AUS
MOSCHELES' LEBEN.
NACH BRIEFEN UND TAGEBUCHERN
HERAUSGEGEBEN
VON
SEINER FRAU.
ERSTER BAND.
LEIPZIG,
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT.
[872.
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Das Recht der Uebersetzung sowie alle anderen Reclite vor-
behalten.
Die Verlagshandlung.
VORBERICHT DER HERAUSGEBERIN.
Die Leser finden in diesen Blattern eine treue und
wahre Skizze von Moscheles' Lebenund Wirken, sowie von
der Musikgeschichte seiner Zeit, da er vom Jahre 1814 bis
an sein Lebensende alles, was ihm begegnete, rait sehr
geringen Unterbrechungen in sein Tagebuch eintrug. Diese
Notizen dienen als Grundlage und sind durch Briefe von
ihm und seiner Prau an Verwandte und Freunde vervoll-
standigt.
Es war stets Moscheles' Wunsch, dass die Kunst-
erfahrungen, die er in seiner beinahe 6ojahrigen Laufbahn
gemacht, sowie die Beziehungen zu seinen Kunstbriidern
nach seinem Tode veroffentlicht wiirden; er liess deshalb
seine Frau, unter seinen Augen, eine Reihe von Jahr-
gangen im Tagebuche iiberarbeiten, manches mit eigner
Hand hinzufiigend. Auch pflegte er ihr seine Ueber-
zeugungen und Anschauungen iiber alles, was ihn bewegte,
mitzutheilen und zu begriinden, so dass sie gar manches
nicht Aufgeschriebene treu im Gedachtniss bewahrt. Er
wollte sie auf diese Weise — falls er ihr voranginge — zur
Erfiillung dieses Lieblingswunsches vorbereiten.
Moscheles' Lcbeo. i
., — 2 — .
Der Wiile eines geliebten Todten ist heilig, 1st iiber
personliche Gefuhle und kleinliche Riicksichten erhaben,
und so iibernimmt die Herausgeberin, wenn auch zaghaft,
die schwierige Arbeit als sein Vermachtniss. Andere
hatten sie wohl besser gemacht, Niemand mit so viel
Liebe. Soil sie ganz in Moscheles* Sinne ausgefiihrt wer-
den, so muss die grosste Unparteilichkeit vorherrachen.
Er war streng gegen sich, mild im Urtheil iiber Andere,
und' wer ihn und sein Wirken treu schildern und erfassen
will, muss dies stets im Auge behalten.
Dies Buch will und soil nichts anderes sein, als ein
Gedenkbuch, das den Kunstgenossen das Streben und
Schaffen des Kiinstlers Moscheles vorfuhren, den Freunden
das Bild des Freundes in die Seele zuriickrufen soil.
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ERSTER ABSCHNITT.
JUGENDERINNERUNGEN.
(PRAG UND WrEN. 1794—1814.)
Die Liicke von seinem ersten Sichbewusst werden bis
zum Beginn des Tagebuchs (1814) hat Moscheles durch Auf-
zeichnungen ausgefiillt, die hier grosstentheils ihrem Wort-
laut nach folgen:
„Mein Geburtstag fallt auf den 30. Mai 1794, meine
Vaterstadt 1st Prag. Meine Erinnerungen reichen bis zum
Beginne des Jahrhunderts zuriick. Ich horte damals viel ,
von der grossen blutigen Revolution in Frankreich reden.
Militarische Neigungen hatten sich auch der Knabenwelt
bemsichtigt und das Soldatenspielen nahm kein Ende.
Selten fehlte ich, wenn die Militar-Musikbande auf dem
Ring vor der Hauptwache ihre Paradestiicke spielte. Die
Blaser pflegten sich kleine Jungen zum Halten ihrer Noten
herbeizurufen, und immer war ich bei der Hand, dies Amt
zu ubernehmen. „Ich will auch Spielmann werden",
pilegte ich zu sagen, wenn ich von diesen Strassencon-
certen begeistert nach Hause kam.
Meine Mutter war die Giite, Liebe und Freundlichkeit
selbst; stets thatig fiir den Vater, mit dem sie eine gliick-
liche Ehe fiihrte und fur uns fiinf Kinder. Der Vater, ein
Tuchhandler, fand bei aller Geschaftsthatigkeit Musse genug,
fiir Musik zu schwarmen, Guitarre zu spielen und zu singen.
Ihm verdanke ich die erste Anregung zu meiner Kiinstler-
laufbahn; derm er sagte oft: „Eins meiner Kinder muss
ordentlich musikalisch werden". Das liess mich schon da-
mals wiinschen, dass ich wohl das Eine sein mb'chte! Aber
der Vater iing mit der altesten Schwester an. Wenn sie
Clavierstunde hatte, stand ich gaffend und horchend am
3 gestrichenen c, womit das kleine Instrument endete, und
bemerkte, dass der Schwester die Arbeit recht sauer
— 6 —
wurde, denn nie konnte sie ihre Sttickchen richtig heraus-
bringen. Da ich, wenn ich allein war, schon versucht
hatte, sie mir zusammen zu buchstabiren, — was* ich gar
nicht schwer fand, — so argerte mich ihre Ungeschick-
lichkeit und ich vergass mich so weit, einmal in der Lec-
tion auszurufen: „0 wie dumm! das konnte ich besser
machen." Der alte Lehrer Zadrakha lachte in den Bart,
liess mich aber doch auf den Stuhl springen und statt
meiner Schwester spielen. Sein Bericht an den Vater
muss giinstig ausgefallen sein, denn einige Tage darauf
wurde mir plotzlich eroffnet, dass nun statt meiner
Schwester mit mir ein Versuch gemacht werden solle.
Wer war froher als ich! Die Clavierstunden begannen
sofort und ich riickte rasch vor, vielleicht zu rasch fur
den alten Lehrer, in dessen eintonige Uebungen ich mich
nicht fugen wollte. Ich abonnirte mich aus meinem Taschen-
gelde in einer_ musikalischen Leihbibliothek und holte mir
nicht weniger als ein halbes Dutzend Stiicke auf Einmal, von
Kozeluch, Eberl, Pleyel u. A., die ich eilig durchfiog. Ob der
Lehrer dieses Verfahrens iiberdrussig' wurde oder ob der
Vater ihn entliess, weiss ich nicht; genug, er blieb aus-
Hausfreunde glaubten meinem Vater und mir einen
Dienst zu erweisen, wenn sie mich dann und wann in be-
freundete Familien fiihrten, wo ich ob meiner Leistungen,
die erbarmlich genug sein mochten, als ein rares Pflanz-
chen bewundert und gehatschelt wurde. Naturlich schmeck-
ten mir die Lobeserhebungen, Kiisse und sonstigen Siissig-
keiten, mit denen mich die Damen ftitterten, doch mein
Vater setzte diesem Unfuge bald Schranken, indem er ihn
den leichtsinnigen Freunden verwies. Er hatte die richtige
Ahnung, dass solches Gebahren nicht geeignet sei, mich
vorwarts zu bringen. Je mehr sich der musikalische
Instinct in mir regte, desto zartlicher wurde er mit mir;
schlich ich mich aber von den verhassten Fingeriibungen
fort, um Sabelscheiden, Helme und sonstiges Soldatenspiel-
werk aus Pappe anzufertigen und unter meine Compagnie
zu vertheilen, so machte ich ihm und mir bittere Momente.
Ich hatte doch als Hauptmann meine Pflichten, urid es er-
— 7 .—
schien mir ungerecht, dass ich meine Rotte nicht mit
neuen Monturen versorgen sollte.
Unter meinem neuen Musiklehrer, Horzelsky, war ich
inzwischen (in den Mussestunden, welche der Besuch der
Teinschule mir iibrig liess) zum Studium grosserer Stiicke
vorgeschritten. Der kaum siebenjahrige Knabe wagte sich
sogar an Beethoven's Sonate pathetique. Man denke sich,
wie er sie spielte, denke sich auch das Beethoven-Fieber,
das mich damals befiel, und mich antrieb, auch die iibrigen
Hauptwerke des grossen Meisters zu radbrechen.
Auch diesem Unfug steuerte mein Vater, indem er
mich zu Dionys Weber fuhrte. „Ich komme zu Ihnen,
unserm ersten Musiker", redete er ihn an, „um.mir auf-
richtige Wahrheit statt Lobhudelei zu holen, um zu er-
mitteln, ob mein Junge wirklich so viel Talent hat, dass
Sie einen toichtigen Musiker aus ihm machen konnen!"
Natiirhch sollte ich nun vorspielen, und ich war Stum-
per genug, um es mit einigem Stolz zu thun. Die Mutter
hatte mich in meinen besten Staat geworfen, ich spielte
mein bestes Stuck, Beethoven's Sonate pathetique. Wie-
war ich aber erstaunt, weder durch Bravo's unterbrochen,
noch mit Lob iiberschiittet zu werden; ja, wie ward mir
erst bei Weber's Ausspruch zu Muthe: „Aufrichtig gesagt,
der Junge ist auf ganz falschem Wege; denn er hudelt
grosse Werke herunter, denen er nicht gewachsen ist, die
er nicht versteht. Aber Talent ist da, und ich konnte
schon etwas aus ihm machen, wennSie ihn mirauf drei Jahre
ubergeben und meinen Plan buchstablich befolgen. Er muss
das erste Jahr Mozart, das zweite Clementi und das dritte
Bach spielen, aber nur das — von Beethoven noch keine
Note; und fahrt er fort, aus Leihbibliotheken zu lesen, so
sind wir geschiedene Leute."
Mein Vater ging auf alles ein, und ich bekam auf
dem Heimwege noch manche goldene Lehre, den nunmehr
beginnenden Ernst meiner Studien betreffend. Machte ich
sie gewissenhaft durch, so wiirde ich Ehre auf mich selbst,
den Vater und die ganze Familie haufen, hiess es.
Ich hatte diese weit entfernte Aussicht nur zu gern
— 8 —
fur meinen Beethoven und die stets wechselnden Geniisse
meiner Leihbibliothek hingegeben. Doch war ich nun ein-
mal aus dem Garten Eden hinausgejagt und musste an-
fangen, im Schweisse meines Angesichts zu arbeiten. Mein
Vater hielt strenge Nachfrage bei Weber, aus dessen
Lectionen er mich meistens selbst abholte, und hatte ich
ein recht gutes Zeugniss, so war allemal ein Besuch beim
Conditor raeine Belohnung. "Weber und sein Zeitgenosse
Tomaschek standen einander feindlich geg-cniiber, da
Ersterer die Deutsche, Letzterer die italienische Richtung
vertrat. .,Wen giebt es denn noch ausser Mozart, de-
menti und Bach?" meinte Ersterer. „Lauter verriickte
Narren, die den jungen Leuten die Kopfe verdrehen; der
Beethoven, geschickt wie er ist, schreibt auch viel tolles
Zeug, — bringt dieSchiiler auf Abwege". Fiir Mozart's Schon-
heiten konnte er sich mit jugendlichem Feuer begeistern;
in Bach's geniale Verkettungen ging er gern mit mir ein
und erkiarte sie aus dem Schatze seines theoretischen
Wissens. Seine eigenen Compositionen machten kein
Gliick. Es fand sich kein Verleger dafiir; er liess sie auf
eigene Kosten lithographiren, und so lagen sie stossweise
in seinem Studirzimmer. Als er anfing, sich iiber meine
Fortschritte zu freuen, liess er sie mich bei den Grafen
Clam-Gallas undSchlick in seiner Gegenwart spielen; doch
verschafFte ihnen das eben so wenig Popularitat, als meine
spateren Bemiihungen fur ihn in Wien. Tomaschek dagegen
war ganz verschiedener Ansicht; bekanntlich haben auch
seine Compositionen nie durchgegriffen.-
Eines Tages , als Weber meinem Vater wiederholt
versichert hatte: es konne etwas aus mir werden, belohnte
mich dieser, indem er mich zum ersten Mai in's Theater
fiihrte. Es wurde der „ Achilles" von Paer gegeben, eine
Oper, die eben damals neu war und in der mir der Trauer-
marsch besonders wohl gefiel. Ich spielte ihn beim Nach-
hausekommen richtig nach und entlockte dem, guten Vater
Freudenthranen. Der Opernbesuch, der mir nun ofters ge-
stattet war, wurde mir eine Quelle der herrlichsten Geniisse.
Wollte Gott, ich hatte den vortrefflichen, einsichtsvollen
\:r-iym
— g —
Vater noch langebesessen! Aber ein Nervenfieber raffteihn
plotzlich dahin, und im vierzehnten Jahre stand ich wei-
nend an seinem Sarge. Die Zeit hat meinen Schmerz ge-
mildert, nicht aber meine Dankbarkeit und Liebe erkalten
lassen. Sein Wunsch, meine erste Composition zu horen,
den er noch wiederholt wahrend seiner Krankheit aus-
sprach, sollte unerfullt bleiben; aber sein, Tod und die
wenig gunstigen Umstande, in denen er seine Familie zu-
riickliess, wurden die Ursache meines erst en of fen t-
lichen Auftretens in Prag.
Weber meinte, ich konne und diirfe nun auf eigenen
Fiissen stehen; er Hess mich das Concert, das ich in Ar-
beit hatte, beenden, und dann eine musikalische Abend-
unterhaltung geben, die. mir viel Beifall und einige Sub-
sistenzmittel eintrug". Die Mutter fand darin den grossten
Trost. Ein alter Onkel aber behauptete, ich ginge meinem
Ruin entgegen, wiirde doch nur zum Tanz aufspielen; ja,
ware ich Kaufmann geworden und hatte das Gliick mich
vielleicht nach der reichen Handelsstadt Hamburg gefiihrt,
wer konnte wissen, ob mir nicht ein grosser Kaufmann
seine Tochter zur Frau gegeben hatte! Nun, ich bin kein
„Bierfiedler" geworden, wie der gute Alte mich zuweilen
auch zu nennen pflegte, bin auch nicht auf s Comptoir ge-
kommen. Der zweite Theil seines Wunsch es aber ist spater
doch in Erfullung gegangen: ich bin in Hamburg gewesen
und habe eine Hamburgerin heimgefiihrt."
Nicht lange nach dem Tode des Vaters sandte die
Mutter den kleinen Virtuosen, wie schwer es ihr auch an-
kommen mochte, auf den Rath der Freunde, nach Wien,
wo er sich weiter fortbilden und sich eine selbstandige
Existenz begriinden sollte. Dankbar gedenkt er der he*rz-
Iichen Aufhahme und zartlichen Obsorge, die er bei den
Familien Lewinger und Eskeles und im Hause des Italieners
Artaria fand (der spater seine ersten Compositionen ver-
legte). Weniger liebenswiirdig nahm ihn eine Verwandte
des Eskeles'schen Hauses, Frau v. Pereira auf.
„Wie die Baronin Eskeles, so gab auch sie grosse mu-
sikalische G-esellschaften, in denen auch ich mitwirken
— io
durfte. Die Tochter des Hauses hatte bei Streicher Un-
terricht gehabt, beide —? Lehrer und Schulerin — bil-
deten sich ein, sie allein seien die echten und rechten
Clavierspieler. Frau von Pereira rieth mir, ihre Tochter
recht oft zu horen, und von ihr zu lernen, dann aber auch
bei Streicher Lection zu ' nehmen. Ersteres erschien mir
ihrerseits anmassend, letzteres meinerseits undankbar. Ich
hatte meinem Weber so viel zu verdanken; nun sollte ich
als Ueberlaufer zu einer anderen Fahne schworen? Das
konnte ich nicht. Nein, ich wollte auf der Grundlage, die
Weber so miihsam zusammengetragen, allein weiter bauen,
Alles horen und prufen, mir das Gute nach besten Kraften
aneignen, aber immer sein dankbarer Schiiler bleiben."
So unterliess er denn nicht, Streicher aufzusuchen,
und gern bekennt er, dass er manches von ihm gelernt
habe, ohne sich jedoch an seine Vortragsweise zu binden.
Ebenso ging er aber auch in die musikalischen Abend-
unterhaltungen der namhaftesten Dilettantinnen, an denen
damals die Wiener Gesellschaft reich war. Viele dieserDamen
waren trefflich geschult und hatten an Zartheit und Aus-
druck im Anschlag gar manche Vorziige vor dem jungen
Moscheles voraus, die dieser bescheiden anerkannte undschon
nach kurzer Zeit ihnen abzulauschen wusste. Gleichzeitig
studirte er eifrig die Theorie der Musik beim Domkapell-
meister Albrechtsberger, der ihm zum Schluss folgendes
curiose Zeugniss ausstellte:
ATTESTATUM.
Endesunterschriebener bezeuget hiermit, dass der Ignatz
Moscheles durch einige Monate bei mir die Musikalische Satz-
ktlnst so gut erlernet habe, dass er im Stande ist (indem er
auch auf dem Eortepiano und auf der Orgel meisterlich
spielt) sein Brod mit beyden Kiinsten uberall zu verdienen.
Und da er jetzt Willens ist Reysen zu machen, so
fmde ich's fur billig ihn aller Orten bestens anzuempfehlen.
Wien den 28. September 1808.
(Siegel.) Georgius Albrechtsberger,
Kapellmeister in der Domkirche
zu St. Stephan.
"i?.;
— II —
„Es versteht sich von selbst" (fahrt Moscheles fort),
„dass der grosse Beethoven der Gegenstand meiner heilig-
sten Verehrung war. Bei meiner hohen Meinung von ihm
konnte ich es nicht begreifen, wie die (eben erwahnten)
Damen der Wiener Gesellschaft den Muth fanden, ihn zu
ihren musikalischen Vorfiihrungen einzuladen und ihm
seine Compositionen vorzuspielen. Ihm muss es aber ge-
fallen haben; derm er war damals oft in solchen Abend-
unterhaltungen anzutreffen. Sein unseliges Gehorleiden
mochte ihm schon damals das Selbstspielen verkummern,
und so vertraute er diesen Frauenhanden seine neuen Com-
positionen an. Wie erstaunte ich aber erst, als ich eines
Tages beim Hofkapellmeister Salieri , den ich nicht zu
Hause traf, einen Zettel auf dem Tische liegen sah, auf
welchem in Lapidarschrift zu Iesen war: „Der Schuler
Beethoven war da!" Das gab mir zu denken. Ein Beet-
hoven kann noch von einem Salieri lernen? Um wieviel
mehr ich. Salieri war der Schuler und warmste Verehrer
Gluck's gewesen, nur Mozart und seine Werke wollte er
nicht gelten lassen, das wusste man. Aber dennoch ging
ich zu ihm, wurde sein Schuler, auch drei Jahre lang sein
Adjunct in der Oper, und erhielt dadurch die Befugniss,
alle Theater unentgeltlich zu besuchen. Es war ein heite-
res vielbewegtes Leben in dem lieben Wien."
ZWEITER ABSCHNITT.
W I E N.
(1814— 1816.)
•^m
1814.
Das Tagebuch, das am i. April 1814 beginnt, fiihrt
tins in ein frohlich angeregtes, schaffenslustiges Leben ein.
Der nunmehr zwanzigjahrige Jiingling hilft sich bereits
selbstandig fort und erntet, zu grosseren G-esellschaften
und offentlichen Auffiihrungen hinzugezogen. seine ersten
Lorbern als Virtuos wie als Componist.
Am 8, April hort er zum ersten Mai Meyerbeer, der
ein von ihm selbst componirtes Rondo vortragt. „Ganz
iiberzeugt von seiner Virtuositat, war ich dennocb begierig,
welchen Effect sein Spiel in einer gemischten Gesel]schaft
machen wurde, und bemerkte, dass Stellen, die vielleicht
nicht verstanden wurden, doch grosses Staunen erregten,
hauptsachlich wegen der so sehr gewagten Schwierig-
keiten und der so sicheren Ueberwindung derselben."
Am 10. April trifft die Nachricht von der Einnahme
von Paris ein. Das Tagebuch verzeichnet den grossen
Jubel, den diese Kunde in der Kaiser stadt hervorruft.
Das Volk durchzieht in erregter Stimmung, VolkslLeder
singend, die Strassen.
11. April. „In einer musikalischen Unterhaltung im
Romischen Kaiser in der Mittagsstunde ein neues Trio
von Beethoven in B-dur gehort, von ihm selbst g-e-
spielt. Bei wie vielen Compositionen steht das Wortchen
„neu" am unrechten Platze! Doch bei Beethoven's Com-
positionen nie, und am wenigstens bei dieser, welche
wieder voll Originalitat ist. Sein Spiel, den Geist ab-
gerechnet, befr'iedigte mich weniger, weil es keine Rein-
heit und Precision hat; doch bemerkte ich viele Spuren
— i6 —
eines gross en Spieles, welches ich in seinen Compositionen
schon langst erkannt hatte."
Das grosse Ereigniss, die Befreiung Deutschlands
durchzittert auch das sorglose "Wiener Volkchen und nicht
nur seine Dichter, sondern auch die Musiker wetteifern in
seinem Preise. Spohr schreibt sein „befreitesDeutschland", —
Hummel besingt die Riickkehr des Kaisers, — Moscheles
schreibt den „Einzug in Paris",- spater eine Sonate: „Die
Riickkunft des Kaisers". Die jiidische Gemeinde, zu
welcher er damals noch geho'rte, bestellt bei ihm fiir
diese Gelegenheit eine Cantate, welche mit grossem Pomp
aufgefiihrt wird. Spater , wahrend des Wiener Con-
gresses, iiberarbeitete er dieses "Werk fur die Zoglinge
des Guntz'schen Institutes, die es in Gegenwart des Hofes
und der fremden Monarchen „vortrefflich auffuhrten".
Ausserdem schreibt er im Laufe dieses Jahres sechs
Scherzo's, Variationen iiber ein Handel'sches Thema, sein
vierhandiges Rondo in A -moll, Menuett's und Trio's fur
Artaria's Sammlung von Nation altanzen, mehrere oster-
reichische Landler u. s. w. Um diese Zeit entsteht ferher
die Polonaise inEs, — eine Sonate fur Clavier undVioline, —
eine andere fur Clavier und Fagott, die er fur den vor-
trefflichen Fagottisten A. Romberg schreibt und haufig
mit ihm zusammen vortragt, endlich das Thema der So-
nate melancholique, von ihm selbst, sowie von Kunstkennern
als eines seiner besten Werke genannt. Dieses Thema
steigt ihm in einer Lection auf, die er der Grafin Haug-
witz giebt, und wird mit besonderer Lust verarbeitet, wie
mehrere Notizen im Tagebuch besagen. Dort ist auch
seine Schiilerreihe verzeichnet, die nun schon aus Grafen
und Fursten besteht und gegen Ende des Jahres so gross
ist, dass er jede Vermehrung derselben ablehnen muss.
Die zahlreichen glanzenden Gesellschaften, zu denen
er geladen wird (beim Fursten Ester hazy, beim Grafen
Palffy, beim Erzherzog Carl u. s. w.) halten ihn nicht vom
Arbeiten ab. Er sucht die versaumte Zeit wieder ein-
zubringen, indem er bis z, auch bis 3 Uhr Morgens com-
p'onirt. „Schon ura 7 Uhr eroffnen englische Lectionen
das Tagewerk und nie werden die Clavier-Exercitien ver-
saumt, auch Violinstudien nehmen Zeit in Anspruch."
Dabei ist er ewig unzufrieden mit seinen Leisturigen.
„Heute wurde ich viel gelobt, besonders vom Grafen P.,
der sich enthusiasmirte, aber ich war nicht mit mir zu-
frieden." Und wieder-. „Die Gesellschaft war entziiekt,
aber ich nicht, es muss noch viel besser werden," und
ein ander Mai: „Ich Hess mich nicht zum Spielen bereden,
denn ich hatte heute nichts Tiichtiges geleistet und immer
bereue ich es hinterher, wenn ich ohne Lust spiele."
Am gliicklichsten fuhlte sich Moscheles in dem heite-
ven ungezwungenen Kunstlerkreise der Familie Lewinger in
Dornbach beiWien. Dorthin kamenSalieri, Meyerbeer, Hum-
mel und andere Freunde, dort wurden „an gottlich schonen
Abenden Spaziergange unternommen, spater Tableaux ge-
stellt oder allerlei Kindereien componirt und sogleich auf-
gefiihrt".
Urn dieselbe Zeit tritt er in nahere . Beruhrung mit
Beethoven. „Es ist mir der Antrag gemacht, den Clavier-
auszug des Meisterwerks Fidelio zu bear bei ten. Was kann
erwiinschter sein?"
Nun finden wir wiederholte Tagebuchnotizen, wie er
zwei und wieder zwei Stiicke zu Beethoven brachte, der sie
durchsah; und dazu abwechselnd die Bemerkung: „er an-
derte wenig" oder „er anderte nichts", auch wieder „er
vereinfachte" oder „er verstarkte."
Einmal heisst es: „Als ich friih zu Beethoven kam,
lag er noch im Bette; er war heute besonders lustig,
sprang gleich heraus und stellte sich, so wie er war, an's
Fenster, das auf die Schottenbastei ging, um die arrangir-
ten Stiicke durchzusehen. Naturlich versammelte sich die
Hebe Strassenjugend unter dem Fenster, bis er ausrief:
„Die verd n Jungen, was sie nur wollen?" Ich deutete
lachelnd auf ihn, ,Ja, ja, Sie haben recht", rief er jetzt
und warf rasch einen Schlafrock iiber.
Als wir an das grosse letzte Duett „Namenlose Freude"
Moscheles' Lcbnn. z
■•■.or
18
kamen und ich den Text .,Ret-terin des Gat-ten" unter-
gelegt hatte, strich er es aus und schrieb „Rett-erin des
Gatt-en;" denn auf t konne man nicht singen. Unter das
letzte Stuck hatte ich „fine mit Gottes Iitilfe" geschrieben.
Er war nicht zu Hause, als ich es hintrug; und als er es
mir zuriickschickte, stand darunter: „„0 Mensch hilf dir
selber."" Am '29. November heisst es: „In Beethoven's
Concert in der Mittagszeit im grossen Redoutensaal. Er
gab seine herrliche A-dur-Symphonie, die Gelegenheits-
cantate „Der glorreiche Augenbliqk" und „Die Schlacht
bei Vittoria" — Alles seiner wiirdig."
Im Winter wird Moscheles der Auftrag, die Carroussel-
musik bei Anwesenheit der fremden Monarchen zu schreiben.
,,Die Reitsclmle war bei festlicher Beleuchtung durch mittel-
alterllche Verzierungen zu einer Art von Kampfbahn um-
geschaffen. Vierundzwanzig Turnierritter machten ihre
Sache vortrefflich und ihre Dam en waren prachtvoll co-
stiimirt. So viel Schmuck sah ich noch. nie vereinigt."
Die classischen Schuppanzigh'schenQuartettauffuhrungen
werden natiirlich regelmassig von Moscheles besucht, und
jedes mal riihmt er die vortreffliche Ausfuhrung. hesonders
der Beethoven'schen Quartette. Einmal heisst es: „Ich
sass neben Spolir, wir tauschten unsere Meinungen iiber das
Gehorte aus; Spohr sprach mit viel em Eifer gegen Beet-
hoven und seine Nachahmer."
Das Heranrucken des Congresses begleitet dasTagebuch
mit Notizen iiber den Einzug der Monarchen, die stets vom
Kaiser und seinem Hofstaat empfangen werden; eine enthu-
siastische Volksmehge geleitet sie, und unter dieser Moscheles
mitseinen jungenFreunden, mitunter bis zwei und drei Uhr
Morgens. Erst kommj: der Konig von Wtirtemberg in
"VVien an, dann der von Danemark, endlich der Konig von
Preussen und der Kaiser von Russland, zu deren Be-
griissung das Regiment Hiller einen von Moscheles com-
ponirten Marsch spielt. „Der Anblick des Burgplatzes wird
mir unvergesslich bleiben, die kaiserliche FamiUe an den
Fenstern, unten die fremden Monarchen und Alles in
grosster Gala. Abends im Theater war es noch brillanter,
— 19 —
Alle war en dort versammelt, grosser Jubel und festliclie
Beleuchtung. Man gab das Ballet „Zephyr und Flora"
mit den aus Paris verschriebenen Tanzern".
Einige Tage spater ist Hof-Redoute fiir die Fremden-.'
„Sie war in der grossen Reitschule, diese aber mit dem
grossen ttnd kleinen Redoutensaal in Verbindung gesetzt;
letzterer zu einem Garten umgeschaffen , die Beleuchtung
tageshell. Plotzlich trat unser Kaiser allein in schlichter
Kleidung ein, sich wie ein Hausvater umschauend, ob
Alles fur die hohen Herrschaften bereit sei. Dann er-
schienen sie, die Monarchen meist in Uniform. Ich sah
Alle und Alles und blieb bis drei Uhr Morgens".
Zwei Tage spater berichtet das Tagebuch iiber das
Volksfest im Augarten: „Das Schonste war der Stephans-
thurm im Feuerwerk, dann der kunstliche Regenbogen
die Nachahmungen des Brandenburger Thores und der
russischen Kanonensaule. Eine der Festvorstellungen war
die „Vestalin" von Spontini, eine andere Rossini's „Mos6 fl .
Audi in Schonbrunn war Volksfest und im dortigen
Theater ward fiir die Monarchen „Johann von Paris" ge-
geben. Die Orangerie war kostlich beleuchtet, der Tem-
pel der Flora ausserordentlich schon."
Am 16. October wird in der Reitschule der Handel'sche
Samson aufgefiihrt. „ Handel's Samson", ruft Moscheles
mit jugendlichem Enthusiasmus aus, „der mir immer die
Seelenkrafte starkt. Das erste. Mai zerschmolz ich bei
seinem Anhoren ganz in Wonne, seitdem habe ich jede
Probe und Auffiihrung des Meisterwerks gehort und mich
immer von neuem daran erquickt".
A'uch mancher tolle Streich wurde verubt, manch
heiterer Schwank in Scene gesetzt mit den Kunstbriidern
Merck und Giuliani, den Dichtern Castelli und Carpani und
anderen lustigen Gesellen. Forderlich wirkte Meyerbeer's
Umgang auf seine kiinstlerische Entwickelung ein, mit
dem er damals viel zusammen spielte und den er nicht
miide werden kann, zu bewundern. Ein Mai iiber das
andere heisst es: „Seine Bravour ist unerhort. Sein Spiel
ist unubertrefflich. Ich bewundere seine ganz eigene Art,
W&$*'
T5ST, j!~: ■
20
das Instrument zu behandeln." Stundenlang sassen sie
phantasirend und improvisirend zusammen vor einem In-
strument; so entstand eine „Punscheinladung" und andere
Duette. Schwer wurde es natiirlich Moscheles, sich von
Meyerbeer zu trennen, als dieser sich. endlich anschickte,
Wien zu verlassen. Meyerbeer war damals in einem Ueber-
gangsstadium. Er fing an, sich der dramatischen Musik
zuzuwenden, schrieb eine Operette ffir Berlin und ging
bald darauf nach Paris, wo sich die Richtung seines Ta-
lents dauernd entschied.
Noch mancher anderen Kiinstler und Virtuosen, die
in den zahlreichen offentlichen und Privatconcerten mit-
wirkten, erwahnt das Tagebuch in diesen letzten Monaten
des Jahres 1814; aber nur wenige Namen sind darunter,
die ihren damaligen Klang bis auf den heutigen Tag be-
wahrt haben.
1815.
Das neue Jahr beginnt , wie das alte geendet.
Das Tagebuch wimmelt von Notizen fiber offentliche und
private Musikauffuhrungen, die aus <Anlass des Congresses
roeist in sehr grossem Stile und mit mannigfaltigen und
bedeutenden Kraften in Scene gesetzt werden. Fast iiberall
1st Moscheles dabei, theils anregend und unterweisend, theils
auch selbst mitwirkend.
Das Wichtigste und fiir Moscheles Folgenreichste imer-
sten Monat dieses Jahres bleibt aber wol sein Besuch bei
der Stiftsdame Grafin Hardegg.
„Sie Hess mich rufen", berichtet er, ,,um mich zu fra-
gen, ob ich am Aschermittwoch in einem Concert fur die
'WohJthatigkeits-AnstaJten spielen wolle. Ich spiirte nicht
viel Lust, weil ich keine neuen Compositionen hatte, aber
sie liess nicht nach. „„Machen Sie schnell etwas, Mosche-
les, aber recht brillant."" Ja, aber was? Endlich wurde
ausgemacht, ich sollte Variationen fiber den Marsch schrei-
i
■„■;!-. ■■;,:
— 21 —
--■■'■' ' '• ■ " 1
ben, welchen das dem Kaiser Alexander von Russland
zugewiesene Regiment spielte."
Er beginnt sie am 29. Januar — am 5. Februar sind sie be-
endet, Es sind dies eben dieselben Alexander- Variationen,
von denen es durch viele Jahre hiess, nur Moscheles konne
sie spielen, und die in Wien wie auf Kunstreisen seiner
Bravour die Krone aufsetzten. Es gab gewisse Stellen
darin, bei denen noch 20 Jahre spater ein Zug 1 von Er-
staunen und Entziicken durch das Auditorium ging; ja,
als er selbst sie gem „in eine dunkle Ecke gesperrt" hatte,
damit man „so ein jugendliches Machwerk" vergesse, wur-
den sie ihm noch abverlangt, und wer sie in den zwan-
ziger Jahren gehort, der woilte sie in den vierziger Jahren
wieder hervorgesucht haben. ^J
Das Tagebuch berichtet am 8. Februar: „Heuter/
Aschermittwoch, hatte ich Probe zur Auffiihrung meiner
Alexander- Variationen im Karntnerthor-Theater ; sie gingen
gut mit dem Orchester zusammen und hatten schon da viel
Beifall. Abends spielte ich sie in der Akademie, welche
die adeligen Frauen zum Besten der Wohlthatigkeits-An-
stalten gaben; die verbiindeten Monarchen waren zugegen.
Die Variationen wurden mir unerwartet gut aufgenommen ;
sie scheinen in dieser Akademie. am meisten Gunst ge- '
funden zu haben."
In einem Concert, das er am folgenden Tage im Ver-^
ein mit Hummel gibt, ist die Grossherzogin von Weimar
zugegen; sie sagt ihm viel Freundliches fiber sein Spiel
und seine Compositionen und muntert inn auf, nach Wei-
mar zu kommen. Weit mehr aber freut ihn, dass Salieri
sein Concert besucht und mit seinen Leistungen zufrieden
war. Wie anhanglich Moscheles diesem Meister war, be-
weist eine spatere Notiz des Tagebuchs: „Mein geliebter
Lehrer Salieri schwebt heute in grosser Gefahr; er hat
eine Lungenentzundung. Gott gebe, dass seine Krankheit
eine gltickliche Wendung nehmel" Nach mehreren Tagen
der Besorgniss darf er ihn endlich sehen, aber noch nicht
sprechen, und dann folgt die Freude iiber seine Wieder-
herstellung.
22
Das lustige Wien fahrt fort, die freraden Monarchal zu
unterhalten. Glanzende Auffahrten zuWagen und Schlitten
wechseln mit Concerten, Theaterauffiihrungen und Maskera-
den, Moscheles betheiligt sich hier und dort, und findet bei
allem „Studiren, Componiren und Lectionisiren" noch Zeit,
lustige Abendstunden im Freundesverkehr zu verbringen.
Kam irgend eine neue Composition heraus, so wurde
sie von den jungen Kiinstlern sofort in Beschlag genom-
men, gehort, probirt, durchgesprochen. Leider begniigt
sich das Tagebuch, gerade in Betreff der bedeutenclsten
Sachen mit einerkurzenNotiz. Beethoven's erhabene Grosse,
Spohr's Meisterschaft standen ihm und den Genossen so
fest, dass sie ihm keines Commentars zu bediirfen schienen.
In ahnlicher Weise verlauft der Sommer in stetem
Wechsel zwischen strenger Arbeit und frohlicher Unge-
bundenheit. Ein Ausflug jagt den andern. Eines selt-
samen Concertes wird am 7. Mai erwahnt. Sie hatten
einen Spaziergang hinaus nach Modling (bei Wien) ge-
macht. Moscheles arrangirte im Freien die Tafelmusik.
„Um Alles ins Feuer zu bringen, nahm ich dem Pauker
die Schlagel aus der Hand, donnerte und wirbelte, wah-
rend die Violinen zwitscherten, die Clarinetten dudelten,
die Trompeten schmetterten, der Bass brummte. Alles
das zusammen machte ein merkwiirdiges Ganzes."
Nicht immer ist die autgeregt heitre Laune ohne
Reaction; dem Tagebuche vertraut Moscheles an, dass
er „ubel aufgelegt, lieber die Gesellschaft verliess, urn sich
keine Blosse zu geben." Haufig wiederholt sich auch die
Bemerkung: „Gespielt und gefallen, nur mir nicht." Dann
arbeitet er nur um so fleissiger, und das Bewusstsein ste-
tigen Fortschrittes und der fast immer ungetrxibte Verkehr
mit den Freunden ermuntert ihn.
Die Composition seiner Es-dur-Polonaise, s pater das
letzte Stuck des Es-dur-Concerts, beschaftigt ihn; aber
schon als sie probirt wird, klagt er iiber die nicht rein
gestimmten 3 Pauken (es, b, ces) und diese Klage wieder-
holt sich fast bei jeder Auffuhrung, auch in spateren
Jahren, so dass endlich im Jahr 1832 Mendelssohn sie in
— 2 3 —
einen Scherz verflicht, mit dem Bemerken: „Respect, sie
sind eingestimmt!" Kaum ist die Polonaise beendet, so
beginnt er sein Sextett In spateren Jahren pftegte er zu
erzahlen, wie es ihn damals gedrangt habe, etwas in der
Art des Hummel'schen Septetts zu schreiben. Doch endete
er stets mit der Bemerkung: „Mein Bestreben blieb aber
eine leichte Jugendarbeit, mit dem Septett nicht zu ver-
gleiehen."
Von Interesse sind die Notizen, die das Tagebuch
hier iiber die damals iiblichen Serenaden („Nachtmusiken")
einflicht. Graf Palffy gab in diesem Winter deren sechs
(im botanischen Garten). Als Mitwirkende sind ausser
Moscheles Mayseder, Merck, Giuliani und Hummel genannt.
Gleich bei der ersten sind zugegen die Kaiserin Marie
Louise, die Erzherzoge Rainer und Rudolf u. s. w, und
das Programm enthalt ein Arrangement der Ouverture zu
Fidelio (die Hauptstimmen von Moscheles und Mayseder),
Sonate von Beethoven mit Horn (Moscheles und Radezki),
Polonaise von Mayseder, Rondo von Hummel mit Quartett-
Begleitung, gespielt von Moscheles. Dazwischen lustige
Jodler, die aus den Gebiischen hervorklangen und ein
noch lustigeres Souper. Die iibrigen fiinf Serenaden, die
sich bis in den September hinein vertagen, sind nicht
minder interessant. Dazwischen liegt noch eine fur die
Kaiserin Marie Louise veranstaltete, und wohl ein halbes
Dutzend, welche Privatleute den Ihrigen zu ihren Namens-
tagen geben.
Wahrend eines Ausflugs nach Dornbach treibt einGe-
witter Alles insHaus zuriick, und Moscheles soil spielen, um
die Gesellschaft fiir den Spaziergang zu entschadigen. „Ich
improvisirte", sagte er, „aber mit den Elementen im Verein,
denn bei jedem Blitz brachte ich mein Spiel zu einer Fer-
mate, die den Donner selbststandig auftreten liess."
Dass er dann im Herbst und Winter das Theater
wieder fleissig besuchte und namentlich die Oper so regel-
massig wie moglich, versteht sich von selbst. Aber auch
auf andern Feldern sah er sich nach Anregung um. Von
OehlenschlJigers Correggio heisst es um diese Zeit im Tage-
V"'vv ■'■<-: ■-'-- ■ * v ?.. -- ■'"■. v ' ■■?■
*■;' ■'■_..■
— • 24 —
buch: „Es wird so viel Schones in Bezug auf Maler und
Malerei darin gesagt, dass ich mir es Alles fur meine
Kunst iibersetzte, um es mir bleibend einzupragen."
In den Herbst fallt ein vierzehhtagiger Besuch der
Mutter, der er sich ganz widmet, um nach deren Abreise,
beim Nahen des Winters, das alte arbeitsvolle und lustige
Leben von vorn zu beginnen.
1816.
In diesem Jahre spinnt sich unser Kiinstlerleben in der
Hauptsache, wenige Unterbrechungen abgerechnet, in der
geschilderten Weise thatig und heiter fort. Zu diesen Un-
terbrechungen gehort zunachst eine Reise nach seiner
Vaterstadt Prag, wo er glanzend aufgenommen wird und
ein Concert fur die Armen giebt, das eine Einnahme von
2400 Gulden liefert. Von da begab er sich nach Pesth,
wo er unter grossem Zuspruch und Beifall mehrere Con-
certe veranstaltete, alte Freunde vorfand und neue Ver-
bindungen ankniipft. Die Batthyanyi'sche und andereAdels-
. familien luden ihn auf ihre Landsitze ein, und er kann
den Kunstsinn und die Gastfreundschaft dieser Leute
nicht genug riihmen. Hieran schloss sich spater eine
Reise nach Steiermark, iiber welche das Tagebuch leider
sehr wortkarg hinweggeht.
Kaum nach Wien zuriickgekehrt, lebt er sich rasch
in das fruhere Treiben wieder ein. Er verkehrte damals
fleissig in der „Ludlamsh6hle", einer Kunstlerkneipe , in
der Dichter, Musiker, Maler und Schauspieler sich noch
spat am Abend zu zwangloser Unterhaltung zusammen-
fanden und in der beim Klang der Glaser manch lustiger
Schwank ausgefiihrt wurde. Jedes Mitglied hatte seinen
■d*-iU*A Spitznamen: Castelli hiess „der Hollenzote", der Schau-
spieler Schwarz, ein sehr starker Raucher, war „Rauchmar,
. ' der Zigaringer" benamst, und Moscheles selbst, wegen
seiner Vorliebe fiir Kalbsfiisse, die er ofters dort als
— ?5 —
Abendbrot verzehrte, „Tasto der Kalberfuss". Tasto com-
ponirte der lustigen Gesellschaft einen Chor, in den alle
diese Namen verflochten waren, und noch in spaten Jahren
erlnnerte er sich mit lebhafter Freude der gliicklichen
Stunden, die er in diesem Kreise verlebt.
Inzwischen war Moscheles in seiner Kunst durch an-
haltendes Studiura und durch bescheidenes Aufmerken auf
die Vorziige Anderer zu immer grosserer Sicherheit und
Fertigkeit gelangt, sodass sich unter den Pianisten, wie
das so oft geschieht, bald zweiParteien bildeten, deren eine
Hummel, die andere Moscheles den Vorzug gab. Glaub-
wiirdige Zeitgenossen meinen, Hummel's Legato sei da- v.
mals noch nicht von Moscheles erreicht worden; Hummel
habe „Sammet unter den Fingern gehabt, von dem sich
seine laufenden Passagen gleich Perlenschniiren abrollten",
wogegen Moscheles durch eine ubersprudelnde Bravour
und den jugendlichen Enthusiasmus seines Spiels Alles
unwillkurlich mit sich fortgerissen habe. Unter beiden
Kiinstlefn'selbst fand keine Rivalifat statt. Wir haben
gesehen, wie Moscheles das Hummel 'sche Septett seinen
eigenen Compositionen dieser Art voranstellte. Umgekehrt
gab Hummel Moscheles Zeichen der aufrichtigsten An-
erkennung. Beim Antritt einer Kunstreise vertraute er
■. ihm einen Schiiler, auf den er grosse Stiicke hielt, zum
Unterricht an, der denn auch unter Moscheles' Leitung
rasche Fortschritte machte und bald mit grossem Erfolg
vor die Oeffentlichkeit trat. Noch vieler anderer Kiinstler
und seines Zusammenlebens mit ihnen erwahnt Moscheles
(Czerny*), Reichardt u. a.), fugt aber einmal hinzu: „Wir
Musiker, wie wir auch heissen mogen, sind doch nur kleine
unscheinbare Trabanten, Beethoven allein das grosse blen-
dende Himmelslicht." — In diese Zeit fallt auch die Com-
position seiner vierhandigen Es-dur Sonate, die er dem
*) Von Czerny sagt das Tagebucli: Niemand hat es wolil besser ver-
standen, die schwichsten Finger zu starlcen und in heilsamer Tongymnastik
die Studien zu erleiclitern , olme den Geachraack zu vernachlassigen , als
eben dieser Componist.
— 2b —
Erzherzog-Cardinal Rudolf dedicirte, der sie mit Moscheles
gut vom Blatt spielte.
Ein Concert verdrangt das andere; sie alle aufzuzahlen
erlasse uns der Leser. Bei einem Concert, das er selbst
"""gab, erwahnt Moscheles der Schwierigkeiten, die ihm die
-— ' Censurbehorde in den Weg legte. Ja, die Censur er-
\ streckte sich auch auf die Concertzettel. War irgend ein
verponter Liedertext, ein aufregender Titel (wie etwa
„Freiheitsmarsch") darauf zu lesen, so passirte er nicht.
Moscheles' Ruf ist im Aufsteigen. Trotz der Huldi-
gung, die ihm von vielen Seiten in "Wort und That
-- entgegenkommt, lasst er im Eifer nicht nach und be-
treibt nach wie vor seine Studien in regelmassigem
Gleichmaasse fort. Dem Drangen seiner Freunde, sein
Gliick nun auch in der weiten "Welt zu versuchen, setzte
er anfangs "Widerstand entgegen. Kein "Wunder! Er
fiihlte sich so behaglich in seinem "Wien, wo er sich von
Freunden umgeben und von der Gunst des Publikums ge-
tragen sah. Wahrend seine hohen Gonner und Gonnerin-
nen in "Wien nichtsdestoweniger alles in Bewegung setz-
ten, um ihm eine grosser e Kunstreise zu ermoglichen und
alle entgegenstehenden Hindernisse aus dem Wege zu
raumen, folgte er vorlaufig einer Einladung nach Prag,
wo er ein frohliches "Wiedersehen mit den Seinen feierte.
„Wie es prachtig ist", schrieb er ins Tagebuch, „wieder
mit Mutter und Schwestern zu sein, und wie gern ich
ihnen vorspiele! So hort doch Niemand zu, wie die."
Und ein andermal: „Heute trieb ich wieder die alten Kin-
derspasse mit den Schwestern, wir war en recht ausge-
lassen; ich glaube die Mutter hat es gern." Aber auch
dem noch immer treu verehrten Lehrer Dionys "Weber,
wie nicht minder dessen fruherem Rivalen Tomaschek,
Kunstbriidern und Freunden, die sich um ihn schaarten,
musste er vorspielen und Alle waren von seinen Fort-
schritten freudig iiberrascht. Alle Familien ; die den
Knaben gekannt und Hoffnungen auf seine Zukunft ge-
setzt, zeigten ihm durch ihre herzliche Aufhahme, wie sie
den fortgeschrittenen Jiingling ehrten und sich selbst
— 27 —
durch ihn geehrt fuhlten. Ausfliige aufs Land fiihrten
manchen neuen Erfolg, manches neue urid erheiternde
Abenteuer mit sich, und endlich folgte er der Einladung
der graflichen Famiiie Wallis, den Somraer mit ihr in
Karlsbad zuzubringen.
Karlsbad war in jenem Sommer der Sammelpunkt
einer glanzenden Gesellschaft von Fiirsten und hohen
Adeligen, bedeutenden Staatsmannern und Kunstlern. Dort
waren ausser Konig Friedrich Wilhelm III. von Preussen
i Hardenberg und Gneisenau, Wittgenstein, Rostopschin
u. A. Der preussische, osterreichische und russische Adel
iiberbot sich in glanzenden Festen und dabei gab es die
angenehmste Mischung der Stande, da sich die hohen
Herrschaften gern um die Kunstler gruppirten und mit
ihnen Musik machten. Die russische Baron esse Lunin
sang vortrefflich und Fiirst Galizin, der sich der Compo-
sition ergeben hatte, componirte ihr Romanzen, die Mo-
scheles revidirte und ihr beim Vortrag am Clavier be-
gleitete. Moscheles machte auch hier namentlich mit
seinen Alexander- Variationen und seinen Phantasien Fu-
rore. Die Zeichen der Anerkennung, die ihm von alien
Seiten entgegengebracht wurden, und die Gastfreundschaft,
der er tiberall begegnete, ermunterten ihn, und oft hat er
sie in spateren Jahrzehnten gepriesen, im Gegensatze zu
der Niichternheit und Gleichgiiltigkeit, mit der man in
unseren Tagen aufstrebenden Talenten entgegenzukommen
pflegt.*)
*) In Karlsbad war es auch, wo Robert Schumann zum ersten
Male den Pianisten Moscheles horte und hier einen unvergesslichen, seine
Laufbahn mit bestimmenden Eindruck erhielt. R. Schumann sagt in
einem Brief ah Moscheles dariiber Folgendes:
„Freude und Ehre haben Sie mir bereitet durch die Widmung Ihrcr
Sonate (Opus 121, fur Pianoforte und Violoncello); sie gilt mir zugleich
als eine Ermunterung meines eigenen Strebens, an dem Sie von jeher
freuudlich Antlieil nahmen. Als ich, Ihnen ganzlich unbekannt, vor
mehr als dreissig Jahren in Karlsbad mir einen Concertzettel , den Sie
beriibi-t hatten, wie eine Reliquic lange Zeit aufbewahrte, wie hatte ich da
getraumt von so beruhmtem Meister auf diese Weise geehrt zu werden.
Nehmen Sie meinen innigsten Dank dafiir!''
«?"'■; ■<'::-* J'- •■.:-:■ ■' ■■ ■■- ;•-■■"'-- -^/ -..^r
— 28
Von Karlsbad wurde' ein Abstecher nach Eger ge-
macht. Moscheles sab das Haus, worin Wallenstein er-
tnordet worden, ebenso die alte verfallene Veste mit ihren
merkwiirdigen Saulen, endlich das „Mordgasscben", wo in
den Zeiten der Finsterniss alle Juden bis auf die Familie
Seligsberg, deren Nacbkommen nocb dort wohnten, grau-
sam geschlachtet worden waren. Von hier gings nach
Franzensbrunn und Mariakulm, ein Punkt, an den sich ro-
mantische Erinnerungen kniipfen.
Nach Karlsbad zuriickgekehrt , findet er die Stadt
noch in dera Festjubel, dessen Mittelpunkt der Konig
von Preussen und seine Umgebung ist, Er betheiligt
sich noch hier und dort und nimmt dann iiberall Ab-
schied, um nach Wien zu eilen. Auch dort machte er
die Runde bei den Freunden und rustete sich zu der
grossen Reise, zu der er sich inzwischen endlich entschlossen
hatte. Die Grafin Hardegg und andere Freunde versehen
ihn mit Empfehlungen an jedenHof, dessen Residenz er be-
rfihren wird, an jede diplomatische oder kunstliebende Grosse.
Das Haus F.skeles fuhrt ihn in die Banquierwelt ein. Und
es sind keine kalten formlichen Briefe; nein, Jedem wird
der junge Mann besonders ans Herz gelegt, sein Talent
sowie seine Personlichkeit ins glanzendste Licht gesetzt,
seine Erfolge als unzweifelhaft hingestellt. In jener Zeit
aber batten Empfehlungsbriefe noch ihre Geltung, und so
erklart sich zum Theil das GKick, das Moscheles iiberall-
hin begleitete. Man nahm ihn zuerst auf Treu und Glau-
ben an, dann kamen seine Kunstleistungen und seine
auspruchslose Personlichkeit hinzu, und machte den frem-
den Empfohlenen zum gerngesehenen Gast, zum Haus-
freunde, oft zum Busenfreund furs Leben.
Folgen wir nun Moscheles auf- diesen Wanderungen,
die seinen Kiinstlernamen bald weit hinaustrugen und zu
einem europaischen machen sollten.
■ , i-O.
M
DRITTER ABSCHNITT.
KUNSTREISEN.
1816 — 1821.
kM^'^y
im Herbste 1816 verlasst Moscheles Wien, indem er
Ider „schonen Kaiserstadt" noch einmal ein wehmiithiges
lAde in seinem Tagebuche zuruft und begibt sich iiber
Prag zunachst nach Leipzig. Er fahrt mit einem sogenann-
ten Hauderer und notirt einige Stossseufzer iiber die schlep-
pende Langsamkeit der Fahrt. Weder die Reiselecture,
noch eine stumme Claviatur, die er mit sich fuhrt, um seine J ^* t
Finger wenigstens zum Schein zu beschaftigen, vermogen
; seine Ungeduld zu massigen. Endlich langt er an. „Begierig
Alleszusehen, lief ich gleich aus, besah mir die Promenaden,
' den alter thumlichen Marktplatz und ging dann ins Theater.
Die Studenten setzten mich, den Oesterreicher, mit ihrem
larmenden Ton und dern Trommeln ihrer Stocke, wenn sie
j ungeduldig den Fortgang des Stiickes verlangten, in Er-
[staunen. Noch mehr verdross es mich, dass man gerade
leine Parodie auf KLiinstlers Erdenwallen gab, worin sich
|der Autor Julius Voss in beissender Satire iiber alle die-
Jjenigen erging, die mit irgend einer Schaustellung zur
. Leipziger Messe gekommen waren, um dort ihren Vortheil
zu suchen. War denn das Stuck fur mich mitgeschrieben?
Naturlich lachte ich mich bald iiber solche Gedanken aus
und liess mir mein Abendbrod im Joachimsthal vortreff-
lich schmecken." "Weiter bliitternd fmden wir manche
Notiz fiber das Gewogc in den Strassen, die fremdlandi-
schen Trachten, die polnischen Juden im Briihl und die
itberfullten offentlichen Locale. Dann heisst es: „Das erste
Concert, das ich in Leipzig horte, ward von der Sessi ge-
geben; die Ouvertiire ging recht solide. Den Contra-
bassisten Wach muss ich mir besonders notiren, weil er
mit seinem energischen Spiel und seiner Kraft das ganze
— 32 —
Orchester zusamrr.en zu halten schien/' Und wieder einige
Tage spater lesen wir: „Heute war ich bei Schicht, dem
Cantor der Thomasschule, wir hatten ein langes Gesprach
iiber Kunst, Kuh'stfreiheit und Kiinstler, worin er mir
seine ganze Meinung von Beethoven kund that. Unter
andern wollte er behaupten, der „Christus am Oelberg"
sei nicht im Oratorienstyl geschrieben, und erzahlte, dass,
als Beethoven das Werk hieher an seinen Verleger ge-
schickt habe, dieser den Chor „Welchen Weg fliehen wir"
wegzylassen fiir gut befunden habe. Beethoven, hochst
beleidigt, habe dies eigenmachtig genannt und einen sehr
derben Brief an den Verleger abgehen lassen. Schicht
schien dies merkwurdig zu linden, worauf ich ihm den
Standpunkt griindlich klar machte."
„Beim Musikdirector Schulze horte ich von seinen
Schiilern verschiedene Chore und Motetten ohne Beglei-
tung recht brav ausfuhren, und zwar in Gegenwart des
gerade anwesenden strengen Richters Zelter, Auch horte
ich in der Thorn askirche die Schiiler unter Leitung des
Cantors Schicht achtstimmige Motetten und Fugen mit
vieler Kraft singen".
Am 6. October wurden die Gewandhausconcerte er-
offhet. Moscheles gingnatiirlichhin. Es mag" Leser geben,
fiir die das Programm dieses Gewandhausconcerts Interesse
hat; deshalb sei es hier aus dem Tagebuche copirt.
[. Theil. 1. Theil.
Symphonic, Mozart. Ouvert, Andr. Romberg.
Arie, Mme. Sessi, Arte v. AViid.
Pianoforte-Cone, comp. u. gespielt Cavatine — rait Guitarie.
von Zenner aus Petersburg. Lied „Vergissmeinniclit".
Duett, Mine. Sessi u. Hr. Bergmann. Schweizer-Rondo v. Zenner.
Zum Beschluss ein Clior aus 'Winter's „Gewalt d. Musik 1 '.
Das Leben in Leipzig findet Moscheles „ recht ange-
nehm". In Classig's Kaffeehaus „trifft er taglich die an-
genehmste Gesellschaft, er hort Arrangements der besten
Symphonieen, Ouverturen und Opern mit einem fast com-
pleten Orchester, das vortrefflich spielt." Aber die Thor-
sperre, eine ihm ganz unbekannte Institution, stort ihn
— 33 — ^ :V \
regelmassig, wenn er von Wieck's (die vor dem Halle'-
schen Thore wohnten) in seine Behausung zuriickkehrt. ■■■'^\
Am 8, October sollte sein eigenes Concert in Scene (f^O.-ftf V;
gehen. „Ich war in grosser Aufregung; gut also, dass • .."?-
meine dringenden Geschafte schonum 7 Uhr fruh anfingen. '.';
Ich zahlte, hiesiger Sitte zufolge, dem Cassirer im Voraus j- ;
eine voni Directorium quittirte Rechnung von 66 Thlr. .,,
12 Ngr. fur Saal und Beleuchtung. Urn 9 Uhr Vormittags .■ i-v
jbegann die Probe. Meine Ouvertiire zu dem Ballet „Die ^ :
ortraits" kam schon das erste Mai gelungen zur Aus- ' '}y
fiihrung; doch verlangte das Orchester, sie noch ein Mai \'i
zu probiren , wo sie meine Erwartungen iibertraf. Die
Horner und Posaunen, vor Allem aber die vortreffliche .' .-.;-A
Leitung des ersten Geigers Matthai kann ich nicht genug
ruhmen. Das kleine, im Saale versarnmelte Auditorium , .'■
gab mir seinen ungetheilten Beifall zu erkennen, und die . _'; ;
Alexander-Variationen lockten sogar manche der Mit- .A{
spiel enden von ihren Pulten weg an's Clavier, um die -
Ausfiihrung der Schwierigkeiten zu sehen. Trotz dieses . : ;
Erfolgs war meine Nervenerschiitterung in Erwartung des 4 ,.
heutigen Abends so gross, dass ich keinen Bissen essen ,"■*■'
konnte. Nachmittags fand ich mein Instrument im Saale ; .*.
gut gestimmt, als ich ihm den Puis fuhlte; der meinige ' ;
ing unruhig. Um 5 Uhr wurde der Saal eroffnet und ';
Ibeleuchtet und gewahrte einen pomposen Anblick, und
eine halbe Stunde spater fanden sich schon die elegan- ■ _ i ■..._<
testen Damen ein, um gute Platze zu bekommen. Man
kann sich nicht leicht einen schoneren, zweckmassigeren Saal
denken, als diesen; auch fand ich das Arrangement der Sitze
in einer mir ganz neuen Weise praktisch eingerichtet. Um . '■-■-
6 T / 2 Uhr, nachdem ich eine Tasse Thee mit Rum g'etrun-
ken hatte, liess ich anfangen und wurde schon beim Vor- -
treten ehrenvoll empfangen — eine Auszeichnung, die hier " ,, v '
nicht Jedem zu Theil wird Meine Ouverture iibertraf
durch die eifrige Mitwirkung jedes Einzelnen meine Er- ■< ■-■'■■
wartungen. Das Publicum war so - enthusiastisch und
ungetheilt im Beifall, dass ich diese Momente zu den
schonsten meines Lebens rechne. Ein Chor von Schicht
Moschelcs* Leben. i ■.,,
— 34 —
folgte. Meine Concert-Polonaise, durch die zarte Beglei-
tung" der drei ausnehmend reingestimmten Pauken gehoben,
wird vielleicht nirgends, besser zur Wirkung koramen, als
hier, und nirgends wird auch grdsserer Beifall mich be-
lohnen. Im Zwischenact bezeigten mir die Directoren ihre
vollkommenste Zufriedenheit, Zweite Abtheilung: Capriccio
fiir Violine, von Romberg, gespielt von Matthai, Alexan-
_ der-Variationen mit demselben stiirmisclien Beifall, Hymne
von Mozart und dann einige Minuten Pause, nach denen ich
meine Fantasie begann. Das Publicum, mehr und mehr
gespannt, kam naher und naher und engte mich zuletzt
fdrmlich ein, so dass ich der Mittelpunkt eines grossen
Kreises war; als ich geendet, ergoss sich das vollste
Maass der Zufriedenheit iiber mich."
Solch ein Erfolg auf so schwierigem Boden musste
doppelt uberraschend und ermunternd auf Moscheles wirken.
Es miisse bald ein zweites Concert folgen, hiess es
nun allgemein, und der 14. October ward dazu bestimmt.
In der Zwischenzeit lesen wi'r von Einladungen und Be-
suchen ohne Ende, und finden Ausziige aus den Tages-
blattern, die einstimmig in die Lobesposaune stossen.
Im 2. Concert wiederholt sich der Beifall. „Ich hatte
mir vorgenommen," schreibt er, ,,heute nichts Fremdes in
meine Improvisation zu mischen, als sich mir bei einer
Fermate das Motiv „das klinget so herrlich" (Zauberfldte)
beinah aufdrang. Zwei Applaus-Salven lohnten mir meine
Durchfiihrung desselben,"
Am nachsten Morgen giebt er Kunstlern und Kunst-
freunden ein Dejeuner mit Austern und guten Weinen,
wobei jedoch das Musiciren nicht vergessen wird. In
den folgenden Tagen trieb er sich unter den Wunder-
menschen der Messbuden umher, besuchte interessante
Theatervorstellungen und besichtigte das Schlachtfeld, die
Garten, Strassen und Dorfer, durch die sich das Kriegs-
getummel gewalzt hatte. Ein Rath Ludwig aus Altenburg
wusste ihn zu einem Aufenthalt in seinem Hause zu be-
reden, iibergab ihm seine Liedertexte zur Composition und
veranstaltete ein Concert, „in welchem sich der Leipziger
■ t
— 35 — "
[Enthusiasmus pflichtschuldigst wiederholte". Jene Lieder,
[sowie das Sextett nahm Hofmeister in Verlag.
Mit seinen Erfolgen in der Musikstadt Leipzig unge-
[mein zufrieden, tritt er nun getrost die Weiterreise nach
(Dresden an. Ein anfanga unbedeutendes, spater aher
immer heftiger werdendes Halsubel macht ihm den lang-
samen Fortgang der Reise nur noch peinlicher. In Dres-
|en angrekommen, sucht er sich durch Musik.zu zerstreuen.
Er hort Spontini's ,;Vestalin", von einer italienischen
Truppe. „Der Director heisst Polledro, die Sanger M,
sandrini, Benelli u. s. w. Ihre echt italienische Manier und
frosse Kehlfertigkeit erfreuten mich zwar, ihr bestandiges
Letardiren am Schlusse jeder melodischen Phrase und das
/erspatete Nachhinken des Orchesters belastigten mich
iber so, dass ich nur an mein Uebel dachte und die
Irei Akte mit Anstrengung aushielt, Bei einer klassischen
dassisch aufgefiihrten Oper hatte ich mich selbst und
tnein Leiden vergessen. Das Orchester, auf das ich sehr
fespannt war, liess auch viel zu wunschen ubrig, beson-
lers der erste Hornist. Eine Stelle im Andante der
)uverture war ganz unkenntlich".
Es folgte nun ein vierwochentlicher Zimmerarrest, den
im die Aerzte, die er wegen seines Leidens zu Rathe
3g, auferlegten. In dieser etwas triiben Zeit instrumen-
irte er seine vier heroischen Marsche, schrieb das Andante
ler E-dur-Sonate, die er Beethoven dedicirte, iiberarbeitete
pich die anderen Stiicke derselben, und las viel in Goethe,
Eendelssohn's „Phadon" u. s. w.
Endlich ist er wieder hergestellt, und sofort benutzt
sr seine wiedergewonnene Freiheit, um sich in die Dres-
£tener Kunstwelt einzufiihren. Auf dem Chor der katholi-
schen Kirche lernt er wahrend der Messe Morlacchi,
'olledro, Dotzauer, Benelli und andere KLiinstler kennen.
|,Den Effect der Messe fand ich grossartig", sagt das
fagebuch, ,,20 Violinen, 6 Violen, 4 Basse und Cello's,
Slasinstrumente bis auf 4 Fagotte einfach besetzt, die
lauptsolos von Sassaroli gesungen". Spater heisst es:
l,Die Bekanntschaft von August Klengel war mir interessant,
— 3 D — ■
sein Spiel Clementi'sch, seine Toccaten, Fugen und Giguen
so solide, als kuristvoll und griindlich." Er und Zenner
kommen oft zu ihm und sie spielen einander abwech-
selnd vor.
Beim Besuche des nachsten grossen Concerts findet
er den Concertsaal dem Leipziger in vielen Punkten nach-
stehend; aber „auch der Inhalt war mager und die Aus-
fiihrung hatte die Abzehrung." „Ouverture von Humann
anfangerisch, Arie gesungen von Lobl execrable, Fagott-
Concert plump, aber gut geblasen von Humann, Symphonie
in D von Mozart leidlich, Hr. Lobl wurde bei seiner
zweiten Arie ausgelacht."
Es folgen nun im Tagebuche mehrere nicht streng
hierher gehorige Notlzen, aus den en folgende ausgehoben
seien: „ Goethe schreibt in der „neuen Melusine": „Ich
will nur gestehen, dass ich mir aus der Musik niemals
babe viel machen konnen." „Was ich natiirlich nicht be-
greifen kann", setzt Moscheles hinzu.
Ferner: „Einen Beweis fiir die Gerechtigkeitsliebe
Haydn's, von dem ich eben horte, muss ich mir doch no-
tiren. Haydn erfuhr, dass Beethoven sich missfallig uber
„die Schopfung" geaussert habe. „Das ist unrecht von
ihm," sagte Haydn, „was hat denn er geschrieben? Etwa
sein Septett? Aber freilich, das ist schon, ja herrlich!
setzte er mit inniger Bewunderung hinzu, die Bitterkeit
des ihn treffenden Tadels vergessend."
Doch zuriick zu den Dresdener Angelegenheiten. Sie
gingen nicht schnell vorwarts. Erst die Krankheit, dann
allerlei Intriguen des Polledro, der selbst Concerte geben
wollte, • und dazu die Alles erschwerende Hof etiquette.
„Endlich," sagt das Tagebuch, „fasste ich Fuss — nein
Hand; denn ich spielte und gen el, erst beim osterreichi-
schen Gesandten Graf en Bombelles, dann beim Oberhof-
meister Graf Piatti und beim Ober-Stallmeister Graf Vitz-
thum und so kam es endlich dazu, dass ich am 20. De-
cember mit entschiedenem Beifall bei Hof spielte. Es
klingt barbarisch, dass die Herrschaften speisten und der
Hofstaat auf den Galerien zuhorte, wahrend ich und das
Kapell-Orchestor ihnen Musik vormachten, und barbarisch
bleibt es auchj doch muss ich der "Wahrheit gemass hie-
herschreiben, dass Herrschaften und Lakaien sich mog-
lichst ruhig verhielten und dass erstere sich sogar bis zu
Seiner freundlichen Unterhaltung - mit mir herabliessen."
Sein Erfolg bringt ihm die bisher vergeblich angestrebte
jtErlaubniss zur Mitwirkurig der k. Kapelle in dem von
ihm projectirten Concert; sie werde jedermann verweigert,
liess es, ihm aber aus Anerkennung seiner Verdienste
igestanden. Nun fingen auch die Musiker an, mehr Ge-
bchmack an ihm zu finden. Morlacchi und Schubert ver-
sitelten die Intriguen des Polledro, der ihm die schwach-
sten Mitglieder der Kapelle geben wollte, Graf Piatti un-
|terhandelte mit dem „unangenehmen" Besitzer des Hotel
le Pologne wegen des Saales, und am 28. December kam
ier Concerttag heran. . „Ich vertheilte nach hiesigem Brauch
Ke ein und zwei Billette an die Mitglieder der. Kapelle,
|T,vir probirten und Abends ging das Concert vor einem
jlanzenden, lebhaften Beifall zollenden Publicum vor sich."
lin Vergleich, den Moscheles bei einigen bereits in Leip-
zig aufgefiihrten Nummern zu machen Gelegenheit hatte,
lei nicht zu Gunsten der Dresdener Krafte aus.
1817—1820.
( In diesen Jahren, in die jedenfalls weitere Kunstreisen
[fallen, ist (bis zur Ankunft Moscheles* in Paris) das Tage-
buch nur luckenhaft gefuhrt. Hier einige Notizen iiber
las Jahr 1820. Moscheles beginnt das Jahr in Wien, von
[wo aus er sich zunachst nach Miinchen wendet. Er be-
theiligt sich dort an grosseren Auffiihrungen und lasst
dann selbst zwei Concerte folgen. Seine Briefe fiihren ihn
beim Prinzen Eugen von Leuchtenberg und bei Ho'fe ein.
Der alte Konig Max ist gut und liebenswiirdig gegen
Bhn; erst hat er Audienz, dann spielt er vor den Majestaten
H- ' i
- 38 -
im Hofzirkel, wird nochmals in einer Audienz empfangen
und mit einem Brillantring beschenkt. Eine Nadel mit
einem brillantenem E. auf griinem von Brillanten ein-
gefassten Grunde (ein Geschenk des Prinzen von Leuchten-
berg) wird noch mit Pietat bewahrt.
Nachdem er in Augsburg bei der Exkonigin Hortense
gespielt, macht er einen Abstecher nach Holland. In
Amsterdam giebt er vier Concerte, im Haag eins. Dort
sah er zuerst die herrliche Nordsee und verzeichnete in
sein Tagebuch die gewaltigen Eindriicke, die ihm dieser
grossartige Anblick erweckt. Dort war es auch, wo er
sein G-moll-Concert in Angriff nahm und gliicklich be-
endete. Er sagt: „Da ich taglich [das melancholische
Glockengelaute des nahen Kirchthurms horte, so-war es
natiirlich, dass ich die Moll-Tonart wahlte und das erste
Stuck als Malinconia bezeichnete." Die erste Probe des
Concerts. fand in der „Liebhaber-Gesellschaft" statt, und
es gefiel; aber gewiss hat keiner der damals Anwesenden
dieser Composition das lange Leben prophezeiht, dem sie ent-
gegenging, ohne dass der Autor selbst es zu hoffen wagte.
Es folgen als weitere Concerts tationen Aachen, Frank-
furt , Mainz und Coblenz. Ueberall wird musicirt und
Musik gehort; Bekanntschaften mit Kiinstlern werden
angeknupft und erneuert. Dann geht's in's belgische
Land hinein, nach Brussel; „das ist die Vorbereitung fur
Paris, in Sprache und Sitte." Das musikalische Leben in
Brussel war damals ein sehr reges; Moscheles wurde freu-
dig begrusst und haufjg zu Concerten herangezogen.
Am 29. December 1820 erreicht er endlich Paris und
steigt im Hotel de Bretagne ab. „Der Eindruck, durch das
Gewoge von Menschen zu fahren, die die Strassen anfiillten
und in den schimmernden Gewolben einkauften, wird mir un-
vergesslich bleiben. Als ich am Morgen des 30. December
ausging, wer trat mir entgegen? Freund Spohr. Gute
Vorbedeutung! Die Freude war beiderseits gross, wir ver-
liessen uns lange nicht und schlenderten selbander fiber
den Boulevard des Italiens. Spater ging ich mit ihm in's
Palais royal, und am Abend in die italienische Oper, wo
— 39 ^
wir Don Juan horten, und, was mich wunderte, unzer-
stiickelt; die Mainville-Fodor war eine reizende Zerline,
alles Andere brav. Es war aber auch schwer gewesen,
Eintritt zu erhalten. Das Gedrange war so gross, dass wir
einen Mann anstellten, urn uns Karten zu nehmen."
1821.
In den ersten Wochen dieses pariser Aufenthalts
Fwird die Stadt nach alien Richtungen durchlaufen und der
I Genuss an" dem Neuen, nie Gesehenen in's Tagebuch ver-
zeichnet. Ausserdem beschaftigt sich dasselbe hauptsachlich
mit Spohr, Notizen, die wir jedoch grosstentheils uribenutzt
lassen, da die seit Spphr's Tode publicirte Autobiographie
uber sein Leben und "Wirken in der musikalischen Welt so
eingehend wie moglich Aufschluss giebt. Moscheles traf
ziemlich regelmassig mit Spohr im Hause des Baron
Poifere de Cere zusammen. Letzterer gab allsonntagliche
;Morgerranterhaltungen, bei denen die Aristokratie der
Kiinstler ebenso sehr wie der grossen Welt zahlreich ver-
jtreten war. Dort spielte Spohr sein Nonett mit folgender
luntadelhafter Besetzung:
Guillon: Flote,
Doprat: Horn,
Voigt: Oboe,
Baudioi.: Cello,
Eouffet: Clarinette, •
Laimes: Contrabass.
Spohr hatte Moscheles fur eine dieser Matin^en sein
Clavier -Quintett in Es mit Blasinstrumenten anvertraut,
:das mit grossem Enthusiasmus angehort wurde. Ausser-
dem musste Moscheles improvisiren und that es mit be-
sonderer Inspiration, da er auch Kreutzer und Reicha zum
ersten Male unter seinen Zuhorern wusste. Spohr besuchte
mit Moscheles die Reicha'schen Quintett-Unterhaltungen
und Sina'schen Quartette, und beide freuten sich, in der
franzosischen Weltstadt unsere grossen Meister Haydn,
Mozart und Beethoven gut ausgefiihrt und sehr bewundert
zu horen. Wie sehr es Moscheles am Herzen lag, die von
*.-*- jr.jrt-^,:
— ■ 40 —
i
ihm verehrten Kunstbriider auch von der Welt anerkannt
zu sehen, zeigt folgende Stelle im Tagebuch: „Warum
kann Spohr hier keine allgemeine Begeisterung erregen?
Will der franzosische Nation alstolz nur die eigene Geiger-
schule als die erste in der Welt gelten lassen? Oder ist
Spohr zu wenig mittheilend, zu abgeschlossen fiir den
pariser Weltton? Genug, er hat heute seine projectirte
Abendunterhaltung wegen Mangel an Theilnahme auf-
geben miissen, was mich. wirklich verdriesst. Gestern hat
er in einer Soiree (im Valentin'schen Hause) sein E-dur-
Quartett ganz ohne den verdienten Beifall gespielt, ein
Mann wie Spohr!" Spater heisst cs: „Bei Baillot, der fiir
Spohr und mich eine echte Kiinstlersoiree veranstaltete,
ward ihm der echteste Enthusiasmus zu Theil. Er spielte
Quintett von Boccherini, Quartett von Haydn, sein 9. Concert
und Capricen, und wir beide theilten uns, nachdem auch
ich viel gespielt und zunl Schluss improvisirt hatte, in
dieser, so wie in einigen anderen Kiinstlersoireen briider-
lich in den Beifall." Es mag aber nichts Geringes um
diesen Beifall gewesen sein; denn wir lesen im Tagebuche
die Namen: Cherubim, Auber, Herold, Adam, Lesueur,
Pacini, Paer, Mazas, Habeneck, Plantade, Blangini, Lafont,
Pleyel, Jvan Miiller, Strunz, Viotti, Ponchard, Pellegrini,
Gebriider Bohrer, die Sanger Nadermann, Garcia u. a. m.
als Zuhorer. Martinville, Mangin, Bertin, die Haupt-
journalisten, fehlten nicht bei solchen Gelegenheiten, auch
die Verleger Schlesinger, Boieldieu, Lemoine sowie die In-
strumentenmacher Pape, Petzold, Erard und Freudenthaler
waren oft zugegen. Was diese Herren betrifft, so ward
Moscheles oft unangenehm von ihren Rivalitaten beriihrt.
Pape's Fliigel sagten ihm am meisten zu, bei denen Erard's
hatte er damals durch den leichten Anschlag der Wiener
Instrumente verwohnt, mit der Schwere der Hammeraus-
losung zu kampfen.
Die grosse Welt zog Moscheles immer mehr in ihre
Kreise, theils, um sich Lectionen geben zu lassen, theils,
um ihn bei ihren Soirtien thatig zu sehen. Stets aber
hielt er fest an seinen allmorgendlichen Clavieriibungen
— 41 — '
und an den Compositionen, die ihn eben beschaftigten.
„Ist diese Arbeit gethan", sagt er, „dann stiirze ich mich
gern in die Freuden dieser Weltstadt." Einladungen zu
Diners, Ballen und sonstigen Festen stromten ihm zu.
Besonders musikalische Hauser waren die der Princesse
rVaudemont, der Marquise de Montgerault, die selbst spielte,
ja sogar eine gediegene Clavierschule herausgab, der Fiir-
tin Ouwaroff, der Mme. Bonnemaison, welche „hiibsch
iang", und des M. Mesny, dessen Tochter Moscheles
jeine Variationen iiber das „Au clair de la nine" dedicirte.
ber auch beim preussischen Gesandten Baron Goltz und
nderen Diplomaten und Hochadeligen wurde musicirt und
inirt, und was die Finanzwelt betrifft, so wetteiferten
ie Hauser Lafitte, Rothschild, Rougemont, Fould,
orms u. s. w. in einer Gastfreiheit, die mit fiirstlichem
.uxus- auftrat. Auch die Familien d'Hervilly, Matthias
nd Valentin machten schone Hauser. „Dort ist es
Lveniger grossartig, dafur aber gemuthlicher", sagt Mo-
icheles. Bei Valentins lernte er deren Schwager August
eo, den Freund und Beschiitzer vieler Kiinstler intim
ennen, ohne zu ahnen, in welche verwandtschaftlichen
eziehungen er spater zu Beiden treten wurde.
Pankouke, der erste Herausgeber eines Goethe in fran-
sischer Sprache, sowie seine Frau nahmen ihn besonders
erzlich auf. „Sie waren so enthusiastisch fiir mich, dass
e mich bei meinem Eintreten in ihre zahlreiche Gesell-
fchaft am i. Februar mit Handeklatschen, wie bei einer
ffentlichen Production, empfingen".
Auch mit dem beruhmten Phrenologen Gall kam er
lamals in nahere Beruhrung. „Er kannte mich nicht,
ntersuchte aber meinen Schadel auf Veranlassung einiger
Treunde und fand ausser bedeutendem musikalischen Or-
ran noch Mathematik, Lust zum Reisen, Orts- und Per-
lonengedachtniss ! ! "
Entnehmen wir hier dem Tagebuch die Beschreibung
iines Tages (des 28. Januar), der in seiner Geschaftigkeit
™hl als richtiger Massstab fiir manche andere Tage dieses
jariser Aufenthalts gelten kann. „Morgens fiihrte Herr
— 42 —
Strunz den Clavierspieler Rigel zu mir, dem ich vorspielte.
Um ii Uhr probirte ich. bei Paer fur heute Abend mit
Baillot mein Caprice und Potpourri, auch Variationen, die ich
ihm begleitete. Nachher ging ich mit ihrn, oder vielmehr
wir liefen en carriere zur Hofkapelle in den Tuilerien, wo
wir eine herrliche Messe von Cherubini meisterlich auf-
fiihren horten. Die Aufftihrung, unter Mitwirkung eines
Kreutzer, Baillot, Habeneck, konnte nur ausgezeichnet sein.
Plantade dirigirte, und Cherubini, den ich sprach, war
unter den Zuhorern. Von da aus ging ich mit Spohr zur
Probe von Lafont's heutigem Concert im Theatre Favart.
Ich begleitete Spohr nach Hause und wir discutirten lange
und eifrig mit einander. Mit Schlesinger speiste ich in
dem beriihmten, aber theuren Restaurant Freres Provencaux
(so luxurios bin ich aber nicht immer). Dann machte ich
Toilette zur Soiree bei der Herzogin v. Orleans, zu welcher ich
mit;Paer, Levasseur und Mr. und Mme. Rigaud-Pallard fuhr.
Es war grosser Hofzirkel. Ausser den Vocalsachen von
obengenannten Sangern ausgefuhrt, spielte ich mit Baillot
mein Potpourri und musste meiner ersten Improvisation
noch eine zweite nachfolgen lassen. Die Aufnahme war
-eine ausserst gunstige."
"Was nun Moscheles' offentliche Unternehmungen be-
trifit, so machten sie ihm manche Schwierigkeit. Es wurde
viel mit dem Marquis Lauriston und Mr. de la Ferte ver-
handelt, ehe es dazu kam, den 25. Februar zu seinem Con-
cert im Theatre Favart bestimmen zu konnen. Ueber den
Concerttag (25. Februar) findet sich im Tagebuche folgende
Notiz: „*Vormittags war ich noch beschaftigt, Posaunen zu
meinem Concerte zuzusetzen. Mit Vertheilung der Logen
und Freibillette war ich auch sehr beschaftigt. Nach-
mittags ging ich in's Theatre Favart, um mein Instrument
von Pape zu probiren. Es war seit der Probe durch einen
eigenen "Wachter gehutet worden, damit der Neid der
anderen Instrumentenmacher ihm keinen iiblen Streich
spieled konnte. Das Concert ging glucklich von Statten.
Der Besuch und die Einnahroen waren ebenso glanzend,
als der kiinstlerische Erfolg. Ein besonderer Vorfall, der
■■■ y.\,P
— 43 ~
sich heute ereignete, liess mich die G-efahr wahrnehmen,
der ein Kunstler hier ausgesetzt ist, wenn er die Formen
der Artigkeit 6'ffentlich verletzt. Der Sanger Bordogni
wurde namlich ausgepfiffen , weil er aus Vergesslichkeit
oder Absicht, nach. seinem Duett mit Dlle. Cinti ihr nicht
die Hand reichte, um sie zuriickzufuhren".
Ausser diesem Concert gab Moscheles noch eins mit
afont in der Salle Favart (18. Marz) und spater noch vier
soir^en mit ihm, die vierte und letzte am 20. Mai zum Besten
iner armen Familie. Sie spielten wiederholt ein Pot-
ourri iiber Gluck'sche, Mozart'sche und Rossini'sche The-
en, welches sie zusammen componirt hatten, und dieses
brfiihren und Verschmelzen von Gedanken aus so ver-
chiedenen Kunstschulen machte grosses Gliick. Die feine
elt patronisirte die Unternehmungen beider Kunstler in
aris so sehr, dass sie auch in Versailles zusammen Con-
ert gaben und hochst zufrieden mit dem Erfolg waren.
er Graf Senzillon hatte dort Alles ftir sie arrangirt, sie
amen mit Clavier und Geige an, hielten Probe, wander-
en dann in Schloss und Park umher, spielten mit dem
rossten Beifall und strichen ihre Einnahme ein. Ueber
font bemerkt Moscheles: „Er war ein siisslich sentimen-
aler Sanger, nicht nur auf seiner Geige, sondern auch
it der Kehle, und wusste durch seine Romanze „La
rme" den Augen der Schonen gar manche Thrane zu
intlocken. Seine Frau sang auch Romanzen, und da sie
o schon als stimmlos war, so schrieb die spitzige Feder
ines Kritikers nach einem Concert, in dem sie aufgetreten
|war: „Mme. Lafont a chante; elle a de beaux yeux."
Manchmal versammelte Moscheles das lustige Kiinstler-
volkchen in seiner Wohnung, „wo denn bis 3 Uhr musicirt,
punschirt und soupirt wurde; wer nur spielen, blasen oder
singen konnte, war da, und Alles spielte, blies und sang
nach Herzenslust" „Ueberhaupt ist's eine lustige Zeit",
schreibt er einmal: „Freilich bei dem letzten Rothschild'-
schen Staatsdiner, in Gegenwart von solchen Notabilitaten,
vvie Canning oder Narischkin, musste ich sehr bescheiden
uftreten." Die Einladung zu ihrem grossen, brillanten,
— 44 — -
aber steifen Ball erscheint ihm als eine „hochst fragliche
Ehrenbezeigung." „Schon das Hinfahren in der unabseh-
baren Queue langweilte mich", sagt er; zuletzt stieg ich aus
und lief hin. Dort hatte icb auch keine Freuden. Da-
gegen riihmt er die Auffuhrungen Gluck'scher Opern im
Erard'schen Hause; die Concerts spirituels entziicken ihn.
„Wer wiirde mich nicht um diesen Genuss beneiden. Sie
sind mit Recht weltberiihmt; dort bore ich mit dem ge-
messensten Ernst zu."
Aber auch an heiteren Episoden feblt es nicht: „Mein
Essen mit Carl Blum und Schlesinger beim Restaurant
Lemelle ist immer lustig genug. Gestern ging Schlesinger
in seinen Neckereien iiber meine Langsamkeit beim Essen
so weit, dass er die dumme "Wette mit mir machte, er
werde drei Dutzend Austern essen, wahrend ich eins ver-
zehrte, und er hatte Recht. Als ich aber sah, wie nahe
er daran "war, zu gewinnen, legte ich mich aufs Gesichter-
schneiden, und wusste ihn durch meine albernen Fratzen
so in's Gelachter zu bringen, dass er 'nicht weiter essen
konnte; ich gewann und er zahlte die Zeche."
Am 20. Marz finden wir eine interessante Notiz. „Ich
brachte den Abend bei Ciceri, dem Schwiegersohn des
beruhmten Malers Isabey zu, wodurch ich in einen der
interessantesten Kunstlerkreise eingef iihrt wurde. Im ersten
Zimmer waren die beriihmtesten Maler versammelt, die zu
ihrer Unterhaltung Verschiedenes zeichneten, mitten unter
■ ihnen Cherubini, ebenfalls zeichnend. Mir, wie jedem neu
Eingefiihrten, ward die Ehre, sich in Carricatur portraitirt
zu sehn; Begasse iibernahm mich und fuhrte sein Bild
gelungen aus. Im andern Zimmer waren Musiker und
Schauspieler, unter ihnen Ponchard, Levasseur, Dugazon,
Panseron, Mile, de Mirack, Dlle. Livere vom Theatre f rancais.
Das Interessanteste unter, ihren Leistungen, bei denen ich
nur den Zuhorer machte, war ein-Singquartett von Cheru-
bini, unter seiner Leitung ausgefuhrt. Spater bewaffnete
sich die ganze Gesellschaft mit grosseren und kleineren
Mir li tons und fuhrte auf diesen eintonigen, aus hart em
Holze, ja zuweilen aus Zucker fabricirten Pfeifchen, nach
— 45 —
Art der russischen Horntnusik die Ouvertiire zu Demophon
auf, wobei zwei Backpfannen die Pauken vertraten." Am
27. Marz wiederholte sich dieses Mirliton-Concert bei Ciceri,
und diesmal -betheiligte sich Cherubini activ daran. Mo-
scheles berichtet Tiber jenen Abend: „Horace Vernet unter-
hielt uns mit seinem Bauchrednertalent, M. Salmon mit
em nachgeahmten Horn und Dugazon sogar mit einem
lirliton-Solo. Lafont und ich vertraten die ernste Musik,
er schliesslich auch ihr Recht wurde."
Ueber die Theater, die Moscheles der Reihe nach fast
lie besuchte, firiden wir manche interessante Notiz. In
ranconi's Cirque olympique, im Faubourg du Temple, sah
r Ugolino's haarstraubende Geschichte, in der ein Thurm
instiirzt und sonstige grausige Dinge vorgefuhrt worden,
ie die Maschinerie in Bewegung setzen. In der Porte
t. Martin machte die Parodie „Les petites Dana'ides" und
esonders Potier's ultirakomisches Spiel Furore. In den
arietes lachte man bei den Stiicken aus Scribe's erster und
ester Zeit (L'ours et le Pacha, die Champenoise, die
bitures versees u. a.) Im Gymnase dramatique bezaubert
hn die Erscheiming und das Spiel der' schonen Schau-
pieler in Esther; Perlet's Komik ist „zum Todtlachen"; und
:,fiir Talma's Mithridates giebt es keine Worte". Die jeune
brnme colere der Mars entlockt ihmdieBemerkung: „Diese
osse Kunstlerin muss innig verehrt in der Erinnerung
es Gliicklichen leben, der sie gesehen hat".
Mit dem grossten Interesse besuchte er die Graber
ousseau's, Voltaire's; mit jugendlichem Enthusiasmus be-
trachtete er die zahlreichen Denkwiirdigkeiten und Kunst-
schatze der Weltstadt, sowie ihre Umgebungen bei heran-
nahendem Friihling. Das Alles ist im Tagebuch nur kurz
angedeutet. Ganz Musiker, macht er immer wieder mu-
sikalische Notizen. So z. B. „Fruh fuhr ich mit Lafont
in's Hotel de Ville, wo die neue Cantate von Cherubini und
das Intermede von Boieldieu und Berton, fur die Taufe
des Herzogs von Bordeaux geschrieben, probirt wurden,
Erstere unter der Leitung des grossen Meisters. Sein
schneidendes Stimmchen unterbrach wahrend des Tactirens
^ 46 -
zuweilen die Begeistefung, in die ich durch seine Nahe
und Composition versetzt ward. Die ganze herrliche Ka-
pelle mit all ihren Notabilitaten fungirte. Der Prafect
Graf Chabrol und Gemahlin, die ich bei dieser Probe traf.
waren iiberaus freundllch gegen mich und boten mtr auf
die schmeichelhaf teste Art ein Billet zum Festball bei
Gelegenheit der Taufe an. Abends wohnte ich der Ge-
neralprobe der Oper bei, welche Cherubini, Paer, Berton,
Boieldieu und Kreutzer fur die Taufe componirt hatten.
Der Schlusschor von Cherubini machte einen unauslosch-
lichen Eindruck auf mich. Jeder Meister leitete seine
eigenen Stiicke und Cherubini wurde jubelnd applaudirt.
30. April. „Vormittags wieder bei der Probe des Inter-
mede zur Taufe im Hotel de "Ville unter Leitung der
Verfasser Boieldieu und Berton. Die Damen Rigaud-
Pallard und Boulanger, M. M. Ponchard und Huet sangen.
Ein ungeheures Gewiihl von Menschen und Equipagen
zeigt heute schon auf interessante Weise den Beginn
der grossen Festivitaten an."
1. Mai. „Heute wurde der kleine Herzog v. Bordeaux
getauft und da sich ganz Paris auf den Strassen befand,
konnte auch ich wenig zu Hause bleiben. Ich sah den
Zug wie er sich nach der Kirche Notre Dame begab, dann
war ich in den Tuilerien, wo die Herzogin auf dem Balcon
den Taufling dem enthusiasmirten Publicum zeigte, Abends
in Gesellschaft von Freunden bei der Illumination, die be-
sonders im Garten der Tuilerien feenartig erschien."
„Am z, Mai geht endlich die Auffiihrung des Inter-
mede in der Salle au St. Esprit im Hotel de Ville in glan-
zender Weise vor sich."
9. Mai. „Heute spielte ich im Hotel de Ville, wo die
Stadt Paris den Deputirten der Provinzen {des bonnes
villes) ein grosses Bankett gab. Cherubini, Boieldieu und
Berton hatten die Direction des Ganzen. Das Intermede
wurde wiederholt; audi Lafont wirkte mit."
r3- Mai. ,,Heute ging ich mit Freunden nach der
Villette, wo die Einweihung des Canals St. Denis als Fort-
setzung der Feierlichkeiten stattfand. Der Hof fuhr in
— 47 —
buntgeschmiickten Gondeln und kleinen Segelschiffen dar-
auf hin und her, und Alles drangte sich herzu und ju-
bilirte." Dieser Hof mit seinem Jubel, dem angebeteten
Taufling und der gliicklich stolzen Mutter solltel wie so
manche andere franzosische Dynastie, in Nebel zerfliessen.
Mit den Festlichkeiten naherte sich audi Moscheles'
Aufenthalt in Paris dem Ende. „Zum Abschluss kann
ich," sagt er, „meiner Mutter das giinstigste Resultat dieses
pariser Aufentbalts in kunstlerischer wie in materieller
Hinsicht melden. Die soil es mit geniessen".
Wir haben schon erwahnt, wie der fruhe Tod des
Vaters seine Witwe und die funf jungen Kinder ganz un-
versorgt zuriickliess. Von diesem pariser Aufenthalte an
zieht sich durch Moscheles' Leben wie ein rother Faden die
Freude, fiir seine Mutter und seine Schwestern zu sorgen;
auch um den Bruder, dessen schwachliche Gesundheit ihn
zu keiner ganzlichen Unabhangigkeit koraraen liess und
um dessen Geschaft war Moscheles unausgesetzt bemiiht.
. Die intimsten pariser Freunde wetteiferten noch in
Freundlichkeiten und Abschiedsdiners; Moscheles selbst gab
ihnen eins bei den Freres Provencaux und traf dann seine
Anstalten zur Abreise. Diese Abreise fand am Morgen des
23, Mai statt, und erst am 24, Abends erreichte die Mes-
sagerie Calais bei ungiinstigem Wetter, Der Wind war con-
trair, so contrair, dass kein Segelschiff den Hafen verlassen
konnte, und so durfte er sich erst am* 26. einschiflen. „Ein mir
unvergesslicher Tag!" erzahlter. „Wir verbrachten vierzehn
voile Stunden auf dem bewegten Meer, ich mit allem Leid
der Seekrankheit beschwert. Alswir uns endllch um Mitter-
nacht Dover naherten und der Steward das Geld fur die
Ueberfahrt von mir verlangte, hatte ich nur noch die Kraft,
ilim den Weg zu meiner gefiillten Tasche anzudeuten."
„For shame (welche Schande), rief der Mann aus, ein Courier
und so seekrank!" Und woher ward mir dieser Titel
eines Couriers? Man hatte mir auf der osterreichischen
Gesandtschaft das grosse Packet meiner Musikalien mit
dem kaiserlichen Siegel und der Aufschrift „Depeschen"
versehen, damit ich steuerfrei reisen und uberall schnell
- 4 8 -
expedirt werden konne; so hielt mich der Steward fiir
einen oft hinuber- und heriiberrelsenden Depeschentrager.
Als wir in Dover landeten, erholte ich mich schnell und
fuhr am folgenden Morgen in der Mail ab, die mich in
zwolf Stunden nach London brachte. Er ahnte nicht, dass
London in nicht langer Zeit seine zweite Hsimat werden
sollte.
VIERTER ABSCHNITT.
LONDON UND PARIS.
3 821 — IS25.
Moschek's' Lebc-n.
-'',V^ ■■?,K:\
^',4
1821.
„Gestern", erzahlt das Tagebuch am 28. Mai, „erreichte
ich Abends den Golden Cross Gasthof in Charing Cross.
Als ich heute friih den Platz bewunderte und dies dem
Kellner mittheilte, meinte er ganz gelehrt, es sei auch ein
historisch merkwiirdiger Ort. Als man den Leichnam der
Konigin Eleonore, der Gemahlin K6nig Eduard's I., In die
Westminster- Abteigetragen, um ihn dort beizusetzen, habe
man an alien Stationen, wo der Trauerzug gehalten,
Kreuze errichtet; so sei aus dem Dorfe Charing, das da-
mals diesen Platz und seine Umgebungen einnahm, Charing
Cross geworden. Mir war das neu, denn ich hatte mich.
damals noch nicht viel um die Geschichte Englands ge-
kummert."
Aber auch das wusste Moscheles nicht — konnte er
sich nicht traumen lassen, dass London kiinftig seine zweite
Heimath werden sollte. Fiir's erste stiirzte er sich hier
in der Metropofe des grossen Inselreichs, wie in der Welt-
stadt Paris, voll jugendlichen Feuers in das Musik- und
Salonleben. Er wollte vor^Allem horen und gehort wer-
den — und dazu fand sich in London ebensoviel Gelegen-
heit, wie in Paris. Kiinstler auf seinem Instrument, wie
J. B. Cramer, F. Ries, Kalkbrenner traten mit ihm in die
Schranken; Manner wie Clementi sassen unter den Preis-
richtern. (Moscheles spielte damals vorzugsweise auf
Clementi'schen Fliigeln. Die Fabrik fiihrte den Namen
4*
— 52 —
Qementi & Co., und dieser Name burgle fur die Giite der
Claviere, wahrend zwei Briider Collard die Geschafte des-
Hauses betrieben).
Ueber den Collegen Cramer schreibt Moscheles: „Er
sauselt seinen Mozart und seine eigenen Mozartahnlichen.
Compositionen , ohne mich und meine Bravour anzufein-
den; ja, er zollt mir vielmehr offentlich und privatim
die aufricbtigste Anerkennung, die ich ihm ebenso auf-
richtig vergelte. Ich bin Hausfreund bei ihrn, und bin
ihm sehr dankbar Fur das Interesse, welches er meinem
qffentlichen Auftreten und dessen Vorbereitungen schenkt..
Cramer ist geistreich und unterhaltend und gleich vielen
derart begabten Menschen, beissend satyrisch; ja er
verschont seine eigene Schwache nicht, indem er seine-
Vorliebe fur geistige Getranke dadurch persiflirt, dass er
-von einer, sich iiber seine Nase schlangelnden, verdachtig
rothblauen Ader sagt: „C'est Bacchus qui m'a mis son
pouce la; ce diable de Bacchus!" Er spricht namlich vor-
z.ugsweise franzosisch, weil er lange in Frankreich gelebt
bat, zeigt auch in seinem Wesen, dass er einen Theil seiner
Jugend in diesem Lande zugebracht hat." Er hatte seine
schone Frau in ihrer friihesten Jugend geheirathet, nach
ihrem Tode aber ein zweites Ehebiindniss gekniipft, welches
bis ill seinen Lebensabencl hinein ein gliickliches blieb.
Dieser war ein hdchst bescheidener, weil er in seinem
Alter mit seiner Frau viele Jahre von einer sehr kleinen
Pension leben musste, die ihm das Haus Cramer, Beale
and Co. auszahlte. Sein beruhmter Name war fur das-
Musikgeschaft ein werthvolles Kapital.
„Zur Warnung", fahrt das Tagebuch fort, „will ich
hier anfiihren, dass Cramer einer der leidenschaftlichsten
Schnupfer ist. Gute Hausfrauen behaupten, man musse-
nach jedem Besuch des grossen Meisters den Boden sau-
bern, wahrend ich al's Clavierspieler es ihm nicht ver-
zeihen kann, dass er seine aristokratisch langen schmalen
Finger mit ihren schongeformten Nageln durch den Ge-
brauch des braunen Krautes verunziert, ja durch das
Uebermass dieses Gebrauches die Tasten nicht selten in's.
- — 53 — ■
Stocken . bringt, Diese schlanken gut gebildeten Finger
spielen vorzugsweise legato; sie pflegen bindend von einer
Taste zur andern zu gleiten, und Oktaven- wie Staccato-
Passagen womoglich zu vermeiden. Cramer singt auf dem
Clavier so, dass er ein Mozart'sches Andante beinahe in
-einen Vocalsatz umwandelt; ich muss es riigen, dass er
.sich die Freiheit nimmt, seine eigenen oft recht kleinlichen
"Verzierungen hineinzuweben."
Spater heisst es: „Seine neu componirte Sonate in
D-moll macht mir grosse Freude und unser freundschaft-
liches Verhaltniss kniipft sich fester durch das aufrichtige
Lob, das ich ihm dafur spende."
UeberRies lesen wir: „Auch mit Ferdinand Ries habe
ich sehr gluckliche musikalische Stunden, da ich be-
gierig die Gelegenheit erfasste, den Mann kennen zu ler-
nen, dessen herrliches Cis-moll-Concert ich in Wien der
Oeffentlichkeit vorfiihrte."
Einer will nun immer den Andern horen, sich an
seinen friiheren und neuesten Werken erfreuen, und in
vierhandigen Stiicken die, beiderseitigen Krafte erproben.
Die grosse Verehrung vor dem Meister Beethoven, dessen
Schiiler Ries war, musste sie zu einander ziehen und ein
dauerndes Freundschaftsband zwischen ihnen kniipfen.
Oeffentlich spielte Ries damals nicht mehr; er lebte ganz
.seinem Beruf des Musikunterrichts und des Componirens;
Beides trug ihm Geld und Ehre ein, sodass er sich schon
im Jahre 1824 als wohlhabender Mann und geachteter
Kiinstler mit seiner liebenswiirdigen Familie auf ein Gut
J* in der Nahe von Bonn zuriickzog. Auch dort componirte
er viel, und seine Claviersachen, besonders die Sonaten mit
Violine, waren in Wien sowie in anderen deutschen mu-
sikalischen Stadten sehr beliebt. Was aber Orchester-
werke betrifft, so war er darin nicht gliicklicher, als Cle-
men ti. Symphonieen von Beiden wurden in Philharnaoni-
schen Concerten in London ganz erfolglos aufgefiihrt; sie
verschwanden spurlos voni Repertoire und wussten sich
auch in anderen Landern keine Heimath zu griinden.
Den grossten Theil seiner Erholungsstunden brachte
— 54 —
Moscheles mit Kalkbrenner, dem Harf en spieler Dizi urict
dem Musikhandler Latour, Associe des Hauses Chappell, zu.
„Dizi", erzahlt er, „hat ein allerliebstes Haus in Crabtree
in der Nahe von London; eine hubsche Themsenfahrt
fiihrt dahin, und da mich die schwere Stadtluft plagt- und
mir einen nie gekannten bosen Kopfschmerz verursacht,
so veranlassen mich Dizi und seine Frau zu ofteren Be-
suchen, bei denen sie mir ein freundliches Schlafzimmer zu
Gebote stellen." Dort waren auch Kalkbrenner und Latour
als Stammgaste eingebiirgert, und dort wurde nach Herzens-
lust musicirt. Dizi war ein tiichtiger Kunstler auf seinem
Instrument, Latour ein eben?o eifriger Clavierlehrer als
Coraponist kleiner Stiickchen, die er in seinem eigenen
Verlag erscheinen liess.
Und Kalkbrenner? Die Welt kennt ihn als einen der
brillantesten Virtuosen seiner Zeit, und auch Moscheles
riihmt ihn als „Octavenhelden"; doch kannte er ihn
schon von Wien her als einen leichten, honigsussen,.
wenig zuverlassigen Menschen, im Umgang nicht un-
angenehm, zur Freundschaft untauglich. Er hatte da-
mals den duramen Streich gemacht, die Baronesse
die Tochter eines der ersten Hauser Wiens, in das Mo-
scheles ihn eingefuhrt, auf kurze Bekanntschaft hin mit
einem Heirathsantrag zu beehren, War natiirlich abgewiesen
worden und hatte nun Moscheles gerathen, „es doch auch
bei ihr zu versuchen", woruber dieser „nur lachen konnte"..
In London stellte Kalkbrenner eine Dame, mit der er ein
Landgut bewohne, als seine Frau vor. Das Landgut lag
in Frankreich und gehorte ihr, sie aber gehorte, wie man.
hinterher erfuhr, ihrem rechtmassigenEhemann, und spater
wollte sie nur dem Himmel angehoren, da sie ihre Tage-
reuig in einem Kloster beschloss. Damals — 1821 ward
sie Mme. Kalkbrenner genannt, und Moscheles hatte gern
eine Einladung auf das Gut nach beendeter Saison an-
genommen. Schon im nachsten Jahre indessen efschien
Kalkbrenner in London in der tiefsten Trauer und be-
weinte den Tod der im Kloster Biissenden mit alien
Zeichen des tiefsten Schmerzes vor seinen Freunden. Viele
xv'. "i ■ '■ '■ y.t-'a'i • '" '-: ; r: Vj *rs?\ '-~ i>ij. v" *■■'.'?-■
— 55
sprachen dem trauernden Gatten Muth zu, Viele sahen ihn
heisse Thranen vergiessen; einer seiner ausgezeichneten
Schiilerinnen schien es vorbehalten, ihn dauernd zu trosten;
doch erwiesen sich seine Absichten als sehr schwahkend,
er verliess England und da ihr Vater in gerechtem Zorn
drohte, Kalkbrenner'n vor Gericht zu belangen, sobald er sieh
in Albion sehen liesse, so ist er nie wieder erschienen, und
hat spater in Paris die vermogende Tochter eines fran-
zosischen Generals geheirathet, mit der er ein elegantes,
aber nicht sehr gemuthliches Haus fiihrte. Aus diesef
Ehe ging ein Sohn hervor, der Musiker ist und in Siid-
Frankreich lebt. Der Vater starb wohl friiher als noth-
wendig in Folge seiner Marotte, sich selbst homoopathisch
zu behandeln, statt einen der Wissenschaft kundigen Mann
zu Rathe zu ziehen.
Kehren wir zu den Tagebuchnotizen iiber Kalkbren-
ner aus dem Jahre 1821 zuruck. „Wir spielen oft vier-
handig mit einander, zeigen uns gegenseitig unsere Com-
positionen und leben kiinstlerisch kameradschaftlich. Ich
ehre in ihm, den Octavenhelden, wenn ich gleich seine
Manier, Octavenpassagen mit dem losen Gelenk zu machen,
nur schadlich finden kann," An einer anderen Stelle heisst
es: „Das Logiersche System (das zwei Schiller ein und
dasselbe Stuck einiiben lasst) macht hier einiges Aufsehen,
und gem lasse ich es mir auf Kalkbrenner's Wunsch, der
es sehr lobt, von dem verdienstvollen Erfinder und seiner
gescliickten Gattin praktisch exponiren. Ob ich es an-
wenden mochte? Ich glaube nicht. Der Geist soil mehr
iiben als die Finger; das ist die Hauptsache." Damals
drangten sich in London die verschiedensten Kunstler-
grossen zusammen. Da war Kiesewetter, der treffliche
Geiger, die sehr grosse Mara und die noch grossere
Catalani, ferner Dragonetti, der viele Jahre hindurch
den ersten Platz als Contrabassist mit Glanz behaup-
tete. Letzterer war ein Original vom reinsten "Wasser.
Moscheles erzahlt von ihm: „In seinem Salon in Leicester
Square hat er eine grosse Gesellschaft verschiedener
Puppen sitzen, worunter auch eine Mohrin ist. Kommt
_ 5 6 -
nun Besuch, so sagt er, diese odef jene der Damen
werde dem Eintreteiiden schon Platz maclien, er moge nur
naher kornmen, fragt auch wohl die naheren Bekannten
nach dem besseren oder schlechteren Aussehen der Lieb-
lingspuppen seit ihrem letzten Besuch, und was der Thor-
heiten mehr sind. Er schnupft entsetzlich viel aUs einer
Riesendose und hat auch erne Riesensammlung anderer
Dosen. Das Sonderbarste an ihm ist aber seine Sprache
— ein wahres Kauderwelsch, in dem sich sein eingebore-
nes Bergamasco mit schlechtem Franzosisch und noch
schlechterem Englisch mischt".
Gleich in den ersten Tagen seines Aufenthalts be-
sucbte Moscheles His Majesty's Theatre (Haymarket), und
war nicht wenig frappirt, dass man der lastigen Sitte ge-
mass, in Schuhen und Striimpfen und naturlich in Frack
und weisser Cravatte erscheinen musste. „Es war gut,
dass ich zum ersten mal nur den „Turco in Italia" mit seiner
leichten seichten Musik zu horen bekam, denn nunkonnte ich
mich ganz meinem Entzucken uber den herrlichen Gesang
einer Camporese, eines Ambrogetti hingeben, konnte meine
AUgen von meinem Parterresitz aus an der glanzenden
Gesellschaft in den Logen weiden. Der Kreis reizend
schoner Damen in eleganter Toilette, in prachtigem Ge-
schmeide, bei fast tagesheller Beleuchtung nahm sich aus,
wie ein blendender Strahlenkranz".
Die englischen Opern, welche. im Drury lane-Theater
gegeben werden, interessiren ihn sehr, besonders. der San-
ger Braham, dessen wunderbar schoner Tenor durch die
Bildung, welche ihm seine Freundin Mme. Camporese ge-
geben, einen eignen Schmelz erhalten hatte. Aber auch
die meisten iibrigen Sanger rindet er vortrefflich geschult,
nur Miss Wilson, die Primadonna, weniger anziehend und
die Besucher des Drurylane-Theaters weniger elegant und
fashionable als die der italienischen Oper.
Die Theater-Scala herniedersteigend, besuchte er nun
das Surrey in der City und sah dort ein haarstraubendes
Melodrama, das er jedoch unerquicklich fand; mit Genuss
wohnte er dagegen an einem spateren Abend im eigent-
-V-;£i.'V.=
■ — 57 —
lichen Concertsaal, den Argyll-rooms, der vortrefflichen
Vorstellung einer kleinen franzosischen Truppe bei, welche
die Noblesse auf eigne Kosten, zu eignem Vergniigen
unterhielt. Das mit Franconi rivalisirende Astley-Theatre
gab den Gilblas mit grosser Pracht und vielem Beifall,
und auch dahin fiihrten ihn seine Freunde. Sie fiihrten
ihn aber auch in den Hyde Park, urn die Stunde, wo die
feine Welt London's dort protnenirte. Im Tagebuche be-
merkt er hierzu: „Meine Bewunderung der herrlichen
Pferde und Equipagen, der lassig imWagen zuriicklehnen-
den Schonen und der kuhnen Amazonen auf rauthigen
Rossen kohnte.mich aber nicht verhindern, der Worte
Byron's zu gedenken:
Those vegetable puncheons called Parks
With neither fruit nor flower to satisfy
Even a bee's slight munchings.
Denn etwas Kahleres, Baum- und Strauchloseres als
dieser Hyde Park ist mir nie vorgekommen." In spateren
Jahren fand er Gelegenheit, sich an den mit Blumen yer-
. zierten und so unendlich verschonerten Parks zu weiden.
Wie von den pariser Sehenswiirdigkeiten, so gibt
auch von London mit seinen oft beschriebenen Schonheiten
und Schattenseiten, seiner Bilderausstellung im Somerset-
house und anderen Kunstschatzen das Tagebuch nur fliich-
tige Kunde; ja nicht einmal bei seiner Bekanntschaft mit
den beriihmten Malern Gericault und Rochard verweilt er.
Die Musik nimmt ihn ganz ein, und sorgfaltig verzeich-
net er alle grossen und kleinen Erlebnisse auf diesem
Gebiete.
28. Mai: „Unter der Leitung Kiesewetters im Philhar- -
monic Concert gab man Beethoven's Pastoral-Symphonie
mit Wurde ausgefiihrt; nur die donnernden Pauken von
storendem Effekt; Arie aus Titus von Miss Goodall;
Violinquartett von Mozart, gespielt von Spagnoletti, Lindley,
Terzett aus Idomeneo, gesungen Mme. Salmon, Miss Goo-
dall, W. Begrez; Ouverture Lodoiska. — 2. Theil: Sym-
phonie in D von Mozart; Arie aus Judas Maccabaus, ent-
zuckend schon gesungen von Mme. Salmon; Septett fur
- 58 -
Harfe und Streichinstrumente: Dragonetti Bass, Bochsa
Harfe; Arie gesungen von Begrez; Ouvefture Egmont.
Die Ensemblestiicke dieses Concerts gingen mit besonderer
Pracision."
Am 30. Mai. „Den ausgezeichneten Flotenspieler Tu-
lon in seinem eigenen Concert (Argyll-rooms) gehort. Ein
Gemisch von Gesangstiicken der Damen Goodall, Vestris,
Camporese, Salmon, des Herrn Ambrogetti u. A. Dime.
Buchwald, eine sehr brave Schulerin von Kalkbreriner,
spielte ein Septett von ihm."
1. Juni: „Mit Clemen ti verabredetermassen in seiner
Clavier-Fabrik zusammengetroffen und ihm Einiges vorge-
spielt, woriiber er seine besondere Zufriedenheit ausserte.
Dann Visiten bei Eiirst Esterhazy, Prinz Leopold, Lord
Lowther, Castlereagh u.A. Abends horte ich Cramer im Con-
cert des Sangers Vaughan wieder ein Mozart'sches Con-
cert mit seltener Zartheit spielen. Die grossen Chore und
Gesangstiicke aus Handel'schen Oratorien, die heute zu
Gehor kamen, machtendurch die Pracision der Auffiihrung,
sowie durch die Begleitung der Orgel einen noch nie em-
pfundenen Eindruck auf mich."
6. Juni: „ Ancient-Concert (in den Hanover Sq re rooms),
wo Handel's Messias in seiner ganzen Grosse und einfachen
Wiirde gegeben wurde. Die Begleitung der Orgel in
kraftigen Stellen durch Blasinstrumente erganzt. Die
vorzijglichsten Sanger waren; Mrs. Salmon, Miss Stephens,
Mr. Vaughan. Auftallend war es mir, dass statt der
Knaben im Alt bejahrte Manner diesen Part mit der
Kopfstimme sangen. Das beriihmte Hallelujah wurde
ausserst langsam gegeben. Die obligaten Trompeten zogen
wieder meine Aufmerksamkeit und Bewunderung auf sich."
q. Juni: „Gegen Abend ging ich mit Cramer zum
Diner der royal Society of musicians. Die Mitglieder die^
ser Gesellschaft, einer milden Stiftung fur Wittwen und
Waisen, speisen alljahrlich einmal miteinander und laden
zahlreiche Freunde dazu ein. Das Couvert kostet 1 Guinea,
und irgend ein musikalischer Lord prasidirt. Sobald die
Speisen abgetragen sind, wird das Tischtuch entfernt, der
— 59 —
schon gebohnte Mahagoni-Esstisch mit frisehen Dessert-
weinen besetzt. Alsobald sieht man auf einer oberen
Galerie Damen erscheinen; es sind die Frauen und Toch-
ter der vornehmsten Kiinstler mit einigen auserwahlten
Freundinnen. Weissbebanderte Herren, die Stewards {Ce-
remonienmeister) des Diners, empfangen sie hoflichst und
weisen ihnen oben Sitze an. Von unten her erschallt das
Non nobis Domine, em vierstimmig"er Ganon im strengen
Styl, von dem jeder englische Kiinstler seine Stimme aus-
wendig kennt; — der Text besteht aus dem gewohnlich
gesprochenen Dankgebet Grace after meat. Nun kommt
eine vorgeschriebene Reihenfolge von Toasten, die von
einem dazu bestellten Diener, der hinter des Prasidenten
Stuhl steht, mit kraftvoller Lunge angekiindigt werden.
Der Kbnig und sein Haus, der President, die Marine, die
Armee, ihre Fiihrer, die Gesellschaft, zuletzt auch die Damen,
welche das Fest beehren, miissen hoch leben, und der Grad
der Theilnahme den die Anwesenden diesen toasts bezeigen,
besteht in einem starkeren oder schwacheren Aufstossen der
MessergriffeaufdenTisch, wobei dennGlaser und Flaschen
den sinnverwirrenden Larm completiren. Nur dann, wenn
ein zum Musiciren eingeladener Kiinstler zwischen den
toasts mit einem Solo hervortritt oder ein Redner solch.
ein Musikstiick ankiindigt und dadurch besondere Theil-
nahme erregt, bemiiht man sich, mit den Handen zu klat-
schen. Die Hauptrede, welche bei jeder dieser Zusam-
menkunfte gehalten wird, ist der Jahresbericht fiber die
Finanzen der Gesellschaft; ernst und sachverstandig
geht sie schliesslich dazu iiber, durch eine humoristische
Wendung die anwesende, nun schon durch Wein und
Musik belebte Gesellschaft, zu neuen Gaben fur den wohl-
thjitigen Zweck anzuregen. Das Haus Broadwood steht bei
diesen Gaben stets in erster Linie. Noch muss ich' der Ga-
lanterie der Festgeber erwahnen, die jedesmal ihre Damen
durch die Stewards in ein besonderes Zimmer, vor einen mit
Wein, Friichten und Kuchen bedeckten Tisch fuhren und
mit diesen guten Dingen erfrischen lassen."
ii. Juni. „Wichtiger Tag. Erstes Auftreten im letzten
— <5o —
Philharmonischen Concert und mit vielem Gliick. Ich
spielte mein Es-dur-Concert und die Alexander-Variatio-
nen. Dieses Stuck bekam wegen der Aehnlichkeit des
Thema's mit der Marseillaise von den Englandern den Bei-
namen the Fall of Paris, ein Umstand der mir spater in
r Paris unangenehme Auslegungen von den Blattern zuzog
Im 2. Theil spielte Kiesewetter mit grossem Beifall."
4. Juli. ,,Heute endlich war mein Concert in den Ar-
gyll rooms, das mir so viel Plage und Lauferei gemacht
hat. Das Concert und die Clair de lune-Variationen gin-
gen gut und wurden sehr giinstig aufgenommen; am giin-
stigsten aher die freie Phantasie iiber: My lodging is on the
cold ground. Cramer begleitete die Gesangstiicke am
Clavier, welche die Damen Salmon, Camporese, Ashes und
Herren Corri, Begrez, Braham ausfiihrten. Audi der
Geiger Mori unterstutzte mich."
ti. Juli. „Grosse musikalische Soiree bei Rothschild
auf seinem Landhause in Stamfordhill, fur die jetzt -\vegen
der bevorstehenden Kronung Georg's FV. anwesenden
fremden Minister, denen ich grosstentheils vorgestellt
vrarde. Sie und der alte Fiirst Esterhazy bezeigten grosse
Zufriedenheit iiber iriein mehrmaliges Spielen und Phan-
tasiren. Dazwischen liessen sich englische Vocal-Talente,
ein- und vierstimmig horen. Erst um 4 Uhr zu Hause ange-
langt."
ig. Juli. „Heute am Kronungstage postirte ich mich
schon fruh in die Nahe der Abtei, sah die feierliche Pro-
zession, den glanzenden Aufzug und das Bankett in West-
minster Hall."
Ehe er London verlasst, schreibt er noch sein Rondo
fiir Clavier und Horn, arrangirt die Chore aus Timotheus
fur Clavier, h6rt die neue Cavatine di tanti palpiti aus
Rossini's Tancred von der Catalani und 1st Abends bei
ihr zum Souper geladen. Endlich werden Abschiedsvisiten
gemacht, und als dabei die Reihe an den Fiirsten Ester-
hazy kommt, Iasst dieser ihm einen neuen Pass mit dem
Titel seines Kammervirtuosen uberreichen. Von der Lon-
doner Ktinstlerwelt nahm er unerern Abschied, desto
— 6i . — -
lieber von der Londoner Luft; „die schwere Londoner
Luft", lieisst es im Tagebuche, „die mir so oft PCopf-
schmerzen macht, ich verlasse sie gern!"
Und so geht es nach Frankreich zuriick, erst nach
Boulogne, dann nach Schloss Pralin zu Kalkbrenner.
Dort verbrachte er bis in den October hinein ein ang'e-
nehmes, ruhiges Landleben, natiirlich mit Musik verwebtr
die Frau sehr gebildet, war ihm eine liebenswurdige
Wirthin und er schrieb fiir sie, als Dank ' fur genossene
Gastfreundschaft, sein Rondo „la Tenerezza." Auch drei
Allegri di Bravura, die er Cramer dedizirte, und eine Po-
lonaise brillante in Es componirte er in dieser landlichen
Stille. Anhaltende Oavierstudien, Partiturlesen und fran-
zosische Lecture fullen den Rest seiner Zeit aus.
Kaum war er nach Paris- zuruckgekehrt, als ihn La-
font beredete, eine tournee in die Normandie mit ihm zu
machen, in den Stadten Rouen, Caen, Havre und Amiens
Concerte auf gemeinschaftliche Kosten mit ihm zu geben.
Moscheles willigte ein. Beide wurden iiberall sehr fetirt
und in der besten Gesellschaft freundlich aufgenommen,
sodass die Geschafte gut gingen. „Dabei hatten wir es
bewenden lassen sollen", erzahlt 'Moscheles. „Lafont aber
hattein meiner Abwesenheit zugesagt, auch in dem kleinen
Hafen Honfleur mit mir zu spielen, was er mir im Salon
einer der ersten Damen von Havre mittheilte. Diese warnte
sogleich und maclite bemerkbar: es hiesse viel zu weit
herabsteigen, in so einem Nest zu spielen. Ich aber wollte
meinen Freund nicht im Stich lassen, und reiste trotz
aller Zweifel mit ihm ab. Nun ist die See mir niemals
hold gewesen und da ich mich auf der kleinen Fahrt von
Havre nach Honfleur nicht eben gut befand, so briatete
ich den fur Lafont schwarzen Gedanken aus, mich gleich
bei meiner Ankunft durch Anschlag Unwohlseins halber
abmelden zu lassen, wusste auch Lafont zu diesem Schritte
zu bereden, und sah ihn richtig in die Druckerei wandern,
urn die Absage-Zettel zu besorgen. So aber sollte die
Sache nicht ablaufen; denn schon in der Druckerei wider-
setzten sich die hinzugekommenen Behorden und eilten zu
-i.W -..
— .62
mir in's Hotel, noch ehe ich Zeit hatte zu verbergen, dass
mir mein Mittagmahl vortrefflich schmeckte. Nun schtitzte
ich boses Zahnweh vor, wehrte mich, so gut ich konnte,
musste aber doch endlich nachgeben und den Enthusias-
mus von Honfleur fur mein Spielen entgegen nehroen.
Vielleicht verlieh ich diesem noch mehr Interesse als
gewohnlich, indem ich mich beraiihte, die Rolle des
„Souffrant" auch im Concertsaal vor dem PubUcum weiter
zu spielen. So lief die Sache leidlich ab."
Am 10. December traf er wieder in Paris ein, war
rasch wieder eingelebt und das fruhere bewegte Musik-
treiben begann von Neuem. Er nennt unter den mitge-
machten Soireen besonders eine bei der Herzogin von
Berry, welche Paer leitete, wo er viel spielte. Garcia,
Galli, Bordogni und die liebliche Fodor sangen. Spater
heisst es: „Ein Besuch des jungen Erard rief mich heute
in seine Klavierfabrik, um die neue Erfindung seines
Onkels Sebastian zu priifen. Sie bezweckt die raschere
Auslosung der Hammer und erscheint mir so wichtig,
dass ich dem Klavierbau durch sie eine neue Aera prophe-
zeihe. Der Anschlag ist mir iramer noch zu schwer, die
Papes und Petzolds angenehmer zu spielen, so bewunderte
ich freilich, makelte aber auch und trieb ihn zu neuen
"Verbesserungen an.
Den Jahresschluss bringt er „im engsten Freundes-
kreise bei August Leo angenehm" zu.
■■'■■■' '■-.' _'■ 63"'- -. '
1822.
Im Beginn dieses Jahres trat Malzel mit seinem Me-
tronom hervor, an dessen Erfindung er jahrelang gear-
beitet hatte. Da er es aber unehdlich schwer fand, ihm
Eingang zu verschaffen, so musste er sich durch seinen
Trompeter - Automaten und die Puppen, die Papa und
Mama herausquakten , die nSthigen Subsistenzmittel ver-
schaffen. Dass diese nicht immer ausreichten, beweist
eine spatere Notiz von Moscheles, „dass er die 500 Francs,
die er damals im Jahre 1822 in Paris sich von rair lieh, zu
bezahlen vergass". — -, Das Erscheinen eines neuen Werks
von Beethoven war stats ein Ereigniss fur Moscheles, Em
solches Ereigniss fallt in den Anfang dieses Jahres, in
welchem zwei neue Sonaten von Beethoven, (op. 109 u. no),
herauskamen. Er studirte sie mit dem grossten Eifer, ver-
senkte sich ganz in ihre Schonheiten und spiel te sie den
Kunstbriidern vor, hauptsachlich dem Ereunde August
Leo, dem er wahres „musikalisches Verstandniss und ein
anmuthiges Compositionstalent" nachriihmt. Urn ihn scharte
sich ein deutscher Kreis, dessen musikalischer Mittelpunkt
Moscheles wurde, und in welchem der Beethovencultus
pietatvolle Pflege fand.
Ein zweites Ereigniss war das Erscheinen von Weber's
„Freischiitz". Auch dieses Werk wurde in jenem Kreise
mit freudiger Erregung begrusst, seine Schonheiten im
Klavierauszug genossen, die neue Aera, welche fur die
dramatische Kunst in Deutschland angebrochen schien,
viel und eingehend besprochen.
Moscheles selbst wollte als Novitat in seinem grossen
Concert, welches er mit Lafont zusammen vorhatte, die
Beethoven'sche Phantasie mit Chor spielen; aber das Melt
schwer! Ein deutscher Musiker, Lecerf, sagte zwar gern
die Mitwirkung des unter seiner Leitung stehenden „Ge-
sangvereins fiir Kirchenmusik" zu; es wurde auch probirt
und wieder probirt, aber die Stossseufzer des Tagebuchs
iiber die Arbeit, welche die Vorbereiturig gerade dieses
% • ' - — \ 64 — .
; '.- r ' ■■' Werkes bereitete, wollen. nicht enden. Der von Theolon
v " ubersetzte Text war von Moscheles selbst mit Aufopferung
f mancher Mitternachtsstunde revidirt und geandert worden;
dennoch war er hierdurch dem Publicum, das den Saal
':■;■■': des Opernhauses iiberfullte, nicht zuganglich gemacht;
'"■ ebenso wenig die Musik. Moscheles klagt: „Ich weiss
C- nicht, war das Stuck fur ein Pariser Publicum zu lang,
..■/'■ war es die meist falsche 'Intonation der Chore, genug es
ist quasi durchgef alien. Alles Andere was Lafont und
ich allein und was wir zusammen spielten, die Cinti und
."■ Nourrit mit ihrem Gesang, Ivan Midler und seine Cla-
rinette wurden enthusiastisch aufgenommen. Einnahme
8000 Francs". Es kam aber noch ein Aerger nach. Ein
ignoranter Journalist des Miroir fiel fiber Moscheles her;
warf ihm vor, er habe die Chore selbst hinzugesetzt und
dadurch der „Phantasie eine ungeniessbare Lange ge-
geben", und so musste er sich noch offentlich recht-
fertigen.
Am Dimanche gras und Fastnachtsdienstag linden
wir Moscheles im Carnevalsgetummel. Die unabsehbare
Anzahl von Equipagen, das bunte Durcheinander der drol-
ligsten Maskenaufziige, das tolle Gewimmel, das sich dem
boeuf gras nachwalzte, belustigte ihn. Gleichwohl fand
er am Fastnachtsdienstag Zeit, das am Morgen desselben
Tages angefangene Adagio seines Es-dur- Concerts fort-
zusetzen und zu vollenden.
