. unter 
diesen Umständen begreiflicherweise überhaupt nicht in Betracht 
kommen kann. Daß auch von anderer Seite dieser Standpunkt v. Ha- 
berers keine Zustimmung findet, ergibt sich beispielsweise aus Finsterers 
1 ) Im Original nicht durch andere Schrift hervorgehoben. 


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E. Melchior: 


Satz: „Nach meinen Erfahrungen halte ich die primäre Magendilatation, 
die durch Atonie bedingt ist, für viel ernster als reinen Duodenalverschluß 

Wir sehen also, daß alle die Merkmale, welche in anscheinend so 
prägnanter Weise zu Unterscheidungen zwischen diesen nur mühevoll 
getrennten Krankheitstypen aufgestellt sind, bei näherer Betrachtung 
sich in nichts verflüchtigen, und man fragt sich daher, ob klinisch wohl 
überhaupt eine derartige Differenzierung möglich ist. Ich möchte hierbei 
von Wiederholungen absehen und nur darauf hin weisen, daß wir nach 
Finsterer nur selten in der Lage sind „den primären a. m. D. von der 
akuten Magendilatation mit Sicherheit zu unterscheiden“. 

Tatsächlich hat aber auch v. Höherer selbst bereits die Identität 
beider Krankheitsformen, von denen auch Koennecke neuerdings er¬ 
klärt, daß sie „ätiologisch trotz aller dahinzielender Versuche nicht 
scharf zu trennen“ sind, im Prinzip wenigstens anerkannt, denn wir 
lesen in seiner letzten Mitteilung vom a. m. D.: „Zudem wird es gewiß 
keinem der Verfechter dieses Krankheitsbildes einfallen zu behaupten, 
daß es bei ganz normalem gesunden Darmkanal einfach durch das 
Hintersinken des Dünndarmkonvoluts in das kleine Becken eintritt. 
Immer gehört doch dazu das pathologische Verhalten gewisser Magen¬ 
darmabschnitte bzw. des ganzen Magendarmtraktus, mag dasselbe in 
vorübergehender Atonie einzelner Abschnitte oder in der absolut zu 
hohen Überlastung solcher bestehen.“ „Wenn von den Anhängern der 
akuten Magendilatation diese Ausführungen so gedeutet werden sollten,“ 
fährt v. Höherer dann fort, „daß damit ja doch ein primär krankhafter, 
in den meisten Fällen atonischer Zustand des Magen-Darmtraktus zu¬ 
gegeben wird, so handelt es sich um einen Streit um Worte.“ Tat¬ 
sächlich bedarf es aber dazu einer besonderen „Deutung“ wohl nicht 
erst, denn der erste Satz v. Haherers ist ja absolut klar und unmi߬ 
verständlich gefaßt. Andererseits scheint mir hier der Ausdruck „Streit 
um Worte“ nicht ganz dem Sprachgebrauch zu entsprechen, da hier 
doch mit den Worten ganz eindeutige Begriffe verbunden werden. 
Auch der Satz: „Gewisse Prämissen gehören eben zu jedem patho¬ 
logischen Zustand“, mit dem v. Höherer diese Ausführungen ergänzt, 
dürfte wohl schwerlich irgend jemals ernsthaft bestritten worden sein. 

Ein tvesentlicheres Argument freilich gegen die vollständige Identifi¬ 
zierung des a. m. D. mit der akuten gastroduodenalen Atonie bilden die 
spärlichen Fälle, in denen die Anlegung einer O. E. Heilung zu erbringen 
schien. Denn bei völliger Atonie kommt naturgemäß auch der breitesten 
Anastomose nicht die Bedeutung einer selbständigen Entleerungs¬ 
vorrichtung zu. Wenn wir uns auf die Fälle von akutem sekundären 
a. m. D. beschränken, so sind derartige Beobachtungen sehr spärlich. 

Es gehört hierher zunächst eine als akute Magendil&tatdon“ leider nur kur¬ 
sorisch mitgeteilte Beobachtung von Lanz, bei der nach in Lokalanästhesie aus- 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


673 


geführter G. E. Heilung eintrat. Außer der vom Autor selbst gewählten Bezeichnung 
dürfte jedoch gegen die Zugehörigkeit zum a. m. D. auch schon die Tatsache 
sprechen, daß ein mechanisches Hindernis offenbar fehlte, zumal es im Texte 
heißt: „Der ballonförmig aufgetriebene Magen ließ sich leicht in den Darm aus- 
drticken.“ 

Zur Skepsis mahnt auch eine weitere Beobachtung Stierlins „ da hier der 
Mageninhalt gallenfrei war, anscheinend auch nur der Anfangsteil des Duodenums 
dilatiert gefunden wurde bei Gegenwart von Adhäsionen an Leberhilus und 
Gallenblase. Für die Anhänger des primären a. m. D. dürfte überdies das negative 
Resultat der Umlagerung nach Schnitzler ein weiteres Argument nach dieser 
Hinsicht hin abgeben. 

In dem von v. Höherer 1917 mitgeteilten Falle, der eine operative Vereinigung 
der geraden Bauchmuskeln — wegen Rectusdiastase — bei einer „sehr mageren 
und abgemagerten“ Frau betrifft, wäre schließlich noch an eine weitere Möglich¬ 
keit zu denken. Die Vereinigung geschah unter einer Spannung, die als außerordent¬ 
lich stark bezeichnet wird. „Nach vollendeter Naht zeigt das Abdomen in Nabel¬ 
höhe eine starke quere Einziehung und ist im ganzen sehr gespannt.“ Bei der 
Relaparotomie ist der Magen, der auscultatorisch Zeichen von Peristaltik gegeben 
hatte, nicht dilatiert, leer, ebenso ist „das Abdomen leer, vordere Bauchwand der 
hinteren sehr genähert, nur durch wenige ganz leere Darmschlingen von ihr ge¬ 
trennt“. Unter solchen Umständen scheint mir aber die Annahme durchaus dis¬ 
kutabel zu sein, daß durch die von der Rectusplastik ausgeübte Taillenschnürung 
der vor der Wirbelsäule befindliche untere Duodenalabschnitt tatsächlich eine 
Kompression erlitt, während eine seitlich von der Wirbelsäule angelegte G. E. 
wohl funktionieren könnte. Möglicherweise wäre auch der in diesem Falle be¬ 
obachtete Ikterus, der ja sonst nicht zum Syndrom des a. m. D. gehört, auf eine 
derartige mechanische Störung zurückzuführen. Auch hier versagte im übrigen 
die Lagerungstherapie nach Schnitzler vollkommen. 

Eine entschiedene Sonderstellung scheint mir ferner auch der von Tschudy 
mitgeteilte Fall einzunehmen, bei dem sich der „a. m. D.“ nach Magenresektion 
(BiUroth I-Kocher) entwickelt hatte und nach nachträglicher G. E. in Heilung 
ausging. Hier lagen nämlich von vornherein abnorme Verhältnisse vor, indem 
schon bei der ersten wegen Ca. pylori vorgenommenen Operation nicht nur — 
wie ohne weiteres verständlich — der Magen hochgradig gebläht war, sondern 
auch eine „auffallende Dilatation des Duodenums gefunden [wurde]; dasselbe 
hatte einen Durchmesser von ca. 7 cm“. Es dürfte hier also naheliegen, ein chroni¬ 
sches mechanisches Passagehindemis anderer Art anzunehmen, wahrscheinlich 
ein sog. idiopathisches Megaduodenum , das funktionell wohl ebenfalls nicht ab 
vollwertig betrachtet werden kann 1 ). 

Weniger Anlaß zur Kritik bietet freilich der Fall von Ranzel , obwohl 
auch hier auffällt, daß die Anvoendung der Schnitzlerschen Lagerung 
nicht zum Ziele führte . Immerhin gebe ich gern zu, daß — hiervon 
abgesehen — der Fall gut in den Rahmen der mechanischen Theorie 
des a. m. D. hineinzupassen scheint. Da aber in allen anderen Punkten 
diese Lehre versagt, so dürfte es zunächst wohl immer noch das Rich¬ 
tigere sein, hier an die Möglichkeit noch andersartiger intra Opera¬ 
tionen! nicht kenntlich gewordener Störungen zu denken, als um eines 
Falles willen die auf Grund zahlreicher anderer Tatsachen überein¬ 
stimmend gewonnenen Erkenntnisse mit leichter Hand wieder als null 

*) Vgl. Melchior, Chirurgische Beiträge zur Duodenalpathologie II. 


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674 


E. Melchior: 


und nichtig aufzugeben. Denn tatsächlich gewinnt man aus der Ge¬ 
samtheit der Literatur und nicht zuletzt auf Grund der Lehre vom 
chronischen a. m. D. — siehe Abschnitt B — den entschiedenen Ein - 
druck, daß die Möglichkeiten einer Beeinträchtigung der Duodenal¬ 
passage viel zahlreicher sind, als im allgemeinen bisher angenommen 
wurde. Kayser hat es andererseits direkt ausgesprochen, daß wir seines 
Erachtens „den so häufig nachgewiesenen, aber in seiner Genese un¬ 
verständlichen a. m. D. in vielen Fällen als einen scheinbaren, aus Be¬ 
obachtungsfehlem zu erklärenden ansprechen dürfen“. So würde bei¬ 
spielsweise ein in Höhe der Duodenojejunalgrenze lokalisierter Entero- 
spasmus zweifellos entschieden das dem hypothetischen primären 
a. m. D. zugeschriebene anatomische Verhalten hervorrufen können, 
um so mehr, als bei der operativen Freilegung unter solchen Umständen 
der Spasmus bereits gewichen sein kann — vielleicht unter dem Einfluß 
der Narkose. Ein Hinweis auf diese Möglichkeit liegt jedenfalls um so 
näher, als Pototschnig 1 ) einen ähnlichen Fall dieser Art mitgeteilt hat, 
bei dem auch klinisch an die Möglichkeit des a. m. D. gedacht worden 
war. 

Im übrigen bedeutet aber schließlich eine rasch ausgeführte G. E. 
bei einem atonischen Magen doch auch noch nicht ohne weiteres ein 
Todesurteil, wenn nur die übrige Therapie — insbesondere die Aus¬ 
heberung in zweckmäßiger Körperlage — energisch durchgeführt wird. 
Es wäre dementsprechend wohl denkbar, daß eine G. E. auch in unserem 
Falle 1 oder etwa in dem von Rhode mitgeteilten keine fatalen Folgen 
gezeitigt hätte. Daß aber unter solchen Umständen dann leicht der 
G. E. eine Wirkung zugeschrieben würde, die ihr in Wirklichkeit nicht 
zukommt, liegt auf der Hand. Einen direkten Nutzen kann aber die 
G. E. tatsächlich selbst bei atonischen Zuständen gelegentlich dann ge¬ 
währen, wenn die Form des Magens für die Entleerung ungünstig ist. 
Ein von Heile mitgeteilter Fall von akuter Magendilatation nach 
CarcinomreSektion Biüroth I mit schwerster Beeinträchtigung des All¬ 
gemeinzustandes dürfte hierher gehören. 

Bei der Relaparotomie bildete der erweiterte Magenreet einen herabhängenden 
Blindsack bei hoch an der Leber fixiertem Pylorus. Die Entleerung scheiterte 
offenbar an dem Unvermögen, die nötige Hubhöhe aufzubringen, obwohl sich der 
Ausgang als permeabel erwies und eine geringe Passage (Carminpillen) auch 
tatsächlich erfolgt war. Auch diese Beobachtung spricht also weiterhin dafür, 
daß bei dem Bilde der akuten Magenlähmung eine totale Paralyse — vgL S. 659 — 
nicht immer zu bestehen braucht. 

Am Ende dieses Abschnittes kann ich schließlich nicht umhin, auf 
einen von v. Höherer ausgesprochenen Satz einzugehen, welcher diesem 
nun schon so vielseitig diskutiertem Thema noch eine neue — gewisser¬ 
maßen ethische Seite abgewinnt: „Es ist freilich bequemer, ähnliche 

l ) Dtsch. Zeitschr. f. Chirurg. 1S4, 303. 1920. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


675 


Krankheitsbilder unter einem Hute zu vereinigen, doch hat der Arzt 
die Pflicht, den pathologisch-anatomischen Verhältnissen Rechnung zu 
tragen, auch wenn er sich in schwierigen Situationen befindet. Es ist 
dies aber schon deshalb notwendig, weil die beiden Prozesse (akute 
Magendilatation und a. m. D.) ganz verschiedene Prognosen geben.“ 
Das Bekenntnis zum primären a. m. D. wird damit gleichsam zur sitt¬ 
lichen Forderung erhoben. Daß jedoch tatsächlich jener prognostische 
Unterschied durchaus anfechtbar ist, ja von manchen Autoren geradezu 
in sein Gegenteil verkehrt wird, haben wir bereits erörtert, und auch die 
anatomischen Verhältnisse dürften wohl im Voranstehenden ausreichende 
Würdigung erfahren haben, wenn freilich auch die daraus gezogenen 
Folgerungen etwas anders lauten als bei den Vertretern des primären 
a. m. D. Und wer sich schließlich die Mühe genommen hat, den mä¬ 
andrischen Grängen, welche die Diskussion über diesen Streitpunkt ein¬ 
geschlagen hat, zu folgen, wird finden, daß es nicht gerade eine bequeme 
Aufgabe ist, an Hand der Tatsachen zu einer einheitlichen Auffassung 
beider als verschiedenartig hingestellter Krankheitstypen zu gelangen. 
Aber auch ganz abgesehen von diesen sachlichen Gesichtspunkten 
scheint mir eine derartige Argumentierung in einer rein verstandes¬ 
mäßig erfaßbaren Frage nicht gerade besonders glücklich gewählt 
zu sein. 


B. Chronische Formen. 

(Mit 1 Abbildung.) 

Die Darstellung dieses Abschnittes gestaltet sich wesentlich kürzer, 
da mir eigene Erfahrungen hierüber völlig fehlen, obwohl — namentlich 
nach Angaben der neueren amerikanischen Literatur [CVotwe 1 )] — dieses 
Krankheitsbild sehr häufig sein soll, wie sich auch schon aus der großen 
Zahl operativ behandelter Fälle ergibt, die von einzelnen Autoren — 
Wilhie*), Kellogg*) u. a. — mitgeteilt worden ist. 

Historisch*) geht der Begriff des chronischen a. m. D. auf OUnard 
zurück, der in diesem Mechanismus sogar einen geradezu 'physiologischen 
Vorgang erblickte, der den „Zweck“ verfolgt, die einströmende Galle 
und das Pankreassekret im Duodenum zurückzuhalten. Normalerweise 
soll dieses Hindernis überwunden werden, wenn etwa 2 1 / l —3 Stunden 
nach dem Essen ein stärkerer Austritt von Chymus in das Duodenum 
erfolgt — eine Vorstellung, die mit den tatsächlichen Verhältnissen 
der Magenentleerung natürlich absolut unvereinbar ist; bei bestehender 
Magenatonie und Enteroptose hält es OUnard weiterhin für möglich, 

*) Ann. of surg. 1920 (Ref. Zentralorgan f. Chirurg. 12, 220. 1921). 

*) Brit. joum. of surg. 9. 1921 (Ref. Zentralorgan f. Chirurg. 15, 116. 1922). 

3 ) Surg. gynecoL a. obstetr. 1918, S. 174 und Ann. of surg. 1921, S. 578. 

4 ) VgL Melchior, Chirurgie des Duodenum 1917, S. 406. 


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E. Melchior: 


daß die durch das „Ligament suspenseur du mdeentbre“ ausgeübte 
Passageerschwerung pathologische Grade erreichen kann. Diese Er¬ 
scheinung gehört daher nach Codman mit in die Gruppe jener statischen 
Unzulänglichkeiten, die sich aus der aufrechten Haltung des Menschen 
ergeben haben. Mannigfache Störungen der Verdauung, insbesondere 
die Entstehung peptischer Duodenalgeschwüre, werden voh diesem Autor 
hierauf zurückgeführt. Unter den neueren — vorwiegend amerikani¬ 
schen — Publikationen zu diesem Thema sind die Mitteilungen von 
Bloodgood 1 ), Kellogg , Quain*), Wilkie, H. Shoemaker 3 ), Crouse, Leveuf*), 
Duval und Gatettier*) zu nennen. Nur spärlich sind dagegen die Beiträge 
deutscher Autoren, unter denen ich an v. Höherer erinnere, der 1909 
einen Fall dieser Kategorie mitteilte, Bircher •) sowie aus neuester Zeit 
Koennecke und Meyer 1 ). 

Die klinischen Erscheinungen des als „chronischer a. m. D.“ ge¬ 
wöhnlich bezeichneten Leidens tragen nach der Schilderung der Au¬ 
toren vorwiegend einen intermittierenden Charakter, bei meist lang¬ 
jährigem Verlauf; bei längerem Bestehen sollen die Störungen sich aber 
auch dauernd einstellen können. Unter den Einzelsymptomen wird im 
allgemeinen zwischen „ toxischen “ und „ mechanischen “ unterschieden. 
Zu den ersteren gehören Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Neurasthenie, 
allgemeine Schwäche, psychische Depression, Herzstörungen, Ir¬ 
regularität des Pulses. Nach Kellogg ist auch Kälte der Extremitäten, 
das Auftreten von Hautausschlägen hierher zu rechnen, Crouse nennt 
in gleichem Zusammenhänge Oligurie bei hohem spezifischen Gewicht; 
auch hartnäckige Stuhlverstopfung gilt vielfach als Allgemeinsymptom 
dieses Leidens. Die mechanischen Störungen bestehen in Schmerzen 
und Spannung im rechten Hypochondrium, die 2—3, bzw. 3—4Stunden 
nach den Mahlzeiten auftreten. Übelkeit und Erbrechen kann damit 
einhergehen, das Erbrechen ist in manchen Fällen gallig. Die Anfälle 
können einen intestinalen Charakter tragen oder auch mehr einem 
Gallensteinanfall entsprechen. Als diagnostisch bedeutungsvoll wird das 
Auftreten einer tympanitisch geblähten, dem Duodenum entsprechenden 
Zone angegeben (vgl. Melchior, Chirurgie des Duodenum, S. 25) sowie 

*) Joum. of the Americ. med. assoc. 1912 (Bef. ZentralbL f. Chirurg. 1912, 
S. 1525). 

*) New York med. joum. 114 . 1922 (Ref. Zentralorg. f. Chirurg. 21 , 361. 1923). 

a ) California state joum. of med. 19. 1921 (ref. Zentralorgan f. Chiruig. 
15, 293. 1922). 

4 ) Rev. de chirurg. 39. 1920 (ref. ibidem 1t, 323. 1921). 

*) Arch. des maladies de l’appar. dig. et de la nutrit. 11. 1921 (ref. Zentral¬ 
organ f. Chirurg. 15, 367. 1922). 

*) ZentralbL f. Chirurg. 1912, Nr. 25. 

7 ) Dtsch. Zeitechr. f. Chirurg. 175, 179. 1922. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 


677 


vor allem die Röntgendurchleuchtung, welches objektiv die Zeichen er¬ 
schwerter Duodenalpassage ergibt. (Einzelheiten bei Koennecke Ünd 
Meyer.) 

Über sichtbare Magensteifungen habe ich in- der mir zugänglichen 
amerikanischen Literatur einen positiven Hinweis nicht Linden können, 
dagegen wird übereinstimmend' angegeben, daß im Liegen diese Be¬ 
schwerden verschwinden; bei der nichtoperativen Behandlung des 
Leidens spielt daher diese Lagerung — insbesondere bei müßig erhöhtem 
Fußgestell des Bettes — eine wichtige Bolle. 1 1 

Daß hiermit der 1909 mitgeteilte Fall von v. Höherer , bei dem umgekehrt 
das Erbrechen nur im Liegen auftrat, in auffallendem — auch theoretisch schwer 
verständlichem — Widerspruch steht, wurde bereits im vorausgegangenen. Ab¬ 
schnitt betont. Auch aus anderem Grunde fällt es schwer, in diesem Falle eine 
wirkliche mesenteriale Duodenalkompression anzunehmen, da das ganze Kon¬ 
volut des freien Dünndarmes in der großen Nabelhernie lag und damit eine kritische, 
in der Beckenachse erfolgende Zugriohtung des Mesenteriums wohl von vornherein 
ausgeschlossen erscheint. ; > , ' ] 

- - Auch Koennecke und Meyer legen auf die durch Lageweibhsel einr 
tretende Zustandsveränderung besonderen diagnostischen Wert,' zumal 
sie sich auch bei der Durchleuchtung vor dem Röntgenschirm obj ektiv 
kontrollieren läßt. Experimentell konnten diese Autoren durch opera¬ 
tive Verengung des Duodenums — mittels Fäsoienstreifen — ein radio- 
logisch gleichartiges Krankheitsbild hervorrufen. 

Im einzelnen freilich läßt die kritische Betrachtung einschneidende 
Widersprüche auch hier ebensowenig vermissen wie bei der Etage des 
akuten a. m. D. Selbst wenn wir von den mechanisch hier meist ebenso¬ 
wenig geklärten Vorbedingungen, des Eintrittes der Mesenterialkom- 
pression absehen, mahnt insbesondere die ganz außerordentliche In* 
kongruenz der anatomischen Befunde zu weitgehender Skepsis. 

Bedeutungsvoll erscheint in dieser Hin sicht zunächst ein yon Zoepffel}) 
mitgeteilter Fall, ein 12 jähriges Q betreffend, bei dem röntgenologisch 
typisch die Zeichen einer chronischen Stenose am Übergang in das 
Jejunum bestanden; in Bauchlage war Patientin beschwerdefrei. Bei 
der Operation (G. E.) fand sich eine Abknickung und Torsion — also 
offenbar ein unvollständiger Wringverschluß — der obersten Jejunum* 
schlinge; gleichzeitig bestanden mesenteriale Anomalien im Bereich des 
übrigen Darmes. „Der Mechanismus der a. m. Abklemmung lag bei 
diesem Fall bestimmt nicht vor; das Mesenterium zog deutlich etwas 
rechts von der Knickungsstelle über das Duodenum hinweg, noch 
innerhalb der erweiterten Partie.“ 

Auch auf den klinisch sonst ähnlichen Fall Mayrhofers, bei dessen Sektion 
sich ebenfalls ein jejunaler Knick unter Ausschluß des a. m. D. fand (vgL Ab¬ 
schnitt A, S. 634) sei in diesem Zusammenhänge hingewiesen. 

x ) Fortschr. a. d. Geb. d. Röntgenstr. Vt, 422. 1920. 


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678 


E. Melchior: 


Zweifelhaft in seiner Zugehörigkeit erscheint auch ein von Lanz mitgeteilter 
Fall dieser Art, bei dem „das Netz chronisch entzündet war“. 

Sonderverhältnisse bieten offenbar weiterhin die von Bircher als 
chronischer a. m. D. veröffentlichten Fälle, bei denen am Mesenterial - 
schlitz stets „ein mehr oder minder derber Strang“ nachweisbar war. 
Vielleicht handelt es sich hier um identische Befunde wie sie Duval und 
QateUier als angeborenen, vom Mesocdlon transversum zum Dünndarm- 
mesenterium ziehenden Strang, der zur Abschnürung des untersten 
Duodenalabschnittes führt, beschrieben haben. Allem Anschein nach 
mitspricht dies dem „ meeocoUc band " W. Mayoe 1 ), doch war mir die 
Originalmitteilung dieses Autors nicht zugänglich. Sloan fand ein 
solches Band unter 64 Fällen 14mal; 9mal wurde die Störung ver¬ 
ursacht durch ein abnorm entwickeltes Treitzsohea Ligament, in 10 Fällen 
handelte es sich um Abknickung des Jejunums durch leichte Adhäsionen 
und Schleier („veils“), 6 mal beruhte der Knickversohluß auf Duodeno- 
ptose, und in 16 Fällen schließlich wirkten mehrere dieser Umstände 
bei dem Zustandekommen der mechanischen Passagestörung mit. Der 
Begriff des a. m. D. geht also bei dem letztgenannten Autor völlig verloren, 
aber auch in der übrigen amerikanischen Literatur scheint von jenem 
britischen Tiefertreten des Dünndarms nur noch wenig die Rede zu sein. 
Man begegnet vielmehr überwiegend der von Bloodgood stammenden 
Vorstellung, daß die primäre Bolle hierbei ein mangelhaft fixiertes 
Coeoum bei Blähung und Ptose sowie kurz entwickeltem Mesenterium 
spielt (Wilkie u. a.). Nach Duval und QateUier kann auch ein zu langes 
Mesocolon transversum die gleiche Wirkung im Gefolge haben. Für die 
ursprüngliche Vorstellung des a. m. D. bleibt unter solchen Voraus¬ 
setzungen natürlich wenig Baum, und so sehen wir, daß bei Sloan, der 
mit über das größte Material dieser Art verfügt, dieser Mechanismus 
überhaupt völlig auBscheidet. Lane und Jordan*) haben im übrigen 
schon vor längerer Zeit ein gleiohes klinisches, unter dem Einfluß all¬ 
gemeiner „chronic intestinal stasis“ zustande kommendes Syndrom be¬ 
schrieben, bei dem ebenfalls keine Mesenterialkompression vorliegt 
sondern der überfüllte und nach unten sinkende Dünndarm eine Ab¬ 
rückung gegen die festfixierte unterste Duodenalpartie herbeiführt 
(„Duodeno-jejunal kink“). In meiner „Chirurgie des Duodenum“ habe 
ioh eine schematische Abbildung dieses nach Lane und Jordan typischen 
und häufigen Befundes wiedeigegeben (1. c., S. 409). Klinisch stimmen 
derartige Knickverschlüsse mit der angenommenen Symptomatologie 
des a. m. D. nicht zuletzt auch darin überein, daß eine Lageänderung 
— speziell bei erhöhtem Becken — auch hier die Kompression zum 
Verschwinden bringt. Wie mannigfach auch sonst noch die Befunde 

1 ) Zitiert bei Sloan, Joum. of the Americ. med. assoc. 1923, S. 977. 

*) Vgl. Melchior, L c. 


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Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie 


unter solchen Umständen sein können, zeigt schließlich nebenstehende, 
der Mitteilung Kelloggs entnommene Abbildung einer durch Adhäsion 
fixierten scharfen Abknickung am Übergang der Pars descendens zum 
unteren Duodenalschenkel. Da aber ohne besondere operative Frei¬ 
legung die Möglichkeit, einen derartigen Befund bei der Laparotomie 
festzustellen, recht gering zu sein scheint, sehen wir hierin eine weitere 
Quelle für die irrtümliche Annahme eines tatsächlich nicht vorhandenen 
a. m. D. Aber auch schon die 
stärkere Lordosierung, 
bei Eingriffen in der Oberbauch¬ 
gegend üblich ist, kann sicher¬ 
lich unter Umständen eine ge¬ 
wisse Duodenalkompression Vor¬ 
täuschen. Daß schließlich eine 
chronische Duodenaldilatation 
auch ohne jeden Anhalt für 
organisches Hindernis vor¬ 
kommt, darf in diesem Zusam¬ 
menhänge nicht unerwähnt blei¬ 
ben ; ich verweise hierzu auf 
meine Darstellung des „Mega¬ 
duodenums“ 1 ). 

Wenn nun auf der einen Seite 
die theoretischen Voraussetzungen 
zur Entstehung eines 'primären 
a. m. D. ganz unbefriedigend 
sind, auf der anderen Seite so 
zahlreiche andersartige anato- 


wie sie 


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680 E. Melchior: Beiträge zur chirurgischen Duodenalpathologie. 

des Ulcus duodeni darstellen soll und daher häufig mit ihm kombiniert 
auf tritt. Jedenfalls wird man also von vornherein verhüten müssen, 
daß die chronische Duodenalstenose in der Form, wie sie neuerdings 
gelehrt wird, zur diagnostischen Modekrankheit wird — nach dem 
Vorbild etwa der anfallsfreien chronischen Appendicitis oder der Hemia 
epigastrica — zum Schaden der Patienten, zum Nachteil der Wissen¬ 
schaft und zur Diskreditierung gesicherter Begriffe. 

Therapeutisch sind die beim chronischen a. m. D. angewandten 
operativen Eingriffe nicht einheitlich. Erweiterung des Mesenterial¬ 
schlitzes, Durchtrennung schnürender Ligamente ist vorgenommen 
worden. Bloodgood behandelt diese Fälle — seiner Theorie entsprechend 
— mittels Resektion des rechten Kolons; weniger radikale Eingriffe 
bedeuten demgegenüber die Coecoplicatio und Fixierung des Blind¬ 
darmes bzw. die von Beya und Coffey (zitiert bei Kellogg) angegebene 
Befestigung des Magens und Querkolons. Der von Robinson gemachte 
Vorschlag, das Duodenum zu durchtrennen und vor der Mesenterial¬ 
wurzel wieder zu vereinigen, scheint theoretisch geblieben zu sein; die 
früher vielfach — so auch von v. Höherer, Bircher, Frank 1 ) — aus¬ 
geführte G. E. gilt nach Kellogg heutzutage als obsolet, wenigstens ist 
sie von den amerikanischen Autoren fast durchweg zugunsten der 1906 
von Barker angegebenen Duodeno-Jejunostomie (am unteren Zwölf¬ 
fingerdarm) verlassen worden. Kellogg berichtet über fast durchweg 
ausgezeichnete Resultate dieser Methode, während Quain nur in einem 
Teil der Fälle damit Heilung erzielte, in einem Drittel des Gesamt¬ 
materials die Operation dagegen ergebnislos verlief. Auch diese thera¬ 
peutischen Erfahrungen erscheinen also nicht gerade geeignet, um die 
schwankende Theorie des chronischen a. m. D. ihrerseits zu stützen*). 

a ) Zeitschr. f. Kinderheilk. 9 (Orig.), 99. 1913. 

*) Zusatz bei der Korrektur: Als klinisch latente Form chronischer a.-m.-D.- 
Stenose teilt Zoepffel in jüngster Zeit (ZentralbL f. Chir. 3 %, 1923) eine Be¬ 
obachtung von gastroduodenaler Ektasie bei callösem Ulcus der kleinen Kurvatur 
mit; das lange Mesenterium erschien straff gespannt. Die Symptomlosigkeit 
wird vom Autor damit erklärt, daß die austreibende Kraft des Magens und 
Duodenums „eben wohl noch stark genug (war), um das unvollständige Hinder¬ 
nis zu überwinden“. Der Befund des Magens „groß, ektatisch, schlaff“ scheint 
mir jedoch sehr gegen diese Annahme eines funktionell kompensierten organischen 
Passagehindemisses zu sprechen; eher dürfte vielleicht der Fall zur Gruppe de« 
„Megaduodenums“' (vgl. oben) gehören. — Vollends unverständlich bleibt, wa¬ 
rum Verf. unter solchen Umständen die Resektion nach Billroth II empfiehlt, 
da bei wirklicher Duodenalstenose dies den aboralen Resektionsstumpf — durch 
Rückstauung — schwer gefährden würde. Die Tatsache, daß dies im vor¬ 
liegenden Falle glücklicherweise nicht eintrat, vielmehr „schnelle und störungs¬ 
lose Heilung“ erfolgte, läßt also auch ihrerseits das Vorliegen eines duode¬ 
nalen Hindernisses mit aller Sicherheit ausschließen. 


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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. 

[Direktor: Prof. Dr. Kirachner.]) 

Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen an unserer Klinik 
während der letzten 10 Jahre unter besonderer Berücksichtigung 

der Besektionen. 

Von 

Dr. med. Fritz Kroll, 

Assistenzarzt der Klinik. 

(Eingegartgen am 9. Juli 1923.) 

So erfreulich die Fortschritte sind, die die Chirurgie auf dem Ge¬ 
biete der Rectumcarcinome gemacht hat, von den ersten Anfängen unter 
Faguei bis zur kombinierten abdomino-perinealen resp. abdomino-sakra- 
len Methode, bietet das Verlangen nach einer Radikaloperation mit 
Erhaltung eines physiologischen Sphincters die denkbar größten Schwie¬ 
rigkeiten. Die meisten Versuche der letzten Zeit gelten demnach der 
Wiederherstellung der Kontinenz neben dem weiteren Ausbau der 
kombinierten Methode. 

Vorweg sei bemerkt, daß die Erhaltung des Sphincters auch für die¬ 
jenigen, die hierauf Wert legen, naturgemäß überhaupt nur dann in 
Frage kommt, wenn das Carcinom so weit oralwärts sitzt, daß der Sphinc- 
ter nicht ergriffen ist. 

Alle diese Versuche, so erstrebenswert sie auch sind, können jedoch 
nur dann eine Berechtigung erlangen, wenn sie folgende Gesichtspunkte 
zu vereinigen imstande sind: die Erhaltung der Kontinenz anzustreben 
und gleichzeitig damit radikal operieren zu können. Eine Methode aber, 
die auf Kosten der Radikalität die Kontinenz zu erreichen sucht, kann 
niemals volle Anerkennung erlangen. In der Befolgung dieses Ver¬ 
langens steht Deutschland in einem gewissen Gegensatz zum Ausland, 
England, Frankreich und Amerika. Der Standpunkt der Engländer 
wurde erst jüngst auf einem Chirurgenkongreß dahin zusammengefaßt, 
daß alle Operationen, die auf die Erhaltung des normalen Anus hin¬ 
zielen, zu verwerfen sind, da sie Rückfällen Tür und Tor öffnen (Mandl). 
Immer wieder finden wir dagegen bei uns das Bestreben, das Haupt¬ 
gewicht auf die Sphincterfunktion zu legen unter geringerer Beachtung 
der radikalen Entfernung des Carcinoms. Körte, der am weitesten in 
dieser Hinsicht geht, sagte einst: „Es würde mir eine größere Genug- 

Archiv t. klin. Chirurgie. 1*25. 

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682 


F. Kroll: 


tuung sein, 80% der Operierten mit Sphincter am Leben zu erhalten 
als 85 oder 90% ohne denselben.“ 

Daher erscheint es angezeigt, die entgegengesetzten Meinungen 
über die einzelnen Verfahren einer Kritik zu unterziehen an der Hand 
unserer Fälle. 

Die perineale Methode soll hier keine Erwähnung finden, da dieselbe 
von vornherein wegen ihrer Unzulänglichkeit selbst bei der leichte¬ 
sten Form von Rectumcarcinom nicht in Frage kommt. Eine übersicht¬ 
liche radikale Exstirpation des Mastdarmkrebses wurde erst durch das 
Verfahren von Kraske möglich, der von der im Jahre 1874 durch Kocher 
angegebenen Steißbeinresektion ausgehend für die Resektion des Kreuz¬ 
beins unter Durchtrennung der Ligamenta sacro-spinosa und tubero-spi- 
nosa eintrat. Diese Methode hat uns die Möglichkeit eröffnet, weit exakter 
und radikaler zu operieren als früher. Besonders in Deutschland hat sich 
diese Art des operativen Vorgehens bald eingeführt und wird gerade in 
der Jetztzeit von der Mehrzahl als die Operation der Wahl bezeichnet. 
Im Laufe der Zeit ist sie nach vielen Seiten hin ausgebaut worden. 

Neben der sakralen Operation nach Kraske ist die kombinierte ab- 
domino-sakrale resp. perineale Methode, deren Grundidee auf v. Volk¬ 
mann zurückreicht, immer wieder diskutiert worden, ohne aber wirk¬ 
lich Anklang zu finden.- Anfangs nur als Notoperation ausgeführt, ist sie 
dann später zu einem planmäßigen Verfahren ausgebaut worden. Auf 
dem Chirurgenkongreß im Jahre 1900 wurde sie von Kraske und Reh* 
als eine aussichtsvolle Zukunftsmethode bezeichnet, um auf dem Kon¬ 
greß von 1906 eine ungünstige Beurteilung zu erfahren. 

Während sich Kraske als einziger für die kombinierte Methode ein¬ 
setzte und diese bei besser ausgebildeter Technik und größerer Er¬ 
fahrung für das aussichtsreichste Verfahren hielt, lautete das Urteil von 
Kocher, Körte, Rehn, Lorenz (Hochenegg), Bardenheuer und Mayer 
(Brüssel) wesentlich anders. Kocher war der Ansicht, daß die kombi¬ 
nierte Methode ein viel zu schwerer Eingriff ist, um ihn anderswo ab 
für Ausnahmefälle indiziert erscheinen zu lassen. Körte entschied sich 
für die rein dorsale Methode, da es ihm lieber sei, daß jemand, der 
sterben müsse, ohne ihn sterbe. Bei den hochsitzenden Carcinomen, 
die für die kombinierte Methode vor allem in Frage kämen, wäre man 
eben an der Grenze des Könnens angelangt. In einzelnen Fällen wäre 
es ihm gut gegangen, dann wären wieder Fälle gekommen, in denen er 
vollständig scheiterte. 

Rehn sprach sich auf Grund seiner schlechten Resultate gegen die 
kombinierte Methode aus und wollte dieses Verfahren möglichst ein¬ 
geschränkt wissen. 

Lorenz (Hochenegg) wollte die kombinierte Methode nur dann ab 
einen wesentlichen Fortschritt bezeichnet haben, wenn sie gestatten 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


683 


würde, hochgelegene Carcinome leichter operieren zu können als von 
unten her, wenn sie wenigstens bessere Dauerresultate verbürgen würde, 
wenn sie technich leichter wäre, und wenn die Gefahren geringer wären. 
Alle diese Erwartungen wären aber bisher nicht bestätigt. 

Bardenheuer und Mayer waren auf Grund ihrer schlechten Erfolge 
gegen die kombinierte Methode. 

Trotz dieser absprechenden Urteile ist die Zahl der nach diesem 
Verfahren ausgeführten Operationen mittlerweile eine recht erheb¬ 
liehe geworden. Im wesentlichen gestaltet sich die Operation derart, 
daß von einem Laparotomieschnitt zwischen Nabel und Symphyse 
ans das Rectum von oben her mobilisiert und in einem zweiten sofort 
oder später angeschlossenen Operationsakt nach Art des Kraske sehen 
Verfahrens reseziert oder exstirpiert wird. 

Gehen schon die Anschauungen über die Indikationen des in jedem 
Falle einzuschlagenden Verfahrens weit auseinander, so wird dieser 
Umstand noch durch die Frage erschwert, ob bei entsprechend hoch¬ 
sitzenden Carcinomen der erkrankte Mastdarm exstirpiert oder ob die 
betreffenden Partien nur reseziert werden sollen, um wieder natürliche 
Verhältnisse zu erhalten. 

In der Königsberger Chirurgischen Klinik kamen während der 
letzten 10 Jahre 129 Rectumcarcinome zur Beobachtung. 6 Patienten 
verweigerten jeden chirurgischen Eingriff. In 54 Fällen = 42% war 
nur noch die Anlegung eines Anus praeternaturalis entweder wegen des 
zu schlechten Allgemeinzustandes oder wegen einer zu weit fortgeschrit¬ 
tenen Ausbreitung der Geschwulst möglich. Bei den restlichen 69 Pa¬ 
tienten wurde die Resektion des erkrankten Darmabschnittes auf sakra¬ 
lem Wege oder durch die kombinierte abdomino-sakrale Methode in 
19 Fällen = 27,5% der radikal Operierten ausgeführt. Bei 50 Patienten 
= 72,5% der radikal Operierten erfolgte teils auf sakralem, teils auf 
kombiniertem Wege die Amputation des erkrankten Mastdarms. Hier¬ 
bei wurde 11 mal zweizeitig auf kombiniertem Wege vorgegangen. 
Während der letzten Jahre seit der Übernahme der Klinik durch Prof. 
Dr. Kir8chner im Jahre 1916 kam fast ausschließlich das kombinierte 
Operationsverfahren unter Amputation des Rectums und Anlegung 
eines definitiven Anus iliacus zur Anwendung. 

Es sei gleich erwähnt, daß dieses Verfahren seit mehreren Jahren an 
der Kirschner sehen Klini k als Normalverfahren gilt und heute aus¬ 
schließlich geübt wird. 

Resektionen. 

1. Es folgen die Krankengeschichten der auf sakralem und auf 
kombiniertem Wege unter Erhaltung des natürlichen Sphincters ope¬ 
rierten Patienten. 

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684 


F. Kroll: 


/. Sakrale Resektionen. 

1 . Fall. Anamnese: 55 jährige Patientin. Seit 5 Monaten Diarrhöen, Teneamen 
und Kreuzschmerzen. Stuhl b'utig schleimig. Auffallende Körpergewichtsabnahme. 

13. XI. 1911. Operation: Resektion des Steißbeins und eines Teils des Kreuz- 
beins. Auslösung des Rectums und Eröffnung des Douglas, wobei der Uterus und 
ein Teil der hinteren Vaginalwand entfernt werden muß. Resektion des erkrankten 
Darmabschnittes und zirkulare Naht der End-zu-Endvereinigten Darmstümpfe. 

19. XL Allgemeinbefinden sehr verschlechtert. Erbrechen. Der herabge¬ 
zogene Darmstumpf ist innerhalb der schmutzig verfärbten Sakralwunde gangränös 
geworden. 

23. XI. Tod unter zunehmenden septischen Erscheinungen. 

2. Fall . 62 Jahre alte Patientin. Anamnese: Seit 9 Monaten Obstipation, 
Brennen und Schmerzen am After. Nur auf Abführmittel Stuhl. In der letzten 
Zeit blutig schleimiger Stuhl. 

In 9 cm Höhe zirkulärer stenosierender blumenkohlartiger Tumor. 

27. III. 1916. Operation: Hinterer Medianschnitt, Exstirpation des Stei߬ 
beins und Resektion eines Teils des Kreuzbeins. Auslösung des Rectums unter 
Eröffnung des Douglas. Weitgehende Resektion des Tumors und Versorgung des 
oralen Darmstumpfes nach der Hocheneggschen Durchziehungsmethode. 

4. IV. Die Darmwand ist in ihrem hinteren unteren Abschnitt in Zweimark¬ 
stückgröße gangränös geworden. 

6. IV. Der Stuhl entleert sich zum größten Teil durch die Sakralwunde. 

7. IV. Befinden sehr verschlechtert. Pat. ist somnolent. Unter zunehmender 
Herzschwäche Exitus. 

3. FaU. Seit 5 Monaten blutig schleimiger Stuhl. 15 Piund an Körpergewicht 
abgenommen. 

An der linken Seitenwand, 5 cm oberhalb des Sphincters, dreimarkstückgroßer, 
ulcerierter, verschieblicher Tumor. 

15. VII. 1916. Hinterer Medianschnitt. Exstirpation des Steißbeins und 
Resektion eines Teils des Kreuzbeins. Auslösung des Rectums unter Eröffnung 
des Douglas. Der Tumor wird weit im Gesunden reseziert und der zentrale Darm- 
stumpf nach der Hocbeneggsc hen Durchziehungsmethode versorgt. 

17. VII. 1916. Der unterste Teil des herabgezogenen Darmstumpfes sieht 
verfärbt aus. 

21. VII. Der Darm ist im untersten Teil gangränös. Der Kot entleert sich 
hauptsächlich durch die Sakralwunde. 

26. VII. Die gangränösen Darmpartien haben sich abgestoßen, es ist eine 
einmarkstückgroße Kotfistel zurückgeblieben. 

30. IX. Mit bleistiftstarker Fistel nach Hause entlassen. Stuhl kann nicht 
gehalten werden. 

20. X. Nachschau: Keine Änderung. Durch die Fistel entleert sich der größte 
Teil des Kotes. Stuhl kann noch nicht gehalten werden. 

4. FalL 60jährige Patientin. Seit 9 Monaten blutig schleimiger Stuhl All 
mählich Tenesmen und Schmerzen beim Stuhlgang. Etwa 4 cm oberhalb des 
Anus an der Hinterwand fünf markstückgroßer, derber, ulcerierter, einigermaßen 
verschieblicher Tumor. 

17. VII. 1916. Operation: Hinterer Medianschnitt, Exstirpation des Stei߬ 
beins, Resektion eines Teils des Kreuzbeins, Auslösung des Rectums unter Er¬ 
öffnung des Douglas. Der Tumor wird reseziert und der orale Darmstumpf nach 
dem Durchziehungsverfahren von Uochenegg vorsorgt. 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


685 


24. VII. Der untere Teil des herabgezogenen Darmstumpfee ist verfärbt und 
teilweise nekrotisch. 

26. VII. Der größte Teil des Kotes entleert sich durch die Sakralwunde. 

7. VIII. Pfennigstückgroße Kotfistel im Bereich der Sakralwunde. 

6. IX. Rectum im Sphincterbereich verengt, für den Finger kaum durch¬ 
gängig. Dehnung. 

14. X. Mit bleistiftstarker Kotfistel nach Hause entlassen. 

5. HI. 1918. Wiederaufnahme. Pat. ist sehr elend und kachektisch. Seit 
3 Tagen kein Stuhl. Leib stark aufgetrieben, überall sehr druckschmerzhaft und 
gespannt. Digitale Untersuchung: Fast vollständige Stenose. In Narkose Dila¬ 
tation mit Z/e^arschen Stiften. Hierauf Entleerung reichlicher Mengen Stuhl. Probe- 
excision aus der Analstenose ergibt kein Ca., nur entzündliches Narbengewebe. 

22. III. Beschwerdefrei nach Hause entlassen. 

16. VII. 1918. Wiederaufnahme. Seit 8 Tagen keine Stuhlentleerung. Leib 
hoch aufgetrieben, gespannt und druckempfindlich. In Lumbalanästhesie Dilatation 
mit Hegarechen Stiften, hierauf unter Anwendung von Abführmitteln reiohliohe 
Stuhlentleerung. 

7. X. Wiederum hartnäckige Stuhlverstopfung, Leib stark aufgetrieben. 
Nach Dilatation und Abführmitteln reichliche Stuhlentleerung. Brettharte In¬ 
filtration im untersten Mastdarmabschnitt. 

11. X. Anlegen eines Anus praeternaturalis iliacus. 

29. X. Nach Hause entlassen mit gut funktionierendem Anus praeternaturalis. 

5. Fatt. 51jährige Patientin. Anamnese: Seit einem Jahr Blut im Stuhl, 
in letzter Zeit mit Schleim vermischt. Starke Gewichtsabnahme. 

Oberhalb des Sphincters in Fingerhöhe harter zerklüfteter Tumor. 

15. VI. Operation: Hinterer Medianschnitt, Resektion des Steißbeins und eines 
Teils des Kreuzbeins. Auslösung des Rectums unter vorheriger Eröffnung des 
Douglas. Der Tumor wird weit im Gesunden reseziert und der zentrale Darm- 
stumpf nach dem Durchziehungsverfahren von Hochenegg versorgt. 

22. VI. Reichliche Kotentleerung aus der Sakralwunde. Der hintere untere 
Rand des Rectumstumpfes ist in der Sakralwunde sichtbar und sieht nekrotisch aus. 

19. VIII. Nach wie vor Kotentleerung aus der Sakralwunde. 

12. IX. Erweiterung der Wunde nach dem Anus zu ohne Durchschneidung 
des Sphincters. Die Darmränder werden gelöst und an die Haut als Sakralafter 
eingenäht. 

17. II. 1912. Wiederaufnahme. Seit 3 Wochen zunehmende Absonderung 
aus dem After und Neubildung daselbst, die sich allmählich vergrößerte. Zwischen 
Anus und Sakralafter blumenkohlartige nässende Effloreecenzen. 

22. II. 1912. Excision des ganze Tumorteile enthaltenden, zum Teil sehr 
narbigen Gewebes unterhalb des Sakralafters. 

7. III. Plötzlicher Temperaturanstieg auf 40°. Erysipel in der Wund¬ 
umgebung. 

12. VII. Erysipel abgeheilt. 

31. III. Mit Pelotte und gut granulierender Wunde nach Hause entlassen. 

26. VII. Wiederaufnahme wegen Rezidivs. Excochleation und Verschorfung 
mit Paquelin. 

15. X. Wiederaufnahme. Excochleation eines kleinen Knötchens unterhalb 
des Anus sacralis. 

20. III. 1913. Wiederaufnahme. Excochleation eines kleinen Knötchens. 

6 . Fall . 43 jährige Patientin. Anamnese: Seit 4 Monaten Stuhl Verstopfung. 
Stuhl blutig schleimig. Erhebliche Gewichtsabnahme. 


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686 


F. Kroll: 


An der Hinterwand des Reet ums in Fingerhöhe einigermaßen verschiebliche 
derbe und ulcerierte Geschwulst. 

22. IX. 1913. Operation: Hinterer Medianschnitt. Resektion des Kreuzbein« 
und eines Teib des Steißbeins. Auslösung des Rectums unter Eröffnung des Dou¬ 
glas. Resektion des Tumors und Versorgung des zentralen Darmstumpfes nach 
der HochenegQ ischen Durchziehungsmethode. 

28. IX. Erster Stuhl erfolgt. Wunde sieht gut aus. 

13. X. Mit gut heilender Sakral wunde und relativer Kontinenz nach Hause 
entlassen. 

II. Kombinierte Resektionen. 

1. Fall. 57jähr. Pat. Anamnese: Seit 1 / 2 Jahr blutig schleimiger Stuhl, Te- 
nesmen. 40 Pfund Gewichtsabnahme. 

Oberhalb der Prostata harter, uloerierter Tumor, scheinbar mit der Blase 
verwachsen. 

2. X. 1920. Operation: Medianschnitt zwischen Symphyse und NabeL Unter¬ 
bindung der beiden Art. hypogastr. An der Umschlagsstelle des Peritoneum« 
apfelgroßer Tumor mit der Blase und Hinterwand verwachsen. Unter Eröffnung 
des Douglas Mobilisierung des unteren Flexurendes und des Rectums bis zur 
Levatorplatte, was ohne besondere Schwierigkeiten gelingt. Schluß der Bauch¬ 
höhle. Umlagerung in Depage sehe Hängelage. Hinterer Mediansohnitt. Resektion 
des Steißbeins und Mobilisierung des Rectums bis zum Sphincter. Nach Resektion 
des Tumors Versorgung des zentralen Darmstumpfes nach der Hocheneggwhen 
Durchziehungsmethode. 

6. X. Das untere Rectumende ist gangränös geworden, Erbrechen. 

16. X. Nach Abstoßung eines nekrotischen Fascienstückes im unteren Wund¬ 
winkel Blasenfistel von gut Stecknadelkopfgröße. 

21. X. Blasenfistel seit einigen Tagen geschlossen. Der Stuhl entleert sich 
nur durch die Sakralwunde. 

26. XI. Nachoperation: Anlegen eines Anus iliacus. Am Schluß der Operation 
kleiner Puls, der sich auf Campher bessert. 

22. XII. Bauchdeckenwunde verheilt. Afterwunde in guter Heilung. Wird 
entlassen. 

2. Fall. 46jähr. Pat. Anamnese: Seit 1 / t Jahr Durchfälle, die blutig schleimig 
waren. Gewichtsabnahme 25 Pfund. 

4 cm oberhalb des Sphincters ulcerierter, das Rectum ringförmig umgreifender 
Tumor. 

7. HI. 1922. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse. 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae. Eröffnung des Douglas, Mobili¬ 
sierung des unteren Flexurendes und des Rectums. Festere Verbindungen finden 
sich nur zur Prostata hin. Schluß des Douglas und der Bauchhöhle. In Depageaohet 
Hängelage nach Resektion des Steißbeins und Resektion des Tumors Versorgung 
des zentralen Darmstumpfee nach der Hocheneggschen Durchziehungsmethode. 

13. ni. Der ganze im Bereich des kleinen Beckens befindliche Darmstumpf 
ist nekrotisch geworden. 

27. UI. Anlegen eines Anus iliacus. 

3. IV. Allgemeinbefinden schlecht. 

8. IV. Trotz Herzmittel Zustand sehr verschlechtert. Pat. ist zeitweise 
somnolent. Unter zunehmender Herzschwäche Exitus. 

3. Fall. öOjähr. Pat. Seit einigen Monaten blutig schleimiger Stuhl, Sohmerzen 
bei der Entleerung. 

5 cm oberhalb des Sphincters an der Vorderwand weicher höckeriger Tumor. 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


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21. IV. 1920. Operation: Medianschnitt zwischen Symphyse und Nabel, 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae. Der Tumor hat sich bereits auf das 
Bauchfell ausgedehnt, läßt sich jedoch ohne besondere Schwierigkeiten unter 
Eröffnung des Douglas weit nach unten hin auslösen. Douglasverschluß, Schluß 
der Bauchhöhle. In Depageacher Hängetage Resektion des Steißbeins und des 
Tumors. Versorgung des zentralen Darmstumpfee nach der Hocheneggachen 
Durchziehungsmethode. 

26. IV. Der im kleinen Becken befindliche Teil des Rectums ist gangränös 
geworden, reichliche Stuhlentleerung aus der Sakral wunde. 

I. V. Unter den Zeichen der Peritonitis Exitus. 

Autopsie: Diffuse eitrige Peritonitis namentlich im Unterbauch und kleinen 
Becken, die ihren Ausgang vom unteren gangränösen Darmteil genommen hat. 

4 . Fall, öljähr. Patientin. Seit 2 Jahren Stuhlbeschwerden. In letzter Zeit 
Stuhl blutig schleimig. Starke Körpergewichtsabnahme. 5 cm oberhalb des 
Sphincters harter, ulcerierter Tumor, a / 4 der Zirkumferenz einnehmend. 

3. III. 1919. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse. Unter¬ 
bindung der beiden Art. hypogastricae, Mobilisierung des Sigmoids und des Rec¬ 
tums unter Eröffnung des Douglas bis an den Beckenboden. Schluß des Douglas 
und der Bauchhöhle. In Depageacher Hängelage Resektion des Steißbeins und eines 
Teils des Kreuzbeins. Auslösung des Restes des Rectums und Resektion des Tumors. 
Hocheneggache Durchziehungsmethode. 

8. III. Der zentrale Darmstumpf in 3 cm Länge nekrotisch geworden. 

12. III. Der Stuhl entleert sich aus einer großen Fistel dicht oberhalb, des 
Sphincters und einer nocn umfangreicheren Fistel in der Höhe des letzten Lenden¬ 
wirbels. Über den untersten Partien der linken Lunge Schallverkürzung. Pat. ist 
oft sehr unklar, verkennt die Umgebung. 

28. III. Über den untersten Partien des linken Unterlappens deutliche 
Schallverkürzung. Subphrenischer Absceß. 

29. III. Exitus. 

J. Fall. 35jähr. Pat. Anamnese: Herbst 1914 zum erstenmal Blut im Stuhl 
bemerkt. Im Laufe der Jahre wurden die Blutbeimengungen allmählich größer. 
In letzter Zeit besonders häufige Blutungen. 

4 cm oberhalb des Sphincters harte, walnußgroße, bewegliche Geschwulst. 

8. LE. 1921. Operation: Medianschnitt zwischen Symphyse und Nabel. Unter¬ 
bindung der beiden Art. hypogastricae. Mobilisierung der Flexur und des Rectums 
unter Eröffnung des Douglas bis zum Beckenboden. Schluß des Douglas und der 
Bauchhöhle. In Depageacher Hängelage Resektion des Tumors ohne Entfernung 
des Steißbeins. Zirkuläre Naht der beiden Darmstümpfe 2 cm oberhalb des 
Sphincters. 

15. III. Dauernd leichte Temperatursteigerung. In der Steißbeingegend 
hat sich eine Fistel entwickelt. 

1. V. 1921. Die Fistel besteht weiter. Geringe Entleerungen durch die Fistel. 

7. V. 1921. Operation: Hinterer Medianschnitt. Nach Entfernung des Stei߬ 
beins und eines Teils des Kreuzbeins wird die Fistel exoidiert. Die Fistel setzt sich 
vom Darm in eine Höhle fort, die unterhalb des Kreuzbeins gelegen und mit derbem 
Gewebe ausgekleidet ist. Probeexcision zur mikroskopischen Untersuchung. 

28. V. 1921. In ambulante Behandlung entlassen. Probeexcision ergab 
keinen Anhaltspunkt für ein Rezidiv. 

26. HL 1922. Wiederaufnahme: In letzter Zeit leichte Fieberattacken im 
Anschluß an die Stuhlentleerung. Ist durch die Fistel stark behindert und hat den 
Wunsch, sie operativ beseitigen zu lassen. 


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F. Kroll: 


In der Steißbeingegend tief eingezogene trichterförmige Narbenpartie, in 
deren Grunde bleistiftstarke Fistelöffnung. Im Sphincterbereich starrer Narben¬ 
ring. Bei weiterem Vorgehen gelangt man in eine sich von der Ampulle nach hinten 
zu erstreckende höhlenartige Ausbuchtung, deren Wände zwar starr, aber überall 
glatt und anscheinend von guter Schleimhaut überzogen sind. Keine Stelle vor¬ 
handen, die ein Rezidiv vermuten ließe. 

30. III. 1922. Umschneidung und Herauspräparieren der trichterförmigen 
Narbenpartie, nachdem die Fistelöffnung selbst in der Tiefe spindelförmig Um¬ 
schnitten und durch lembertartige einstülpende Nähte verschlossen ist. Aus den 
Weiohteilpartien rechts und links werden lappenartige, breit gestielte Gebilde 
geformt, die wechselweise übereinandergelegt und vernäht, einen mehrschichtigen 
Verschluß des Fistelganges bezwecken sollen. Hautnaht. 

6. IV. 1922. Nach anfänglich ungestörtem Heilungsverlauf jetzt schwappende 
Eiteransammlung unter der Haut. 

4. V. Bisweilen heftige Fieberattaoken. Entleerung reichlicher Mengen 
Darminhalts durch mehrere Fisteln. 

8. VII. 1922. Wiederaufnahme. Pat. hatte öfter unter starken Fieberattacken 
zu leiden. Reichlicher Abgang von Stuhl und Eiter durch die Fistel 

Eiterung und Kotabsonderung aus 4 Fisteln zwischen After und Kreuzbein. 
Vom Rectum aus ist eine unter der Haut gelegene große Höhle zu tasten. 

13. VII. 1922. * Operation: Anlegen eines Anus praeternaturalis iliacus, der 
aborale Teil wird in das kleine Becken versenkt und das Peritoneum darüber 
zeltartig vernäht. 

•29. VII. Entfernung des aboralen Darmstumpfes von der Sakralwunde aus. 

24. Vin. In ambulante Behandlung entlassen. Die Wundhöhle hat sich bis 
auf Hühnereigröße verkleinert. 

6 . Fall . 42 Jahre alter Pat. Anamnese: Vor l l / t Jahren zum erstenmal Blut 
im Stuhl. Später Schleimbeimengungen und Unregelmäßigkeiten bei der Stuhl¬ 
entleerung. Gewichtsabnahme. 

In 8 cm Höhe an der Vorderwand fünf markstückgroßer Tumor. 

26. V. 1921. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse, 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae. Auslösung des Rectums unter 
Eröffnung des Douglas. Im Tumorbereich ziemlich feste Verwachsungen mit der 
Blase. Mobilisierung des Rectums bis zum Beckenboden. Schluß des Douglas 
und der Bauchhöhle. In Depage scher Hängelage unter Entfernung des Steißbeins 
und eines Teils des Kreuzbeins Resektion des Tumors. Hocheneggnche Durch¬ 
ziehungsmethode. 

1. VI. Die Hinterwand des herabgezogenen Darmstumpfes ist gnngranoe 
geworden und hat sich in die Sakralwunde zurückgezogen. 

1. VII. Der größte Teil des Stuhles entleert sich durch eine Fistel, die After¬ 
öffnung ist verengt und wird bougiert. Stuhl kann nicht gehalten werden. 

22. VII. Nach Hause entlassen mit der Weisung, die Bougierbehandlung 
fortzusetzen. 

26. X. Nachschau: Oberhalb des Afters kleine Fistel, durch die Gase und 
dünner Stuhl gehen. Stuhl kann nicht gehalten werden. 

16. I. 1922. Wiederaufnahme: Bemerkte seit Ende Oktober zunächst rechts, 
dann links vom After eine Verhärtung, die sich allmählich vergrößerte. 

Befund: Links und rechte vom After pflaumenkemgroße Verhärtung. Rectum- 
eingang narbig verengt, nur für die Fingerspitze durchgängig. In der Sakralwnnde 
Fistel. 

25. I. 1922. Operation: Anlegen eines Anus praeternaturalis iliacus. Ex¬ 
stirpation des aboralen Darmteils. 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 689 

29. III. Mit hühnereigroßer, frisch aussehender Sakralwunde nach Hause 
entlassen. 

7. Fall 54jähr. Pat. Seit 1 / A Jahr häufiger Stuhldrang. Stuhl öfter blutig 
schleimig. 

In Fingerhöhe harter, ulcerierter Tumor. 

26. IV. 1921. Operation: Medianschnitt Stoischen Nabel und Symphyse, 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae, Auslösung des Sigmoids und des 
Rectums bis zum Beckenboden unter Eröffnung des Douglas. Schluß des Douglas 
und der Bauchhöhle. In Dipageocher Hangelage nach der Entfernung des Stei߬ 
beins und eines Teils des Kreuzbeins Resektion des Tumors und zirkuläre Naht 
der beiden Darmstümpfe. 

30. IV. 1921. Ein Teil der Hinterwand ist im Bereich der Naht gangränös 
geworden. Teilweise Entleerung des Kotes durch die Sakralwunde. 

10. V. Der Sphincter ist stark verengt, muß bougiert werden. 

10. VT. Sakralwunde bis auf eine bleistiftstarke Fistelöffnung, durch die 
sich Kot entleert, geschlossen. 

4. VII. Operation: Die fistelnde Stelle wird Umschnitten, die Darmsttimpfe 
werden herauspräpariert, einander genähert und wieder miteinander vernäht. 
Deckung der Nahtstelle durch einen Hautlappen. 

15. VII. Lappen zum größten Teil angeheilt. Stuhlentleerung teils durch 
den Anus, teils durch die Sakralwunde. 

6. VIII. Fistel besteht weiter fort. Auf seinen Wunsch nach Hause entlassen. 

8. FaU. 49jähr. Pat. Seit 6 Monaten Beschwerden beim Stuhlgang. In 
letzter Zeit häufig schleimig blutiger Stuhl. Starke Körpergewichtsabnahme. 

In 12 cm Höhe walnußgroßer, harter, ulcerierter und verschieblicher 
Tumor. 

11. X. 1920. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse. 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae. Mobilisierung der Flexur und des 
Rectums bis zum Beckenboden unter Eröffnung des Douglas. In Depageacher 
Hängelage Resektion des Tumors unter Exstirpation des Steißbeins, Hocheneggache 
Durchziehungsmethode. 

22. X. Der Stuhl wird zum größten Teil durch die Sakralwunde entleert. 

9 . XI. Seit 2 Tagen kein Stuhl. Sakralwunde bis auf Pfennigstückgröße 
geschlossen. Die Passage des Rectums ist durch eine straff gespannte Falte ventil¬ 
artig verschlossen. Nach Spaltung der vorspringenden Rectumfalte reichliche 
Stuhlentleerung. 

25. XI. Mit gut pfennigstückgroßer Fistel entlassen. 

9 . Fall 60 jähr. Pat. Anamnese: Seit l / Jahr blutig schleimiger Stuhl, Gewichts¬ 
abnahme. In 5 cm Höhe an der Hinterwand kraterförmiger, harter, vertiefter 
Tumor, der gegen die Umgebung gut verschieblich ist. 

20. VT. 1921. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse. 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae und Eröffnung des Douglas. Aus¬ 
lösung der Flexur und des Rectums bis zum Beckenboden. Mitnahme einiger 
kleiner Drüsenpakete. In Depage scher Hängelage Resektion des Steißbeins und 
Mobilisierung des Rectums bis zum Sphincter. Nach Dehnung des Sphincters 
gelingt es, den mobilisierten Darm durch den Sphincter zu stülpen. Der äußere 
Zylinder des hierdurch entstandenen Rectalprolapses wird an der Haut-Schleim¬ 
hautgrenze durchtrennt und der innere Zylinder vor dem After durch einige 
Nähte an der äußeren Haut befestigt. 

30. VI. Der herausragende Darm ist ödematös und nekrotisch geworden, 
droht zurückzuschlüpfen. Er wird mit einigen Nähten an der Analhaut fixiert. 


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F. Kroll: 


Entfernung der nekrotischen Dannteile. Teilweise Entleerung des Kotes durch die 
Sakralwunde. Der größte Teil wird durch den After entleert. 

11. VIII. Stuhlentleerungen erfolgen nur durch den After. Sakral wunde 
in guter Heilung. Stuhl kann nicht gehalten werden. Wird auf seinen Wunsch 
nach Hause entlassen. 

10. Fall. 48 Jahre alter P&t. Seit 1 / 2 Jahr Beschwerden beim Stuhlgang. 
In letzter Zeit häufiger Stuhlgang und blutig schleimiger Stuhl. An der Hinter¬ 
wand des Rectums 12 cm oberhalb des Anus fünfmarkstückgroßes hartes Geschwür. 

16. VII. 1918. Operation: Dei Versuch, das Rectum auf sakralem Wege zu 
mobilisieren, stößt wegen umfangreicher Verwachsungen an der Vorderseite auf 
Schwierigkeiten. Deshalb Umlagerung und Eröffnung der Bauchhöhle zwischen 
Nabel und Symphyse, Unterbindung der beiden Art. hypogastricae und Mobili¬ 
sierung des Rectums unter Eröffnung des Douglas bis zum Beckenboden, was jetzt 
ohne besondere Schwierigkeiten gel ngt. Schluß des Douglas und der Bauchhöhle. 
In Depages eher Hängelage Resektion des Tumors und Versorgung des zentralen 
Darmstumpfes nach der Hocheneggschen Durchziehungsmethode. 

26. VII. Der herabgezogene Darmstumpf ist in 3 cm Ausdehnung an der 
Hinterwand gangränös geworden. Stuhlentleerungen nur durch die Sakral wunde. 

20. X. Sakralwunde verkleinert-. Pfennigstückgroße Fistel, in deren Bereich 
sich eine Stenose eingestellt hat. Dehnung durch Bougieren. 

25. I. Durch das Bougieren ist die Stenose wesentlich erweitert. Probe- 
excision aus der Stenosengegend ergibt kein Ca. 

19. HI. Sakralwunde bis auf eine erbsengroße Fistelöffnung geschlossen. 
Auf seinen Wunsch nach Hause entlassen. 

11. Fall. 64jähr. Pat. Anamnese: Seit 4 Monaten Tenesmen und blutig 
schleimiger Stuhl. 

Digitale Untersuchung: kein Befund. Reotoskopisch: 17 cm oberhalb des 
Anus an der Vorderwand Tumor. 

29. VII. 1918. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse. 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae, das untere Ende der Flexur und das 
Rectum werden unter Eröffnung des Douglas bis zum Beckenboden mobilisiert. 
Schluß des Douglas und der Bauchhöhle. In Depagescher Hängelage nach Fort- 
nah me des Steißbeins Resektion des Tumors und Versorgung des zentralen Darm¬ 
stumpfes nach der Hochenegg&chen Durchziehungsmethode. 

18. IX. Stuhl bisher nur auf natürlichem Wege entleert, kann jedoch nicht 
gehalten werden. Nach Hause entlassen. 

12. Fall. 20jähr. Pat. Anamnese: Seit 6 Monaten Tenesmen, zeitweise blutig 
schleimiger Stuhl. Gewichtsabnahme 20 Pfund. 

5 cm oberhalb des Anus fünfmarkstückgroßer ulcerierter Tumor an der 
Hinterwand. 

8. XI. 1920. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse. 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae, das untere Ende der Flexur und 
des Rectums werden unter Eröffnung des Douglas bis zum Beckenboden mobili¬ 
siert. Es bestanden Verwachsungen mit dem Kreuzbein und der Blase, die sich 
jedoch ohne große Schwierigkeiten lösen ließen. Schluß des Douglas und der 
Bauchhöhle. In Depagescher Hängelage nach Exstirpation des Steißbeins und eines 
Teils des Kreuzbeins Resektion des Tumors und Versorgung des zentralen Darm¬ 
stumpfes nach der Hitcheneggochen Durchziehungsmethode. 

30. XI. Bisher komplikationsloser Heilungsverlauf. Kontinenz noch nicht 
vorhanden. Wegen rechtsseitiger Lungenentzündung in die Medizinische Klinik 
verlegt. 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 691 

13. Fall. 48j6.hr. Pat. Anamnese: Seit 3 Monaten unklare Stuhlbeschwerden 
( Fremdkörpergefühl). 

Etwa 10 cm oberhalb der Afteröffnung walnußgroßer, gut verschieblicher 
Tumor. 

10. III. 1920. Operation: Medianschnitt zwischen Nabel und Symphyse. 
Unterbindung der beiden Art. hypogastricae, hinter dem Uterus ist dicht oberhalb 
der DougUuecheri Falte das Carcinom fühlbar. Das untere Ende der Flexur und 
das Rectum werden unter Eröffnung des Douglas bis zum Beckenboden mobilisiert. 
Seitlich und hinten gelingt die Auslösung des Rectums leicht, während man vorne 
wegen Verwachsungen auf Schwierigkeiten stößt. Nach Mobilisation bis zum 
Beckenboden Schluß des Douglas und der Bauchhöhle. In Depage scher Hänge¬ 
lage wird nach Fortnahme des Steißbeins der Tumor reseziert und der zentrale 
Darmstumpf nach der Hocheneggschßn Durchziehungsmethode versorgt. 

30. III. Wegen Sekretverhaltung in der Sakralwunde Einlegen von 2 Jodo¬ 
formgazestreifen rechts und links neben das Rectum, das gut ernährt ist. 

30. IV. Sakralwunde sondert nicht mehr ab, gute Granulationen, Stuhl und 
Winde können nicht gehalten werden. 

21. V. Sakralwunde verheilt. Sphincterschluß noch nicht vorhanden. Nach 
Hause entlassen. 

Beide Verfahren sollen zusammen besprochen werden, da es gegen¬ 
über dem Prinzip, die Wiederherstellung der Sphincterfunktion an¬ 
zustreben, von untergeordneter Bedeutung ist, ob die sakrale oder die 
kombinierte abdomino-sakrale Operation ausgeführt ist. Die Vorteile 
und Nachteile dieser beiden Methoden sollen erst später bei den Ampu¬ 
tationen erörtert werden. Von größerer Wichtigkeit ist es, ob die Wieder¬ 
herstellung der Sphincterfunktion mit Erhaltung des Analendes des 
Rectums durch Resektion und Naht oder nach der Uocftenegg sehen 
Durchziehungsmethode oder nach der Invaginationsmethode ausgeführt 
ist, wenngleich auch letzten Endes bei allen diesen Verfahren die Kom¬ 
plikationen in der Hauptsache durch die Mobilisierung und Herab¬ 
ziehung des zentralen Darmstumpfes bedingt sind. 

Wir verfügen im ganzen über 19 Resektionsfälle. Hierbei wurde 
15 mal die Durchziehungsmethode nach Hochenegg angewendet, 1 mal 
das Invaginationsverfahren, während bei 3 Kranken nach der Resek¬ 
tion des Tumors die Vereinigung der beiden Darmstümpfe durch die 
zirkuläre Naht erfolgte. Unterziehen wir den Verlauf dieser Fälle 
einer kritischen Betrachtung, so werden wir uns kaum des Urteils 
verschließen können, daß der Erfolg bei fast allen Patienten wenig be¬ 
friedigend gewesen ist. Der Grund hierfür liegt in der mit großer Regel¬ 
mäßigkeit auftretenden Fistelbildung. Sie beruhte in 15 Fällen auf 
gangränösen Prozessen der Darm wand. Dabei handelte es sich 5 mal 
um eine Gangrän des ganzen im Bereich des kleinen Beckens befind¬ 
lichen Darmteils. Von diesen 5 Patienten starben 3 an den Folgen der 
Gangrän. Durch die bis zum Douglasperitoneum hinaufreichende 
Nekrose der Darmwand kam es 2 mal zu einer Peritonitis, die sich be¬ 
sonders im Unterbauch ausbreitete. In dem 3. Fall entstand infolge 


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F. Kroll: 


der die Wunde passierenden Kotmassen eine jauchig-eitrige Phlegmone 
des Wundgebietes, und diese rief ihrerseits wiederum eine metastatische 
Infektion des linken subphrenischen Raumes hervor. Die septischen 
und toxischen Einflüsse der gangränösen Zerfallsprodukte und schäd¬ 
lichen Kotbestandteile führten im Verein mit der metastatischen In¬ 
fektion 4 Wochen nach der Operation zum Tode. Bei den beiden übrigen 
Patienten, bei denen eine, allen Schließungsversuchen trotzende Kot- 
fistelbildung entstand, mußte schließlich zu einem erneuten großen Ein¬ 
griff, zur Anlegung eines definitiven Anus iliacus und Exstirpation des 
distalen Darmstumpfes geschritten werden. Trotz der mit der Gangrän 
des oralen Darmabschnittes verbundenen septischen und toxischen 
Schädigungen erholten sich die beiden Kranken so weit, daß sie diesem 
Eingriff unterzogen werden konnten. Einer unterlag jedoch der Nach¬ 
operation. An Sepsis und Wundinfektion als Folge der Gangrän starben 
demnach bei 19 Resektionen allein 4 Patienten. 

Seit den ersten Resektionsversuchen finden wir in der gesamten 
Literatur sowohl bei der Durchziehungsmethode nach Hochenegg als 
auch bei der zirkulären Naht der Darmstümpfe die Gangrän des oralen 
Darmabschnittes als eine der unberechenbarsten und häufigsten Kompli¬ 
kationen. Es ist durchaus keine Übertreibung, wenn Zinner in einer 
Arbeit über den Mastdarmkrebs die Gangrän für einen der gefährlichsten 
Zwischenfälle hält, denen wir machtlos gegenüberstehen. Die gleichen 
Ansichten finden wir bei Gassenhauer, Kümmel, Körte, Rehn, Rotier 
u. a. m. vertreten. 

Leider finden sich in der Literatur meist nur allgemein gehaltene An¬ 
gaben über das Auftreten von Darmnekrosen nach den Resektionen. Einige 
ziffernmäßige Feststellungen stammen von Rotter, Mandl und Pribram. 

In der Statistik von Mandl trat unter 205 Resektionen 8 mal eine 
Darmgangrän auf. In einem Falte führte sie zu einer Peritonitis und 
zum Tode des Patienten, in den anderen Fällen war sie intraperitoneal 
lokalisiert. 

Nach Rotter sind bei dem Durchziehungsverfahren Hocheneggs von 
26 Patienten 3 infolge ausgedehnterer Darmgangrän und nachfolgender 
schwerer Infektion der Wundhöhle gestorben. In weiteren 8 Fällen 
waren die Mißerfolge ebenfalls durch eine Darmgangrän bedingt. In 
diesen 8 Fällen mußte schließlich ein Anus praeternaturalis abdominalis 
angelegt werden. Es steht also 15 mit Erfolg operierten Patienten ein 
Mißerfolg von 11 Fällen gegenüber. Pribram berichtet aus der Leipziger 
Klinik, daß unter 17 Fällen, bei denen eine Resektion auf kombiniertem 
Wege vorgenommen war, 4 mal eine Darmgangrän infolge mangelhafter 
Ernährung auftrat. Hierbei erstreckte sich einmal die Gangrän bis zum 
Douglas. Bei den übrigen Patienten handelte es sich um kleinere gan¬ 
gränöse Stellen. 



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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. $93 

Es sind dies die ähnlichen Verhältnisse, wie wir sie bei unserem 
Material beobachten mußten. 

Es war naheliegend, daß man zunächst an technische Fehler beim 
Abbinden der den Mastdarm versorgenden Gefäße dachte und sein 
Augenmerk hierauf richtete, da doch nur durch eine schlechte Er¬ 
nährung des herabgezogenen Darmstumpfes die Gangrän bedingt sein 
konnte. Der erste, der sioh mit der Frage der Gefäßversorgung be¬ 
schäftigte, war L. Eehn, der darauf hinwies, daß die Art. haemorrh. sup. 
ohne Gefahr für die Ernährung des betreffenden Darmabschnittes durch¬ 
trennt weiden kann. 2 eigene Fälle von operativer Gangrän des carcino- 
matösen Mastdarms, die beide zum Tode führten, veranlaßten dann 
Sudeck , genaue Untersuchungen über die Gefäßversorgung des Mastdarm¬ 
gebietes anzustellen. 

Bekanntlich wird das Rectum, abgesehen von seinem der untersten 
Analpartie zugehörigen Gebiet, fast ausschließlich von der Art. haemorrh. 
sup. versorgt. Da aber die Art. haemorrh. sup. in Fortsetzung der Art. 
mesenterica inf. an der Hinterseite des Mastdarms in fast geradlinigem 
Verlauf nach abwärts zieht, ist eine ausgedehnte Mobilisierung dieses 
Darmgebietes ohne eine Durchtrennung der Arterie nicht möglich. 
In ihrer Eigenschaft als Endarterie wäre dann die Versorgung des 
herabzuziehenden oralen Darmteils in Frage gestellt. Hier haben die 
Inj ektionsversuche Sudecks Aufklärung gebracht. 

Durch die A. sigmoidea ima, einen Nebenast der Art. haemorrh. sup., 
ist die letztere dem Randkollateralkreislauf des oberen Dickdarmgebietes 
angeschlossen. Hierdurch zerfällt nach Sudeck das Stromgebiet der 
Hauptarterie des Mastdarms in 2 getrennte gleichartige Abschnitte. Er¬ 
folgt die Unterbindung des Stammes der Art. haemorrh. sup. unter¬ 
halb des Abganges der Art. sigmoidea ima, so ist der ganze peripher- 
wärts gelegene Abschnitt von der Zirkulation abgeschlossen und muß 
der Gangrän verfallen. Wird jedoch die Ligatur oberhalb des Abganges 
der Sigmoidea ima angelegt, so erscheint die Versorgung des Strom¬ 
gebietes der Art. haemorrh. sup. durch Vermittlung der Sigmoidea ima 
aus dem Randkollateralkreislauf der Flexura sigmoidea gesichelt. 

Die Stelle des Anfangs der Sigmoidea ima und damit die letzte Ver¬ 
bindung der Haemorrhoidalis superior mit dem Randkollateralkreislauf 
der Flexur und des Colon descendens hat Sudeck deshalb als „kritischen 
Punkt“ bezeichnet. Eine umfassende Darstellung dieser Verhältnisse 
unter Berücksichtigung der weiteren eingehenden Versuche von Bitbesch, 
Mannasse und Viber findet sich in der ausführlichen Arbeit von Heiler. 

Allein die Überlegungen Sudecks, gestützt auf seine Injektionsver¬ 
suche, haben den klinischen Erfahrungen nicht gerecht werden können. 

Kirschner hat sich bei der Freilegung des Stromgebietes immer 
wieder davon überzeugen müssen, daß die anatomischen Verhältnisse 


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F. Kroll: 


nicht in allen Fällen derartig einfach liegen, daß bei Berücksichtigung 
der Sudeckschen Vorschläge die ungestörte Ernährung zu garantieren 
ist, und daß die Durchtrennung oberhalb des kritischen Punktes Su¬ 
decks keineswegs immer eine genügende Mobilisation zum Herunterholen 
des Darmes gewährleistet. 

Die Unterbindung oberhalb des kritischen Punktes gibt uns dem¬ 
nach nicht die Möglichkeit, in jedem Falle die Gangrän des herabge¬ 
zogenen Darmstumpfes zu verhindern. Ebenso wichtig wie die richtig 
ausgeführte Unterbindung ist besonders bei der Hochenegg sehen Durch¬ 
ziehungsmethode die Vermeidung jeder Spannung. Der aus seiner 
Umgebung herausgelöste und seines Haltes beraubte Darm neigt leicht 
zur Schrumpfung, deren Umfang wir niemals vorauszusehen imstande 
sind. Hierdurch kann es aber zur Abknickung des Darmes und damit 
zur vollständigen Unterbrechung der an der Hinterwand verlaufenden 
Gefäße kommen. Nach unseren Mißerfolgen haben wir wenigstens den 
Eindruck gewonnen, daß eine so weitgehende Mobilisierung, wie sie zur 
Durchziehung durch den Anus erforderlich ist, ein sehr gefährliches 
Unternehmen ist. In der Mehrzahl unserer Fälle haben wir trotz ge¬ 
nauester Berücksichtigung der Gefäßversorgung, wie dies besonders 
bei dem kombinierten Verfahren durch die Laparotomie möglich ist, 
eine mehr oder weniger ausgedehnte Gangrän des oralen Darmstumpfes 
nicht verhindern können. Pribram beobachtete bei 2 Patienten, daß der 
zentrale Darmabschnitt trotz vorheriger provisorischer Abklemmung 
der Art. haemorrh. sup. und unveränderter Pulsation der Randarkaden 
nach Unterbindung der Art. haemorrh. sup. am 2. Tage nekrotisch 
wurde und sich unter Bildung eines direkten Anus sacralis abstieß, ln 
einem anderen Falle kam es nach Unterbindung der Art. haemorrh. 
media und inferior trotz vorheriger Markierung der Ernährungsgrenze 
nach zirkulärer Naht zu einer ausgedehnten Gangrän des oralen Dann¬ 
abschnittes und anschließender Peritonitis. Ähnliche Angaben finden 
sich in der Literatur auch aus anderen Klinik en. So haben die um¬ 
fangreichen Untersuchungen über die Gefäßversorgung des unteren Teiles 
des Rectums diese Gefahr nur näher präzisieren können, ohne uns einen 
sicheren Weg zu zeigen, sie zu vermeiden. 

Schon vor den Untersuchungen Sudecks hat Kümmett in der Erkennt¬ 
nis der schlechten Emährungsbedingungen des Rectums den Vorschlag 
gemacht, bei hochsitzenden Carcinomen, wo die Erhaltung des oberen 
Darmendes nicht gewährleistet werden kann, per laparotomiam die 
Loslösung auf das Colon descendens erstrecken zu lassen und lieber einen 
größeren Teil dieses Darmes vom Mesenterium zu trennen, als die Flexura 
sigmoidea oder den oberen Teil des Rectums zu verwenden. Kümmdl 
hatte in 2 Fällen, bei denen er den Dickdarm von seinem Mesorectum 
getrennt und das zentrale Ende in den Analring eingenäht hatte, die 


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Die Erfolge der Mastd&rmkrebsoperationen usw. 


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Erfahrung gemacht, daß die Loslösung der höher gelegenen Partien 
des Colon descendens resp. des Colon transversum besser vertragen 
wird als die Freilegung der unteren Partien des S romanum und des 
Rectums. Er begründet dieses Verhalten mit den starken Gefäßanasto- 
mosen in diesem Bereich und macht das Gelingen davon abhängig, daß 
wir uns nur genügend weit vom Darm entfernt halten und das Mesen¬ 
terium etwa in einem Abstand von 2 cm vom Kolon ablösen. 

Nach unserer Ansicht ist es jedoch nur dann möglich, das Colon des¬ 
cendens so weit zu mobilisieren, daß es bis in die Nähe des Afters ge¬ 
zogen werden kann, wenn man die Mobilisierung über die Flexura linea- 
lis ausdehnt. Das ist ein großer und in vielen Fällen trotz ausgedehnten 
Bauchschnitts tec hnis ch überhaupt nicht durchführbarer Eingriff. 
Daher scheidet dieser Vorschlag für uns aus. 

Ein anderes Verfahren ist 1911 von Ali Krogius angegeben. Naoh 
der Auslösung des Rectums aus seiner Umgebung bis zum Colon sigmoi- 
deum wird das ganze Rectums mit Ausnahme der Analpartie excidiert 
und der Stumpf blind verschlossen. Hierauf wird das Sigmoid aus der 
Bauchhöhle herausgezogen und die Kuppe der Colon-sigmoideum- 
Schlinge mit der Analportion anastomosiert. Der Vorteil dieser Methode 
besteht darin, daß das Mesenterium des S romanum mit seinen Gefäßen 
unversehrt bleibt und dadurch die Gangrängefahr mit absoluter Sicher¬ 
heit vermieden werden soll. 

Ebensogut kann man aber, wenn sich das Mesosigmoid infolge ab¬ 
normer Beweglichkeit ohne Abbindung seiner Gefäße so weit vor¬ 
ziehen läßt, das blind verschlossene Darmstück vorher resezieren. Dann 
hat man dasselbe, was man abdominal arbeitend stets bei beweglichem 
Sigmoid macht, und außerdem den Vorteil der Vermeidung des Blind¬ 
sackes. So bedeutet dieses Verfahren eigentlich nur eine Komplikation 
gegenüber dem sonst selbstverständlichen Vorgehen. 

Eine Modifikation der eben erwähnten Methode stammt von Rotier. 
Da Rotter die Erfahrung machte, daß entgegen den Befunden von 
Krogius die S-R.-Schlinge nur selten die ausreichende Länge für die 
Durchziehung durch den Anus besitzt, hat er die kontramesenteriale 
Seite des Scheitels des S R. mit dem Stumpf des unteren Rectums 
mittels End-zu-Seitenanastomose durch Naht verbunden. Von 4 der¬ 
artig operierten Kranken heilten 2 mit vollkommener Kontinenz ohne 
jeden Zwischenfall. In einem Falle ging die Naht auf. Der Defekt 
wurde genäht und die Lappenplastik angewendet. Es blieb eine ganz 
kleine Fistel unter dem Lappen zurück. Der 4. Patient starb 9 Wochen 
post operationem unter den Symptomen einer Psychose mit starker 
motorischer Unruhe. 

Neben den vorher erwähnten Operationsverfahren von KümmeU, 
Krogius und Rotter, die die Gefahr der Gangrän unter Berücksichtigung 


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F. Kroll: 


der anatomischen Verhältnisse der Gefäß Versorgung zu bekämpfen ver¬ 
suchten, soll das Vorlagerungsverfahren Küttners mehr der Vorbeugung 
gegenüber der Gangrän und Infektion Rechnung tragen. Küttner 
nimmt also gleichsam die Nahtinsuffizienz als etwas Unvermeidliches 
von vornherein in den Kauf und will durch die Vorlagerung des den 
Tumor enthaltenden Darmteils vor die Sakralwunde die Gefahren der 
Gangrän dadurch ausschalten, daß sich der gangränöse Zerfall außer¬ 
halb des Körpers abspielt und etwaige brandige Teile nicht mit der 
frischen Sakralwunde in Berührung kommen. Die Methode Küttners 
bietet wohl den Vorteil, daß keine Eröffnung des Darmlumens inner¬ 
halb der Sakralwunde stattfindet und gangränöse Prozesse von ihr fern- 
gehalten werden. Jedoch die technische Möglichkeit, den Darm so 
weit nach außen zu ziehen, hat ebenfalls ihre Grenzen, andererseits 
wird durch die umfangreiche Ablösung des Darms die Gefahr der Er¬ 
nährungsstörung vergrößert und damit im Verein mit der geringsten 
Knickung oder Schrumpfung die Entstehung gangränöser Prozesse 
begünstigt. 

Wird der Darm gangränös, so schützt die Vorlagerung keineswegs 
vor einer tödlichen Infektion, wie ja auch ein gangränöses Bein den 
Träger oft durch Resorption und Übergreifen der Infektion auf den 
Gesamtkörper tötet. Kirschner sah einen Fall, bei dem der gangränöse 
Teil weit außerhalb des Körpers lag, an Sepsis zugrunde gehen. 

Von ähnlichen Erwägungen geht ein Vorschlag Kümmeüs aus, bei 
der Durchziehungsmethode ein längeres Stück aus dem Anus hervor- 
ragen zu lassen, damit bei einer etwaigen Abstoßung gangränöser Darm¬ 
teile dennoch genügend lebender Darm zur Verfügung bleibt, um die 
Vereinigung mit dem Sphincter aufrechtzuerhalten. 

Hier gilt dasselbe hinsichtlich der Vergiftung des Gesamtkörpers. 

In einem unserer Fälle, bei dem ein langes Sigmoid eine weitgehende 
Mobilisierung ermöglichte, wurde das orale Darmende in dieser Weise 
weit vor den Anus herausgelagert. Es stellte sich bald ein ödem des 
anfangs lebensfrischen herausragenden Darmabschnittes ein, der ne¬ 
krotisch wurde. Die Nekrose dehnte sich auch auf die im Sphincter und 
oberhalb desselben gelegenen Darmpartien aus, so daß es zu einer 
schweren Infektion der Wundhöhle kam. 

Die Folge einer derartig ausgedehnten Gangrän ist dann, falls der 
Kranke am Leben bleibt, stets eine Kotfistel. 

Aber auch bei partieller Gangrän pflegen regelmäßig Fisteln zu ent¬ 
stehen. In mehreren unserer Fälle stellten sich bei der Hocheneggachea 
Durchziehungsmethode umschriebene nekrotische Herde an der Hinter¬ 
wand dicht oberhalb des Sphincters ein. Diese stießen sich ab und führten 
zu einer Kommunikation des Darmrohres mit der Sakralwunde. Hieraus 
entwickelten sich im weiteren Verlauf Kotfisteln. 



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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen nsw. 


697 


Bei einem Patienten kam es zu einer Randnekrose des durchgezo¬ 
genen Stückes an der Fixationsstelle distal vom Anus. Die Nähte gaben 
infolgedessen nach und die Hinterwand des Darmes zog sich in die 
Sakral wunde zurück. 

Die Vereinigung der Darmstümpfe nach der Resektion des er¬ 
krankten Darmabschnittes durch die zirkuläre Naht bot keine bes¬ 
seren Resultate. In dem einen bereits vorher erwähnten Fall kam 
es infolge einer sehr ausgedehnten Gangrän zu einer vollständigen 
Nahtdehiszenz. Bei den übrigen Patienten ging die Naht an der Hinter¬ 
wand auf. 

Mit diesen schlechten Erfolgen bei der zirkulären Naht stehen wir 
nicht allein da. Die Resultate anderer Autoren ergeben ähnliche Be¬ 
funde. Der letzten Zusammenstellung von Mandl (1922) aus der Höchen- 
egg sehen Klinik entnehme ich folgende Angaben: Schede erreichte in 
14 Fällen nur 2 mal eine primäre Verheilung der Darmstümpfe, nach 
Kraeke heilten von 39 Fällen 23 mit kleinen Fisteln und 16 behielten 
sie dauernd, nach Poppert heilten von 20 Fällen 10. Mandl selbst be¬ 
richtet, daß unter 119 Fällen der Wiener Klinik — nach Abzug der 
Todesfälle — die zirkuläre Naht nur in 19,3% gehalten hat. Da aber 
nach seiner Angabe allein 50% aller Todesfälle der Wundinfektion und 
Peritonitis zuzuschreiben sind, dürfte sich das Resultat noch ver¬ 
schlechtern. Denn erfahrungsgemäß ist die Infektion zum größten Teil 
durch den Übertritt von Kot infolge gangränöser Prozesse bedingt. Nach 
der Statistik von Eichhoff aus der Breslauer Klinik stellten sich bei der 
primären zirkulären oder halbzirkulären Naht unter 41 Fällen 23 mal 
Kotfisteln ein. Das Vorlagerungsverfahren ergab bei 14 Resektionen 
12 mal eine Kotfistel. Die späteren Erfolge mit den plastischen Ver¬ 
fahren sind hierbei nicht berücksichtigt. Von 28 Fällen der Leipziger 
Klinik ( Pribram ) ist die zirkuläre Naht nur einmal vollständig geheilt. 
Demnach ergeben die neuesten Zusammenstellungen (Mandl, Pribram, 
Eichhoff) trotz größerer Erfahrungen keine besseren Resultate. 

Für uns ist das Aufgehen der Naht eine Selbstverständlichkeit, und 
wir zweifeln, daß eine primäre Heilung überhaupt zustande kommt. 
Daß sich die Fisteln im Laufe der Zeit schließen oder durch geringfügige 
Nachoperationen leicht zu beseitigen wären, können wir nicht bestätigen. 
Vielmehr stießen wir hierbei auf sehr große Schwierigkeiten. Lediglich 
bei einem Kranken, bei dem im Anschluß an die Operation eine Kot- 
fistel entstanden war, hatte sich diese in kurzer Zeit geschlossen. In 
allen übrigen Fällen ergaben die Nachuntersuchungen vielleicht eine 
geringe Verkleinerung der Fistel und einen zeitweisen Verschluß. Nie¬ 
mals war jedoch eine Neigung zu vollständiger Heilung vorhanden. 
In der Hoffnung auf einen spontanen Verschluß wurden wir immer 
wieder enttäuscht. 

Archiv t klin. Chirurgie. 126. 45 


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F. Kroll: 


Außerdem sind die Fisteln nicht so harmlos, wie es vielfach betont 
wird, sondern bilden meistenteils infolge Abganges von Kot, Flatus und 
Eiter eine schwere Belastung für den Patienten. 

Einige dieser Patienten scheuten jeden weiteren Eingriff, sie konnten 
nicht mehr zu einer Fisteloperation bewogen werden. In 3 Fällen er¬ 
übrigte sich jede weitere Fisteloperation, da im Sphincterbereich Rezi¬ 
dive aufgetreten waren, die jedesmal die Anlegung eines Anus praeter¬ 
naturalis erforderten. Zweimal wurden Versuche zur operativen Be¬ 
seitigung der vorhandenen Fisteln unternommen, die zu keinem be¬ 
friedigenden Erfolge führten. Bei dem einen Patienten, bei dem das 
Hochenegg sehe Durchziehungsverfahren zur Anwendung kam, mußte 
doch noch letzten Endes l 1 ^ Jahre post operationem nach mehrfachen 
Fisteloperationen ein Anus iliacus angelegt werden. An einer kleinen 
umschriebenen gangränösen Stelle der Hinterwand des herabgezogenen 
Darmstumpfes war es zu einer Kotfistel gekommen, die 3 Monate nach 
der Operation keinerlei Neigung zur Heilung zeigte. Diese Fistel führte 
in eine große von hartem Gewebe ausgekleidete Höhle unterhalb des 
Kreuzbeins, die reichlich Eiter und jauchige Zerfallsmassen enthielt. 
Neben den Unannehmlichkeiten einer Kotfistel hatte der Patient zeit¬ 
weise unter remittierenden Fieberattacken zu leiden, die ihn in der Aus¬ 
übung seines Berufes vollkommen behinderten. Selbst nach der Aus¬ 
räumung des Retentionsherdes und der 10 Monate später erfolgten 
Fisteloperation konnte diese nicht beseitigt werden. Erneut bildete 
sich im subcutanen Gewebe unterhalb des Kreuzbeines eine faustgroße 
Höhle, die stets mit reichlichen Kot- und Zerfallsmassen ausgefüllt war. 
Hohe Körpertemperaturen mit morgendlichen Remissionen, die nach 
der Fisteloperation dauernd anhielten, und die Schwächung des All¬ 
gemeinzustandes machten schließlich die Anlegung eines Anus praeter¬ 
naturalis iliacus notwendig. Nim war der Kranke wie erlöst und ist 
heute wieder glücklich und kann seinem Berufe nachgehen. In einem 
anderen Falle, bei dem es im Anschluß an die zirkuläre Naht der Darm- 
Stümpfe zu einer ausgedehnten Nahtdehiszenz gekommen war, wurde 
der Versuch gemacht, nach Anfrischung und Wiedervereinigung der 
Stümpfe die Nahtstelle durch eine Lappenplastik zu sichern. Der 
Hautlappen heilte zwar zum größten Teil an, jedoch bildete sich im 
untersten Teil eine Fistel, die keine Neigung zur Heilung zeigte. 