Unter seinen damaligen Schiilerinnen interessirte ihn
•am meisten Dlle. Mock (nachherige Mme. Pleyel), der en
grosses Talent er mit wahrer Freude ausbilden hilft. Es
war ihm aber auch schmeichelhaft, dass die unvergess-
liche Catalani, die diesen Winter in den kiirzesten Zwischen-
; raumen vier iiberfullte Concerte giebt, ihm ihre Nichte zum
Unterricht anvertraute.
Im Marz halt sich Moscheles 14 Tage in Rouen auf,
wohin ihn einige einflussreiche Familien gelockt haben.
Diese sind eifrig bemiiht, ihm die interessante Stadt und
ihre Umgebung, auch alle auf Jeanne dArc beziiglichen
Denkwiirdigkeiteri zu zeigen. Pape bringt selbst das beste
:«v "^a'V^v'TH-'?^*
^ ---a-* ^.y? st^eR^F^rw^^
seiner Instrumente aus Paris und die Karten zu dem vor-
bereiteten Concert skid bald vergriffen. „ Aber ohne Plackerei
und Lauferei geht's doch nicht ab; dafiir sorgen schon die
Gottseibeiuns-Theaterdirectoren. Der hiesige beisst van
Ofen und verweigert seine Sanger". Natiirlich schlugen
sich die einflussreicheh Freunde in's Mittel und scbliesslich
gelang es ihnen, den missgimstigen Mann herumzubringen.
Das Concert geht mit grossem Erfolg vor sich, und ein
zweites wird verlangt und gegeben.
Ein Versprechen ruft Moscheles nacb Paris zuriick;
er leitet bei Leo, der die Chore vortreftlich einstudirt hat,
eine Auffiihrung von Mozart's Requiem. Am Ostersonntag
spielt er im Concert spirituel auf Verlangen sein Potpourri
mit Lafont, nimmt aber als Thema seiner Improvisation
folgenden Kirchenchoral, der ihm „dem Tage angemes-
sen" erscheint:
n=t
f—» — gj— *
tic
O (i - li - i et
ae, rex coe-les - tis rex
^ it
glo - ri - ae mor - te sur - rex - it ho-di - e al - le - lu - ja.-
„Wieder gelang es mir diesmal" {schreibt das Tagebuch),
„dem Publikum meine eigene Inspiration ziindend mitzu-
theilen".
Die Pariser Saison ist zu Ende, und nun folgt Mo-
scheles bereitwillig der Einladung der Freunde, wieder
nach London zu kommen. „Dort-fand ich eben J.B. Cramer
im Begriff, sein jahrliches Concert zu geben. Er zeigte
mir zwei Stiicke einer Sonate, die er darin mit mir spielen
mochte, und sprach den "Wunsch aus, dass ich ein drittes
als Finale hinzu componiren mochte;. nur mochte ich ja
keine meiner Octavenpassagen in seinen Part legen, di&
Moscheles' Lebcn. . »
_ 66 ■—"-.-
konne er nicht spielen. Ich kann ihm hichts abschlagen,
werde mich also bemiihen miissen, ihm, dem Mozart- und
Handel- Jiinger, etvvas Analoges zu machen. Er liess mich
einen Theil seines neuen, mir dedicirten Clavier-Quintetts
horen ; eine echt Cramer'sche Composition. Ich musste
ihm die drei Allegri di bravura:- „la force, la legerete et
le caprice" vorspielen, die ich ihm widme".
Das Stuck, welches Moscheles fiir dies Cramer'sche
Concert als Anhangsel an dessen Sonate in aller Eile
schrieb, ist das Allegro des allbekannten vielgespielten
Hommage a Handel, dem er spater Selbststiindigkeit ver-
lieh, indem er die Introduction dazu componirte und es in
dieser Form fur zwei Claviere, dann aber auch fur vier-
handiges Spiel herausgab. Die Novitat machte gleich bei
der ersten Auffiihrung in Cramer's Concert am 9. Mai
Furore.- „Glorious" John und Moscheles, von dem die Blatter
behaupteten, „that his execution is most wonderful and
more wonderful because he always makes the right use
of his g-enius" — diese beiden zusammen spielen zu horen
und noch dazu in einer Composition, an der Beide ge-
arbeitet batten — das war „an unrivaled treat, an un-
precedented attraction". Jeder hatte sich dazu ein Broad-
wood'sches Instrument gewahlt, Cramer wie gewohnlich,
Moscheles nur fiir diese Gelegenheit. „Die starken Metall-
platten, deren Broadwood sich in seiner Construction be-
dient, erschweren (wie Moscheles bemerkt), den Anschlag,
geben aber dem Ton die Fiille und Sangbarkeit, die so
lierrlich fiir Cramer's Legato, fiir seine sanft von Ton zu
Ton gleitenden Finger passt; ich hingegen brauche zu
ineinen repetirenden Noten, Sprungen und Doppelgriffen Cle-
menti's beweghchere Mechanik". Cramer's D-moll-Concert
;und das neue Quintett, vori seinem Bruder Francois, dem
beliebten Cellisten Lindley, ferner Dragonetti und Moralt
begieitet, gefiel unendlich. Dieser F. Cramer war ein guter
Musiker, grosser Bewunderer seines Bruders, selbst aber
nur massig ausiibender Kiinstler, ohne Eigenes schaffen
zu konnen. Seiner grossen Familie hinterliess er wenig
anehr als den Namen eines kreuzbraven Mannes, der, man
- 6 7 -_■■'■-:
weiss nicht recht warum, niemals auf einen griinen Zweig
gekommen war; denn an Fleiss liess er es nicht fehlen.
Er gab viel Lectionen und war gutbesoldeter Vorgeiger
der Ancient- und Philharmonic -Concerts, sowie der pro-
vinziellen Musikfeste.
Sein Gr-raoll-Concert, das er neuerdings einer Ver-
anderung unterzogen hatte, spiel te Moscheles erst im Phil-
harmonisGhen, dann in seinem eigenen Concert mit vielem
Beifall, In letzterem unterstutzte ihn die reizende Cinti,
Kiese wetter und Dizi, der vortreffliche Harfenspieler. Alles
ging gut und wirkungsvoll zusammen. „Wir haben aber
auch ganz an der s probirt, als man es hier gewohnlich
thut; oft giebt es gar keine Probe, oft lauft ein halbes
Orchester die Sachen einmal durch. Was thun also die
Sanger? Sie singen unaufhorlich die wenigen Stiicke, die
das Orchester kennt und die das Publikum zu horen nie
miide wird."
Einige Tage spater heisst es: „Was sind alle Concerte
gegen das des Harfenspieler- Charlatans Bochsa! Gehort
habe ich nur ein Probchen-.davon, aber hier schreibe ich
mir das Programm her, obgleich schon dies eine Riesen-
arbeit ist." Die unglaubliche Lange des Concerts verdient
in der That als Merkwurdigkeit verzeichnet zu. werden;
hier ist das Programm:
Erster Theil.
1. Ouverture aus dem Oratorium the Redemption, v. Handel.
2. Arie, ges. v. Bellamy.
3. Arie aus Josua, Miss Goodall.
4. Duett — Israel in Egypten.
5. Chor,
6. Arie aus Judas Maccabaus.
7. „ aus Semele.
S. „ aus Theodora.
9. Chor aus Saul,
10. Marsch aus Judas Maccabaus.
11. Arie aus the Redemption.
12. Chor aus Israel in Egypten.
13. Duett aus Figaro.
14. -Alexander-Variationen (von mir selbst gespielt).
5'
Zweiter Theil
(zu ivclchcm das Publicum 'fur den halben Eintrittsprcis Einlass hatte.)
IS-
1 6.
17. 6 Stiiche aus einem musikalischen Drama: Bajazet, Musik von einem
18. 1 Lord Burghersh.
19.
20.
21. Violin-Concert v. Viotti, vorgetr. von Mori.
22. Recit. und Chor aus Moses, v. Rossini.
23. Quintett.
24. Duett aus Figaro, ges, v. Mad. Camporese und Cartoni.
25. Arie aus Jephtah,
26. Duetto aus Tancredi v. Rossini, ges. v. Mad. Vestris and Begrez.
27. Recit. und Arie aus der Schopfung, ges, v. Zochelli. *
28. Recit. und Arie aus: il Pensieroso v, Hiindel, ges. v. Miss Stephens,
rait obligater Flotenbegleitung v. Nicholson.
29. Schlusschor aus Beethoven's Christus am Oelberge.
Dieses Riesenprogramm stellt selbst Astley's Tlieater in
Schatten, der an einem Abend „einen schottischen Her-
kules, verschiedene Seiltanzer, zwei Lapplander, zwei
Hunde und einen Baren" producirt.
Die grossen Soireen, zu denen Moschetes hinzugezogen
wurde, urn „ffir die hohen und hochsten Herr'schaften auf-
zuspielen", waren durchaus nicht nach Moscheles 1 Ge-
schmack. „Wie anders", ruft er aus, „ist das Musik-
machen in diesen heissen, gedrangt vollen Localen mit
Beriicksichtigung des nicht kunstverstandigen Publicums
im Vergleich zu unseren Zusammenkunften unter Kunst-
briidern! Gottlob ist es mir nie so schlimm ergangen,
wie dem armen Lafont, dem der Herzog v. Devonshire
mitten in einem Stuck auf die Schulter klopfte, mit e'est
assez, mon cher; ich werde applaudirt, wenn ich ihreOhren
kitzele".
Die Lichtseite der Sache war die gute Bezahlung und
das Carrieremachen, Es hat auch etwas Ehrenvolles, zu
einem Chateaubriand geladen zu sein; es bleibt immer hochst
inter essant, in den Soireen der grossen "Welt mitgewirkt
zu haben. Trifft man doch Alles dort, Prinzen, Staats-
manner und Manner der Wissenschaft, und hat Gelegen-
- ■■•;• ■ • ■ - 6 9 -
heit mit interessanten Personllchkeiten in hahere Beruh-
rung zu kommen. Ganz besonders freute Moscheles die
Bekanntschaft der beriihmten Tragodin Mrs. Siddons
und des ausgezeichneten Schauspielers Young, den er
als einen hochst gebildeten, liebenswiirdigen Mann
riihmte.
Als ein besonders prachtiges Fest wird der Ball fur
die nothleidenden Irlander erwahnt. Konig Georg IV., der
zugegen war, hatte das herrliche Local der grossen Oper
feenhaft ausschmiicken lassen. Der Ertrag war aber ein
ebenso glanzender, da 3000 Karten ausgegeben waren, die
erst 2 Guineen kosteten, zuletzt aber auf 15 Guineen
stiegen.
Gegen Ende dieser Saison finden wir Moscheles mit |
einer griindlichen Revision mehrerer seiner Arbeiten, na- 1
mentlich der Alexander- Variationen, beschaftigt. Zu letz- . (
teren wird eine neue Introduction geschrieben; die neue
Auflage veranstaltete Boosey & Schulz, Audi von an-J
der en Werken werden neue Auflagen vorbereitet; das
Rondo „Charmes de Paris", das eben beendet ist, wird
herausgegeben, Moscheles' Clavierauszug von Mehul's Oper
Valentine de Milan gestochen, endlich die Herausgabe der
Bonbonniere musicale eingeleitet, deren 1. Heft Moscheles
der kleinen Tochter von Horace Vernet widmet, wahrend
der Vater ein reizendes Titelkupfer dazu zeichnet.
Und nun geht es mit den Freunden J. B, Cramer,
Sir George Smart und Kiesewetter zu kurzer Erholung
nach Brighton an die See, deren Heranrollen und Ab-
fluthen ein majestatisches Schauspiel bot, wahrend die
kraftige Luft und die Geschaftslosigkeit erquickend auf
Leib und Seele wirkten.
Die Musik war in Brighton durch den Director der
koniglichen Harmonie-Musik, Kramer (nicht zu verwech-
seln mit den erwahnten Briidern Cramer), herrlich ver-
treten. Dieser fiihrt den Freunden mit seinem Orchester
die besten Sachen von Handel, Mozart und Beethoven in
trefflicher Ausfiihrung vor. Die Abende benutzt Moscheles
zur Entwerfung einiger Canons, die er nach Wien sendet.
— 7G —
Fur den Herbst hatte Moscheles mit Kiesewetter so
halb unci halb eine Reise nach Schottland verabredet, gab
die Idee aber wieder auf. Kiesewetter's Lebenswandel
passte nicht zu Moscheles' Ansichten, passte aber ebenso-
wenig zu seiner eigenen schwachen Constitution und einer
immer mehr iiber ihn hereinbrechenden Brustkrankheit, der
sein wenig geregeltes Leben stets neue Nahrung gab. Da-
gegen vereinigte sich Moscheles gem mit Lafont, den er
kurz darauf in Boulogne traf, zu drei brillanten Concerten,
und ging dann nach Paris, urn sich in der ruhigen Herbstzeit
mit aller Musse und alien Kraften dem Studium und der Com-
position zu widmen. Auch im Winter wird die Arbeit neben
der Betheiligung an grdsseren Concerten (u. a. an einem
von der Herzogin v. Berry veranstalteten) eifrig fortgesetzt.
Gegen Jahresschluss, wo ihm die Londoner Academy of
Music ein Diplom als Ehrenmitglied schickt, notirt er in's
Tagebuch: ,Jch fiihle mich immer heimischer in England,
denn augenscheinlich wiinscht man mir Achtung und
Freundschaft zu bezeugen; das ruft bei mir grosse Dank-
barkeit hervor".
1823,
Das Jahr beginnt mit den Zuriistungen zu einer neuen
Reise nach England, die Mitte Januar angetreten wurde.
"Wie im vorigen Jahre zwischen Paris und Versailles, Rouen
und anderen franzosischen Stadten, so bewegte er sich jetzt
zwischen London, Bath, Bristol etc. hin und her, denn in
der grossen Metropole wie in der Provinz begehrte man
seiner. Junge Damen wollten in wenigen Lectionen einen
Bruchtheil seines angestaunten Spieles erlernen. Sein Phan-
tasiren konnten sie ilim freihch ,,in a few finishing- lessons"
nicht abhorchen; denn dazu gehorte neben der grossten
musikalischen Belesenheit noch sein angeborenes Talent r
das gegebene Thema in stets neuen iiberraschenden Wen-
dungen kaleidoskopisch verschwinden und wieder auf-
— 7i ~
tauchen zu lassen. Aber die repetirenden Noten, meinten
die zarten Darr.en, und das gleichformige Rollen der lau-
feriden Passagen konnten sie auch erlangen, und so wollte
die Provinz ihn gem dem grossen London streitig machen.
Um ihn langer zu fesseln, bereiteten ihm die lern-
begierigen Damen in Bath und in der Umgegend dieses
grossen Badeortes, neben den Engagements der Concert-
Unternehmer noch Soireen in den ersten Privathausern
vor; er brauchte nur zu kommen, zu spielen, seinen mit
goldenen Bliithen. beschwerten Lorbeer einzustreichen und
bei der Gelegenheit einige Lectionen zu ertheilen. In Bath
riihmt er besonders die Gastfreundschaft der Fanulie
Barlow. „Ich bin Sohn in ihrem gastfreien Hause; stets
ist mein Zimmer bereit, und dabei ist Miss Barlow wohl
meine talentvollste Schulerin". Weiter finden sich Be-
merkungen uber ein Concert in E-dur, das er in diesem
Hause begann und fleissig ausarbeitete.
Aber auch an drolligen Notizen fehlt es nicht. So
finden wir unter anderem ein spasshaftes Quid pro quo
verzeichnet, das ihm, als einem Neuling in der englischen
Sprache, an der Tafel der Familie Barlow passirte. „Ich
wurde heute beim Dessert gefragt, welche von den auf
dem Tisch stehenden Friichten ich wiinschte. „Some
Sneers", erwiederte ich unbefangen. Darauf folgte erst
Erstaunen, dann helles Lachen der Anwesenden, die den
Zusammenhang erriethen. Ich, der ich mein Englisch da-
mals noch miihevoll aus Dialogeiibiichern und Dictionnairen
schopfte, hatte gefunden, „not to care a fig" heisse „to sneer
at a person" und meinte nun, als ich mir Feigen erbitten
wollte, fig und sneer sei auch beim Dessert gleichbedeutend
(wahrend doch jenes in der ersteren Redensart nur figiir-
lich gebraucht wird)".
Ein Gemiith, wie das von Moscheles, konnte nicht
anders wie durch die milden fruhlinggleichen Februartage
in der reizenden Gegend des Bristol Channel beeinflusst
werden, und so finden wir den Ausruf : „Was kann schoner^
sein, als der erste Anblick der Welsh mountains von Clifton
aus? Ein bezauberndes Panorama! Der richtige Ort, um
— 7 2 :— . ■ ■'■
ein Adag-io zu schreiben; die blaue Bergkette zieht sich
so ruTiig und majestatisch an dem griinlichen spiegelhellen
Seearm Mn!" Ueber Bath sagt er: ,,Die Assembly rooms
sind der Sammelplatz der fashionablen Welt, die hierher
eil-t, um ein mildes Klima in den vortrefflich eingerichteten
Hausern zu geniessen; diese, aus weissem Sandstein- er-
baut, liegen terrassenformig malerisch hingestreut. In
ihren Raumen such en die Schwachen und Leidenden,
welche die warme Quolle zura Trinken und Baden be-
nutzen, den Comfort, den wir in deutschen Badeorten nicht
kennen; die Miissigen finden sich bald zusammen, um an-
genehm ihre Zeit zu verschlendern. Man versichert mir
audi, dass speculative Mutter mit ihrem Tochter-Reich-
thum hierher reisen, um ilin in guten Heirathen fiir Gold
einzutauschen".
Spiiter finden wir Moscheles in London wieder. Er
berichtet hieriiber: „Ich war in einem sogenannten Ora-
torien-Concert, ein Theil geistliche, ein anderer weltliche
Musik; das Publicum mag die erstere iiberwiegender ge-
funden haben, als ihm lieb war, denn es tobte und wiithete,
weil gewisse Stiicke aus der „Donna del lago" ausblieben,
die das Programm versprochen hatte". Er wurde fiir drei
dieser Concerte engagirt und war mit dem Erfolg zufrieden.
„Das Publikum", setzt er hinzu, „mag diesmal guter Laune
gewesen sein, da man ihm nicht nur die neulich weg-
gelassenen Stiicke aus der ,,-Don-na del lago" auftischte,
sondern sammtliche Nummern der Oper". Ein ander Mai
schreibt er: „Heute gab das Orator ien-Concert unter an-
der em neben viel weltlicher Musik das ga.rfze Oratorium
Palestine von Dr. Crotch. Wie sind nur die Nerven or-
ganisirt, die so viel heterogene Musik ertrageu kdnnen?
Und noch dazu kam mir dieser Dr. Crotch, diese eng-
lische Beriihmtheit, nur als ein sehr schwacher Abklatsch
von Handel vor". Als Moscheles sparer die „Donna del
lago" in der italienischen Oper hdrt, findet er, dass die
Musik viel Schones entha.lt, das Schonste „aber wohl un-
streitig die reizende Ronzi de Begnis mit ihrem lieblichen
Gesang blelbe".
Ein nicht unbedeutendes Unwohlsein, das er von Bath
mit nach London, brachte, konnte seinem Fleisse kaum
Schrankeh setzen; er gehorte zu Denjenigen, denen un-
ausgesetzte Beschaftigung Bediirfniss und Freude war;
trat aber endlich die unausbleibliche Erschopfung ein, so
wusste er sie schnell durch das natiirlichste Mittel, den
Schlaf , zu beseitigen , um dann seine "Thatigkeit mit er^
neuten Kraften wieder aufzunehmen.
In dieser Zeit war die Composition des E-dur-Ccmcerts
seine HauptbeschiLftigung; daneben aber wurden die schot-
tische Phantasie, das veranderte F-dur-Concert und die vier T
handige Sonate fur den Stich vorbereitet. „Eine Gigue",
sagt er, „schrieb ich als Beilage fur die musikalische Zeit-
schrift „the Harmonicon", deren Herausgeber Mr. Walsh,
Besitzer der Argyll rooms mich bittet, ihm zu schicken,
was ich wolle; er zahlt 5 Guineen fiir so ein kleines Ding.
Die Charmes de Paris tragen mir 20 Guineen, die erste Ab-
theilung der Bonbonniere musicale ebenso viel ein. Trotz-
dem lasse ich manches Manuscript liegen; die pecuniaren
Vortheile genii gen nicht, ich selbst muss Fortschritte und
keine besonderen Mangel in den neuen Sachen finden,
sonst gebe ich sie nicht heraus". In Mussestunden machte
er ein neues Arrangement der Egmont-Ouverture und
pflegte so etwas seine ,,Handarbeit" zu nennen.
Jeder, der Moscheles naher stand, kannte die Ge-
nauigkeit, mit welcher er den Stich seiner Sachen be-
trieb. Seine Stecher bekamen die gemessenste Anweisung,
wo die Blatter gewendet werden durften; jeder Notenkopf
musste genau an seiner Stelle stehen, jede Pause deutlich
zu lesen sein. „Das Alles" pflegte er zu sagen, „tragt
zum pracisen Spiel, ajso auch zum richtigen Verstandniss
des Stiickes bei, und wenn Einer den grossen Geist spielt
und so undeutlich schreibt, dass kein Stecher ihn lesen
kann und sein Stuck mit Fehlern herauskommt, so ist er
darum doch lange noch kein Beethoven. Der darf Alles
thun, hat aber auch seinen Stecher, der ihn zu lesen ver-
steht. Sie sollen iiberhaupt nur Alle erst wie Beethoven
componiren, danh mogen sie schreiben, wie sie wollen".
&?■■>.
3.'.
— 74 ' — ' ' .
Bei den Cbrrecturen war die Gewissenhaftigkeit viel-
leicht einzig in ihrer Art, bei den Lection en wohl nicht minder.
Darum wollte ihm auch die alte Schulerin Miss H. . . . gar
nicht behagen, die ihm dieser Winter brachte. Sie hatte'
bereits ihre 60 Sommer gesehen und war, wie ihr wenig
alterer Bruder unverheirathet. „Beide sind streng nach der
Mode ihrer Jugendzeit gekleidet, was dem untersetzten
Parchen allzu komisch steht. Ihr hoher Aufsatz, seine-
Nankinghosen, blauer Frack und goldene Knopfe sind
genug, um Einem den Lachkrampf zu geben. Besonders
die Alte; lernen will sie eigentlich nicht, denn wie oft ich
sie wa.hr end der 45—50 Minuten, die ich ihr widrhe, zum
Spielen antreibe, ich bekomme sie kaum dazu. Die Gute
ist redselig, sie ist aber auch gastfrei, ich muss jedes-
mal bei ihr friihstucken, und wahrend ich esse, erzahlt
sie, bis ich sie endlich zwinge, die gichtisch knorplichten
Fingerchen an ein modernes Stiick zu wagen. Mein Ge-
wissen erlaubt mir nicht, die Guinee einzustreichen, die
sie mir jedesmal sauber eingewickelt iiberreicht, wenn die
Schulerin und ich nicht zusammen thatig waren."
Moscheles war sehr erstaunt iiber die englische Sitte,
in den Concerten mit Or Chester irgend einen beruhmten
Musiker vorn hin an's Clavier zu setzen, und wir finden
bei Gelegenheit eines Philharmonischen Concerts dieFrage:
„Was heisst denn das „Conductor Mf. Clementi"? Er sitzt
da und blattert die Partitur um, aber ohne seinen Mar-
schallsstab, den Taktirstock, kann er doch seine musika-
lische Armee nicht anfiihren? Das thut also nur der Vor-
geiger und der Conductor ist und bleibt eine Null. —
Und nun erst dies Programm. C-moll-Symphohie von
Beethoven, hier zum ersten Mai, und gleich nach diesem su-
blimen Werk, dieser Gotterspeise eine Floten- Variation,
ein Violin-Concert und verschiedene Arien. Ausserdem
Mozart's G-moll-Symphonie und zum Beschluss eine Rom-
berg'sche Ouverture — ein Programm, das ich nur hieher
schreibe, um es nie zu vergessen."
Ueberhaupt ging's in der Philharmonischen Gesell-
schaft bunt her. Kiesewetter wollte nicht mehr in ihren
- 75 - . -
Concerten spielen, weil ihtn die Bezahluhg von £ 5 fur
einen Vortrag zu gering erschien. Moscheles und Kalk- -
brenner wurden zu Gratis-Leistungen aufgefordert, was
der Erstere auf Grund seiner beschrankten Zeit, ablehnte.
Kalkbrenner, der es lieber sah, wenn er im Philharmoni-
schen Concert auftrat und Moscheles schwieg, nahra die
Einladung der Gesellschaft an, spielte sein D-moll-Concert
mit Rundung und Eleganz und erhielt gerechten Beifall.
,,Mir ist es zuwider," sagt Moscheles, „einer knickernden
Korperschaft unterthanig zu sein, meine Kunstbriider hin-
gegen linden mich stets bereit, sie zu unterstijtzen."
Durchhlattern wir nun das Tagebuch, um diese Aus-
sage zu bewahrheiten, so finden wir, dass Moscheles in
dieser Saison nicht nur fur seinen Freund J. B. Cramer
und fur den Harfenspieler Dizi, sondern auch fur die Sanger
Torri und Sapio, die Sangerinnen Caradori und Borgondio
und andere unbedeutendere Kiinstler spielte.
Im ganzen scheinen sich die Kunstler bei aller Con-
currenz, die nothwendig allerlei Eifersuchteleien mit sich
fiihrte, gut vertragen zu haben. Docli kamen auch pein-
liche Scenen vor, so auf einer Soiree bei Miss B., einer
Schiilerin Moscheles'. „E>as war eine fatale Geschichte!
Nachdem wir Alle viel musicirt, spielten Kiesewetter und
ich noch Mayseder's lange Sonate. Cramers Ausruf „cela
m'ennuie" wirkte wie ein Donnerschlag auf den leicht
erregten Kiesewetter; er sprang beleidigt auf, und wir
hatten Miihe und Plage, um die Zwei wieder zu versohnen!"
Zahlreich waren die englischen Dilettanten, die sich
eine besondere Ehre daraus machten, mit Kiinstlern zu
verkehren und sich mit ihnen um die Wette in ihren
grossen Soireen horen zu lassen; so Sir W. Curtis auf
dem Cello, Mrs. Oom auf dem Clavier und ebenso Mrs.
Fleming;' Prinz Leopold und Prinzess Sophie, die Schwester
des Konigs Georg IV., waren stets aufmerksame Zuhorer
. fur die Ausubenden. Doch klagt Moscheles: „Ich muss
zu viel seichte Musik machen und horen."
Als ein eigenthiimliches und erhebendes Fest schildert
er den (alljahrlich wiederkehrenden) Kindergottesdienst
■ ' - - '76 ^ ■
der 6000 Schulkinder in der Paulskirche. „Der Moment,
wo die ganze Kinderschaar sich mit einem Mai erhebt,
ist imposant! Aber (setzt er hinzu) wie konnten Alle bei
der kraftigen Orgelbegleitung derPsalmen, die sie unisono
sangen, audi unisono detoniren? Und zwar so, dass sie
jedesmal um '^Ton fielen! Man mochte daraus auf die
geringe musikalische Begabung der Nation schliessen."
Niemand hatte mehr Gelegenbeit als er, junge Talente
zu beurtheilen; denn Vater und Mutter brachtcn ihm ihre
aufkeimenden Wunderkinder, von den en die meisten un-
tergingen und langst vergessen sind; docb daclite er in
spateren Jahreii oft mit Freude daran zuriick. Der Mo-
r~ ment, wo der Knabe Ferdinand Hiller Moscheles zuerst
vorspielte und dieser demVater die glanzende musikalische
Zukunft seines Sohnes voraussagte, blieb beiden noch
^^lange in freundlicher Erinnerung. Auch die zehnjatirige
J Delphine Schauroth setzte ihn schon damals durch ihre
Technik nnd Auffassung in Erstaunen. Mehr als alle musi-
kalischen Wunderkinder entziickte ihn aber die jugend-
liche, fast noch kindliche Schauspielerin Maria Garcia, die
nachherige Malibran, die er im Hause eines Mr. Hullmandel
auf einem Liebhabertheater sah. „Das reizende Madchen,
noch halbKind, spielte bezaubernd in „Chauvin de Rheims",
„Coin de rue" und„L'ours et le Pacha". Gleichzeitig bewun-
derte er den Vater Garcia in der italienischen Oper, einen
der vortrefflichsten Sanger jener Tage.
Schon wahrend seines Aufenthalts in Wien hatte
Moscheles den Grund zu einer genauen Kenntniss der
italienischen Sprache gelegt, die er stets mit Vorliebe
trieb; in London hatte er sich darin noch vervollkommnet,
und nie versaumte er die Pistrucci-Abende, wo er mit
grosser Freude dem Improvisator zuhorchte, wie er das
ihm aus dem Publicum heraus zugeworfene Thema in
wohlklingenden Versen durchfiihrte. „Es giebt mir iiber
meine eigenen Improvisationen zu denken", fiigt er hinzu;
„ich muss bestandig Vergleiche zwischen den Schwester-
kiinsten machen, sie sind Alle nahe verwandt."
Das London von 1823 kannte nur zweispannige Kutschen
- 77 i- .... " ■-.
als Fiaker und diese waren ebenso kostspielig als schwer-
fallig; wie angenehm Moscheles beriihrt war, als er sich
zum erstenmal eines einspannigen beweglichen Cabs be-
dienen konnte, verzeichnet das Tagebucb. Der angenehme
Wechsel fiel gerade in eine der thatigsten Wochen des
ganzen Londoner Aufenthalts. Es waren die Vorbereitun-
gen zu einem von ihm fiir den 27. Juni geplanten Concert,
die ihn hierbin und dorthin riefen. Einen Theil der Vor-
arbeiten hatte. ihm sein lieber Freund Sir George Smart
abgenommen; dieser war stets bereit zu accompagniren,
Proben mit Sjingern und Solisten zu halten, mit einem
"Wort, ihm alle Muhen zu erleichtern. „Dieser treffliche
Mann," sagt Moscheles, „leitet fast alle grossen Musik-
faste in London, sowie in derProvinz mit der- grossten Um-
sicht und Precision; er ist eine jener seltenen Naturen, die
trotz aller Geschafte Zeit linden, ihre grosse Correspondenz
a jour zu halten. Stets ist er auch bereit, seinen Freunden,
zu dienen, und mancbe nicht en glische Sanger in bat es nur
ihm zu verdanken, wenn ihre Aussprache in den Haydn'-
schen und Handel'schen Oratorien zu untadelhafter Rein-
heit.gelangt oder, wenn sie, seinen Winken folgend, in
Styl und Vortrag die Tradition en fortpflanzt, ohne welche
sie schwerlich ihre Erfolge errungen hatte."
Moscheles' Aufenthalt in England, der auch diesmal
wieder ungemein thatig und reich an neuen Bekannt-
schaften, Erfolgen, Arbeiten und Entwurfen war, schliesst
mit dem Ende der Londoner Saison. Im August finden
wir ihn bereits auf der Riickreise, zunachst nach Frank-
reich. Kaum aber in See gegangen, verschwindet er, vom
Seeiibel gepackt, und taucht erst in Calais wieder auf.
Der erste Tag des Wiedersehens in Paris ist angenehmer
als der zweite. „Ich habe bei Schlesingef einen Koffer
mit Werthsachen gelassen, die sammtlich gestohlen sind,
namhch: die Dose der Herzogin von Berry, ein silbernes
KafFee-Service, 12 Loffel, ein antiker Ring, eine Venetianer-
kette und andere Werthsachen, mir doppelt werthvoll,
weil ich sie als Andenken bewahrte. Wir haben einen
Literaten in Verdacht, einen Bekannten von Schlesinger, der
■ '' '■ -J 7 8 —
uns die Sachen verpacken sah tmd sich oft in dem Zim-
jner allein aufhielt, wo der Koffer stand. Es muss in der
fatalen Sache mit aller Schonung zu Werke gegangen
werden." Der Verdacht bestatigte sich, aber der reuige
Brief, den Moscheles Von dem jungen Manne erhielt, ver-
anlasste ihn die Sache niederzuschlagen und geduldig auf
eine in Aussicht gestelite "Wiedererstattung zu warten.
Wir werden dem weiteren Verlauf der unerquicklichen
Angelegenheit spater begegneh.
Es war diesmal nur ein fliichtiger Besuch von zehn-
Tagen, den er Paris zugedacht hatte; denn er beabsich-
tigte eine Kunstreise. In Spa, wo er zun'achst auftreten
wollte, filhrte er sich rasch ein, und seine Absicht, ein
Concert zu geben, wurde vom dortigen musiksinnigen
Publicum sofort mit Interesse aufgenommen. Schwer war
es jedoch, die Fliigel-Frage zu losen. Es gelang ihm nicht
den sehr geriihmten Fliigel der Lady Northland, die er
auf einem Balle kennen lernte, zu bekommen. ,,Sie macht
mir einen gewaltigen Querstrich: sie behauptet, ich wiirde
. ihr Instrument zu stark angreifen, ich, dem alles Drein-
schlagen so zuwider ist! Sie vertraute sogar e ( iner auf
dem Balle anwesenden Freundin, ich spielejnit denFiissen!"
Diess mag sich wohl missverstandlich auf den Scherz be-
zogen haben, den Moscheles oft machte, anscheinend mit
geballter Faust zu spielen, in Wirklichkeit jedoch mit dem
unterwarts versteckten Daumen Terzen zu beriihren, dabei
aber immer den ihm eigenen weichen Anschlag beizube-
halten. Genug, er bekam den Fliigel der Lady North-
land nicht, wohl aber half ihm eine Mrs. Bay ham mit
einem freilich etwas stark ausgespielten Broadwood aus
der Noth. Doch that dies seinem Erfolge keinen Eintrag.
In Aachen ging es eben so gut; dort stand ihm der
Buchhiindler J. A. Mayer, den er schon friiher kennen ge-
lernt, hiilfreich zur Seite. Dieser, sowie seine ganze Fa-
in ilie blieben ihm fur's Leben befreundet, und so wurde
das leichtgeschiirzte Band einer voriibergehenden Bekannt-
schaft, hier, wie so oft in Moscheles' Leben, zur dauernden
Kette.
79 —
Eine eigenthumliche, auf's bestimmteste ausgesprochene
Neigung Mosclieles', die sich bis in's spateste Alter bei
ihm erhielt, war, dass er mit grdsstem Interesse gericht-
lichen Verhoren beiwohnte. So seben wir ihn denn auch 1
in Aachen inmitten des heitersten Kiinstlerlebens in den
Gerichtssaal eilen, um dort der Criminalverhandlung iiber
die Morder Joseph Pakhard und Josephine Herzoginrath
aufmerksam zu folgen. „Seine (xleichgiiltigkeit war mir
schauerlich, ihr Schluchzen herzzerreissend". Aehnlicbe
Notizen finden sich spater haufig.
Anfang September kehrt Moscheles nach Deutschland
zuriick. Zuerst finden wir ihn in Frankfurt, von wo aus
er zum Hofrath Andre in Offenbach eilt, um in Mozart'-
schen Manuscripten zu schwelgen, „Gleich notirte ich mir
die 2 Takte, die Mozart als ilberflussig aus seiner Ouver-
ture zur Zauberfiote wegstrich".
Ouverture.
=^m?=3
~&
^eS§
Was sollte ich, der ich jede Note yon Mozart verehre,
der ich ihn fur das grosste Musikgehie halte, aber dazu
sagen, dass der Hofrath Andre behauptete, Mozart habe
die Declamation durchaus nicht verstanden, da Worte, die
den entgegengesetzten Sinn seiner Operntexte hatten, eben-
so gut unter seine Musik, als die von ihm componirten
passen wiirden ! Diese Reschuldigung schien mir keiner
Vertheidigung wiirdig — ich schwieg! — Unendlich in-
teressirte mich der Anblick der nur zur Halfte beendigten
Partitur der Oper: „L'oca. del Cairo"; die letzten Nummern
dieses vergrabenen Schatzes, leider nur fur Singstimme
und Bass notirt! Wer mochte da enden, wo Mozart be-
gonnen? Auch sah ich einen Ausbruch seiner scbalkhaften
— 80 — " '
Laune in einem Concert, das er mit folg-ender Aufschrift
fiir den Hornisten Leitgeb geschrieben hatte: „W. A. Mo-
zart hat sich erbarmt iiber den armen Leitgeb, den Esel,
Ochs etc. und schrieb ihm ein Horn-Concert".
Damals horte er auch eine neue Textbearbeitung der
Oper: „Cosi fan tutte", die unter dem Namen: „Der Zauber-
spiegel" mit der unveranderten Mozart'schen Musik ge-
geben wurde und ihn wieder 2ur Bewunderung hinriss.
Das Mozart'sche Requiem horte er in der Domkirche-
und im Cacilien-Verein unter Schelble's vortrefflicher
Lei tun g; auch ergotzte er sich dort an den herrlichsten
Bruchstvtcken Handel'scher Musik. Es gcwahrte Mosche-
les grosse Freude, mit dem geachteten Theoretiker Voll-
weiler zu verkehren, Aloys Schmitt wiederzusehen, und
den durch das Rheinlied so riihmlich bekannten Wilhelm
Speier kennen zu lernen. „Solch einen Dilettanten lobe
ich mir", sagte er, „er ist mir so lieb wie ein Kiinstler".
Inmitten des goldenen Kimstlerlebens, das er auch
hier fiihrte, des Horens und Gehortwerdens, des neuen
Erfolges, den er sich durch ein neu angekiindigtes Con-
cert auch in Frankfurt bereitete, war er aber auch auf
das Wohlergehen anderer Kiinstler bedacht. Bohm und
Pixis machten auch eine Kunstreise und waren eben in
Frankfurt ; „denen soil Freund Mayer ein gutes Concert in
Aachen vorbereiten", meinte Moscheles, schrieb ihm und
empfahl sie dringend.
Das Concert in Frankfurt war voriiber, da wurde in
Darmstadt Spontini's Olympia gegeben; Moscheles, Pixis
und Bohm fuhren hinuber, sie zu horen. „Aber das war
eine drollige Aventure! dreimal verloren wir ein Rad unseres
Wagens, und da kein anderes Fuhrwerk als ein Leiter-
wagen aufzutreiben war, wir aber die Oper urn keinen
Preis versaumen wollten, so bestiegen wir diese elegante
Equipage und hielten so unsern feierlichen Einzug in
Darmstadt, zugleich mit vielen fiirstlichen und anderen
Wagen, deren Insassen unsgut bekannt waren. Bei diesem
ersten Anhoren der Olympia fand ich Vieles grossartig
und genialisch, ohne mir die Schwachen mancher Steller*
— Si —
zu verhehlen. Zelter, der sich gem gegen jede modische
Unart auflehnte, wie er die meisten Neuerungen nannte,
fand, dass er von dieser laf menden Musik genug auf dem
Opernplatz hore, er brauche nicht erst hineinzugehen".
In Miinchen, wo Moscheles sich zunachst horen liesa,
hatte er es kiinstlerisch und hauslich gar gut; hauslich,
weil ihn die Familie Kaula hochst liebenswiirdig beher-
bergte; kiinstlerisch, weil er sich schnell in der bekannten
Birnbeck'schen Kneipe, in der die ausgezeichnetsten Mu-
siker zwanglos bei Bier verkehrten, behaglich fiihlte. Wer
hatte nicht gern mit Winter, dem Componisten des „unter-
brochenen Opferfestes", mit den-trefflichen Mitgliedern der
Kapelle verkehrt, welche dort anzutreffen waren (Molique,
Andreas Romberg, Bohrer und Krebs)? Kaum hatte er
Zeit gehabt, das Concert, das er geben wollte, einzuleiten,
so ward er schon nach Nymphenburg zu einem Kammer-
concert befohlen, das - zur Feier der Ankunft des hohen
Brautigams, des Prinzen von Preussen, stattfinden sollte.
Es verlief sehr glucklich, wie alle bisherigen Abende, nur
dass dieser Konig, der gute Konig Max, sich ganz be-
sonders leutselig gegen ihn zeigte. „In der Unterhaltung
kam sogar dieFrage vor: „WieaItsindsie?" „Dreissig, Ma-
jestat". „Wenn Sie noch einmal so viel nehmen und sieben
dazu legen, so haben Sie erst mein Alter", sagte der
Konig behend, zog dann den nahestehenden Krpnprinzen
von Preussen mit in die Unterhaltung und stellte mich
ihm aufs liebenswiirdigste vor. Dieser bat mich, ihn recht
bald in Berlin zu besuchen. Endlich meinte der Konig,
der Genuss des heutigen Abends miisse sich bald wieder-
holen".
Wirklich spielte er am 4. October wieder vor den
Majestaten und dem Brautpaar. „Kaum eingetreten, trat
der Konig mit der Frage an mich heran, ob ich mein
eigenes Concert nicht verschieben konne? der Hof mochte
es besuchen, miisste aber an dem von mir gewahlten
Abend eine Gala-Soiree beim franzosischen Gesandten mit-
machen. Natiirlich iiberHess ich dem Konig die Wahl
eines Abends, und er bestimmte den 10. October. Die
Moscheles* Leben. 6
— 82 —
Konigin fragte viel nach meinen kiinftigen Planen und
friiheren Reisen und war fur Alles herzlich thejlnehmend.
Aber o! ihr Schoosshundchen! Es wurde zu wiederholten
Malen aus den Salons verbannt, kam aber, auf seine Rechte
trotzend, immer wieder zuruck und wurde von den Maje-
staten lachelnd beobachtet, wie es sich, anscheinend der
Musik liorcbend, zu ihren Eussen lagerte. Das hubsche
Thierchen muss aber krank gewesen sein; es verging sich
■entsetzlich, nicbt nur aller Hof etiquette, sondern auch
alien Regeln der Scbicklichkeit entgegen. Die Hofdamen
.zischelten, lachten hinter den Schnupftuchern , die sie vor
die Nase bielten, die Lakaien kamen und giiigen, um die
Spuren des unerhorten Zwischenfalles zu beseitigen. Der
IConig befahl, den kleinen Verbrecher in den strengsten
Gewahrsam zu bringen, aber ungeschehen war die Sache
nicht zu machen, — ein Vorfall, "vvie ihn die Annalen eines
Hofzirkels wohl kaum noch einmal aufzuweisen haben".
Die Feste der Weinlese, die im Beisein des Hofes
begangen wurden, waren Moscheles eine erwiinschte Er-
heiterung nach den Anstrengungen, die seinem gliicklich
und ehrenvoll absolvirten Concert vorangegangen waren.
Doch mischt sich ein Klageton mit hinein; er war leidend
■und konnte nicht so recht mitgeniessen, was die Tausende
auf den umliegenden Hiigeln und Wiesen ergotzte. Er
konnte noch seine Musik zu dem Ballet: ,,Die Portraits"
"horen, das der Balletmeister Horschelt ihm zu Eliren geben
liess; dann aber wurde er immer leidender, und eilte seinem
Hieben alten Wien zu, um sich dort arztlich bebandeln zu
lassen. Vivanot, Malfatti und Smethana thaten Alles, was
Ereundschaft und ihre ICunst thun konnten, um den kaum
"in Wien Angekommenen von grossen Schmerzen zu be-
freien, sein Bruder kam von Prag, um ihn zu pflegen,
aber trotzdem vergingen drei triibeWccben, ehe das Uebel
gehoben werden konnte, und dann blieb ein Zustand von
Schwiiche und Unbehagen zuruck, der seine Lebensgeister
fast noch mehr in Fesseln hielt, als die Krankheit selbst.
Er war und blieb melancholisch, ging selten an's Clavier,
fand einigen Trost in der Lecture seines Shakespeare,
-■8 3 -
konnte siclv aber durch die Besuche der theilnehmenden
Ereunde nicht zerstreuen, oder zum Wiedereintritt in die
grosse Welt bereden lassen. Audi Barbara's Anerbieten,
im Karntuerthor- Theater so viel Concerte, wie er wollte,
gegen die Halfte der Einnahme zu geben, blieb unberiick-
sichtigt.
Da kam Weber nach Wien, um seine Euryanthe in Scene
zu setzen, und schpn nach den Proben horte man die dissen-
tirendsten Stimmen der deutschen und italienischen Partei
iiber das Werk, und bereitete sich fur die erste Auffuhrung
auf einen ernsten Kampf vor; jaeinigeUebelgesinnte hatten
es sich herausgenommen, die „Euryanthe" in „Ennuyante"
umzutaufen. Bei dieser ersten Auffuhrung nun wollte
Moscheles zugegen sein, um seine Stimme fiir den deut-
schen Meister und gegen das seichte italienische Geklingel
zu erheben; so ward die Melancholie iiberwunden. „Die
Oper passt nicht fiir unkundige Ohren", sagte er, nach-
dem er sie gehort; „sie ist zu gewagt in Rhythmus und
Harmonie; der Text so entsetzlich gesucht, dass die Musik
es auch einigermassen sein muss; doch hat sie der Schon-
heiten viele, und die Romanzen: „G16cklein im Thale"
und ,.Unter bliih'nden Mandelbaumen", vor Allem aber
das Einale des ersten Acts miissen ihr bei dem grossen Pu-
blikum diesmal und kiinftig durchhelfen!" Die Besetzung
war untadelhaft. Die reizende jugendliche Sonntag, der
herrliche Tenorist Haitzinger, die vor'treffliche Griinbaum
und der nicht minder brave Sanger Forti waren die Trager
der Hauptrollen, Als sich bei spateren "Vorstellungen das
Haus nicht mehr so recht fiillen wollte und die italienische
Partei zu jubeln anfing, wusste „Ludlam" (die wackere
Kunstbriiderschaft, die vvir bereits friiher kennen lernten),
den richtigen deutschen Geist iiber die Presse und ihre
Kritiken" auszugiessen.
Diese Gesellschaft war auch ausserdem bemiiht, Weber
zu ehren, und gab ihm nach der ersten Auffuhrung der
Euryanthe einen solennen Abend. Unter den Anwesen-
den waren Castelli, Jeitteles, Gyrowetz, Bauer le, Benedict,
Grillparzer und viele Andere. Es wurden Gelegenheits-
- 84 "- '
gedichte vorgetragen, die Weber jubelnd begriissten, unci
die frohlichsten Ludlamslieder gesungen.
Der Erfolg des ersten Concerts, das Moscheles nach
seiner Wiederankunft in Wien gab, erhob ihn atif's neue
und verscheuchte die Schwermuth.-die mit dem noch immer
nicht ganz beseitigten Leiden wiedergekehrt war.. Er
niusste sich nun auch entschliessen, einige Besuche zu er-
widern, und mit Beethoven wollte er den Anfang machen.
Moscheles' Bruder, der noch bei ihm war, brannte vor
Begierde, den grossen Mann zu sehen, und so gingen
beide miteinander hin. „An der Hausthiir angelangt", er-
zahlt Moscheles, „fiel mir's schwer aufs Herz, wie men-
schenscheu Beethoven sei, und ich bat den Bruder, unten
zu warten, wahrend ich erst sondirte. Als ich nun nach
kurzer Begriissung Beethoven fragte: „Darf ich Ihnen
meinen Bruder zufuhren?" erwiderte er hastig; „Wo ist
denn der?" „Unten", war die Antwort. „Was? Unten?"
rief er noch hastiger, lief die Treppe hinunter, packte
meinen erschrockenen Bruder am Arm und schleppte ihn
bis mitten in sein Zimmer hihein, wo er ausrief: „Bin ich
denn so barbarisch roh und unzuganglich?" Dann zeigte
er grosse Freundlichkeit fur meinen Bruder. Leider konn-
ten wir seiner Taubheit- halber nur schriftlich mit ihm
reden."
Auch den armen Salieri, der altersschwach und dem
Tode nahe im allgemeinen Krankenhause lag, wvinschte
Moscheles zu besuchen, und holte sich dazu die nothige
Erlaubniss seiner unverheiratheten Tochter und der Be-
horden, da man fast Niemanden zu ihm Hess, er auch
keine Besuche liebte und nur einzelne Ausnahmen machte.
„Das Wiedersehen (schreibt Moscheles}, war ein trauriges;
denn sein Anblick schon entsetzte mich, und er sprach
mir in abgebrochenen Satzen von seinem nahebevorstehen-
den Tode; zuletzt aber mit den Worten: „Obgleich dies
meine letzte Krankheit ist, so kann ich doch auf Treu
und Glauben versichern, dass nichts Wahres an dem ab-
surden Geriicht ist; Sie wissen ja, — Mozart, ich soil ihn
vergiftet haben. Aber nein, Bosheit, lauter Bosheit, sagen
•<Vtt *^
Sie es der Welt, lieber Moscheles; der alte Salieri, der
bald stirbt, hat es Ihnen gesagt". Ich war tief erschut-
tert, und als der Greis nun noch unter Thranen den Dank
fur meinen Besuch wiederholte, mit dem er mich schon
beim Eintreten uberhauft, da war es Zeit, dass ich forfc
eilte, urn micb nicht uberwaltigen zu lassen. Was das
Geriicht betrifft, auf das der Sterbende anspielte, so hatte
es allerdings circulirt, ohne dass es mich jemals beruhrt
hatte. Moralisch hatte er ihm freilich durch Intrigueii ge-
schadet und ihm dadurch manche Stunde vergiftet."
Nachdem Moscheles die Runde bei den Kiinstlern ge-
macht hatte, ging er zu den Clavier- Fabrikanten, .deren
Fortschritte er . stets aufmerksam beobachtete ; er fand,
dass Graf und Leschin inzwischen sehr gute Fortschritte
gemacht hatten.
Im November und December gab Moschelec ein zweites
und drittes Concert im Karntnerthor-Theater, -und zu diesem
letzteren hatte ihm Beethoven mit der grossten Bereit-
willigkeit seinen Broadwood'schen Fliigel geliehen. Mo-
scheles wollte durch den abwechselnden Gebrauch eines
Graf schen und des englischen Instruments in einem und
demselben Concert den Unterschied, die guten Eigenschaf-
ten beider, in's Licht stellen. Beethoven war aber eben
nicht der 'Spieler, der einen Fliigel schonen konnte; seine
unselige Taubheit veranlasste ihn meistens zu einem un-
barmherzigen Zerhacken des Claviers,, so dass Graf selbst,
den fur ihn giinstigen Ausgang dieses Wettkampfs vor-
aussehend, sich grossmiithig bemiihte, das geschadigte
englische Instrument fur diese Gelegenheit in bessern
Stand zu setzen. „Ich versuchte", erzahlt Moscheles, „den
breiten, vollen, wenn auch etwas dumpfen Ton des Broad-
wood'schen Fliigels in meiner Phantasie zur Geltung zu
bringen; aber umsonst, mem Wiener Publikum hielt zu
seinem Landsmann, dessen hellklingende Tone gefalliger
in's Ohr fielen. Noch ehe ich den Saal verliess, musste
ich den dringenden Bitten vieler meiner Horer nachgeben,
indem ich versprach das ganze Concert iibermorgen zu
wiederholen, was denn auch geschah."
".'._" '"'. — 86' — '
Die dringenden Airfforderungen , auch ira. Theater an
der Wien Concert zu geben, schlug er standhaft aus; er
war immer noch leidend und wollte fort, betheiligte sich
jedoch noch an einem Concert zum Besten der Armen
und unterstiitzte den Freund Mayseder an seinera Benefiz-
abend, an welchem er das E-dur-Concert spielte.
Aus Dankbarkeit fur die frohen Abende, die er unter
den Ludlamiten verlebt, componirte Moscheles ihnen, mitten
in seinen Reisevorbereitungen , noch einen scherzhaften
Chor; die Gesellschaft erhob ihh hierauf zum Ludlams-
Kapellmeister, wahrend der kleinere, aber sehr lebens-
lustige Schlaraffen-Verein ihn am 31. December unter den
heitersten Scherzen zu seinem Ehrenmitgliede ernannte..
„So traf mich der Jahresschluss (schliesst Moscheles die
Aufzeichnungen dieses Jahres) freilich sehr aufgeritumt,.
aber mit der Schlafmiitze und andern Insignien des Schla-
raifenthums angethan. Besser das Jahr auf diese Art zu
enden, als ein neues damit zu beginnen".
1824.
Am t. Januar schreibt Moscheles in sein Tagebuch:
,.Der Abschied von den lieben treuen Freunden und Be-
schiitzern, den Familien Eskeles, Lewinger und Artaria,
wurdemir heute ungemein schwer, MeinDank warstumm;
aber ich weiss, was diese edlen Menschen seit dem Beginn
meiner musikalischen Laufbahn fur mich gethan haben!
Ludlam mit seinen Possen passte kaum in meine Stimmung,
doch musste ich natiirlich bei dem Abschiedsfest, das sie
mir gaben, erscheinen."
Am 3. Januar trifft er in Prag ein, kann aber kaum
die Freuden des Wiedersehens mit Mutter und Schwestern
geniessen, als er ernstlich krank wird und vier Monate
lang mit einer Unterleibsentzundung und ihren Folgen zu
kampfen hat. Man hatte ihn fiir den Winter in Bath,
fiir das Friihjahr in London, als unfahig, seine Engage^
- 87 " ■-
ments zu erfullen, abmelden mussen. DieZeitungen sagten
ihn todt, doch nach Gottes Rathschluss sollte die beste
arztliche Behandlung und die treueste Pflege, wie man sie
eben nur im elter lichen Hause haben kann, ihn erhalten.
Auch diesmal ist es die Musik, die ihn vollkommen
wieder aufrichtet. Von Januar bis April hatte er sich nur
durch Lecture (namentlich des Goethe) zerstreut und den
Flu gel sehr selten beruhrt. Im Mai erging die Anfrage
an ihn, ob er mit seinem Concert den Redoutensaal in
Gegenwart der Majestaten, die soeben von Wien nach
Prag gekommen, einweihen wolle? „Ich soil also (sagt er)
mein Genesungsfcst nicht nur mit dem Herzensdank gegen
Gott und die Meinigen, sondem auch kusserlich brillant
feiern"; und brillant war das Concert; denn der Oberstburg-
graf, der Stadthauptmann und die musikalischen Behorden
liessen sich alle Einrichtungen angelegen sein: so entstand
eine neue Hofloge, das Haus wurde festlich beleuchtet,
Chor und Orchester wurden verstarkt. x\m 29. Mai
schreibt Moscheles in sein Tagebuch; „Die Freude meiner
Mutter an meinem gestrigen Erfolge entschadigt mich fur
den Winterharm." Am 2. Juni wurde er vom Kaiser in
einer Privataudienz empfangen und mit den Worten be-
griisst: „Sie haben mir schon als Knabe gefallen und seit-
dem macht es mir immer neues Vergniigen, Sie zu horen."
Zum pecuniar en Erfolg des Concerts hatte ubrigens ein
ungewohnlich splendider Beitrag des Kaisers viel beige-
tragen.
Wenige Tage spater giebt er wieder Concert, dies-
mal im standischen Theater. Dann hat er die Freude,
der Unterzeichnung des Heiraths-Contracts seiner Schwester
Fanny beizuwohnen und diese, mit der er als kleiner
Junge „Ehepaar" spielte, vaterlich zu versorgen.
Am 11. Juni reist der treueBruder mit ihm nach Karls-
bad, wo er die Kur gebrauchen soil; aber auch ein Fliigel
folgt ihm daliin, und aus der Badekur wird unwillkiirlich
wieder eine Kunstreise. Man will ihn horen, er giebt
Concert und muss dasselbe an einem der nachsten Abende
wiederholen, diesmal auf den ausdriicklichen Wunsch des
Herzogs von Cumberland, der Furstin Thurn und Taxis u. a.
Aehnliche Erfolge und das Wiederholen des einmal ge-
gebenen Concerts bleiben audi in Marienbad, Franzensbad
und Teplitz nicht aus. An alien diesen Orten giebt er
Concerte fiir die Armen und unterstiitzt die befreundeten
Kiinstler in den ihrigen. Natiirlich war in jedem der
Badeorte ein Zusammenfluss von Kiinstlern; besonders
freut sich Moscheles seines Zusammentreffens rait C. M.
von Weber.
„Wie schon, dass die Reise von Karlsbad nacb Dres-
den iiber Prag geht!' 1 schreibt er am 26. August in
sein Tagebuch; denn nach Dresden wollte er zunachst
und konnte sich nun vierzehn Tage des innigsten Bei-
sammenseins mit der Mutter, Geschwistern und Freun-
den gonnen. Wie bei jedem Aufenthalt in Prag, so spielt
er audi diesmal dem alten Lehrer Dionys Weber vor
und hprt mit aller Pietat dessen Bemerkungen iiber
seine Compositionen an, er bleibt ihm gegeniiber stets der
Schiiler, wie sehr auch Dionys Weber in ihrn den Meister
ehren will. „Eins ist mir mefkwiirdig", sagt er, „wie der
gute Mann, der Beethoven zuerst als einen halb Tollen
betrachtete und mich vor ihm warnte, allmalig umsatteln
muss; aber er tliut es" vorsichtig, denn es giebt gar
Manches, was er noch heute nicht gut heissen will, und
urn ihn nicht zu verletzen, muss ich meinen Enthusiasmus
ihm gegeniiber sehr massigen." Aus diesen Worten
spricht eine Ehrerbietung, die keines Commentars bedarf.
Folgen wir Moscheles nunmehr nach Dresden. Der
Bruder ist ihm noch immer zur Seite. Hiilfbereit und
selbstlos geht er ihm zur Hand, ohne sich in das bunte
Kiinstlerleben zu mischen. In seiner grossen Bescheiden-
heit ^-erehrt er den Kiinstler so sehr, ist so stolz auf ihn,
dass er seinen eige'nen vortrefflichen Eigenschaften nie
Rechnung tragen will und gern still und unbeachtet zuriick-
bleibt, wiihrend Moscheles ihn iiberall hervorzuziehen sucht. ■
In Dresden waren damals Carl Maria von Weber und
Morlacchi die Hof kapellmeister, Rolla Vorgeiger der vor-
trefflichen Hofkapelle; Herr v. Luttichau war soeben In-
5 ,>;':; V^*
~- 8 9 - . ; ■
tendant geworden, wahrend Herr v. Konneritz die'sen
Posten niedergelegt hatte, um sich als Gesandter nacli
Spanien zu begeben.
Wir horen nun von den vortrefflichen geistlichen
Concerten in der katholischen Kirche unter Weber's ge-
diegener Leitung, von den erlesenen Gesangskraften der
Dresdener Oper (Sassaroli, Tibaldi u. s. w.), von Tieck,
den Moscheles mit Bewunderung den Clavigo lesen hort,
von August Klengel, dessen kanonische Etiiden er als
Meisterwerke preist und mit dem er manchen genuss-
reichen Abend verbringt. Weber und seine Hebenswurdige
Gattin laden ihn zu sicli nach Hosterwitz {unweit Dresden),
wo naturlich gleichfalls viel rausicirt wird. Auch der
Dichter des Freischiitz, Friedrich Kind, ist dort, und ein-
gehend wird Webers Absicht, einem Rufe nach London
zu folgen, besprochen. „Natiirlich konnte icb ihm Aus-
kunft und Anweisung fiber die dort iiblichen und noth-
wendigen . Maassregeln geben. Ungern aber sah ich
ihn etwas schwachlich und leidend und furchte die An-
strengung, die ihn London kosten wird." Leider sollte
diese Befurchtung eintreffen, wie wir spater (1826) sehen
werden.
Schon in den ersten Tagen dieser Dresdener Wochen
erhielt Moscheles die Einladung, in Pillnitz zu spielen, und
zwar wieder bei Tafel! Es speisten an dieser offent-
lichen Tafel ausser den Majestaten Prinz Friedrich mit
seiner osterrerchischen, Prinz Johann mit seiner bayerischen
Gemahlin, die Prinzessinnen Amalie und Auguste, Gross-
fiirst Constantin und sein Gesandter, Herr v. Reitzenstein
u. A. Moscheles spielte das E-dur-Concert und Clair de
lune. Nach uberstandener Oeffentlichkeit hatten die
Kiinstler ein geimithliches Diner, spater wurde ihm eine
goldene Dose, auf welcher der Kdnigstein in Emaille ab-
gebildet war, und ein Thaler iiberreicht. Ein verjahrter
Gebrauch hiess es, die Kiinstler sollten ihre Handschuhe
dafiir kaufen. „Passt zum Vandalismus des Tafel-Concerts!
dachte ich."
Schon am 8. October sass er mit seinem Bruder im
— QO —
Reisewagen. Langsam, aber behaglich fuhren die Beider*
nach Leipzig - .
Ehe wir sie aber in das Stadtthor einziehen lassen,
machen wir ein wenig Halt und bleiben vor dem Zukunfts-
bilde stehn, das sich. unsern Blicken entrollt, Moscheles
ging damals einer neuen Phase seiner kiinstlerischen Ent-
wickelung entgegen. Zum Theil wohl in Folge der An-
regungen, die ihm in Leipzig wurden, streifte er mebr und
mehr das Virtuosenthum ab, in welchem er damals noch
befangen war. Schon bei seinem nachsten Besuch in Leip-
zig (1826) tritt diese Richtung deutlich hervor. Spater zu
immer grosserer Ruhe und Gediegenheit im Spiel heran-
gereift, werden wir ihn im Verlauf dieser Blatter noch.
oft als Gast in Leipzig antreffen, sich an dem Urtheil
der dortigen, von ihm so hochgeschatzten Horer und
Richter erfreuend und fortbildend. Endlich sehen wir ihn auf
Antrag seines geh'ebten Freundes Mendelssohn seine glan-
zende Stellung in London verlassen {[846), um vereint mit dem
jungen Meister, dessen neue Schopfung, das Leipziger Conser-
vatorium, durch seine Erfahrungen im Lehrfach zu fordern.
AlsMendelssohnjhm schon ein Jahr spater durch den Tod ent-
rissen ward, arbeitete er, durch diesen schweren Verlust ge-
beugt, aber nicht entmuthigt, weiter an dieser musikalischen
Pflanzschule, arbeitete vier und zwanzig Jahre lang uner-
mudlich.bis er seinem friihdahingerafftenFreunde nachfolgte.
Kommen wir nun wieder auf das Jahr 1824 zuriick.
Moscheles kehrte im „Birnbaum" (jetzt Hotel de Pologne
genannt) ein, dessen musikalischer Besitzer, Herr Busch,.
den Kiinstler mit aufrichtiger Freude aufnahm. Gleich
der erste Tag wurde gehorig bemitzt, wie das Tagebuch
berichtet: „Zum Musikhandler Peters, mit ihm zu den
Spitzen der Concertbehorde, Hofrath Kiistner, Prof. Wendt
und Baumeister Limburger. Diese Herren, sowie der Dom-
kapellmeister Weinlich ausserst zuvorkommend. Abends
mit Allen im Abonnement- Concert 2usammengetroffen.
Musikdirector Schulz dirigirt, Matthai bewahrt sich als
tiichtiger Concertmeister, Dlle Veltheirri singt Mozart 'sche
Arien und spielt Clavierquartett von Kuhlau" u. s. w.
.,.,.. — ,g t . —
Das Haus des Musikverlegers Kistner wird ihm bald ein ■
angenehmes Daheim, wahrend er bei den Banquiers
Seyfferth, Kustner und Reichenbach scheme Feste mitmacht.
„Wie gem (sagt er) musicire ich bei Matthai und bei
der ausgezeichneten Mme. Weitte, deren Gesang mich
entziickt." Ein andermal erzahlt das Tagebucb: ,„Bei
Wieck spielte ich auf seinem Stein'schen Fliigel und ver-
zehrte mit ihm und den Seinigen Erdapfel." Unter diesen
„Seinigen" muss auch die kleine Clara gewesen sein, ohne
dass er darrials ahnte, welche innige Freude ihm die be-
ruhmte Clara Schumann wiederholt machen und wie ihn
ihr Vortrag seines eigenen G-nioll-Concerts im Gewand-
haus einst entzucken wiirde. „Es giebt keine bessere
Auffassung und Ausfuhrung des Werks", pflegte er spater
zu sagen, „ich selbst konnte es mir nicht mehr zu Dank
spielen; es ist ganz so, als hatte sie es componirt."
Spater sagt das Tagebucb: „Ich habe"in der beriihm-
ten Handelsstadt Leipzig auch Geschafte gemacht, Probst
bat meine Op. 62 und 63 fur 35 :|± gekauft (fur das G-moll-
Concert hatte er von Mechetti 40 :|:|: bekommen), Hofmeister,
Hartel und Peters sind auch freundschaftlich entgegen-
kommend, letzterer hilft mir bei meinen Concert- Arrange-
ments. Peters fuhrte ihn auch in die Harmonie in Classig's
Caffeehaus und in die Liedertafel ein. Von dieser sagt er:
„Ihre Leistungen sind vortrefflich, es ist auch ein echt
musikalischer Kreis dort." Dieser bestand aus den Hof-
rathen "Wendt und Keil, Rochlitz, dessen Kunsturtheil
jeder echte Kiinstler sicb gern unterwarf, den vortreff-
lichen Schauspielem Devrient und Genast und anderen
Mannern, deren Namen einen guten Klang baben. „Vor
diesem Kreis musicire ich immer mit Lust und Liebe,"
sagt er, und Bernhard Romberg, so eben nach Leipzig
gekommen, stimmte ihm darin bei.
Ueber das Theater, das unter der Leitung des Hof-
raths Kustner stand, ist Moscheles oft entziickt. Er sah
dort Auffiihrungen Schiller'scher und Shakespeare'scher
Stiicke „in grosser Vollendung". Die Wranitzky-Seidler,
deren erstem Auftreten er in Wien beigewohnt hatte, be-
— 9 2 — ■-■'■'. -- -
-wunderte er als Jessonda, Fanchon und Myrrha, Kockert
„ganz besonders" im Spohr'schen Faust. Der Schauspieler
Stein befreundet sicb mit ihm und fuhrt ihn beim Leg.-
Rath Gerhard in einen heiteren interessanten Kreis ein,
wo er einer reizenden Auffiihrung unter der Leitung des
genialen Hausherm beiwohnt. Ueber sein eigenes Con-
cert bemerkt er: „MerkwUrdig, dass ich es gerade in
Leipzig am 18. October gab. "Wie es scheint, habe ich
auch meine- Schlacht gewonnen, denn gleich.im Saal be-
stiirmten mich die Herren Directoren, ein zweites zu geben.
Ich bin aber noch nicht entschlossen." Das Tageblatt
bringt ihm am friihen Morgen dieselbe AufTorderung ;
das bestimmt ihn, es am 23. zu thun; der Erfolg ist der
gleiche, wie das erste Mai. Die Zeiten, in denen man die
Kiinstler noch bestiirmte, Concerte zu geben, sind freilich
voriiber.
Auf den Wunsch Friedrich Schneider's machte er
einen Abstecher nach Dessau, spielte vor dem herzog-
lichen Paar und gab ein eigenes Concert, beides hochst
erfolgreich. Hier lernte er auch Schneider's neueste Ar-
beit „Das verlorene Paradies" kennen.
Am. 31. October kamen Moscheles und sein Bruder in
Berlin an. In den Notizen iiber diesen Aufenthalt ist
eine gewisse Hast nicht zu verkennen. Es ist, als schobe
Moscheles Alles Uebrige als unwichtig beiJSeite, urn nur
immer von seinen Beziehungen zur Familie Mendelssohn
zu sprechen. Es ist ganznebenbei erwahnt, dass Moscheles
drei brillante Concerte gab, fur die Ueberschwemmten, fiir
Blinde und andere wohlthatige Zwecke, auch fur befreundete
Kiinstler spielte, und nur obenhin wird erzahlt, dass die
haute finance, die Dichter, die hochgestelltesten Staats-
m sinner ihm ehrenvoll entgegenkommen. Der Spontini'-
schen Opern mit ihrer brillanten Ausstattung,' der vor-
treff lichen Sanger Bader, Blum, Frau Milder-Hauptmann
und Frau Seidler- Wranitzky , ja sogar der reizenden
Schauspielerin Frl. Bauer wird nur niichtig gedacht, und
das grdsste politische Ereigniss, die Heirath des Konigs
mit der Fiirstin Liegnitz, verrr.ag ihn nicht aufzuregen;
• \ •'•■■•
— . 93- — "
aber Seiten voll schreibt er iiber das Mendelssohn'sche
Hans und seine Familienglieder. Lassen wir ihn selbst
gleich nach dem ersten Eintritt in dasselbe reden. „Das
ist eine Familie wie ich noch keine gekannt habe; derfunf-
zehnjahrige Felix, eine Erscheinung, wie es keine mehr
giebt! Was sind alle Wunderkinder neben ihm? Sie sind
eben Wunderkinder und sonst nichts; dieser Felix Men-
delssohn ist schon ein reifer Kunstler und dabei erst funf-.
zehn Jahre alt! Wir blieben gleich mehr ere Stunden bei-
einander, ich musste viel spielen, wo ich eigentlich horen
und Compositionen sehen wollte, denn Felix hatte mir ein
Concert in C-moll, ein Doppelconcert und mehre Motetten
zu zeigen und Alles war genialisch und dabei wie correct
und gediegen! Seine altere Schwester Fanny, auch un-
endlich begabt, spielte Fugen und Passacaillen von Bach
auswendig mitbewundernswerther Genauigkeit; ich glaube,
sie ist mit Recht „ein guter Musiker" zu nennen. Beide
Eltern machen den Eindruck von Menschen, die den hoch-
sten Grad von Bildung haben ; denn sie sind weit entfernt,
auf ihre Kinder stolz zu sein ; sie machen sich Sorge wegen
Felix' Zukunft, ob er wohl ausreichende Begabung habe,
um Tiichtiges, wahrhaft Grosses zu leisten? ob er nicht,
wie so viele talentvolle Kinder, plotzlich wieder unter-
gehen werde? Ich konnte ihnen nicht genug betheuern
wie ich, von seiner dereinstigen Meisterschaft iiberzeugt,
nicht den mindesten Zweifel in sein Genie setze; doch
musste ich das oft wiederholen, ehe sie es mir glaubten.
Das sind also keine gewohnlichen Wunderkinds- Eltern,
wie sie mir so haufig vorkommen."
Das Gefallen war aber gegenseitig, und je ofter
Moscheles zu Mittag oder Abends zu Mendelssohn's kam,
desto mehr erfreute er sie, desto herzlicher nahmen sie
ihn auf. Die Eltern hatten ihn wiederholt um einige
Lectionen fur Felix gebeten, er aber hatte stets in be-
scheidenster Weise ausweichend geantwortet. In's Tage-
buch schrieb er: „Der hat keine Lectionen nothig; will er
mir etwas abmerken , was ihm neu ist, so kann er's
leicht."
— 94 —
Da schrieb ihm die Mutter am 18. Nov. 1824: „„Haben
Sie auch giitigst unserer Bitte um Lehrstunden gedacht?
Sie wiirden uns hochlich dadurch verbinden, wenn es
anders geschehen kann, ohne Ihren Plan fur den hiesigen
Aufenthalt dadurch zu storen. Halten Sie diese wieder-
holten Anfragen nicht fur unbescheiden und schreiben
Sie sie lediglich dem Wunsche zu, mein Kind die An-
wesenheit des prince des pianistes benutzen zu lassen.""
Audi hiernach scheint Moscheles sich nocli zu keinem Ja
entschlossen, sondern nur von „zuweilen spielen'' gesprochen
zu haben; denn am 22. Nov. finden wir wieder folgendes
Billet: „„Darf ich meine Bitte urn Lehrstunden fur meine
altesten zwei Kinder erneuen, werther Herr Moscheles, so
sagen Sie mir*wohl gefalligst Ihren Preis, und wir fangen
recht bald an, um von der Dauer Ihr.es Aufenthalts fur
Hire Schiiler so viel Nutzen als moglich zu ziehen.""
Moscheles muss diese Zeilen miindlichbeantwortet haben;
denn am 22. Nov. schreibt er in's Tagebuch: „Heute Nach-
mittag von zwei bis drei Uhr gab ich dem Felix Mendelssohn
seine erste Lection, verkannte es aber keinen Augenblick,
dass ich neben einem Meister, nicht neben einem Schiiler
sass. Ich bin stolz darauf, dass seine ausgezeiclmeten
Eltern mir nach kurzer Bekanntsehaft diesen Sohn anver-
trauen, und gliicklich, ihm einige Winke geben zu diirfen,
die er mit der ihm eigenen Genialitat auffasst und ver-
arbeitet." Sechs Tage spater heisst es: „Felix Mendels-
sohn's Lectionen wiederholen sich von zwei zu zwei Tagen,
fur mich immer mit steigendem Interesse; er hat nun
schon meine Allegri di Bravura, meine Concerte u. a.
Sachen bei mir gespielt, und wie gespielt! Er errath
meine kaum angedeutete Auffassung."
Immer enger schliesst sich Moscheles nun an die Fa-
milie an; er riihmtden Geist, der in diesemHause herrscht,
„hort so gern dem gediegenen Vater zu, wenn er bei
Tische fiber Kunst spricht" und wohnt vielen ihrer musi-
kalischen Morgen- oder Abendunterhaltungen bei, deren
Programme er sorgfaltig verzeichnet.
Z. B. ,,23. -November: Singakademie, Psalm von Nau-'
— 95 —
mann, dann bei Mendelssohns. Die Geschwister spiel-
ten Bach.
26. Nov.: Mit der Familie Mendelssohn-Bartholdy bei
seinem Bruder.
28. Nov. (Sonntag): Morgenmusik bei Mendelssohns,
C-moll-Quartett von Felix, D-dur-Symphonie, Concert von
Bach, Fanny, Duett D-moll fur zwei Claviere von Arnold.
30^ Nov.: Bei Frau Vamhagen mit Felix. Hochst
interessant."
Frau Varnhagen war die beriihmte Rahel, von
deren weiblicher Liebenswurdigkeit nnd mannlichem
Verstand schon so viel und doch nie genug gesprochen
und geschrieben worden ist. Wo sie erschien, da scharte
sich Alles urn sie; KLunstler. Gelehrte oder Staatsmanner,
sie hatte fiir Jeden ein gutes treffendes Wort oder ein
williges Ohr, nie merkte man ihr die beriihmte Fran an;
denn stets wusste sie mit unendlicher Herzensgiite die
weniger Begabten hervorzuziehen. Ein Genie, wie Felix
Mendelssohn war ihr in's Herz gewachsen, aber auch Mo-
scheles wusste sie in-jeder Weise auszuzeichnen, da sie die
Musik unendlich liebte.
,,"3. Dec. 12 Uhr: Musik bei Zelter. Fanny spielte
D-moll-Concert von S. Bach, welches ich im Manuscript
sah. Funfstimmige Messe von Bach.
5. Dec. accompagnirte Felix bei Geh. Rath Crelle
Mozart's Requiem zur Feier seines Todestages im Beisein
von Zelter u. A.
11. Dec: Geburtstagsfeier bei Mendelssohn's, durch
ein allerliebstes Haustheater verherrlicht. Felix zeichnete
sich eben so sehr darin aus wie E. Devrient.
12. Dec: Sonntagsmusik bei Mendelssohn's. Felix'
F-moll-Quartett; mit ihm mein Duett in G fiir zwei Piano-
forte. Der kleine Schilling spielte Trio von Hummel in G."
Auch Zelter, bekanntlich der Lehrer von Felix und
seiner Schwester, fehlte nie bei diesen Morgenmusiken; er
war nicht wenig stolz auf seine Schiller, wenn auch im ■
Aeusseren barsch und abwehrend. Er gab Moscheles ein
hiibsches Souper, wobei dieser besonders bemerkt: „Die
y^v,* r -
- gb -
musikalischen Gesprache mit Zelter, der so viel mit Goethe
uber Teltower Riibchen mid andere bessere Dingle corre-
spbndirte, waren mir hochst interessant."
13. Dec: „Dem Felix sein Stammbuch zuriickgegeben,
in welches ich gestern das Impromptu Op. 77
Allegro. . £
t^^gH
schrieb. Er spielte es vortrefflich vom Blatt."
Ara 15. Dec. nahm Moscheles mit Widerstreben Ab-
schied von Berlin, und von dem ihm so liebgewordenen
Mendelssohn'schen Hause. Er reiste mi? Frl. Bauer und
deren Mutter und mit seinem B ruder nach Potsdam, urn
seinem Versprechen gemass Abends in Blume's Concert
in Gegenwart des Hofes mitzuwirken.
Der 17. Dec. war ein trauriger Tag: Moscheles musste
sich von seinem Bruder trennen. Dieser begab sicb nach Leip-
zig, Moscheles mit der Schnellpost nach Magdeburg. „Der
gute Bruder!" ruft ihm Moscheles nach, „er hat mich durch'
seine Hingebung verwohnt!"
Das Concert in Magdeburg am 20. Dec. musste am
23. auf Wunsch des Gouverneurs {General Haack) wieder-
holt werden; dann beriihrte er Braunschweig im Fluge,
um ein Concert zu geben, und brachte den letzten Tag
des Jahres in stiller Zuruckgezogenheit in Hannover zu.
1825.
Die Stadt Hannover gewahrte damals dem Fremden
wenig Zerstreuung, und Moscheles scheint sie auch nicht
angeheimelt zu haben, obwohl ihn der Regent, der musik-
Hebende Herzog von Cambridge, unter seine Protection
nahm, was die gewohnlichen Nachahmer unter den Platen's,
Kielmannsegge's und Anderen, sowie zwei hochst gelungene
Concerte zur Folge hatte.
Die einzige Bekanntschaft, die einen bleibenden Ejn-
: :..' V
— 97 —
fltiss auf seine Zukunft iiben sollte, war die des Banquier-
hauses Jaques, da er durch den Chef desselben an seinen
altesten, in Hamburg etablirten Sohn und an dessen
Schwiegervater, Herrn Adolf Embden empfohlen wurde
(den Vater seiner zukiinftigen Frau). Doch darauf kommen
wir gleich zuriick.
Das nachste Concert fand in Celle statt, und am
i6. Januar erreichte er Hamburg. Das Tagebuch nennt
uns zuerst die Musiker, die er kennen lernte: den liebens-
wiirdigen alten Clasing, den tiichtigen "Wilhelm Grund,
die Geiger Lindenau und Rudersdorf, ferner Lehmann,
einen Miniaturmaler von Fach, aber vortrefilichen Dilettan-
ten auf der Geige, und Andere mehr. Unter den jungeren
Kraften interessirte ihn besonders die kleine Louise David
(nachherige Frau Dulcken), die trotz ihres zarten Alters
seine Alexander- Variationen schon sehr brav spielte.
Unter seiner grbssen Hdrerschaar im Apollosaal war
auch seine kurtftige Frau, Charlotte Embden. Sie, die
selbst etwas Clavier spielte, hing wie verzaubert an diesen
Wunderfingern ; er bemerkte das junge Madchen nicht,
doeh wurden sie schon in den nachsten Tagen bekapnt,
waren am 2. Februar Brautigam und Braut, am 1. Marz
vermahlt. An diesem Tage hndet sich folgende Notiz im
Tagebuch: „Mein Ehrentag. In der gKickseligsten rein-
sten Stimmung, mit Dank erfiillt gegen den Schopfer,
weihte ich mich an diesem Tage der feierlichen Verbin-
dung, die ich heute vor Gott zu bekraftigen im Sinn
habe."
Alle anderen dem Tagebuch anvertrauten Herzens-
Ergiessungen aus Brautstand und Flitterwochen hier an-
zufuhren, moge uns der Leser erlassen. Im Entstehen
glich diese Jugendliebe jeder anderen; — ein lockeres,.
leicht zu losendes Band; bald aber mischte sich gegen-
seitige Achtung hinein, urn es fester zu schiirzen, erhoht
durch das Gefiihl der aufrichtigsten Dankbarkeit. Die
Frau fuhlte sich gehoben durch die Stelhmg, die er ihr
gab, er dankte ihr manche Hiilfeleistung, die, wenn auch
noch so gering, ihm doch seine taglichen materiellen 0b~
Moschclcs' Leben. 7
- 98 -
liegenheiten erleichterte, sodass er ungestorter seinem
Kiinstlerberufe nachleben konnte. "Wahrend einer 45Jahrigen
Ehe der Liebe und Treue hatte sich das Gefiihl gegen-
seitiger TJnentbehrlichkeit so machtig entwickelt, dass dies
Band nur gewaltsam durch den Schwertstreich des Todes
zu trennen war!
Moscheles war der treueste biederste Gatte und
griindete darlurch das Gliick seiner Familie. Briefe und
Casse wollte er von vornherein als Gemeingut betrachtet
liaben. Durch dies Verfahren legte er stillschweigend
der jungen Frau die Verpflichtung auf, nur vernunftige,
fiir ihn geniessbare Correspondenzen zu fuhren und
ermuthigte aie durch sein Zutrauen zur weisen Ver-
waltung des gemeinschaftlichen Ehegutes. Sein nie rasten-
des kunstlerisches Streben behiitete ihn vor der Frivolitat
kleiner Eifersiichteleien und vor dem Tandeln mit Fraueri-
herzen; er hatte an dem einen, das ihm in unwandelbarer
Eiebe anhing, sein Geniige.
AuchdiebeiderseitigenAngehorigen des jungen Paares
freuten sich des schonen Bundes. Moscheles' Bruder, der
zur Hochzeit nach Flamburg g'ekommen und dort herzlich
aufgenommen worden war, fiihlte sich sofort in der Fa-
milie heimisch, wie Moscheles umgekehrt die Geschwister
Theodor und Emilie jaques schon ganz als die seinigen
betrachtete — ein Zusammenstimmen beider Familien, das
sich seitdem ungestort erhalten hat. Moge der Leser selbst
urtheilen, ob der weitere Verlauf dieser Skizze, ob die
Ausziige aus den Tagebuchern und Familienbriefen, die
man 45 Jahre hindurch regelmassig von S zu 8 Tagen
wechselte, das Obige bewahrheiten, und ob Moscheles mit
Recht behaupten durfte: ,/Wir handeln gewohnlich unisono,
kommt ja einmal eine Abweichung, so ist es eine durch-
gehende Note, die bald ihre Auflosung hndet."
Moscheles gab zwei eigene Concerte in Hamburg, im
Apollosaal, . spielte drei Mai im Theater, dann in Liineburg
und Altona; hierauf wieder im Apollosaal zum Besten der
Ueberschwemmten der Umgegend, in der Freimaurerloge,
fiir verschiedene Kiinstler und endlich zum Beschluss in
— 99 — .
Itudersdorf s Concert. Bei dieser Gelegenheit wurde „Der
Abschied der Troubadours" mit einem der Gelegenheit an-
gepassten Text vom Improvisator Prof. Wolff aus Jena
gegeben. Das Alles drangte sich nebst Verlobung und
Hochzeit in kurze 6 Wochen zusammen.
Am 7. Marz sagt das Tagebuch: „Es war ein schwerer
Moment, als ich gestern bei unserer Abreise meine Char-,
lotte dem geliebten Kreise entriss. Urn sie aufzuheitern,
erzahlte ich ihr die Geschichte von meinem alten Onkel,
der mich durchaus zum Kaufmann, nicht zum Musikanten,
machen wollte, damit ich die Chance hatte, eine Ham-
burgische Kaufmannstochter zu heirathen."
In Bremen gab Moscheles Concert, dann in Aachen,
dann ging es nach Paris, wo die Ehepaare Valentin und
Leo, seine fruheren Freunde, jetzt als Tanten und Onkel
der Frau, den jungen Leuten den warmsten Empfang be-
reiteten. „Wir sind wie Kinder des Hauses, sogar wie
verhatschelte Kinder", schreibt Moscheles am 14. Marz.
Die junge Frau, die ausser Berlin noch nichts von der
Welt gesehen hatte, sollte mit den Tanten in alle Theater
gehen. Rasch durchlief man nun alle Sehenswiirdigkeiten
der Weltstadt, bei denen Moscheles bereits den erfahrenen
Cicerone machen konnte. Das Haus der Tante Valentin
ward viel vom Maler Gerard, ihrem Lehrer, sowie von
Benjamin Constant, Alexander Humboldt, Meyerbeer und
seinem Bruder Michael, Hummel, F. Mendelssohn und
dessen Vater (die sich damals vorubergehend in Paris
aufhielten) und anderen interessanten Mannern besucht.
„Meine Frau", schreibt Moscheles an den Vater, „meinte
vor unserer Ankunft in Paris, sie werde sich unbeholfen,
wie das wirkliche „Lottchen am Hofe" benehmen; aber
im Gegentheil, sie 1st uberall ganz zu Hause; die Tanten
wundern sich. dass ihr Paris nicht mehr imponirt, d. h. die
Boulevards, Kauf laden u. s. w. Wie sehr die Beruhmt-
heiten es thun, bewies sie durch das Album, das sie mir
heute schenkte, in das sie alle fremden und einheimischen
Grossen der musikalischen Welt hatte schreiben lassen,
■^ . , TOO —
Rhode, Kreutzer, Lafont, Cherubini, Auber, Onslow, Paer,
Adam, Catel, Peter Pixis und Andere. *)
Am 28. Marz schloss Moscheles einen Vertrag mit der
Academie royale de musique ab, demzufolge er sich ver-
pflichtete, im letzten Concert spirituel zu spielen, woffir
ihm die Anwartschaft auf die Salle des Italiens nebst Entr'-
acte fur seinen nachsten Pariser Aufenthalt zugesichert
ward. Doch es blieb ihm diesmal keine Zeit, dieseri Vor-
theil zu benutzen. Er eilte nach London, wo er langst er-
wartet wurde.
*) Dies Album wurde wahrend 45 Jahren bei jeder Gelegenlieit —
und es gab deren viele — bereichert, und entlialt jetit hoclist werthvolle
Skizzen von Musilcern nicht nui-j sondern audi von DichterHj Malern uud
furstlichen Personen. Es ging auf den einzigen Sohn iiber, der tils Maler
in London lebt.
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FUENFTER ABSCHNITT.
LONDON.
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1825.
Anfang Mai traf Moscheles mit seiner Gemahlin in
London ein. Man kam ihm gleich mit Engagements
nicht nur fur London selbst, sondern auch fiir Bath,
Bristol u. s. w. entgegen, sodass es viel Unterhandlungen
gab; dazu kamen die Schiilerinnen, alte und neue. „Meine
Frau wird von alien meinen Freunden aufgesucht", schreibt
er, „und mit der herzlichsten Zuvorkommenheit aufgenom-
men, ohne auf unsern Besuch zu war ten; und ich scheine
mit einer jungen Frau doppelt willkommen zu sein. Meine
Freunde, die meine Berufsthatigkeit kennen, wetteifern
miteinander in Artigkeiten gegen sie. Das ist doch nicht
die Abgemessenheit der als steif verschrieenen Insulaner ?"
Seine Concertthatigkeit begann sofort; die Zeitungen woll-
ten nicht aufhoren, sich iiber Moscheles' Riickkehr nach
England zu freuen, und ihre Lobpreisungen ergossen sich
mit auf die nicht wenig dariiber betretene junge Frau.
Der Monat Mai bringt Concerte der Philharmonischen
Gesellschaft, der Royal Academy u. s. w. und schliesst
mit einem der „beriichtigt vollen" Concerte Mori's, bei
welchem auch Moscheles mitwirkt. Von diesem Mori,
einem gewandten Geiger, der haufig als Vorgeiger der
grossen Provinzial-Musikfeste fungirte, auch Musikverleger
■war, hiess es, dass er stets mehr Billette verkaufe, als der
Saal fassen konne, und wirklich schlug man sich an den
Thuren um die Sitze, was arge Zeitungsartikel hervorrief;
dennoch war Mori eine englische Beriihmtheit, und seine
Concerte, die A lies boten, was London nur musikalisch
■ ■-■!■..
— 104 —
Beruhmtes aufzuweisen hatte, liefen alien iibrigen in Be-
zug- auf Zulauf den Rang- ab.
Am 1. Juni finden wir die interessante Notiz: „Pierre
Erard zeigt und erklart uns in seiner Fabrik an einer
stummen Tastatur die vervollstandigte Erfindung seines
Onkels Sebastian, fur welche das Haus soeben ein Patent
genoramen hat. Ich musste den ersten nach dieser neue-
sten Neuerung erbauten Flugel spielen, und da auf einem
solchen Instrumente die, nur zur Halite ihrer Tiefe ge-
sunkene Taste schon wieder anschlagt, so fand ich die
Erfindung, deren Entstehen ich schon in Paris sah, von
unschatzbarem Werth fur die repetirenden Noten, Im
Klang blieb mir noch Fiille und Weichheit zu wiinschen
iibrig, woriiber ich mich lange mit Erard besprach."
Noch immer drangen sich Opern und Concerte in diese
Junitage hinein; einem philharmonischen Concerte, in wel-
chem Moscheles neue Lorbern erntet, folgt sein eigenes,
in welchem ihm diese durch Guineen und durch die Lob-
preisungen der Presse vergoldet werden. Die junge Frau
beschreibt den Ihrigen alle diese Triumphe; doch sind
diese Brief e in zu gluhende Farben getaucht, um hier mit-
getheilt werden zu konnen; nur den einen, der sie selbst
als Novize in den ihr unbekannten Concertangelegenheiten
hinstellt, wollen wir ausziehen: „Die Concertbillete werden
numerirt, und das ist me in Geschaft. Mir kam es uber-
fliissig vor, doch wurde ich bald eines Besseren belehrt. Eine
feingekleidete Dame kam zu mir, bat sich drei Karten zu
einer halben Guinee aus und steckte sie ein. Anstatt aber nun
zu bezahlen, meinte sie, ihr Mann sei Arzt, hier sei seine
Karte; nie wisse er vorher, ob es ihm moglich sein werde,
in's Concert zu gehen. Am Tage nach dem Concert werde
sie entweder die drei Billets oder das Geld schicken. Ich
Neuling war damit einverstanden, mein Mann aber, als er
nach Hause kam, lachte und behauptete, ich hatte mich
anfuhren lassen. Er ging zu dem betreffenden Arzt.
Dieser lachte auch. „Meine Karte ist das freilich", sagte
er, „aber diekann irgend Jemand unter den vielen Menschen,
welche mich besuchen, hier vom Tische weggenommen
— 105 —
haben; auch bin ich nicht so glucklich, eine Frau zu be-
sitzen." So batte Moscheles Recht, ich war angefiihrt.
Nun aber schrieb er die bewussten Nummern ubergross
auf weisses Papier und gab sie dem am Concertabend an
der Casse postirten Billeteinnehmer. Richtig kamen drei
Datnen, die auf Grund dieser Nummern eingelassen sein
wollten. Sie wurden angehalten, und es hiess: „Zahlen
oder nicht in den Saal gelassen werden!" Sie protestirten:
Geld hatten sie nicht bei sich, sie wurden es morgen
schicken. Der Billeteur rief Moscheles hinzu, und da die
Damen ein sehr zweifelhaftes Ansehen haften, das voll-
kommen zu ihrer Liigenhaftig'keit passte, so mussten sie
Kehrt machen. Es ist also docb niitzlich, Concert billete
zu numeriren."
Als dies Concert glucklich voriiber war, fmg Mosche-
les an aufzuathmen. Auch die Masse der Scliiilerinnen
nahm mit Anfang Juli ab, und nun blieb ihm mebr Zeit
fiir die Composition seiner Etuden, die sich trotz aller
Beschaftigung gewaltsam an's Licht der Welt drangten.
Auf den Gangen von einer Lection zur andern pflegte er
sich die Themen auf irgend einen Brief, den er eben in
der Tasche trug, oder sonstigen Papierstiickchen auf-
zuschrexben. Abends wurden sie ausgearbeitet, und da-
riiber alle Abspannung und Ermiidung vergessen. Seine
Frau musste sie stellenweise probiren und am nachsten
Tage wahrend seiner Abwesenheit einiiben. Zuweilen
waren die spatesten Abendstunden ausserdem noch durch
junge Talente in Anspruch genommen, die ihm vorspielten
oder Compositionen zeigten. So legte ihm damals der
junge, jetzt beriihmte Sir Michael Costa seine Canzonetten
vor, und andere mehr. Das junge Paar fiihrte damals
noch ein sehr bescheidenes Ilaus; doch auch in dieser Be-
schranktheit iibten sie schon im Kleinen die Gastfreund-
schaft, die spater in grosserem Maassstabe von so man-
chem Deutschen ein Trost in dem grossen London genannt
wurde. Das Stundengeben fiihrte neben seinen klingenden
Ergebnissen auch manche Misslichkeiten mit sich. So
notirt er: „Ich brachte versprochenermaassen der Miss
ISfv
— 106 —
Ramsden eine Liste der ihr gegebenen Lectionen mit."
„Ich will sie meinem Vater zeigen", sagte sie und verliess
das Ziramer. Gleich darauf brachte mir ein Lakai £ 16
mit dem Verlangen,- ich moge quittiren ; die ScMlerin, den
Vater, Niemanden sail ich, sondern ward auf diese Weise
vom Lakaien verabschiedet ! Unerhort in Deutschland!"
Ihre Sonntage brachten sie gewohnlich bei dementi's
in Elstree unweit London zu, wo man stets ein Zlmmer
fur sie in Bereitschaft hielt. „Clementi ist einer der riistig-
sten Siebenziger, die man sehen kann, schon in aller Friihe
beobachten wir ihn von unserm Fenster aus, wie er trotz
des Morgenthaues, den Kahlkopf unbedeckt, im Garten
umherlauft. Ueberhaupt lasst ihn seine Lebendigkeit nie
' ruhen. Bei Tische ist er unermiidlich im Plaudern und
Scherzen; er kann aber auch heftig werden; es ist eben
eine heissbliitige italienische Natur. Zum Spielen ist er
selten mehr zu bringen. Er behauptet, er habe von einem
Fall aus dem Schlitten in Russland eine steife Hand zu-
ruckbehalten; es giebt Leute, welche meinen, er wolle
nicht mehr spielen, weil die.Bravour inzwischen so grosse
fur ihn unerreichbare Fortschritte gemacht hatte. Den
grossten Contrast zu ihm bildet seine Frau (es ist seine
zweite Frau), sie ist Englanderin und eben so gemessen
ruhig, wie er sprudelnd lebendig." Clementi war damals
mit den Gebrudern Collard Besitzer einer schwunghaft be-
triebenen Pianofortefabrik. Moscheles riihmt den Instru-
menten dieser Fabrik einen leichteren Anschlag nach, als
den Broadwood's, weshalb er sie vorzugsweise zu seinen
offentlichen Productiohen gebrauchte; auch ihren Klang
fand er heller, wahr end Broadwood bet etwas dumpfem
Klang und schwerer Auslosung mehr Fiille des Tons er-
zielte. William Collard, den jiingeren Bruder, nennt er
„einen der geistreichsten Manner, die ihm vorgekommen".
Dieser wurde der intime Freund undRathgeber des jungen
Paares; auch er fand sich regelmassig in Elstree ein.
"Wenn die Freunde beisammen waren, pnegte Clementi zu
sagen: „Moscheles play me something." Dann wahlte dieser
irgend eine Sonate seines Wir thes, der wahrend des Spiels
— io7 —
mit vergniigtem Lacheln, die Hande auf dem Riicken,
seine kleine untersetzte Gestalt hin und her bewegte, oft
Bravo dazwischen rief und Moscheles, sobald er geendet
hatte, freundlich auf die Schulter klopfte und ihn mit
neuen Bravo's iiberschiittete.
Endlich ist „die Saison durchgekampft"; sie konneh
London verlassen und sick dieRuhe gut schmecken lassen.
Sie folgen zunachst einer Einladung der Faimlie Fleming
nach-Stoneham Park (Southampton). Die Frau des Hauses
war eine Schiilerin von Moscheles. Beide Gatten, bei allem
Reichthum und Luxus, einfache und gemiithliche Leute,
waren eifrig bemiiht, ihren Gagten den Aufenthalt so an-
genehm wie moglich zu machen. Im personlichen Urn-
gang gelang ihnen dies atfch vollkommen; aber das high
life sagte Moscheles und seiner Frau nicht immer zu.
.jWir konnen den wunderbar schonen Park nicht so.recht
geniessen, weil wir erst tief in der Nacht zwischen i und
2 Uhr zur Ruhe kommen, daher die Morgenstunden ver-
schlafen und kaum vor n Uhr mit der ersten Toilette
zum breakfast fertig sind. Nach diesem Mahl bleibe ich
nur bis 2 Uhr, wo luncheon servirt wird, mir.selbst iiber-
lassen, um zu componiren oder zu iiben. (Hier entstanden
die Es-dur und A-moll-EtMen.) Meine Charlotte iibt mit
Mrs. Fleming in dem prachtvollen Musiksaal, wo der
Fliigel orgelmassig klingt, oder sie bringen die Zeit lesend
und arbeitend in dem Boudoir mit hellblauseidener Tapete zu,
in welchem alle neuen Erscheinungen der literarischen Welt
aufgehauft sind und ihnen die liebliche Gruppe, die sie
mit den Fleming'schen Kindern bilden, aus acht Spiegeln
zuriickgeworfen wird. Beim luncheon wird gefragt, welche
Wagen, welche Pferde man verlangt? Mrs. Fleming legt
gem Beschlag auf meine Frau fur ihr pony carriage,
das sie selbst kutschirt; ich reite dann mit einigen Herren.
Die zweite Toilette fur das Mittagessen muss um 8 Uhr
Abends beendet sein, wo es zu Tische geht." Spiiter
heisst es: ,Jetzt wohnen Lord Palmerston, sein Bruder
Mr. Temple, seine Schwester Mrs. Sulivan und deren
Mann auch hier. Es ist interessant, so nahe mit dem Lord
■'■ i ,.
— 10S — " .
z\i verkehren und die parlamentarischen Gesprjiche zu ver-
folgen, die bei Tische gefiihrt werden, natiirlich alles in
den Grundsatzen des reinsten Torysmus. Gut, dass die
Kunst, die ich vertrete, auf nSutralem Boden stehen darf".
Und wieder lesen wir: „Heute neue Gaste, diesmal aus
der Umgegend, aber nicht aus der nachsten; denn auf
zehn englische Meilen in der Runde gehort Alles unserem
Hausherrn; dazu hat er eine Besitzung auf der Isle of Wight.
Wenn das Diner voriiber ist und die Herren allein bleiben,
wird erst recht politisirt; aber um Mitternacht im drawing
room gewinnt wieder die Kunst die Oberhand; da wird
bis i, 2 Uhr musicirt; kein Wunder, dass uns die ersten
Strahlen der Morgensonne nicht wecken,"
Im nachsten Monat gehen sie nach dem Bade Chelten-
ham, welches Moscheles als Nachtrag zur vorjahrigen Kur in
Karlsbad empfohlen worden ist. „Hier geniessen wir unser
tete-a-tete von Herzen; der Palast war schon, aber das
ruhige Leben, das erste seit unserer Verheirathung, ist
kostlicher. Wir konnen immer beisammen sein. Wahrend
meiner Lectionen in der Reitschule sieht meine Frau mir
von der Galerie herab zuj'sie begleitet mich friih an den
Brunnen, ich sie auf den Markt, wenn sie Fische oder
Gefliigel kauft; so gut wird's uns in London nie werden."
Und spater: „Ich gebe meiner Frau nicht nur Clavier-
stunden, sie muss auch Noten schreiben von mir lernen,
und wahrend sie sich darin iibt, componire ich ein von
der Harmonic Institution bestelltes Impromptu uber den
Marsch aus Tarare oder Axur von Salieri, welche Oper
jetzt in London, englisch zurechtgekocht, grossen Beifall
erhalt. Dieser Marsch ist von Mr. W. Hawes in einen
kriegerischen Song umgewandelt und erregt besonders
bei den Worten: „Revenge he cries and the traitor dies",
von Braham gesungen, den grossten Fnthusiasmus. Auch
drei Rondo's iiber die „Wiener in Berlin" schrieb er damals
bestelltermassen; ferner -la petite babillarde fiir Cramer,
seine H-moll-Etude u. s. w.
Nachdem sie noch einige angenehme Ausfluge in die
hiibsche Umgegend gemacht und u. A. auch einige Ueber-
■ — I0 9 —
bleibsel aus der romischen Zeit, z, B. vollkommen erhal-
tene Mosaik-Fussboden mit herrlicher Zeichnung, gesehen
hatten, reisten sie am i. October friih nach Oxford, be-
suchten am Nachmittage, sowie am foigenden Tage die
Collegien dieser merkwiirdigen Stadt, stellten sich unter
old Tom {die grosse Glocke) und sahen das Universitats-
Theater, wo dem Kaiser von Russland und dem Konig
von Preussen kurz vorher bei ihrer Anwesenhek in Ox-
ford die Doctor wiirde verliehen worden war.
Nach London zuruckgekehrt, richten sie sick klein,
aber behaglich, in dem Hauschen No. 77 Nortonstreet ein.
Das schonste Mobel blieb ihnen stets Clementi's Ge-
schenk, ein herrlicher Fliigel, der, von seiner eigenen
Hand geschrieben vornan, wo sonst der Name der Fir ma
stent, die Inschrift trug: „iluzio Clementi e Socj all' in-
gegnosissimo J. Moscheles ed alia sua amabillissima con-
sorte."
Das stille hausliche Gliick, das Beide nun genossen, ward
bald durck Antrage zu Concerten in Liverpool und Dublin
gestort. Ohne das Zureden der Frau hatte er sie nickt ange-
nommen; denn er niusste allein reisen; das widerstand ihm;
endlich siegten ikre Vernunftgriinde, und er schreibt am
4. November: „Heute hatte ich die harte Probe des Ab-
schieds von meiner Charlotte zu bestehen." Am 5. Nov.
traf er in Liverpool ein, von der Musikergilde freundlich
bewillkommnet. Abwechselnd speiste er bei den Kunst-
genossen, "die ihn in der Stadt umherfuhrten und ihm unter
den Denkwiirdigkeiten namentlich die Town hall und
Nelson's Monument von West macott zeigten. „Wenn mich
die Grossartigkeit dieses Kunstwerks und jenes Gebaudes,
jedes in seiner Art, frappirte, so setzte es mich vielleicht
noch mehr in Erstaunen, dass man mich mehrfach um
Lectionen fiir die drei Tage meines Aufenthalts in Liverpool
bat, ein echt englisches Ansinnen. Ich machte einen Be-
such bei R.oscoe, den ich sehr zu kennen wlinschte und
in welchem ich den liebenswurdigsten, zuvorkommendsten
Greis fand. Der Herzog von Toskana hatte ihn kiirzlich
durch die Zusendung einer Prachtausgabe der Werke von
.-(■;>
— no
Lorenzo Medici beehrt, die er mir zeigte. Dann durfte
ich mit ihm sein neuestes botanisches Werk iiber west-
indische Pflanzen durchblattern, wobei er mir viele inte-
ressante Erklarungen gab."
„Am 8. November Mittags war Probe im Concertsaal;
aber was fiir eine! elend ist ein zu gelinder Ausdruck.
Mori aus London that sein Moglichstes, aber was war zu
erzielen mit einem Doppelquartett und vier hinkenden Wind-,
niclit Blasinstrumenten als Orchester? Der Theaterdirector
spielte namlich dem Concertunternehmer Mr. Wilson den
Streich, seine Orchestermitglieder nicht herzugeben, und
so musste ich das erste Stuck des Es-dur-Concerts und die'
Alexander- Variati onen mit blosser Quar tettbegleitung spielen,
Meine Phantasie iiber ,,Rule Britannia" und ein irlandisches
Liedchen befriedigte das brillante und zahlreiche Publikum
eben so sehr, wie mich das mir nachgeschickte Clemen-
tische Instrument. Diese Nacht, soAvie alle vorbergehen-
den und folgenden auf meiner Reise, beschloss ich damit,
dass. ich an meine Frau schrreb, some ich auch von ihr
taglich so gute Berichte erhalte, dass sie mich zu meinen
Productionen kraftigen."
„Am 9. November friih fuhr ich auf der Mersey in
einer Stunde nach dem gegeniiberliegenden Ufer und von
da in i 1 /, Stunde nach Chester, dieser uralten Stadt, merk-
wurdig durch die Mauer, die sie umschliesst. Das Concert,
welches Abends im Roj^al Hotel stattfand, war dem des
gestrigen Tages ahnlich; Mori dirigirte, das Publikum
war eben so brillant und zahlreich, die Aufnahme gleich
■schmeichelhaft fur mich/'
„Am 10. November friih ging ich mit Phillips auf den
durch sein Alter merkwiirdigen Wall. Ein ziemlich con-
servirter Thurm sagtc uns durch seine Inschrift, dass im
Jahre 1645 King Charles die Schlacht von da aus beobach-
tete, und dass er sich, als seine Armee geschlagen war,
genothigt sah, vermittelst einer Strickleiter zu entfiiehen.
Das Gefangniss (gaol) ist auch ein den Zeiten trotzendes
Bauwerk. Ein Theil der Stadt liegt romantisch an dem
Flusse Dee."
— Ill —
„ii. November. Concert in Manchester. Schon die
bessere Organisation des Orchesters, die Oberaufsicht der
Concertdirectoren Baker und Fletcher, das Mitwirken meh-
rerer deutschen geschickten Liebhaber gab dem Ganzen
einen Schwung, den ich nut zu sehr in den letzten Con-
certen vermisst hatte. Auch der Anfiihrer des Orchesters,
Mr. Cadmore, gehort zu den besseren Dirigenten. Ich er-
freute mich des rauschendsten Beifalls, doch genoss ich
ihn weniger als je auf dieser Reise." Auf Briefe der Ver-
wandten hin bricht er bald darauf seine Reise ab und
■eilt nach London zuriick. Am 19. Abends erreicht er sein
Haus, und kurz nach Mitternacht wird ihm ein Sohn ge-
boren, ein zartes, schwa chliches Kind; die Mutter findet er
in sehr leidendem Zustande.
Vier bange Wochen lebte Moscheles in Angst und
Sorge urn sie. Mit dem herannahenden Ende des Jahres
besserte sich Alles. ,Jetzt", schreibt er, „kann ich wieder
meinen Geschaften nachgehen; auch bei Erard war ich
heute, sah seine nach neuer Construction erbauten herr-
lichen Elugel, lehnte aber seinen Antrag, mich zum al-
leinigen Spielen derselben zu verpflichten, trotz der vor-
theilhaften Bedingungen, die er mir stellte, ganzlich ab,
und will mich ferner meiner Freiheit in dieser Beziehung
erfreuen."
Spater schreibt er: „Ein komischer Vorfall machte
uns herzlich lachen. In den Weihnachtstagen blast, be-
sonders Abends spat, eine Bande, die auch an meiner
Tmir sammelte. Ich wusste dies von fruherher, und da
mir alle Torturen und Storungen einfielen, mit denen sie
mich durch ihre falschharmonisirten Chorale gefoltert hatten,
so befahl ich der Magd, ihn en zu sagen: von mir wiirden
sie nur dann bezahlt werden, wenn sie versprachen, nie
wiederzukommen. Der beleidigte Blaser antwortete: „Tell
your master, if he does not like music, he will not go to
heaven!"
Mit Ende des Jahres musste er auch eine Phantasie
fiir den Verleger Collard vollenden, iiber die er bemerkt:
;,,Die 25 Guineen, die ich dafur bekomme, sind das einzige
— 112
Verdienst, was sie hat. Gehort auch zu den Ephemeren,-
die keine Opusnummer bekommen." Und am 31. heisst
es : „Wir beschliessen dies Jahr mit besonderem Dank
gegen die gottliche Vorsehung, die uns so grosse Gefahr
gliicklich Uberstehen Hess!"
1826.
Am 1. Januar halt Moscheles im Tagebuch folgendes
Selbstgesprach: „Heutehalte ichnochmeinGliick mitHanden,
morgen soil ich es verlassen, und doch ist die Reise nach
Dublin (wo Moscheles sich zu mehreren Concerten ver-
pflichtet hatte), eine Ehrensache. Charlotte ist sehr mit
der Pflege des Jungen beschaftigt und voll gliicklicher
Erwartung, ihren Vater zu sehen. Also Muth!"
Wirklich reist er am 2. Januar ab; zuerst nach Bath,
wo wieder Alles mit dem gewohnlichen Erfolg verlauft,
sodass der ersten Improvisation eine zweite folgen muss.
Die nachste Concertstation (3. Januar) war Liverpool. Es
wird von Interesse sein, die Beschreibung dieser Reise
in Moscheles' eigenen Worten ungekiirzt wiederzugeben,
weil sie die Beschwerlichkeiten, die damals mit einer
grosseren Reise verkniipft waren und von denen unser
Dampfzeitalter sich kaum mehr einen Begriff machen
kann, eindringlich vorfiihrt.
„ Am 4. Januar brach ich um 7 Uhr friih von Liverpool
auf und fuhr bis 8 Uhr Abends nach Birmingham. Am
folgenden Tage wurde von hier die Reise fortgesetzt, Tag
und Nacht. Um 2 Uhr Mitternachts eine grosse Reise-
beschwerlichkeit. Ich, der einzige Passagier, wurde aus
der warmen Kutsche heraus, und in der rauhen Nacht bei
Bangor iiber den reissenden Eluss im offenen Boot iiber-
gesetzt. Die Seele klapperte mir im Leibe, doch wieder-
holte ich mir mem Losungswort: Muthig ausharren! Am
anderen Ufer nahm mich Einsamen eine andere, schon be-
reit stehende Mailcoach auf, und so ging's weiter, den
— "3 —
ubrigen Theil der Nacht durch Wind und Schneegestober
hin, bis ich endlich um 5 Uhr Morgens in Holyhead-
ankam.
6. Januar.- Verhangnissvoller Tag; harte Priifung;
Gottes rettende Hand! Im H&tel fand ich eine respectable
Reisegesellschaft, aus zwei Herren und einer Dame be-
stehend, zur Einschiffung nach Dublin bereit. Die Chester
Mail wurde noch erwartet, und diese kam um 7 Uhr;
dann aber hiess es, dass kein Dampfschiff zur Ueberfahrt
da sei, der Wind habe in den letzten Tagen so stark hin-
warts geblasen, dass alle Dampfboote driiben seien; ein
Segelpacketboot werde aber sogleich die Mail in 6 bis 7
Stunden hinuberfahren. Wollten wir Passagiere das auch
benutzen? Wir thaten es, indem wir uns kurz nach 7 Uhr
einschifften, und dann des regnerischen Wetters und der
hohen See halber, die Cabine und unsere respectiven
Betten aufsuchten. Mich ergriff die Seekrankheit mit sol-
cher Heftigkeit, dass ich schon nach einigen Stunden zum
Tode erschopft, wie ein Kranker da lag und wahre Mar-
tern aushielt. Das Element ziirnte imrner heftiger, ich
zahlte die Stunden, sie gingen auch voriiber, die Nacht
brach an, aber wir landeten nicht. Fragten wir unsern
Steward, wann wir erlost wurden, so murmelte er: „Wer
weiss? es'geht nicht gut." Und dies bewahrheitete sich
mir nur allzusehr durch das Schleudern des Bootes. Ein-
gewickelt in Decken und Mantel, wie ich da lag, konnte
ich mir das eisig abgestorbene Gefuhl meiner Fiisse nicht
erklaren, uberwand aber meine Erschlaffung so weit, um
hinzufiihlen, und fand, dass das Wasser schon in mein
Bett gedrungen war. Nun konnte es auch nicht mehr
verhehlt werden, dass das Schiff leek gewbrden war; denn
zischend stiirzte das Wasser in die Cabine; der Sturm
heulte furchterlich , die Finsterniss war undurchdringlich.
Der Capitain wusste uns nichts Trostliches zu sagen, als
dass wir in den Nahe des Ufers waren — freilich nicht
nahe genug, um zu landen, da Felsen und Sandbanke, in
deren Mitte wir schwammen, uns unfehlbar zerschellen
wurden; auch nicht nahe genug, als dass ein Nothsignal
Moschele5' Leben. y
— H4 —
von der Kiiste aus wahrnehmbar werden kormte. Endlich
nach langem Kampfe rait den Wellen und den ftirchter-
lichsten Stossen, die unser Fahrzeug erlitt, konnten wir
Anker auswerfen und lagen nun ohne Starkung und Er-
quickung gleich Opfertliieren unser Schicksal erwartend,
bis zum Anbruch des Tages. Den Muth hatt'e ich jedoch
in dieser elenden Lage nicht verloren. Der Glaube an die
allmachtige Vorsehung hielt mich aufrecht; ich dachte
ohne Aufregung an Weib und Kind.. Sie sclilafen ruhig
und theilen gottlob mein hartes Loos nicht; sie werden
mieh entweder froh wiedersehen, oder meinen Verlust mit
Gottes Hiilfe ertragen; ebenso wanderten meine Gedanken
schmerzlich gefasst zu meinen anderen Angehorigen und
Freunden hiniiber. Der Schritt von da in die andere "Welt
schien mir sehr klein. Am Nachmittag hiess es endlich:
„Wir werden erlost, ein Boot hat unser Schiff erreicht
und nimmt uns auf!" Da rafften wir.unsere Effecten zu-
sammen, Hessen uns mit ihnen sozusagen in's schwankende
Boot werfen, und nach einem kurzen Kampfe mit der
schaumenden Brandung, landeten wir im Hafen Howth.
Dort miethete ich eine Po.stchaise, die mich (7 Meilen weit)
nach der Stadt brachte. Der ode sandige Boden, die mit
Rumen besaete Gegend, das kummerliche Aussehen der
Landbewohner Hess mich auf die Natur und den ganzen
Charakter des Landes schliessen. So kam ich denn end-
lich in Dublin an, fuhr uber die schone Carlisle-Briicke,
iiber den Liffey nach Westmoreland Street, wo ich mich
in einer Wohnung, die mir der Musikhandler Pigott ge-
miethet hatte, in wenig Stunden erholte."
Am 8. Januar ftihrt ihn Mr. Pigott in die Christ
Church, wo er einen im alten Styl gearbeiteten Anthem
von Dr. Spray brav ausfiihren hort, dann macht er bei
den Kiinstlern und bei der Aristokratie der Stadt die
Runde. Unter anderen lernte er bei dieser Gelegenheit
Lady Morgan, von der er schon als Schriftstellerin gehort,
„als ausserst liebenswiirdige Wirthin und. Gesellschafterin
kennen."
— ii5 —
9.. Januar. „Heute bekam ich durch den Colonel -
Shawe, Adjutant des Lord Lieutenant Marquis of Welles-
ley, den Bescheid, seine Herrschaft wiirde mein Concert
am 13. Januar besuchen; es solle auch unter ihrer patron-
age vor sich gehen; heute aber moge ich im Phonixpark
im grossen Circle spielen. Ich bereitete mich so geschwind
als moglich vor und sandte mein Instrument dort hin. Um
9 Uhr Abends fu.hr ich in dem mir bereit gestellten Gala-
wagen in einer halben Stunde hinausund fand die ganze No-
blesse Irlands im Phonixpark versammelt, da diese Soiree die
erste der neu verheiratheten Marchioness of "Wellesley war.
Einige Gesangstiicke, sowie ein Terzett fur 2 Guitarren
und Physharmonica (von Schulz und dessen Sohnen) gingen
wahrend der lebhaftesten Conversation der hohen Herr-
schaften, unbeachtet voriiber. Der Lord-Lieutenant unter-
brach diese, indem er mich franzosisch ansprach, meiner
schmeichelhaften Erapfehlung von Seiten des Fiirsten Ester-
hazy erwahnte und mich zu spielen ersuchte. Da er sich
mit der Marchioness in die unmittelbare Nahe des Claviers
setzte, und da er, der funfundsechszigjahrige Herr, sich an
meiner Phantasie iiber irlandische Melodien begeisterte, so
begeisterte sich auch der ganze Kreis. Nach der Pause, in
welcher Erfrischungen gereicht wurden, wiederholten sich
die Vorgange des ersten Theiles, und darin setzte. der
Lord -Lieutenant seiner Gunst die Krone auf, indem er
mir herablassend die Hand schiittelte . (shook hands). Ich
machte viele nutzliche Bekanntschaften."
10. Januar. „Heute meldeten sich bei mir, trotz meines
a.uf zwei Guineen festgesetzten Preises, zwei Schulerinnen."
n. Januar. „In die Anacreontic Society eingefiihrt,
eihe Dilettantengesellschaft, die die grossten Orchester-
werke brav ausfiihrtc; das iibliche Souper folgte, und als
sie mich durch Mitsingen eines Terzetts aus Cosi fan tutte
treuherzig gemacht, lockten sie mich an's Instrument, wo
ich, dem alten gebrauchten Kasten nicht trauend, nur die
Ouverture zu Figaro s'pielte. Ein Toast mit irlandisch
hochfahrenden Lobeserhebungen und ein Speech meiner-
seits waren die natilrlichen Folgen."
■— n6 —
13. Januar. „Erstes Concert in Dublin in der Rotunda.
In der Probe marterte ich mich mit dem Orchester, be-
sonders mit den Blasinstrumenten. Auch wurde ich der
„Impressario in angustia", indem der Theaterdirector Mr.
Abbot meinen Sangern Mr. Kean und Latham zu sing-en
untersag-te. Erst am 4 Uhr nach der Probe suchte ich
ihn durch ein Billet zur Raison zu bringen, was mir auch
gelang. Abends 8 Uhr begann das. Concert. Es-dur-Con-
cert und Alexander -Variationen wurden mit steigendem
Beifall aufgenommen: Mrs. und Miss Aslie sangen. Meine-
Phantasie kn zweiten Theil iiber irlandifche Themen
wurde larmend applaudirt."
In den folgenden Tagen bewunderte er in der Schloss-'
kapelle die alte herrliche Holzschnitzerei und horte zu-
gleich eine vortreffliche Predigt. Ferner wurde er in den
Hibernian Catch-Club, eine seit 130 Jahren bestehende Ge-
sellschaft, eingeftihrt. , .Diner mit Speeches, viele Glees und
zum Schluss eine Improvisation von mir, worauf die Gesell-
schaft mich einstimmig zu ibrem Ehrenmitgliede erwahlte."
Weiter heisst es: „Ein Mr. Allan, Schwiegersohn
von Logier, veranstaltete eine offentliche Production seiner
Schiiler, worin auch Stiicke von mir herhalten mussten.
Ja herhalten, denn das wird mir immer klarer: dieses
Logier'sche System kann den Schiilern z-yvar das pracise
Tacthalten einblauen, aber wo bleiben Verstandniss und
Auffassung der Composition, wo die Poesie ihrer Wieder-
gabe, wenn sie von acht Clavieren zugleich herunter-
getrommelt werden? Im Ganzen finde ich die irlandische
Nation musikalisch warmer, als die englische, obwohl mir
der erste ihrer Componisten, Sir John Stevenson, kein
besonderes Interesse abgewinnen kann."
Publikum und Presse kamen Moscheles auch boi soi-
nem zweiten Concert liebenswiirdig entgegen. „Meine
eigene Stimmung (notirt Moscheles) war eine sehr geho-
bene, da ich kurz vor Anfang des Concertes einen Brief
von meiner Frau erhielt, aus welch em ihre helle Freude
iiber die Ankunft ihres Vaters strahlte."
Die Frau berichtet ihm getreulich den Inhalt der in
— n; — ,
seiner Abwesenheit eingehenden Briefe; einmal schreibt
sie: „Es handelt sich zwar um eine Geschaftssache , aber
lachenmussichdoch, indcm ich dies niederschreibe. Denke
Dir, der alte Nageli in Zurich, der Dich bittet, eine Sonate
fur seine „Ehrenpforte" zu componiren, stellt Dir dabei die
■dreifache Bedingung, keine repetirenden Noten, keine De-
cimen und auch keine Affectworter als Bezeichnung hinein-
zuschreiben. Dabei ertrankt er Dick in einer Fluth von
Complimenten iiber Deine Begabung und fiber die Ehre,
die seiner ,,Ehrenpforte" durch diese Sonate angethan
wurde. Man sieht, der Mann ist nicht nur Verleger, son-
dern auch einer von jenen Zeitungsschreibern, denen die
grandiosen Lobeserhebungen tiber Dich gelaufig sind."
Gegen Ende Januar fxihlte Moscheles sich so erschopft
durch seifie Concerte und seine Privatproductionen in diesera
oder jenem Hause, durch zudringliche Morgenbesuche dieses
oder jenes Lehrers mit Schulerinnen, die ihn mit ihrem Gre-
klimper langweilten, dass er die Einladungen zum Beef-
steak-Club, sowie zu Diners und Soireen consequent ab-
schlug, ernstliche Reisevorbereitungen machte und am
29. Januar Morgens 6 Uhr abreiste. Wieder schlechtes
Wetter, wieder zehnstundige Seekrankheit, Aufenthalt hier
und Aufenthalt dort, endlich aber am i.Februar das Gliick,
Weib und Kind und den lieben Schwiegervater zu um-
armen. Nur die fortdauernde Schwache der Frau trubte
die Freuden dieses Wiedersehens. Dem Schwiegervater
suchte Moscheles nun auch seinerseits den Aufenthalt in
London so angenehm als moglich zu machen. Zu beiden
Parlamentehausern, fiir deren Debatten er sich sehr in-
teressirte, erhielt er Zutritt; er bewunderte Kemble und
die Pasta, unterhielt sich kostlich bei den pikanten Vaude-
villes des Tottenharri-Street-Theaters, und besuchte fleissig
die Concerte. Was aber die Hauptsache war, der gute
Vater wurde Zeuge des hauslichen Gliicks seiner Kinder,
der unermiidlichen Thatigkeit, die Moscheles entwickelte,
und der ehrenvollen Stellung, die er einnahm. Der Schu-
lerinnen gab es viele, bald so viele, dass er eine grosse
Zahl abweisen musste. Dabei componirte er im Laufe
■" !': ■
;-.j-^V.y-.!
. — 118 —
dieser Saison die Es-moll-, H-moll- und D-moll-Etudea
(Op. 70), sowie seine Phantasie, „Erinnerungen an Irland'V
und des Corrigirens von Probedrucken war kein Ende, da
er auch oft die von Freunden in England veroffentlichten
Compositionen durchsah.
Die erwahnten „Erinnerungen an Irland" trug er in
dem grossen Concert, das er am 7. April veranstaltete,.
zum ersten Male oftentlich vor; sie wurden warm auf-
genommen. Ueber dieses Concert berichtet das Tagebuch
ferner: „Kiesewetter spielte schon wie immer, ohne dass.
ich jedoch ein Wort mit ihm gewechselt hatte, da ich die-
Art, in welcher er kurz vor dem Concert die Bezahlung
von 10 Guineen fur diese Production verlangte, nur durch
eine kurze Bejahung und das Abbrechen freundschaftlicher
Beziehungen zu erwidern verstand. Der grosse* Zudrang
zu dem Concert war die TJrsache, dass sogar die konig-
liche Loge sich fullte, anstatt fur den Fiirsten Esterhazy
als Patron des Concertes reservirt zu bleiben, ein Miss-
griff, den ich Tages darauf durch einen Besuch beim
Fiirsten wieder gut machen musste. Auch hochgestellte
Personen der musikalischen Aristokratie mussten wegen
Mangel an Platz den Saal verlassen." Man kannte damals
noch nicht das bequeme Institut der Sperrsitze.
Die Hauptursache jener Ueberfullung mag wohl die
Mitwirkung Carl Maria von "Weber's gewesen sein, der
eine eigene von Mme. Caradori gesungene Arie und die
Ouverture zur Euryanthe dirigirte. Der grosse Mann war"
seit wenigen Wochen in London, als dies Concert statt-
fand; er wohnte bei dem Freunde Sir George Smart, und
dort sah Moscheles ihn oft, wahrend er der neugierigen
Menge, die ihn besuchen wollte, nicht zuganglich war.
Seine leider sehr zerriittete Gesundheit bedurfte der Ruhe,
der er aber wenig pilegen konnte. „Wie mag es ihn an-
gegriffen haben, als er gestern zum ersten Mai vor dem
englischen Publikum im Coventgarden-Theater erschien;
der donnerride Applaus, mit dem er empfangen wurde r
ergriff uns tief; um wieviel mehr ihn, den Gefeierten,.
der Gegenstand dieses Enthusiasmus selbst! Weber dirigirte
— IIQ —
auf der Scene einen Auszug seines „Freischutz" , die
Ouverture wurde jubelnd wiederholt; Braham, Miss Paton
und Phillips sangen die Hauptstiicke der Oper mit Be-
geisterung. Weber reichte wahrend des enthusiastischen
Applauses den Sangefn die Hande, um seine Zufrieden-
heit auszudriicken; am Ende der Vorstellung stand das
ganze Parterre auf den Banken, Hiite und Schnupftiicher
schwenkend und dem Meister entgegenjubelnd. Dicscn
sah ich spater recht erschopft im Foyer des Theaters; er
war schon zu krank, um diesen ungevvohnlichen Triumph,
den er noch dazu in fremdem Lande feierte, voll zu ge-
niessen, wie wir Landsleute es fur ihn thaten: ausser mir
vor allem sein und unser Aller Dichter, Kind, der Floten-
spieler Fiirstenau, der mit ihm gereist war, der gute alte
Harfenmacher Stumpff, seit Jahren in London ansassig,
und der oft genannten Schulz."
Am 12. Marz horte Moscheles Weber in einer Gesell-
schaft bei dem Sanger Braham improvisiren. „Er ver-
webte einige Themen aus dem „Freischiitz" auf die in-
teressanteste ,Weise, obwohl ohne besondere Kraftausse-
rung. Diese erlaubte sein physischer Zustand leider nicht
mehr, und doch eilte er noch um n Uhr in eine zweite
grosse Soiree der Mrs. Coutts, weil sie ihm gut bezahlt
ward. Als er Braham verlassen" hatte, wurde sein be-
dauerlicher Zustand viel besprochen."