Bekanntlich trägt bei den Resektionen die zirkuläre Naht dadurch, 
daß sie mehr oder weniger weit aufgeht, am meisten zur Fistelbildung 
bei. Von dieser Tatsache ausgehend, begegnen wir den verschiedensten 
Versuchen, von vornherein prophylaktisch die Fistelbildung zu ver¬ 
meiden. Die Ansicht, daß die mangelhafte Peritonealisierung des be¬ 
treffenden Darmabschnittes die Ursache der Nahtdehiszenz ist, führte 
zu Bestrebungen, künstlich den herabzuziehenden Darmstumpf zu 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


699 


peritonealisieren und damit die Gefahr der Fistelbildung auszuschalten, 
oder wenigstens auf ein Mindestmaß zu beschranken. 

Der Anschauung, daß neben frühzeitigen Stuhlansammlungen intra- 
intestinale Drucksteigerungen infolge von Sphincterkontraktionen das 
Aufgehen der Naht veranlassen, liegt der Vorschlag zugrunde, außer 
der wohl stets geübten leichten Dehnung die extreme Dehnung und die 
lineare Durchtrennung des Sphincters auszuführen. Aber gerade diese 
Methoden bringen wiederum große Gefahren für die Erhaltung der 
Sphincterfunktion mit sich. In der Literatur finden sich vielfach An¬ 
gaben, daß lediglich durch brüske Dehnung und durch lineare Durch¬ 
trennung die Sphincterfunktion dauernd vernichtet wird. Jeder kennt 
solche unglücklichen Fälle von Hämorrhoidaloperationen und Anal¬ 
fisteln. Die Erfahrung, daß in den meisten Fällen das Aufgehen der 
zirkulären Naht nicht zu vermeiden ist, veranlaßte v. Eiseisberg von 
vornherein auf eine lückenlose Heilung zu verzichten und nur die Vor¬ 
derwand der Darmstümpfe zu nähen. Die hintere Circumferenz wird 
an der Haut fixiert und der Verschluß soll später ausgeführt werden. 
Wir bezweifeln den Erfolg derartiger Nachoperationen. Hotter verwendet 
einen gestielten Hautlappen der Gesäßgegend zur Sicherung der Naht¬ 
stelle. Von Bier ist diese Methode in der Weise modifiziert worden, daß 
es den Schlange sehen Lappen nach vorheriger Exstirpation des durchge- 
meißelten Kreuzbeinteils der Wundfläche anlegte. F. König nähte rings um 
die zirkuläre Naht einen frei transplantierten Fascienlappen der Fascia 
femoris. Alles das kann m. E. eine Fistelbildung aber nicht verhindern. 

Auch die Hoffnungen, die man zur Verhütung der Fistelbildung auf 
die präliminare Kolos tomie gesetzt hatte, haben sich nicht erfüllt. Bei 
diesem Verfahren sollte der Darm frei von Schädigungen des hindurch¬ 
tretenden Kotes bleiben und Zeit haben, ungestört zu heilen. Mit 
großer Sicherheit ließ sich zwar auf diese Weise (Vogel) der Entstehung 
von Kotphlegmonen Vorbeugen — bereits ein sehr großer Vorteil —, 
jedoch niemals die Fistelbildung verhüten. Außerdem hat dieser Vor¬ 
schlag den Nachteil, daß eine derartige Operation mit 3 großen Ein¬ 
griffen verbunden ist, der präliminaren Kolostomie, der Radikaloperation 
und dem Verschluß des Anus. 

Dieser Umstand ist um so schwerer zu bewerten, als es sich meist 
um Leute in vorgerücktem Lebensalter handelt, die man nicht 3 mal 
den Gefahren eines Krankenlagers aussetzen will. So hat dieses Ver¬ 
fahren auch nur wenig Nachahmung gefunden. 

Gerade die große Zahl der Operationen, die zur Verhütung und 
Beseitigung der Fistelbildung angegeben ist, zeigt die Unzulänglichkeit 
aller dieser Methoden. 

Als weitere Komplikationen beobachteten wir bei den Resektionen 
in 4 unserer Fälle Stenosen, einmal nach der zirkulären Naht und 3 mal 

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F. Kroll: 


im Anschluß an die Durchziehungsmethode von Hochenegg. Diese 
Stenosen pflegen sich besonders bei dem Hochenegg sehen Verfahren im 
Bereiche des Sphincters oder dicht darüber einzustellen. Sie sind teils 
als Folge von Bandnekrosen oder Schleimhautläsionen, teils als Narben- 
umklammerungen von außen zu betrachten. Gelingt es auch in den 
meisten Fällen, durch systematisch ausgeführtes Bougieren weitgehende 
Besserung zu erzielen, so können sie doch gelegentlich einmal zu sehr 
bedrohlichen Erscheinungen Veranlassung geben, wie dies der Fall 4 
zeigt. Die Pat. erkrankte 8 Monate nach der Operation plötzlich 
unter ileusartigen Erscheinungen. Seit 3 Tagen war kein Stuhl mehr 
erfolgt. Bei der rectalen Untersuchung stieß der palpierende Finger auf 
eine vollständige Stenose. - Nur durch Dilatation in Narkose konnte die 
Stenose einigermaßen behoben werden. In Abständen von 4 und 
5 Monaten traten erneut dieselben stürmischen Erscheinungen auf. 
Neben den eben erwähnten 4 Fällen kam es bei 1 Patienten plötzlich 
zu einer vollständigen Stuhlverhaltung. Die Passage des Rectum war 
durch eine in das Lumen vorspringende straffgespannte Falte ver¬ 
schlossen. Die Falte wurde gespalten und hierdurch die Stenose be¬ 
seitigt. 

Ein weiterer Nachteil der Resektionsmethoden ist das Auftreten 
lokaler Rezidive im Sphincterbereich. Da es nicht möglich ist, durch 
die digitale Untersuchung des Rectum sich ein sicheres Urteil über die 
Ausbreitung des Carcinoms im Bereiche und in der Umgebung des Sphinc¬ 
ters zu bilden und auch die Operation selbst hierüber keinen sicheren 
Schluß zuläßt, müssen wir den Versuch, den Sphincter zu erhalten, 
oft mit Rezidiven in diesem Abschnitt bezahlen. Die große Sorgfalt, 
die bei der Auslösung der erkrankten Partien im Hinblick auf die Ge¬ 
fäß- und Nervenversorgung des Sphincters beobachtet werden muß, 
läßt außerdem ein radikaleres Vorgehen in diesem Gebiet nicht zu, will 
man sich nicht von vornherein der Gefahr der Inkontinenz aussetzen 
und den einzigen Vorteil, den uns die Resektion bietet, den Kranken 
einen physiologisch wirkenden Sphincter zu erhalten, aufzugeben. 
Unter unseren Fällen traten in einem Zeitraum von 8—15 Monaten 
post operationem 2 Rezidive in der Sphinctergegend auf. Rechnen wir 
von der Gesamtzahl der Operationen die 5 Todesfälle ab, die durch 
gangränöse Prozesse bedingt waren, so entfallen auf 13 Patienten 2 Re¬ 
zidive. In diesen 2 Fällen hatte man durch ein rechtzeitiges radikaleres 
Vorgehen die Rezidivbildung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit 
verhindern und die Patienten neben der Gefahr weiterer Metastasen¬ 
bildung vor zeitraubenden und eingreifenden Nachoperationen bewah¬ 
ren können. 

Über die Gefahren der Rezidivbildung bei den einzelnen Ver¬ 
fahren, die den Anus funktionsfähig zu erhalten suchen, gehen die 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


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Meinungen noch weit auseinander. Während von einer Reihe von Chi¬ 
rurgen die Anschauung vertreten wird, daß bei der Sphinctererhaltung 
nicht radikal genug operiert werden kann und infolgedessen Krebs¬ 
keime zurückgelassen werden müssen, berichten besonders die neuesten 
Arbeiten ( Pribram, Mandl, Eichhoff) gerade das Gegenteil hiervon. 
Diese Autoren zeigen an ihrem Material, daß von den Amputationen und 
Resektionen die letzteren die besseren Dauerresultate erzielen. In 
einem schroffen Gegensatz hierzu befindet sich die Mehrzahl der aus¬ 
ländischen Chirurgen. Auf der 88. Jahresversammlung der British Med. 
Association in Cambridge berichtete Miles über seine Erfahrungen in 
den letzten 20 Jahren und stellte die Rezidive der einzelnen Methoden 
zusammen. Er erhielt bei den perinealen Verfahren und der vaginalen 
Resektion 100% Rezidive. Die abdomino-perine&le Resektion (Mobili¬ 
sation des oberen Darmstückes und Vereinigung dieses mit dem Anal¬ 
teil) hält Miles ebenfalls für irrationell, da dabei rezidivgefährdete Ge¬ 
webe belassen werden. Dagegen empfiehlt er die kombinierte Amputa¬ 
tion auf Grund der anatomisch-pathologischen Studien über die Rezi¬ 
divlokalisation als sicherste Methode. 

Nachuntersuchungen bei 31 derart operierten Patienten ergaben 
28,5% Rezidive. Dauernd geheilt waren 16 und zwar 6—11 Jahre. 

Aus diesen Gründen erscheint Miles die kombinierte abdomino¬ 
perineale Amputation als die gegebene Operation, und zwar in allen, 
auch in Erühfällen. Fast sämtliche Chirurgen schlossen sich der Meinung 
Miles' an und traten ebenfalls im Hinblick auf die Rezidivgefahr für ein 
radikales Vorgehen ein und wünschten die Resektion eingeschränkt 
zu wissen zugunsten der Amputationen, besonders der kombinierten 
abdomino-perinealen Methode. 

Die Erfolge beider Verfahren, der Amputationen und Resektionen, 
lediglich nach den ziffermäßigen Angaben von Pribram, Mandl und 
Eickhoff zu vergleichen, ist nicht ohne weiteres zulässig. Bedenken wir, 
daß die Amputationen in den prognostisch ungünstigeren Fällen, also 
bei den weiter vorgeschrittenen Carcinomen ausgeführt wurden, während 
die Resektionen für die leichteren Formen reserviert blieben, so sind 
die besseren Dauerresultate bei dem letzteren Verfahren durchaus 
erklärlich. Will man ein richtiges Urteil über den Wert der einzelnen 
Methoden gewinnen, dann darf eben nicht die Amputation ausschlie߬ 
lich das Gebiet der schwersten und ungünstigsten Fälle bleiben. Daß 
die Dauerheilungen bei der Exstirpatio recti in Deutschland relativ 
selten sind, liegt hauptsächlich daran, daß die Mehrzahl unserer Chi¬ 
rurgen sich nur schwer dazu entschließen kann, auf die Kontinenz zu 
verzichten und sich mit einem Anus iliacus resp. Anus sacr. zu begnügen. 
Küttner ist der Ansicht, daß die Resultate bei den Resektionen in dem 
günstigeren Charakter der hochsitzenden früher stenosierenden Carci- 


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F. Kroll: 


nomformen begründet sind, die früher in Behandlung zu kommen 
pflegen. 

Wie sieht es nun mit der Kontinenz bei den resezierten Fällen aus? 
Wenden wir uns zunächst den auf sakralem Wege vorgenommenen Re¬ 
sektionen zu. Von den 6 Patienten schalteten 5 von vornherein für jede 
Kontinenzfrage aus. Von diesen starben 2 einige Tage nach erfolgter Re¬ 
sektion des Carcinoma. Einmal mußte wegen einer Stenose ein Anus 
iliacus 3 Monate nach der Operation angelegt werden, während sich in 
einem anderen Falle infolge Retraktion und Nekrose der Hinterwand 
des herabgezogenen Darmstückes eine Fistel bildete, die sioh kaum 
von einem Anus sacralis unterschied. Bei dem 5. Patienten war der Er¬ 
folg durch das Auftreten eines Rezidivs vereitelt. Nur in einem Fall 
hatte sich 3 Wochen nach der Operation das Gefühl für den Stuhl einge¬ 
stellt, der Stuhl konnte aber noch nicht gehalten werden. Ähnlich 
liegen die Verhältnisse bei dem kombinierten abdomino-sakralen Ver¬ 
fahren. Hier kamen 6 Patienten zur Beurteilung nicht in Betracht. 
3 starben infolge einer ausgedehnten Gangrän, bei einem anderen 
Patienten konnte noch nach Abstoßung der gangränös gewordenen 
Darmpartie ein Anus iliacus angelegt werden. In 2 weiteren Fällen 
führte hartnäckige Fistel- resp. Rezidivbildung zur Nachoperation mit 
Ausschaltung der natürlichen Sphincterfunktion. In den übrigen Fällen 
nahm die Heilung einen verhältnismäßig ungestörten Verlauf. Eine 
vollständige Kontinenz war bei keinem vorhanden. Es stellte sieb wohl 
das Gefühl für Stuhl ein, die Stuhlentleerungen konnten aber nicht will¬ 
kürlich geregelt werden. Die Patienten konnten weder dünnen Stuhl 
noch Darmgase zurückhalten. Nachuntersuchungen nach einem Zeit¬ 
raum von 1 x / 4 — 1 1 / 2 Jahren brachten keine wesentliche Änderung des 
Entlassungsbefundes. Diese schlechten Erfolge haben einmal ihren 
Grund in der gewöhnlich vorkommenden leichteren bzw. schweren 
Schädigung der Sphincterinnervation, die zu einer vorübergehenden 
oder dauernden Incontinentia führt, andererseits in der Unterbrechung 
der nervösen Bahnen. Das erscheint leicht verständlich, wenn man 
bedenkt, daß der Darm von seinem Mesenterium losgelöst, herabge¬ 
zogen und in ein ganz anderes Gebiet verpflanzt wird. Die nervösen 
Elemente besitzen wohl ein großes Regenerationsvermögen, wenn die 
notwendigen Vorbedingungen hierfür vorhanden sind. So sehen wir 
auch in denjenigen Fällen, die ohne jede Komplikation zur Ausheilung 
kommen, im weiteren Verlauf des Heilungsprozesses eine wesentliche 
Besserung, ja vollständige Kontinenz eintreten. Anders verhält es sich 
jedoch mit solchen Kranken, bei denen Nekrosen oder Fisteln zu in¬ 
filtrativen Prozessen oder narbigen Veränderungen geführt haben. Die 
Vereinigung des zentralen Darmstumpfes mit dem umgebenden Gewebe 
darf eben nicht durch Infiltration und Narbenbildung zustande kommen. 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


703 


Schon Wölfler hat auf dem Chirurgenkongreß im Jahre 1900 darauf hin¬ 
ge wiesen und betont, daß die Kontinenz nicht allein von der motorischen 
Aktion des Sphincter abhängt, sondern auch davon, bis zu welchem 
Grade die Reotalschleimhaut reflektorisch erregbar ist. Von 30 operierten 
Kranken hat Wölfler nach mehreren Jahren die Kontinenz geprüft. 
Dabei erhielt er das auffällige Resultat, daß manche doch relativ kon- 
tinent waren bei einfacher Amputation, während andere trotz aller Ma߬ 
nahmen selbst nach der Durchziehung des Darmes durch den erhaltenen 
Sphincter relativ oder ganz inkontinent geblieben sind. 

Strikturen, die sich im Verlauf der Fistelbildung und besonders im 
Anschluß an das Durchziehungsverfahren von Hochenegg einstellen, 
können die Tätigkeit des Sphincters vielfach gänzlich unmöglich machen, 
da der narbig veränderte stenosierende Darmwandring jede Zusammen- 
ziehung oder Ausdehnung des Sphincters verhindert. Wie hochgradig 
derartige Strikturen werden können, zeigen die oben erwähnten Fälle, 
in denen selbst Dilatationen in Narkose nur eine temporäre Besserung 
erreichten. 

Selbst bei vorhandener Kontinenz vermögen Fisteln den Zustand 
so weit zu verschlimmern, daß die betreffenden Patienten überhaupt 
nicht in den Genuß eines physiologisch wirkenden Sphincters kommen. 
Dieser Umstand wirkt um so erschwerender, als es bei der größten Zahl 
der Kranken nicht gelingt, die Fisteln späterhin operativ oder auf andere 
Weise zu beseitigen. Viele derartige Fälle unterscheiden sich dann in 
niohts von einem Anus sacralis, ja sie sind durch die Eiterung und Ver¬ 
jauchung noch schwerer dran. 

Werfen wir einen kurzen Rückblick auf die Erfolge mit den Re- 
aektionsmethoden, so ergibt sich für uns ein recht trauriges Bild. 5 mal 
kam es zu sehr ausgedehnten gangränösen Prozessen, denen 4 Patienten 
zum Opfer fielen. In 10 Fällen hatten sich hartnäckige Fisteln gebildet. 
Daneben traten mehrfach zum Teil sehr erhebliche Stenosen auf und 
2 mal Rezidive im Sphincter bereich. Nur bei 4 Patienten verlief die Hei¬ 
lung verhältnismäßig ungestört. Selbst in diesen Fällen konnten wir 
keine vollständige Kontinenz erzielen. 

Sakrale Amputationen. 

Fast sämtliche Chirurgen Deutschlands wenden in denjenigen Fällen, 
in denen sie wegen zu tiefen Sitzes und größerer Ausbreitung des Carci¬ 
noma oder aus anderen Gründen auf die Erhaltung des Schließmuskels 
verzichten, die sakrale Amputation des erkrankten Mastdarms im 
wesentlichen in der Form an, wie sie von Kraake im Jahre 1885 angegeben 
und dann weiter ausgebaut wurde. Der Verlauf der Operation ist im 
wesentlichen folgender: Der Kranke wird in die rechte oder linke 
Seitenlage gebracht und diese Stellung während der ganzen Dauer der 


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704 


F. Kroll: 


Operation beibehalten. Der Hautschnitt verläuft von der Mitte des 
Os sacrum bis zum Anus, diesen in etwa 2 cm Ausdehnung ovalär um¬ 
greifend. Der Schnitt wird im Bereich des Kreuz- und Steißbeins bis 
auf den Knochen vertieft, so daß das Kreuzbein und Steißbein freiliegt 
und nach dem jeweiligen Sitz und der Größe der Geschwulst reseziert 
werden kann. Man dringt in die Tiefe vor und löst teils stumpf, teils 
scharf das Rectum mit dem erkrankten Abschnitt aus seiner Um¬ 
gebung heraus. Ist eine ausgiebige Mobilisierung der Flexur zur An¬ 
legung des Sakralafters erforderlich, so wird das Douglasperitoneum 
am Übergang auf das Rectum seitlich und vorn eröffnet, wodurch sich 
der Darm mehrere Zentimeter weit nach unten herabziehen läßt. Kann 
das Rectum mit seinem oberhalb der Neubildung gelegenen Abschnitt 
noch nicht ohne Spannung in die Sakralwunde herabgezogen werden, so 
muß noch die Art. haemorrh. sup. unterbunden werden, die an der 
Hinterwand des Colon pelvinum verläuft und als spannender Strang 
fühlbar ist. Nachdem der Darm mit der Neubildung ohne die geringste 
Spannung bis vor die Hautwunde gebracht ist, wird das Peritoneum 
der Douglasfalte an den herabgezogenen Darm mittels Knopfnähten 
angeheftet und so die Bauchhöhle verschlossen. Der Tumor wird jetzt 
abgetragen und der zurückbleibende Darmstumpf im oberen Wund¬ 
winkel dicht unterhalb der Knochenwunde fixiert. 

Die Vorzüge dieses Verfahrens bestehen in dem verhältnismäßig 
geringen Eingriff. Die Operation spielt sich bis auf die vorübergehende 
Eröffnung des Douglas zur Mobilisierung der Flexura sigmoidea außer¬ 
halb der Peritonealhöhle im Bereich der Beckenweichteile ab. Durch 
den Fortfall der Laparotomie (kombinierte Methode) wird der doppelte 
Eingriff vermieden, der auf die Dauer der Operation und die unmittel¬ 
bare Mortalität von großem Einfluß sein kann. Dabei muß noch in Be¬ 
tracht gezogen werden, daß die größte Zahl der Mastdarmkrebsoperatio¬ 
nen an Leuten in vorgerücktem Lebensalter und bei geschwächtem 
Körperzustand vorgenommen wird. Lediglich in dem eben erwähnten 
Vorzug liegt wohl auch der Grund, weshalb die sakrale Methode in 
Deutschland so viele Anhänger gefunden hat. 

Eine Reihe erschwerender Momente schränkt jedoch die eben er¬ 
wähnten Vorteile erheblich ein. Gegenüber dem kombinierten abdomino¬ 
sakralen Operationsverfahren bietet die Sakralwunde, die sich nach der 
Tiefe zu trichterförmig verengt, eine schlechte Übersicht über da« 
Operationsgebiet. Da nur in den seltensten Fällen von der Eröffnung 
des Douglas zur Mobilisierung des herabzuziehenden Darmstumpfes ab¬ 
gesehen werden kann, ist man gezwungen, ohne genaue Kontrolle des 
Auges in der Tiefe zu operieren in der Nähe lebenswichtiger Organe. 
Die Auslösung des carcinomatösen Mastdarms aus dem umgebenden 
Gewebe wird oft durch starke Blutungen beeinträchtigt, die sich selbst 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


705 


bei genauester schichtweiser Durchtrennung und sofortiger Abklemmung 
nicht vermeiden lassen. Handelt es sich noch um Verwachsungen mit 
den Nacbbarorganen, so erschwert das derb-infiltrierte Gewebe eine Ab¬ 
grenzung aufs äußerste. Bei derartigen Fällen führen unerwünschte 
Zwischenfälle wie das Einreißen der Blase oder des Rectums selbst zu 
Infektionen der Wundhöhle, aus denen sich meist akute oder schlei¬ 
chende Peritonitiden entwickeln. 

Bei der Unmöglichkeit der Übersicht über die Gefäßversorgung der 
höher gelegenen Rectumpartien oder des S romanum kommt es oft 
zu einer Störung der Blutzirkulation im Bereich des herabgezogenen 
Darmstumpfes infolge mangelhafter Ernährung oder auch Abknickung 
des betreffenden Darmabschnittes. Phlegmonen und Peritonitiden mit 
ihrem meist tödlichen Ausgang schließen sich an oder der Darmstumpf 
versinkt in der Tiefe der Granulationshöhle. 

Während der letzten 10 Jahre wurde die sakrale Amputation an un¬ 
serer Klinik 16 mal angewendet. In der Mehrzahl der Fälle waren be¬ 
reits mehr oder weniger umfangreiche Verwachsungen des Tumors mit 
der Umgebung vorhanden. 9 mal hatten sich die Carcinommassen be¬ 
reits auf die Prostata, die Blase resp. das Kreuzbein ausgedehnt. Nur 
in 3 Fällen handelte es sich um weniger ausgebreitete Tumoren, die sich 
auch schon bei der rectalen Untersuchung als gut verschieblich er¬ 
wiesen und deren Auslösung auf sakralem Wege verhältnismäßig leicht 
gelang. Von den 16 Patienten starben 3 in einem Zeitraum von 6—10 
Tagen nach der Operation unter peritonitischen Erscheinungen. 

Unter den oben erwähnten 9 Fällen boten die Verwachsungen bei 
der Isolierung des carcinomatös entarteten Rectum vielfach erhebliche 
Schwierigkeiten. E inm al konnte bei der Ablösung des Tumors von der 
Blase eine Verletzung derselben nicht vermieden werden. Es kam zu 
einem Einriß der Blase. Die Rißwunde wurde sorgfältig übernäht. 
In den darauffolgenden Tagen entwickelte sich jedoch eine ausgedehnte 
Beckenphlegmone, die zu einer tödlichen Peritonitis führte. In einem 
anderen Fall wies der Tumor umfangreiche Verwachsungen mit der 
hinteren Vaginalwand auf, so daß zur radikalen Beseitigung der Ge¬ 
schwulst eine partielle Entfernung der ergriffenen Scheidenpartien er¬ 
forderlich war. Im Anschluß an die Operation kam es zu einer Ent¬ 
zündung der frischen Sakralwunde. Die Infektion der Sakralwunde mag 
in diesem Fall ihren Ausgang von der Scheide genommen und dann zu 
einer weiteren Ausbreitung auf das Peritoneum geführt haben. 

Bei dem 3. Patienten, bei dem das Carcinom bis in das Gebiet des 
Douglas reichte, erforderte die Anlegung des Sakralafters eine weit¬ 
gehende Mobilisierung der Pars pelvina und der Flexura sigmoidea. 
Mehrere Tage nach der Operation wurde der herausgezogene Darm¬ 
stumpf fast in seiner ganzen Ausdehnung nekrotisch. Die Folge war 


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F. Kroll: 


eine Infektion des Wundgebietes und eine in wenigen Tagen zum Tode 
führende aufsteigende Pelveoperitonitis. Wir begegnen hier einer 
Komplikation, wie wir sie vorher als eine der gefährlichsten Folge¬ 
erscheinungen bei den Resektionsmethoden kennen lernten, der Ent¬ 
stehung umfangreicher gangränöser Prozesse im Bereich des oralen 
Darmendes. Die Länge des zu mobilisierenden Bectumabschnittes resp. 
der Flexura sigmoidea dürfte sich wohl in solchen Fällen speziell bei 
hochsitzenden Tumoren kaum von der des gewöhnlichen Durchzugs¬ 
verfahrens noch weniger im Vergleich zur zirkulären Nahtvereinigung 
unterscheiden. 

Im allgemeinen bestehen keine wesentlichen Unterschiede hinsicht¬ 
lich der Todesursachen zwischen unseren Angaben und denjenigen der 
Literatur. Trotz der großen Fortschritte, die die chirurgische Technik 
und Asepsis in den letzten Jahrzehnten gemacht hat, steht die Wund¬ 
infektion bei alleinigem sakralen Vorgehen auch heute noch an erster 
Stelle. Unter unsero 16 Fällen mußten wir 3 mal schwere Störungen 
im Wundverlauf beobachten. 

Eine ältere Tabelle Hocheneggs, die ich der Arbeit von Mandl ent¬ 
nehme, ergibt ebenfalls ein deutliches Zeugnis Von dem traurigen Bild 
der Wundinfektion. 

Danach starben an Wundinfektion: 

Arndt-Kocher .59,0% der Todesfälle 

Frank.55,0% „ 

Herczel.25,0% „ „ 

C. Mayo.39,8% „ „ 

Küster. 60,07% „ „ 

Sammelstatistik Krönleins .... 51,8% „ „ 

Lieblein-Wölfer.50,0% „ „ 

Petermann-Rotter.71,0% „ „ 

Dieses Resultat hat sich auch in den folgenden Jahren trotz größerer 
Erfahrung und Übung nicht gebessert. Die fortlaufend geführte Stati¬ 
stik aus der Hochenegg sehen Klinik läßt keine wesentlichen Änderungen 
zugunsten der sakralen Amputation erkennen. Nach Zinner, der über 
die Jahre 1900—1908 berichtete, waren 64,7% aller Todesfälle auf 
Rechnung der Infektion zu setzen. Die anschließend weitergeführte 
Statistik Mandls, die den Zeitraum von 1908 bis zur Jetztzeit umfaßt, 
zeigt eine Mortalität von 42,8%. 

Auch nach den beiden anderen neu erschienenen Arbeiten von 
Pribram und Eichhoff sind ebenso wie bei unserem Material die meisten 
Todesfälle auf Sepsis und Wundinfektion zurückzuführen. 

Die eben geschilderte Gefahr der Wundinfektion hat wohl bei rein 
sakralem Vorgehen zum größten Teil ihren Grund in den schwierigen 
Wundverhältnissen. Das durch die Sakralwunde verlaufende Darm¬ 
rohr bietet viel kompliziertere Verhältnisse als die große leicht zu tarn- 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


707 


ponierende Wunde bei der kombinierten Methode, die sich außerdem 
gegen die Bauchhöhle durch eine exakte Peritonealnaht verläßlich ab¬ 
schließen läßt. 

Kombinierte. Amputationen. 

Während der letzten Jahre — unter der Direktion Kirschner — 
wurde an der hiesigen Klinik in 23 Fällen die kombinierte Amputation 
angewendet, die in den Hauptzügen dem Qutnuaehen Verfahren gleicht. 
Kein anderes Amputationsverfahren ist innerhalb dieser Zeit zur An¬ 
wendung gekommen. Wir verzichten stets auf die Allgemeinnarkose 
und führen den Eingriff unter Lumbalanästhesie aus, die meist ge¬ 
nügte und erst gegen Ende der Operation nachließ, und dann durch 
Allgemeinnarkose unterstützt wurde. Bei dem größten Teil bedurfte es 
nur einer sehr geringen Menge des Narkoticums, um durch einen leichten 
Dämmerzustand die schmerzhaften Empfindungen femzuhalten. In 
Trendelenburg scher Lage erfolgt die Eröffnung der Bauchhöhle in der 
Mittellinie vom Nabel bis hart an die Symphyse. Die Recti werden am 
Symphysenansatz beiderseits eingekerbt. Hierauf wird eine steile Becken¬ 
hochlagerung angewendet, wodurch die Dünndarmschlingen gegen 
das Zwerchfell zurücksinken und durch Kompressen gegen die übrige 
Bauchhöhle abgestopft werden können. Es folgt zunächst die Unter¬ 
bindung der beiden Artt. hypogastricae. Dann wird die Flexura sigmoi- 
dea vom Mesosigmoideum abgelöst. Zieht man jetzt den unteren Darm¬ 
abschnitt an, so läßt sich dieser unter Eröffnung des Douglasperitoneums 
meist leicht bis zur Levatorplatte mobilisieren. Hierauf wird die Flexur 
etwa im unteren Drittel zwischen 2 Darmklemmen unter sorgfältiger Ab¬ 
stopfung durchtrennt und jeder der beiden Darmstümpfe durch ein¬ 
stülpende Nähte verschlossen. Das zentrale Darmende wird durch 
einen Schnitt in der linken Regio iliaca herausgeleitet und durch einige 
Nähte von der Haut fixiert. Nach der vollständigen Auslösung bis zu 
der eben erwähnten Grenze erfolgt die Versenkung des distalen Darm- 
stumpfes in das kleine Becken. Der versenkte Darmstumpf wird dann 
mit einem großen Gazebausch bedeckt und die Bauchhöhle zeltförmig 
darüber verschlossen. Der zweite Akt, der sogleich ausgeführt wird, 
besteht in der Entfernung des weitgehend mobilisierten peripheren 
Darmstumpfes nach der weiter oben beschriebenen Methode von Kraake. 
Meistenteils genügt hierfür die Resektion des Steißbeins. Dieser Teil der 
Operation wird zur Schonung des neu angelegten Anus iliacus in rechter 
Seitenlage ausgeführt. 

Abgesehen von denjenigen Rectumcarcinomen, die in den obersten 
Partien des Rectum ausgebreitet und schon deshalb auf sakralem Wege 
überhaupt nicht zu entfernen sind, werden die vielfach geäußerten 
Bedenken gegenüber der kombinierten Methode unabhängig von dem 
Sitze der Geschwulst durch so viele Vorteile aufgewogen, daß wir sie 


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F. Kroll: 


an unserer Klinik als einzige Methode anwenden. Sie ist die einzige 
Methode, die den breitesten und bequemsten Zugang zum Operations¬ 
feld gewährt. 

Durch die steile Beckenhochlagerung und Abstopfung der Dünndarm¬ 
schlingen gegen die übrige Bauchhöhle wird das kleine Becken von 
diesen befreit und eine klare und deutliche Übersicht für die Auslösung 
des Rectum geschaffen. Die Abgrenzung der carcinomatösen Darmab¬ 
schnitte läßt sich dann meist ohne größere Schwierigkeiten besonders 
in der Gegend der Blase, der Ureteren usw. durchführen, was z. B. 
bei dem Kraske sehen Verfahren nicht immer der Fall ist, wo wir von 
der Sakralwunde her gezwungen sind, ohne genaue Kontrolle des Auges 
uns mehr auf das Gefühl zu verlassen. Zwar ist die Isolierung des 
Rectum von der Bauchhöhle beim männlichen Geschlecht wegen der 
engeren Beckenverhältnisse im allgemeinen schwieriger als bei der Frau. 
Ein Nachteil gegenüber dem sakralen Vorgehen ist hierin jedoch nicht zu 
erblicken, da in dieser Hinsicht die gleichen Schwierigkeiten in noch 
erheblicherem Grade auch bei der sakralen Operation vorhanden sind. 
Der bequemere Zugang zum Operationsfeld und die bessere Übersicht 
ermöglichen es uns außerdem, bei ausgedehnteren Verwachsungen des 
Carcinoms, die bereits zu Fixationen mit den Nachbarorganen geführt 
haben, noch radikal Vorgehen zu können. In der Literatur finden sich 
mehrfach Angaben, daß sakral begonnene Operationen wegen zu um¬ 
fangreicher Verwachsungen des carcinomatös entarteten Darmes mit 
den Organen der Umgebung abgebrochen und auf kombiniertem Wege 
vollendet werden mußten. Die ersten operativen Eingriffe, die mittels 
des kombinierten Verfahrens gemacht werden, stellen derartige Opera¬ 
tionen dar und führten dann erst überhaupt zu einem planmäßigen 
Ausbau dieser Methode. Bei den Versuchen, auf dorsalem Wege den 
Tumor zu exstirpieren, stieß man wegen ausgedehnter Fixation des¬ 
selben vielfach auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Man sah sich ge¬ 
zwungen, den Patienten umzulegen und von oben aus die Exstirpation 
des Tumors vorzunehmen, was dann meist verhältnismäßig leicht ge¬ 
lang. 

Mandl selbst, der ausschließlich für die sakrale Amputation eintritt 
und die kombinierte Operation lediglich als eine Methode der Not be¬ 
zeichnet und nur für besonders komplizierte Fälle reserviert wissen will, 
berichtet über 11 Fälle, die zwangsweise nach sakraler Voroperation 
kombiniert operiert werden mußten. Es handelte sich hierbei meist 
um ausgedehnte Fixation mit der Umgebung, welche den ursprünglich 
geplanten sakralen Eingriff aufzugeben zwangen. In unserer Klinik 
haben wir vor der Anwendung des kombinierten Verfahrens ähnliche 
Fälle beobachtet. Die Nachteile dieser Art des operativen Vorgehens 
bestehen vor allem in der großen Gefährdung der Asepsis, da diese bei 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


709 


der sakral begonnenen Auslösung des Tumors in der Nähe des Afters 
und durch die Umlagerung leidet. 

Durch die vorausgehende Laparotomie haben wir die Möglichkeit, 
viel radikaler vorzugehen. Dies bezieht sich vor allem auf die Ent¬ 
fernung hochsitzender Drüsenmetastasen. Teilen wir das Rectum in die 
3 Abschnitte Pars perinealis recti, Pars pelvina recti und Colon pelvi- 
num ein, so ergeben die topographischen Beziehungen dieser Abschnitte 
zum Lymphgefäßsystem, daß nur die zur Pars perinealis recti gehörigen 
Drüsen allein auf dorsalem Wege radikal entfernt werden können. Das 
Lymphgefäßsystem der Pars pelvina recti und des Colon pelvinum 
zieht sich bis zu den Glandulae haemorrh. sup. hin, die sich wiederum 
bis zur Radix des Mesosigma erstrecken. Sie liegen also intraperitoneal. 
Damit sind wir aber außerstande, diese Drüsengebiete allein von unten 
her, durch die sakrale Amputation, zu entfernen. Nur die Laparotomie 
gestattet uns, die Drüsen der Pars pelvina und des Colon pelvinum 
radikal anzugreifen. Hierin liegt einer der wesentlichsten Vorzüge der 
kombinierten Methode. 

Die Eröffnung der Bauchhöhle bewahrt uns andererseits vor aus¬ 
sichtslosen Operationen bei inneren Metastasen, die im Bereich der 
ganzen Bauchhöhle, sehr frühzeitig aber in der Leber, aufzutreten pfle¬ 
gen. Unnötige radikale Eingriffe lassen sich auf diese Weise in den 
meisten Fällen noch rechtzeitig vermeiden. Unter unserem Material 
erwiesen sich 11 Fälle, die bei der rectalen Untersuchung noch den Ein¬ 
druck machten, als ob sie radikal operiert werden könnten, bei der 
Laparotomie als inoperabel. Teils waren es ausgedehnte Drüsenmeta¬ 
stasen im Bereich des Mesenteriums der Flexur, teils so ausgedehnte 
Verwachsungen mit der Blase und dem Kreuzbein, daß eine radikale 
Entfernung der Geschwulst unmöglich erschien. Eine Patientin wies 
bereits Ascites und kleine metastatische Knötchen auf, die über die 
ganze Serosa ausgebreitet waren. 

In anderen Fällen ist man wiederum überrascht, eine verhältnis¬ 
mäßig bewegliche Geschwulst bei der Laparotomie zu finden, die sich 
noch gut gegen die Nachbarorgane abgrenzen läßt, trotzdem man 
bei der digitalen Untersuchung den Eindruck eines anscheinend fest¬ 
sitzenden Tumors gewonnen hatte. 

Bei der Eröffnung des Douglas können gelegentlich Darmsohlingen 
in die Sakralwunde heruntergleiten, die im Vergleich zur Bauchhöhle 
wegen der Nähe des Anus nicht dieselben aseptischen Verhältnisse 
bietet. Die kombinierte Methode schützt uns dagegen vor diesen un¬ 
erwünschten Zwischenfällen, da die Auslösung des peripheren Darm¬ 
endes von der Sakralwunde durch den vorherigen Douglasverschluß 
ohne jede Kommunikation mit der Bauchhöhle erfolgen kann. Außer¬ 
dem ist vom Abdomen her ein exakterer Verschluß des eröffneten Dou- 


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F. Kroll: 


glasperitoneums möglich, als um den nach dem Sacrum führenden 
Dannstumpf bei rein dorsalem Vorgehen. Welche Gefahren derartige 
Vorgänge mit sich bringen können, beweisen einige in der Literatur be¬ 
schriebene Fälle. Zinner erwähnt einen solchen Fall. Nach der Eröff¬ 
nung des Douglas war es infolge mangelhafter Narkose zu einem Prolaps 
zahlreicher Dünndarmschlingen gekommen. Der Patient ging kurze 
Zeit darauf an einer Peritonitis zugrunde. Ähnliche Komplikationen 
werden von Kohn, Arndt und Mandl berichtet. 

Während die Isolierung des Rectum bei der sakralen Amputation 
öfter durch größere Blutungen erschwert wird, sind wir bei kombinier¬ 
tem Vorgehen durch die Laparotomie imstande, diese Schwierigkeiten 
durch die beiderseitige Unterbindung der Art. hypogastrica zu um¬ 
gehen. Regelmäßig führen wir deshalb die Ligatur der beiden eben er¬ 
wähnten Arterien als ersten Akt aus. Hierdurch wird nämlich das 
Stromgebiet der Art. sacralis laterales, der Art. haemorrh. media und inf. 
ausgeschaltet, abgesehen von den übrigen kleineren weniger in Be¬ 
tracht kommenden Gefäßästen der Hypogastrica. Die Durchtrennung 
der seitlichen Stränge des Rectums wird durch die Unterbindung der 
Art. haemorrh. sup., die bei der Ablösung des Mesosigma erfolgt, wesent¬ 
lich erleichtert. Auf diese Weise läßt sich das Rectum bis zum Ansatz 
der Levatores ani isolieren, ohne daß in den meisten Fällen kaum ein 
Tropfen Blut fließt. Das lästige und dauernde Tupfen und die große 
Zahl der zur Ligierung der Gefäße notwendigen Klemmen fällt damit 
fort, was den Gang der Operation sehr erleichtert und eine bessere Ab¬ 
grenzung von den Nachbarorganen ermöglicht. Große Blutverluste 
lassen sich somit vermeiden. Ich glaube, daß das gute Überstehen der 
kombinierten Operation in den meisten unserer Fälle nicht zum gering¬ 
sten Teil darauf zurückzuführen ist, daß wir jeden wesentlicheren Blut¬ 
verlust vermeiden. In engem Zusammenhang damit dürften wohl 
auch unsere Erfahrungen stehen, daß wir im Gegensatz zu den meisten 
Autoren, die bei den kombinierten Amputationen und Resektionen 
die Kollapsgefahr sehr betonen, die gegenteilige Beobachtung gemacht 
haben. Es ist vielmehr direkt erstaunlich, wie gut die Patienten, abge¬ 
sehen von gelegentlichen vorübergehenden Schwächezuständen, wie sie 
auch sonst bei der Lumbalanästhesie Vorkommen, die an sich großen 
Eingriffe überstehen. Wenn die Unterbindung der Art. hypogastrica 
in Deutschland wenig Anklang gefunden hat und von deutschen Chirur¬ 
gen (Pojypert) hervorgehoben wird, daß die Blutungen aus der Art. 
haemorrh. media und inf. leichter und einfacher zu stillen sind als durch 
die meist schwierige Unterbindung der Hypogastrica, können wir diese 
Ansi cht nicht teilen. Wir sind dabei niemals auf irgendwelche nennens¬ 
werten Schwierigkeiten gestoßen. Die Unterbindung ließ sich vielmehr 
immer leicht ausführen. 


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Original frorn 

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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


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Die Vorteile des Anus iliacus haben uns bis zu einem gewissen Grade 
ebenfalls bestimmt, der kombinierten Methode den Vorzug zu geben. 
Trotz des anfänglich häufig beobachteten Widerwillens der Patienten, 
vorn in der unteren Bauchgegend einen widernatürlichen After zu tragen, 
gewöhnen sie sich bald an diesen Zustand und befinden sich dann in einem 
weit besseren Zustand als mit einem Anus sacralis. Die Kranken können 
den Leistenafter, den sie vor Augen haben, viel besser reinigen und die 
umgebenden Hautpartien leichter pflegen. Durch Pelotten läßt sich 
ein viel leichterer und sicherer Verschluß erzielen als beim Anus sacralis, 
wo es geradezu unmöglich sein kann, eine gut sitzende Pelotte anzu¬ 
legen. Gleichzeitig bietet ein Anus iliacus viel günstigere Vorbedingun¬ 
gen zur Erzielung einer relativen Kontinenz. 

Die Nachbehandlung gestaltet sich denkbar einfach. Die Sakral¬ 
wunde wird nur locker austamponiert. Die Tampons werden am 5. bis 
6. Tag zum ersten Male entfernt und erneuert. Die Reinigung kann 
durch Spülungen unterstützt werden und in späterer Zeit durch Sitz¬ 
oder Vollbäder erfolgen. Der Anus iliacus bedarf ebenfalls keiner be¬ 
sonderen Pflege, er wird am 2. bis 3. Tage aufgebrannt. Die Gefahren 
zu frühzeitiger oder flüssiger Stuhlentleerungen in einer Zeit, wo die 
Wunde noch nicht durch widerstandsfähige Granulationsmassen ge¬ 
schützt ist, fallen fort. Den Kranken bleibt nach der Operation die 
künstlich durch fortgesetzte Opiumgaben erzeugte Obstipation erspart, 
die Intoxikationen hervorrufen kann und den an und für sich schon ge¬ 
schwächten Organismus schädigen muß. Der Wundinfektion, die bei 
dem sakralen Verfahren eine der schwersten Komplikationen in der 
Nachbehandlungsperiode darstellt und in nur wenigen Fällen ohne 
Schaden für den Kranken verläuft, begegnen wir kaum. Wenigstens 
haben wir bei unseren auf kombiniertem Wege vorgenommenen Ampu¬ 
tationen mit einem Anus praeternaturalis iliacus niemals von der Sakral¬ 
wunde ausgehende Peritonitiden beobachtet. 

Unterziehen wir nun die Rectumamputationen, die einzeitig auf 
kombiniertem Wege ausgeführt wurden, einer kritischen Betrachtung, 
so finden wir, daß von 23 Patienten 2 an schweren Lungenkomplikatio¬ 
nen 7—9 Tage nach der Operation starben. Eine Patientin starb 8 Tage 
nach der Operation an einer Peritonitis, die ihren Ausgang von der 
zum Anus praeternaturalis verwendeten Flexurschlinge genommen 
hatte. Der eingenähte Flexurstumpf war nekrotisch geworden und hatte 
sich zurückgezogen. Bei der Obduktion fanden sich hier Nekrosen und 
fibrinös-eitrige Beläge des Peritoneums. In einem weiteren Fall brei¬ 
tete sich 4 Wochen nach der Operation in der Umgebung des Anus praeter 
ein Erysipel aus, das sich unter sehr hohen Temperaturen auf den 
Rücken, das Scrotum und die Oberschenkel ausdehnte. Unter zu¬ 
nehmender Herzschwäche und weiterem Emporsteigen des Erysipels 


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F. Kroll: 


auf die obere Körperhälfte trat wenige Tage darauf der Tod ein. Eine 
andere Patientin machte ihrem Leben in der Rekonvaleszenz durch 
Selbstmord ein Ende. Alle übrigen Fälle heilten ohne jeden Zwischen¬ 
fall und konnten meist 8 Wochen nach erfolgter Operation geheilt ent¬ 
lassen werden. 

Sehen wir von denjenigen Fällen ab, in denen Lungenkomplikationen 
den Krankheitsverlauf erheblich erschwerten oder das in der Rekon¬ 
valeszenz plötzlich aufflackemde Erysipel zum Tode führte, bleibt nur 
1 Fall übrig, dessen Todesursache rhit dem Operationsverfahren in 
direktem Zusammenhang steht. Auch hier hätte man den unglück¬ 
lichen Ausgang sicher vermeiden können, da lediglich infolge des zu 
kurz gewählten Flexurstumpfes eine Nekrose und anschließende Peri¬ 
tonitis aufgetreten war, ein Fehler, der auf ungenügender Erfahrung 
beruhte. Von vornherein ist der durch Suicid erfolgte Tod von der Be¬ 
urteilung auszuschließen. 

Wollen wir aber ein Urteil über den Wert einer Operationsmethode 
erhalten, dann müssen wir auch in jedem Falle die Weite der Indika¬ 
tionsstellung mit in Betracht ziehen. In den meisten unserer Fälle 
handelte es sich um Patienten in vorgerücktem Lebensalter und schlech¬ 
tem Kräfte- und Ernährungszustand. Die Grenze des Lebensalters lag 
zwischen 24 und 68 Jahren. Hierunter befand sich jedoch nur je ein 
Kranker im Alter von 24 und 42 Jahren, während die übrigen bereits die 
Altersgrenze von 55 Jahren überschritten hatten. Daneben stellte ein 
Teil bereits sehr weit vorgeschrittene Carcinome dar. 

Mehr oder weniger umfangreiche Verwachsungen mit den Nachbar¬ 
organen wie der Prostata, Blase, Vagina und dem Kreuzbein waren vor¬ 
handen. Bei 2 Patienten bestanden Verwachsungen mit der Prostata, 
in 3 weiteren Fällen außerdem mit der Blase und der hinteren Scheiden¬ 
wand. 3 mal waren die Ureteren und die Samenblasen mitergnffen. 
Bei einem anderen Patienten war die Geschwulst mit dem Kreuzbein 
verwachsen. 