Am 13. Marz ist Weber Tischgast im Hause Moscheles'.
„Welche Freude! Doch auch da ward unser Mitleid aufs
Innigste angeregt! Denn sprachlos trat er in unser Wohn-
zimmer: die eine kleine Treppe, die dahinfuhrte, hatte
ihm den Athem ganzlich benommen; er sank in einen der
Thiir nahesteTienden Stuhl, erholte sich aber bald und
war dann der liebenswiirdigste, geistreichste Gesellschafter.
Abends fuhren wir mit ihm ins philharmonische Concert,
das erste, welches er horte, und wo eine Haydn'sche und
eine Beethoven'sche Symphonie befriedigend gegeben
wurden."
Das nachste Philharmonische Concert am 3. April
dirigirte Weber selbst. Das Programm Iautete:
— 120 —
• Ouvertiiren zu „Euryantr±e" und „Freischiitz".
Arie von Weber {componirt fiir Mme. Milder), gesungen von Mme. Caradori,
Scene aus dem Freischiitz, gesungen Von Sapio.
I, Stiick Cis-moll-Concert von Ries, 2.: Es-dur von Beethoven, J.: utigari-
sches Rondo, von Pixis. (Dies Pasticcio spielte ein Deutscher —
Schuncke — unter der Leitung des grossen deutschcr Meisters!)
„Am 11. April wohnte icli der Generalprobe des „Oberon"
im Coventgarden-Theater bei, die ganz wie eine Vor-
stellung besucht war, auch koine Unterbrechung erlitt,
und in der sich die Costume sowohl, als die herrliche
Scenerie mit beweglichem Mond bei der Ocean-Arie, vor-
trefflich ausnahmen. Diese Arie, die Weber in London
fiir Miss Paton schrieb, machte grossartigen Effect, ebenso
die fiir Braham (Hiion) componirte grosse Arie. Beiden
Sangern war Gelegenheit gegeben, ihre machtigen Stim-
men zu entfalten und gewisse schlagende Effecte hervor-
zubringen, die das Parterre begeisterten. Weber muss an
seinem Pult gefiihlt haben, dass ihm die englische Nation
aus dieser Versammlung entgegenjauchzte und dass seine
Schopfungen in ihr fortleben wiirden."
Ueber die erste Vorstellung berichteten die Blatter
nur Herrliches. Der arme Meister selbst, den Moscheles
fast taglich besuchte, wurde aber inmitten dieser Triumphe
schwacher und immer schwacher; dennoch fuhrte er sein
bewegtes londoner Leben fort, und dirigirte in mehreren
Concerten, in welchen auch Moscheles mitwirkte, seine
Ouvertiiren zu „Freischutz", zu „Oberon" u. s. w. „Am
j 8. Mai (sagt Moscheles) wirkten wir auf originelle Weise
zu.Gunsten Braham's zusammen. Es war dessen jahrliche
Einnahme im Coventgarden-Theater, und er, der popu-
larste der englischen Sanger, wusste stets bei dieser Ge-
legenheit seine dritte Galerie (wegen ihrer schwindelnden
Hohe „Gottersitz" genannt) durch Matrosenlieder zu be-
geistern, Heute nun war es wie immer bei ahnlichen
Gelegenheiten. Auch die populare kokette Mme. Vestris
fand ein williges Gehor vor diesen, das Haus beherrschen-
den „G6ttern" in einer Operette „The Slave", und verschie-
denen Ammenliedchen, wie „Goosie Goosie Gander, whither
shall I wander? Upstairs downstairs in mylady's cham-
— 121 —
ber" u. s. w. So weit war Alles herrlich; nun aber hatte
sich Braham verrechnet, indem er dieser Gesellschaft ein
Concert guter Musik als zweiten Theil vorsetzen wollte, das
er „Apollo's Festival" nannte, und das nach alien vorherge-
gangenen Fadaisen mit der Ouvertiire zum „Beherr5chei-
der Geister" begann. Ob Niemand bemerkte, dass" "Weber
selbst dirigirte? Ich weiss es nicht, aber das Geschrei
und Gepolter der Galerie, unter dern sie ungehort zu Ende
gespielt wurde, emporte mich, und schon sehr aufgeregt
setzte ich mich auf der Scene an mein Instrument und gab
dem unter mir sitzenden Orchester das Zeicben zum An-
fang meiner „Erinnerungen an Irland." Gleich wahrend
der etwas ernsten Introduction begannen die rcihen Galerie-
besucher ihr Unwesen, Pfeifen, Zischen, Applaudiren und
Ausrufe wie: „Are you comfortable Jack", begleitet von
Salven ausgesogener Apfelsinenschalen, — Alles sah und
horte ich durcheinander im abwechselnden Crescendo und
Decrescendo, und mir war, als waren alle Elemente im
Streit, und ich miisste ihnen erliegen. Gottlob aber erlag
ich nicht; denn ich fasste in dieser mir neuen, unerwarte-
ten Lage den Entschluss, nicht plotzlich abzubrechen,
sondern dem besseren Theil des Publicums zu zeigen, dass
ich bereit ware, zu erfiillen, was ich versprochen. Ich
buckte mich zum Vorgeiger herab und sagte: „Ich werde
die Hande hin und herbewegen, als spielte ich; lassen Sie
Ihr Orchester ungefahr dasselbe thun; nach einer Weile
werde ich Ihnen ein Zeichen geben, dann horen wir zu-
sammen auf." Gesagt, gethan. Als ich mich abtretend ver-
beugte, iiberschiittete mich stiirmischer Applaus. Die
Gotter jubilirten, mich los zu sein. Nun kam Miss Paton
mit einer ernsten Concert- Arie dran, und hatte gleiches
Schicksal. Sie horte dreimal auf, kam auf den Ruf der
Besseren, die „silence" begehrten, immer wieder zuriick,
urn zu singen, und trat endlich weinend mit den Worten
ab: „I cannot sing". Auch dieser Demonstration folgte
donnernder Applaus — und nun begannen neue Gassen-
hauer und Matrosenlieder, und neue Zufriedenheit und Auf-
merksamkeit der Galerien trat ein."
— 122
Der Vorfall ging eine Woche lang durch alle Zeitungen
und Moscheles ward sogar viel Lob fur sein ruhiges Ver-
halten gespendet, wahrend die arme Miss Paton um Hirer
Thranen will en viel zu leiden hatte.
„Der 26. Mai, der Tag des Weber'schen Concerts,
bleibt mir ewig unvergesslich (schreibt die Fran); denn der
Meister, dem Erloschen schon nahe, hatte grosse An-
strengungen gemacht, um eine Auffiihrung in den Argyll-
rooms zu veranstalten, und sein Concert ging dennoch.
vor einem leeren Saal vor sich! Musikfreunde und die
Presse suchten in ihrer Entrustung diese Vernachlassigung
vom Publicum ab und auf aussere Umstande hinzulenken; .
und da fanden sie , Begrez, der parfumirte Salonsanger
habe an demselben Abend ein Pri vat- Concert bei der
Herzogin von St. Albans gegeben, und die fashionable
Welt absorbirt; Epsom races, dieses vielbesuchte Pferde-
rennen sei gerade mit seinem Haupttag (the Derby) auf
diesen 26. Mai gefallen, und den besuche unfehlbar die
grosse Welt, wahrend der Mittelstand sich an die Opern
des so popular gewordenen Meisters halte, und keine
Schuld an dieser Vernachlassigung seines Unternehmens
trage. Genug, Weber musste vor leeren Banken spielen!
Er dirigirte die nie fehlende Ouvertiire zu „Oberon" und
„Euryanthe", seine noch unbekannte Cantate „The festival of
peace" und eine neue fur Miss Stephens componirte, und
von ihr gesungene Ballade; Braham effectuirte in der
Freischiitz-Arie, Fiirstenau blies zura ersten Mai Variationen
iiber ein Thema aus Oberon, Kiese wetter spielte seine
unvermeidlichen May seder -Variationen in E-dur, und
Moscheles nahm als Grundlage seiner Improvisation ein
Thema aus der Cantate, das einen Hervorruf gehabt
hatte und das er mit Motiven aus dem „Freischiitz" ver-
webte. Mme. Caradori und Braham sangen die Soli in
der Cantate."
Weber war durch diesen Abend so entsetzlich ange-
griffen, dass er seine Einnahme im Theater, wo der Frei-
schiitz unter seiner Direction zu seinem Benefiz gegeben
— 123 —
werden sollte, lieber einbiisste, und sich nur mit Reise-
gedanken und Reisevorbereitungen beschaftigte.
Trotz der Besorgniss urn Weber wollte die Frau doch
auch diesmal Moscheles' Geburtstag nicht- yoriibergehen
lassen, ohne ibn durch einen kleinen Scherz zu erheitern.
„Diesmal (so scbreibt sie an. die Verwandten) , gab's ein
Tableau, einzig in seiner Art; denn die Contraste war en
schlagend. Dass ich als Engel mit fliegenden Haaren
ihm einen Lorbeerkranz zuwarf, war abgedroschen, aber
die beiden hiibschen Cramer's als Schwestern der Flora
mit herr lichen Blumen, machten sich gut und die Prosa
setzte all dieser Poesie die Krone auf, indem Anne Barlow
im Costume einer Kochin eine dampfende Schiissel mit
Kalbsfiissen brachte, zugleich aber auch eine Romanze,
composed by a cook {natiirlich sie selbst), Wenn Ihr mich
fiber diese dumme Zusammenstellung auslacht, so bedenkt
nur, dass er in der beruhmten Ludlamshohle Tasto der
Kalberfuss hiess, wegen seiner frevelhaften Neigung fur
jenes scheussliche Gericht. Gut, dass wir keine anderen
Zuschauer hatten als Adolf und Nurse, denen unser tableau
sehr gut geiiel — von Moscheles gar nicht zu reden, der
gebiihrend entziickt war."
Leider ging es in diesen Tagen schlimmer mit Weber
und am 4. Juni schreibt Moscheles in's Tagebuch: „Als
ich Weber heute Sonntag besuchte, sprach er zwar zuver-
sichtlich von seiner Abreise nach Deutschland; aber der
entsetzliche Krampfhusten, der in kurzen Intervallen wie-
derkehrte und eine ganzliche Entkraftung zuriickliess,
spannte unsre Angst auf's Hochste, und als er miihsam
hervorbrachte , er reise in zwei Tagen, ich moge ihm nur
Briefe mitgeben, er hoffe mich morgen wiederzusehen, da
wurde mir weh urn's Herz, obwohl ich selbst nicht ver-
muthete, dass ich ihn zum letzten Male unter den Leben-
digen erblickte. Ich verliess ihn mit seinen Freunden
Kind und Fiirstenau und wechselte unten noch triibe,
Worte mit seinem gastfreien Wirthe, Sir G, Smart, der
mir bekiimmert mittheilte, dass Weber keinen Wachter
dulden wolle, jede Nacht seine Zimmerthur verschliesse
— 124 —
und dass er nur heute den vereinigten Bitten der Freunde
nachgegeben und versprochen habe, nicht zuzuschliessen, das
Wachen der Freunde in seinem Zimmer jedoch ebenso
bestimmt ablehne, wie den besoldeten Wachter."
5. Juni: „Heute friih um 8 ward ich zu dem nicht fern
wohnenden Sir G. Smart gerufen, und eilig gerufen.
Fiirstenau hat Weber Abends zuvor um 11 Uhr zu Bette
gebracht; als man friih in sein Zimmer wollte — auf das
Versprechen des Nichtverschliessens rechnend, fand man
beide Thiiren von innen verschlossen; um dies zu thun,
muss also Weber in der Nacht aufgestanden sein. Da er
kein Klopfen, kein Rufen beantwortete, so schickte Sir
George zu uns Freunden, und in unserer Gegenwart wurde
eine Thiir erbrochen. Es storte den Schlafer nicht, er
schlief den ewigen Schlaf, den Kopf auf den linken Arm
gestiitzt, sanft auf dem Kissen ruhend. . . . Es ware Ent-
weihung, wollte ich meinen Schmerz durch meine Feder
zu beschreiben suchen! Ich hielt ihn fiir den eigenthiim-
lichsten Componisten, fur denjenig'en, welcher ein zwischen
Mozart, Beethoven und Rossini schwankendes Publicum,
zu unserer deutschen Musik zuriickfiihrte — ein„unsterb-
liches Verdienst! Auf seinem Nachttischchen lag ein
kleiner, von ihm geschriebener Zettel, diesen steckte ich
zu mir, um ihn in meiner Brieftasche zu tragen. Ich half
Sir G. Smart und Fiirstenau Weber's Papiere versiegeln,
wozu der Erstere, im Geftihle seiner grossen Verantwort-
lichkeit, mein eigenes Siegel holen Hess."
6. Juni: „Heute Morgen, als der grosse Meister schon
im bleiernen Sarge dalag, brachten wir, Alles offnend,
seine hinterlassenen Effecten zu Papier. Da waren £ 1000,
die er in London verdient haben muss, ausser den £ 1000,
die er von den Verlegern Walsh und Hawes fiir den
Clavierauszug des „Oberon" bekam. Wir fanden das Manu-
script dieser Oper. Ein Lied, das er fiir einen Mr. Ward
fiir £ 25 componirt hatte, lag mit unvollendeter Clavier-
begleitung da. Sir George besturmte mich, sie zu ergan-
zen, und ich that es spater. VondenSkizzendeSj.Oberon' 1
durfte ich mir einige Blatter aneignen."
■— . "5 — ■ ■ -
Nun bildete sich ein Comity zur Beerdigungsfeier, be-
stehend aus den Musikverlegern Chappell und d'Almaine,
W. Collard vom Hause Clementi & Comp., Preston und
Power, Sir G. Smart, seinem Bruder Mr. Smart, dem
Componisten Sir John Stevenson, dem Organisten derPauls-
kirche Mr. Attwood, dem Sanger Braham u. Moscheles. Es
wurde darauf angetragen, Mozart's Requiem in der katho-
lischen Kapelle Moor fields zu geben, und zwar gegen
Eintrittsgeld, fur den Ertfag aber dem Todten ein Monu-
ment zu setzen. Als man vom katholischen Bischof die
Erlaubniss hierzu nicht erwirken konnte, weil er den in
der Kapelle habilitirten Besuchern freien Eintritt gestatten
Wollte, wendete man sich an die protestantische Geistlich-
keit, um eine Auffiihrung des Requiem in der Paulskirche
zu erzielen. Diese wollte die katholische Feier in ihrer
protestantischen Kirche nicht dulden, und so wurde nach
vielem unnutzen Hin- und Herreden und Schreiben der
grosse Mann ohne Entree, also ohne Anwartschaft auf ein
Monument durch dieses Mittel am 21. Juni in der katho-
lischen Kapelle Moorfields beigesetzt. „"Wir Musiker Alle
versammelten uns zur Beerdigung um neun Uhr friih im
Hause von Sir G. Smart, von wo aus wir in Trauerkutschen
die Leiche begleiteten. Nach dem iiblichen Gottesdienst
ward Mozart's Requiem aufgefiihrt; dann tmgen zwolf
Musiker, unter den en ich war, die Leiche in die Gruft,
wahrend der Trauermarsch aus Handel's „Saul" gespielt
wurde. Er klang in den Herzen Aller wieder, und kein
Auge blieb trdeken!"
Am iz. Juni liess die Philharmonische Gesellschaft den-
selben Trauermarsch vor Anfang des Concerts spielen
und dabei auf dem Programm bemerken: ^As a tribute to
a departed genius". Am 17. d. M. gab man im Coventgarden-
Theater den .,Oberon" zum Benefiz der Familie Weber, doch
waren nur zwei Drittel des Hauses gefullt; wieder uner-
klarlich!
In diesen Tagen schreibt die Frau den Ihrigen: „Alles
was mein Mann offentlich leistet, daruber posaunen Euch
die Zeitungen genug vor, die schon so oft „wonderful,
— ■ 126 — . ,
matchless, unrivalled" und was sonst geschrieben haben,
so dass sie nun bald neue Worte fur ihn erfinden miissen.
Welche Freundlichkeiten er aber im Stillen mit Hiilfe seiner
Kunst ubt, das kann nur ich Euch erzahlen. Gestern z. B.
sagte mir die gute alte Freundin Mme. G., mit Thranen
in den Augen, sie habe seit ihrem Ungliick zum ersten
Mai eine gliickliche Viertelstunde verlebt, als Moscheles
ihr vorgespielt. Er ging eben deshalb mit mir hin und
wir verbrachten den Abend mit der Familie ganz allem.
So macht er es bei alien ahnlichen Gelegenheiten und doch
ist jede freie Abendstunde ein Capital fur ihn."
Moscheles wirkte im Laufe dieser Saison ausser in
den schon erwahnten Concerten noch in neun andern zum
Besten von Freunden und verschiedenen wohltlratigen
Zwecken mit. Da er sich nicht viel Zeit zu Proben ab-
miissigen konnte, so iznprovisirte er viel und wahlte dazu
meistens das Thema irgend eines Stiickes, das an dem
betreffenden Abend besonders gut gefallen hatte, doch
musste er einige seiner Sachen, als das „Clair de lune", das
Rondo in D-dur und zu wiederholten Malen die immer
willkommenen „Recollections of Ireland" zu Gehor bringen.
Unter seinen Schiilern zeichnete sich damals der noch
jugendliche, aber schon recht Bedeutendes leistende Thal-
berg aus. Es war Moscheles eine hohe Genugthuung, diesen
unter seiner Leitung emporgekommenen jungen Kiinstler
nicht nur im Publicum, sondern auch von solchen Mann em
•wie Cramer und Clementi anerkannt zu sehen.
Die Freude des alten Fiirsten Dietrichstein, der sich
damals in London auf hielt. iiber die Erfolge deutscher Kunst
und KLiinstler in England war grenzenlos; er blieb die ganze
Saison dort. Die Frau schreibt; „Tout prince qu'il est, ge-
fallt er sich doch in unserer einfachen Hauslichkeit, lasst sich's
biirgerlich gut schmecken und verlebt gern frohe musika-
lische Stunden bei uns, wenn „die Musikanten" allein sind
und so recht nach Herzenslust loslegen. Ich muss mit
ihm fur Deutschland einkaufen und wo er nur kann
macht er uns Freude. Wir sollten auch mit nach
Ascot races (zum Pferderennen); da aber Moscheles keine
— 127 —
Zeit hat, so dankte ich. Ohne ihn, auf einem race-course
mit einem Prinzen, wenn auch einem alten — das ist mir
zu hoch."
Jede Soiree in grossstadtischem Style wurde im Hause
Moscheles zu den hauslichen Storungen gerechnet, wegen
der Vorbereitungen, die sie erforderte, und der Ermiidung,
die sie Hnterliess; dennoch wurden sie durch die Ver-
haltnisse in solche Soireen bei Rothschild's und Anderen
hineingezogen. Auch wollten sie es dem Fiirsten Dietrich-
stein nicht abschlagen, dem grossen Costiimball im Co-
ven tgarden-Theater beizuwohnen, der an Pracht und
Fiille vielleicht einzig in seiner Art war. Parterre, Par-
ket und Proscenium bildeten einen einzigen grossartigen
Saal, in dem es durcheinanderwogte; da gab es Costume
aus aller Herren Landern, in reichster Eleganz, viele mit
Edelsteinen besaet. In den Logen sassen die Zuschauer
in Balltoilette, auf der Biihne war eine Hofloge, in der
sich die konigliche Familie aufhielt und in den Nebensalen
wurde lustig zu Tanzen im engeren ICreise aufgespielt.
„Um einen Begriff von dem Zudrange zu diesem Balle
zu geben, sei es notirt, dass wir den Saal um zwei Uhr
verliessen, aber erst um vier Uhr den Wagen des Fursten
erreichten."
Diesem rauschenden und geschaftigen Leben, das auch
im Juli noch fort ging, entfioh Moscheles erst Anfang
August durch eine Reise nach Hamburg. Den 7. August
bezeichnet Moscheles jubelnd als die „Ankunft in Ham-
burg bei den Lieben mit Frau und Kind", und nun folgen
sechs Wochen der Ruhe in schoner Landlichkeit im gliick-
Hchsten Familienkreise. Unter den Hamburger Kunstlern
war besonders Bernhard Romberg ein haufiger gem ge-
sehener Gast. Mit ihm spielte Moscheles fleissig, auch
componirte er damals in der landlichen Stille sein C-dur-
Concert.
Moscheles eilte weiter; er stand am Vorabend einer
Kunstreise durch Deutschland und Oesterreich. Die Zeit
verstrich nur zu schnell; der 17. September war der trau-
rige Tag der Trennung. Die Frau, die er auf dieser
— 128 —
Reise durchaus nicht entbehren kann, muss sich ent-
schliessen, das Kind bei ihrer Schwester zu lassen, wo es
vortrefFlich aufg"ehoben ist.
Das nachste Ziel ist Leipzig. Am 25. September spielte
er in seinem Concert zum ersten Mai das erste Stuck des
C-dur-Concerts, ebenso zum ersten Mai in Deutschland die
„Erinnerungen an Irland"; dann das Rondo brillant in D-
uhd die nie fehlende Improvisation. Das Publicum belohnte
ih.11 durch grossen Beifall und bedeutende Einnahme. Nach-
dem Concert trafen sie noch Grillparzer bei einem Souper
des Banquier Seyfferth. Hofrath Wendt, der auch unter
den Grasten war, machte ein sehr schmeichelhaftes Im-
promptu auf das Zusammentreffen des Dicbters und
Musikers.
Am 26. September wurde im Theater zu Ehren und
im Beisein des Dichters „Medea" gegeben. Nachdem
Moscheles auch im Gewandhaus (27. Sept.) sein C-dur-
Concert mit bestem Erfolg gespielt, reiste er nach Dresden
ab, wo er am 30. September ankam. Dort traf er manchen
guten Bekannten aus friiherer Zeit, unter Anderen "Wolf-
ram, den alten wiener Freund und Musiker, der immer
zwischen der Jurisprudenz und Kunst geschwankt hatte,
inzwischen teplitzer Burger meister geworden war und
.sich jetzt in Dresden aufhielt, um seine allerliebste Oper
„Diebezauberte Rose" zum ersten Mai auffiihren zu lassen.
Hiibsch ausgestattet und gut gegeben, machte Moscheles
die, wenn auch leichte Musik, viel Freude. Einen genuss-
reichen Abend verlebte er bei Tieck, der sein satirisches
Spiel „Die verkehrte Welt" vorlas.
Da Fiirstenau eben im Begriffe war, in Dresden ein
grosses Concert vorzubereiten , und da Moscheles weder
seine Unternehmung storcn, noch ihren Atisg-ang abwarten
mochte, so gab er jedes offentliche Auftreten in Dresden
auf und reiste am 5. October ab. In Prag, wohin er sich
zunachst wandte, ward Moscheles die doppelte Freude
seine Verwandten wiederzusehen und ihnen seine Frau
zu bringen. Nach kurzem Aufenthalt eilten sie nach
Wien, wohin Moscheles vom Director des Kartnerthor-
^p^^.^-ifr ,;ft';L Vi^^-v i;S?'j^ ; '» *i^^";; ; : ^-v : -;i-*
.'■■'■" — 129 — -
Theaters eingeladen worden war, um dort zwei Con-
certe zu hatber Einnahme zu geben. Diese fanden am
21. und 25. October statt, und auch hier erfreuten sich das
neue C-dur-Concert und die „Erinnerungen an Irland" der
herzlichsten Aufnahme.
In vielen grossen Hausern, wo Moscheles einst in
seiner wiener Studienzeit em- und ausgegangen war,
wurde nun auch seine Frau mit vieler Freundlichkeit auf-
genommen. So wollte die alte Frau v. E . . ■ . sie in
ihre.m kleinen Hofzirkel, den sie gewohnlich zwischen dem
Mittagmahl und dem Theater hielt, nie missen. Man
speiste namlich um drei Uhr, und von vier bis sechs Uhr
empfing die alte Dame ihre Gesellschaft auf einem gelben
Atlasdivan zuriickgelehnt, von seinen vielen weichen
Polstern getragen; sie verstand es noch recht gut, den
Teint durch kiinstliche Mittel zu heben, und mit alien
Waffen der Toilettenkunst gegen die Spuren der zuneh-
menden Altersschwache zu Felde zu ziehen. Abbe's,
Dichter und Gelehrte, z. B. Carpani, der Freund und
Biograph Haydn's, fanden sich in diesen Nachmittags-
gesellschaften ein, Stadtgesprache und politische Neuig-
• keiten- wurden von Beam ten und Staatsmannern zuge-
tragen; dieDamen erschienen in Abendtoilette; gesprochen
wurde franzosisch, und zwar ziemlich schlecht; und das
Ganze trug den Stempel der Unnatur. Herr v. E. . . • .,
der gerade schlichte Geschaftsmann, erschien nie in diesem
Zirkel. Er hatte abonnirte Logen in alien Theatern, die
Moscheles und seiner Frau offen standen. Mit Czerny, dem
alten Abbe Stadler, Schindler, ,,1'arm de Beethoven" (wie
er sich auf seiner pariser Visitenkarte zu nennen liebte),
der Familie Blahetka, dem Kapellmeister Seyfried, May-
seder, Merck, Schuppanzigh, Leidesdorf, den beiden Hor-
nisten Lewy wurde viel musicirt, die Erinnerungeh der
alten Freundschaft wurden erneuert, und die Presse be-
handelte Moscheles wie einen zu kurzem Besuch heimge-
kehrten und daher hochzuhaltenden Sohn.
Die Hochzeit seiner Schwesler Nanny, die ihn Ende
October nach Prag rief, hinderte ihn, den verlockenden
Moscheles' Lebeji. q
— 130 — ,
Anerbietungen zu langerem Bleiben in Wien Gehor zu
geben. In Prag wurde der heitere Familientag wiirdig
gefeiert. Am folgenden Abend gab Moscheles im Theater
bei uberfulltem Hause ein Concert, und diesmal erfreuten
sich Frau und Mutter zusammen in einer Loge des freund-
lichen Empfanges und der wiederholten Hervorrufe, durch
die Moscheles ausgezeichnet wurde; ebenso im zweiteri
Concert, welches am 2. November im Theater stattfand.
„Wie es mir in der Improvisation gluckte, die Melodie aus
CherubinUs Wassertrager:
mit dem bohmischen Volksliedchen :
zu verkniipfen und in dieser Verbindung durchzufuhren,
erregte Aufsehen, und brachte mir enthusiastischen Beifall."
Am Morgen des 5. November mussten sie sich von
den Lieben in Prag trennen und am 6. Abends sclion in
einer Soiree in Dresden erscheinen, in der Moscheles mit
den ersten Sangern der Stadt wie Sassaroli, der Palazzesi
und Anderen urn' die Wette musicirt,
„Am 9. November Concerttag. Ich wurde noch vor
dem Anfang des Concerts um vier Uhr zur Prinzess
Louise gerufen, von der ich eine schone Nadel bekam,
einen Saphir in einen Lorbeerkranz von kleinen Brillanten
eingefasst. Die Prinzessin iiberreichte sie mir mit sehr
liebenswiirdigen Worten; dann bat sie mich noch, ihrem
Gemahl, dem Prinzen Max, vorzuspielen, und als dies fast
eine Stunde gedauert hatte, musste ich noch das alte
I Steckenpferd, die Alexander- Variationen vorreiten. End-
L lich (gegen sechs Uhr) eilte ich in das Concert, das mir
gut gelang".
10. November. „Die ungliickliche Frau v. Weber be-
sucht und viel iiber ihren unersetzlichen Verlust, auch tiber
so manche damit verkniipfte unangenehme Angelegenheiten
— t3i — .
gesprochen und ihr nach meiner Riickkehr nach London
■den thatigsten Beistand zugesagt".
Am folgenden Tage ging's nach Berlin, und, dort an-
gekommen, natiirlich gleich zu Mendelssohn's.
12. November: ,,Geburtstag von Fanny, mit Musik und
Tanz gefeiert. Wir tanzten mit, ich loste auch den jungen
Componisten Dorn ab, indem ich zum Tanz spielte. Da-
zwischen ernste musikalische Unterhaltung mit A. B. Marx."
Trotz aller freundschaftlichen Beziehungen zu den
Kiinstlerkreisen brachte er die Tage vom 12.— 19. November
muhevoJl, ja qualvoll unter Anstalten zu seinem Concert zu.
Zwar gab es taglich einige angenehme Stunden in den Hauser n
Mendelssohn, Beer, Bendemann und anderen, doch musste
■er meistens unmittelbar nach Tische forteilen, urn Sanger
einzuladen und sonstige Geschaftsangelegenheiten zu be-
treiben, bis es ihm endlich durch die Vermittelung seines
Freundes Blume gelang, einige Sanger zu erobern. Blume
selbst durfte eben so wenig roitwirken, als die Sonntag,
die, stets gefallig, es fur ihr Leben gem gethan hatte.
Sie war am Konigstadter Theater engagirt; Moscheles aber
wollte im Koniglichen Schauspielhause Concert geben und
musste daher auf ihre Mitwirkung verzichten. Am 20. No-
vember notirt er: „Heute ist unser lieber kleiner Adolf
-ein Jahr alt geworden und "vvir haben ihn nicht hier, das
thut \veh; aber wir muss en uns durch die grosste Thatig-
keit zerstreuen; meine Frau hat tausend Concertbillette zu
zeichnen und zu numeriren, und ich habe Probe fiir mor-
gen im Koniglichen Schauspielhause."
,,21. November Concerttag. Viel auf dem Instru-
ment von Erard geubt, welches seine Schwester, Mme.
Spontini, mir mit der dringenden Bitte zuschickte, in mei-
nem Concerte darauf zu spielen, Ich hatte mit seinem
Anschlagzu kampfen. Frl. Sonntag, die mir nicht positiv ■
helfen durfte, that es negativ, indem sie sich heiser mel-
dete, statt im „Sargin" zu singen; sie ging mit meiner
Frau in's Concert, wo beide sich in den Hintergrund einer
Loge zuriickzogen. Als ich der gefeierten Sangerin
dankte, sagte sie mit dem ihr eigenen lieblichen Lacheln:
9*
• — i3 2 —
„„Aber lieber Moscheles, sollte denn eine alte wiener
Freundin nicht die Kabalen eines Theater-Directors ver-
eiteln helfen? s'Jettl is immer noch's Jettl/'" Trotz ihrer
Liebenswiirdigkeit war derSaal, wahrscheinlich der spaten
Ankiindigung und anderer ungiinstiger Umstande halber,.
nur zu zwei Dritteln voll; aber der Hof war zugegen und
Alles ging vortrefflich unter Moser's Leitung."
Durch und mit Felix Mendelssohn und seiner Familie-
gab es wieder die genussreichsten Stunden. „Wie gross
war meine Freude, als er mir mit seiner Sch wester Fanner
seine ncue Ouvertiire zum Sommernachtstraum zu vier
Handen vorspielte! Und wie gediegen fand ich seine-
Sonate in E-dur! Er spielte mir auch seine grosse Ouver-
tiire in C mit dem Haupt-Thema fur Trompeten und ein
kleines Caprice vor, das er .A^surdite" nannte, Dieser
grosse noch so jugendliche Genius hat wieder Riesen-
schritte gemacht, die aber, o Wunder, ausser von semen
Lehrern Zelter und Louis Berger und einigen Auserwahl-
ten, noch wenig anerkannt werden. Auch dieser Prophet
muss erst durch das Ausland seinen Ruhm griinden. . . ..
Mich freut es, dass er und Marx und noch einige Lieb-
haber viel Interesse an meinen Etiiden zeigen, indem sie-
wiederholt zu mir kommen, sie sich vorspielen zu lassen;.
Marx erklart sich sogar bereit, die C-moll-Etude, „Der
Kampf der Damonen" betitelt, die er alien anderen vor-
zieht, zu instrumentiren." Diese C-moll-Etude entstand.
auf eigene Weise. Moscheles hatte fiir seine Frau sein
„Rondo expressif" in ihrer Lieblingstonart As-dur compo-
nirt, und sie iibte es mit grossem Eif er , konnte aber den.
letzten rollenden Lauf nie ganz zu ihrer eigenen Zufrieden-
heit herausbringen und klagte ihm dies. „Gut", sagte er,.
„AHe, denen es so geht wie Dir, sollen eine ganze Etude
solcher Laufe zu iiben bekommen, dann. werden sie's schon
lernen."
Ritter Spontini war freundlich gegen Moscheles;:
dieser gehorte nicht zu den Rivalen, Feinden und Neidern,.
iiber die er bestandig klagte; er zog ihn auch mit Fragert
in's Vertrauen, zu welchen Preisen er wohl seine Opern
■ — 133' —
in England verkaufen , durch welche Mittel er sie dort
.zur Aufiuhrung bringen konne.
Im Konigstadter Theater „ergotzte" sie die liebliche
hinreissende Sontag im „Sargin", in der „weissen Dame"
und in der „Italienerin in Algier". Blum zeigte Moscheles
■seine neue Oper „Der Bramine" im Manuskripte. Moser
studirte eben die neunte Symphonie von Beethoven ein,
und Moscheles konnte nur mit steigendem Interesse den
Proben und der Auffiihrung beiwohnen, .und das Rtesen-
werk immer mehr anstaunen. Das Tagebuch berichtet
.aus dieser Zeit auch iiber einen kleinen AustauscH von
Scherzen, den Saphir hervorrief, indem er ihm erne In-
strumenten-Figur mit sehr witziger Erklarung fur sein
Album brachte, wahrend Moscheles ihm als Erwiderung
■Qber das Motto seines Blattes „Die Schnellpost" einen vier-
stimmigen Canon schrieb: „Nur frisch, holpert es gleich,
iiber Stock und Stein, rasch in's Leben hinein."
Am 28. November iindet ein zweites Concert im grossen
■Opernhause statt, das iiberfullt war. Der ganze Hof
wohnte ihm bei. Moscheles spielte unter Anderen das
•dem Konig dedicirte Es-dur-Concert.
Noch an demselben Abend wurde die Ruckreise nach
Hamburg angetreten, wo sie am i.^ December ein froh-
liches Wiedersehen feierten, und Alles, auch den Knaben,
im besten Wohlsein antrafen, Der letzte Monat des
Jahres, wahrend dessen Moscheles nur einige Mai offent-
lich auftrat, verlief ruhig und in lustigem Beisammensein.
Von wichtigeren Compositionen beendete Moscheles
in diesem Jahre das zweite Heft der vierundzwanzig Etuden
■{op. 70) und die .Anticipations of Scotland" (Fantasie iiber
:schottische Motive).
1827.
Das Jahr 1827 begann mit einigen Concerten in Han-
nover und Gottingen. Den Aufenthalt in letzterer Stadt
benutzt Moscheles, urn die Universitat kennen zu lernen.
Mit besonderem Interesse hort er einige Vorlesungen des
— 134 —
Staatsrechtslehrers Sartorius. Sowohl seitens der Ein-
wohner als der Studentenschaft hatte 'er sich einer herz-
lichen Aufnahme zu erfreuen.
Am 7. Januar meldet das Tagebuch die gliickliche
Ankunft in Cassel. „Das Wiedersehen mit Spohr erfreut
mich gar sehr, das Bewttsstsein, einen so grossen Mann
zu verstehen, das gegenseitige Interesse an den Leistungen,.
das Alles thut wohl. Sein Garten ist selbst ira Winter
reizend." Wie sehr Spohr sich Moscheles in diesen Tagen
widmete, geht aus dem Tagebuch hervor. Am 8. Januar
hilft er ihm Concertanstalten machen; am 9. Januar heisst
es: „Heute war bei Spohr ein ausgewahlter Cirkel von
Musikern und Musikfreunden , unter ihnen Hauptmann,
Gerke und Frau v. Malsburg. Spohr spielte mit bekann-
ter Trefflichkeit seine zwei neuesten Quartette in D-moll und
B-dur, ich das erste Stuck meines C-dur-Concertes und
das erste Heft meiner Etuden, die besonderes Interesse zu
erregen schienen." „Am 10. Januar mit Spohr auf die
Wilhelmshohe und bei ihm gespeist. Am 11. Januar fruh
mit ihm in die Probe meines Concertes im Stadtbausaale.
Dort empfing er zu Aller Erstaunen ein Rescript des-
Kurfursten, das mein Concert von diesem Saal in's Theater
verlegte, mit dem Bedeuten, der Kurfiirstliche Hof werde
es besuchen." Ein Brief der Frau erganzt diese Notiz:
j,Der Kurfiirst beliebt sonst kein Concert im Saale zu be-
suchen, weil es dort keine Loge giebt, verweigert gewohn-
lich das Theater zu Concerten {wie z. B. selbst Hummel
gegeniiber) und hat, wie man hier sagt, noch keins im
Theater besucht, beehrt also meinen Mann so sehr, wie
ein Kurfiirst von Hessen ihn nur beehren kann." Ueber-
das Concert selbst sagt das Tagebuch: „Ich wurde unter
Spohr's Leitung h err lich accompagnirt, sodass ich mit
Liebe mein G-moll-Concert und Clair de lune spielte, auch
recht begeistert iiber das Frauenduett aus ,Jessonda" und
den „Vogelfanger" phantasirte. Die Ouverture zum „Berg-
geist" und „Lodoiska" wurden vortrefilich gespielt. Wild
und die Heinefetter sangen sehr schon."
Neben alledem finden sich noch ein paar ruhige
— J 35 — ■:.
Stunden im Hotel. „Der Junge ist gottlbb gesund und
schlaft", schreibt Moscheles, „wir machen die Titel zu den
Etuden, ich schreibe die Bemerkungen- zu jeder einzemen,
um dem Schiiler das richtige Verstandniss ihres Zweckes
zu geben, meine Frau iibersetzt sie sogleich in's Franzdsische
undEnglische; denn sowie Probst sie fur Deutschland ver-
legt, so Schlesinger fur Frankreich. In England habe.ich
mir von Cramer Beale & Co. statt des Honorars ein VierteL
Antheil von jedem Exemplar ausbedungen."
Der nachste Haltepunkt ist Elberfeld. Dort ange-
kommen,«chickte Moscheles sogleich „zu dem musikalischen
.Schornstein (dem dortigen Musikdirector), um ihm sagen
zu lassen, dass er nur durchreise; der aber rauchte von
einer Subscriptionsuste, die schon fiir iibermorgen circulire,
und die Erwartungen der musikalischen Welt rege ge-
macht habe, und wollte keine Absage annehmen." „End-
lich", schreibt Moscheles den Verwandten, „sah ich, dass
es eine Ehrensache sei und willigte ein,- Concert zu geben.
Der Zettel wird oder sollte doch lauten: Symphonie von
Beethoven, so gut als moglichvon einer Musiker-Versamm-
lung vorgetragen, die sich Orchester nennt; Es-dur-Concert,
gespielt mit moglichster Vorsicht, damit das Orchester nicht
zuriickbleibe; Alexander- Variationen ; Arie, gesungen von
einer Sangerin, wenn es hier eine gabe; Vocal-Manner- '
Quartett, das Solo reprasentirend; zutn Schluss freie Phan-
tasie, nach der mir erlaubt sein wird, frei ohne Hinderniss
abzureisen. Die Kosten werden voni Gewinn abgezogen
und der Reinertrag zur Deckung der Postpferde bestimmt.
Verzeiht die Thorheiten, sie zeigen Euch, dass wir mit
dem Jungen gesund und vergniigt sind."
Aus Aachen, ihrer nachsten Station, schreibt die Frau :
„Gerade am Concerttage in Elberfeld stand die halbe Stadt
unter Wasser, ganz wie bei imseren Hamburger Sturm-
fluthen, sodass nur die Halfte des Orchesters zur Probe
kam, was etwa ein Stuck von einem halben Apfel re-
prasentirt. Das Publikum kam aber Abends zur Auffuhrung
in Kutschen angeschwommen und uberfiillte den Saal.
Hier in Aachen sind die alten Freunde so sehr um uns
bemiiht, class dies nur ein eiliges ' Wischiwaschi wird, was
Ihr entschuldigen miisst." „Ich will auch ein bischen
; -;■ Wiscjiiwaschi liefern", fiigt Moscheles hinzu, „und meine
' : Freude ausdriicken,. dass diese Reise, wenn sie auch keine
besonderen pecuniaren Vortheile bringt, dock dem Schwung-
rade meiner Kunstlerlaufbahn neuen Antrieb geben wird.
Hier, wo man mich doch sckon so oft gehort, erregt die
- erwartungs voile Spannung des Publikums, die sich deut-
lich in der Subscriptionsliste ausspricht, wahre Begeiste-
rung in mir, und ich opfere ihr gern die in London ver-
sauroten Lectionen. Dass wir aber nun zunach%t aus un-
serem Heben Hauschen in London schreiben werden, hat
grossen Reiz fur mich!' r Von Briissel aus wird iiber die
'. enthusiastische Aufnahme und den glucklichen Erfolg des
, ' Concertes in Aachen berichtet, iiber "Briissel und die an-
grenzenden Stadte aber eilen sie trotz vieler Aufforderun-
gen zu Concerten hinweg, und am 26. Januar erreichen sie
London.
Schon im Februar muss er wieder in Bath spielen
und lasst sich diesmal zu Erard's nicht geringer Befriedi-
gung eines seiner Instruments dorthin schicken. Doch
auch ihm macht es Freude, sich.auf diesem herrlichen
Fltigel zu ergehen.
Moscheles schrieb in diesem Friihjahr seine fiinfzig
Praludien fiir Clavier (op. 73) , „Les charmes de Londres"
(op. 74), und ein zweites Rondo, das im „Album des
Pianistes" erschien. Ausserdem wurde er von gut zah-
lenden Verlegern zu einer Menge von kleinen Mode-
sachen veranlasst, die, schnell entstanden, fiir ihn selbst
so geringen Werth hatten, dass sie keine Opus-Nummer
- bekamen. Diese leichten Sachelchen gebrauchte er oft
und immer mit Erfolg bei seincn Schiilerinnen, die sich
auch in diesem Jahre wieder in grosser Masse einfanden.
„Sie furchten sich vor jedem ernsten Studium; ich hore,
■sogar dann und wann von den Miittern: „Will you give
her something with a pretty tune in it, brilliant and not too
difficult." („Wollen Sie ihr etwas geben, das eine gefallige
Melodie hat, brillant und nicht zu schwer.") Um diesem
— i37 —
Wunsche nachzukommen, suche ich alle Vollgriffigkeit und
ungewohnliche Modulation zu vermeiden, kannaber eben
deshalb diese Sachen nicht als legitime Geschwister anderer
Geisteskinder betrachten."
Kein Wunder, dass man bei dieser Hinneigung zu
leichten, in's Ohr fallenden Rhythmen eine aus dem Ziller-
thal nach London gepilgerte Sangerfamilie als angehehme
Novitat begriisste. ' Es waren die Rainer's, drei Briider
und eine Schwester. "Wie fast alle vom Continent kom-
menden Musiker, waren sie an Moscheles empfohlen. Er
richtete ihnen einige tagliche Productionsstunden in der
Egyptian Hall cin, avo sic ihre wunderhiibschen Tiroler-
liedchen sangen und der eine Bruder mit der Schwester
sich auch in einem phlegmatischen Landler schwang. Ihr
treuberziges Wesen, ihr reiner Gesang, ihre charakteristi-
schen Lieder, ihre echte Tiroler Tracht, Alles gehel und
lockte mehr und mehr Zuhorer herbei, sodass sie trotz
ernes geringen Einlasspreises gute Geschafte machten.
Hierbei aber blieb die Sache nicht stehen; diese Tiroler
wurden Mode. In den glanzendsten Soireen der vornehm-
sten Damen mussten sie die grossten Opernsanger mit
ihren Volksmelodien ablosen. Konig Georg IV. horte sie
so gern, dass er sie mit neuen Exemplaren ihrer National-
tracht begabte, worauf sie mit Recht stolz waren. Bei
Moscheles gingen sie ein und aus, holten sich Rath oder
erzahlten von ihren Erfolgen. Ihm leisteten diese Rainer's
ganz unerwartet einen grossen Dienst. Sein jahrliches,
wochenlang vorbereitetes Concert litt an entschiedenem
Sanger-Malheur. Die eine Sangerin wurde heiser, die
andere durch einen Unfall am Singen verhindert, und das
Alles erst in dem Augenblick, wo das Concert beginnen
sollte. Nun batte er zwar noch Mrae, Caradori, auch Frau
Stockhauseu, deren reizende Stimme und Heblicher Vor-
trag schon dafnals Aufsehen zu'erregen begann; er hatte
auch ein beliebtes Buffo -Duett zwischen Galli und de
Begnis; de Beriot spielte ein Yiolinsolo, und er selbst,
ausser seinen Solosachen, noch sein „Hommage a Handel"
mit Cramer; der concertbesuchende Englander lasst sich
- "i 3 8 —
aber nicht ohne. Murren zwei Gesangsnummern abziehen,
und Solisten waren in dieser elften Stunde nicht auf-
zutreiben. „Da fiel mir ein, dass die Rainer's in der
nachstenNahe meines Concertsaales eine 'fashionable Soiree
hatten; ich eilte zu ihnen: „Rainer's, wollt Ihr zwischen
Euren Stiicken bei Lady ** zwei Mai fur mich singen?
Ich bin in Verlegenheit." ,„Ja gewiss"", erto'nte es im Quar-
tett, „„fiir Dich thun wir Alles"", und so kamen sie und
sangen, und meine Liicken waren gut ausgefuUt."
Von den Londoner Musikverlegern geplagt, musste
sich Moscheles entschliessen, einige Stiickchen iiber die
Lieder dieser behebten Gaste zu schreiben. Da er aber
doch nur fur ein en schreiben konnte, so ward der so Be-
vorzugte von einem anderen Zuriickgesetzten angegriffen;
die beiden Herren processirten um die arrangirten Lied-
chen; aber Moscheles' 1 Verleger gewann; es war ihm nichts
anzuhaben.
In dieser Saison fand sich auch der junge Liszt in
London ein. Er spielte wiederholt mit seiner allbekannten
Virtuositat, die schon damals sehr entwickelt war, konnte
aber dennoch den kleinen Saal, in dem er am 9. Juni
Concert gab, nicht fiilleh. Von seinem dort gespielten
Concert in A-moll bemerkt das Tagebuch, dass es „cha-
otische Schonheiten enthalt"; von seinem Spiel, dass es
„alles friiher Gehorte an Kraft und Ueberwindung von
Schwierigkeiten iiber treffe."
Die Anzahl der Concerte war ebenso bedeutend wie
in friiheren Jahren, und Moscheles spielte manchmal in
zweien an einem Abend. Der Harfenspieler Labarre, der
Cellist Poignie und der Flotenspieler Sedlatzek, so wie de
Beriot waren neue Erscheinungen am musikalischen Ho-
rizont.
Mitten in dieses gesunde heitere Leben fiel wie ein
Donnerschlag dieNachricht von derKrankheit des grossen
Heros Beethoven! Die erste Notiz im Tagebuch finden
wir in folgenden Worten: „Heute zum Tode erschreckt
durch Stumpff! Beethoven ist gefahrlich krank, wollte er
mir mittheilen; er hat einen Brief, der es meldet. Welch
— 139 —
entsetzliches Ungliick fur die musikalische Welt. Und welche
Schmach, auch von Nahrungssorgen ist darin die Rede; es
ist undenkbar."
In diese Zeit, vielleicht in das Ende des vorhergehen-
deri Jahres, scheint folgender Brief Beethoven's ohne Da-
tum zu.gehoren.
Mein werther Herr!
Rode hatte wohl in allem Rccht, was er von mir
sagte. — Meine Gesundheit ist nicht die beste — undun-
verschuldet ist eben meine sonstige Lage wohl die un-
giinstigste meines Lebens — iibrigens wird mich das und
nichts in der Welt nicht abhalten, Ihren ebenso unschul-
dig leidenden Convent-Frauen so viel als moglich durch
rhein geringes Werk zu helfen. — ■
Daher stehen Ihnen zwei ganz neue Sinfonien zu Dien-
sten, eine Arie fur Bassstimme mit Chor, mehrere einzelne
Heine Chore, brauchen Sie die Ouverture von „Ungarns
Wohlthater", die Sie schon voriges Jahr aufgefiihrt, so
stehet sie Ihnen ohnedem zu Diensten.
Die Ouverture von den „Ruinen von Athen", diese
obschon in einem etwas kleinen Styl, steht Ihnen auch zu
Diensten. — Unter den Choren befindet sich ein Derwisch-
Chor, ftir ein gemischtes Publikum ein gutes Aushange-
schild. — Meines Erachtens wiirden Sie aber wohl am
besten thun, einen Tag zu wahlen, wo Sie das Oratorium
„Christus am Oelberge" geben konnten. Es ist seit-
dem an alien Orten aufgefiihrt worden. Dieses machte
dann die eine Halfte der Akademie, zur zweiten Halfte
machten Sie eine neue Sinfonie, die Ouverturen und ver-
schiederien Chore wie auch die obgesagte Bassarie mit
Chor — so ware der Abend nicht ohne Mannigfaltigkeit,
doch reden Sie dieses am besten mit den dortigen mu-
sikalischen Rathsherren ab. — Was Sie von einer Be-
lohnung eines Dritten fiir mich sagen, so glaube ich diesen
wohl errathen zu konnen; ware ich in meiner sonstigen
Lage, nun ich wiirde geradezu sagen: „ Beethoven nimmt
nie etwas, wo es fiir das Beste der Menschheit gilt", doch
— 140 = —
jetzt ebenfalls durch meine grosse Wohlthatigkeit in einen
Zustand versetzt, der mich zwar eben durch seine Ursache
nicht beschamen kann, wie auch andere Umstande, welche
daran schuld sind, von Menschen ohne Ehre, ohne Wort
herkommen, so sage ich Ihnen gerade, ich wurde von
einem reichen Dritten so etwas nicht ausschlagen. —
Von Forderungen ist eben liier die Rede nicht, sollte auch
das alles mi.t einem Dritten nichts seyn, so seyn Sie
iiberzeugt, dass ich auch jetzt ohne die mindeste Belohnung
ebenso willfahrig bin, meinen Freundinnen, den Ehrwiirdi-
gen Frauen, etwas gutes erzeigen zu konnen, als voriges
jahr, und als ich es allzeit sein werde fiir die leidende
Menschheit uberhaupt, so lange ich athme. —
Und nun leben Sie wohl, schreiben Sie bald und mit
dem gxossten Eifer werde ich alles nothige besorgen —
meine besten Wunsche fiir den Convent. — Mit Hoch-
achtung
Ihr Fseund
Ludwig van Beethoven.
An Seine Hochgebohren
Herrn Joseph von Warena
in
Gratz.
Gleich in der ersten Aufregung schrieb Moscheles an
seinen vaterlichen Freund,, Herrn Lewinger in Wien, urn
sich genau nach Beethoven und seinen Verhaltnissen zu
erkundigen; aber noch ehe diese ersehnte Antwort eintraf
— die Postverbindungen waren damals langsam und im
Winter besonders unsicher — , lief bei Moscheles schon
folgender Brief von Beethoven ein, der keinen Zweifel
iiber das Ungluck des grossen Mannes iibrig liess:
Wien, 22. Februar 1827.
Mein lieber Moscheles!
Ich bin iiberzeugt, dass Sie es nicht iibel nehmen,
dass ich Sie ebenfalls wie Sir Smart, an den hier ein Brief
beiliegt, mit einer Bitte belastige. Die Sache ist in Jvurze
— Hi — '
diese.. Schon yor einigen Jahren hat mir die Philharmo-
nische Gesellschaft in London die schone Offerte gemacht,
zu meinem Besten eine Akademie zu veranstalten. Da-
mals war ich gottlob nicht in der Lage, von diesem edlen
Antrage Gebrauch machen zu rmissen. Ganz anders ist
es aber jetzt, wo- ich schon bald drei Monate an, einer
ausserst langwierigen Krankheit darniederliege. Es ist die
Wassersucht. Schindler wird Ihnen hier beiliegend mehr
davon sagen. Sie kennen seit lange mein Leben, wissen
auch, wie und wo icli lebe. An's Schreiben ist jetzt lange
nicht zu denken, und so konnte ich leider in die Lage
versetzt werden, Mangel leidert zu miissen. Sie haben
nicht nur ausgebreitete Bekanntschaften in London, sondern
auch bedeutenden Einfluss bei der Philharmonischen Ge-
sellschaft. Ich bitte Sie daher, -diesen so viel, als es Ihnen
moglich, anzuwenden, dass die Philharmonische Gesellschaft
jetzt von Neuem diesen edlen Entschluss fassen und bald
in Ausfiihrung bringen moge. Des Inhalts ist auch der
beiliegende Brief an Sir Smart, sowie ich einen -bereits an
Herrn Stumpff abschickte. Ich bitte Sie, den Brief an Sir
Smart einzuhandigen und sich zur Beforderung dieses
Zweckes mit ihm und alien meinen Freunden in London
zu vereinigen. Selbst das Dictiren wird mir sehwer, so
schwach bin ich. Empfehlen Sie mich Ihrer liebenswiirdigen
Frau Gemahlin und seien Sie uberzeugt, dass ich stets sein
werde Ihr Freund
Beethoven.
Antworten Sie mir auch bald, damit ich hore, ob ich
was zu hoffen habe.
Diesem Schreiben war folgende herzzerreissende Ein-
lag - e von Schindler, seinem Freund und Pfleger, beigefiigt:
Wien, 22. Februar 1827.
Theuerster Freund!
Bei Durchlesung des Briefes unseres ungliicklichen
Beethoven werden Sie sehen, dass ich mir darin auch vor-
behalten habe, einige Zeilen an Sie zu richten. Wohl '
— 142 —
batte ich Ihnen sehr viel zu sagen, allein ich will nur bei
Beethoven verweilen, weil das wohl fur jetzt der wichtigste
Gegenstand ist, der mir am Herzen liegt. In seinem Briefe
an Sie werden Sie seine Bitte und seinen sehnlichsten
Wunsch ausgesprochen linden, desselben Inhalts ist auch
jener an Sir Smart, sowie ein friiherer, auch von meiner
Hand geschriebener, an den Herrn Harfenmacher Stumpff.
Schon bei Ihrem letzten Hiersein sehilderte ich Ihnen
Beethoven's finanzielle Zus'tande und ahnte nicht, dass der
Zeitpunkt so nahe sei, wo wir diesen wiirdigen Mann auf
eine so jammerliche Art seinem letzten Ende wurden ent-
gegen gehen sehen. Ja, wohl kann man sagen „seinem
letzten Ende"; denn wie die Sache mit seiner Krankheit
gegenwartig steht, so ist an eine Genesung gar nicht zu
denken, obwohl er dies gar nicht wissen darf, aber es
selbst schon ahndet.
Erst am 3. December kam er mit seinem nichts-
wiirdigen Neffen vom Lande an. Auf der Hierherreise
musste er des schlechten Wetters halber in einem elenden
Wirthshause iibernachten, wo er sich dermassen eine Er-
kaltung zuzog, dass er augenblicklich eine Lungenentziin-
dung bekam und in diesem Zustande hier ankam. Kaum
war dieselbe beseitigt, so zeigten sich auch schon alle
Spuren der Wassersucht, die so heftig iiberhand nahm,
dass er schon am 18. December das erste mal musste
operirt werden, sonst ware er geborsten. Am 8. Januar
folgte die zweite Operation und am 20. Januar die dritte.
Nach der zweiten und dritten Hess man das Wasser jedes-
mal durch elf Tage aus der Wunde fliessen; allein kaum
war die Wunde geheilt, sp war der Andrang des Wassers
ungeheuer schnell, sodass ich ofters fiirchtete, er musste,
noch ehe es zur Operation kommen konnte, ersticken.
Nur jetzt bemerke ich, dass der Andrang des Wassers
nicht so heftig ist, als friiher, denn es dflrften jetzt, wenn
es so fortgeht, wohl noch 8 — -io Tage bis zur vierten
Operation vergehen.
Nun, Freund! denken Sie 'sich Beethoven in einer so
furchterlichen Krankheit, mit seiner Ungeduld und iiber-
— H3 —
liaupt mit seinem Temperament. Denken Sie sich ihn in
diese Lage versetzt durch den niedertrachtigsten Menschen,
seinen Neffen, zum Theil audi durch seinen Bruder; denn
beide Aerzte, Herr Malfatti und Prof. Wawruch, erklaren
den Grund der Krankheit aus den furchterlichen Gemiiths-
bewegungen, denen der gute Mann lange Zeit hindurcli
durch Seinen Neffen ausgesetzt war, sowie aus dem zu
langen Aufenthalt in der nassen Jahreszeit auf dem Lande,
welches aber nicht leicht zu andern war, well der junge
Herr nicht in Wien bleiben durfte, infolge eines Polizei-
mandates, und ein Platz bei einem Regiment nicht sogleich
ausfmdig zu machen war. Nun ist er Cadett beim Erz-
herzog Ludwig und betragt sich noch stets gegen seinen
Onkel so wie fruher, obwohl er jetzt so wie eh', ganz
von ihm lebt. Den Brief an Sir Smart schickte ihm
Beethoven bereits vor vierzehn Tagen zu, zur Ueber-
setzung in's Englische, allein bis heute ist noch keine Ant-
wort zuriick, obwohl er nur einige Stationen von hier, in
Iglau ist.
Sollten Sie es, mein herrlicher Moscheles, in Verbin-
dung mit Sir Smart dahin bringen, dass die Philharmonische
Gesellschaft seinem "Wunsche willfahrt, so thun Sie gewiss
dadurch die grosste Wohlthat; die Ausgaben in dieser
langwierigen Krankheit sind ausserordentlich , so zwar,
dass die Vermuthung, er werde in der Folge Mangel leiden
rmissen, ihn Tag und Nacht qua.lt; denn von seinem ab-
scheulichen Bruder etwas annehmen zu miissen, brachte
ihm zuerst den Tod.
"Wie es sich jetzt schon zeigt, so wird aus der "Wasser-
sucht eine Abzehrung; denn er ist jetzt schon nur Haut
und Knochen; allein seine Constitution wird noch sehr
lange diesem entsetzlichen Ende widerstehen.
"Was ihn noch sehr krankt, ist, dass sich hier gar
Niemand um ihn bekiimmert; und wirklich ist diese Theil-
■nahmlosigkeit hochst auffallend. In friiherer Zeit ist man
in Equipagen vorgefahren, wenn er nur unpasslich war;
jetzt ist er ganz vergessen, als hatte er gar nie. in "Wien
gelebt. Ich habe dabei die grosste Plage und wunsche
— 144 —
sehnlichst, class es sich mit ihm bald andern mcge, wie
immer, denn ich verliere alle meine Zeit, da ich bios allein
mit ihm zu thun habe, weil er sonst Niemand um sich
haben will, und ihn in dieser ganz hiilflosen Lage ver-
lassen, ware doch unmenschlich.
Er spricht jetzt haufig von einer Reise nach London,
wenn er gesund wird, und rechnet schon, wie wir Beide
am wohlfeilsten auf der Reise leben werden. Aber du
lieber Gott! die Reise wird hoffentlich weiter als nach
England gehen. Seine Unterhaltung , ivenn er allein ist,
besteht im Lesen der alten Griechen, auch mehrere der -
W. Scott'sclien Romane hat er mit Vergniigen gelesen.
Wenn Sie, mein theurer Freund, die Gewissheit haben,
dass die Philharmonische Gesellschaft diesen schcm langst
geausserten Vorsatz in Ausfiihrung bringen will, so unter-
lassen Sie ja nicht, Beethoven direct hieriiber in Kennt-
niss zu setzen; denn dies' wird ein neues Leben fur ihn
sein. Auch Sir Smart suchen Sie zu bewegen, dass er
ihm schreibe, damit er eine doppelte Versicherung er-
halte u. s.- w.
Gott befohlen denn! Ihrer vortrefflichen Erau Ge-
mahlin melden Sie giitigst meine ganze Ergebenheit. Mit
aller erdenklichen Hochachtung Ihr stets
dienstfertigster Freurid
Ant. Schindler.
P. S. Wenn die Sache fur Beethoven mit der Phil-
harmonischen Gesellschaft" zu Stande kommt,, so sollten
mehrere dieser Herren an Beethoven bei Uebermachung
des Geldes ohne Riickhalt sich dahin aussprechen, dass
die Gesellschaft den Wunsch habe, er m6ge dieses Geld
zu sein em, und nicht zum Vortheil seiner unnaturlichsten
Verwandten, am wenigsten fiir seinen undankbaren Neffen,
verwenden. Dies wiirde sehr vortheilhaft wirken; denn
sonst giebt er es wieder seinem Neffen, der es nur ver--
lumpt, wahrend er selbst Mangel leidet.
„Krank und in Noth so vernachlassigt, — ein Beet-
hoven?" ruft Moscheles aus. DieAufregung im Hause war
— i 4 5 —
gross. Moscheles eilte zu Smart, und ihr erster Impuls
war, dem grosser. Manne £ 20 zu schicken, um ihn yor-
laufig in die Moglichkeit zu versetzen, sich kleine Be-
quemlichkeiten zu verschaffen, und ihm zu zeigen, dass
ein Beethoven nie Sorge haben diirfe. Da fiel es Mosche-
les noch zu rechter Zeit ein, dass dies von Beethoven
wahrscheinlich als eine Art von Almosen angesehen werden,
ihn nur beleidigen, ja vielleicht in die hochste Aufregung
bringen konnte, und sie unterliessen die Sendung, wandten
sich aber unverziiglich an die'Spitzen der Philharmonischen
Gesellschaft. Diese, nicht minder entsetzt, waren auch
nicht minder bereit, zu helfen, brauchten aber natiirlich
einige Zeit, um ihre Korperschaft einzuberufen und iiber
das Wie und Was der Hiilfe zu berathen. Unterdess kam
schon Beethoven's zweiter, hier folgender Brief an Mo-
scheles, mit Einlage von Schindler:
Wien, 14. Marz -1827.
Mein lieber guter Moscheles!
Ich habe dieser Tage durch Herrn Lewinger erfahren,
dass Sie sich in einem Briefe vom 10. Februar bei ihm er-
kundigten, wie es mit meiner Krankheit stehe, von der
man so verschiedenartige Geriichte ausstreut. Obvvohl ich
keineswegs zweifele, dass Sie meinen ersten Brief an Sie
vom 22. Februar jetzt schon in Handen haben, der Sie
iiber Alles, was Sie zu wissen verlangen, aufklaren wird,
so kann ich doch nicht umhin, Ihnen fur Ihre Theilnahme
an meinem traurigen Schicksale herzlich zu danken, und
Sie nochmals zu ersuchen, sich meine Bitte, die Sie' aus
meinem ersten. Brief schon kennen, recht angelegen sein
zu lassen; — und ich bin beinahe im Voraus versichert,
dass es Ihnen in Verbindung mit Sir Smart, Herrn Stumpff,
Herrn Neate und anderen meiner Freunde gewiss gelingen
werde, ein gunstiges Resultat fiir mich bei der Phil-
harmonischen Gesellschaft zu erzwecken. An Sir Smart
habe ich seit diesem auch nochmals geschrieben, da ich
Moscheles' Leben. 10
— 146 : ■ .
zufallig die Adresse von ihm fand, und ihm auch noch-
mals meine Bitte an's Herz .gelegt.
Am 27. Februar wurde ich zum vierten Male operirt,
und jetzt sind schon wieder sichtbare Spuren da, dass ich
bald die funfte zu erwarten habe. Wo soil das bin, und
was soil aus mir werden, wenn es noch einige Zeit so fort
geht? — Wahrlich, ein sehr hartes Loos hat mich ge-
troifen! Doch ergebe ich mich in die Fiigung des Schick -
sals, und bitte Gott stets nur, er moge es in seinem gott-.
lichen Rathschlusse so lenken, dass ich, so lange ich noch
hier den Tod im Leben erleiden muss, vor Mangel ge-
schiitzt werde. Dies wiirde mir so viel. Kraft geben, mein
Loos, so hart und schrecklich es immer sein moge, mit
Ergebenheit in den "Willen des Allerhochsten zu ertragen.
So, meinlieber Moscheles, empfehle ich Ihnen noch-
mals meine Angel egenheit, undgeharrein grosster Achtung
ste ts Ihr.Freund
Beethoven.
Hummel ist hier und hat mich schon einige Mai be-
sucht.
Dazu schreibt Schindler: ■
Mein theuerster Freund!
Hier auch ein Fleckchen von mir. — - Wie es mit
Beethoven geht, ko'nnen Sie aus seinem Schreiben hier
abnehmen. Dass es stets mehr dem Tode als der Ge-
nesung naher geht, so viel ist gewiss, denn die Abzehrung
hat schon den ganzen Korper ergriffen. Jedoch kann es
viele Monate so fortgehen, denn seine Brust ist bis itzt
noch wie von Stahl.
Suchen Sie es nur dahin zu bringen, dass, wenn die
Philharmonische Gesellsehaft ihm seine Bitte erfiillt, das
Geld hier Jemand Solidem, z. B. einem grossen Handlungs-
hause iibertragen werde, von dem er dann nach und nach
so viel, als er braucht, herausnehmen konnte. Die Phil-
harmonische Gesellsehaft soil aber ohne weitere Rucksicht
■'■■■■ — 147 —
Beethoven . erklaren,.; sie. .ergreife : diese , Massregel ;nur, • zu,
seinemvA^Qrtheilj. weil.. es ihrj zu bekannt sej, r dass^seine,'ihn;
umgebenden Y^rwandten , nicht . r edliqb. , j mit ihm ■ : 11m:
gingen.u; s; ,w,;/:Er wird.zwar darker,, stutzen,. allein: ich
und iAnderej ,zii,rdenen er , Yertrauen hat,,, werden ,es : ihin.
schon begreifuch^maehen, das,s dies eiti£: sehr w^Jilth^itigq
Masgr.^el;i^t r . und;ier;rwird;damit;zufrieden: sein. Denn,
was/.er Mlenfalls hinterlassen polite, kommt in: die. allert
unwiirdigsten Hande von der Welt, und besser . ware es, *
es gehorte dem Zuchthause zu.
Hummel ist . mit 7 .seiner Frau hier. Er bat sich sehr
beeilt, Beetboven noch am Leben .zu treffen, weil es in
Deutschland allgemein hiess, ,er : sei schon .zum Sterben.
Das Wiedersehen, dieser Beiden am. vorigepz/Donnerstag
war wifklich'ein ,riihfender Anblick. Ich macbte, Hummel
f ruber, aufmerksanr, er solle .sich uber .seinen Anblick
fassen. ...r Nichtsdestoweniger war er so, davon, uberrascht,
' dass er, sich .alles: JECampfes ungeachtet; nicht enthalten
konnte, in Thranen auszubrechen; per alte Streicher kam
ihm aber . scbon zuvor. .Das erste, was Beethoven- ; dem
Hummel sagte, war: „Siehj mein lieber Hummel, das Haus,
wo der Haydn gehoren warde, heutehabe ich's zum ; Ge-.
schenk erhalten,, und ; es .macht mir ; eine kindische Freude.
Eine schleebte Banernhiitte, wo 50 ein grosser Mann ge-
boren wurde!" So.s.ah ich zwei Manner, die sonst nie' die
besten Freunde. waren,, alle Zankereien des Lebens.ver-
gessend, in- dem allerberzlichsten Gesprach ^miteinander,
Beide haben sich nachsten Sommer ein Rendez-vous in
Carlsbad gegeben. O weh!
An Ihre liebenswiirdige Frau Gemahlin meinen aller-
berzlichsten Gruss und nun Gott befohlen!
Ihr unveranderlich ergebenster Freund
Ant. Schindler,
Indess aber hatte die Philharmonische Gesellscbaft
schon bescblossen und ausgefuhrt, was dem Ungliicklichen-
frommen musste. Einmiithig hiess es bei den Berathungen,
denen Moscheles als Mitglied beiwohnte, man wolle ihn
JO*
_: I 4 8 : '--
nicht warten lassen, bis man ein Concert veranstalten
konne, wozu in dem grossen London vier bis sechs Wochen
gehorten, uberdies sei die Jahreszeit eine ungiinstige; man
wolle ihm unverzuglich £ ioo durch Moscheles iiber-
machen, um aber sein Zartgefiihl zu schonen, dabei. be-
merken, dies geschehe a Conto des sich vorbereitenden Con-
certes. Der bier folgende Brief von Ran (einem Wiener
Freunde Beethoven's) *) beweist, dass diese Sendung Wien
moglichst rasch erreicbte:
Wien, 17. Marz 1827.
Lieber Freund!
Nach einer sehr bedeutenden Augenentziindung, die
rnich drei Wochen hindurch zwischen den vier Wanden
meiner Kammer gefangen hielt, bin ich Gottlob wieder so
weit hergestellt, dass ich, obschon mit Miihe und An-
strengung, die Feder wiede'r fiihren darf. Errathe, was
Du nicht lesen kannst und habe Nachsicht mit der Un-
deutlichkeit meiner Schrift,
Dein Schreiben, welches ich zugleich mit den fur
Beethoven iiberschickten £ 100 richtig empfing, setzte uns
in ebenso grosses Staunen als Bewunderung. Der grosse,
in ganz Europa mit Recht verehrte, hochgepriesene. Mann,
der edelste gutherzigste Mensch liegt in Wien in der
grossten Noth auf seinem Krankenlager zwischen Leben
und Tod! und dies miissen wir von London aus erfahren * *),
von dort eilt man, ihm sein Elend, seinen Kumnier zu
mildern, ihn mit Hochheizigkeit vor Verzweiflung zu retten.
*) Ran war viele Jahre Erzieker des jungen Barons von Eskeles,
dc?sen Eltern sicli einst Moscheles' so freundlich angenommen . hatten.
Diesem iibersandte Moscheles £ 100 mit der Bitte, selbst zu untersuchen,
wic es rait Beethoven stehe.
''**) Im Originalbrief rmden wir folgende Anmerfcung von Moscheles'
Hand: „Ich habe jedoch viele Beweise, welche Theilnahme Beethoven's
gcfahrvoller Zustand damals in Wien erregt hat, and dass viele seiner Ver-
ehrer ihm rait Hulfe und Trost entgegengeeilt waren, wenn seine Zuriidi-
gezogenheit den Zutritt zu ihm oder seiner nachsten Umgebung nicht zu
sehr erschwert hatte."
v ■j*«*r,- i - .-4 v -Vy-i-iy"^,!;.-, .,;"',; , r ' v n'"-*' - : - "" "- -""V-'^' ■- - ■-
'-. •■" ■' i.; ■■ . - *49 — . ' ; - ' ''''': '■■ '■;'■-""
Ich fuhr auf der Stelle zu ihm, um mich. von seiner Lage
zu iiberzeugen, und ihm die bevorstehende Hiilfe anzu-
zeigen. Es war herzzerreissend, ihn zu sehen, wie er seine
Hande faltete und sich beinahe in Thranen der Freude
und des Dankes aufjoste. Wie belohnend.und beseligend ■
ware es fur Euch, Ihr grossmiithigen Menschen, gewesen,
wenn Ihr Zeugen dieser -hochst riihrenden Scene hattet
sein konnen!
Ich fand den armen Beethoven in der traurigster.
Lage, mehr einem Skelette als einem lebenden Wesen
ahnlich. Die Wassersucht hat so sehr um sich gegriffen,
dass er schon vier bis fiinf Mai abgezapft werden musste,
Er ist in arztlicher Beziehung in den Handen des Dr. Mal-
fatti, also gut versorgt, Malfatti gibt ihm wenige Hoff-
nung. Wie lange sein gegenwartiger Zustand noch dauern,
oder ob er iiberhaupt gerettet werden kann, lasst sich
nicht bestimmen. Indess hat die Anzeige der eingetrete-
nen Hutfe eine merkwiirdige Veranderung zur Folge ge-
habt. Durch die freudige Germithsbewegung veranlasst,
sprang in der Nacht eine der vernarbten Ponctionen auf,
und alles Wasser, das sich seit vierzehn Tagen gesammelt
hatte, floss von ihm. Als ich ihn des anderen Tages be-
suchte, -war er auffallend heiter, fuhlte sich wunderbar er-
leichtert. Ich eilte zu Malfatti, um ihn hiervon in Kennt-
niss zu setzen. Er halt dieses Ereigniss fur sehr beruhigend.
Man wird ihm auf einige Zeit eine Hohlsonde appliciren,
um diese Wunde offen zu erhalten, und dem Andrange des
Wassers freien Abfluss zu verschaffen. Gott gebe seinen
Segen!
Mit seiner hauslichen Umgebung und Bedienung, die
in einer Kochin und einem Dienstmadchen besteht, ist
Beethoven zufrieden. Sein Freund, unser bekannter braver
Schindler, speist taglich bei ihm, und sorgt in dieser Be-
ziehung sehr freundschaftlich und redlich fur ihn. Schind-
ler besorgt Beethoven's Correspondenz, und bestreitet, so
viel moglich, seine Auslagen.
Hier beiliegend, empfangst Du, Heber Freund, eine
von Beethoven, ausgestellte Quittung iiber die ihm' ein-
■ ■■—■ 150 — . ■ : .
g^haridigteh'ibbo'Flv G; ; - i M: :, ' : Als : ich -ihih ^deft ■VorScM'a'g-
"riiachtei hai- s^o iFl/ auf einmal zB' ;j ubei*riehmehV Uriel : den-
sest Von 560 FL'beim H^rrh'Baroh voh'Eskeles^in sieherer
'VefWahrun'g'zu lassen^biser' inter- bediirfe, gesl!and'er : imr
ioHenft'erzigv' dasa ' tei-j ' tils ' itirh : die Uhtersrutziing* ! vbh ; io'ed 'PI.
■gleichsahi ivie' voitf Hiftiriia zufloss, 'eberiUti&e^peinliGheh
Lage war; 'Geld' >aTifnehmen''zu.i mussSri. Jl Ich obe^gab' ihm
also, seinem dringenden Wunsche gernass, die gti:rize Surhtn<fr
von £ tod ode'r fobd'FL-G'.- M. ■ - ; ; ■ ; . i. .'^-'i ■ ; >'■
"'- Km?- welcrie' Art : Beefhoven' der Philhartnbhischen: Gd-
S ellschaf t ' s'eihelr' ■' Dank ' abztistatteri ■ gede n-kty ■ l toir d ' > er- ' in
eiherti ; eigenen Sdifeib'en 'tin iie !! ktirid 'n¥aehdk : Kanrist
Dii' B'eeth'oVen : irt :! de^ F6Tge' l ii i iitzlicIi 'seihv ■' ttnd ■' ! ich ; Dir
hierzu' ' mein'e Hand 'bieteh, zahle auf ' inefirieti Eifer-'und
•meine ! Bereitwilligkeit. Die • gtinze Farrtil ie ] 'Esfcefes grii'sst
; Dich, DeineFrau ; uhd 'Sohnlein' eberiso 1 ! herdich 1 , als ich ■
'■ '''■■'■ ■"■'■ "■" • Dein-atifrichtiger i FTeund ,;l
-'■■■- '■■■ '"■:■' :.;--.^i'l:'"v.'/ -. v fi,, .■' ": <S. aft . ■. \\A : -.:■..:'
.'•■ Wie ansMoschelesY demRau'schenBriefeatigehangter
Bemerkung, ; s'o' erseheri ; wir auch ans Tageb'uchhotfefeil,
dass er an' 1 viele Wiener ! Eretmde- geschriebe'n hatte,' wie
es derin rnoglichsei, dass rirah eirie'n kranken hiilfsbedutfti-
gen Beethoven io- vernachlassige', 'iiberall aber -dieselbe
Auskunft efbielt, die-er' dem Briefed beifiigt':' Beethoven's
-abstossendes'-Weseri, 1 dieEifersuchtvon Brader fond Neffe,
die alle Freunde- abweise'n- und'dergleichen iWehr. ''„Ich
glaiibe, ich hatfe mich doch' nicht abweisen ■ -lassen" be-
merkt Moscheles, und wohl mit Recht. : '-
■ '• Dem Briefedes FreundesRau vokni7L Marz folgte ein
weiterer bis -zu '■■ Thranen f uhrender von Beethoven' -selbst.
■Er' -hatte 1 -inn' Schindier dietirt ! 'tmd ''eigenhandig'tinter-
schrieberi/ .;■ ' ' •■■■ ■-*■: ■ <■•■'■■■ ■ .■■.]■■ ..-..■., \- - J .
■,,,. .,,■., .■,,..'! . '.^yien» '8.; Marz 1827. .;■
Mein lieber guter Moscheles!' ■ .,; . ,;.;!-'•.■. l-.f ,•
Mit welchen Grefiihlen ich Ihren'. Brief i-vomi. 1 iMarz:
■durchlesen : , karin ich' gar ; nicht mit^'Worten schildern.
— i5i —
Der Edelmuth der Philharmonischen Gesellsehaft; mit
welehem mail meiner Bitte beinahe zuvorkam, hat mich
in das Inner ste meiner Seele gerlihrt. Ich ersuche Sie da-
her, lieber Moscheles, das Organ zu sein, durch welches
ich meinen innigsten herzlichsten Dank fin- die besondere
Theilnahme und Utiterstiitzung an die Philharmonische
Gesellsehaft gelangen lasse.
Ich fand mich genothigt,' sogleich die ganze Summe
von 1000 Fl. C. M. in Empfang zu nehmen, indem ich ge-
rade in der unangenehmen Lage war, Geld aufzunehmen,
welches mich in neue Verlegenheit gesetzt hatte.
Riicksichtlichder Akademie, welche die Philharmonische
Gesellsehaft fur mich zu geben beschlossen hat, bitte ich
die Gesellsehaft, ja dieses edle Vorhaben nicht aufzugeben,
und diese 1000 Fl. C. M., welche sie mir jetzt schon im
Voraus iibermachen hess, von dem Ertrage dieser Akademie
abzuziehen. Und will die Gesellsehaft mir den Ueberrest
noch giitigst zukommen lassen, so verpflichte ich mich,
der Gesellsehaft dadurch meinen warmsten Dank abzu-
statten, indem ich ihr entweder eine neue. Sinfonie, die
schon skizzirt in meinem Pulte liegt, oder eine neueOuver-
ture oder etwas anderes zu schreiben mich verbinde, was
die Gesellsehaft wiinscht. Moge der Himmel mir nur recht
bald wieder meine Gesundheit schenken, und ich werde
den edelmuthigen Englandern beweisen, wie sehr ich ihre
Theilnahme an meinem traurigen Schicksale zu wiirdigen
wissen werde.
Ihr edles Benehmen wird mir unvergesslich bleiben,
so wie ich noch insbesondere Sir Smart undHerrn Stumpff
meinen Dank nachstens nachtragen werde.
. Leben Sie recht wohl! Mit den freundlichsten Gesin-
nungen verharre ich Ihr '.
Sie hochschatzender Freund
Ludwig van Beethoven.
Nachsehrift. An Ihre Frau Gemahlin meinen herz-
lichen Gruss.— An Herrn Rau habe ich der Philharmoni-
scheri Gesellsehaft und Ihnen einen neuen Freund zu
danken.
■-■_ ,- 52 — • .:
Die metronomisrte Sinfonie bitte ich der Philharmoni-
schen Gesellschaft zu iibergeben. Hier liegt die Bezeich-
nung- bei:
Metronomische Bezeichnung der Tempi von Beethoven's
letzter Sinfonie, Opus 135.
Allegro ma non troppo e un poco maestoso 88 = j*
Molio vivace 116 = p
Presto 116 = p
Adagio molto e cantabile ...... 60 = *
Andante moderate 6j = f
Finale presto 96 = p
Allegro ma non troppo 88 — f
Allegro assai 80 = P
Alia Marcia . , 84 = f
Andante maestoso 73 = P
Adagio divoto 60 = p
Allegro energico 84 = ["*
Allegro ma non tanto 120 = j**
Presstissimo 132 = p
Maestoso 60 = *
Diesem Briefe Beethoven's lag eine sechs Tage spater
gescbriebene, aber mit jenem zusammen expedirte Einlage
von Schindler bei:
Wien, d. 24. Marz 1827.
Mein theurer Freund!
Lassen Sie sich durch die Verschiedenheit des Datums
der beiden Briefe nicht irre leiten, ich wollte den Brief
absichtlich einige Tage zuriickhalten, weil wir gleich Tags
darauf, namlich den ig. d. Mts., befiirchteten, unser grosser
Meister werde seine grosse Seele aushauchen, Indessen
ist dies bis heute Gottlob nicht der Fall; allein, mein guter
Moscheles, wenn Sie diese Zeilen lesen, wandelt unser
Freund nicht mehr unter den Lebenden. Seine Auflosung
geht mit Riesenschritten, und es ist nur ein Wunsch unser
aller, ihn bald von diesen schrecklichen Leiden erlost zu
sehen. Nichts anderes bleibt mehr iibrig. Seit acht Tagen
liegt er schon beinahe wie todt, nur manchen Augenblick
■ ■■■. ■"■■ ~~ ^ s — -" '" - . : ■" v
rafft er seine letzten Krafte zusamtnen, und fragt nach
etwas oder verlangt etwas. Sein Zustand ist schrecklich
und geTade so, wie "wir es kurzlich von dem Herzog von
York gelesen haben. Er befindet sich fortwahrend in
einem . dumpfen Dahinbriiten , hangt den Xopf auf die
Brust, und sieht Starr Stundenlang auf einen Fleck, kennt
die besten Bekannten selten, ausgenommen, man sagt ihm,
wer vor ihm steht. Kurz^ es ist schauderhaft, wenn man
dieses sieht; und nur noch wenige- Tage kann dieser Zu-
stand dauern; denn alle Punctionen des Korpers horen
seit gestern auf. Also will's Gott, so ist er, wie wir auch
mit ihm, bald erloset. Schaarenweise kommen jetzt die
Menschen, um ihn noch zu sehen, obgleich durchaus Nie-
mand vorgelassen wird, bis auf Jene, welche keck genug
sind, den sterbenden Mann noch in seinen letzten Stunden
zu belastigen.
Der Brief an Sie ist bis auf wenige Worte im Ein-
gange ganz wortlich von ihm dictirt, und wohl der letzte
seines Lebens, obwohl er mir heute noch, ganz abgebrochen,
die Worte „Smart — Stumpff — schreiben — " zufliisterte.
"Wird es moglich sein, dass er nur seinen Namen noch
aut's Papier bringt, so wird es auch noch geschehen. —
Er fuh.lt sein Ende, denn gestern sagte er mir und Herrn
von Breuning: „plaudite amici, comoedia finita est!" Auch
waren wir gestern so gliicklich mit dem Testamente in
Ordnung zu kommen, obwohl nichts da ist, als einige alte
Mobel und Manuscripte. Unter der Feder hatte. er ein
Quintett fur Streichinstrumente und die zehnte Sinfonie,
deren er in Ihrem Briefe erwahnt. Von dem Quintett
sind zwei Stiicke ganz fertig. Es war fur Diabelli bestimmt.
— Die Tage nach Erhalt Ihres Briefes war er ausserst
aufgeregt, und sagte mir viel von dem Plan der Sinfonie,
die jetzt um so grosser ausfallen wiirde, weil er sie fur die
Philharmonische Gesellschaft schreiben werde.
Ich hatte nur sehr gewunschen, Sie hatten in Ihrem
Briefe bestimmt erklart, er konne diese Sumrne von
iooo Fl. C. M. nur theilweise erheben, und ich hatte es
auch mit Herrn Rau. so" verabredet, allein Beethoven hielt
sich an den Schluss des Satzes aus Ihrem Briefe. Kurz,
Kummer imd Sofgett waren auf einmal verschwunden, wie
das Geld da war, raid er sagte ganz vergniigt: „Nuft
konnen wir uns Wieder manchmal einen guten Tag ari-
thiin"; denn es waren nur noch 340 Fl. W. W. in der
Cassette, und wir beschrankten uns daher seit einiger
Zeit auf Rindfleisch und Zugemiise, welches ihn mehr
schmerzte, als alles andere. Des anderen Tages, als Freitag,
liess er sich sogleich seine Lieblingsgerichte von Fischen
machen, urn nur davon naschen zu konnen. Kurz, seine
Freude iiber die edle Handlung der Philharmonischen Gre-
sellschaft artete wisilenweise in's Kindische ' aus. Auch
musste gleich ein grosser sogenannter Grossvaterstuhl an-
geschafft werden, der 50 Fl. W. W. kostete, in welchern
er taglick wenigstens eine halbe Stunde ruht, so dass : er
sich das Bett ordentlich machen lassen kann. ■•---
Sein Eigensinn ist aber noch immer entsetzlich, und
wirkt vorziiglich auf mich sehr hart, indem er durchaus
Niemand um sich leiden will, als mich: Und was blieb
mir anders ubrig, als alle meine Lectionen aufzugeben,
und die ganze Zeit, die ich nur immer zusammenrafieh
konnte, ihrn zu widmen. Jedes Getrank und jede Speise
muss ich vorher versuchen, ob es ihm auch nicht schad-
Hch sein konnte. — So herzlich gerne ich dies nun auch
thue, so dauert das fur so einen armen Teufel, als ich
bin, schon leider zu lange. — Doeh wird sich dies, wenn
ich gesund bleibe, nach und nach wieder finden, hoffe ich
zu Gott! — Aus den 1000 FL, was iibrig bleibt, wollen
wir ihn anstandig beerdigen lassen, ohne Gerausch, auf
dem ICirchhofe bei Dobling. wo er stets gern weilte.
Dann kommt auch jetzt der Wohnungszins auf Georgi
zu bezahlen, der muss noch fur ein halbes Jahr berichtigt
werden und noch mehrere kleine Ausgaben (die Aerzte),
so dass die 1000 Fl. gerade ausreichen werden, ohne dass
viel ubrig bleibt.
Zwei Tage nach Ihrem Briefe kam auch einer von
dem wiirdigen Herrn Stumpff, der auch Ihrer mit dem
grossten Lobe erwiihnt, welches alles auf Beethoven zu
•*?t^W^cS'\-^ ■■^■'H'- J :^r:C:7--r- ■■■ ---> :■>■'(■ -7
— 155 ^
viel 1 'e'ihwirkte,' indehV er dutch den '-' Ausfluss des^ Wassers
atisder be^it£ 'vierzehn' Ta ; g4 ziigeheilteri- Wuride ; schdn
Susserst 'gteschwKeht^wa*. :: Da horte' man 'des Tages -un-
zahligfe Mai 1 : ih't^ lattt ' sagen : ! : „Gott vergelte r es ihhen alien
'taukna-MaL 5 '-''— : '''- ::: ' " "■■ ^ ■•:-■■ i-:--'' - '^^ ■•■■[: - ■■■ '' ,
■ ! ' Bass- 'diese'-' fedle ; Handltfrig =■ der : Philharrtionischen Ge-
setl'sciiaft hier'-' -aUgemeihe : Sensation eiregt Hat, : kohneh
Ste sicfr detiken- ! Und ho'eK 1 prei&t ; maw "allgemeih- den Edel-
'ifiuth ; der- EhglanderV 'iitid schimpft' laut iibe'rdas -Betragen
der 'hte^igen'"Reicn'eri. :: — - Der |,Beobaehter {f hat die-Aii-
zeige dav6n : gemachty so J auch die' , 'Wiener Z&turig. 1 ' Hier
liegt "es bey; ;; — - — — Pause von einigeri-Stunden. —
Ich- kbnime-' soeben' vori Beethoven. Er : liegt bereits im
Sterberi, ! und-noeh 'ehe difesei* Brief ausseriden-'Linien der
Hauptstadt ist," ; ist ; das grosse ■ Licht auf ewig erloschen.
-Er-ist aber noch bei vollerh : BewusstSeih; "leh -eile, deh
Brief 'abzUscnickeh.um'zu' ihnr zu -lauferi. Diese Haare
hier habeh' icli jetzt ihm' vom Haupte geschhitten , - und.
sehicke ; sie -Ihnerir — Gott mit Ihnenl - --'■ : : : '' ■''■-
1 Ihr dienstfertigster Freund -
'-'■ - -■■ -- Ant Sehindler.
Wenige Tage splterbraehteein Brief : von-' Rau die
traurige- : Gewigsheit :• ' ------- ■■-'■■' ■:■■■■"- ■".■' "-"-■::■ '■-; -■'. - '■-'
. ._::.■:..:: ... ■::■'■ . . Wien-, den- 28. -Mari-iSa?;-
■ -'■■:■- ■' Lieber Freund! ■■"■"- " ; - :
Beethoven ist nicht mehr; er-verschied den 26. Mar-z
Abends-zwischen 5— 6 Uhr — : uttter- dem herbsten Todes-
karapf iind schrecklichen Leiden. Er war jedoch schoh
den Tag zuvor ohne alle Besinnung.
Nun ein Wortchen von seiner "Verlassenschaft. Aus
meinem letzten Schreiben hast Du erfahren, dass- Beet-
hoven nach seiner eigenen Aeusserung sich ohne Hiilfe,
ohne Geld, folglich in der grossten Noth befiride. Allein
bei der Inventur, bei welcher ich gegenwartig war, fand
man in einem alten, halb vermoderten Kasten sieben Stuck
Bank-Actien.
1 -■ v.> ■■"- "."■■* ■'■ .'"■■->■'. ■■:- -/■ -■■■,.■-_■ v- .-.;■' ':>:■..- V'Yiiii.'-.i/'v, 1 " - ; v> - ' i ,v ~- 4'^ 1 3^--/. ■--.<?.
' ■■-■■■ "; "." ' — . I5 6 - ./' ;'■;'
Ob Beethoven sie absichtlich verheimlichte (denn er
war sehr misstrauisch und ' hoffte eine baldige Wieder-
genesung) oder ob er es selbst nicht wusste, dass er sie l
besitze, ist ein Problem, das ich nicht zu losen vermag. —
Die von der Philharmonischen Gesellschaft iiberschickten
iooo Fl. C. M. fanden sich noch unberiihrt vor. Ich re-
klamirte sie Deiner Erklarung gemass, rmisste sie jedoch
bis zur naheren Verfiigung von der Philharmonischen Ge-
sellschaft beira Magistrate deponiren. Dass die Leichen--
kosten aus diesem Gelde bestritten -werden, konnte ich
ohne Einwilligung von der Gesellschaft nicht zugestehen.
Ich erlaube mir aber die Bitte, wenn dort etwas erwirkt
werden diirfte, dass es zu Gunsten der zwei armen Dienst-
leute, die den Kranken mit unendlicher Geduld, Liebe und
Treue pflegten, gescbehen moge, da ihrer im Testaments
mit keinem Worte erwahnt wurde. Der Neffe von Beet-
hoven ist Universalerbe. — Ueber das von Beethoven der
Philharmonischen Gesellschaft zugedachte Geschenk wird
Dir Herr Schindler seiner Zeit das Nahere mittheilen.
Schreibe mir bald und bestimmt, "was ich zu thun habe,
und sei von meiner Piinktlichkeit iiberzeugt. Den 29. dieses
wird Beethoven begraben. Es erging eine Einladung an
alle KiJnstler, Kapellen und Theater. Zwanzig Virtuosen
und Compositeurs werden die Leiche mit Fackeln begleiten.
Grillparzer hat einen ausserst riihrenden Sermon verfertigt,
den Anschutz am Grabe sprechen wird. Ueberhaupt ist
die Einleitung zu einer feier lichen, des Verstorbenen wiir-
digen Beerdigung getroffen worden. —
Die Familie Eskeles griisst Dich und die Deinigen,
sowie ich von ganzem Herzen.
Dein Freund
Rau.
In Eil' und mit anhaltenden Augenschmerzen.
Unter Moscheles' Papieren fanden sich ferner noch fol-
gende Erinnerungsblatter an Beethoven's Tod:
>- : ««'^ ; 7S~~ : -' -'^ : iV "iVS-^Vi - '-'-' ■■■""■
^"'"^-'-r^ri-.-''
— 157 —
EINLADUNG
zu '
LUDWIG van BEETHOVEN's
LEICHENBEGANGNISS,
welches am 29. Marz um 3 Uhr Nachmittags Statt finden wird.
Man versammelf sich in der "Wohnung des Verstorbenen ira Schwarz-
spanier-Hause Nr. 200 am Glacis vor dem Schottenthore.
Der Zug begiebt sich von da Bach 'der Dreyfaltigkeits-Kirche bey den
P. P. Minoriten in der Alsergasse.
Die musikalische Welt erlitt den unersetslichen Verlust des beriihm-
ten- Tondichters am 26. Marz 1 827 Abends gegen 6 Uhr,
Beethoven starb an den Folgen der Wassersucht itn 56. Jahre seines
Alters, nach ernpfarigenen heiligen Sacramenten.
Der Tag der Exequien wird nachtraglich beliannt gemacht von
• L. van BEETHOVEN's
Verehrern und Freunden.
(Diese Karte wird in Tob. Haslinger's JIusilshandlung vertlieilt.)
Be}'
LUDWIG van BEETHOVEN's
Leichenbegangniss
.am 29. Marz 1827.
Von
J. F. CASTELLI.
Achtung alien Thranen, welche fliesseri,
Wen 11 eiit braver Mann zu Grabe ging,
Wenn die Freunde Trauerreihen schliessen,
Die der Selige mit Lieb' urofing.
Doch der Trauerzug, der heute wallet,
Strecket sich, so weit das Himmelszelt
Erd' umspannt, so weit ein Ton erschallet,
Und 11m diesen Todten weint die Welt.
— ■i58 ; ^ .
Doch um Euch..,allein nur.musst.Jht klggenj ,'— ,
Wer so hoch. ira Ueiligthnme ,stand, ,
Kann den Staub riichr. niehr " ef itrn' nicht tragen,
"LTnd der Geist sehnt sicb in's Heimathland.
'Darum rief die Muse lhn' nach '(/ben; r - • • >' t
Und an ihrer, S.eite silzt ei. dort,_ . ..,...,
Und an ihrem ^Throri'd hort et drDbeni . ' i ',.'
-lonen. seinen. eigenen Accord,_
Aber hier sein Angedenken weilet,
Und sein . Name'.lebt im JRuhm'esrLicht, ■:' ..i :'
Wer;, wie er, der.'Zeit ist v»rgeeil«t, . . .O. ,;.:ji ■■:.:
. Den ereilt die 2^eit zerstoreind. nicht,, , ■ : ■ ;;..,
Am Grabe BEETHOVEN'S
- (den 29, Marz 1827.) ; - v
E§ brach ein Quell vom.jhoben Felsen nieder, , , . . ,,,, .[.
Mit reicher Strqinung fiber Wald und-Elur,
Und tvq er floss, erstand, das. Leljen\y;ieder, ..,..'. .,, ,
Verjiingte.sich. die alternde Natur.
Einjeder tarn' zur reitzgescnmiickten Stelle,
Und sitchte sich Erquickung an der Welle.
Nur wenige von richtigem Gefiihle,
Empianden seine Wunderkrafte ganz.
Die iibrigen erfreuten sich am Spiele
Der schonenFluthund ihrem Demantglana;
Die meisten aber fanden sein Gewasser
Dem Andern gleich, mcht edler und nicht besser.
Der Quell versank. Nun erst erkannte Jeder
Des Bornes Kraft, nun erst, da sie zerstob!
Und Pinsel, Klang,. der Meissel und die Feder,
Vereinten sich zum langst verdienien Lob;
Jedoch kein Lied, nicht Sehnsucht, nicht die Klage
Erweckten ihn und^braobten ihn" zii Tage,
Du, der hier liegt,- befreyt von .Schmerz und Banden,
Du warst der Quell, den ich.zuynr geriannt!
Du grosser Mensch, von Venigen verstanden,
Bewundert oft, .docli,6fter no.ch. verkanrjtJ,
Jetzt werden Allc jubelnd. Dich erhebenr '.
Du musstest sterben, sterbeft, ttm, zu lebeu!
. . Sc.hjechla.
159 — '."-■■■■■M
r Die folgendfen Briefe von Schindler, Rau u. s. w.
bringen noch . einiges Nahere liber Beethoven's Ende,.
drehen sich aber hauptsachlich um die Angelegenheit der
Beethoven von der Philharmonischen Gesellschaft geschenk-
ten £ ioo, die noch zu allerlei Erorterungen Anlass geben
und schliesslich zu einer : nicht eben erwiinschten Losung
fu.hr en sollte, Schindler schreibt;
Wien, den 4. April 1827. -
Mein edler Freund! -
Ichfmde mich veranlasst abermals an Sie zu schreiben,
um beiliegenden Brief an Sir Smart sicher zu wissen. Er
enthalt Beethoven's letzten Dank an Smart, Stumpff und
an die Philharmonische Gesellschaft, sowie an die ganze
englische Nation, um welches er mich noch in den letzten
Augenblicken seines Lebens innigst gebeten . hat. Ich
bitte sie recht sehr, ihm denselben bald einzuhandigen.
Herr Eewisey von der englischen Gesandtschaft hat die
Giite gehabt, ihn gleich in's Englische zu iibersetzen. —
Also erst am 26. Marz um Dreiviertel auf sechs Uhr
Nachmittags, wahrend eines grossen Gewitters, hauchte
unser unsterblicher Freund seine grosse Seele aus. Vom
24. gegen Abend bis zum letzten Hauche, war er beinahe
stets in delirio. Doch vergass er selbst in dem furcht-
baren Kampfe zwischen Leben und Tod der "Wohlthat
der Philharmonischen Gesellschaft nicht, wenn er nur
einen lichten Augenblick hatte, und pries die englische
Nation, die ihm stets so viel Aufmerksamkeit erwies.
Sein Leiden war unbeschreiblich gross, vorziiglich seit
dem, dass die Wund& von selbst aufsprang, und die Ent-
leerung von Wasser so plotzlich erfolgte. — Seine letzten
Talge war.en libera us merkwiirdig, und sein grosser Geist
bereitete sich mit einer wahrhaft Sokratischen. Weisheit
zum Tode. Ich werde dies wahrscheinUcb auch nieder-
schreiben, und offentlich bekannt machen; denn es ist fur
seine Biographen von unschatzbarem Werth.
Das Leichenbegangniss war nur das eines grossen
Mannes, Bei 30,000 Menschen wogten auf den Glacis und
*wv
— r6o —
in den Strassen, wo der Zug gehen sollte. Kurz, dies
lasst sich gar nicht beschreiben, denken Sie an das Prater-
fest beira Congress im Jahre 1814, und Sie haben eine
Vorstellung davon. Acht Kapellmeister trugen die Enden
des Leichentuches, darunter Eibler, Weigl, Gyrowetz,
Hummel, Seyfried etc. Sechs und dreissig Fackeltrager,
darunter Grillparzer, Castelli, Haslinger, Steiner etc.
Gestern war Mozart's Requiem in der Augustiner-
Kirche fur ihn. Die grosse Kirche fasste nicht alle
Menschen, die sich hineindrangten. Lablache sang den
Bass. Das Gremium der Kunsthandler veranlasste diese
Todtenfeier.
Sie haben den letzten Brief von Beethoven, den
vom 18. Marz, und Schott in Mainz seine letzte Unter-
schrift.
An rriobilem Vermogen fanden sich sieben Bank-
Aktien und einige hundert Gulden W. W. Und nun
schreien und schreiben die Wiener laut und offentlich „er
bedurfte nicht der Hulfe einer fremden Nation" etc., be-
denken aber nicht, dass Beethoven sechs und funfzig Jahr
alt und nervos, Anspriiche machen konnte, siebenzig Jahre
alt zu werden. Wenn er nun Jahrelang nichts arbeiten
sollte, wie es ihm seine Aerzte sagten, so war er ja ge-
zwungen eine Aktie nach der anderen zu verkaufen, und
wie viel Jahre konnte er denn von sieben Aktien leben,
ohne in die grosste Noth zu kommen. Kurz, lieber
Freund! ich und Herr Hofrath von Breuning ersuchen
Sie recht sehr, wenn sich derlei abscheuliche Raisonne-
ments bis nach England verbreiten sollten, es den Manen
Beethoven's zu lieb zu thun, und die Briefe, die Sie von
Beethoven hieriiber haben, in einem der gelesensten deut-
schen Blatter, z. B. in der Augsburger Allgemeinen
Zeitung, offentlich bekannt zu machen, welches die Phil-
harmonische Gesellschaft aufihreeigeneVeranlassung thun
konnte; damit man diese Skribler hier eines Bessern be-
lehre. Die Philharmonische Gesellschaft hat die Ehre,
diesen grossen Mann von ihrem Gelde beerdigt zu haben,
denn ohne dieses konnten wir es nicht anstandig thun.
- ; ' ' — 161 — ■ ' -
Alles schrie; „Welche Sehande fur Oesterreich! Das
soil man nicht angehen lassen, denn Alles wird dazu bei-
tragen!" Allein es blieb beim Schreien. Der Musikverein
beschloss den Tag nach der Beerdigung ihm
ein Requiem halten zu lassen, und dies ist alles. Wir
aber vom Karntnerthor werden noch im Laufe des April ,
eine grosse Akademie veranstalten, um ihm einen bub-
schen Leichenstein machen zu lassen.
Noch muss ich Ihnen melden, dass der Todtengraber
von Wahring, wo er begraben Hegt, ge stern bei uns war,
und meldete, dass man ihm mittelst eines Billets, welches
er zeigte, 1000 Fl. C.-M. anbot, wenn er den Kopf von
Beethoven an einem bestimmten Ort deponire. Die Polizei
ist dieserhalb schon mit der Ausforschung beschaftigt. . —
Das Leichenbegangniss kostete etwas iiber 300 Fl. C.-M.
Freund Rau wird Ihnen schon dar iiber geschrieben haben.
Wollte die Philharmonische Gesellschaft das iibrige Geld
hier lassen, und z. B. mir aueh einen kleinen Theil davon
schenken, so wiirde ich es als Legat von meinem Freunde
Beethoven betrachten; denn ich habe wirklich nicht das
allerfnindeste Andenken an ihn, sowie Niemand, denn der
Tod uberraschte ihn und uns, die wir um ihn waren.
Schreiben Sie mir doch nur einige Zeilen, ob sie die
Briefe vom 22. Februar, 14. Marz und 18. Marz erhalten
haben, und so auch Sir Smart. Die Verwandten Beethoven's
haben sich gegen das Ende auf das Niedertrachtigste be-
nommen; er war noch nicht ganz todt, so kam schon sein
Bruder, und wollte Alles fortschleppen, selbst die 1000 Fl.
aus London, allein wir haben ihn gerade zur Thure hinaus
geworfen. Solche Scenen gingen am Sterbebette Beethoven's
vor. Machen Sie doch die Philharmonische Gesellschaft
auf die goldene Medaille von Ludwig XVIII. aufmerksam,
sie wiegt 50 4£ und ware das schonsteAndenken an diesen
grossen Mann. — Also Gott befohlen.
A. Schindler.
Hummel spielt morgen im Karntnerthortheater. Mr.
Lewisey griisst H. Neate.
• s —""162 — " " '■
Nicht lange nachher lief folgender Brief ein:
Wien, den 11. April 1S27.
Mein edler Freund!
Sie werden erschrecken iiber die vielen und noch
dazu dickleibigen Briefe. AberBester! Leset! und staunet!
— Um Ihre, unseres Freundes Beethoven und die Ehre
der Philharmonisehen Gesellschaft zu retten, blieb uns
nichts ubrig, als Ihnen Alles genau und umstandlich zu
berichten. — Schon in meinem letzten Brief habe ich
Ihnen gemeldet, dass man hier schreit und schreibt iiber
die edle Handlung der Gesellschaft. Nun aber enthiilt die
,,Allgemeine Zeitung". einen Artikel, derjeden auf s Hochste
emporen muss. Wir haben es fur Pflicht gehalten, darauf
zu - antworten, und Hofrath Breuning ubernahm es, diesen
hier beiliegenden Artikel der Wahrheit gem ass abzu-
fassen, und Pilat schickt ihn selbst noch heute dem Re-
dacteur der Allgemeinen Zeitung. — Ohne den Artikel
der Allgemeinen Zeitung zu keimen, werden Sie beim
Durchlesen unserer Antwort sogleich den Inhalt und den
Zweck desselben errathen. Ihnen und Smart bleibt nun
noch iibrig, Hire Briefe ebenfalls in der Allgemeinen
Zeitung offentlich bekannt zu machen, damit dieses Ca-
naillenvolk recht tiichtig gedemiithigt werde. Unser Auf-
satz, meint Rau und Pilat, ist zu hoflich ; allein wir Beide,
Breuning und ich, diirfen keiner so die Wahrheit dariiber
sagen, wie wir wixnschten und man es der Welt schuldig
ware; denn ohnehin habe ich mir schon als^ Freund Beet-
hoven's und als Vertheidiger seiner Sache viele Feinde ge-
macht; allein es ware niedertrachtig von mir, dass ich
stille schweigen sollte, wenn sein Andenken noch im
Grabe beschimpft und seine wohlmeinenden Freunde fur
ihr edles Bestreben sollten offentlich angegriffen werden.
Ich schrieb Ihnen schon letzthin, dass die Philharmo-
nische Gesellschaft in ihrem- Namen sich durch die Be-
kanntmachung von Ihren und Smart's Briefen in die
Schranken stellen soDte, und jetzt ist es nicht nur mein,
sondern unser Aller Wunsch. — Die Philharmonische Ge-
sellschaft soil sagen, dass man gut in London wisse, dass
Beethoven nach seiner ersten Akademie im Karntnerthor-
Theater vor zwei Jahren, nach Abschlag aller Unkosten,
-vvpzu auch die 1000 Fl. kommenj welche er der Admini-
stration fiir das Theater bezahlen musste, nur 300 Fl. W. W.
iibrig blieben; denn kein einziger der Abonnenten be-
zahlte ihm fiir seine Loge rnir einen Heller, und nicht
-emmal der Hof Hess sich in dieser Akademie sehen, ob-
wohl Beethoven unter meiner Begleitung alle Glieder des
kaiserlichen Hauses personlich einlud. Alle versprachen
j.\i kommen und am Ende erschienen sie nicht nur nicht,
sondern iiberschickten ihm auch nicht einen Groschen,
welches doch bei dem allergewohnlichsten Benefizianten
nicht zu geschehen pflegt.
Bei seinem zwei ten Concerte im selben Monate im
Redoutensaal, musste die Administration, die es fur ihre
Rechnung unternahm, bei 300 Fl. C.-M darauf bezahlen,
und ich hatte die grosste Miihe, Beethoven abzuhalten,
dass er nicht dieses Deficit von denen ihm von der Ad-
ministration fiir dieses Concert garantirten 500 Fl. C.-M.
bezahlte, indem es ihnaufs Tiefste schmerzte, dass die Ad-
ministration durch ilm sollte einen Schaden leiden.
Bei der Subscription fiir seine letzte grosse Messe
wollte hier Niemand, auch der Hof nicht subscribiren,
und andere unzahlige Niedertrachtigkeiten und Erniedrig-
nngen, die der arme Mann erfahren musste. Dies Alles
sollte jetzt bekannt g-emacht werden, weil jetzt die beste
Veranlassung dazu ist.
&anz Wien wusste es, dass Beethoven schon zwei,
dann drei Monate krank liege, und Niemand bekiimmerte
sich weder um sein Befmden, noch um seine okonomischen
"Verhaltnisse, Hatte er also nach solchen traurigen Er-
fahrungen hier noch Hulfe suchen sollen? Und bei Gott!
hatte die Philharmonische Gesellschaft durch ihr edles
Geschenk nicht den Impuls gegeben, und die Wiener auf-
geregt, Beethoven ware gestorben und so begraben worden
wie Haydn, hinter dessenBahre fiinfzehn Menschen gingen.
Mit der Akademie, die der gesammte Korper unseres
Theaters fiir das Grab-Monument geben will, sieht es so
— 164 —
aus. Der Norma-Tag nach Ostern ist in diese Woche
verlegt worden, folgKch kamen mehr in diesem Monate.
Das Concert am Mittag zu geben, rath Weigl nicht-, so-
wie er auch vorschlagt, diesen Plan erst im nachsten
Herbst auszufiihren. AUein bis dahin ist der wenige Eifer
ganz erkaltet und Niemand denkt mehr datan, etwas da-
fur zu thun.
Auch iibfsr die arztliche Behandlung muss ich Ihnen
etwas sagen. Gleich am Anfange der Krankheit liess-
Beethoven seine friiheren Aerzte bitten, sich seiner anzu-
nehmen. Dr. Braunhofer Hess sich entschuldigen, da.
ihm der Weg bis zu ihm zu weit sei; und Dr. Stauden-
heim kam endlich nach dreitagigem Bitten, aber er blieb
aus, und kam nicht zum zweiten Male. Er musste sich
daher einem Professor des allgemeinen Krankenhauses
anvertrauen, den er noch auf eine hochst sonderbare Art
erhielt. Namlich der Kaffeesieder Gehringer auf dem.
Kohlmarkte, hatte eineri kranken Dienstboten, den er gern
diesem Professor auf seine Klinik iibergeben wollte; —
er schrieb desshalb diesem Professor Wawruch,. dass er
ihn aufnehmen mochte, und ersuchte ihn zugleich, zu.
Beethoven zu gehen, der eines Arztes bediirfe. Nach
langerer Zeit konnte ich erst erforschen, dass der liebens-
wiirdige Neffe, Karl v. Beethoven, wahrend er eines-
Tages dort Billard spielte, dem Kaffeesieder diesen Auf-
trag ertheilte. — Der Professor kannte weder Beethoven;
noch seine Natur und behandelte ihn daher ganz schul-
massig, Hess ihn die ersten vier "Wochen nur aUein zwei-
undsiebenzig Flaschen Medizin nehmen, manchen Tag drei
verschiedene, so dass Beethoven schon in den ersten Tagen
des Januar mehr todt als lebend war. Endlich konnte-
ich diesem Unbeile nicht langer mehr zusehen, und ging
ohne Weiteres zum Dr. Malfatti, der ehemals sein Freund
war. Dieser Hess sich lange Zeit bitten, und Beethoven
selbst bat ihn bei dem ersten Consilio, um Gottes Willen
sich seiner anzunehmen. Allein Malfatti wendete ehv
er konne dies aus Riicksicht fur den anderen Arzt
nicht thun, und kam die Woche ein, hochstens zwei
" - - i65 - ' ' ..
Mai zum Consiiio, bis er in den letzten acht Tagen tag-
lich kam.
Kurz, zu Ihnen kann und darf ich essagen: Beethoven
■1st als Opfer der abscheulichsten Niedertrachtigkeit und
Unwissenheit wenigstens zehn Jahr zu friih in's Grab ge-
gangen. Doch die nahere Aufklarung iiber alles dieses
bleibt einer spateren Zeit vorbehalten.
Hummel ist am 9. wieder nach Weimar zuriickgereist.
Er hatte seine Frau und seinen Schiiler, einen Hrn. Hiller
aus Frankfurt, mit hier. Letzterer griisst Sie recht sehr,
■ebenso auch Hummel.
Die Auslagen fur die Leiche sind denn jetzt bcinahe
beendigt, und betragen b.ei 330 Fl. C.-M.
Ich hatte Ihnen noch sehr, sehr viel zu sagen, allein ich
muss schliessen. Freund Lewinger griisst Sie Beide herz-
hch; er ist so giitig, diesen Brief durch Rothschild zu ex-
pediren. Auch Rau griisst Sie. Schreiben Sie uns nur
recht bald. An Herrn Stumpf alles erdenklich. Schone
und maiden Sie ihm, dass es Beethoven's Wille war, ihm
■eines seiner neuesten Werke zu dediciren. Dies soil auch
geschehen, wenn wir nur einiges finden, was ganz ist.
Uebrigens ein herzliches Lebewohl von
Ihrem alten Freund
Schindler.
Nach einigen Monaten schreibt Rau iiber diese An-
: gelegenheit:
Wien, den 17. Juni 1827.
Beschuldige mich nicht der Nachlassigkeit, lieber
Freund! weil ich dich iiber Beethoven's Angelegenheit so
lange ohne Nachricht lasse. Dass ich die von der Phil-
harmonischen Gesellschaft dem Verstorbcnen seiner Zeit
uberschickten 1000 Fl. C.-M. reclamirte, habe ich dir ange^
zeigt. Der Testaments-Executor, Herr Hofrath Breuning,
konnte und durfte hieriiber nichts verfugen, bevor nicht
■die Convocation der Beethoven'schen Glaubiger in der
Zeitung wie gewohnlich, angezeigt war. Diese Convocation
fand am 5. Juni d. J. Statt. Ich schickte auf Anrathen
deS Herrn TJaron v. Eskeles einen Rechtsfreund zur Tag-
satzung, um meine Forderung erneuern zu lassen. Allein
der Masse-Curator Dr. Bach trat verweigernd gegen-
meine Anspruche auf. Um also diese Angelegenheit ur-
giren, und mit erwiinschtem Erfolg betreiben zu konnen,
brauche ich eine von der Philharmonischen Gesell-
schaft ausgestellte und von der osterreichischen
Gesandtschaft legalisirte Vollmacht, die iooo FL
C.-M. auf dem Wege Rechtens zuriickzufordern,
und einen Rechtsfreund zu diesem Zwecke zu er-
nennen } wozu icb den Dr. Eltz proponire.
Nach der Tagsatzung begabich michzum Dr. Bach, um
mich mit ibm confidentiellement zu besprecben, weil ich
die Schwierigkeiten nicht begreifen konnte, die man einer
so gerechten Forderung entgegen zu stellen sucht. Er
antwortete mir ehrlich und offen , dass er pflichtgemass
fur den minder jahrigen Neffen so lange, a Is es ibm mog-
lich sei, gegen jede Anforderung einscbreiten musse. Er
glaube aber, dass man einem Frocesse und den damit
nothwendig verbundenen oft bedeutenden Auslagen am
kiirzesten ausweiche, wenn die philharmonisehe Gesell-
schaft sich grossmiithig herbeiliesse , zu Beethoven's Mo-
nument einen Beitrag von dieser Summe zu machen, den
Rest aber dem Hause Eskeles oder Rothschild zur Ueber-
sendung an die Gesellschaft zustellen zu lassen. Dr. Bach
wird unter dieser Voraussetzung der Ausfolgung das-
Geldes an die Gesellschaft so viel als mdglich forderlich
sein. Baron Eskeles und mebre erfabrene Rechtsverstan-
dige finden diesen Vorschlag sehr annebmbar, besonders-
da seit der Zeit eine Hauptperson fur unsre Sache, nam-
lich Herr Hofrath v. Breuning, mit Tod abging. Dieser
brave Mann erkaltete sich bei der Beethoven'schen
Licitation, und starb nach drei Tagen. Er'war der
einzige Zeuge, dass die vorgefundenen iooo Fl. die von
der Gesellschaft uberschickten .waren. ' Dein nachster
Brief wird mir als Richtschnur zur weiteren Procedur
dienen.
■Y ' '■
167 —
Die ganze Familie Eskeles und Wimpfferi . griissen
dich und deine liebe Frau eben so herzlich als ich
Dein Freund .
Rau.
Weiter berichtet Schindler:
Wien, den 14. September 1827.
Mein theuerster Freund I
Ich ergreife die Gelegenheit, mit dem Ueberbringer
dieses, dem englischen Kabinets-Courier Lewisey, Ihnen
zu schreiben, und durch seine Giite Ihnen beiliegendes
zum Andenken an unsern Freund Beethoven zu schicken.
In Ihrem letzten Schreiben verlangten Sie eine Hand-
schrift, und zwar von etwas schon Bekanntem. Hier der
Schluss des Scherzo der letzten Symphonie. Das zweite
ist eines jener merkwiirdigen Taschenbiicher, in die Beet-
hoven seine Entwiirfe gewohnlich unter freiem Himmel,
schrieb, um sie zu Hause dann in Parti tur auszuarbeiten.
Ich war so gliicklich, mehrere derselben zu retten, die fur
mich das grosste Interesse haben. Es wird zwar Niemand
klug aus diesen Aufzeichnungen, ausser man weiss, von
welchem Kinde sie der Embryo sind. Dies Her folgende
enthalt den Entwurf zu einem seiner letzteh Quartette,
und wenn Sie diese Quartette einstens horen, so werden
Sie sicher darauf kommen, zu welchem es gehort. Einige
Gedanken sind gariz deutlich niedergeschrieben. — Ich
glaube, dass ich Ihnen damit einen Beweis meiner Freund-
schaft gebe, indem ich Sie zugleich versichere, dass ausser
Ihnen kein Mensch eine ahnliche Reliquie erhalten, noch
je erhalten werde, — ausser gegen viel Geld. Das Por-
trait von Beethoven ist Ihnen bereits durch Lewinger
iiberschickt worden, wie er mir gestern sagte; wenn es
nur jenes ist, wo er schreibend lithographirt ist; denn das
ist das allerbeste; die anderen sind alle nichts werth. Auf
demBlatte worauf er schreibt, steht: „Missa solemnis". Ich
wollte Ihnen alles zusammen durch Herrn Clementi schicken,
dessen Bekanntschaft ich in London machte, allein ich
■■,"?"' '■'
— ifeS . —
versaumte seine Abteise, von der ich auch nicht uhter-
richtet war.
Pixis war aus Paris hier. Er hielt sich vierzehn Tage
auf und reiste gestern von hier iiber Prag wieder zuriick
nach Paris. Gestern ist auch Spontini von hier abgereist,
Er macht eine Rekrutirungs-Reise. Hier hat er meine
Schwester engagirt und wahrscheinlich gehe ich nachstes
Friihjahr mit ihr nach Berlin, da das Karntnerthor-Theater
ohnehin wieder gesperrt werden wird. Wenigstens ist
gewiss, dass die Administration des Barbaja mit Ende
nachsten April author t; was also dann mit de'm Theater
geschieht, steht zu erwarten. Man spricht hier stark da-
von, dass Madame Pasta fur nachsten Winter hier her
kommen werde, Es ware mir sehr lieb, die Wahrheit
von Ihnen zu horen, welche Sie leicht erfahren konnen,
weil ich es riicksichtlich meiner Schwester gern sane, wenn
sie sie noch horen konnte. Vielleiclit konnten Sie mir
dieses auf einem Blattchen Papier in einem Brief an Le-
winger oder Rau melden, sowie auch die Bestatigung des
Empfanges dieser Papiere. Uebrigens wiinschte ich auch
Ihr und Ihrer lieben Angehorigen Wohlbefinden zu ver-
nehmen.
Die Beethoven'sche Abhandlung geht sehr langsam
von Statten, weil so manche Hindernisse eingetreten sind.
Im Juni starb der Hofrath v. Breuning, dieser hochst
wiirdige Mann, und nun ist bereits seit sechs Wochen der
Curator krank. Ich bin nur neugierig, was mit dem eng-
lischen Gelde geschehen wird. Das Grab-Monument soil
nachstens aufgestellt werden. Piringer und einige andere
haben es machen lassen. Ich habe noch gar nichts davon
gehort und gesehen; denn sie treiben alles im Stillen,
wahrscheinlich urn nur den Ruhih allein davon zu haben.
In Prag hat ein Herr Schlosser eine hochst miserable
Biographie iiber Beethoven herausgegeben ; hier kiindet
man ebenfalls schon eine Pranumeration auf eine an, die
wie ich hore Herr Graffer verfassen will, — und der von
Beethoven auserkorene Biograph ist doch Hofrath Roch-
litz in Leipzig, fur den er mir und Breuning sehr wichtige
- " — - 160 —
Papiere iibergab. Nun aber hat der ' neu aufgestellte
Vormund iiber Beethoven's Neffen die Papiere des Breu-
ning Herrn Graffer ubergeben, welches zwar ^.bscheulich
ist, aber nichts schadet, weil jene grosstentheils Familien-
Papiere waren, und die wichtigsten ich in Handen- habe.
Fur diesmal Gott befohleh.
Dies von Ihrem.
aufrichtigsten und dienstfertigsten Freunde
Ant. Schindler.
Die Losung der Angelegenheit, in die Moscheles sich
durch den dem grossen Todten geleisteten Freundesdienst
verwickelt sah, sollte nicht gerade befriedigend ausfallen.
Im Februar 1828 erhielt Moscheles folgenden Brief:
Wien, 10. Februar 1828.
An seine Wohlgeboren, Herrn Ignaz Moscheles, Mu-
sikcompositeur und Mitglied der Philharmonischen Gesell-
schaft in London.
Wohlgeboren
Insonders hochzuverehrender Herr!
Nach dem am 4. Junius 1827 hier in Wien erfolgten
Tode ctes k. k. Herrn v. Breuning bin ich von dem Wiener
Stadt-Magistrate gerichtlich zum Vormunde des noch in
der Minderjahrigkeit stehenden Carl v. Beethoven, Neffen
und Erben des am 26. Marz der musikalischen Welt leider!
nur zu fruhe entrissenen Compositeurs, Ludwig v. Beet-
hoven ernannt worden, welcher schweren und verantwort-
lichen Last ich mich einzig und allein aus dem Grunde unter-
zogen habe, um den mit Talenten begabten, aber (ich ge-
stehe es offen und ,mit Wehmuth) schon friiher einiger-
massen auf Abwege gerathenen Neffen des grossen Mannes,
der von Kindheit an das Beste desselben mit Nachdruck
bezweckte, der aber in der Wahl der Mittel hiezu, und
im Erfolge minder glucklich war, wieder auf gute Wege
zuriickzubringen, weil dieser Mann zu mir eih besonderes
Vertrauen zu hegen sich geaussert, und weil er auf der
schon friiher eingescnlagenen militarischen Bahn (er ist
■3 . - — jyo- — .
';■ '.]■ Cadet in einem k. k. Infanterieregimente) fortan das beste
-;"■ Verhalten bevverkthatigt hat.
Was das hinterlassene geringe Vermogen Beethoven's
betrifft, welches nacb den vorliegenden gerichtlichen Aus-
■■■r weisen (iiber Abzug der bedeutenden Passiven , dann der
grossen Krankheits- und Leichenkosten) vielleicht kaum
iiber Sooo Gulden in osterreichischem Papiergelde aus-
machen wird, so bin ich eben daran, die Abhandlung
pflegen zu lassen, und die gerichtliche Depositirung ein-
zuleiten, indem mein Pupill nach der testamentarischen
Anordnitng des Erblassers nur lebenslanglich vom Nach-
lasse den Fruchtgenuss hat, das Stamm-Kapital aber seinen
natiir lichen oder testamentarischen Erben verbleibt, wo-
rauf die Substitution gerichtlich vorgemerkt wird.
Nebst mehreren anderen Schulden, welche bei der
Convocation der Ludwig v. Beethoven'schen Glaubiger
gerichtlich angemeldet, und zu Protocoll gegeben wurden,
erscheint auch eine Forderung, welche der Herr Hof- und
Gerichts-Advocat Dr. Eltz in Wien, als Vertreter und im
Namenlhres Freundes HerrnRau und zwar in Vollmachts-
nahmen- der Philharmonischen Gesellschaft in London,
: angemeldet hat, welche 1000 Fl. K.-M. betragt, und welche
■ • Summe dasjenige Geld sein soil, welches die Philharmo-
nische Gesellschaft schon viel friiher und bei Lebzeiten
des Herrn Ludwig v. Beethoven demselben als Unter-
stutzung ubersendet und geschenkt hat.
Da nun vor der gerichtlichen Einantwortung des
Ludwig v, Beethoven'schen Nachlasses entweder die Be-
richtigung dieser, von clem Herrn Dr. Eltz vorsichtsweise
angemeldeten Forderung, oder die . Abstehung von dersel-
ben nachgewiesen werden muss, und da mir als Vormund
dringend daran liegt, diese Abhandlung auf das schnellste
zu Ende zu fiihren; so habe ich Euer Wohlgeboren als
einen der besten und wiirdigsten Freunde Beethoven's und
als das Organ der hochherzigen und grossmiithigen
Philharmonischen Gesellschaft London's, nicht minder als
den, auch in weiter Entfernung von uns hochgeschatzten
und verehrten Landsmann, endlich im Namen eines ver-
•:-■•■ ■ 171 —
. ' ' ' - '"■.■.'■
waisterij ' durch den Tod seines Oheima als seiner einzigen
Stiitze, in grosse Nahrungssorgen versetzten talent- und
hoffhungsvollen jungen (ein und zwanzigjahrigen) Mannes
hiermit .ergebehst ersuchen wollen, dass dieselben die Giite
haben, die nothige Einleitung zu treffen, dass die sicli
so grossmiithig bewiesene Philharmonische Gesellschaft"
von ihrem nur vorsichtsweise durch Herrn Rau und in
dessen Vertretung durch den Herrn Dr, Eltz angemelde-
tenAnspruch abstehe, und dem Herrn Rau die Ermaeh-
tigung ertheile, in Hinsicht dieser Abstehung seine Er-
klarung gehorigen Ortes abgeben zu konnen.
Indem mir nun nichts als das Wohl eines der besten
Hoffnungen gewahrenden jungen Mannes, der an seinem
Oheim und Vormund Herrn Ludwig v. Beethoven, seine
einzige Stiitze verloren hat, und dessen Liebling war, am
Herzen liegt, und da ich voll Vertrauen sein kann, dass
die hochherzige Philharmonische Gesellschaft die dem
Verstorbenen geleistete Unterstutzung, wenn sie auch ein
gegebenes und lange vorher ubergebenes Geschenk recht-
lich zuriickzuverlangen berechtigt, und wenn die namliche
Summe auch wirkhch in natura vorhanden ware, nicht.
mehr zuriickzuverlangeri geneigt sein wird; so wende ich
mich in diesem festen Vertrauen an Euer Wohlgeboren,
und somit durch Sie an die erhabene Gesellschaft selbst
mit der Bitte, das geringe Vermogen, aus welchem ich
meinen Pupillen unterhalten soil, und wovon ich ja.hr lich
keine 400 Fl. K.-M zu erhalten hoffen kann; nicht noch
mehr schmalern zu wollen, und zwar um so minder, als
ich nach den vorhandenen Rechnungsbelegen viel iiber
1000 El. K.-M. an Krankheits- und Leichenkosten und
anderen Schulden berichtigen musste, und da ich, man
kann mir vollen Glauben beimessen, in grosser Verlegen-
heit bin, wie ich meinen Pupillen vor kiinftigen Nahrungs-
sorgen sicher stellen soil, bis er doch das Gliick haben
wird, eine Offtciersstelle zu erhalten, in der er ohne an-
derweitige Unterstutzung auch in Verlegenheit . sein
wiirde.
Aus diesem Grunde werden mir Euer Wohlgeboren
,>■ ^*, *«-■;->* -iffc.-
>_T
_ I?2 _
"hoffentlich auch meinen Wunsch nicht verargen, den ich
in der Art auszusprechen wage, dass sich 1 die hochansehn-
liche Philharmonische Gesellschaft und die alten Freunde
und Verehrer Beethoven's vielleicht geneigt finden diirften,
dem beriihmten Manne dadurch ein Andenken giitigst zu
stiften, wenn sie zur leichteren Deckung seines Neffen und
diirftigen Erben vor kiinftigen Nahrungssorgen eine wei-
tere Unterstiitzun'g angedeihen lassen wollten, fur deren
gerichtliche und fruchtbringende Anlegung ich zu sorgen
mich.anzubieten wage und verpflichte.
Ich will nicht einmal dem Gedanken Raum geben,
-dass die so grossmiithige Philharmonische Gesellschaft bei
der Geltendmachung ihres Anspruches verharren werde,
muss aber doch die Bemerkung beifiigen, dass eine solche
Schenkung, selbst wenn die Identitat des geschenkten,
hereits iibergebenen Gutes erweislich ware, gesetzlich nicht
widerrufen werden konnte, und ich bin gewiss, dass der
Richter nicht gegen die Nachlassenschaft sprechen konnte;
aber selbst Gerichtskosten und Verzogerungen wiirden
mich bei dem geringen Verlassenschafts-Stande in noch
grossere Verlegenheit setzen, besonders da ich noch, und
zwar nicht unbedeutende, Abhandlungskosten, gesetzliche
Legate, Mortuar- und Erbsteuer undrechtsfreundliche Aus-
lagen zu bestreiten haben werde.
.Ura endlich der Philharmonischen Gesellschaft auch
dariiber Aufklarung zu verschaffen, dass Herr Ludwig
v. Beethoven selig vor seinem Tode iiber seine Diirftig-
keit klagte, und zu der hochherzigen Philharmonischen
Gesellschaft seine Zunucht nahm, glaube ich dieselbe da-
rin finden zu konnen, weil Beethoven seinen Neffen als
seinen Sohn und Pupillen betrachtete, fiir dessen Unter-
halt er sorgen zu miissen glaubte, weshalb er auch, wie
mit Zuverlassigkeit gesagt werden kann, jene sieben
Stiick Actien der osterreichischen privilegirten National-
Bank, die er im Testamente zum Unterhalte des ihm
theuer gewesenen Neffen bestimmte, nicht mehr als sein,
sondern als des Neffen Eigenthum betrachtete, bei seiner
Redlichkeit und Religiositat wohl wissend, dass ihm die
' — 173 — "■ - . ■
schwere Last der Sorge fur seihen armen Neffen obliege v
fur den er sein Leben geopfert hatte.
Ich darf mit voller Gewissheit sag-en, dass Ludwig
v. Beethoven's Manen dadurch das schonste Opfer gebracht,
und seinem sehnlichsten Wunsche, den er durch seine
ganze Lebenszeit so werkthatig dargethan bat, am meisten
entsprochen wiirde, wenn seinem verlassenen Neffen, fur
den ich mich, wenn ich. mit Gliicksgiitern begabt ware,
und wenn ich nicht andere Verpflichtungen fiir meine.
Angehorigen hatte, auch in dieser Beziehung gern auf-
opfern mochte, eine solche Hilfe und Unterstiitzung ver-
schafft wiirde, dass er vor kiinftigen Nahrungssorgen ge-
sichert ware.
Ich hoffe. Euer Wohlgeboren werden meine gute, ge-
.wiss redliche, Absicht nicht verkennen, und mich desh,alb
um so mehr entschuldigen, als ich Ihnen die Versicherung
ertheilen kann,. dass ich aus blosser Zuneigung fur den
Neffen des grossen Mannes mich der Pflicht der vormund-
schaftlichen Sorge unterzogen habe, woriiber Ihnen Herr
Rau, so wie iiber meinen Charakter nahere Auskunft er-
theilen- kann.
In der Hoffnung, dass ich unmittelbar, oder durch
Herrn Rau bald mit einer geneigten und giinstigen Ant-
, wort werde begliickt werden, gebe ich mir die Ehre, mich
und meinen Pupillen Ihrer Gewogenheit bestens zu em-
pfehlen, und mich mit aller Hochachtung zu zeichnen
Euer Wohlgeboren
gehorsamster Diener
Jacob Hotschebar
K. Hofconcipist,
wohnhaft am alten Fleischmarkte Nr. 695,
Hierzu schrieb Rau:
Wien, den 10. Februar 1828.
Lieber Freund!
Ich iiber sen de Dir hiermit ein Schreiben von detn
Curator der Beethoven'schen Verlassenschaft. Du wirst
daraus ersehen, dass die gerichtlichen Verhandlungen sich
ihrem Ende nahern. Ich wurde von Amtswegen aufge-
.'"■'— 174 — ■
■■'■. j
- L fordert, eine Erklarung iiber die von der Philhafmonischen
Gesellschaft eingeschickten 1000 Fl. zu geben. Da ich
aber von Dir nichts "Weiteres erfuhr und auch keine Ver-
. ', bindlichkeit fur iriich ohne Instruction ubernehmen wollte,
so bat ich um Aufschub, bis 'eine Antwort und Aufkla.-
rung hieriiber von Dir erfolgt. Das Schreiben des Cura-
' L tors wird Dich au fait des Ganzen setzen.
Im Vertrauen! Kannst Du eine Verzichtleistung auf
die 1000 Fl. bewirken, so wird manche Unannelimlichkeit
und vielleicht ein Process beseitigt. Selbst Dr. Eltz und
Baron Eskeles meinen, dass der Beweis, dass die vorge-
fundenen 1000 Fl. gerade die von der Gesellscbaft ein-
geschickten waren, um so schwerer zu fiihren sei, da seit
i der Zeit der zur Inventur beordnete Hofrath Breuning
mit.'Tod abging. — Sollte jedoch gegen alles Vermuthen
das Geld zuriickverlangt werden, so muss von der Phil-
harmonischen Gesellschaft eine legalisir'te Vollmacht
-fur den Dr. Eltz eingeschickt werden, damit er im Wege
Rechtens auf Kosten der Gesellschaft seine Anspriiche
geltend mache. — Diese Procedur konnte ijbrigens die
ganze Summe aufzehren. — Ich bitte um baldige und
bestimmte Antwort.
'■■ Die ganze Familie Eskeles, Wimpffen, Ephraim etc.
ist wohl, und alle griissen Dich und Dein liebes Weibchen
eben so herzlich als ich
v. ■
Dein Freund Rau.
Moscheles conferirte hierauf mit den Directoren der
Philharmonischen Gesellschaft und erwirkte ein still-
schweigendes Abstehen von der Riickforderung ihres Ge-
schenkes. Dieses in seinem ganzen Verlauf und Ausgang
so unerquickliche Nachspiel zu Beethoven's Ende hat Mo-
scheles viel Aerger und Kummer bereitet. Von Wien
aus, wo man sich naturlich schamte, dass Beethoven in
London Hilfe gesucht, hatte man ausgesprengt: Beethoven
sei gar nicht so bediirftig gewesen; habe er doch jene
£ 100 nicht angetastet und ausserdem noch Bankactien
hinterlassen! Wie also habe sich Moscheles erdreisten
— 175 —
konnen, ,in London eine Subscription fur ihn zu eroffnenl
Wie habe die Phiiharmonische Gesellschaft es wagen
konnen, sich „unserm Beethoven" mit diesem Geschenk
aufzudringen! Moscheles konnte sicb fur seine Person
uber diesen Klatsch hinwegsetzen; ihm geniigte es, von
einem Beethoven „Freund" genannt worden zu sein
und ihm sein qualvolles Lebensende ein wenig erleichtert
zu haben. Aber gerade seinem Andenken und der Phil-
harmonischen Gesellschaft war er es schuldig, den That-
bestand offen klar . zu legeii und jene Lasterzungen zum
Schweigen ..zu bringen. Dies that er denn auch in einer
dffentlichen Erklarung, welche dieRunde durch die Blatter
machte. Die Haarlocke Beethoven's und die Aufzeich-
nungen von seiner Hand, die Metronombezeichnungen zur
neunten Symphonie und das Skizzenbuch, die Schindler
ihm eingesandt, bewahrte er stets unter den heiligsten
Reliquien.
Will man wissen, in ivelchem Ansehen Beethoven's
Andenken und das anderer deutschen Meister in London
stand, so darf man nur den Inhalt der Philharmonischen
Concerte dieser Saison durchgehen. Hier einige ihrer Pro-
gramme mit den Tagebuchs-Bemerkungen :
Erstes Concert der Saison: Sinfonia Eroica, unter
Spagnoletti's Leitung kraftig gegeben; das erste All" zu
eilend. Arie Rossini gesungen von Zuchelli, recht brav.
Hummel A-m oil-Concert, gespielf von Schlesinger aus
Hamburg. Fertig, aber nicht kraftig genug. Scene aus
Spohr's Faust, gesungen von Miss Paton, recht brav.
Ouvertiire Freischiitz, Symphonie in C, Haydn, nicht gut
gewahlt fiir diesen Abend; das Andante wieder iibereilt.
Arie aus Oberon, gesungen von Braham, aber mehr ge-
gurgelt und geschrieen, als gesungen. Mayseder's Quar-
tett in G. Mori erste Geige. Brillant -gespielt. Terzett
aus Figaro undOuverture zu „Idomeneo" horte ich nicht mehr.
Zweites Concert. Symphonie Mozart Es-dur, Arie von
Beethoven, gesungen von Sapio. Barmann Clarinett-Solo,
geblasen von dem sehr braven Wilman; Miss Stephens,
die Allbeliebte, Arie aus ,, Titus", zu sehr in engli scher Ma-
A'^'- *■" - ; : ■*. '''•-'■. '■. " ■"■'■' ■"'--' .".'■""/-■:' ' ■■■'.' v ;/... ; /'" '" ^ ■• 4 '"
^■;" ' -,■ i 7 6 — . ■/ - ■ '-. ; .
:'l.: nier. Violin-Concert E-moll, Maurer, schon gespielt von
V '■'. Kiesewetter — erne gut gearbeitete Composition. Trio von
5- - - Handel und Ouverture zu „Egmont" versaumt. Schopfung,.
T; ''. englisch Zuchelli. C-moll-Symphonie Haydn.
t",' Trotz dieses langen Programms mussten in beiden
'. Symphonien die Trio's wiederholt werden.
';:-".' Drittes Concert. Beethoven's hinreissende C-moll-
Symphonie und Mozart's in D. Braham, Miss Stephens,.
.' Phillips sangen. F. Cramer spielte Mozart's Quartett in D.
Hummer's Septett.
'■ . Viertes Concert. Beethoven's Symphonie in B,
Mozart's in C und die Ouverture zu „Anakreon" gingen
heute vortrefflich. Ein Duett fur zwei Celli von B. Rom-
berg, gespielt von Lindley und Sohn, war veraltet in Com-
\ , position und Vortrag. Curioni, Phillips und die Damen
" r . Caradori und Cornega sangen. Beethoven's Septett ver-
-■•- • saumt,
S". Fiinftes Concert. Haydn's Symphonie in C, Beet-
'; •," hoven'sinA. Kiesewetter spielte Concert von Mayseder; ich
-: ' mein Es-dur-Concert mit Begeisterung, und wurde gut auf-
/ genorrimen. Eine ziemlich in die Breite gezogene, aber sonst
■"■' . gut gearbeitete Ouverture von G., einem jungen englischen
Componisten, wurde gegeben. Mmes. Caradoii und Cor-
:."■'■- nega, desgl. Galli und Begrez sangen.
Siebentes Concert. Haydn's Symphonie Es, Beet-
;/ hoven Pastoral. Liszt spielte Hummel's H-moll-Concert
r mit seltener Fertigkeit, doch zu rastlos. De Beriot, ein
eigenes Concert, schon. Mme. Caradori, Braham, Galli
' v sangen.
■'■'.' Achtes und letztes Concert. Symphonie von Beet-
hoven F, Mozart D, Violin- Quartett von Mozart, gespielt.
von Kiesewetter, (damals schon sehr leidend, wenige Mo-
; nate spater durch den Tod von einer qualvollen Existenz.
erlost), Oury, Moralt und Lindley. William Beale, Schiller
'" von Cramer, spielte sein D-rnoU-Concert in seinem mode-
± rirten Styl. Mme. Caradori und Stockhausen sangen;,
--- letztere besonders schon. Diese liebenswurdige bescheidene
junge Frau, die es so ernst mit der Kunst meinte, war
-v^:,
— 177 —
schon ein Liebling des Publicums, dabei aber in ihrer Be-
scheidenheit und Strebsamkeit ein nachahmungswerthes
Beispiel fur jede junge Kunstlerin. Als sie nach London
kam, sang sie kaum mehr als die Schweizerliedchen ihrer
Heimath mit ihrer lieblichen, glockenreinen, modulations-
fahigen Stimrr.e. Mit ihren Liederchen hatte sie schon in
den pariser Salons Furore gemacht, hatte aber audi dort:
ernste Studien begonnen. Als sie am Ende des pariser
Winters nach London ging und Engagements suchte,.
fehlte es dort an einer Concert-Oratori'en-Sangerin, und
Sir George Smart, der ihr Talent sogleich richtig erkannte
erbot sich , ihr den englischen Text in seiner richtigen
Gesangs-Aussprache einzustudiren, belehrte sie auch fiber
gewisse herkommliche Vortragsmomente in Haydn 'schen und
Handel'schen Oratorien, an denen die Englander, wie bereits
friiher bemerkt, traditionell festhalten. Sir George fand
bald, dass aus der gelehrigen Schiilerin eine Meisterin ge-
worden war, eine unentbehrliche Stiitze der londoner, so-
wie der grossen Provinzial-Musikfeste. Die beriihmte
Sangerin blieb aber liebenswiirdig und bescheiden wie sie-
gewesen war, und hielt es nicht unter ihrer Wiirde, durch
ihre Schweizerliedchen zu entzucken, wie grossartig sie-
auch im Oratorium auftrat.
Weiter berichtet Moscheles: „Wir Kiinstler gaben>
eine speisende, toastende, mit Musik durchwebte Festlich-
keit fur den alten Clementi. Wir waren neunzig Perso-
nen; jeder zahlte eine Guinee fur das Couvert, nur Clementi
war unser aller Gast. Cramer und ich empfingen ihn in
einem Zimmer allein, und erst als die ganze Gesellschaft
sich versammelt hatte, fiihrten wir ihn zu dieser, und hal-
fen ihn mit einem Sturm von Applaus begriissen. Er sass-
zwischen dem an der Tafel prasidirenden Sir G. Smart
und mir. Nach dem Essen begannen die Toaste, mit Mu-
sik durchwebt, und nachdem Manche unter uns das Ihrige-
geleistet, wurde bei Gelegenheit des Toastes auf das An-
denken Handel's der Wunsch ausgesprochen, Clementi, der'
Vater des Clavierspiels, moge doch heute die Tasten be-
riihren. Donnernder Applaus. Clementi steht von seinemi
Moscheles' Leben. 12
' :/ '■' : - i 7 8 - ■;- : -'--- : ' : -
Sitz auf, Smart, Cramer und ich geleiten ihn an's In-
strument, Alles ist in der grossten Spannung; denn Cle-
ment! ist seit Jahren von Niemandem gehort worden ; nun
will er spielen, Alles horcht begierig. Er phantasirt uber
ein Motiv von Handel und reisst uns Alle zur Begeiste-
rung hin ; seine Augen erglanzen im Feuer der Jugend,
die der Horer werden feucht. Er kehrt unter sturmischem
Applaus und warmen Handedrucken an den Tisch zuriick.
Clementi's Spiel war in seiner Jugend durch die
schonste Verbindung der Tone, durch einen perlenden
Anschlag in beweglichen Passagen und die sicherste Tech-
nik ausgezeichnet. Noch heute erkannte und bewunderte
man die Ueberbleibsel dieser Eigensehaften, ward aber
ganz besonders durch die jugendlich genialen Wendungen
seiner Improvisation entziickt. Frau Clementi mit meiner
Erau und anderen Damen hatten von einer Galerie herab
dieses schone Fest mitgemacht."
Am Tage dieses Diner's schreibt Moscheles in einem
- Brief: „Ich will nur einen Gxuss aufs Papier werfen, denn
noch vor dem grossen Fest lechzen hier im Nebenzimmer
zehn steife Finger nach mir, dass ich sie in Bewegung
setze, wie vertrocknete Miihlrader nach Wasser lechzen."
Cramer schrieb in dieser Zeit seine „Reminiscences of
England", eine Phantasie iiber englische Motive, „solid und
. gut gearbeitet," sagt Moscheles, „aber leider weder neu,
noch genial." Hummel wollte seine neue Clavierschule in
England verlegen, und ich unterhandelte fur ihn, sah die
Sache jedoch daran scheitern, dass er den Preis auf £ 150
, festgesetzt, die Verleger aber nur M 100" geben wollten."
Eine Erfindung, die Fliigel durch eine Vorrichtung am
Stimmstock, welche geriickt wurde, mit einem Male hoher
Oder tiefer zu stimmen, ward in dieser Zeit gemacht, doch
nicht praktisch befunden.
In der Oper debutirte wahrend dieser Saisoa der
Sanger G-alli und zwar mit entschiedenem Beifall; eine
italienisirte Englanderin, Miss Ayton, hingegen gurgelte
nur italienisch, detonirte aber englisch. Oberon wurde
fortwahrend im Coventgarden-Theater gegeben, daneben
^^.;^jsr-'^*r r '-^- :.=:■•■*" -.^ -: '•-■ ■ " ?■ -■*;::** -":-:'--i ■ ■' •/■-*.'■":> V-*5^
— i79 — - '
auch ,jDie Entfuhrung aus dem Serail", hier „The Se-
raglio" genannt, aber nicht unverfalscht Mozartisch, wie
wir Deutschen sie kennen, nein, ganze Stiicke herausge-
schriitten und andere popular-englische eingelegt — eine
schauderhafte Entweihung! „Der Verbrecher, der dies
pasticcio auf dem Gewissen hat, ist der Kramer aus Brigh-
ton, Director der koniglichen Capelle. Einigen Ersatz fur
die musikalische Unbill des Abends gaben die reichen oft
uberraschend schoiien Decorationen."
Moscheles spielte bei der Herzogin von Kent in Ken-
sington-Palace im Hofzirkel. „Die kleine Prinzess Victoria
war.zugegen, und die Herzogin ersuchte mich, sogleich
zu spielen, damit die Prinzessin, die fruh zu Bette gehen
musse, mich noch horen konne. Wirklich verliess sie nach
meinem zweiten Stuck die Gesellschaft. Ich musste viel
auf einem Broadwood spielen, und auch der Herzogin von
Kent ein Lied von Beethoven, ihr und der Prinzess Fec-
dora ein Duett aus Zelmira begleiten. Die Herrschaften
interessirten sich freundlich fur mein Spiel, aber am
meisten, glaub' ich, fiir die Improvisation iiber einige der
so modernen Tyrolerlieder, da die Herzogin die Tyroler
hat zweimal bei sich singen lassen."
Zur Erganzung seien hier einige Mittheilungen einge-
flochten, die wir den Briefen der Frau entnehmen. „So
ein Tag wie der vorgestrige kommt zum Gliick nur sel-
ten fiir meinen armen Mann; erst die unvermeidlichen
neun Lection en, dann das Diner der Royal Society of
Musicians, wo er spielte, und zum Schluss eine Soiree
bei Sir Richard Jackson, die bis zwei Uhr dauerte.
Ueber andere Soireen schreibe ich Euch nicht, denn
alle gleichen einander mehr oder minder. Ob nun bei
Rothschilds auf „eitel Gold" servirt wird, das tragt nicht
zum Amusement bei. Eins fiel mir beim Marquis of Hert-
ford auf, dass namlich das ganze Haus, von der Treppe an,
bis durch die Salons hin mit einem und demselben Teppich
belegt und mit demselben kirschrothen Seidendamast
moblirt und behangen ist. Das hatte ich noch nie gesehen."
In dieser Zeit erschien Heinrich Heine in London.
— i8o — '
Er war mit der Familie der Frau, wahr end seines Auf-
enthaltes in Hamburg bekannt, dann durch ein doppeltes
verwandtschaftliches Verhaltniss befreundet worden. Na-
tiirlich hatte man in der kaufmannischen Stadt nicht so-
gleich sein Genie erkannt, ahnte es nicht, wie der schmach-
tende Jiingling sich entfalten wiirde. Gar Manche verarg-
ten es ihm, dass er nicht zu jenen bequemen Naturen ge-
horte, denen das Geschaftspult eines reichen Onkels die
sichere Leiter zum Throne eines Goldherrschers wird.
Er aber war Dichter und musste es bleiben ; so behielt er
von seinen kaufmannischen Studien nichts iibrig als den
Abscheu davor, und die wunderschone Handschrift.*)
*) Wie er fiber diese Hamburger Kreise dachte, zeigen folgende 183&
in Hamburg gedichtete Strophen, welche er in Frau Moscheles' Album schrieb ;
Dass ich bequem verbluten Uann,
Gebt ruir ein weites edles Feld!
lasst mich nicht ersticken hier,
In dieser engen Kramenvelt!
Sie essen gut, sie trinken gut,
Erfreu'n sich ihres Maulwurfigliicks *,
Und ihre Grossmuth ist so gross,
Als wie das Loch der Armenbfichs'.
Cigarren tragen sie im Maul,
Und in der Hosentasch' die Hand',
Auch die Verdauungskraft ist gut —
Wer sie nur selbst verdauen kcinnt!
O, dass ich grosse Laster sah',
Verbrechen blutig, colossal —
Nur diese satte Tugend nicht,
Und zahlungsfahige Moral!
Ihr Wolken droben. nehmt mich mit,
Gleiehviel, nach ivelcheni fernen Ort — -
Nach Lappland Oder Afrilca,
Und sei's nach Pommern, immer fort!
nehmt mich mit! — Sie hBren nicht —
Die Wolken droben sind so klug!
Vorriiberreisend dieser Stadt .
Aengstlich beschleun'gen sie den Flag.
H. Heine,
'";- : ' "'"■' ''.";-; '.;:'' "''''- ''" ' " '""■ -" •' ■'-■■' "■'"■■. '■ '' ; ."'''' ' ' ' '" ■'■-'"■'' ^"'.^
;. '.' _. !8i _ . . ' ■■""■:-^
Als seine Reisebilder erschieneii, bluteten einige nicht ' :.'
zu verkennende Personlichkeiten unter der Geisselung des : ;.
riicksichtslosen Dichters und wollten ihm ubeL; ferner ':',,?
Stehende ergotzten 'sich an der treffenden Satire, und ein- "■"-<£
stimmig fiihlte man, dass es solche Prosa n'och nicht gebe. ■*
Heine's Deutsch war ein klarer, sonnenheller Quell, in dem r*
sich seine Gedanken fasslich fur Jedermann spiegelten; die ■:%.
Ausdrucksweise so mancher seiner ZeitgenosSen glich eher ?"
«inemvondichtverwachsenemGestriippumdustertenWeiher. '■''■•}
Auch nach England war naturlich der Ruf des merk-
wiirdigen Mannes gedrungeh und kein Wunder war es, v?r
dass sein Erseheinen in der londoner Gesellschaft Auf- ' ,i
, sehen erregte. Die Frau berichtet : „Meine alte hamburger ' :
Bekanntschaft Heinrich Heine ist nun auch hier, und na- ■"'■'."■-^
tiirlich wird uns der beriihmte, interessante Mann st'ets ':'•
•eine hochst angenehme Erscheinung im Hause sein; er :%
kommt auch oft ungebeten zu Tische, was mich glauben >i
lasst, dass er gern mit uns vorlieb nimmt. Man kann "" '*■'_
sein Genie nur anstaunen, sich an seinen Schriften nur :.,
ergotzen; doch kann ich mich eines Anflugs von Furcht
-ror seiner treffenden Satire nicht erwehren. Gleich bei ' :5
seinem ersten Besuch hatten wir Beide ein komisches Ge-
sprach mit einander; ich weiss nicht, wo ich den Muth ■ ;.'
hernahm; aber als er mir erzahlte, was er zu sehen ;
wiinsche, sagte ich: „Dazu und -zu alien Privatgalerien ^
und Parks, zu alien offentlichen Gebauden kann ich Ihnen 'f
Einlasskarten verschaffen und mache mir es zur Elite; , J"
nur verlange ich etwas dafiir, und mochte eihen Pact ;■■!
•dartiber schliessen." Naturlich sollte ich mich naher er- v
klaren und Hess mich nicht lange bitten. „Ich mochte",
■erwiderte ich, „dass Sie in dem Buche, welches Sie jetzt - ,'\
uber England schreiben werden, Moscheles nicht nennen." /
Nun war er erst recht erstaunt und ich erklarte weiter:
-,,Moscheles' Specialitat ist die Musik, die interessirt Sie •■
vielleicht, aber Sie haben doch kein besonderes Verstand- ' '":
niss dafiir, konnen also nicht eingehend daruber schreiben.
Dahingegen konnten Sie leicht ifgend einen Anhalt fur
Ihre genialisch satirische Ader an ihm finden und den "■'{
', : " ■..""*" - ! - - - ' . '" 1 . . ".'.■" ' - " ■'"■■■- - ■ ', """ ""''..'
' ■— 182 —
bearbeiten, das mochte ich nicht." Er lachte oder schmun-
zelte vielmehr, auf die ihm eigenthumliche Weise, und
■ '., dann gaben wir uns den Handschlag, er aufHinweglassung
unseres Namens , ich auf Besorgung von Einlasskarten.
Urn gleich mit der Erfiillung meines Versprechens zu be-
ginnen, schrieb ich. sofort ura eine Einlasskarte zu den be-
riihmten Raphael's."
In' einem spateren Brief sagt die Frau: „Heine ging
mit uns im Grosvenor- Square Garten spazieren, wozu uns
*** den Schliissel gaben, und machte die witzigsten Be-
merkungen iiber die vielen Schornsteine, die Einem in so
einem Hauserviereck allerdirigs doppelt auff alien. . . Vor
ein paar Tagen kam er so durchniisst im Hause an, dass
ich ihn hinaufschickte — sich in Moscheles' trockene
Chaussure zu stecken, und als er diese kurz vor seiner
Abreise zuriickschickte, schrieb er folgendes Billet dazu:
„Im Begriff, abzureisen, schreibe ichlhnen ein heiteres
Lebewohl, und danke bei dieser Gelegenheit fur die freund-
schaftliche Theilnahme, die Sie mir beide gezeigt. Ich be-
dauere, dass ich vorgestern Madame Moscheles nicht zu
Hause fand; Sie, Herr Moscheles, war en „ engaged" und ich
wollte Sie nicht abrufen lassen.
Ich bin beim Kofferpacken, und schicke daher endlich
die geborgten Schuh und Striimpfe. Herzlich lachend er-
bitte ich mir die als Depositum gelassenen Stiefel und den
zweiten Reisebilder-Band. 1st es mir nur moglich, so sehe
ich Sie noch einmal und sage Ihnen miindlich, dass ich
Sie sehr, gar sehr schatze und liebe.
Ihr ergebener
32 Craven-Street-Strand H. Heine.
July 1827."
Carl Klingemann, der Freund Mendelssohn's, der be-
gabte Dichter kam in diesem Jahr als Secretar der han-
nover'schen Gesandtschaft nach London und ward schon
nach einigen Wochen Hausfreund bei Moscheles. Wer
kennt nicht seine reizenden, von Mendelssohn componirten
- ;-'-"-' : ■'■"' : '■-■ '" ;: -'^.-"- : ' : ,"- '' " ' : .';;' ; . ■'■ ;w|
Texte? "Fiir das Haus Moscheles war ef aber nicht nur .'->"
als Dichter und Freund, sondern auch als Tenorsanger . i£j
und musikalische Natur, als gesunder Beurtheiler musi- .'
kalischer Schopfungen unentbehrlich geworden; so bestand _: \ ■'■'.
die Freundschaft ungetriibt fort (es gesellte sich spater "-;;>:
sogar noch ein verwandtschaftliches Verhaltniss dazu), bis - ",:,i
der Tod KHngemann dahinraffte. - "
Der brave Geiger Oury gab in dieser Saison Kam- -l;:
mermusiken; de B£riot und Cramer glanzten, und der ■■■■■■-.'
neunjahrige Schiller Paganini's, Camillo Sivori, tauchte auf, ."_'.'.
„ein wahres Wunder an Kraft, Reinheit und sinnigem ' ■;
Vortrag." /"■•■
Es wird in dieser Zeit viel iiber die Reise des Vaters S
und der Schwester nach London correspondirt , und Mo- .:
scheles schreibt: „Wir haben reichlich Platz fur Sie Beide,
sollten Sie ihn aber zu beschrankt flnden, so ist der in '
unseren Herzen ura desto geraumiger. Auch sollten Sie ■ '. '
den Jungen sehen, wie er an mir heraufklettert und mir
ein obligates Accompagnement in den Brief hineinschwatzt : ..;
— das wiirde Sie auch anziehen, denn er ist jetzt aller-
liebst." Ein andermal, wo er uber die Hitze in London
klagt, sagt er: „Wenn Charlotte artig ist, bekommt sie -' ;1
zur Erfrischung Eis zu essen, das heisst also, sie muss \
alle Tage Eis essen."'
Endlich kamen die lieben Gaste, und bald konnte die
hilfreiche Schwester ein kleines Madchen, ein erstgebore-
nes Tochterchen iiber die Taufe halten. Die Freude ira
Hause iiber dies Ereigniss war urn so grosser, als Mutter
und Kind sich durchaus wohl befanden und Moscheles, - ,-■
aller Sorge enthoben, frisch an seine Phantasie iiber
schottische Themen gehen konnte; er wollte noch in diesem "-■
Winter nach Schottland und in dieser Phantasie zeigen,.
wie er die Nationalmelodien kenne und wiirdige, noch ehe
er das Land bereiste. r*
Hier, wie bei ahnlichen Gelegenheiten tritt die bren- ~ --.-:
nende Frage des Alleinreisens storend zu Tage, bis sie . - ;
sich endlich zur Befriedigung der Ehegatten, trotz der
rauhen Jahreszeit und trotz der beiden' kleinen Kinder, ,,;,
— 184 —
■die man nicht allein lassen will, in „Zusammenreisen" auf-
lost. Der arztliche Freund hat seine Zustimmung gege-
ben und das Resultat ist ein ungestort gliickliches. Sie
gehen zuerst nach Liverpool, wo Moscheles, von dem
Concertunternehmer Mr. Wilson engagirt, mit dem ge-
wohnten Beifall spielt; ebenso in Chester, immer in Ge~
sellschaft von Mori, Phillips, Miss Paton und Mrs. Atkin-
son. Das schonste Wetter begleitet sie, und sie konnen
in vollen Ziigen die klare reine Luft im Gegensatz zu der
driickenden londoner Atmosphare genies?en." So endet
das Jahr 1827.
1828.
Am 1. Januar nach Liverpool zuruckgekehrt, spielte
Moscheles hier am 2. im Subscriptions-Concert, und trat
am nachsten Morgen mit Frau und Kindern bei Schnee
und Eis die Reise nach Edinburgh art, wo sie nach sechs-
undzwanzigstiindiger Fahrt gliicklich ankamen.
3. Januar: „Der gestrige Gang durch die Stadt uber-
raschte mich auf jedem Schritt. Die ^ alten, mitunter
sechszehnstockigen Hauser, von^lauter unbemittelten Fa-
milien zimmerweise bewohnt, bieten Nachts durch die,
wenn auch -noch so schwache Beleuchtung jedes Fensters,
den Anblick einer Art Illumination. Als ich auf dem
Viaduct stand, welcher die Alt- und Neustadt verbindet,
hatte ich links diese alten Hauser, rechts die herrliche
Princes Street und den ganzen neuen Stadttheil, der eben
jetzt im Entstehen ist, und der aus einer Anzahl von Cres-
cents-Squares ,und Strassen mit vielen schonen palastahn-
lichen Hausern, alle aus Quadersteinen, bestehen wird.
Solcher Bauten sieht man viele auch in anderen Stadten,
aber Princes Street ist gewiss einzig in ihrer Art. Strasse
auf einer ihrer Langseiten, 'ist sie Gartenanlage auf der
anderen; auch das sieht man zwar in London; dass aber
ihre Hauserseite rechtwinklig durch Hiigelstrassen durch-
* -■ , . - i85 - .
schnitten wird, von denen aus man eirien 'Blick auf den
Seearm „Frith of Forth" hat, und dass mitten in ihren
•Gartenanlagen das alte Schloss Edinburgh-Castle hoch
auf einem Felsen liegt, das ist originell, imposant und
iiberraschend. Bei meinem Abendspaziergang sah ich ein
von der Wache abgelostes Highlander Corps in der Na-
tionaltracht von dem erleuchteten Schlosse herabsteigen
und dicht an mir vorbeimarschiren, wobei ich auch die
«cht schottische Musik von drum and fife (Trommel und
Pfeife) genoss."
Die vor der Ankunft gemiethete Wohnung in- Fre-
derick Street (einer jener Hiigelstrassen,) bot auch eine
grosse Sonderbarkeit dar. Sie bestand in einem erhohten
Parterre, das unter dem Nachbarhause hinlief, dem sich
aber keine zu oberen Etagen fiihrenden Treppen an-
schlossen; das Nachbarhaus hingegen hatte gar kein
Parterre, und der Eintretende fand erst eine Treppe hoch
■eine Klingel, die ihm Einlass in die erste Etage verschaffte.
Hausthiire und Treppe standen ganz offen. Dieselbe selt-
same Bauart" zeigte sich bei vielen anderen Hausem.
Diese'Winterreise, welche zu kunstlerischen Zwecken
vorbereitet und unternommen war, stiess auf ein grosses
Hinderniss. Eine italienische Operngesellschaft, der eine
bedeutende Subscriptibnsliste voraUsging, war auch so-
eben in Edinburgh angekommen und hatte, unbekiimmert
um das schon angekiindigte Concert von Moscheles, den-
selben Abend zu ihrer Vorstellung bestimmt, absorbirte
also Orchester und Publicum. Zwar wurde es wahr, was
die Kiinstler behaupteten: Man werde mit Proben des
Localchors und Orchesters bis zum ahberaumten Tage
nicht fertig werden, Moscheles solle den iibrigens gunstigen
Concerttag also nicht verandern. Da die Opern- Vorstellung
aber erst am selben Tage abgesagt wurde, so that sie
dem Concert doch Eintrag, und da das Orchester und sein
tiichtiger Director hoch am Concertmorgen Theaterprobe
hielten, so plagte sich Moscheles mit einigen zusammen-
gewurfelten Musikern, „unter denen die Blaser (grossten-
theils Regimentsmusiker) im Highland -Kilt mit unbe-
■■:; . ■ ■' .. _ j86 —
■ ; - kleideten Knieen erschienen und leider ihre Sache reeht
V* : schlecht machten."
r Da Moscheles bei dem Publicum, das zwei Drittel des
Saals fiillte, Furore machte, und seine Phantasie „The An-
ticipations of Scotland" jubelnd aufgenommen wurde, so
riigten alle Zeitungen einstimmig die geringe Theilnahme
fur sein Concert. Dieser Appell an die Ehre der Edin-
burgher wirkte denn auch: zu den beiden folgenden Con-
certen stromte das Publicum um so zahlreicher heran.
Von grosserem Interesse aber sind die Notizen iiber
Sir Walter Scott, den Moscheles damals kennen lernte. Man
bedenke nur, dass diese Bekanntscliaft in eine Zeit fallt, wo
die Lesewelt ihn schon als den „grossen Unbekannten" ent-
deckt hatte und sich beeiferte, ihm den Dank fur die
ganz orjginelle Lecture, die er dargeboten, abzutragen.
. Die bis dahin am meisten. gelesenen Romane ergingen
sich in Sentimentalitat. Die Romane der sehr beliebten
Miss Austin und Miss Edgeworth verfielen nicht in diesen
Fehler, bewegten sich aber in einer engen "Welt und
schilderten nur Zustande des Familien- und Gesellschafts-
lebens. Scott war der erste, der historisch interessante
Personlichkeiten als Mensehen von Fleisch und Blut han-
delnd und selbstredend auftreten Hess; dazu wahlte er
seine meisten Episoden aus der ziemlich unbekannten
schottischen Geschichte und verfiocht sie, wenn auch nicht
ganz getreu, doch anziehend in seine Erzahlungen. Be-
denkt man dies Alles, so wird man es begreifiich nnden,
dass er in jener Zeit als grosster Romandichter dastand,
und dass der Geschmack der Damenwelt, der seitdem von
einem Eugene Sue, einem Alexandre Dumas und einem
"Wilkie Collins aufgestachelt und in andere Bahnen
gedrangt worden, damals das grosste Wohlgef alien
an Scott's verhaltnissmassig einfachen Schilderungen
fand.
Sein Billet, das den soeben eingesandten Empfeh-
lungsbrief des Moscheles'schen Ehepaars -beantwortete,
ward naturlich mit grosser Freude aufgenommen. Da
ihn die Gicht an's Haus fesselte — hatte er geschrieben —
so mochten sie ihm das Vergniigen machen, bei ihm
zu friihstiicken, statt seinen Ausgang abzuwarten.
Am andern Morgen urn 10 Uhr klopfen sie denn auch
an das Haus Nr. 6 Shandwick Place, wo der beriihmte
Mann mit seiner zweiten, unverheiratheten Tochter zur
Winterszeit wohnte. „Er offnete selbst," erzahlt Mo-
seheles, „den kurzen und noch dazu gichtigen Fuss auf
seinen Stock gestiitzt, und bewillkommte uns mit herzge-
winnender Freundliehkeit. Ehe wir abgelegt hatten, war
schon die „Furcht" meiner Frau vor dem grossen Manrie
verschwunden und wir beide vollkommen zu Hause. Es
ging nun gleich an das Mahl, ein echtes Scotch breakfast;
zwei gepuderte Diener trugen es \m elegantesten Silber-
geschirr auf; die Wiirze jeder Speise aber war die Unter-
haltnng mit dem heiter belebten liebenswiirdigen Haus-
herrn. Er versteht deutsch und ist in unserer Literatur
vollkommen bewandert, ein warmer Verehrer Gothe's.
Dann erzahlte er Anecdoten, denen zu Folge seine wenig
rnusikalische Natur allerlei Niederlagen erlitten baberi
so.llte. „And how do yon like my cousin the piper?"
fragte er mich. „You know, we Scotch are all cousins."
(Und wie getallt Ihnen mein Vetter, der Dudelsack-
pfeifer? Sie wissen, wir Schotten sind Alle aus einer
Vetternschaft) Ich konnte mich freilich nicht fiir die
Sackpfeifer begeistern, und das hatte er vermuthet, meinte
aber, der Effect dieser Nationalmusik auf eingeborene
Bergschotten sei wunderbar; sie sturzten sich in den
Strassen Edinburghs dem herumwandernden piper nacb,
und im Kriege sei eben diese Musik bis zum' Todesmuth
begeistern d. „You should hear my cousin the piper play
and sing the Pibroch o' Donald Dhu, but with the gaelic_
words." (Sie sollten meinen Vetter den Pibroch — ein
Schlachtgesang — mit Begleittmg der Sackpfeife singen
horen, aber mit dem gaelischen Text!). Dieser Text ge-
hore dazu, damit Feuer durch alle Adern strome, aber die
Melodie allein sei auch schon fortreissend. Er fing an,
sie zu singen, und schlug dabei mit dem Stock, den er
nie weglegte, den Takt auf den Teppich, meinte danr*
— 188 — ■ '■" '
aber, es ginge nicht recht, er singe zu schlecht; eine eben
eingetretene Cousine miisse mir oben die Melodie vor-
spielen. Wir gingen hinauf, sie spielte mir das Motiv, ich
improvisirte dariiber und gewatin mir das jugendlich
frische Herz meines Wirthes. Es mussten mir immer
mehr schottische Weisen gespielt werden, ich musste sie
spielen, variiren, verweben, verflechten. Endlich schieden
wir nach gliicklich verlebten Stunden, und doppelt ghick-
lich, weil sie nicht bios interessant waren, sondern weil
die Herzensgiite, die Scott auf dem Gesicht geschrieben
steht, auch aus jedem seiner Worte spricht. Meine Frau
behandelte er wie ein liebes Tochterchen, kiisste sie beira
Weggehn auf die Wange und sagte, er komme bald, um
die Kinder zu sehen und ihnen ein Buch zu bringen. Es
waren seine „Tales of agrandfather"(„ErzahIungen desGross-
vaters"), fur seinen Enkel John Lockhardt geschrieben. In das
Exemplar, das er den Kindern schenkte, schrieb er die
"Worte: „To Adolphus and Emily Moscheles from the Grand-
father (An Adolph und Emily Moscheles vom Grossvater.)"
Leider ward er von Stunde an wieder durch die Gicht
gefesselt, und diesmal an's Bett. Bis zum dritten Concert,
das eine Matinee war, ging es besser, und zur Verwun-
derung der fashionablen dicht gedrangten Versammlung,
trat Sir W. Scott kurz vor Anfang des Concertes ein.
„Meine Frau", sagt Moscheles, „sass wie gewohnlich bei
meinen Concerten, in einem versteckten Winkel des Saales,
aber er fand sie gleich, und setzte sich zu ihr, was so viel
bedeutete, als der beneidete Augenpunkt der ganzen ver-
sammelten Damenwelt zu werden. Seine lauten Bravo's,
sowie die Lobeserhebungen, in die er bei meinem Spiel aus-
brach, vermehrten diese Erregung, bis sie bei den Scotch
airs ihren Culminationspunkt erreichte. Im Zwischenact
fragte er sie, ob sie Burger's, „Der Dichter liebt den
guten Wein" kenne, und auf ihre Bejahung erzahlte er,
wie sehr ihm das Gedicht gefalle und wie er es in's Eng-
lische iibersetzt habe, hinzusetzend: Would you like to
have it? I shall send it you. („M6chten Sie es haben? Ich
werde es Ihnen zuschicken.") Auf ihre weitere Bitte, er
— 189 —
moge ihr das Lied deutsch hersagen, ging er zu ihrer
grossten Freude bereitwillig ein, wahrend die Nachst-
sitzenden aufhorchten."
Am folgenden Tage, dera letzten vor ihrer Abreise,
bekam sie folgendes Billet von ihrem greisen Verehrer:
My dear Mrs. Moscheles.
As you are determined, to have me murder the pretty
song twice, first by repeating it in bad german and then
by turning it into little better english, I send the promised
version.
My best wishes attend your journey, and with best
compliments to Mr. Moscheles I am truly and
respectfully yours
Walter Scott.
(„Meine Hebe Mme. Moscheles! Da Sie entschieden
wunschen, dass ich das hubsche Lied zweimal morde, erst
indem ich es in schlechtem Deutsch hersage, dann indem
ich es in wenig besseres Englisch kleide, so sende ich
Ihnen die versprochene Version. Meine besten Wiinsche
begleiten Sie auf Ihrer Reise und indem ich mich Herrn
Moscheles freundlichst empfehle, bin ich aufrichtig Ihr
ergebener W. Scott.'*)
„Seine Unterschrift sah aus wie Waller Scoll, da er
die Gewohnheit hatte, nie einen T-strich zu machen, eben-
sowenig I-punkte, und doch war er Clerk (Secretair) des
Gerichtshofes, und wir hatten den Spass, ihn noch Tages
vor unserer Abreise dort am griinen Tisch unter einem
Wust von Acten sitzen zu sehen." .
Moscheles hatte ihm sein Album mit der Bitte urn
einen Beitragubersandt, und Scott hatte darin folgendes Ge-
dicht von Grillparzer gefunden:
Tonkunst, dich preis* ich vor Allen, Aber du sprichst hoh're Sprachen,
Hochstes Loos 1st dir gefallen, Die kein Hascherchor versteht,
Aus der Schwesterkiinste drei, TJngreifbar durch ihre Wacheii
Du die frei'ste, einzig frei. Gehst du, wie ein Cherub geht.
Denn das "Wort, es lasst sich fangen, Darum preis' ich dich vor Allen
Deuten lasst sich die Gestalt; In so angstlich schwerer Zeit;
Unter Ketten, Riegeln, Stangen Hochstes Loos ist Dir gefallen,
Halt sie menschliche Gewalt. Dir, und wer sich dir geweiht.
-.. ... ■ _ . ' . _.-__■
':'-■■' ., — 190 —
'-.'■ Dieser Aufschrei ernes durch die 6'sterreichische Cen-
sur geknechteten, in seinem Ringen fur seiti Volk ein-
geengten Dichters, muss Scott's Sympathieen erweckt
'•■; haben; denn als er, schon nach wenig Stun den, das Album
zuriickschickte, enthielt es folgende Uebersetzung des
Grillparzer'schen Gedichtes mit der Ueberschrift: „I am
afraid, Mr. Grillparzer's verses and Mr. Moscheles' valuable
Album are only disgraced by the following rude attempt
of translation." (Ich fiirchte, Herrn Grillparzer's Verse und
Herrn Moscheles' werthvolles Album sind durch den bei-
' folgenden rasch hingeworfenen Uebersetzungsversuch nur
entweiht worden.)
Of the nine the loveliest three
Are painting, music, poetry
But thou ait freest of the free
Matchless muse of harmony.
Gags can stop the poets tongue
Chains on painters arms are flung
Fetter bolts and dungeon tower
O'er pen and pencil have their power.
But music speaks a loftier tone
To tyrant and to spy unknown
" And free as angels walk with men
' Can pass unscathed the gaoler's ken.
Then hail thee freest of the free
'Mid times of wrong and tyranny
Music, the proudest lot is thine
And those who bend at music's shrine.
Vielleicht ahnte die deutsche Lesewelt nicht Scott's
genaue Kenntniss ihrer deutschen Sprache, welche deut-
lich aus dieser Uebersetzung hervorgeht,
Endlich schieden sie, Moscheles mit dem Versprechen,
fur einige hubsche Lieder einer Miss Browne mit Texten
ihrer Schwester Felicia Hemans, in London einen Verleger
ausfindig zu machen, was auch geschah, und Scott mit
— 191 — - N . ■; ^^
der Zusage, Moscheles recht bald zu besuchen, was sich .;',';
ebenfalls bewahrheitete. ,- V 1 ;
Ueber diesen Aufenthalt in Edinburgh findenwirferner . '.' b cj
noch folgende Bemerkungen: „Der kirchliche Ritus, der <£§
keine Orgel duldet, war mir merkwiirdig. Die Psalmen -;'*v^
werden von einem vierstimmigen Chor intonirt, von . *'^
der Gemeinde nachgesungen; aber wie? Die Bassstimmen ,\
gewohnlich im Unisono mit den Sopranen, statt den Fun- -^
damentalbass zu unterstutzen! DiePredigt eines Dr. Thorn- ■ .'+:^
son, an sich zwar gut, hatte wieder durch den singenden . : ."vV
Ton des schottischen Accentes und die starken, bis zur ^
Action gesteigerten Gesten des Predigers mehr Fremd- ' ..jv
•artiges als Erhebendes. Auch ist die Bigotterie der Sonn-
tagsfeier hier erdriickend lastig. Zwei, drei Mai in der : ;,\
Kirche beten, zu Hause wieder beten, oder doch dieHande , ; :
in den Schooss legen, nicht musiciren, nicht arbeiten, keine "■'.?
Besuche machen, das miissen wir erdulden. Wenigstens *
darf man doch ganz still in seinem Zimmer, wo Einen - -'$
Niemand sieht, Brief e schreiben, oder heimlich Biicher ' '. ;
weltlichen Inhaltes lesen! Daran muss man sich halten." ^;
Die Winterszeit mit ihrem hohen Schnee gestattete nur kurze - '1 'j
Gange oder Fahr ten iib er die Stadthinaus; und doch gab es _ <
Tage,diemanbenutzenkonnte,wiefolgendeNotizenbeweisen: : '"h
„Heute nach Calton Hill; herrliche Aussicht; auf einer - 7r -\
Seitedie See wie ein blauer Streifen, auf der anderen Holy- .-
rood House, das. uralte Konigsschloss', iiber uns der Felsen , ,
Arthur's Seat, auf dem Nelson's Monument steht; es ist ,''
schwerfallig, sodass es den Effect macht, als habe es zu '':.'■
viel Gewicht fur den Felsen. Der "Wind, der auf dieser ->"lj
Hohe doppelten Spielraum hat, liess uns kaum festen /J
Fuss fassen. Und dann wieder die Fahrten nach Roslyn- _ v
Castle und Salisbury Craigs auch wenig befriedigend, J r
durch die strenge Jahreszeit. Holyrood House ist immer : ■■■':■$
interessant. Die innere Einrichtung der Zimmer wird wie . : .
zu der Zejt Maria Stuart's er halten; zwar sind die Stoffe :._
ihrer Bettvorhange und Mobel, sowie ihre selbstgenahten ."
Tapisserien vergilbt, und das Ganze. sehr vom Zahn der
Zeit benagt; doch kann man sich in diesen Raumen nur -.
p?r"V~f~<Ti V"
192
theilnehmend an das Schicksal der schonen, vielleicht
schuldigen, doch ungliicklichen Frau erinnem. Hier ist
die Riistung des Darnley, seine Stiefel, seine Handschuhe,
dort das kleine Fensterchen, aus dem man den neu-
geborenen Jacob I. herausreichte , weil seine Mutter, die-
konigliche Wochnerin, drin im Zimmerchen in Haft war,
und endlich hier neben dem Schlaf- und Wohnzimmer der
KLonigin eine versteckte Seitenth-iire, die zu einem unter-
irdischen Gange fiihrt. „Als die Kb'nigin von ihrem Ge-
mahl mit ihrem Liebling, dem Lautenspieler Rizio, uber-
rascht wurde, heisst es, ward er, durch Dolchstiche ver-
wundet, bis an diese Ausgangsthiir geschleppt. Die dun-
keln Flecke hier am Boden sind sein Blut." Als Beleg
dieser Ansicht, die uns mythisch erschien, schenkte mir
Mr. Ballantyne, der Freund Scott's und Drucker seiner
sammtlichen Werke, ein Billet von ihm, wo es iiber diese
viel angefochtenen und bezweifelten Blutiiecke heisst:.
„I have no doubt of Rizio's blood being genuine. I will
look at the plan of the place, but think I am right. (Ich
zweifele nicht an der Echtheit von Rizio's Blut — in den
bewussten Flecken. — Ich will mir den Plan der Oertlich-
keit ansehen, meine aber Recht zu haben.) Ein gewichti-
ges "Wort aus Scott's Munde."
„Ein andermal wur den wir in die grosse Halle des Ger ichts-
hofes High Court of Justice gefiihrt; dort wogen die ver-
schiedenen Gerichtspersonen, viele in ihrer Amtstracht mit
schwarzem Mantel und gepuderterPerriicke durcheinander;.
das Gerausch schien mir tausendstimmig, und doch sitzen
die Oberrichter in verschiedenen Abtheilungen da, und
lassen sich von den Rechtsgelehrten beider Parteien die
verschiedenen Falle vortragen. Wie es ihnen aber mog-
lich ist, sie in diesem Gewirre zu horen oder gar zu ver-
stehen, ist mir unhegreifiich. Ich stand neben Mr. Murray,,
einem der grossten Advokaten Schottland's, der eben einen
Fall vortrug; das Gerausch war aber so, dass ich nicht
ein einziges Wort verstand und nur seine Mund- und
Handbewegungen wie in einer Pantomime sah. Ob nun
die Routine dieser Richter so weit geht, in diesem Ge-
■i."--^'^ " ^" L-i'/.V 1 -"- *
— .193 —
rausch geniigende Urtheilsspniche auf Grund dieser Reden
zu fallen, fragte ich mich, und blieb mir die Antwort
scliuldig. Es fiihren Treppen hinterwarts von diesem Ge-
richtshof herunter in ein Labyrinth von HSfen, Gassclien
und Winkeln hinein, die zuletzt in den Seearra miinden.
Geht man iiber diese back stairs (Hintertreppen) und durch
diese Irrgange,- so kann man es sich erst erklaren, wie
der Verfuhrer von Jeanie Deans da hinaus entschliipfen
konnte."
Unter den vielen Bekanntschaften, die sie in Edinburgh,
machten, war auch die von Sir John Sinclair und Gemahlin.
„Der Mann liebt zwar Musik, lasst mich auch bei sich
spielen und essen, essen und spielen, 1st aber im Grunde
ganz Kartoffelmehl; denn Brod und Kuchen, Alles wird
bei ihm aus Kartoffelmehl gebacken; fur die Verbreitung
dieses Mehles macht er hitzige Propaganda, und da es
viele Gegner seiner Lieblingsidee giebt, so wird mehr
dariiber hin und her geredet, als zu horen interessant ist."
Moscheles besuchte auch den grossen Phrenologen Spurz-
heim, ohne sich zu nennen; auf seine Bitte, „seinen Kopf
2U lesen", sagte er nur einige nicht compromittirende Ge-
meinplatze, wie „Disposition fiir schone Kiinste" und der-
gleichen mehr; dann aber, als er seinen Namen horte,
setzte er g _ elehrt auseinander, wie er von der Natur zura.
Musiker gestempelt sei. Sie horten seine offentliche Vor-
lesung, fanden aber weniger Gefallen als die anwesende
Damenwelt an- dem anatomisch zerlegten menschlichen
Gehirn, das von Spurzheim's Erklarungen begleitet, -herum-
gezeigt wurde.
Wahrend dieses ganzen Aufenthaltes in Edinburgh
musste Moscheles trotz seiner hohen Taxe von 2 Guineen
pro Stunde Lectionen geben. „Einige Damen", sagt
er, „sind darauf versessen, in aller Eile meine Stiicke
bei mir einzustudiren, gleichviel wie schwer die Sachen,
oder wie kurz die Zeit." Bald aber ward es ihm zu viel.
„Ich eile fort", schreibt er, „und widerstehe vielen Auf-
forderungen, mich ferner hier mit Concerten zu plagen.".
Moscheles* Leben. ij
... ' — ■#. — '' "'..'" :
So erreichen sie gliicklich ihre Haushchkeit in Lon-
don und preisen Gott fur die iiberstandene Winterreise,
auf der Eltern und Kinder vohkornrnert gesund geblieben
war en.
Die Englander nennen die Zeit ausser der Saison
, „the dead time of the year" (die todte Jahreszeit). Fur
einen beschaftigten Kiinstler in London, der zugleich
Lelirer ist, sind .aber alle Monate lebendig; nur mit'
dem Unterscbiede, dass sich im Februar die geschaftliche,
Zeit gerade ausfullt, wahrend sie im April, Mai und Juni
nicbt ausreicht, dass der Kiinstler aber im Juli und August
Musse findet, sich zu fragen, warum er nicht untergegan-
gen ist in diesem bunten Gewiihl yon eigenen und frem-
den Geschaften , die ihn taglich in Anspruch nahmen,
warum er der Lectionenfluth, die taglich .in neunstiindigem
Sturzbade iiber seinem Haupte zusammenschlagt, so gliick-
lich entronnen. Auch ist es merkwiirdig, dass er da-
bei als sorgloser "Wirth am eigenen Tische oder als
liebenswurdiger Gast in fremder Umgebung erscheinen
kann; dass ihm Kraft bleibt, bis spat in die Nacht binein
musiciren zu horen und musiciren zu helfeh, vielleicht gar
ein grosses Concert offentlich zu spielen, wobei er aber
immer zu bedenken hat, dass sein Ruf auf dem Spiele
steht; dass er, o Wunder! sich auch wohl noch zu einer
Improvisation heraufschraubert kann. Und ist er dann in
den allerersten Morgenstunden zu seinen Penaten heim-
gekebrt, so wird er nicht mit dem ersehnten Ruhekissen.
sondern mit einem Haufen, nach kurzem Schlaf zu beant-
wortender Stadtbilletchen empfangen. Kann man dies
Leben dreiundzwanzig Jahre mitmachen, ohne an Geist und
Korper zu versanden, so muss man sich in Dankbarkeit
gliicklich preisen; suchen wir aber das Arcanum gegen
den ganzlichen Untergang, so finden wir wohl fiir den
Geist die glu'ckliche Hauslichkeit, die ihn. vom Gemiith
aus immer wieder starkt, fiir den Korper das ganzliche
Aufgeben aller Geschafte, alles Gelderwerbes wahrend
des Herbstes, gute Landluft statt der Stadt-, Concert- und
Theaterluft, Fluss- oder Seewellen statt der Lectionenfluth
. - — I0 5 ■ —
und. Abgeschiedenheit in der eigenen' Familie statt des
bunten Menschengewiihles. Dies -Verfahren ist aber nicht
ganz : leicht zu befolgen. Der Continent ladetzu Kunst-
reisen ein; die Provinzialunternehmer Englands bieten vor-
theilhafte Engagements-; jeder Badeort birgt soireengebende
Mutter, lectionsbedurftige Tochter; der Kii'nstler wird zu.
Landpartieen und Diners verlockt, urn spater durch seine
Leistungen zu zahlen, Da heisst es unerschiitterlich wie
Erz bleibeti und stets das eine ungern gehqrte, wenn auch
iiberzuckerte „Nein" in Bereitschaft halten, sonst nimmt
man. sein London mit sich, wie die. Schnecke ihr Haus,
und kommt unerquickt an Geist und Korper, wenn auch
rait gefulltem Beutel, vom Lande- zuriick in die neue
Saison hinein. Da wo der Kiinstler nicht vom Treibjagera
nach Guineen besessen ist, wird ihrh die Muse auf ruhigen
Spaziergangen wa.hr end stillverlebter Tage wieder nahen;.
sie werden manches Zwiegesprach fiihren und sie wird in
ihm immer noch ihren geliebten Sohn iinden^ an dem sie
Wohlgefallen 'bat. Bringt er dann ihre Einfltisterungen
mit in- das Stadtgewiihl zuriick, so ist sein edleres Selbst„
das Kiinstlerthum in ihm, gerettet.
Als Moscheles im Februar von Schottland zuriick-
kehrte, erwartete ihn ein Brief seines Freundes Peter Pixis,
der ihm meldete, dass er als Begleiter von Frl. Sonntag
die Saison in London mit ihr zubringen wolle. Sie war
in der italienischen Oper engagirt, ihm sollte er musika-
Hsche Unternehmungen, ihr eine Wohnung vqrbereiten.
Durch sie wurde vom 3, April, dem Tage ihrer Ankunft
an, unendlich viel Schemes und Liebes genossen. Das
reizende, junge Madchen Henriette Sonntag, war, abgesehen
von ihrem Talent, die freundlichste, liebenswiirdigste Er-
scheinung. Frei von Anmassung Oder Laune, kam und
ging- sie bei Moscheles ein und aus; „ja, wenn sie so an
unserem hauslichen Tische sitzt.(sagt er), so vergessen wir
es ganz, dass London in gross.ter Spannung ihrem Debut
entgegensieht" .
Hatten sie dann die Freude, sie bei sich singen und
wieder singen zu horen, so priesen sie sich gliicklich,,
.- / " :- "'■ , • ■■■■> : : ■-. ■-•'.■■ .
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Solches noch vor ihrem .offehtlichen Auftreten zu geniessen
und gaben sich dem Enthusiasmus durch Auge und Ohr
hin, der bei dieser Sangerin Hand in Hand ging und den
Horer wie mit einem Zaubernetz umspann. „Heute in der
Hauptprobe des „Barbiere", erzahlt Moscheles, „entz!ickte
sie Alles durch. ihre Rosine. Als sie sich auf dem Balkon
zeigte, beklatschte man die liebliche Erscheinung, als sie
die Buhne mit ihrem „una voce poco fa" betrat, bezauber-
ten Stimme und Gesang." Nie fiel ein Schatten iiber eine
ihrer londoner Vorstellungen. Der Andrang im Parterre
der Oper (wo das Billet nur eine halbe Guinee kostet)
war so gross, dass Herren ohne Rockschosse, Damen ohne
Coiffure zu ihren Sitzen gelangten. Moscheles' sahen die-
sem Getreibe aus der Loge von Dlle. Sonntag in aller
Ruhe zu, in der sie ein fur alletnal Platze fanden. „Ich
konnte nicht sagen", schreibt Moscheles, „welche ihrer
Vorstellungen ich fur die gelungenste halte; derm ihr Ge-
sang ist immer bezaubernd, und obwohl ich mir von der
Abwesenheit grosserer dramatischer Effecte Rechenschaft
gebe, so nimmt mich doch die Naturlichkeit und Lieblich-
keit in Spiel und Erscheinung wahrend der Vorstellung
zu sehr in Anspruch, um irgend Etwas zu vermissen.
Sogar wenn sie ihre Variationen iiber den Schweizerbue
singt, so fallt es mir nicht ein zu denken: Wie kann sie
diese Gurgelei machen? Denn sie leistet etwas in seiner
Art ganz Vollkommenes."
6. April: „Concert- Arrangements fur mein Concert
sowie fiir das erste des Fraulein Sonntag. Zu Tische
die Bewunderte selbst mit Pixis und ihrer Begleiterin;
Abends noch einige Freunde, Alle in Entziicken aufge-
lost, unsere deutsche Philomele zu horen."
8. April. „Beim grossen Diner, welches Fiirst Ester-
hazy fiir Fraulein Sonntag gab, Prinz und Prinzessin Po-
lignac, Baron Billow, Graf Redern, Marquis of Hertford,
Lord und Lady Ellenborough, Lady Fitzroy- Somerset,
Countess St. Antonio etc. etc. Dlle. Sonntag sang Abends
bezaubernd, Pixis und ich spielten abwechselnd und zu-
sammen,"
Der Neid hatte wohl dem Zeitungsschreiber seinen
Artikel in die Feder dictjrt, in welchem es hiess, Fraulein
Sonntag sei nicht zu einer Primadonna qnalificirt, aber
ihre Erfolge widerlegten bald die Behauptung.
Am 4. Mai sagt das Tagebuch: „Mit einer musikali-
schen Arbeit beschaftigt, die manche Anwandlung von
Wehmuth in mir hervorrief. Ich"schrieb namlich fur (den
Verleger) Willis die Begleitung zu einem englischen
Liede, die letzte Arbeit von Weber, die er fur Miss
Stephens zur Auffiihrung in seinem letzten Concert ge-
schrieben hatte. Bloss die Gesangstirame und einige Tacte
der Begleitung waren in seinem Manuscripte angedeutet.
Das Fehlende schrieb ich, zur genauen Unterscheidung,
mit rother Dinte dazu."
Zwischen den Cbncerten und Soireen dieser Saison
machen das Moscheles'sche Ehepaar und andere deutsche
Freunde, die Fraulein Sonntag fast taglich sahen, kleine
Ausfliige mit ihr; sie besuchen zusammen das Pferderen-
nen von Epsom, ferner Chiswick, den Landsitz des Her-
zogs von Devonshire. Sie bewunderten dort die herrliche
Gemaldegallerie und sahen auch das Zimmer und Bett,
wo Canning starb." Dass der Herzog von Devonshire
kurz darauf Fraulein Sonntag zu seinem Balle lud, und
sogar mit ihr tanzte, machte damals grosses Aufsehen,
und wer weiss, ob es nicht manche Leserin interessirt,
dass das reizende junge Madchen an diesem Abende ein
sehr durchsichtiges weisses Kreppkleid trug, dem der Be-
satz echter Goldborden ein classisches Ansehen verlieh;
gehoben wurde ihre anmuthige Erscheinung noch durch
das reiche Goldgeschmeide im Haar und um den fein mo-
dellirten Hals und die vollkommen schonen Arme und
Hiinde.
Der Director der italienischen Oper hatte beschlossen,
nur dann Concerte in dem damit verbundenen Saale, so-
wie die Mitwirkung seiner Sanger zu gestatten, wenn die
Benefizianten ihre Einnahme mit ihm theilten. Pixis ent-
schloss sich zu seinem Locale und dieser Theilung, gab ein
einactiges Concert, worm die Sonntag sang und Moscheles.
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ausser seihen Solostiicken vierhandig mit ■'- ihm spielte;
worauf Scenen aus dem ,,Freisehutz" im< Costume, von der
Sonntag und Schiitz- reizendgegeben, fblgten; die Sorihtag
aber wusste es spater' doch dahin zu.bringen, dasssie fur
ihre Landsmannin Schiitz in den Argyll-rooms singen
durfte urid dass die anderen italieriischen Sanger em
Gleiches thaten. Pixis und Mbscheles wiederholten dabei
ihr vierMndlges Stuck, und das Concert Avar uberfullt
Als aber die Sonntag am 25: Juni : ein Dramatic Concert
in der grossen Oper gab, war die Saison schon zu sehr
vorgerfickt, um das Local zti fallen. Und doch sang sie,
unterstiitzt von Herrn urid Madame Sehutz die Hauptsce-
nen aus dem „Freischutz" und der „Schweizerfamilie", und
hatte in dem eigentlichen Concerttheil de Beriot und Mo-
scheles Zur Seite.
8. Juli. ;,Heute", sagt das Tagebuch, ,,wohnten wir
einer fashionablen Festlichkeit in Vauxhall, zum Besten
verarmter Spanier und Italiener bei, von der N6blesse un-
ternommen, die Herzoge von Clarence und "Wellington an
der Spitze. Letzterer wurde in einer Vorstellung der
„SchIacht von Waterloo" vortrefflich personificirt. In dem
Concert, das den Abend beschloss, sangen die Sonntag
und die Pasta." \
19. Juli. „Uhaushaltbar gellte Velluti's Krahen in der
Oper, sein detonirerides Aechzen beleidigte unsere Ohren,
und die Wunden unseres Trommelfelles waren kaum durch
die Flotenstimme der Sonntag zu heilen."
„Einmal", schreibt die Frau, „hatteri wir das Gliick,
die liebliehe, gefeierte Landsmannin in einem grosseren
Kreise bei uns zu sehen; sie war bezauberrid, lieberiswfirdig;
ihr Wesen, ihr GesaUgi Alles riss zur Bewuriderung
hin. Walter Scott, auf kurze Zeit in London, hatte uns
besucht, wir luden ihn zu dieser Soiree ein, er war. ent*
ziickt, die Sonntag zu treffen und sie, die eberi in der
„Donna del lago" auftreten sollte, hielt es fur ein Gliick
mit dem jugendlichen Greise bekannt zu werden. Lockhardt
sagt zwar in Scott's Biographie, er hatte sich iiber die
Fremden geargert, wenn sie nach Abbotsford gepilgert
.• r
f — 19.9 —
Teamen; ihn gern rait Lob iirjerscfiutten wollten uiid doch
!Nichts vOh seinen Sachen kinnteh, hochstens einmal die
„Ponha del lago" in der italienischen Oper gesehen hatten.
Aber bei der Sonntag - war der grosse Mann ganz Qhr
{ich glaube auch ganz Auge), als sie ihn iiber ihr Costuni
4ds Schottin befragte. Er beschfieb ihf jede Falte des
Plaids rnit der ihm eigenen Gehaiiigkeit und war nieht
wenig erfreut, als ich einen- echten Atlas-clanplaid produ-
:rirte, den ich mit Stolz der Sonntag zu leihen versprach.
Aber so und nicht andefs musse ihn die Broche auf der
Schulter zusammenfassen, demonstrirfe er. Uebrigens
hatte das Jettl zwei alte Aribeter bei uns;_der zweite war
Clementi, nicht minder ver^tiekt als Scott- Er staiid auf
und sagte: „To night I should like to play also" (;,Heute
Abend mochte ich auch spielen"). Das gab allgemeinen
Jubel. „Er phantasirte mit Jugendfrische", schreibt Mo-
scheles, „und schon der Umstand, dass ersich.sonst niehoren
liess, gab seinem Spiele grossen Reiz. Nun hattet Ihr-
aber sehen sollen, wie die beiden Greise Scott und Cle-
rrienti, sich iiber einander freuten, 'sich die Hande gaben,
trotz der beiderseitigen Courmacherei und Sonntags-Be-
wunderung gar nicht eifersuchtig auf einander waren, son-
dern der grosse Mann dem grossen Mahne Anerkennung
zollte. Und dann wieder, wie die Beiden und die Sonntag
von der Gesellschaft ahgestautit wurden, wie Jeder sich
ffeute, die Drei so in nachster Nahe geseheft und die
Wechselwirkung auf einander beobachtet zu haben!"
- Am 24. Juli endeten ihre Theater- Vorstellungen glor-
Teich mit der „Amenaide", und am 26. begleiteten die
Ereunde sie mit Ruhm gekroht an Bord des Schiffes, das
sie von den Towerstairs ausnach Frankreich geleitete. .
^ Sie war „the star of the season" („der Stern der Saison")
.gewesen, aber es leuchteien auoh kleinere Lichter neben
ihr. Ausser den schon genannten Sangern bewarben sich
rnanehe bedeutende auswartige Instrumentalisteh um Geld
und Ehre: MaxBohrer, de BeriOt, Labarre, Huerta (Guitar-
rist), diese Alle und noch rrianche Einheimische hatten
auch Moscheles' UnterstutzUng in ihren Concerten; kiich
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componirte er fur Cramer und seine Nichte ein vierhan-
diges. Rondo in .Es >„La belle union", was sie in dem
Annual Benefit-Concert von „glorious John" mit Beifall vor-
trugen.
Er schrieb seine G-dur-Sonate fur Clavier und Flote.
„Ich Hess meine „Gems a la Sonntag" vom Stapei laufen
und meine zahlreichen Schiilerinnen buchstabiren. Spater
fiel die ganze clavierklimpernde Damenwelt gierig fiber
diese sehr genaue Nachahmung der Cadenzen und Ma-
nieren der gefeierten Landsmannin her.
Die reizende Concertsangerin Mme. Stockhausen war
in dieser, ihrer zweiten Londoner Saison schon einaner-
kannter Liebling des englischen Publicums, dessen Sprache
sie nun ganz inne hatte, sie trat vie! in Handel'schen Ora-
torien auf. Die Mars, alt an Jahren, jung an Aussehen
und. Leistungen, entziickte Alles durch ihre Vorstellungen.
„Ihre Valerie, ihr Spiel in der „Ecole des vieillards".
mussen dem Beschauer ewig unvergesslich bleiben,"
„Ein komisches Intermezzo der taglichen, lectionisiren-
den Thatigkeit bildete heute", schreibt Moscheles ins
Tagebuch, „meine Erscheinung vor einem kleinen Gericht,
in miserabelster Gesellschaft von Herren und Damen, die
fur wenige Shillinge verklagt waren; ich selbst beschul-
digt, fur eine zu meinem Concert gemachte Ankiindigung
nicht zahlen zu wollen. Naturlich kostete mich der Zeit-
verlust mehr, als die verlangte Summe, da ich aber Be-
triigereien hasse, so nahm ich die Sache ernster, als mein
Anklager dachte, erschien, kam aber nicht einmal zum
Verhor, da die Klage eines Menschen, der gar nicht be-
weisen konnte, dass er in einem Zeitungsbureau angestellt
sei, von selbst zu Boden fiel."
Den Monat September verlebte die Familie mit dem
Schwiegervater hochst angenehm, ruhig und gemuthlich
in dem reizenden Hastings, unter reichlichen Promenaden,
See- und Luftbadern. „Ich componirte dort", riotirt Mo-
scheles, „ein bei mir bestelltes, leichtes Stuck, ..Strains of
the Scotch bards", welchem ich spater erst Bedeutung
gab, indem ich es Sir Walter Scott dedicirte." Schalten
-'„.■-' 20I 1 '• '
wir gleich hier Scotfs Antwort auf die angetragene De-
dication em: _ .
My dear Sir !
I regret that my absence upon short, journeys from
home should have caused your obliging proposal to inr
scribe the music of Donald Dhu to me, to remain some
time unanswered. Believe me, I fell obliged by the pro-
posal and will accept it with great pleasure. Tell my
fair friend Mrs. Moscheles that I send my best compliments
and beg to retain a place in her recollection, and when
you see the fine old gentleman, Mr. dementi, will you
oblige me by remembering me to him.
I am always dear Sir
Your obliged humble
Abbotsford, Melrose Servant
October 18 Walter Scott.
(„Verehrter Herr! Ich bedauere, dass meine kleinen
Reisen mich verhinderten, Ihren freundlichen Antrag der
Dedication friiher zu beantworten. Glauben Sie mir, der
Vorschlag ist mir ehrenvoll, und ich nehme ihn mit
grossem Vergnug-en an. Sagen Sie meiner Freundin, Mme.
Moscheles, dass ich ihr beste Griisse sende und sie bitte,
mich in gutem Andenken zu behalten, und wenn Sie den
prachtigen alten Herrn dementi sehen, so seien Sie so
freundlich, mich ihm zu empfehlen. Ich bin imtner, werther
Herr, Ihr dankbar ergebener Diener W. Scott.")
Nach London zuriickgekehrt, fing Moscheles an, die
Symphonie in C zu schreiben, die ihm langst im Sinne
lag, und brachte sie bis Ende November fertig. Matthews
und Yates hatten das Adelphi-Theater gepachtet. „Erste-
rer ist der Liebling des englischen Publicums, und amii-
sirte auch uns mit seiner unubertrefflichen Komik. Das
letzte Stuck „London und Paris" mit dem Dampfboot,
das den Kanal kreuzt, war mitunter drastisch und zwerch-
fellerschutternd."
Auch eine kleine Excursion nach Brighton und sein
'- — ib2 — "■'' y .- ■'
dbrtiges Spieleh im Subscriptions-Concert, fallt in diesen
Uerbst. "'.'■'
„Meine Stiicke ' — Alexander- Variationen,' Abschied
<3es Troubadours unci Phantasie iiber„Last rose of Summer"
und „God save the King" — waren der dort versammelten
fashionablen Gesellschaft eb'en recht, und sehr recht; das
circa halbe Orchester mir aber ganz unrechL" Kemp-
Town, dieses prachtvolle Quartier der Stadt Brighton, da-
mals gerade erst im. Bau begriffen, imponirte ihm sehr.
In London gab er, ausser einigen Privatlectionen, den
jungen, angehenden Musikschiilern und Schiilerinnen der
Koniglichen Akademie fortwahrehd Unterricht, wohnte
auch ihren offentlichen Cohcerten in Hanover-Square-rooms
bei, hatte aber doch im Gahzen wenig Freude an der
Leitung des Instituts, das eine seinem deutschen Sinn zu
"wenig musikalische Richtung verfolgte.
Weiter finden wir die Notiz: „Erard beschenkte mich
heute mit eihem prachtvdllen Cdncertftugel, dessen Werth
von 160 Guineen mich zwar zu grossem Darik verpflichtet,
dessen aussere Eleganz mir nichts zu wiinschen ubrig
lasst, dessen etwas trockene H6h& und harter Anschlag
mir aber nicht recht gefallen' wollen. Mein Clementi
bleibt also noch mein Liebling. Uebrigens fangen die
Erard'schen Instrumente doch an, sich Bahn zu brechen.
Frau v. Rothschild will, nachdem sie das meinige gehort
hat, auch eines kaUfen."
Die Aufzeichnungen aus diesern Jahr schliessen mit
Mittheilungen iiber das Weihnachtsfest, das nach guter,
deutscher Sitte durch Anzvinden eines Weihnachtsbaums
gefeiert wird und heitere Erinnerungen an die Heimat
"Weckt. ■
1829.
Wir haben beim Lesen musikalischer Biographien oft
lange Abhandlungen iiber die Compositionen derBetreffen-
den gefunden, ja sogar auch iiber ihre „Intentionen", und
-uns dabei ariShakespeafe's Gommentatoren erinneffc; -dieihtri, ..ij
wie gar manctie gute Autbritaten behaupteri, Gedarikeri* uri- ' - '„
tefgelegt haben, die dem Dichter' selbst ganz freriid waren. ,1
Man rfluhte sieh ab/ seme geheimsten Absichten zu errathen - , iy,
und uberaah riur zu oft, dass man es mit den Eingebungen - , ' -i
eiries Genii's zu thun hatte. Ebetlso scheint es mit- den ■'.;.•-
Werken Beethoven's zu geheti. Beethoven selbst natuf- .-"
lich schfieb nur nieder, was und wie er dachte und eitt- . '•:>
pfand. Seitdem aber sind seine 'Sachen ganz versehieden ^ 7 ;
atifgefasst find wiedergegeben- worden. Es Versteht sich .-""*.
von selbst, dass die Mondsche'in-Sonate imnief sentimental, .-r
■die Eroica iniiner majestatisch bleiben wird; aber schon ?.[
bei einer Sonate wie „Les adieux, l'absence et le retotir" '"-'":
"wird jeder Vortragende individuell empnnden, jeder Horer '
sich eiii verschiedenes Bild machenk „„Und so sollte es -. f.j
-sein"", pfiegte Mendelssohn zu sagen. „^Kann der Com- , .•?-
ponist nur die Einbildungskraft des Horers hihlanglich -^
anregen, um eih Bild, einen Gedanken, gleichviel welchen, :":'«
hervoTzurufen, so ist sein Zweck erreicht."" -Und dieser *'t
Ansicht sind auch wir. Die Musik muss dem Mensehen '^
-durch alle Poren in's Herz dringen und dort ihren "Wider- "?■'.
hall finden; deshalb, meinen wir, konnen auch Compo- 4
sitionen nicht beschrieben werden, und die Leser werden - .- :■
uns daher gern Analysen der Moscheles'schen CompositiO- ;"-';
nen , Erorterungen iiber ihre Verdienste und Mangel . er- ^
lassen. So viel steht aber wohl fest,_dass Werke, die ^
nicht nur zur Zeit ihres Erscheinens einen nicht gewohn- ■■'•>
lichen Eindruck gemacht, sondern auch nach dreissig, vier- v-'
zig und fiinfzig Jahren noch eifrig gespielt und mit In- -- '■;'■
teresse gehort werden, einen mehr als voriibergehenden {■ '
"Werth haben miissen, und zu diesen rechhen wir unter den A
Arbeiten Moscheles' das G-moll-Concert (1820), die vierund- ,
zwanzig Etiiden {1825 und 1826), das Hommage a Handel,
das Rondo in A, die Es-dur-Sonate, die Sonate melanco-
lique, die' „Erinnerungen an Irland", die drei Allegri di
Bravura*. „La force, la legeret6 et le Caprice" u. a. m.
Von der Zeit an, wo Moscheles nicht mehr so viel offent- "
-lich spielte (etwa vOn 1840 an), wurde semen neueren
— 204 —
Concerten, (C-dur, fantastique, pathetique und pastoral) we-
niger Aufmerksarnkeit geschenkt, als den friiheren, die er
selbst dem Publicum mit seiner Autor-Auffassung vor-
fiihrte. Er pflegte.oft dariiber zu klagen, dass man iramer
nur das G-moll-Concert spiele, da er die anderen sieben
fur ebenbiirtig melt; ebenso hatte er es gern gesehen,
wenn seine zwolf grossen Etudes caracteristiques von
Kiinstlem, die allein ihre Schwierigkeiten uberwinden
konnten, gespielt und nicht hnmer wieder dem darin ent-
haltenen. „Kindermarchen" der Vorzug gegeben worden
ware; er hielt den sentimentalen „Traum", die brillante
„ Terpsichore" ebenso sehr fur , den Concertsaal ge-
eignet.
In Betreff der bereits friiher erwahnten ephemeren
Stiicke, die er sich dann und wann von den Verlegern ab-
nothigen liess, finden wir im Januar dieses Jahres 1829 folgende
Notiz: „Sie sind meine Armencasse; ich kann manchen
armen Teufel in Deutschland, der gut schreibt und
schlecht bezahlt wird, damit unterstiitzen, habe auch den
Preis auf dreissig Guineen pro Stuck erhoht, damit ich
sie mir etwas vom Halse halte."
Aus derselben Zeit finden wir nach einer musikali-
schen Soiree im Hause Rothschild folgende Abrechnung,
die von dem Preise, in dem die Kunst damals in London
stand, einen Begriff gibt. „Ich zahlte als Arrangeur fol-
gende von Fr. v. Rothschild empfangene Summen:
Mme. Stockhausen . £ 35
fur
2
Soireen
Mr. de Bdriot , 5
„
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Mr. Mori (Violinsp.) „ 7
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Mme. Pisaroni ... „ 20
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Schiitz und Frau . . ,,15
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4
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Ein hubsches Summchen fiir unsere deutschen Be-
griffe! Im Januar spielte Moscheles wie gewohnlich in
'— 2 °5 — . . . ■-■
Bath, woriiber er sagl: ,,Wirklich hatte ich mir keinen
Erfolg erwartet, ich finde mich nicht genug eingespielt,
aber das Publicum war anderer Meinung."
' Nach London zuriickgekehrt, musste er sich, um dem
Uebermaass der Berufsarbeiten, das ihn dort wieder em-
pfing, besser beikommen zu konnen, zur Anschaffung eines
"Wagens entschliessen. Die Rauhheit der Jahreszeit ver-
setzte aber bald das Haus in grosse Sorge. Die Kleinen
wurden von einem heftigen Keuchhusten ergriffen, der
am 23. Marz den dreijahrigen kraftigen erstgeborenen
Knaben wegraffte und ihnen das kleine zarte sechsmonat-
liche Madchen als einziges Kind zuriickliess. Auch sie
war den ganzen Winter im schwankendsten Gesundheits-
zustande. „Die arme Mutter", klagt Moscheles im Tage-
buch, „kennt nur Angst, Trauer und durehwachte Nachte,
da sie den einen Liebling bis in's Grab hinein pflegte,
•den andern nachst Gott einem ahnlichen Schicksal zu ent-
reissen sucht. Ich als Mann und Kiinstler gehore trotz tiefer
Betriibniss dem Publicum an . " Er empfand es aber bitterlich,
alle Concerte und Gesellschaften jetzt wieder allein besuchen
zu mussen und misslaunig, wie das Tagebuch berichtet, „ein
Dilettantengeheul, ein paar von Herz und Czerny auf dem
Clavier getrommelte Stiicke mit Gelee und Kuchen ver-
schlingen zu mussen, um zum ScUues noch an's Clavier
und zu einer Improvisation genothigt zu werden."
Mitte Mai entschlossen sie sich, dem Kinde zu Liebe,
zu einer getheilten Wirthschaft, indem die Frau mit der
Kleinen auf's Land zog, wahrend er selbst in der Stadt
zuriickbleiben musste, aber dennoch oft, den halbstundigen
Weg nicht scheuend, zu ihnen hinauseilte. Der kleine
Liebling erholte sich in der reinen Luft so sehr, dass sie
schon im Juni ausser aller Sorge waren und die Beriihmt-
heiten, die London in diesem Jahre aufsuchten, oft in
ihrer landlichen sonntaglichen Ruhe miteinander geniessen
konnten. Nur so waren sie erfreulich. Sie horten aus der
Feme von dem Wiederauftreten der Malibran nach vier-
iahr iger Abwesenheit und von ihren Erfolgen, von der
beriihmten, aber grundhasslichen Pisaroni, ebenfalls an
der italienischen Oper engagirt; Max. Bohref kam wieder,.
ebenso die Tyroler Rainer ; de Beriot und' Artot wett-
eiferten miteinander als Geiger. Auch die Sonntag- er-
schien wieder und erntete neue Lorbern.
Noch grosseres und freudigeres Interesse aber erregte-
der Besuch eines jungen Freundes aus Berlin.. Es war
kem Geringerer als der damals neunzehnjahrige Felix
Mendelssohn-Bartholdy. „Felix' Yater", sagt Moscheles,
„hatte • mir , im Laufe des Winters geschrieben, ob ich
wohl meine, glaube, rathe, dass sein Sohn mit einigen
Compositionen, worunter die Sommemachtstraum-Ouverture-
London besuche? Wohl meinte und glaubte ich, dass der
junge Mann ein Genie sei, wohl rieth ich ihra, zu Qstern
zu uns zu kommen und versprach von ganzem Herzen,
ihn in die fremde Welt einzufiihren." .
Spater heisst es: „Ich miethete ihm die Wohnung
203 Portland Street, und seitdem er hier ist, bieten mir
sein Umgang und sein kiinstlerisches Wirken die reinsten
Gemisse. Als Mensch ist er uns unendlich viel. Heiter
und doch theilnehmend fur den Schmerz um unser ver~
lorenes, und die Sorge um unser noch erhaltenes aber
schwachliches Kind, stets bereit, unsere landliche Einsam-
keit mit den anziehenden Gentissen London's zu vertau-
schen, weiss er heilsam auf unsere wunden G e muther-zu
wirken, und sclieint es sich zur Aufgabe gestellt zu haben,.
uns einigen Ersatz fiir unsere Leiden zu bringen." Und
wie herrlich war es, wenn er seine neuen Compositionen
mitbrachte, spielte, und in kindlicher Bescheidenhejt er-
wartungsvoll an Moscheles' Lipp.en hing, um sein Urtheil
zu vernehmen. ,Jeder Andere", sagt Moscheles, „hatte es
mir damals schon angemerkt, dass ich meinen Meister in
ihm erkannte und da. nur hingerissen war, wo er sich
eine scharfe Kritik erwartete; er aber ist und bleibt der
sich mir unterordnende Schiiler, wie ich es auch versuche
ihm eine andere, richtigere Stellung mir gegenuber zu
geben. Der Enthusiasmus, den seine Sommernachtstraum-
Ouvertiire im Publicum hervorrief, machte ihn auch nicht
schwindlig. Es muss Alles noch besser werden, meinte
— 207 — - ~ ' --
er; und raeinem personlichen Lob entgegnete er nur kind-'
lich: „Gefallt es Ihnen? Ach, das. freut mich."
Er zeigte beL seinen landlichen Besuchen die Mariu-
scripte seiner geistlichen Cantate iiber einen Choral in
A-rnoU, einen sechszehnstimmigen Ghor „Hora est", der
nieht publi cart war, ■ und. ein Violin-Quartett in A-moll;
Auch war er stets zu kleinen, musikalischen Liebenswiir-
digkeiten aufgelegt; in Moseheles' Album schrieb er ein
reizendes Stuck unter- dem Namen: „Ferpetuum mobile"
(Odur), er brachte der hiibschen Miss M. C. eine fur
sie componirte, englische Ballade u. s: ,w.
Mit'ihm zugleich erschien Neukomm, der Schiiler
Haydn's, ein eberi so edler Character, ein" ebenso fein ge-
bildeter Mann, ein Freund, der sich spater eben so trett
bewahreri sollte, leider aber kein Genie, sondern nur ein
solider, wohldenkender, gutschreibender Componist, „dem
das attisehe Salz oft storend fehlt", sagt Moseheles. Er
liess damals seine Oratorien „Die zehn Gebote" und „Christus"
auffiihreri; fur die beliebten Sanger Braham und Phillips
hatte er einige-Effectstucke in Bereitschaft, wie die ,, Mid-
night Review" nach der „nachtlichen Heersehau" von
Zedlitz. Zuerst rissen diese Stiicke die Horer zu lodern-
dem Enthusiasmus hin; dennochaber konnten sie dem Corh-
ponisten nicht die dauerride Anerkennung des son st eben
nicht launenhaften englischen Publicums erringen.
Mendelssohn und Neukomm, die sich oft in der stillen
Moscheies'schen HausHchkeit trafen, liebten einander herz-
lich, d. h. der vortreflliche Mensch den vortreff lichen Men-
schen; denn als Musiker fand der gelinde Neukomm den
brausenden Mendelssohn zu heftig, zu kraftig, zu ver-
schweriderisch im Gebrauch der Blechinstrurnente, zu iiber-
trieben in seirien Tempo's, zu unruhig in seinem Spiel,
wahrend dieser, sich in jugendlicher Ungeduld auf einem
Absatz herumdrehend, zuweilen ausrief: ,,„Wenn nur der
prachtige Neukomm bessere Musik machen wollte! Er
spricht so gescheut und gewahit in "Worten und Briefen,
und mit Noten schreibt er solche Gemeinplatze!""
— 2o8 —
Fetis und seine Vorlesungen uber Musik waren eben
auch nicht nach Mendelssohn's Geschmack. .,Wozu soviel
dariiber reden?" sagt er, „lieber gut schreiben; das 1st die
Hauptsache. Aber wozu die verkorperte „musique mise a
la portee de tout le monde", franzosisch docirt vor Englan-
dern, die wohl nur die Halfte der technischen Ausdrucke
verstehen, vielleicht auch nur halb so viel in des Docenten
Casse fliessen lassen, als dieser hofft?" Mit Mosclieles
entwarf Fetis damals den Plan zu der „Methode des me-
thodes", die sie zusammen herausgaben und wobei Fetis'
sprachliche Gewandtheit Moscheles' sehr zu Statten kam,
da er mit Eeichtigkeit dessen, musikalische Grundsatze
iiber Studium und hohere Ausbildung in gutes Franzosisch
zu kleiden wusste.
In der Gesangswelt gab es, wie Moscheles sagte, „ein
wahres Cinquecento"; denn da waren die Malibran, die
Sonntag, Mme. Stockhausen, die nicht mehr junge, aber
noch vortreffliche Camporese, die Pisaroni, Velluti, Don-
zelli u. a. Sanger, dazu eine deutsche Operngesellschaft
unter .Schutz, der sowohl wie seine Frau sehr brav sang.
Die Sonntag, immer gut und mildthatig, gab am 13. Juli
ein Monstre-Concert fur die uberschwerrimten Schlesier,
worin Alles mitwirkte. Das Tagebuch nennt die, Damen
Malibran, Camporese, Pisaroni, die Sanger Velluti, Pelle-
grini, Zuchelli, Curioni, Donzelli, De Begnis, Torn, Gra-
ziani, Bordogni. Puzzi spielte Horn, DrouetFlote, MaxBohrer
und Lindley Violoncell. Mendelssohn's Ouverture zum Som-
mernachtstraum wurde zum zweiten Male und mit gesteiger-
tem Beifall gegeben. Auch sein Doppelconcert in E-dur (Ma-
nuscript), das Moscheles mit ihm spielte, ging gut und ge-
fiel sehr. Die Einnahme betrug an £ 500.
Der beliebteste Geiger in dieser Saison war unstreitig.*-
deBeriot, der damals aufdem Hohepunkt seiner Virtuositat
stand. Auch seine neueste Composition, sein H-moll-Concert, .
hatte durch die musikalische Nahe (vielleicht auch Mithiilfe)
seiner Frau, der genialen Malibran, eine interessantere Far-
bung bekommen, als seine friiheren Virtuosenstiicke. Pixis,
der Begleiter der Sonntag, wollte auch Concerte geben, auch
— 2og —
often tlich gehort sein, Brod den Ruhm seiner Oboe in
Guineen verwerthen, die Familie Rainer wieder ihre Tiroler
Lieder singen und ihre Shillinge einstreichen. Die clavier-
spielende und -lernende Welt bekam eine werthvolle Zu-
gabe an Frau Dulcken, der sehr begabten und ausge-
zeichneten Schwester des Concert-Meisters Ferd, David,
die yon Hamburg nach London iibersiedelte und von alien
echten Kiinstlern und lernbegierigen Dilettanten nur mit
offenen Armen empfangen werden konnte.
In den unteren Schichteri der Musikwelt gahrte es gewal-
tigj wie die Rivalitat gewisser Troubadours und sogenannter
..Bohemian Brothers" beweist; ersteredreiganzgewohnliche
franzosische, letztere ebenso gewohnliche bohmische Dorf-
musikanten. Im Grunde waren diese beiden Parteien aber
nur die schlechtbezahlten Werkzeuge der Speculationen,
welche der schlaue Bochsa mit den Franzosen in Egyptian
Hall, Mr. Logan mit den Deutschen in den Argyll-rooms
unternahm. Die „"wonderful performers", auf mirabolanten
Zetteln abgebildet, im buntesten Druck, von buntgekleide-
ten Mannern in den Strassen umhergetragen, zogen tag-
Hch Horer an," und hielten eine reiche Shillings-Ernte,
deren Hauptertrag in die Taschen ihrer Unternehmer
floss.
,,Uns. ; Kunstlern ergeht es schlimmer", fiigt Moscheles
diesen Mittheilungen hinzu, „wir suchen nicht bios schno-
den Gewinn, wir betrachten unsre Concerte als das Mattel,
vor einer grossen musikliebenden Versammlung, in der es
auch nicht an Kunstrichtern fehlt, mit unseren neuesten
Werken und deren Ausiibung zu alljahrlicher Beurtheilung
aufzutreten, |und die leidige Speculation des Opern-Direc-
tors Laporte legt uns ein grosses Hemmniss in den
Weg."
Die Sache verhielt sich namlich so. Es waren ihrer
-Viele, die alljahrlich Concert gaben, und da Jeder seinem
Publicum beweisen wollte, wie gern er es mit dem Neuesten
und Schonsten erfreuen mochte, so pflegten diejenigen,
die auf gute Einnahme zahlen konnten, haufig die beliebte-
sten italienischen Opernsanger gegen nicht geringes Honorar
Moscheles' Lelien, Xi
TVU 5
— 2tO —
fur ihre Abende zu gewinnen, die dadurch fur das gross e
Publicum mehr Anziehungskraft erhielten.
Dem war jedoch Laporte, der 1828. die Leitung von
Her Majesty's Theatre iibernommen, sofort hindernd in den
Weg getreten und hielt, den Kunstlern gegeniiber, die
ihn um seine Opernkrafte angingen, hartnackig an der
Alternative fest: „Miethet meinen Opern-Concertsaal. oder
ihr bekommt meine Sanger nicht!" Es hiess also mit La-
fontaine in der Fabel: pour moi la bonne aubaine. Diese
Pille ward freilich durch viele siissliche, franzosische
Sprachwendungen iiberzuckert; doch wusste Bochsa, der
Clior director der Oper, sie auf Geheiss seines Chefs in
gutes Englisch zu xibertragen. Moscheles, dessen Concert
am 7. Mai stattfinden sollte, opferte vergebens seine Abende,
um mit Laporte und Bochsa wahrend der OpernvorstelluDgen
zu parlamentiren, (denn nur da erhaschte man diese Her-
ren); sie blieben bei ihrer Bedingung. Moscheles hatte
zwar fiir sein Concert mehrere Novitaten bereit, eine neue
Symphonie, seine neue Phantasie ..Strains of the. Scotch
Bards", die schon durch den Umstand, dass sie Sir Walter
Scott dedicirt war, grosses Interesse erregen musste; —
„doch musste ich auch italienische Sanger haben und er-
griff daher endlich das unangenehme und kostspielige
Mittel, sie zu erlangen; ich miethete Laporte's Saal fur
theures Geld und bot dem Besitzer der Argyll-rooms,
die ich schon gemiethet hatte, £, 10 als Reukauf, die dieser
schnode zuriickwies, mich mit einem Process bedrohend.
Vor Processen habe ich eine heilige Scheu und so consul-
tirte ich einen Rechtsfreund, der mir durch seine Dazwi-
schenkunft endlich die Annahme meiner £ 10 verschaffte."
Laporte wusste nur zu gut, in welchem Grade seine
Oper die musikalische Welt beherrschte, und wirklich
waren die Geniisse, welche eine Malibran und Sonntag
vereint boten, zu edler und reiner Natur, als dass das
Publicum sie nicht hatte mit heissem. Dank aufhehmen
sollen.
Keine Vorstellung auf den Nationaltheatern konnte
mit der italienischen Oper rivalisiren, ja man beaehtete
— 2It —
sie kaurn. An einem der besseren unter ihnen horte Mo-
scheles die Oper von Ries „Die Rauberbraut", weiss je-
doch von der Auffuhrung nicht viel Gutes zu sagen: „Wie
kiihl war Miss Betts, die ubrige Besetzung, die .Musik,
die Horer und ich selbst obenan."
Am 22. Juni berichtet das Tagebuch iiber Bochsa's
Concert in der grossen Oper wie folgt: „Einer der seltensten
Geniisse dieser Saison war die dramatisixte Vorstellung
von Handel's „Acis und Galatea", die Titelrollen vor-
trefflich gesungen von Miss Paton und Braham, der Po-
lyphem von Zuchelli durch Aufsetzung eines Kopfes mit
dem Riesenauge in der Stirn vortrefflich dargestellt."
Zuchelli war namlich trotz seines italienischen Namens ein
Englander reinster Abkunft, der seinen Handel getreu der
Tradition, classisch in "Wort und Ton wiedergab. Was
brachte aber dasselbe Bochsa'sche Concert noch? Die
Grabesscene aus „Romeo und Giulietta", von der Sonntag
und Malibran hinreissend schon gegeben; denn die war
ja italienisch und musste neben dem englischen Oratp-
rium Ziehen; zum Schluss aber gab's auch eine deutsche
Kleinigkeit, die Pastoral-Symphonie, die ich aber im Stich
liess; denn allzuviel ist ungesund."
An der Koniglichen Akademie der Musik, an der er
als Professor thatig war, fand er nur bei sehr wenigen
Schiilern eine mehr als gewohnliche Begabung und war
mit ihren Leistungen selten zufrieden. Auch an den von
ihnen veranstalteten Auffuhrungen hatte er viel auszu-
setzen. „Sie singen italienisches Zeug und das mit eng-
lischer Manier. In ,,Cosi fan tutte" konnten sie sich gar nicht
hineinfinden , und ich noch weniger in ihre Auffuhrung."
Als sie sich am 31. Juli mit ihrem kleinen Tochter-
chen einschiffen konnten, urn die Ihrigen in ihrem land-
lichen Aufenthalt bei Hamburg zu besuchen, sagt das
Tagebuch: „Wer ist froher als wir, das chronische Uebel
des Concerts und die ganze Saison hinter uns zu haben?
Bei den Verwandten muss unser Schmerz um das verlo-
rene Gut ausgeweint, dort aber auch Linderung fur den
Verlust gefunden werden,"
— 212 —
Moscheles blieb bis zum 24. September mit Frail und
Kind bei den lieben Geschwistern. Wieder entstanden in
diesen Wochen gemiithlicher Erholung manche Skizzen zu
spateren Compositionen. Das geliebte Kind gedieh in der
reinen Landluft, und sie hatten das Gliick, seinen zweijahrigen
Geburtstag am 10. September zugleich mit dem hundert-
jahrigen Moses Mendelssohn's zu feiern. „Fiir diesen war
lauter Jubel in der israelitischen Gemeinde; bei uns ist
stilles dankbares Gliick fiir den uns erhaltenen Schatz,"
Es ergingen an Moscheles dringende Aufforderungen zum
Concertgeben , die er aber, als nicht zum Zweck seines
damaligen Aufenthaltes passend, consequent ausschlug.
Das Theater bot ihnen, den halben Englandern, gar
manche Novitat. ,,Die Stumme von Portici" mit Cornet
und der jiingeren Fraulein Schroder, der Schwester der
Devrient, als „Fenella", entziickte sie.
Der Hamburger Aufenthalt sollte ihm auch als Etappe
zu einer Reise nach Kopenhagen dienen, die er jedoch
allein antrat, da das zarte Kindchen weder mitreisen, noch
verlassen werden durfte.
Einige Auszuge aus den Briefen, die er wahrend dieser
zwei Monate der Trennung an seine Frau schrieb, werden
uns Auskunft dariiber geben, wie seine Reise und seine
Unternehmungen sich gestalteten.
„Schleswig 27. Sept. 1829. Der ganze Weg hielier ist
nahe verwandt mit der Liineburger Heide, zuweilen fiel der
"VVagen beinahe urn, er hatte mich aber nur sanft in den
Sand gelegt. Jetzt habe ich schon meine Schritte in der
meilenlangen Wurst Schleswig gemessen. Der Kammer-
herr Ahlefeld war sehr freundlich, aber hier fiir etwa
Do — 70 Thlr. Einnahme und bedeutenden Zeitverlust Con-
cert zu geben, ware lacherlich, so sind die Pferde ange-
spannt und ich fahre nach Flensburg."
Am 29. September fahrt er iiber den kleinen Belt,
muss den 30., weil kein Dampfboot abgeht, in Nyborg
langweilig verbririgen , geht am 2. October . uber den
grossen Belt und komnit nach einer durchreisten Nacht
endlich in Kopenhagen an. Natiirlich werden die Schon-
— 213 —
heiten der Stadt und ihrer Kunstwerke eingehend be-
schrieben. Dann heisst es: „Erst horte ich Weyse, den
hier vergotterten Theoretiker, eine Fuge auf der Orgel in
der Frauenkirchjg improvisiren'; dann ging ich mit ihm
nach Hause und las viele seiner sehr interessanten Werke
durch. Auch Kuhlau, den uberaus gewandten Rathsel-
kanonbauer lernte ich kennen; er schmiedet musikalische
Kunstschlosser, die unendlich schwer zu erschliessen sind,
aber "zu meiner Uebung beredete ich sie Beide, mir die
Rathselkanons zu zeigen, in denen sie von Haus zu Haus
miteinander correspondiren. Ich habe Beide bei einem
Herrn W. getrofTen, in dessen Soiree sammtliche fremde
und einheimische Kiinstler vor einem Publicum von Lieb-
habern und Kunstrichtern Musik machten. Oehlenschlager
war auch da. Kuhlau eroffnete den Abend mit seinem
Quartett in G-moll. Es ist in grossem Style und vortrefi-
lich gearbeitet, aber nicht frei von Rerainiscenzem Er
konnte im Spiel nicht immer der Schwierigkeiten Meister
werden. Dann spielten Funcke und ich mein Caprice mit
Cello, das er sehr brav accompagnirte, die Gebriider An-
derson ein ^Caprice fur drei Horner. Nun sollte ich Solo
spielen, wollte aber, dass auch Weyse sich horen liesse,
drang in ihn, ward von der Gesellschaft unterstiitzt, aber
umsonst, er wollte durchaus Jnicht. So musste ich an's
Clavier, gleich war es wie von einem Walle umschlossen;
Todesstille herrschte, wa.hr end ich mich ein paar Minuten
besann! Ich]] wollte versuchen, gelehrt wie Kuhlau und
Weyse zu [sein, |dabei harmonisch inter essant, zuletzt
schmachtend, urn endlich mit einem Virtuosensturm zu
schlressen; es scheint mir Alles gelungen zu sein. Von
dem Jubelgeschrei im Unisono, dem ein starres Einander-
ansehen folgte, kannst Du Dir keinen Begriff machen,
weil Du etwas Aehnliches mit mir noch nicht erlebt hast.
Der alte Professor Schall fiel iiber mich her und kiisfite
mich [(for shame, wiirden die Englander sagen), Kuhlau
und Weyse bestiirmten mich — ich kam nicht zu
Athem, — for shame sag' ich mir selbst, so eine Relation
von sich selbst zu schreiben; aber wem schreib' ich sie?..
— 214 —
Dieser Abend sichert mir die brillanteste Aufnahme in
meinem Concert. Apropos, Concert wirst Du sagen,
wann endlich komrat es heran? Aber wegen des Geburts-
tages der Konigin, der Vermahlung des Prinzen Friedrich,
der vorgemerkten Concerte von Guillou und der Milder
muss ich ganze vierzehn Tage warten, somit gebe ich.
kein zweites oder drittes, da diirfte es bis 1830 dauern —
na das thut's holt nit!" - —
Kurz nach seiner Ankunft wird er an den Hof gela-
den. Das Concert beginnt um sieben Uhr in einem scho-
nen, antik aussehenden Saal. Der Hofzirkel ist ausserst
brillant, die Majestaten gleich beim Eintritt liebenswiirdig.
Der vortreffliche Flotist Guillou spielt, und die Sangerin
des Abends ist Frau Milder-Hauptmann, aber sie entzfickt
ihn nicht. „Eine Arie von Meyerbeer, so vereinfacht, dass
aus Simplicitat simpel wurde. Schade, dass die herrliche
Stimme dieser Frau so sprode, ja mono ton ist! Als sie
gar „Dies Bildniss ist bezaubernd schon" sang und das
im klaglichen Ton einer Alceste, nach D transponirt, das
Unterste zu Oberst gekehrt, dachte ich bei den Worten
„„Soll dies Liebe sein?"" Soil das Mozart sein? und dann
kam noch, um meinem Degout die Krone aufzusetzen, der
lappische „„Gruss an die Schweiz"". Dazu gehort ein
musikalischer Magen, der Felsen yerdauen kann. Ich
hatte schon abwechselnd und zusammen mit Guillou ge-
spielt, als es zu meiner Improvisation kam. Die bejahrte
Konigin setzte sich unter tatisend Entschuldigungen, ob
sie mir auch nicht lastig falle, zu mir; Konig und Hof-
staat folgten. Ich liess mich los wie ein racer (Rennpferd); alle
Kraft, alles Feuer, ja sogar ein bischen Koketterie wen-
dete ich an, um auf die koniglichen Nerven zu wirken.
Erst rossinirte ich ein bischen, weil ich weiss, dass dies
Fieber auch hier bei Hofe grassirt, dann wurde ich gar
ein Dane, und bearbeitete Volkslteder, endlich schloss ich,
durch die lauten Bravo's ubermiithig gemacht, mit dem
danischen „God save the King": „Kong Christian". Als
ich geschlossen hatte — nun Du kannst Dir Alles denken
— nur das "war neu, dass der Konig bei den anwesenden
— 215 —
Musikveteranen herumlief, um sein Erstaunen auszudrucken.
und sich bei ihnen Bestatigung zu holen.'*
Der nachste Brief ist aus Helsingborg auf dem Wege
nach Gothenburg, wo er, statt in Kopenhagen zu warten,
indess Concert geben will. „Ich legte die Fahr.t von
Kopenhagen nach Elsinor in 6 '/a Stunden zuriick und
Nachmittags die Fahrt iiber den Sund in dreiviertel
Stunde. Hier miethete ich auf Anrathen einen Wagen
und einen sogenannten Huaaren, der zugleich Kutscher
und Bedienter ist, fur die Reise nach Gothenburg. Gliick-
. licher Prinz, kann ich mir diesmal auch wieder zurufen,
denn ich habe das schonste klarste Wetter."
Aus Gothenburg schreibt er: „Seitdem ich vorgestern
rheine Zeilen aus Helsinborg expedirte, habe ich die Reise
hierher gliicklich, wenn auch mit einigen Strapazen zu-
riickgelegt. Der sogenannte Wagen, den ich miethete,
war eine kleine Chaise, auf einen vierraderigen Karren
gebunden; Koffer und Nachtsack hatte ich zwischen den
Beinen. Da gab's tiichtige Puffe. Meinen sehr gesprachi-
gen Husaren verstand ich nicht, desto besser aber die
Natur, die in jedem Klima, unter jeder Zone zur Bewun-
derung hinreisst und die hier an den Ufern des Kattegat
in romantischen Felspartien und herrlichen Waldungen
einen stets inter essanten Wechsel bietet. Die Wege
waren meist gut und ein zwolf Stunden vor uns abge-
schickter Bote hatte uberall frische Pferde bestellt, bis
wir ihn leider vor Kungsbacka drei Stunden vor Gothen-
burg einholten und es nun hiess: zwei Stunden warten! — Das
Wirthshaus bot Nichts als eine Art grauen Zwieback und
eine Talgkerze, zu der sich der Dampf meiner Cigarre ge-
sellte. Endlich weiter in die dunkle Nacht hinein, die
noch dazu Regen brachte. Um n Uhr ein Halt, aber
nicht in Gothenburg, sondern nur um ehK-n neuen Vor-
spann zu holen, da wir einen schweren Gi'.'birgspass vor
uns hatten, aber um i Uhr das willkommene Licht in
der Laterne des Gothenburger Zollhauses. — Das Licht
war willkommener als die Visitation, zu der ich aussteigen
musste, Ein gehoriges Pochen an Blone's Hus weckte ein
1 — 2l6 — . : ,
Madchen aus tiefem Schlaf, aber trotz eines vorher be-
stellten Quartiers, bekam ich nur eine Kammer im Him-
melreich, wo ich mit dem Kopf an die Decke stiess.
Meine Frage, ob ich nicht eines der leeren Zimmer im
ersten Stock haben konnte, an denen wir vorbeigekommen
waren, wurde nur durch ein schwedisches Achselzucken
beantwortet, welches fur mich einem bohmischen Dorfe
glich. So Hess ich die Dachkammer heizen, den Rauch
in's Zimmer schlagen und legte mich in meinen Pelz ge-
wickelt in's Bett. Mem schlechter Humor ward durch den
Gedanken an Dich iiberwunden; Th. Hells Gedicht „Macht
der Fraucn", das mir durch Zufall in die Hand kam,
driickte meine eigenen Gefiihle sympathisch aus."
„Heute Morgen bekam ich die 'hubschen Zimmer, die
ich in der Nacht sah; gerade die waren fiir mich bestellt.
Mein Concert ist angezeigt und arrangirt fur den 27., also
in drei Tagen, und gleich darauf geht's wieder nach
Kopenhagen. Ich bin stets mit Calculationen iiber das
danische und schwedische Postwesen beschaftigt, damit
unsere Correspondenz nie zerrissen werde. . . In so einer
fremden Stadt pflege ich immer gleich auf den Wall zu
gehen, rnn einen Ueberblick zu bekommen. Wie roman-
tisch schauerlich diese Klippen und abgerissenen Fels-
stiicke um und selbst im Hafen! Der sich schlangelnde
Fluss Gota-Elf (Gothen-Elbe) erinnerte mich an unsere
Elbe und ich war nicht mehr allein. . . . Die Stadt hat
geraumige Strassen und Platze und sogar eine, die an die
Linden erinnert. Das Wetter ist klar und schon."
Nun erzahlt er von zwei grossen Familien, welche den
Ort musikalisch beherrschen, natiirlich nicht ohne Rivali-
tat, die eine hat ein Clementi'sches , die andere ein Graf-
sches Instrument. Welches wird Moscheles zum Concert
wahlen ? Das ist fiir die streitenden Hauser eine brennende
Frage. Er hilft sich, indem er beide nimmt und abwech-
selnd darauf spielt. Vor dem Concert aber macht er ein
echt schwedisches Diner mit. „Der Wirth, ein Original,
das an seiner Tafel von fiinfundzwanzig Personen phan-
tastisch, hogarthisch, ja abderitlich prasidirte. Ehe man
: ft'.
— 217 —
sich an dieser niederliess, wurde von den Herren Schnaps
und Hering stehend an einem Seitentische genossen,
wozu nur drei Glaser fur Alle dienten; dann gab's Kalb-
fleischragout, Hecht und endlich Suppe, hierauf Ganse-
braten, plum-pudding und herrliche Friichte zum Dessert.
Mein Original ist ein untersetzter Sechsziger, dessen fun-
kelnde Augen unter einer graubraunen Perriicke hervor-
sehen, die Oberzahne fehlen, vier Unterzahne beschiitzen
als Palisaden die sehr grosse, hangende, stets Feuchtig-
keit sprudelnde Unterlippe. Er weiss immer das Wort zu
fuhren und that es, trotz der Anwesenheit aller Honora-
tioren; seine Frau hingegen muss etne Schweigsamkeits-
klausel in ihrem Heirathscontract unterzeichnet haben.
Herr S. war so voll von dem grossen Ereignisse, den
Professor Moscheles in Gothenburg und in s einem Hause
zu sehen, dass er bestandig die Backen vollnahm und den
Professor mit Lob iibergoss. Er ist auch in seinen Flegel-
oder Lehr-, nein Leer-Jahren a la Wilhelm Meister und
Yorik empfindsam gereist, war auch in England, und
fiihlte sich gedrungen, auf den Professor zu toasten, Hier
gebe ich Dir ein wahrheitsgetreues Probchen seiner ver-
wickelt unsinnigen Rede, bis ich Dir miindlich mehr geben
kann:
„Meine Herren! Sollte es kflhn sein, wenn ich mit
einiger Zuversicht das Hausrecht ergreife und das Wort
fuhre? Bewahre mich Gott, dass ich die Ehre geniesse
und auch der Zufall — denn diese werthe Gesellschaft,
die mich als schlichten Mann kennt, zu sprechen. Der
Zufall sage ich, dehn was ist Zufall? Gothenburg geniesst
die Ehre etc. etc." — kommen die albernsten Lobpreisungen
und dann geht es weiter: „ bewahre mich Gott, ohne der
Bescheidenheit dieses Mannes zu nahe zu treten — •
der Zufall sag' ich, der uns diesen Mann — die Be-
wunderung bei Seite gesetzt — gewiss einen bleiben-
den Eindruck verschafft — Er, lebe hoch, der Meister
der Tone im Reiche des Schonen." Du kannst Dir den-
ken, wie mir zu Muthe war; ich musste mir in die Zunge
beissen, um nicht zu lachen. Der Gouverneur, die Rathe,
_ 21 8 _
der Platzcommandant und die anderen Gaste schienen
gar nicht erstaunt, sie rmissen.ihn kennen.' Als er seine
Rede geendet, wurde von einem Dilettanten ein ein-
stimmiger „Glee" gesungen, und die Gelegenheitsworte ende-
ten immer mit dem Refrain: ,,Es lebe der Meister!" Die
Glaser klirrten, ich stand auf, urn mich zu bedanken;
kaum aber hatte ich gesagt, dass es nicht Zufall sei, son-
dern der Wunsch, mich auch vor einem kunstliebenden
Publicum in Gothenburg horen zu lassen, der mich her-
gefuhrt, als Herr S. mir das Ende ersparte, indem er mich
bescheiden unterbrach, mit: „Bewahre mich Gott, dass der
Professor meint, dass ich meine, der Zufall (denn Zufall
ist Alles'in der Welt) habe uns, nicht ihm das Gliick zu-
gedacht, einen Mann in unseren Mauern zu sehen, dessen
Bescheidenheit — bewahre mich Gott — ich nicht zu nahe
treten mochte." Hierauf wieder Gesundheiten, dann stan-
den die Damen auf, und die Herren blieben bei einem un-
geheueren Napf kalten Bischofs sitzen, wobei das narri-
sche Raderwerk unsres Wirthes nicht stille stand; auch
Lieder wurden gesungen, ich hielt mich bei der ganzen
Sache neutral. Nun ging es aus dem geraumigen Esssaal
zuriick, durch mehrere elegante Salons in einen, wo der
Clemen ti stand und ich musste improvisiren; ich that es,
meine Umgebung berechnend, und Du berechnest leicht
das Resultat. — Der Clavierlehrer Schwarz und der Or-
ganist der Kathedrale, Barnroth, schlugen vor, ich solle
Orgel spielen, und das geschah am nachsten Mittag im
Beisein derselben Gesellschaft, Ich Hess mich da einmal
wieder recht los und arbeitete im Pedalwerk, als hatte ich
Vestris' Fiisse. . . .
In meinem Concert war Alles, was geschmeidige
Ohren fur Musik hat oder sich einbildet, welche zu haben,
also der Saal uberfiillt und brillante Toiletten. Der Zettel
zeigt Dir das Programm. Laut Aufforderung bekam ich die
Themen zur Phantasie im Publicum — es waren schwedische
Lieder, die man mir aufgeschrieben gab und die ich dem
Beifall nach zu urtheilen, nicht schlecht verarbeitete.
Dann ward ich noch viel umringt, Alle Einladungen nach
— 219 — '
dem Concert hatte ich standhaft ausgeschlagen, well ich
zuriickeile. . . . Heute Nacht muss ich trotz aller Eile
hier in Helsinborg, wo ich Dir schreibe, iibernachten*; ich
habe Dir einen kurzen Auszug meines letzten Briefes auf
einem anderen, vielleicht schnelleren Wege geschickt, da-
mit Du nicht ohne Nachrichten bleibst."
Er hat einer Auftbrderung, nach Stockholm zu gehen,
nicht Folge geleistet, obgleich er am Anfang dieser Reise
einige Schritte gethan hatte, urn sich dort ein Concert
"vorbereiten zu lassen. Das Alleinreisen ward ihm gar-zu
unbehaglich. Aus Kopenhagen meldet er dann: „An ein
zweites Concert hier kann ich nicht denken, weil es micli
neue vierzehn Tage kosten wiirde. Der Andrang zu den
Bestellungen fur das einzige ist daher sehr gross. Die
Milder giebt Sonntag das ihrige und reist Montag nach
Berlin zuriick. Sie will nach London — ich konnte ihr
nur hoflich abrathen; aber sie sagte: „Ich will's derm doch
wagen; wenn die Tiroler so viel Gluck gemacht haben,
so wird auch noch Etwas fur mich iibrig sein!" „Aber
Sie werden doch nicht fur 3 sh. singen wollen?" sagte ich.
Nein, (im tragischen Ton) ich werde nur in den hochsten-
Cirkeln singen!" — Ich suchte das Gesprach auf anstan-
dige Weise abzukiirzen."
„Ich habe das beliebte Liederspiel „El v erhoy" im Thea-
ter gesehen; es ist auf eine altdanische Sage gegriindet,
die charakteristischen Lieder und Chore von Kuhlau ge-
schmackvoll dazu arrangirt. Die Quverture, die ein Com-
pendium des Ganzen enthalt, gefiel mir sehr. Bei Weyse
habe ich wieder einen zweistiindigen Besuch gemacht, da
er mir hier der Interessanteste ist. Er unterhielt mich
mit gelehrten Abhandlungen iiber Kunst im technischen
und asthetischen Sinn; seine Fugen iind besonders seine-
Rathselkanons sind meisterlich. Morgen kommt er zu
mir und wir werden uns noch ofters besuchen.
Guillou bekam am Tage seines Concerts (das der K6-
nig nicht besuchte), 150 danische Thaler von ihm und
20 Louisd'ors vom Prinzen Christian; ein Gleiches ist, wie
ich hore, mir und der Milder „zur Vermeidung des Neides"
— 220 —
bestimmt; also wiirde sich meine Nase vergebens nach
einer Dose riimpfen, vergebens meine Finger nach einem
Ring, meine Brust sich nach einer Nadel recken, nicht
einmal die ersehnte Stunde meiner Abreise kann ich nach
einer Hofuhr stellen — einerlei sie wird doch heran-
kommen."
Es wurde viel in Kiinstlerkreisen, bei ausgezeichneten
Dilettanten wie Herr Gerson und Mme. Tutein (der Toch-
ter des Sangers Siboni), in der kaufmannischen und diplo-
matischen Welt dinirt und musicirt. Trotz der vorge-
schrittenen Jahreszeit wurden bei klarem Frostwetter einige
Landpartien gemacht. Unter den vielen Einladungen zu
Concerten, die ihm aus der Nachbarschaft zugingen, er-
schien ihm nur das eine in Helsinor annehmbar. Herr
Consul Lobel hatte sich erboten, es auf Subscription zu
organisiren. Die Aufnahme in seinem Hause Avar sehr
angenehm, das Concert, das nur die zwei Tage der Hin-
und Herreise in Anspruch nahm, verlief so giinstig, als er
nur wiinschen konnte.
Am 10. November schreibt er von Kopenhagen aus:
, .Welch' ein merkwurdiger Tag war mir der gestrige!
Belagert, bestiirmt war ich von acht Uhr frfih bis Abends
sechs Uhr; gerissen haben sich die Leute um die theuersten
Logen, quasi gebettelt um einzelne Billette und Viele
mussten ihr Geld wieder zu sich. stecken, weil sie keine
bekamen, so dass ich heute schon ankiindigte, es gebe keine
Casse. Dabei ist Alles zu doppelten Preisen verkauft, das
Resultat 1500 Thlr. rein. Wollte ich aber nach diesem
Erfolge ein zweites Concert geben, so wiirde es mich we-
nigstens drei Wochen kosten; derm die Milder ist nicht
abgereist und sie und Guillou liegen sich um die wehigen
freien Tage in den Haaren. Beide gaben ihre ersten
Concerte zu den gewohnlichen Preisen und hatten guten
Zuspruch. Was soil ich Dir nun iiber meinen Empfang
berichten? Nichts — weil Du es schon voraussetzest.
Nur soviel, dass sich der Beifall immer steigerte. Trotz
meiner Treulosigkeit gegen die Alexander- Variationen
muss te ich sie spielen, wieDu aus beiliegendem Programm
— 221 — -
siehst, und die Phantasie — nun dariiber lasst sich gar
nicht schreiben. Guillou, der sein zweites Concert zu ge-
wohnliehen Preisen angekiindigt hat, bot mir an, es nun
mit ihm zu doppelten Preisen zu geben. Das kostet mich
nur drei Tage Zeit, weshalb ich es annahm. Nicht wahr,
die drei Tage lassen sich verschmerzen? Das Concert
wirdinG's.Namen, unter meiner Mitwirkung, angekiindigt."
Sparer schreibt er: „Dieselbe Scene wie bei meinem
Concert hat sich nun nach der ersten Ankiindigung wie-
derholt. Wieder Alles zu doppelten Preisen ausverkauft.
Auf meinen Theil kamen 641 Thlr. Uebrigens we'rde r ich
nun doch ein Schnupfer, denn Seine Majestat beehrte mich
mit einer goldenen emaillirten Dose, Prinz Christian
schickte einen Brillantring, Frau — eine goldene Uhrkette;
ausserdem war der Hof durch den Hofmarschall sehr
complimentos."
Die Riickreise wurde ohne Storung mit einem Halt
in Flensburg und Schleswig zuriickgelegt, wo einige vor-
her arrangirte Concerts stattfanden, und Ende November
war die Familie wieder in Hamburg vereinigt.
Die Tage bis Mitte December verflogen pfeilschnell
in befreundeten Kreisen. Dann wurde das Ranzchen ge-
schnurt, und beim Jahresschluss war man gliicklich in
Paris angekommen.
1830.
Dies Jahr begann herrlich und in Freuden mit einem
sechswochentlichen Aufenthalt in Paris und erfolgreichen
Soireen. Auch in London hnden wir nach der Riickkehr
das thatig musikalische Leben friiherer Jahre. Leider bheben
jedoch die Schatten nicht aus, die das Lichtbild, wenn
auch nur voriibergehend , trubten. Ein Sturz aus dem
Wagen, in welchem Moscheles von Lection zu Lection zu
fahren pflegte, schien anfangs bedenkliche Folgen nach
sich ziehen zu wollen. Man befurchtete ein Gehirnfieber.
Zum Gliick aber wurde das Uebel rasch iiberwunden;
— 222 —
eine aussere leichte Stirnwunde war das Schlimmste, was
ihm von diesem Fall zuriickblieb. Bald darauf wird die
Frau nach der Geburt eines zweiten Tochterchens von
einer heftigen Krankheit erfasst, die sie neun Wochen
an's Krankenlager fesselt und in verschiedenen Phasen
fast an den Rand des Grabes bring - !. Zu der Sorge urn
ihre nur langsam zuriickkehrende Gesundheit kommt noch
der Schmerz Tim den Verlust einer geliebten Sch wester.
Alles dies sturmt tief erregend auf sein Gemiith ein und
findet sein Echo im Tagebuche. Dagegen ist die musi-
kalische Ausbeute aus jener Zeit natiirlich nicht sehr reich.
Hier das Wenige, was sich aus dieser Saison an musi-
Icalischen Notizen findet.
„Hummel ist hier, er will Concert geben, und ich bin
so gliicklich, ihm bei meinen Schiilerinnen viel Karten
unterbringen zu konnen. Ich mochte, er hatte sich von
mir bereden lassen, die sonderbare Anzeige nicht auf sei-
nen Zettel zu setzen." Er hatte namlich darauf bemerkt:
„man moge nicht etwa voraussetzen, er werde im Philhar-
monischen Concert spielen. Nur falls ihm ein sehr an-
nehmbares Engagement angeboten wiirde, konne man ihn
auch anderen Ortes, als in seinen eigenen Concerten horen."
Auf diese Weise wollte er den Besuchern der Philharmo-
nischen Concerte die Illusion benehmen, als konnten sie
sich das Extra-Concert ersparen. Einige Tage spater be-
geht er im Concert der Malibran den Missgriff iiber „God
save the King" zu phantasiren, „wahrend Georg IV. todt
und noch unbegraben daliegt und man an William IV.
noch kaum denkt". Publicum und Presse sprachen sich
riigend dariiber aus, und iiberhaupt wollte an Hummel's
in Wien so wohlverdienten Lorbern in diesem Ion doner
Aufenthalt sich kein neuer Zweig ansetzen. Einestheils war
er schon etwas bequem geworden, er besass nicht mehr
die Spannkraft, die dazu gehorte, sich mit Erfolg in diese
londoner Sturmfluth zu stiirzen; anderntheils fand der
Nationalstolz der Englander, dass ihr Cramer ebenso ge-
perlt, ebenso legato spiele, ihm daher in nichts nachstehe;
warum da nicht lieber dem native talent (dem eingebornen
• — 223 —
Talent) den Vorzug geben? Hummel, vielleicht durch
diese Ansicht mancher Blatter iibel gelaunt, schlug es
Cramer ab, in dessen Concert ein Duo mit ihm zu spielen
„und auch das wird. dem alten Wiener Freunde iibel ge-
nommen."