Ich möchte noch auf 11 andere Fälle hinweisen, die weiter (Direktion 
Friedrich) zurückliegen und von der von Kirschner jetzt als Regel ge¬ 
übten kombinierten Methode insofern abweichen, als sie zweizeitig ope¬ 
riert wurden. Sie sollen bei der späteren Beurteilung der kombinierten 
Methode nicht herangezogen werden. 2—3 Wochen nach Anlegung des 
Anus praeternaturalis iliacus wurde der 2. Eingriff, die Beendigung auf 
sakralem Wege vorgenommen. Dieses Verfahren bot keine besseren Er¬ 
folge. Von den 11 Patienten starben 3 = 27% Mortalität. Bemerkens¬ 
wert ist, daß gerade bei dieser Methode, die doch durch die Teilung der 
Operation und Verschiebung auf zwei getrennte Zeitpunkte eine Ver¬ 
ringerung des Eingriffs beabsichtigt, 2 Patienten während des 2. Ein¬ 
griffs kollabierten. Der eine starb gleich im Anschluß an die Operation, 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


713 


wahrend der andere sich auch nicht mehr recht erholen konnte und 
einige Tage später der Schwere des Eingriffs erlegen ist. Ich glaube, daß 
die Länge des Krankenlagers viel schwächender auf die Patienten ein¬ 
wirkt als ein einmaliger größerer Eingriff. Berücksichtigt man noch das 
meist hohe Alter der Kranken, das zur Entstehung von interkurrenten 
Erkrankungen in sehr hohem Grade disponiert, so wird man sich doch 
in jedem Falle lieber zu einem einzeitigen größeren Eingriff entschließen, 
als das Krankenlager, zu verlängern und damit die Gefahr der interkur¬ 
renten Erkrankungen zu erhöhen. 

Bei der nun folgenden Beurteilung sollen einerseits die Resektionen 
den Amputationen bezüglich ihrer Vor- und Nachteile vergleichend gegen¬ 
übergestellt, andererseits die von uns jetzt grundsätzlich geübte Be¬ 
vorzugung der kombinierten vor der sakralen Amputation begründet 
werden. 

Werfen wir einen Rückblick auf die einzelnen Operationsmethoden, 
so können wir nicht leugnen, daß die Resektion, so berechtigt sie an sich 
in dem so idealen Bestreben ist, dem Kranken einen verschlußfähigen 
After zu erhalten, viele und schwere Gefahren mit sich bringt. Die größte 
Gefahr ist die Gangrän, der wir trotz strengster Rücksichtnahme auf 
die Gefäßversorgung niemals Vorbeugen können. Schwere Wundinfek¬ 
tionen sind ihre Folge und führen häufig zu tödlich verlaufenden Peri¬ 
tonitiden. Ein Drittel sämtlicher Kranken fällt dieser Gefahr zum 
Opfer. Ein weiteres Drittel, bei dem die Gangrän auf kleinere Stellen 
beschränkt bleibt, behält Fisteln zurück, die nur selten von selbst heilen 
und sich auch durch Nachoperationen kaum beseitigen lassen. Das 
Endresultat ist dann eine Kotfistel, mit der sich die betreffenden Pa¬ 
tienten in einem weit schlechteren Zustand befinden als mit einem Anus 
praeternaturalis. Besonders häufig sehen wir bei der Resektion unsere 
Erfolge durch lokale Rezidive vereitelt, da die Rücksicht bei der Iso¬ 
lierung des Rectums unter Schonung des Sphincterapparates leicht ver¬ 
leitet, nicht weit genug im Gesunden zu operieren. Nur ein relativ ge¬ 
ringer Teil der Kranken bleibt von diesen Komplikationen bewahrt. 
Und auch hier werden wir in einem großen Prozentsatz der Fälle durch 
das. Ausbleiben der Kontinenz enttäuscht. 

Unter unseren 19 Fällen trat 5 mal eine sehr schwere Gangrän auf. 
4 Patienten starben, einer konnte noch durch Anlegen eines Anus 
praeternaturalis gerettet werden. 9 Patienten behielten Fisteln zurück 
und wiesen außerdem 4 mal Stenosen und 3 mal Rezidive im Sphincter- 
bereich auf. Bei den übrigen 5 entsprach das Ergebnis nicht den ge¬ 
wünschten Erwartungen. Sie blieben von dem erhofften Endziel, der 
Kontinenz, noch weit entfernt. 

Ähnlich wie bei den Resektionen liegen die Verhältnisse bei den 
sakralen Amputationen. Bei diesem Verfahren begegnen wir ebenfalls, 

Archiv f. klin. ChirurRle. 125. 


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F. Kroll: 


wenn auch selten, der Gangrän. Die Wundinfektion stellt nach den 
älteren wie den neuesten Statistiken 50% sämtlicher Todesfälle dar. 
Die Möglichkeit, radikal Vorgehen zu können, bezieht sich auch nur 
auf einen ganz kleinen Teil des Rectums, die Pars perinealis. Bei höher 
gelegenen und weiter vorgeschrittenen Fällen läßt sich die Entfernung 
des Carcinoma auf rein sakralem Wege nicht radikal genug durchführen, 
da die dazugehörigen Drüsengebiete intraperitoneal gelegen sind und 
nur per laparotomiam exstirpiert werden können. Der einzige Vorteil 
der sakralen Amputation im Vergleich zu den kombinierten Methoden 
liegt lediglich in dem geringeren Eingriff. Auf Kosten der eben er¬ 
wähnten Nachteile diesen einzigen Vorzug zu erkaufen, erscheint jedoch 
nicht angängig. 

Ein anderes Bild erhalten wir, sobald wir auf kombiniertem Wege 
ohne Rücksicht auf die Wiederherstellung der Kontinenz den erkrank¬ 
ten Darmabschnitt mitsamt den dazu gehörigen Drüsen radikal ent¬ 
fernen und einen Bauchafter anlegen. Die Erfolge bessern sich sofort. 
Die sonst so schweren Komplikationen der Resektionsmethoden, die 
Gangrän mit der darauffolgenden Wundinfektion und die Fistelbildung, 
fallen fort. Der Entstehung von Metastasen und der Rezidivgefahr 
können wir ebenfalls viel gründlicher begegnen und unnötige radikale 
Eingriffe durch das Absuchen der Bauchhöhle vermeiden. Die beider¬ 
seitige Unterbindung der Art. hypogastrica ermöglicht es uns außerdem, 
fast ganz blutleer zu operieren. 

Der wesentlichste Nachteil ist der Verlust des normalen Sphinctere, 
der auch nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn es sich um Tumoren 
oberhalb der Pars perinealis recti handelt. Der Verzicht auf den Sphinc- 
ter ist aber auch nur ein scheinbarer Nachteil, deshalb, weil die Aus¬ 
sichten auf einen wirklich funktionsfähigen Sphincter bei der Resektion 
selbst bei komplikationslosem Heilungsverlauf gering sind und der 
größte Teil der Kranken überhaupt nicht in den Genuß eines solchen 
kommt. Mehrfache Nachoperationen füllen dann noch oft die wenigen 
Lebensjahre des betreffenden Patienten aus und machen ihnen die Aus¬ 
übung ihres Berufes immöglich. Die Anlegung eines Anus praeter¬ 
naturalis läßt sich dann vielfach schließlich doch nicht umgehen. 

Die so häufig gemachten Einwendungen gegen die Größe des Ein¬ 
griffes und die damit verbundene Schockgefahr können wir nach den 
Erfahrungen an der hiesigen Klinik nicht bestätigen. Die Kranken über¬ 
standen die Eingriffe vielmehr nach der Resektion auf kombiniertem 
Wege gut. Ein Patient, bei dem wegen ausgedehnter Gangrän 3 Wochen 
später ein nochmaliger großer Eingriff vorgenommen werden mußte, 
überstand auch diesen ohne besondere Störungen. Ebenso halten un¬ 
sere Erfolge bei der kombinierten Methode jeden Vergleich mit dem 
sakralen Verfahren aus. Ja sie sind wesentlich besser, wenn man berück- 


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Die Erfolge der Mastdarmkrebsoperationen usw. 


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sichtigt, daß kaum ein Todesfall mit der Operationsmethode selbst in 
direktem Zusammenhang stand. Ähnliche Resultate sind auch aus an¬ 
deren Kliniken angegeben. Rätter erzielte sogar eine Mortalität von 
nur 6% (16 operierte, 1 Todesfall). Die Statistik von Ooepel mit 15% 
Mortalität bei 21 Fällen und die von Mayo mit 18% und Chiiyon mit 14% 
bleiben hinter den Erfolgen der sakralen Operation nicht zurück. Dem¬ 
nach ist ein großer Fortschritt der kombinierten Methode unverkenn¬ 
bar. Ich glaube nicht fehlzugehen in der Annahme, daß sich die Ope¬ 
rationsresultate der einzelnen Kliniken während der letzten Jahre bei 
der kombinierten Methode erheblich verbessert haben gegenüber den 
Resultaten des vorletzten Jahrzehnts, wo sich nach einer Zusammen¬ 
stellung von Heiler Mortalitätsziffem bis zu 68% finden. Bisher liegen 
aber noch keine umfassenderen Angaben aus deutschen Kliniken vor. 

Wir vermuten, daß das kombinierte Verfahren mit Unrecht in Mi߬ 
kredit gekommen ist und wenig geübt wird, ln der ausländischen Lite¬ 
ratur finden sich dagegen vereinzelte Angaben über entsprechende Re¬ 
sultate aus den letzten Jahren. 

Pauchel erreichte mit der kombinierten Methode, deren Beschreibung 
im wesentlichen dem Qutnu sehen Verfahren gleicht, eine unmittelbare 
Mortalität von 10%, Miles von 72 auf diese Weise Operierten bei den 
ersten 42:40%, bei den nächsten 19:26,3% und bei den letzten 11:18%, 
andererseits dürfen wir nicht verkeimen, daß gerade die kombinierte 
Operation bei sehr weit vorgeschrittenen Fällen angewendet wurde, 
während die sakrale Methode für die weniger schweren Fälle Vorbehalten 
blieb. 

Im Hinblick auf die vorher erwähnten bedeutenden Vorteile und 
die günstige Mortalitätsziffer der kombinierten Methode an unserer 
Klinik bringen wir seit 1916 bei der Radikalbehandlung jedes Rectum- 
carcinoms ausschließlich die kombinierte Methode zur Anwendung. 
Wir halten sie für den einzigen Weg, die augenblicklichen und die Dauer¬ 
erfolge bei der Bekämpfung dieses weit verbreiteten Leidens zu bessern 
und den Kranken unnötige Versuche der Radikaloperation zu ersparen. 

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bestimmend sein für die Operabilität? Wien. klin. Wochenschr. 1909, Nr. 35, 
S. 1206. 


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(Aus der chirurgischen Universitätsklinik zu Königsberg L Fr. 

[Direktor: Prof. Kirschner].) 

Die chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalkablagerungen. 

Von 

Dr. med. Hermann Stegemann, 

Assistent der Klinik. 

Mit 8 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 6. Mai 1923.) 

Kalkablagerungen in der Umgegend von Gelenken besitzen ein 
großes klinisches Interesse. Nach den Erfahrungen unserer Klinik 
kommen sie viel häufiger vor als man für gewöhnlich annimmt. Ihre 
Erkennung und richtige Bewertung kann manches Licht in das ätio¬ 
logische Dunkel unbestimmter Gelenkschmerzen extraartikulärer Natur 
bringen. Hierbei gestattet das Röntgenverfahren für in der Tiefe lie¬ 
gende, durch die deckende Muskulatur direkter Betrachtung und Be¬ 
tastung entzogene Kalkherde wertvolle Schlüsse für Diagnose und 
Therapie. 

Befunde von derartigen schattengebenden Gebilden, wie de der 
Amerikaner Painter, wie de Lewandomky aus der Berner dermato¬ 
logischen Klinik beschrieb und die von letzterem als Kalkablagerungen 
festgestellt wurden, hatten ihre Vorläufer schon in den teilweise ohne 
das Röntgenverfahren festgestellten, von Profichet und später von 
Milian hauptsächlich von dermatologischem Gesichtspunkte aus zu¬ 
sammengetragenen Fällen multipler Verkalkung des subcutanen und 
periartikulären Gewebes. Prädilektionsstellen für gehäuftes Vorkommen 
bilden die Extremitäten, an ihnen besonders die Nachbarschaft der 
großen Gelenke und Schleimbeutel. Trotz vollkommener Unversehrtheit 
der Gelenkenden kam es dabei in einigen Fällen zu erheblicher Be¬ 
wegungsstörung und Muskelatrophie. Das chirurgische Interesse für 
diese eigenartige Bewegungsbehinderung wurde bei uns in Deutschland 
jedoch erst durch Befunde aus der Königsberger Klinik wachgerufen. 
Alfred Stieda berichtet 1908, daß sich bei röntgenologischen Unter¬ 
suchungen schmerzender Schultergelenke an der Außenseite des Hu¬ 
meruskopfes in der Gegend zwischen Tuberculum majus und Akromion 
ein oder mehrere verschieden große, unregelmäßige Schattengebilde 


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H. Stegemann: Chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalkablagerungen. 719 

von wolkigem Aussehen fanden, die er anfangs durch gichtische Ab¬ 
lagerungen, d. h. harnsaure Salze, in Wand und Lumen der Bursa 
subacromialis und subdeltoidea bedingt hielt. Die Annahme harn- 
saurer Salzaklagerungen wurde aber von ihm nach gemeinsam mit 
Bergemann ausgeführten Untersuchungen operierter Fälle widerrufen, 
da niemals Harnsäure, sondern stets kohlen- und phosphorsaurer Kalk 
nachgewiesen werden konnte. Daß es sich in derartigen Fällen in der 
Tat um derartigen Kalk handelt, geht aus weiteren Untersuchungen 
von Codmann, Haenisch und Wrede hervor. Auch wir konnten den Kalk 
in einem operierten Falle nach weisen. Die Befunde Stiedas wurden in 
den folgenden Jahren von mehreren Autoren bestätigt (Haudeck, Holz¬ 
knecht, Stein, Haenisch, Wrede), jedoch unter der verschiedensten Auf¬ 
fassung und Nomenklatur. Von den meisten Autoren wurde eine Ver¬ 
kalkung der Schleimbeutel angenommen, der Inhalt vielfach als „Burso- 
lith“ bezeichnet. Mit Recht wendet sich Wrede gegen diese von rönt¬ 
genologischer Seite geübte Bezeichnung, da es sich nicht um ein „Kon¬ 
krement“, sondern um breiartige, aus einzelnen mikroskopisch kleinen 
Körnchen und Schollen bestehende Kalkmassen handelt. Heute ist 
die Bezeichnung Bursitis calcarea wohl am geläufigsten. 

Der Lokalisation nach hat die Aufmerksamkeit solcher im Röntgeno¬ 
gramm schattengebender Kalkablagerungen bisher fast ausschließlich 
dem Schultergelenk gegolten. Sie ist demnach am besten bekannt und 
findet sich bereits in einigen Hand- und Lehrbüchern beschrieben. 
Richtet man nun in diesem Sinne sein Augenmerk auch auf andere 
Gelenke, wird man an ihnen gleiche Befunde erheben können. So 
fand ich sie am Trochanter majör und lasse beim Fehlen gleicher 
Röntgenbefunde in der Literatur in der Gegend der Bursa trochanterica 
profunda später das Röntgenogramm eines entsprechenden Falles folgen. 
Bei der Suche nach gleichartigen Befunden war mir eine allerdings nur 
im Referat zugängliche ausländische Mitteilung interessant. Berry be¬ 
schreibt einige sonst von ihm nur bei Kalkablagerungen in den Schleim¬ 
beuteln beobachtete Schattenbildungen, die er nach vorausgegangenem 
Trauma an Schulter- und Kniegelenken wie am Trochanter major er¬ 
heben konnte, hält aber Ablagerung von Kalkmassen wegen des schnellen 
Verschwindens der Schatten für unwahrscheinlich und läßt die Frage 
über die Herkunft dieser Verschattungen offen. Am Kniegelenk wurden 
Kalkablagerungen von Milian und Neveu beobachtet. Bei einer 
39 jährigen Frau entstanden beiderseits an der Bursa praepatellaris 
Tumoren, die anfangs weich waren, später verkalkten und 10 Jahre 
unverändert blieben. J. Schmidt beschreibt eine Bursitis calcarea am 
Epicondylus extemus humeri. Das röntgenschattengebende Gebilde 
wurde exstirpiert und als verkalkte Bursa epicondylica externa an¬ 
gesprochen. Die mikroskopische und chemische Untersuchung ergab 


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720 


H. Stegemann: 


in derbem schwieligen Gewebe liegenden phosphor- und kohlensauren 
Kalk. Eine Bursitis calcarea achillea mit gleichzeitiger Verkalkung des 
Muse. ext. fern, und Muse, surae zeigt die Veröffentlichung von Sundt. 
Kalkablagerung in der Umgebung der Fingergelenke finden wir von 
Beck bei einer Tendovaginitis proliferans calcarea, neuerdings von Riese 
nach einer Nadelstichverletzung als Kalkgeschwulst beschrieben. Mit 
diesen Befunden kommen wir auf das von M. B. Schmidt als „Kalk¬ 
gicht“ bezeichnete Krankheitsbild, das auch für unsere Frage infolge 
der Ablagerung von phosphor- und kohlensaurem Kalk gerade in die 
Nähe der Fingergelenke einer kurzen Erwähnung bedarf. 

Sein Name und Wesen hat mit der eigentlichen Gicht nichts zu tun; der Purin¬ 
stoffwechsel ist nicht gestört. Die Kalkablagerungen können multipel im ganzen 
Körper, in Haut, subcutanem Bindegewebe, in Muskeln, Sehnen, Aponeurosen 
usw. auftreten. Wildbolz, Lewandowsky, Weber, Staehelin, Dunin, Oehme, v. Gaza, 
Hunter, Krause, Trapp, Neuwirth, Schmidt, Tilp, Mosbacher u. a. in- und aus¬ 
ländische Autoren haben einschlägige Fälle dieser Art beschrieben. (Literatur 
bei Mosbacher.) Prädilektionsstellen für die Kalkablagerungen sind die Gegend 
der Fingergelenke und die der großen Gelenke (Ellbogen, Schulter, Knie und Hüfte). 
Eher kommt es in der Haut oder im subcutanen Bindegewebe, aber auch überall 
dort, wo die Muskeln mit ihren Aponeurosen und Sehnen am Knochen inserieren, 
zu Kalkablagerungen, die teils in den Sehnen und Aponeurosen selbst sitzen, teils 
ihnen aufgelagert sind, teils fest dem Periost und paraartikulärem Gewebe anhaften. 
Eindrucksvolle Böntgenbilder sind diesen hier nicht näher zu besprechenden 
Arbeiten beigefügt. Die Diagnose solcher Krankheitsbilder ist infolge des mul¬ 
tiplen Auftretens der gut tastbaren Kalkablagerungen leicht. Häufig sind die am 
kohlensaurem und phosphorsaurem Kalk bestehenden Ablagerungen auf die 
Gegend der Fingergelenke, wie auch bei einem von mir beobachteten Falle unserer 
Klinik, beschränkt. Die Krankheit geht oft mit Fieberersoheinungen einher, 
kann sich über Jahrzehnte hinstrecken, spontan erhebliche Besserung erfahren, 
mitunter aber auch unter dem Zeichen allgemeinen Marasmus schnell ad exitnrn 
führen. 

Abgesehen von diesen mehr oder minder durch die Palpation fest¬ 
zustellenden Ablagerungen der Kalkgicht ist für die Diagnose und 
Differentialdiagnose der übrigen isolierten Kalkablagerungen das Rönt¬ 
genbild von entscheidender Wichtigkeit. Da sich unsere Betrachtung 
nicht auf die von intraartikulären Prozessen fortgeleiteten Kalk- 
ablageruhgen sekundärer Natur erstreckt, ist erste Forderung für die 
Röntgendiagnose von Kalkdepots in unserem Sinne: Nachweis der 
völligen Unversehrtheit der Gelenkenden, d. h. völlig normale Kontur 
und Struktur der angrenzenden Gelenkkörper. Dieser auf jeden 
Fall zunächst festzustellende Befund ermöglicht die Abgrenzung von 
Kalk- und Knochenablagerungen sekundärer Natur ebenso leicht, wie 
er uns das Erkennen isolierter Frakturen des Tuberculum majus, des 
Epicondylus humeri sowie des Trochanter gestattet. Von diesen Frak¬ 
turen, wie auch von den nur selten als schattengebende anatomische 
Substrate in Betracht kommenden Ossa secundaria, z. B. dem Os acro- 


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Die chirurgische Bedeutung* paraartikulärer Kalkablagerungen. 721 

rniale secundarium, lassen sieh die Schatten isolierter paraartikulärer 
Kalkablagerungen infolge ihrer diffusen wolkigen Beschaffenheit, ihrem 
manchmal körnigen Aussehen, sowie ihrer unscharfen Begrenzung un¬ 
schwer unterscheiden. Sie können in Form und Größe äußerst wechseln, 
zudem gelegentlich multipel vorhanden sein. Es sei jedoch gleich vor¬ 
weggenommen, daß die Größe und Ausdehnung der Kalkschatten keines¬ 
wegs einen prognostischen oder therapeutischen Schluß zuläßt und 
keinen Anhaltspunkt für die subjektiven Beschwerden abgibt, ja daß 
vereinzelt röntgenologisch nachgewiesene paraartikuläre Kalkschatten 
Zufallsbefunde sein können und durchaus keine Schmerzen verursachen 
müssen. Dringend möchte ich zwecks Diagnosenstellung auch zur 
Untersuchung vor dem Durchleuchtungsschirm raten. Bei den sich 
für diese Frage interessierenden Autoren ist darüber nichts erwähnt. 
Die Untersuchung vor dem Röntgenschirm kann uns aber für die 
Frage der Schmerzentstehung, wenn auch keine völlige Aufklärung, so 
doch einige Verständnismöglichkeit bieten. Es sei beispielsweise fol¬ 
gender Fall mitgeteilt: 

Dr. Br. Assistent der Univ.-Zahnklinik: 

Schmerzen in der rechten Schulter schon im Knabenalter, besonders nach 
Anstrengungen des rechten Arms bei dem gern betriebenem Laufballspiel. Im 
Laufe der Jahre ist dann immer Schmerzhaftigkeit und behinderte Bewegungs¬ 
möglichkeit nach außergewöhnlicher Inanspruchnahme der rechten oberen Extremi¬ 
tät aufgetreten, so nach Speerwerfen, Steinstoßen und ähnlichen Sports Verrich¬ 
tungen des eifrig Leichtathletik treibenden Kollegen. Diese zunächst weniger 
beachteten, mit der Zeit immer erheblicher werdenden Schmerzen führten nach 
ausgedehnter sportlicher Betätigung im Frühjahr 1922 vollends zu Störungen 
in der Berufstätigkeit. Besonders bei Zahnextraktionen aus dem Unterkiefer 
traten im rechten Oberarm derartig unangenehme Schmerzen auf, daß Patient 
eine Röntgenaufnahme der schmerzenden Schulter in der Zahnklinik machen ließ, 
auf der er einen außerhalb der Schulterknochen liegenden kleinen Schatten vor¬ 
fand. Entsprechend der Deutung dieses Schattens als Knochen suchte er Prof. 
Kirschner auf und bat ihn, denselben zu entfernen. 

Die klinische Untersuchung ergab außer behinderter Abduction des rechten 
Armes und Druckempfindlichkeit zwischen Tuberculum majus und Akromion 
nichts Besonderes. 

Die damals von mir vorgenommene Röntgenuntersuchung zeitigte folgendes 
Ergebnis: 

Die auf umstehendem Bilde wiedergegebene ventrodorsale Aufnahme 
ergibt normale Kontur und Struktur der rechten Schultergelenksknochen, oberhalb 
des Tuberculum majus einen 9 mm langen und 3 mm breiten, leicht unscharf 
begrenzten ovalen Schatten von ziemlich erheblicher Dichtigkeit. 

Die stereoskopische Aufnahme zeigte ihn zudem etwas rückenwärts von der 
Tuberculumhöhe gelegen. 

Die Schirmdurchleuchtung bestätigte die Annahme des Zusammenhangs 
der Beschwerden im rechten Schultergelenk mit diesem schattengebenden Gebilde 
eindrucksvoll. Sie ergab nämlich das interessante Ergebnis, daß man das Auf¬ 
treten des Schmerzes jedesmal, wenn man so sagen darf, sehen konnte. Wenn 
nämlich der Schatten bei dorsoventraler Durchleuchtung durch Erheben des Arms 


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722 


H. Stegemann: 


bis zur Horizontalen zwischen Akromion und Tuberculum projiziert wurde, 
gab der Kollege augenblicklich einen stechenden, von der Mitte der Innenseite 
des Oberarms bis zum Ellenbogen ausstrahlenden Schmerz an. Die vorher voll¬ 
kommen beschwerdefreie Aufwärtsbewegung des Armes bis zu dieser Stellung 
erfuhr augenblicklich eine Änderung, sobald Akromion und Tuberculum den 
Schatten zwischen sich faßten. Sooft man dieses Experiment wiederholte, mit 



Abb. 1. 

absoluter Regelmäßigkeit trat im Augenblick der eingekeilten Stellung des Schattens 
zwischen den angegebenen Punkten das Schmerzphänomen auf. 

Vergleichende Durchleuchtung der linken Schulter ließ hier einen gleichen 
Schatten vermissen. 

Dem Drängen des Patienten nach Operation wurde statt gegeben (Mai 1922; 
Kirschner). 

Nach örtlicher Betäubung des Operationsgebietes und Harpunierung des 
Schattens durch 2 Nadeln vor dem Röntgenschirm wurde Haut und Muskulatur 
durchtrennt. Genau an der durch die Nadeln markierten Stelle wurde unter dem 
Deltoideus auf der Gelenkkapsel ein ovales Depot mörtelartigen Breies von etwa 
P/a cm Breitenausdehnung und 1 / 2 cm Tiefendurchmesser gefunden. Es haftete 
der Gelenkkapsel nur locker an und konnte ohne Eröffnung derselben entfernt 
werden. Naht der Muskulatur und Haut. 

Kontrolldurchleiichtung nach der Operation zeigte das Verschwundensein 
des Schattens. 

Die histologische Untersuchung (Rauch) des gewonnenen Präparates ergab 
ein schwieliges Gewebe, das zum Teil verkalkt, zum Teil nekrotisch war und in 
das kohlensaurer und phosphorsaurer Kalk eingelagert war. Eine spezifische 
Entzündung war nicht nachweisbar. Pat. ist bis heute vollkommen beschwerdefrei. 

Wir sehen also, daß Bewegungen bis zu einem bestimmten Grade 
vollkommen schmerzfrei auszuführen sind. Erst bei ganz bestimmter 
Stellung des Schattens entsteht Schmerzhaftigkeit. Doch reicht das 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalkablagerungen. 723 

zur Erklärung der vereinzelt beobachteten Schmerzfreiheit nachgewie¬ 
sener Röntgenschatten nicht aus. Abgesehen von derartigen, immerhin 
vereinzelten Fällen, gestattet uns das Röntgenbild doch in den meisten 
Fällen einen objektiven Nachweis vieler bis dahin schwer zu deutender 
Gelenkschmerzen. Eigentümlicherweise finde ich sie in den Sammel¬ 
werken der Unfallmedizin nicht erwähnt, trotzdem diese objektiven 
Befunde schon häufiger versicherungspflichtigen, der Übertreibung 
verdächtigen Patienten zu ihrem Rechte verholfen haben (Haenisch, 
Usland). Selbst in Kaufmanns ausgezeichnetem Werke gehen sie noch 
unter der Bezeichnung und Vorstellung von Absprengungen und Os- 
sificationen, es findet sich über die posttraumatische Arthritis fol¬ 
gendes: „Für die Entstehung der Arthritis kommen häufiger als man 
denkt Knochenaufrisse und kleine Absprengungen im Bereiche des 
Tuberculum majus in Betracht. Sie entstehen, worauf schon Barden¬ 
heuer lange hingewiesen hatte, besonders bei den Verrenkungen. Ich 
habe sie aber auch bei einfachen Quetschungen und Verstauchungen 
getroffen, die ich ganz frisch röntgieren konnte. Bei Zug am recht¬ 
winklig abduzierten Arm legen sie sich rasch wieder an und verschwinden 
nach wenigen Tagen. Wenn sie anfangs nicht beachtet wurden, können 
sie später noch als dünne Streifen über dem Tuberculum vorstehen.“ 
Die klinischen Erscheinungen, die mit diesen Kalkablagerungen ein¬ 
hergehen, sind schon durch die verschiedenen Lokalisationen an den 
einzelnen Gelenken äußerst mannigfach. Eine überragende Stellung 
nimmt in dieser Hinsicht das Schultergelenk ein. Betrachtung der 
zahlreichen veröffentlichten ( Stieda , Bergemann , Siegemann ) und un¬ 
veröffentlichten Fälle unserer Klinik ergibt ein zusammenfassendes 
Bild folgender klinischer Erscheinungen. Anamnestisch sehr häufig 
ohne jede äußere Ursache entstehende, ständig zunehmende Schmerzen, 
die schließlich zur Behandlung zwingen; oder aber es steigern sich die 
über einen mehr oder minder längeren Zeitraum sich erstreckenden 
Schmerzen nach einem geringfügigen Trauma (einfache Kontusion der 
Vorderseite des Schultergelenks durch Stoß oder Fall, Festhalten eines 
schweren, im Fallen begriffenen Gegenstandes) bis zur Unerträglichkeit, 
desgleichen durch Überanstrengung — ungewohnte Arbeit, wiederholte 
Bewegungen in derselben Richtung (unter unseren Fällen w r aren drei 
Zahnärzte) — sportliche Überanstrengung usw. Drittens entstehen 
diese Schmerzen ganz akut nach vorausgegangenen Schmerzen in 
anderen Gelenken, nach heftigen Traumen, nach Grippe oder sonstigen 
allgemeinen oder lokalen Infektionen. Im ausgebildeten Krankheits¬ 
stadium klagen die Patienten über besonders nachts auftretende Schmer¬ 
zen. Die Besichtigung der erkrankten Schulter läßt mitunter eine Schwel¬ 
lung zwischen Akromion und Tuberculum majus erkennen, die stark 
druckempfindlich ist und als Erguß in die funktionell eine Einheit bil- 


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724 


II. Stegemann: 


elende Bursa subacromialis und subdeltoidea anzusehen ist. Bei jahre¬ 
lang nicht erkannten, in der Praxis mit den verschiedensten anti¬ 
rheumatischen Mitteln behandelten Fällen kann eine geringgradige 
Atrophie der Schultermuskulatur bestehen. Bei allen Patienten be¬ 
steht eine Druckempfindlichkeit zwischen Akromion und Tuberculum 
majus, auch ohne Schwellung dieser Gegend. Das auffälligste Symptom 
ist die behinderte aktive Abduction des Armes, wobei Bewegungen 
nach anderen Richtungen je nach dem Grade der Erkrankung mehr 
oder weniger behindert sind. Am häufigsten ist die passive Rotation 
ohne Schmerzen möglich. Die große Mehrzahl der Patienten klagt 
über Kraftlosigkeit und Schwächegefühl im Arm, Verrichtungen, wie 
Kämmen, Waschen usw. sind ihnen nicht möglich, weil ihnen der Arm 
alsbald kraftlos herunterfällt. Sehr eindrucksvoll schildert mir ein Kollege, 
der im Kriege das Gehör verlor und jetzt in der Hauptsache zahn¬ 
ärztliche Praxis treibt, seine Beschwerden. Seine brieflichen Mit¬ 
teilungen mögen hier mitgeteilt sein: 


„Beschwerden in der Schulter habe ich etwa seit März 1921. Sie bestanden 
zunächst darin, daß ich bei bestimmten Haltungen im Schultergelenk (etwa bis 
zur Wagerechten erhobener Oberarm, der pronierte Unterarm im Ellbogengelenk 
gebeugt) plötzlich heftigen Schmerz im Bereich des Deltoideus und absolute Kraft¬ 


losigkeit im Arm bekam, so daß der Arm 



Abb. 2. 


mir einfach herunterfiel. Die Zustände 
traten in wechselnder Häufigkeit 
auf, nahmen aber mit der Zeit 
an Intensität und Häufigkeit zu. 
Der Gedanke an eine Bursitis lag 
nahe. Eine solche konnte aber 
auch von erfahrenen Chirurgen 
nicht sicher diagnostiziert werden. 
Einen bestimmten Muskel ver¬ 
antwortlich zu machen gelang 
auch nicht. Ich habe nämlich an 
derselben Stelle eine alte Narb 
von einem Säbelhieb, den ich vor 
20 Jahren dorthin bekam. Es war 
ein stumpfer Hieb auf dem Pauk¬ 
boden (die Bandage war ver¬ 
rutscht); die etwa 2—3 cm lauert* 
Wunde eiterte nachher etwas. 

Behandelt habe ich die Be¬ 
schwerden mit Wärme. In den letz¬ 
ten Monaten traten auch nachte» 
sehr heftige Schmerzen auf. beson¬ 
ders wenn die Schulter kalt wird. 
— Warmes Zudecken, Thermophor 
und ähnliches hilft fast immer. 44 


Nach der Röntgenaufnahme war eine Knochenabsprengung durch 
den vor 20 Jahren erhaltenen Säbelhieb von anderer Seite angenommen. 
Betrachten wir uns das obenstehende Bild, so sehen wir an der nor- 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalkablagerungen. 725 

malen Kontur des Humeruskopfes, daß es sich nicht um eine Knochen¬ 
absprengung handelt, die eigentümlicherweise erst nach 20 Jahren 
anfinge, Beschwerden zu verursachen, sondern nach Art und Beschaffen¬ 
heit des Schattens sowie der charakteristischen Anamnese um eine 
Kalkablagerung in unserem Sinne. 

Kommen wir nach diesem Beispiel wieder auf die klinischen Sym¬ 
ptome zurück, so sehen wir, daß sie an der Schulter außerordentlich 
wechselnd sind und wohl kaum von anderen krankhaften Veränderungen 
in dem gelenkartigen, von Schleimbeuteln und lockerem Bindegewebe 
reichlich ausgefülltem perikapsulären Bindegewebsspalt des Schulter¬ 
gelenks zu unterscheiden sind, Krankheitsbilder, für die sich Duplay , 
Colley , Küster und Zesas eingesetzt haben (Periarthritis humero-scapu- 
laris, Bursitis subacromialis). Wenn wir ferner bedenken, daß Einrisse 
der Supraspinatussehne ( Codmann , Kaufmann), Erkrankungen der 
langen Bicepssehne, des Deltoideus, Schulterneuritiden klinisch ähnliche 
Bilder darbieten können, so ergeben sich für den in der Praxis des 
Röntgenapparates entbehrenden Arzt für die Diagnose erhebliche 
Schwierigkeiten. Immerhin sollten ihn aber die geschilderten Sym¬ 
ptome an diese Diagnose denken lassen. 

Bei den seltener beobachteten Kalkablagerungen an anderen Ge¬ 
lenken ist das klinische Krankheitsbild nur zum Teil geklärt. Kalk¬ 
ablagerung am Ellbogengelenk (J. Schmidt) bot die ausgesprochenen 
klinischen Zeichen einer Epicondylitis. Kalkablagerungen am Tro¬ 
chanter major beobachteten wir einmal in der Poliklinik bei einem 
jugendlichen Arbeiter, der sich eine Kontusion der Trochanter¬ 
gegend zugezogen hatte. Erst nach 8 Tagen hatte er Schmerzen 
beim Gehen bekommen, auch konnte er nachts nicht auf der Kon¬ 
tusionsstelle liegen. Die Kalkablagerungen saßen nach unserem Dafür¬ 
halten in der Bursa trochanterica subcutanea, man konnte sie deutlich 
durch die Haut durchfühlen. Die anfänglich gestellte Diagnose auf 
Absprengungen des Trochanter mußte bei der vollkommenen Intaktheit 
der Trochanterkonturen und der wolkigen Beschaffenheit der beiden 
Schatten im Röntgenbilde aufgegeben werden. Da Patient sich weiterer 
Behandlung entzog, kann ich über den weiteren Verlauf nichts an¬ 
geben, bin aber in der Lage, einen anderen Fall von Kalkablagerungen 
in der Gegend des Trochanters genauer mitzuteilen. 

Kurz nach einer Demonstration der sog. Bursitis calcarea im Verein für 
wissenschaftliche Heilkunde wurde mir von Herrn Geh.-Rat Matthes die Trochanter¬ 
aufnahme einer Dame aus der Privatpraxis gezeigt, die ich nach gütiger Über¬ 
lassung wiedergeben kann. Die sonst gesunde, ,'58 jährige Dame macht über ihre 
Krankheit folgende Angaben: „Etwa 14 Tage lang bereitete sich die Krankheit 
vor durch Schmerzen, die von der rechten Hüfte in das Bein ausstrahlten und 
mir beispielsweise das Treppensteigen erschwerten. Ich hätte aber nicht die 
Stelle, von welcher die Schmerzen ausgingen, lokalisieren können. Eines Nachts 


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726 


H. Steiremann: 


r 

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erwachte ich dann durch wirklich heftige Schmerzen und empfand nun auch 
die AusgangseteUe ab sehr druckempfindlich und wie entzündet. Die Schmerzen 
steigerten sich am folgenden Tage so, daß ich jede Bewegung scheute, aber 
auch beim Ruhigliegen sie sehr unangenehm empfand; dazu stellte sich am 
Abend Fieber (38,2) ein. Im Laufe der Nacht wurden die Schmerzen geringer 
und hörten am folgenden Tage ganz auf, ebenso das Fieber. Bewegungen riefen 
die Schmerzen sofort wieder hervor.“ Die Untersuchung der inneren Organe er¬ 
gab keinen krankhaften Befund. Dagegen fiel bei der Untersuchung auf, daß das 
rechte Bein ängstlich in leichter Flexion, Abduction und Außenrotation zu halten 
versucht wurde. Bewegungen im Hüftgelenk selbst waren frei, doch verursachten 
Innenrotation, Adduction und Überschlagen des kranken Beins über das gesunde 
einen stechenden Schmerz in der Gegend des Trochanters. Schwellung und Rötung 
bestand hier nicht, auch war eine Fluktuation nicht nachzuweisen. Leichter Druck 
jedoch verursachte auf den oberen hinteren Trochanterabschnitt intensivsten 
Schmerz. 

Das Röntgenbild zeigte vollkommen normale Kontur und Struktur der 
Hüftgelenksknochen, insbesondere des Trochanter major. Letzterem saß ein 
ausgedehnter, wolkiger, strukturloser Schatten von unscharfer Begrenzung kuppen¬ 
förmig auf. (Abb. Nr. 7.) 

Die Diagnose wurde auf Kalkablagerung in der Gegend der Bursa trochanterica 
profunda gestellt, die Therapie, deren Erfolg an Hand der Röntgenogramine 
weiter unten (Abb. 7 und 8) mitgeteilt wird, demgemäß eingeschlagen. Für Gicht 
bestand kein Anhaltspunkt. 

Es erhebt sieh nun die Frage, welche anatomischen Veränderungen 
liegen diesen eigentümlichen Röntgenschatten zugrunde, in welchem 
Gewebe haben wir den Sitz der Kalkablagerung zu suchen ? 

Makroskopisch bestanden alle unter den verschiedensten Annahmen 
(Schleimbeuteltophus, Knochenabsprengung, Bursitis calcarea) von 
verschiedenen Autoren exstirpierten, schattengebenden Gebilde aus 
einer Ansammlung mörtelartigen Breies in schwieligem Gewebe. Die 
histologische Untersuchung derartig operativ gewonnener Depots ergab 
teils in nekrotischem, teils in mehr oder minder entzündlichem Gewebe 
eingebetteten phosphor- und kohlensauren Kalk; eine spezifische Ent¬ 
zündung konnte niemals nachgewiesen werden. Die Befunde von Kalk¬ 
ablagerung sind somit gesichert. Es sollten daher diese Ablagerungen 
nicht mehr unter dem Namen von Knochenabrissen, verknöcherten 
Periostabsprengungen usw. einhergehen. 

Die einheitliche, durch histologische Untersuchungsergebnisse an 
Ellbogen-, Knie- und Fußgelenk gewonnene Auffassung des Sitzes der 
Kalkablagerungen im Lumen und Wand der Schleimbeutel herrscht an 
der Schulter nicht vor, wenngleich auch hier die Mehrzahl der Unter¬ 
sucher von einer Bursitis calcarea spricht, ein nicht geringer Teil aber 
auch diese Schatten als diagnostisches Merkmal der Periarthritis humero- 
scapularis ansieht. Gegen beide Auffassungen ist deutscherseits Wrede 
auf Grund eines Falles, bei dem die Kalkablagerungen in der Supra- 
spinatussehne gefunden wurden, zu Felde gezogen, ein Befund, den 
schon vor ihm Painter und Codmann erheben konnten. Wir unter- 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikuiärer Kalkablagerungen. 727 

stützen die Bedenken Wredes, mit derartigen Röntgenbefunden die 
Periarthritis humero-scapularis diagnostizieren zu wollen, solange man 
mit dieser Bezeichnung auch ein klinisches Krankheitsbild verbindet. 
Wenn auch die meisten Schultern mit dem typischen Röntgenschatten 
das von Duplay , Colley und Zesas beschriebene Bild der Periarthritis 
humero-scapularis aufweisen, haben wir andererseits bei Fällen unserer 
Klinik Gelegenheitsbefunde dieser eigentümlichen Schatten bei klinisch 
nicht die geringsten Zeichen eines Schulterleidens bietenden Patienten 
ebenso zu verzeichnen wie das Verschwinden vorhandener Krankheits¬ 
erscheinungen bei gleich bleibender Ausdehnung der Kalkdepots. Zu 
weitgehend jedoch erscheint mir, wenn Wrede schreibt: „Ich glaube 
nicht, daß wir es überhaupt mit einer Ansammlung von Kalk im Lumen 
oder in der Wand des Schleimbeutels zu tun haben, oder doch wenigstens 
in den allermeisten Fällen nicht.“ Seiner Ansicht nach sprechen klinische 
Symptome, Lage und Gestalt der Kalkschatten gegen den Sitz der Ab¬ 
lagerungen in den Schleimbeuteln, beruhen autoptisch intra operationem 
nach dieser Richtung erhobene Befunde ( Stieda , Bergemann , v. Hof¬ 
meister, Kümmelt usw.) auf einem Irrtum der Operateure und sind ein 
auf Grund vorgefaßter Anschauungen gewonnenes, falsches anatomisches 
Bild. Nicht die Bursa subdeltoidea oder subacromialis, sondern die 
Sehnenansätze des Supra- oder Infraspinatus, vielleicht auch noch das 
periartikuläre Bindegewebe kommen als Sitz der Kalkablagerungen in 
Betracht. Ganz abgesehen davon, daß ich einen gemeinsamen Irrtum 
verschiedener Autoren nicht ohne weiteres annehmen möchte, kann 
ich in unserem operierten Falle sicher behaupten, daß die Kalk¬ 
ansammlung nicht in der Supra- oder Infraspinatussehne saß. Fanden 
wir doch nichts von Sehnengewebe im histologischen Präparat vor. 
Auch wurde die Bursa subdeltoidea bei der Operation nicht durch¬ 
brochen, an ihrer Stelle wurde, soweit das Operationsfeld in Frage 
kam, das leicht ohne Eröffnung der Gelenkkapsel zu entfernende Kalk¬ 
depot festgestellt. Den genauen Sitz der Kalkablagerungen aus dem 
Röntgenbilde bestimmen zu wollen, erscheint mir überhaupt ein müßiges 
Unterfangen. Es ist ohne weiteres ersichtlich, daß nachstehendes aus¬ 
gedehntes innerhalb 4 Wochen im Anschluß an eine Luxation bei einer 
45jährigen Frau entstandene Kalkdepot nicht nur auf die Bursa sub¬ 
deltoidea und subacromialis beschränkt zu sein braucht, sondern auch 
das lockere, paraartikuläre Bindegewebe, sowie die Sehnenansätze be¬ 
fallen haben kann. Patientin war, abgesehen von leichten Schmerzen 
während zweier Tage gleich nach der Luxation, 4 Wochen vollkommen 
beschwerdefrei und konnte ihrer häuslichen Arbeit nachgehen. Erst in 
der 5. Woche nach der Luxation traten derartig schmerzhafte Be¬ 
wegungserscheinungen im luxiert gewesenen Schultergelenk auf, daß 
sie unsere Behandlung aufsuchte, der sie aber schon bald wieder fern- 


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728 


H. Stegemann: 


blieb, so daß über den Erfolg nichts zu sagen ist, zumal wiederholte 
Aufforderung zur Nachuntersuchung unbeantwortet blieb. Immerhin 
zeigt dieser Befund, daß sowohl Schleimbeutel als auch Sehnenansätze 
und lockeres paraartikuläres Bindegewebe Sitz der Kalkdepots sein 
können. 

Das Verständnis dieser Feststellung geht mit der Erklärung nach 
dem ZiLStandekommen dieser Kalkherde einher. Als einheitliche Ursache 
hat man traumatische Prozesse ( Codmann , Haenisch ), Stoffwechsel¬ 
störungen nach Art der Gicht (Stieda und Bergemann ), Konstitutions- 



Abb. ß. 

krankheit (Kalkdiathese Wredes ), Infektionen und Arthritis deforiuans- 
ähnliche Prozesse anschuldigen wollen. Eine Klärung ist nicht ein¬ 
getreten und zurZeit wohl kaum vollkommen möglich. Gibt uns schon 
die Pathologie und Physiologie mit ihrer experimentellen Möglichkeit 
nur dürftigen Aufschluß über die Verkalkung überhaupt, so bietet das 
Studium unserer Frage naturgemäß weit erheblichere Schwierigkeiten, 
da wir die ersten Stadien der Kalkherde an menschlichen Gelenken 
kaum autoptisch betrachten können. Aus diesem Grunde ersehe ich 
auch in unserer heutigen fast ganz auf das Experiment eingestellten 
Zeit immer noch in dem Gesamtstudium des klinischen Krankheits¬ 
bildes die beste Unterlage für eine kritische Betrachtung dieser schwie¬ 
rigen Verkalkungsfrage. 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikulftrer Kalkablagerungen. 729 

Der mit der festen oder flüssigen Nahrung aufgenommene, in das 
Blut und in die Gewebsflüssigkeit resorbierte Kalk wird durch die Ei¬ 
weißkolloide und die Kohlensäure in Lösung gehalten. In dieser kol¬ 
loidalen Lösung durchtränkt der Kalk, unsichtbar für unsere mikro¬ 
skopische Betrachtung, alle Gewebe und Zellen. Wird er sichtbar, 
d. h. kommt es zu Kalkablagerungen, so handelt es sich nicht um 
chemische Affinitäten und Bindungen, sondern um Adsorption durch 
Kolloide; damit beruht die Ursache der pathologischen und physio¬ 
logischen Verkalkung auf den besonderen physikalisch-chemischen 
Eigenschaften der kolloidalen Grundsubstanzen. Eine solche Um¬ 
stimmung des Gewebes muß vorhanden sein, das Gewebe muß „kalk¬ 
gierig“ sein. Aus der allgemeinen Pathologie wissen wir, daß kalkgierige 
• Substanzen fast stets in der Lage sind, aus dem gelösten Kalk des Blutes 
und der Gewebsflüssigkeiten ihre Neigung zu befriedigen; sie werden 
es um so eher tun, wenn in diesen Flüssigkeiten eine Kalküberladung 
vorhanden ist. Es müssen also bei unseren Kalkablagerungen kalk¬ 
gierige Substanzen vorhanden sein; wo haben wir sie zu suchen? Ich 
finde sie in dem bei solchen Kalkablagerungen durch histologische 
Untersuchung regelmäßig festgestellten nekrotisch und hyalin ent¬ 
arteten Gewebe, dessen Neigung zur Verkalkung feststeht. Es handelt 
sich also in erster Linie um eine dystrophische Verkalkung veränderten 
Gewebes. Die Ursache für diese zur Verkalkung notwendigen Gewebs¬ 
veränderungen sehe ich in entzündlichen Prozessen. 