Dagegen rief damals die Malibran durch ihr Talent nicht
minder wie durch ihre traurigen Schicksale begeisterte Theil-
nahme wach. Erst an den ihr aufgedrungenen Malibran ge-
kettet, dann durch besondere Grunst des'Papstes von ihm be-
freit, hatte sich ihr liebebedurftiges Herz mit echter Hinge-
bung zu de Beriot gewendet, als dessen Gattin sie nun in Lon-
don auftrat. Auch in dieser Ehe war sie der selbstlosere,
opferfahigere Theil; denn ihm zu Liebe sang sie nicht nur
in der Oper, nein, nach so mancher anstrengenden Vor-
' stellung auch noch in Privat-Soireen oder offentlichen
Concerten. „Und immer singt sie schon," sagt Moscheles,
„iramer mit der hochsten Begeisterung; immer ist sie nicht
nur Sangerin, sondern auch musikalisches Genie. Muss
sie eine Cavatine wiederholen, was ihr meist geschieht, so
improvisirt sie neue Coloraturen, schoner und origineller
als die ersten, die schon Alles zu ubertreffen schienen;
dabei beherrscht sie lachelnd das Orchester und ■ seinen
Dirigenten und ziindet audi in dem kaltesten der mitwir-
kenden Musiker ein Geistesfunkchen an; hat sie doch
deren so viele, dass sie unbeschadet damit herumwerfen
kann. Auch in de Beriot's glattes vollendetes, aber nicht
immer erwarmendes Spiel, hat sie hineingeblitzt, und „be-
sonders in seinem H-moll-Concert erkenne ich sie deutlich."
Natiirlich war in dieser „von hauslichen Sorgen be-
angsteten Zeit", an kein ernstes Schaffen zu denken, doch
mussten einige der kleineren Modesachen laut Contract
fertig gebracht werden; u. A. die „Gems a la Malibran",
eine moglichst leichte Zusammenstellung ihrer beliebtesten
Stiicke mit einer moglichst genauen Nachahmung ihrer
originellen Coloratur, die Moscheles ihr abgelauscht hatte.
Fur .sein eigenes Concert, das einmal angekundigt, gleich-
falls gegeben werden musste, hatte er, um doch eine No-
vitat zu bringen, innerhalb weniger Tage seine „Recollec-
— 224 —
tions of Denmark", als Nachklang der danischen Reise,
zusammengestellt und die hiibschen nordischen. Motive
verfehlten ihre Wirkung nicht.
Wir finden in diesem Jahr auch manche Klagen fiber
Musikzustande. „Es ist ein Missbrauch, in jedem Philhar-
monischen Concert zwei Symphonien und zvtei Ouvertiiren
zu geben, dazu noch zwei grosse Instrumental- und vier
Gesangstiicke, ich kann immer nur die eine Halfte ge-
niessen." Ein andermal heisst es: „Beethoven's neunte
Symphonie durchgefallen! Was soil ich da von denken?
Liegt die Schuld am Dirigenten, an den Ausfuhrenden
oder am Publicum? Ich weiss es nicht, aber so darf es
nicht bleiben." Und wirklich blieb es nicht so; denn
nachdem die Herren Directoren beschlossen hatten, sie
nach diesem und einem im Jahre 1824 missgliickten Ver-
such nie wieder zu geben, nachdem sie sich eingeredet,
„der taube Componist habe das tolle Zeug geschrieben, weil
er es nicht gehort", schlug die deutsche Presse so gewaltig
Larm und ging mit den Verachtern dieses Riesenwerkes
so streng in's Gericht, dass es Ehrensache wurde, es auch
in England zu wiirdigen und vorzufiihren. Freilich dauerte
es einige Jahre, bis die richtige Erkenntniss zum Durch-
bruch kam. Wie wir spater sehen werden, wandte sich
die Philharmonische Gesellschaft an Moscheles, der die
Symphonie mit Eriolg einstudirte und dem Publicum zu-
ganglich machte. Von da an behauptete sie ihren Platz
auf den Programmen der Gesellschaft.
Weiter im Tagebuche blatter nd, finden wir folgende
Notiz: „Was es alles fur musikalische Thorheiten taglich
fur ein Entree von 1 sh. in EgyptianHall giebt: i)MichaelBoai,
ein Deutscher, der mit Fausten an sein Kinn schlagt und
eine Melodie, ja sogar allerlei Variationchen daraus her-
vorbringt, und 2) ein Englander, der vorgiebt, zwei Tone
auf Einmal zu produciren, indem er, einen Clarinettenton
summend, zugleich einen Basston brummt. Eine effectlose
Geschichte!" Ebenso wenig Effect erzielte die russische
Plornmusikcapelle durch das staunenswerth pracise Ein-
fallen des einen Tones, den jedes ihrer Horner hergab-
— 22 5 —
Wich tiger fur die Geschiehte der Kunst und nament-
lich fur die des Clavierspiels ist es, dass die Erard'schen
Flugel sich in diesem Jahr zu einer grossen Vollkommen-
heit erhoben und sehr viel gespielt werden. „Sie haben
sich namentlich im Anschlag sehr vervollkommnet und
ich fange an, mich viel und gern darauf zu ergehen."
Der Aufenthalt der Familie in Ryde auf der Insel
Wight, wohin man nach beendeter Saison reiste, brachte
bei zunehmender Gesundheit der Frau einen inter essant en
Abstecher nach Portsmouth, wo man die im Hafen liegende
konigliche Yacht, sowie das abgetakelte Schiff besichtigte,
auf dem Nelson tiel. Eine Metallplatte bezeichnet genau
die Stelle, und tragt die Inschrift der letzten Worte des
grossen Seehelden: ..England expects every man to do
his duty."
Eine fernere Notiz besagt: „Unsere Absicht nach
Frankreich zu gehen, war durch die dortige grosse Staats-
umwalzung vereitelt worden. Charles X. durch Louis
Philippe ersetzt, und als Fliichtling mit seiner Familie in
Castle Lulworth. Welcher Wechsel!"
In Ryde componirte Moscheles u. a. die ..Recollections
of England", die er der Konigin Adelaide dedicirte. Die
befreundete Familie Fleming, die auch in Ryde eine
reizende Besitzung hatte, lud zu taglichen Excursion en
im Southampton-Water in ihrer eigenen Yacht ein, in der
es an nichts, ja nicht einmal an einern Clavier fehlte.
Hieran schloss sich ein kurzer Aufenthalt in Stoneham
Park, „dessen geschaftige Nichtsthuerei wir jedoch bald
aufgaben, um in einem nahe bei Southampton gelegenen
Hauschen still, aber fleissiger und unabhangiger zu leben."
Dort spielte er sich tiichtig auf dem . nachgeschickten
Erard ein und componirte dann in Iandlicher Rune sein
Cherubim dedicirtes C-moll-Trio.
Die Volksbewegungen unter den unzufriedenen Ar-
beitern, welche Maschinen zerstorten und Sagemiihlen ab-
brannten, trieben Moscheles endlich nach London zuruck.
Dort wurde das neue Trio von Laien und Kiinstlern mit
Warme- aufgenommen.
Moscheles* Lebea. ,5
— '■ 22b
Im Spatherbst bezog die Familie das neue Wohnhaus
(3 Chester place Regents Park), das sie iiber sechszehn
jahre, bis zu ihrer Uebersiedelung nach Leipzig bewohnte.
Das Haus erhielt bald seine musikalische Weihe, indem das
neue Trio mit Lindley und Cramer probirt ward. Seitdem
blieb es ununterbrochen der Schauplatz musikalischer
Thatigkeit und Unterhaltung und ein neutraler Boden im
kiinstlerisch geselligen Leben London's.
1831.
Das Jahr beginnt mit einer kleinen Kunstreise in die
Provinz (nach York, Leeds, Derby). Moscheles erhielt
einen Einblick in die mangelhaften Musikverhaltnisse in
der Provinz und trug manches zu deren Verbesserung
bei. Nach der Ruckkehr in die Hauptstadt wurde wieder
fleissig studirt und unterrichtet und das Familienleben in
gewohnter Herzlichkeit und Heiterkeit wieder aiifge-
nommen.
Um diese Zeit wird eine grossere Vertiefung in Mo-
scheles' kunstlerischem Streben, in Composition und Spiel
bemerkbar. Als Hummel, der damals noch in London
war, Moscheles das Trio spielen horte, meinte er: so ein
Adagio konne keiner der modernen Clavierspieler schrei-
ben. Eben damals trat in Moscheles' Spiel die bis dahin
fast ausschliesslich gepflegte Bravour in den Hintergrund,
und ein tieferes Gefiihl wurde vorherrschend im Anschlag
und Vortrag ebensosehr wie in der Composition. In letz-
terer Beziehung mag das in jener Zeit entstandene Adagio
des C-dur-Concerts als Beleg dienen, und namhafte Ohren-
zeugen der damaligen Zeit haben dasselbe' in Bezug
auf das Spiel bestatigt. Ohne hier den inneren Griinden
dieser Wandelung nachzuspiiren, sei nur hervorgehoben,
dass sie ausserlich durch den Fortschritt der Erard'schen
Fliigel sehr begiinstigt wurde. Ihr Orgelton, ihr langaus-
haltender Klang waren stets ein Gegenstand so hoher
Bewunderung fiir Moscheles, dass er sich ohne Zweifel
' 2.27 —
■angeregt ftihlte, diese Vbrzuge in seinen Adagio's geltend
zu machen. „Ein wahres Cello", pflegte er zu sagen, und
stets lobte er den Ton, den er ohne die Dampfung aus-
halteh konnte, wllhrend ihm das viele Pedalnehmen, sei .
es die Dampfung, sei es das einseitige Pedal, bis an sein
Lehensende widerwartig blieb. Ein guter Spieler, biess es, ,
muss solcheHiilfsmittel.nur selten gebrauchen, sonst miss-
braucht er sie leicht. Oft auch, wenn er einen braven
Clavierspieler horte, pflegte er ihn in vielen Stiicken zu
lobeh, aber hinzuzusetzen : ,/Wenn er nur nicht bestandig
die Fusse auf den Pedalen hatte; alle, EfEecte sollen jetzt
■durch die Fusse hervorgebracht werden, wozu hat man
■denn Hande? Es ist, als wollte sich ein guter Reiter immer
■der Sporen bedienen!"
Unter seinen damaligen Scliulern befand sich auch
■der zehnjahrige Henry Litolff, der ihm als armer talent-
voller, aber ziemlich verwahrloster Knabe von seinem
Freunde Collard iibergeben wurde, und dessen Talent er
sofort erkannte. Sein Vater, ein Elsasser, der seine zahl-
reichen Kinder nur sparlich durch seine Tanzmusik er-
nahrte, konnte kein Clavier fur seinen Henry beschaffen;
dieser iibte aber in der Collard'schen Fabrik und war bei
jeder Lection so vorbereitet, dass er Moscheles durch das-
Spielen seiner Etuden und Concerte erfreute und er-
staunen machte.
Der erste musikalische Stern am diesjahrigen nebeligen
Winter himmel London s war Neukomm. Von diesem war
fur die bevorstehenden Philharmonischen Concerte eine
neue Symphonie in Es-dur ausgearbeitet worden, der „das
attische Salz fehlte". Dennoch sollte er sich im Laufe
dieses Jahres die grosste Popularitat erwerben, wozu
-emigre von ihm componirte zundende Texte des Dichters
Barry Cornwall wohl den Grundstein legten. „David's
Schmerz um Absalon", von Braham hochtragisch vor-
getragen; „The Sea" von Phillips, ganz im Geiste des
nationalstolzen Textes gesungen, mussten bestandig auf
dem Programm stehen. Namentlich aber machte die schon
besprochene „Nachtliche Heerschau" (nach Zedlitz) einen
— 2J>8 — '„ '-
so gewaltlgen ' Eindruck, dass Moscheles eine Phan-
tasie dariiber schreiben musste, die, wenn auch von ihm
selbst nur als Stiefkind hetrachtet, doch von den Schule-
rinnen „ctiarming" and ,,delightful" genannt wurde, so dass
gar manche zarte Hand „Nachts um die zwolfte Stunde"
den grossen Kaiser die Trommel wirbeln liess. Aber
auch die grosseren und ernsteren Werke Neukomm's
wurden gegeben, und sein Oratorium „Die zebn Gehote"
fiir das Musikfest in Derby im September angenommen,
nachdem es zuvor in der Classical . Harmonic Society in
London mit dem grossten Beifall gegeben worden war.
Auch im Moscheles'schen Hause veranstaltete man erne
Auffuhrung im Kleinen mit Quartett und Contrabass-
begleitung und einem zweiundzwanzig Sanger starken
Chor (unter den Solosangerinnen Frau Stockhausen und
Clara Novello). Moscheles, der die vortreffliche musika-
lische Bildung und Richtung des Freundes schatzte, sagt
iiber ihn: „Es thut mir leid, dass er so unendlich viel
schreibt und bestandig den Grundsatz im Munde flihrt,
dem er auch nachlebt: man miisse taglich etwas machen.
Wo bleibt da die Inspiration, die allein vor Banalitat
schutzt?" Als Mensch war Neukomm im Hause Moscheles'
iiberaus geschatzt und man nannte ihn dort die Ency-
klopadie; wollte man iiber irgend etwas belehrt sein,
gleich fragte man ihn; er wusste Alles.
Die Philharmonischen Concerte kommen heran, und
Moscheles findet wiederum manchen Missbrauch zu riigen.
Noch immer sitzt der Conductor am Clavier, seine Par-
titur umblatternd, ohne Taktirstab, also ganz ohne die Auf-
fiihrung zu beeinflussen, die der Vorgeiger allein leiten
muss; daher das oftere Schwanken bei der Auffuhrung
grosserer Or Chester werke. Auf den Programmer! sind die
verschiedenartigsten Dinge oft zu einem seitsamen Aller-
lei zusammengeriittelt. Zwischen die Orchesterwerke ist
Kammermusik eingeklemmt. Dann wieder der erste Theil .
von Spohr's „Jungstem Gericht" und ein gemischter zweiter
Theil. Das ist nichts fiir ein deutsches Ohr, was wurde
Spohr dazu sagen?
t- ■ 229 * _ ■ ;
- Im Februar hat Moscheles Engagements im Norden
Englands zu erfullen. Er klagt uber die sclilechten Or-
chester, ist aber mit dem Erfolge seiner Unternehmungen
zufrieden. Diese Reise war zugleich seine erste Eisen- tIjc«U.ln
bahnfahrt, iiber die.wir ihn.selbst sprechen lassen wollen:
„Am 18, friih una 6 Uhr fort, urn z j 2 i Uhr in Manchester,
nm den beriihmten Railroad zu. sehen und die Tour von ' ...
sechsunddreissig'englischen Meilen nach Liverpool in andert-
halb bis zwei Stunden -zuriickzulegen. Der Platz kostete
5 Shilling. Um %z Uhr stieg ich in einen der Omnibusse, - '
die alle Reisenden gratis bis zum Abgang der Dampf-
wagen in die Vorstadt brachten. Dort fiihrt der Weg
durch ein grosses GebiLude, in welchem die Bureaux sind.
Acht bis zehn Wagen von der Lange der Omnibusse sind _,\
eng miteinander verbunden, und zwolf Platze in bequemen
Lehnstiihlen in jedem Wagen. Auf ein gegebenes Signal
nimmt jeder Reisende den Platz ein, der die Nummer
seines Billets tragt. Die Wagen werden von den Guards
verschlossen; dann erst wird die Dampfmaschine an den
vordersten Wagen gehangt. Die Bewegung, obwohl pfeil-
schnell, ist kaum fiihlbar und nur dann' iiberraschend,
wenn man zum Fenster heraussieht und bemerkt, wie man
sich dem entferntesten Gegenstande mit unglaublicher
Schnelle nahert und plotzlich daran voruberfiiegt. Welch
einen Eindruck diese Dampffahrt auf der ersten Eisenbahn
Englands auf mich machte, in welehe Extase ich durch
diese an Zauberei grenzende Erfindung versetzt wurde,
konnen Worte nicht schildern. Ihr bertihmter Ingenieur,
Sir John Stephenson, hat sie unter unsaglichen Kampfen
und Schwierigkeiten in's Leben gerufen."
Nach London zuriickgekehrt, berichtet er iiber die
Theater: „Eine neue Oper von Pacini, aber nur die herr-
liche Scenerie beachtenswerth. Sie heisst „Pompeji" und
die Schrecken der Untergangsnacht sind meisterhaft dar-
gestellt." ' ."
Dann wieder: „Kean als „Richard the Third" gesehen,
Mark undBein erschutternd! Er iiberschreit sich, vielleicht
weil er zu alt ist und doch Effect machen will."
/— 23° — ,
Mit Enthusiasmus gedenkt er der Pasta und ihres-
grandiosen Spieles. „Die Stimme, zuerst bedeckt, tritt
spater siegTeich hervor, wie die Sonne hinter einer Nebel-
wolke."
„Lablache mit seinem machtigsten aller Organe, dem
Voce sul labbro und seiner Komik, besonders im „Barbiere"
und dem tauben Alien in „Matrimonio segreto" ist
immer uniibertrefflich, Rubini in der Oper ausgezeichnet-
Das Ballet „Kenilworth", das den ganzen Scott'schen Ro-
man in •vortrefflicher Inscenirung darstellt, ist hochst in-
teressant, die Taglioni in jedem Ballet eine Verkorperung
von Grazie und Anstand, eine Tanzerin, die ganz allein
dasteht undAlles entzuckt."
Ueber Field, der nach funfundzwanzigjahrigem Aus-
bleiben in London erscbeint, sagt Moscheles: „Sein Legato
entzijckt mich, aber seine Compositionen konnen mir nicht.
zusagen. Nichts kann ubrigens in grellerem Contrast
stehen, als ein Field'scbes Notturno und die Field'schen
Mahieren, die oft cynisch sind. War das eine Aufregung
unter den Damen, als er gestern in einer Gesellschaft das.
Miniaturbild seiner Frau aus derTasche seines Beinkleides
zog, und laut mittheilte, wie sle seine Schiilerin gewesen,
und er sie nur geheirathet, weil sie nie bezahlte und er
wohl wusste, es ware doch kein Geld von ihr zu be-
koramen,"
Am i. September schreibt Moscheles: „Gestern speiste
Field mit Collard bei uns. Field ist ein gutmiithiger, aber
nicht gebildeter Mensch, vielmehr ist er possirlich. Mit
einer gewissen Nonchalance erzahlt er, wie er sein Leben
dahingeschlendert und durch zweideutige Abenteuer ge-
wurzt habe, wie er in Petersburg, den Damen Lection
gebend, eingeschlafen und sie ihn mit der Frage geweckt,
ob sie ihm zwanzig Rubel zahlen sollten, darriit er bei
ihrer Musik einschlafe? Er spielte uns Abends recht viel
vor, wobei ich wieder seine Zartheit und Eleganz, sowie
seinen vor treff lichen Anschlag bewunderte; doch fehlt es
ihm an Geist und Accent, sowie an Schatten und Licht,.
und man vermisst das innige Gefuhl."
— 23 1 — ■ .-_-"■
Hummel kehrte zuriick, obgleich seine Geschafte in
letzter Saison nicht sehr brillant gewesen waren. Auch
in dieser Saison war er nicht sehr gut auf England und
die Englander zu sprechen, da seine beiden ersten Con-
certe, in denen ef nur sich und einige uninteressante Num-
mern gab, mangelhaft besucht waren. Er machte in der
Folge die Concession, die Truppe der italienischen Oper
mit in sein Interesse zu ziehen, eine Massregel, die sich
vollkommen wirksam erwies.
In den Soireen gab es manche Kreisleriana an Lieb-
habergesang auszustehen, und Moscheles spielte oft zu
eigener Erlosung, wo er's sonst nicht gethan hatte. Da-
gegen war ihm zeitlebens das- Musikmachen mit Kunst-
briidern eine Herzensfreude.
Das eigene jahrliche Concert fuhrte dem dichtgedrang-
ten Publikum zu grosser Befriedigung die „Reeollections
of Denmark" mit ihren schonen nordischen Volksweisen
vor, und das Ganze verlief mit gewohntem Gliick. In
diesem Concert bediente sich Moscheles zum -ersten Male
eines Erard'schen, nicht wie bisher eines Clementi'schen
Fliigels. Der Entschluss hierzu war ihm schwer geworden,
da Collard, der Associe des Hauses Clementi, einer seiner
intimsten Freunde, ja oft sein Rathgeber war. Die Kunst
aber verlangte ihre Rechte und die in diesem Jahr von
Erard gebauten Fliigel waren alien anderen an Ton, Kraft
und biegsamem Anschlag so weit uberlegen, dass Mosche-
les ihnen ebenso oifen die Ehre geben wollte, wie er sie
bis daher oft als zah im Anschlag und dumpf im Ton ge-
tadelt und gemieden hatte. Auch stellte er seinen eigenen
Erard'schen Fliigel in den Salon, den Clementi'schen in
sein Studirzimmer. Wie gesagt, des Freundes Collard
halber that ihm dies leid; aber dieser, so gescheidt als
treu ergeben, anderte in keiner Weise das gute Verhalt-
niss, das ihn an die Familie Moscheles kniipfte, und sie
blieben Freunde bis an ihr Lebensende.
Paganini war in London erschienen und Alles auf ihn
gespannt. Eine Masse von Anekdotchen iiber ihn hatteri
schon in England wie auf dem Continent circulirt; er war
— 232 — ■
miathmasslich der Mofder seines Weibes, und hatte in den
Jahren seiner Gefangenschaft auf der einzigen G-Saite, die
seiner Violine blieb, alle die Kunststiickchen gelernt, mit
denen er erst den Continent, jetzt auch England in Er-
staunen setzte. Dabei sollte sein Geiz an's Fabelhafte
grenzen nnd sein Aussehen an eine Figur der Marchen-
welt erinnern. So war er dem engliscben Publikum an-
gekiindigt, Moscheles speciell noch durch den Schwieger-
vater, der ihm in Hamburg ein vortheilhaftes Engagement
mit dem befreundeten Theaterdirector zu Stande gebracht
hatte. Der italienischen Sprache machtig, konnte er eine
Verstandigung zwischen dem Kiinstler nnd den Unter-
nehmern herbeifuhren, als diese eben ihre bis dahin frucht-
los gefiihrten Unterliandlungen abzubrechen dachten. „Die
grossen Einnahmen und der noch grossere Beifall, den
Paganini erntete (sagt Moscbeles), bracbten meinem
Schwiegervater eine superlative Dankbarkeit ein, wie sie
nur der Italiener auszudriicken weiss, und mit dieser iiber-
scbuttete er auch uns, die Kinder des Onoratissimo , bei
seinem ersten Besuch; er nalim das Miniaturbild des guten
Vaters, das iiber dem Kamin hing, herab, bedeckte es mit
Kiissen und gab ihm die uberscliwenglichsten Epitheta.
Wir hatten indess Zeit, diese olivenfarbenen, scharf aus-
gepragten Zuge, diese gliihenden Augen, das sparlich
diinne, aber lang herabhangehde schwar2e Haar und die
ganze hagere Figur, auf der die Kleider schlotterten, diese
tiefeingefallenen Wangen und diese langen, aber schein-
bar nur mit Haut bedeckten Finger zu betrachten. Wah-
rend dieser Beschauung hatte die umviirdige Lobhudelei
ernsteren Gesprachen iiber Paganini's Unternehmungen
Piatz gemacht. Die erste derselben (noch ehe wir uns
kannten), zu doppelten Preisen in der italienischen Oper
zu spielen, war gescheitert, Der Herzog von Devonshire
soil Propaganda dagegen gemacht haben; genug, nur zwei
Logen war en verkauft, und das Concert musste abgesagt
werden. Jetzt theilte er uns seinen Entschluss mit, zu den
gewohnlichen Preisen in der Oper zu spielen." Spater
sagt Moscheles: „Meine Hiilfe, die ihm hier und da niitz-
' • — 233 —
lich ist, verschafft mir ebenso viel zuckerstisse Epitheta,
wie sie mein Schwiegervater bekam;. ich werde auch in
natura ebenso viel gekusst, wie er in efflgie."
Er kam bestandig in's Haus und wurde stets gut em-
pfangen. Aber sie trauten ihm nicht recht," er war gar
zu siisslich.
Nun kam sein erstes Concert heran. Der erste Ein-
druck war em uberwaltigender, ja g-eradezu beriickender;
„Das Opemhaus war in einem Aufruhr, er musste fast
Alles zwei Mai spielen^ und wurde nicht allein wiithend
beklatscht, sondern alle Damen lehnten aus den Logen
hervor, um mit ihren Schnupftiichern zu wehen, und das
ganze Parterre stieg auf die Banke und schrie „Hurrah!"
und „Bravo!" aus Leibeskraften. Einen solchen Eindruck
haben nicht einmal die Sonntag und die Pasta hier ge-
macht, geschweige denn andere Kiinstler."
Moscheles beklagt sich in seinern Tagebuch iiber den
Mangel an Ausdriicken, die ihm eine Schilderung seiner
Leistungen, wie er sie in Paganini's Concert bewunderte,
moglich machen wiirden. „Dieser lang gezogene Ton, der
bis in die innerste Seele dringt, ware bei Ueberschreitung
einer Linie in den unangenehmen Grad des Miauens ver-
fallen, uberschritt diese -.Linie aber eben nicht, sondern
blieb der Ton des Paganini, einzig in seiner Art. Die
diinnen Saiten, auf -den en allein es moglich war, diese
Millionen Noten und Notchen seiner Passagen und Ca-
denzen hervorzuzaubern , waren mir bei jedem anderen
Geiger fatal gewesen, bei ihm waren sie eine unent-
behrliche Zugabei Und endlich waren seine Compo-
sitionen so ultraoriginell und eben dadurch mit der gan-
zen phantastischen Erscheinung so im Einklang und so
hinreissend durch seinen Vortrag, dass sie weder den
Mangel an Tiefe noch an ernster Arbeit, noch irgend
einen anderen Mangel an's Licht treten liessen."
DieZeit des Enthusiasmus dauert fort; um dem ihirigen
Luft zu machen, iibersetzt ihm die Frau die Lobpreisun-
gen der Zeitungen, die, hochtrabend, wie sie sind, von
seinen Dankbilleten iiberflugelt werden. Moscheles hort
■— -Z34 — ■ ' ■
ihn in befreundeten Hausern, wo er in seinen eigenen
Quartetten abwechselnd Bratsche und Violine spielt, Alles
hinreissend schon, und schreibt fur Mori sein erstes Buch
„Gems a la Paganini", aber nicht, ohne den Verleger ge-
nothigt zu haben, . sich die Erlaubniss dazu von dem als
geizig verschrieenen Italiener zu verschaffen. Moscheles
und Mori gehen zusammen zu ihm. Moscheles spielt ihm
sein in anderthalb Tagen gemachtes „musikalisches Por-
trait" vor. Paganini umhalst ihn, uberschuttet ihn mit
Lob. „Diese Auffassung seiner Manier, diese Wiedergabe
seiner Cadenzen fand er stupend. Es gab in diesem Augen-
blicke naturlich nur einen Moscheles. Was war Hummel
dagegen? Hummel und Andere hatten auch Phantasien
a la Paganini geschrieben, aber sie hatten ihm missfallen,
er habe dagegen jprotestirt; diese Bearbeitung sei die ein-
zige richtige, ihm eine Ehre", — und wie die Lobpreisun-
gen alle hiessen, die sich spater so w«nig wahr erwiesen.
Naturhch horte Moscheles ihn ofter, um ganz sicher in
seiner Bearbeitung zu gehen. Nach dem sechsten Concert
spricht er jedoch bereits folgendes Urtheil aus: „Es geht
mir ganz sonderbar mit ihm; zuerst fiihlte ich die hochste
Ueberraschung und Bewunderung. Sein Reichthum ah
den kiihnsten Passagen, seine neu entdeckte Quelle von
„sons harmoniques", die Genialitat, mit der er das Hetero-
genste zu verbinden und effectvoll wiederzugeben versteht,
iiberwaltigte meinen musikalischen Sinn so sehr, dass mein
Kopf noch mehrere Tage nachher, gleich einer eben ge-
loschten Brandstatt zu* dampfen schien. Auch das innige
Gefiihl, das er seiner Geige schmelzend wie ein italienischer
Sanger zu entlocken wusste, hatte einen unendlichen Reiz
fur mich, und ich nahm es ihm in meiner Verblendung
gar nicht iibel, dass er sich dabei jener maniera del gatto
bediente, welche, wie der Spottname bezeichnet, bei den
Italienern verpont ist, und der ich stets so abhold war,
dass ich sie nur einmal in jedem Schaltjahr horen mochte..
Genug, meine Bewunderung fur dies Phanomen, bei dem
Natur und Kunst gleichen Schritt gehalten haben, kannte
keine Grenzen. Jetzt, nach ofterem Horen, ist das Alles
■---?**■■
'— *35
anders geworden. In alien seinen Compositionen sind
dieselben Effecte, welches Mangel an Erfindung beweist,
in seinem Styl und seiner Spielweise entdeckte ich Mono-
tonia Seine Concerte sindschon, haben auch grossartige
Momente, aber sie erinnern mich an einen Sommerabend,
wo auf griiner Wiese ein brillantes Feuerwerk abgebrannt
wird: die Schwarmer und sonstigen Stiicke immer effect-
voll und bewunderungswerth, aber immer dieselben. Seine
„Sonate nrilitaire", und wie die anderen Stiicke nochheissen,
haben siidlichen Schmelz, aber in alien commandirt dieser
Violinheld dutch den unerlasslichen Trommelwirbel, und
ist er auch jetzt der Todtschlager seiner Collegen, ich
wunsche mir doch ein bischen Spohr'schen Ernst, Bail-
lot'sche Kraft, ja sogar Mayseder'sche Pikanterie. Moglich
auch, dass der mir immer mehr zu wider werdende Mensch
dem Kiinstler in meiner Anschauung Eintrag thut. Er ist
gar zu schmutzig geizig. Ob es wahr ist, dass er seinem
Diener, der ihn urn ein Galleriebillet bat, nur unter der
Bedingung den Einlass gestattete, dass er ihn einen Tag
umsonst bediene, weiss ich nicht, aber das steht fest, dass
Lablache ihm £ ioo anbot, damit er in seinem Benefiz
spiele, dass Paganini sie jedoch ausschlug, und dass der
grosse Sanger ihm ein Drittel der Einnahme bewilligen
musste. Als die Concerte in der Oper aufhorten, sich zu
f iillen — . er hatte deren dreizehn gegeben — , begann er
eine Serie in London Tavern in der City, was auch eines
so grossen Kiinstlers unwiirdig erklart wird, — ihm einer-
lei; denn er macht dort Geld."
Der Brief, dem wir diese Worte entnehmen , war
im Juli geschrieben. Einige Wochen spater erscheint das
zweite. dann das dritte Buch der „Gems", und kaum sind
sie heraus, so thut Paganini gerichtlichen Einspruch, nennt
das Werk einen musikalischen Diebstahl. Natiirlich be-
trifft dies meistens den Verleger, aber Moscheles geht zu
ihm und fragt : ,,Hatten Sie mir's nicht erlaubt?" Ant-
wort: ,Ja, das erste Buch, aber das zweite und dritte
nicht." Die Unterhandlung fuhrt zu keinem Resultat;
Paganini reist nach Schottland, der Process geht weiter.
- 2 3 6 -"
Nach seiner Riickkehr endlich sucht er Moscheles aui.
Mit grossem Umschweif bietet er ihm den ferneren freien
Verkauf der drei Biicher „Gems" an, wenn er ihm zu
seinen ziVolf soeben componirten kleinen Stucken eine
Clavierbegleitung machen wolle. Moscheles willigt, wenn
auch ungern, ein, weigert sich aber, seinen Namen zu
dieser Bearbeitung herzugeben, was Pagan ini verlangt.
Endlich muss dieser nachgeben, dann wird urn die Process-
kosten debattirt; endlich ist Mori froh,' ein verhaltniss-
massig kleines Opfer zu bringen, wahrend Paganini friiher
von £ 500 Entschadigung gesprochen hatte, und Mosche-
les ist „ganz gliicklich, die fatale, eines Kiinstlerlebens un-
wiirdige Episode und die abscheulichen Advocaten los
zu sein."
Nun konnte er wieder mit doppeltem' Eifer studiren
und sich in seine Kunst vertiefen. Wie oft aber diese
Studien und die ruhigen Abende mit den Hausfreunden
gestort wurden, beweist folgendeNotiz: „Alle seinsollenden
Kunstgenies des Continents suchen mich heim, und es
sind deren kiirzlich so viele angekommen, dass ich beinahe
ein Orchester mit ihnen zusammenstellen konnte. Heute
Morgen kam ein Violinist, der an Schonheit und Anstand
dem Flotenspieler S. nichts nachg'ibt, und beide, zu einer
Mixtur verbraucht, waren bitter wie Rhabarber. Dabei
schreibt mir ein Herr Steinmuller aus Frankfurt, dass sein
siebzehnjahriger Sohn, ein ausserordentlicher Pianist, sich
in London wolle horen lassen. Er ist sechs Fuss gross,
heisst es, hat ein Muttermal mit auf die Welt gebracht,
welches aussieht wie ein Schnurrbart, aber nur auf der
rechten Seite, also nur ein halber. Auch heisst er hier
allgemein „der musikalische Schnurrbart", und unter diesem
Namen wird cr sein Concert in London ankiindigen".
Zu den Hausfreunden gehorten in diesem Jahre noch
Paul Mendelssohn, Felix' Bruder; der Professor Fritz
Rosen, des letzteren und Klingemanns intimer Freund —
eine nicht zu trennende Trias; dann der Prof. Grahl, der
das Portrait der Konigin Adelheid malte, und sich Abends
wahrend der hauslichen Musik gem damit beschaftigte,
- ■- _ 2J 7 —
die Portraits des Moscheles'schen Ehepaars zu .zeichnen;
ferner der junge Phrenologe Holm, der die Charaktere
und Geistesanlagen in der Schadelformation der Anwesen-
den entdecken wollte. Neukomm hatte ilm eingeiiihrt,
und war glaubige'r als das Moscheles'sche Ehepaar, das
sich aber doch gem von dem jungen Arzt die Schadel-
lehre erklaren, Thieraugen und Hirn als Beleg sedren liess.
Der bose Gast aus Asien, die Cholera, hatte ihnen
wegen der wiener Freunde und . der hamburger und
prager Verwandten bange Sorgen gemacht, und Moscheles
schreibt den Letzteren: ,Ja„ wir haben manche triibe
Stunde; aber die Kunst und das Gottvertrauen mussen
dariiber hinweg helfen." Und wirklich blieben Alle ge-
sund und die Wolke, die plotzlich den heiteren Himmel
beschattets, war bald dem hellsten Sonnenschein gewichen.
Die grosse politische l^eform, die in dieser Zeit Eng-
land bewegte, liess auch das Moscheles'sche Ehepaar nicht
unberiihrt, und es wird viel dariiber hin- und hergeschrie-
ben. Als die Reform bill verworfen und infolge dessen
das Par lament aufgelost war, fin den wir folgende Notiz
bei Gelegenheit eines Balles in Camber well: „Das In-
teressanteste daran war das Hin- und Herfahren. Ihr wisst
aus den Zeitungen, dass Viele der „dissolution' halber illu-
minirten; Viele aber wollten es nicht, und die kamen iibel
weg; denn man zerbrach ihnen die Fensterscheiben., Auf
dem ganzen Wege nach Camberwell, sieben englische
Meilen weit, war doch fast Alles illuminirt, und viele
Transparents mit den lacherlichsten Inschriften zu sehen,
z. B. j,The bill, the whole bill and nothing but the bill!"
Ein patriotischer Fleischer stolzirte in Flammenschrift mit
„The enemies of reforme to be sent to the dominions of Don
Miguel"; „Williainthe Restorer" und „WilIiam the patriot
king" war wohl hundert Mai zu lesen, wahrend wieder
einige Hauser ganz dunkel und verschlossen, dazwiscben
standen. Eine Menschenmasse , so gross wie. ich sie nie
gesehen, belagerte die Hauptstrassen und hemmte den
Verkehr".
Ausser den stets fortlaufenden musikalischen Geniissen
- 238 — " ■
hot London, boten die Freunde noch manche andere. Die
Eroffnung der New London Bridge ist Veranlassung zu
einer grossartigen Procession auf der Themse, Konig und
Konigin,. Lord Mayor und Aldermen fahren in mittelalter-
licher Pracht _iibOr den Strom, und bilden mit dem Hof-
staat und der Dienerschaft ein Gostumbild, wie man e's
zur Zeit Heinrichs Vlii. und der Konigin Elisabeth auf
der Themse gesehen haben mag. Auch Schloss Windsor
und die koniglichen Privatzimmer Wurden dem Ehepaar
gezeigt und von dort aus ein reizender Ausflug iiber das
alte Runny mede, wo King John die Magna Charta gab,
nach Eton unternommen, auch das College besehen , wo
ein Byron seine Studien machte. Museen und Bilder-
gallerien stehen ihnen an Privattagen offen, und als die
Frau mit den Kindern im September auf einig-e Wochen
nach Richmond Hill zieht, wird ihnen sogleich durch
Lord Sidmouth, den Vater zweier Schulerinnen, der sonst
fur Wagen verschlossene Park zu Spazierfahrten freige-
geben.
Wir erwahnen dies als Beleg fur die Pie tat der Eng-
lander. In Erinnerung der Freuden, die der Kunstler
bereitet, wollte man sich dankbar gegen ihn und die
Seinen erweisen, und war es nicht nur wahrend ihres
mehr als zwanzigjahrigen Aufenthalts in England, sondern
auch.spa.ter bei jedem noch so kurzen Besuch.
Wahrend des Aufenthalts in Richmond geht Moscheles
auf einige Tage zum Musikfest nach Derby und schreibt
seiner Frau hieriiber: „Im Abendconcert gab man die Mo-
zart'sche Symphonie in C mit der Fuge (in England „The
Jupiter" genannt). Draussen war ein heftiges Gewitter,
so dass der Saal durch die leuchtenden Blitze doppelt er-
hellt ward und die Composition durch den krachenden
Donner eine machtige Zuthat bekam. Das iibrige Con-
cert war ein Mischmasch, in dem jedoch viel Gutes war.
„King Death" gefiel sehr, und „The Sea" musste wieder-
holt werden (beides Lieder von Neukomm). Gestern war
Neukomm's „Prophecy of Babylon" sehr effectvoll, er
steht in dieser Gegend hoch in Ansehen. Mme. Stock-
— 239 —
hausen sang ein „Magnificat" mit Oboe-Begleitung, sehr
schon, nur etwas schwachlich, weil sie leidend war. Miss
Masson war ausgezeichnet, die Chore sind es auch, . .
30. September 12 Uhr Nachts.
Man ist mit dem Zuspruch zum Festival noch nicht
recht zufrieden, und hofft, es werde morgen besser werden.
200 Guineen-Platze, 200 a 12, und 200 a 7 sh. — das ist AHes,
was abgesetzt wurde. — Das Concert, was ich eben ver-
schluckt habe, sollte das Motto tragen: Allzuviel ist un-
gesund!
Erster Theil: Neukomm's Symphonie — massiger
Beifall. Glee von Horsley, den wir in London horten.
Drei englische sentimentale, etwas schleppende Songs und
das schone Violinconcert von Spohr, sehx unvollkommen
von Mawkes gespielt, dazwischen der gewohnliche ita-
lienische Schlendrian aus dem „Barbiere", „Turco in Ita-
lia" etc. Neukomm's „Midnight Review", mit ungeheurem
Pathos gesungen, machte grossen Effect.
Zweiter Theil: Wieder allerlei Songs — worauf die
Englander wie besessen sind; ebenso das Trio „Papataci''
aus der „Italiana in Algieri"; aber Miss Masson sang
ihre Anfgabe schon, die Ouverture zu „Euryanthe" ging
sehr gut, Mme. Stockhausen musste ihren Jodler wieder-
holen, und dann o weh! kam das versauerte Trio von
Corelli (Lindley, Dragonetti, Lucas). Zu meinem grossen
Genuss sang Phillips einen ..langhingsong" mit Chor aus
Handel's „Allegro" und musste ihn wiederholen. Du siehst,
ich muss hier viel unniitzes Zeug verschlucken, um mir
einige wahre Geniisse zu verschaffen. Unter diesen steht
natiirlich der einzige Messias oben an."
Zum Weihnachtsfest wird nach guter deutscher Sitte
ein Baum angeputzt und als die Thur sich der iiberraschten
Jugend offnet, spielt der Hausherr einen Tusch, ein Mirli-
ton-Marsch von Neukomm wird von drei Freunden ge-\
blasen, der kleine Litolff setzt die Gaste durch sein vor-
treftliches Spiel der Moscheles'schen Variationen „Clair de
la lune", in Erstaunen. Dann folgt ein Lied, „Nonsense"
betitelt, Text von Barry Cornwall, Musik von Neukomm:
■-. ■ — 240 —
der Text, ganz heiter, ist gleich der Musik zu Anfang
tragisch gehalten, und wird von einem Seufzerchor unter-
brochen, bei welchem Mirlitons einfallen, ein MirEton-Solo
und ein lustiges Lied folgen! Das Ganze wird unter
miihsam unterdriicktem Lachen, auf Verlangen viermal
wiederholt; dann phantasirt Moscheles iiber die Nonsense-
Themen so humoristisch , dass ein neuer Beifallssturm
folgt; es wird getanzt, soupirt, und man trinkt nicht nur
auf die Gesundheit der Wirthe, sondern einige Gaste neh-
men ihnen das Wort ab, sie stets bei ahnlichen Abenden
einzuladen. Beim Punsch muss der Nonsense wiederholt
werden.
Der Jahresschluss, der eben so heiter sein so lite, ward
durch Moscheles- Unwohlsein ein stiller, aber darum nicht
minder gliicklicher.
1832.
Dass der Geist, der damals in der Philharmonischen
Gesellschaft und im londoner Musikleben iiberhaupt
herrschte, nicht der beste war, zeigen die Notizen, denen
wir an der Schwelle dieses Jahres begegnen. Moscheles
schreibt: „Man hat mich zum Mitdirector der Philharmo-
nischen Gesellschaft gemacht, und wie ich hore, ohne eine
einzige schwarze Kugel. Aber wir sind im Directorium
unser sieben, sechs unter diesen begegnen sich in ihren
Ansichten, sie sind conservativ, fiir alles Althergebrachte ;
ich allein trachte„nach musikalischer Reform und dringe
nicht durch. Symphonische Werke und Quartette werden
in einem und demselben Concert geg eben; mittehnassige
Sanger werden zum Gesang zugelassen. Das veraltete
Trio von Corelli, das nun schon seit einer Reihe von Jahren
nicht fehlen darf, wird von den alten Matadoren Cramer,
Lindley und Dragonetti siegesgewiss mit selbstgefalligem
Lacheln vorgetragen. Unser Einem reisst die Geduld da-
— 241 —
bei. Bei Lindley's unvermeidlicher Cadenz steht man zehn-
mal am Schluss und wird zehnmal zu dem Einerlei von
Arpeggien und Flageolettcnen zuriickgefuhrt; er erinnert
mich an eine Fliege, die den mit Zucker bestreuten Teller
nicht verlassen will, ist mir auch so lastig wie diese. Und
doch hat das Trio fur gewisse alte Subscribenten seinen
Reiz {?), hat grossere Berechtigung, in dies „classische"
Institut einzudringen, als Mayseder's neues Sextett und
Neukomm's Septett fur Blasinstrumente , die sich jedoch
des grossen Beifalls halber einer zweiten Auffiihrung er-
freuten. An Beethovens letzte Quartette wagt man sich
nicht."
Moscheles gab seine neue Symphonie, spielte sein
neues C-dur-Concert, sagt aber im Tagebuch: „Auf den
Beifall, den meine neuen Sachen erlangten, bilde ich mir
nicht viel ein, da auch das Mittelmassige diesem Publi-
cum gefallt." Die Symphonie ward spater einige Male
wiederholt, aber Moscheles, der immer streng fiber sich
und seine Compositionen zu Gericht sass, sah bald ein,
dass gar manche seiner Zeitgenossen ihn in Orchester-
werken ubertreffen wiirden, sein geliebter Mendelssohn
ihn langst darin iibernugelt hatte. Die Instrumentation
von Moscheles' G-moll-Concert, die sich noch heute so
wirksam erweist, hatte wohl der Vermuthung Raum ge-
geben, dass der damals noch sehr junge Componist Grosse-
res fur Orchester schaffen wiirde; auch sein in der fruhesten
Zeit in Wien componirtes Ballet „Les deux portraits"
hatte die Kunstrichter in dieser Voraussetzung bestarkt.
Er selbst aber sah, trotz einiger spateren Versuche, ein,
dass das Clavier sein eigentliches Feld bleibe, dass er auf
diesem zu Nutzen und Freude Anderer schaffen konne,
und, dbjectiv wie er sich und sein Thun beobachtete, hat
er sich auch meist auf sein Instrument beschrankt, auf
dem er oft gelungene Orchestereffecte hervorzubringen
wusste.
Meister Clementi war in einem Alter von 84 Jahren
gestorben, sein Leichnam, von Kunstgenossen getragen,
in der Westminster- Abtei beigesetzt; natiirlich wollte ihn
Moscheles 1 Lebeu. 16
, i./J-V
— 2^2 —
auch die Philharmonische Gesellschaft ehren und fiihrte zu
seinem Gedlchtniss das „Recordare" von Mozart auf. Wie
schlecht aber nahm'sich dies in einem Rahmen weltlicher
Musik aus! Und wahrend die Cinti unmittelbar hinterher
mit der Cavatine aus dem „Barbier" Furore machte, ward
Mendelssohn's Hebriden-Ouverture augenscheinlich nicht
verstanden und kiihl aufgenommen. Eine Gedachtniss-
feier, die weder Clementi noch die Nachlebenden ehrte!
Neukomm's wenig andauernde Triumphe hatten in
dieser Zeit ihren Hohepunkt erreicht, Seine Lieder, seine
Oratorien, Alles gefiel, Alles ward vortrefflich honorirt.
Die Theater brachten auch in diesem Jahre die iib-
liche Pantomime. Diese gab aber nicht bios die vielbe-
wegte Geschichte des Daumlings mit ihren sehr drastisch
dargestellten Wald- und Menschenfresserscenen, sondern
wusste auch geschickt die Tagesfragen und Tagesthor-
heiten in ihre Harlekinaden einzunechten. So z. B. er-
schien eine Legion kolossaler Ochsenzungen, deren eine
sich bewegte und unverstandliche Laute ausstiess, als Pa-
rodie auf den benichtigten Methodisten Irving, der damals
in unbekannten Sprachen zu predigen vorgab, und da-
durch von dem lustwandelnden Publicum, das er in den Parks
andonnerte, viel kleine Miinze erpresste. Auch ein ultrahage-
rer Paganini in ultraschlotternder Kleidung erschien mit
der Geige, und fiihrte eine Masse kleiner und immer
kleinerer, ihm genau nachgebildeter Paganini's vor, und
dgl. mehr. Das Singspiel „Rob Roy", dem Walter
Scott'schen Roman nachgebildet, hatte Erfolg, wahrend
der arme Dichter todtkrank in einem Hotel London's lag.
Braham gab trotz seiner vorgeriickten Jahre noch immer
einen vortreff lichen Fra Diavolo, wie die unverwustliche
Mars noch immer als Valerie excellifte.
Flerrlich war die deutsche Oper mit der Schroder-
Devrient, Haizinger, Hauser und anderen ausgezeichneten
Kraften, die in ihren Vorstellungen von Erfolg zu Erfolg
schritten. Der Fidelio der Schroder ist zu bekannt, als
dass sein Lob nicht ausser aller Frage stiinde, aber ein
Echo alles schon Geriihmten diirfen diese Blatter wohl
■■■*?■■■< -^.^. 7"> :■■/- ^^W'.s^i^;':^:^
— 243 - —
binaustragen in. die musikalische "Welt. Die liebenswiir-
dige Kiinstlerin sang oft iih Moscheles'schen Hause zum
Entziicken des Ehepaars, und dankte man ihr, so hiess es:
„Ach, Kinder, fur Euch singe ich ja gerne, aber denkt
Euan, eine steife englische Soiree, wo ich . stockstill stehen
muss und die Ladies mich darauf ansehen, wie ich. mich
benehme; das quetscht mir die Kehle zu, die Conductors
accompagniren auch nicht imrner, wie ich will; genug,
ich fiihle mich nicht frei, wie bei Euch."
Die italienische Oper hatte einen neuen Director, Monk
Mason, der sich fiber den nie geahnten Glanz seiner Un-
ternehmung in grosssprecherischen Reden erging. Seitie
erste mittelmassige Truppe ward freilich spater durch die
Cintiund den uniibertrefflichen Lablache abgelost; dennoch
endete die ganze Prahlerei in einem Bankerott. Der
Mann war Ir lander; die englischen Theater spielten ihm
ubel mit. Er hatte die Partitur von „Robert le Diable"
fur England gekauft; doch kaum war der Clavierauszug
erschienen, als englische Theater-Directoren dariiber her-
■fielen, ihn von englischen Arrangeurs instrumentiren, mal-
traitiren und von englischen Sangern singen liessen. ;,Ich
wohnte einer solchen Aftervorstellung bei", sagt Moscheles,
„und fand in dem Machwerk „The Demon" betitelt, Meyer-
beer's beste Intentionen griindlich zerstort. Nur die schone
Scenerie und die Unkenntniss des Publicums konnten
diese Vorstellungen vor einem ganzlichen Untergang
schiitzen. In Coventgarden wollten sie nun wieder mit
Drurylane rivalisiren und brachten eine bessere Nach-
ahmung mit besseren Sangern zu Stande, aber Meyerbeer
war es immer nicht."
Am 31. Marz wurde Haydn's hundertjahriger Ge-
burtstag durch ein grosses Festessen gefeiert, worii-
ber das Tagebuch berichtet: „Zweiundneunzig Manner,
grosstentheils Musikprofessoren wohnten dem Feste bei;
die Damen nahmen von der Gallerie aus theiL Barry
Cornwall hatte eine Arie zum Preise des Verewigten
gedichtet, Neukomm in seine Festcomposition eine Aus-
wahl der schonsten Motive seines Meisters eingefloch-
16*
— 244 — ■ .
ten; J. B. Cramer, Field, Bohrer und ich spielten, mart
gab Chore aus der j,Sch6pfung" und die Feier war musi-
kalisch eine wiirdige. Die Toaste aber verdarben Alles.
Man trank nicht nur auf den unsterblichen Haydn, nein,
auch auf alle anderen heimgegangenen und lebendigen,
an- und abwesenden musikalischen Beriihmtheiten, und so
erschienen einige der ausiibenden Finger schon etwas-
schwer, als es aim zweiten Theil kam; wir Deutschen
waren bei dieser Gelegenheit entschieden im "Vortheil."
In diesem Jahre nahm Lord B., der Componist von
viel adliger Musik, den Prasidentenstuhl beim Festmahl
der Royal Society ein, und man musste mit dem Dessert
auch ein Terzett von ihm hinunterschlucken. In seinem
Hause gab es grosse Soireen mit Hinzuziehung von Kiinst-
lern; die Musik, grosstentheils aus den Opern Seiner
Lordschaft, die wenig begeisterten, die Steifheit des Tons
und die entsetzlich spate Nachtstunde machten diese Soireen
zu einer der unange'nehmsten Geschaftsangelegenheiten
der londoner Musikergilde.
Dagegen fiihrt Moscheles Manner auf, in deren Hau-
sern man nach guter ernster Musik auch fiir andere Un-
terhaltung Sinn hatte und manchmal herzlich lachen
durfte. Er erwahnt hierbei des beruhmten Komikers
Matthews, der in einem Privathause iiber die Eroffming
der neuen London-Briicke mit gewandtem Tonwechsel und
unter Einmischung von allerlei witzigen Ausfallen und
Wortspielen improvisirte.
Ein besonderes Interesse hatte fiir Moscheles das.
Haus des ihm befreundeten torystischen Parlamentsmit-
gliedes Fleming. Am 14. April sagt das Tagebuch
„Gestern war die Reformbill durchgegangen; heute dinir-
ten wir bei F's. mit mehreren members und horten die
Herren gern ihre politischen Ansichten auskramen. Aber
leider folgte eine grosse musikalische Soiree, in der die
ganze Partei vertreten war, der Herzog von Wellington
an der Spitze. Vor diesen Herren ist aber schlecht mu-
siciren, denn sie schenken hochstens einer italienischen
Sanger in einige Aufmerksamkeit. Clavier, ob von mir
Ov,V'
— 245 — • - ■ .
oder einem anderen Kiinstler gespielt, interessirt sie nicht.
Werde ich in solchen Soireen applaudirt, so denke ich,
•es geschieht aus Freude uber mein Wiederabtreten, sie
haben mich iiberstanden. Wir opfern solchen Soireen
mcglichst kurze Zeit und eilen heim, sobald es der An-
stand erlaubt."
Ja, die Hauslichkeit, sie war ihr eigentliches Ele-
ment; immer mehr Hebe und manche ausgezeichnete
Freunde verschonerten sie, und jetzt, wo so manches
Band gelost ist, bewahren die Ueberlebenden das warme
Gefuhl, das sie damals aneinander fesselte. Wir nennen
-die Namen der Privatpersonen nicht, urn ihnen nicht die
•Oeffentlichkeit eines solches Verhaltnisses aufzudringen,
doch werden Manche, welche diese Skizze lesen, sich da-
rin wiederfinden. Sie werden sich an gute Trio's und
Quartette erinnern, die sie den Hausherrn spielen horten,
der nie errniidete, wenn es gait, vor echten Musiklieb-
habern gute Musik zu machen. Zuweilen auch werden
sie seiner gedenken, wie er, an der belebten Unterhaltung
theilnehmend, zugleich fur den Notenstecher arbeitete,
iimgeben von einem Wust von Correcturen, nicht nur
seiner eigenen Arbeiten, sondern auch der Probedrucke
mancher in London publicirenden Freunde.
Chorley, der bekannte Kunstkritiker des Athenaum,
kam in diesem Winter nach London, wurde bald Haus-
freund und blieb der vieljahrige hochgeachtete und stets
dienstfertige , ja unentbehrliche Anhanger der Familie.
Auch der geschatzten Schriftstellerin, Mrs. Bowdich Lee,
miissen wir gedenken. Von Ouvier e'ine der grossten Na-
turforscherinnen genannt, war sie im Moscheles'schen
Hause ganz Freundin, oft belehrend, stets liebenswiirdig,
und iiberaus empfanglich fiir- musikalische Genusse. Auch
dies Verhaltniss konnte nur der Tod losen.
Das Tagebuch erwahnt der Ankunft Meyerbeer's
und mancher interessanten Zusammenkunfte mit dern lie-
benswiirdigen, geistreichen Gesellschafter, der, ein alter
Freund, sich bald heimisch im Hause fiihlte.
Die herzlichsten Sympathien schlagen wieder Mendels-
— 246 — '
sohn entgegen, der zur grossen Freude des Hauses Mo-
scheles am 23. April in London erscheint. „Wir hatten
ihn langst erwartet, aber ein leichter Cholera- Anfall hielt
ihn in Paris fest. Jetzt ist er zu uns Insulanern mit sei-
nem Schatz neuer Cornpositionen heruber geschwommen,
nun kommen wieder herrliche Tage."
Wollen wir diese naher beleuchten und uns die grosse
Intimitat der Beziehungen vergegenwartigen , so durfen
wir nur das Tagebuch reden lassen, welches das fast tag-
liche Zusamrnenkommen mit ihm bezeugt. Gleich am
24. April speist er mit Klingemann bei Moscheles. „Er
spielte zum erstenmal seine sogenannten Instrumental-
Lieder fur Clavier, spater „Lieder ohne Worte", und das
Capriccio in H-moll; Alles athmet Geist und Leben, die
Lieder eben so tief gemiithlich und innerlich, wie das Or-
chesterstuck dem Concertsaal angepasst. In meinem neuen
C-dur-Concert, das er zum erstenmal horte, gefiel ihm be-
sonders das Adagio."
25. April: „Zu Tische Mendelssohn und Klingemann
mit Meyerbeer und der so eben zur deutschen Oper an-
gekommenen Schroder-Devrient. Felix und ich spielten
seine vierhandige Symphonie, ich mein C-dur-Concert.
Die Schroder sang die Scene aus dem „Freischutz" ganz
vortrefFlich."
28. April: „Probe des Philharmonischen Concertes und
Kiinstlercongress. Mendelssohn, Meyerbeer, Lablache
Field und J. B. Cramer dort; Abends mit Meyerbeer in
seiner Loge den „Barbiere" von der Cinti und Lablache
gesehen; ausgezeichnet."
30. April: Heute spielte Mendelssohn uns seine Can-
tate „Die erste WalpurgisnacM" vor, die ich fruher in
Berlin gehort mid bewundert, die mir nun aber in ihrcr
Ueberarbeitung und mit ihren bedeutenden in Italien ge-
machten Veranderungen als ein pragnanteres Ganze er-
schien. Auch das zu der silbernen Hochzeit seiner Eltern
componirte Liederspiel „Die Heimkehr aus der Fremde'V
diesen reizenden musikalischen Seherz, spielte er, endlich
die Ouverture zu den „Hebriden". Auch ich musste ihm
— 247 — .
viel vorspielen. Die Einladung zu diesem Abend beant-
wortete er der Frau in folgenden Zeilen: „Ich danke
Herrn Moscheles sehr, dass er von meinen neuen Sachen
etwas sehen will und wenn er mir verspricht, zu sagen,
sobald es ihm zu viel wird, so schleppe ich einen Cab voll
Manuscripte herbei und spiele Sie sammtlich in Schlaf."
i. Mai (Sonn.tag). Mendelssohn und Klingemann schon
um ein Uhr. Ersterer schenkte mir die Partitur seiner
Ouverture zu den „Hebriden", die er in Rom am. 16. De-
cember 1830 beendet, spater aber fur die Herausgabe ver-
anderte. Oft schienen mir seine Sacben schon in der
ersten Anlage so schon und abgerundet, dass ich mir
keine Veranderung denken konnte und diesen Punkt dis-
cutirten wir auch heute wieder. Er blieb aber bei seinem
Princip des Aenderns. Ein herrlicher Spaziergang im
Park mit Mendelssohn und Klingemann brachte Friih-
lingsahnungen."
Weiter heisst es in einem Briefe der Frau: „Unsere
interessanten Tischgaste waren Haizinger's: er, der herr-
liche Tenorist, auf den die hiesige deutsche Oper stolz sein
kann, sie, schon und liebenswiirdig wie immer, ferner un-
sere grosse Schroder und unser noch grosserer Mendels-
sohn, Natiirlich war die Unterhaltung lebendig und die
bei den Damen so heiter, dass- sie viele Anekdoten zum
Besten gaben, und durch charakteristische Geberden illu-
strirten. Als nun eben die Schroder erzahlte „wie er sein
Schwert ziickte" und dabei ihr Tischmesser drohend ge-
gen Haizinger erhob, fiusterte mir Mendelssohn zu: „„Was
wohl John (der Diener) bei solcher unenglischen Lebhaftig-
keit denkt? Einer, der so etwas ansieht und nicht ver-
steht, was es bedeutet, bedenken Sie nur"" Dei-
Abend brachte die schonste Musik, Einer iibertraf den
Andern."
7. Mai: „Heute mit Mendelssohn bei einem Diner, wo
er nicht spielen wollte und Field es rechtungeniigend that."
8. Mai: „Gemuthlicher Abend mit Mendelssohn und
Klingemannj das Programm fiir unsere Soiree am 10. Mai
unter tausend Scherzen zusammengestellt,"
— 248 —
g. Mai: „In Meyerbeer's Loge der ersten deutschen
Vorstellung im italienischen Opernhause beigewohnt; es
war der „Freischutz" : Mme. Meric, Frl. Maschinka Schnei-
der, Haizinger und Hauser die Hauptsanger, Chelard Ka-
pellmeister. Alles ging gut, das Publicum rief enthusia-
stisch die Sanger wiederholt hervor. Uns machte die
deutsche Vorstellung grosse Freude."
10. Mai: „Unsere eigene grosse Soiree, bei der deutsche
und englische Musik sich glucklich vermahlt hatte."
Zwischen dem 11. und 16. Mai finden wir allabendlich
Zusammenkunfte, die der Freundschaft und den Musen
geweiht sind.
18. Mai: „Erste Vorstellung des „Fidelio", als Debut
der Schroder-Devrient, sie und Haizinger uniibertrefflich
und das Publicum den ganzen Abend so enthusiasmirt,
dass es die Ouverture, den Canon, den Chor der Gefan-
genen und zuletzt sogar, als die Sanger gerufen und
schon wieder abgetreten waren, noch das ganze finale
wiederholen Hess".
Nicht alien unseren Lesern wird folgende komische
Episode bekannt sein: „Die Schroder-Fidelio reicht ihrem
Florestan-Haizinger in der tragischen Kerkerscene das
Stiickchen Brod „das sie schon seit drei Tagen" fur ihn
im Busen verbirgt, er macht nicht Miene, es zu nehmen;
da, mit einem derben Zusatze, wahrend das Publicum in
Riihrung zerfliesst, niistert sie ihm wiithend zu: „Nehmen
Sie's doch, wollen Sie Butter drauf?"
20. Mai (Sonntag): , .Mendelssohn zum Fruhstiick, und
gleich den Tag mit Musik begonnen, sodann ergingen
wir uns gemeinsam im Park. Abends kamen Haizinger s,
ich probirte mit ihm die neue Variation, welche ich ihm
zum „Abschied der Troubadours" fur mein Concert schreibe,
und horte dazwischen die reizenden Anekdoten in den
verschiedensten Mundarten, die seine Frau der meinigen
erzahlte!"
J. B. Cramer's langweiliges Concert am 21. Mai ward
nur dadurch geniessbar, dass auch Mendelssohn es mit-
machte. In den folgenden Tagen finden wir Moscheles
— 249 —
mit Vorbereitungen fiir das auf den ersten Juni anbe-
raumte Concert beschaftigt.
24. Mai: „Zweite Vorstellung des „Fidelio", wonioglich
noch schemer, als die erste. Begreift man es aber, dass
die Direction den braven Cellisten Lee aus Hamburg
nach dieser Oper Variationen spielen, dass sieauch noch
einen Act aus „Othello" geben Hess? Wir konnten einer
solchen Geschmacklosigkeit nicht beiwohnen."
25. Mai: „Nachdem ich die wahrend der Saison un-
vermeidlichen neun Lectionen hinter mir batte, durfte ich
mich endlich an Mendelssohn's Gegenwart bei Tische er-
quicken; Abends war ich mitihm, KHngemann undHauser
in Mori's Concert, wo er sein reizendes phantasiereiches
Capriccio in H-moll spielte. Das Publicum, das sich im
vorjahrigen Mori'schen Concert an den Thiiren um Einlass
geschlagen, weil der Beneficiant mehr Karten verkauft,
als der Saal fassen konnte, kam, hierdurch zuriickge-
schreckt, diesmal nur sparlich."
28. Mai: „Vormittags Probe fur mein Concert {des
Mozart'schen Concerts fur zwei Claviere) mit Mendelssohn
in Erard's Fabrik. Er zu Tische bei uns und Abends zu-
sammen in's Philharmonische Concert. Der Triumph, den
er beim Spielen seines neuen G-moll-Concerts feierte, war
ein vollstandiger. Erfindung, Form, Instrumentation und
Spiel, Alles befriedigte mich vollkommen, das Stiick spru-
•delt von Genie."
29. Mai: „Mendelssohn zu Tische, und die deutschen
Kiinstler mir iiberraschend zu einer von meiner Frau
langst vorbereiteten Feier versammelt. Erst ein Prolog,
von Klingemann gedichtet, von Mme. Haizinger wunder-
schon gesprochen; er erklarte, dass mein morgender Ge-
burtstag schon heute gefeiert werde, weil man fur morgen
den allseitigen Pflichten in der Vorstellung des ;,Fidelio"
obliegen miisse. Ein Postpacket, das man mir brachte,
enthielt ein Blatt, auf dem Mendelssohn einen themati-
schen Katalog meiner Werke mit humoristischen Rand-
zeichnungen angebracht hatte. Man liess mir aber keine
Zeit, dies interessante Geschenk zu studiren; denn es er-
— 2 5° —
scholl vierstimmiger Gesang. Neue Ueberraschung. Die-
Schroder, Haizinger's und Hauser sangen einen Canon von
Mendelssohn iiber vier von Klingemann fur diese Gelegen-
heit gedichtete Zeilen, die Motive meines C-dur-Concerts
immer darin vorherrschend; es war eine reizende Feier
fur den Kiinstler und Menschen."
30. Mai: „Eine Nachfeier mit erster Handarbeit meines
funfjahrigen Tochterchens. Das Lectionenjoch blieb nicht
aus; Field's Morning-Concert als Intermezzo. Zu Tische
aber Mendelssohn, Klingemann und ihr beiderseitiger
Freund, Dr. Fritz Rosen." {Dieser, ein an der Universitat
von London habilitirtcr Orientalist, der leider friihzeitig
verstarb, war der Bruder des nachherigen Schwiegersohn's
von Moscheles, Dr. G. Rosen. Letzterer, von Alexander
v. Humboldt schon fruh zu wissenschaftlichen Reisen und
Zwecken verwendet, wurde spater preussischer General-
consul in Jerusalem, dann in Belgrad.) Auch im Juni
brachte die Anwesenheit Mendelssohn's noch mannigfache
kiinstlerische Geniisse. Er spielt mit Moscheles in dessen
eigenem Concert, dann Orgelfugen in der Paulskirche ganz
meisterlich und muss sein G-moIl-Concert unter erneutem
Beifallssturm zum zweitenmal im Philharmonischen Concert
vortragen. „Die ruhigen Abende (bemerkt Moscheles),
wo wir zusammen plaudern und musiciren, sind und blei-
ben unvergleichlich,' heute gingen wir sein vierhandiges
Arrangement des „Sommernachtstraums" sehr aufhierksam
durch; es soil eben im Druck erscheinen. Die Diners,
die wir mit ihm besuchen, sind nicht immer so interessant,.
wje das heutige bei Sir George Smart. Der gute Freund
hat sich trotz seiner sechszig Jahre mit einer viel jiingeren
vortrefflichen Frau verheirathet, die die Einweihung der
neuen Hauslichkeit wohl verdiente; die Musik war der
Gelegenheit wiirdig."
Weiter notirt Moscheles: „Mendelssohn ist, wie ich,
einVerehrer von Horsleys' glee {vierstimmiger Gesang)
„Cold is Cadwallo's tongue". Besser und der Situation
gemasser hjitte der celtische Held nicht besungen, sein
Tod nicht tragischer betrauert werden konnen, als in die-
— 251 —
sem Gesang . . . Wieder sind wir einer Meinung fiber
Paganini; er ist eben nach London zuriickgekehrt, und
spielte, iibte aber nicht den friiheren Zauber auf uns aus.
Endlich wird Einem die ewige Siisslichkeit doch zu viel."
Am 2$. Juni kommt der Freund zum Abschied. „Wir
waren sehr lustig, sprachen in Rathseln, mussten dann
aber doch traurig Lebewohl sagen."
In diesem Monat wirkte Moscheles auch in einem der
fashionablen Privatconcerte mit. Beliebte Sanger oder
Instrumentalisten erhalten mitunter von einer Dame der
hochsten Gesellschaft die Vergiinstigung, in ihrem Hause
Concert geben zu durfen. Sie selbst sucht ibre Bekannten
hineinzuziehen, der Concertgeber verzichtet auf das kost-
spielige Orchester und begnugt sich mit einer Clavierbe-
gleitung und den Guineen, deren eine fur jedes Billet er-
legt werden muss. Unter dem Einrmss der hohen Wirthin
sind solcbe Concerte stets von der eleganten Welt iiber-
fiillt und der Ton dem einer Gesellschaft ahnlich. Oft
hort man da die grossten KLiinstler, oft aber haben sie
auch einem armen Schlucker aufgeholfen oder einen Wohl-
thatigkeitszweck gefordert; man sah daher gern uber ihr
mitunter abgedroschenes Programm, oder iiber die unter
ihnen verborgene Eitelkeit der Modenwelt hinweg.
Um einen Einblick in das geschaftige Leben Moscheles r
zu gewahren, greifen wir folgende Tagebuchnotiz vom
24. Juni heraus: „Als Sonntagsfreude einmal bis acbt Uhr
geschlafen; dafiir aber schon wahrend des Anziehens den
kleinen Litolff iiben horen, der gekommen war, um seine
versprochene Lection zu nehmen. Also schnell gefriih-
stuckt; aber schon bei der ersten Tasse Caffee erschienen
die Damen B., die so lange blieben, dass ich mich ent-
schliessen musste, dem Litolff seine Lection in ihrer Ge-
genwart zu geben. " Zum Ueberfluss kam noch der Pianist
L. aus Wien mit dem Beinamen „der Hassliche" hinzu,
in Gesellschaft seines vierhandigen Rondo, das denselben
Beinamen verdient. Es zeichnet sich durch ein Rossini'-
sches crescendo aus, Die Famih'e Eichhorn, die sich eben
meldete, erbot sich, zu warten, wahrend ich mich einer
— 25 2 —
langst ariberaumten ' zahnarztlichen Operation unterzog.
Gleich nach dieser genoss ich die Freude, mir von den
beiden Knaben Eichhorn vormusiciren zu lassen, und zum
Schluss trat ein musikalischer Freund ein, dem ich bis in
die Nacht hinein vorspielen musste." .
Der Juli gleicht einigermassen dem Juni, nur dass ein
„poco a poco decrescendo" eintritt.
Vom 14. August an verlebte man' bei Hamburg - mit
lieben Verwandten eine gliickliche Zeit in landlicher Ruhe.
Glucklich leben hiess aber fur Moscheles componiren und
musiciren und dies geschah privatim mit den besten Kraf-
ten der Stadt, offentlich zum Besten des Pensionsfonds
verarmter Musiker.
Am 4. October ging es weiter nach Berlin, um dort
ein Wiedersehen mit Moscheles' Mutter zu feiern, die dort-
hin gereist war, um die Familie zu treffen. Die vortreff-
liche Frau, die mit ganzer Seele an dem Sohn und seiner
Frau hing, hatte hier zum erstenmal das Ghick, sich ihrer
Enkel zu freuen und genoss es in vollen Ziigen.
Der grosste Anziehungspunkt war natiirlich fur Mo-
scheles Felix Mendelssohn und sein elterliches Haus. Dort
waren sie taglich zu irgend einer Zeit, dort wurde Musik
fur das Herz gemacht, dort vertraulich uber Geschafte
mit Felix' Vater berathen. Moscheles sagt: ,Jch ube mich
taglich auf Felix' prachtigem Erard, den er mir auch
zum Concert leihen will; wir phantasiren oft zusammen
darauf, und Jeder von uns sucht die von dem Andern
untergelegten Harmonien blitzschnell aufzufangen und da-
rauf weiter zu bauen. Dabei hat Felix die Sucht, jedes
Motiv aus einer seiner Compositionen, das ich bringe, so
schnell als moglich durch eins der meinigen zu unter-
brechen und abzuschneiden , was uns Stoff zu herzlichem
Lachen gibt. Es 1st oft wie ein musikalisches Blindekuh-
spiel, bei welchem die Tappenden zuweilen mit den Kopfen
gegen einander rennen!"
Am 11. October wohnte Moscheles einer genussreichen
Auffiihrung der Walpurgisnacht in Felix' elterlichem Hause
bei; die Soli wurden von Mantius, den Devrients und
-ro- -■■
■'.■■■' ! '.
— 253 — ■ ■
Frau Thiirschmidt ausgefiihrt. Auch die vierhandige
Beethoven-Polonaise und Moscheles' Sonate in Es durften
nicht fehlen; Mantius und Devrient sangen aus dem Lie-
derspiel: JDie Heimkehr aus der Fremde". „Es war em
reizender Abend." Am 14. October gedenkt das Tagebuch
einer ahnlichen Soiree im Mendelssohn'schen Hause.
Zu allseitiger Freude war auch Neukomm in Berlin
angekommen, und man horte mit Felix eine Auffiihrung
seiner „Zehn Gebote" in der Singakademie, so wie die
erste Vorstellung des Crociato, am Geburtstage desKron-
prinzen. Leider war der Crociato ganz heiser, Frau
Kraus-Wranitzky aber eine vortreffliche Palmyra, die
Manner nicht ausgezeichnet, Chore und Decorationen
prachtig. In der so eben eroffheten Gemaldeausstellung
bewunderte man das Meisterwerk des einundzwanzig-
jahrigen Eduard Bendemann „Die trauernden Juden"; das
Interesse an dem Kunstwerk wurde noch durch die per-
sonliche Bekanntschaft des liebenswiirdigen bescheidenen
jungen Kiinstlers erhoht.
Spater sagt Moscheles: ,,Ich zahle es auch zu den
Geniissen dieses kurzen ber liner Aufenthalts, dass ich
Schleiermacher predigen horte, aber leider nur einmal."
Am 17. d. M. fand Moscheles' Concert in der Oper
bei iiberfiilltem Hause statt, woriiber- er berichtet: „Mein
Drittel der Einnahme betragt 301 Thlr. netto. Graf
Redern, Intendant der koniglichen Oper, kam mir dabei.
sehr freundlich entgegen, und das Publicum beehrte mein
C-dur-Concert, die danische Phantasie und eine Improvi-
sation uber „che faro, voi che sapete" und „namenlose
Freude", mit einem Enthusiasmus , der mich riickwirkend
begeisterte ... Es war mir auch ein wonniges Gefiihl,
Mutter und Frau in einer Parketloge zu sehen. Felix,
soupirte mit uns bei Jagor sehr heiter."
Am folgenden Tage, dem letzten in Berlin, war noch
eine Morgenmusik bei Mendelssohn's. Felix spielte die
C-moll-Sonate von Beethoven mit dem Geiger Ries, Mo-
scheles sein Trio, dessen Scherzo er wiederholen musste.
Bei Tische redete die ganze Familie ihm zu: noch einmal
— 254 —
in der Oper zu spielen, so dass Felix aufsprang und zu
Redern lief, um ihn zu fragen, ob sich bis Sonntag etwas
arrangiren liesse? Der Bescheid aber, es ginge erst nach
Mittwoch, befestigte Moscheles' Entsehluss, sogleich abzu-
reisen; doch nahmen sie Felix' Versprechen mit, er wolle
im Friibjahr in London be! ihnen zu Gevatter stehn, und
schenkte der Himmel einen Knaben als Ersatz fur den
verlorenen Liebling, so sollte er Felix heissen.
Nun ging's die Nacht durch nach Leipzig, wo im Hotel
de Baviere abgestiegen wurde, Die Subscription fur das
dortige Concert trug bereits 200 Unterschriften, so dass
Moscheles sogleich bei Wieck ein gutes englisches Instru-
ment probirte, welches er ihm zum Concert zu leihen ver-
sprach.
Das Tagebuch erzahlt hierauf von gastfreundschaft-
lichen Zusammenkiinften; dann heisst es: „Bei Wieck ge-
iibt und mir von seiner kleinen iiberans begabten Clara
vorspielen lassen."
Am 22. October fand das Concert unter grossem Zu-
drang und enthusiastischem Beifall statt, und bereits am
folgenden Tage wurde um 9 Uhr Vormittags davon
gerollt. Das reizende Wetter machte die Reise nach
Weimar zur wahren Lustfahrt. Am 24. October verzeich-
net das Tagebuch Besuche bei J. N. Hummel, Frau
v. Goethe und Anderen.
Am 25. wurden sie. zum Dejeuner bei Frau v. Goethe
geladen. „Da gab es viel besternte und betiteltePersoneiu
die viel aus mir und meinem Spiel machten, wahrend
meine Frau und ich es beklagten, dass der grosse Genius
des Orts, Goethe, vor einigen Monaten gestorben war.
• Zwar befanden wir uns in seinem Hause, doch nicht ein-
mal seine eigenen Zimmer konnten wir sehen, da Alles
darin noch ungeordnet und desshalb Niemandem zugang-
lich war. So konnten wir zum Andenken an den grossen
Mann nur einige Facsimile's, die letztgepragte Medaille
und eine Haarlocke, die Frau v. Goethe uns schenkte, er-
halten. Die Dam en des Hofes in der Goethe'schen Ge-
sellschaft meinten: „Die Hoheit werde mir den Sonntag
zu einem Concert frei machen, sie sei mir sehr huldvoll ge-
sinnt." Der Grossherzog aber wollte zwei fremde Gesandten
empfangen, was hinderlich dazwischen trat. Es blieb da-
her bei dem einzigen Hofconcert, zu dem ich mich vor
meiner Ankunft engagirt batte; die Herrschaften war en
ausserst gnadig und uberreichten mir einen mit Brillanten
besetzten Amethy string."
26. October: „Zu Tische bei Hummel's; mit ihm vier-
handig pbantasirt; die Zuhorer entziickt. Aber mir war's
kein Felix. Schnell in unsere Reisekleider geworfen und
nacb Erfurt gefahren."
Am 28. October Abends langten sie in Frankfurt an,
wo sich neue Schwierigkeiten wegen eines rasch zu ver-
anstaltenden Concerts fanden. „Meine Kunstbriider Schelble,
Schnyder v. Wartensee, Rosenhain, Wolff, Guhr und
Andere wussten micb aber zu bereden, bis zum 7. Novem-
ber zu warten, was idi ungern that."
Mittlerweile geniesst er, was sicb ihm bietet und besucht
unter Anderen audi Hofrath A. in Offenbach, iiber den A*Jt£
er sagt; „Er drang mir seine Gelehrsamkeit scheffelweise
auf und wollte mir aus jeder Zeile seines soeben erschei-
nenden Lehrbuchs beweisen, dass noch Niemand vor ihm
die musikalische Setzkunst verstanden, viel weniger darii-
ber zu schreiben gewusst habe. . Noch zeigte er mir eine
von Mozart unbeendigt gebliebene Oper Bettuha Liberata.
Das gedruckte Textbuch ergiebt, dass Gassmann 1786
Musik dazu geschrieben hat. A. hat es unternommen,
das Werk zu erganzen und zeigte mir die Partitur seiner
Ouverture, die ich spielte und die Werth hat."
Am 7. November ging endlich Moscheles' Concert
-glucklich von statten; er hatte ihm mit Ungeduld ent-
gegen gesehen, weil ein in London gut gestellter Kiinstler
fur Continentalunternehmungen gar zu grosse Geldopfer
bringen muss, selbst wenn sie so vollkommen gelingen,
wie die seinigen auf dieser Reise.
Von Frankfurt aus hatte er noch ein Concert in Koln
-zu geben, lehnte dann aber alle fernereii Antrage ab und
■ — 256 —
eilte nach London zuriick. Das Tagebuch ergeht sich in
Dank fur die gliickliche Heimkehr der Familie, in Freude
iiber den musikalischen Besuch, den er den Kunstbriidern
in Deutschland abgestattet, und in Befriedigung iiber ihre
Anerkennung und schliesst mit den Worten: „Sollte man
es glauben? heute am ersten Tage nach meiner Riickkehr
schon einer der langstharrenden Schiilerinnen eine Lection
gegeben !"
Klingemann, F. Rosen und andere Freunde fanden
sich rasch ein. Der kleine Litolff spielte viel bei Moscheles
und machte bedeutende Fortschritte. Moscheles schreibt:
„Meiner Gewohnheit getreu, am Geburtstage meiner Frau
etwas neues zu componiren, begann ich auch dies Jahr —
aber nicht, wie friiher, eine Kleinigkeit, sondern mein
Septett, welches ich im Auftrage der Philharmonischen
Gesellschaft componire. Zwei Jahre lang soil es ihr
atisschliessliches Eigenthum bleiben, dann kann ich es
einem Verleger iiberlassen."
Da er allabendlich viel arbeitete, so war es ihm keine
angenehme Unterbrechung, als man ihn aufforderte, nach
Brighton zu reisen: Der Hpf sei anwesend, ein dortiger
Freund habe Alles vorbereitet, er werde sogleich bei seiner
Ankunft vor den Majestaten spielen, die ihn zu horen
wunschten. Um das Gegentheil dieser Aussage zu be-
kraftigen, geben wir das Tagebuch, wie Moscheles es da-
mals schrieb:
,,11. December 8 Uhr Abends nach Brighton —
mit Goethe's Gotz allein inside. — Um zwei Uhr ange-
kommen, Brief abgegeben, Niemanden getroffen. Grosses
Leben in den Strassen wegen bevorstehender Wahlen.
Die Parteien durchzogen die Strassen mit Musikbanden
und Hurrahgeschrei. Einsam ins Theater, leer und kalt,
es wurde die Farce „Harvest Home" gegeben; das Tanz-
Divertissement war einschlafernd, aber Mr. und Mrs. Keeley
in Master Rival ausgezeichnet .
12. December. Trotz eines Rendezvous, welches mir
der Oberkapellmeister Sir Andrew Barnard um zehn Uhr
im Pavilion (dem koniglichen Schlosse) gegeben hatte f
' — 257 -- " ■' • .. :. : , ■ " ■ '^
traf ich ihn zu keiner Stunde. Auch Dr. Davis, der mich
durch eine Karte auf zwei Uhr zu sich bescheiden liess,
war nicht zu sehen. Meine grosse Anhangerin, Lady C,
der ich dies klagte, musste, wie ich, befiirchten, Sir An-
drew sei mir feindlich und nur Italienern freundlich ge-
sinnt. Sie schrieb ihm, und verlangte Aufklarung. Dies
verschaffte mir die Ehre seines Anblicks. Ich wiisste
langst,- sagte .er, dass ich heute Abend bei Hofe spielen
sollte. — „Wieso?"fragte ich. — „„Hat Ihnen Dr. Davis
Nichts gesagt?"" — „Nein!" — Hierauf einige hofLiche
Phrasen seiners eits, und der Antrag, den Erard im Pa-
vilion zu probiren; ich fand ihn angequollen und steif,
weil er lange in einem kalten Salon gestanden, musste
mich aber doch liber Hals und Kopf zu seiner Benutzung '" '
vorbereiten und fand nicht einmal Zeit mit der koniglichen
Kapelle zu probiren. Mit dieser traf ich nun Abends bei
magischer Beleuchtung in dem phantastisch decorirten
Musiksaal des Pavilions zusammen. Das Ganze machte
einen feenartigen Eindruck. Konig William IV. und Ko-
nigin Adelaide erschienen mit der koniglichen Familie
und setzten sich ans entfernteste Ende des Saales, der
Hofstaat auch weit vom Clavier weg, und ich wurde nicht
vorgestellt. Ich spielte meine neue. Phantasie iiber eng-
lische Nationallieder, die der Konigin dedicirt waren. Der
Konig allein naherte sich wahrend dieser dem Clavier und
schien zuzuhoren, nickte sogar herablassend, als ich auf-
stand; sein Mund blieb aber stumm. Die Gesellschaft un-
terhielt sich laut. Sir Andrew forderte mich auf, Orgel
zu spielen, und spater musste ich die Kapelle (ein ziem-
lich ungeschultes Doppelquartett), in einigen Vortragen aus
der „Sch6pfung" begleiten. An meinen Alexander- Varia-
tionen und der Improvisation nahmen nur die Princess
Augusta und die Marchioness of Cornwallis, trotz grossen
Gerausches im Saal, Antheil. Noch wurden Stiicke aus
„Robert le Diable" von der Kapelle ausgefuhrt und end-
lich mit „God save the King" geschlossen. Der Hof zog
sich zuriick, nachdem Sir Andrew der Konigin das Exem-
plar meiner englischen Phantasie iiberreicht, eine Ehre,
Moscbeles' Leben. 17
— 253 ■—
um die ich fiir mich arigehalten, die er mir aber ver-
weigert hatte. Er fertigte mich wieder mit einigen hof-
"lichen, hofischen Phrasen iiber die Zufriedenheit Ihrer
Majestaten ab, und die Gesellschaft wechselte kein Wort
mit mir."
Kein Wonder, dass Moscheles Brighton argerlich ver-
liess, aber die Freude, wieder bei den Seinigen zu sein,
verwischte bald diese unangenehmen Eindriicke. Mr. Gri-
mal, ein grosser Musikenthusiast brachte ihm Beethoven's
Messe (op. 123), die er noch nicht kannte, und die auch in
London noch nicht gehort war, mit der Bitte, sie bei
einem Mr. Alsager zu dirigiren. Dieser, cin Mitarbeiter
an der „ Times", schrieb nicht nur seinen City-Artikel sehr
gut, sondern trieb aitch die Beethoven- Verehrung bis zum
Fanatismus. In seinem grossen Musiksaal wurden Beet-
hoven'sche Werke mit ganzem Orchester gegeben. Am
23. December schwang Moscheles zum ersten Mai bei einer
Aufiuhrung den Dirigentenstab iiber dieses freilich zum
Theil aus Dilettanten bestehende, aber doch sehr gut
eingespielte Orchester. Von da an musste er es ofters
dirigiren. „Ich hatte mich", schreibt Moscheles, „ih das
kolossale Werk (die Missa solemnis) durch Studium ganz
versenkt. Zuweilen erschienen mir einzelne Phrasen nicht
auf dem Hohepunkt kirchlicher Musik; doch diese fielen
gegen den Geist, der das Ganze belebt, wie Arabesken
einer Zeichnung weg. Der Enthusiasmus meiner eng-
lischen Freunde fachte auch meinen Eifer an, die Compo-
sition in gehoriger Auffassung zu geben. Miss Novello
sang ganz vortrefflich, auch Miss H. Cawes that ihr
Bestes. Das „Benedictus" mit dem himmlischen Violin-
Solo (Mori) entziickte Alles."
Nachdem sie am 24. December wieder das schone
Weihnachtsfest gefeiert, beendete Moscheles am 25. in der
Festtagsruhe die Skizze des Septett- Adagio's, instrumen-
tirtef copirte die Stimmen in den nachsten Tagen und
hatte die Freude, es am 31. December vor einigen musi-
kalischen Freunden mit grossem Erfolg probiren zu
konnen.
— 259 —
Das alte Jahr wird musicirend beschlossen und das
TDeginnende neue mit dem Punschglase in der Hand und
.tausend guten Wiinschen begriisst.
1833.
Der Jahresanfang ward der Fortsetzung des Septett
: gewidmet, von dem Moscheles bis dahin nur zwei Satze
beendet hatte ; dann besorgte er die Copirung der Stimmen
mit der ihm eig-enen Genauigkeit. Spater ward ihm das
Stuck besonders lieb, weil Mendelssohn, dem es gefiel, in
seiner kindlich bescheidenen Art fragte: „Erlaubst du,
dass ich es zu vier Handen arrangire?" Und dann wieder,
wahrend der Arbeit: „Gefallt es dir auch? Hattest du es
doch selbst besser gemacht" .... Wir pflegten solche Reden
wohl lachelnd seine „frevelhafte Bescheidenheit" zu n en-
Tien, waren aber doch iiberzeugt, dass der grosse Kiinstler,
den eigenen Werth verkennend, aufrichtig meinte, was er
sagte.
Ein Engagement zu C oncer ten im Norden Englands
bringt uns folgende Ausziige aus Briefen an die Frau:
„York, 4. Eebruar Nachts halb zwolf Uhr nach dem
Concert. Ohne unbescheiden 2u sein, darf ich behaupten,
dass ich heute der Einzige war, der mit Beifall beehrt
wurde; denn es war nichts da, als ein Sanger "W. W.,
■einige glees, nebst einigen miserablen Ouverturen, in wel-
chen die Flote allein Tragerin der Harmonien war. O
Jammer!! Ejne andere Haut, als ich, ginge drauf — aber
ich konnte sie anhoren, ohne in Ohnmacht zu fallen. Ich
versichere Dich, dass ich meine Nerven so zusammen-
halten musste, wie ich es etwa zu thun hatte, wenn ich
«iner Hinrichtung beiwohnte. Ich ward nicht nur mit
Beifall aufgenommen, sondern musste zweimal phantasiren.
Der Sanger Mr. W. wollte die Midnight Review mit
Orchester singen, und ich gab mir bei der Probe alle
2fiO ; ' ■ '
mogliche Miihe, sie in Gang zu bringen — aber da war
so wenig Lebensgeist herauszubringen, wie aus Kiesel-
steinen. Ich rieth ihm,- das Orchester aufzugeben und
erbot mich die Composition vom Tode zu retten, indera
ich sie accompagnirte. Friih um sechs fahre ich mit der
mail nach Sheffield, und da ich noch meinen Concertanzug
packen muss, so muss ich schliessen ....
Sheffield, 5. Februar Naclits elf Uhr nach dem Con-
cert. Heute hatte ich einen bewegten Tag, und wahrend
ich Dir schreibe, fiihle ich mich wie ein Stagecoach - Pferd,
dem nach vollbrachter Arbeit bei der Ankunft an der
Station alle Muskeln damp fen. Also um fiinf Uhr stand
ich auf, um sechs Uhr fort, halb zwei Uhr hier, schon an
der Kutsche empfangen, gleich in die Probe, dann zu
Tische zu Barker (ein Freund, Besitzer eines Marmor-
bruches). Grosser Enthusiasm us im Concert. Den „Fall
of Paris" sollte ich wiederholen, spielte aber nur das Fi-
nale zweimal und Hess mich durch das gewaltige Klat-
schen doch nicht zu zweimaligem Phantasiren verlocken,
sondern verbeugte mich nur pflichtschuldigst,
Mittwoch Nachmittag. Ich komme eben aus der Kirche,
wo Neukomm's „Zehn Gebote" zum erstenmal aufgefuhrt
wurden. Ich sage Dir nichts Ausfuhrliches dariiber —
nur dass es allgemein angesprochen hat — well ich mir
in meinem Textbuch viele Notanda gemacht habe, um
Dir Alles miindlich mitzutheilen. Der Brief muss fort". -
Er selbst eilte ihm bald nach, und kaum war er nach
London zuriickgekehrt , so ward ihm ein Sohn geboren.
Unendliche Freude in der Familie! Moscheles schreibt:
,,Ich blieb die halbe Nacht auf, um den Verwandten und
dem zukunftigen Pathen Felix die frohe Nachricht zu
m'elden und letzterem unsere HofEnung auszusprechen, dass
er kommen und das Kind selbst iiber die Taufe halten
werde.' '
Der hier folgende Brief Mendelssohn's, mit der beige-
gebenen Federzeichnung geschmuckt, beantwortete um-
gehend die Meldung des Freundes:
261
«^LyS s-UiacAtAj
Da sind die Blasinstrumente zu den Geigen; denn so
lange darf der Stammhalter nicht warten bis ichhinkomme,
sondern er muss ein Wiegenlied mit Pauken und'Trom-
peten und Janitscharenmusik haben, die blossen Geigen
sind lange nicht lustig genug. Viel Gluck und Freude
und Segen fiir den neuen Menschen; es soil ihm sehr gut
gehen, und er soil gut werden, was er wird, und es moge
Ihm wohl in der Welt zu Muthe sein. Also Felix soil er
heissen? Das ist sehr lieb und schon von Euch, dass er
nun mein ordentlicher Pathe in forma wird, und mein
■erstes Pathengeschenk ist obiges ganze Orchester, das soil
ihn sein Leben durch begleiten: die Trompeten, wenn er
beruhmt werden will, die Floten, wenn er sich mal ver-
lieben wird, die Becken, wenn er einen Bart bekommt,
das Clavier erklart sich selbst, und wenn ihm die Leute
einmal iibel mitspielen, wie sie das jedem wohl einmal
thun, so stehn die Pauken und die grosse Trommel im
Hintergrund- Ach Gott verzeih das dumme Zeug; aber
mir ist gar sehr lustig, wenn ich an Euere Lustigkeit
denke, und an die Zeit, wo ich viel davon abbekommen
— 262 —
will. Ende April spatestens will ich in London sein unci
dann wollen wir dem Jim gen einen ordentlichen Namen und.
Eintritt in die Welt geben, eine Lust soli's werden.
Auf Dein Septett freue ich mich aber nicht wenig;
Klingemann hat mir elfNoten daraus geschrieben, namlich::
=&
_#_frfcfc* — l ^3Z-±r- — und die gefallen mir gar sehr
gut; ich kann mir denken, wie das ein lebendiges, heiteres.
letztes Stiick geben muss. Auch hat er mir das B-dur-
Andante gut beschrieben und erzahlt, aber wenn ich's
selbst hore, ist es doch noch besser. Erwarte nicht zu
viel von meinen Sachen, die ich mitbringen werde. Du
wirst die Spuren des Missmuths, aus dem ich mich erst
langsam und schwer herausarbeiten kann, gewiss oft fin-
den; es ist mir oft gewesen, als hatte ich noch gar nicht
componirtund nuisste erst wieder anfangen, alles zu lernen;
doch bin ich jetzt schon mehr darin und die letzten Sachen-
werden besser klingen. So war es auch hiibsch, dass
Dein Brief mich wirklich so recht im Componiren und
allein und ruhig auf meiner Stube traf, wie Du sagtest
und so wiinsche ich, dass Dich meine Antwort hier froh
und heiter Abends in Deinem Hause, im Kreise der ge-
sunden Deinigen antreffen m6ge; nun wollen wir sehen,
ob ich so viel Gliick mit Wiinschen haben werde, als Du..
Ich bin in Eil und werde schliessen, ich hatte nur eine
halbe Stunde Zeit, Dir zu schreiben, und die schdneMalerei
hat mich fast die ganze Zeit aufgehalten. Aber ich weiss
auch weiter nichts Neues zu sagen, als: Gliick und Fort-
dauer, und auf Wiedersehen. Die Meinigen sind sammt-
lich wohl und griissert Dich und freuen sich iiber Deiru
Gliick. Nur mein Vater leidet fortwahrend sehr an den
Augen, und wir sind dar iiber sehr betriibt, da es auch
ihn oft verstimmt; wenn er nur bald Besser ung spiirte.
Meine Schwester und ich machen jetzt viel Musik, und
alle Sonntage Morgen mit Begleitung, und eben habe ich
vom Buchbinder einen ganzen grasgrvinen Band Moscheles.
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— 263 —
bekommen, well nachstes Mai Dein Trio gespielt wird.
Aber lebewohl, lebewohl und bleibe gliicklich. Dein
Berlin, 27. Februar 1833.
Felix Mendelssohn-Bartholdy,
Der Frau schreibt er:
Berlin, vj. Februar 1833.
Liebe Madame Moscheles!
Wenn ich Ihnen heute auch nur wenige Zeilen schreiben
kann, so muss ich doch meinen Gliickwunsch und meine
Freude Ihnen bringen und Ihnen sagen, wie ich mich in Ihre
Seele hinein iiber das frohe Ereigniss freue. Wie schon
ist es, dass ich nun den neuen Ankommling bald person-
lich kennen lerne, und dass er meinen Namen bekommt;
bitte, warten Sie nur ja, bis ich da bin, damit ich- Ihre
damalige Einladung zur Taufe auch wirklich annehmen
kann; ich eile mich gewiss so viel ich kann, und komme
so friih es geht. Auch das ist gut, dass es ein Knabe
ist; der muss ein Musiker werden, und was wir Alle
machen mochten und nicht konnen, das moge ihm vorbe-
halten bleiben, oder auch nicht. Es ist einerlei, denn ein
guter Mensch wird er werden, und das ist die Hauptsache.
Ich sehe freilich schon jetzt, wie ihn die beiden alteren
Schwestern, die erwachsenen Misses Emily und Serena
tyrannisiren; wenn er erst vierzehn Jahre alt ist, da wird
er manchen Seitenblick zu leiden haben iiber seine" langen
Arme und seinen zu kurzen Rock und seine schlechte
Stimme, aber nachher wird er ein Mann werden; dann
protegirt er die beiden wieder und erweist ihnen mancher-
lei, und muss sich- auf manchen Soireen ihretwegen als
Begleiter ennuyiren. — Sie haben auf mich wohl ein we-
nig oder gar sehr geziirnt wegen meiner Schreibtragheit,
aber verzeihen Sie mir nur, ich will mich auch gewiss bessern.
Zumal freilich, wenn ich erst in London bin und meine
Antworten und Fragen immer selbst hintragen und im-
provisiren kann; aber auch sonst. Meine Schwestern
lasseu Ihnen tausend Wiinsche und Griisse sagen, ebenso
meine Eltern, und wir Alle freuen uns herzlich und gratuliren
— 264 —
sehr zum ersten Sohn. Ich muss jetzt das letzte Stuck
von meiner Symphonie anfangen, unci das liegt mir in den
Fingern und verdirbt mir meinen Styl, und*ninrmt mir
die Zeit. Entschuldigen Sie die eiligen Worte, wie Sie
gemeint sind, wissen Sie.
Ihr ergebener
Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Die Philharmonische Gesellschaft erging sich in die-
sem Winter in den heftigsten Dobatten iiber eine Local-
veranderung. In den Argyllrooms waren Logen fur den
bessern Theil des Publicums, im Hanover square Saal nur
die eine grosse (konigliche Loge genannt, weil man sie
fur den Hof reservirte). Ein heftiger Streit entbrannte
fiir und gegen die Einrichtung von Sperrsitzen und wurde
endlich mit Nein entschieden. „Das Orchester, das in dem
neuen Saal neu aufgestellt worden war r indem wir die
Basse mehr vertheilt und in den Hintergrund gebracht
hatten als fruher, probirte die Ouverture zur „Zauberft6te",
und es ergab sich eine gute Wirkung." Das Tagebuch
giebt einige der Programme wie folgt:
2;. Februar: Symphonie von Mozart und Haydn; Wilkraann, Clarinetl-
Concert von Spohr; Mori, Quintett von Beethoven (mcht grossartig gemi£')
Ouverture zu „Oberon", und „Demophon" von Vogel u. 5. w.
11. Marz: Symphonieen von Spohr und Beethoven (in A). Miss Masson
und Mr. Horncastle sangen.
25. Marz: Symphonien, Mozart (D), Beethoven (Pastorale).
Chelard's Ouverture zur „Mitternacht", von ihm selbst dirigirt, war
eine massig anziehende Novitat; moderne Knall-Effecle und ein vierstim-
miger Choral mit Orgelbegleitung wechseln darin ab. Spagnoletti geigte
cin Quartett von Beethoven; Nicholson, Flotist, eigenes Concert (massiger
Nordostwind).
Am 15. April spielte ich mein, fiir die Gesellschaft gesdiriebenes
Scptett rait Dragonetti, Lindley. Mori — genug, mit den ersten Kraften
und herzlicher Anerkennung, die ihr Echo in der Presse fand.
Am 13. Mai war Mendelssohn der Juwel des Concerts, indem er
seine herrliche A-duv-Symphonie zum ersten Mai mit dem rauschendsteii
Beifall gab, und Mozart's Concert in D einfach scho'n und edel vortrug.
De Beriot's Violinconcert war aber mindestens eine Perle zu nennen und
.*-< ': ".. '' r '^V- "7 ^U'W-- -.T.'-' ^ \ *^' f ;V-- ^V.;
— 26s
-die Cinti und Rubini sangen so schon, dass dies Concert das interessan-
teste der Saison genannt zu werdeu verdient.
27. Mai: Symphonie von Potter, und Neukomm's Orckesterphantasie
iiber einige Stellen von Milton's Paradise lost, waren die Orchester-Novt-
taten, wurden gut ausgefuhrt und ge&elen. Auch Huminel's F-dur-Concert
von ilim selbst gespielt, war neu und ward gut aufgenommen. Die Pasta
und Tamburini sangen herrlich.
Der Gesang der Malibrati und eine erste Auffiih-
rung- von Mendelssohn's Ouverture zu „Ruy Bias" wur-
den noch zum Schluss der diesjahrigen Concerte gehort
und Moscheles fur das nachstfolgende wieder zum Mit-'
director erwahlt.
Ein zweites Institut „Societa Armonica" genannt, fand
in dieser Saison seinen Untergang. Von einem braven
Schiiler Moscheles 1 , Mr. Forbes, gegriindet, konnte es sich
trotz der Tuchtigkeit des jungen Mannes doch nicht halten.
Auch in Privatunternehmungen wirkte Moscheles
wieder vielfach mit. So spielte er bei den Auffuhrungen
des Mr. Alsager die Beethoven'schen Sonaten Op. 109 und
in vor einem Kreise von Verehrern des grossen Compo-
nisten. „Ich fand andachtige Zuhorer, wahrend ich in
meinem eigenen Hause bei den Musikern kein rechtes
-Gluck damit mache. Theilweise ist man freilich ergriflen,
theilweise aber auch erstaunt iiber die Extravaganzen des
Meisters, und herzlich erfreut erst dann, wenn ich etwa
die fassliche D-moll-Sonate zum Besten gfihe." In der
„Royal Society of musicians" gab es eine originelle
Leistung. Der alte Parry sang, die Bardenharfe im Arm,
seine Nationalmelodien (Welsh songs) mit einem Pathos,
das sie mir interessant machte; wir Musiker gaben dem
braven Alten ein musikalisches Diner mit Ueberreichung
ernes Silbergeschirres in Anerkennung seiner vieljahrigen
Verdienste und Leistungen in unserer Zunft und seiner
Bemiihungen um verarmte Musiker. Seine Dankbarkeit
und Riihrung war ergreifend."
Die Grippe, welche in diesem Friihjahr ihren ersten
verheerenden Einzug in London hielt, befiel das Mosche-
les'sche Haus mit grosser Heftigkeit, ihn selbst am an-
dauerndsten. Dabei war man schon in der Mitte des April,
■■— 266 —
sein jahrliches Concert fur den i. Mai war angekiindigt und
noch fehlte die gewisse unerlassliche Novitat, die er hatte
componiren miissen, urn mit gutem Gewissen vor sein
Publicum hintreten zu konnen. „Wer weiss", schreibt er
in sein Tagebuch, „ob mir'die Finger nicht den Dienst
versagen werden,, ob ich nicht besser thate, das Concert
aufzugeben." Da kam Mendelssohn nach London. Der
erste Besuch im Krankenzimmer heilte den Patienten frei-
lich nicht, doch. mag die Freude, den „FeIix" wiederzu-
sehen wohl mit zur Genesung beigetragen haben; denn
einige Tage spater reift der Entschluss, das Concert zu
wagen, weil die Freunde verabreden, zusammen ein Stiick
fur zwei Claviere zu schreiben und zu spielen. Es sollte
sehr brillant werden — am besten Variationen iiber ein
beliebtes Thema — aber welches? Viele wurden vorge-
schlagen, endlich der Zigeunermarsch aus Weber's „Pre-
ciosa" gewahlt. „Ich mache mir eine Variation in Moll,
die unten im Bass brummt", rief Felix aus, ,,Du oben eine
brillante in Dur, nicht wahr?" und so wurde denn verab-
redet, dass die Introduction, die erste und zweite Variation
Mendelssohn, die dritte und vierte mit verbindendem Tutti
Moscheles zufallen sollten. „In das Finale wollten wir uns
theilen; er begann also mit dem Allegro-Satz, den ich
durch ein piu lento unterbrach."
In zwei Tagen waren sie fertig und gingen vom
Philharmonischen Concert aus in spater Stunde nach der
Erard'schen Clavier fab rik, um dort eine erste Probe zu
machen. „Wir fanden zwei Fliigel bereit und unser eiliges
Machwerk gefiel unserer einzigen Zuhorerin, meiner Frau,
ausnehmend gut." War diese nachtliche Clavierprobe aber
eine eilige gewesen, so ward es die Orchesterprobe am
Morgen des 30. April noch mehr; denn eine lange Opernprobe
hielt die Blaser fest, bis endlich wenige ubermiidete Leute das
neue Stiick niichtig probirten. „Dennoch ging es am
1. Mai im Concert vortrefflich und Memand merkte, dass
das Ganze nur andeutungsweise skizzirt und dass Jeder
von uns in seinen Solo's improvisiren durfte, bis er an
gewissen verabredeten Stellen seinem Mitspieler harmo-
>.i-\ A : .
267 —
nisch wiederbegegnete. Die ganze so unsicher scheinende
Unternehmung ward eine hochst gelungene, vielfaltig ge-
priesene."
Mendelssohn, der die Leitung des Diisseldorfer Musik-
festes iibernommen hatte, ward den Freunden in London
auf kurze Zeit entrissen, doch kehrte er bald zuriick und
diesmal mit seinem herrlichen Vater. Nun fing wieder
das reiche musikalische Leben mit dem Freunde an, und
bei der Taufe des kleinen Felix iiberreichte ihm der grosse
ein Album, das er trotz des bewegten londoner Lebens
mit einer Zeichnung und Composition geschmuckt hatte.
„Es ist eine Ansicht unseres eigenen Hauses und eine
reizende Baumpartie des Regent's Park; die Composition
ist ein Wiegenlied mit Text von Klingemann. (Es ist das
seither so bekannt gewordene „Schlumm're und traume".)
Eine glucklichere Tauffeier, als die heutige, ist wohl nie
begangen worden. Die Freunde Neukomm und Barry
Cornwall verherrlichten sie auch durch Composition und
Dichtuhg."
Es schliessen sich nun weitere Notizen iiber das Zu-
sammenleben mit Mendelssohn an. Einmal beantwortet
er eine Einladung folgendermassen : „Ach Gott! "Wir kon-
nen ja leider nicht! Denn wir-geben selbst ein dinner
heut, ich habe eben fur fiinf Personen Fisch mit lobster
bestellt (namlich salmon), und so muss ich Ihnen unsre
regrets prasentiren. Im Ernst aber haben Rosen und
Stenzler und Klingemann versprochen, heut den Abend
bei uns zuzubringen, und darum konnen wir ja leider
nicht! Mein Vater hofft Sie heut Vormittag noch selbst
zu sehn und zu danken." Ein Billet von Mendelssohn an
die Frau lautet: „Liebe Frau Moscheles! Es ist zwei
Uhr, ich komme eben vom Lande zuriick, erhalte Ihre
Zeilen, und ich sollte um zehn Uhr in Grosvenor place ge-
wesen sein. Das hatte ich gern gethan; aber Sie miissen
gestehen, dass das Schicksal eben nicht will, dass ich
fashionable sein oder scheinen soil. Sie waren so giitig
neulich zu sagen, wir mochten alle drei heut Mittag kom-
men (denn Dr. Franck ist wirklich eingetroffen), aber nun
— 26& —
mochte ich wissen, ob Sie es auch ira Ernst meinen, oder
ob es Ihnen nicht recht ist, oder ob wir doch kommen
sollen? Bitte — sagen Sie dem Ueberbringer Ihre miind-
liche Entscheidung."
Dass diese ihm eine Bejahung brachte, ist selbstver-
s.ta.ndlich.
Am 6. Mai klagt das Tagebtich: „Wie narkotisch
langsam und eintonig H. bei uns phantasirte und Men-
delssohn obligat dazu gahnte! Der eben angekommene
Peter Pixis fuhrte uns seine Pflegetochter Francilla und
viel italienische Musik vor." Der Tagesbericht schliesst
jedoch mit den Worten: „Als Alle fort waren, wurden wir
lustig — Felix und ich phantasjrten tiichtig zusammen."
Pixis gab auch im Namen seiner Pflegetochter Fran
cilia ein Concert, worm sie ihre schone Altstimme in ita-
lienischer Musik horen liess und bei welcher Gelegenheit
er nicht nur sein Glocken- Rondo spielte, sondern auch
den Zusammenfluss verschiedener Clavierspieler zum Vor-
trag zwei- und vierhandiger Clavierarrangements benutzte.
Wahrend in dieser Saison Pixis' Stern in Albion zu
erloschen schien, tauchte gleichzeitig der Clavierspieler
H. Herz am musikalischen Firmament auf. Seine Finger-
schnelligkeit in laufenden und iiberschlagenden Passagen,
seine grelle Accentuirung und seine an Gehalt so leichte,
siissliche, aber Jedem verstandliche Musik machten allge-
meinen Effect. Das Tagebuch klagt: „Mich ubertonte
Herz ganz mit seinem schlagenden Bass in dem Duett von
ihm iiber Themen aus Auber's „Philtre", das ich aus Ge-
falligkeit in seinem Concert mit ihm spielte." Dennoch
muss es in Privathausern wiederholt werden.
Sehr komisch war der Contrast, als J. B. Cramer, der
Alles beherrschenden Attraction zu Liebe in seinem Con-
cert vierhandig mit Herz spielte und zwar die brillante
Polonaise von Beethoven. Moscheles vergleicht letzteren
mit einem „jungen, ausgelassenen Mutterpferdchen", erste-
ren mit einem „wohlgehaltenen. wenig an Arbeit gewohn-
ten Isabellenpferd der koniglichen Staatscarosse". Dass
in demselben Concert Cramer mit Hummel die Mozart'sche
w^
— 269 —
Phantasie in F-moIl spielte, war weit mehr im Einklang
und machte besseren Effect."
Die Concerte folgen nun Schlag auf Schlag. In dem
des jungen Schulz muss Moscheles die zwolfhandig arran-
girte Zauberfloten-Ouvertiire mitmachen. In Mori's iiber-
fulltem Saal spielt er mit Mendelssohn das neue Stuck
iiber den Preciosa-Marsch. Am 10. Juli geben die Kiinst-
ler alle ein grosses Concert fur eine verungliickte Familie.
Mendelssohn und Moscheles wirken in einem Stiick fiir
vier Claviere von Czerny mit.
Am 12. Juli leiht Mr. Hope, der Besitzer der herrlichen
Gemaldegallerie sein Local und die vortrefflichsten Er-
frischungen zu einem Concert zum Besten des Kinderhos-
pitals her. ,,Die Musik, zu der auch ich mein Scherflein
beitrug, ward im Saal der italienischen Schule gemacht,
und wollte man etwa fern von dieser bleiben, so konnte
man sich in dem Saal der niederlandischen Schule bewun-
dernd ergehen, da aber unter Andern auch die Malibran
und Paganini mitwirkten, so drangte sich AUes zum
Horen hin."
In einer anderen Privatsoiree liessen sich H. und Pa-
ganini in der Kreutzer-Sonate von Beethoven zusammen
horen und Moscheles kann nicht umhin, „diese Leistung
als einen Frevel zu bezeichnen". Paganini ward in dieser
Saison nicht weiter gehort, da der Ungluckliche nur nach
London gekommen war, um sich einer Operation seiner
Kinnlade zu unterziehen, wobei er den grossten Muth
zeigte; er wurde auch vollkommen hergestellt.
Gelegentlich einer Auffiihrung des Handel'schen
„Messias" heisst es: „Ich hatte mein Mittagbrod iiber-
stiirzt um keine Note des Meisterwerks zu versaumen;
nachdem ich aber eine Zeitlang angespannt zugehort,
stellte es sich mir mit Wehmuth heraus, dass das bischen
Geistesfrische, welches mir im Strudel der Saison noch
geblieben war, nicht ausreichte, um ein solches Riesen-
werk kunstlerisch in mich aufzunehmen. Solche Betrach-
tungen aber waren es, die mich immer wieder auf den
Gedanken zuriickfuhrten, meine durch Thatigkeit in Eng-
— 2 7° —
land errungene Independenz dereinst in Deutschland zu
geniessen."
Einstweilen aber "war er noch in London inmitten
einer brillanten Saison und er sollte deren noch dreizehn
mitmachen, ehe sein Plan 2ur Ausfiihrung kam. Immer
wieder musste ein Stiickchen Nachtruhe geopfert werden,
urn durch die bezahlten Soireen der Lady Mary Bentinck,
der Rothschild's und Anderer wieder ein Stiickchen Inde-
pendenz zu erwerben. Oft aber opferte er auch gezwun-
gen Tag- und Nachtruhe, „um sich langweiliges Zeug vor-
spielen und vorsingen zu lassen", das er Miihe hatte
wieder zu vergessen^ So spricht er unter andern von
dem Goethe'schen Liede eines Herrn E. in zwolf Versen,
„die er ausstehen musste". „Und wie argert es mich"
sagt er, „dass mein lieber genialer Freund D., den ich seit
der wiener Jugendzeit nicht gesehen, jetzt complet italieni-
sirt in London erscheint. Er setz-t Weber's „Euryanthe"
den italienischen Modeopern nach, componirt Lieder ,,en
amateur", der er auch ist und bleibt, und legt selbst einen
zu hohen Werth auf diese Product! onen. Seine spatern
Opernversuche sind auch missgliickt, und so ist aus einem
frischen geistreichen Jungling ein krankelnder, melancho-
lischer Mann geworden."
Die Mutter der Sonntag machte vergebliche Versuche,
ihre jiingere Tochter Nina in London zu poussiren! Sie
war keine Henriette, und ist endlich Nonne geworden.
, Einen traurigen Abend machte mir heute die Pasta",
schreibt er spater, „ich horte sie im ,, Romeo" und sie sang
erbarmlich falsch. Die grosse Frau ist zu alt geworden.
um ihre Stimme zu erhalten, will aber gern ihren Ruhm
gegen einen Haufen Guineen eintauschen; das entsetzt
mich.' 1
Die erste Auffuhrung der „Euryanthe" am 29. Juni im
Coventgarden- Theater und der herrliche Gesang der
Schroder und der Haitzinger wussten ihn fur solche Un-
bill zu entschadigen; iibrigens gab es sehr grosse Mangel
in dieser Vorstellung.
In Drurylane machte die sprudelnde, merkwiirdig, ja,
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— 271 —
•einzig singende und . spielende Malibran Furore in „The
Devil's bridge" und der in's Englische ubersetzten „Somnam-
bula". Sie war durchaus realistisch und verachtete alles
Conventionale in Bewegungen und Costiimen. So trug
sie in der nachtwandelnden Scene nicht das gewisse Mull-
negligee grosser Darstellerinnen , das an Form und Stoff
in jedem Salon figuriren konnte; nein, es war das richtige
Nachtmiitzchen des Bauernmadchens, das formlose Gewand
einer Schlafenden, und das Tricot der Striimpfe war so
unsichtbar, dass man unbekleidete Fiisse zu sehen wahnte.
Ihr Spiel in dieser Oper war herzzerreissend und ihr in
Thriinen ausbrecbender Schmerz so natiirlich, dass der
Beschauer all ihr Leid mit ihr durchkampfen musste.
Die Beschaftigung mit Chopin regt Moscheles zu fol-
gender Bemerkung an: ,,Ich benutze gem einige freie
Abendstunden, um mich mit Chopin's Eriiden und seinen
anderen Compositionen zu befreunden, finde auch vie!
Reiz in ihrer Originalitat und der nationalen Farbung-
ihrer Motive; immer aber stolpern meine Gedanken und
durch sie die Finger, bei gewissen harten unkiinstlerischen
mir unbegreiflichen Modulationen, so wie mir das Ganze
■oft zu siisslich, zu wenig des Mannes und studirten Mu-
sikers wiirdig erscheint,"
Dazwischen finden wir weitere Notizen uber den Um-
gang mit Mendelssohn. In einem Briefe von Moscheles
heisst es: „Was haben wir nicht Alles zusammen musicirt!
£r musste mir wieder und immer wieder seine Sachen
vorspielen, die ich in der Partitur nachlas, wobei er dann
stets irgend ein Blasinstrument nachahmte, auch wohl mit
seiner hiibschen hellen Tenorstimme einen Choreinsatz an-
gab. Und hat er eine seiner Ouverturen vierhandig- arran-
girt, so probiren wir sie, bis sie uns ganz spielbar vor-
kommt."
Oft spielen sie sich gegenseitig Beethoven'sche So-
naten vor, denen sich aber haung gemeinschaftliche Im-
provisationen der tollsten Art, musikalische Caricaturen
anschliessen. Einmal muss sogar das Ammenliedchen
„Polly, put the kettle on, we'll all have tea", den Stoff
VV -' tw;-
. ■ . ■ — 272 —
hergeben und dies den beiden kleinen Madchen zu Liebe,.
mit denen Felix gem lachte, spielte, in den zqplogischen
Garten ging und allerhand Possen trieb. Auch sie moch-
ten es schon fuhlen, dass in dem Schwarm von Mensclien,
die das Kiinstlerhaus aufsuchten, viele herzlich gute
Freunde waren, aber Mendelssohn unter diesen der beste.
IJass beide, er und Moscheles, gute, treue und gemiith-
volle Menschen waren, das hat sie wo hi ebenso sehr zu
einander gezogen als die Musik. Moscheles kannte ihm
gegenuber nur Bewunderung, nie regte sich in ihm ein
Anflug von Neid iiber des jungen Componisten, des friiheren
Schiilers, wachsende Grosse; ni« bencidotc er ihn um die
ghicklichen Lebensverhaltnisse , die ihm erlaubten, ganz
und ohne jenen Broderwerb, den Moscheles miihsam suchen
musste, seiner Kunst zu leben. Mendelssohn wiederum war
ganz Pietat, ganz Dankbarkeit fur den reichen Schatz von
Erfahrungen, den der altere Meister in seinen Clavier-
werken niedergelegt hatte. Sie liebten und achteten ein-
ander, und diese Gefuhle iibertrugen sich auf die beider-
seitigen Familien.
Bis jetzt haben wir sie meist heitere, sonnenhelle Tage
miteinander verleben sehen; es gab deren auch triibe und
in diesen bewahrte sich die Freundschaft. Als Mendels-
sohn's alter Lehrer Zelter stirbt, eilt er am friihen Morgen
zu Moscheles und tritt mit der Bitte ein: „Ich kann nicht
arbeiten, ich mochte den Tag hier zubringen." 1st Frau
Moscheles unwohl und darf ihren Mann, der ausgehen
muss, nicht begleiten, — Felix leistet ihr den Abend Gesell-
schaft, wie sie entziickt ihrem Vater schreibt. War Felix
ermudet und kam er es ihr zu klagen, so hiess sie ihn
sich ruhig in die dunkle Sopha-Ecke setzen, Er pflegte
dann ein paar Minuten zu ruhen, wahrend welcher sogar
die lebhaften Kinder mauschenstill blieben; dann musste
er eine kleine Starkung nehmen und gleich war er wieder
frisch, so dass er mit seiner gewohnlichen Lebendigkeit
iiber irgend eine anstrengende musikalische Probe oder
ein Morning- Concert oder ein politisches Meeting berich-
tete, deren er viele besuchte. Sie durfte sich auch er-
■V^?K W^ : W£$'.& ■
.V--',s-'. ^-
273 —
lauben, ihm vorzuwerfen, class er gestern als ein storender
Besuch zu ihnen gekommen, sich recht ungeduldig auf
dem Absatz herumgedreht, dass er recht unliebenswurdig
gewesen, — worauf er dann zu sagen pflegte: „Ja, aber
warum kommt auch der gerade, wenn ich mich so darauf
gefreut hatte, mit Moscheles Musik zu machen?" Er bittet
sich bei jedem Abschied Briefe von ihr aus; sie soil ihm
liber dies und jenes berichten, wozu Moscheles keine Zeit
hat. Sie verspricht es, indem sie sagt: „Aber keine Ant-
wort; Sie sind ein beriihmter Mann; Sie haben Besseres
zu thun!" was er nie zugeben wollte. Die rothe Nelke
spielte zwischen ihm und der zweiten Tochter eine grosse
Rolle; sie ist seine Lieblingsblume , also muss sie ihm
stets eine bringen. Mitten in den Miihen eines Musik-
festes oder auf den Reisen, die Moscheles und er zusam-
men machen, schreibt und zeichnet er an deh Briefen, die
der Gatte und Vater nach Hause schickt. Manche seiner
spater publicirten Lieder sendet er, zierlich in den Brief
hinein geschrieben, gleich nach ihr em Entstehen an Frau
Moscheles. „Es ist mir wieder ein Liedchen gekommen",
oder „hier ist ein Lied — es passt leider gar nicht in
Ihre Stimme (es war das Tenorlied „Leucht' heller als die
Sonne"), aber ich schicke es doch, Moscheles brummt es
vielleicht". . . Man pflegte solche Blatter den Familien-
schatz zu nennen.
Leider hatte Felix' Vater wahrend dieses Londoner
Aufenthalts ein wochenlanges Beinleiden auszuhalten und
man war sehr besorgt um ihn. Sein schwaches Gesicht
machte ihm anhaltendes Lesen unmoglich, und so brachten
Freunde, besonders Frau Moscheles, alle ihre freie Zeit
bei ihm zu. Sie schreibt ihrem Vater: „Ich lese ihm die
Times vor, wie friiher Dir, und er theilt mir seine gedie-
genen Ansichten uber Kindererziehung mit, — hoffentlich zu
Nutz und Frommen der meinigen. Wie viel ich aber auch bei
ihm bin, die Stunden verfliegen mir in seiner Unterhaltung."
Auf die Anfrage der Frau Moscheles, ob Felix ' Vater
heute wieder Moscheles' Einspanner zu einer Fahrt be-
nutzen mochte, erwidert Felix:
Moscheles' Leben. j8
— 274 —
„Mein Vater bittet, ihm heute nicht den "Wagen auf-
zusparen, die Miss Alexander's leihen ihm den ihrig-en,
wenn Sie aber Zeit hatten, ihm diese zu schenken und sie
zu Puss bei ihm zuzubringen — dies ist sehr schlecht styli-
sirt; aber es ist wenigstens nicht plattdeutsch oder viel-
mehr berlinisch — ohne Anzuglichkeiten
Ihr
Felix Mendelssohn-Bartholdy.
P. S. Gestern waren die Aerzte sehr erbaut, Brodic
will nicht wiederkommen.
Zweites P. S. (die Hauptsache) Wie geht es Ihnen?
Erst als der Vater vollkommen genes en war, kehrte
Felix' Arbeitsfahigkeit und seine heitere Stimmung zuriick.
Wie schwer dem Hause die Trennung wurde, als die bei den
lieben Freunde endlich am 4. August abreisten, lasst sich
leicht denken.
Unter den vielen, meist gleichgiiltigen, ja langweiligen
Soireen hebt das Tagebuch eine hochst interessante bei
dem Schriftsteller Lpckhart hervor. „ Seine Frau, Walter
Scott's alteste Tochter, hat ganz die Liebenswiirdigkeit
ihres Vaters, wahrend ihr Mann — ich weiss nicht, ob
schwarmerisch absorb irt, ob stolz erscheint, genug, ei-
that wenig fur die Gaste, denen die Wirthin auf's Ange-
nehmste entgegen kam. Wir sahen dort zum erstenmal
den Dichter Thomas Moore, einen kleinen, lebendig spru-
delnden Inlander, der auf Grund seiner Musikliebe sogleich
Bekanntschaft mit mir machte. Er sang seine eigenen
Texte, hatte diesen gewisse Irish melodies untergelegt, sie
harmonisirt, und begleitete sich dazu auf der Guitarre.
„Le genre est petit", dachte ich, die Neuheit machte uns
die Sadie aber doch interessant. Auch der achtzigjahrige
aber noch frische und heitere Dichter Coleridge war dort,
und die Ladies Stepney und Charlotte Bury reprasentirten
die weibliche Autorschaft. Als Mr. Moore's Irish melodies
verklungen waren, musste ich an's Clavier und mit dem
r . ,.-. ^, ; , s .. ">■:■&% y >v:^..;Sr - ,' ?fi*C%%; ■?^&.C : ''■■ <"- ,■-*■ '
' - -275 —
Dichter die iiberschwenglichen Lobeserhebungen der Ge-
sellschaft theilen."
Im August ging die Familie Moscheles, in Begleitung
eines Clementi'schen Claviers nach Hastings. „Schade",
schreibt Moscheles, „dass mir die im Hause wohnende
Madchenschar mit ihrem Gestumper jeden musikalischen
Genuss — geschweige denn Gedanken, verdirbt. Sie
spielen auf Clavier und Guitarre „la ci darem" als Presto,
und Reissiger's Walzer als sentimentales Andante." Das
war nicht lange- zu ertragen, und da sie in Hastings keine
passende Wohnung fanden, so zogen sie nach dem nahe-
gelegenen St. Leonard's, wo die Wochen ihnen ruhig und
behaglich verflossen und Lecture undMusik mit erfrischen-
den Ausflijgen abwechselten.
Um das staatliche Leben der Englander etwas naher
kennen zu lernen, besuchen sie bei ihrer Riickkehr nach
London das House of Commons. Moscheles hatte sich
einen guten Platz auf der Stranger's Gallery verschafft,
wahrend die Frau unter den Damen aus dem Luftloch
des Lustre herabsehen musst'e, vorn die ganze Hitze, die
die Versammlung und das Gas ausstromten, hinter sich
die aussere Luft, die durch Lattenwerk Eingang in das
Haus fand. Bessere Platze gab es damals nicht fur Da-
men, die das Parlament besuchen wollten. Die Debatten
waren nicht ohne Inter esse. Mr. Wallace brachte Klagen
gegen die Postoffice-Einrichtungen, es wurden Briefe im
office erbrochen und gelesen, wollte er beweisen; Mr.
Stanley, Lord Althorpe und Andere nahmen sich aber des
Postmaster General kraftig an und brachten die Klager
und ihre Klage zura Schweigen. Dann wurde von Stanley,
Cobbett, Sir E. Codrington und O'Connell viel zu Gunsten
eines von Murray gebrachten Antrags gesprochen „for
the abolition of the foreign enlistment act". Capitain
Napier sollte namlich wegen eines fur Don Pedro erfoch-
tenen Sieges von der navylist gestrichen werden. Ueber
diesen Antrag wurde vier Stunden hin und her debattirt.
"Weit ungiinstiger trafen sie es im House of Lords, wo
gerade eine ganz gleichgiiltige Sitzung abgehalten wurde.
— 276 — - ' ■
Am 11. November schreibt Moscheles in sein Tage-
buch: „Bei der gestrigen Auffuhrung des „Hamlet" in
Drury Lane fiihlte ich mich bei einer Stelle lebhaft an das
erinnert, was ich meinen Schulern so oft predige: das
Sich-Bewusstbleiben inmitten einer schwierigen Leistung,
die Ruhe und Beherrschung seiner selbst Der grosse
Dichter lasst seinen Hamlet sagen: „Nor do not saw the
air too much with your hand thus, but use all gently,
for in the very torrent, tempest and as I may say, whirl-
wind of ytur passion, you must acquire and beget a tem-
perance, th it may give it smoothness."
Ueber die erste Auffuhrung des „Maskenballes"
von Auber, schreibt Moscheles: „Die Musik oft sinnbe-
taubend, oft aber auch pikant, der Ball uber alle Massen
briUant."
Die Hauptbeschaftigung in diesem Winter blieb fur
Moscheles an hauslichen Abenden die Composition des
B-dur- Concerts (fantastique). Nebenher machte er das
Impromptu in Es-dur und die leichte Waare, Operatic
Reminiscences, fur die Herausgabe fertig.
Dazwischen kamen aber auch manche unliebsame Un-
terbrechungen. Als er einem alten Freunde zu Liebe sein_
„Swiss divertimento" revidiren soil, schreibt er: „Ich ver-
fuhr damit, wie Kotzebue's Brief schreiber in „Sorgen ohne
Noth". Der liess nur die Worte „Mein lieber Freund!"
oben am Blatte stehen und setzte das Uebrige hinzu. Das
Zusetzen kostete mich zvvei ruhige Abende; einen dritten
musste ich dem ungarischen Baron Rathen opfern, der
mir durchaus seine „musikalische Liebes-Scene, durch einen
Sturm unterbrochen", vorspielen wollte. Auf seiner eng-
lischen Karte nennt er sich „Lehrer der Orgel, des Cla-
viers, des Gesangs und des Doro-Bass (Thorobass)." —
Auch den Fliigel, den Herr R. in der Welt herumfuhrt,
musste ich sehen, sollte ich bewundern, konnte es aber
nicht. Es ist ein Wiener Fliigel mit doppelter Tastatur;
die untere gewohnliches Clavier, die obere soil wie Quar-
tett und Blasinstrumente klingen, ist aber schwach; sie
wird mit Hiilfe eines Pedals gespielt. Mir war die Ehre
— 277 —
.zugedacht, das .Instrument zu taufen; doch wusste ich be-
scheiden abzulehnen und mich vom titelfreigebigen, siid-
deutschen Original, das ich „Staberl als Instrumentenmacher"
-nenne, moglichst feme zu halten."
Eine dem deutschen Geschraack wenig zusagende
musikalische Erscheinung war der italienische Geiger Ma-
soni. Er hatte lange in Siidamerika gelebt, und war mil
seiner zarten Frau und zehn Kindern zur Winterszeit liber
die Cordilleras nach England gezogen, wo er als zweiter
Paganini das grosste Aufsehen zumachen gedachte. Es
gelang ihm aber nur theilweise; denn er spielte Beethoven
italienisirt und Paganini eben nicht schmelzend italienisch
genug. Er hatte iibrigens eine grosse Technik und be-
deutende Kenntniss der klassischen, fur sein Instrument
gesctiriebenen Werke.
Am 31. December schreibt Moscheles in's Tagebuch:
„Laut angestellter Berechnung gab ich in diesem Jahre
1457 Lectionen, das ist 1328 bezahlte, 129 gratis. Unter
letzteren waren mir die des stets fortschreitenden Litolfi
die interessantesten."
1834.
Moscheles schreibt zu Anfang des Jahres: „Wir sind
"im Januar und schon spricht man hauptsachlich von dem
grossen Musikfest, das im Juni in der Westminster -Abtei
stattfinden soil; es ist das musikalische Ereigniss des
Jahres."
Wieviel aber hatte man bis dahin noch zu durchleben!
Die Sterne der italienischen Oper, Grisi, Rubini und Tam-
burini, machten mit Recht Aufsehen. Zwar spielte die
Grisi nicht, wie die hochtragische Pasta, sie war kein
musikalisches Genie wie die Malibran, hatte auch weder
ihr Feuer, noch die Anmuth und Leichtigkeit der Sonn-
tag, doch iibte die jugendliche Kraft und Frische der
Stimme und die schone Erscheinung einen machtigen
— 278 —
Zauber auf das Publicum. Rubini behauptete seine schon
anerkannte Meisterschaft, und Tamburini's weicher, klang-
voller Baryton, gehoben durch sein schemes, echt romi-
sches Proiil trugen nicht wenig zu den Triumphen dieses
"vveltberiihmten Ensemble's bei.
Die Malibran kam L in diesem Jahr nicht; sie war in
Mailand auf funf Jahre engagirt, bekam 14,000 £, freien
Tisch und Equipagen. Sie war nur auf drei Tage nach
London gekommen, um in dem Concert ihres Bruders
Garcia zu singen. Iwanoff, -ein italienisirter Russe, zog
das grosse Publicum durch seine Kehlfertigkeit an, ge-
brauchte aber die Kopftone zu haufig und konnte deut-
schen Ohren nur missf alien, wenn er Schubert's „Leise
flehen meine Lieder" mit seiner Auffassung vortrug. Er
sang so ermiidend siisslich, dass es einem Witzbold ge-
lang, das Wortspiel: „I've enough, is his proper name" in
Umlauf zu setzen.
Moscheles spielte in der Philharmonischen Gesell-
schaft sein neues Concert pathetique und dirtgirte an
demselben Abend Mendelssohn's noch unbekannte Ouver-
ture zur „SchSnen Melusine". Beides wurde kuhl aufge-
nommen. Die Frau berichtet dies dem fernen Freunde,
und seine Antwort mag hier als charakteristisch einge-
schaltet werden:
„Haben die Leute im Philharmonic meine „Melusine"
nicht gemocht? Ei was, ich sterbe daran nicht. Zwar that
mir es doch leid, als Sie mir's schrieben, und ich spielte
mir geschwind die ganze Ouvertiire. einmal durch, um zu
sehen, ob sie mir nun auch nicht gefiele — aber sie macht
mir doch Vergniigen, und somit thut es mir nicht sehr
viel zu Leide. Oder meinen Sie, dass Sie mich deshalb
weniger freundlich bei meinem nachsten Besuch aufneh-
men wurden? Das ware schade und sollte mir sehr —
leid thun; aber ich hoffe es doch nicht. Und vielleicht ge-
fallt sie anderswo, oder wo nicht, so mache ich wieder
was anderes, und das gefallt besser. Ueberhaupt aber ist
meine Hauptfreude bei alledem, wenn solch ein Ding ge-
schrieben dasteht, und wird mir's nachher noch so gut,
— 279 •—
dass mir so freundliche "Worte daruber zu Theil werden,
wie von Ilinen und Moscheles, so ist es auch gut aufge-
nommen worden, und ten kann ruhig weiterarbeiten. Dass
Sie mir aber dasselbe von Moscheles' neuem Concert
schreiben, ist mir unbegreiflich; ich dachte, das miisste
sonnenklar sein, dass ihnen das gefiele, und noch dazu,
wenn er's ihnen spielt. Aber wann kommt es heraus?
Von wegen daruber herfallen".
Wie sehr es auch hn Inter esse der Kiinstler lag, die
Beriihmtheiten der italienischen Oper in ihren Concerten
mitwirken zu lassen, immer widerstrebte es Moscheles,
und eben aus dieser Zeit haben wir einen Brief an die
Verwandten, der seine Ansichten daruber enthalt:
„Ich will doch sehen, ob ich nicht im Stande bin, ohne
die Hiilfe der italienischen Sanger und der Prellerei eines
Impresario meinen Saal zu fiillen. Gelange das nicht, es
ware eine Schande fur mich, und ich miisste mein Clavier-
spiel sammt meinen Compositionen an den Nagel hangen."
Aber es gelang; einige Kunstbriider unterstiitzten ihn,
auch der neuangekommene und bald anerkannte hollandi-
sche Tenor ist de Vrugt sang, er engagirte Frau Stock-
hausen, der Saal war voll, das Publikum enthusiastisch.
Mit Beginn der Saison stellte sich eine Kirnstlerschaar
ein, in der namentlich der Wunderknabe Vieuxtemps
auf seiner Geige Grosses leistete und sehr anerkannt
wurde. Aber auch zwei Damen, die Geigerinnen Filiepo-
wicz und Paravicini, machten viel von sich reden. Mrs.
Anderson, die beliebteste unter den englischen Pianistinnen,
war von der Herzogin von Kent zur Lehrerin der Prin-
zessin Victoria erwahlt und gab ihr diesjahriges Concert
„in the presence and under the patronage" der hohen
Damen, was es zu einem der brillantesten dieser Saison
machte.
Die Presse beschaftigte sich aber in diesem Jahr fast
ausschliesslich mit dem bevorstehenden Musikfeste und wir
verdanken es der muster haftenOrdnung, mit welcher Mosche-
les solche Notizen sammelte und autbewahrte, dass wir sie
unsern Lesern nach achtunddreissig Jahren noch wahrheits-
— 28o —
getreu uberliefern konnen. „Handel", hiess es, „liat das Ora-
torium in England elngefiihrt. "Was Wunder, dass man dies
Fest nach ihm benennt, es in die Westminster-Abtey ver-
legt, wo seine irdischen Ueberreste beigesetzt sind, und
seine Manen dem Feste die rechte Weihe geben werden?"
Ferner ward der friiheren londoner Musikfeste unter dem
Konig Georg HE. in den acht Jahren 1784 bis 91 gedacht,
alle zu wohlthatigen Zwecken und mit einer Totalein-
nahme von £ 50,000 abgehalten; es ward auch des Erb-
theils erwahnt, das Handel der „Society of decayed musi-
cians and their families" hinterlassen , und nun der jetzige
Konig William IV. und seine Gemahlin Queen Adelaide
ruhmend genannt, da sie zuerst nach fiinfzig Jahren dies
neue Fest zu ahnlichen wohlthatigen Zwecken unter Zeich-
nung reicher Gaben in Anregung gebracht und dadurch
den Adel des ganzen Landes zu ahnlicher Betheiligung
veranlasst hatten.
Ueber das Fest selbst schreibt Moscheles an die Ver-
wandten: „Das Fest fand im Schiff der Kirche statt, das
mit starken Holzdielen uberdeckt war. An einem Ende
der Abtei erhob sich die konigliche Loge, mit dem Wap-
pen, der Rose und andern Emblemen und Orden, kunst-
voll geschnitzt auf azurblauen Feldern. Die Loge war
mit ihren schweren, kirschrothen Atlasvorhangen, reichen
Verzierungen und iippigen Sammetteppichen und Kissen
von oben erhellt. Gleich unter der koniglichen Loge
sassen unter einem Thronhimmel die Directoren des Festes.
Das Publikum hatte diesmal, wie 1784, die amphitheatra-
lischen Sitze inne, welche bis an die Capitale der Pfeiler
reichten, 3700 Personen fanden dort Platz; es gab Sitze
zu 2 Guineen, der Rest zu 1 Guinee. Diese Sitze, roth
beschlagen, mit goldgelber Ausschmiickung, ferner die
weiss-goldenen Leiern auf rothen Draperieen rings an den
Wanden waren geschmackvoll und malerisch. Der konig-
lichen Loge gegeniiber war diesmal, wie friiher, das Or-
chester aufgebaut und zwar in folgender Weise: Vorn
die Solosanger, dann der kleine Chor, vierzig Personen
stark, unmittelbar neben ihm ein Fliigel fur den Dirigen-
;-^.y
— 281 -
ten der Musik, Sir George Smart; hinter ihm das Or-
chester, amphitheatralisch aufgestellt, die Cellos zu beiden
Seiten, die Geigen in der Mitte, dann' die Blasinstrumente
und endlich das herrliche Orgelwerk, das Gray fiir diese
Gelegenheit erbaut und mit einer reichgeschnitzten gothi-
schen Facade geschmiickt hatte, wahrend eine sinnreiche
"Vorrichtung des weiter unten befmdlichen Manuale den
Spieler desselben so stelljte, dass er dem Dirigenten, nicht
der Orgel gegeniiber sass. Durch die Stellung des
gross en Chors hatte man das Publicum sehr beeintrach-
tigt, indera man ihn in gewisse Seiten und Nischen der
Abtei steckte, wo er nur fiir einen Theil der Horer zur
Geltung kam und von den Instrumenten verdeckt wurde;
auf anderen Sitzen war der Effect ein umgekehrter; und
nur in einem kleinen Theil des machtigen Baues konnte
man Alles geniessen." Wir lassen hier eine Liste der
Krafte folgen, die an den zwei Musikfesten 1784 und 1834
rnitgewirkt (die Notizen iiber ersteres nach Aufzeichnungen
des Musikschriftstellers Dr. Barney):
Instrumental.
[834;
784
Vocal.
Violinen
80.
95
Sopranstimraen
Bratschen
51.
26
Sopran, Xnaben
Violoncelli
iS;
21
Altisten
Contrabiisse
18,
'5
Tenure
Flotea
io|
6
Basse
Oboen
12!
26
Opernsanger
Clarinetlen
8|
Die obigen Instr
Fagotte
12
27
Horner
10,
12
Trompeten
8 !
12
Posaunen
8;
6
Opliicleiden
2't
Serpenten
2
Pauken
3
4
223:
250
Totale
183411784
113' II
32 47
74i 48
7°; 33
103; 84
5 : 2
223: 250
62s 525i
Das Tagebuch berichtet weiter: „Am 20. Juni, um
12 Uhr.Mittags, schwang Sir George Smart zum ersten
Mai seinen Direct<3rstab und der Effect des „Coronation
Anthem" von Handel in diese n Raumen, mit dies en
Massen war ein herzergreifender, nie zu vergessender.
— 282 —
Von der Damenwelt sagen die Blatter , Vielen seien die
Thranen iiber die Wangen gerollt, Andere gar in Ohn-
macht gesunken. Fiir mich waren diese Klange tief er-
schiitternd; ich musste mir gestehen, etwas Aehnliches
noch nicht gehort zu haben. Man gab die ganze
„Schopfung" und einen Theil des „Simson"; als Solosanger
wirkten der alte Bellamy, der 1784 schon gesungen, ein
junger Schiiler der Royal Academy of Music, E. Se-
guin, und der vortreffliche Phillips; der Tenor war durch
Hobbs und den uniibertreff lichen Braham vertreten; Miss
Stephens und Mme. Car adori- Allan, beide ausgezeichnet,
sangen die Sopran-Partieen; Chore und Orchester thaten
das Ihrige und so war schon dieser erste Tag ein voll-
kommen gelungener zu nennen,
Den zweiten Tag eroffnete wieder ein Kronungspsalm
(Coronation Anthem) von Handel, dessen Hallelujah elek-
trisirend wirkte. Ausserdem hatte man, weniger auf ein
grossartiges Ganze als auf gewisse Effecte bedacht, eine
Auswahl von Arien aus geistlichen Musikstucken getroffen
in denen sich die Sanger, sowie die Blasinstrumente zeigen
konnten. Alles sollte mitwirken, Alles glanzen. Rubini,
Zuchelh mit obligater Cellobegleitung von Lindley, Bra-
ham, durch Harper's Trompete unterstiitzt, Phillips mit
obligatem Fagott, Miss Stephens, Mile. Grisi fiillten diese
I gemischte Abtheilung aus. Dann folgte das vielleicht
schonste Handel'sche Oratorium „Israel in Egypten", vor-
f trefflich und effectvoll ausgefiihrt. Die Blatter schwelgten
in Entziicken. Ueber die letzten durch Chorgesang unter-
brochenen recitativischen Satze sagte dasAthenaum: ,.Man
fiihle sich durch sie so gehoben, als lebe man in jenen
grossen Tagen, wo der Herr den Seinigen als Wolke oder
als Feuersaule voranging, seien aber die himmlischen
Weisen beendet, so erwache man zu der blassen Wirk-
lichkeit unseres schattenahnlichen Alltagslebens." Mein
eigener Eindruck (fugt Moscheles hinzu), war ein gross-
artiger, fast ungeahnter und ich glaube ihn wohl mit fast
alien Anwesenden getheilt zu haben."
Der dritte Tag .brachte leider wiederum Gemisch von
— .. 283 -
Arien, Choren und Ensembles mit Spriingen von der an-
tiken Welt in die moderne, und umge^ehrt.
Fur den vierten Tag hatte die Konigin die Auffiih-
rung des „Messias" angeordnet (wie dieselbe schon 1784
von der Konigin Charlotte angeordnet worden war). Einem
deutschen Musiker konnte es nur naturlich erscheinen,
class sich das Hauptinteresse auf dieses grossartige Werk
concentrirte; die Karten zur Auffuhrung, sowie zu den
Proben waren bald vergriffen und das Publicum suchte
sich der en wieder durch hohe und hohere Preise zu be-
machtigen. Auch war kein leeres Fleckchen in der Abtei
und die Aufmerksamkeit eine wahrhaft religiose zu nen-
nen. Die Times, die nie die Geschmacklosigkeit der zer-
stuckelten Werke in den vorhergehenden Tagen dieses
Musikfestes geriigt, fand es doch am Platze, eben jetzt,
am Schlusse des Festes den Rath zu ertheilen: „man
wurde den Effect solcher Auffuhrungen noch erhohen, in-
dem man die Oratorien ganz im Geiste des Componisten,
d. h. unzerstiickelt wiedergabe." Moscheles schreibt
daruber: ,,Der Rath kam fur diesmal freilich zu spat, es
versteht sich, dass dem deutschen Musiker gar Manches
in diesen Programmen anstossig war, doch blieb der To-
taleffect ein so grossartiger, dass es undankbar gewesen
ware, Einzelheiten zu grell zu beleuchten. Die im eng-
lischen Nationalcharakter liegende Pietat fand in diesen
geheiligten Raumen in diesen fur sie geschriebenen Wer-
ken neue Nahrung und druckte sich in der gehobenen
Stimmung .der Menge aus. Die Abtei hatte ihr Festge-
wand, die Damenwelt ihren Schmuck angelegt, aber fest-
licher noch war es in den Gemuthern; ein Zug von Ehr-
furcht ging durch diese heterogenen Massen, beredter
als Bravoruf oder Handeklatschen. Auch sah man in
dem taglich anwesenden Konigspaar die Trager eines
grossen Wohlthatigkeitswerks, das von der Nation ge-
biihrend unterstiitzt wurde. Ich weiss nicht wieso, aber
das Alles habe ich in dem Verhalten der anwesenden
Menge gelesen; nennen Sie es meine Einbildung, wenn Sie
wolien."
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'— 284. — .
Kaum war Moscheles von einem Auienthalt an der
Seekiiste neu gestarkt nach London zuriickgekehrt, als er
sich wiederum zu einem grossen Musikfeste riisten musste,
das in Birmingham begangen wurde. Man horte Werke von
Handel, Haydn, Beethoven, Neukomm und Spohr, aber,
wie der Spectator riigte, unbegreiflicherweise nur die aller-
bekanntesten, „abgedroschensten". Das neue Neukomm'-
sche Oratorium „David", nennt das Tagebuch verdienst-
lich in Behandlung der Singstimmen, jedoch in Form und
Entwicklung verbraucht und veraltet und fiigt hinzu:
„Neukomm hat von dem Zeitgeiste nur die starke Be-
nutzung von Hornern und Posaunen angenommen, zwei
Ophicleideri und sogar einen Tamtam hinzugezogen. Letz-
teres Effectmittel hatte er lieber verschmahen sollen, die
Aufriihrung, unter Leitung des Componisten, Avar befrie-
•digend und Hess bei den massenhaft herzugestromten
Horern ein gutes Andenken z.uriick.- Diese wurden dann
hinter dem Oratorium her noch an dernselben Morgen
mit einer Auswahl Handel'scher Musik regalirt. Dass
Neukomm in einem dieser Festconcerte, wo erOrgel spielte,
ein Gewitter durch herabfallende Balken und ahnliche
Mittel vorstellte, that ihm grossen Schaden; denn das ge-
horte unstreitig in ein Vorstadttheater. Der dritte Mor-
gen brachte den ganzen „Messias", jedoch mit Hinweg-
lassung der Mozart'schen Blasinstrumente, was scharf
getadelt ward. Am vierten Morgen folgte , .Israel in
Aegypten", leider aber nicht rein und ganz, sondern durch
Hinweglassungen und Einschiebungen arg verstummelt.
Dass man diesem herrlichsten Oratorium erst eine Aus-
wahl verschiedener Stiicke aus geistlichen Tonwerken
vorangehen liess, konnte ich in meinem Sinn nur mit der
nordischen Sitte vergleichen, dem Magen der Gaste, die
man zu einem splendiden Mahl ladet, erst verschiedene
stimulirende Geniisse zu bieten, ehe man sich zur Suppe
und der Phalanx der darauf folgenden Gange nieder-
setzt."
Ausser diesen allmorgendlichen, geistlichen Auffiihrun-
gen ward auch an den Abenden concertirt und zwar. sehr
— 28 5 . - .' . ■: .
weltlich. Zu einem dieser Abende war Moscheles mit
seinen ..Recollections of Ireland" und dem „Alexander-
marsch" engagirt. Der machtige Ton des Erard iiber-
wand die kolossale, nicht auf Soloinstrumente, sondern.
auf Massen berechnete Grosse der Halle. Ja, der Specta-
tor meinte: nicht nur die grosse Halle hatte er geniigend
gefiillt, nein auch auf dem ausseren Platz eine dankbare
Zuhorerschaar aus dem Volke gehabt. Das Concert ergab
eine Einnahme von £ 14,000.
Wahrend des ruhigen Aufenthalts an der Seekiiste in
Broadstairs hatte Moscheles sich viele Skizzen zu seiner
Ouvertiire zur .Jungfrau von Orleans" gesammelt und
machte sich bei seiner Riickkunft nach London an ihre
Verarbeitung. Das Tagebuch gedenkt mehrerer Unter-
brechungen, unter denen diese Arbeit vor sich ging, darun-
ter einer von allgemeinerem Interesse. „Am 16. October
Abends war ich ganz in die Arbeit vertieft, als plotzlich
die erschreckende Nachricht erscholl, das House of Lords
brenne. Nur zu bald bestatigte die Feuermasse, die sich
am Horizont unserer von den Parlamentshausern sehr ent-
legenen Wohnung zeigte, die traurige Nachricht. Das
Haus wurde ein Raub der Flammen; es war nicht so
dauerhaft und widerstandsfahig angelegt, wie das jetzige."
Die Ouverture wurde trotz dieser und anderer Storun-
gen bald fertig, und von ihm selbst fur Clavier (zu vier
Handen) arrangirt. Sie bekam statt des brillanten larmen-
den Schlusses, einen sanft verschmelzenden, den er der
Todesart der Johanna angemessener fand. Moscheles
schreibt daruber in einem Briefer „Ich habe in dieser
Ouverture nach Schwung, Haltung und Einheit der Ge-
danken gestrebt; bekomme ,ich die richtigen Horer, so
konnte das Werk befriedigen; aber freilich, wer italieni-
sche, leicht fassliche Tandelei sucht, der wird Nichts da-
rin finden; wer eine engere Verarbeitung einzelner Theile,
das Eintreten einer wenig vorbereiteten Modulation schon
zu gelehrt findet, den kann sie nicht ansprechen. Fur
den in den Contrapunkt Eingeweihten sind das Lecker-
bissen. Ich hake Gesangfiihrung und Klarheit, so wie
— 28b —
Einheit und geniale Verwicklung der Hauptgedanken fur
die wichtigsten Ingredienzien einer Composition, und nach
diesen will ich immer streben. . . Mendelssohn's Octett,
in dem Sie Abwesenheit von „Melodie" finden, neigt mehr
zum Kiinstlichen hin, jedoch lohnt es sich der Miihe, das
herrliche Werk wiederholt und mit forschendem Sinn zu
horen — zu horen, bis man dessen Originalitat, die nie in
Bizarrerien ausartet, verstehen und wiirdigen lernt
Fur Spohr's „Weihe der Tone" ist hier nicht viel Sym-
patbie. Haslinger trug das Eigenthumsrecht derselben
auf i oder 2 Jahre durch mich der Philharmonischen Ge-
sellschaft an, diese aber dankte!"
r In diesem "Winter wurde als Novitat Byron's „Man-
fred'' mit Choren von Bishop im Coventgarden Theater
gegeben. „Der Aufwand an Scenerie und Decorationen
war grossartig, die Musik 'nicht viel geniessbarer als die
zum „Bravo" von Marliani, ein Mischmasch von Rossini's,
Pacini's und Mercadante's abgedroschensten Gedanken.
Besser hatte sich die schone Ausstattung ohne den Ohren-
f zwang angesehen."
Nicht ohne Interesse diirften ferner noch folgende
Notizen sein: ,3Ieine Frau", schreibt Moscheles, „die mir
vorliest, wahrend ich Correcturen mache, bekam in diesen
Tagen Uhland's Gedichte in die Hand, wodurch mir Ver-
anlassung ward, die Gedichte „Der Schmidt", „das Reh"
und „Des Gartner's Lied" fiir eine Singstimme zu com-
poniren."
Gegen Ende des Jahres war man mit den Vorberei-
tungen zu einer hauslichen AufEiihrung von „Israel in
Aegypten" beschaftigt. Man hatte einige Chorknaben
aus der Westminster Abtei und einige gut geschulte Lieb-
haber hinzugezogen. Die Hauptstiitzcn aber waren: Mme.
Caradori -Allan, Rockel und Taylor. Die Proben gewahr-
ten grossen Genuss und leiteten zu einem tiefern Ein-
dringen in die Schonheiten dieses Riesenwerks an. Die Auf-
fiihrung selbst war gelungen und schloss das Jahr wurdigab.
— 287 — ' ~"
1835.
Das Jahr beginnt mit der alljahrlichen Reise nach
Bath. Der Erfolg des dreitagigen Aufenthalts ist der ge-
wohnliche; eine reiche Erndte von Lob und Guineen.
Wiederum finden fernerdie alljahrlichen Probeabende neuer
Compositionen in der Philharmoniscben Gesellschaft statt.
Spohr's „Weihe der Tone" wurde von Sir G. Smart diri-
girt. „Dieser meinte", erzahlt Moscheles, „er konne das
chronische Uebel englischer Orchester, den Mangel an
geniigenden Proben, durch eine Anrede an seine musika-
lische Armee, den Commandostab in der Hand, beseitigen.
„„Die Deutschen"", sagte er, „.,haben unzahlige Proben
gebraucbt, urn dies schone neue Werk auffuhren zu kon-
nen; sehen vvir, was wir scbon in dieser einen Vorprobe
werden leisten konnen."" Hierauf brach der englische
Nationalstolz in das hergebrachte „Hear! hear!" aus, und
die Musik begann; das Werk wurde auch richtig her-
untergespielt, nur von Nuancen war keine Rede. Ich
folgte in der Partitur, erfreute mich an der Gediegenheit
des Ganzen, sowie an seinen einzelnen Schonheiten; fand
jedoch die bekannte Form und Farbe Spohr'scher Musik
zu vorherrschend, um mich zu begeistern. Ziinden kann
nur erfindungsreiche Genialitat. Das Andante mit seinen
gemischten Taktarten — 3 /g und 9 / t 6 — blieb auch in der
Probe des ersten Concerts ein Stein des Anstosses; die
eine Vorprobe und der britische Nationalstolz hatten nicht
ausreichend gewirkt, und bei der AufRihrung ging's, wenn
auch besser, doch gewaltig steif und holprig. Die Mo-
zart'sche Symphonie in D war schon in ihrer classischen
Einheit. Mendelssohn's Hebriden-Ouverture litt leider an
schleppendem Tempo; der vierundsechszigjahrige J. B. Cra-
mer aber machte mir Freude durch seinen zarten Anschlag
und seine geperlten Laufe, wenn ich auch das markige Ele-
ment in seinem Spiel vermisste. Leider war es wieder
eine Geschmacklosigkeit, dass er das erste Stuck und An-
dante seines eigenen C-moll-Concerts mit dem letzten des
Mozart'schen gleicher Tonart vortrug. Die Stockhausen
sang in ihrer reizendsten Weise, Braham aber iiberschrie
sich in Neukomm's ..Midnight review" so sehr, dass er
viel detonirte. Ich selbst spielte mein G-moll-Concert,
aber auf einem 2ahen Erard mit stockenden Tasten, der
mir viel zu schaffen machte."
Im dritten Concert, das Moscheles dirigirte, brachte
er auch seine Ouverture zur ,Jungfrau von Orleans" mit
Beifall zum Vortrag. Von der Beethoven'schen Sympho-
nie in B-dur wollten die Blatter einstimmig behaupten,
sie habe unter seiner Leitung nie geahnte Schonheiten
entwickelt. Rubini und Lablache sangen herrlich; doch
riigte man die Wahl Rossini'scher Stiicke, als nicht clas-
sisch genug fur dies Publicum. Endlich trat der junge
Bennott, ein Schiiler von Potter, . in einem Clavierconcert
eigener Composition auf, das Moscheles den besten deut-
schen Meistern nachgearbeitet, tiichtig und bedeutend
fand, wenn er ihm auch wiinschen musste, er mochte sich
bei kiinftigen Arbeiten weniger an seine Meister anlehnen,
und an Energie zunehmen. H. Herz, der Pianist, spielte
auch ein Concert, von dem Cramer bissig bemerkt hatte:
„c'est Paris tout crache"; auch musste er sich gefallen
lassen, dass die Morning- Post es „music fit for a panto-
mime" nannte.
Wie Bath im Suden, so verlangte auch Manchester im
Norden nach seinem Lieblingspianisten. Ueber den Aufent-
halt in letzterer Stadt mogen einige Auszuge aus Briefen,
die er von dort aus an die Frau richtete, Auskunft geben.
Wahrend fiinftagiger Abwesenheit geschrieben, enthalten
sie nicht viel kunstlerisch InteressaDtes;,doch mogen sie
hier ihren Platz finde^ um den Familienvater ins richtige
' Licht zu stellen.
Schon unterwegs, aus Leicester, schreibt er einige
Zeilen in liebender Besorgniss um Frau und Kinder. Dann
heisst es: „Drei stillschweigende, diinne, in sich gekehrte
Englander waren meine Reisegesellschaft. Ich schlier
vortrefflich, so oft ich aufwachte, dachte ich an Dich und
das war Einmal, aber ich dachte auch im Traum an Dich.
Kiisse mir die Kinder -und sei ruhig und vergniigt."
5 ■rfJPgJ^'-sp*®W p^<^;£?^i^>f£^'^\J*? ~\^f^*^'^fi^^~i:^ i my^:^f^.^
'■' ' ' ' " ; .-'■■'"■■ — 28g — ' ' ." ■ : . " : ; ;
Aus Manchester schreibt er: „In Gesellschaft voti
Beale's, die mich mit Aufmerksatnkeiten uberhaufen, be-
ginne ich diese Zeilen. Wenn sie kurz und waschzettel- ':
massig werden, so hat das drei Ursachen: das Geschwatz '■'*
im Zimmer, meine Miidigkeit und Deine Ermahnurig Dir
nicht spat in der Nacht zu schreiben und nur zu sagen,
dass ich wohl bin. Das bin ich vollkommen. Du hast
hoffentlich raeinen Brief aus Leicester erhalten. Wir ka- "■
men hier bei gutem Frostwetter um 5 Uhr an und gingen
nach Tische A lie zur Probe, wo ich auf einem Broad wood
„Recollections of Ireland" spielte. Willert, einer der Di-
rectoren war dort. Holm, miide, wie er gewohnlich wird, ;.
wenn ich Chopin spiele, blieb zu Hause und ging um acht
zu Bette. Mit meinen Lustfahrten nach Liverpool oder
zu Grundy's wird's wohl nicht viel werden, da sich schon 1
mehrere Schiilerinnen bei Beaie auf meine Anwesenheit
pranumerirt haben, also wird lectionisirt werden, comme
chez nous. Vor der Hand aber siegt Morpheus uber
mich. Gott bewahre Dich und die Kinder."
Und am folgenden Abend: „Das erste Concert ist eben
voriiber — vortrefflich, ganz zu meiner Satisfaction. Der
Brief muss morgen fruh 7' Uhr auf der Post sein, deshalb
schreibe ich wieder Nachts bei Beale's, wahrend iirt selben
Zimmer das supper auf den Tisch gesetzt wird, und Jeder
etwas uber's Concert zu sagen hat, wobei Holm's helle
Stimme oft uber Alle hervortont. Denke Dir, ich habe
heute funf Lectionen geben miissen, aber der alte Beale
hat es sehr gut fur mich eingerichtet, indem er Allen im
Voraus sagte, dass es mir nicht moglich sein wurde, aus-
zugehen, und so hat er mir ein comfortables Zimmer iiber-
lassen, wo Eine.nach der Andern kam, um sich ein wenig
Fingersatz zu holen und sich ein bischen Tact schlagen
zu lassen. Dazwischen sah ich nur einmal nach dem Saal
um das Instrument zu probiren, welches Beale _sehr vor-
theilhaft regulirt hat. Verschiedene Visiten raubten mir
bis zur Tischzeit (4 Uhr) jeden Moment. Um diese Zeit
ward ich ungeduldig nach Deinem Antwortschreiben und
dadurch mein Gaumen sehr gleichgiiltig gegen Braten,
Moschclcs' Leben. j„
- — 290 —
Gemiise etc. Ich fragte wohl zehnmal, ob noch Briefe zu
erwarten wareh? Mr. Beale sagte: Nun ist es zu spat.
Ich verschluckte diese Pille, und 5 Minuten nachher ward
ich durch Deinen herrlichen Brief erlost. Ich las ihn
noch iiber Tische und freute mich von Herzen. Gleich
nach Tische in's Concert — der Saal, iiber voll, machte
einen glanzenden Effect. Die ..Recollections" wurden gut
aufgenommen. Gern hatte ich den Plan der Phantasie,
den Du mir vorschlagst, genau befolgt, wenn nicht einer
der Directoren mir Rubini's eben gesungenes vivi tu, ein
anderer Beethoven's Andante in A-moll als Themen ge-
geben hatte, wozu ich endlich:
Jg
g^^^ f^ g^l "*»
Es war anfangs eine der ruhigen, iiberlegten Phanta-
sien, die sich bis zu einem Feuerwerk steigerte. Rauschen-
der Beifall. Da ich morgen und iibermorgen eben so viel
Lectionen geben muss, lasse ich Holm allein nach Liver-
pool gehen."
Am folgenden Tage schreibt er: „Das angenehmste
Finale meines Tagewerks ist heute wieder der Brief an
Dich. Ich konnte ihn nicht eher als jetzt beginnen, weil
ich einen londoner Geschaftstag verbrachte. Denke Dir,
ich habe sieben Lectionen gegeben und morgen hab' ich
dieselben Schiiler. Ich komme eben von Leo's nach Hause,
zu denen ich nach der Probe ging, weil ich das Diner bei
ihnen wegen des bei Beale nicht annehmen konnte. (Hier
folgen Einzelheiten iiber die Liebenswurdigkeit und Gast-
freundschaft dieser und anderer Freunde in Manchester.)
Die Hauptfreude des Tages war wieder Dein Brief. Er
kam bei Tische und die Art, wie ich danach griff, machte
wohl, dass mir gleich von den Gasten eine Erlaubniss —
sogar eine dringende Aufforderung — votirt wurde, ihn
sofort beim Diner zu lesen, so dass ich keinen Anstand
nahm, es zu thun, und mich vortrefflich dabei amusirte.
Dein Bulletin, Zeiteintheilnng, Bericht iiber die Kinder,
Alles befriedigt mich, Ich befinde' mich wohl, wie ein :;
Fisch im Wasser, obgleich das Wetter schauerlich ist. ;v
Mogest Du's besser haben. Es wird spat und ich hore : ^
Dich sagen: „Willst Du denn die halbe Naeht aufbleiben?" ■/■_'):
Darauf antworte ich: „Nein. aber ich mochte gern ein vi;.
wenig mit Dir plaudern; denn ich schreibe dies in meinem .-.;./?
comfortabeln Schlafzimmer, vor einem prachtigen Kamin- ■ >>
feuer, welches auch Du loben wurdest!" Aber die Ver- _ ■'*
nunft siegt, und Dein Ruf erklingt mir, wieder, daher: ':';%.
gute Nacht! und guten Tag! wahrend Du dies liesest," '" ; .
Vor der Abreise endlich scbreibt er: „Nachmittag v
4 Uhr. Ich fange diesen Brief jetzt an, weil ich nach X,
dem Concert wenig Zeit haben werde. Dies ist der letzte
Brief, den Du vor meiner Nachhausekunft empfangen
kannst; aber trotz aller Erkundigungen kann ich Dir noch •'
nicht sagen, wie und mit welcher Kutsche ich reise. Ich . ;
habe heute wieder die Lectionen gegeben und eben das
Instrument im Saale probirt. -..-.;
11 Uhr Nachts. Das Concert ist fur mich glanzend ■.:■"•:
abgelaufen, ich wurde sturmisch applaudirt und musste
zweirnal phantasiren; ich habe auch einmal. Schnurren ;.
a la Paganini gemacht, die sehr wirkten. Anhaltendes
Regen wetter und die Sparlichkeit der Kutscher in dieser
Stadt Avar der Grund von allerlei ernst-komischen Aven-
turen nach dem Concert; doch davon miindlich. Auch den
Dank fur Deinen kostlichen Brief von gestern bringe ich
Dir selbst. Wusste ich nur, mit welcher Kutsche ich nach
London reise! Du glaubst mir, wie gerne ich mir ein
Rendezvous mit Dir in Islington gegeben hatte, aber bei '
der Unsicherheit mussen wir es mit Resignation aufgeben.
Schade uach, dass ich Dir morgen von Sheffield nicht
mehr schreiben kann, weil der Brief erst Montag in Lon- -
don ausgegeben wurde, aber auf den Deinigen freue ich
mich, den bekomme ich dort. Wenn Du dies liesest, bin
ich hoffentlich schon auf der Reise zu Dir begriffen. Auf
baldiges Wiedersehen!"
In London angelangt,. konnte er sich nur wenige
Stunden der Erholung widmen. Die Geschafte drang-
19"
;.■,-'.-■■■■'■' ' ' ■ — 292- "— ■'/'[■ ' •.
l'x ten sich sofort wieder heran. Giebt es doch in London,
\-._} wo' man keine miindliche Eestellung kennt, stets Billets
f ' , zu schreiben, und hataen diese sich 5 Tage lang angehauft,
so sind sie riicht mehr leicht zu bewaltigen. Da Moscheles
H, nun berechtigt war, mit dem Figaro im „Barbiere di Seviglia"
)- '.-.' auszurufen: „Tutti mi chiedono, tutti mi voglino", so war
i.y bald hier eine Lection zu bestimmen, bald dort eine Ein-
ladung, eine Artigkeit, ein Geschenk dankend anzunehmen.
Den so Verwohnten moclite irgend eine Hintansetzung dop-
pelt unangenehm beruhren; kein Wunder also dass er
brieflich in Klagen dariiber ausbricht. Es ist ein Stiicfechen
Culturgeschichte, das wir unsern Lesern ohne Commentar
mittheilen wollen. „Ich hatte", sagt er „in der letzten Saison
zwei heranwachsende Ladies, Tochter des Lord L, unterrich-
." tet und mich weder mit ihnen, noch mit der Frau Mama oder
j;> . den gepuderten betressteti Dienem behaglich gefiihlt. Die
: ' Madchen hatten nicht einmal guten Willen zum Lernen,
;_■;- und waren, so wie die Mutter, hochmuthig, die Diener
machten's ihnen bei meinem Ein- und Ausgang nach, und
ich musste in und aussef dem Salon fest auftreten, um
meine Rechte als Gentleman zu wahren. Nach beinah
9 Monaten schicke ich meine Rechnung von 35 £ ein,
: worauf nach geraumer Zeit ein stewart bei mir erscheint,
meine Frau in meiner Abwesenheit spricht und die Riick-
seite meiner Rechnung producirt, worauf der edle Lord
geschrieben hatte: „Pay this man £ 15, on account of
bill," („Zahlt diesem Manne £ 15 a Cbnto der Rechnung").
Sie, in gerechter Entriistung weigert sich, diese anzunehmen,
worauf der stewart theilnehmend erwidert: „Well ma' am,
I advise you to take them, while you can get them."
(„Ich rathe Ihnen, das Geld anzunehmen, solange Sie es
noch bekommen konnen"}. Nun fallt ihr ein, dass die
Familie als schlecht zahlend verschrieen ist, und sie nimmt
das Geld an. Bald darauf sendet Lady mit der Bitte zu
mir: ich mochte die Lectionen an ihre Tochter wieder auf-
nehmen. Ich lehne es ab. Darauf kommt eine ausserst
hofliche Anfrage des Lord nach den Griinden meiner
Weigerung, ob ich iiber etwas zu klagen habe? Ich gehe
"■■■'■:■.- ; "■'' . ■- ..,/' ■-^■ v .''?93" —/■'::' " '"'■ "-.. "", ■ ;'^z
hin und klage miindlich, Lord und Lady L. iiberhaufen
mieh mit Artigkeit, ich bestimme wieder meine vier Stunden ; . ";
wochentlich. (Er wurde von da an durch eine Reihe von f,
Jahren riicksichtsvoll behandelt und piinktlich bezahlt). So "'';■;.
muss man diese Leute erziehen. Das arme Frl. A. verliess v^\
das Haus, weil die jungen Damen sie, die feingebildete * ''['■%
Erzieherin, wegwerfend behandelten. Sie hatte sich hin- . ~;
einzufinden gesucht, klagte aber zuletzt meiner Frau, die 'v
Stellung sei unaushaltbar." ' - ^
Am 21. Marz musste Moscheles dem Director der italie- \
nischen Oper, Laporte helfen, sein Haus zu eroffnen. . " -;-
Nicht, dass er plotzlich italienischer Sanger geworden ware.
Die Primadonna, Madame Trinklohr, hatte in der elften
Stunde die Masern bekommen; so setzte man mit dem
Rest, der um diese Jahreszeit immer noch beschrankten
Truppe ein Concert zusammen, und erhohte seinen Reiz
durch ein hinterher gegebenes Ballet. Moscheles bekam
fur seine Gefalligkeit , die .Recollections of Ireland" zu
spielen, den Opernsaal fur den 1. Mai gratis und gab an
diesem Tage ein sehr erfolgreiches Morning-Concert, Die ::
Ouvertiire zur .Jungfrau" und der erste Satz des Concert '
pathetique waren die Novitaten, die er dem zahlreichen
Auditorium bot. Komisch war es, dass die Times nichts
weiter an dem neuen Concertsatz zu tadeln fand, als dass
sie keine Pauken und Trompeten in einem Concert path6-
tique wiinsche. Mit Mori und Lindley spielte er Beethoven's
Tripleconcert ; und schliesslich noch eine freie Phantasie,
die nie fehlen durfte.
Als die Saison weiter vorgeriickt war, gab Laporte
seinen Abonnenten das unnachahmlich grosse Quartett, ,
die Grisi, Rubini, Lablache, Tamburini, die besonders in '
den „Puritani" entziickend sangen. Der liebliche, jugend-
liche Sopran der hiibschen Grisi und die Contrabasstone
des Lablache contrastirten auf die interessanteste Weise,
wie das Tagebuch lobend schreibt„ wogegen die abgeleierten
Lieblingsstiicke der siisslichen Oper Moscheles schon nach
wenigen Monaten wieder grundlich zuwider waren.
„L'Estocq" von Auber war eine neue Oper des Covent-
■'■■'', — -^94 — - ■"■
garden Theaters; sie erhob sich aber als Composition zu
wenig iiber die Alltaglichkeit, um sich, trotz des Aufwan-
des an Costumen und Decorationen, lange auf dem Repertoire
halten zu konnen. Im franzosischen Theater hatte man
durch Jenny Vertpre, Lemaistre und spater durch das Ehe-
paar Volnys (Frau Volnys war die friihere Leontine Fey)
grosse Geniisse. An den Stiicken war freilich viel auszusetzen.
Ueber sich selbst schreibt Moscheles in einem Briefe:
„Der Drang zum Componiren ist immer da; aber wo
die Zeit hernehmen? So ein p'aar Liedchen wie Byron's:
„There be none of beauty's daughters" und „Ira Herbste' ;
von Uhland babe ich zwar in die Welt gesetzt; aber ich
komme nicht dazu, ganz ungestort mein Concert pathetique
zu beenden. Ausserdem mochte ich dem im Jahre 1822
componirten „Hoirimage a Handel" eine neue Introduction
geben." Die letztere entstand denn auch um diese Zeit
und ist seitdem dem Publikum haufig vorgefiihrt worden.
Spater sagt das Tagebuch : „Heute brachte Klinge-
mann uns zwei vierhandige Orgelfugen von Mendelssohn,
iiber die ich sogleich mit meiner Frau herfiel. Herrlich, wie
alles, womit er die musikalische Welt beschenkt,"
Eben damals liess Kalkbrenner seine „ Etudes prepa-
ratoires" erscheinen, die eben nicht viel Eindruck machten.
Litolff brachte gar manche vielversprechende, wenn auch
noch jugendliche Compositionsversuche zur Beurtheilung.
Gleichzeitig erschienen Chopin's grazioses Scherzo und seine
grossen Etuden. ,,Ich bin ein aufrichtiger Bewunderer
seiner Originalitat", sagt Moscheles „er hat den Clavier-
spielern das Neueste, Anziehendste gegeben. Mir person-
lich widersteht die gemachte, oft gezwungene Modulation,
meine Finger straucheln und fallen iiber solche Stellen,
ich kann sie iiben, wie ich will, ich bringe sie nicht ohne
Anstoss heraus."
JT Uber die ,,Symphonie fantastique" von Berlioz, die ihm
der Verleger im Clavierauszug schickte, schreibt das Tage-
buch: „Ich mochte kaum dariiber urtheilen, ehe ich die
Partitur kenne, aber ich kann mich nicht mit den ewigen
Unisono's, Octavengangen und Tremulando's aussohnen.
>-w£Ki^&;%£<?WZy -^W--^ X-t^mf-h?^; ^';":-- : '!p-r?r* "^.^
— ' 295 — ..
Icii finde nicht die Basis einer gesunden Harmoniefolge;
vielmehr scheint mir das „Dies irae" und der Hexensabbath
von einer krankhaften Phantasie zu zeugen; audi schiirzt
sich die Entwickelung der aufeinander gehauften Figuren
oft zu einem gordischen Knoten; wer zerhaut ihn? Aber
Warme und Poesie hat der junge Mann, und einzelne
Stellen erinnern mich in ihrer Grossartigkeit an einen
antiken Torso."
Zur Kennzeichnung des damaligen Musik- und Musiker-
lebens in London theilen wir einige Stellen aus Briefen
Mbscheles' mit: „Will ich unsere musikalischen Leiden so
gut wie die Freuden aufzahlen, so muss ich gestehen, dass
der fremde Musikantenschwarm zuweilen den Horizont
verfinstert, wie die Heuschrecken den Himmel Aegyptens.
Der Line treibt die deutsche Einfachheit so weit, dass er
keine andere Sprache, als die seinige spricht, doch aber
hierher gereist ist, um von den Englandern anerkannt zu
werden; er gleicht dem Dominie Sampson auf ein Haar,
.spricht auch rriit seiner Pedanterie. Dazu bringt er immer
seinen Schuler, einen langweiligen jungen Hollander, mit.
Treffen die Beiden wie gestern mit dem deutsch franzosir-
ten , parfiimirten H. zusammen und finden Beide den
Urenglander H., der eben nur seine Sprache spricht
und componirt, so giebt das keinen guten Klang. Bei
Tische lasst sich der Deutsche zwar Alles schmecken,
sagt meine Frau, aber der Franzosirte rumpft jdie Nase
bei jedem Kornchen Pfeffer, wahrend der Englander ehe
er gekostet hat, den Rand seines Tellers mit Senf, Cayenne
u. a. Scharfen belegt, einer Malerpalette gleich. Wir selbst
kamen vor lauter Dolmetschen kaum zum Essen, zuletzt
aber audi vor innerem Lachkrampf nicht; denn endlich
glaubten der Deutsche und der Englander, ihrem Drang
nach gegenseitiger Mittheilung Geniige zu leisten, indem
sie lateinisch sprachen; aber auch da hatten sie sich ver-
rechnet, die verschiedene Aussprache verwickelte sie in
ein Labyrinth, das ihre Ideengange zu lauter Irrwegen
machte."
In einem andern Brief heisst es: „Ich soil Ihnen den
eigentlichen Zweck, der von Sudre erfundenen langue
musicale nennen? Aber ich fiirchte, sie hat gar keinen,
und der Ungliiekliche verrechnet sich nur. Er meinte.
alle Nationen soil ten miteinander durch das musikalisehe
Scalen- Alphabet verkehren, ein Clairon durch diese
Tone auf weiten Land- und Seestrecken, durch den dichtesten
Nebel hin, Befehle verkiinden, ein Taubstummer mit einem
Blinden verkehren konnen, u. s. w. Er hat mit seinem
Schiiler viel bei mir vor musikalischen Freunden experi-
mentirt, ohne Jemanden von der Tiichtigkeit der Erfindung
zu tiberzeugen. Einen ganzen Berg von hochtonenden
Ankundigungen hat er um theures Geld drucken lassen
aber der Berg gebar nicht einrnal eine Maus; denn als
der Drucker bezahlt werden sollte, musste ich ihm mit
etwas Kleingeld unter die Arme greifen, um ihn vor dem
Schuldthurm zu bewahren. Dem Clavierspieler S . . . . y,
dessen nicht allzugrosses Talent ihm wohl auch keine
goldne Ernte gebracht hatte, erging es besser, weil er
Pole ist und als solcher die Sympathien der Lady Dudley
Stuart fur sich hat. Sie raumte ihm ihre Salons fur ein
Privatconcert ein und fiillte sie durch ihre Freunde." Dort
sowie bei Mori und vielen Andern wirkte Moscheles mit.
Ein Epoche machendes Concert war das von de Beriot
und der Malibran; denn dies vielbegabte Ehepaar schien
sich selbst zu ubertreffen und leistete das Unglaubliche.
In diesem Jabr trat Julius Benedict als ein neues werth-
volles'Mitglied in die grosse Londoner Musikergilde ein
und zeigte sich sogleich als tiichtiger Musiker und Clavier-
spieler. Er war durch seinen langeren Aufenthalt in Italien
ganz besonders befahigt, die italienischen Sanger zu be-
gleiten. Im Moscheles'schen Hause ward er als ausge-
zeichneter Landsmann mit aller Herzlichkeit empfangen.
Der gute altgewordene J. B. Cramer wollte sich nach
Munchen zuriickziehen, gab ein Abschieds-Concert, und
ward von seinen Freunden zu einem musikalischen Fest-
essen geladen. „Wir Clavierspieler", sagt Moscheles, „hatten
zu unsern Leistungen C.'sche Compositionen gewahjt; er
selbst trug Mozarts Concert in D zart und grazios vor;
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als ich zum Schluss noch improvisireh musste, that ich es ' -;:Z
iiber Themen aus seinen Werken, was ihn zugleich er- ;.j,
freute und riihrte.". Cramer blieb nicht lange in Muncheh, ;-■;
sondern zog es vor, seine Tage in England in grosser "■■;'-.,
Zuriickgezogenheit zu beschliessen. : ^; ■
Braham, vielleicht der Reichste in der Musical profes- . :/J ;
sion, machte ein grosses Haus, das vom Adel besucht ~j|
wurde, ob vom untadelhaftesten, das wurde oft in Zweifel '%
gezogen. Es war auch allbekannt, dass die Frau gern er- ;'
zahlte, ihr Mann habe £ 60,000 zur Disposition gehabt,
nicht recht gewusst, wie er sie anlegen solle und deshalb J
das Colosseum gekauft. Dieses wurde nun durch ihn zu
einem Ort vielseitiger Belustigung umgewandelt. Seine -
Haupt-Attraction blieb das Riesenpanorama von London,
friih Morgens, ehe die Essen dampften, auf der Hohe der _i
Paulskirche gemalt. Dazu gab es Bauchrednerei, Fantas-
magorie, Schweizerhauschen , von Alpen umgeben, die
Adlersgrotte mit ihren Stalactiten, den Abguss eines An- \
tikencabinets, Orgelspiel, Beleuchtung des Gartens, und ;■'.
sonst dergleichen. Diese Mischung schien zuerst viel
Publikum anzuziehen; schliesslich aber machte Braham so
schlechte Geschafte damit, dass ihn die Verwendung seiner
£ 60,000 wohl nicht weiter behelligte.
Ein erster Ball beim neuen Lord Mayor wird in. einem
Brief als besonders brillant beschriebem „Die Guildhall
mit ihren herrlichen Raumen, Spiegeln und Banner n er-
glanzte in sonnenheller' Beleuchtung, die ganze Noblesse
war dort und die Damenkleider mit Diamanten besaet."
ImJulischreibtMoscheles: „DieSaisongehtzuEnde, und
bald brauche ich nicht mehr Damenfinger zu curiren; die
Ohren meiner Schiilerinnen curire ich doch nicht". Die ganze
Familie reist nach Hamburg und geniesst die Freude des Bei-
sammenlebens mit den lieben Verwandten. Moscheles' Mutter
und seines Bruders Frau treffen ihn sparer in Leipzig, wo Men-
delssohn eben seinen ersten Winter verlebt. Es sind wieder
herrliche 14 Tage mit der Mutter, mit dem Freunde, und
andern musikalischen Beriihmtheiteh, und wir lassen Mo-
scheles selbst, in seinen Briefen an die Frau dartiber reden.
■•''.""''•■■""■'■'.'. '"'>'•"' •'•'""•••"'•■''".•■■ '■■.;•'■•.• f ..^•••-^. : '.••>■ -^.s- ■'■•-•"' * -('.'.
■ ' ' — 298 — ., '
Leipzig, 1, October 1835,
Urn 10 Uhr Abends. '
Mein theures Weib!
Ich babe heute Morgen halb 5 Uhr mein Tagewerk
begonnen, indem ich Dir einige Zeilen schrieb; so will ich
es damit enden, Dir noch vor dem Schlafengehen Rechen-
schaft von meinem Thun und Lassen zu geben. Um 8 Uhr
Morgens sah ich meine Mutter und die liebe Schwagerin
in ihrer Wohnung; heisse Thranen flossen allerseits. Die
Unmoglichkeit Deines Mitkommens wurde viel besprochen ;
sie sind betriibt dariiber. Kistner, der schon sehr thatig
fur mich war, begleitete mich zu Mendelssohn, der recht
angenehm und angemessen vor der Stadt in Reichels
Garten wohnt. Er empfing mich so kindlich freundlich,
wie immer, und fragte nach Dir mit Herzlichkeit, Respect,
und Liebe, mochte ich sagen. Dein Geschenk versetzte
ihn in Entzucken Ich fand ihn nicht schoner ge-
worden (halb Jiingling, halb Mann) und auch nicht bluhend
aussehend, jedoch muntrer, geistreicher und gescheidter
als je. Er spielte mir drei neue Lieder ohne "Worte vor, die
sich den andern wiirdig anreihen; von meinen Sachen hat
er noch nichts gehdrt — Ich kehrte zu der Mutter zuriick,
um mich etwas um ihre hiesige Einrichtung zu kummern
und empfing Geschenke fur uns Alle, u. A. eine famose
Torte, von der ich Dir noch mitzubringen hoffe. Die
Mutter sieht gut aus, und obschon man sie allenthalben
hier eine schone alte Frau nennt, kommt sie 'mir noch
j^viel jiinger vor, als sie wirklich ist, Bei Wieck war ich
auch und habe mir von Clara recht viel vorspielen lassen,
■^ u. a. eine Manuscript-Sonate von Schumann, die sehr
gesucht, schwer, und etwas verworren, jedoch interes-
f sant ist. Ihr Spiel war vortrefflich und gediegen. Sie hat
scheinbar nicht soviel Feuer, wie die Pleyel, weil sie ganz
ohne Affectation spielt; ihr kindlich bescheidenes Wesen
ist der Gegensatz zu der sturmisch bewegten Jugend dieser
Kiinstlerin, von der mir Felix um 1 Uhr an der Table
d' hdte! bei Kistner viele Details erzahlte. Die arme Frau
., — 2 99 — ■■■■.' - - ■■' ■■■;.' L ^
hat jetzt die Gelbsucht, sagte Chopin, der hier vor Kurzem,'
aus irgend einem Bade kommend,: wenige Tage auf der r l
Durchreise nach Paris zugebracht hat. Nach Tische wieder
zur Mutter, dann mit Felix zu Hauser zum Caffetfinken
Wir unterhielten uns ernst und spasshaft an seinem Streicher, : ',
den ich mir vermuthlich zum Concert ausbitten werde,
obschon mir Felix sein Clavier anbot. Dieser fuhrte mich
zu Dr. Hartel in sein neues Landhaus, nahe am Wall
gelegen, — fiir Leipzig eine Merkwiiidigkeit, da der Be-
sitzer, der fur Italien schwarmt, es ganz im italienischen
Styl erbauen liess. Wie wunderschonj reich und doch ein- . ■
fach diese Villa ist, werde ich Dir besser miindlich, als
schriftlich klar machen. Abends bis 9 Uhr war ich wieder""!
bei Wieck, um Schumann zu treffen, der ein stiller und
doch interessanter junger Mann ist. Wieder liess ich mir
von Clara viel vorspielen, vortrefflich, wie ich schon sagte._/
Ich gab ihnen auch ein Probchen rneines Phantasirens".
Am 2. October schreibt er:
„8 Uhr Morgens. Ich erwarte Felix und will indessen
den Tag gut beginnen, indem ich Dich frage : Wie hast
Du geschlafen, Hebes Weib; was machen die Kinder?
Componirt Emily, lernt Serena ein Epos auswendig und
ersturmt Felix irgend eine Festung? Ueber alle diese
Punkte ist hoffentlich schon Nachricht fiir mich unter.wegs."
g Uhr. ,, Felix ist da, und jetzt gehe ich mit ihm in
seine Wohnung, um mir sein Oratorium vorspielen zu
lassen". „Und nun (schreibt Mendelssohn dazu) klemme ich
zwischen das Convert und die Oblate noch geschwind
meinen herzlichen Gruss und Dank; ich hoffe Ihnen Beides
ausfuhrlich in diesen Tagen zu sagen, heut ist noch alle
Eile des ersten Tages da und ich muss heute Vormittag
viel Neues horen — da konnen Sie denken ; wie ich mich
darauf spitze. Sie verderben mich aber wirklich, dass Sie
mir schon wieder ein so wunderhiibsches Geschenk gesandt
haben. — Aber wir wollen gehen! — Leben Sie denn wohl
fiir heut und griissen Sie mir die Ihrigen Kleinen, womit
Emily schon nicht mehr gemeint sein kann".
Am folgenden Tage {3! Oct.) berichtet Moscheles:
; .;.;-' ; '. '■:'" -'./^ "306 — '■ -^ ' ..'■ : '■■■::'
' • „Kistner begleitete mich zu dem lieben ehrwiirdigen Greise,
Hofrath Rochlitz; dieser empfing mich ausserst freundlich,
und war sehr mittheilend; nachdem er sein Interesse an
meinem jetzigen Besuch, an meinem Spiel, und meiner,
Compositionen ausgedriickt, recapitulir te er die verschiedenen
Eindriicke, die ich ihm, seit meinem ersten Erscheinen
rait dera Alexandermarsch im Jahr 1815 hinterlassen, und
sagte mir viel Schtneichelhaftes uber meine Entwickelung
in der Kunst; er war mir ebenso interessant wie seine
Aufsatze fur Freunde der Tonkunst, die wir so gerne
lasen. G-egen Abend ging ich wieder zu meiner Mutter,
die eben ihre Gebete aus dem mir wohlbekannten' Fami-
lienbuch beendet hatte. Ich leistete ibr ein Stundchen
Gesellschaft, und machte sie sehr heiter durch Erzahlungen
aus unserm Leben, Dann ging ich zu Felix (Mendelssohn),
der mich fur heute und jeden Abend zum Thee gebeten
hat; es ist recht gemiithlich bei ihra, und rief mir meine
Junggesellenwirthschaft zuriick. In der Mitte des Zimmers
steht sein Erard, in einem Biicherkasten sein schon einge-
bundener Handel und, sein Partituren-Reichthum, auf
einem Tische sein silbernes Tintenfass, Geschenk der
Philharmonischen Gesellschaft, an der Wand zwei reizende
Kupferstiche, Titian's Tochter und das Portrait der Schatzel,
auf dem Clavier eine liebliche Unordnung von Partituren
und Novitaten — aber iibrigens Alles nett und rein. Wir
tranken Thee und plauderten, bis der Advokat Schrey
(einer der Concertdirectoren) sich zu uns gesellte. Dieser
ist Musikenthusiast, hat eine herrliche Tenorstimme und
sang ein paar neue Lieder von Felix, die vortrefflich sind.
Ich hoffe sie Dir abgeschrieben mitzubringen. Ich spielte
mein Concert fantastique und das pathetique, und horte
viel A ngenehmes dar uber, dann Felix' mir dedicirtes Rondo.
Mit ihm spielte ich vierhandig meine Ouvertiire und sein
Octett; das ging wieder wie geschmiert — Du kannst Dir
das am Besten denken. — So wurde es 11 Uhr und er
lieh mir seinen Mantel, damit ich im Nachhausegehen —
nach den vielen heissen Noten — mir keine Erkaltung
zuzoge. Er ist ein herrlicher Mensch. Apropos, Felix
■ "'-,■■'■■■ : ' — 30T — ■. ■ -'.-'--. . "' .. --S
* ■ y^^ 1
hat sich mit aller Leichtigkeit dazu verstanden in meinem . ; ,;.'f
Concert mein neuestes Duett mit mir zu spielen, doch hat' , yg
es das Concertdirectorium davon in Kenntniss zu setzen. '. .-.'-;^
Gestern wiinschte er die Mutter und Regina zu besuchen. '. y~:.$
Wir gingen hin, und siie freuten sich sehr dariiber, gaben . i
ihm auch von dem Prager Kuchen zu naschen. Es steht ;'
ein Wiener Flugel in ihrem Zimmer, und auf den Wunsch ^
der Mutter musste ich Etwas spielen; Regina hatte gern ''§
auch Felix gehort, aber er wollte nicht — seine gewohnte - .'
ultra capricios demiithige Bescheidenheit. Er versprach
nachstens wiederzukommen und zu spielen." "-'/
„Jetzt soll'st Du Alles erfahren was mir heute begegnet
ist. Friih die Mutter verfehlt.' Felix holte mich friih zur .-■■,■
Probe. Mendelssohn's vortreffliche Leitung, seine Reden,
seine Bemerkungen, kurz sein ganzes Betragen gegen das
Orchester flosst Liebe "und Achtung ein, Seine Ouverture
zu „Meeresstille und gliickliche Fahrt", von der man sich
im Clavierauszug keine Idee machen kann, sowie Beetho-
ven's B-dur Symphonie gingen ausgezeichnet brav. Die
Probe dauerte bis '/ 2 1 Uhr. Dann ging ich verabredeter-
raassen zur Mutter, und fand sie sehr iriunter. Fehx ass
wieder mit mir an der Table d'h6te. Dann waren wir ~f
bei Wieck eingeladen, mit Schumann, Banck, Hofrath
Wendt u. A. Clara Wieck spiel te Beethoven's grosses Trio
sehr brav, dann ich das meinige, welches sehr gefiel und
gut accompagnirt wurde (von Gerke und Knecht). Dann
uberraschte mich Dein Brief; ich lief gleich damit zur
Mutter." ...
„Ich ging in's Theater um „Das eherne Pferd" von
Auber zu horen, aber o Jammer! welche ' schlechte
Musik, Sanger und Sujet! Schade um meinen Abend! Ich
musste meine Neugierde theuer bezahlen" . . .
a Uhr Nachts. „Es ist mir Bediirfniss, Dir taglich zu
berichten; daher wahle ich diese Stunde, die einzig freie.
Friih zur Mutter und brachte ihr feine Backerei, weil ich
bemerkte, dass die Wirthsleute ihr keine zum Fruhstiick
boten; mit Kistner machte ich Cpncertanstalten, dann zu
Felix, mit dem ich das „Hommage a Handel" aus dem
-1
,1- <.':■->,
-'rJcW.7, "-rJ^'V *' t>^'' ; V';' ™ -Vv -^\<.-^; r -'- TV»^ ■- v'--!*¥^f4 f
— 3 02. — -
Probedruck probirte, aber auf eine komische Art. Er hat
ja nur den Erard; da fiel ihm ein, dass er durch die Thiire,
die sein Zimmer von dem seiner Nachbarin, einer alt-
lichen Frau trennt, zuweilen ein. Clavier gehort habe; ein
nicht leicht zu versetzender Schrank steht vor dieser Thur.
Er ging zu ihr, erbat sich die Erlaubniss, in ihrem Zimmer
zu spielen, wahrend icli es in dem seinigen thate ; sie wurde
ihm .gern ertheilt. Die Thiiren wurden geoffnet, aber der
Schrank blieb stehen, die Instruments stimmten zufallig,
und das Ding ging prachtig. Kistner und ein Organist
Reichard waren dabei und" schienen sehr erfreut. Wir
haben uns nun fest entschlossen, dieses Stuck bei meinem
Concert zu spielen. Unter> den neuen Sachen, die ich
wieder von Felix horte, sind zwei Clavier-Capricen und eine
Fuge in schnellem Tempo in F-moll, die alle vortrefHich
in ihrer Art sind. Bei Hauser (dem Basssanger am Thea-
ter und Felix' intimer Freund) assen wir zu Mittag und
unterhielten uns wieder nach Tische ernst und launig an
seinem Streicher, den er mir zum Concert leiht. Felix
spielte mir ein Concert von J. S. Bach aus Hauser 's schoner
Sammlung vor; dann sang dieser ein gar drolliges Lied
von dem alten Componisten Hiller, worin das Wort Nase
eine Hauptrolle spielt; ich will's. Dir abschreiben und mit-
bringen (Hauser wunschte es selbst zu thun, und sandte
es der Frau, die es noch besitzt). Ich fiihrte die
Mutter und Regina in's Abonnementconcert und blieb den
ganzen Abend bei ihnen. Felix wurde sehr gut empfangen.
Seine Meeresstille war kostlich und ward mit grossem Bei-
fall aufgenommen. Vom Uebrigen miindlich. Nach dem
Concert brachte ich meine Damen vergniigt nach Hause,
traf Felix und Hauser beim Souper im Hotel, begleitete
dann Beide bei klarem Mondschein iiber den Wall nach
Hause, und jetzt sage ich Dir gute Nacht."
5. October I j 2 n Uhr Nachts: „Ich betrete eben mein
Zimmer, welches ich seit heute friih nicht gesehen habe.
;::....■■■ . ., ■ - - ■■■■ ■-:..:. ■ - -p*
-• 303 — • ■ ' , .';<■:
Ich konnte nicht einmal ein Clavier darin haben, so elne v
Noth an guten Instrumenten ist in Leipzig! Dem Brief ^ ;;
kara mir friih zu Handen. Ueber Dein Spielen des Men- ;■
delssohn'schen Octett's haben sich Felix und ich sehr ge- r
freut. Er spricht mir von seiner Verlegenheit, dass er "-.^
noch nicht dazu gekommen, Dir schriftlich zu danken, und
sich Dir schwarz auf weiss zu Fiissen zu legen; kurz er . '
spricht ebenso wie seine Briefe uber diesen Gegenstand.
Mein erster Morgenbesuch war heute wieder bei der Mutter,
die vollkommen Wohlgemuth, heiter und zufrieden ist.
Dein Brief erregte auch bei ihr wahre Freude. In einigen
Privathausern probirte ich Instrumente, um ein zweites
zum Duett zu haben, konnte meine Wahl aber noch nicht
fixiren. Felix begleitete mich zu Fink, dessen Tochter
ein bedeutendes Talent hat und uns vor spiel te. Felix ■, .■ <
speiste mit mir an der Table d'hote, mit Schumann, dem ^~~j
Sanger Naumburg, Banck, Knecht und "Wild. Dieser, so-'
eben angekommen erzahlte mir, dass er nur einmal in
Teplitz zum Auftreten kam und zwar in der Norma —
so drangten sich dort die Festlichkeiten. Thalberg, der
ein Clavier hingeschickt hatte, kam gar nicht zum Spielen,
weil kein Hofconcert stattfand."
Eine Mile V. wiinschte in meinem Concert zu singen;
aber wie erstaunte ich trotz des italienischen Namens eine
klotzigej derbe Deutsche mit gellender Stimme zu hnden;
sie blokte die Variationen der Catalani iiber „nel cor" heraust
und ich gab ihr einen diplomatisch ausweichenden Bescheid. _ <;
So halte ich mich bios an die Grabau und Hauser. Den
Abend verbrachte ich wieder bei Felix mit Thee und
Musik, in Gesellschaft von Hauser und Kistner. Da wurde
ein Concertzettel gebacken. Ich hatte der Mutter zwei Sperr-
sitze fur's Theater gebracht; sie sah mit Regina den
Freischiitz. Um 10 Uhr war ich wieder bei ihr, um iiber
den verbrachten Abend zu plaudern. Gute Nacht.
6. October. „In der bedeutungsvollen Stunde von 12 — 1
Uhr Mittags, wo aller gesellschaftlicher Verkehr in Leipzig
stockt, um dem Magen zu frohnen, setzte ich diese Zeilen
fort. Ich wollte einen so eben erhaltenen Clavierpart vom
— 304 —
S. Bach'schen Concert fur drei Claviere auf heute Nachmittag
durchgehen, fand aber alle Clavierniederlagen verschlossen.
Zu Felix zu gehen, blieb mir vor dem Essen urn 1 Uhr
nicht Zeit : mein Magen wird fiir dies empfanglich sein, so
wie ich mich iiberhaupt hier vOrtrefflich befinde. Heute,
als ich die Mutter besuchte, unterhielt ich sie mit meinem
Album. Ich habe hier ein Bandchen gesehen, welches
unter dem Namen „Bettina's Tagebuch" ihrer Correspon-
denz mit Gothe vorangeht. Wenn Du neugierig darauf
bist, so kannst Du es Dir gewiss leicht verschaffen."
Nachmittags 5 Uhr. „Ich komme eben von Wieck,
wohin mich Regina begleitete. Die Clara spielte ein Trio
von Schubert, sehr brav. Das Concert von Bach fiir drei
Claviere, von ihr, Felix und mir gespielt, folgte, und war
sehr interessant. Ich lasse mir es fiir London abschreiben.
Die V. sang wieder, und Felix begleitete sie zu einer
Arie aus „Macbeth" und den Variationen iiber „nel cor".
Aber es war ein jammerliches Geheul! Den armen Felix
hattest Du sehefl miissen, wie er in einem Cirkel von 30
Personen dasass, wie auf einem Armsunderstuhl. Seine
Augen funkelten, wie die eines gereizten Tigers, und an
seinen Wangen hatte man Licht anziinden konnen, so
brannten sie, Eben soil ich meine neugedruckten Concert-
billete zeichnen. Deine hiilfreiche Hand geht mir dabei
ab ; aber ich kann bei jeder Zeichnung ruhig an Dich denken,
und das ist mir ein angenehmes Gefuhl. Felix theilte
mir heute den "Wunsch des Directoriums mit, dass ich
Sonntag im zweiten Abonnement-Concert spielen moge;
er rath mir, statt des gewohnlichen Honorars von 5 — 6 Ldr.
lieber die Bedingung zu machen, dass ich fiir Saal, Be-
leuchtung etc. bei meinem Concert dem Directorium nichts
zu zahlen brauche, und ich finde, er hat recht. Ein Ge-
danke qualt mich wegen meiner Abreise. Die Eilwagen
gehen nur Montag friih um 5 Uhr Morgens und Dienstag
um g Uhr Abends: Deir erste zu nah am Concert, der
zweite zu spat fur meine Ungeduld,"
q. October: „Eine Stunde vor meinem Concert schreibe
ich Dir. Die Geschafte drangten sich so sehr, dass ich
— 305 — ; ■ .
meinem Vorsatz, Dir taglich zu berichten, nicht treu bleiben
konnte. Gestern hatte ich einen Tag der Ungeduld, weil
ich Deinen Brief von Montag schon erwartete. Die ge-
lungene Probe meines Concerts musste mich zerstreuen;
aber heute kam er und begliickte mich. Ich wollte, ich
hatte Zeit, Alles gehorig zu beantworten; aber das muss
bis aufs Miindliche bleiben. Das Wann ist noch ein
Gedanke, der mich zupft. Ich spiele Sonntag im Abonne-
mentconcert mein G-moll Concert und werde hofFentlich
zwischen den Eilwagen eine Gelegenheit finden. Mein
Concert wird heute Abend glanzend. Der Andrang zum
Billetverkauf ist gross; 750 sind schon abgesetzt, und man
wird wahrscheinlich so Manchen bei der Kasse zuriick-
weisen miissen."
„Die Mutter und Regina sind noch immer ebenso ver-
gniigt und haben sich iiber den heutigen Brief sehr gefreut,
schicken Dir auch alle moglichen Kusse und Liebkosungen.
Wenn ich heute nicht schlecht spielen soil, muss' ich
schliessen und mich nur durch den Gedanken an Dich.
begeistern."
10. October: „Ich wollte, ich konnte der Post Fliigel
verleihen, um Dir die Nachricht mitzutheilen, dass ich
gestern das brillanteste Concert in Leipzig gegeben habe.
Der Andrang war ungeheuer und der Saal iiberfullt. Meine
Mutter verjungte sich dabei. Meine Ouvertiire wurde
vortrefflich aufgefiihrt, die Concert's pathetique und fan-
tastique mit steigendem Beifall aufgenommen. Mein Duett
mit Felix aber machte ungeheures Furore; der Beifall
dauerte lange, man wollte es wiederholt haben; aber die
grosse Hitze hielt uns ab, und wir traten bios noch ein-
m.al vor, um uns zu verbeugen. Auch meine Phantasie
iiber das Thema der Arie aus „ Titus ", welche Frl. Grabau sarfg,
und einen Chor in D aus „Euryanthe" hatte, glaub' ich,
viel Gelungenes und Gliickliches; denn viel Beifall belohnte
mich. Die Brutto-Einnahme war 497 Thlr. Die Kosten
betragen 70 Thlr., bleiben also 427 Thlr. Die iibrigen Aus-
Hoscbeles' ieben, 20
'C'Jvi 1 . 1 ; '(""V 1 ' 'W-->-'
'>^,'
306
gaben bezahle ich durch mein Spielen im Abonnement-
Concert."
„Ausser dem G-moll-Concert, das heute in der Probe
vortrefflich ging, wird meine Ouvertiire wieder gegeben,
so wie das Duett mit Felix, um welches wir ersucht worden
sind. Felix benimmt sich gegen mich iminer gleich liebens-
wurdig und mit einer seltenen Bescheidenheit. Er sagte
mir u. A., ehe ich gekommen, hatte er sich schon mit dem
Gedanken und Wunsch herumgetragen, ob ich wohl ein
Duett mit ihm spielen mochte? Er hatte mir bald des-
wegen geschrieben. Er wird hier vergottert und ist auch
mit mehreren Musikern und Honoratioren auf freundlich-
stem Fusse, jedoch intim mit Wenigen und zuriickgezogen
gegen Viele. Meine Mutter behandelt er mit besonderer
Aufmerksamkeit. Du hast Recht, das Zusammenkomm en
mit ihm giebt mir neuen Aufschwung und viel Genuss" .....
Sonntag fruh 7 Uhr : „Ich war mitFelixund Hauser gestern
bei — zu Tische geladen; es speisten da Baurath Limburger
und Hofrath Keil (zwei Directoren), auch Geh.-E.th. Lehmann.
Die Eigenthiimlichkeiten der Familie sind: Das Super-
gelehrtthun des Herm, die altkluge Geschwatzigkeit der
Frau, die blode Verschmitztheit der Tochter. Die Auf-
wartung war von einem Madchen besorgt, welches an der
Zubereitung der Speisen grossen Antheil gehabt haben
muss, wie der ihr anklebende Schmutz bewies. Dazu ein
alter Aufwarter, der bei meinem Concert Kassirer gewesen
war und nur mit der Brille auf der Nase seinen Dienst
versehen konnte. Alles dies gab uns nachher viel Stoff
zum Bekritteln, dazu kam dass Herr — bei Tische sehr
indiscret iiber einen Aufsatz des Hofrath Rochlitz in der
Musikalischen Zeitung sprach, was Felix in eine auffallend
murrische Stimmung versetzte, der er wie eine losgehende
Luftbuchse im Weggehen Luft machte."
„Einen Theil des Abends verbrachte ich mit den
Meinigen, den andern bei Felix tete a. t^te. Wir tranken
Thee, plauderten recht vertraulich, und dann spielte er
mir mehrere seiner vortrefflichen Fugen und lieder ohne
"Worte (Manuscript) vor. Morgen frith geht meine Mutter
— ' 307 —
fort, das wird mir den Tag schwer machen! aber ich will
mich ermannen."
Nachmittags: „Ich komme eben von einem sehr freund-
lichen Diner bei Kistner mit Felix, Hauser, Dr. Schleinitz,
Weisge, Fink u. A. und schreibe Dir diese Zeilen, ehe
ich mich zum Concert ankleide. Eben erhielt Felix die
Nachricht, dass seine Schwester angekommen ist. Die
Eltern schreiben, ich mochte sie doch nach Berlin begleiten
und bei ihnen wohnen. Felix wiinscht es sehr, aber ich
weiss noch nicht, ob ich mir den Rasttag gonne. Vor-
mittags war Felix mit mir bei meiner Mutter, ran ihr wie
versprochen vor2uspielen. Er liess sie viele meiner Etu-
den horen , spieite auch seine „Hebriden-Ouverture",
und machte sie ganz gliickiich. Hatte ich Dich, hatte ich
Euch Alle nur hier. Es soil, es muss aber. doch Alles gut
gehen . — nur Courage! Adieu! Auf gliickliches Wieder-
sehen!"
Der nachste Brief ist aus Berlin vom 14. October da-
tirt. Er lautet: „Deine Zeilen erhielt ich Montag in Leipzig,
und sie machten mich wieder gliickiich. Sie waren mir
Balsam nach den Stunden der Scheidung von der Mutter,
die Montag friih abreiste. Durch Deinen so herzlich aus-
gesprochenen Wunsch, ich mochte mir den Abstecher iiber
Berlin gdnnen, hast Du meinen Schwankungen ein Ende
gemacht — Felix und ich haben seine Schwester hieher
begleitet, Montag waren wir noch bis Mitternacht auf einer
Soiree bei HarteTs, wo ich all ein und mit Felix gespielt
habe. Dann packte ich {ohne John) bis J / 2 2 Uhr, und schon
um 6 Uhr Morgens sassen wir im "Wagen. Unsere Unterhal-
tung war belebt und kostlich, und Du sehr oft ihr
Gegenstand. Felix' Schwester ist ein gar nettes liebens-
wurdiges Weibchen. — Felix hatte einen Brief an seine
Eltern expedirt, um sie von allseitiger Ankunft zu benach-
richtigen; als wir aber um '/,2 nach Mitternacht anlangten,
merkten wir an der Todtenstille im Hause, dass jener
Brief nicht angekommen war, Es wurde Niemand von
— 3 o8 —
der Familie aufgeweckt und Nachtlager eilig" durch die
Dienstboten bereitet. Da sich nichts fand, urn den allge-
meinen Heisshunger zu stillen, so musste ein grosser Theil
meiner Prager Torte, die ich.im Nachtsack hatte, herhalten,
und that vortreffliche Dienste. Das Wiedersehen der Alten
mit den Kindern diesen Morgen war ein Pamilienfest, eine
Seligkeit, die mir als Zeugen einen unbeschreiblichen
Genuss gewahrte, und dass ich nicht bloss Zuschauer war,
sondern wie ein Sohn mit herzlichem Willkornm empfangen
wurde, erhohte meinen Genuss vielfach. Ich sehe mich
von alien Seiten bestiirmt, meinen Entschluss aufzugeben,
schon heute Abend weiter zu reisen. Ich soil erst morgen
Abend Berlin verlassen. Die halb vergeudeten Nachte,
der schone Aufenthalt hier und endlich Deine ermunternde
Zusprache werden mich wohl fiir morgen bestimmen."
Feiix Mendelssohn fugt hinzu:
„Wenn Sie ziirnen wollen, dass Moscheles Ihnen einen Tag
langer entzogen ist, so ziirnen Sie auf die ganze Leipziger
StrasseNo. 3; denn die ist dran Schuld; er wollte weiter, ob-
wohl er gestern (oder vielmehr heut) Nacht um V 2 2 Uhr erst
hier angekommen war; wir aber thaten einen geistigen Fuss-
fall, und die Polizei wollte den Pass nicht geben, und dann
haben Sie ihn denn auch wieder in Hamburg und Holland
und London, wahrend wir doch morgen auseinanderreisen
mussen, und uns wohl lange nicht wieder sprechen konnen.
Kurz, ich qualte aus Herzenslust mit, und hofie, Sie setzen
sich an meine Stelle; da hatten Sie es auch gethan. "Wenn
Sie sich wiedersehn, wird Moscheles Ihnen alle meine und
unsre Grusse bringen. Die Post geht, al§o leben Sie wohl
und' ziirnen Sie nicht
Ihrem ergebenen
Felix Mendelssohn-Bar tholdy."
Dazu hatte Felix' Vater diesem folgende Zeilen in
die Feder dictirt:
„Ich darf wohl meinen besten Grass hinzufiigen, und
indem ich Ihnen meine Freude daruber bezeuge, so ganz
unerwartet unsern vortrefflichen Freund mit Felix, leider
auf so sehr kurzeZeit nur hier zu sehen, Ihnen dafiir
"K:<;Vi
— 3°9 ..-—
danken, dass Sie uns diese Freude durch Ihr Zureden ver-
schafft. Hoffentlich danken Sie es mir auch, dass ich
Moscheles bewogen, nach einer durchreisten Nacht nicht
schon heut Abend^in einem Beiwagen welter gereist 2U
sein, sondern erst morgen Abend im Postwagen selbst,
seinen Platz zu nehmeh. Leben Sie wohl und bleiben Sie
mir freundlich gewogen."
Wahrend dieses kurzen Aufenthalts ward Moscheles
Zeuge von Felix' kindlich heiterem Uebermuth, von seiner
Gliickseligkeit im Zusammensein mit der Familie. Ein
Brief, den Moscheles, seiner Gewohnheit getreu, Abends
vor dem Schlafengehn seiner Frau schreibt, sagt: „Wir
haben uns musikalisch herumgetummelt. Erst spielte ich
mit Felix Mozart's Duett in D fiir zwei Claviere und mein
Hommage a Handel. Dann iiberliessen wir uns alien mog-
lichen musikaMschen Extravaganzen, phantasirten zugleich
und abwechselnd auf zwei Clavieren — eine geistige Erstiir-
mung. Ich spielte rtoch Felix' Rondo brillant in Es und mein
Concert fantastique, er die Orchesterbegleitung dazu. Seine
„Lieder ohne Worte" spielten wir abwechselnd und dann
kamen allerlei musikalische Scherze an die Reihe. Fanny
Hensel machte mir grosse Freude durch das Vorspielen
ihrer Compositionen. Felix und ich blatterten viel in
seiner Sammlung alter Musik. Genug, diese Stunden werden
mir unvergesslich bleiben und ich trenne mich nur ungern
von meinen liebens'vvurdigen "Wirthen, um hie und da Be-
suche zu machen."
Der Diebstahl, der im Jahre 1823 an Moscheles verubt
worden war (s. S. 77).sollte bei diesem Berliner Aufenthalt
wieder zur Sprache kommcn. Zwar hatte der Thater, der
junge Literat G. schon im Jahre 1825 eingestanden, dass
er den Koffer, den Moscheles beirn Verleger Schlesinger
zuruckliess, als er zum ersten Mai nach London ging, er-
brochen.die Werthsachen entwendet hatte. Das schriftliche
Bekenntniss, das er damals ablegte, sprach von tiefer
Reue .und Beschamung, und wie Moscheles' Edelmuth, der
— 3 10 '— ,
von seiner Verfolgung abgestanden, ihn jetzt zu der Selbst-
anklage treibe; er wolle zahlen, habe Biicher ubersetzt,
werde bald im Stande sein, seine Schuld zu siihnen. Ein
ahnlicher Erguss erfolgt 1827. Es sind dieselben Versprech-
ungen, ohne vorhergegangene Schritte von Moscheles' Seite,
Am 15. October 1835 wird ihm bei Mendelssohns' am
Vorabend seiner Abreise folgender Brief eingehandigt.
Verehrtester Herr Moscheles!
Berlin 73 Friedrich-Strasse 2 Treppen.
Heute friih sah ich Sie auf der Strasse, icb erkannte
Sie auf der Stelle. Vergeblich ging ich von Gasthof zu
Gasthof, urn Ihre Wohnung zu erfahren, bis mir das
Fremdenbureau einfiel, wpselbst mir Ihre Wohnung, zu-
gleich aber auch zu meinem Schmerz bekannt ward, dass
Sie bereits Ihren Pass nach Hamburg hatten visiren lassen.
Den einzigen Augenblick, in welchem ich mich Ihnen
nahern kann, ergreif ich rasch: Ich bin hier! Dies Ihnen
anzuzeigen, ist Pfiicht, Nie habe ich einen Augenblick
gezweifelt, dass ich fruher oder spater im Stande sein
wiirde, Ihnen meine Geldschuld abzutragen, wenn auch nie
die Schuld meiner Dankbarkeit. Ware es mir bios darum
zu thun die Geldschuld abzutragen, so hatte ich Sie ab-
reisen lassen, da es mir zur Zeit, in welcher ich das Geld
in Handen haben werde, nicht schwer fallen kann, einen
Mann zu erreichen, welchen ein europaischer Name ziert.
Es ist mir aber urn etwas viel Wichtigeres zu thun: urn
die gute Meinung des edelsten Mannes.
Dies aus meinem Mund an Sie ist wahrlich keine
Schmeichelei. Obgleich ich fur den Moment keine Mittel
besitze, so haben sich doch meine Angelegenheiten so
gestellt, dass ich, freilich spater, als ich hoffte, Gelder
empfangen werde, unci ich werde den Augenblick als
den frohesten meines Lebens betrachten, in welchem ich
Ihnen das schuldige Capital nebst Zinsen zuriickzahlen
werde. Denn nur auf diese Weise werde ich bezahlen,
und das ist der einzige Punkt, worauf ich gegen Sie be-
stehen wurde" . . . Nun bittet der Schreiber urn eine Zu-
sammenkunft; er will Moscheles ein Papier ausstellen uber
■..■,''■!■""_.:> - ■'■ F t>;-."- .■ : +-' 1 *' . !*■ ' V. . .'-• ./_.",-;. ■ . : ,' r - tr*.'.^-'' jh -..'-r :'■ -v- : rj -' - -,-j'' j ■■■! >t^i. "■■.;-, i.v",'-"^"! p ■ _■' : \-V.
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'— * ii ~— . ■ ".-. ' ^ ■:;■■■;■■' -^
das, was er ihm , schuldig ist; er erzahlt wie er. einem
H. Lowe Jagerstrasse 38 ein Darlehn von 25 £ mit den
■Zinsen zuruck gezahlt,- so wird er auch Moscheles bezahlen,
' und endet: „Gott segne Sie. Er vergelte Ihnen in eignem ;'
und Familiengliick was Sie um mich verdient. '.:)
Ihr Sie bis an sein Ende aus vollster Dankbarkeit ;"..
liebender und wahrhaft verehrender _;
J. G", ''::':
Moscheles antwortet ihm am 19. October .von Hamburg .':■
aus. „Ich habe Ihre Zeilen v. 15. in Berlin erhalten. Als
Antwort darauf beziehe ich mich auf eine Aeussefung,. die
ich Ihnen vor mehreren Jahren schriftlich auf einen ahn-
lichen Brief gegeben habe. Sind Ihre Vorsatze, die Bahn ."•
der Rechtlichkeit zu gehen, echt, so. wiinsche ich Ihnen
Gliick dazu, und wenn auch der Segen von oben sicknur
sparlich einstellen sollte, so werden Sie doch reicher an
gutem Gewissen. Ich wollte Ihnen bisher nicht durch
Vorwurfe oder Verfolgung vergelten, was Sie gegen mich - ,
verschuldet haben, weil ich Sie fiir zu unvermogend an
Mitteln und zu belastet von Ihr em Gewissen hielt, und
Menschlichkeit mich leitete. Wenn Sie mir durch die _':
That, durch theihveise Abzahlung Hirer Schuld gegen
mich beweisen werden, dass Sie mir nicht bios schriftliche
Versprechungen zu geben gesonnen sind, so sollen Sie
von mir gehorige Empfangs-Scheine erhalten. Anderer
schriftlicher Vertrage (wie Sie vorschlagen) bedarf es
zwischen uns nicht. Wenn ich sterbe, sind Ihre Briefe an
mich hinreichende Documente Ihrer Schuld; wollen Sie
fiir Ihr fruheres mogliches Ableben Ihren Verwandten
ein gleichlautendes Papier hinterlassen, so steht das bei ;
Ihnen. Die Zeit wird offenbaren, ob Ihre ausg-esprochenen ;
Vorsatze nicht blosser Schall sind. Wo ich mich aufhalte, er-
fahren Sie immer leicht durch Musikhandler oder Liebhaber.
J. Moscheles".
Eine Anfrage an Mendelssohn's Vater iiber J. G.
bringt Moscheles am 17. October folgende Antwort nach
Hamburg zuruck. ...
, ■' ■" ; > ' "'.'■■ ■ , ""— 312' — ■- '■ ~- ' '■
t ,L'homme en ques'tiofij den ich selbst durchaus nicht
kenne, " soli ein unstates Leb.en gefuhrt haben , war in
Italien, Portugal, Frankreich, England, meist als Erzieher
in bedeutenden Hausern, und mit bedeutenden Mannern
in Beruhrung, soil viel lebende Sprachen fertig sprechen
und schreiben, und ein feines gewandtes Aeussere besitzen;
aber er soil unsicheren Cha'rakters, und dadurch in zerriit-
teten Vermogensumstanden sein, wird daher in den haupt
sachlichsten Bezielmngen nicht als zuverlassig betrachtet,
, in einiger Zeit mehr daruber.
A. Mendelssohn-Bartholdy."
Schon am 24. October schreibt derselbe: „Sie werden
hoffentlich, mein verehrter Freund, meine Auskunft iiber
J. G. erhalten haben. Da ich nicht wissen kann, in welchen
Beziehungen Sie zu diesem Manne gestanden, so-halte ich
es fur meine Pflicht, Ihnen zu berichten, dass derselbe
gestern Abend, nach kurzer Krankheit gestorben ist. Ich
hoffe, dass diese Nachricht kein naheres Interesse fiir Sie
haben wird, als dasjenige, welches ein so nahe geriicktes
Beispiel menschlicher Verganglichkeit in uns erregt.
A. Mendelssohn-Bartholdy."
Moscheles theilt nun diesem vaterlichen Freunde die
ganze Angelegenheit mit und erha.lt folgende Antwort:
Berlin, 29. October 1S35.
Sehr werther Freund!
Ich saume nicht, Ihren hochst merkwiirdigen Brief
7 zu beantworten. J. G. ist eben so abe'nteuerlich jjestorben,
wie er gelebt — an den schwarzen Blattem. Er war
hierher gekommen, urn den auf ihn fallenden Theil am
Ertrage eines Processes zu heben, welchen die Masse seines
Onkels gegen ein hiesiges Handlungshaus gewonnen hatte.
Gewiss wird die Familie sich zur Zahlung des Ihnen Schuldi-
gen verstehen, falls Sie gesonnen sind, die Sache zu urgiren,
und ich wiisste nicht, warum Sie das nicht thun wollten".
Und nun kommen Anerbietungen , Moscheles dabei
zu vertreten, Bitten um Einsendung der nothigen Docu-
mente, und endlich heisst es: „Der ganze Vorfall, wie
: : /-'- < T-;-.. ,- %.:."'" '^iPST '": ; :
'.:--'".
313
Sie ihn einfach berichten, ist wirklich wunderbar, und
wenn er zunachst Sie wieder in Hirer discreten besonnenen
Gutmuthigkeit zeigt, so erinnert er nicht minder an Schiller's
goldene Worte: „Und die Tugend, sie ist kein leerer
Schajl!" Leider blieb dem Verstorbenen nicht Zeit, sie
im Leben zu iiben; nachdera er iiberall gestrauchelt, sollte
man glauben, dass er eben jetzt angefangen, sich zum
Guten zu entschliessen und das erinnert an den noch golde-
neren Spruch der Rabbinen: „Bessere Dich eine Stunde
vor Deinem Tode!" Es zeigt ferner, wie Talent und auch*
die grosste Bildung nur Irrwische sind, die den, welchen
sie fiihren, unfehlbar in's Verderben leiten, wenn ihn das
wahre, innere Licht, Charakter und Gewissen nicht auf
dem rechten Wege erhalt, und es zeigt, dass alle Schuld
sich auf Erden racht. Nun wollen wir seine Seele in
Frieden ruhen lassen. Ganz der Ihrige.
A. Mendelssohn-Bartholdy."
Und wie schloss diese Angelegenheit ? Leider auf
die traurigste, unvorhergesehenste Weise. Der herrliche
Mann, der von Felix so innig verehrte Vater, Moscheles'
treuer Freund, starb schon am 10. November desselben
Jahres, und diqser erschiitternde Schlag ben'ahm Moscheles
die Spannkraft die Sache weiter zu verfolgen. Es wider-
stand ihm, sie einem Rechtsanwalt zu iibergeben! So ist
ihm sein bedeutender Verlust nie ersetzt worden; die
Familie des J. G. hat es nie der Muhe werth erachtet,
das Andenken eines nahen Verwandten von schwerer
Schuld zu reinigen, obwohl sie sich in vortrefflichen Ver-
nlogensumstanden befinden soil.
Ein kurzer, heitrer Aufenthalt im hamburger Familien-
kreise folgte diesem Ausflug nach Berlin, und die letzten
zwei Monate des scheidenden Jahres wurden in unermudlicher
Tharigkeit einer Kunstreise durch Holland und Belgien
gewidmet. „Ich kann iiber -das Phlegma der Hollander
nicht klagen", schreibt Moscheles aus Amsterdam; „sie
haben mich vom Jahre 1820 an, wo ich die Gastfreundschaft
' — 314 — ' ' '
der Familie KLonigswarter genoss, mit offenen Armen,
meine Kunstleistungen mit offenen Ohren aufgenommen.
Damals schrieb ich dort mein G.-moll-C6ncert, jetzt sehe
ich meine neuerenCompositionen mit nicht geringererWarme
aufgenommen, muss in Felix Mentis u. a. musikalischen
Gesellschaften spielen und iiberall ein zweites Mai impro-
visiren. Auch das pecuniare Resultat ist ein vortrefniches."
„Komisch aber", fiigt die Frau hinzu, „bleiben doch, trotz
aller musikalischen Ehren, die mein Mann geniesst, einige
althergebrachte Sitten der Hollander, ich nenne Euch nur
die des Abonnement-Coneerts, da sie uns zunachst be-
ruhren. Der erste Theil ist kaum zu Ende, so verschwinden
sammtliche Herren; wo sind sie? Die Geruchsnerven ver-
kiinden es bald; sie rauchen in einem angrenzenden Saale,
Aber die Damen haben nicht Zeit, die Nase dariiber zu
riimpfen; denn ihnen wird alsbald Chocolade und Limonade
gereicht; indem sie sie geniessen, unterhalten sie sich mit-
einander. Ich sass, wie gewohnlich, wehn Moscheles offent-
lich spielt, allein in einem Winkel, und hatte Zeit, mir
die niichterne Einfachheit der vier weissen Saalwande an-
zusehen, die ich nicht bewundern konnte. Dann aber
dachte ich wieder, wie ich es seit funfzehn Jahren mit
Nutzen in England tmie: Landlich, sittlich. Die Chocolade
miuidete, und der R.auch genirte mich nicht mehr."
Ehe sie Holland verlassen, ertont ein Klagelied von
Moscheles iiber die schlechten Orchester, mit denen er in ver-
schiedenen Stadten zu kampfen hat. „Die Dirigenten geben
sich alle Miihe, ich selbst sitze, wenn ich ein Concert spiele,
wenig am Clavier, sondern laufe zwischen dem Vorgeiger und
Pauker auf und nieder, und flustre Jedem seinen Ton in's
Ohr, aber auch das hilft nicht immer, und geht's gar nicht,
so lasse ich wohl ein zu schwieriges Adagio weg und spiele
nur ein erstes und letztes Stuck. In Rotterdam, wo es mir
sogar mit dem Instrument schlecht erging, phantasirte ich
iiber Mozart's. „Ich kann nichts thun, als Dich beklagen",
womit ich diesmal mich meinte, und Hess mich nicht zu
einem zweiten Kampf mit diesen stockenden Tasten heraus-
klatschen, wie sehr das Publikum es auch darauf anlegte."
— -3*5 —
In den grossen belgischen Stadten giebt's audi „der
Plagen und der Franken viele", tmd auf der ganzen Reise
lassen Mann und Fran die Wunderleistungen der Schwester-
kunst (Malerei), 'an denen Kirchen, Museen und Privat-
hauser so reich sind, entziickt an sich voriiberziehen.
Auch finden sie in den letzteren die herzlichste Aufnahme
und wiederholen es sich nach der Ruckkehr am hauslichen
Herd oft mit inniger Dankbarkeit, dass die ganze Reise
wieder eine gelungene war, Genuss verbreitend, Geniisse
aller Art empfangend, eine wohlthuende Erinnerung fur
spatere Jahre.
T'j^..--^*:
NAMENSVERZEICHNISS.
Albrechtsberger
10.
Alsager 265.
Althorpe 275.
Ambrogetti 56.
Andersoa 213.
Andre 79.
Aitaria 9.
Artot 206.
Bader 92.
Baillot 40.
Banck 301. 303.
Baiter 260.
Barlow 71.
Barnard 256.
Barnroth 21S,
Batthyanyi 24.
Bauer, Carol. 92
96.
Beale 289.
Beethoven 17. 8i
• 139—41
Begasse 44.
Bellamy 282.
Bendemann, E.
*53-
Benedict 296.
•
Benelli 35.
Bennett 288.
Beriot 137, 183.
199. 206.
Berlioz 294.
Betts 2ii.
Blahetka 129. '
Blangini 42.
Blum, C. 44. 92.
*32-
Bochsa 67, 209.
2.10.
Bohrer 205. 244.
Bombelles 36.
145- iS°-
208. 223.
Bordogni 43. 62. 208.
Bowdich Lee 245,
Braham 56, 60. 108. 119. 120. 211.
227. 242. 288. 297.
Bury, Charlotte 274.
Busch 90.
Cambridge, Herzog v., 96.
Camporese 56. 208.
Caradori-Allaa 282. 286,
Carpani 19. 129.
Castelli 19- 2-4- 8 3-
Catalani 55.
Cawes 258.
Chelard 248.
Cherubim 42. 44. 45.
Chopin 271. 294.
Charley 245.
Ciceri 44.
Ciuti 43, 64. 242. 246.
Clementi 51. 52. 74. 106. 177. 199.
241.
Cobbett 275.
Codrington 275.
Coleridge 274.
Collard 52. 227. 230. 23 1.
Cornet 212.
Costa 105,
Cramer, F. 66.
Cramer, J. B. 51. 52. .58. 65. 66. 6g._
75. 226. 240. 248. 268. 287. 288.
296.
Crotch 72.
Czerny 25. 129.
David, Louise, s. Dulcken.
■■I. V '■-*•£*<.
r^z*
317
Davis 257,
Devrient, E, gi,
Dietrichstem, Fiirst 126, ■
Dizi -54. 75.
Donzelli 208.
Dom 131.
Dotzauer 35,
Dragonetti 55. 240.
Dugazon 44. 43,
Dulcken 97. 209,
Eichhom 252. 53.
Embden, Charlotte 97.
Erard 40. 104. 202.
Eskeles 9. 28.
Esterhazy 16. 60. 196.
F&is 207. 208.
Field 330. 244. 247.
Fink 307,
Fleming 107. 223. 244.
Forbes 265.
Forti 83.
Franck 267.
Funcke 213.
Furstenau 119, 122. 128.
Galizin, Fiirstin 27.
Gall 41.
Garcia 40. 62,
Genast 91.
Gerhard 91,
Gericault 57.
Gerke 301.
Gerson 220.
Giuliani 19. 23.
Goethe, Frau v,, 254,
Grabau 303; 305.
Grah.1 236.
Grillparzer 83, 128. 189.
Grimal 258.
Grisi 277, 293.
Grimbaum 83.
Guhr 255.
Guillen 214. 219. 221.
Habeneck 42.
Haitzinger 83. 242. 248, 250, 270,
Hardegg, Grafin 20. 28.
Hartel 91. 299. 307, ^
Haslinger 286.
Haugwitz, Grafin 16.
Hauser 242.' 248. 250. 302. 307.
Haydn 36.
Heine, H, 179. 80. 81.
Hensel, Fanny, s, : Mendelssohn,
Fanny.
Herz, H. 268. 269. 288.
Hiller, Feid. 76.
Hobbs 282.
Hofmeister 91.
Holm 237.
Hope 269.
Horschelt 82.
Horzelsky 7.
Hotschebar 173,
Huerta 199.
Hummel 16. 17, 21.23. 2 S- 222 - 226.
231. 254. 255.
Iwanoff 278.
Kalkbrenner 51. 54. 61. 75. 294.
I Kean 229.
Keeley 256.
Keil 91. 306.
Kiesewetter 35, 60, 6g. 70. 74. 75.
118. 122,
Kind, Friedr. 89. 119.
Kistner 91. 298. 300. 301. 307.
Klengel 36. 89.
Klingeraann, C. 182. 246. 247. 256.
267. 294.
Knecht 301. 303.
Kockert 91. ■
Konigswarter 315,
Kramer 69. 179.
Krans-Wranitzky 253.
Kreutzer 42.
Kuhlau 213.
Kustner 90.
Lablache 230. 246. 288. 293.
Lafont 42. 43. 45, 61. 63. 64. 68. 70.
Laporte 209. 210. 293.
Lecerf 63.
Lee 249.
W\?;$W?FW??'
3i8
Leidesdorf 129.
Lemaistre 294.
Leo, A., 41- 62. 65,
Levasseur 42. 44.
Le winger 9. 17.
Lewy 129.
Limburger 90. 306.
Lindley 208. 226. 240. 293.
Liszt 138. ,
LilolIT 227. 239. 251, 256,
Lob el 220.
Lockhart 274.
Logan 209,
Logier 55.
Ludwig 34.
Lunin, Baronesse 27.
Lfittichau, v. 88,
Mainvielle-Fodor 39. 62.
Malibran, Maria 76. 205. 211. 223.
269, 271. 278.
Miilzl 63.
Maiilius 252.
Mara 35.
Marliani 286.
Mars 45. 2O0. 242,
Marx, A. B. 131,
Masoni 277.
Masson 239.
Mawkes 239.
MatthSi 33. ^\. 90.
Matthews 244.
Mayer, J, A. 78.
Mayseder 23. 86. 129.
Mendelssohn, A. 3 12. 313.
Mendelssohn, Fanny 93. 132. 3°9<
Mendelssohn, Felix 93. 94. 132. 206-
245—47. 252—54. 266. 271. 272/
298 — 300.
Mendelssohn, Paul 236.
Merck 19. 23. 129.
Meric 248.
■ Meyerbeer 15, 19,
Milder-Hanptraann 92. 214. 219,
Mock, Dlle., 5.: Pleyel.
Monk Mason 242.
Moore, Th, 274.
Morgan, Lady 1 14.
Mori 103. HO. 249. 258. 293- 29<5-
Morlacchi 35. 88,
M6ser 132. 133.
Miiller, Ivan 64.
Nageli 117.
Napier 275. '
Naumburg J03.
Neukomm 207. 227. 239. 242. 267.
284.
Northland, Lady 78.
Nourrit 64.
Novello, Clara 228. 258.
O'Connell 275.
Oehlenschlager 213,
Pacini 229.
Paer 40. 42.
PagaTiini 231—236. 269.
Palazzesi 130.
Palffy 16. 23.
Palmerston 107.
Patikouke 41.
Pape 40. 64.
Paraviciui 279.
Parry 265.
Pasta 230. 277.
Paton, Miss 121, 211.
Perlet 45-
Peters 91.
Phillips 227. 282.
Piatti 36. 37.
Pisaroni 205.
Pistrucci 76.
Pixis, P. 80. 195. 208. 268.
Plantade 42,
Pleyel 64. 298.
Polledvo 35. 37.
Potier 43. -
Rahel 95.
Rainer 137. 206.
Rathen 276.
Rati 148—150. 155. 165. 173.
Redern, Graf 253.
Reichard 302/
3IQ
Reichardt 25.
'Reichenbach 91.
Ries 51. 53.
Rigel 42.
Rochaird 57.
Rochlitz 91. 300.
Rockel 286.
Rolla 88.
Romberg, A. 16. 81.
Romberg, B. 91.
Rosen, F., 236. 250. 256. 367.
Rosen, G. 250.
Rosenhain 255.
Rothschild 204.
Rubini 277. 278. 282. 288. 293-
Salieri II. 17. 21. 84.
Salmon 45.
Sandrini 35.
Saphir 133.
Sassaroli 35. 89. 130.
Schall 213.
Schelble 255.
Schicht 32.
Schindler 129. 141—144. 146- !5 2 —
J 55- 159- 161—165. l6 7-
Schleiermacher 253.
Schleinitz 307.
Schlesinger 42. 44. 309.
Schmitt, Aloys 80.
Schneider, Friedr. 92.
Schneider, Maschinka 248.
Schnyder v. Wartensee 255.
Schrey 300.
Schroder 212.
SchrSder-Devrient 242. 247. 248. 250.
270.
Schubert 37.
Scliulze 32.
Schumann, Clara, 3.: Wieck,
Schumann, Rob. 27./S99. 301.
. Scliuppamigh 18, 129.
Scliiitz 198.
Schwarz 24.
' Scott, Walter 185. 186. 198. 201.
Sessi 31.
Seyfferth 91. 128.
Seyfried ' 1 29.
Siddons, Mrs. 69.
Sinclair 193. '
Sivori 183.
Smart, G. 69. 77. 281. 287.
Sonntag, Henriette, 83. 131. 195-
206. in.
Sonntag, Nina 270.
Speier, W. 80.
Spohr 16. 38. 39. 134.
Spontini 132.
Spurzheiru 193.
Stadler T29.
Stanley 275.
Steinmiiller 236.
Stenzler 267.
Stephens 282.
Stepney, Lady 274.
Stockhausen 176. 177. 200. 208. 228.
239. *
Streicher 10.
Strunz 42.
Stumpff 119. 138. 145.
Sudre 296.
Taglioni 230.
Talma 45.
Tamburini 277. 278. 293.
Taylor 286.
Tebaldi 89.
Thalberg 303.
Tieck 128.
Tomaschek 8. 26.
Tutein 220.
Valentin 41.
Velluti 198.
Vernet, Horace 45.
Vertpre 294.
Vestris 120.
Vieuxtemps 279.
Vitzthum 36.
Voss, J. 31.
Vrugt, de 279.
Wallace 275.
Wallis, Graf 27.
"'7- '■ r ' y> '" "~ '* :^**:""~*1 ^ ■*:"'.''"' .'"'""A-" ■."■'".:'"'■
320
Weber, C. il. v. 83. 88. 118. 119.
130, 122. 123. 124.
Weber, Pionys 7. 26.'; 88.
Weitte 91.
Wendt 90. 128. 301.
Weyse 213. 219.
Wieci 33. 91. 254. 298. 299. 301.
304.
Wild 303.
Willert 289.
Wilson 56,
Wolfram 128.
WraniUky-Seidler 91.
Young 69.
Zadrakha 6.
Zelter 33, 95.
Zenner 36.
Zuchelli 211. 282.
Druck van Bar & Hermann in Leipzig.
AUS
MOSCHELES' LEBER
NACH BRIEFEN UND TAGEBUCHERN
HERAUSGEGEBEN '
VON
SEINER FRAU.
ZWEITER BAND.
MIT EINE1I VERZEICHNISS SEINER COMPOSITIONEN.
LEIPZIG
VERLAG VON DUNCKER & HUMBLOT
1873.
Das Recht der Uebersetzung sowie alle andern Rechte vorbehalten.
Die Verlag-shandlung.
SECHSTER ABSCHNITT.
LONDON.
1836—1845.
1836.
Ein Brief von Moscheles am Anfang dieses Jahres
geschrieben, sagt: „Noch immer bleibt unser Felix (Men-
delssohn) stumm; er hat den Schmerz um semen Vater
nicht iiberwunden , sonst wiirde er schreiben. Was man
iiber ihn hort, ist eben auch nicht trostlich. Er soil seinen
besten Halt verloren haben , soil eine unbeschreibliche
Leere fiihlen und nicht arbeiten konnen; das muss anders
werden. — Aber sein Schmerz ist mir mir zu erklarlich,
wenn ich an die Tage zuriickderike , die ich im Herbst
mit ihm in seinem elterlichen Hause verlebte. Der schwache,
fast erblindete Greis hatte einen so regen Geist, ein so
klares Urtheil, dass mir die Verehrung des Freundes fur
diesen Vater nicht nur begreiflich ward, nein., dass ich sie
auch theilte . . . ." Wie hart sein plotzlicher Verlust auch
die andern Familienglieder traf, beweisen die hier folgen-
den Briefe, Der erste ist von der Gattin:
Berlin, n. Januar 1836.
Bei dem schrecklichen, so ganz unerwarteten Schlage,
der mich getroffen, wird es Ihrem theilnehmenden Herzen,
geliebte Madame Moscheles, gewiss eine Besanftigung des
Schmerzes sein, wenn ich Sie in Wahrheit versichere, dass
die zwei Tage, die der vortreffliche Herr Moscheles im'
October mit wis zubrachte, zu den heitersten , erfreulich-
steh gehorten, die Sein Lebensende verschonerten, ja dass
der Nachgenuss noch Ihn eben so tief als angenehm be-
riihrte. TJeberhaupt schien sich noch Alles zu vereinigen,
dass seine Wunsche befriedigt waren , und die Verha.lt-
Moscheles' Leben. II, j
nisse sich so gestalteten, wie Er sich's zu seinem Gliick
ausgedacht. Er hat dies Alles auch eingesehen, anerkannt,
innerlichst empfunden! Und wie edel ur.d sanft wohl-
thuend, liebenswiirdig , vergeistigt, wurde sein Gemuth;
taglich vollkommener , bedeutender , aufstrebender ! Mit
welchen Bemerkungen begleitete er den Abend vor dem
Scheiden noch die Vorlesung (die „profession de foi du
vicaire Savoyard" aus Rousseau's Emile). Wie freundlich,
mild das heitere Beisammensein vor dem Schlafengehn —
dem ewigen ! Ich hatte mir den Tod nie in dieser schmerz-
los-atherischen Gestalt moglich gedacht , darum konnte
ich den Gedanken an das furchtbare Unabweisliche auch
nicht fassen. Ohne Ahnung des Ungliicks war ich schon
unwiderbringlich verwaist und elend!
Meine Kinder — alle — betragen sich wie die Engel,
und ich ware undankbar gegen das Schicksal , sahe ich
nicht bei dem herbsten Schmerz ein , wieviel ich noch
behalten. Felixens Art, den Schmerz zu tragen, hat mich
anfangs sehr erschuttert und beangstigt, Unter uns Frauen
fand er Thrahen und Muth zum Weiterleben. Die Nahe,
in der er jetzt wohnt, wirkt wohlthatig, er hat uns seit-
dem schon zweirnal besucht Nehmen Sie, liebens-
"wiirdigste Frau, meinen warmsten Dank fur alles Gute,
was Sie dem Verstorbenen in London erzeigten. Mit wah-
rer Ruhrung und Erkenntlichkeit sprach er stets davon.
Wenn zuletzt mitunter Stunden kamen , wo er seiner
Augen wegen unbeschaitigt war, sagte er oft: „Ich habe
keine Langeweile, ich habe gar viel Schones, Interessan-
tes erlebt!" Dazu zahlte er London ganz besonders und
Ihre Bekanntschaft stand obenan. Aber auch der Freund-
lichkeit der vortreffiichen Freunde gedachte er mit Liebe
und Erkenntlichkeit. Sagen Sie Allen, wie geriihrt und
dankbar ich bin.
L. Mendelssohn-Bartholdy.
Es folgt ein Brief von Mendelssohn's altester, ihm
musikalisch ebenbiirtiger Schwester Fanny Hensel an das
Moscheles'sche Ehepaar. Ihr Dank fur die dem Vater
in London geleistete Pfiege ist eine Wiederholung des
— 3 —
obigen , und des Vaters Anerkennung auch hier auf s
Warmste ausgesprochen; dann fahrt sie fort:
„Erinnern Sie sich noch, lieber Herr Moscheles, wie
Felix an einem der Abende, die Sie im Herbst bei uns
zubrachten, das wunderschone Adagio in Fis-dur aus
einem Haydn'schen Quartett spielte? Vater liebte Haydn
vorzugsweise , jenes Stuck war ihm neu und ergriff ihn
ganz wunderbar. Er weinte, wahrend er es horte und
sagte nachher, er fande 'es so unendlich traurig. Dieser
Ausdruck fiel Felix sehr auf, weil mesto dariiber stand
und es doch uns Andern eher den Ausdruck der Heiter-
keit gemacht hatte. Sein Urtheil fiber Musik war oft
zum Erstaunen scharf und richtig fur Jeraand, dem doch
das Technische eigentlich fremd [war. Sie, lieber Herr
Moscheles, schatzte er sehr hoch und hatte Sie herzlich
lieb. Ueber Felix habe ich keine Sorge mehr, er hat sich
sehr gesammelt und wenn auch ein tiefer Schmerz in ihm
zurfickgeblieben ist, so ist doch dies Gefiihl sehr natfir-
lich und nicht in der peinlichen Art, wie sein Anblick in
der ersten Zeit war, wo er uns Alle mit Sorge und dop-
pettemLeid erfiillte. Die bessere Jahreszeit und das Reisen
werden ihn hoffentlich in dieStimmung ganz 'zuriickfiihren,
die er suchen muss, wenn er fortfahren will, in Vaters
Sinn zu leben, wie er es stets bei seinem Leben gethan.
Es war ein Verhaltniss zwischen den Beiden, wie man es
wohl selten hier auf Erden findet Und nun wiinsche
ich Ihnen Beiden ein herzliches Lebewohl.
Fanny Hensel.
Wie nun auch die Gedanken und Gefiihle bei den
fernen, leidenden Freunden weil ten, London und Mosche-
les' Stellung darin behaupten ihr Recht uber ihn, er kann
sich dem Strudel nicht entziehen. So giebt es stets neue
theatralische Geniisse, fiber die das Tagebuch berichtet:
„Braham hat das kleine Haus St. James Theatre ge-
pachtet und mit seltnem Geschmack in Louis' XIV. Styl
ausschmiicken lassen. Die Truppe, mit Jenny Vertpre und
anderen Grossen der franzosischenBiihne, ist ausgezeichnet
— 4 —
und zieht die Aristokratie Londons an; wenn sie mit aus-
serster Feinheit ilire in Paris beriihmt gewordenen Dram en
spielt," Spater gab man auch franzosische Opern in die-
sem Hause, in denen die liebliche Cinti und der beriihmte
Tenorist Nourrit glanzten, letzterer ganz besonders in der
„reine de r6 ans" und „la jeunesse de Charles II." Einmal
musste auch Moscheles dort in einem Concert im Verein
mit der Malibran und anderen Grossen auftreten. Das
Concert, nach der Oper begonnen, zog sich bis Mitternacht
hinaus. — Balfe producirt seine Erstlingsoper „the siege
of Rochelle" mit grossem Beifall. „Die IVIusik ist leicht,
wie das Wesen des Componisten, aber auch heiter und
ansprechend wie er". Fur die Malibran schreibt er „the
maid of Artois". Sie, im Englischen wie im Italienischen,
im Franzosischen wie im Spanischen zu Hause, war dies-
mal als englische Primadonna im Drurylane-Theater en-
gagirt. „Hatte Balfe ihr die unglaublichsten Passagen an
Umfang und Schwierigkeiten zugemuthet, hatte sie selbst
sie improvisirt? Ich weiss es nicht", steht im Tagebuch ;
,,genug, sie zauberte sie aus ihrer KeMe hervor." — „Im
FideHo", heisst es spater, „befriedigt sie mich weniger und
ich ziehe unsere uniibertroffene Schroder - Devrient darin
vor. Die Leidenschaftlichkeit der Malibran steht im Wider-
spruch zu .dieser ausdauernden Gattenliebe und warum
sie z w e i Pistolen mit in den Kerker bringt , das weiss
auch Niemand."
Der ■ verl'angerte Aufenthalt der Malibran in London
brachte sie zuletzt in die intimsten Beziehungen zu dem
Moscheles'schen Hause, das sie oft besuchte.
Mit dem kiihlen, um nicht zu sagen kalten de Be-
riot verheirathet und gewohnlich mit ihm zusammen
gesehen und gehort, trat ihr sprudelndes Genie, ihre nie
ermiidende Lebendigkeit , ihr heiterer Sinn mit seinen
Possierlichkeiten , ganz besonders hervor ; sie fesselte
nicht wie andere grosse Sangerinnen durch ihre Kunst,
wie andere geistreiche oder liebenswiirdige Frauen durch
ihr "Wesen oder ihre Unterhaltung: nein , sie nahm alle
Sinne auf Einmal, dazu das Herz und den Verstand ge-
— 5 —
fangen. War sie im Moseheles'schen Hause, so widmeten
sich Alle ganz ihr. Die Kinder betrachteten sie ohne
Scheu als zu ihrer Gesellschaft gehorend, denn Niemand
wusste so reizend mit dem Puppenhause zu spielen als
sie, und welcher andere Besuch hatte noch den gewissen,
fur die Kleinen so anziehenden schwarzseidenen Beufcel
wie Mme. Malibran? Der Beutel enthielt aber nicht die
gewohnlichen Spiele oder Naschereien, die man Kindern
mitzubringen pflegt, sondern einen Malkasten, Papier und
Pinsel. Gleich beim Eintreten setzte sie sich. mit den
Kinder n auf den Teppich nieder, wo sie Alles auskram-
ten und besahen, dann wurde gemalt, und das Alles mit
Lust und Liebe, ja mit Energie. Das Tagebuch sagt am
12. Juni: „Sonntag begann ich meinen Tag, indem ich
Goethe's „Meeresstille und gliickliche Fahrt" fur die Mali-
bran als Lied componirte."
„Um 3 Uhr kam sie selbst; auch Thalberg, Benedict
und Klingemann. "Wir assen fruh, und gleich nach Tische '
setzte sich die Malibran an's Clavier und sang „fur die Kin-
der", wie sie es nannte,' den Rataplan und spanische Lieder
ihres Vaters, wobei sie die fehlende Guitarrenbegleitung
durch rhythmisches Klopfen an das vordere Clavierbrett
ersetzte; dann folgten viele franzosische und italienische
Romanzen ihrer eigenen Composition — alle wunder-
hubsch, alle mit Grazie, Lieblichkeit und Virtuositat vor-
getragen. Thalberg loste sie ab, urn allerlei Spasse am
Clavier zu machen, Wiener Lieder und Walzer mit obli-
gaten Schnippchen, und dann kam ich mit meiner verdreh-
ten Hand und meinen Faustschlagen, wobei Niemand herz-
licher lachte, als die Malibran. Urn 5 Uhr fuhren wir in
den Zoologischen Garten und drangten uns eine Stunde
lang mit den fashionables, deren Sonntags-Promenade er
ist. Als wir uns an Menschen und Thieren satt gesehen,
machten wir noch eine Runde im Park; kaum aber wie-
der zu Hause angelangt, so sass die Malibran auch am
Clavier und sang eine Stunde lang. Dann endlich rief sie
Thalberg und sagte: „venez jouer quelque chose, j'ai besoin
de me reposer." Ihr repos aber bestand darin, dass sie
— 6 —
eine allerliebste Landschaft aquarellirte , was sie nie ge-
lernt hat. Thalberg spielte indess viele seiner Etiiden,
Bruchstiicke eines soeben componir ten Rondo's, dann meine
Etiiden, Allegri di Bravura, G-moll Concert, alles aus-
wendig, mit der grossten Meisterschaft. Hierauf folgte
eine Mahlzeit, aber selbst wahrend dieser war sie es,
die uns unterhielt. Sie gab uns treffend wahr Sir George
Smart, die Sanger Knyvett, Braham, Phillips und Vaug-
han, Alle mit ihr in einer Soiree der Duchess of C., zuletzt
die dicke Duchess selbst, wie sie herablassend mit ihren
Kiinstlern spricht, und endlich Lady * *, die mit der zer-
brochensten, nasalsten Stimme von der Welt „home, sweet
home" singt. Mit einem Mai war die komische Ader ver-
siegt , und nun sang sie mit echt deutscher Auffassung
die Scene aus dem Freischiitz mit deutschem Text, und
eine Masse deutscher Lieder yon Mendelssohn , Schubert,
Weber und meiner Wenigkeit. Zuletzt kam Don Juan an
die Reihe ; sie weiss nicht nur ihre Vocalpartie der Zer-
line , sondern jede andere Partie der Oper und jede Note
der gan2en Begleitung auswendig, und so spielte und
sang sie fort bis u Uhr, immer bei Stimme, immer geistig
und korperlich frisch. Als sie uns verlassen hatte, konn-
ten wir nicht auf horen , uns fur sie , ihre musikalische,
sprachliche und malerische Begabung zu begeistern, am
meisten aber wurde ihre Anspruchslosigkeit und Liebens-
wiirdigkeit geriihmt.
Ein andermal, als sie und de Beriot, auch am Sonn-
tag ein „early dinner" mit Moscheles und denKindern nah-
men, „hatten wir grossen Spass. Es war die Rede von
dem komischen Duett von Gnecco , das sie so oft und
stets so bezaubernd mit Lablache sang. Mann und Frau
verspotten einander darin und heben einer des andern
Korperfehler hervor, und so sagt er einmal: „la tua bocca
e fatto aposta pel servizio della posta" (dein Mund ist
gross und breit, er konnte als Briefkasten dienen). „Grade
wie mein Mund", behauptete die Malibran, „breitgeschlitzt;
und jetzt will ich diese ganze Orange hinein stecken, urn
es zu beweiseri." Wer de Beriot kennt, mag sich sein
— 7 —
Entsetzen in Gestalt und Wort denken als sie, ihre scho-
nen Zahnreihen zeigend, den Mund weit offnete, auch
wirklich in ihrem Uebermuth die nicht kleine Orange
hineinsteckte , und -sich hinterher vor Lachen aussqhiit-
tete." —
Moscheles componirte ihr ein Lied von Klingemann:
„Steigt der Mond auf", und stets musste er ihrvorspielen.
Sie wusste mehrere seiner Etuden auswendig, underzahlte,
wie ihr "Vater sie dieselben habe iiben lassen.
Ueber eine Soiree bei Moscheles berichtet ein Brief
von ihm, wie folgt : „Die Malibran erschien mit de Beriot
um ii Uhr , nachdem unsere 80 Gaste schon einigen eng-
Hschen Gesang, Solo's von Lipinsky und Servais und
mein Concerto fantastique verschluckt hatten. Man sah ihj
die Ermiidung an, und erkannte ihren Gesang kaum wie-
der, so stimmlos schien sie. Spater erst erfuhr man, dass
sie wenige Stunden zuvor bei einem Spazierritt im Park
mit dem Pferde gesturzt sei, dass sie zwar unverletzt ge-
blieben, aber die heftige Erschiitterung noch nicht iiber-
wunden habe. Dennoch ward sie bald wieder ganz sie
selbst, sang die Freischiitz-Scene deutsch, ein komisches
Duett mit John Parry englisch, dann spanische, italienische
und franzosische Lieder und endlich trugen sie und De
Beriot uns die „Cadence du Diable" vor, in welcher sie mit
den Worten: „voyez comme le diable prelude" seine
iibermiithigen, oft haarstraubenden Violin-Passagen bevor-
■\vortet. Das Stiick heist eigentlich „le songe de Tartini,"
und da es vorgiebt , der Meister habe im Traum den
Teufel gesehen und dieser ihm die ganze Musik vorge-
spielt , so hatte es Raum fiir jegliche Excentricitat. Als
meine Frau sie theilnehmend fragte, ob sie sich nicht zu
sehr anstrenge, sagtesie: „Ma chere je chanterais pour vous
jusqu'a extinction de voix." Ihre Seligkeit beim Anhoren
eines Duetts von Benedict und de Beriot componirt und
gespielt , war interessant zu beobachten , und mir fielen
Stellen in der Composition auf, die vielleicht von ihr her-
riihrten. Zum Schluss musste ich noch improvisiren , und
damit auch das komische Element gehorig vertreten werde,
amiisirte uns der junge John Parry (lurch seine geniale
Imitation der Wolfsschluchtscene aus dem Freischiitz. Ein
aufgerolltes Notenblatt, zwischen seinem Munde und dem
Clavierpult eingeklemmt, brachte die tiefsten Horn- oder
Posaunen-Tone hervor, mit den Handen bearbeitete er die
Tasten, mit den Fiissen ein Theebrett; so gab es eine
wilde Jagd. 'Thalberg konnte eines schlimmen Fingers
wegen nicht spielen; doch blieben er und de Beriot noch
bis 3 Uhr bei uns und wir commentirten mit ihnen sehr
lustig die ganze , schon eine Stunde friiher heimgekehrte
Gesellschaft." — Am n. Mai wird Moscheles von dem
Kiinstlerpaar de Beriot in seinem Concert in der italieni-
schen Oper unterstutzt. „Zum Ueberfluss", sagte er, „hatte
ich neben dem grossen Stern Malibran noch Lablache,
die Grisi und Clara Novello , und spielte ein Bach'sches
nie gehortes , und mein neues C - moll - Concert. Es war
ein brillanter Erfolg fur Alle und Alles." „Nach einer
Auffiihrung der „Maid of Artois", in der 'die Malibran
wieder Wunder geleistet" , sagt Moscheles , „suchten wir
sie noch in ihrem Toilette - Zimmer auf. Sie sass da, um-
geben von Kranzen , einen ungeheuren Blumenstrauss in
der Hand, sprach und lachte mit uns, und sagte endlich
zu mir : „Si vous vouliez me debarrasser de cette machine,
c'est cet abominable Due de Brunswick, qui vient de me
l'apporter", und somit warf sie mir ein colossales Bouquet
zu, welches ich auffing. Was mag aber nun , der abomi-
nable Herzog gedacht haben , als er mich einige Minuten
spater mit seinem Bouquet in m einen Wagen steigen
sah? — Denn dies ereignete sich am Eingang des Drury-
lane- Theaters." — Die gefeierte Sangerin musste taglich
ja fast stiindlich ihre Krafte anspannen , denn es gab,
ausser dem wochentlich dreimaligen Auftreten in der Oper,
noch unzahlige Engagements in Morgen- und Abend-
Con certen, fashionablen breakfasts, fetes champetres und
Privatsoireen , deren oft drei an einem Abend statt-
fanden.