Gerade die Gegenden der Kalkablagerung sind zahlreichen zur 
akuten oder chronischen Entzündung führenden Affektionen aus¬ 
gesetzt. Die Betrachtung der beispielsweise für das Schultergelenk 
in Betracht kommenden Gegend möge das zeigen. Auf umstehendem, 
Küsters Monographie entnommenen Schultergelenksdurchschnitt finden 
wir über der die Schultergelenkskapsel verstärkenden Supraspinatus- 
sehne die Bursa subdeltoidea und subacromialis, anatomisch meistens, 
funktionell stets eine Einheit bildend; ihre beschriebene Kommunikation 
mit dem Schultergelenk ist selten (nach Gassers Untersuchungen an 
1000 Leichen war sie 3 mal vorhanden). Der von früheren Chirurgen 
mehr gewürdigten und häufiger als heutzutage diagnostizierten Ent¬ 
zündung dieser Bursae hat zuletzt Küster seine Aufmerksamkeit zu¬ 
gewandt und das klinische Bild eindrucksvoll beschrieben. Alle diese 
klinischen Erscheinungen finden wir bei unseren Patienten wieder, und 
zwar so eindeutig, daß wir ohne den typischen Röntgenbefund die Dia¬ 
gnose auf die Entzündung dieser Schleimbeutel stellen würden, zumal 
auch die anamnestischen Angaben weitgehendste Übereinstimmung 
aufweisen. Die als Ursache für die Bursitis dieser Art angeschuldigten 
größeren und kleinen Traumen des Schultergelenks, allgemeine oder 
lokale Infektionen, dauernde funktionelle Überanstrengung finden wir 

Archiv f. klin. Chirurgie. 125. 


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730 


H. Stegemann: 


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auch in der schon erwähnten Anamnese unserer Fälle. Eine Beteiligung 
der Schleimbeutel ist bei den klinisch in Erscheinung tretenden Kalk¬ 
ablagerungen nicht nur anzunehmen, sondern durch klinische Tat¬ 
sachen gesichert. Abgesehen von der in den Fällen unserer Klinik des 
öfteren nicht nur durch Betastung, sondern schon durch Betrachtung 
festgestellten gleichzeitigen Schwellung der Bursae sah Olaf Usland im 
Anschluß an eine gewöhnliche Lymphangitis des Vorderarms und 
Lymphadenitis derselben Seite eine akute infektiöse Entzündung der 
Bursa subdeltoidea und subacromialis entstehen, die zur Bursitis cal- 
carea und schließlich zur ossificans wurde. Ein ähnlicher Befund konnte 
bei einem Patient der Königsberger Klinik (Stiedas Fall 8) erhoben wer¬ 
den. Bei einem 44 jährigen Kollegen kam es im Anschluß an ein tendi- 
nöses Panaritium zu einer akuten Bursitis mit typischem Röntgenbefund. 
Besser als diese Entzündungen des Schleirabeutels nach lokalen Infek¬ 
tionen ist die Tatsache der metastatischen Bursitis bei Infektionskrank¬ 
heiten bekannt. Mit dieser Bursitis decken sich Befunde von Kalkablage¬ 
rungen im Röntgenbilde, die unter fieberhaften Erscheinungen und 
rheumatischen Schmerzen auch in anderen Gelenken auftraten ( Stieda , 
Israel, Falta u. a.) oder gehäuft nach Grippe beobachtet w r urden ( Sailer , 
Sundt). So fand man (Sailer) an der I. chirurgischen Universitätsklinik zu 
Budapest im Anschluß an Grippe 43 mit einer Bursitis subdeltoidea be¬ 
haftete Kranke; bei allen 43 konnte man die Kalkablagerung feststellen. 
Es erübrigt sich, noch weitere klinische Beweise für diebedeutende Rolle 
der Schleimbeutelentzündung bei diesem Krankheitsbild beizubringen. 
Es soll nur noch bemerkt werden, daß wir aus den pathologisch-ana¬ 
tomischen Befunden von Duplay und Colley wissen, daß die Entzündung 
durchaus nicht immer auf die Schleimbeutel beschränkt bleibt, sondern 
auch das paraartikuläre Bindegewebe befällt. So wird verständlich, daß 
mit den entzündlich bedingten Gewebsveränderungen und Verödungen 
nicht nur in den Bursae, sondern auch im paraartikulären Gewebe die 
Vorbedingung für die Kalkablagerung gegeben ist. 

Wie kommt es nun aber zur Verkalkung der Sehnenansätze? Wie 
wird hier das Gewebe für die Kalkaufnahme verändert? Bleiben wir 
bei der Betrachtung des nachstehenden Schultergelenkdurchschnittes 
und wenden wir uns wieder seinem schwächsten Punkte, der Gegend 
der Bursa subdeltoidea zu, so finden w r ir unter ihr die Supraspinatus- 
sehne. Kaufmann macht darauf aufmerksam, daß die Lehrbücher 
noch ganz ungenügende Angaben über die Bedeutung des M. supra- 
spinatus für die Gelenkfunktion und seine Beteiligung an den Gelenk¬ 
verletzungen machen. Der Muskel fixiert den Oberarm im Gelenk 
und spannt die äußere Gelenkkapsel, ist also an der Gelenkfunktion 
erheblich beteiligt. Bei allen durch Zug und Drehung entstehenden 
Gelenkverletzungen wird der Muskel an seiner Ansatzstelle verletzt 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikuliirer Kalkablajjerungen. 731 

und reagiert mit teilweisem oder völligem Versagen der Funktion. 
Schon bei plötzlicher Zugwirkung am Arm, beim öffnen einer zu fest 
schließenden Tür oder beim schweren Heben ist die Muskelverletzung 
möglich; ein reißender oder stechender Schmerz in der Schulter mit 
sofortiger Rückwirkung auf Elevation und Abduktion kündigt sie an. 
Diese von Wrede nicht angeführten Argumente wären die beste Stütze 
seiner Ansicht für den überwiegenden Sitz der Kalkablagerung in der 
Supraspinatussehne. Diese Risse in der Sehne führen naturgemäß zur 
reparativen Entzündung, die ihrerseits wieder im Endstadium das für 
die Kalkaufnahme geeignete Gewebe liefert. 


M. supraspin atus 


Abb. 4. 

Warum aber letzten Endes dieses, sei es durch Bursitis, sei es durch 
Rißheilung einer Sehne, so veränderte Gewebe das eine Mal verkalkt, 
das andere Mal nicht, ist unklar. Kalkstoffwechseluntersuchungen 
haben keine befriedigende Antwort gegeben. Auch bei anderen im 
Körper vor kommenden Verkalkungen — Hämatomen, affizierten Drü¬ 
sen usw. — haben wir uns bisher offenbar zu selten die Frage vorgelegt, 
warum kommt es in diesem Falle zur Verkalkung und in jenem scheinbar 
ganz gleichartigen wieder nicht. Fast sieht es aus, als ob in der Nähe 
der Gelenke, insbesondere in der Nähe solcher, die zu einer durch 
Schmerzen fixierten Extremität gehören, der Kalkspiegel des Blutes 
erhöht ist. Ist es doch auffälligerweise selbst bei der Kalkgicht und 
bei anderen ähnlichen Kalkablagerungen immer in erster Linie die 
Umgebung der Gelenke, in der sich diese Prozesse selbst bis in Haut- 

47 * 



Bursa subdeltoidea 
Tendo m. supra- 
spinati 


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732 


H. Stegemann: 


und Unterhautzellgewebe hinein abspielen. Es fehlt jedoch der exakte 
Beweis, und uns in theoretische Spekulation zu verlieren, wollen wir 
vermeiden. 

Kommen wir auf die Kalkablagerungen in der Supraspinatussehne 
zurück, so ist durch ihren Sitz eine Irritation des Schleimbeutels ver¬ 
ständlich. Die mechanische Beanspruchung dieses Punktes am Schulter¬ 
gelenk kann infolge Summation kleiner Traumen oder Überanstrengung 
durch das hier liegende meistens kleine Kalkdepot sehr wohl eine Ent¬ 
zündung der darüberliegenden Bursae veranlassen oder eine bestehende 
entzündliche Affektion unterhalten. Und in der Tat weisen die Fälle, 
bei denen operativ die Kalkablagerungen in der Supraspinatussehne 
festgestellt wurden, klinisch die für die Bursitis beschriebenen Sym¬ 
ptome auf. Auch der Operationsbefund, beispielsweise der von Wrede 
erhobene, zeigt die von diesem Autor nicht näher gewürdigte ent¬ 
zündliche Affektion. Bei Durchtrennung der Bursa subdeltoidea floß 
Flüssigkeit ab, in der medialen Schleimbeutelwand sah man entsprechend 
der Lage des Kalkdepots einen zweimarkstückgroßen, stark geröteten 
Bezirk. Aus dieser Wandveränderung und dem Abtropfen von Flüssig¬ 
keit aus dem Schleimbeutel ist die Entzündung der Bursa ohne weiteres 
ersichtlich. Ein gesunder Schleimbeutel enthält nur soviel Flüssigkeit, 
daß seine Wände eben feucht gehalten werden. Die mikroskopische 
Untersuchung eines nicht in der Nähe des Kalkdepots liegenden Schleim¬ 
beutelwandstückes ergab zudem größeren Zellreichtum des Bindegewebes. 
Es kann also das Kalkdepot ebensogut Ursache der Bursitis wie Folge¬ 
erscheinung derselben sein. 

Mit dieser Feststellung vermeide ich den Streit der Meinungen 
über den häufigsten Sitz der Kalkablagerungen. Klinisch spielt es 
meines Erachtens keine Rolle, ob das Kalkdepot im Lumen oder in 
der Wand des Schleimbeutels, in den Sehnenansätzen oder selbst im 
paraartikulären Gew’ebe liegt, entscheidend ist die Beziehung des Sitzes 
zu den Schleimbeuteln. Hat man doch bisher keine Erklärung gefunden, 
warum Größe und Form der Kalkdepots nicht parallel gehen mit den 
Beschwerden der Patienten, warum mitunter klinische Erscheinungen 
selbst ohne röntgenologisch nachweisbare Veränderung der Kalkschatten 
bei geeigneter Behandlung verschwenden können. Die Beeinflussung der 
Schleimbeutel durch den Sitz der Kalkablagerung gibt hierfür das nötige 
Verständnis wie auch die Erklärung für das klinische Bild überhaupt. 
Erst die Irritation des Schleimbeutels durch das anliegende Kalkdepot 
ermöglicht die Schmerzentstehung, wobei alle Übergänge von der ein¬ 
fachen Quetschung bis zur hochgradigen Entzündung entstehen können, 
wie es das klinische Bild der nur im äußersten Ausmaß behinderten 
Abduktion des Oberarms durch einfache Einklemmung der Bursa (unser 
Fall 1) und das der ängstlichen Schonung der oberen Extremität nach 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalkablagerungen. 733 


allen Bewegungsrichtungen bei sicht- und tastbarer Schwellung des 
Schultergelen ksschlei inbeutels an nicht denselben Patienten bei rönt¬ 
genologisch vollkommen gleichen Kalkschatten beweist. Nicht das 
Kalkdepot an sich, sondern erst die entstehende oder begleitende Af¬ 
fektion der Bursa bedingt das klinische Bild. Sailer, der lediglich den 
Sitz in den Schleimbeuteln annimmt, konnte schon einige Stunden 
nach Beginn der Erkrankung die Kalkablagerungen röntgenologisch 
nachweisen und schließt daraus, daß die Erkrankung älteren Ur¬ 
sprungs gewesen, jedoch von einem geringfügigen Trauma oder einer 
unvorsichtigen Bewegung plötzlich ausgelöst sei, eine Überzeugung, 
die bei einigen Patienten, auch Stieda und Haenisch teilen. Somit 
nimmt für mich die Beteiligung der Bursa eine überragende Stellung 
in dem Krankheitsbild der gar nicht so seltenen paraartikulären Kalk¬ 
ablagerungen ein, sie muß demnach das therapeutische Handeln 
bestimmen. 

Das Idealverfahren der Behandlung ist naturgemäß die Beseitigung 
der Kalkdepots, die die dauernde Reizung der Bursa verursachen. 
Durch die konservative und operative Therapie stehen uns zwei Wege 
zur Verfügung. Ich schlage vor, zunächst immer den ersteren zu 
gehen und sich keineswegs durch die Ausdehnung und die lange Dauer 
röntgenologisch nachweisbarer Kalkablagerungen von diesem konser¬ 
vativen Wege abdrängen zu lassen. Daß die Prognose durchaus nicht 
von der Größe und dem zeitlichen Bestehen der Kalkschatten abhängt, 
hat uns Haenisch an Hand von eindrucksvollen Röntgenogrammen 
gezeigt. Kalkdepots von staunenswerter Größe und jahrelanger Dauer 
verschwanden in wenigen Wochen nach sachgemäß durchgeführter 
konservativer Behandlung. Eine Individualisierung ist naturgemäß er¬ 
forderlich, sie richtet sich nach dem Grade der klinischen Erscheinungen. 
Bei heftigen Schmerzen ist die betreffende Extremität vorübergehend 
ruhigzustellen, für die Nacht sind allgemein schmerzlindernde Medi¬ 
kamente, lokal heiße Umschläge zu verordnen. Möglichst frühzeitig 
beginnt man mit Heißluftbädern, geht dann zu vorsichtiger Massage 
und endlich zu mediko-mechanischen Übungen über. Mit weniger 
Schmerzen einhergehende Kalkdepots können dementsprechend sofort 
mit Heißluft, täglicher Muskel- und Kapselmassage, sowie, an der 
Schulter z. B., mit mediko-mechanischen Übungen am Elevations¬ 
und Rotationspendel behandelt werden. Ein Erfolg zeigt sich zumeist 
schon gleich. Die bursitischen Erscheinungen gehen zurück, das Kalk¬ 
depot kommt zur Resorption: subjektiv besteht Schmerzfreiheit, ob¬ 
jektiv ist der Kalkschatten nicht mehr nachweisbar, wie es, um ein 
Beispiel zu bringen, die Röntgenbilder folgenden Falles zeigen. 

Bei dieser 38 jährigen Patientin war es ohne ein besonderes Trauma zu täglich 
zunehmenden Schmerzen in der linken Schulter gekommen, die innerhalb 4 Wochen 


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H. Stegemann: 


derart heftig wurden, daß Pat. ihren linken Arm nicht mehr seitwärts heben konnte. 
Beim Waschen und Haarmachen waren die Schmerzen unerträglich, der Arm fiel 
alsbald kraftlos herunter, so daß fremde Hilfe zu diesen Verrichtungen nötig war. 



Abb. 5. Vor der Behandlung. 



Abb. 6. Nach der Behandlung. 

Gleichzeitig bestanden heftige Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Das Röntgen¬ 
bild zeigte den charakteristischen Schatten an typischer Stelle (Abb. 5). Die 
Frau wurde in der angegebenen Weise behandelt. Nach 4 Wochen war völlige 
Bewegungsfreiheit im linken Schultergelenk erzielt. Ein allerdings in einer etwas 
anderen Entfernung angefertigtes Röntgenbild demonstriert auch objektiv die 
Besserung: der Schatten ist verschwunden. (Abb. 6.) 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalkablagerungen. 735 

Auch die Diathermie kann man zur resorbierenden Therapie heran¬ 
ziehen. Der schon oben erwähnten Patientin mit der Kalkablagerung 
in der Trochantergegend l ) wurde in der medizinischen Klinik eine täg¬ 
liche Diathermiebehandlung, und zwar eine einstündige Sitzung zuteil. 
Schon nach 14 Tagen war zwar noch nicht völlige Beschwerdefreiheit 
erzielt, aber der Kalkschatten war verschwunden. Die Nebeneinander¬ 
stellung der beiden Röntgenogramme möge das zeigen. 



Abb. 7. Vor der Behandlung. Abb. 8. Nach der Behandlung. 


Wie ist diese beinahe zauberhafte Wirkung der konservativen Thera¬ 
pie zu erklären? Wenn auch das schnelle Verschwinden der bekanntlich 
sehr schnell entstehenden Kalkdepots nicht so sehr überrascht, bleibt 
immerhin das durch verhältnismäßig kurze Behandlung bedingte Zurück¬ 
gehen lange bestehender großer Kalkablagerungen erstaunlich. Meines 
Erachtens liegt das an der guten Angriffsmöglichkeit, die diese Kalk¬ 
depots mit ihrer großen Oberfläche den Resorptionssäften des Körpers 
bieten. Sie bestehen nicht aus einem kompakten Kalkherd, der mit 
seiner verhältnismäßigen kleinen Oberfläche nur eine geringe Resorptions- 

l ) Infolge der vor der Röntgenaufnahme angenommenen gichtischen Ätio¬ 
logie wurde bei dieser Patientin Atophan gegeben. Die Pat. gab an, große Er¬ 
leichterung von dieser Medikation zu haben. Atophan hilft aber bekanntlich 
nicht nur bei Gicht, sondern auch bei chronisch rheumatischen Entzündungen. 


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H. Stegemann: 


fläche bieten würde, sondern aus vielen mikroskopisch kleinen Körnchen 
und Schollen, die mit ihrer unvergleichlich größeren Oberfläche natur¬ 
gemäß viel besser umspült und daher leichter resorbiert werden können, 
Auch braucht der Kalk durchaus nicht immer in festem Zustand zu 
sein; das zeigen bei Kalkgicht exstirpierte Knoten, deren breiiger Inhalt 
dessen Untersuchung phosphor- und kohlensaurer Kalk ergab ( Hunter, 
Mosbacher) nach kurzer Zeit an der Luft erstarrte. Ist es aber zu einem 
kompakten Kalkherd gekommen, in dem es gelegentlich sogar zu Ver¬ 
knöcherungsvorgängen kommen kann, so kann auch hier noch die 
konservative Therapie unter günstigen Bedingungen Schmerzfreiheit 
erzielen. Es kommt nämlich die durch die Kalkansammlung bedingte 
Bursitis zur Ausheilung. Das sind die Fälle, für die man sich bisher 
die Schmerzfreiheit trotz des gleichbleibenden Kalkdepots nicht er¬ 
klären konnte und die den therapeutischen Beweis für die von mir 
vertretene Ansicht der überragenden Stellung bursitischer Erschei¬ 
nungen im Krankheitsbild erbringen. Ideal ist zwar diese Behandlung 
nicht, lassen wir doch den Herd, der immer zur neuen Reizung und 
Entzündung der Bursa Veranlassung geben kann, im Körper zurück. 
Doch gebührt ihr der Vorzug vor der operativen Behandlung, für die 
ich nur die Fälle Vorbehalte, bei denen trotz sachgemäß durchgeführter 
konservativer Behandlung ein Aufhören bursitischer Erscheinungen bei 
gleichbleibendem oder kaum verändertem Röntgenbefund nicht zu er¬ 
zielen ist. Wenngleich die Operation unschwer ausführbar ist, sofern 
nur der Operateur die Auffindung der Kalkdepots mittels Harpunierung 
der schattengebenden Gebilde vor dem Röntgenschirm durch 2 Nadeln 
sichert, ist doch andererseits bei dem nicht vorher bestimmbaren Sitze 
der Kalkablagerungen in den Sehnenansätzen und anderen Kapsel¬ 
partien eine Eröffnung des Gelenks mitunter unvermeidlich. Daher 
soll die Operation die ultima rat io bilden, mag auch der Erfolg der 
Operation an sich ausgezeichnet sein. Auf jeden Fall stellt das Krank¬ 
heitsbild der paraartikulären Kalkablagerungen ein dankbares Feld 
ärztlicher Behandlung dar. 


Schlußsätze. 

1. Die unter der verschiedenen Nomenklatur (Bursitis calcarea, 
Periarthritis humero-scapularis usw.) am Schultergelenk bekannten 
paraartikulären Kalkablagerungen kommen auch an anderen Ge¬ 
lenken vor. 

2. Ausschlaggebend für die Diagnose und Differentialdiagnose ist 
die Röntgenuntersuchung (Aufnahme und Schirmdurchleuchtung), da 
klinische Erscheinungen paraartikulärer Kalkablagerungen von anderen, 
die gleichen klinischen Symptome bietenden Krankheitsbildem häufig 
nicht abzugrenzen sind. 


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Die chirurgische Bedeutung paraartikulärer Kalkablagerungen. 737 


3. Die klinischen Erscheinungen können äußerst mannigfach sein, 
verschieden nach dem Sitze an den einzelnen Gelenken, verschieden 
an ein und demselben Gelenke nach dem Grade der Erkrankung. 

4. Als anatomisches Substrat der schattengebenden Gebilde wurde 
in allen untersuchten Fällen kohlen- und phosphorsaurer Kalk gefunden. 

5. Die Annahme des Sitzes der Kalkablagerung in den Schleim - 
beutel entspricht nicht immer den operativ erhobenen anatomischen 
Befunden. Auch Sehnenansätze und paraartikuläres Gewebe sind des 
öfteren befallen. 

6. Die Kalkherde entstehen in erster Linie durch eine dystrophische 
Verkalkung vorher veränderten Gewebes. 

7. Diese Gewebsveränderung bildet das Endstadium von Ent¬ 
zündungen. 

8. Das Krankheitsbild wird beherrscht durch die begleitende Bur¬ 
sitis, die ebenso eine Ursache wie eine Folge der Kalkdepots sein kann. 

9. Klinisch ist es gleichgültig, ob die Kalkablagerung in den Sehnen¬ 
ansätzen, Schleimbeuteln oder im paraartikulären Gewebe liegt. Das 
klinische Bild wild bestimmt durch den Sitz der Kalkablagerung zu 
den Schleimbeuteln und durch die hierdurch bedingte Möglichkeit der 
Irritation der Schleimbeutel. 

10. Die konservative, resorbierend wirkende Therapie ist die Me¬ 
thode der Wahl; lediglich die dieser Behandlung trotzenden Fälle sind 
zu operieren. 

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(Aus der chirurgischen Klinik [Prof. L . v. Balcay ] der k. ung. Elisabeth-Universität, 

zur Zeit in Budapest.) 

Zur Verwertung der Senkungsgeschwindigkeit 
der Blutkörperchen in der chirurgischen Diagnostik. 

Von 

Dr. Edmund Haller. 

(Ringtgangen am 3. Juni 1923.) 

Seitdem Fahraeus im Jahre 1917 nachwies, daß bei Schwangeren 
die Senkungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen eine raschere ist, wie 
unter normalen Umständen, ferner aus weiteren Beobachtungen fest¬ 
stellen konnte, daß diese erhöhte Senkungsgeschwindigkeit bei Schwan¬ 
geren eine ständige Erscheinung bildet, welche zur Feststellung der 
Schwangerheit vorteilhaft zu verwenden ist, bildete die Veränderung der 
Senkungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen das Ziel vieler physio¬ 
logischer, sowie pathologischer Untersuchungen. Nachdem jedoch zwecks 
differential-diagnostischer Verwertbarkeit obiger Erscheinung bei chi¬ 
rurgischen Erkrankungen in der Literatur bloß lückenhafte Aufklä¬ 
rungen zu finden sind, wurden auf obiger Klinik Messungen unternommen, 
um diesen Veränderungen bei verschiedenen chirurgischen Erkrankungen 
nachzugehen. 

Wenn auf irgendeiner Weise die Gerinnung des Blutes verhindert 
wird und das so präparierte Blut in einem senkrechten Glasröhrchen stehen 
bleibt, so senken sich die cellularen Elemente auf den Grund des Röhr¬ 
chens, wobei der obere Rand der eben diese cellularen Elemente ent¬ 
haltenden dunklen Blutsäule sich vom hellgelben Plasma scharf abhebt. 
Diese Erscheinung ist eine altbekannte Tatsache. Die Feststellung 
jedoch, daß die Senkungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen bei ver¬ 
schiedenen Erkrankungen — dieselbe Messungsmethode vorausgesetzt — 
verschieden ist, knüpft sich an den Namen Fahraeus. 

Zu diesen Messungen stehen uns zwei Verfahren zur Verfügung. 
Die eine ( Westergreen) mißt den während einer bestimmten Zeit hinter¬ 
legten Weg auf die Weise, daß man eine 1 ccm fassende, lange und dünne 
Pipette benützt, das mit einer gerinnungshemmenden Substanz ver¬ 
setzte Blut aufsaugt, die Pipette stehen läßt, nach einer Stunde die Länge 
des Weges, den der Blutsäulenrand hinterlegt hat, abliest. Bei dieser 


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740 


E. Haller: 


Methode sind jedoch verschiedene störende capillare Kräfte beteiligt, 
so haben wir die Messungen mit der anderen Methode, die sich auch 
durch ihre Einfachheit empfahl ( Linzenmeyer ), ausgeführt. Hierbei 
wird in eine kalibrierte Glasspritze von 1 ccm Gehalt aus einer 5proz. 
Natroncitratlösung 0,2 ccm hochgezogen, dann 0,8 ccm Blut aus der 
Vena mediana cubiti beigemischt. Dieses Citratblut kommt in ein 
Linzenmeyerröhrchen: ein 6—7 ccm langes Glasröhrchen von 5 mm 
Durchmesser; ein Zeichen oben entspricht einem Fassungsraum von 
lccm; ein Zeichen unten ist von dem oberen 18 mm entfernt. Wir 
notieren die Zeit, welche der Rand der Blutzellensäule benötigt, um sich 
von dem oberen bis zu dem unteren Zeichen zu senken. 

Die auf gynäkologischem Gebiete gewonnenen Erfahrungen von 
Linzenmeyer und Fahraeus übertrug Löhr auf der Kieler Klinik auf 
chirurgische Erkrankungen, wobei er seine Untersuchung auf ein weites 
Material ausdehnte. 

Um sichere Daten zum Vergleiche zu erhalten, bestimmten wir die 
mittlere Senkungsgeschwindigkeit bei 12 gesunden Männern, dann bei 
9 gesunden, nicht menstruierenden und nicht schwangeren Frauen. Zur 
Hinterlegung des Weges zwischen den beiden Zeichen waren bei Männern 
6—7, bei Frauen 5—6 Stunden notwendig. Diese Werte stimmen mit 
denen in der Literatur gefundenen vollkommen überein. 

Bei unseren chirurgischen Fällen prüften wir vor allem jene Er¬ 
gebnisse Löhrs nach, welche sich auf per primarn heilende Wunden be¬ 
zogen. Seine Angaben vollkommen bestätigend, fanden wir, daß sich die 
Senkungsgeschwindigkeit an dem der Operation folgenden Tage auf die 
Weise ändert, daß während der Heilungsdauer aseptischer Operations¬ 
wunden dieselbe eine gesteigerte ist, nach der Narbenbildung jedoch 
die normale Senkungsdauer zurückkehrt. Als Beispiel sei aus unseren 
Fällen der folgende hervorgehoben: T.M., männlicher Patient von 38 Jah¬ 
ren gelangt mit Hernia inguinalis + Hernia epigastrica zur Operation. 
Senkungsgeschwindigkeit: vor der Operation 4 Std. 18 Min.; 24 Std. nach 
der Operation 2Std. 26Min.; 4Tage nach der Operation 46 Min., 6Tage 
nach der Operation 1 Std. 37 Min. um sich allmählich zu vermindern, bis 
sich aml4.Tage post operationem wieder normale Senkungsdauer einstellte. 
Während der Heilung war weder Fieber, noch andere Komplikation hinzu¬ 
getreten. Die während der Heilung der per primam vernarbenden Opera¬ 
tionswunden beobachtete Steigerung der Senkungsgeschwindigkeit kann 
um so weniger auf Kosten der Narkose oder Lokalanästhesie geschrieben 
werden, da Linzenmeyer bei in vitro-Zugabe von Narkoticis verminderte 
Senkungsgeschwindigkeit feststellte. Die Steigerung kann ebensowenig 
auf den Blutverlust zurückgeführt werden, da diese einerseits bei obigen 
Operationen fast gar nicht in Betracht kommt, andererseits aber Löhr 
bei 12 Venaesektionen, wo er jedesmal 250 ccm Bhit abließ — keine 


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Zur Verwertung der Senkungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen usw. 741 

wesentliche Veränderung wahrnahm. Auch kann das zerfallende und 
resorbierte Catgut nicht beschuldigt werden, da wir die obige Veränderung 
auch bei solchen Operationen verzeichnen konnten, wo überhaupt kein 
Catgut zur Verwendung kam. Naheliegend ist jedoch der Gedanke, daß 
diese Veränderung auf die Resorption der Produkte des Gewebes, welches 
durch die Ligaturen abstirbt, zurückgeführt werden könnte. 

Bei Patienten, die wegen Erkrankungen der Gaüenwege zur Operation 
gelangten, haben wir in allen Fällen Steigerung der Senkungsgeschwindig¬ 
keit verzeichnen können, einerlei, ob Gelbsucht vorhanden war oder nicht. 
Löhr machte dieselbe Erfahrung und glaubt als wahrscheinlichsten Grund 
den Umstand angeben zu können, daß Gallenstauung oder Erkrankung 
der Gallenwege auf die Leber im pathologischen Sinne einwirkt. Ein 
Empyem, ein Hydrops vesicae felleae oder eine Veränderung des Cho- 
ledochus ließen sich durch diese Methode nicht auseinanderhalten. 

Ausgesprochene Steigerung der Senkungsgeschwindigkeit ist bei Frak¬ 
turen und sonstigen Veränderungen der Knochen wahrzunehmen. Starke 
Beschleunigung bewirkt die Osteomyelitis, Steigerung fanden wir bei 
Caries der verschiedensten Knochen, bei akuter und chronischer Coxitis, 
bei Gelenktuberkulose, Spondylitis. Bei chronischen Fällen oder solchen, 
wo die klinischen Zeichen auf eine baldige Heilung schließen lassen, ist 
die Beschleunigung eine viel geringere. 

Als Beispiel: K. J., 11 Jahre alt, wird mit 38° Teinp. auf die Klinik eingeliefert. 
Vorderfläche des rechten Oberschenkels druckempfindlich, das Glied im ganzen 
Umfange geringgradig verdickt. Keine Verfärbung. Der Verdacht auf Osteomyeli¬ 
tis wird durch den Umstand noch bekräftigt, daß die Senkungsdauer der Blutkörper¬ 
chen 25 Min. beträgt; die sofort vorgenommene Operation bestätigt den Verdacht. 
Am folgenden Tage Senkungsgeschwindigkeit 25 Min., am 4. Tage bei noch starker 
Eiterung 29 Min., am 8. Tage, als die Eiterung bereits erheblich nachließ, 45 Min. 

Mit besonderer Sorgfalt, entsprechend der Wichtigkeit dieser Gruppe 
wurden die Fälle mit tuberkulotischen Knochenveränderungen unter¬ 
sucht. Ganz gleich, ob eine Fistel vorhanden war oder nicht, konsta¬ 
tierten wir Beschleunigung der Senkungsgeschwindigkeit. 

Beispiele von chronischen Fällen: 25jähr. Tischler, Gonitis: 2 Std. 10 Min.; 
20jähr. Private, Coxitis: 1 Std. 25 Min.; 30jähr. Schuster, Coxitis mit Fistel: 1 Std. 
26 Min.; 21jähr. Schlosser, Coxitis: 26 Min.; 57jähr. Gymnasialprofessor, Gonitis 
beiderseits: 25 Min.; 52jähr. Tischler, Gonitis: 48 Min.; 15jähr. Schüler, Coxitis: 
2 Std. 17 Min. 

Charakteristisch ist die Reaktion auch bei GcschunUsten. Bei Lipomen 
oder Fibromen sahen wir keine Änderung, während maligne Geschwülste 
Beschleunigung hervorriefen. 

Beispiele: Fall von Carcinoma cardiac, festgestellt durch explorative Lapara- 
tomie: 1 Std. 52 Min.—Carcinoma mammae: 44Min.; Carcinoma mammae: IStd. 
20 Min. — Hingegen bei exuleeriertcn, also mit Gewebezerfall verbundenen Carei¬ 
nomen nie mehr als 25 Min. 


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742 


E. Haller: 


Am eklatantesten zeigt sich die Reaktion bei entzündlichen Er¬ 
krankungen. In einem Falle von pyogener Eiterung erreichten die 
Blutkörperchen sozusagen faßt sofort nach dem Einbringen des Blutes 
in das Röhrchen das untere Zeichen. Bei Mastitis, Phlegmonen, aus¬ 
gedehnteren Karbunkeln fanden wir nie mehr, als 25 Min. Diese Zeit¬ 
dauer wuchs allmählich mit dem Versiegen der Eiterung und erreichte bis 
zur Heilung beinahe die Norm. In einem Falle von Bauchwandeiterung, 
welche sich einer Herniotomie anschloß, betrug die Senkungsdauer 
15 Minuten: nachdem die Operationswunde in einer Länge von 2—3 cm 
neu eröffnet, der Eiter abgelassen und mit Vuzin gespült wurde, war 
am dritten Tage die Senkungsgeschwindigkeit wieder normal. 

Auf gleiche Art ergibt sich die Reaktion bei Appendicitis und peri- 
appendikulären Absceß, wo dieselbe als wichtiger Stützpunkt der Auf¬ 
stellung der Indikation dienen dürfte. 

Was die Erklärung der geschilderten Erscheinungen betrifft, sind die 
Ansichten noch grundverschiedene. Einzelne Autoren glauben die 
Ursache in den cellulären Elementen, andere im Plasma, noch andere 
in beiden suchen zu können. Bürker setzte bestimmte Veränderungen 
der Blutzellen voraus. Fahraeus und Linsenmeyer glaubten eine Ver¬ 
minderung der negativen elektrischen Füllung der Blutkörperchen an¬ 
nehmen zu können. Laut Kürten und Bürger rührt die Beschleunigung 
von der Ansammlung des Cholesterins her. Die neuesten Auffassungen 
stützen sich auf die kolloidale Labilität des Plasmas, da dieselbe mit der 
Veränderung des Globulingehaltes im Blutplasma eng verbunden ist. 
Den Zuwachs des Globulininhaltes hinwiederum erklären Herzfeld und 
Klinger durch Eiweiß, welches bei Erkrankungen, die mit Gewebezerfall 
einhergehen, aus den Zellen freigemacht wird und dessen infolge Autolyse 
erfolgenden Abbau zu Globulin, resp. zu Albumin. Da die Menge de« 
Globulins und des Fibrinogens defacto von der Menge der zerfallenden 
Zellen abhängt, ferner der Globulingehalt die Senkungsgeschwindigkeit 
tatsächlich in großem Maße beeinflußt, muß der Menge der zerfallenden 
Zellen bei der Veränderung der Senkungsgeschwindigkeit eine bedeutende 
Rolle zukommen. Diese Auffassung bekräftigt Westergreen mit jenen 
Beobachtungen, wo er bei Verkäsungen, Lungenkavemen, also mit 
Gewebezerfall verbundenen Prozessen stark beschleunigte Senkungs¬ 
geschwindigkeit fand. Auf Grund unserer Erfahrungen können wir nicht 
umhin, als dieser letzten Auffassung in vollstem Maße beizustimmen. 

Wenn auch die Grundlage der Veränderung der Senkungsgeschwindig¬ 
keit der Blutkörperchen noch nicht endgültig geklärt ist, können wir 
doch feststellen, daß wir in dieser Reaktion eine hervorragend einfache 
und praktische diagnostische Methode besitzen. Bei vielen chirurgischen 
Erkrankungen, hauptsächlich aber solchen, welche mit Entzündung 
einhergehen, wird zum Beispiel die Zählung weißer Blutzellen ersetzt 


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Zur Verwertung der Senkungsgeschwindigkeit der Blutkörperchen usw. 743 

werden und das Vorhandensein einer Entzündung leicht und in kürzester 
Zeit festgestellt werden können. 

Literaturverzeichnis. 

Fahraeus, Biochem. Zeitschr. 85 . 1918. — Frisch und Starlinger, Med. Klinik 
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(Auß der Chirurgischen Universitätsklinik zu Königsberg i. Pr. [Direktor: ProL 

Dr. Kirschner].) 

Die Zerreißung des Kniescheibenbandes. 

Von 

Dr. med. H. Höben er. 

Mit 2 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 12. Juni 1923.) 

Ein großer Teil der Frakturen entsteht durch Zugwirkung. Wird 
hierbei ein kleines Knochenstück aus einem größeren Knochenteil 
herausgerissen, so sprechen wir von einer Abrißfraktur, die vielfach 
nicht allein durch reine Zugwirkung, sondern durch eine Kombination 
von Zug und Biegung entsteht. Die indirekte, zur Fraktur führende 
Gewalt wird durch Muskel, Band und Sehne übertragen. Die bekannte¬ 
sten Bißbrüche sind der indirekte Kniescheibenbruch, die Abrißfraktur 
des Olecranons, des Fersenbeinhöckers sowie der Abriß des Malleolus 
internus tibiae. 

Die genannten Bißfrakturen kommen am häufigsten bei Leuten 
mittleren Alters, etwa zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr vor. 

Daß gewöhnlich der Knochen und nicht die mit ihm in Verbindung 
stehende Muskulatur oder Sehne zerreißt, liegt an seiner geringeren 
Elastizität und Festigkeit. Nur in allerseltensten Fällen reißen bei dem 
gleichen Entstehungsmechanismus die den Zug vermittelnden Sehnen, 
Bänder und Muskeln, wenn sie ausnahmsweise weniger elastisch als der 
Knochen sind. Diese Verletzung findet sich fast nur bei Leuten über 
50 Jahren. Muskeln, Sehnen und Bänder haben hier — mag stärkere 
Fettdurchwachsung oder allgemeine Minderwertigkeit der alternden 
Gewebe der Grund sein — nicht mehr ihre alte Elastizität. 

Erst in letzter Zeit führte Kütlner ein besonders charakteristisches 
Beispiel hierfür an. Er beobachtete, daß bei ihm ein Biß der Achilles¬ 
sehne durch eine plötzliche Gewalteinwirkung erfolgt sei, dagegen bei 
gleichem Mechanismus bei jüngeren Leuten ein Abriß des Fersenbein¬ 
höckers erfolge. 

Schon früher machte Pitha darauf aufmerksam, daß gerade ältere 
Jäger und des Bergsteigens ungewohnte Leute sich leicht Zerreißungen 
der Achillessehne zuziehen. 


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H. Hübener: Die Zerreißung des Kniescheibenbandes. 


745 


Ähnlich liegen die Verhältnisse bei der vorwiegend Kinder treffenden 
supracondylären Humerusfraktur und bei der besonders bei Erwachse¬ 
nen vorkommenden Luxatio cubiti posterior. Der gleiche Entstehungs¬ 
mechanismus, Fall auf die Hand bei gestrecktem und abduciertem Arm, 
verschiedene Verletzungsarten bei Kindern und Erwachsenen. In der 
Jugend eine widerstandsfähige, elastische Gelenkkapsel, daher die extra- 
capsuläre Humerusfraktur, im Alter Nachlassen der Elastizität der 
Kapsel, Kapselriß und Luxation des Ellenbogens. 

Übertragen wir diese Beobachtung auf die Verhältnisse am Knie¬ 
gelenk, so finden wir auch hier bei plötzlicher maximaler Anspannung 
des Streckapparates in der Regel einen Bruch der Kniescheibe und nur 
in seltenen Fällen bei älteren Leuten einen Riß oberhalb oder unterhalb 
der Patella, Verletzungen des Quadriceps oder des Kniescheibenbandes. 

An unserer Klinik konnten wir vor kurzem einen in dieser Hinsicht 
bemerkenswerten Fall beobachten, dessen Krankengeschichte folgt: 

Vorgeschichte: Der bisher gesund gewesene Kranke fiel vor einem halben Jahr 
beim Besteigen einer Steintreppe hin. Beim Ausgleiten suchte er den Fall durch 
plötzliches Aufrichten des Oberkörpers zu verhindern. Dabei knickte er mit 
beiden Beinen in den Knien nach innen und vorne ein. Er will mit dem rechten 
Knie auf die Kante der Steintreppe aufgeschlagen sein. Im Krankenhaus wurde 
ein Schienenverband angelegt. Nach 4 Wochen waren die Beschwerden am linken 
Bein so gut wie behoben; dem rechten Knie fehlte jedoch der nötige Halt, der nur 
vorhanden war, solange das Knie durchgedrückt wurde. Da in der Folgezeit 
eine Besserung absolut nicht eintrat, suchte der Kranke ein halbes Jahr nach 
dem Unfall die Chirurgische Universitätsklinik zu Königsberg auf. 

Anaranestisch wird auf Befragen eine gewisse, seit einigen Jahren bestehende 
Unsicherheit in den Knien angegeben. Gelegentlich Spannungsgefühl in den 
Beinen. Angeblich keine luetische Infektion. 

Befund: Kräftiger Mann in sehr gutem Ernährungszustand. Keine krank¬ 
haften Veränderungen der inneren Organe nachweisbar. 

Linkes Bein: Bei Anspannung des Quadriceps findet sich dicht oberhalb der 
Kniescheibe sicht- und vor allem fühlbar eine Furche, die wohl einer Narbe im 
Quadriceps entspricht. Linkes Bein sonst o. B. 

Rechtes Bein: Bei äußerer Betrachtung des rechten Kniegelenkes sieht man 
wie bei Kniescheibenbrüchen zwischen zwei Wülsten eine Eindellung, die bei 
Anspannung des Quadriceps deutlicher hervortritt (siehe Bilder). Die Abtastung 
läßt jedoch die Kniescheibe in normaler Form und Größe erkennen. Ihr unterer 
Rand bildet den oberen Wulst, der bei Kontraktion des Quadriceps nach oben 
gezogen wird. Die Furche entspricht einem Einriß im Kniescheibenband, das 
den unteren Wulst unterhalb der Furche zu bilden scheint. Kein Kniegelenks¬ 
erguß. Die Beweglichkeit im Gelenk ist passiv frei, aktiv vermag der Kranke 
das Bein in Streckstellung nicht zu halten. In Rückenlage ist Streckung des 
gebeugten Knies nicht möglich, in Seitenlage dagegen wird das gebeugte Knie 
gestreckt, d. h. der seitliche Streckapparat ist teilweise erhalten. Nervensystem, 
Patellarreflexe o. B. WaR. —. 

Diagnose: Zerreißung des rechten Kniescheibenbandes. 5. I. 1923 Operation 
(Prof. Kirschner) in Lumbalanästhesie. 

Etwa 15 cm langer Schnitt an der Innenseite des rechten Kniegelenks, Frei¬ 
legung der Kniescheibe. Das Lig. patellae wird an den beiden Rißstellen frei- 

Archiv f. klin. Chirurgie. 12a. 


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746 


II. Hübener: 


präpariert. Der Riß sitzt etwa 1 cm unterhalb der Kniescheibe. Die beiden Ri߬ 
enden des Kniescheibenbandes werden doppelt mit kräftiger Seide genäht. Von 
der Außenseite des rechten Oberschenkels wird darauf ein etwa 8:4cm großes 
Fascienstück entnommen und in der Längsrichtung auf das eben genähte Knie¬ 
scheibenband zur Verstärkung auf genäht. Hautnaht am Knie und Oberschenkel. 
Schienenverband. Hochlagerung des Beines. 

16. I. Entfernung der Nähte. Beide Wunden sind reizlos verheilt. Weiter 
SchienenverbancL 

26. I. Pat. wird auf sein gesundes Bein gestellt, so daß das kranke Bein 
frei schwebend nach unten hängt. Es gelingt ihm ohne Schwierigkeit, das Bein 
mit gestrecktem Kniegelenk zu erheben. 

29. I. Pat. wird auf seinen dringenden Wunsch nach Hause entlassen. 



Abb. 1. Abb. 2. 


Es handelt sich also um die Zerreißung des rechten Lig. patellae 
bei einem älteren Manne. 

Zerreißungen des Kniescheibenbandes sind ein seltenes Ereignis. 
Maydl konnte bis 1883 nur 65 Fälle anführen. Die letzte größere Zu¬ 
sammenstellung stammt von Walker. Er gab einschließlich der Maydl - 
sehen im Jahre 1896 140 Fälle von Zerreißung des Kniescheiben- 
bandes an. 

Alle bisher mitgeteilten Befunde bieten den gleichen Entstehungs¬ 
mechanismus. Auch unser Kranker bildet keine Ausnahme. Das Knie¬ 
scheibenband zerreißt nach Maydl am häufigsten bei der gewaltsamen 
Bemühung, sich vor einem Falle nach rückwärts durch plötzliches 


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Die Zerreißung des Kniescheibenb&ndes. 


747 


Vomüberwerfen des Körpers zu bewahren, oder beim Sturz nach vorne 
— Maydl führt hierfür 3 Fälle an — wo instinktiv versucht wird, durch 
schnelles Auf richten des Körpers den Fall zu verhindern. So teilt 
Maydl einen Fall mit, wo der Kranke beim Aussteigen aus einem Wagen 
mit der Ferse hängen blieb und durch eine gewaltsame Muskelanstrengung 
den drohenden Fall zu verhindern suchte. 

Auch unser Patient suchte den Sturz auf die Steintreppe durch 
schnelles Aufrichten des Körpers zu verhindern. Dabei knickte er in 
den Knien ein und sank, da er den Halt verlor, in sich zusammen. 

Nun gibt unser Kranker an, er sei mit dem rechten Knie auf die 
Steintreppe aufgeschlagen. Es ist sehr imwahrscheinlich, daß er mit 
dem relativ kurzen Kniescheibenband so auf die Kante der Steintreppe 
aufschlug, daß es durch direkte Gewalt riß. Ligamentruptur durch 
direkte Gewalt ist in der Literatur außerordentlich selten angegeben. 
Nur bei direkten Verletzungen mit scharfen Gegenständen ist diese 
Verletzungsart möglich, wobei zumeist zugleich eine Hautwunde die 
Ruptur freilegt. Bei unserem Eiranken war die Haut unverletzt. Nach 
Maydl waren unter 63 Fällen von Ligamentruptur nur 3 durch direkte 
Gewalt entstanden. Auch in diesen Fällen erfolgte der Riß durch 
Aufschlagen scharfer Gegenstände auf das Kniescheibenband, einmal 
durch einen Säbelhieb, das andere Mal durch Sturz auf eine zerbrochene 
Flasche, und im 3. Falle durch Aufschlagen eines Ziegelsteines auf das 
Kniescheibenband beim Einsturz einer Mauer. Auch Berger führt unter 
48 Ligamentrupturen nur eine durch direkte Gewalt entstandene cm. 

Der Befund am linken Bein ist bei unserem Kranken zwar nicht 
eindeutig. Die Eindellung im Quadriceps spricht jedoch mit großer 
Wahrscheinlichkeit dafür, daß es hier — wodurch das Einknicken in 
beiden Beinen seine Erklärung findet — zu einer teilweisen Quadriceps- 
ruptur kam. Unter der Bettruhe, zu der der Verunglückte wegen seiner 
Verletzung des rechten Beines gezwungen war, heilte dieser Riß ohne 
besondere Behandlung aus. 

Es ist auffallend, daß bei gleichem Mechanismus das eine Mal die 
Kniescheibe bricht, während das andere Mal das Kniescheibenband 
reißt. Es liegt nahe, die Ursache für den sehr viel selteneren Riß des 
Bandes in einer krankhaften Veränderung des Streckapparates selbst 
zu suchen. Doch nur in einigen seltenen Fällen war ein krankhafter 
Zustand des Streckapparates festzustellen. Fettige Degeneration be¬ 
obachteten Maydl und Vvlpius in je einem Falle. Eine zweite Er¬ 
krankung, von der man annimmt, daß sie den Streckapparat schädigt, 
ist der chronische Gelenkrheumatismus. Brunner und Meunier be¬ 
schrieben Fälle, in denen sie den Riß des Ligaments durch voran¬ 
gegangenen chronischen Gelenkrheumatismus erklären. Auch beschuldigt 
man bei chronischer Kniegelenksentzündung in die Sehne des 

48* 


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IT. Hübener: Die Zerreißung- des Kniescheibenbandes. 