„Am 16. Juli, vor ihrer Abreise", schreibt Moscheles,
..brachten wir verabredeter Massen noch ein Stiindchen bei
— 9 — .
ihr zu; sie war am Clavier, Costa nebenihr; sie sanguns ein
komisches Lied vor, das sie eben componirt hatte. „Ein le-
benssatter Kranker ruft den Tod herbei; als er aber in Per-
son eines Arztes bei ihm anklopft, weist er ihn schnodeab."
Diesen Text hatte sie so genial componirt und sang ihn
mit solchem Humor, dass wir unser Lachen kaurh be-
meistern konnten, und doch wollten wir keine Note ver*
lieren. Dann schrieb sie eine reizende franzosische Romanze
in mein Album, sang uns auch diese und schenkte meiner
Frau eine ebenfalls von ihr componirte und aquarellirte
Landschaft. Endlich scbieden wir. Sie gingen damals auf
einige Tage nach Briissel, dann zum Musikfest nach Man-
chester , wo sie noch am 20. September so hinreissend
schon sang, dass das Publicum sturmisch eine Wieder-
holung verlangte. Sie, schon zum Tode matt, und in einer
Lage, in der sie der Ruhe und Schonung bedurft hatte,
spannte ihre letzten Krafte an, wiederholte, machte noch
einen unnachahmlichen Triller auf dem dreigestrichenen C,
und sank bewusstlos zusammen. In ihr Hotel getragen,
ward ihr zur Ader gelassen und sie erwachte scheinbar
zum Leben, doch nur um am 23. September auf ewig
daraus zu scheiden. Moscheles schreibt: „Es ist unniitz, bei
■einem Verlust, der die grosse musikalische Welt durch-
zuckt, und der kleinen Welt ihrer Freunde die herbste
Entbehrung auferlegt, einige ungeniigende Schmerzens-
worte auszustossen. Ich fiihlte mich gedrungen, meinWehe
in Tone zu kleiden , indem ich eine Fantasie iiber ihr en
Tod componirte."
Thalberg, der im Jahr 1826 als Schiller von Mosche-
les geschieden war, erschien jetzt als Meister. „Ich finde
es originell", schreibt Moscheles, „dass er Harfeneffecte
aufs Clavier iibertragt. Ein Thema liegt in der Mittel-
stimme, er hebt es klar hervor und begleitet es mit com-
plicirten Arpeggien; diese eben sind es, die mich an eine
Harfe erinnern. Das Publicum ist erstaunt, er selbst un-
erschutterlich ruhig; die Lippen fest geschlossen, den
Rock militarise!! zugeknopft , sitzt er mit militarischer
Haltung da; er erlernte diese, wie er mir sagt, indem er
IO —
bei seinen Clavierstudien eine tiirkische Pfeife rauchte,
deren Langenmass ihm das Aufrechtsitzen als Nothwen-
digkeit auferlegte?"
Ein Brief sagt :
„Am 2. Mai Abends um 10 Uhr klopfte es an unsere
Hausthiir. Ole Bull , der norwegische Violinspieler trat
ein; — sein erster Besuch bei uns. In weniger als ftinf
Minuten hatte er schon den ganzen Vulcan seiner Leb-
haftigkeit und Excentricitat , seine hohe Meinung von
sich selbst hervorgesprudelt und uns durch seine Kraft-
ausdriicke erstaunen gemacht. Ob da das echte Kiinst-
lerfeuer lodert? Seine Lebensbeschreibung (im Druck er-
schienen) ist so abenteuerlich , dass sie Paganini zum
Alltagsmenschen maclit; sollte sein Violinspiel das auch
vermogen , fragten wir uns , als er fort war ? In seinem
Concert erregte sein Spiel Aufsehen, sein Wesen aucb.
Ich mochte den Namen Spohr nicht in Verbindung mit
ihm nennen, auch andere nicht, die weniger Technik
haben als er , denn sie werden als tiichtige Musiker da-
stehn, wahrend der tobende Norweger iiberwunden in der
Kunst- Arena daliegt." „Ich muss hinzufugen", scbreibt
die Fr.au, „dass Ole Bull kurz vor der Ankiindigung
seines Concerts in unsre : / s 8-Uhr-Suppe fiel, als Mo-
scheles von einem muhsamen Lectionentag heimgekehrt
war. Ich kann nicht sagen, dass er uns willkommen gewe-
sen ware — seine Bitte , Moscheles solle fiir ihn spielen f
noch weniger. Moscheles suchte abzulehnen , hielt das-
Qualen lange aus, ohne nachzugeben und gab doch endlich
nacb. Solche Angelegenheiten sind zeitraubend." _ „Heute",
schreibt sie ein andermal, „will ich Euch einige Contraste
aufzahlen, denen wir bier unterthan sind. Wir haben
eine kleine Soiree, besonders fur Lockharts; dazu kommt
unerwartet der geschatzte Freund und College meines
Mannes, der beriihmte Schnyder v. Wartensee; es kommt
aber auch der polnische Jude Sanklow im Kaftan , nicht
angenehm parfiimirt, bringt seine Strohfiedel und kann
es kaum erwarten, dass Moscheles, Lipinsky und Ser-
vais des Ersteren Trio ausgespielt haben , um uns seine
— II —
Stroh- und Holztrillerchen und Passagen horen zu lasseh,.
erreicht dabei aber nicht seinen Landsmann Gusikow, den
Aeltervater des armlichen Instruments. — Und wie gefallt
Euch erst die grossartige Auffiihrung des Handel'schen
Oratoriums Salomon in Exeter-Hall und gleich hinterher
die Tanzmusik eines Ballsaals, auf dem wir uns aber trotz.
des fatalen Contrastes mussten ein Stiindchen sehen lassen,.
um nicht unartig zu erscheinen. In London ist ein Fest,,
sei es Ball oder Soiree, nur dann gelungen, Avenn das
Local uberfiiHt ist; man muss sich drangen, muss im Ge-
drange auf Menschen stossen, who have a handle to their
name (die einen Namen haben) , sei es ein Titel, den Ge-
burt oder Rang giebt, sei es die Beriihmtheit eines Staats*
mannes , Redners oder Kiinstlers — they had every-
body (sie hatten Jedermann) heisst es dann und so sollte
es sein. Schonheiten giebt es immer, denn dies ist wohl
das Land der schonen Frauen. Aber hort nur weiter*
Unsere Freunde H.'s, wie Ihr wisst, sehr mit Indien ver-
kniipft, bringen uns neulich Abend His Excellency Prince
Jam-hod-deen, den rothlichen Sohn von Tippo-Sa'ib, wahr-
scheinlich, damit auch wir every body hatten. Wir woll-
ten aber an diesem Abend nur einige auserlesene Zuho'rer
bei uns sehen, um die Kreutzer-Sonate mit Lipinsky und
das Bach'sche Concert mit Quartett-Begleitung zu ge-
niessen. Wie mag der Rothhautige sich da als Contrast
nach seinem Tamtam gesehnt haben?
Die angenehmsten Soireen sind uns die der Lady * *„
Sie, Moscheles' eifrige Schulerin und Verehrerin, engagirt
sammtliche Italiener um theures Geld und fiillt ihre drei
prachtvollen Salons with the rank, fashion and beauty of
the day. Auch wir werden oft geladen, aber mit dem Be-
deuten, dass es nicht auf das Spielen m eines Mannes ab~
gesehen sei.
H. Herz brachte einen siebenoctavigen Fliigel auf den
Concertmarkt , erntete aber keinen besondern Beifall mit
seinem diinnen Ton ein. Broadwood hingegen machte zu-
erst den Versuch seiner Bichorda-Stutzflugel, und bewies h
dass man auch mit so einem zweisaitigen Instrument einen
kraftigen Ton erzielen .kann. Sie kamen bald und mit
;grossem Recht in Aufhahme und Moscheles spielte stets
mit Lust darauf. — Ein Crefelder, Herr Scheibler, wollte
"vermittelst verschiedener Stimmgabeln und Berechnung
von Vibrationen Claviere leicht und sicher stimmen kon-
nen, die Sache klang scharfsinnig , bewahrte sich aber
nicht als praktisch. — Von Ramsgate an der Ostkiiste
Englands schreibt Moscheles entzuckt, wie er den Lec-
tionenstaub von seinen Fingerspitzen schuttelt und fiigt
hinzu :
„Fragt mich aber meine Frau , wie es kommt , dass
ich die grosse Ruhe nicht ?um Componiren gebrauche, so
kann ich nur sagen, mein Gewissen erlaubt es mir nicht.
Geist und Finger sind nach so einem Londoner Treibjagen
g-elahmt und der erstere kann nur durch die letzteren
geheilt werden, d. h. ich muss viel gute und die beste
Musik spielen, ehe ich mir erlaube, eigene Gedanken zu
bekommen oder gar aufzuschreiben , sonst diirfte es nur
seichtes abgedroschenes Zeug werden. Nimmt doch der
■erschopfte Korper nach iiberstandener Krankheit erst
starkende Medizin, ehe er wieder in seinen Beruf eintritt."
Doch schreibt er zu Ende dieses See - Aufenthalts einen
Greek war-song fur Phillips, der auf dessen Einsendung
■erwiedert : „I shall sing it at the Philharmonic and every-
where else and will answer for its success." Auch den
schonen Text von Uhland „Schafers Sonntagslied" com-
ponirt er und nennt in einem Brief das Leben in dieser
P'erienzeit ein „himmlisches".
Kaum nach London heimgekehrt, iiberrascht sie die
freudige Nachricht von Mendelssohn's Verlobung.
Vier Jahre zuvor, am 3. September 1832 hatte er noch
der Frau geschrieben : „Klingemann bleibt ein Ritter vom
Junggesellenorden und das bleibe ich mit ihm , und wir
beide werden uns einmal in 30 Jahren gem verheirathen
wollen, dann mag uns aber kein Madchen mehr. Diese
Prophezeiung schneiden Sie aus dem Brief, wenn Sie ihn
verbrennen und heben Sie sie sorgfaltig auf; in 30 Jahren
wird sich's zeigen, ob sie glaubwiirdig war". Am 6. Oc-
■ — 13 — ". .'£
tober bekommt die Frau den folgenden, ganz ander&
lautenden Brief seiner Mutter. ":
Berlin, 6. October 1836.
Die gewisse Fama , die jetzt eben so viel schneller
als andere Leute, auf Eisenbahn und Dampfschiffen reist,
hat Ihnen zwar Felixens Verlobung wahrscheinlich bereits
verkiindet, liebste Madame Moscheles! Ich kann mir aber
dennoch das Vergniigen nicht versagen, Ihnen und Ihrem
Gemahl, seinem vortrefflichen Freunde, diesefurunssofroh- ■ *
liche Botschaft ganz eigentlich mitzutheilen. Sie, eine zart-
liche Mutter, konnen sich vorstellen, wie wunderlich mir
zu Muthe ist, weder seine Braut noch irgend Jemand von
ihrer zahlreichen Familie zu kennen, ja fruher nicht ein-
mal den Namen derselben gehort zu haben. Auch werde
ich zur Strafe der, fur mein Alter viel zu grossen Leb-
haftigkeit, noch lange warten miissen, ehe ich die mir
schon so werthe Unbekannte sehen kann. Aber Sie wis-
sen auch, wie uneigenniitzig die Empfindungen einer Mut-
ter sind und so werden Sie em en richtigen Massstab von -
unser aller Freude haben, da Felix selbst so iiberaus gliick-
lich scheint. Die einzige, aber auch gar zu herbe Bitter-
keit liegt in dem stets sich mir erneuernden, nicht abzu- ■-
weisenden Gedanken : wenn sein lieber Vater diese Be-
friedigung erlebt hatte! Er wiinschte es sehnlich und
hoffte es nie. — Freilich war dieser Ungliicksfall auch
vielleicht die dringendste Veranlassung zu seinem Ent-
schluss. Wir sahen Felix bei seinem Aufenthalt hier am
letzten Weihnachten so unaussprechlich traurig, so inner-
lichst zerrissen, so still und darum nur tiefer betriibt, selbst
in seinen Vorsatzen fur die Kunst so gehemmt und des.
Zwecks entbehrend, dass seine Schwestern besonders ihm
zuredeten, er musse ein neues Leben fur das Gemiith be-
• ginnen.
Die Bekanntschaft eines Madchens |in Frankfurt riss
ihn bald aus seiner truben Stimmung und nun ist er der \
gliickliche Verlobte seiner Cecile; die Mutter Mme. Jean-
renaud, deren Eltern Souchays, verwandt mit Beneke's s
— H —
Schunck's Der Tod der Malibran hat micli unge-
mein erschreckt und betrubt; Felix zahlte stets ihr Talent
unter die grossten unserer Zeit. Schade, sehr schade! Sie
konnen denken, dass der miitterliche Egoismus mitim Spiel
ist, da sie am 3. in Liverpool im Paulus mitsingen sollte
Mochten Sie, Ihr Heber Mann und die Londoner Freunde
es" etitschuldigen , wenn er Ihnen vielleicht lange nicht
schrieb; auch ich muss, wie erklarlich, jetzt seine Briefe
missen, Rebekka, die eben jetzt auf ihrer Riickreise von
Eger 14 Tage beim Bruder weilt, schreibt mir zu sei-
ner Rechtfertigung , ein Taubenschlag sei eine Wochen-
stube dagegen, wie es bei ihm zugehe. Bitte, verzeihen
Sie ihm und haufen Sie Grossmuth auf Grossmuth, in-
dem Sie in seinem und meinem Namen den Londoner
Freunden seine Verlobung anzeigen.
Ewig unverandert Ihre Ihnen treu ergebene
L. Mendelssohn-Bartholdy.
Die Freude der Freunde bei diesem Ereigniss war
selbstverstandlich , derm man erfuhr bald, dass er in Ce-
cilie Jeanrenaud ein reiches Gemuth, dem seinigen eben-
biirtig gefunden hatte, das ihn so verstand und ihn so
zu schatzen wusste, wie er es verdiente. Auch einen gros-
sen musikalischen Triumph sollte England ihm, wenn
gleich in seiner Abwesenheit, feiern helfen. Sein Paulus
ward zum ersten Mai in Liverpool gegeben und mit dem
grossten Enthusiasmus aufgenommen. Moscheles, der die
Correctur des Werkes fur England iibernommen hatte,
schreibt in sein Tagebuch: „Zu meiner Freude habe ich
den herrlichen Paulus jetzt viel unter Handen und kann
mich oft darin vertiefen, Seine Haupt-Eigenschaften sind
fur mich : Erhabenheit , edle Einfachheit , tiefes Gemuth
und antike Form. Er hat darin seine schon anerkannte
Meisterschaft auf das Glanzendste bewahrt."
Moscheles hatte in der Herbstruhe begonnen, an sei-
nen characteristischen Etiiden zu arbeiten; auch einigen
musikalischen Zeitschriften die erbetenen Beilagen zu sen-
den. Der song „Whatever sweets we hope to find", das
— 15 —
Terzett „ An argument" u. A. gehoren zu diesen. „Die Finger-/
Gymnastik", schreibt er ins Tagebuch, „findet in Thal-
bergs neuen Sachen, die ich sammtlich durchspiele, ihren
richtigen Boden; fur den Geist habe ich Schumann. Der
Romantismus tritt mir so neu bei ihm entgegen, seine Ge-
nialitat ist so gross , dass ich mich immer mehr in seine
Sachen versenken muss, um mit gerechter Waage die
Eigenschaften und Schwachen dieser neuen Schule abzu-
wagen; dabei schickt er mir seine eben publicirte Sonate
Elorestan und Eusebius mit der schmeichelhaften Aeusse-
rung, nur ich konne sie gehorig recensiren, ich moge es
doch fur die neue Zeitschrift der Musik in Leipzig thum^,
Es geschah mit Ernst und Gewissenhaftigkeit uhd[
Schumann nahm die Recension in seine ,.Gesammelten
Schriften" auf ; auch dedicirte er Moscheles sein „Concert
ohne Orchester", was nun auch tiichtig studirt wurde. An
dem Titel fand er auszusetzen; es lag fur ihn ein Wider-
spruchdarin, auch war er mit der immer mehr zunehmenden
Mode, ,,die musikalischen Bezeichnungen wie piano, forte etc.
ins Deutsche zu iibersetzen, nicht einverstanden, weil man
es nicht durchfuhren konne" undjedesmal, wenn er deutsche
und italienische Anweisungen in ein und demselben Stuck
fand, hatte er das zu riigen. j
Die seit vier Jahren aufgeschobene Abrechnung mit
dem Hause Cramer & Co. zeigte auf verdriessliche Weise,
dass man zwar fur die unbedeutenden Opern- Arrange-
ments 30 Guineen, fur Septett und Concerte hingegen all-
zuwenig zahlen wollte, ja, dass die muhevolle und gewis-
senhafte Edition Beethoven'scher Claviersachen nicht ein-
mal den Ersatz fur die darauf verwendete Zeit bot. Nach
manchen unangenehmen Verhandlungen kam es endlich
zum Vergleich. Moscheles, wollte er seinen Preis fur die
grosseren Sachen haben, worauf er bestand, musste ausser
dem schon gemachten Arrangement iiber Balfe's Opern,
noch eins iiber Belisario liefern. Dariiber seufzt das Tage-
buch. Die Hauptarbeit aber blieb die an den 12 grossen
characteristischen Etuden. „Sie sollen nicht fur Schiiler
werden", schreibt er, „es sind Schwierigkeiten darin,- die
■It it
— i6 —
nur ein Meister bewaltigen kann. Thalberg, Liszt, A11&
werden daran zu thun haben." Juno, der Traum, das Bac-
r chanale waren beendet , als das liebliche Kinder-Marchen
. entstand, — ein Vorbote des kommenden Ereignisses —
der G-eburt eines dritten Tochterchens , welche kurz dar-
l auf unter glucklichen Auspizien erfolgte.
1837.
r
Man hatte im verflossenen Winter viel Streichquartett-
Abende genossen , die sich in diesem Jahre wiederholten ;
aber Soir6en fur Claviermusik gab es bis dahin nicht, und
diese fiihrte Moscheles eben jetzt ein. Viele seiner Colle-
gen wollten das Unternehmen ein Wagniss nennen, doch
liess er sich nicht beirren, gebrauchte aber die Vorsicht,
ein wenig Vocalmusik mit in diese Vortrage zu verfiech-
ten, um der Monotonie, vor der man ihn warnte, abzuh el-
fen ; schliesslich ging es ihm damit , wie dem Pachter in
der Fabel, dem Einige rat hen, selbst zu reiten, wahrend
Andere meinen, er solle seinen Sohn aufsitzen lassen. Die
Presse, welche sich fiber die Errungenschaft dieser Clavier-
Soireen lobend ergoss , riigte die Einfiihrung von Vocal-
musik. „Sie sei storend und das einzig Mangelhafte in
diesen iibrigens vollkommenen Abenden". Er spielte in
den drei rasch aufeinander folgenden Soireen einige Stiicke
von Scarlatti und seinen Zeitgenossen auf einem im Jahre
1771 erbauten Harpsichord , das sich noch bei Broadwood
vorfand. Das Instrument hatte ausserlich die Form eines
alten "Wiener Fliigels; hob man beim Spielen seinen
ganzen Deckel, so sah man, wie sich durch die Beriihrung
des Pedals eine Art Lattenwerk offnete (ahnlich einer
Jalousie}, wodurch der dunne nicht angenehme Ton mehr
Fulle und Rundung, d. h. starkere Dampfung bekam; ein
Effect, den Moscheles ernstlich studirte und mit Gluck
zur Geltung brachte. Die zwei Claviaturen des Instru-
ments waren unstreitig dazu da, jene Stellen in Scarlatti
und anderen Meistern, die auf den modernen Fliigeln durch
•..•*>• ',.,:• ;--.j\;-:
■ - : — 17 — • • • -: ^
Ueberschlagen der Hande hervorgebracht werden, ab- -.';M
wechselnd auf der oberen und unteren Tastatur zu spie- , -;\f|
len und gewisse Nuancen in der Klangfarbe hervprzu- . ;5f
bringen, da die eine zweifach, die andere dreifach besaitet .: 4]
war. Auch S. Bach's D- moll -Concert mit Quartettbeglei- ";£%
tung liess er zum erstenmal horen. A lies stimmte darin v '.^
iiberein, dass der echte Musiksinn durch die Bekannt- ' ~i§
schaft mit solchen Meistern nur gefordert werden konne, :~£4
die Blatter sprachen die Hoffnung aus, dass die „cro"wded '-. ;%
rooms" dieser drei Soireen Moscheles veranlassen wiirden, '■ -^
sie im nachsten Winter zu wiederholen, undnoch andere, /3
alter e Componisten mit in seine Programme aufzuhehmen. " '. r
Eine Novitat englischerseits waren die British Con- '-■■;&
certs , und ihre Basis eine richtige. Die fashionable '*'■?*
Welt zeigte namlich so viel mehr Sinn fur die leichte, ..•';.'s
oft seichte italienische Musik , dass das junge eingeborne ';V7*
Talent sich beeintrachtigt fiihlte, und dem walschen Tan- -■ jj.
deln das Gegengewicht zu halten glaubte, wenn in einer , "■'
Reihenfolge von Auffiihrungen nur die englischen KLiinst- ;-■'?■*
ler des Tages und ihre Compositionen zu Gehor karnen. - , -';■■*
„Die Exclusivitat ist immer der Kunst-Entwickelung hin- . -S
derlich", sagt das Tagebuch, „hier stiess sie noch dazu y"--;
oft auf Mittelmassigkeit in der Auffiihrung, und Mangel .5:
an Originalitat in der Composition, und so blieb die fash- ' yj.
ionable Welt ihren Italienern treu und nur das Kleiri-
biirgerthum ergotzte sich an seinem „native talent". Der J
Stolz, mit dem man diesem zuhorchte, bekam gerechte y;
Nahrung, als Litolff. mit seinem erst en Concert eigener ' "y.
Composition auftrat. „Hier ist doch Originalitat", sagt " ' . : '.
Moscheles, „wennauch' wenig abgeklarte, und das Spiel : ;
zeigt Virtuositat; der Beifallssturm und Enthusiasmus
waren diesmal gerechtfertigt."
Das Tagebuch, so wie Briefe aus diesem Winter zei- .-;'■
gen, wie eifrig Moscheles als Mitdirector der Philharmo- "-':?
nischen Concerte bemtiht war, Beethoven's g. Symphonie,
die im Jahre 1824 unmdglich erklart und durchgefallen :i
war, zu einer Auffiihrung zu bringen. Wie gross auch
die Hindernisse waren, auf die er bei seinen Collegen
Moscheles' Lebcn. IT. 2 - J '- :
— i8 —v
stiess, es kam doch endlich zu dem Beschluss, „ih:n die
Leitung des Wagnisses" zu ubertragen; an ein Ge-
lihgen dachte Niemand. Nun begannen mxihevolle Wochen
fur ihn.' Statt der einen Orchesterprobe wurderi. ihm zwei
bewilligt; das war aber auch Alles, und so ergriff er das
Mittel, jede Einzelheit mit jedem Elnzelnen zu probiren.
Sanger und Instrumentalisten , jeder wusste seinen Part,
jeder hatte durch .Moscheles 1 Begleitung und seine Erkla-
rung schon einige Kenntniss des Riesenwerks , als es zur
ersten Orchesterprobe kam; die zweite benutzte er, urn
einige Nuancen und Feinheiten zu erzielen und fehlte auch
noch viel, waren die Solosanger der Aufgabe auch nicht
vollkommen gewachsen, es wurde doch ein glanzender Er-
folg hervorgebracht. Moscheles schreibt den Verwandten
entzuckt daruber und sagt : „Ihr konnt Euch meine Auf-
regung vor und wahrend des Concerts am 17. April den-
ken — von der Arbeit spreche ich nicht — denn seht
nur in dem beiliegenden Artikel aus dem „Atla,s", wie sie
mir gelohnt ist. Ich schicke Euch gerade diesen , weil er
kurz und concis geschrieben , die Hauptsachen beriihrt ;
wer der Kritiker ist, weiss ich nicht; iibrigens sind alle
Blatter gebiihrend entzuckt von diesem Riesemverk und
verlangen einsstimmig, es moge auf dem Repertoire blei-
ben, solle aber auch in grosseren Localen wie Exeter-
Hall oder, in Birmingham beim Musikfest gegeben wer-
den. Genug, das reiche England hat sich um einen Schatz
bereichert und wie froh bin ich, dass ich ihn ausgraben
durfte." Das Pragnanteste in dem . eingesandten Artikel,
der vor uns liegt, ist wohl die Bemerkung, wie Directoren,
die selbst ein Werk nicht griindlich verstehen, es unmog-
lich zur Geltung bringen konnen und wie Ausfuhrende,
wenn sie nicht genugend von seinen Schonheiten durch-
drungen sind, dem Horer eine uniiberwindliche Lange-
weile aufbiirden. Die Aufzahlung von Moscheles' Fahig-
keiten und Bemiihungen reiht sich selbstverstandlich als
Contrast hier an, und Sanger wie Instrumentalisten gehen
•auch nicht beifallsleer aus.
Thalberg feierte in dieser zweiten Londoner Saison
-wieder die grossten Erfolge, seine God^save-Fafttasie war
zugleich eine politisch anregende Demonstration, da sie in
King William IV. letzte Krankheitstage fiel.
In Moscheles' eigenem Concert am 30. Mai spielte
"Thalberg mit ihm und Benedict das Bach'sche Triple-
Oncert mit sturmischem Beifall , weniger gefiel diesem
grosseren Publicum die Scarlatti'sche Katzenfuge auf dem J
Harpsichord von Moscheles vorgetragen, wahrend die
-characteristischen Etuden und das Concert pathetique, bei-
■des Novitaten, sehr anerkannt wurden.
In einem Brief von Moscheles an die Verwandten
heisst es : „Ihr denkt wohl , ich ware nach dem Concert "
-ermudet gewesen; aber wie konnte ich? Es erwartete
mich beim Nachhausekommen die schonste Aufluhrung
zu Ehren meines Geburtstages ; nicht weniger und nicht
mehr aTs „der Abt und Kaiser" dramatisirt, worin Felix
hoch zu Ross, nein, zu Schaukelpferd, als Kaiser erschien.
Alles Uebrige analog und fur den Vater uniibertrefflich."
Ein Brief der Frau aus diesem Monat Mai sagt:
.,Wirklich, die Frau Musica ist mehr als je die Schutz- ,
patronin des Hauses und Ihr werdet es glauben, wenn
Ihr hort, was sich Alles darin zutragt. Czerny aus Wien,
Jacques Rosenhain, die Gebruder Ganz und Franchomme,
MUhlenfeld aus Rotterdam, Gerke aus Petersburg, der
Concertmeister Moser aus Berlin mit seiner Frau N und sei-
nem talentvollen Sohn, Alle sind uns Hebe Gaste : , die die
Fremde uns zufiihrt. Thalberg 1 und Benedict gesellen sich
■oft als Hausfreunde dazu. Alle wollen mit Moscheles
Musik austauschen, d. h. die Clavierspieler ihre
neuen Sachen produciren, die seinigen horen und die In-
strumentalisten sich ihre Solo's accompagniren lassen, oder
sich mit ihm in Sonaten und Trio's, ergehn. Dabei hat
Ries eine neue Parti tur , Saul und David, ein Oratorium ;
Neukomm das Unglaubliche an weltlicher und geistlicher
Musik; das Alles liest Moscheles mit ihnen am Clavier
■durch, und sagt mir oft : „Gottlob, dass ich so gute Augen
habe ; denn Neukomm's feingeschriebene kleine Partituren
.sind wahres Augenpulver, und der Musik kann ich kein
„— 2° —
Zukunftsleben prophezeien." Unsern bestenHahn imKorbe-
Felix Mendelssohn, miissen Wir leider in diesem Jahr
wieder entbehren. Wir haben statt seiner wenigstens em
3. Heft Lieder ohne Worte und ein neues . Liederheft,
Friiulein Julie Jeanrenaud gewidmet, und ergotzen uns an
Beidem. Denkt Euch, mit * * hatte ich neujich einen or-
dentlichen Strauss und ich kann sagen, aus Achtung vor
seinem Kiinstlerthum. Er und die Seinigen sprechen nam-
lich kein Wort englisch und da der Sohn Concert geben
sollte, so hatte ich mich als Uebersetzer der Ankiindigun-
gen, Zettel etc. erboten. Bringt mir aber der gute Con-
certmeister einen deutschen Aufsatz, der mehr an ein Cafe
chantant, als einen * *. erinnert und ich weigere mich f
ihn treu zu ubersetzen, indem ich alle lobenden, auf den
zehnjahrigen Sohn beziiglichen Epitheta weglassen will.
Es dauerte lange, bis er einwilligte; aber ich musste sei-
ner Stellung zu Liebe fest bleiben. Nun muss ich Euch
aber einen Hauptspass erzahlen. Neulich Abend, als das
halbe Dutzend Clavierspieler bei uns war und wir einige
Gaste hatten, entstand eine fatale Pause; Niemand wollte
zuerst spielen und jeder Aufgeforderte behauptete, der
oder jener miisse anfangen. Nun hatte freilich mein Mann
durch sein eigenes Spiel die Zeit ausfullen konnen , doch
gait es ja, die fremden Kiinstler und.einheimischen Kunst-
freunde miteinander bekannt zu machen. Was war also-
zu thun? In meiner Verlegenheit schlug ich vor, die sammt-
lichen Namen der Herren auf Zettel zu schreihen und in
einen Hut zu werfen, wenn sie versprechen wollten, je
nachdem sie herausgezogen wiirden, zu spielen. Das fand
Beifall, und so hatten wir einen wahren „Assault de Piano."
Gut, dass wir durch die schone Altstimme von Mrs. Shaw
und Miss Masson, sowie durch Balfe's Tenor auch einige-
Vocalmusik produciren konnten."
„Chopin, der kurze Tage in London zubrachte, war der
Einzige unter den fremden Kiinstlern, der Niemanden be-
suchte und auch nicht besucht sein wollte, da jede Unter-
haltung sein Brustleiden verschlimmerte. Er horte einige-
Concerte und verschwand."
— 21 —
„Habe ich Euch neulich von Clavier spieler n er-
zahlt'-', sagt ein anderer Brief, „so sollt Ihr heute e.in Kapi-
tel Clavierm a c h e r bekommen; ich will sie rmr Zugvogel
dieser Saison nennen , da RaubVogel wohl ein zu starker
Ausdruck ware. Und doch sehe ich P.'s essigsaures Ge-
sicht, wenn er bei seinen Besuchen oder in Concerten Mo-
scheles auf einem Erard oder Clementi hort, und male
mir aus , wie er bei dem Erard denkt, ,;anch' io spno pit-
tore", beim Clementi, „das ist ein iiberwundener Stand-
punkt" , bei den Broadwood's , auf denen Moscheles audi
mitunter spielt: „wie kann man die einem P. vorziehen?"
Und G. T der mit Czerny hierher kam, mochte auch alle
Instrumente horen, alle Fabriken besuchen, findet aber
jeden Anschlag- zu schwer, jeden Ton zu dumpf, und nur
seine Fliigel brillant. Auch einen Erfinder fur die Um-
und Reinstimmung- von Clavieren giebt es wieder. War
■der vorjahrige ein Crefelder, so ist dieser ein Pariser, Msr.
le Pere. Aber trotz seiner Versicherung, es sei so leicht,
■einen Flugel um 1 j i Ton hoher oder tiefer zustimmen, ,jque
vous le feriez faire par votre domestique, ou votre femme
■de chambre" wollte sich die Sache doch nicht als prak- !
tisch erweisen. Ich konnte noch Manche nennen, aber es
mochte Euch langweilen. Jeder hat seine eigenen Interes-
«en, aber Alle stimmen darin iiberein, von meinem armen
Mann mundliche Empfehlungen und schriftliche Atteste
zu verlangen, versteht sich lauter Lobpreisungen. „Und
man hat doch zuerst sein Gewissen", sagt er sehr riehtig:
„man mochte nicht solch zweideutiges Lob austheilen, wie
der grosse M r es mitunter gethan hat; die Empfoh-
lenen entziickt es, aber der Empf anger, wenn er gescheit
ist , legt sich die auf Schrauben gestellten Phrasen rich-
tiger aus."
Die Schroder-Devrient war wieder da;, ihr Fidelio un-
vergleichlich wie immer, ihre Norma nicht einer Pasta
■ebenbiirtig; auch konnte sich die deutsche Oper schlech-
ter Geschafte halber nicht halten. In der englischen ent-
stand, um alsbald wieder zu verschwinden , „Love in the"
■city" von W. — Puzzi, der fashionable Hornblaser brachte
-rr 22 -=-
eine Opera bufla nach London , in der ireilich der spater
so beriihmte Ronconi auftrat, die aber an einem schlech—
ten Damenpersonal litt.
Das Royal Operahouse Haymarket hatte seine schon
genannten grossen Sanger; da sie aber bestandig diesel-
ben ,Puritani und Aehnllches wiederholten , so brachte
der Atlas einen komischen Artikel „on operatic affairs",,
behandelt die Direction und Sanger als Uebelthater, lasst
sie auch durch em juridisches Verhor gehh. So wird z. B.
die Grisi gefragt : Wie oft hat sie in diesem Jahr son-
vergin vezzosa (ihre Cavatina aus I Puritani) gesungen?
Hat sie es Morgens, Mittags und Abends, schlafend und.
wachend gethan? Und als sie rait Ja antwortet, geht der
Inquirent weiter : Liebt sie die Musik ? Nicht besonders.
Warum singt sie sie? Weil sie schon 3 Jahre lang da&
Publicum iiberrascht und erstaunt und heute noch eben-
so wie friiher. 1st es ihr nicht lieber zu gefallen als zu.
erstaunen ? O ja, aber dies Publikum ist nur des Erstau-
nens fahig, -weil es nicht intelligent ist. Lablache lasst
man in seinem Verhor aussagen : John Bull liebe ihn nur
wegen seiner starken Stimme , John Bull wolle nur lau-
tes Gebriill, wolle auch nur alte bekannte Sachen horen,-
die seinem Ohr tiichtig eingepaukt seien, das mache jeden>
guten Sanger todt. Rubini hingegen behauptet: er singe
gern-wieder und wieder dasselbe. Der Componist, wenn
er dem Sanger eine Note gebe, bekomme 50 von ihm
wieder; Bellini, Donizetti und Mercadante seien durch-
seine und seines Collegen David „broderie" unsterblich
geworden, durch sie seien Felsenherzen geschmolzen. Und
Mozart, wird er weiter gefragt ? Er kennt ihn , muss ihh
auch zuweilen singen, aber man macht mehr Gliick mit
andern Opern,
Und das blieb die endgiiltige betriibende Wahrheit
dieses scherzhaften Artikels: Mozart von den Italienern
gesungen, hatte nichts Erwarmendes ; Darsteller und Pub^
licum blieben lau und nicht einmal die herrlichen Stim-
men kamen zur Geltung.
Die Ancient-, damals Antient-Concerts waren im Jahre
_'j;yr ■'&?£■?
— 2 3 —
1776 von einem Earl of Sandwich in's Leben gerufen nnd
wahrend Moscheles' Aufenthalt in England, also von 1820 — 46
alternirten sie mit den vierzehntagigen Philharmonischen
Concerten, je 8 an der Zahl. Ihr Zweck war, die alte und
alteste Musik, sei sie englisch, italienisch, deutsch oder
franzosisch zu Gehor zu bringen , sich: auch dabei ganz
alter Instrumente zu bedienen, die langst in Antiquitaten-
Cabineten ruhten; ihr Gebrauch ein deutlicher Beleg fur
die Fortschritte der Neuzeit. So horte man dort eine Viol
di gamba, Viol d'amore a. A. m. Man horte aber auch
zuweilen die lauten Bemerkungen des Herzogs von * *.
„Trotz seiner Liebhaberei fur Musik", sagt Moscheles,
„legt er sich doch in dieser Beziehung keinen Zwang auf.
Die Abonnenten kennen das unabanderliche Uebel. Wird
aber jernals einer derselben von einem Fremden gefragt:
„what noise is that?" so heisst es einfach; „Oh, it's only the
Duke", und damit basta. Seine abgerissenen Sentenzen
machen den Effect von Paukenschlagen , die nicht zur
Musik stimmen," In diesem Jahre brachte Moscheles dem
Ancient-Concert die Novitat des D-moll-Concerts v. Bach*
das wohL nicht anders als mit grossem Enthusiasmus auf-
genommen werden konnte. Einer der Directoren dieser
Ancient - Concerts , Lord B. rief die ICiinstler zu einer
Berathung zusammen, die sich auf das Beethoven-Monu-
ment in Bonn bezog. Er wollte, dass England einen grossen
Beitrag dazu liefere, der seinen Fonds aus einer splendi-
den Auffiihrung Beethoven'scher Compositionen ziehen
sollte. Die ganze Welt aber war gegen den noblen Lord.
Ein Theil der Presse, „weil ja die Deutschen nie etwas
zu den Monumenten beriihmter Englander beigetragen",
ein anderer, weil man es gerne dem Lord vorwarf, „wie
er sich gar nicht um deutsche Musik kummere und nur
die seichteste italienische Hebe." Moscheles erhob in einer
der Versammlungen seine Stimme „ganz decidirt dagegen",
wie das Tagebuch sagt, „weil wir schon im Juli sind, und
dureh den Tod 'des Konigs ohnehin schon manches Unter-
nehmen . gescheitert ist." Aber er und der ganze ihm bei-
stimmende Kiinstlerchor ward nicht beachtet und am 20. Juli
ein Concert vor leeren Banken gegeben. Zum Gliick waren
: * von einigen Beethoven - Verehrern Ueberzahlungen einge-
gangen, welche die Kosten deckten. Die hochfahrenden
Versprechungen aber, die Lord B. dem Bonner Comity
gemacht, mussten in einem Entschuldigungsbrief an den
Baron Schlegel verdampfen.
Die . neunwochentlichen Ferien wurden wieder sehr
gliicklich mit den Hamburger Verwandten verlebt und
zwar in Flottbeck, einem der schonsten Punkte an der
| Elbe. Dort wurden zwei Etuden componirt, dort im Park
lustwandelnd, entstanden die Vorrede und die charakte-
(4ft}/ ristischen Bezeichnungen dieser 12 grossen Etuden, die im
pLaufe des Winters herauskamen. Moscheles schickte die
. in diesen Etuden enthaltene Fuge in Es an Schumann, mit
1 dem er viel "correspondirte. Zum Leidwesen der Gatten
war Mendelssohn in ihrer Abwesenlfeit erst in London,
■ dann in Birmingham, wo er beim Musikfest seinen Paulus
zur Auffuhrung brachte; man weiss mit welchem Erfolg.
— Das Haus Cramer unterhandelte neuerdings wegen der
Edition der Beethoven'schen Werke und bewilligte Mo-
scheles z j s Antheil an seinen neuen Compositionen , was
L-V dieser einem Honorar vdrzog.
Bei der Riickkehr nach London waren Neukomm,
Benedict und Thalberg in der herbstlich leeren Stadt und
diesen , so wie dem Freunde Klingemann stand das Mo-
scheles'sche Haus stets oHen ; es war wie immer ein musi-
kalisch belebtes, da der Hausherr fast jede Woche einen
genussreichen Quartett -Abend gab. Eine Haupt-Beschafti-
gung blieb aber das Durchspielen aller alten und der alte-
sten, aller neuen und der neuesten Musik, denn bei Be-
ginn des Jahres 1838 sollten historische Soireen fur Clavier-
Musik yon Moscheles gegeben werden, und bei dem Reich-
thum von Sachen hiess es, Vieles durchgehen, um Einiges
zu wahlen.
— 25 —
1838.
„Meine Finger sind in gehoriger Ordnung" , erwahnt
das Tagebuch am i. Januar, „und die Programme fur die
bevorstehenden 'Soireen gemacht. Ich habe wieder in den
eingeascherten Schatzen des musikalischen Pompeji ge-
graben und manches Grossartige an's- Licht der "Welt ge-
bracht. Beethoven ist gross und wen mochte ich grosser
nennen? Da aber das Publicum imrner nur ihn, und da-
zwischen die modernen Effectstiicke hort, so will ich ihm
zuerst die Componisten vorfiihren, auf deren Schultern
Beethoven sich zu seinem Adlerfluge emporschwingen
musste. Darf man doch die Vergangenheit seiner Kunst
nicht vergessen, wenn man ihr in der Gegenwart huldi-
gen will; habe ich aber. mit den Altmeistern begonnen, so
will ich meine Horer allmahlich bis auf unsere Tage fuh-
ren, dann mdgen sie ihre eigenen, vergleichenden Schliisse
Ziehen". Nach der zweiten Soiree sagt er: „Der Erfolg
dieser Soireen beweist doch, dass das Publicum empfang-
hch fur das Schone ist, dass man nicht ihm zu Liebe dem
Modegeschmack zu huldigen braucht , um es zu fesseln ;
es erfreute sich mit mir an den alten Sachen ganz und
unzerstiickelt , wie ich sie gab , als Dessert die beliebten
Beethoven'schen Variationen uber ein Handel'sches Thema,
mit Lindley". Vor uns liegen die Berichte der offentlichen
Blatter fiber *diese Soireen. Sie enthalten endloses Lob
fur das Unternehmen. und benutzen es um ihre Anathema
gegen „den italienischen Schwindel" zu schleudern und
Moscheles als den Reprasentanten einer hohern Richtung
hinzustellen. Auch uber die neuen charakteristischen Etii-
den, deren er einige spielte, ergeheri sie sich in Lobprei-
sungen.
„Warum spielte er sie nicht alle zwolf", heisst es? Man
wiinscht sie sammtlich zu horen, wiederholt zu horen, Mo-
scheles sollte die Bescheidenheit nicht zu weit treiben.
„Der Tonangeber in diesen Soireen war der Herzog
von Cambridge, er verlangte manches zweimal zu horen
und das Publicum stimmte ihm trotz der schon langen
— 26 .—
Programme bei", schreibt die Frau. „Gegen Moscheles ist
er unendlich liebenswiirdig und fragte nach jeder Soiree:
Pray, when is the next? J must make a Memorandum
not to forget. Es giebt in diesem Winter auch Classical-
Cjuartett-Concerts, Wind-Instrument-Concerts, British-Con-
certs, genug Musik ohne Ende". Im Februar muss Mosche-
les als Mitdirector der Philharmonic den zwei Probeaben-
den fur neue Compositionen beiwohnen , und nennt sie
„recht unerquicklich. Einige deutsche und einige englische
Symphonien und Ouverturen nicht lebensfahig ; eine Or-
chester - Fantasie mit gedrucktem Programm, enthaltend
Verschworung Emporung und Befreiung, passt als Melo-
dram in ein Vorstadt-Theater ; eine Symphonie und ein''
paar Ouverturen besser , und doch nicht ausgezeichnet,
keine derselben kam in die Programme der diesjahrigen
8 Concerte, denn man hielt sich lieber an die classischen
Meister, um kein Fiasco zu erleben". Dem soeben ver-
storbenen Ferdinand Ries zu Ehren , der ein „member of
the Philharmonic Society" war, eroffhete man die diesjah-
rigen Concerte mit einem Trauermarsch.
Es gab manche Novitat an Claviercompositionen. Mrs.
Anderson spielte Mendelssohn's Concert in D-moll und es
ward , wie sich's gebuhrte , enthusiastisch begriisst ; Mme.
Dulcken das posthume in F-dur von Hummel, das auch
gefiel , Moscheles sein pathetique , das ihm trotz grosser
Theilnahme in Publicum und Presse eine derbe Philippica
zuzog. Es hatte einem Feuilletonisten missfallen! Und auch
das riigte er, dass Moscheles in dieser Saison wieder die
neunte Symphonie dirigirte; denn er parodirte die kleine.
Ansprache, die Moscheles bei dieser Gelegeriheit an das
Orchester hielt. Es ist dieser Vorfall nur insofern einer
Erwahnung werth, als er Moscheles Gelegenheit gab, die
unerschutterliche Ruhe seines Charakters bei dieser und
ahnlichen kleinen Unannehmlichkeiten in's Licht zu stellen.
Uebrigens ging das feindliche Blatt bald unter und die
neunte Symphonie brachte ihrem Dirigenten erneuten
Dank und herzliche Anerkennung; mehr als diese belohnte
ihn das Streben selbst, „im Gegensatz zum Lectionenjoch
— 27 —
und der Modetandelei" , zu der er obenan die unvermeid-
lichen Arrangements fur Schiiler zahlte; wollte ihm aber
ein Verleger einen Mode t i t e 1 aufdringen , so finden wir
im Tagebuch Bemerkungen , wie diese : „Er machte mir
mit seinen Vorschlagen den Kopf lichterloh brennen".
„Er will mirGesetze iiber Titel vorschreiben, Aenderungen
machen ohne mich zu fragen, das erlaube ich nicht , dazu
hat er kein Recht".
Wer nun. mit utis cincn Blick auf Moscheles' Kunst-
streben in diesen und den letztveriiossenen Jahren werfen
will, der wird ihn bemiiht finden, das alte Virtuosen-
thum mehr und mehr abzustfeifen, solche Stiicke, wie die
Alexander - Variationen als „verschollen zu erklaren" und
eine classische Richtung anzustreben ; bei den Londoner Ver-
haltnissen doppelt miihsam. Diese legten ihm so schwere
Fesseln an , dass die Frau im Mai schreibt: „Mein Mann
sagt, es ist weit besser, Ihr gewohnt Euch daran, mit
meinen Briefen, selbst iiber musikalische Dinge vorlieb zu
nehmen, denn wir horen ja zusammen und er sagt mir
genau , wie er iiber Alles denkt , so bekommt Ihr seine
Meinung unverfalscht, wenn auch aus zweiter Hand, aber
dafur mit mehr Ausfiihrlichkeit. Er kommt nicht zum
Schreiben , so lange er ausser seinen eigenen Geschaften
auch noch der Deus ex Machina sein muss, der fur die
fremden Kunstler Ehre und Verdienst zurecht zaubern
soil. Und wo den Verdienst hernehmen, wenn das Ver-
dienst mangelt? wie bei H.'s Sohn z. B. ! Der Himmel
behiite unsem Jungen vor so einer Nullitiit und so einem
Zehren an seines Vaters Namen ! darauf hin gab er Con-
cert und konnte Einem nur Mitleid einflossen. Wir sind
wieder reich an Fremden, die gewesene Frl. Belleville,
jetzt Mme. Oury, ist mit ihrem Mann, dem Geiger hier,
der Kapellmeister B^ott aus Oldenburg, ein tiichtiger Mu- p"
siker mit seiner Pianistin-Tochter, dann zwei Polen, einer
Pianist, der andere Geiger, mit sehr viel weisser Weste
und Uhrkette und noch mehr Anmassung; zwei brave
Hannoveraner , der Flotist Heinemeyer und der Cellist
Hausmann, der Contrabassist Muller, der leider auf seinem
— 28 —
Riesen-Brummbass Variationen auf das liebliche „ An Ale-
xis" spielt, der Oboist Braum und erne ganze .Trompeter-
Familie Distin; denkt Euch, ein Vater und vier Sonne,
die concertirend trompeten, das ist doch zu viel des Guten.
Diese Kunstler sind Alle mehr oder minder tiichtig und
werden sich bei wiederholten Besuchen unserer Insel ge-
wiss manches von deren Gold-Staub aneignen, da aber
die Concurrenz sehr gross ist, so scheint das schnelle
Gelingen ihrer Unternehmungen, wie sie sich es erwarten,
eine Unmoglichkeit, und wir sind ihnen gegeniiber oft in
der unangenehmen Lage, ihnen weniger zu leisten, als sie
erwarten. Da alle freundschaftlich bei uns ein- und aus-
geheri, so nenne ich unser Haus das Kiinstler-Kaleidoskop,
das uns taglich neue Combinationen bringt , bald in grel-
len, schillernden Farben, bald in sanften, wohlthuenden.
Es versteht sich , dass Thalberg wieder in der Welt der
Pianisten oben ansteht. Herz, Rosenhain undDohier haben
auch ihr Publicum, und gehoren zu den brill anten Sternen
meines Kaleidoskops ; als dies aber kurzlich. bei einera
neuen Umschwung Johann Strauss auftauchen liess , da
war es kein Kaleidoskop mehr, sondern ein Oberon-
Horn", denn Alles tanzt, muss tanzen, wenn er geigt.
In den Concerten , die er mit seinem kleinen Orchester
giebt, thut man es sitzend, in Almacks, diesen fashion able-
sten aller Subscriptionsballe , hupfen die aristokratischen
Fiisschen nach seinen Weisen, und auch wir hatten neu-
lich das Gliick, in einer Soiree danach zu tanzen, wobei
wir alten Eheleute uns decidirt verjiingten. Er selbst tanzt
iibrigens „corps et ame" wahrend des Spielens; nicht mit
den Fiissen, aber mit ,der 'Geige, die bestandig auf und
nieder geht, wahrend der ganze Mensch jeden guten
Tacttheil markirt; dabei ist er so ein gemiithlicher Wiener,
nicht raffinirt gebildet wie ein Weltmann , aber amiisant
und immer 'heiter; hat man doch der betrubten Exem-
plare genug Uns erfreut es immer, wenn wir
auch ekimal eine literarische Beruhmtheit kennen lernen,
wie z. B. neulich . Alfred de Vigny , den Erzfeind von
George Sand."
— 2 g —
Sir Charles und Lady Morgan waren in Irland sehr
freundlich gegen Moscheles gewesen. Er hatte mir schon
viel von ihnen erzahlt, und fiihrte mich neulich bei der
beriihmten Schriftstellerin ein. Ihre Freundlichkeit und
Liebenswiirdigkeit gegen mich muss ich wohl auf Rech-
nung meines Mannes schreiben, da sie ihn und sein -Talent
aufrichtig verehrt. Ihre Augen spriihen-noch Feuer trotz
ihrer 60 Jahre, sie muss sehr schon gewesen sein und
ihre Lebendigkeit ist echt irlandisch". . . .
Balfe hatte wieder eine neue Oper componirt , „the
mountain sylph", war und blieb auch popular. Benedict
brachte seine Oper „the Gipsies warning", Lord Burg-
hersh, „I1 Torneo" , daneben aber florirte „Lucia di Lam-
mermoor", florirte Rubini in seinem „sulla tomba", wie
oft man auch sie und es gehort hatte. Die liebliche Cinti
mit ihrer Nachtigallenkehle konnte nicht anders als ge-
fallen, Fanny Elsler, dieser Inbegriff aller Grazie, musste
Furore machen. Das grosse Ereigniss der Saison aber war
die Kronung der KLonigin Victoria.
Der Freund Sir George Smart hatte Moscheles in ein
Chorhemd gesteckt, um in seinem Chor der Westminster
Abtei als Basssanger zu fungiren und so das prachtvolle
Fest mit anzusehen, denn die Billete waren unerschwing-
lich theuer.
Das Tagebuch sagt: „Welch ein imposanter Anblick,
dieser festlich geschfnuckte Tempel mit seinen festlich
geschmuckten Frauen ! Und nun erst welch' ein Eindruck,
als die achtzehnjahrige KLonigin im Ornat, umgeben von
den Grossen ihres Reichs, eintrat: Alles imposant, Alles
ergreifend, aber am imposantesten der Handel'sche Ghorr
„Zadok the Priest" und sein „Hallelujah" , ergreifend bis
zur Riihrung; so auch der Moment, als der ehrwiirdige
Erzbischof von York die Krone auf das jungfrauliche
Haupt setzte. Dann aber wie aus einem poetischen Traum
aufgeruttelt und unsanft in die Alltagswelt zuruckge-
fiihrt, durch W. K.'s „Coronation Anthem", neu und doch
alt — fur diesen Actus componirt, aber aus geborgtem
Material, schulgerecht, doch ganz uninteressant". Die Frau
— 3Q .— . . .
schreibt den Verwandten diese Stelle aus dem Tagebuch
und setzt hinzu: „Ehe Moscheles in die Abtei fuhr, brachte
er mich mit Tochter und Nichte zu Lady A. "Wir waren
auf nicht spater 'als neun Uhr Morgens eingeladen, urn
nicht in's Gedrange zu kommen, und dort waren wir herr-
lich aufgehoben, Ihr wisst , das Haus liegt in Piccadilly,
beinahe Constitution-Hill gegeniiber. A.'s hatten eiri am-
phitbeatralisches Gerust von den drawing- room-Fenstern
an , bis auf den kleinen Raum vor ihrem Hause bauen
lassen , der, von einem Eisengitter umgeben , ihn von der
Strasse trennt. Die Banke dieses Geriistes waren schar-
lachroth iiberzogen und dort sitzend , sah man links die
ganze Piccadilly herunter, durch die der Kronungszug
hin- und zuriickfuhr, rechts in den Park hinein. Natiirlich
war eine grosse elegante Gesellschaft da , so dass Einem
die Zeit nicht lang vvurde, und fiir das Leibliche hatte
Lady A. durch eine kalte Collation gesorgt, der en Vor-
trefflichkeit Ihr nicht bezweifelt. Kurz nach neun Uhr firig
es an, in den Strassen zu wogen, das ganze Volk war auf
den Beinen, gute Mutter mit Babies auf dem Arm, Vater,
die kleine Jungen emporhielten, schon grossere, die Later-
nen, Gitter und Pfosten erkletterten, um gut zu sehn, ein
Llurcheinander , wie Ihr es Euch kaum vorstellen konnt.
Als aber endlich die Zeit herannahte, wo der Kronungs-
zUg St. James' Palace verlasseri, also Piccadilly herauf-
fahren sollte, ward Spalier gebildet; wisst Ihr aber wie?
Zwei Horseguards ritten Schritt durch die Menschenmasse,
der sie Zeit liessen , zuriickzuweichen , dann wieder und
immer wieder , bis sie endlich eine weite Strasse fiir den
Zug erdffhet hatten. Natiirlich beschreibeh Euch die Zei-
tungen diesen am besten; nur das muss ich sagen, dass
die goldne Staatskutsche mit den 8 Isabellen bespannt,
mittelalterlich prach-tvoll ist, dass die Konigin als acht-
zehnjahriges junges Madchen hiibsch aussah , dass aber
die ihr gegeniibersitzende Oberhofmeisterin , die Herzogin
von Sutherland , eine wahrhaft edle imposante Schonheit
ist"
Der August und halbe September waren wieder er-
holend und genussreich. Erst ein Besuch mit Frau und
Kindern bei iieben Freunden in Sussex, der Hausherr,
Geistlicher , „er und die ganze Familie lieb , gut und ge-
bildet". „Da die Musik doch immer die Hauptsache bleibt",
schreibt die Frau ; „so sucht mein Mann durch^Orgelspiel
Ersatz fur das unbedeutende Clavier, spielt die Leute zur
Kirche binaus und geleitet einen Todten mit Handels
Trauermarsch zu Grabe". „Was wohl die Pachter, Bauer n
und Todtongraber von meinem Spiel denkeh, das bekum-
mert mich", fugt Moscheles hinzu; „jedenfalls diene ich
den Damen zur Erheiterung , denn sie kleideten mich
gestern in Mrs. G.'s Staatskleider und das war ein Haupt-
spass. Ich endete den Abend mit einer improvisirten Arie,
die ich im hochsten Sopran vortrug und deren Text eine
Lobrede auf das Lieblingshundchen war", Ein Monat wird
in Hastings verlebt und Mitte September schreibt Mosche-
les: „Unsere schonen Feiertage sind zuEnde und das „sweet
home" wieder behaglich. Aber heute hat derHimmel einen
Schnupfen und ladet die Menschen zum Ersaufen ein ;
damit ich der Einladung nicht folge, bleibe ich wie Haydn
,,an meinem Spinettl". Ich spiele alle neuen Werke der
vier modernen Heroen Thalberg, Chopin, Henselt, Liszt,
und finde, dass ihre Haupt-Effecte in den weitgriffigen
Passagen liegen, welche ihnen durch dea Bau ihrer Hande
erleichtert werden; ich spanne weniger,.bin auch aus einer
weniger geschraubten Schule hervorgegangen. Ich kann
Mozart, Cramer und Hummel bei aller Beethoven -Vereh-
rung nicht vergessen. Haberr sie nicht manches Edle ge—
schrieben, womit ich aufgewachsen bin? Jetzt findet die
neue Manier mehr Anklang, und ich versuche den,Mittel-
weg zwischen beiden Schulen zu schaffen, indem ich mich
vor keiner Schwierigkeit furchte, auch die neuen Effecte
nicht verschmahe , und doch das beste Althergebrachte
beizubehalten suche. Das Pastoral - Concert , das ich eben
schreibe, hat die kurzere, modern e Form der drei zusam-
menhangenden Stiicke, und mehr Lebendigkeit , ja Leich-
tigkeit wie meine letzten Concerte; ich mochte mich nicht
in meiner eigenen Manier abschreiben. — Die Lectionen,
nach denen Ihr fragt, suid in dieser Herbstzeit grade .aus--
reichend, urn Backer und Schuhmacherzu bezahlen".
Eine Notiz aus einem anderen Brief gehort hieher:
,,Ich empfehle Ihnen eine kleine Brochiire von Ries und
Wegeler iiber Beethoven, so eben bei Badeker in Coblenz
erschienen. Sie lasst ganz in das wunderbare Leben und
Wirken Beethoven's blicken und ich halte A lies darin fur
authentisch. Nur schade, dass seine letzten Briefe nicht com-
pletirt sind, indem sie mit denen an Ries schliessen, nach
welchen seine Correspondent mit mir anfoig. Auch muss ich
Sie auf die 50. Seite aufmerksam machen , wo Beethoven
sagt, dass er seine letzte Symphonie mit Choren dem Konig
von Preussen gewidmet und ihm sein Manuscript geschickt
habe. Trotzdem habe ich bei alien drei Auffuhrungen der
neunten Symphonie, welche ich in diesem Jah're dirigirte,
eine von Beethoven's Hand corrigirte Partitur gehabt,
und der Titel ist auch von ihm selbst hineingeschrieben.
Er lautet „Neunte Symphonie, componirt fiir die Philhar-
monische Gesellschaft in London von Beethoven".
In einem andern Brief schreibt er: ,.Wir wollen jeden
Sonnabend Kammermusik machen , wobei auch E. mit-
wirken soil. Der fleissige Cellist Plausmann wird uns eine
Stiitze dabei sein. Gleich am ersten Abend spielt E. das
erste und zweite Stuck des Mozart'schen Es-dur Quin-
tetts". „Sie hat es in drei Tagen einstudirt", schreibt der
gliickliche Vater, „und hat viel natiirliche Begabung".
Er selbst spielt Beethoven's grosse Sonate Op. 102 und
sagt: „Mit dieser sehr gelehrten Fuge bin ich nicht ganz
einverstanden ; mir ist Beethoven's Genialitat mehr wertb,
als seine Gelehrsamkeit". Spater spielt er Schubert's neue
Trio's in E und B „mit vortrefflicher Factur und schonen
Gedanken, nur mitunter ein bischen zu gedehnt".
Einmal sagt das Tagebuch: „Gestern brachte unser
Sonnabend einige wenig interessante Ensembles, aber
einerlei, wir miissen alle Novitaten durchgehen; spielen
wir doch immer die classischen "Werke mit dabei". Es
gab auch zwei herrliche Mendelssohn - Sonnabende , einen
fiir den ganzen Paulus, den andern fiir Claviermusik. „Ich
— 33 —
habe am Sonnabend mein Pastoral - Concert probirt*",
schreibt Moscheles; „es gefiel den Freunden, aber es stei-
gen doch bisweilen Zweifel in mir auf , ob mein jetziges
Arbeiten nach bestimmten Grundsatzen nicht der Leich-
tigkeit und Frische schadet, durch die ich mir in meiner
ersten Jugend so viel Eingang fur meine Compositionen
verschaffte. Und doch bin ich froh, der musikalischen
Welt mein ernsteres und tieferes Streben zu zeigen, wie
auch mein jetziges Gelingen hinter dem Wollen zuriick-
bleibe".
Moscheles schrieb in diesem Winter die Etiiden in A,
6 /'g-Tact und das Lied „Liebesfruhling". Die Beethoven^
Edition ging fort und von Mendelssohn's Andante und
Presto H-dur und -moll, sowie von Liszts neuen Etiiden
wurden Correcturen gemacht.
Das Tagebtich sagt : „Ich lehnte die Ehre ab , nach-
stes Jahr wieder Mitdirector der Philharmonic zu sein,
denn was kann ein Director unter sieben ausrichten? Ich
stehe immer vereinzelt mit meinen Neuerungsgeliisten da,
und am Ende werde ich noch fiir die Missgriffe der An-
dern verantwortlich gemacht".
Hummel war gestorben , und Moscheles wurde der
ehrenvolle Antrag, seine Stelle in Weimar zu bekleiden.
Er schwankte einen Augenblick, zog aber doch die Frei-
heit seiner Londoner Stellung den Fesseln eines Hofes
und Theaters vor , obwohl er den Herrschaften sehr er-
geben, und auch von ihrer Giite fiir ihn iiberzeugt war.
Ein Brief der Frau sagt; „Ich habe Euch wieder
wunderliche Dinge zu erzahlen. Eine Weihnachtsvorstel-
lung, worin der Nordwind in einem Ballet vorkommt,
hinterher Braham als Masaniello .und endlich v. Amburgh.
mit seinen Thieren. Dann von einem Besuch in Hertford-
shire bei A.'s, die uns einluden, um einer Fuchsjagd bei-
zuwohnen. Wir folgten in einer offenen Kalesche den
reitenden Herren, die hier und dort hinsprengten , doch
konnten wir uns nicht fiir die Sache begeistern- Haus
und Einrichtung sind splendid, ihre Autographen-Samm-
lung interessant, und die rothberockten Herren bei Tische
.Moscheles' Leben. II. "3
— 34 —
flatten uns ganz gut gefallen , wenn sie nicht so viel von
„hounds and horses" erzahlt hatten. Nach Weihnachten rei-
sen wir mit den Kindern zu Flemings, wo in's neue Jahr
hinein getanzt wer den ■ soil". . . .
1839.
Die Familie Moscheles brachte den frohlichsten Jah-
resanfang bei den Freunden Fleming auf ihrem Landsitz
in Hampshire zu. Bei schonem Wetter wurde ausgefah-
ren und geritten , bei schlechtem getanzt , Charaden auf-
gefiihrt ; immer aber , und bei jedem Wetter Musik ge-
macht. Zu den Gasten, die stets ab- und zugingen, gesellte
sich auch Lord Palmerston. Die Politik hatte ihn und F.
getrennt, seitdem Letzterer sich zur Wellington'schen Par-
tei geschlag - en, das Ungliick, das den Lord einiger werther
Familienglieder beraubte , sie wieder zu einander gefiihrt.
— Bei der Riickkehr nach Hause gab es bei Moscheles
kranke Kinder und vielerlei hausliches Ungemach. Die
ganze unerquickliche Zeit wurde aber bald von der un-
gewohnlich fruh beginnenden Saison iibernuthet, denn
Moscheles schreibt schon im Marz. „Es ist alles ganz so,
wie die andern Jahre und wir miissen mit dem Strom
schwimmen."
Der Besuch des Freundes Ferdinand David aus Leip-
zig war eine herrliche Freude fiir das Moscheles'sche
Ehepaar. Dieser wurdige Schiiler Spohr's spielte seinen
Meister gross und edel, seine eignen Bravoursachen mit
untadelhafter Technik und sein Quartettspiel in den Mori'-
schen und Blagrove'schen Soireen begeisterte Alles , was
echten K_unstsinn besass, denn das war vor ihm in Eng-
land nicht annahernd erreicht worden. David und Mosche-
les traten im zweiten Philharmonischen Concert zugleich .
auf, David zum ersten Mai mit einem eignen, Moscheles mit
seinem neuen Pastoral-Concert. David hatte sich bei die-
sem ersten Erscheinen schon die ihm gebuhrende hohe
Stellung errungen , die er spater durch jedes neue Auf-
— 35 —
treten befestigte, Moscheles sich der giinstigsten Aufnahme
seines neuen Concertes zu erfreuen. Von da an wirkten
beide Kunstler oft zusammen. Bei Sir W. Curtis, dem
grossen Amateur-Cellisten fur Mad. Dulcken, die in sei-
nem Salon eine Soiree gab , bei * * * , wo „noch ehe
unsre Kreutzer-Sonate verhallt war, schon eine Quadrille
erscholl und endlich am liebsten im eigenen Hause, vor
und mit andern Kunstlern, denn nur da erquickt und be-
geistert die Musik". Die Frau schreibt: „Heute soil ich
Euch berichten, dass Moscheles sein Concert mit David
zusammen geben will; dieser hatte ihn zwar auch so un-
terstiitzt, doch zog Moscheles es vor, ihn als Mit-Unter-
nehmer zu haben, weil er ihm dadurch seine hohe Achtung
als Kunstler kund geben wollte. Manche Concertgeber
lassen ihren Saal durch die italienischen Sanger fiillen,
sie selbst sind nur Nebenpersonen in ihrem kostspieligen
Concertdrama; Moscheles wollte weder so eine untergeord-
nete Rolle spielen , noch so ganz seinem eigenen Kunst-
streben zuwiderhandeln; nun hat er an David einen mach-
tigen Bundesgenossen in deutscher Schule gefunden und
das freut ihn doppelt, weil er dadurch seinem Publicum
zeigt, dass auch er darauf bedacht ist, ihm eine Novitat
2U bringen , nur eine von gediegenem Werthe". Spater
schreibt sie: „Dieser Brief ist eine Concert-Depesche. Es
ist glorreich voriiber, der Saal auch ohne italienische
Sanger vortrefflich gefiillt , der russische Grossfiirst hatte
sich zwei Billete holen lassen, Prinz Napoleon war in den
stalls". Moscheles spielte als neue Composition sein Pasto-
ral-Concert, Mendelssohn dedicirt, das sehr beifallig auf-
genommen wurde.
„Deutsche und franzosische Kunstler" , schreibt Mo-
scheles, j,letztere mit untadelhaften Handschuhen, treffen
bei uns mit engiischen Freunden zusammen und die Mu-
sik bildet eine Verbindungsbriicke zwischen den verschie-
denen Nationalitaten. Konnte ich nur immer Componisten
und Verleger verbinden ! Eben jetzt z. B. ist mir's betriibt,
dass ich die Publication von Bernhard Romberg's Violon-
cell-Schule nicht vermitteln konnte. Die Modewaaren sei-
3*
-■' 36 -
ner Rivalen sind an der Tagesordnung ,"- doch hat das
"Werk des tiichtigen Manries gewiss grossen Werth fur
das Studium des schwierigen Instruments! Was Schwie-
rigkeiten betrifft, so erstaunte mich Thalberg wieder in
semen Concerten, er ist ein Jupiter an Kraft und Bravour
und hat in seinen neuen Etuden alle Herkules-Arbeiten
der Technik durchgemacht. Mendelssohn, mit dem ich
iiber alle musikalischen Erscheinungen der Neuzeit corre-
spondire , theilt meine Ansichf dar iiber. Ihn , wie mich,
hat Bennett's Ouvertiire zur Waldnymphe wahrhaft er-
freut, und das Publicum begriisste sie enthusiastisch".
Dieser Ouvertiire wurde auch in Deutschland so grosser
Beifall gezollt, dass sie sich bis heute auf den Programmen
der Gewandhaus- und anderer Concerte erhalten hat.
In dieser Zeit starb der Geiger Mori, der speculativste
aUer Kiinstler und Musikhandler, der Erfinder der Monstre-
Concerte, die man ihm nur zu bald nachahmte, ausserdem
aber ein so tiichtiger als beliebter Solo- und Quartettspieler.
Wir kommen nun an keine geringere Personlichkeit
als die des Prinzen Louis Napoleon, den man friiher wohl
in Soireen gesehn, dem man aber erst jetzt in kleineren
Kreisen begegnete. Die Frau schreibt: „Naturlich fanden
wir es interessant, mit diesem lion der Season in Beriih-
rung zu kommen; doch war in seiner ganzen Erscheinung
nichts Aussergewohnliches zu entdecken, es sei denn die
Kleinheit der Fiisse oder die Grosse des Schnurrbarts.
Gegen Moscheles erwahnte er verbindlich, wie die Koni-
gin Hor tense , seine Mutter , sich in friiheren Jahren an
seinem Spiel erfreut, wie er, der ihn als Knabe gehort,
den Eindruck nie vergessen konnte; auch mir sagte er
manches Artige und sagte es Mbsch, ohne dass mir etwas
Ausgezeichnetes dabei aufgefallen ware; im Ganzen macht
er in Soireen, wenn er so in einer stillen Ecke dasteht,
den Eindruck, als wolle er mehr beobachten wie verrathen.
Das liebe ich nicht." Spater finden wir wieder eine Be-
gegnung: „Freund Lowenstern hat von seiner Reise um
die Welt viel Merkwiirdiges mitgebracht und als ich dies
neugebackene Museum mit den Kindern in Augenschein
— 37 — ■
nehmen wollte, trafen wir Prinz Louis Napoleon dort;
ausser ihm Niemanden. Er bewunderte wieder recht still,
priifte die schonen Waffen mit einer Kennermiene und
war auch wieder sehr verbindlich ; zu einer eigentlichen
Conversation gab er keinen Anlass".
In diesem Sommer iat viel die Rede davon, dass
Moscheles aufhore, 6ffentlich , zu spielen. Noch hat ihm
das Publicum keinen finstern Blick zugeworfen, es ist
ihm keine seiner Leistungen misslungen. „Wie schon sich
im Sonnenschein der Gunst zuriickzuziehn, im vollen
Bewusstsein der Kraft, Andern das Feld zu iiberlassen,
uazu solchen Bemerkungen zu entgehn, wie man sie oft
hort: „Dass Dieser oder Jener noch wunderschon spielt,
wenn er auch das nicht mehr ist, was er vor zehn Jahren
war, dass er etwas bequem geworden ist, dass die Phan-
tasie bei der Improvisation nicht mehr so reich blieb etc-
Es geht damit, wie mit einer gefeierten Schonheit. Warum
will sie es immer noch bleiben. Sie ist nicht mehr so schon,
wie sie war , sie sollte nun der heranwachsenden Jugend
das Feld raumen. Ich denke an dementi, welcher der
Kunst und ihren Jiingern einen unverganglichen Schatz
hinterlassen hat , und der doch nicht mehr spielte, wah-
rend eine heranwachsende Jugend in der Kunst gedieh,
well sie seine Mittel, nur etwas verandert, anwendete, um
eine neue Schule damit aufzubauen. Die Jiinger derselben,
.wahrend sie sich ihrer als Grundlage bedienen, verachten
sie prinzipiell , und suchen ihre Starke nur in der Rie-
sengewalt der eignen Hande; sie schwarmen phantastisch
siisslich und suchen ihre pikanten Effekte in dem schnell-
sten Wechsel vom einsaitigen zum rauschenden Pedal,
oder in Rhythmen und Modulationen, die, wenn nicht ganz
verpont, doch nur in den seltensten Fallen erlaubt waren.
Dass ich mich diesen Neuerern nicht anschliesse, ist natiir-
lich , vieles mochte ich nicht , die Kraft konnte ich nicht
nachahmen , wenn ich mich auch in meiner Schule noch
im vollsten Schwunge und nicht alt und entnervt fuhle; in
meiner Schule kannte man diesen Grad von Kraftauf-
wand nicht. Je weniger die Welt an meinen executiven
- 38 -
Leistungen kimftig Antheil nehmen wird, desto mehr stei-
gen in mir Lust und Verlangen nach eignem Geschmack
und_ eigner Ueberzeugung Musik zu pflegen. Wie und was
ich componiren soil, liegt auch noch unter dem Schleier
der Zukunft verborgen. Bis jetzt habe ich meine Werke-
durch eignen Vortrag beim Publicum eingefuhrt. Wird
die musikalische Welt jetzt auch noch Interesse an ihnen
nehmen? Nous verrons".
Im Sommer kommen roanche Plane vaterlicherseits-
in Briefen vor. Einmal wird gefragt, ob Moscheles bei
der Ueberhaufung von Lectionen seinen Preis nicht er-
hohen wolle. Er antwortet auf diese kaufmannische Idee r
„Ich kann mich zu einem solchen Schritt nicht entschlies-
sen, denn mit Recht konnte ich der Eigensucht beschul-
digt werden in einem Lande , dem ich meine jetzige SteL
lung grosstentheils verdanke." Auch auf einen andem
Plan , die Familie Moscheles solle sich theilen , Frau und
Kinder in Hamburg wohnen, der Mann seine Saison in
London durchmachen und dann wieder zu ihnen kommen r
geschieht Einspruch, ,,denn getrennt konnen wir nichts
geniessen". Desto mehr geniesst man zusammen das See-
bad Boulogne und einen zweimonatlichen Aufenthalt in
Paris, zum erstenmal ohne die Last offentlicher Concerte-
und der damit verbundenen Verpflichtungen. Die Jahres-
zeit erlaubte eben so genussreiche Ausfliige in die Um-
gegend, als sie zu Concert - Unternehmungen ungunstig
war ; man hatte sie also grade recht gewahlt.
Wie aber auch die Denkwurdigkeiten und Kunstschatze
derWeltstadt die Moscheles'sche Familie in Anspruch neh-
men, immer sehen wir ihn sich zu den Musikern wenden - r
ein Brief von ihm zeigt uns, wie ihm sein langstgehegter
Wunsch Chopin kennen zu lernen, erfiillt werden sollte.
„Wir leben hier im vollsten Genuss unsrer Freiheit und
Unabhangigkeit , wozu ich die fast ganzliche Einstellung
des Lectionisirens obenan rechne. Fraulein Beer, der Nichte
von Meyerbeer, konnte ich es naturlich nicht abschlagen,
ebenso wenig der Grafm A., die ich vor 28 Jahren in.
Wien kannte. Bei Leo's raache ich am liebsten Musik
— 39 —
und dort wurde ich zuerst mit Chopin bekannt, der eben
vom Lande zuriickgekehrt war; ich konnte es kaum er-_
war ten. Sein Aussehen ist ganz mit seiner Musik identi-
ficirt, beide zart und schwarmerisch. Er spielte mir auf
mein Bitten vor, und jetzt erst verstehe ich seine Musik,
erklare mir auch die Schwarmerei der Damenwelt. Sein
ad libitum-Spielen , das bei den Interpreten seiner Musik
in Tactlosigkeit ausartet , ist bei ihm nur die liebenswur-
digste Originalitat des Vortfags; die dilettantisch harten'
Modulationen, iiber die ich nicht hinwegkomme, wenn ich
seine Sachen spiele, choquiren mich nicht mehr , weil er
mit seinen zarten Eingern elfenartig leicht dariiber hin-
gleitet; sein Piano ist so hingehaucht, dass er keines
kraftigen Forte bedarf, um die gewiinschten Contraste
hervorzubringen ; so vermisst man nicht die orchesterarti-
gen Effecte, welche die deutsche Schule von einem Cla^~l
vierspieler verlangt, sondern lasst sich hinreissen, wie von
einem Sanger, der wenig bekiimmert um die Begleitung
ganz seinem Gefiihl folgt ; genug , er ist ein Unicum in _j
der Clavierspielerwelt. Er behauptet, meine Musik sehr
zu lieben und jedenfalls kennt er sie genau. Er spielte
mir Etiiden und sein neuestes Werk „Praludien", ich ihm
viele meiner Sachen vor." Wer hatte aber geglaubt, dass
Chopin bei seiner Sentimentalitat auch eine komischeAder
b'esasse? Und doch finden wir in den wiederholten Tage-
buchsnotizen iiber das Spielen und "Wiederspielen in Kunst-
ler- und Dilettantenkreisen auch folgende Notiz : „ Chopin '
war lebendig , Iustig , ja iiberaus komisch in seinen Nach- .
ahmungen vqn Pixis, Liszt und einem bucklichten Clavier-
liebhaber". Einige Tage spater sagt das Tagebuch: „Heute
war er wieder' ein ganz andrer Chopin, als das letzte Mai.
Ich besuchte ihn verabredetermassen mit Ch. und E., . die
auch ganz in Schwarmerei fur ihn aufgehn und die das
Praludium As-dur in 6 / s - Tact mit dem stets wiederkehren-
den Pedal- as ganz besonders ergriff. Nur die Grafin 0.
aus Petersburg, die uns Kiinstler en bloc anbetet, war
dort und noch einige Herren. Chopins vortrefflieher Schil-
ler Gutmann spielte dessen Manuscript-Scherzo in Cis-moll,
— 4° —
Chopin selb'st seine Manuscript-Sonate in B-moll mit dem
Trauermarsch." Am selben Abend findet wieder eine musi-
kalische Soiree statt, so wie auch am Vorabend eine war
und am folgenden Abend eine sein wird, und Mosche-
les spielt sein eignes Trio und Mendelssohn's D-moll-Con-
cert, das zu seinem Aerger „schlecht verstanden wird",
Beethoven , Weber , eigne Etuden , seine irlandische Fan-
tasie und Mozarts Fuge in F-moll mit Cramer, der zur
Zeit in Paris lebt ; nie aber darf bei diesen musikalischen
Zusammenkunften die vierhandige Es-dur-Sonate von Mo-
scheles fehlen. Stephen Heller nennt das Tagebuch „einen
•interessanten jungen Kimstler und lieben Menschen", „Ber-
tini's Etuden ausgezeichnet in der Technik , aber gedehnt
in der Form," — „Thalberg ist hier und wird nach iiber-
vollen Concerten ebenso gelobt wie getadelt. Wenn aber
einer der weisen Recensenten so weit geht, ihn mit Van
Amburgh dem Thierbandiger zu vergleichen, so kann er
wohl dazu lachen". — Fin Brief von Moscheles sagt: „Ich
habe nun meine grosse Kiinstler-Tournee beendet, und da-
bei die verschiedenartigsten Eindriicke gehabt. Berlioz,
auf den ich sehr begierig war, zeigte sich kalt und theil-
nahmlos. Auf dem Tisch lag seine kalligraphisch elegante
Partitur von Romeo und Julie. Ich blatterte darin, aber
sie ist so complicirt und der Larm , den ich schon beim
Ansehn horte, so uberwaltigend , dass ich mir noch kein
Urtheil dariiber zutraue. Nur so viel steht fest, dass neue
Effecte darin sein miissen. Bei Auber, der mich ausserst
freundlich empfing, sah ich mit grossem Interesse das
piano quarre, an dem er seine Opern componirt hat, Aber
auch seinen Erard'schen Fliigel musste ich probiren, ihm
und dem hinzugeko mraenen Zimmermann, professeur du
conservatoire sogar viel vorspielen. Cherubini, sonst eben
nicht leutselig, war ausserst freundlich. Wir blieben eine
ganze Stunde in Kunstgesprachen vertieft. Er sagte, dass
er ausser der Direction 'des Conservatoire gar nichts mehr
mit Musik zu thun habe; er schreibe keine Note mehr,
sei nicht stark genug, um musikalische Eindriicke zu ertra-
gen und zu geniessen. Ich glaube, ich durfte ihm ohne
-— 41 — .
Schmeichelei versichern, dass er zu den Wenigen gehore,
die noch lebend schon Unsterblichkeit gefunden hatten.
Bei Herz musste .ich den neuen Concertsaal und die In-
strumente seiner Fabrik bewundern. Peter Pixis war wie
immer der alte treue Freund, Franck der gediegene
Deutsche, Heine das genie par excellence. Meinen armen ~~^1
Lafont sah ich nur im Sarge, als man in der Kirche St.
Roch das Todtenamt fur ihn hielt. Die Musik war von
Cherubim, aber ohne Orgelbegleitung, was mir eine Liicke
zuriickliess. So wie Lafont friiher mit mir gereist war,
um Concerte zu geben, so hatte er es jetzt mit Herz
thun wollen. Leider brach die Diligence zusammen und
der Ungliickliche , der hoch oben auf dem Dache sass,
ward durch den jahen Fall getodtet. Herz entkam
gliicklich".
Die Bekanntschaft des Schriftstellers Aimemartin ge-
wahrt uns besondere Freude. Sein Werk „sur l'educa-
tion du genre humain par les meres de famille" war uns
langst bekannt und wir fanden es ebenso angenehm be-
lehrend, wie den Autor selbst in seiner Unterhaltung.
Cremieux ist es auch, aber in andrer "Weise. Als Advo-
kat spricht er leicht und schon', als Mensch ist er geist-
reich, Kunst und Kiinstler liebend und sieht diese hier
wie in Lyon, wo er friiher lebte in seinem Hause, das
durch seine liebenswiirdige Frau doppelten Reiz hat. Die
Rachel nennt er seine Adoptivtochter, obgleich ihre Eltern
noch leben. Die Arme erholt sich eben von einer schwe-
ren Krankheit und wir Armen werden sie daher nicht zu
sehn bekommen. Mein gestriges garcon-diner bei Meyer-
beer war sehr interessant. Halevy, Duponchel, Duprez,
Habeneck und der Munch ener lntendant Hofrath Kiistner
waren dort. Habeneck und- ich unterhielten uns bei Tische
iiber die Concerts du Conservatoire und unsre Philharnio-
nischen, wie sich zwei Minister verschiedener Staaten zu
unterhalten pflegen. Von mir wollte er etwas fur Orche-
ster haben, um es im Januar zu probiren; ich hatte nichts
mit, musste ihm aber versprech'en , ihm meine Ouvertiire
zur Jungfrau von Orleans zu schicken. Auf morgen hat
_ 4^ — ■
er sich bei mir eingeladen, um mich spielen zu horen.
Meyerbeer tritt bei jeder Gelegenheit als mein Freund
auf. Er sagte laut bei Tische: „Der Einzige, der Beethoven,
vollkommen spiele, sei ich".
Natiirlich bringt dieser Pariser Aufenthalt viele Theater-
berichte und Novitaten, welche mehrfach das Bedenken
der Frau erregen. „Arnal's Komik" , sagt sie , „ist sehr
amiisant, aber das Stuck passe minuit so realistisch dar-
gestellt, dass es an's Unaesthetische streift. Die neue Oper
la Jacquerie soil von Auber „un opera en re" genannt
worden sein, weil das D-dur darin vorherrscht." Guido und
Ginevra von Halevy wird von Moscheles „tuchtige, gut ge-
schriebene Musik" genannt, aber begeistern kann er sich
nicht dafiir. Als sie dann noch Robert le Diable gesehn
und Moscheles vieles darin gelobt und bewundert hatte,
heisst es in einem Brief der Frau: „Begreift Ihr, dass man
so Entsetzliches in Musik setzt? — Der Eine die Pest, der
Andere den Teufel. Ich bin keine Pietistin, aber Orgel-
spiel und Kirche passen mir nicht fiir's Theater und wenn
sich die Graber aufthun und die todten Nonnen aufer-
stehn, bekomme ich eine Gansehaut", — „Und ich" , fiigt
Moscheles dem Brief hinzii, „wenn so viel Posaunen, Hor-
ner und Ophicleiden das ubrige Orchester ubertauben
und mir im Ohr schwirren , wie ich auch immer Meyer-
beer's grosses Talent achte und ehre. Der Chor war viel
zu schwach gegen diese Orchestermasaen, die Ausstattung
bis auf die Nonnenscene nicht meiner Erwartung gemass.
Mario und die Dorus Gras vortrefflich, die Andern mittel-
massig. Halevy's Sheriff ist eine geistreiche Ideen-Mosaik,
die jedoch einen Eindruck von Zerstiickelung macht". Spa-
ter heisst es: „Was sieht und hort man nicht alles in Paris?
Wir die Hugenotten zura ersten Mai. Ja, das ist doch ein
grosses, gewiss sein grosstes Werk und es hat mir impo-
nirt. Rossini's Barbier von Sevilla mit Pauline Garcia,
Rubini und Tamburini ist auch nicht zu verachten, denn
die Meisterschaft der drei Kehlen kann Einem nur Be-
wunderung entlocken. Duprez ist ein vortrefflich er Tell,
Bouffe im Gymnase, die Dejazet im Palais Royal, und
— 43 —
erst Sanson und die Mars im Theatre francais bieten Ge-
nusse, die wir mit Euch theilen mochten!" — „Heute be-
komme ich ein Billet von Graf Perthuis, dem Adjutanten
des Konigs Louis Philippe, der meineEs-dur-Sonate wieder-
holt von Chopin und mir gehort hat : er mag bei Hof
viel dariiber geredet haben, ,,denn man wiinscht sich auch
dort" , schreibt er , „den hohen Genuss , den er kurzlich
gehabt". Somit wurden Chopin und Moscheles beide nach
St. Cloud beschieden. Moscheles schreibt am 30. Oct.: „Ge-
stern war ein merkwiirdiger Tag; Kalkbrenner kam, urn
mir die Hand zum Frieden zu reichen, nachdem er mich
hatte durch eine Mittelsperson fragen lassen , ob ich sie
annehmen wiirde, was ich bejahte. Er embrassirte (emba-
rassirte) mich durch ein Capitel Liebe und Verehrung, mit
grossem Ernst vorgebracht. A Is ich ihm sagte: Heute
werde ich noch auf einem Instrument aus Ihrer Fabrik
spielen, ich bin nach St. Cloud befohlen , sprang er iiber-
rascht von seinem Sitz auf und behauptete, es sei kein
Moment zu verlieren , er miisse nachsehn , ob das Instru-
ment in bester Ordnung sei , erzahlte mir auch , dass die
Herzogin von Orleans durch seinen Unterricht in Spiel
und Composition herangebildet , gute Musik zu wiirdigen
verstehe. Um 9 Uhr fuhren Chopin und ich., von P. und
seiner liebenswiirdigen Frau abgeholt, bei den starksten
Regengussen hinaus und fiihlten uns um so behaglicher,
als wir das schimmernde, wohlerleuchtete Schloss betra-
ten. Es ging durch viele Prunkgemacher in einen Salon
quarre, wo die konigliche Familie en petit comite ver-
sammelt war. An einem runden Tisch sass die Konigin
mit einem eleganten Arbeitskorb vor sich (etwa um mir
eine Borse zu sticken?), neben ihr Madame Adelaide, die
Herzogin von Orleans und Hofdamcn. Die hohen Frauen
waren affables, wie gegen alte Bekannte; die Konigin,
sowie Madame Adelaide behauptete, sich der Genusse,
die ich ihnen in den Tuilerien bereitet, noch dankbar zu
erinnern ; der Konig kam auf mich zu , um dasselbe zu
wiederholen und meinte, es miissten wohl 15 bis 16 Jahre
dazwischen liegen, was ich bestatigte. Dabei fiel mir der
— 44 —
arrae Comte d'Artois ein , der auch zugegen war. Darin
fragte die Konigin , ob das Instrument , ein Pleyel , nach
unsern Wunschen placirt sei, ob wir besondere Beleuch-
tung gebrauchten, ob die Sitze die richtige Hohe hat-
ten, und viel Vorsorgliches , wie es sicb sonst fur die
Biirgerkonigin passte. Chopin spiel te zuerst eine Zusam-
menstellung von Notturno's und Etuden und wurde wie
ein Liebling bewundert und gehatschelt. Nachdem auch
icb alte und neuo Etiidon gespielt und mit demselben Bei-
fall beehrt worden, setzten wir uns zusammen an's Instru-
ment — er wieder unten , worauf er immer besteht. Die
gespannte Aufmerksamkeit des kleinen Kreises bei mei-
ner Es-dur-Sonate ward nur durch die Ausrufe „divin, de-
licieux," unterbrochen. Nach dem Andante fliisterte die
Konigin einer Hofdame zu: „Ne serait-il pas indiscret de le
leur redemander ?■' was natiirlich einem Wiederholungsbe-
fehl gleich kam und so spielten wir es noch einmal mit
gesteigertem abandon. Im Finale uberliessen wir uns einem
musikalischen Delirium.
Chopins Begeisterung durch das ganze Stuck hin
muss , glaub' ich , ziindend f iir die Horer gewesen sein,
die sich nun in Zwillingslobspruchen iiber uns ergossen.
Chopin spielte wieder allein mit gleichem Reiz und glei-
cher Theilnahme wie fruher, dann ich eine Improvisation
iiber Mozart'sche Siissigkeiten , die in vollem Kraftauf-
wande mit der Ouvertiire zur Zauberfiote schloss. Bes-
ser als alle Worte des Lobes , die gekronten Hauptern
unsereinem gegeniiber so gelaung sind, war wohl das
aufmerksame Zuhoren des Konigs wahrend des ganzen
Abends. Chopin und ich waren briiderlich erfreut iiber
die gegenseitigen Triumphe, die das individuelle Talent
eines Jeden von uns feierte, von einem a qui mieux mieux,
kein Anflug. Endlich durften wir hauslich an den gereich-
ten Erfrischungen Theil nehmen und um n l / 2 Uhr ver-
liessen wir das Schloss , diesmal nur unter einem Regen
von Complimenten, denn es war nach dem Unwetter eine
schone Nacht geworden". Es versteht sich, dass Chopin
und Moscheles von da an die Doppelsonate fast taglich
— 45 —
in musikalischen Kreisen wiederholen mussten, so dass
man sie zuletzt nur „la sonate" nannte. Kurz darauf wird
Moscheles unter der Hand die Frage gestellt, ob ihn der
Konig durch die legion d'honneur oder ein anderes Zei-
chen seiner Huld fiir das Spielen in St, Cloud belohnen
solle? Er zieht irgend Etwas dem oft vergebenen Orden
vor, und bekommt eine kostbare Reise - Chatulle , worin
,,donne par le Roi Louis Philippe" gravirt ist.
Nach dem interessanten Pariser Aufenthalt, der sich
bis spat in den November hinein ausspinnt, giebt es fiir
die Familie eine gemiithliche und freudebringende Zeit
in London, weil man sich selbst und einigen Hausfreunden
lebt. Sonnabends wird wieder Kammermusik gemacht. Er
arbeitet an der „Methode des methodes", die er mit Fetis
herausgeben will; die Lieder „Mit Gott" und „Liebeslau-
schen" entstehen : „Es miissen leider auch ein paar Mode-
artikel geliefert werden", seufzt das Tagebuch. Als Ant-'
wort auf die Frage , ob fortgesetzte Clavierstudien unter
einem Lehrer heilsam seien, wenn ein gewisser Grad von
Ausbildung erreicht ist, sagt Moscheles: „Wer viel Gutes
gehort und studirt hat, der sollte keines Lehrers bediirfen,
um seinen Fleiss anzustacheln. Er sollte eingedenk der
grossen Vorbilder muthig fortarbeiten , um das Grosste
zu erreichen, viel mit Begleitung spielen, immer mehr und
mehr Meisterwerke kennen lernen und mit Ernst in ihre
Schonheiten eindringen: so wird die schon erlangte Tech-
nik sich iiber den gewohnlichen Dilettantismus er-heben"..
Die Leiter der Philharmonischen Concerte beschliessen
in einer Versammlung, dem Unfug ein grosses Auditorium
zu den Proben einzulassen, endlich zu steuern; „doch
gab es eine heftige Debatte", sagt Moscheles im Tage-
buch, „ehe wir es durchsetzten."
Ueber den Salomon von Handel heisst es: „Das herr-
liche Werk konnte durch die zu tief stehende Orgel nicht
verdorben werden, obwohl jeder neue Einsatz des Orche-
sters peinlich war. Clara Novello, Philipps und die andern
Sanger waren vortrefflich". — Immer finden wir Mendels-
sohn als Schopfer neuer Freuden. Die Frau hat einmal
- 46 - .
zu schreiben : ,.Mendelssohn hat nicht nur einen Brief,
neirt er hat mir darin auch ein neues, natiirlich reizendes
Lied geschickt, der Text altdeutsch : „Es ist in den Wald
gesungen". So freundlich und gut wie er, ist-doch keiner.
Nun wird es viel, zwar nicht in den Wald, aber in's Zim-
mer gesungen , und jedesmal scheint es hiibscher als zu-
vor. Wir haben letzte Woche auch zwei neugebaute Or-
geln von Gray, die eine fur Belfast, die andere fur Exe-
terhall gehort und Moscheles bewundert die Fertigkeit,
sowie die sc.hone Improvisationsgabe des Organisten Adams
gar sehr, der sie ihn horen liess."
Der Jahresschluss war nicht arm an Scherzen, Chara-
den u. s. w.; die befreundeten Musiker waren die Trager
der Hauptrollen: Thalberg am Clavier ist ernst und feier-
lich, Thalberg in diesem kleinen Kreise zu jeder Thorheit
bereit. Benedict, der Vielbeschaftigte findet hier Zeit zu
Verkleidungen. Andre Freunde gesellen sich zu ihnen und
um die 12. Stunde haben sich das alte und neue Jahr in
einem Scherzgewande die Hande gereiclit, stille dankbare
Riihrung und heitere Laune sich in den Gemuthern der
Gatten vermahlt, um zutrauensvoll den neuen Zeitabschnitt
mit einander anzutreten.
1840,
Der erste Brief, der uns in diesem neuen Jahr vor-
liegt, ist an die miitterliche Freundin Frau v. Lewinger
in Wien gerichtet und wir schalten ihn theilweise ein, als
einen Beweis der Pietat, die Moscheles den Wohlfhatern
seiner Jugend durch sein ganzes Leben bewahrte.
London, 8. Januar 1840.
Liebste Frau v. Lewinger!
Erlauben Sie, dass Ihr alter Freund Moscheles ein
wenig mit Ihnen plaudert , dass er Sie fragt , was Sie
machen und ob Sie ihn noch lieb haben. Ich fiirchte, dass
— 47 —
wenn Sie mich nach meinem seltenen Schreiben beurthei-
len, ich in der Wagschale Ihrer guten Meinung sehr ge-
sunken bin und hoffe nur die gewohnte Nachsicht bei
Ihnen zu finden , die immer meine Partei nahm , wenn
meine Schwachen zu streng beurtheilt und gericbtet wur-
den. Jetzt stehe ich vor Ihnen als Mann, dessen Jugend-
fehler Sie vielleicht langst vergessen haben; aber eben
weil ich als solcher in hausliche Pflichten, in Vaterfreu-
den und Sorgen verwickelt bin, wahrend ich meine Kunst
noch immer Hebe und pflege, bin ich ein scblechter Corre-
spondent geworden, bleibe aber trotzdem eingedenk der
Liebe und Freundschaft , die Sie mir stets geschenkt
haben.
Wahrend Sie sich in Wien mit den modernsten Kiinst-
lern — Sangern und Clavierspielern — unterhalten, fehlt
es uns auch hier nicht an Wundern aller Art. Thalberg
benutzt seine Jugendkraft und sein Talent, um in Gross-
britannien Lorbern und Guineen zu sammeln. Ich sehe
ihn viel, wenn er nach London kommt, jetzt aber hat er
schon sein Abschieds-Concert gegeben und ist nach Schott-
land gerSist. Es ist mir interessant, die jiingeren Kiinst-
ler ihre Carriere machen zu sehen , wahrend ich nun an-
fange, den ruhigeren Zuschauer zu spielen und die Kunst
zwar mit immer grosserer Liebe, doch mehr privatim zu
treiben. So habe ich wochentlich einen musikalischen Zir-
kel von Freunden und Kiinstlern in meinem Hause, wo
nur gewahlte Musik gemacht wird. Meine alteste Tochter,
12 Jahre alt , tragt auch ihr Scherflein dazu bei und ent-
wickelt einen soliden Vortrag auf dem Pianoforte. Es
freut mich, meinen Kindern eine yielseitige Bildung zu
geben ohne die Ambition zu haben, dass sie als Wun-
der-Erscheinungen gelten. Ohnehin wiinsche ich nicht,
dass sie von der Kunst offentlichen Gebrauch machen."
Spater heisst es: „Thalberg ist wieder in London,
will nach Paris und dann nach Amerika. Die Concurrenz
mit Liszt wird ihm wohl zu lastig und desshalb scheint
er London kiinftig meiden zu wollen "
In einem andern Brief wird das Erfreuliche der neuen
■ - 4 8 -
Portotaxe besprochen: „Wahrend wir friiher i sh. S d.
fiir ein Blattchen , gross oder klein , zahlen mussten , be-
schrankt man jetzt die Zahl der Einlagen nicht, und nur
das Gewicht bestimmt die Brieftaxe. Die J / 2 Unze kostet
i sh. 8 d.; i Unze 3 sh. 4 d. Eine grosse Erleichterung."
Die hauslichen Musikabende dieses Winters, die den
friiheren gleichen, waxen kaum der Erwahnung werth,
berichtete nicht die Fran mit besonderer Freude, dass eine
Sonate mit Horn oder Cello, ihrer Mutter von Ries im
Jahr 1815 dedicirt, vonMoscheles gespielt ward. Auch eines
neuen inter essanten Zuhorers wird erwahnt; es ist Sir
Gardner Wilkinson, der egyptische Reisende, dessen drei-
bandiges Werk iiber das Land und seine Dynastien als
belehrend gelesen wird. Im britischen Museum bewundert
man seine mitgebrachten Antiquitaten.
In diese Zeit fallt Moscheles' Ernennung zum Piani-
sten S. K. H. des Prinzen Albert; doch ward er, dem es
Freude gemacht hatte, diesem musikliebenden Fursten
kiinstlerisch naher zu treten, nie von ihm zu irgend einer
Leistung berufen. Der Prinz spielte und componirte, das
wusste man, aber Moscheles ward weder sein Lehrer noch
Rathgeber dabei. Wie wir erwahnten , wollte er kaum
mehr offentlich auftreten, konnte jedoch nicht umhin, einer
wiederholten Einladnng der Philharmonischen Directoren
Folge zu leisten, „und feierte einen Triumph in Anwesen-
heit unsres lieben Vaters", schreibt die Frau. Moscheles
fiigt hinzu: „Der Antheil, den auch Ihr an dem gestrigen
Abend nehmt, und die Liebe, mit der Ihr mir alles Gute
gonnt, macht mich ubergliicklich , nur kann ich mich sol-
chen Feiertagsgedanken nicht ununterbrochen widmen,
weil das Heer meiner Schiilerinnen ruft."
Spater heisst es in einem Brief der Frau: „Wieder
eine neue Mode, seitdem Liszt in London ist. Die clavier-
spielenden Concertgeber lassen ihre eigenen Namen auf
ihren diesjahrigen Concertzetteln in massig grossen schwar-
zen Lettern drucken, wahrend der of the celebrated pia-
nist Liszt ellenlang und Samielroth daneben prangt. Be-
nedict hat ihn in seinem Concert, Mrs. Anderson und
— 49 —
Dohler ebenfalls und die ihn nicht haben , setzen auch
den gtossen rothen Namen hin, daruriter ganz winzig klein
die "Worte: „with whom an engagement is pending." „Li-
tolff, Moscheles' friiherer Schiiler, hat in Paris Furore ge-
raacht , und ist jetzt wahrscheinlich zu 'gleichem Zwecke
hierhergekommen. Fraulein Lowe gastirt mit gleichem Er-
folg, Jarret ist ein vortrefflicher, neu importirter Hornist,
wir sind eben im April, die Saison beginnt, also Musik
ohne Ende." Ein Brief des Vaters, wenige Tage spater
in London geschrieben , bewahrheitet am besten cliese
Aussage :
,,Unser hiesiges Thun und Treiben ist so, dass ich
keine Einladung bei den Geschaftsfreunden annehmen,
keine Parlamentssitzung mit anhoren kann; ich schwelge
in Musik. Einen Theil des Philharmonic Concert und eine
deutsche Oper an ein em Abend, die Puritani mit der
Grisi, Lablache und Rubini am nachstfolgenden; darauf
Ancient-Concert im Beisein der Konigin, des Prinzen und
sonstiger Granden und Tags darauf Macready und Helen
Fawcett im Haymarket, dazwischen Molique und A. bei
uns, zu classischen Trio's und Sonaten, die Kreutzer-So-
nate obenan; von den Diners und Soireen sei nur das bei
Grote (dem Geschichtschreiber) erwahnt, weil es nicht
nur durch den Hausherrn, sondern auch durch die An-
wesenheit der Schriftstellerinnen Jameson und Austin be-
sonders interessant war. Unsere Tour nach Windsor be-
giinstigte das herrlichste Wetter, so dass sich Kunst und
Natur vereinigten , um unsere Geniisse zu vervielfaltigen.
Liszt kommt oft und freundschaftlich in's Haus und wir
Alle staunen sein transcendentes Spiel an. Ihr kennt es
schon an unserm Mo'scheles , dass er Jedem Gerechtigkeit
widerfahren lasst, also auch Liszt, in dem gar Mancher
einen zu fiirchtenden Rivalen sehen wiirde; nicht er; sie
sind und bleiben Kunstbriider , wenn auch nach verschie-
denen Richtungen hin. Fur Litolff ist es fatal, dass er
mit Liszt zusammentrifft und muss ihm Schaden thun; ein
Kutter, der von einem Dreimaster in den Grund gebohrt
wird! — Ihr mxisst mit dem schattenhaften Umriss meiner
Moscheles' Leben. II. i
— -5° —
Erlebnisse vorlieb nehmen; miindlich hoffe ich, ihm durch
Ausfiillung eine interessantere Farbung zu geben."
In einem der nachsten Philharmonischen Concerte
spielt Liszt drei Etiiden von Moscheles „ganz vbrtrefflicb,
untadelhaft in der Technik", schreibt Moscheles, 7 ,aber
seine Genialitat hat die Stiicke ganzlich umgewandelt; sie
sind raehr seine, als meine Etiiden geworden, doch gefal-
len sie mir, und von_ ihm mochte ich sie nicht anders
horen. Auch seine Paganini-Etiiden, die ich in seiner Sonn-
tags-Matinee horte, waren mir ungemein interessant; eine
Alles schlagende Technik; er macht was er will und
macht es vortrefflich und die hoch in die Luft geworfe-
nen Hande kommen nur selten, nur erstaunenswiirdig sel-
ten — auf eine falsche Taste herunter." „Und auch seine
hochfliegenden Ideen", fiigt die Frau hinzu, „werden durch
die ausgebildetste Dialektik stets interessant, wean auch
mitunter satyrisch gegeben. Die Satyre ist mir oft eine
verstimmte Taste in unserer Conversation, der Zucker-
schaum des vortrefflichsten Franzosisch kann mir manche
Grundsatze nicht annehmbar machen, sie munden meinem
deutschen Gaum en nicht. Dennoch kommen wir gut zu-
sammen aus, ich hore ihm gern zu, lasse mich aber nicht
zu seinen Ansichten bekehren. Wir waren mit ihm in der
Hope'schen Gemalde-Galerie und hatten Gelegenheit, seine
Kenntnisse in der Sch wester -Kunst zu bewundern. Sein
eigenes Concert musste Moscheles leider allein besuchen,
da ich erkaltet war, und nun, sagt er, sollt Ihr sein Ent-
ziicken fiber Liszt's Spiel aus zweiter Hand von mir ent-
gegennehmen — ganz so wie ich es aus seinem Munde em-
pfing — denn zum Schreiben kommt er nicht. Als Liszt
mich kurz nachher besuchte, brachte er mir sein Portrait
mit, seine schriftlichen hommages respectueux darunter;
fur Moscheles ein Kistchen Cigarren; was aber das beste
war, er spielte mir den Erlkonig, das Ave Maria und ein
reizendes ungarisches Stuck. Jetzt will er einen Abstecher
nach Baden-Baden machen, dann drei Monate mit Cramer die
englischen Provinzen bereisen (a 500 £ pr. Monat), und sich
hinterher auf einer Reise nach Petersburg erholen."
— '51 —
" Moscheles schreibt: „Nun haben wir aueh von einer
russischen Episode in unserm tollen Saison-Leben zu be-
richten; nur soviel daruber, dass Lwoff, mir von Mendels-
solin empfohlen, ausge2eich.net als Violinspieler, und durch
und durch musikalisch ist. Ich mache gern Musik mit
ihm." „Die Zuhorer dabei", schreibt die Frau, „sind ausser
den Hausfreunden die russische Hofdame Fiirstin L. , ihre
schone junge Nichte , eine D. und Catherine O,, alle drei
angenehm und liebenswiirdig. Lwoff gefallt mir doppelt,
well er die Grafin Rossi (Sonntag) verehrt; sie singt all-
wochentlich mit vollem Orchester in seinem Hause , sagt
er." Diese russischen Gaste werden auch in die deutsche
Oper gefuhrt, die in diesem Jahr vortrefniche Geschafte
macht. Man sieht Iphigenie und Titus, die Musik stel-
lenweise bezaubernd. „Unsre Russen sind solche Enthu-
siasten, dass sie Moscheles gern immerfort am Clavier er-
halten mochten; sie konnen nicht genug horen."
Ende Juli schreibt Moscheles: „Schon ist der grosste
Theil meiner Schulerinnen in alle Gegenden zerstreut und
ich fange an, mich zu rauspern; hierauf griisse ich Sie
und danke fur alle Berichte. Gestern kam leider ein Brief
von Mendelssohn an Charlotte, in welchem er sich.als an-
gegriffen und geschwacht schildert, und vielleicht, auf
Anrathen des Arztes das Birminghamer Musikfest aufge-
ben muss. Es soil sich erst entscheiden , wenn er von
Schwerin zuriickkommt und wir h of fen noch, eine Hiobs-
post bleibt aber sein Brief," — Da Mendelssohn keines-
falls vor dem September envartet "\verden kann, so macht
man einen Abstecher zu einer befreundeten Familie nahe
bei Tunbridge, aber auch dort, in landlicher Ruhe wird
Arbeit vorgenommen. Der Verleger Murray hat Mosche-
les aufgefordert , seine Beethoven - Erinnerungen zusam-
menzustellen und bei ihm herauszugeben; so benutzt
Moscheles diese lectionenfreie Zeit, um die grosse Wie-
ner Zeit und die Beziehungen mit dem grossen Genius
zu Papier zu bringen. An seine Schwester schreibt er :
„Rotherfield, 12. August 40. Heute spreche ich Dir
von meinem Ich, denn mein zweites Ich und die kleinen
4*
■ — 52 . —
Iche reden fur siph selbst. Also ich geniesse den Anfang
meiner Feiertage in vollstem Maasse; die reizende Gegend,
die wir in aller Ungezwungenheit durchwandern , die Lie-
benswiirdigkeit unsrer Wirthe, das Gliick der Kinder,
Alles ist herrlich im Gegensatz zu London und dem Ar-
beitsjoch und meine einzige Unterbrechung im Nichtsthun
die Beethoven-Skizze "
Mendelssohn's Unwohlsein bleibt eine Sorge, doch
wird sie endlich durch einen Brief von ihm gehoben. Er
darf kommen, er kommt im September, das ist eine
grosse Freude. Vor seiner Ankunft wird in den Hano-
ver Square-Rooms bei verschlossenen Thiiren eine Probe
seines -„Lobgesangs" gehalten. Moscheles schreibt dar-
iiber: „Die Composition hatte grossen Reiz fur mich,
aber ich will sie, wie genau ich sie auch kenne, noch ein-
mal mit Orchester horen, ehe ich Ihnen ausfiihrlich dar-
iiber schreibe, Obschon Knyvett als Conductor und F.
Cramer als Vorgeiger engagirt sind, ersuchten sie mich
doch einstimmig , mich in die Mitte des Orchesters neben
den Organisten zu setzen und von da aus consultirten sie
mich uber alle Tempo's; ich gab also eigentlich, wie ein
General in seinem Zelte die Operationsbefehle, hiitete mich
jedoch vor dem Ansehen, als wollte ich in das Amt des
bestellten Conductors greifen. Dennoch sagt die redselige
Morning - Post , die Probe sei unter meiner und Kny-
vett's Leitung gehalten worden." Ein anderer Brief von
Moscheles aus London , 17, September an die Schwage-
rin sagt:
„Ich mochte Dir gern viel Interessantes und Hubsches
sagen , und da ist gleich das Interessanteste Prinz Louis
Napoleon; ich bedauere ihn um so mehr, als ich ihn per-
sonlich nur als den hoflichenj feinen, jungen Mann kenne.
Dass er dergleichen politische Unternehmungen vor hatte,
sah man ihm freilich nicht an; nun sind sie gescheitert.
Es stehen noch dunkle Wolken am politischen Horizont,
aber mir kommen sie jetzt nicht so drohend vor. Ich habe
mehr als gewohnlich den Zankapfel der Staaten unter.
sucht; gegen Mohammed Ali finde ich sie, unter uns ge-
— 53 — -
sagt, ungerecht Ich glaube nicht, dass die Verbvindeten
es wegen des blossen Ausschliessens Frankreichs vom
Tractat zu einem Kriege zwischen diesem. und England
kommen lassen. Der Continent wird im schlimmsten Falle
nicht so von Albion abgeschlossen werden, dass_ der Pia-
nist S. K. H. des Prinzen Albert, den Louis Philippe
kurzlich beschenkt, nicht ruhig zwischen beiden Landern
Tiin und her reisen konnte; daher denken wir noch immer
an unsrc Boulogner Tour. Heute erwarteten wir Mendels-
sohn, und mit nicht geringer Ungeduld; Sonnabend soil
er schon in Birmingham Probe halten."
Am 20. September geht Moscheles mit dem gliicklich
angekommenen Freunde nach Birmingham; die Frau soil
ihnen Tags darauf folgen. Moscheles schreibt ihr urn 4 Uhr
Nachmittags:
„Wenn Du diese Zeilen liesest, fasse neuen Muth, die
Reise nach Birmingham anzutreten, denn meine so ange-
nehm vollbrachte Fahrt ist mir ein sicherer Vorbote, dass
auch Du sie gliicklich zuriicklegen wirst. "Wir sind unge-
heuer schnell gefahren und schoh in 47a Stunden ange-
kommen. ' Meine Unterhaltung mit Mendelssohn war un-
ausgesetzt lebhaft und interessant, Du oft ihr Gegenstand,
auch die Gedanken viel bei Dir. Ich installirte mich gleich
in dem netten Stork-Hotel und ass mit Mendelssohn und
Ayrton bei Moore (vom Fest - Comite) , dort wohnt Men-
delssohn. Das Vorhergehende schrieb ich in seinem Schlaf-
zimmer , von dort wurden wir zusammen zum Essen ge-
rufen, und jetzt statt meine Siesta zu halten, fahre ich
fort, um Dir zu sagen', dass heute Abend Chorprobe sein
soil. Vorher gehe ich mit Mendelssohn in die Musikhalle,
wo er Orgel spielen will. Ich werde Dich an der hiesigen
Station empfangen "
Mendelssohn schreibt:
„Darf ich meinen Gruss hier einschwarzen und Ihnen
in Moscheles' Brief sagen , wie lieb , freundlich und gutig
er auf der Herreise mit mir war, wie mif die Stunden
verflogen sihd, als waren es Minuten, und wie ich nur
immer denke, wie macht man's, um fur solche wirkliche
— 54 — ■ " . ■ .
Wohlthaten seinen Dank wenigstens auszusprechen? Es
geht aber ein fur allemal nicht, auch nicht schriftlich,
aber herzlich desto mehr. — A.uf frohes Wiedersehen
schon morgen! Und an die Kinder alle meinen besten
Gruss.
Stets Ihr
Felix Mendelssohn-Bartholdy."
Gleichzeitig schreibt die Frau ihren Verwandten;
„Unser lieber Mendelssohn, anders kann ich ihn nicht
nennen, am 18. , um 4 Uhr Nachmittags in London ange-
kommen, war um 7 Uhr bei uns, brachte seine alteFreund-
schaft und Herzlichkeit mit , war genial , heiter , gesund,
genug ein Muster von einem Menschen. Bei Tische und
den ganzen Abend wurden alle Reminiscenzen fruherer
gliicklicher Stunden hervorgesucht, dann zog er Mosche-
les zura Clavier und liess sich alle seine Lieblings-Etiiden
vorspielen , und .da jede sein Liebling ist und er sich bei
jeder neu enthusiasmirte , so gehorchte er erst um Mit-
ternacht meinem dritten Aufruf, doch nun endlich zu
Bette zu gehen und zu ruhen. Sonn abend zwischen 4 und
5 Uhr war er wieder da, und da Moscheles zu einem Schil-
ler gerufen ward, blieben er und ich eine Stunde allein;
dann spielte er zu seiner grossen Zufriedenheit mit E.
seine Ouvertiire zur „Fingals Hohle" und liess sich ihre
Composition vorspielen. Chorley und Klingemann kamen
zu Tische und Abends genoss Felix der Kleine eine solche
Balgerei mit seinem grossen Herrn Gevatter, dass das
ganze Haus davon erzitterte. Wer hatte es geglaubt, dass
derselbe Mensch, der so mit einem Jungen herumtollte,
auch so phantasiren konne? Die beiden M. fantasiren nam-
lich zusammen iiber gegenseitige Themen und wenn ich
sage, es war herrlich, schon, merkwiirdig, so habe ich es
doch nicht beschrieben; sieben Jahre lang hatte ich sie
nicht zusammen spielen gehort, mein Eindruck war: es ist
so schon, dass es der Miihe werth ist, sieben Jahre darauf
zu warten. Sonntag um g Uhr war Mendelssohn wieder
bei uns und die ganze liebe Familie begleitete ihn und
Papa an die Eisenbahn. Ich blieb den ganzen Sonntag
■ ■— 55 —
bei den ■ Kindern und reiste Montag nach Birmingham
in's Stork- Hotel. Dienstag fruh wanderten wir nach der
Music Hall und Mendelssohn sass bis zu seinem Orgel-
spiel bei uns. Er spielte namlich eine Fuge von Bach ganz •
meisterlich, ausserdem ward „Israel in Egypten" und die
unvermeidliche miscellaneous selection (vermischte Aus-
wahl) gegeben, denn Alles musste mitwirken, u. A. aber
auch Madame Dorus Gras mit ihrer uniibertrefflichen Co-
loratur und der einzige Lablache. Dieser und die Orgel
standen einander als Giganten gegeniiber, viele der an-
dern als Pygmaen. Phillips stand als vortrefflicher Bassist,
Braham als Wunder da, denn nachdem er uns qft durch
sein Detoniren und die Unzulanglichkeit seiner Stimme
missfallen hatte, singt er auf Einmal ganz rein, prachtvoll,
mit Portamento , genug zum Erstaunen schon. Wie das
herrliche Werk „Israel in Egypten" in der Music Hall
mit diesen Massen und dieser Orgel klang, das muss Eure
Phantasie Euch besser ausmalen, als ich es beschreiben
kann. Weder Mendelssohn noch wir gingen in's Abend-
Concert, sondern sassen die Stunden plaudernd beisam-
men. Er musste viel von seiner Frau erzahlen , die wir ja
leider noch nicht kennen , und zeigte ihr Bild , das wun-
derhiibsch ist; wie er sie beschreibt, muss sie ein Engel
sein." —
Am 2$. September schreibt Moscheles aus Birmingham :
„Ich habe durch Mendelssohn's Erscheinen einen neuen
Lebensgenuss erhalten und er nimmt neben deii theuer-
sten Familienbanden mein ganzes Ich in Ansprueh. Er
erscheint mir abwechselnd als Bruder, Sohn, Liebhaber,.
am meisten aber als lodernder Musik - Enthusiast , der es
kaum zu ahnen scheint , wie hoch er schon gestiegen 1st.
Wahrend ihn sein Genie so weit iiber die Alltagswelt
erhebt, weiss er doch so gut mit ihr zu leben. Wahrend
Birmingham sich briistete, den Hochbegabten zu besitzen
und sein neuestes Werk in seinen Hallen aufzufiihren,
fand er noch Zeit und Lust, unsern Kindern eine Zeich-
nung von Birmingham zu machen (mit Stahlfeder und
Dinte). Die Ansicht der Stadt mit ihren Schornsteinen,
- 56 - -
Fabriken, ihrer Townhall und dem Dampfwagen,- worin
er und ich sitzen — Alles ist architektonisch merkwiirdig
und mit erklarenden "Witzen ausgestattet; ein Andenken
gliicklicher Stunden, das die Grossen gewiss sorgfaltig
aufbewahren werden. Als ich ihn an demselben Plauder-
abend, dessen Charlotte erwahnt, im traulichsten Gesprach
nach Hause begleitete, wollte er, an seiner Wohnung an-
gelangt, mich durchaus die zwei engl. Meilen wieder zu-
ruckfiihren, doch erlaubte ich es ihm nur theilweise. Die
Kacht war nicht warm und seine eben iiberstandene Krank-
heit, sowie sein bevorstehendes Dirigiren und Spielen er-
heischten Ruhe, ermahnte ich. — Gestern friih bot die
Townhall wieder einen imposanten Anblick durch Fiille,
Eleganz und die Massen der Chor- und Orchester-Mitglie-
der; Handel, Fasch, Palestrina, Mo2art wurden durch- und
hintereinander aufgetischt, Lablache wie immer grossartig.
Per 2. Theil war Mendelssohn gewidmet; er wurde laut
und herzlich empfangen, hatte jedoch in seiner Art sich
zu bedanken , etwas jungenhaft eiliges , als wolle er die
Sache bescheidenerweise moglichst schnell abmachen. Seine
Direction des Orchesters erwirkte eine seltene Einheit und
Precision. Das Werk „Lobgesang" ist eigentlich eine Sym-
phonie, verbunden mit einer geistlichen Cantate, erstere
ir.eisterlich gearbeitet, ob streng, feurig, gemiithlich oder
erhebend. Die darauf folgende Hymne mit Chor ist ganz
im strengen Styl. Braham sang hierauf sein Recitativ
mit grossem Pathos, seine Stimme kraftvoll verjungt. Ein
herrliches Duett fur zwei Soprane folgt und dann erst brechen
grosse Massen jubelnd bervor. Die Gewalt der Fuge tritt
triumphirend auf, die Orgel drohnt koniglich, die Pauken,
doppelt besetzt, markiren den Rhy thmus wie die Pulsschlage
den aufgeregten Blutlauf. Ein Choral von solcher Wurde
folgt, dass sich unwillkiklich die grosse Versammlung —
wie sonst nur beim Hallelujah, von ihren Sitzen erhob.
Die Fuge des Schlusschors ist pompos; ihr Hauptgedanke
auf die Worte „Lobet den ,Herrn" derselbe, der sich durch
das ganze Werk hindurchzieht. Der lauteste Beifall be-
lohnte den herrlichen Kiinstler.
■ — 57 —
Um 3 Uhr Nachmittags, als der Saal geleert war,
spielte er noch vor einigen Auserwahlten 3 / 4 Stunden lang
die Orgel , nicht als hatte er heute schon Musik gehort
oder dirigirt, sondern als finge sein Tag eben an. — Den-
selben Abend horten wir im Theater erst einen Act der
gazza ladra von der Caradori und Lablache, dann Men-
delssohn's G-moll-Concert, von ihm rait sprudelnder Leben-
digkeit und zarten Intentionen gespielt, endlich in seiner
Gesellschaft, da er sich zu uns g-esetzt hatte, Lablache mit
seiner unwiderstehlichen Komik in der prova d'un Opera
seria. Was doch der musikalische Magen in England an
einem Tage verdauen kann und muss!
Heute friih verlassen wir Birmingham, dort aber hat
mir Charlotte einen Plan ausgeheckt, iiber den Ihr stau-
nen werdet. Sie beredete mich, Mendelssohn nach Deutsch-
land zu begleiten, um als guter Sohn meine seit langerer
Zeit leidende Mutter zu besuchen. Sie hat grosse Sehn-
sucht nach uns und den Kindern, doch liesse sich die
weite Reise mit der ganzen Caravane nicht leicht machen,
sie wird fur mich allein schon kostspielig sein und ich
denke bei meiner Riickkehr durch verdoppelte Thatigkeit
mein flottes Leben wieder einzubringen. Die Itinder konn-
ten wir nur Euch, sonst Niemandem uberlassen, und so
bringen wir Eheleute der guten Mutter dies Trennungs-
opfer. Mendelssohn will in London bleiben, bis ich die
Meinigen in irgend einer Landwohnung installirt habe und
zur Abreise bereit bin. Ich schreibe Euch vom Conti-
nent aus."
Dem Aufenthalt in Birmingham folgen noch gliick-
liche Stunden mit Mendelssohn in London, und zuletzt
vereinigen sich die gegenseitigen Freunde zu einem Musik-
abend im Moscheles'schen Hause. Mendelssohn spielt die
Partitur des „Lobgesangs" am Clavier durch und nach
andern Stucken wird wieder vierhandig phantasirt, mit
einem wunderbaren „Gemisch von Them en und doch so,
als sei Alles harmonisch im Einklang gedacht. 1 ' _ .
Es wird beschlossen, dass, als Dritter im Bunde, Chor-
lej r mit den beiden Freunden nach Deutschland reist.
- .58 -
Beim Abschied zeichnet Mendelssohn noch mit der Feder
ein ganzes Blatt voll Anspielungen auf die Erlebnisse der
letzten Wochen in's Album . der Frau , Chorley schreibt
eine Erklarung in Knittelversen darunter, Moscheles einige
tiefbewegte Abschiedsworte, und urn Mitternacht entfiihrt
eine Dover-Mailcoach die drei Reisenden. Leider hat aber
der Wagen vier Platze und ein Ungebetener stort das
Freundes-Trio. „Er schlaft gut" , sagt Einer , „uberlegen
wir, was wir mit ihm thun , wenn er aufwacht!" „Ihn
umbringen , ist das einzige Mittel" , sagt ein Anderer. —
Der Schlafer regt sich in diesem Augenblicke; natiirlich
erschraken die Sprecher ob ihres schlechten Witzes und
Moscheles fallt mit der ihm eigenen Geistesgegenwart
(auf englisch) mit den Worten ein: „Und dann sagte sie,
nie wiirde sie diesen Mann heirathen." Ein Satz, der sich
von da als Sprichwort unter ihnen erhielt. Mendelssohn
bricht in ein homerisches Lacheri aus, das die beiden An-
dern ansteckt. "Was mag der noch halb Verschlafene von
seinen Cumpanen gedacht haben? —
Als die drei Freunde nach einer fatalen , achtstundi-
gen Seefahrt in Ostende in Moscheles' erwarmtem Schlaf-
zimmer sitzen , ist es dessen erstes Geschaft , seiner Frau
zu schreiben; Chorley fugt freundliche Worte hinzu, Men-
delssohn macht wieder eine Federzeichmmg — ein schwan-
kendes Dampfboot auf hochbewegter See und darunter
die Wortg: Heiss mich nicht reden, heiss mich schweigen.
Schiller.
Es giebt Augenblicke im Menschenleben.
Goethe.
Here the ship gave a lurch and he grew seasick.
Byron.
-Wir sitzen aber alle drei sehr comfortabel um das
Feuer in Moscheles' Zimraer und gedenken Ihrer.
Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Die Weiterreise wird in Mendelssohn's Wagen mit
Postpferden gemacht und Moscheles' nachster Brief an
die Frau ist aus
— 59 —
„Luttich, Sonntag Abend 4. October 1840.. '
Hotel du Pavilion anglais.
Heute friih 7 Uhr, ehe wir Ostende verliessen, iiber-
gab ich dem Wirthe meinen ersten Brief fur Dich; die
Post war noch geschlossen , als ich ihn selbst hintragen
wollte. Unsre Reise ging vortreffiich bei Sonnenschein
von Statten; ich hatte viele . vertrauliche Gesprache mit
Mendelssohn; wir haben uns gegenseitig manche Details
iiber unsere Freier - Zustande mitgetheilt, wo und wie es
zu unsern Heiraths - Antragen kam und endlich, wie wir.
Keiner unsere Frau vertauschen mochten. Er rechnet
sicher darauf , dass ich acht Tage bei ihnen in Leipzig
bleibe, vielleicht ein eigenes Concert gebe oder nur im
Abonnements-Concert spiele — ich fasse keinen Entschluss,
bis ich angekommen bin."
„Sonntag- Abends 8 Uhr.
Wir wollten heute Nacht in Aachen schlafen und
mussen statt dessen hier aUsharren. An Mendelssohn's
Wagen ist die Achse gebrochen und er untrostlich , be-
sonders unsertwegen, obgleich wir ihm Muth zusprachen.
Er erwartete hier Briefe von seiner Frau und da ich lei-
der keinen fur mich von der meinigen zu holen hatte, er-
bot ich mich fur ihn an die Post zu laufen , bildete mir
auch ein — bis ich dorthin kam — es sei fur mich selbst.