Quadriceps eingelagerten Knorpel für den Riß der Sehne. So führt 
Wunsch 2 Fälle bei Arthritis deforraans an, bei denen er in dem ein¬ 
gelagerten Knorpel die anatomische Erklärung für die Quadriceps- 
ruptur sieht. Auch wurden am Arm Schädigungen der Bicepesehne 
bei Arthritis deformans beschrieben. Auch bei Lues zeigt das Lig. 
patellae mitunter fettige Degeneration und unterliegt infolgedessen 
leichter einem Riß, wie erst kürzlich Philipowicz an 2 Fällen beschrieb. 
Besonders bei der Tabes dorsalis findet man häufig schwere Verände¬ 
rungen des Streckapparates. So will Hajemann Sehnenruptur bei 
Tabes „ohne jede Muskelaktion“ gefunden haben. 

Bei unserem Kranken war keine Erkrankung des Streckapparates 
festzustellen. 

Eine zweckmäßige Behandlung kann nur in Vereinigung der Ri߬ 
enden durch Naht bestehen. Genäht wurde mit Catgut, Silkwormgut. 
Metall, Seide und präparierten Tiersehnen. In zahlreichen Fällen 
genügte die einfache Naht jedoch nicht. Sobald die Kranken zu gehen 
anfingen, riß das Band von neuem. Butherfurd und Pavlucci suchten 
daher das Kniescheibenband durch eine Plastik aus dem Quadriceps 
zu verstärken. Shands ersetzte den Defekt durch stark gedrehte Seide. 

Besonders aussichtsreich erscheint heute die Kirschners che Fascien- 
transplantation. Sie erzielte bisher nur gute Erfolge. Ilgens Patient, 
bei dem die Fascientransplantation ausgeführt war, konnte schon einen 
Monat nach der Operation ohne Stütze gehen. Für die Haltbarkeit des 
durch FascienVerpflanzung verstärkten Kniescheibenbandes spricht ein 
von Wälder beschriebener Fall, bei dem das Lg. patellae 5 Monate 
nach der Operation einem erneuten Trauma standhielt. Unser Patient 
konnte schon 3 Wochen nach der Operation das Bein ohne Schwierig¬ 
keit mit gestrecktem Kniegelenk erheben. So sind die Resultate der 
Fascientransplantation betreffs der Heilungsdauer und in Hinsicht auf 
den Enderfolg durchaus gut. Die Abkürzung der Bettruhe bewahrt 
außerdem die doch meist älteren Kranken vor Lungenkomplikationen. 

Konservative Behandlung mit Ruhigstellung in Strecklage kommt 
heutzutage nur bei sehr alten und geschwächten Kranken in Frage. 
Neben der langen Heilungsdauer bringt die mechanische Behandlung 
nach Lolheissen nur etwa in 70% Erfolge, die in keinem Verhältnis zu 
den Resultaten der operativen Methode stehen. 

Unzweifelhaft gibt es aber auch Fälle, in denen die Naht des zer¬ 
rissenen Kniescheibenbandes selbst mit Verstärkung durch Fascien¬ 
transplantation einen Dauererfolg nicht bringt. In derartigen FälleD 
ist eine Sehnenplastik aus dem Biceps od#r Semitendinosus vorzunehmen, 
die dann sicher zum Ziele führt. 


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(Aus der Chirurgischen Universitätsklinik Frankfurt &. M. [Direktor: Professor 

Dr. F. Schmieden].) 

Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie, ihre Pathogenese 
und zweckmäßige Therapie. 

Von 

Privatdozent Dr. A. W. Fischer, 

Assistent der Klinik. 

Mit 2 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 16. Juni 1923.) 

Das unter der Bezeichnung „Epicondylitis“ und „Styloiditis“ 
gehende Krankheitsbild ist sicher jedem Chirurgen, weniger dem All* 
gemeinpraktiker bekannt. Viele Arbeiten haben sich mit der Ätiologie, 
Pathologie und Therapie dieses Krankheitsbildes in den letzten Jahren 
befaßt, ohne daß man von einer Klärung der strittigen Punkte sprechen 
könnte, namentlich bezüglich der Pathologie der Erkrankung sind die 
widersprechendsten Theorien verfochten worden. Auch die Therapie 
ist bisher herzlich wenig erfolgreich gewesen, eine aktiv operative 
Therapie wird meist abgelehnt und darauf hingewiesen, daß nach Ablauf 
von allerdings oft sehr langer Zeit die Symptome mit und ohne konser- 
^*^vative Therapie schwinden. Ich glaube nun, bezüglich der Pathologie und 
Therapie einige neue Gesichtspunkte dem bisher Bekannten hinzufügen 
zu können, insbesondere ist es mir gelungen, durch einen kleinen Eingriff 
die störenden Symptome, unter denen die Kranken erheblich litten, mit 
Sicherheit dauernd zu beseitigen. Ehe ich aber auf Einzelheiten in 
dieser Beziehung eingehe, muß ich zusammenfassend über die ver¬ 
schiedenen Anschauungen berichten, die über Ätiologie und Therapie 
des Leidens bisher geäußert sind. Denn nur aus der Kenntnis und 
Kritik der Meinungen im Verein mit eigenen Befunden und sorgfältig 
erhobenen Anamnesen ist eine Klärung zu erwarten. 

A. Literaturübersicht. 

L Geschichtliches. 

Meist findet man in den upser Thema behandelnden Arbeiten die 
Angabe, die Notiz von Bernhardt im Centralbl. f. Neurol. 1896 „Über 
eine wenig bekannte Form der Beschäftigungsneuralgie“ sei die erste 
diesbezügliche Veröffentlichung; Bernhardt selbst verweist jedoch schon 


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A. W. Fischer: 


auf einen älteren Autor, und zwar auf den zusammenfassenden Artikel 
über die Beschäftigungsneuralgien von Berger-Remak in der bekannten 
Eulenburgschen Realenzyklopädie, die mir in ihrer 3. Auflage aus dem 
Jahre 1894 vorlag. Die Kenntnis dieser „Beschäftigungsneuralgie“ ist 
jedoch noch wesentlich älter, so fand ich in der Arbeit von Runge in 
der Berl. klin. Wochenschr. 1873 eine eingehende Beschreibung des uns 
interessierenden Krankheitsbildes, die die Bezeichnung „typisch“ 
durchaus verdient. Ich glaube, auch in der noch älteren Literatur würde 
man noch ähnliche Krankheitsgeschichten bei näherem Nachsuchen 
erwähnt finden können. 

Der Runge sehe Patient hatte nach einer forcierten Supinations¬ 
bewegung einen heftigen Schmerz am Ellbogen verspürt, er schonte sich, 
und die Beschwerden schwanden allmählich, später trat dann aber ein 
Schreibkrampf auf, und als ihn Runge schließlich nach langer ergebnis¬ 
loser Behandlung mit ruhigstellenden Verbänden usw. untersuchte, fand 
er einen hochgradig druckempfindlichen Epicondylus radialis. Runge 
weist darauf hin, daß an diesem Knochenpunkt die Mm. pronator longus, 
Extensor digitorum communis und Extensor carpi radialis longus an¬ 
setzen. Das Zerren dieser Muskeln am Herd der Entzündung mildert 
der Patient nach seiner Meinung dadurch, daß er durch tonische Kon¬ 
traktion (Schreibkrampf) einiger Muskeln den „Locus affectus“ fixiert. 
Charakteristisch war auch hier, wie wir noch später eingehend erörtern 
wollen, der lange Verlauf, schon 2 Jahre hatte der Kranke seine Be¬ 
schwerden, ehe er in Behandlung von Runge kam. 

Runge kauterisierte die ganze Haut in der Größe eines ZehngroBchen- 
stückes, ließ den Arm in der Binde tragen und hatte einen prompten 
Erfolg. Über den Heilungsvorgang äußert er sich, wie folgt: „Mit der 
späteren Vernarbung trat auch, ich vermute durch Fortschreiten des 
Verödungsprozesses in die Tiefe, eine völlige Beseitigung der schmerz¬ 
haften Stellen des Periostes ein.“ 

In seinen Arbeiten über Knochenperiostentzündungen nach Influenza 
erwähnt dann Franke 1906 und 1909 kurz einen Fall von „Epicondylitis“, 
aber erst 1910 widmet er diesem Thema eine ausführliche Arbeit. Fast 
zu gleicher Zeit charakterisierte Vuttiet in Frankreich das Krankheits¬ 
bild. Jetzt begann man sich intensiver mit der Krankheit, die die ver¬ 
schiedensten Namen wie Tennisellbogen, Epicondylagie, Bursitis radio- 
humeralis bekam, zu befassen, und eine ganze Reihe Arbeiten aus jener 
Zeit bis zum heutigen Tage, die im einzelnen aus dem Literaturver¬ 
zeichnis zu ersehen sind, werden uns zu beschäftigen haben. 

II. Anamnese. 

Was zunächst die Anamnese betrifft, so scheiden sich gleich hier 
zwanglos mehrere Gruppen: 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


751 


1. Fälle, die sich im Anschluß an eine Influenza, Angina, rheuma¬ 
tische Infektion, Gicht oder Erkältung entwickelt haben, 

2. Fälle, bei denen die Beschwerden im Anschluß an ein Trauma 
manifest wurden. Recht interessanterweise teilen die Kranken dabei 
fast regelmäßig mit, die Schmerzen seien nicht unmittelbar nach dem 
Stoß, Fall oder dergleichen, sondern erst nach einer Art von freiem 
Intervall, nach etwa 1 —2 Wochen aufgetreten. 

3. Fälle, bei denen die Kranken ihre Beschwerden auf bestimmte 
ungeschickte oder zu heftig ausgefallene Bewegungen zurückführen: 
leerer Hieb beim Fechten, energische Faß- und Drehbewegungen; Fälle, 
für die ein ursächlicher Zusammenhang mit bestimmten Berufs- oder 
Sporttätigkeiten sich vermuten läßt (siehe darüber unter Ätiologie). 

4. Fälle ohne bekannte oder nachweisbare Ursache. 

Klagen: Die Schilderung der Beschwerden ist in den Fällen der 
Literatur ziemlich gleichförmig. Immer wieder waren es Schmerzen am 
Vorderarm, die von der Gegend des radialen Epicondylus zur Hand, 
aber auch im Oberarm hoch zur Schulter zogen. Diese Schmerzen waren 
mit einem Lähmungsgefühl beim Zufassen verbunden und bedingten 
eine besonders beklagte Kraftlosigkeit aller Handgelenks- und Finger¬ 
bewegungen. Bei Beugung und Streckung im Ellbogengelenk wurde 
meist nicht über Schmerzen geklagt. Vielfach findet man die Angabe, 
daß die Leute, wenn sie bei emporgehobenem Arm Greifversuche unter¬ 
nahmen, besondere Schmerzen hätten. Die genannten Schmerzen traten 
meist nicht in der Ruhe, sondern, wie ich vorhin schon darlegte, nur bei 
Bewegungen, besonders bei Versuchen, kräftig zuzufassen, auf, und je 
nach dem Grade ihrer Intensität verhinderten sie entweder völlig jeg¬ 
liche Arbeit mit der betroffenen Hand oder erschwerten diese nur in 
unangenehmer Weise; stets wiederkehrend ist bei einem sehr großen 
Prozentsatz der Literaturfälle die Angabe, es sei schon therapeutisch 
alles mögliche versucht worden, und ich möchte als Charakteristicum 
der Erkrankung schon allein aus dem Literaturstudium geradezu die 
langdauemde und erfolglose konservative Beihandlung bezeichnen. 

DL Befund. 

Auch bezüglich des zu erhebenden Befundes hei rscht im großen und 
ganzen Übereinstimmung unter den Autoren. Als typisch findet man 
immer wieder die Angabe, es sei weder an der Haut eine entzündliche 
Rötung noch irgendein ödem vorhanden gewesen, nur vereinzelt ist 
manchmal von einer ganz geringen Schwellung die Rede. (Osgood, 
Franke, Momburg.) Das Wesentliche aber bleibt immer der ganz umschriebene 
Druckschmerz am Epicondylus radialis humeri. Zuweilen sollen auch 
Capitulum radii und Radiohumeralgelenk deutlich, aber wesentlich 
weniger druckschmerzhaft gewesen sein. ( Dubs, Kaufmann, Remak, 


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A. W. Fischer: 


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Bernhardt, Bahr.) Auch wird angegeben, der umschriebene druck» 
schmerzhafte Epicondylus sei oft von einer ringförmigen, weniger 
druckschmerzhaften Zone umgeben. 

Überwiegend sind die angefertigten Röntgenbilder als absolut nega¬ 
tiv befunden worden. Poch hat Blecher in einem Falle ganz sicher 
einen dem Epicondylus auflagemden sehr feinen Schatten gesehen, der 
als periostitische Ossification zu deuten ist, und auch ich habe bei 
einem meiner Fälle, wie ich nachher noch ausführen will, einen solchen 
Schatten gesehen. Tavemter, dessen Arbeit ich leider nur aus einem 
kurzen Referat kenne, spricht von einer ziemlich beträchtlichen Periost* 
Wucherung bei älteren Fällen. Von einem positiven Befunde seitens des 
Nervensystems habe ich nur ganz vereinzelt gelesen, nur ein Autor hat 
eine auf einen bestimmten Nerven (N. cut. antebrachii lat.) begrenzte 
Hyperästhesie bemerkt (SeeligmüUer). 

Franke spricht von Parästhesien am kranken Arm, und von Ooeldel 
erwähnt Sensibilitätsstörungen, die allerdings inkonstant seien. Eine 
Muskelabmagerung oder Muskellähmung wurde nie beschrieben. 

IV. Statistik. 

An verwertbaren, d. h. für mich zugänglichen und genauer be¬ 
schriebenen Fällen, sind in der Literatur bisher 82 Fälle niedergelegt, 
davon sind 49 Männer, 33 Frauen; überwiegend, und zwar 54mal, war 
die rechte Seite, 12 mal die linke und 2 mal beide Seiten befallen. Be¬ 
vorzugt ist das Alter von 40 —50 Jahren. Im Alter 
von 10—20 Jahren standen 2 Patienten 


„ 21—30 „ 

99 

2 

99 

„ 31-40 „ 

99 

5 


„ 41—50 „ 

99 

10 

») 

„ 51—60 „ 

99 

3 

99 

„ 61—70 „ 

99 

1 

99 


Pie meisten der Befallenen waren Arbeiter, Maurer, Tischler, Schlos¬ 
ser usw., die Frauen Hausfrauen oder Fabrikarbeiterinnen, aber es sind 
auch Leute darunter, die keinen Beruf und keinerlei Arbeit ausübten, 
die in ihrer Art den genannten Berufen etwa gleich zu achten wäre. 
Unter den Befallenen finden sich auch viele Sportsleute, namentlich 
Tennisspieler, und zwar, wie v. Saar in seiner Monographie betont, 
keineswegs Anfänger, sondern alte routinierte Spieler, besonders solche, 

die nach einer Pause wieder scharf zu spielen begonnen hatten. 

• 

V. Therapie. 

Auch hier scheiden sich die Meinungen: der konservativen Therapie 
steht die operative gegenüber, und vermittelnd wirken die Autoren, die 
für die operative Therapie nur ganz bestimmte Indikationen gelten 
lassen wollten. 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


753 


Die Mehrzahl ist wohl für die konservative Therapie, viele sind 
sich aber auch der Wertlosigkeit aller der feuchten Umschläge, Salben, 
Heißluftbäder, Novocaininjektionen usw. absolut klar, und Duba hat 
das in resignierter Weise treffend gekennzeichnet, wenn er sagt, das 
Leiden heilt mit und ohne Therapie. Allerdings empfiehlt er trotzdem 
Heißluftbäder und verbietet Dreh* und Beugebewegungen, auch das 
Heben schwerer Gegenstände. Allgemein angeraten wird völlige Ruhig¬ 
stellung oder wenigstens absolutes Vermeiden aller der Bewegungen, 
die Schmerzen verursachen, und mit nur wenigen Ausnahmen wird aus 
dem gleichen Grund Massage abgelehnt. Daß Duba allerdings fast 
„ausnahmslos“ nach 4—5 Wochen Heilung sah, ist mir unbegreiflich, 
meine im gleichen Sinne behandelten Fälle reagierten jedenfalls nicht 
so schnell oder gar nicht. 

Vuüiet und v. Goeldel versuchten teilweise mit Erfolg Alkohol¬ 
injektionen. v. Goeldel spritzte 3—4mal einige Kubikzentimeter 70proz. 
Alkohol ein und achtete dabei auf Periostknochenfühlung. 

Nur eine kleine Minderheit ist für operative Therapie eingetreten 
(Franke, v. Goeldel), und sie ist heftig von der Gegenseite angegriffen 
worden, die Operation wurde als Kunstfehler bezeichnet (Duba). 

Die bisher geübte operative Behandlung besteht meist in der Ab- 
meißelung des als krank angenommenen Epicondylus, unter Umständen 
wird die frische Meißelfläche zur Vermeidung von Verwachsungen mit 
der Haut mit einem gestielten Fettlappen bedeckt. Hierher gehört 
auch die Therapie unseres ältesten Autors Runge, der, wie ich schon 
eingangs zitierte, mit dem Ferrum candens in Zehngroschenstück¬ 
größe an der befallenen Stelle tief die Haut verbrennt. 

Einen prinzipiell anderen Weg geht Oagood, der ätiologisch das Leiden 
als eine Bursitis der an der Vorderseite vor dem Radiohumeralgelenk 
gelegenen kleinen „Bursa radiohumeralis“ ansieht, indem er kon¬ 
sequenterweise diese Bursa exstirpiert; er zitiert Codmann, der eine 
quere Incision über das Radiohumeralgelenk legte, weil er unter der 
Fascie eine Entzündung vermutete und so die Fascienspannung auf¬ 
zuheben suchte. 

Vermittelnd zwischen operativer und konservativer Partei stehen 
diejenigen Autoren, die für jedes der beiden Verfahren eine bestimmte 
Indikation gelten lassen wollen, die bei der frischen Entzündung kon¬ 
servativ Vorgehen und erst beim Versagen der konservativen Behand¬ 
lung sich zu der Operation entschließen. 

Von meinen eigenen Erfahrungen in dieser Beziehung soll naohher die 
Rede sein. 

VI. Ätiologie und Pathologie. 

Zuerst wird uns interessieren, wie in der Literatur die Frage be¬ 
antwortet ist, welches Organ bzw. welches Gewebe als erkrankt zu 


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A. W. Fischer: 


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betrachten ist. Es dürfte zweckmäßig sein, an dieser Stelle einleitend 
kurz auf die normale Anatomie der in Bede stehenden Gegend ein¬ 
zugehen. 

a) Anatomie. Von der Haut und dem subcutanen Gewebe ist nichts 
Wesentliches zu berichten. Ein größerer Nervenast verläuft nicht über 
die Spitze des Epicondylus radialis humeri, das sind alles nur feine 
Äste, die der Fascie auf hegen und netzartig miteinander anastomosieren. 
Etwa 2—3cm weiter lateral — vom Olecranon aus gerechnet, befindet 
sich ein kräftiger Hautnerv, der N. cutaneus antebracchii dorsalis 
lateralis, ein Endast des N. musculocutaneus. Die Fascia bracchii setzt 
sich am Epicondylus fest und verbindet sich hier mit dem Periost und 
den Sehnen. Der Epicondylus selbst ist das Zentrum einer ganzen 
Reihe von Muskelansätzen, seine äußerste Kuppe aber bleibt frei, auch 
die Kapsel des Ellbogengelenks oder Radiohumeralgelenks bedeckt sie 
nicht. Rings um die Spitze des Epicondylus entspringt nun eine große 
Reihe von Muskeln, und zwar der M. anconaeus, der M. extensor carpi 
ulnaris, Extensor digitorum communis, Extensor carpi radialis longus 
et brevis und der M. supinator. An seiner oberen Zirkumferenz sitzen 
Fasern des medialen Tricepskopfes und solche des M. brachialis an. 

Weiter sind die in dieser Gegend vorkommenden Schleimbeutel, 
speziell auch die Häufigkeit ihres Vorkommens von Interesse. In den 
Atlanten finden wir eine Bursa subcutanea epicondyü lateralis ver¬ 
zeichnet, die allerdings nur bei jedem 60. Individuum nach Qruber Vor¬ 
kommen soll. An der Vorder- und Unterfläche, aber nicht an der Spitze 
des Epicondylus lateralis entspringt ferner das Lag. collaterale radiale. 
Das Band teilt sich in zwei Faserzüge, von denen der eine vor, der andere 
hinter dem Capitulum radii vorbeiläuft. Mit diesem Band stehen die 
M. ext. digit. com., Ext. carpi rad. brevis, Ext. carpi ulnaris et digiti 
V. proprius, auch der M. Supinator in direkter Verbindung. Weiter 
erwähnt Braus, in 20% fände sich eine kleine Bursa vor dem Gelenk 
auf dem M. supinator unter der Sehne des M. ext. carpi ulnaris. Eine 
Bursa treffen wir dagegen konstant am Olecranon und unter dem 
Ansatz der Bicepssehne. 

Osgood bildet einen Schleimbeutel ab, den er dicht — in der Längs¬ 
richtung des Armes — unterhalb des Epicondylus vor dem Radio- 
humeralgelenk gefunden haben will. 

Über das Periost dieser Gegend ist Besonderes nicht zu sagen, eben¬ 
sowenig über den Knochen; die Form des Epicondylus ist etwa die eines 
spitzen Berggipfels, der einem ziemlich scharfen Höhenkamm aufaitzt. 

b) Physiologie. Der Epicondylus radialis humeri hat eine wichtige 
physiologische Funktion. Wie wir gesehen haben, setzen an ihm eine 
größere Anzahl von Muskeln an, und wenn wir deren Zugrichtungen 
uns vergegenwärtigen, so erkennen wir, daß diese nach sehr verschie- 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


755 


denen Richtungen gehen. Nach der einen Seite ziehen die Triceps- 
fasem, älso die Streckmuskulatur für das Ellbogengelenk, nach der 
zweiten die Hand- und Fingerstrecker, und zudem setzen auch noch die 
Supinatoren an. Wir sehen also, daß unter Umständen bei bestimmten 
Bewegungen forcierte Streckung bei gleichzeitiger Supination — an dem 
Stützpfeiler, dem Epicondylus, bzw. an dem hier befindlichen Periost — 
eine ziemlich beträchtliche Zugwirkung eintreten muß. 

c) Gewebsübersickt. Es dürfte nun zweckmäßig sein, im einzelnen 
die hier aufgezählten Organe nochmals durchzugehen und sich zu über¬ 
legen, welche von ihnen in der Literatur als Krankheitssitz verant¬ 
wortlich gemacht worden sind. Von der Haut und dem subcutanen 
Gewebe als Krankheitssitz ist nirgends die Rede, ebensowenig von den 
Gefäßen dieser Gegend. 

Daß die Nerven bei der Erkrankung beteiligt sind, dürfte selbst¬ 
verständlichem, zum mindesten vermitteln sie doch den umschriebenen 
Druckschmerz dem Gehirn. So hat Franke immer wieder, auch in 
anderen Arbeiten über den Fußsohlenschmerz, über das Influenza¬ 
knie usw. darauf hingewiesen, daß man hier an eine Influenzaneuritis 
denken müsse. Er faßt das Krankheitsbild als eine „nervös-rheumatische 
Erkrankung des Epicondylus und der zugehörigen Nerven“ auf. Mar¬ 
shall, dessen Arbeit ich allerdings nur aus einem kurzen Referat kenne, 
spricht von einer „Muskelparese durch Neuritis des N. radialis nach 
seinem Durchtritt durch den Supinator brevis“, und Tersin macht den 
„hinteren Zweig des Gelenkastes des N. radialis, der um das Radius¬ 
köpfchen herum verläuft“, für das Zustandekommen des klinischen 
Symptomenkomplexes verantwortlich. Ganz besonders interessant war 
mir aus später zu erörternden Gründen die Mitteilung SedigmÜUers, 
der eine umschriebene Hyperästhesie im Ausbreitunsggebiet des N. cu- 
taneus antebrachii lateralis, eines Ausläufers des N. musculo-cutaneus 
feststellte. 

Muskeln, Sehnen. Da in der Anamnese häufig die Angabe wieder¬ 
kehrt, die Beschwerden seien die Folgen einer Überanstrengung oder 
eines falschen Griffes, ist es durchaus verständlich, daß eine große Anzahl 
von Autoren in dieser Ätiologie den Kernpunkt des Leidens zu sehen 
glaubt. Am weitesten geht in der Beziehung Clado, der das Leiden für 
eine Zerreißung des M. supinator brevis hält, die durch bestimmte 
forcierte Bewegungen bei Tennisspielern auftritt. Blecher spricht vom 
Ausreißen eines Muskels am Insertionspunkt, also am Epicondylus. 
»Sein Fall betrifft einen Dirigenten, der beim Taktieren plötzlich den 
Schmerz spürte. Er meint, daß die Streckbewegung des Vorderarmes 
beim Taktieren plötzlich durch eine Kontraktion des M. brachioradialis 
unterbrochen würde, und dadurch käme es zu einem Ausreißen am 
Insertionspunkt, zumal da am kontrahierten Muskel noch durch die 


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A. W. Fischer: 


beim Taktieren ausgeführte Ulnarflexion der Hand ein Zug ausgeübt 
werde. Es ist ja auch klar, daß die übermäßige Zug Wirkung zu Läsionen, 
Einrissen, Hämatomen oder dgl. am Periost führen kann, denn mit dem 
Periost verschmilzt sich die Sehne an ihrem Knochenansatzpunkte. So 
wird diese Meinung vertreten von Böhr (fragliche Periostitis nach Ball- 
schlagen), von Remak-Berger, Bernhardt, Franke , MomJburg, Blecher u. a. 

Als Folge einer Überanstrengung — Periostzerrung — durch die 
Strecker von Hand und Finger spricht Bernhardt in einem Fall das 
Krankheitsbild an. 

Franke geht sogar so weit, daß er von einer Ostitis redet, und er hält 
in diesem Sinne die Bezeichnung „Epicondylitis“ pathologisch-ana¬ 
tomisch für die korrekteste (spricht aber an anderer Stelle auch von 
Influenzaneuritis). 

Wie wir nun wissen, liegt ja dicht distal vom Epicondylus das 
Radiohumeralgelenk, und seine Kapsel reicht nahe an den besagten 
Knochenpunkt heran. Dubs, Kaufmann glauben auf Grund ihrer Er¬ 
hebungen über den Beruf ihrer Patienten an eine Überanstrengung 
(Verstauchung, isolierte Kapselschädigung am Lig. collaterale radiale, 
Überdehnung) des Radiohumeralgelenks, die durch die Arbeit bei ge¬ 
beugtem und supiniertem Vorderarm entstehen soll. (Ausleisten und 
Pfriemen der Schuster, Mörtelschleudem der Maurer, öffnen von 
Flaschen, Drehen der Glasformen, rasches Wegreißen einer Pfanne bei 
Köchinnen.) Die Zerrung betrifft nach ihnen die Gelenkkapsel, die 
bekanntlich zu den Sehnenfasem der am und dicht beim Epicondylus 
ansetzenden und schon genannten Muskeln in enger Beziehung stehe. 

Auch Preiser hält das Gelenk bzw. seine Kapsel für betroffen, er 
spricht von einer konträren Zugwirkung der funktionell entgegengesetzt 
arbeitenden Muskeln: Supinator b re vis und brachialis internus, die beide 
am Epicondylus bzw. dem Ligamentum collaterale radiale ansetzen, 
auf die Gelenkkapsel. Der Brachialis zieht nach ihm als kräftiger Beuger 
die Kapsel proximalwärts, der Supinator distalwärts, so kommt es also 
zu einer starken Beanspruchung der Kapsel, wenn der Tennisspieler 
mit gebeugtem und supiniertem Arm den Ball von unten her abschlägt. 
Von besonderer Wichtigkeit ist aber nach ihm als sichtbarer Ausdruck 
dieser lokalen Überanstrengung des Gelenks der Röntgenbefund, die 
von ihm so benannte Inkongruenz der Gelenksflächen. Infolge der 
Inkongruenz soll die Statik des Gelenks bei Belastung abnorm verändert 
sein. Er teilt mit, regelmäßig habe er bei seinen „Epicondylitis“fällen 
gefunden, daß der Seitenrand des Radiusköpfchens nach oben verlängert, 
nicht mit dem Seitenrand des Condylus extemus Zusammenfalle, son¬ 
dern daß er weiter vorstehe. Das statisch gestörte Gelenk soll so zur 
Arthritis deformans disponiert sein, die „Epicondylitis“ wäre also das 
Frühstadium der Arthritis deformans, und die ursprünglichen Be- 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuraigie. 


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schwerden sollen am besten als statische Schmerzen bezeichnet werden. 
Es mag hierbei nioht verschwiegen werden, daß seine Anschauungen 
von anderer Seite nicht geteilt werden und seine Röntgenbilder nicht 
bestätigt wurden ( Blecher). 

Schließlich ist der Symptomenkomplex als Bursitis gedeutet worden. 
Osgood bildet in einer kürzlich erschienenen Arbeit die von ihm als 
chronisch entzündet befundene und mehrfach exstirpierte Bursa ab. 
Über diese Bursa habe ich mich schon bei der Besprechung der Ana¬ 
tomie ausgelassen. Wir kennen eine Bursitis an der Schulter und am 
Knie, und diesen vergleichbar deutet er das Krankheitsbild. 

Auch Schmitt veröffentlichte einen Fall von einer nach seiner Dar¬ 
stellung unzweifelhaft chronisch entzündeten Bursa, die aber nicht wie 
die Osgoods vor dem Radiohumeralgelenk, sondern direkt über dem 
Epicondylus lag. In der Bursa fanden sich Kalkablagerungen. 

d) Übersicht über die ätiologischen Faktoren. So hätten wir also die 
Anschauungen der Autoren über die Frage, welches Organ eigentlich 
krank sei, kennengelemt, und es bleibt jetzt zu erörtern, welche äußeren 
Faktoren krankmachend wirken. Man kann da die Anschauungen in 
verschiedene Gruppen teilen, als deren erste ich die nervös-rheumatische 
Theorie betrachten möchte. 

Ihr Hauptvertreter ist Franke (1910), er faßt das Leiden als typische 
Nacherkrankung der Influenza auf und gibt eine ausführliche und 
deshalb besonders wichtige Krankengeschichte, weil er selbst der be¬ 
treffende Patient ist, über dessen Beschwerden usw. er berichtet. 

Duckworth betont die Häufigkeit des gichtischen Habitus in der 
Anamnese und spricht von direkten Beziehungen zur Gicht. Andere 
Arbeiten wollen wiederum eine rheumatische Ätiologie nur in den 
Fällen gelten lassen, wo sich Anhaltspunkte für direkte oder indirekte 
Traumen nicht nachweisen lassen, und wo ein unzweifelhaft rheumati¬ 
scher Habitus besteht (Kaufmann). Auch Preiser und Reh nehmen einen 
gewissen Zusammenhang mit Infektionen an, Preiser erinnert an die Be¬ 
lastungsschmerzen nach überstandenen Infektionskrankheiten, wobei er 
als zweiten ätiologischen Faktor allerdings die von ihm angenommene und 
oben schon kurz skizzierte Inkongruenz der Gelenkflächen annimmt. 

Eine neuritische Theorie, wenn auch nicht mit Anschuldigung einer 
speziellen Infektionskrankheit oder sonstigen Giftwirkung vertritt 
SeeUgmüUer, er nennt das Leiden eine Neuritis des N. cut. antebrachii 
dorsalis lateralis, da er ini ganzen Ausbreitungsgebiet dieses Nerven 
Überempfindlichkeit konstatieren konnte. 

Halb zur nächst zu besprechenden Gruppe dürfte die Bemhardteche 
Auffassung des Leidens als Beschäftigungsneuralgie gehören. 

Traumatische Theorie. Als zweite Hauptgruppe wären diejenigen 
Ansichten zu schildern, die in einem Trauma, sei es nun direkt — Fall, 


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A. W. Fischer: 


Stoß, Schlag — oder indirekt — Überanstrengung, falsche Bewegungen, 
leerer Hieb oder dgl. — den einzigen oder hauptsächlichsten ätio¬ 
logischen Faktor sehen. Hierher gehören auch alle diejenigen, die den 
„Tennisellbogen“ beschrieben, und zum Teil diejenigen, die auf di© 
Bedeutung der Berufsart für das Zustandekommen der Erkrankung 
hinwiesen: Blecher , Carp , Clado , Dubs , Sichler , v. Qoeldel , Kaufmann , 
Momburg , Osgood , Bemale-Berger, Preiser y Biviire, Bunge , Schmitt, 
Tavemier , VuÜiet. Dabei ist aber zu betonen, daß all die genannten 
Autoren sich keineswegs über den eigentlichen Sitz der Erkrankung 
einig sind, wie aus den Ausführungen des vorigen Abschnittes zu ent¬ 
nehmen ist. 

Sonstige Theorien : Manche Bearbeiter unserer Frage haben sich für 
einzelne ihrer Fälle zur Annahme einer bestimmten Theorie nicht ent¬ 
schließen können, da sie in keiner Richtung aus der Anamnese und dem 
Befund Schlüsse ziehen konnten. Sie haben diese Fälle als idiopathische 
Epicondylitis bezeichnet (Dubs). 

B. Krankengeschichten, Kritik der Literatur und eigene Ansehauungen. 

Krankengeschichten. 

Epicondylusneuralgie. 

1. F. BL 39 Jahre, Kaufmann, gichtische Anamnese; seit 1 Jahre Beschwerden 
im rechten Ellenbogen, Schweregefühl und L&hmungsgefühl im rechten Vorderarm 
und Hand. Ursache imbekannt, kein Sport. — Befund bis auf umschriebenen 
Druckschmerz völlig negativ, auch das Röntgenbild. Völlige Heilung nach Be¬ 
handlung vom 8. X. 1920 bis 2. XII. 1920 mit Atophan, grauen Salbenverbänden 
und Heißluftbädern. Nachuntersuchung und Röntgenbild am 25. VH. 1922 negativ. 

2. Frau B. 41 Jahre, Ehefrau. Weitere Anamnese o. B. Seit 3 Monaten 
Schmerzen im rechten Ellenbogen, besonders beim Zufassen mit erhobenem 
Vorderarm, Ursache unbekannt. Befund wie bei Fall 1. Behandlung 3 Wochen 
Oktober 1921. mit Verbänden grauer Salbe und Novocaininjektionen, dadurch 
zuerst wesentliche Besserung. Auf Anfrage im Juli 1922 Mitteilung, daß die 
Beschwerden unvermindert fort beständen und so erheblich seien daß die Pat. 
sich zur Operation anmeldet. 

3. Holzm. F. 45 Jahre, Maurer. Ohne bekannte Ursache entwickelten sich 
Schmerzen an der Außenseite des rechten Ellbogens, die in die Hand aber auch 
den Oberarm hoch ausstrahlten und namentlich beim Zufassen auftr&ten, sie 
waren so heftig daß ein Arbeiten beim besten Willen nicht möglich war. Da sc hem 
konservative Behandlung mit Heißluftbädem usw. 8 Wochen lang durchgeführt 
war, am 2. IX. 1921 Operation. Gewebe nicht auffällig, größere Hautnerven über 
dem Knochenvorsprung nicht sichtbar. Excision eines Perioststückee und einer 
flachen Knochenschale von Doppellipsengröße, Naht. Heilung p. p. Arbeits¬ 
aufnahme und völlige Beschweidefreiheit nach 3 Wochen. Nachuntersuchung 
und Röntgenbild 13. IV. 1922 ergibt völlig normale Verhältnisse, keinerlei Störung. 
Histologischer Befund negativ. 

4. H. O. 60 Jahre, Kaufmann. Vor 8 Wochen Stoß gegen den rechten EU¬ 
bogen (Außenseite), zuerst keine Beschwerden, erst nach einigen Tagen zunehmende 
Schmerzen, weniger bei Ruhe als bei Bewegungen, besonders beim Zufassen, Be- 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


759 


wegungen im Ellbogengelenk völlig ungestört. Röntgenbild o. B. Umschriebene 
starke Druckempfindlichkeit des Epic. ext. hum., keine Rötung oder Schwellung, 
Unter Verbänden mit Ung. ein. langsame Wiederkehr der kraft im Arm, Druck¬ 
schmerzhaftigkeit bleibt aber noch lange bestehen, trotzdem Funktionsstörungen 
nicht vorhanden sind. Sie ist nach 1 Jahre bei der Nachuntersuchung am 18, VII. 
1922 noch vorhanden. Röntgenbild auch zu dieser Zeit völlig negativ. 

5. M. E. 38 Jahre, Ehefrau. Im August 1921 Sturz auf den rechten Arm, 
es bestand eine kleine Schwellung am Ellbogen, Schmerzen traten aber erst nach 
10—13 Tagen auf. Vielfach Behandlung mit Jod, danach Jodekzem mit starker 
Schwellung, angeblich auch Fluktuation; kommt 9. XII, 1921 in meine Behand¬ 
lung mit umschriebenem Druckschmerz. Haut zeigt noch Spuren des überstandenen 
Ekzems, der Epicondylus fühlt sich prall elastisch an. Keine Atrophie! Völliges 
Verschwinden aller Beschwerden nach Verband mit grauer Salbe; keine Ruhig* 
Stellung. Kontrolle und Röntgenbild am 11. VII. 1922 ergibt normale Verhältnisse, 
völlige Beschwerdelosigkeit. 

6. R. Ch. 35 Jahre, Kaufmann. Ohne bekannte Ursache vor 8 Wochen — 
keine gichtische Anamnese — plötzlich nachts Schmerzen in der Außenseite des 
rechten Ellenbogens, Schmerzen besonders stark beim Zufassen und Heben, 
strahlen auf den Oberarm aus. Röntgenbild o. B. Bisher Verbände mit essig¬ 
saurer Tonerde und Jodierung ohne Erfolg, ebenso erfolglos Fixation. Verbände 
mit grauer Salbe bringen in 4 Wochen die Beschwerden zum Verschwinden, 

7* G. Eug. Wwe. 57 Jahre. Keine gichtische oder rheumatische Anamnese. 
Ohne bekannte Ursache seit 1 Jahre Beschwerden, Lähmungsgefühl, Schmerzen, 
Kraftlosigkeit im rechten Vorderarm und Ellbogen. Schmerz sehr wechselnd. 
Bisher konservative Behandlung, das Leiden wurde z. T. für Knochentuberkulose 
gehalten, Schmerz besonders beim Auswärtsdrehen. Druckschmerzhaftigkeit 
typisch, sonst kein Befund, auch das Röntgenbild o. B. Behandlungsversuch auf 
die Dauer von 3 Monaten mit grauer Salbe ergebnislos. 25. VI. 1922 Operation, 
nur Exstirpation des subcutanen Fettes bis auf die Fascie der Extensoren. Naht, 
Heilung p. p., aber Beschwerden imverändert. Daher am 15. VII. 1922 nochmaliger 
Eingriff und Excision des Periostes, danach sind die Beschwerden verschwunden. 

8. Sch. V. 47 Jahre, Monteur. Anamnese o. B. Allmählich zunehmende 
Schmerzen im rechten Ellbogen beim Arbeiten seit einem halben Jahre anschließend 
an einen Stoß gegen den Knochen. Gefühl der Schwere und Ungeschicklichkeit 
und Kraftlosigkeit im ganzen Arm, 2 Wochen vergeblicher Versuch der Behandlung 
mit grauer Salbe, dann Operation : Periostexcision. Heilung bis auf eine geringe 
Fadeneiterung p. p. Beschwerden sofort nach Heilung der Wunde verschwunden, 
alte Kraft wieder da. Kontrolle und Röntgenbild 12. VIL 1922 ergibt normale 
Verhältnisse. 

9. A. C. 50 Jahre, Ingenieur. Vor 3 Monaten Trauma zunehmende typische 
Beschwerden konservative Therapie, auch mit der grauen Salbe erfolglos, daher 
Operation 8. IV. 1922. Excision eines linsengroßen Perioststückchens. Heilung p. p. 
Beschwerden völlig verschwunden. Röntgenbild o. B. Histologische Unter¬ 
suchung ergebnislos. 

10. K. Fr. 42 Jahre, Ehefrau. Vor 10 Wochen Stoß gegen den rechten 
äußeren Epicondylus, zunehmende typische Beschwerden, die jegliche Arbeit mit 
der rechten Hand unmöglich machen. Verbände mit grauer Salbe, danach starke 
Hautreizung mit Blasenbildung, aber auch fast völliges Zurückgehen der Be¬ 
schwerden. Bei Nachuntersuchung am 11. VII. 1922 noch ganz leichte, nicht sehr 
störende Schmerzen am Epicondylus. Operation abgelehnt. Röntgenbild zeigt 
eine ganz feine halblinsengroße wolkige Trübung unmittelbar der Kuppe des 


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A. W. Fischer: 


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Epicondylus aufliegend. Die Trübung ist so zart, daß sie sich schlecht reproduzieren 
läßt, deshalb habe ich auf die Wiedergabe der Platte verzichtet. 

11. K. M., Arbeiter, 49 Jahre. Beschwerden erst seit 8 Tagen, weiß keine 
Ursache anzugeben, aber bei genauem Nachforschen ergibt Bich, daß K. in der 
letzten Zeit besonders viel mit dem Hammer geschlagen hat. Die Schmerzen 
bestehen beim Faustschluß, auch schmerzt völlige Beugung und Streckung im 
Ellbogengelenk. Befund am 6. V. 1922: Druckschmerzhaftigkeit, Jtöntgenbild 
o. B. Behandlung mit grauer Salbe, nach 8 Tagen kam Pat. nicht wieder. Bei 
Bestellung am 15. VII. 1922 erschien er und gab an, er habe noch die gleichen 
Beschwerden; will sich einer Operation aus Berufsgründen erst im Herbst unter¬ 
ziehen. Das neu auf genommene Röntgenbild zeigt eine ganz spitze Zacke am 
Epicondylus, die ich bei der früheren Durchleuchtung nicht gesehen hatte, und 
die ich als Effekt periostitischer Ossification deutete. 

12. Frau St., 38 Jahre. Rheumatische Anamnese; seit 10—12 Wochen ohne 
bekannte Ursache wechselnde Schmerzen an der Außenseite des rechten Ellen¬ 
bogens, die den Arm entlang ziehen, oft bis zur Schulter ausstrahlen, besonders 
beim Hängenlassen des Armes, Tragen, Faustschluß. Druckschmerz am Epi¬ 
condylus und etwas tiefer nach dem Radiohumeralgelenk zu, Bewegungen in 
diesem Gelenk aber frei. Röntgenbild o. B. Nach 6 Wochen langen Verbänden 
mit Ung. ein. und ichtyolic. nur noch geringe Beschwerden beim Zufassen. 
Operation abgelehnt. 

Aus der kritischen Betrachtung der eigenen und Literaturfälle be¬ 
züglich Anamnese, Befund, Therapieerfolg bzw. Mißerfolg, weiter aus 
Vergleichen mit anderen Krankheiten geklärterer Ätiologie lassen sich 
allein beweiskräftige Schlüsse ziehen. Fangen wir mit der Anamnese an. 

Über die einzelnen Anamnesetypen, wie sie in der Literatur nieder¬ 
gelegt sind, ist schon eingangs die Rede gewesen, und was meine 
eigenen Beobachtungen betrifft, so kann ich auch sie in der bereits 
erwähnten Weise gliedern in Fälle mit 

a) nervös-rheumatischer Anamnese, 

b) indirekt traumatischer Anamnese (Überanstrengung), 

c) direkt traumatischer Anamnese, 

d) negativer Anamnese. 

Die Beurteilung der Vorgeschichte hat mit Vorsicht zu geschehen, 
dessen bin ich mir wohl bewußt, ich habe mich auch peinlichst gehütet, 
den Leuten namentlich eine traumatische Anamnese zu suggerieren. 
Immerhin ist zu bedenken, daß unter dem Einfluß unserer Unfall¬ 
gesetzgebung die Patienten gerne geneigt sind, ein Trauma verant¬ 
wortlich zu machen. 

Trotz alledem ist aber die Scheidung der genannten Gruppen meines 
Ermessens einwandfrei und zwingt uns zu der Annahme, daß das bisher 
unter dem Namen der „Epicondylitis“ gehende Symptomenbild durch 
verschiedene Ursachen ausgelöst werden kann. 

II. Befund: Ich habe bereits auf S. 751 dargelegt, daß über die Tat¬ 
sache der umschriebenen Druckempfindlichkeit des Epicondylus ext. 
humeri nahezu Einigkeit herrscht, und der Schluß erscheint einfach 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


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und berechtigt, diesen Punkt bzw. die diesen Punkt bedeckenden Ge¬ 
webe auch als Ort der Erkrankung anzusehen. Doch auch dagegen 
sind Einwände erhoben worden, so von Dubs, Kaufmann und Preiset. 
Ihre meines Ermessens nur durch Erwägungen betreffend die Muskel¬ 
funktion, nicht durch positive Befunde gestützte Ansicht, daß die Er¬ 
krankung in einer isolierten Verstauchung des Radiohumeralgelenks 
bestehe, suchen sie mit dem Befunde des scharf umgrenzten Druck¬ 
schmerzes am Epicondylus dadurch in Einklang zu bringen, daß sie 
eine falsche Lokalisation des Schmerzes, eine sogenannte Schmerz¬ 
verschiebung, als Hilfsthese annehmen. 

Dubs schreibt, diese Verschiebung müsse wohl mit der entsprechenden 
anatomischen Verlaufsrichtung von Nerven zu tun haben. Kaufmann 
stellt den Druckschmerz am Malleolus bei Fußgelenksverstauchung zum 
Vergleich. Am Malleolus handelt es sich aber um Zerrung der dort 
ansetzenden Kapsel, im übrigen wollen wir aber nicht vergessen, daß 
die Schmerzverschiebung eine reine Theorie ist, offenbar haben die 
Autoren an die bekannten Headschen hyperästhetischen Zonen bei 
abdominalen Erkrankungen gedacht. 

Weiter wissen wir, daß ein Schmerz im Ausbreitungsgebiet eines 
Nerven empfunden wird, trotzdem die Krankheit gar nicht peripher, 
sondern irgendwo auf dem Wege zum Zentrum sitzt. Auch für eine solche 
Annahme haben wir in unserem Falle nicht die geringste Berechtigung. 

Positive Beweise dafür, daß das Radiohumeralgelenk verstaucht 
sein soll, haben nun aber Dubs und Kaufmann uns nicht gebracht, ich 
habe selber auch nie einen Erguß in diesem Gelenk, wie man bei der 
Richtigkeit dieser Theorie erwarten müßte, gesehen, auch fand ich nie 
den doch so deutlich durchzufühlenden Gelenkspalt druckschmerzhaft. 
Bei arthritischen Prozessen in diesem Gelenk ist stets der Schmerz 
scharf auf den Gelenkspalt und nicht auf den Epicondylus lokalisiert. 

Der klinische Befund ist, wie übereinstimmend hervorgehoben wird, 
im übrigen meist sehr negativ, deshalb verdient es Beachtung, daß 
Franke Parästhesien am Vorderarm beobachtete, SeeligmüUer sogar eine 
umschriebene Hauthyperästhesie im Gebiet eines Hautnerven. Diese 
Befunde lassen doch sehr an das Bestehen neuritischer Zustände denken. 
Vielfache auf meine Veranlassung von neurologischer Seite vorgenom¬ 
mene Untersuchungen haben allerdings nie einen SensibiUtätsausfall am 
Epicondylus oder am Vorderarm ergeben, womit ja auch die überaus 
große Hartnäckigkeit der Schmerzen in Einklang steht; kennen wir 
doch die schwere Beeinflußbarkeit der neuritischen Neuralgien. 

Das Fehlen jeder entzündlichen Rötung oder Schwellung beweist, 
daß, wenn hier eine Entzündung vorliegen sollte, sie sicher ganz außer¬ 
ordentlich milder, wahrscheinlich aseptischer oder toxischer Natur 
sein müßte. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 12&. 


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A. W. Fischer: 


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Von sehr großer Wichtigkeit erscheint mir ferner der Befund Blechers, 
der einen dem Knochen angelagerten feinen Schatten auf dem Röntgen¬ 
bilde sah. Ich habe von den Ellbogen bei meinen Fällen auch stets 
Röntgenaufnahmen machen lassen, aber nur in 2 Fällen einen ähnlichen 
Befund erheben können. Die Doppelkonturierung in dem einen und die 
Wolkenbildung im anderen Falle sind derart zart, daß sie sich leider 
als Textbild nicht wiedergeben lassen. 

Blecher ist nun der Meinung, man würde öfter solche Schatten finden, 
wenn man nur der Ossification Zeit ließe, aber gerade der eine meiner 
Fälle war ganz frisch, erst 8 Wochen alt, bei vielen anderen jahrealten 
Fällen konnte ich keinen positiven Befund erheben. 

Ich habe stets auch bei Nachuntersuchung der operativ oder kon¬ 
servativ geheilten Fälle Röntgenaufnahmen machen lassen, um der 
Forderung Blechers gerecht zu werden. Vielfach habe ich auch Auf¬ 
nahmen in gering geänderter Rotationsstellung gemacht, denn wenn 
solch feiner Schatten, wie ich ihn sah, nicht aus dem Humerusschatten 
herausprojiziert wird, sondern in ihn fällt, wird man ihn kaum sehen. 

Was kann nun solch Schatten nahe dem Knochen bedeuten? Erst 
einmal sicherlich kann er das Resultat einer periostalen durch einen 
auf das Periost wirkenden Reiz bedingten Verknöcherung sein, zweitens 
auf eine Kalkablagerung ins Gewebe oder in eine chronisch ent¬ 
zündete Bursa hinweisen, drittens aber kann auch, wie wir das von 
jenen Verknöcherungen im M. brachialis internus bei der Ellbogen¬ 
gelenkluxation wissen, ein losgerissenes Perioststückchen Knochen 
bilden und dann einen Schatten geben. 

Knochenneubildung als Folge einer ossifizierenden Periostitis äußert 
sich als eine Art Doppelkonturierung des Knochens: dicht neben und 
parallel zur Corticalis läuft ein feiner regelmäßiger Schatten, der all¬ 
mählich in die Corticalis übergeht. Solchen Befund haben wir hier aber 
nicht. Da eine chronisch entzündete Bursa, wie ich nachher ausführen 
werde, und wie auch aus dem Operationsbefund hervorgeht, nicht ge¬ 
funden wurde, muß man den Schatten wohl als Ossificationsprodukt 
eines losgerissenen Perioststückchens auffassen. 

Der operative Befund bringt uns an sich allein wenig Aufklärung. 
An den Geweben habe ich persönlich nie etwas Pathologisches ent¬ 
decken können, auch sind die regelmäßigen histologischen Unter¬ 
suchungen der excidierten Teile (selten Knochen, häufig Periost, Fascie 
und subcutanes Fett) negativ gewesen. Ich stehe den von anderer 
Seite erhobenen Befunden chronischer Entzündung in diesen Geweben 
mit der größten Skepsis gegenüber, denn nach meiner Erfahrung ist 
die histologische Beurteilung von chronischen Entzündungsvorgängen 
gerade in diesen Geweben ganz außerordentlich schwierig. Wir sind 
gewohnt, Verdickungen in diesen Geweben als Effekt chronischer Ent- 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


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Zündungen anzusehen, gerade solche Verdickung läßt sich aber, wenn 
sie aus geordneten Faserzügen besteht, vielleicht noch makroskopisch, 
kaum aber mikroskopisch beurteilen. Entzündliche Rundzelleninfiltrate 
sah ich jedenfalls nie, ebenso keine nur irgendwie auffallende Ver¬ 
änderungen an den Gefäßen. 

Wichtig sind allerdings die Befunde von v. Ooeldel, Hardt. Hier 
wird direkt von periostaler Knochenneubildung gesprochen, und da 
der Name des hier genannten Pathologen für die Richtigkeit des Be¬ 
fundes bürgt, müssen wir diesen Faktor im Verein mit den Röntgen¬ 
befunden Bleche™ und meinen Bildern als einwandfrei anerkennen. 
Mehr können wir aber auch nicht sagen, als daß es eben zuweilen zu 
einer derartigen Knochenneubildung kommt, denn den wenigen posi¬ 
tiven Befunden stehen weit mehr, ebenso sicher negative gegenüber. 

Schmitt sah eine verkalkte Bursitis; daß eine solche Entzündung 
der ja sicher, wenn auch selten vorkommenden Bursa epicondyli sich 
entwickeln kann, ist ja durchaus möglich. Das Krankheitsbild ist an 
sich einwandfrei, nur hat es nichts mit der „Epicondylitis“ zu tun, 
dagegen sprechen alle anderen Befunde. 

Nur Osgood hat noch eine Bursa beschrieben (siehe S. 764), die ich 
bei sehr zahlreichen anatomischen Untersuchungen an der Leiche nie 
fand, ich habe auch an der von ihm angegebenen Stelle, Vorderfläche 
des Gelenks, zweimal bei der Operation der „Epicondylitis“ sorgfältigst 
danach gefahndet, aber ohne Erfolg. Auch die von Osgood gebrachten 
Bilder seiner „chronischen Bursitis“ haben mich keineswegs überzeugen 
können. Er zitiert mm den Toldtschen Atlas, in dem sich die Bursa 
abgebildet finden soll, ist dabei aber einem zweifellosen Irrtum anheim¬ 
gefallen. Die Bursae, die bei Tolctt skizziert werden, sind die bekannten 
Schleimbeutel im Winkel des Bicepssehnenansatzes an der Tuberositas 
radii und auf der Membrana interossea. Vergleicht man das Osgoodsche 
und das Toldta che Bild, so wird man erkennen, daß diese Bursa bei 
Osgood vor dem Radiohumeralgjlenk, bei Toldt gut 3—5 cm unterhalb 
desselben liegt. 

Nach den Angaben von Braus ist nun allerdings eine kleine Bursa 
auf dem Supinator vor dem Gelenk und unter der Strecksehnenplatte 
des M. ext. carpi ulnaris in 20% zu finden; wäre aber eine Bursitis die 
Ursache unseres Symptomenbildes, so hätte ich sie doch in den zwei 
Fällen, bei denen ich sie suchte, finden müssen. 

Die Prewerschen Behauptungen einer Inkongruenz des Ellbogen¬ 
gelenks habe ich nachgeprüft und in der Tat solche Bilder unter meinen 
Fällen gesehen. Zum Vergleich habe ich mir aus der Sammlung zahl¬ 
reiche Bilder gesunder Ellbogen herausgesucht, habe auch gesunde 
Ellbogen aufnehmen lassen, und da stellte sich ganz zweifellos heraus, 
daß diese „Inkongruenz“ nicht als pathologischer Befund angesprochen 

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A. W. Fischer: 


werden darf. Ich habe auf zwei Abbildungen (Abb. 1 und 2) zum Ter- 
gleich die Seitenlinien von Radius und Epicondylus lateralis dargestellt, 
das eine Mal bei 10 Fällen von „Epicondylitis“, das andere Mal bei 
10 willkürlich aus der Sammlung entnommenen Bildern gesunder Ell¬ 
bogengelenke; man wird bei beiden Gruppen keinen Unterschied er¬ 
kennen können, auch habe ich bei den zahlreichen Ellbogengelenk¬ 
resektionen im Operationskurs auf diese Verhältnisse geachtet und ein¬ 
seitliches Hervorspringen des überknorpeUen Radiusköpfchens nie ge¬ 
sehen. Die beiden gegenüberliegenden Knorpel waren immer sym¬ 
metrisch. 

Was nun aber die Prewerschen Ausführungen über die hypothetische 
Kapselzerrung des Radiohumeralgelenks infolge entgegengesetzter Zug¬ 
wirkung des proximal ziehenden Brachialis und distal ziehenden Supi- 



Abb. 1. Konturen des Humerus und Radius Abb. 2. Konturen des Epicondylus lateralis 

bei 10 Fällen von „Epicondylitis“. und des Capitulum radii bei Gesunden ver- 

schiedenen Alters. 


nators anbelangt, so glaube ich, sind die Grundlagen seiner Theorie 
sehr anfechtbar. Der Supinator steht allerdings in einiger Beziehung 
zur Gelenkkapsel, um so geringfügiger ist aber die Beziehung der Fasern 
des Brachialis zum Gelenk. Er läuft daran im wesentlichen vorbei, und 
wie ich mich bei vielfachen Präparationen überzeugen konnte, schickt 
er nur wenige Fasern zur Kapsel, die einen bedeutenderen Zug sicher 
nicht ausüben können. Man kann ihn leicht von der Kapsel trennen, 
so leicht, daß die dann entstehende Lücke für eine Bursa gehalten werden 
könnte. Vielleicht erklärt sich so die Osgoodsche Bursa. 

III. Therapie. Aus den meisten Mitteilungen geht hervor, daß es 
ein sicher und rasch wirkendes konservatives Heilmittel nicht gibt. 

Dubs, der angibt, auf konservative Therapie heilten die Fälle fast 
ausnahmslos in 4—5 Wochen, hat da offenbar bessere Resultate. Ich 
kann wenigstens an meinen Fällen seine Erfahrungen nicht bestätigen, 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


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meine nach den gleichen Prinzipien konservativ geheilten Fälle hatten 
einen längeren Heilverlauf. 

Franke ist in der Beziehung offenbar ebenso daran wie ich, er sah 
zuweilen schon nach 4 Wochen Heilung. 

Suchen wir sonstige Erkrankungen, die ebenso hartnäckig der 
Therapie trotzen, zum Vergleich, so erinnern wir uns wohl zweckmäßig 
an die Ischias, Trigeminusneuralgie und sonstige neuralgische Schmerzen, 
ebenso an rheumatisch gichtische Schmerzen — Lumbago usw. —, die 
wohl auf verwandter Grundlage entstehen. 

Ich könnte nicht sagen, daß nach meiner Erfahrung einfache Gelenk- 
distorsionen ohne Erguß und ohne Schwellung, wie sie Dubs und Kauf¬ 
mann für das Radiohumeralgelenk annehmen, derartig jedweder Be¬ 
handlung trotzen. Diese Verstauchungen machen gewiß oft lange Zeit 
Beschwerden, derartig refraktär sind sie aber gegen jede Therapie nun 
doch nicht. Am meisten soll noch die Ruhigstellung wirksam sein; 
bei einem Teil meiner Fälle hatte man sogar den Arm eingegipst ohne 
nachhaltigen Erfolg. Auch schon der meines Wissens erste Beschreiber 
des Krankheitsbildes Runge machte die gleichen Erfahrungen. 

Ich habe nun, wie aus meinen Krankengeschichten hervorgeht, in 
solchen verzweifelten Fällen, bei denen percutane Vereisung, Novocain 
und Alkoholinjektion vergeblich war, den Epicondylus abgemeißelt, 
später mich mit einer Excision des Periostes an dieser Stelle begnügt. 
Ich hatte mit der Excision des Periostes vollen Erfolg und nicht nur ver¬ 
einzelt, sondern regelmäßig. Runge kauterisierte die Haut tief bis auf 
den Knochenvorsprung, und sein Patient war von der Zeit an nach 
jahrelangem Leiden geheilt. Auch nach Excision des Fettes der Fascie 
.schwanden die Schmerzen, so daß ich schon glaubte, diese Art des 
Eingriffes genügte, und man brauche das Periost nicht anzutasten. 
Aber bei Fall 7 hatte ich einen Mißerfolg, und ich mußte in einer zweiten 
Sitzung die Knochenhaut entfernen. 

Dieser Erfolg läßt weitgehende Schlüsse zu. 

Da es sich herausgestellt hat, daß es nicht nötig ist, den Knochen zu 
entfernen, sondern nur das nervenhaltige subcutane Gewebe und Periost, 
so ist der Knochen kaum als Krankheitssitz anzusprechen. Es handelt 
sich nach allem um Neuritis der feinen auf dem Epicondylus im Periost 
und im subcutanen Gewebe gelegenen Nervenfasern. Man kann zur 
Erklärung des meist negativen Befundes bezüglich der Hauthyp- oder 
Hyperästhesie hinzufügen, daß es sich hier eben um tiefe Fasern handelt, 
die mit der sensiblen Hautversorgung gar nichts zu tun haben, somit 
bei Ausschaltung auch auf der Haut keinen Sensibilitätsausfall bewirken 
können. Dieser Schluß ist jedoch nicht einwandfrei, denn erstens kann 
der Eingriff an sich das Wirksame sein, er kann gleich der Kauterisation 
oder der Laparotomie bei Peritonealtuberkulose oder auch der in 


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A. W. Fischer: 


Frankreich viel geübten und auch von Quinke erst kürzlich warm 
empfohlenen Thermokauterstichelung bei rheumatisch-entzündlichen 
Zuständen wirken. Auf die vermutliche Art der Wirkungsweise solcher 
Prozesse kann ich hier nicht eingehen. 

Zweitens aber kann durch den Eingriff und die damit verbundene 
Zerstörung zahlreicher Nervenfasern die sensible Leitung vom Knochen- 
periost zum Zentrum unterbrochen werden, so daß eben der Reiz nicht 
mehr zum Gehirn gelangt und nun das Betasten des jetzt von nerven- 
losem Narbengewebe bedeckten Epicondylus schmerzlos wird. Die 
operativen Erfolge Osgoods und Codmanns wären wohl in dieser Richtung 
zu deuten. 

Drittens könnte der Eingriff rein psychisch wirken, dann wäre es 
natürlich ganz gleichgültig, wie man ihn gestaltete, und der Rückschluß 
wäre die Auffassung des Leidens als einer sogenannten funktionellen 
(hysterischen) Erkrankung. Das kann man wohl aber ausschließen, 
dazu sind die Fälle einander zu ähnlich und zu selten. 

Schließlich könnte man sagen, durch den Eingriff wird die Gewebs¬ 
spannung verändert, und gewisse toxische, hypothetische Flüssigkeiten 
konnten nun nach außen abfließen. 

Aus dem gesamten Befund und Verlauf der Erkrankung ergeben 
sich nun aber noch weitere Fragestellungen, für die wir leider nur zum 
Teil eine Antwort haben: 

1. Woher kommt es, daß gerade der Epicondylus externus so häufig 
und so sehr selten der Epicondylus internus mit seinen viel mächtigeren 
Muskelansätzen Schmerzort ist, wenn Muskeltätigkeit an der Ent¬ 
wicklung der Schmerzen schuld sein soll ? 

2. Ein spitzer Knochenvorsprung ist hier Krankheitsort, und sicher 
steht gerade die Eigenschaft des Prominierens in bestimmter Relation 
zur Erkrankung, warum aber sehen wir dann nicht das gleiche Krank¬ 
heitsbild auch an anderen Knochenvorsprüngen, so etwa am Ole- 
cranon ? 

Momburg begründet das nur sehr seltene Vorkommen der „Epi¬ 
condylitis“ am medialen im Vergleich zum lateralen Epicondylus damit, 
daß die am Epic. med. ansetzenden Muskeln beim Gebrauch des Armes 
weniger in Aktion treten, mehr an der Vorderseite des Knochenvor¬ 
sprunges ansetzen und die Spitze im Gegensatz zur anderen Seite frei- 
lassen. Die letztgenannte Tatsache stimmt, aber daß die wesentlich 
stärkere Muskelgruppe der Beuger weniger arbeiten soll als die schwächere 
Streckergruppe, möchte ich bezweifeln, trotzdem ja bekanntlich bei 
extremer Beugung die Streckmuskeln gedehnt werden und so natürlich 
an ihrem Ansatz zerren. 

3. Wenn ein Trauma anzuschuldigen ist, warum kommen dann 
häufig nicht an Knochenvorsprüngen, die viel öfter Traumen ausgesetzt 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


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sind, wie etwa das Olecranon oder die Tuberositas tibiae derartige 
eminent chronische Zustände vor? Bekanntlich sind ja Traumen an 
Knochenvorsprüngen sehr schmerzhaft, ein subperiostales Hämatom 
macht wochenlang Beschwerden, aber so wie bei der sogenannten 
Epicondylitis verewigt sich der Zustand doch nicht. Wenn also ein 
Trauma ätiologisch anzuschuldigen ist, welche Faktoren bewirken dann 
die Chronicität des Zustandes, das wäre eine weitere Frage. 

4. Muskelzerrungen, -wie sie angegeben sind, konträre Zugwirkungen, 
Muskelrisse u. dgl. kennen wir auch an anderen Gliedern und Knochen¬ 
punkten, nie dauert das Leiden aber so lange. Daß solche Zerrungen 
in einem Teil unserer Fälle Vorkommen, halte ich nach den Anamnesen 
durchaus für erwiesen, aber wieder muß ich die Frage stellen, warum 
machen sie gerade hier so lange Beschwerden? 

5. Warum betrifft das Leiden vorwiegend Leute zwischen 40 und 
50 Jahren (siehe S. 752)? Hängt das irgendwie mit der Abnahme der 
Gewebselastizität, wie wir sie von dem Entstehen der Altersrunzeln 
im Gesicht her kennen, zusammen ? 

Die Ausführungen von Dubs, der für diese Fälle eine persönliche 
Disposition, verschiedenen Körperbau und Ernährungszustand, ver¬ 
schiedene Entwicklung der Muskulatur („vielleicht auch verschiedene 
Arbeitsintensität“) annimmt und so zu erklären sucht, daß bei der¬ 
selben Arbeit der eine erkrankt, der andere nicht, können auch nicht 
befriedigen. Immerhin bin ich nicht in der Lage eine bessere Erklärung 
zu geben. Im Kindes- und Reifealter ist übrigens der Epicondylus nie 
so spitz wie später, sehr wohl möglich, daß hierin eine Beantwortung der 
Frage liegt. 

C. Eigene Klassifizierung der Epicondylnsnenralgie. 

Nach dieser eingehenden kritischen Würdigung meiner eigenen und 
der Literaturfälle komme ich zu dem Schlüsse, daß man mehrere Formen 
dieser Epicondylusneuralgie trennen muß. Ich habe diesen Namen ge¬ 
prägt, da er mir am treffendsten das Krankheitsbild zu charakterisieren 
scheint. 

Die Gründe sind im einzelnen in der vorangegangenen Be¬ 
sprechung der Befunde usw. niedergelegt. Gewisse Parallelen möchte 
ich ziehen zur Achillodynie, Coccygodynie, zur Neuralgie des N. cut. 
fern, lateralis {Bernhardts che Neuralgie); schließlich zur Mortonschen 
Metatarsalgie. 

Nach John und Tubs (zitiert nach Oppenheimer) liegt das Caput 
metatarei IV auf dem Querschnitt am tiefsten, auch verläuft nach 
ihnen darüber ein Nervenzweig. Wir haben also sehr wohl vergleichbare 
Verhältnisse, besonders mit der nachher zu erörternden Styloides¬ 
neuralgie. 


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A. W. Fischer: 


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I. Rheumatoide Form ohne traumatische Anamnese. 

Oft nachweislich im Gefolge von Infektions- oder toxischen Krank¬ 
heiten, oft ohne solche Anamnese. Vielleicht mag aber hier auch eine 
infektiöse oder toxische Noxe sich an einem durch ein vergessenes 
geringfügiges Trauma geschädigten, besonders exponierten Orte eta¬ 
blieren (Locus minoris resistentiae). Wir wissen ja aus vielfältiger Er¬ 
fahrung, wie gerne sich in traumatisch geschädigten Geweben „rheu¬ 
matische Spätschmerzen“ einstellen, auch ohne daß irgendeine Infektion 
vorausgegangen wäre! 

Offen bleibt die Frage, warum diese Noxen besondere Vorliebe für 
den Epic. ext. humeri haben. Einen Anhalt aus der Gefäßversorgung, 
woran man denken könnte, habe ich nicht eruieren können. Immerhin 
sind derartige Schmerzpunkte bei solchen Leuten auch an anderen 
vorspringenden Knochenpunkten bekannt und auch von mir beobachtet, 
wie am Proc. styl, radii oder am Condylus med. fern., aber auch am 
Epic. int. humeri, am Proc. styl, uinae und an der Tuberositas ossis 
me tat. V. (hier vermutete ich in einem Falle zuerst eine Knochen¬ 
tuberkulose) sah ich solche Druckpunkte, bei denen ein Zusammenhang 
mit einer Distorsion sicher abzulehnen war. 

Während nun bei dieser Form ein Trauma mit Sicherheit nicht 
nachzuweisen, wohl aber ein solches mit Wahrscheinlichkeit als einen 
Locus minoris resistentiae schaffend anzunehmen ist, finden wir ein 
Trauma bei der Form II stets in der Anamnese, im übrigen gilt für sie 
dann das gleiche, was ich soeben ausgeführt habe. Die Form II kann 
also als rheumatische Form mit traumatischer Vorgeschichte bezeichnet 
werden. 

II. Direkt traumatische Form. 

Typisch ist der Beginn der Beschwerden erst einige Tage nach dem 
Trauma. Ausscheiden möchte ich da die Fälle, die sich in nichts von 
den auch sonst bekannten und rasch heilenden Traumen an vorspringen¬ 
den Knochenpunkten unterscheiden (Hautabschürfungen, subperiostaler 
Bluterguß, ödem, Schwellung). So stark ist das Trauma in unseren 
Fällen nach Aussagen der Leute, die ich untersuchte, nie gewesen, daß 
es zu solchen Bildern kam. 

Daß ein Stoß zu einer Reizung der in ihrer peripheren Schicht so 
nervenreichen und deshalb so schmerzempfindlichen Knochenhaut 
nicht nur führen kann, sondern führen muß, ist wohl klar, eine primäre 
periostale Reizung oder, wenn man will, traumatische Entzündung ist 
die unmittelbare Folge. Die aber würde bald ausheilen, sehen wir doch 
Periostitiden mannigfacher Ätiologie an anderen Knochen stets in 
einigen Wochen ausheilen. Durch Zerrung am Periost seitens der Muskel¬ 
ansätze mag diese traumatische Reizung sich vielleicht verschlimmern, 
stellt man aber den Arm ruhig, wie das so vielfach erfolglos getan ist, 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


769 


so müßte das Leiden heilen; das tut es aber meistens nicht, also kann 
der Muskelzug sicher nicht wesentlich zum Chronischwerden des Pro¬ 
zesses beitragen. 

Für den Hauptfaktor, der die Chronizität bedingt, halte ich das Über- 
greifen des periostalen Reizzustandes auf die feinen Nervenverzweigungen, 
die vom Periost kommend sich auf der Fascie bziv. dem Periost ausbreiten. 
Eine wesentliche Stütze dieser Anschauung sehe ich in den Operations¬ 
erfolgen und in den Befunden von Parästheeien und Sensibilitäts¬ 
störungen ( Franke, v. Ooeldel, SedigmüUer). 

UI. Indirekt traumatische Form, Überanstrengungsform, Beschäl tigungs- 

neuralgie. 

Auch hier ist wohl das Primäre die Reizwirkung auf das Periost 
durch den übermäßigen Zug der Muskelansätze. Die Röntgenbilder, 
die einen feinen Schatten zeigen, stammen von solchen Leuten, und ich 
möchte hier von feinen Abrissen des Periostes sprechen. Im übrigen steht 
aber beim weiteren Verlauf auch hier die neuralgische Komponente im 
Vordergrund. Die Hartnäckigkeit der Neuralgien ist allgemein bekannt, 
die tiefere Ursache dieser Hartnäckigkeit all solcher Neuralgien bislang 
nicht auf gedeckt. 

Eine idiopathische Form noch zu registrieren, habe ich bei meinen 
Fällen keine Veranlassung, man kann wohl meist diese Formen unter I 
eingliedern. 

Differentialdiagnose. Abzugrenzen gegen die Epicondylusneuralgie ist 

1. die gewöhnliche unkomplizierte Kontusion auf Grund ihrer 
raschen Heilung, 

2. die echte Entzündung der Bursa epicondyli durch den positiven 
Schwellungs- und Fluktuationsbefund, 

3. ossäre Erkrankungen durch das Röntgenbild; Arthritis defor- 
mans des Ellbogengelenks macht keinen Druckschmerz am Epicondylus. 

' Zur Frage der „Styloiditis“. 

Die sogenannte „Styloiditis“ hat mancherlei Parallelen zur Epi¬ 
condylusneuralgie, so daß ich nicht anstehe, sie als ein wesensähnliches 
Leiden zu bezeichnen. Zuerst möchte ich in aller Kürze wieder einige 
Krankengeschichten geben: 

Krankengeschichten. 

Styloidesneuralgie. 

1. Frau L., 41 Jahre. Keine gichtisch-rheumatische Anamnese. Seit 5 Mo¬ 
naten allmählich zunehmende Schmerzen, die auf den linken Proc. styl, radii 
lokalisiert werden. Kraft der Armbewegungen unverändert, dagegen Kraft des 
Faustschlusses sehr erheblich herabgesetzt. Die Frau bemerkt, daß sich, wenn 
die Schmerzen besonders stark sind, die Haut des Daumens und des Zeigefingers 
pelzig und taub anfühlt. Bisher vergeblich mit Ruhigstellung, Jodtinktur und 


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A. W. Fischer: 


Jodvaöogen behandelt. Da die Beschwerden so erheblich sind, daß die linke Hand 
praktisch unbrauchbar ist, und da jegliche Behandlung bisher vergeblich war, 
drängt die Frau auf eine Operation . Da ich mir eine Periostitis trotz des negativen 
Röntgenbefundes vorstellte, machte ich am 25. IV. 1921 eine Ineision und fand 
nun einen dicken, makroskopisch unveränderten Hautnerven über den Knochen¬ 
vorsprung hinwegziehen, ich isolierte ihn vorsichtig und sohob ihn von dem 
Knochenvorsprung hinunter, fixierte ihn durch eine ganz lockere Catgutnaht im 
subcutanen Fett. Dann excidierte ich ein Stückchen Periost, ohne das Sehnenfach 
des Ext. poll. zu eröffnen; der histologische Befund war negativ. Heilung p. p. 
Prompt Beschwerden beseitigt. Nachuntersuchungen 12. IV. und 11. VII. 1922 
ergaben normale Verhältnisse, subjektiv wurde noch über leichtes Taubheits¬ 
gefühl im Daumen und Zeigefinger geklagt. Röntgenbild o. B. 

2. Frau B., 38 Jahre. Seit 4 Monaten Beschwerden typischer Art, Ursache 
unbekannt; auch Taubheitsgefühl im linken radialen Griffelfortsatz. Jod, Wickeln. 
Fixation, warme Bäder vergeblich. Schmerzen zuletzt besonders nachts. Röntgen¬ 
bild o. B. Operation 15. VI. 1921. Abschieben des Nerven, keine Periostexcision. 
Glatte Heilung. Nachuntersuchung 12. VII. 1922 ergibt völlig normale Verhältnisse. 

3. Frau N., 40 Jahre. Ursache unbekannt. Seit 7 Wochen Schmerzen im 
linken radialen Griffelfortsatz. Jod, graue Salbe, längerer Gipsverband vergeblich 
Operation 18. VI. 1921. Abschieben des Nerven, Periostexcision ohne Eröffnung 
des Sehnenfaches. Schmerzen nach Heilung per secundam (Aufplatzen der Wunde 
infolge zu früher Entfernung der Nähte) völlig verschwunden, aber in den ersten 
Wochen völlige Anästhesie im Gebiet des abgeschobenen Hautnerven. 24. X. 
gleicher Befund. 9. XII. 1921 Faden abgestoßen. Jetzt mäßige Schmerzen, 
Parästhesien im Ausbreitungsgebiet des Hautnerven. 12. VII. 1922 bestehen 
immer noch Beschwerden durch Parästhesien, die wohl mit Sicherheit darauf 
zurückzuführen sind, daß eine Einbackung des Nerven in Narbengewebe infolge 
der Wundstörung erfolgt ist. Eine Neurolyse wird abgelehnt. 

4. Frau K. M., 56 Jahre. Seit 4 Monaten ohne bekannte Ursache anfallsweise 
Schmerzen im linken radialen Griffelfortsatz, bei den Schmerzattacken Taubheit 
im Daumen und Zeigefinger, es bestehen aber auch leichte Schmerzen dauernd. 
Verbände mit grauer Salbe bewirken nach 4—5 Wochen langsame Besserung. 
Nachuntersuchung Juli 1922 ergibt noch leichte Schmerzhaftigkeit des Knochens, 
keine wesentliche Berufsstörung. Angeblich beginnen auch auf der anderen Seite 
ähnliche Schmerzen. Operation abgelehnt. 

5. H. S., 20 Jahre, Dreher. Seit 14 Tagen Schmerzen am linken und rechten 
Proc. styl, radii, die er mit Wahrscheinlichkeit auf dauernde Supinationsbewegungen 
beim Schleifen zurückführt. Angabe allerdings mit Vorsicht zu verwerten, da S. 
seinen Beruf wechseln will und vielleicht das Schleifen nur als Grund für die offen¬ 
bar tatsächlich vorhandenen Schmerzen vorgeschoben wird. Klagen über Taubheit 
des linken Daumens. Röntgenbild o. B. Über dem Processus fühlen sich die 
Weichteile elastisch an. Besserung unter Verbänden mit grauer Salbe, Berufs¬ 
wechsel. Nach schriftlicher Mitteilung vom 11. IV. 1922, also 5 Monate nach 
Entlassung aus der Behandlung, bestehen immer noch mäßige Schmerzen. 

6. Frau K. S., 40 Jahre. Vor 9 Wochen Angina mit rheumatischen Beschwer¬ 
den, seit 5 Wochen Schmerzen im linken Handgelenk, scharf auf den Griffelfortsatz 
des Radius lokalisiert, dabei Taubheit im Daumen und Zeigefinger; Schmerzen 
strahlen bis zur Schulter aus und machen jegliche Tätigkeit unmöglich. Auf 
Verbände mit grauer Salbe wesentliche Besserung. Heilung erst nach 5 Monaten. 
Operation war abgelehnt worden. Die Pat. führt die Heilung auf Anwendung 
starker Hitze zurück. Ein Versuch, die Krankheit durch percutane Vereisung des 


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Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 


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Hautnerven zu coupieren, war ergebnislos. — Angeblich bestehen jetzt (Juli 1922) 
auch zuweilen ähnliche Schmerzen auf der rechten Seite. 

7. Fall von Tendovaginitis stenosans (Quervain). Frau Gr., 37 Jahre. Seit 
6 Monaten Schmerzen bei Daumen- und Handgelenksbewegungen in der Gegend 
des Proc. styl radii sin. Nie Taubheitsgefühl. Deutliche Verdickung am Proc. 
fühlbar, die auch schmerzhaft ist. Operation zeigt Verdickung der Decke des 
Sehnenfaches, Excision der Decke; Nerv bleibt unberührt. Glatte Heilung und 
Verschwinden aller Beschwerden. 

Auch hier wie bei der anderen Erkrankung lange Dauer der Klagen, 
auch hier bleiben die Schmerzen gegen die konservative Therapie fast 
immer absolut refraktär. Ein direktes Trauma in der Vorgeschichte 
ist unter meinen Fällen nicht erwiesen, Überanstrengungen werden des 
öfteren angegeben. In einigen Fällen scheinen mir aber ebenfalls ein¬ 
wandfreie Beziehungen zu vorhergegangenen Infektionen zu bestehen. 
Fast nie fehlte in der Anamnese die Angabe, es bestände am Daumen¬ 
rücken ein Taubheitsgefühl. 

Befund. Ganz genau umschrieben druckschmerzhaft ist der Griffel¬ 
fortsatz des Radius, nicht das isoliert durch seine Elastizität erkennbare 
1. Sehnenfach an seiner ulnaren Kante, durch das die Sehnen der Mm. 
extensor poll. lg. und abductor pollicis brevis ziehen; von einer Schwel¬ 
lung oder Rötung war ebensowenig wie bei der Epicondylalgie etwas zu 
bemerken, dagegen konnte ich hier ganz regelmäßig eine zweifelsfreie 
Hypästhesie im Ausbreitungsgebiet des RadiaMshautastes feststellen, der 
gerade über den Knochenvorsprung hinwegzieht. Auf dem Dorsum von 
Daumen und Zeigefinger war deutlich eine Herabsetzung der Empfindung 
für feine Berührung auch für leichte Schmerzreize zu erweisen. Dieser 
Befund erscheint mir der Schlüssel für das Verständnis sowohl der 
„Epicondylitis“ als auch der „Styloiditis“ zu sein; ich habe ihn bisher 
nirgends erwähnt gefunden. 

Das Röntgenbild war hier stets negativ. 

Schmerzhaft war fast jede kräftige aktive Bewegung des Daumens. 
Jedes energische Zufassen war hochgradig erschwert, während passive 
und kraftlos aktive Bewegungen nicht gestört waren. — Die Schmerzen 
strahlten den Arm entlang bis zur Schulter aus. 

Therapie. Der Befund — Hyperästhesie — einer sicheren Schädigung 
des über den spitzen Knochenvorsprung verlaufenden Hautnerven war 
mir für die operative- Therapie Richtlinie. Ich legte von einem kleinen 
Schnitt aus den Nerven 1 ) auf dem Knochen frei, und da ich mir vor¬ 
stellte, daß der entzündete oder irgendwie gereizte (neuralgische) Nerv 
bei seinem Verlauf über den Knochenvorsprung leicht kleinen Traumen 
ausgesetzt sei, und daß durch die Art des Verlaufs das Nichtausheilen 
des Reizzustandes bedingt sei, so schob ich ihn vorsichtig von der Kuppe 

*) Der Verlauf dieses Nerven ist in jedem anatomischen Atlas dargeetellt, 
deshalb gebe ich keine Abbildung. 


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A. W. Fischer: 


hinunter und befestigte ihn mit ganz lockerer und absolut nicht 
schnürender Catgutnaht seitlich vom Knochenvorsprung im lockeren 
subcutanen Fettgewebe. Die überaus hartnäckigen Schmerzen waren 
wie weggeblasen. Die Patienten waren glücklich, so prompt von ihren 
Beschwerden befreit zu sein. 

Nachuntersuchungen ergaben, daß die Leute auch rezidivfrei ge¬ 
blieben waren, aber höchst interessanterweise bestand auch weiterhin 
deutliche, wenn auch schwächere Hypästhesie im Ausbreitungsgebiet 
des abgeschobenen Nerven, ein Zeichen dafür, daß eine Nerven- 
schädigung weiter bestand. Es war also wohl der Rückschluß erlaubt, 
daß der Verlauf über dem leicht Traumen ausgesetzten Knochen¬ 
vorsprung ein Manifest werden der Schmerzen verursacht hatte. 

Ich habe nun nicht gleich jeden Fall operiert, sondern habe genau 
wie bei der Epicondylusneuralgie erst einmal versucht, 2—3 Wochen 
konservativ zu behandeln, und sah auch zuweilen eine wesentliche 
Besserung bei einer postangiösen rheumatoiden Form, sogar einmal 
völliges Verschwinden der Schmerzen und Gebrauchsbehinderung, 
auch der Hypästhesien bei längerer Wärmeanwendung, so daß die Leute 
einen Eingriff ablehnten. Oft aber auch hatten sie die schon lange 
geübte konservative Behandlung ihres Hausarztes satt und wünschten 
dringend einen Eingriff. So geschah auch der erste Eingriff bei einer 
solchen Patientin auf ihren ausdrücklichen Wunsch, weil sie von ihren 
Beschwerden derart geplagt wurde, daß es ihr unmöglich war, irgend¬ 
welche Arbeit mit der Hand im Haushalt zu leisten. 

Rückschlüsse bezüglich der Pathogenese. Eine Nervenbeteiligung, 
sagen wir eine Neuritis mit Funktionsschädigung des Radialishautastes, 
ist hier durch die Hypästhesie erwiesen. 

Wie kommt sie zustande? 

Ein Zusammenhang mit der Lage dieses Nervenastes auf dem 
prominierenden Knochenpunkt ist sicher ohne Schwierigkeit anzuneh¬ 
men. Allein Traumen, die den so exponiert liegenden Nerven getroffen 
haben, lassen sich aber nicht verantwortlich machen; man muß auch hier 
ätiologisch an Zerrungen der Sehnen am Periost denken und vermuten, daß 
dieser Reizzustand auf den Nerven übergegriffen hat. Eine völlige Klärung 
liegt nicht vor, die geschilderte Annahme ist nur nach Anamnese und Be¬ 
fund als die wahrscheinlichste anzusehen: Im übrigen haben wir auch hier 
ebenso wie bei der Epicondylusneuralgie infektiöse Formen beobachtet. 
Als Krarkheitsbezeichnung würde ich etwa in gleichem Sinne wie bei dem 
zuvor geschilderten Krankheitsbilde „Styloidesneuralgie“ Vorschlägen. 

Bezüglich der Styloidesneuralgie komme ich also analog der Epi¬ 
condylusneuralgie zu folgender ätiologischer Rubrizierung: 

1. Rheumatisch-postinfektiöse Form, mit und ohne Überanstrengung 
in der Anamnese. 


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Über die Epicondylus- and Styloidesneuralgie. 


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2. Indirekt-traumatische Form — Überanstrengung bei bestimmten 
Verrichtungen ohne rheumatische Anamnese (Wäschewringen). Daß 
hier bei der Styloidesneuralgie solche Beschäftigungsüberanstrengungen 
eine Rolle spielen, scheint mir auch daraus hervorzugehen, daß fast 
stets der linke Proc. styl, radii betroffen war, es muß offenbar eine 
Funktion der linken Hand das Krankheitsbild auslösen. Über die Art 
der anzuschuldigenden Beschäftigung kann ich bei der geringen Anzahl 
von Fällen bislang nichts sagen. 

Auseinanderzusetzen habe ich mich aber noch mit einer von de Quer¬ 
vain 1895 erstmalig beschriebenen Erkrankung, die er als „Tendovagi- 
nitis stenosans“ (siehe Fall 7) bezeichnet. Die Klagen dieser Leute sind 
im wesentlichen die gleichen wie die meiner Patienten, nie aber habe 
ich bei ihnen eine Hypästhesie des Daumenrückens festgesteUt, auch nichts 
davon in den Beschreibungen der das gleiche Kapitel, behandelnden 
Autoren gelesen. Da nun de Quervain und auch die anderen nam¬ 
haften Autoren sicher nicht eines solchen wichtigen Befund, auf den 
übrigens die Patienten selbst durch ihre Klagen über ein Taubheits¬ 
gefühl in den besagten Gebieten (Daumen und Zeigefinger) aufmerksam 
machen, übersehen hätten, glaube ich in der Tat hier zwei voneinander 
zu trennende Krankheiten annehmen zu müssen, zumal ich selbst auch 
vier solcher Fälle (Fall 7), wie sie de Quervain, Flörcken, Nußbaum, 
Keppler u. a. beschreiben, gesehen und operiert habe, bei denen man 
deutlich eine Verdickung des betreffenden Sehnenfaches, einmal auch 
der Sehne feststellen konnte. Der Druckschmerz war hier deutlich 
etwas ulnar von der eigentlichen Kuppe. 

Zusammenfassung. 

Wesentliche Faktoren beider Krankheitsbilder sind mit Sicherheit: 

a) Anamnese in drei Richtungen, rheumatoid-infektiös, traumatisch, 
Überanstrengung. 

b) Der vorspringende Knochenpunkt — Traumen besonders aus¬ 
gesetzt, Locus minoris resistentiae, Ort für Muskel- und Fascien- 
ansätze. 

c) Sensibilitätsstörung (Parästhesien Franke, Sensibilitätsausfall 
v. Ooeldel, SeeligmüUer, meine Befunde). 

d) Die wenn auch seltenen positiven Röntgenbefunde eines Periost¬ 
abt isses [Bischer, meine Befunde), 

Nicht erwiesen sind meines Ermessens: 

a) Kapselzerrung, Verstauchung des Radiohumeralgelenks, Schmerz¬ 
verschiebung auf Epicondylus. 

b) Bursitistheorie Osgoods. 

c) Inkongruenztheorie Preisers. 


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A. W. Fischer: 


Daraus schälen sich die Folgerungen: 

Das wesentliche bei beiden Krankheitsbildem ist die Neuralgie, einmal 
feiner Verzweigungen, das andere Mal eines größeren Hautastes. Die 
Neuralgie kann primär auf toxisch infektiöser Ursache beruhen, sie kann 
Weiter durch Fortleitung einer Entzündung von dem Traumen besonders 
ausgesetzten Periost der Knochenvorsprünge entstanden sein; auch kann 
diese Periostreizung durch Einrisse und Zerrungen infolge Muskelzugs 
bewirkt sein. 

Für die beste Bezeichnung halte ich die Namen Epicondylus- und 
Styloidesneuralgie. 

Die Styloidesneuralgie ist von der Tendovaginitis stenosens 
(de Quervain) zu trennen. Beweis: Verschieden lokalisierter Druck¬ 
schmerz, keine Hypästhesie bei der Tendovaginitis. 

Therapeutisch ist zu empfehlen: 

1. Versuch einer konservativen Behandlung mit Ruhigstellung und 
hyperämisierender Salbe; falls in wenigen Wochen keine Besserung: 

2. bei der Epicondylusneuralgie Excision der Fascie und des dem 
Periost anliegenden subcutanen nervenführenden Gewebes auf dem 
Epicondylus; 

3. bei der Styloidesneuralgie Herabschieben des Radialishautastes 
vom Knochenvorsprung. 

Der Erfolg war in meinen operierten Fällen stets gut. Wie ich oben 
bereits betonte, ist noch manche Frage in der Pathogenese ungeklärt 
geblieben, da ich nicht mit dem stets aus aller Verlegenheit befreienden 
Ausdruck „Disposition“ arbeiten möchte. Der empirisch erzielte thera¬ 
peutische Erfolg war der Ausgangspunkt für die theoretischen Er¬ 
wägungen, dem Praktiker ist er sicher wertvoller als restlose Klärung 
pathogenetischer Fragen. 

Styloideus- und Epicondylusneuralgie vom Standpunkt der Unfall¬ 
gesetzgebung : 

Ein direktes zeitlich feststehendes Trauma ist als Unfall anzuerken¬ 
nen, somit ist die direkt traumatische Form der Epicondylusneuralgie 
als Unfallfolge zu bezeichnen. Die postinfektiöse Form nur dann, 
wenn die vorhergegangene Infektionskrankheit als Unfallfolge an¬ 
gesprochen war. Auch bei einer einmaligen nachgewiesenen Muskel¬ 
zerrung (leerer Hieb oder dgl.) muß man wohl von einem Unfall im 
Gesetzessinne sprechen, nicht dagegen bei der als Beschäftigungs¬ 
neuralgie gekennzeichneten Form. 


Literaturverzeichnis. 

*) Bardenheuer, Die Krankheiten der unteren Extremität. Dtsch. Chirurg, tt 
— *) Böhr, Tennisschmerzen, ein Beitrag zur Pathologie des Radiohumeralgelenks. 
Dtsch. med. Wochenschr. 1900, Nr. 44. — *) Bernhardt, Über eine seltene Form 


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UMIVERSITY OF CAILIi )RNIA 



Über die Epicondylus- und Styloidesneuralgie. 775 

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condylitis. Fortschr. a. d. Geb. & Röntgenstr. »6, 239. 1913. — 8 ) Braus, Lehr¬ 
buch der Anatomie. Bd. I. 1921. J. Springer, Berlin. — 6 ) Carp, Epicondylitis 
humeri. Surg., gynecol. a. obstetr. 32, 257. 1921. — 7 ) Clado , Tennisarm. Progr. 
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Tennis elbow. Boston med. a. surg. joum. 170 , 461. 1914; ref. bei Osgood. — 
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14 ) Sichler, Epicond. hum. Inaug.-Diss. Erlangen 1921. — 13 ) Fischer, A. W., 
Epicondylitis und Styloiditis. Zentralbl. f. Chirurg. 1922, S. 1537. — 14 ) Franke, 
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Chirurg. 1910, S. 669; Fußsohlenschmerz, Influenzaknie, Dtsch. med. Wochenschr. 
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Grenzgeb. & Med. u. Chirurg. 5, 263. 1900. — 16 ) v. Goeldel, Beitrag zum Wesen 
und zur Behandlung der Epicondylitis. Münch, med. Wochenschr. 1920, S. 1147. 

— 16 ) Kaufmann , Die Verstauchung des hum ero - radialen und des radio-ulnaren 

Gelenks und ihre Beziehungen zur sog. Epicondylitis. Schweiz, med. Wochenschr. 
31 , 665. 1920. — 17 ) Keppler, Zur Klinik der stenosierenden Tendovaginitis am 
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Dtsch. med. Wochenschr. 20. 1910. — 20 ) Nußbaum, Beitrag zur Tendoaginitis 
stenosans fibrosa des Daumens. Bruns’ Beitr. z. klm. Chirurg. 104 , 140. — 21 ) Oppen¬ 
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Zeitschr. f. Unfallheilk. 11 , 481. 1920; ref. nach Dube . 


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(Aus der Kinderklinik Graz [Vorstand: Prof. Dr. Hamburger] und der Chirurgisch- 
Orthopädischen Abteilung [Leiter: Prof. Dr. Erlacher].) 

Gabelhand bei kongenitaler Lues. 

Beiträge zur Entstehung der Madelung sehen Deformität. 

Von 

Prof. Dr. Philipp Erlacher, Graz. 

Mit 9 Textabbildungen. 

(Eingegangen am 29. Juni 1923.) 

Auf der Säuglingsabteilung unserer Klinik wurde von Professor 
Hamburger mehrfach die Beobachtung gemacht, daß kongenital luetische 
Säuglinge, gleichviel ob sonstige Zeichen einer Parrotechen Lähmung 
nachzuweisen waren oder nicht, eine auffallende Deformität an den 
Händen aufwiesen, die vielleicht eine entfernte Ähnlichkeit mit den 
rachitischen Epiphysenauftreibungen hat und vielleicht deshalb bisher 
nicht näher beachtet wurde. Diese Veränderungen an den Händen 
waren aber doch so deutlich und typisch, daß mir diese Fälle zur even¬ 
tuellen orthopädischen Behandlung zugewiesen wurden. Eine genauere 
Untersuchung ergab eine eigenartige gabelförmige Verschiebung der 
Hand gegen den Unterarm, wie dies für die Madelungsche Deformität 
beschrieben ist. Nicht in jedem Falle war die Deformität im gleichen 
Maße ausgebildet, oft nur angedeutet. 

Nach den grundlegenden Ausführungen von Madelung (1876) be¬ 
steht das Wesentliche der nach ihm benannten Deformität, die er im 
Titel als „spontane Subluxation der Hand nach vorn“ bezeichnete, 
darin, daß die Hand gegen den Unterarm volar verschoben erscheint; 
dadurch tritt das untere Ende auf dem Dorsum stärker hervor. Der 
anteroposteriore Durchmesser des Handgelenkes ist mitunter um das 
Doppelte vergrößert. Starkes Vorspringen der Beugersehnen. Die 
ganze untere Epiphyse des Radixis der deformierten Seite ist etwas nach 
der Vola zu abwärts gebogen. Gelegentlich findet sich auch eine leichte 
radiale, in vereinzelten Fällen auch eine ulnare Ablenkung der Hand. 
Je nach dem Grade der Deformität ist sowohl die aktive wie die passive 
Dorsalflexion eingeschränkt. Während der Entwicklung der Deformität 
wurde in einigen Fällen auch Schmerzhaftigkeit der Hand angegeben, 
die aber später wieder von selbst verschwand. Die Erkrankung bevor- 


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Ph. Erlacher: Gabelhand bei kongenitaler Lues. 


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zugt ausgesprochen das Pubertätsalter, nur in wenigen Fällen reicht sie 
bis in das Kindesalter zurück. 

Franzosen und Engländer behaupten, daß das Leiden auch kon¬ 
genital auftreten könne, ohne aber (nach Melchior) einen zwingenden 
Beweis hierfür erbringen zu können. Immerhin erscheint eine kon¬ 
genitale Entstehung dort, wo das Leiden mit anderen Mißbildungen 
kombiniert ist, möglich. Auch im höheren Alter ist das Auftreten des 
Leidens ausnahmsweise beobachtet worden. 

In der Folge wurden eine Reihe von Krankheitsbildern der soge¬ 
nannten Madelungachen Deformität zugezählt, die nur eine gewisse 
äußere Ähnlichkeit mit ihr gemeinsam haben und daher von anderen 
Autoren, insbesondere Melchior 1 ), der sich 1913 sehr eingehend mit der 
Erkrankung befaßt hat, abgelehnt werden. So das abnormale Hervor¬ 
ragen des Capitulum ulnae oder eine abnorme Verdickung desselben, 
die meist noch durchaus in das Gebiet des Normalen gehört, wie Sauer 
nachgewiesen hat. Ferner die habituelle bzw. symptomatische Sub¬ 
luxation des Capitulum ulnae, die nur eine Vermehrung der normaler¬ 
weise oft ziemlich großen Beweglichkeit des distalen Ulnaendes dar¬ 
stellt und nach Melchior besonders bei Versteifungen im Radiokarpal- 
gelenk außerordentlich zunehmen kann. Gegen derartige Fälle wendet 
sich besonders Melchior mit Recht, weil in allen diesen die typischen 
Veränderungen am Radius fehlen. Er läßt aber auch die traumatische 
Verkrümmung des unteren Radiusendes in volarer Richtung, wie sie 
von Wittek und Ewald, mitgeteilt wurden, nicht gelten. Er meint, 
„mit der echten Madelungachen Deformität haben natürlich derartige 
in Dislokation verheilte Frakturen ebensowenig etwas zu tun, wie der 
im Gefolge von Knochenfrakturen gelegentlich auftretende Pes valgus 
traumaticus mit dem idiopathischen Plattfuß“. Dieser Vergleich wäre 
schon deshalb anfechtbar, weil für den Begriff Plattfuß der Befund an 
Tibia und Fibula nebensächlich ist, während die Verbiegung des distalen 
Radiusendes ja das Wesentliche und Ursächliche der Madelungachen 
Deformität ausmacht. Jedenfalls sind gegen eine zu enge Umgrenzung 
des Begriffes der Madelungachen Deformität Qaugele, Berg u. a. auf- 
getreten und entsprechend den mehrfach gemachten Versuchen der 
Form der Veränderung eine größere Bedeutung beizumessen, hat 
Springer die Bezeichnung der äußeren Krankheitsform mit dem Namen 
„Gabelhand“ vorgeschlagen, dem dann durch entsprechende Beisätze, 
sowohl die genauere Bezeichnung der Form, wie auch der Art der Ent¬ 
stehung angefügt werden können. Auch andere Bezeichnungen, wie 
Radius curvus, Manus valga, Carpokyphosis wurden vorgeschlagen. 
Ich möchte mich dem Springerachen Vorschläge vollkommen anschließen, 
die Deformität als solche mit dem gut verständlichen Namen „Gabel- 

1 ) Ergebn. d. Chirurg, u. Orthop. C. 

Archiv f. klin. Chirurgie. 126. 


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Ph. Erlacher: 


hand“ zu bezeichnen und durch entsprechende Zusätze die Entstehungg¬ 
art näher zu unterscheiden, so „nach Madelung“ die spontane Ent¬ 
stehung in der Adolescenz, luetisch wie in unseren Fällen, traumatisch usw. 
Dadurch würde der Pietät genügend Rechnung getragen und das 
Krankheitsbild allgemein verständlich bezeichnet, die weitere Forschung 
und Einreihung neuer Fälle aber erleichtert. Daher habe ich auch in 
diesem Sinne den Titel meiner Arbeit gewählt. 

Als Grundlage aber, wie diese Gabelhand des näheren aussehen soll, 
mögen die von Melchior als sichere objektive Kriterien für den Sym- 
ptomenkomplex der Madelungschen Deformität aufgestellten Bedingun¬ 
gen gelten: 

1. parallele Volarverschiebung der Hand, hervorgebracht durch eine 
entsprechende Krümmung des Radius, 

2. dorsale Luxation bzw. Subluxation der Ulna, 

3. abnorme ulnare Neigung der distalen Gelenkfläche des Radius, 
gelegentlich auch radiale (nach Madelung), 

4. die Unregelmäßigkeiten der unteren Epiphysenlinie des Radius 
sowie häufig eine Exostose an dieser Stelle, 

5. die Keilform des Carpus (Brandes). 

In allen Fällen also, wo wir die Gesamtheit der vorgenannten Symptome 
selbst nach den strengen Forderungen Melchiors feststellen können, 
müßten wir eigentlich auch berechtigt sein, dafür den bisher gebräuch¬ 
lichen Namen „Madelungsche Deformität“ anzuwenden, ohne Rück¬ 
sicht auf die Ätiologie dieses Symptomenkomplexes, für die selbst 
Melchior keine Bedingung formuliert. Da aber die Bezeichnung Gabel¬ 
hand nach Springer weitergehend und prägnanter ist, vor allem auch 
die Zusammenfassung und Einteilung einschlägiger Fälle viel besser 
ermöglicht, wollen wir hierfür in Zukunft nur noch die Bezeichnung 
Gabelhand gebrauchen. 

Wenn wir daraufhin unsere Fälle genauer untersuchen und be¬ 
schreiben wollen, so konnte folgender Befund erhoben werden: 

Fall 1. H. G., geboren 7. IX. 1922 (l*/ 2 Monate alt) wurde am 16. X. 1922 
auf die Säuglingsabteilung aufgenommen und zeigte neben allen Merkmalen einer 
kongenitalen Lues (WaR. +) auch eine seit der ersten Lebenswoche beobachtete 
Lähmung des linken Armes, Schwellung der linken Schulter (Porrotsche Lähmung). 
Am 19. X. 1922 habe ich eine genaue elektrische und Röntgenuntersuchung vor¬ 
genommen und fand: Rechts : Hand gegen den Unterarm volar verschoben und 
leicht ulnarwärts abgelenkt (Abb. 1 unten), das distale Ende springt stärker vor. 
Der dorsovolare Durchmesser des Handgelenks erscheint vergrößert, Finger werden 
meist gebeugt gehalten. Daumen eingeschlagen. Aktive Streckung und Dorsal- 
flexion möglich. Faradisch ergab die direkte Muskelprüfung (nach Erlacher), 
daß alle Muskeln vorhanden waren, nur zeigte die Radialismuskul&tur eine leichte 
Herabsetzung der faradischen Erregbarkeit. Die Sehne des M. ext. carpi ulnaris 
ist nach außen vom Proc. styloid. ulnae abgerutscht, was namentlich bei der 
elektrischen Prüfung dieses Muskels deutlich nachweisbar war. Die Röntgenauf- 


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Gabelhand bei kongenitaler Lues. 


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nahmen ließen eine deutliche Osteochondritis und eine Epiphysenlösung der linken 
Schulter erkennen; besonders fanden sich in der Epiphysengegend des Radius 
und der Ulna starke Aufhellungen; die ganze distale Epiphyse des Radius ist in 
toto etwas nach der Vola zu abwärts gebogen (Abb. 2) und ulnarwärts geneigt, 
so daß sie mit der Längsachse des Radius einen Winkel von etwa 55° einschließt. 



Abb. 1. 


Der Winkel zur Längsachse des Radius beträgt statt 90° nur etwa 65 (Abb. 3). 
Man hat den Eindruck, als wäre knapp proximal der Epiphysenlinie die Diaphyse 
eingebrochen und die ganze Epiphyse kappenartig darüber gestülpt. Sie überragt 




Abb. 2. 


Abb. 8. 


sie seitlich namentlich radial- und volarwärts; dadurch erscheint der Radius 
mehrere Millimeter kürzer als die Ulna. Links zeigt die Hand dieselbe volare Ver¬ 
schiebung wie rechts, nur ist sie leicht radial¬ 
wärt s abgelenkt (Abb. 1, oben). Auch hier springt 
das distale Ulnaende stärker vor: die Finger¬ 
haltung ist gleich. Röntgenbefund: der Knochen¬ 
prozeß ist hier bereits etwas weiter fortgeschritten 
als rechts; die ganze Epiphyse, die rechts noch 
die Gestalt einer Scheibe zeigt, ist hier in ein 
Trümmerfeld aufgelöst, das radial und volar 
die Diaphyse überragt (Abb. 4). Auch an der 
Ulna ist diese Veränderung deutlich nachzuweisen. trotzdem überragt sie 
den Radius wieder um mehrere Millimeter Länge. Die distale Gelenkfläche 

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Abb. 4. 


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Ph. Erlacher: 


des Radius steht etwa rechtwinklig zur Längsachse des Radius, eher etwas 
radialwärts geneigt, entsprechend der ausgesprochenen radialen Ablenkung 
der Hand. 

Fall 2. J. K., geboren 30. IX. 1922 wurde am 21. X. 1922 aufgenommen. 
Zwillingskind. WaR. + + +, WaR. der Mutter +, WaR. des Zwillingsb rudere 
noch negativ, wurde erst später positiv. Eine am 24. X. 1922 vorgenommene 
genauere Untersuchung ergab nur, daß das Kind mit beiden Händen zeitweise 
eine im Handgelenk gebeugte und ulnarwärts abduzierte Stellung einnahm, w T obei 
die Finger oft Krallenstellung zeigten. Eine eigentliche Deformität konnte noch 
nicht nachgewiesen w r erden. Im Röntgenbild waren die osteochondritischen Ver¬ 
änderungen hauptsächlich in der Diaphyse vorhanden, während die Epiphysen¬ 
linie klar, peripher konvex deutlich sichtbar war. Besondere Veränderungen in 

ihrer Nähe waren nicht nach¬ 
zuweisen. Das Kind starb 
4 Tage später. Die Sektion 
ergab keine Veränderungen an 
den Epiphysen selbst. 

Fall 3. M. S., wTirde 
2 Monate alt am 13. II. 1923 
aufgenommen. Neben den 
typischen Zeichen einer all¬ 
gemeinen Lues ergab die ge¬ 
nauere Untersuchung des Ske¬ 
lettes am linken Arm nach¬ 
stehenden Befund: Epiphysen¬ 
gegend stark verdickt, der 
dorsoventrale Durchmesser 
des Handgelenkes vergrößert 
(Abb. 5). Die Hand ist gegen 
den Unterarm volar verscho¬ 
ben und leicht ulnarwärts ab¬ 
gelenkt. Das Vorspringen des 
distalen Ulnaendes ist deut¬ 
lich sichtbar. Die Röntgen¬ 
aufnahmen ergaben eine schwere Osteochondritis, die Veränderungen be¬ 
sonders ausgesprochen links in der Epiphysengegend des Radius, geringer an 
der Ulna (Abb. 6). Die Abschrägung des distalen Radiusendes zur Längsachse 
im Röntgenbilde gegen die Ulna beträgt etwa 60°. Von der ganzen Radiusepiphyse 
ist nur ein kranzartiger Saum hauptsächlich an der ulnaren und volaren Seite zu 
erkennen. Die Corticalis der Diaphyse überragt ihn namentlich daumenseitig 
ganz deutlich. Die ulnare Epiphyse ist leicht radialwärts abgeschrägt und über 
ragt an Länge nur den ulnaren Teil des distalen Radius, während der radial¬ 
seitige peripherste Corticalis teil des Radius ungefähr in gleicher Höhe wie das 
Ulnaende steht. Rechts ist die Stellung des Handgelenkes normal (Abb. 5 und 6). 
Die Knochen Veränderungen sind zwar deutlich, aber nicht annähernd so hochgradig 
wie links, namentlich ist die Epiphysengegend relativ frei, oder richtiger: nicht 
mehr betroffen als der übrige Knochen. Da das Kind bereits am 18. II. 1923 starb, 
gelang es mir, die Präparate der beiden Handgelenke zu bekommen. Ein Längsschnitt 
durch den Radius und das Handgelenk ergab die Bestätigung des Röntgenbefundes 
(Abb. 6a u. 6 b). Die rostbraunen luetischen Veränderungen waren links nament¬ 
lich in der Epiphysenlinie, und zwar proximal von ihr sehr deutlich. Noch in der 
Diaphyse erfolgte eine fast winkelige volare Abknickung, so daß die Epiphysenlinie 



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Gabelhand bei kongenitaler Lues. 


781 


auf den Radiusschaft einen Winkel von 70° einschloß; gleichzeitig zeigt« der Hori¬ 
zontalschnitt auch eine ulnare Abschrägung des Gelenkendes des Radius. Ähn¬ 
lich dem Franke sehen Gefrierschnitt folgt auch in meinem Fall die erste Karpal- 



Abb. 6 a. 




reihe der volaren Krümmung des Radius; im Interphalangealgelenk erfolgt dann 
die kompensatorische Dorsalknickung. Rechts war der Knochenbefund völlig 
normal. Bei Freilegung der Sehne des Ext. carpi ulnaris fand sich links die Topo¬ 
graphie durch die Sektion bereits teilweise gestört. So war diese Sehne knapp ober¬ 
halb ihres peripheren Ansatzes bereits durchtrennt, lag nach außen von der Ulna 
und über dem Processus styloides ulnae war die Gleitfurche dieser Sehne nur an¬ 
gedeutet, während sie rechts ganz deutlich ausgeprägt war. Die distale Karpalreihe 
zeigte links einen spit zwinkligeren Verlauf als recht s, die sog. Keilform nach Brandes . 



Abb. 7. Oben: normal, rechts; unten: links, Gabelhnnd. 

Nun ist es mir im weiteren Verlauf des ersten Falles gelungen, die 
Deformität rechts vollständig zu beseitigen und zur Abheilung zu 
bringen. Es handelte sich um ein kräftiges und anscheinend sicher 
lebensfähiges Kind. Es wurde daher sofort mit der antiluetischen 
Behandlung (Schmierkur und Neosalvarsan) begonnen, die das Kind 
gut vertrug. Als sich nach einigen Wochen der körperliche Zustand 
des Säuglings immer besserte, entschloß ich mich zum Versuch einer 
Korrektur der Deformität. Von der Madelungschen Deformität am 
Erwachsenen schreibt Melchior , daß ein Ausgleich der Dislokation 
weder durch Zug noch durch Druck möglich ist, denn ,,zwischen Radius 
und Carpus ist keine größere Verschieblichkeit als bei einem normalen 


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Ph. Erlacher: 


Handgelenk“ (Madelung). Trotzdem hat man namentlich im Früh¬ 
stadium versucht durch Anlegen fixierender Gipsverbände eine Weiter¬ 
entwicklung der Deformität möglichst zu verhindern, allerdings ohne 
daß jemals hierdurch eine sichere Heilung erzielt worden wäre. Da ich 
aber für unsere Fälle eine kongenitale Anlage ausschließen konnte und 
als Ursache der Deformität die schweren osteochondrischen Verände¬ 
rungen an den Knochen, vor allem an den Epiphysenlinien des Radius 
angenommen werden mußten, hatte ich ein Krankheitsbild vor mir, 
das eben erst im Anschluß an die schwere Knochenerweichung ent¬ 
standen war. Die Deformität entsprach etwa der im Anschluß an die 
floride Rachitis auftretenden Verkrümmungen, zu deren Beseitigung wir 
unter Umständen ebenfalls mit Vorteil die Umbildungsvorgänge bei 
der Heilung des floriden Prozesses, das Wiederfestwerden des Knochens, 
benützen. Somit lag es nahe, die noch bestehende Knochenweichheit 
zur Korrektur der Deformität auszunutzen, um von der Heilung der 
Lues und dem Festwerden der Knochen auch die Heilung der Deformität 
und die weitere Knochenentwicklung und Wachstum in normaler Form 
zu erwarten. 

Am 16. XI. 1922 nahm ich das Redressement der Deformität an der 
rechten Hand vor. Bei kräftigem Zug an Hand und Fingern ließ sich 
die ulnare Ablenkung und volare Verschiebung der Hand völlig aus- 
gleichen; bei Nachlassen des Zuges trat die Deformität sofort wieder 
auf. Man hatte das deutliche Empfinden, daß man einen elastischen 
Widerstand, wohl den normalen Muskeltonus sämtlicher Hand- und 
Fingermuskeln zu überwinden hatte, um die Deformität auszugleichen, 
welche Kräfte beim Nachlassen des Zuges die Hand sofort wieder gegen 
die weiche Radiusepiphyse preßten. Um also die Korrektur der De¬ 
formität festzuhalten, wurde unter Zug und leichter Dorsalflexion der 
Hand eine kleine Gipsschiene angelegt und durch feste Bindentouren 
fixiert. Anfänglich schwollen die Finger etwas an; aber schon nach 
10 Tagen blieb auch nach Abnahme des Verbandes die Hand in der 
korrigierten normalen Stellung. Die Röntgenkontrolle am 2. XII. 1922 
ergab nun einen fast normalen Knochenbefund (Abb. 8). Radius und 
Ulna waren gleich lang, vielleicht der Radius sogar schon etwas länger 
als die Ulna; die osteochondritischen Veränderungen waren nur noch 
angedeutet und als Folge der eingeschlagenen antiluetischen Therapie 
in vollster Heilung begriffen. Von der ulnaren Abschrägung der Radius¬ 
epiphyse war nichts mehr zu sehen; bis zur normalen Länge der Radius¬ 
epiphyse ist von der noch angedeuteten Trümmerzone bei der ersten 
Aufnahme bereits junger, allerdings durch seinen etwas geringeren 
Kalkgehalt gekennzeichneter Knochen deutlich sichtbar. Die Be¬ 
grenzung der distalen Epiphyse erfolgt durch eine klare Linie sowohl am 
Radius wie an der Ulna. Somit war durch meine Behandlung infolge 


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Gabelhand bei kongenitaler Lnes. 


783 


der gleichzeitigen antiluetischen Maßnahmen eine vollständige klinische 
und röntgenologische Heilung der Deformität erzielt worden. Die 
Kontrollaufnahmen der linken orthopädisch nicht behandelten Hand 
ergab, wie zu erwarten stand, keine wesentliche Änderung im Zustande 
der Deformität, wohl aber waren auch links als Erfolg der antiluetischen 
Behandlung die osteochondritischen Veränderungen fast vollkommen 
verschwunden; (Abb. 9) statt des Trümmerfeldes an den Epiphysen 
des Radius und der Ulna sieht man eine klarere Begrenzung; auch hier 
war die Verkürzung des Radius gegenüber der Ulna etwas zurück¬ 
gegangen und die Anbildung neuen noch kalkarmen Knochens nach¬ 
zuweisen. Aber deutlich war noch die radiale Neigung der Radius¬ 
epiphyse feststellbar, bei einer Verkürzung von allerdings nur mehr 



Abb. 8. Abb. 9. 


1 mm gegenüber der Ulna. Ob man dies als eine beginnende Selbst¬ 
heilung der Deformität aufzufassen berechtigt ist, wage ich nicht zu 
behaupten. 

Wegen des guten Erfolges des Redressements an der rechten Hand 
machte ich, trotzdem die Knochenlues bereits im Abheilen begriffen 
war, doch auch den Versuch, die linksseitige Deformität auf die gleiche 
Weise zu beseitigen. Am 5. XII. 1922 wurde auch links das Redresse¬ 
ment vorgenommen und die Gipsschiene angelegt. Auch hier hatte ich 
bei einer späteren Kontrolle den Eindruck, daß mein Vorgehen erfolg¬ 
reich sein werde, als das Kind am 21. XII. aus gutem Wohlbefinden 
heraus in wenigen Tagen an einer Peritonitis starb. Daher fehlen mir 
auch außer den Röntgenbildern vom 2. XII. 1922 weitere Belege für 
den Erfolg meiner eingeschlagenen Behandlungsweise, da infolge der 
Weihnachtsurlaube auch bei der Obduktion keinerlei nähere Befunde 
erhoben wurden. 

Nun wären noch einzelne, nur von wenigen Autoren an sogenannten 
MadelungiäMvn beobachtete Besonderheiten zu erwähnen. So soll die 
Crista interossea nach Benneke und Levy bei der Gabelhand nach 
Madelung abnorm breit ausgezogen sein und so einen gewichtigen 
Zeugen für die ursprüngliche Knochenweichheit darstellen, die die 
Deformität verursacht hat. Ich konnte sie aber in unseren Fällen, wo 
die abnorme Knochenweichheit erwiesen und nicht nur angenommen 
ist, nicht beobachten. Ebenso fehlt in unseren Fällen eine Verkrümmung 
des ganzen Radius im Sinne Springers. Beide Veränderungen dürften 


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Ph. Erlacher: 


wohl nur dann in Erscheinung treten, wenn es sich an dem bereits 
festeren Knochen des Erwachsenen um eine länger dauernde, langsame 
Erweichung und Umformung des ganzen Knochens handelt. Für meine 
Fälle möchte ich der Pronationsbewegung als ätiologischem Moment 
keine besondere Bedeutung beimessen, weil mir sogar die Beseitigung der 
Deformität in pronierter Stellung gelungen ist. Wenn ferner Melchior, 
„eine derartige temporäre, abnorme Knochenweichheit vorausgesetzt“, 
den von verschiedenen Seiten „angeschuldigten, mechanischen, pro¬ 
fessionellen Schädigungen“ nur sekundäre Bedeutung zuschreibt und 
betont, daß sie nur im Sinne einer Verschlimmerung einwirken, „niemals 
aber den Prozeß als solchen auslösen können “, so möchte ich dies für 
meine Fälle doch nicht gelten lassen. Das Röntgenbild, der Befund 
an der Epiphyse, die über den Schaft kappenartig darübergestülpt 
erscheint, weisen deutlich darauf hin, daß es hier zu einem Einbrechen 
des Knochengerüstes auf Grund einer mechanischen Schädigung ge¬ 
kommen ist. Es hat also nicht eine Erweichung zur plastischen Um¬ 
formung des ganzen Radius, sondern ein mechanisches Moment, der 
normale Muskeltonus, zu einem örtlich umgrenzten Einbrechen der 
erweichten Knochenschale geführt. Dafür und daß es sich nicht etwa 
um eine einfache Wachstumsstörung an der Epiphyse handelt, spricht 
außerdem der Befund am Schnitt des dritten Falles, der eine scharfe 
winkelige Abknickung der Epiphyse gegen den Schaft zeigt, während 
volar außerhalb des Schaftes deutlich die Anlagerung des neugebildeten 
Knochens sichtbar wird. Die Funktion der Epiphysenlinie ist also 
nicht vermindert, was auch die Röntgenbilder des ersten Falles be¬ 
weisen, wo rechts nach der Stellungskorrektur sich sofort in normaler 
Weise und Ausdehnung wieder neuer Knochen anbildete, während links, 
am damals noch nicht korrigierten Arm, das Wachstum des Knochens 
auch weiter zurückblieb und nur im Sinne der Deformität erfolgte. 
Das mechanische Moment, das zur Deformität geführt hat, und noch 
weiter besteht, wird in seiner Wirkung durch die bereits eingetretene 
Deformität noch unterstützt und eine weitere stärkere Deformierung 
auslösen. 

Leider fehlt mir die Beobachtung, wie sich eine derartige akut ent¬ 
standene Deformität bei jahrelangem Bestand umformen kann und ob 
und wann die von Springer oder von Benneke und Levy beobachteten 
Veränderungen am Radiusschaft auftreten können. 

Aus diesen Befunden ergibt sich, daß im Fall 1 rechts und links, 
im Fall 3 nur links alle typischen Anzeichen einer Gabelhand nach¬ 
zuweisen waren. Die anatomischen Grundlagen sind in vollster Über¬ 
einstimmung mit den klassischen Beschreibungen nachzuweisen, so daß 
an der Diagnose nicht zu zweifeln wäre, wenn nicht das Säuglingsalter 


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Gabelhand bei kongenitaler Lues. 


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der Kinder und die gleichzeitig vorhandene schwere kongenitale Lues 
uns zwingen würden, sie als eigene Gruppe von den eigentlichen Madelung- 
fällen abzugrenzen, für die man noch ein spontanes Entstehen im Puber¬ 
tätsalter verlangt. 

Was nun die Beziehung der Gabelhand nach Madelung zur Lues 
anlangt, so konnte ich in der mir zugänglichen Literatur nur bei einigen 
französischen Autoren kurze Hinweise finden. So beschreibt Savariand 
[zitiert nach Brandes 1 )] eine Madelungh&nd, wo bei dem Träger der¬ 
selben gleichzeitig luetische Veränderungen an Femur und Tibia be¬ 
standen. Ob für die Ätiologie der Deformität die spezifische Erkrankung 
in Frage kommt, läßt er dahingestellt, er neigt vielmehr dazu, eine 
„lokale Rachitis“ anzunehmen, entsprechend der Entstehung der Coxa 
vara und Genu valgum. Auch Cantos spricht ätiologisch von der 
Rachitis als Folge einer langdauemden Intoxikation, die tuberkulöser, 
wie in seinem Fall, luetischer, gastrointestinaler oder alkoholischer 
Natur sein kann. Eine ähnliche Ansicht vertritt Masmonteil. Da sich 
alle diese Beobachtungen und Überlegungen auf Erwachsene beziehen, 
so ist es verständlich, wenn die luetische Knochenerweichung kaum 
jemals so hochgradig ist, und gerade an der Epiphysenlinie mit der 
nötigen Stärke auftritt, daß es ohne weiteres zur Ausbildung der Gabel¬ 
hand bei einer Lues acquisita kommt. 

Ähnlich steht es mit den Knochenveränderungen bei kongenitale^ 
Lues. Diese Veränderungen sind von Reinach, Reyher, Hochsinger u. a. 
genauestem studiert worden, aber nirgends findet sich eine Beobachtung, 
die auf eine Gabelhand hindeuten würde. Es sei denn, daß das öfter be¬ 
tonte gleichzeitige Vorkommen von Lues congenita und Rachitis, die aber 
in diesem Alter in der Regel noch nicht zu Epiphysenauftreibungen 
führt, im Sinne unserer Beobachtungen aufzufassen wäre, wobei dann 
die Subluxationsstellung und das vorstehende Ellenköpfchen die „ra¬ 
chitischen“ Auftreibungen Vortäuschen könnte. In den Bildern, die 
bei Reinach und Reyher sich finden, konnte ich aber keine Bestätigung 
dieser Vermutung erkennen. So muß ich annehmen, daß unsere Be- 
obacktungen die ersten sind, die veröffentlicht werden und die Entstehung 
einer typischen Gabelhand wie bei der Madelungschen Deformität nach 
einer an den Epiphysenlinien lokalisierten luetischen Knochenerkrankung 
am ohnehin weichen Säuglingsknochen feststellen, ohne daß für die 
Entstehung noch andere ätiologische Momente in Betracht kämen. 

Es ist vielleicht auch zu beachten, daß beide Säuglinge etwa 2 Monate 
alt waren, während am noch nicht 1 Monat alten Fall 2 der Knochen 
noch keine Deformität auf wies. 

In den bisherigen Arbeiten über die Gabelhand nach Madelung , sei 
es, daß sie sich mit den mechanischen Momenten der Entstehung be- 
') Zeitschr. f. orthop. Chirurg. 4*, 1. 


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Ph. Erlacher: 


fassen oder sei es, daß sie die Voraussetzung für einen Effekt des mecha¬ 
nischen Insultes, die Knochenerweichung behandeln, sind wohl bereite 
alle Möglichkeiten in Betracht gezogen worden, die in der Kegel Vor¬ 
kommen dürften, wichtig für das mechanische Moment der Entstehung, 
erscheint mir nur eine Beobachtung, die ich gemacht habe und die ich 
bisher nirgends erwähnt fand, das Abrutschen der Sehne des Ext. carpi 
ulnaris nach außen vom Processus styloides ulnae, wie ich sie im Fall 1 
nachweisen konnte und die im Fall 3 nach dem Obduktionsbefund 
wahrscheinlich ist. Diese Beobachtung läßt die Luxation des Ellen¬ 
köpfchens nach oben und damit das leichte Abweichen der Hand ulnar- 
wärt» noch leichter erklärlich erscheinen, zumal damit die einzige Sehne 
wegfällt, die überhaupt über die Ulna zu den Mittelhandknochen zieht. 
Für andere Fälle bleibt aber sowohl die Art und Ursache der abnormen 
Knochenweichheit unklar, als auch warum mechanische Momente von 
so großer Verschiedenheit der Intensität als auslösende Ursachen der¬ 
selben Deformität angeschuldigt werden. 

Daß in unseren Fällen die Lues und zwar die auf Grund der Lues 
entstandenen osteochondritischen Veränderungen am Badius die al¬ 
leinige Ursache der Entstehung der Deformität sind, geht aus den 
Beobachtungen an anderen Fällen (vgl. Fall 2) und vor allem aus dem 
eindeutigen Röntgenbefund klar hervor. Denn trotz der großen Jugend 
unserer Patienten liegt kein Anhaltspunkt vor eine kongenitale Ver¬ 
änderung oder Anlage anzunehmen. In allen drei Fällen ließ sich ein 
besonders hoher Grad des osteochondritischen Prozesses gerade proxi¬ 
mal der Epiphysenlinie nachweisen; andere mechanische Momente, 
denen man einen wesentlichen Einfluß auf die Entstehung hätte zu¬ 
schreiben können, kamen nicht in Betracht. Nur eine eigentümliche 
Handhaltung, die wir auch sonst bei Säuglingen antreffen, wurde auch 
in allen diesen Fällen gesehen: Finger zur Faust geballt, Hand leicht 
ulnar abduziert, Daumen eingeschlagen; Überwiegen der physiologisch 
stärkeren Beuger über die Strecker, namentlich da gelegentlich die 
Sehne des Ext. carpi ulnaris nach außen vom Processus styloides ulnae 
abgerutscht sein kann. Wir müssen also annehmen, daß nur dort, wo 
die durch einen luetischen Prozeß hervorgerufene Knochenerweichung 
besonders stark knapp proximal der Epiphysenlinie sich fand, schon der 
normale Muskeltonus und das Überwiegen der Beuger über die Strecker 
bei der eigenartigen Anordnung des Verlaufes der Sehnen und Bänder am 
Handgelenk genügte, um den ganz erweichten Knochen einzubrechen, und 
eine Deformität im Sinne einer Gabelhand hervorzurufen. Die Epiphyse 
selbst ist noch völlig knoipelig und zeigt keine wesentlichen Verände¬ 
rungen. 

Diese bestimmte Lokalisierung einer besonderen luetischen Knochen¬ 
erweichung scheint als unbedingte Voraussetzung notwendig; denn im 


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Gabelband bei kongenitaler Lues. 


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Fall 2, der allerdings erst 20 Tage alt war, wo auch die typische Hand¬ 
haltung vorhanden war, der Radius ebenfalls osteochondritische Ver¬ 
änderungen aber gleichmäßig auf den ganzen Knochen verteilt aufwies, 
bestand keine (oder noch keine?) Gabelhand. Auch sonst ist die Zahl 
der kongenital luetischen Säuglinge ja ziemlich groß, trotzdem wurde 
die nach meinen Belegen ausgesprochene Gabelhand bisher überhaupt 
nicht beobachtet oder beschrieben und auch wir fanden sie jetzt, wo 
sie unsere besondere Aufmerksamkeit erregt hat, nur in diesen ver¬ 
einzelten Fällen. 

Ähnlich steht es mit der Rachitis, die ja auch den gesamten Knochen 
erweicht und besonders an den Epiphysen lokalisiert ist und uns in 
zahllosen Fällen in allen Graden der Intensität täglich zur Beobachtung 
kommt; trotzdem wurde noch nie — und ich habe meine eigenen zahl¬ 
reichen Röntgenbilder noch einmal daraufhin durchgesehen — auch nur 
ein Fall von Gabelhand beobachtet. Der Grund hegt wohl darin, daß 
hauptsächlich der neugebildete Knochen seinen Kalkgehalt einbüßt oder 
besser nie erhält und daß dieser Prozeß die Ulna ebenso angreift wie 
den Radius, daß daher die Ulna auch immer kürzer bleibt als der Radius 
und daher auch ein besonderes dorsales Vortreten des Ulnaköpfchens 
nicht eintritt. Kommt es aber zur vollkommenen Erweichung des 
ganzen Knochens, so erfolgt die Deformierung hauptsächlich als eine 
Vermehrung der physiologischen Krümmungen und auch Spontan¬ 
frakturen treten meist in der Mitte der Diaphyse auf. 

Somit ist für unsere vorliegenden Fälle Art und Ursache des primären 
Erweichungszustandes bekannt und festgestellt, während sie für den 
Erwachsenen noch nie nachgewiesen werden konnten. Vielleicht lassen 
sich aber diese Vorgänge in eine gewisse Parallele stellen mit der „Gibbus¬ 
bildung“ nach Tetanus 1 ) einerseits und den „deformierenden Prozessen 
in der Epiphysengegend bei Kindern“ 2 ) andererseits. Ich habe über 
beide an anderen Stellen ausführlicher geschrieben und feststellen 
können, daß „ein akuter Tetanus nur einen jugendlich weichen Knochen 
zu deformieren vermag, daß aber die lange Anwesenheit des Tetanus¬ 
giftes im Körper bei den Spättetanusfällen einen Knochen derart mürbe 
zu machen imstande ist, daß dann die späteren Krampfanfälle ebenfalls 
zu einer dauernden Deformität führen können“. Von den deformieren¬ 
den Prozessen in der Epiphysengegend aber nahm ich an, daß sie sich, 
allgemein gesprochen, im epiphysären Teil der Diaphyse abspielen. 
Auch die Ursache der deformierenden Prozesse konnte noch nicht er¬ 
mittelt werden und inwieweit ähnliche Vorgänge auch für die spontane 
Entstehung der Gabelhand nach Madelung in der Pubertät anzu¬ 
schuldigen sind, ist vorläufig ebenfalls noch dunkel. Es fehlt der posi- 

x ) Zeitschr. f. orthop. Chirurg. 4 #. 

*) Arch. f. Orthop. £•, H. 1. 


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Ph. Brlacher: 


tive Nachweis höhergradiger isolierter Knochenerweichungen in der 
Pubertät zu Beginn des Auftretens der Deformität und es fehlt auch die 
Ergänzung dieser lokalen Knochenerweichung durch entsprechende 
auslösende mechanische Momente, die zusammen dann genügen können, 
die Gabelhand hervorzurufen. Die Möglichkeit derartigen Zusammen¬ 
treffens ist ja durch die vielfachen Beobachtungen lokalisierter Knochen¬ 
erweichungen an einzelnen Knochen besonders in der Adolescenz bereits 
gegeben. 

Wenn also die Art und Entstehung der Gabelhand wenigstens für 
unsere Fälle als geklärt anzusehen ist, erübrigt aber noch die Einr eihung 
unserer Fälle unter die bisherigen Beobachtungen. Dies wird wesentlich 
erleichtert, wenn wir den Begriff der Gabelhand im Sinne Springers u. a. 
(vgl. oben) auffassen, die sich darauf beschränken, nur die Form der 
Deformität genau zum Ausdruck zu bringen. 

Daraus läßt sich dann die Entstehung einer Deformität im Sinne 
einer Gabelhand auf zweierlei Weise ableiten: I. als aktive Wachstums¬ 
störung, II. passiv durch ein Mißverhältnis zwischen Knochenfestig¬ 
keit und auf sie einwirkende Kräfte. 

I. Aktive Entstehung. 

Es können lokale Wachstumsstörungen des Epiphysenknorpels zur 
Deformität führen, wie Evxild, Franke und neuerdings auch Brandes 
annehmen. Und zwar kann dies erfolgen: 

1. Bei kongenitaler Anlage, für die bisher allerdings noch die Beweise 
fehlen; das gleichzeitige Vorkommen anderer Mißbildungen läßt es aber 
möglich erscheinen {Melchior). 

2. Bei erworbener Störung der Epiphysenanlage, wofür meistens 
eine Rachitis angeschuldigt wird. Es bleibt aber fragb'ch, ob es sich in 
allen diesen Fällen wirklich um eine reine Wachstumsstörung der Epi¬ 
physenlinie gehandelt hat, oder ob nicht die Wachstumsstörung ebenso 
wie die Deformität nur als die Folge einer gemeinsamen Grundursache 
anzusehen ist. 

II. Passive Entstehung. 

3. Bei sehr starker lokaler Erweichung, wie dies in unseren Fällen 
der Fall war und wie dies auch von Brandes angenommen wird, wenn 
sie an einer bestimmten Stelle auftritt und unter der normalen Be¬ 
lastung der Radius gerade knapp über der Epiphyse einbricht. Damit 
stimmen auch die Fälle Springers u. a. überein, die im Anschluß an 
eine Osteomyelitis des Radius eine Gabelhand entstehen sahen oder 
Melchiors Beobachtung nach einem zentralen Chondrom des Radius. 

4. Bei mehr allgemeiner Knochenerweichung, wenn an bestimmt 
lokalisierter Stelle stärkere mechanische auslösende Momente, chronisch 


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Gabelhand bei kongenitaler Lues. 


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rezidivierende kleine Traumen bei professionellen Schädigungen ein¬ 
wirken, die wieder ein Einbrechen gerade an dieser Stelle hervorrufen 
{Gaugele). In diesem Sinne dürfte auch die einseitig wirkende Kraft bei 
Cubitus valgus (nach Trillmilch) anzusehen sein. 

5. Bei normaler Knochenfestigkeit, aber Einwirken eines einmaligen 
starken Traumas an dieser ganz bestimmten Stelle (Fraktur). 

III. Schließlich kann auch eine Vermischung der aktiven und 
passiven Entstehung Vorkommen. Denn es erscheint mir ohne weiteres 
möglich, daß derartig schwere Veränderungen wie sie in unseren Fällen 
beobachtet wurden, selbst wenn sie unter Allgemeintherapie wieder 
zurückgehen, namentlich, wenn die Deformität ganz oder teilweise 
bestehen bleibt, eine dauernde Störung oder wenigstens Schwäche in 
der Epiphysengegend zurücklassen kann. Wenn nun derartige Fälle 
gerade in einem AUer , wo die Epiphysenlinien ohnehin su verknöchern 
beginnen , im Röntgenbilde teilweise Verknöcherung der Epiphyse des 
Radius zeigen, dürfte es schwer sein, die möglicherweise imbekannte 
Grundursache und ihre direkten und indirekten Folgen auseinander zu 
halten. Auch eine Vermehrung einer nicht vollkommen geheilten 
Deformität während der Pubertätszeit, wenn zufällig eine andere 
Knochenerweichung hineinspielt, oder stärkere fortgesetzte Traumen 
(professioneller Natur) im Sinne der Deformierung wirken, wäre denk¬ 
bar. Jedenfalls scheint die Bedeutung unserer Fälle auch darin zu 
liegen, daß sie zeigen, daß die Gabelhand mit allen typischen Merk¬ 
malen bereits in frühester Jugend entstehen kann, um später dann 
wieder in teilweise Heilung überzugehen. 

Wenn wir nun die einzelnen Gruppen nach der Möglichkeit der 
therapeutischen Beeinflussung hin betrachten, so scheinen konservative 
Maßnahmen nur bei der Gruppe 3, bei lokaler starker Knochenerweichung, 
ähnlich wie in unseren Fällen einen Erfolg zu versprechen. Die Ent¬ 
wicklung der Deformität wird bei Gruppe 4 nur langsam erfolgen; daher 
könnte nur eine durch sehr lange Zeit fortgesetzte Fixierung einen 
Erfolg haben. Hingegen muß bei Gruppe 5 der volle Ausgleich der 
dislozierten Fraktur die Entstehung der Gabelhand verhindern, weshalb 
der Prophylaxe eine besondere Bedeutung zufällt. Diese Gruppe weist 
uns auch den Weg, wo und wie operativ die Deformität anzugehen 
wäre. In dieser Beziehung liegen ja auch sehr wertvolle Vorschläge 
von Springer und Slreißler vor. Aber auch die operativen Maßnahmen 
können bei aktiv entstehender Gabelhand der Gruppen 1 und 2 die 
Grundursache nicht beseitigen, also auch nicht von dauerndem Erfolg 
begleitet sein. 


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Autorenverzeichnis 

des 125. Bandes. 


Blond, Kasper. Ein Beitrag zur Lehre 
von der Osteoplastik. S. 378. 

Demel, Rudolf. Die Meningitis serosa 
circumscripta cerebralis unter dem 
Bilde des Hirntumors und ein Bei¬ 
trag zu ihrer Ätiologie. S. 561. 

Deucher , 0. Walter. Veränderungen 
der Nebennierenrinde bei Peritonitis 
und Sepsis. S. 578. 

EUmer, Georg. Die anatomischen Grund¬ 
lagen für eine wirksame Herzbeutel¬ 
drainage. S. 13. 

Erlacher, Philipp. Gabelband bei kon¬ 
genitaler Lues. (Beiträge zur Ent¬ 
stehung der Madelungschen Defor¬ 
mität.) S. 776. 

Fischer, A. W. Über die Epicondylus- 
und Styloidesneuralgie, ihre Patho¬ 
genese und zweckmäßige Therapie. 

S. 749. 

Fischer, Heinrich. Über die Wirkungen 
der Anionen J, CI und S0 4 sowie 
des Kations-Na auf das Granulations¬ 
gewebe. (Versuche mit Jodonascin.) 

S. 333. 

Galpem, J. Resultate der Magenope¬ 
rationen wegen Ulcus usw. 1908 
bis 1922. S. 86. 

Girgensohn, R. Zur Kasuistik der akuten 
Magendilatation. S. 463. 

Haberland, H. F . 0 . Cholelithiasis. 

S. 417. 

Haller, Edmund. Zur Verwertung der 
Senkungsgeschwindigkeit der Blut¬ 
körperchen in der chirurgischen Dia¬ 
gnostik. S. 739. 

Herzen, P. A. Zur Klinik des Fleck¬ 
fiebers (Fleckfieberparotitis.) S. 1. 

Hübener, H. Die Zerreißung des Knie¬ 
scheibenbandes. S. 744. 

Kazda, Franz. Ungewöhnliche Lage 
einer beiderseitigen Hydrocele. S. 414. | 


Kdling, G. Zur Totalresektion des 
carcinomatösen Magens. S. 458. 

Konrich, F. Über Nachsterilisierung 
von Catgut. S. 275. 

Kosyrew, A. A. Über den Darmwand¬ 
bruch. S. 625. 

Kroll, Fritz . Die Erfolge der Mast¬ 
darmkrebsoperationen an unserer Kli¬ 
nik während der letzten 10 Jahre 
unter besonderer Berücksichtigung 
der Resektionen. S. 681. 

Kuprijanoff. Über die Lage des Colon 
transversum. S. 518. 

Kuprijanoff, Peter. Die Bedeutung 
der anatomischen Verhältnisse in der 
Pathologie und Chirurgie des Colon 
transversum. Ihre Rolle in der Bil¬ 
dung des Ileus. S. 535. 

v. Liebermann , Theodor. Wirkungsweise 
der wässerigen Sulfosalicylsäure-Lö- 
sungen auf gesundes und krankes 
tierisches Gewebe (Experimentelle 
und klinische Studie). S. 482. 

Lieh, E. Über die chronisch-rezidi¬ 
vierende Appendieitis. S. 597. 

Magnus, Georg. Über den Vorgang 
der Blutstillung. S. 612. 

Melchior, Eduard. Beiträge zur chirur¬ 
gischen Duodenalpathologie. S. 633. 

Nordmann, E. Über das Magen- und 
Zwölffingerdarmgeschwür. S. 92. 

Palugyay, Josef. Die Oesophago-Ga- 
1 stro-Ana8tomose nach Heyrovsky im 
Röntgenbild. (Ein Beitrag zum funk¬ 
tioneilen Verhalten der Speiseröhre 
und des Magens nach der Operation.) 
S. 554. 

Popow, W. J. Über Altersverände¬ 
rungen der Rippenknorpel im Zu¬ 
sammenhang mit Rippenknorpelent- 
zündung nach Fleck- und Rückfall- 
i lieber. S. 392. 


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Autorenverzeichnis. 


791 


Rieder , Wilhelm. Untersuchungsergeb- 
nisse über vorübergehende Glykosurie 
bei chirurgischen Infektionen und co- 
lorimetrische Bestimmung der Wasser¬ 
stoffionenkonzentration. S. 362. 

Rosenburg, Gustav. Eine ampullenartige 
Erweiterung des Cysticus. S. 171. 

Ruef, Herbert. Weiterer Beitrag zur 
klinischen Verwendung der Cutis- 
Subcutisverpflanzung. S. 366. 

Schaack, Wilhelm. Zur Frage der nicht- 
parasitären Lebercysten. S. 183. 

Schmid, Hans Hermann . Cholelithiasis 
und Gravidität. S. 121. 

Schramm. Siehe Walterhöfer. S. 407. 

Smidt. Hans. Experimentelle Studien 
am nach Pawlow isolierten kleinen 
Magen über die sekretorische Arbeit 
der Magendrüsen nach den Resek¬ 
tionen Billroth I und II, sowie nach 
der Pylorusausschaltung nach von 
Eiseisberg. S. 26. 

Sofoteroff , S . Zur Frage der Ätiologie 
von intraobdominalen Erkrankungen. 
(Ein Fall innerer Darmeinklemmung 
im Mesenterialdefekt.) S. 324. 


Ssoson-Jaroschewitsch. Die Analyse der 
Variationen des S romanum. S. 283. 

Stahnke, Emst. Zur Histologie und 
Klinik jugendlicher Strumen (in 
I Unterfranken). S. 193. 

Stegemann, Hermann. Die chirurgische 
Bedeutung paraartikulärer Kalkabla¬ 
gerungen. S. 718. 

von Takdts, G. Über die Wirkung intrave¬ 
nöser Urotropineinspritzungen. S. 544. 

; VoUcmann, Joh. Anatomische und ex¬ 
perimentelle Beiträge zur konserva¬ 
tiven Chirurgie der Milz (Gefäßver¬ 
teilung und Gefäßunterbindung, Re¬ 
sektion und Regeneration der Milz). 
S. 231. 

Walcker, F. Die Grundtypen der Form 
und der Lage der Bauchorgane des 
menschlichen Körpers. S. 490. 
Walterhöfer und Schramm. Weitere 
Beobachtungen über Entmarkung von 
Röhrenknochen bei perniziöser Anä¬ 
mie. S. 407. 

| Wiemann, Otto. Beitrag zur Kasuistik 
des angeborenen, nicht eingeklemm¬ 
ten, falschen Zwerchfellbruches. S.471. 


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