Ich brachte ihm richtig einen Brief, der ihn wieder in
seine natiirlieh gute Laune versetzte; der Schmidt hatte
den Wagen fortgenommen, mit dem Versprechen, ihn bald-
moglichst wiederzubringen ; man servirte uns ein vortreff-
liches Diner, Chorley schlug vor, einer Champagnerflasche
den Hals zu brechen, die Gesundheiten der Frau Doctorin
und Frau Professorin wurden getrunken und nach Tische
ging ich mit Mendelssohn in's Caffeehaus. Dort lasen wir
die Abdication des Konigs von Holland zu Gunsten des
Prinzen von Oranien, Napiers Einnahme von Beyrut,
wobei es , wie ich fiirchte , schlecht mit dem 7ijahrigen
Mehemet Ali steht; auch Louis Napoleon's Vertheidi-
gung von Berry er las ich und jetzt fallen mir die Augen
zu, ..."
— 6o —
- „Aachen, Montag 5. October 1840.
Hotel zum grossen Monarchen, Abends n Uhr.
Wir haben uns den. ganzen Tag nicht gesprochen,
sage ich mir selbst, so muss es doch vor dera Schlafen-
gehen sein! So geschieht es ja nur zu oft in London.
Heute Morgen in Liittich habe ich Dir in meinem zwei-
ten Brief Adieu gesagt und nun schreibe ich Dir meinen
dritten. . . . Mendelssohn's Wagen wurde erst um 12 Uhr
fertig, so konnten wir vorher noch einige Kirchen besehen.
Die Reise ging ganz vergniigt von Statten und obgleich
uns einige Regenschauer begleiteten, genossen wir doch
die iippig schone Gegend und sassen traulich und bequem
beisammen. Um 7 Uhr an der preussischen Grenze ging's
uns unerwartet gut. „Die Herren haben wohl nichts
Steuerbares bei sich?" Und auf unser nein: „Fahr' zu
Postilion." Wir miissen also gentlemanlike ausgesehen
haben. Um 8 Uhr kamen wir in diesem vortrefflichen
Gasthof an, ich lief gleich zu Mayer's, wo mich die Frau
in ihrem neuen schonen Hause mit offnen Armen empfing,
sie hat sich gut erhalten und spricht so herzlich und ver-
gniigt wie immer. Im Gasthoi beim Souper mit Mendels-
sohn und Chorley kamen Wiedersehens-Scenen und Her-
zensergiessungen verschiedener Art. Erst Ole Bull, der
gestern mit dem Sanger Eicke hier Concert gegeben hat,
beide gesellten sich zu uns; dann Mayer, der mich bei-
nahe in seinen Armen erdruckte. Mendelssohn erfreute
sich an seiner Herzlichkeit und fand in ihm einen guten
Bekannten seiner Familie; auch er soupirte mit uns. Dann
kommt eine lange hagere Gestalt im Don Quixote-Genre,
die mich umarmt — es war Schindler. Er griisst Mendels-
sohn, der ihn auch freundlich: ich sah, was er dabei un-
terdriickte. Nun setzt auch der sich zu uns.
An Chorley stellte ich Schindler absichtlich nicht vor,
gab ihm nur einen geheimen Wink, dass er den grossen
Biographen vor sich habe; diesem sagte ich, der Engen-
der sei unser gemeinschaftlicher Freund. Nun entstand ein
Wirbel von Fragen, Erinnerungen an alte Zeiten, leiden-
schaftliche Ergiessungen iiber die jetzigen Musikzustande
. — ■ 6i ' —
und das ganze Musikantentreiben. Ole Bull drohnte dem
armen Mendelssohn die Ohren voll iiber G. Schilling:, der
inn in den Jahrbiichern der Musikzeitung heftig angegriffen
hat — kurz eine Rede verdrangte die andere, als sie kaum
in's Leben getreten war — wie die Wellen der aufgereg-
ten See sich jagen und verschlingen — und dabei sass
Chorley, sein Schnupftuch beissend — und ich sah schon das
Athenaum diese Scene in drastischen Bildern illustrirend.
Mendelssohn, Scbindler und ich gingen auf Mayer's Bit-
ten noch mit zu ihm, wo mit dem geistreichen Schrifts tel-
ler Louis Lax dann noch das musikalische Gesprach fort-
gesetzt ward.
Unser Plan, die heutige Nacht zu durchreisen, wurde
besprochen und aufgegeben; wir gehen erst morgen friih
nach Coin. Gott mit Dir und den Kindern und ich mit
Dir in Gedanken. . . ."
„Dienstag Abend 6. October 1840,
An Bord des Dampfers zwischen Coin und Coblenz.
Urn '/ 2 8 Uhr heute friih, als ich meinen Brief fur Dich
auf die Post getragen, fuhren wir ab, und nicht wie ge-
wohnlich iiber Jiilich , sondern iiber Diiren. Die Gegend
nicht romantisch, viele der schonen Punkte entstellt durch
die Eisenbahn , die uppigsten Wiesen durchschnitten , die
Felsen zernagt und durchbohrt. Chorley war etwas unwohl
und desshalb stiller, die Unterhaltung zwischen Mendels-
sohn und mir immer lebendig und abwechselnd.
In Coin (um 3 Uhr) wahlten wir das Hotel Rhein-
berg, weil Ole Bull und Eicke, wie wir wussten, im kaiser-
lichen Hof absteigen wiirden; wir wollten gern uns selbst
iiberlassen bleiben. ..."
„Frankfurt, Mittwoch Nachts 11 Uhr.
Wir haben heute die schonste, lieblichste Rheinfahrt
bis Mainz gemacht, wo wir um 3 Uhr Nachmittags an-
kamen. Ich wollte noch Manches auf dem Dampfboot
an diesem Brief schreiben, aber meine Schrift ware zittrig
und undeutlich geworden , welches ich , wie Du weisst,
nicht ausstehen kann. Jetzt zittert meine Hand vielleicht
— 62 —
auch, dann tst es aber der viele Champagner, den mir
Freund Lowenstern aufdrang; er gab mir und Chorley ein
toll-splendides Diner. . . . Jetzt schlagt es 12 Uhr, also
gute Nacht Dir und den Kindern."
Zwischen Frankfurt und Leipzig schreibt Moscheles
nur eilige Zeilen. Der nachste langere Brief an seine Frau
ist aus
„Leipzig, Sonnabend 10. October 1840.
Nachmittags 4 Uhr.
Seit gestern Nacht um n Uhr hier, konnteich kei-
nen Moment finden, Dir zu schreiben, und jetzt brennt
mir der Kopf, wenn ich denke, wie voll mein Herz ist
und wie wenig Zeit vor Abgang der Post (dabei lasst
Felix im Nebenzimmer seinen Jungen am Clavier singen).
An die Mutter will ich auch noch schreiben, ebenso Dei-
nem Vater antworten, aber Alles eilig. In Mendelssohn's
nettem Hause bin ich sehr herzlich empfangen worden;
seine Frau ist voll von Liebreiz, Anspruchslosigkeit und
kindlichem Sinn, aber fiir mich keine vollkommene Schon-
heit, weil sie Blondine ist. In Mund und Nase gleicht sie
der Sonntag. Ihre Art zu sprechen hat eine angenehme
Schlichtheit, ihr Deutsch ist Frankfurtisch, also nicht rein.
Sie sagte bei Tische nai'v: „Ich spreche fiir meinen Felix
zu langsam und er so schnell , dass ich ihn nicht immer'
verstehe. Heute war Chorley Gast bei Tische; sie ist aber
so einfach im Wesen, dass sie ofters auf stand, um Schiis-
seln zu reichen. Ich habe ihr gesagt, wie ich hoffte, dass
sich zwischen Dir und ihr einst ein freundliches Verhalt-
niss ankniipfen wiirde , und sie freut sich darauf ; einst-
weilen bist Du oft der Gegenstand unseres Gesprachs.
Heute Morgen bei der Probe bin ich von Limburger,
■ <i'«> Kistner, David, Hartel, Schumann und Frau mit offenen
Armen empfangen. Alle wollen wissen, ob ich bleiben
und spielen will, Mendelssohn sagt: ,,nur bleiben, hier blei-
ben, ein eigenes Concert geben und im Abonnements-
f Concert spielen;" doch bin ich noch ganz unentschieden....
Wenn Du nur gesund und -vergniigt bist! ich nehme mir
vor, frisch und lebendig zu sein, wie Mendelssohn, der mit
r
_ 6 3 —
seinen Kindern herumspringt. Ich kann Euch nur in Ge-
danken kiissen, Hebe Kinder, aber wenn ich zuriickkomme,
will ich Dir, liebe Clara, eine schone Geschichte erzahlen.
Mendelssohn's grussen herzlich. Abends wollen wir
viel abwechselnd und zusammen spielen, und nun Adieu
fiir heute! ..."
„Leipzig, Montag, 12. October 1840, 11 Uhr Nachts.
(gestarkt durch Deinen Brief vom 6. d. M.)
.... Nun em wenig von mir. Gestern Nachmittag
war ich mit Mendelssohn allein, viel am Clavier; er spielte
mir einige Nummern vor, die fiir seinen Paulus bestimmt
waren, die er aber weder aufftihren, noch drucken liess.
Sie sind vortrefflich, nur etwas dramatischer gehalteff und
desshalb vielleicht passender als einzelne Stiicke im Con-
certsaal , wie in Verbindung mit dem Oratorium .gehort
zu werden. Auch einige „Lieder ohne Worte" im Manuscr.
spielte er mir, die reizend sind. Um '/ s 2 Uhr gingen wir
zum Diner zu David's, wo auch die Schwester d'er Cecile,
Mme. Schunck, mit ihrem Mann war, eine geistreich leben-
dige Frau. Auch Mme. David war mir eine neue, sehr
freundliche Bekanntschaft; sie hat sehr feine angenehme
Manieren. D. spielte uns nach TtSche sein neues Violin-
Concert in D-dur, welches gewiss uberall Aufsehen erre-
gen wird; Mendelssohn accompagnirte ; dann musste ich
phantasiren und machte, hoft' ich, manches Gute. Um I j 1 6
Uhr eilten wir in den Gewandhaussaal , der schon iiber-
fullt war. Mendelssohn hatte mich mit aufs Orchester ge-
nommen, die Directoren nothigten mich hierauf in ihre
Loge. Der rauschende Beifall, mit dem Mendelssohn em-
pfangen wurde, war durch die Ausfiihrung der Guvertiire
zu Euryanthe und Beethovens B-dur-Symphonie mehr als
gerechtfertigt. Sein Einfluss aufs Orchester gab diesem
Feuer , Schmelz und Nuancirung , so dass ich in Genuss
schwelgte. Eine hiibsche neue Sangerin, Dlle. List, gefiel ;
— uns Musikern aber nicht ganz , weil sie als Schiilerin
von Bordogni , nur Donizetti und Bellini sang. Der Po-
saunist Miiller ist der grosste "Virtuose , den ich auf sei-
- 6 4 :-
nem Instrument gehort habe. Urn 8 Uhr!! war das Con-
cert aus, doch leerte sich der Saal langsam, weil es reg-
nete und in Leipzig - kein Fiaker zu haben ist! So plau-
derten Mendelssohn's und ich noch eine Weile mitSchuncks
und endlich gingen wir im Regen nach Hause. Die
war me Stube und der Thee war en gemuthlich , ebenso
unsere Unterhaltung am Clavier, wo mir Mendelssohn
einige seiner letztgedruckten Lieder vorsang, die ich mit-
bringen werde. Dann sagte er: „Cecile, Du musst es auch
wagen, Moscheles ein Liedchen vorzusingen und Dir von
ihm accompagniren zu lassen." Sie machte dieselben Ent-
schuldigungen, wie gewisse Leute, doch sang sie das alt-
deutsche Lied
-— f=f-» — j — ^~r~h!~ c~""
und ein paar andere mit kleiner Stimme , jedoch rein in-
tonirt, auch ein hiibsches Lied von Hensel "
„Montag Unter den Besuchen, die ich heute machte,
war mir der bei Schumann's der interessanteste , weil mir
die Frau eine Bach'sche Fuge vorspielt'e; auch der bei
Hofrath Rochlitz wurde lang, weil er viel Liebenswiirdi-*
i ges und Interessantes sprach. —
Ich hatte eine grosse Abrechnung mit Kistner; dann
kamen er und Baurath Limburger als Deputirte der Con-
cert-Direction ; aber ich konnte ihren Antrag Donnerstag
iiber 8 Tage im Abonnem en ts -Concert zu spielen, wegen
Zeitmangels nicht annehmen. Ein eigenes Concert gebe ich
auch nicht und seitdem diese Beschliisse feststehen, berei-
tet Mendelssohn eine ahnliche Fete im Gewandhaus vor,
wie er sie Liszt gab."
„Dienstag Nachts 12 Uhr. Mendelssohn's gaben
eine Soiree, wo David vortrefflich Quartett spielte, ich mein
E-dur-Concert und Etiiden. Endlich verlangte Felix meine
Spasse am Clavier und am Ende phantasirten wir zusam-
men; ein wiirdiges 'Seitenstuck zu unserer letzten Londo-
ner Production. Endlich G-u-t-e-Nacht, ich werde schlafen
'■■"V/- * c .. n ■■■' :W - ■'"' ■
- 6 5 -
trotz der Wassermuhle (Lurgensteins Garten), die die ganze
Nacht arbeitet."
Am ii. October giebt Chorley einen langen Bericht
iiber alle Gastmahler und Soireen der Leipziger Freunde,
und Mendelssohn fugt hinzu; „Liebe Mrae. Moscheles, noch
tausend, tausend Dank fiir den Plan, den Sie doch eigent^
lich ausgeheckt haben und dem wir jetzt so schone, prach-
tige Tage zu verdanken haben. "Waren Sie nur selbst da^
bei! Denn das ist ein Radicalfehler , den er hat und der
uns Allen gar zu sehr einleuchtet; ich wollte, ich ware
darauf bestanden , die Damenkleider selbst mitzunehmen,
denn wir sind hier sehr froh und heiter zusammen; aber
ich meine doch , ich sahe es dem Moscheles oft an , wie
er sich ganz anders wohin sehnt. Wie herrUch hat er
gestern wieder gespielt und alle Menschen entzuckt. WaU
ren Sie dagewesen, das ist das alte Lied mit dem da
Capo. Cecile will Ihnen selbst schreiben. Tausend Griisse
den Kindern und Ihnen von Ihrem
Felix Mendelssohn-Bartholdy."
Moscheles schreibt dazu. .... „Wir haben hier seit
zwei Tagen das herrlichste Sommerwetter , heissen Son-
nenschein, wogegen die gelben Herbstblatter sehr abste-
chen. Wein und Weinlese sollen aber schlecht werden,
wie ich hore. Auf meinem Zimmer ist eben Mendelssohn's
Carl — meine tagliche Gesellschaft — wahrend ich mich
anziehe. Er ist ein herrlicher, lebendiger, gescheuter Junge,
der mir meine abwesende jiingste Jugend, „Felix und
Clara" ersetzen hilft Sein musikalisches Ohr ist das feinste,
welches ich bei einem Kinde je bemerkt habe. Das preus-
sische Posthorn-Signal singt er, wie folgt, als Duett mit
seinem Vater :
Text; da da da da tlu.
Karl, Fe-lii
Karl, Fe-Iix, Kar!
Moscheles' Leben. II.
t^Vj r^~^?- - >.T<--', : .,: : -■:;, ,rr~ -S;\ '^rv~: NS ^.;.7'> ,...-. - - ' ■■■;■■ ,.-- - ....
.-.'.' _ "66 — ' "
„Leipzig, 18. October 1840.
(Tag - merkwiirdiger Erinnerung.)
Die Woche meiner Leipziger Feiertage ist zu Ende;
ehe ich meine Berichte dariiber fortsetze, muss ich iiber
das Ausbleiben Deines Briefes klagen .... aber ich sage
mit C. M. v. Weber „wie Gott will" und hoffe, da ich
verWohnt bin, dass „Er thut wie ich will". Chorley war
unwohl, musste im Hotel bleiben und Mendelssohn hatte
die herrliche Idee (aus gutem Herzen entsprungen) , ein
Hartel'sches Clavier hinzuschicken, worauf wir ihm Schu-
bert's Symphonie und meine grosse Sonate vorspielten.
Nun ist Chorley besser und nach Berlin gereist. Mendels-
sohn und ich hatten wieder herrliche Stunden am Clavier.
.iy.i^t Gestern waren wir zusammen bei Schumann's, die ihre
Soiree im eigenen Hausstand gaben. Sie sptelte mein
Trio und das von Mendelssohn meisterlich schon und
kraftig; David accompagnirte , zum Schluss musste ich
noch Etiiden spielen. Fraulein List sang einige Lieder
( niedlich.
Am Freitag ein Riesen - Diner bei Kistners
Abends mit Schleinitz bei Mendelssohn's, meistens am
Clavier und unter alten und neuen Manuscripten herum-
gewuhlt. ' Schleinitz singt noch recht schon. Sonnabend
friih gab ich dem Maler Schramm eine Sitzung, wah-
rend Mendelssohn die gedruckten Einladungen fur Mon-
tag adressirte. Natmiich habe ich Album - Blatter zu
schreiben und fur Mendelssohn's Frau ein Lied, das
ich zu einem von Chorley fur sie gedichteten Text com-
ponirte.
Die Directoren sind wiederholt zu mir gekommen,
um mich zum Spielen am 22. zu berede.n, Mendelssohn
that dasselbe, ich blieb standhaft; „moglich", sagte ich,
„dass ich zum Concert am 29. wieder hier bin , wenn ich
iiber Leipzig komme." Ich versprach, von Prag aus dar-
iiber zu schreiben. Auch Dir mochte ich gern meine
Reiseroute vorlegen: doch muss ich erst meinen Haupt-
zweck in Prag erreicht haben. Ich will Dich auch nicht
•■>! iV-r^ji u - :
- 67 - .
mit Fragen bestiirmen, denn ich weiss , Du schreibst mir
A lies , was ich zu wissen wiinsche. und was Dir Ange-
nehmes begegnet; schone mich aber nicht, wenn Du mir
was Unangenehmes zu schreiben hast; ich will es stand-
haft ertragen
Gestern Abend wurde in Gesellschaft bei David; Men-
delssohn's Octett vortrefflich gegeben und machte mir
viele Freude. Ich spielte oder vielmehr probirte mein
Septett, es ging aber nicht gut, auch hatte ich ein schlech-
tes Instrument."
Diese Zeilen begleitete folgendes Einladungsbillet:
Mrs. Moscheles
werden zu einer musikalischen Privai - Gesellschaft , Mbntag,
den ig. d. M., pracis 6 Uhr im Saale des Gewandhanses er-
gebensl eingeladen von
Felix Mendetssohn-Bartholdy
urn dort seinen 42. Psalm mit Orchester und grossem Chor
zu horen , sowie die Hebrtcien - Ouverture und die zur Jung-
frau von Orleans. Der Altvater der Clavierspieler (wie ihn
Fink in der Musikzeitung nennt), Moscheles, wird sein G-moll-
Concert und das Bach'sche Tripel - Concert mit Madame
^Schumann und Dr. F. Mendelssohn spielen, auch sollen einige
characteristische Etiiden gehort werden.
Um gefallige Vorzeigung dieses Blaties am Eingatig des
Saales wird gele/en.
Wenn dies Blatt nicht vorgezeigt wird , soil der Prof.
Moscheles nach London geschickt werden, um sich den Bei-
fall zu holen, der hier nur unvollstandig sein kann.
U. A. w. g. mit urngehender Post.
Vor seinem Abschied aus Leipzig schreibt Moscheles
nur wenige Zeilen. Dann langt folgender Brief an:
„Prag, 21. October 1840. Morgens 10 Uhr.
(eine Stunde nach der Ankunft.)
Sonnenschein!! Der Himmel voller Geigen! ich habe
die Mutter umarmt, ich habe Briider, Schwestern, Schwa-
ger, Schwagerin, Cousinen umarmt. Das Alles ware nicht
5*
— 68 —
vollstandig gewesen , ware mir nicht Dein Brief vom 10.
zugleich ubergeben worden. Meine gute Mutter habe ich
beim Empfang und der Umarmung viel starker und ge-
fasster gefunden, als ich erwartet hatte — es kommt mir
vor, als werde sie nur alter, urn seelenstarker und liebens-
wiirdiger zu werden. Sie ist \vohl bis auf ein wenig Husten,
den sie in dieser Jahreszeit gewohnlich hat. So wie ihre
Blicke auf mir Tuhen und mir ihr Lacheln, ihre Lebendig-
keit Balsam sind, so gewahrt mir Alles doppelten Genuss,
wenn ich ihr von Dir erzahlen muss, wenn sie mir ihre
Liebe und Verehrung fur Dich zu erkennen giebt. Sie
lauft durch vier aneinander stossende Zimmer, um Alles
fur meinen Comfort zu bereiten Nun noch nach-
traglich iiber Leipzig und die Reise hieher. Bei der Fete
im Gewandhaus , die mir Mendelssohn gab , waren 300-
von ihm geladene Zuhorer, die zu den beiden Seiten der
drei Hartel'schen Claviere sassen, der Saal herrlich be-
leuchtet, das Orchester voll, der Chor 140 stark. Es war
schon zu sehen, wie Mendelssohn und seine anmuthige
Frau vor Anfang der Musik den Gasten die Honneurs
machten, "wie sie bei den in der Pause gereichten Er-
frischungen fur Alle sorgten. Hier das Programm :
Erster Theil.
Die zwei Leonoren-Ouvertiiren, mit Eifer und Begeistening vorgetragen.
Mendelssohn's 42. Psalm. Ein herrliches Werli, die Soli von Mint Frege
vortreffiich gesungen,
Hommage i Handel, von Felix und mir, briklerlich begeistert.
Zweiter Theil.
Hebriden-OuveTtiire.
Mein G-moll- Concert.
Mit Felix' Direction des Orchesters ging Alles vor-
trefnich , es misslang Nichts , ich spielte begeistert, Chor-
ley behauptet, besser als jemals zuvor. Der Beifall rau-
schend. S. Bach's Triple - Concert von Mme. Schumann,
Felix und mir — wie, kannst Du denken. Zum Schluss
noch Etiiden von mir,
Ich werde dringend gebeten-, iiber Leipzig zuriickzu-
■ . - _ 6g -
komraen und itn Abonnements - Concert zu spielen;. doch
iiberlege ich noch und habe nichts versprocaen. Die gute
Mme. Mendelssohn ' wollte , dass wir schon urn z j x i Uhr
assen, da ich urn z Uhr abfuhr; aber vor lauter Visiten
und Reise - Vorbereitungen musste ich immer vom Tisch
aufstehen und zuletzt die Mehlspeise im Stich lassen; da
bekam ich meine Portion mit in die Eisenbahn, an die
mich Felix utid Chorley begleiteten. Wirklich, ihre Gast-
freundschaft hattc keine Grenzen.
In Dresden besuchte ich die Schroder -Devrient und
sie empfing mich mit einem Kusse. Erschrick aber nicht,
sei nicht eifersiichtig , es war em junger Garde -Officier
dabei und sie stellte mich vor, als ihren alt en Freund
Moscheles. Sie fragte mit aller Herzlichkeit nach Dir und
den Kindem , wollte , ich solle Concert geben und sie
werde darin singen , lobte mich viel auf Kosten Anderer,
wollte eine Oper ansetzen an dem Abend, wo ich von
Prag wieder durchkame — genug, sie war ganz sie selbst.
Ich verliess sie in Gesellschaft des genannten Offiziers,
machte noch einige Visiten , und fuhr hinaus in Regen
und Sturm. Nun kurz Adieu, die Blicke der Mutter schmach-
ten nach mir. . . . ."
„Prag, 24. October 1840, Abends.
.... Heute hatte ich auch den Herzensgenuss, meine
gute Mutter, die mehrere Wochen nicht aus war, am Arm
spazieren zu fuhren. Deinen Brief hatte sie mir bei Tische
unter die Serviette gelegt, . . . Der gemachten und em-
pfangenen Visiten ist kein Ende; aber ausser der Familie
nahm ich nur bei Lemel's eine Einladung zum Speisen an
und fand wie immer die herzlichste Aufnahme. Sogar die
Mutter gab eine Soiree — nur Verwandte. Natiirlich
musste ich spielen, zuletzt mit verkehrter Hand, mit der
Faust, dann Strauss'sche Walzer, weil die Jugend tanzen
wollte — und unter der Jugend tanzte auch — die Mutter 1
Eine mir unvergessliche Freude; ich mochte lachen und
weinen dar fiber. Ich glaube, ich habe sie durch mei-
nen Besuch verjiingt; Du fuhlst mir nach, was das sagen
■ — 7 o —
will. Nun iiber die andern hiesigen Familien-Verhaltnisse ?
es ist em langes Kapitel. . . ,"
Ein Brief aus Prag vom 28. October 1840 enthalt nur
Personliches und die Versicherung, dass er alien Concert-
gebenden Geliisten widerstehe, urn zuriick zu eilen; aber
am 31. schreibt er ihr:
„n Uhr Nachts , eine Stunde nach meinem Concert
fur Wohlthatigkeits-Anstalten, in welchem ich fiinfmal ge-
rufen ward.
Wie sonderbar, wunderbar, lenkt Gott unsere Plane,
oft ganz anders, als wir sie uns erdenken! Nachdem ich
Dir am 21. iiber mein Nichtspielen geschrieben, den Auf-
forderungen der Verwandten und Kunstverwandten, ja so-
gar des Stadthauptmanns Hofrath von Muth widerstan-
den hatte, entschloss ich mich doch, nicht aus meiner
Vaterstadt zu scheiden, ohne fiir „eine Wohlthatigkeit"
gespielt zu haben und der Entsch hiss des 28. ward, wie
Du siehst, am 31, ausgefiihrt, der Ertrag fur zwei Spitaler.
Wie mein Herz hoch schlug, als ich die Mutter in eine
Loge brachte, kann ich nicht beschreiben. Viele Augen.
des brechend vollen Hauses war en auf sie gerichtet
Dass Du fiir mein Wohl wachtest, war mir der begeisternde
Gedanke; denn wie sich Alles hier vereinigt, urn mich
eine gliickselige Zeit erleben zu lassen, so musste auch
Dein Brief gerade heute ankommen.
Die Beschreiburig des Concerts miindlich: ich hatte
einen' neuen Graf'schen Fliigel von Fr. v. Lemel geliehen
bekommen, der mir sehr zusagt. Ich habe heute, 1. Nov,,,
der Gratulationsbesuche fiir meine gestrigen Erfolge zu
viele, um ruhig schreiben zu konnen. Dionys Weber
mit seiner Freude und seinem Lobe stent obenan (natiir-
lich von seinem Standpunkt aus zum Nachtheil aller an-
dern Claviergrossen). Er hat mir eine Orch ester -Auf-
fiihrung der Schiller des Conservatoriums gegeben und
mich in die Bibliothek gefuhrt , in der auf seine Veran-
lassung eine Marmorbiiste von Mozart aufgestellt, des-
sen Werke gesammelt werden. Du siehst, er ist seit
meiner Kindheit seiner Ueberzeugung treu geblieben — "
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Am 21. Nov. verliess er Prag, am 4. schreibt er aus
Hof, 11 Uhr Vormittags. .
„Ueberall auf der Reise, wo ich gezwungen "bin, Halt
zu machen, ist es mein Vorsatz, mich mit Dir zu unter-
lialten. Der wichtige Moment des Scheidens aus Prag
ward vorgestern ilberstanden; er war so gut, so kiinstlich
vorbereitet, dass er scheinbar leicht vorubergiiig. Ich
wusste mebrere Sttmden vor der Abfahrt die Mutter so
zu zerstreue'n, dass sie keinera Trennungsgedanken Raum
geben konnte. Ich. liess sie mir packen helfen, machte
dann allerlei Possen und Spasse, sie musste lachen und
ich unterdriickte die Thranen! Endlich hiess es: ich muss
fort, eine minutenlange Umarmung offnete die Schleusen
der Thranen: Auf Wiedersehen! war en meine letzten
Worte und schon war ich die Treppe binunter. Mir war
leichter als den Zuriickbleibenden: ich dachte an Dich und
unser Wiedersehen,"
, .Karlsbad durchwanderte ich eine Stunde bei kost-
lichem Wetter, in Eger sah ich mir Wallenstein's Be-
hausung an, wahrend ich auf den Eilwagen wartete."
Wiirzburg, 5. Nov. „Hier muss ich bis 3 Uhr Nach-
mittags bleiben und will mir indess Stadt und Kirchen
ansehen. Das Wetter ist noch kostlich. Meine Reise-
gesellschaft war gleichgiiltig; selbst Walter Scott hatte
aus einern Bierbrauer, einem Handlungsdiener und einem
Zollinspector nicht mehr herausbringen konnen als ich, um
so ungestorter reichten meine Gedanken zu Dh. Ich lese
eifrig die Zeitungen; trotz der kriegerischen Wolken, die
am Horizont stehen, hoffe ich ungestort nach England ge-
lassen zu werden." ' ^
Frankfurt, Freitag Morgens 4 Uhr. Pariser Hof.
„Meine Reisegesellschaft hierher wieder sehr gleichgiiltig,
Wagen vortreftlich, Schlaf ditto. Nun wieder vier Stun-
den in dem 6den Saal des Posthofes auf den Mainzer Eil-
wagen warten. Deiner Nase gefLele der kalte Tabaks-
rauch auch nicht; ich habe aber keine, wie Du weisst, und
rauche selbst. — Gestern gab man die Puritani — auch kein
— 72 —
Verlust — morgen geben Lidel imd Regondi Concert. Ich
weiss nicht, ob ein neuer deutscher politischer Witz in
Bezug auf Thiers schon nach England gekommen ist. In
Magdeburg war Illumination zu Ehren ■ des Konigs von
Preussen, da stellte Einer ein Transparent aus: die eine
Seite stellt einen Adler in kithnem Fluge vor, die andere
einen krahenden Hahn und darunter geschrieben : „Ehret
den Adler und achtet nicht auf des kleinen Thiers Ge-
schwatz."
„Im Wagen las ich Deine Briefe wieder durch" ....
Moscheles schreibt noch einmal von dem Dampfboot
aus, das ihn von Mainz nach Coin fuhrte. Dann eilt er
iiber Belgien nach Calais und erreicht am n. November
London gliicklich und begliickend; die fatale zehnstiindige
Seereise mit zerbrochener Dampfmaschine ist bald ver-
schmerzt; schon am ersten Tage harren seiner drei un-
geduldige Schiilerinnen , den -zweiten schon sieben u. s. f.
An den Brief, den die Frau im Gefiihl ihrer Freude' iiber
den gliicklich Heimgekehrten an die Ihrigen schreibt,
fiigt Moscheles die Worte: ,,Ich geniesse das Gluck meiner
Heimkehr doppelt, wenn ich mir Eure liebende Theilnahme
daran denke. Charlotte berichtet Alles fur mich. Es freut
mich, dass Euch die seltene Kunst-Erscheinimg — Liszt
— nun auch zu Theil geworden; er ist ein verbindender
Ring in der Kette der Kunst-Entwickelung und findet
gewiss bei Euch die Wurdigung seiner ausserordent-
lichen Eigenschaften; ich habe immer gut mit ihm ge-
standen Die Kinder finde ich geistig und korper-
lich sehr entwickelt, jedes Einzelne macht mir in seiner
Art die grosste Freude."
Wir ubergehen mancherlei briefliche Schilderungen,
die sich fast ausschliesslich auf das heitere Familienleben
beziehen, wenn auch hin und wieder ernste Angelegen-
heiten den Gegenstand eingehender Correspondenzen bilden.
Aus einem Briefe Moscheles' citiren wir indessen folgende
Stelle, die iiber seine damalige Thatigkeit Auskunft giebt:
,,Gar viele Eisen sind im Feuer. Es soil ein Heft deut-
scher Lieder bei Kistner herauskommen, die Methode des
— 73 —
methodes mit Fetis muss in vierzehn Tagen erscheinen
,nnd mitten in ihre Correcturen hinein drangen sich die
■der Beethoven-Biographie, auf deren Herausgabe der Ver-
leger dringt; dabei werdet Ihr wohl keinen verniinftigen
Brief erwarten."
Dazwischen schreibt Mendelssohn noch Reise-Remini-
.scenzen:
Liebe Madame Moscheles!
Jetzt denke ich mir Moscheles wieder bei Ihnen, com-
fortable an der fireside (deutsch ist das ja gar nicht zu
sagen) und nun muss ich schreiben und griissen und
.sagen, wie oft und viel ich mir die jiingst vergangene
Zeit zuriickrufe, und mit welcher herzlichen Dankbarkeit.
Nachdem wir uns am Londoner Postoffice trennten, kanien
noch vergniigte Tage, die haben Ihnen M.'s und Chorley's
Briefe langst beschrieben, nun aber die ruhige stille Zeit,
seit Moscheles auf der Eisenbahn, Chorley auf der Schnell-
post fort sind, die hat nichts Beschreibbares an sich; hat es
doch das G-luck selbst auch nicht, und wahrlich, ich sollte
keinen Wunsch aussprechen und haben, wenn ich, wie es
jetzt geschieht, so mit Frau und Kindern gesund und
heiter, und neissig beschaftigt bin. Doch that es uns
Allen sehr leid, den Brief von Moscheles zu erhalten, wo-
rm er uns sein definitives Ausbleiben meldet. Er war in
den wenigen Tagen eigentlich ganz wie ein Mitglied der
Familie geworden, und so empfanden wir Alle sein Scheiden.
Meine Frau scheint er auch lieb gewonnen zu haben,
wenigstens ist das meistens wechselseitig und von ihr
wusste ich's gleich den ersten Tag. Wann wird nur meine
alte Prophezeiung endlich eintreffen, dass auch Sie meine
Cecile lieb haben, mit ihr gleich vertraut und heimisch
sein werden? Nachstes Friihjahr furchte ich nun doch noch
nicht, und ob Deutschland auf Moscheles einen so gunsti-
gen Eindruck gemacht hat, dass er sich bald einen neuen
verschaffen will, ist noch die Frage; doch hoffe ich, er hat
durchgefuhlt, was uns Allen sehr am Herzen lag, was
Jeder wohl gern gezeigt und ausgesprochen hatte (ware
— 74 —
nur das Zeigen und Aussprechen nicht gerade hier 211
Lande die schwache Seite) und was er nirgends starker
als bei uns finden kann : die innigste Verehrung und.
Liebe zu seiner Person und seiner Kunst, die aufrich-
tigste Dankbarkeit fur die grossen herrlichen Geniisse,
die er uns bereitet hat. Das ist noch unser tagliches Ge-
spriich , und sogar der kleine Car] lasst keinen Tag hin-
gehen ohne zu fragen: Papa, wie spielt der Onkel Mo-
scheles? Und dann suche ich's mit den Fausten in Es-dur
6 /s - Tact nachzuahmen, so gut ich kann; . es kommt aber
erbarmlich heraus. Nun kommt ein Lied*)
„Nun will ich aber meiner Frau die Feder uberlassen
und bios noch meine best en, schonsten Grilsse fiir Emily,.
Serena und fur Felix und Clara hersetzen; rufen Sie mich
dem Gedachtniss der lieben Kinder ja zuweilen zuriick.
An Moscheles ist der Brief mit. Wie ich mich seiner Er-
folge in Prag gefreut habe, brauche ich nicht erst zu
sagen; moge er auch an uns zuweilen mit Freundlichkeit
zuriickdenken und uns auf die Nachricht seiner gluck-
lichen Ankunft bei ihnen nicht zu lang war ten lassen..
Leben Sie wohl, liebe Mme. Moscheles. Stets
Ihr ergebener
Felix Mendelssohn-Bartholdy.
1841.
Die musikalische Welt war in diesem Winter vielfach.
durch die Vorgange in der Philharmonischen Gesellschaft
beunruhigt. Die althergebrachte Sitte hatte manchen in
die Verwaltung eingeschlichenen Missbrauch geheiligt,,
weshalb sich die Subscription vielleicht weniger ergiebig
als in friiheren Jahren erwies. Die Directoren hatten sich
gegenseitig wieder erwahlt, und Moscheles, der stets auf
Neuerungen antrug, iibergangen. Doch schon wahrend
*) Es ist des Hirten Winterlied: „0 Winter, schlimmer Winter'^
alle drei Verse auf sellostgezogenem Notensystem aierlich in dea Brief
hinein geschrieben.
.■.liii^' 1 S --? % V: >';*''"■■
— 75 — '
der ersten Halfte der Concerte miissen sie dies bereut
haben, denn er bekam offentlich und privatira viele An-
trage, eine Nachwahl, die ihn zum Mitdirector machte,
verspatet anzunehraen, wetgerte sich jedoch standhaft,
Nach jedem der Concerte, denen er regelmassig beiwohnte^
finden wir Seufzer iiber „das Herunterspielen unserer deut-
schenKlassiker"; dasOrchester nannte er ein „seelenloses",
die Clavierconcerte nicht im „richtigen Geist begleitet",
und als Mendelssohn's Lobgesang aufgefuhrt wird, meint
er, „so eine Auffiihrung konne er den Philbarmonischen
nie verzeihen." Die offentlichen Blatter und mit ihnen das
Publikum schreien nach Novitaten; warum nicht Etwas
von Berlioz? Auf dem Continent spiele man ihn, weshalb
nicht in England? So gab man die Ouverture zu den
„francs juges", die jedoch auf's Ungunstigste aufgenommen
-wurde. „War das Chaos, das ich horte", sagt das Tage-
buch, „in der Composition oder in der schlechten Auffiih-
rung zu suchen? Das kann ich nach einmaligem Horen
nicht bestimmen."
Ein andermal heisst es: „Miss' Birch und Phillips
sangen brav wie immer, die Ouverture zum Beherrscher
der Geister sturmte daher und wurde brillant aufgenom-
men. Die Melusine hingegen liess kalt, blieb unverstan-
den, ziindete vielleicht -nicht, weil ihr der brillante Schluss
fehlte. Genug, die Unverstandigen undNeider wollenschon
von Failure sprechen, wahrend wir ihnen zitrnen, ja
grollen."
Im vierten Concert erschien Vieuxtemps zum ersten
Mai als Spieler und Componist und erntete gerechten
Beifall fiir seine Virtuositat; es traten auch viele Andere
mit Erfolg auf, dazwischen aber erhoben sich Stimmen,
welche die neunte Symphonie wiederverlangten und als
nun Moscheles angetragen ward, diese zu dirigiren, da
war sein Widerstandsgeist gegen die Directoren iiber-
wunden , denn er konnte , er wollte es nicht abschlagen,
dies Riesanwerk auf's Neue zu Gehor zu bringen. „Kann
ich sie dem Publikum zuganglich macheu, so muss ich es
auch", sagt das Tagebuch. Und die Frau schreibt: „Ihr
■ , . — . 7 .6 -
konnt denken, wie uns der Antrag nach alien vorher-
gegangeneri abschlagigen Antworteh befremdete; aber
bald trat alle Personlichkeit in den Hintergrund und aucb
alle Bescheidenheit, muss ich Euch gegenuber hinzufugen;
denn das haben wir ja gesehen , dass es hier Niemandem
als Moscheles gehingen ist , die neunte Symphonie zur
Geltung zu bringen." .... Wie erfolgreich aber Mosche-
les' Berniihungen fur die gute Auffuhrung des Meister-
"werks war en, beweist ein Bench t in der Times vom 4. Mai
1841 , der uns vorliegt und aus dem wir folgendes aus-
ziehen. „Kiinstler und Liebhaber gestehen es jetzt gern
zu, dass Beethoven's neunte Symphonie eben so sehr
durch. Grosse und Erhabenheit wie durch Einfachheit aus-
gezeichnet ist. Diese Anerkennung verdanken wir zum
grossen Theil Moscheles, der sie mit aller Sorgfalt diri-
girte. Er iibertrifft fast alle unsere Musiker in diesem
Talent, da er , wenn er den Tactstock schwingt , das Or-
chester fuhrt, wahrend Andere sich von ihm leiten lassen.
Nichts konnte diese .Concerte so sehr heben , als Mosche-
les' permanente Anstellung als Dirigent; er, der stets dem
Orchester die gehorige Achtung einflosst, wiirde es auch
stets zu neuen Erfolgen fiihren."
Im achten Concert war die ganze Aufmerksamkeit
auf Liszt gerichtet. Wohl entlockte die gleichgiiltig ge-
spielte Symphonie von Beethoven Moscheles einige Seuf-
zer, doch das Publikum schien nur auf den Vielbesproche-
nen zu harren und als er endlich hervortrat, um das Sep-
tett von Hummel zu spielen, war man auf Ungeheuerliches
vorbereitet, horte aber nur, wie das Tagebuch sagt, .,das
bekannte Stiick, mit der vollendetsten Technik, mitunter
etwas himmelansturmend , im Grunde aber ohne Extra-
vaganz imd mit vortrefflichem Vortrag; denn darin liegt
ja das Geprage von Liszts Geist und Genie, dass er voll-
kommen weiss, wo, vor wem und was er zu'Gehor bringt
und seine Alles leistenden Fahigkeiten als Mittel zu deh
verschiedensten Effecten benutzt."
Wahrend Liszt mit dem Plan umging, eine Professur
am Conservatorium in Briissel anzunehmen, verbrachte
- 77 —
er die Saison in London , spielte viel und errang sicb-
grossen Beifall , ohne dass es ihm gelungen ware , die
englische Nation ebenso stiirmisch mit sich fortzureissen,
wie ihm dies der franzosischen und deutschen gegeniiber
gegliickt war. Die Rundreise durch die Provinzen, welche
der Musikhandler Lavenu mit Liszt unternahm, und auf
welcher der grosse Pianist allein taglich die Concerte fiil-
len sollte, gelang nicht. So kam Lavenu mit leerer Casse
nach London zuriick und Liszt war so grossnuithig , ihm
sein ganzes Honorar zu erlassen, „und erzahlte mir dies
scherzend" , sagt Moscheles , „indem er ihn einen pauvre
diable nannte." Liszt spielte in dieser Saison viele seiner
ultra brillantesten , unerhort schwierigen Stiicke. Ein
paar Mai liessen er und Moscheles sich zusammen in den
Preciosa-Variationen horen, wobei das Tagebuch bemerktr
„Es war mir, als sassen wir zusammen auf dem Pegasus."
Und als Moscheles ihm seine soeben beendeten F-dur- und
D-moll-Etuden zeigte, die er fur Mechetti's Beethoven-
Album geschrieben hatte, spielte Liszt sie, trotzihrer colos-
salen Schwierigkeiten vortrefflich vom Blatt. Er kam viel,
oft unaufgefordert in's Moscheles'sche Haus und es waren
interessante Stunden, die man seiner Kunst und seiner
geistreichen, oft sprudelnden Unterhaltung verdankte. Er-
zahlte er: „j'ai joue un duo avec Cramer, j'etais le cham-
pignon empoisonne et j'avais a c6te de moi mon antidote
le lait", so lachte man: doch gab es auch ernste Gesprache
und . in Folge eines derselben iiber weibliche Erziehung
iiberreichte er der Frau das Werk der Mme. Necker de
Saussure mit dem Bedeuten: das sei ein herrliches Buch,
es werde alle ihre Zweifel losen. —
Die Frau schreibt demnachst: „Liszt hat Moscheles
den schonsten Stock mit Goldknopf von herrlich getrie-
bener Arbeit geschenkt. Jetzt ist er auf kurze Zeit nach
Briissel und desto besser fur ihn , denn wem kann es bei
dieser Kalte gut gehen? Zugwind und Schnupfen giebts
umsonst, schliessende Thiiren um keinen Preis. . , . ."
Ein andermal heisst es:
„Wie interessant, wie vielbegabt ist die Famine Kemble;:
- 7« -
der Vater, der beriih'rate Charles Kemble, so viele Jahre
hindurch Engfland's Stolz im tragischen Fach; die alteste
Tochter, Mrs. Butler, als Fanny Kemble nicht minder be-
riihmt und die jUngste, Adelaide, mit einer herrlichen
Stimme begabt, die sie mit gleichem Erfolg zum Vortrag
italienischer Coloratur Oder zur Wiedergabe deutscher,
inniger Lieder oder altklassiseher Musik verwendet, In
alien Sprachen ist sie bewandert, so dass man bei den
respectiven Texten dieltalienerin, Franzosin oder Deutsche
zu horen glaubt, und ihr musikalisches Gedachtniss ist
ausgezeichnet Sie pflegt ein kleines Blattchen mit einigen
Liedertexten in eine Soiree mitzubringen, die Musik weiss
sie auswendig. Kemble und Mrs. Butler lesen in dem
hauslichen Kreise Scenen aus Shakespeare'schen Stucken
Tor. Kein Wunder, dass solche Genusse die gewahltesten,
gebildetsten Zuhorer anziehen , und dass es uns erfreut,
auch Moscheles' Leistungen dort anerkannt zu sehen. Neu-
lich machte sich Kemble den Spass , als er aus „As you
like it" vorgelesen hatte, mit den Worten zu schliessen:
„Come let us sing, cousin", worauf Mme. Viardot und Miss
Kemble den musikalischen Theil der Soiree eroffneten, und
die anderen Musiker sich anschlossen."
Ein Concert, das Miss Kemble in der Saison gab,
ivar brillant und ihr „Erlkonig" mit Liszt's Begleitung
-\vahrhaft ergreifend. Noch im folgenden Winter sollte sie
sich durch ihr Auftreten in der Norma, sovvie durch spa.-
tere Darstellungen den Ruf der grossten Dramatikerin in
Spiel und Gesang erwerben. Eine wiirdige Kemble! Ihre
Heirath mit Mr. Sartoris unterbrach allzufriih ihre Biih-
nenlaufbahn, aber ihre Kunst pflegte sie fort und fort.
Das Moscheles'sche Ehepaar genoss das unschatzbare Vor-
recht, sie im eigenen Hause und in dem ganzen Frcundes-
kreise, in dem sie mit Vorliebe sang, zu horen. Das Haus
des jungen Paars Sartoris ward bald dem Kemble'schen
gleich, der Sammelplatz der hochsten Gesellschaft , mit
der sich die Aristokratie des Wissens und der Kunst
gern verbruderte.
Im Mai schreibt die Frau: „Bis jetzt habe ich Euch
■*■,■?*:?»
&{■'' ~.K "*-'.'' ^ ~
— 79 ~
viel von Liszt erzahlt, aber im Grande genommen geho-
ren noch viele in mein Saisonbild hinein. David und Vieux-
temps z. B., die beiden Kiinstler auf der Geige und neben
ihnen eine nicht unbedeutende Phalanx von Instrumenta-
listen, welche die Staffage meines Bildes machen. Ein
Wunderknabe , Michelangelo Russo erstaunt Moscheles
durch sein Clavierspiel und mehr noch durch seine Auf-
fassung; er macht Furore, wenn er in Concerten auftritt.
Leider ist er ganz ohne Schulbildung; wer weiss, ob nicht
eben deshalb ohne Zukunft"*).
Unter den Sangerinnen nahm Mme. Viardot mit ihrer
unendlichen Kunstfertigkeit einen ersten Platz ein. „Sie
ist Musiker durch und durch", sagt Moscheles, „kennt
■und versteht die Klassiker, uberwindet jede Schwierigkeit
moderner Coloratur; man kann mit Recht das franzosische
„elle cree son role" auf sie anwenden. Ist es doch oft, als
empfinge sie des Componisten Arbeit als Roh - Material,
nnd verarbeitete es erst; — als verstande man den Cha-
rakter , den sie personificiren will , erst durch ihre Dar-
stellung. Auch Linguistih und Componistin ist sie', und mit
•einem Wort eine der grossen Erscheinungen unserer Zeit."
Die Persiani macht zwar das Unglaubliche, aber Moscheles
sagt mit Recht, „ihre hohe diinne Stimme ist wie der all-
zudiinne Saitenbezug einer Violine; so erwarmte sie uns
nicht in ihrer Beatrice di Tenda. Ebensowenig Dlle. L.
in der Straniera, da sie oft zu hoch intonirte. Mme." Dorus
Gras ist im Grunde eine zweite Persiani an Organ und
KLehlfertigkeit, Dlle. Meerti eine tiichtige und sympathische
Concertsangerin , dabei anspruchslos und Hebenswiirdig.
Unsere Deutschen, Frau Stockl-Heinefetter , Staudigl und
Haizinger in Jessonda und der Zauberflote waren ent-
ziickend." Die Prau schreibt: „Als ich Staudigl, ehe ich
ihn noch kannte, in einem Morgenconcerte auftreten sah,
dachte ich: „Ein deutscher Schulmeister!" so wenig poe"
tisch, kiinstlerisch war die Erscheinung; als ich ihn den
^Wanderer" singen horte, liefen mir die hellen Thranen
*) Man horte seitdem nicht wieder von ihra.
■ — 8d ■— ■•"'"•
fiber die Backen, das war die rein deutsche gesunde Era-
pfmdung ohne susslich italienische Seniimentalitat. Jetzt
hore ieh ihn oft, denn zu unserer grossen Freude kommt
er viel in's Haus imd bereitet uns und unseren Freunden
die angenehmsten Stunden. Aber G-utes oder Schlechtes,
Mittelmassiges oder Ausgezeichnetes , immer bleibt die
Musik das Element, in dem wir leben und immer bewahr-
heitet sich das Kinderlied: „And he shall have music
wherever he goes."
Wir Ziehen als Beleg dieser Aeusserung so manche-
Notiz aus dem Tagebuche und finden die gewohnlichen
musical dinners , bei denen Moscheles fungirte oder zu-
horte, die erste Auffiihrung von Haydn's Jahreszeiten, von
Ed. Taylor in's Englische iibersetzt, „zu profan", wie Mo-
scheles sagt, „und auch die Ausfiihrung nicht edel genug."
Dahingegen der Judas Maccabaeus und Jephtha in Exe-
ter-Hall' „ein Trost und eine Starkung fur den armen
Musiker, der sogar einen Psalm mitanhoren musste; einen
Psalm, den Niemand loben konnte und doch nicht tadeln
durfte." Wir finden auch eine grosse Anzahl von Soireen
verzeichnet: beim Herzog von Cambridge, dem Marquis-
von Lansdowne und andern Fashionables, wo Musik ge-
macht, aber wenig verstanden wird. Desto ernster
studirte der von Benedict und Moscheles neugegrundete
Singverein. Er hielt allwochentlich Zusammenkiinfte ab,
urn gute alte und neue Musik zu iiben; die Damen des
Vereins zeigten Eifer und Ausdauer darin, indem sie gem
die alten klosterlichen Psalmen der italienischen Schule,.
und Mendelssohn's Motetten fur das Kloster Trinita del
Monte iibten; dermannliche Theil des Vereins war schwach
vertreten und belegte wieder die unbestreitbare Wahrheit,
dass die Manner Englands der Musik eher abhold als er-
geben sind.
Mendelssohn fehlte all' iiberall, aber der Verkehr
zwischen ihm und Moscheles blieb ein reger und Mosche-
les schreibt in einem Briefe: „Es ist eine Erquickung fur
Geist und Herz, dass ich die Correctur des vierten Hef-
tes „Lieder ohne Worte" zu machen habe. Ich spiele
— 8i —
sie und die Variations serieuses wieder und immer wieder,
jedesmal geniesse ich ihre Schonheiten auf s Neue." Als
dankbare Erwiderung dieser Sendung schreibt Moscheles
ihm seine beiden neuen Etuden F - dur und D-moIl ab
und sagt: „Er wird sie eben so gut vom Blatt lesen wie
Liszt."
Die Freunde verlangten gegenseitige, aufrichtige Be-,
urtheilung solcher zugesandten Werke und erhielten sie
ungeschminkt. Auch wurden Mendelssohn von Mann oder
Frau die musikalischen Vorgange Englands mitgetheilt,
besonders die auf ihn beziiglichen. Unter Anderm hatte
die Frau ihm von fatalen Vergleichen geschrieben, welche
eine stets geschaftige Presse zwischen ihm und Spohr
angestellt hatte, und er erwidert am 14. Marz 1841:
„Das Einzige, was mir in Ihrem einzig lieben Brief
leid thut , ist , dass Sie an der sonderbaren Vergleichung
und an den Hahnenkampfen Antheil genommen haben,
die, mir unbegreiflicher und sehr bedauerlicher Weise, in
England zwischen Spohr und mir angefangen worden sind,
wahrend mir wirklich nicht die geringste Idee zu einer
solchen Concurrenz und Vergleichung in den Sinn gekom-
men ist. Sie werden lachen oder ziirnen, dass ich auf
einen so scherzhaften Streit, so ernsthaft antworte, aber es
liegt etwas Ernsthaftes da zum Grunde, und durch diese
fortgesetzte Concurrenz, die, Gott weiss wer aufgebracht
hat, geschieht nicht Einem von Beiden ein Gefallen, sondern
jedem ein Schadeii, wie ich glaube; abgesehen, dass ich
bei einem Meister aus Spohr's Zeit, von Spohr's Bewahrt-
heit , niemals als Gegenmann auftreten kann und mag;
dazu hab' ich vor seinem Wesen und seiner Person von
jeher und schon als Knabe viel zu viel Resp'ect gehabt,
der sich mit reiferer Einsicht um nichts vermindert hat.
— Verzeihen Sie mir wie gesagt , den langweiligen Ton
auf einen so liebenswiirdigen Brief, aber mir fallt alles
das unwillkiirlich ein, wenn ich an den widerwartigen T.
denke, und an das ganze Wesen, das er treibt. . . . ."
Die so eben erschienene biographische Skizze „Das
Leben Beethoven's" fand Beifall; die erste Auflage war-
Moscheles' Leben. II. '6
Sf.:L
bald vergriffen und derii Vater wird geschrieben, „dass
die Presse viel Lob spendet", „ja", sagt die Frau^ „es wird
Moscheles ernstlich gerathen, doch baldmoglichst noch
etwas Musikalisches zu schreiben." Der Rath musste aber
wegen Mangels an Zeit — vielleicht auch an Lust — un-
beachtet bleiben.
Unter den vielen Schiilern der letzten Jahre erscheint
unausgesetzt ein Original Mr. B.: „Die Riesengestalt
wollte Riesenwerke schaffen und Ideen sollten unter der
Lockenperiicke hervorsprudeln. Er bringt mir einen neu-
gebackenen Psalm, eine Motette, ein Lied in die Lection
und ich corrigire, indem ich ein weisses Blatt nehme,
seinen oft eigenen Text in Musik setze und ihn dann
frage: „Is not that what you meant to express?" (1st das
nicht, was Sie sagen wollen?), worauf er stets mit: „Oh
yes and just so" antwortet. Kiirzlich kam er mit einer
ganz neuen Marotte. Spohr, Mendelssohn und ich sollen
ihm Jeder einen Psalm mit Orchester schreiben und er
zahlt £ 20 per Stuck." Mendelssohn wahlte den dreizehn-
ten, Moscheles den dreiundneunzigsten , und Mr. B.
lasst sie mit ausserster Sorgfalt ausstatten. „Kein Papier
ist -ihm fein, kein Stecher gut genug", klagt die Frau in
einem Brief; „und so plagt er meinen armen Mann be-
standig mit .dieser Auflage, wahrend dieser gerade mit
der zweiten Auflage seiner .Anticipations of Scotland"
beschaftigt , schon genug mit seinem Stecher zu con-
feriren hat. Gestern entliefen wir aber unserem B. und
vergassen ihn und seine Kleinlichkeiten bald, denn wir
sahen die Rachel in den „Horaces". Wie edel , wie gross
ist sie in Sprache, Erscheinung und Bewegung; sie flosst
mir Ehrfurcht ein, und indem ich iiber sie schreibe,- fuhle
ich die Geringfugigkeit meines Lobes diesem Genie gegen-
iiber. Besonders merkwurdig blieb mir ihr Steigerungs-
talent, gewiss eines der wichtigsten Momente in jeder
JCunstleistung und doch oft darin vermisst. Erst steht sie
einer Bildsaule gleich, an einen Pfeiler gelehnt und man
hat Zeit, ihr Profil — seine classische Ruhe und den Fal-
tenwurf des Costiims zu bewundern; dann als sie die
- 83 — '
Erzahlung des Kampfes mit anbort, begleitet sie diese
mit ihrera unubertrefflichen Mienenspiel in alien seinen
Phasen; nun ist sie nicht mehr Bildsaule, sondern ein
lebendes Wesen, dessen Wiinsche trad Leidenschaften sich
in seinen Zugen malsn; aber noch fehlt die Sprache; als
diese wohltonend von ihren Lippen fliesst, ist sie gemes-
sen wie ein feierlich getragenes Lied; Im Lauf der Rede
erwarmt sie sich, aus dem gemessenen Tempo wird ein
bewegtes, zuletzt ein rasches, endlich ein tempo rubato.
Aber immer bleibt die Stimme klangvoll , die Articula-
tion deutlich; man verliert keine Sylbe und erst, wenn
sie aufgehort fuMt man, dass man ihr athemlos ge-
folgt ist. ..."
Ende Juli schreibt Moscheles aus Boulogne: „Gestern
sind wir hier angekommen, und ich sage es mit Stolz
und Wohlbehagen — ich bin ein freier Mann! Indem ich
dies schreibe, larmt es unten am Hafen. Ueberall wehen
Tricolore, Flaggen, man will den Jahrestag von Louis
Napoleon's fehlgeschlagener Landung feiern; aber dem
ersten Napoleon alle Ehre> sein Geburtstag am 15. August
soil mit grossen Feierlichkeiten begangen werden." ....
Spater schreibt die Frau: „Es wird hier trotz alles See-
badens und Spazierengehens doch sehr viel musicirt. Ich
habe mich E. zu Liebe pensionirt, damit nur sie mit
ihrem Vater spiele." Moscheles fiigt hinzu: „Indem ich
dies' schreibe, hore ich, wie E. mem ,,Kindermarchen und
Versohnung" spielt und kann mich nur daruber freuen,
da sie meinen leisesten Wink uber Vortrag schnell auf- .
fasst und sich beimLesennichtsFalsch.es einstudiren wird."
Als die sechsjahrige Tochter am Ende dieses Jahres die
E-dur-Scala gelernt hat und den Vater damit uberrascht,
improvisirt dieser Basse in verschiedenen Rhythmen da-
zU, was sie keineswegs ausser Fassung bringt. „So freue
ich mich an der Entwickelung der Kinder", schreibt Mo-
scheles, „weil an mir selbst nicht mehr viel zu'entwickeln
ist. Eben driicken mich Vorwurfe iiber meine vaterliche
Selbstliebe , aber Ihr werdet mir diese Schwachheit ver-
zeihen, da ich nicht weniger empfanglich fur das Gedeihen
6*
— 84 •=•
Eurer Kinder bin." Ein Brief an die Schwagerin sagt:
„Du fragst, ob Deine Tochter Generalbass lernen sollen?
Und ich sage ja. Freilich findet sich keine practische An-
wendung fur das Studium , wejnn es nicht unermiidlich
und Jahre lang verfolgt wird; doch hilft es, selbst dilet-
tantisch betrieben, zum besseren Verstandniss guter Com-
positionen , indem es ihre Structur begreifen lehrt ; ist es
doch die Grammatik der Tonkunst, also eine unerlass-
licbe Hiilfe zum tieferen Eindringen in ihr Wesen. Das-
Lesen eines bezifferten Basses ist nothwendig, wenn man
alte Musik begleiten will und endlich auch eine Stufe
zum Partiturlesen. Wahle Dir als Lehrer einen guten
Theoretiker oder Organisten, vielleicht Schwenke; denn
"was ich von ihm gesehen habe, lasst mich auf seine-
Griindlichkeit schliessen . . . ." Fast gleichzeitig schreibt
er Folgendes an die Wiener Freundin, Frau von Lieben,
eine geborene Le winger: „Auf Ihre Anfrage wegen des
Unterrichts Ihrer Kinder sage ich: Sie miissen beim
Clavierspiel Ihrer Kleinen nur insofern auf die Kraftaus-
bildung bedacht sein, als die von Natur schwacheren vier-
ten und fiinften Finger den anderen gleich werden sollen.
Den Handleiter halte ich fur iiberflussig. Der Schuler
muss anfanglich dazu angehalten werden, die Arme und
Hande auf eine natiirliche Weise zu halten — Ellenbogen
und Handgelenk weder zu hochtragend , noch herabhan-
gend zu gebrauchen. Ein aufmerksamer Lehrer und gute
Vorbilder miissen das Beste hinzu thun. Gutes Tacthalten
und Ausdruck miissen zugleich, doch urn weniges spater f
entwickelt werden. Variationen und Phantasien iiber Opern-
thema's passen weniger zur Entwickelung eines eigenthiim-
lichen Styl's, weil darin das Ohr zu sehr an den bekannten
Formen hangt. Origfinal-Werke von guten Meistern sind
niitzlicher. — Aber wenn das Alles mit dem Handleiter geiibt
werden sollte (wie Kalkbrenner empfiehlt, der sich noch tag-
lich dessen bedient), so muss das Gefuhl schlafen, wahrend
die Hand sich bewunderungswiirdig — steif bewegt.
Was ware aus uns alteren Clavierspielern und aus den
Thalberg und Liszt geworden, wenn sie sich des Hand-
- 85 -
leiters bedient hatten! Die Kunst, stande sie holier? Und
K.'s Speculation, spickte sie seinen Beutel bis zum
Platzen? Basta. ....
Ihr Freund
L Moscheles.
P. S. Alle, Gross und Klein, sind gar zu glucklich
hier, und ware die Jetee nicht mit einer schlechten Musik-
bande behaftet, ura uns an die Uhvollkommenheit mensch-
licher Zustande zu erinnern, wir wurden allzu sentimental
im Anschauen dieses grossen, ewig wechselnden Natur-
schauspiels. ...
Moscheles schrieb in diesen Boulogner "Wochen seine
Tarantella (Emily dedicirt), die Serenade (beide Werke
mit ihren Arrangements gegen ein Honorar von £ 80 bei
Chappell verlegt); ferner die Romanesca, aueh zwei sehr
schwere Etiiden, eine kleine Barcarole in Des-dur, „da-
mit ich doch weiss , warum ich an der See lebe". , Auch
arrangirte er Beethoven's Septett zu vier Handen. —
Das Hauschen in Chester 'Place wieder erreicht,
finden wir die Ausrufungen des innigsten Dankes gegen
Gott fur eine so glucklich vollbrachte, genussreiche Reise.
Der Besuch bei einem jungen Ehepaar ruft bei Mosche-
les die Bemerkung hervor: „Sie schwelgen in ihremGliick;
aber bei ihnen sind es noch Flitter n; bei uns schon eine
hartere im Feuer erprobte Substanz, denn wir sind ein
gliickliches altes Ehepaar, konnen auch noch jting thun,
wenn's darauf ankommt, tanzen wie die Rehlein, hiipfen
wie die Bdcklein , um zwei schlafen gehen, um sieben
wieder aufstehen und doch den ganzen Tag unsere Ge-
schafte frisch und kraftig betreiben. Ueber die fortschrei-
tende Erziehung der Kinder wollen wir aber stets mit
Ernst wachen und Alles aufbieten, um sie zu einem gliick-
lichen Resultate zu bringen. Sie miissen auch vor Leuten
spielen; man kann sie nicht friih genug iiber die Dilettan-
ten - Blodigkeit hinwegbringen , die so sehr an- Ziererei
grenzt; man muss sie lehren, nicht an ihr eigenes kleines
Ich, sondern an die Grosse des vorzutragenden Kunst-
werks zu denken."
..; . ■ — '86 — "' "
Gleich im Herbst "wurden die Singvereins - Uebungen
mit gewohntem Eifer wieder aufgenommen und durch den
'Winter hin fortgesetzt. Auch die musikalischen Sonn-
abende beginnen von Neuem, diesmal abwechselnd im
Benedict'schen und Moscheles'schen Hause. - Die Frau
schreibt daruber: „Ich kann Euch diese Abende nicht ge-
nugruhmen, siebieten die echtesten Kunstgeniisse bei gros-
ser Einfachheit; kein Wunder, dass Alles heiter und auf-
geraumt ist und gem zum Beschluss ein Tanzchen macht,
wozu Moscheies meist spielt 'und Benedict die Figuren in
Quadrille und Cotillon angiebt."
Und hier , wo wir, wie so oft schon , von seiner Hei-
terkeit, seiner Zufriedenheit horen, drangt sich wohl mit
Recht die Frage auf: War denn dies Leben ein durch-
aus gliickliches, ungetriibtes? — Hatte diese Familie vor
alien andern Jdas Vorrecht in ihren Unternehmungen , in
ihren Gliedern gesegnet zu sein? — — O nein, der Wer-
.' ; muthstropfen , der bei alien Sterblichen in den Lebens-
becher traufe'lt, hatte auch hier seine Bitterkeit; aber
Moscheies' gliickliches Naturell iiberwand diese rasch r
und hielt" sich an die Siissigkeiten , welche K.unst und
Beruf ihrn boten. Es drangte sich wohl eine Thrane in
sein Auge, ' ef loderte wohl in Zorn gegen Ungerechtig-
keit auf, — aber bald trat Erschopfung ein, er konnte
ruhen; We'nn auch nicht schlafen, und stand nach schwe-
ren Momenten gestarkt und stille geworden von seinem
Sopha auf, kanhte keine durchwachten Nachte, kein Grii^
beln iiber Unvermeidliches. Seine Frau pflegte er in schwe-
ren Momenten durch die AUgewalt seiner Liebe, durch
sein Motto: „Wie Gott will"! zu beruhigen.
1842.
Am i. Januar schreibt Moscheies in sein Tagebuch:
„Glucklich und zufrieden beginne ich dies Jahr im Kreise
meiner Frau und unserer vier Kinder und sehe mit Zu-
'■.■■\- ' -:■■■ ;' _ : 87 ;_. .; /-■-.;■-
versicht der Ausbildung der . letzteren entgegen. Indent
ich dies hierher schreibe, komme ich mir- vor wie ein
Monarch, der bei Eroffnung seiner Kammern feierlich
ausruft: In unserm Ihnern gedeihen Industrie und Wohl-
stand etc. etc." '
Es wird zu Anfang des Jahres die Bekanntschajt der
Familie Bunsen erwahnt und spater „das einfach ein-
nehmehde Wesen beider Ehegatten bei so grosser Be-
gabung" wiederholt geriihmt... „der gegenseitige Freund
Neukomm das verbindende Element zwischen beiden Fa-
milien" '. . . „die interessanten im Bunsen'schen Hause ver-
lebten Stunden" vielfach besprochen. Schon Ende Januar
spielt Moscheles dort vor dem Konige von Preussen auf
einem fur Se. Maj. gewahlten Erard; Neukomm lasst sich
auf dem orgue expressif horen; „ Alexander v. Humboldt
und andere beriihmte Landsleute sind in des Konigs Suite,
Alle an meinen Leistungen freundlich theilnehmend."
Mit dem Februar beginnt eine Priifungszeit fur die
Familie Moscheles: — der Scharlach bricht aus. Wir
denken an Dickens' Worte': they sat together and talked
of their illnesses (sie sassen zusammen und sprachen von
ihren Krankheiten), und mochten dem Leser keine solche
Langeweile aufbiirden, nur muss es hier gesagt sein, dass
der Arzt es Moscheles als Pflicht auferlegte, sein Haus
zu verlassen, um nicht etwa die Ansteckung zu seinen
Schiilern zu tragen, dass er sich Moscheles 5 Weigerung
mit Hinweis auf sein Gewissen widersetzte, dass auch
ihm das Gewissen nicht erlaube, Arzt im Hause zu bleiben .
und dass Moscheles der zartliche Gatte und Vater von
den Seinigen getrennt blieb, wahrend er so gem geholfen,
getrostet hatte. Lassen wir ihn selbst in einigen der 107
Billette sprechen, die vor uns liegen und die er seiner
Frau — gewohnlich drei an einem Tage — sandte.
„Von Gottes Giite, von Deiner Seelenstarke erwarte
ich Alles" oder „ein neuer Sonrienschein verkiindet mir,
dass er auch Euch segnend bescheinen wird" . , . „Wenn
Deine Kraft zunimmt, unsere Trennung zu ertragen, will
ich mir denken, ich sei auf einer Reise, aber auf dem
— 88 —
Riickweg begriffen, der Weg. holpricht, die Diligence
schleppend, sie bleibt audi im Morast steeken, was
die Nachhausekunft noch verspatet, bis endlich der Con-
ducteur sagt: „Sie sind auf der letzten Station" und der
Zollbeamte: „Sie sind expedirt"... Mitunter vergisst er
auch^sein Trosteramt und fallt aus der Roller „Eine Zelle
in Newgate konnte nicht so viel Abstossendes fur mich
haben, als eine Wohnung getrennt von Dir" . . . Ein bes-
seres Bulletin veranlasst die Worte: „Es wurde mir in den
Singverein nachgeschickt und in der Freude meines
Herzens liess ich gleich ein Gloria singen; sage Felix,
ich werde ein ganzes Fass Wein auf seine Gesundheit
austrinken, Das Rossini'sche Stabat Mater, auf das wir
so gespannt waren, ist mir seit unserer Trennung bekannt
geworden, und jetzt lassen Benedict und ich es im Verein
studiren. Es ist, wie Du denken kannst, ein Muster von
Singbarkeit (wenn Du mir den Ausdruck erlaubst), mir
aber nicht kirchlich genug im Styl, seine einzige Fuge
unbeholfen. Die Urtheile iiber das Werk klingen sehr
verschieden; einige stimmen mir bei, aber die Masse er-
gotzt sich an den einschmeichelnden italienischen Phrasen,
die auch ich bewundere, ohne sie am rechten Ort zu nnden.
Nun, die Zeit ist ja hoffentlich nicht allzu fern, wo Du
wieder.im Verein mitsingen und das Werk kennen lernen
wirst. ... Lass uns genau verabreden, wann ich Dich am
Fenster sehen kann; es ist zwar eine Tantalusqual, aber
wenn ich hinuberschaue und Du nicht da bist, so fiihle
ich mich, als hatte ich ein richtiges Tempo verfehlt.'" . . .
Oft sucht er sie auch durch Erzahlungen aus dem
Bekannten - Kreise zu unterhalten Ich horte B. M.
«in Stuck eigener Composition spielen, aber es war
eine Umschreibung von Thalberg und Dohler, also ein
Abguss vom Abguss" ... In einer Soiree mussten seine
„Ohren leiden! Rode's Variationen und Weber's Concert-
stuck, dilettantisch vorgetragen. Endlich entschloss ich
mich, durch mein eigenes Spiel alle diese Misstone zu ver-
scheuchen." . . . Von einem sehr kleinen iiberluxuriosen Hause
■erzahlt er: „Es koramt mir vor wie ein Kind, das sich
■- 8g -
den Gala-Rock seines Grossvaters angezogen hat." . . . „Bei
einem Mittagessen commandirt die Frau vom Hause und
der Herr giebt Contreordre, die Sonne wieder andere
und zwei arme unerfahrene Dienstmadchen liefen umher
wie Schaafe, die sich von ihrer Heerde getrennt und v.on
Hunden zusammengetrieben sehen" . . .
„Mit Neukomm hatte ich ein so'nderbares Gesprach.
Ich spielte ihm meinen Psalm (93.) vor; er sagte oft: schon,
schon! gut, gut! und erklarte den Chor Nr. 2 fur sein
liebstes Stuck; so voll Melodie. Ich bat urn Kritik und
er zeigte mir einige Harmoniegange, die er fiir zu gewagt
erklarte (ich dachte, wie niitzlich die seinen so gut ge-
schriebenen, aber oft so monotonen Compositionen sein
konnten), sagte aber nur; „der unerreichte Beethoven hat
nochmehr gewagt." Und er: „da folgen Sie einem schlech-
ten Beispiele" — worauf ich nur bescheiden evasive A.nt-
wort geben wollte, als uns der junge Bunsen eben zur
rechten Zeit unterbrach." . . . „Letzten Sonnabend sangen
wir i6stimmig im Bunsen'schen Familienkreise eine Musik
von Neukomm, zu der Bunsen einen selbstgeschriebenen
Commentar hat drucken lassen. Neukomm hat Chorale.
Miserere von Palestrina und die Liturgie der stillen Woche
in dieser Musik harmonisirt zusammengestellt (mit Clavier
oder Orgelbegleitung). Ich sang meinen Bass nur um
weniges schwacher als Lablache". ...
Wir iibergehen die Aeusserungen des Schmerzes iiber
die lebensgefahrliche Krankheit des Sohnes, \iber das
Darniederliegen der Frau und Tochter, iiber eine Reise
Beider nach Brighton, die statt der erwiinschten Starkung
neues Leid bringt; das Maass der Bitterkeit scheint voll
zu sein, als der harteste Schlag, der Tod von Moscheles'
Mutter, den Becher uberlaufen macht.
Moscheles schreibt: „das Ungliick hat mich tief er-
schuttert. Nie wurde -ein Sohn inniger geliebt, nie hat
Einer solche Liebe herzlicher erwidert, als ich, Diese
Liicke muss unausgefiillt bleiben. Aber Gott hat mir Frau
und Kinder wunderbar behiitet. Ihm sei Dank dafur!"
Das Versprechen, in York zu spielen, musste noch
.' . r _- igo : —
wahrend der Krankheitszeit eingelost werden. „Ich hatte
in den drei Tagen viel mit meinem Seelenzustand zu
kampfen," schreib't er, „aber das Publikum merkte es
nicht. Das Orchester machte mir auch zu schaffen.
Denke Dir, wie besonders wehmiithig es klang, wo alle
Secundo-Parten der Blasinstrumente fehlten!... Ich spielte
auch. irn York-Miinster auf der prachtvollen Orgel (fugirt)
und erging mich in der Umgegend, um die Ungeduld
todtzuschlagen, die immer nach. Hause wollte. Eine alte,
halb zerfallene Statue soil eine old Mother Shiptoti vor-
stellen, die gewahrsagt habeh soil: London is Lincoln was
York will be,* den Yorkeim natiirlich sehr schmeichelhaft.
Auch die Assisen mit dem zweistundigen Verhor dreier
Morder fesselten mich, denn es war ein inter essanter Fall"
Nach London zuriickgekehrt , gab es viel mit der
SpohrVchen Symphonie fur Doppel-Orchester zu thun; Mo-
scheles sollte sie auf Spohr's ausdriicklichen Wunsch di-
rigiren und plagte sich viel dabei, da die Philharmonischen
Directoren ihm nicht in der Aufstellung des Orchesters
und ahnlichen Dingen beipflichten wollten.
„Das Werk", sagt Moscheles, „hat all' die grossen
Eigenschaften, die man an Spohr kennt und liebt: Schone
thematische Behandlung, geniale Modulationen und vor-
treffliche Instrumentation; aber den Hauptgedanken fehlt
es an Neuheit und ich wiinschte mir mehr Episoden und
Gontraste, da die Einheit so gross ist, dass sie beinahe
zur Monotonie fahrt. Den Harmoniker mag das befriedi-
gen, abef das Ohr bekotrimt zu viel gleichbedeutende Ein-
df ucke; Das Orchester spielte mit Liebe und Eifer, er-
zielte aber doch nur massigen Beifall". ...
Nun fingen auch die Continentalkunstler an, das Ei-
land musikalisch zu bevolkern , und unter diesen tritt
Anton Rubinstein als Rival von Thalberg auf. „Dieser
russische Knabe", sagt Moscheles, ,;hat federleichte Finger
und dabei die Kraft eines Mannes." Aber auch die Ein-
heimischen regen sich. Blagrove gab Quartett-Soireen,
Bennett trat mit seinem Sextett in Eis-moll hervor, die
Royal- Academy of music fuhrte Spohr's „Letztes Gericht"
m
_ - 9 i .__
auf, offentliche Diners und Privat-Soireen wechselten mit-
einander ab. Noch wahrend der bosen Krankheitszeit
hatte Moscheles durch die Vermittelung von Bunsen die
Erlaubniss bekommen, dem Prinzen Albert seine grosse
Klavierschule zu dediciren und an einera von ihm selbst
zur Empfangnahme des Dedications-Exemplares ahheraum-
ten Tage fand Moscheles sich im Palast eiri. Von dort
aus schreibt er seiner Frau: .
„Antichambre Buckingham Palace. Esist */+ nach i Uhr,
ich sitze seiti2Uhr ganz allein in einem Vorziinmer desPa-
lastes und gebe meinen Gedanken Audienz, ohne sie so
lange warten zu lassen, wie der Prinz mich oder ich ineine
harrenden Schulerinnen. Die Sonne dringt durch die
Spiegelscheiben und war mt mich von der einen, ein grosses
Kaminfeuer von der anderen Seite. 1st das nicht ein
Gaudium? Aber Freiheitl Goldene Freiheit'.l hatte ich
dich wieder und sasse zu Hause und sahe Dich statt dieser
kahlen Wande! Zum Gluck fand ich Schreibzeug und
kann Dir schwarz auf weiss beweisen, dass ich bei alien
Gelegenheiten an Dich denke — 2 Uhr. Endlich erschien
Dr. Schenck in meinem Gefangniss und zeigte mir in
grosster Verlegenheit an, dass ich dem Prinzen, der bei
meiner Ankunft anderweitig beschaftigt war, durch die
Vergesslichkeit eines Pagen nicht ziim zweiten Mai ge-
meldet worden sei. Der Prinz \yerde diese Vernachlassi-
gung sicher nicht ungeriigt voriibergehen lassen. 5 Uhr.
Jetzt bin ich wieder in meiner Exil-Wohnung und muss
Dir das Ende meiner Hof - Geschichte berichten. Der
Prinz folgte dem Dr. Schenck auf dem Fuss, machte Ent-
schuldigungen und sagte, wie leid es ihm thate, mir so
viel Zeit geraubt zu haben. Er war sehr liebenswurdig
und meine Ungeduld verschwundeh. Ich uberreichte ihm
die Clavierschule, in der er viel blatterte; er meinte, er
werde sich wohl an .die leichtesten der Etudeh halten
miissen, worauf ich natiirlich erwiderte, er habe nur zu
befehlen, wann ich ihm die schweren vorspielen solle.
Seine Antwort war freundlich, aber ohne Zeitbestimmung;
so hat er keinen Wunsch, sie oder mich' zix horen. Ein
— 92 —
Page tritt ein: „H. M. the Queen is ready" und der Prinz
empfiehlt sich eiligst mir und Dr. Schenck, der 'zugegen
war; auch ich eilte fort zu meinen Lectionen". . . .
Leider trat mitten in den Wonnemond, in die wechseln-
den Geniisse der Saison wieder das Ungliick mit ehernem,
xinerbittlichen Schritt hinein. Hamburg brennt und dort
wohnen die geliebten Nachsten! — Als man iiber ihre
Sicherh'eit beruhigt war, trat das Elend der obdachlosen
Bevolkerung so grell hervor, schien das Scherflein einer
Privatgabe so gering, dass Moscheies die Idee fasste, ein
grosses Concert fur die Nothleidenden zu geben; doch wo
einen freien Tag hernehraen, wo ein Local ohne allzu
grosse Kosten? Der Ball fur die Spitalfields-weavers, die
Masse der Concerte traten feindlich entgegen, der italie-
nische Operndirector noch feindlicher durch den Preis,
den er auf seinen Saal setzte. Aber Lablache hilft, nicht
nur er selbst, alle seine Landsleute wo lien, von ihm auf-
gefordert, mitwirken; alle Deutschen und Englander sind
bereitwillig. Nun aber zweifelt das Hamburger Comite:
"Wird Moscheies all ein den Saal fiillen? Will er sich
Theilhaber an der Unternehmung zugesellen? Er verneint
es, um freie Hand zu behalten. Die Eintrittskarten gehen
reissend ab, in der elften Stunde kommt Mendelssohn an;
das ist ein gutes Omen, denn auch er wird mitwirken;
nun sind die Billette schon so begehrt, dass man den
Orchester-Raum zu Sperrsitzen benutzt; die Logen hat der
Hof inne, zuletzt baut sich ein Geriist von Tischen vor
der Eingangsthiir des Saales auf fur den Ueberfluss der Zu-
horer. Es giebt sehr viel Musik, darunter eine Etude in
F-dur 2 /4 Takt, welch e Moscheies fur diese Gelegenheit
schrieb, — aber auch sehr viele Guineen. Hier die Zu-
sammenstellung von Einnahme und Ausgabe:
Theaterdirector Lumley . ... . £ 50.
Erfrischungen fur die Kiinstler „ 2. 10. 9.
Extra-Sitze . . „ 2. 3. 6.
Polizei „ 1. 8. 6.
Anschlagbretter und Trager . „ 4. 7. —
r . .
. £ 8. 8. —
.
• ,, 23-
120. 14. 9.
764.
. ■
■ 643. 5. 3.
764.
764.
— 93 —
Tischler und Tapezierer .
Ankundigungen . ,
Brutto-Einnahme
Ueberschuss ,
„Ich erbat mir", sagt Moscheles, „vom Senat 1000
Mark von dieser Summe, welche ich privatim vertheilte,
Spater schickte mir die Stadt eine Medaille aus dem ge-
schmolzenen Erz der Glockenthiirme gepragt , mit den
darin eingefiigten Worten: Hamburg dankt."...
Bis zum 10. Juli gab es herrliche Tage mit Mendels-
sohn und seiner Frau, denn man sah sich oft. Die Fran
schreibt einmal: „Endlich ist mein sehnlicher Wunsch er-
fiillt, ich habe die engelschone, -liebliche Cecile kennen
gelernt. Mendelssohn hatte gariz Recht, wenn er voraus-
setzte, wir wiirden uns verstehen und lieben lernen; ich
meinerseits hatte es gar nicht erst zu lernen, denn sie
sehen und mich zu ihr hingezogen fiihlen war eins." Es
wurden schone Sonntage mit ihnen bei ihrer Tante Frau
B. zugebracht, „bei himmlischem Wetter Laufspiele im-
Garten arrangirt, wobei Mendelssohn's Fiisse sich eben
so gewandt erwiesen, wie auf dem Orgel-Pedal", schreibt
die Frau, „Charaden aufgefiihrt, wobei er den Regisseur,
Moscheles das Orchester reprasentirte. Hiess es dann aber
„ernst sein und tiichtig Musik machen", dann waren beide
M's. erst recht in ihrem Element, dann horten wir
viel Schones und die gewagte Improvisation, die nie
fehlen darf, pflegt bei solchen Gelegenheiten am Besten
zu gelingen. Hinterher heisst es wohl: das war aber toll,
wie Du mir da mitten in das Thema "Deiner ernsten
As-dur-Etiide, das ich recht sentimental vortragen wollte,
mein lustiges Scherzo brachtest. Oder: "Wie konnte es
nur gut gehen? "Wir sind doch heute wieder gar zu iiber-
miithig gewesen!" — Als Mendelssohn's einige Tage bei
Moscheles zubringen, sagt ein Brief: „Man kann ihm, dem
Erregten, Uebersprudelnden nur Gliick wiinschen, dass er
— gap, _*■■■■■
diese sanfte, echt weibliche Natur als Lebensgefahrtin be-
sitzt; sie erganzen einander vollkommen." Moschel.es sagt:
„Er spielte mir seine Antigone- Chore vor, sang oder
brummte dazu und genug, es wurde mir daraus klar, wie
gross und edel das Werk ist; der Bacchus-Chor im echten
Geist."
Man begegnet einander gesellig und musikalisch bei
Grote's, Kernble's, Benedict's und in anderen Hausern,
und haben die beiden M's. ' gespielt, so vertritt Miss
Kemble die Vocalrausik und Mrs. Butler liest Shakespeare.
„Aber Duprez' franzosische Romanzen wollten da nicht
hineinpassen." . . . „Bei Alsager spielten wir Beethoven 'sche
Sonaten und ich glaube, wir spielten heute noch, wenn's
nach dem Hausherrn ginge.". .. „Die neue A-moll-Sinfonie
ist wieder eine Perle; die Subscribenten des Philharmonic
aber auch ganz bereit, sie als solche anzuerkennen und
erst wir von der Musikergilde!".. . „ Anton Bohrer brachte
seine talentvolle Tochter, die schon viel leistet." Ganz
ist ein ausgezeichneter Cellist."...
In der Julihitze nennt das Tagebuch „die lastige Arbeit
noch lastiger" und meldet kurz darauf mit Behagen den
Landaufenthalt bei den Lieben in der Nahe Hamburgs,
fern von der eingeascherten Stadt, den thurmlosen Kirchen,
den oden Brandmauern statt derwohlbekanntenHauser."...
„Aber Gottlob, die Noth ist gestillt, die Obdachlosen
untergebracht."
Als die Familie im September schied, war es in Be-
gleitung einer Nichte, „ein musiltalisches Pflegekind fur
mich", sagt Moscheles, „das aber auch gem tanzt, so dass
wir unsern Sonnabend, nachdem wir viel musicirt, ge-
wohnlich mit einem Tanzchen beschliessen."
Die deutsche Oper mit Frau Stockl-Heinefetter, Hai-
zinger und Staudigl bietet grosse Geniisse, doch riigt
Moscheles es, dass sie ihre Vorstellungen mit Robert der
Teufel und einem gemis.chten Concert schlossen. „Das ist
kein wiirdiges Ende," Im Matrimonio segreto gab's zu
lachen. „Chorley hatte ihn geschickt in's Englische uber-
tragen; Miss Kemble im Gesang sie selbst, im Spiel die
■ i :rr iV" : ?*"^iir' : ''*;,T " T V-Rt^ : ^^~" r,-;-V
— 95;
wurdige Tochter -ihres Vaters, war von Mrs. Shaw auFs
Beste unterstiitzt; eine Fidalma, die rait ihrer volltonenden
Tiefe nie ihren Effect verfehlt, wenn sie als strafende
Tante den zankenden Nichten nachspottet."
Die Handelgesellschaft , welcher Moscheles beitrat,
gab viel ernste Arbeit; sie hatte sich constituirt, urn eine
verbesserte Auflage der Handel'schen "Werke zu veran-
stalten; dazu bedurfte es vieler Zusammenkunfte und Be-
rathungen. Fur die Jugend gab es in der Weihnachts-
zeit ausser dem strahlenden Weihnachtsbaum auch nocb
Jullien's neue Promenade-Concerts, „das ganze Driirylane-
Theater", schreibt die Frau, „in einen Salon • umgestaltet,
drapirt und mit Blumen geschmiickt, ein bewegliches Pu-
blikuni im Hut und Mantel unten, wahrend oben in den
Logen Abendtoiletten glanzen; unten i sh. Entree, oben
hohere Preise. Nun aber die Hauptsache, die Musik. Sie
wird auf einer Erhohung von einem guten Orchester ge-
macht, das Jullien meist mit dem baton dirigirt, zuweilen
spielt er ein flauto piccolo, das scharf durcbdringt und die
guten Tacttheile markirt; immer wirft er sich nach Be-
endigung der Stiicke wie erschopft in einen rothsammetnen
Sessel, der inmitten der Estrade aufgestellt ist, immer
zeigt sein Frack eine halbe Meile weisser Weste, aber
immer auch sind seine Tanzweisen mit ihrer starken
Wiirze von Trommel, Pauke und Trompete, ein An-
^iehungsmittel fiir das grosse Publikum, ja es giebt
keinen Schuljungen, der nicht Jullien's Promenade-Concerts
in seinen Ferien besuchen miisste." Auch Moscheles muss
diese Tanzweisen mit anhoren; aber eine ganz andere Art
von Musik beschaftigt seine Gedanken am Schluss des
Jahres. „Seitdem ich meiner funfjahrigen Toebter die
C-dur-Scala in verschiedenen Tactarten begleitete, trage
ich mich mit der Idee zu einem harmonisirten Scalenwerk.
Es soil dem ScMler das mechanisch trockene Ueben der
Tonleitern angenehm machen, seinen Geschmack bilden,
indem er eine Melodie hort und ihm die unentbehrliche
Festigkeit im Tact geben. Dies konnte -vielleicht der
.elavierspielenden Welt nutzlich werden. Je fruher das
_ t>6 _
rein Mechanische in den Hintergrund tritt, desto mehr
wird das wahrhaft kiinstlerische Element ausgebildet."
1843.
Das Scalenwerk war in diesera "Winter Moscheles'
Hauptarbeit; sein Zweck, „dass der Schiiler mit beiden
Handen die Tonleiter ube, und dies mit Lust und Liebe"
ward vollkommen erreicbt. Das Tagebuch sagt: „Ich will
auch, dass der Lehrer, der das schwere Amt hat, den
Anf anger die Scalen zu lebren und sie ihn tiben zu horen,
sich nicht dabei langweile, wie das so oft geschieht; beide
sollen angenehm beschaftigt sein; der Lehrer, indem er
seinen eigenen Part liest und auf den des Schiilers achtet, —
dieser indem er statt der blossen Scala ein rhythmisches
Stuck, eine Melodie hort, und sich dabei an's Zahlen
gewohnt." „Ihr glaubt nicht", schreibt die Frau, „mit wel-
chem Enthusiasmus die Kinder iiber jedes neubeendigte
Scalen-Stiick herf alien, E. naturlich als Lehrer; sie mus-
sen A lies spielen, noch ehe die Dinte getrocknet ist, und
„la danse des fees" bleibt der Liebling."
Moscheles muss auch wieder zwei Hefte Arrange-
ments — diesmal iiber Don Pasquale — machen; das ist
leidige Geschaftssache; aber fur Cramer revidirt er drei
nach Beethoven's Tode herausgegebene Stiicke zu Fidelio;
daran hat er grosse Freude.
„Wir hatten einen langen musikalischen Abend in
Exeter-Hall", schreibt die Frau. „Zuviel fur den deutschen
Geschmack; nicht mehr und nicht weniger als: Anthem
von D, Crotch , Beethoven's Messe in C und den Lobge-
sang. Wie ist es moglich, dass wir hinterher noch zu
Mrs. Sartoris gingen, dass Moscheles spielte und Beifall
erntete, ja, dass wir noch herzlich iiber John Parry lach-
ten, ohne den es in diesem Winter nun einmal keine Soiree
giebt. Ich erzahlte Euch schon, wie er allein ein Trio singt :
jetzt lacht schon Alles , wenn er sich an's Clavier setzt,
das er vollkommen beherrscht; er singt oft parlando zu
— .97 '— »' : ■ '■■''■":■ ' v '- '";: ■."'■;'-'.'. '//.'■
seinem yortrefnichen Accompagnernent irgend eine Ge-
schichte — meistens in Versen, die irgend eine Modenarf-
heit beleuchtet , urn sie unbarmherzig -zu geisseln. Man.
konnte ihn den musikalischen Moliere unserer Zeit nen-
* -
nen"
Das nachste Mai: „Ich habe Euch wieder iiber emige
Auftuhrungen in Exeter - Hall zu berichten, wo wir
Christus am Oelberge in englischer Bearbeitung horten;
dann aber auch an einerri Abend den Messias, unter ganz
besondern Umstanden. Clara Novello jmd Mrs. Shaw, die
vortrefflichen Sangerinnen, rissen das Publikum zu gros-
sem Enthusiasmus bin; es wollte Alles zweimal hdren.
Mrs. Shaw zeigte sich willig, Miss Novello nicht; sie wi-
derstand allem Klatschen, Rufen und sonstigen Beifalls-
bezeugungen und der Chor ,,why do the Heathen rage",
welcher eben f olgte, passte vortrefflich zu. dem' ungebuhr-
lichen Larm , der den grossen Raum erschiitterte. „Miss
Novello, encore", ertonte es von alien Seiten. Leute stiegen
auf die Banke, aber Alles umsonst, sie wiederholte nicht.
Phillips, ,der Bassist , auch ein grosser Liebling des Pub-
likums, hatte nun eine Arie zu singen und da auch er
nicht angehort wurde, stand Miss Novello auf und ging
hinaus, worauf sich Alles beruhigte und Phillips sein
Stiick endete. Mehrere Nummern folgten ohne Storung,
bis es endlich an die himmlische Arie kam „Ich weiss,
dass mein Erloser lebt". Miss Novello trat wieder ein,
diesrnal in Begleitung eines Comite-Mitgliedes ; das Publi-
kum sollte angeredet, Miss Novello entschuldigt werden,
doch gleich erhob sich eine Stimme im Saal mit- dem
Ausruf: bad temper, und nun begann der Sabbath von
Neuem. Sie sang also den erhabenen Text und die gross-
artige Composition unter dem Zischen, Klatschen und
Schreien der Menge, bis endlich ihr herrlicher Vortrag
siegte und man schwieg." ....
In diese Zeit fallt ein Brief von Moscheles an seinen
Schwiegervater , als Antwort auf die Frage, — wie ihnx
Berlioz' grosse Symphonie gefallen, die man soeben in
Hamburg gehort? Er schreibt: „Ich kenne dieses Werk
Moscheles* Leben. IT. ■ 7
■'"- .- 98 ~
nur im Clavierauszug , konnte daher kein competentes
Urtheil daruber abgeben, doch werde ich sehwerlich da-
fur gewonnen werden, weil ich semen Mangel an Melodie,
E-hythmus, Phraseologie und contrapunctischen Proportio-
nen zu sehr fuhle. Seine Ouverturen: .francs juges und
Benvenuto Cellini habe ich mit ganzem Orchester gehort;
doch konnte mich seine effectreiche Instrumentation nicht
fur die soeben genannten Mangel entschadigen, besonders
an Stellen , wo er melodisch neues Poetisches bringen
mochte und grade in das Verbrauchteste und Prosaischste
fallt. Uebrigens beweise ich der Welt und meinen Freun-
den gern, dass ich nicht zopfig am Althergebrachten hange,
und die neuen Componisten zu schatzen weiss. So spiele
ich jetzt.viel Chopin, ja ich suche mich darin einzuspielen,
obgleich es nicht mein Genre ist. Der Clavierspieler Halle
seit Kurzem in London , spielt Chopin viel und gut. Er
kommt eben aus Paris und bringt gewiss die richtige
Tradition dieser Notturnos und Mazurken mit, tragt aber
auch andere Compositionen- mit Beifall vor." ....
Wahrend des- Winters und selbst in das Friihjahr
hinein giebt es viel Musik und manchmal gesellt sich
ein Tanzchen hinzu. Moscheles schreibt einmal: „E S geht
noch recht gut mit dem Tanzen, aber die spaten Stunden
konnten es uns verleiden , wenn wir uns nicht an dem
Vergniigen unserer jungen Madchen weideten." Die Frau
meint: „Zur Abwech slung von Tanz und Musik herrscht^
hier jetzt die Tableau-Manie;" bei Benedict's, bei Sartoris
bei uns werden sie ganz vortrefflich gestellt, da die Maler
Landseer und. Horsley , "der Bildhauer Westmacott und
Andere hulfreiche Hand leisten. Dabei sind unsere Sub-
jecte ausgezeichnet : -Mrs. Sartoris als Sybille, z. B. war
am letzten Sonnabend bei uns wirklich classisch. Sie selbst
empfangt ausser an ihren Tableaux - Abenden auch noch
Sonntags und das sind sehr genussreich-musikalische Stun-
den, obgleich es uns leid thut, dass unsere ruhigen Sonn-
tag-Abende durch diese unwiderstehlich anziehende Ein-
ladung nun auch mit in den Saison-Strudel hineingezogen
werden." Aber auch Klagen sind zuweilen zu verzeicli-
— 99 — ,
Tien. So notirt Moscheles: „Mit der Handel- Gesellschaft,
von der ich mir grosse Dinge erwartet hatte, geht
es schlecht. In den Conferenzen erzeugen personliehe
Eitelkeiten heftigen Streit statt verniinftiger Debatte, und
so sind die Zustande unergiebig und unerquicklich."
Nach einiger Zeit erst sagt das Tagebuch: „Endlich ist
die Sache zweckentsprechend constituirt und wir beginnen
mit der Herausgabe von drei Coronation -Anthems. In
«iner spateren Lieferung werde ich die Edition des Alle-
gro e Pensieroso Qbernehinen "
Audi in dieser Saison hat er in der Philharmonischen
■Gesellschaft wieder die neunte Symphonie zu dirigiren
und es heisst: „Grosse Miihe, aber ein Hochgenuss."
Bunsen's veranstalteten ausser so manchen genuss-
reichen Zusammenkunften im engeren Kreise und dem
diplomatischen „Empfang" drej grosse musikalische Soireen
unter Moscheles' Leitung und Mitwirkung , . wobei sich
jedesmal zwischen sieben- bis achthundert Personen in
ihren prachtvollen Salons drangten.
Um diese Zeit findet ein grosses musikalisches Ereig-
niss statt: „Das Leipziger Conservatorium ist am 10. April
•durch die erste Schviler - Aufnahme eingeweiht worden.
Mendelssohn an der Spitze, kann man Grosses von dem
jungen Institut erwarten. Und dabei spricht er immer da-
von, mich hinzuzuziehen. Es ■ware ein schoner Beruf , im
Verein mit ihm zu wirken , das Londoner Lectionenjoch
und den ganzen Dilettantismus abzuschutteln , um junge
Kiinstler zu bilden! . . . ."
Die Fran aber hat "iiber andere , nicht musikalische
Vorgange zu berichten: „Der Themse-Tunnel, dessen Ge-
und Misslingen die Welt so lange beschaftigt hat, ist nun
gliicklich eingeweiht und wir wohnten der Feier um so
lieber bei, als uns -freundschaftliche Beziehungen an die
Familie- des Erbauers kniipfen. Es war etwas unheimlieh,
als man unter dem bestandigen Rauschen der Wasser-
pumpe in die feuchte Tiefe hinabstieg. Es Hess Eineiri
keine Illusion, die Themse rollte ihre machtigen Fluthen
iiber diese schon oft von ihr durchbrochenen Wolbungen
;.'■■;. — ioo — "
und wie nah oder wie fern mochfe der Moment sein, wo
r.; . diese tageshelle Beleuchtung, diese frohen Menschenschaa-
■ ■ , ren von dem zischenden Element auseinandergesprengt
* : wurden, fragte sich nieine Einbildungskraft ? Der Jubel-
ruf, mit dem Sir Isambard Brunei und seine Arbeiter be-
" , - griisst wurden , als sie von einer Musikbande begleitet,
durch den Tunnel schritten, war Gottlob die einzige Ant-
wort auf meine Erage, denn Alles lief gliicklich ab. Nur
der Herzog von "Wellington , der den Tunnel hatte erofF-
nen sollen, blieb in der Oberwelt. Seine Aerzte erklarten r
die feuchte Luft sei schadlich fiir ihn, und so war die
versammelte Menge um ihren Helden betrogen*)". . . .
Wollen wir hier andere, wenn auch nicht zur musikali-
schen "Welt gehdrigen Beriihmtheiten aufzahlen , die Mo-
" scheles naher traten, so finden wir den schon genanntenr
Sir Gardner Wilkinson, den egyptischen Reisenden,
der ein grosses Werk iiber dies feme Land und seine
, Dynastien herausgab, und das brittische Museum mit
seinen von dort heimgebrachten Schatzen beschenkter
' Samael Rogers, den beinahe achtzigjahrigen und doch
nochso jugendlich lebendigen Dichter, die schon genannten
' Edwin Landseer und Westmacott, letzterer durch
lange Jahre hin der treue Freund der P'amilie; Grote,
; durcb seine Geschichte Griechenlands beriihmt, er und
seine Frau kunstliebend und beschiitzend; unsern Lands-
mann Kohl, unsere deutschen Maler Hensel und Win-
terhalter, die oft Abends im Moscheles'schen Hause-
Familienportraits zeichneten, wahrend musicirt wurder
Doyle, den unter den Initialen H. B. beriihmt geworde-
*) Es sei erwahnt,' dass nicht lange nachher die Familie Brunei eine
harte Priifung zu ertragen hatte. Der SUeste Solin, der benihmte Ingenieur,
Erbauer der westlichen Eisenbahn und spater auch des RiesensdrifTs, latte
im Spiel mit seinem Knaben einen halben Sovereign verschluckt, was
~'_ lebensgefahrliche Entziindung hcrbeifiihrte, Eine gewagte Operation am-
Kehlkopf brachte das Geldstfick nicht zu Tage; wohl aber that dies eine-
von ihm selbst vorgeschriebene Manipulation; er Hess sich auf ein Brett
schnallen rmd auf den Kopf stellen. Ein dadurch herbeigefiihrter Husten-
anfall befreite ihn endlich nach qualvollen Wochen von seinem ,,Bttsen-
'- - freund", wie er scherzend diesen halben Sovereign zu nennen pflegte.
-."&$
— lOI —
n,en Caricaturen-Zeichner. Auch Rowland Hill, dem die
Welt die Einfuhrung des Penny-Porto's verdanfct, begeg-
net man 6fter. „Iramer", sagt Moscheles, „betrachte ich
4en interessanten hauslichen Kreis als das beste Bildungs-
xnittel fur unsere Jugend, wesshalb er von mir sehr hoch
gehalten wird."
Unter den Musikern war Alex. Dreyschock, der Pianist,
^ine neue Erscheinung. Moscheles schreibt: „Er ist noch
Jung in der Kunst, obgleich er die bewundernswertheste
Technik hat, federleichte Finger und eine linke Hand, die
erstaunliche Sachen macht. Neue Kunstgenusse stehen mir
.aber nicht durch ihn bevor, denn er kann zwolf Stiicke
mit berechneten Knalleffecten spielen, hat aber keinen
■Styl, keine Eigenthumlichkeit, kann nichts lesen und auch
keine fremden Compositionen im richtigen Geist vortragen.
JSTennen wir ihn den Octavenhelden! Hier wird er strenger
beurtheilt, als in Paris, obwohl der Beifall bei seinen tours
de force laut ist. Wir stehn im besten Verhaltniss zu ein-
ander." Gleichzeitig finden wir die Notiz im Tagebuch:
„D.'s Etiide fiir die linke Hand viel geiibt und iiberwun-
-den." Eine spatere Notiz sagt: ..Kleine Soiree bei uns.
D. griff das Instrument zu sehr an und verdrehte dabei
-die Augen." „Ich muss" , schreibt die Frau , „hier noch
«ine wahre Anecdote beifugen. D. probirte neulich einige
der Scalenstiicke mit Moscheles: er spielte zwar die „Schu-
ler-Partie", irrte sich aber dennoch oft im Tact, worauf
C mir ganz laut sagte (zum Gluck englisch , was er
vielleicht nicht verstand): „Mama, hat Herr D. nicht die
Scalen gelernt?" Ihr konnt Euch mein Entsetzen.uber das
■enfant terrible denken. Uebrigens hatte ich genug zu
thun , um auch die altere Jugend im Schach zu halten,
-da D. mitunter das Clavier schlagt und entweder bei
sentimentalen Stellen eine Grimasse wie' zum Weinen
macht, oder nach einem gliickrich ausgefiihrten Octaven-
rsturm triumphirende Blicke um sich wir ft, .... Sivori
ist. uns viel sympathischer und als Geiger bewunderungs-
werth, ja mitunter staunenerregend "
Sivori gab vier uberfiillte Concerte und erntete be-
^-102 — -
sonders fur seinen Carneval de Venise goldene Lorberru
Dann erschien der Geiger Ernst mit seinem grossen Tort
und der deutschen Wiedergabe Beethoven'scher Sonaten.
Diese wird im Tagebuch stets als „grossartig" , als „ein
wahrer Genuss" besprochen, wahrend Moscheles die „Ele-
gie zu siisslich sentimental, ja weinerlich, obwohl vortreff-
lich gespielt" nennt. „Am achtzehnten Juli", sagt das
Tagebuch, „sollte Ernst einen eclatanten Triumph feiern."^
Bunsen und "Viele durch und mit ihm hatten eifrig fiir
Griindung eines deutschen Hospitals in London gewirkt,
und als man auch von einem fiir den Zweck zu gebenden
Concert sprach, waren die deutschen Kiinstler Alle be-
reit, sich dabei zu betheiligen. „Dort nun", sagt das Tage-
buch, „zeigte sich Ernst zum ersten Mai in seiner ganzen
Grosse vor einem englischen Publicum. Er spielte Spohr's-
Gesangs-Scene, seine Othello- Variationen, etwas von May-
seder und den Carneval de Venise, und riss durch seine
hohe Meisterschaft das Publicum zu stiirmischem Bei-
fall hin."
Indessen war aber auch der grosste der Geiger, Spohr
nach London gekommen , und fand als Componist , Diri-
gent und als ausiiberider Kiinstler die hochste Anerken-
nung. Seine „Weihe der Tone" wurde unter seiner Leitung-
im Philharfnonischen Concert gegeben , wo er auch sein
Concertino spielte, spater veranstaltete die Gesellschaft
ihm zu Ehren eine Extra- Auffiihrung , welche auch die
Konigin besuchte. Man gab seinen Macbeth, Mendelssohn's
Hebriden und die Freischutz-Ouvertiire , Mozart's D-dur-
Symphonie ganz und die neunte zur Halfte, Alles unter
Spohr's Leitung, der auch sein Andante und die Polonaise
in B-dur spielte. Das Publicum lohnte ihm durch rauschen-
den Beifall, die Directoren durch em. Geschenk. — Auch
die Sacred harmonic society wollte den Meister durch
eine Auffuhrung seines „fall of Babylon" in Exeter -Hall
ehren. „Das Allzutheatralische dieses Werks kam ihm
vor dem gemischten Publikum dieses grossen Locals gut
zu Statten", sagt das Tagebuch. ,,Es ergotzte sich an den
militarischen Trommeln und „den verschiedenen Tanzrhyth-
— 103 —
men, die darin vorkommen." Die musikalischen Vereine
wollten nicht nachstehen, und um Spohr ihre Achtting zu
beweisen, gab ihm die British Society eine Matinee, worm
Compositionen ihrer Mitglieder aufgefuhrt wurden, „dar-
unter ein Violin - Quartett voll von Reminiscenzen aus
Spohr's eigenen Werken. Wir Kunstler bereiteten ihm ein
grosses Festmahl in Greenwich; wir war en wohl neunzig
an der Zahl, assen, tranken, toasteten, und machten Musik.
Mich setzte man als Dolmetscher an Spohr's Seite und
ich verdeutschte ihm alle zu seiner Ehre gehaltenen Reden.
Auch musste ich ihm drei seiner Manuscript-Duette accom-
pagniren, die er zum Besten gab. Spater in meiner Im-
provisation versuchte ich ganz„Spohrisch"zu sein und ver-
arbeitete Themen aus der „Weihe der Tone". Natiirlich
besprach man dies Festessen in alien Zeitungen , und da-
bei erwahnte die Morningpost- Moscheles' Mitwirkung: it
was one of those Fantasias, for which he stands unrival-
led. — D. spielte auch ein Stuck aus seiner Sonate „mit
gewohnter tobender Execution".
Bei Moscheles und in anderen befreundeten HaUsern
ward Spohr auch durch musikalische Auffiihrungen ge-
feiert. „Wir. haben 117 Personen geladen' ; , schreibt die
Frau, „denn wen mochte man bei so einer Gelegenheit
weglassen?" Von einer Matinee bei Mr. Alsager schreibt
sie: „Es waren fast nur Kunstler dort und die Musik be-,
gann mit einem Spohr'schen Doppelquartett. Es ging brav,
aber Spohr stand oft auf, um die Tempi berichtigend zu
dirigiren. Dann spielte Moscheles Spohr's Quintett mit
Blasinstrumenten, ohne Tempo-Veranderung; ja Spohr, der
doch eben nicht demonstrativ ist, ging nach dem ersten
Stuck an's Clavier und schiittelte ihm kunstbruderlich die
Hand. Halle bliitterte um, wa.hr end alle e'inheimischen und
fremden Clavierspieler und Spielerinnen London's zuhor-
ten. Spohr's Nonett war ein grosser Genuss! Zu neunund-
fiinfzig Jahren noch so zu spielen wie er es thut, ist ein
seltenes Geschenk des Himmels und ich wiinsche es mir
seiner Zeit fiir meinen Mann "
„Der Hullah'sche Singverein gab wieder eine grosse
■ — k>4 ■ —
Auffuhrung in Exeter-Hall", meldet die Frau, „diesmal in
Gegenwart des Prinzen Albert und anderer Grossen des
Reichs und wir horten Moscheles' vierstimmiges Lied
„Daybreak" von diesen tausend Kehlen sehr brav, wenn
auch, wie er sagt, etwas schleppend vorgetragen. Es ward
sturmisch wiederverlangt « .
Das Tagebuch sagt: „Man erzahlt mir, mein Lied sei
bei dieser Gelegenheit in einer Zeitung arg mitgenommen
worden und ich kann nicht umhin, mich dabei an die
Anekdote von Fohtenelle zu erinnern, der durch sein gan-
. zes langes Leben hin der Konig des Witzes blieb , und
den Tausende als den feinsten elegantesten Schriftsteller
verehrten. Es gab in seinem Hause ein Zimmercben, das
mir er betrat, das stets fest verschlossen blieb. Als man
es nach seinem Tode offnete, fand man es bis zur Decke
mit alien Zeitungen und Schriften angefullt, die gegen
ihn gesprochen hatten und dabei die No'tiz: „Ich babe
nie eine Zeile derselben gelesen, habe sie auch nie beant-
wortet." Das war mir aus der Seele gesprochen,"
Das franzosische Theater mit den Dam en Albert und
Dejazet, mit Bouffe und Levassor bot manchen Genuss,
wahrend das Ballet der italienischen Oper in dieser Saison
durch Fanny Elsler oft anziehender war, als die Oper
selbst, „obgleich das Orchester unter Costa's Leitung so
vortrefflich und dabei so discret war, wie man es sich
nur wiinschen kann." Die ausgezeichnete Sangerin Mme.
Cinti - Damoreau wurde auch mit Bewunderung gehort;
Frln. H. Nissen errang sich manche Palme; einheimische
und fremde Instrumentalisten geben klassische und un-
klassische Concerte, Soireen und Matineen, und . wir finden
in einem Brief die Notiz von Moscheles: „Bei blendendem
Sonnenschein und harrenden Schiilerinnen brachte ich das
Opfer einer Stunde,' um den Wunderknaben Filtsh in
seinem Concert zu horen. Er behandelte das Clavier wun-
derniedlich in einigen Chopin'schen Sachen und meiner
Serenade, und kann es noch weit bringen." Leider musste
die vielleicht iiberreizte Constitution einem friihzeitigen
Tode unterliegen.
,$
— io5 —
Ein hochst eleganter Ball fur die Polen in Willis'
rooms wird noch mitgemacht, die in Exeter-Hall aufge-
stellten Cartons von Raphael bewundert — dann tritt der
gliickliche Moment ein, wo die Saison beendet, die Familie
sich zur Abreise nach Boulogne anschicken kann. Von .
dort schreibt Moscheles kurz nach der Ankunft: „Heute
befriedige ich meine Ambition, auch einmal den Brief
anzufangen, denn so gut wird's mir in London nicht. Un-
ser Schiff Harlequin machte zwar Spriinge wie sein
Namensvetter bei der Ueberfahrt, doch ist das langst ver-
gessen. Wir sind hier sehr freundlich empfangen. . . . ."
Es ware Wiederholung , wollten wir das Gliick der
Familie in dieser Ferienzeit schildern, ein Jahr gleicht
darin dem andern ,. nur dass der Mitgenuss der heran-
wachsenden Kinder die Freude der Eltern erhoht. „Hier
kann ich mich ihren Studien, ihren Belustigungen wid-
men", schreibt Moscheles, „sie zeichnen eben so gem wie
sie Musik machen; eben so war es mit mir in meiner
Jugend, aber mich fesselte der Beruf, ich musste mich
ganz der Musik widmen, sollte ihr meine Existenz ver-
danken , da hatte es bald ein Ende mit dem Zeichnen
und jetzt kann ich nur die Kleinen mit -meinen Bleistift-
schnurren unterhalten Eine Tochter schreibt: ,,"Wir
haben hier kostlichen Unterricht vom Vater, aber er .selbst
spielt recht viel, gewohnlich vor und mit anderen Kiinst-
lern, wahrend sich unter den Fenstern eine Zuhorerschaar
sammelt. Das Etablissement des bains ladet zum Tanz,
manche der befreundeten Kiinstler zu Concerten — aber
das "Wetter ist so schon, die Continentalsonne so anziehend,
dass wir lieber die Abende im Freien zubringen "
Ein neues Zerwikfniss mit dem Verleger S. in Paris
macht dem idyllischen Leben ein Ende. Die Nothwendig-
keit eines Abstechers in die franzosische Hauptstadt stellt
sich heraus. Dort wird Alles ausgeglichen, die verweigerte
Zahlung geleistet und dann verlebt man noch' einige
Wochen mit Freunden und Verwandten.
Ein Brief sagt: „Der Vetter Heinrich Lehmann ist
ein beruhmter Maler geworden. Seine Fresken in der
— io6 -^
Eglise St. Mery, seine Ausschmuekung der Chapelle des
aveugles sind sehr grossartig." Seit dem Beginn seiner
Laufbahn hatte dieser Kiinstler fast ununterbrbchen fur.
die Kirchen und Sammlungen des Staates z'u arbeiten;
sein Bruder Rudolf geniesst gleichfalls den Ruf eines
ausgezeichneten Malers, er lebte lange Jahre in Rom.
Moscheles hatte von dem Vater der Kiinstler bei einer
seiner ersten Kunstreisen in Hamburg gastfreie Auf-
nahme gefunden und verdankte ihm manche kiinstlerische
Anregung. „A1 S w i r die Fresken besahen, fahrt Moscheles
foit, bat man mich, Etwas fur die Blinden zu spielen;
sie umstanden mich mit einem Enthusiasmus, der mich an-
regte; sie dankten mir, meine Hande kiissend, mit einer
Riihrung, die mir eine Thrane in's Auge brachte. Wir
haben hier in Paris wieder viel gesehen und bewundert,
mit Meyerbeer , St. Heller , Benedict , Ernst und Halle's
genruthliche Stunden verlebt, aber auch den jungen Kalk-
brennei" eine seiner eigenen Compositionen spielen horen (?),
die ; Arme auf den- Handleiter gestiitzt, wie ein Gicht-
briichiger."
Acht Tage spater heisst es: „Man hat mir zugesetzt,
doch nicht ungehort aus Paris fortzugehen und ich babe
mich zu einer Matinee bei Erard entschlossen." — Es
werden vkrhundert Personen dazu geladen. Moscheles
spielt viel, den Horern nicht genug. Immer wieder muss
er an's Clavier, mit stets erneutem Beifall. Dennoch lasst
er sich nicht bereden, eine zweite zu geben.
Am dritten October heisst es: „Grossen Spass machte
es mir, Halevy im Gefangniss zu besuchen. Er hatte sich
irgend Etwas in seinem Dienste als garde national zu
Schulden kommen lassen und musste achtundvierzig Stun-
den sitzen, Viele beriihmte Maler miissen schon vor ihm
dasselbe Schicksal in demselben Local gehabt haben, denn
phantasiereiche , mitunter excentrische -Gruppen waren an
die Wande gezeichnet und gemalt. Wir unterhielten uns
eben so gut „aux haricots" (dies der Spottname des Ge-
fangnisses), wie wir es in seinem eigenen Hause gethan
hatten, um so mehr , als seine junge Frau dabei war."
— 107 —
Balzac's Drama „Pamela Rigault" und eine Vorstellung
der noch immer schonen , und doch bis in die Kaiserzeit
hinein reichenden Dlle. Georges werden als besonders in-
teressant genannt. Mitte October sind die Reisenden gliick-
licb in London angelangt und gleich begrusst uns der
Ausruf im Tagebuch: „Welche Freude mir mein Erard
und mein Collard machen! Sie sind nicht einmal verstimmt:
rneine soeben componirte Etude in Cis - moll , 6 / 8 - Tact,
machte sich gut darauf."
Der siebenzigjahrige Tenorist Braham giebt noch ein
Concert und singt uber Erwartung gut, freilich mit viel
abgeschmackter Colofatur; sein Sohn Charles singt auch,
der andere, Hamilton Braham hat eine Kraftstimme. Der
Clavierspieler Buddaeus wird wegen seiner Bravour bei
Nettigkeit und Selbstruhe gelobt , Mme. Dulcken in den
Soireen , die sie im eigenen Hause giebt , von Moscheles
als Accompagneur und Spieler unterstutzt, ihre eigenen
Leistungen sehr von ihm gewiirdigt. Sein Amt als Be-
gleiter von Vocalsachen nennt er oft „TJngeduld erregend
durch schleppende Tempo's."
Als ein sonst eben nicht freundlich gesinntef Bericht-
erstatter seinen Tadel (man wusste nicht warum) plotzlich
in hochfahrende Lobspruche umwandelte, sitzt Moscheles,
wie gewohnlich bei solchen Gelegenheiten, ruhig schmun-
zelnd da, wahrend Frau und Kinder mit grosser Lebhaf-
tigkeit die Sache commentiren, und am Schluss sagt err
„Ja, Ihr seht, ich bin immer der gliickliche Prinz, meine
Neider konnen mir Nichts anhaben , miissen also zuletzt
doch wieder Freunde werden."
Auch in diesem Winter muss er sich die „langweilig-
sten Compositionen vorreiten lassen", eine Soiree mit-
machen, in der obenan „der erste der Haubenstockc sass,
unausstehliche Dilettanten-Musik war, und ich selbst spielte,
— aber schlecht."
Die Frau schreibt, wie man im Hullah'schen Hause
Mendelssohn's Athalia brav auffuhrt, von Moscheles be-
gleitet. Ueber Balfe's neue Oper „the Bohemian girl", die
zum ersten Mai gegeben wird, sagt Moscheles: „Die iiber-
■ .— io8 —
raschend schone Ausstattung, die leicht fliessende Musik
verschaffen ihr eine giinstige Aufhahme. Etwas Originelles
hat Balfe nicht producirt, obgleich man fuhlt, wie er da-
nach gesucht hat." Doch was hilfts, ob er sie bewundert
oder nicht? Er muss doch ein Arrangement der Haupt-
Themen machen, und der Verleger bittet sogar, es moch-
ten „two books" werden.
Von Jullien's Promenade-Concerts kann man nur sagen,
dass sich in diesem Jahre noch mehr Publikum zusammen-
drangt, um eine Beethoven'sche Symphonie zwischen Qua-
drillen, einen Walzer mit obligatem Kettengerassel, Polka's
und Galopp's mit Cornet a Piston; Janitscharen- Musik,
kleine, grosse und grosste Trommeln zu horen. Das flauto
piccolo spielt er noch immer in siegesgewisser Stellung,
ganz vorn am Orchester, und in dem musikalischen Ton-
gemalde „Die Zerstorung von Pompeji" von Roch Albert
giebt es Tonlarm, Krachen, Gebet, Bacchantentanze, Orakel,
Finsterniss und feuerspeienden Lustre; also grosse Effecte
fur grosse und kleine Kinder. Jullien weiss seinen Qua-
drillen-Ohrenkitzel auch mit Witz zu mischen; so will er
an irgend einem Irish lake ein Echo entdeckt haben, das
Alles verkehrt wiedergiebt und bringt es bei seinen
Irish Quadrilles folg'endermassen an:
i
£ B= j Ecto; §f=£g=
Es folgen ahnliche Effecte, uber deren Unglaublich-
keit und Verschiedenartigkeit der Musiker staunt.
— log —
1844.
Am i. Januar sagt das Tagebuch: „Heute fiel mir
wieder der Contrast zwischen der Feier dieses Tages in
Oesterreich .und der Geschaftsthatigkeit Englands auf.
Hier merkt man keine Auszeichnung, und urn auch Eng-
lander zu sein, arbeitete ich an dem Clavierauszug von
Handel's Allegro e Pensieroso fur die Handel-Gesellschaft."
,,Spater sollte Mendelssohn den Messias iibernehmen, hatte
aber Bedenken wegen der vermehrten Instrumentation
von Mozart", sagt das Tagebuch, „und so ward ihm
„Israel in Egypten" vorgeschlagen."
In diesen Monat Januar drangen sich schon einige
fremde ICiinstler, wie der Cellist H. aus Cassel, „ein auf
Mord . und Todtschlag ausgehender Spieler, dessen Bra-
vouren zwar durch Kuhnheit frappiren, aber sonst keine
Wirkung hervorbringen." Auch eine Harfenspielerin 1st
da „und spielt Bravouren von Parish Alvars." „Der Clavier-
spieler B. bringt eine ultra-schwierige Fantasie eigener
Composition, spielt sie nicht nur, sondern will sie mir auch
dediciren. Ich spreche von fehlendem Schatten und Licht,
womit ich eigentlich den Mangel an wahrer Musik meine,
undgenug, ich suchte geschickt auszuweichen." Beschlossen
wird- der Januar durch eine Vorlesung des Professor T.
iiber alte Kirchenmusik. „Unbescheidener und unrichtiger-
weise setzte er der englischen die Krone auf, schimpfte
auf die italienische <und hielt die deutsche nicht einmal
einer Erwahnung werth. Das nennt man Einbildung."
Im Gegensatz zu all' dieser Unbill bot die Schwester-
kunst grosse Geniisse durch den Besuch von Bildhauer-
undMalerateliers; auch die wissenschaftlichen Vorlesungen
in der British Institution wurden, werm moglich, besucht,
und die deutschen K-lassiker der Jugend durch Lesen mit
vertheilten Rollen zuganglich gemacht.
Aber wahrend wir diesen Dingen einen niichtigen
Moment widmeh, hat sich schon wieder ein musikalisches
Ereigniss zugetragen. „Der dreizehnjahrige Joachim ist
nach London gekommen, er bringt einen Empfehlungs-
— xio i —
"brief von Mendelssohn, aber sein Talent ist die beste Em-
pfenning," Gleich wird „eine kleine Musik" fiir ihn ver-
anstaltet. „Erst", sagt das Tagebuch, „freute ich mien iiber
ihn und E. zugleich, wie sie Mendelssohn's schones D-moll-
Trio machten, dann uberraschte mich Joachim's mannliches
und brillantes Spiel in Variationen von David und Rondo
von De Beriot. Das ist wieder einmal ein echtes Talent."
Moscheles ftihrt ihn in's erste Philharmonische Con-
cert, „darnit er doeh auch hore, wie's in London her-
geht", aber es geht nicht besonders gut. Die Musiker
standen kampflustig in Reihe und Glied, griffen auch gut
an, zur Verfeinerung des Geschmackes im Vortrag von
Beethoven, Spohr und Weber geschah nichts. Buddaus
auf dem Klavier, Parish Alvars auf der Harfe liessen ihre
Bravouren horen, der Gesang war gleicbgiiltig."
Die Frau schreibt: „Moscheles hat schon lange dar-
iiber nachgedacht, wie er unseren Madchen etwas „Theorie"
beibringen konnte, ohne sich und sie zu langweilen und
hat endlich den Beschluss gefasst, ihnen noch. einige
Damen zuzugesellen, mit denen er sie gemeinschaftlich
unterrichtet. Er will die Sache nach Art der franzosischen
Klassen von Mr. Roche einrichten und hofft durch An-
stachelung des Ehrgeizes im raschen Antworten der an
sich trockenen Sache, Leben und Interesse zu verleihen."
Die eingeborenen Musiker benutzen die Winterszeit zu
offentlichpn Matineen, ehe der Continentalstrom der Saison
das Eiland musikalisch iiber fluthet; es fehlt auch nicht an
offentlichen Diners und sonstigen mit Musik verwebten
Productionen , bei denen Moscheles bethatigt ist; aber
auch Sivori und Ernst sind schon da, und mit Letzterem
zugleich tritt er im zweiten Philharmonischen Concert auf.
Das Tagebuch sagt: „Ich spielte mein G-moll-Concert mit
dem Ivraftaufwand der Mannesreife und ward sehr gut
aufgenommen; ebenso Ernst mit Spohr *s Gesangsscene.
Seine gigantischen Variationen iiber den „Pirata" riefen
einen Beifallssturm hervor."
In der Italienischen Oper hort man die reizend jugend-
liche Grisi mit Mario, Fornasari und Lablache in den Pu-
■ : — nI — . ,
ritanern. „So gesungen", sagt das Tagebuch, „gefallt jede
Musik, mag sie nocli so leicht, ja seicht sein; und die
Cerito im Ballet war auch unwiderstehlich anziehend, so
dass wir die spate Stunde vergassen und bis zu Ende
blieben." Im Drurylane-Theater gab man Benedict's Oper,
„the Brides of Venice." „Sie hat das "Verdienst einer guten
Behandlung der Sings timmen und schoneOrchester-Effecte;
sie ward gut aufgenommen und der Cornponist gerufen;
die Sanger liessen viel zu wiinschen iibrig." Spater heisst
es: „Unglaublicli und doch wahri In dem Morgen-Concert
von Madame Caradori- Allan begleitete ich zweiundzwanzig
— sage zweiundzwanzig Gesangsstiicke, welche die Concert-
geberin* die Grisi, Persiani, Lablache Vater und Sohn mit
Frau, Mrs. Sliaw, Mario, Fornasari, Corelli und Staudigl
sangen. Und dazu ein Heer von. Instrumentalisten.
Joachim spielte Ernst's Othello -Phamasie und uberwand sie
meisterlich. Die neueste Klavier-Importation L. v. Meyer
donnerte eine eigene Fantasie iiber Lucrezia Borgia her-
unter, rund, schnell und kraftig, aber wo war die Seele?"
Die Frau meldet: „Nachdem ieh Obiges fiir Euch aus
dem Tagebuche copirt, seht Ihr Moscheles im Geiste mu-
sikalisch brach liegen, aber Ihr irrt. Der Abend brachte
noch Unglaubliches, denn Moscheles und ich trieben die
Musik noch fort. Erst in Sivori's Concert, wo wir ihn
sein Concerto dramatique spielen horten, dann ging's in
die Quartett- Soiree von Macfarren und Davison, wo Beet-
hoven's posthumes Cis-moll-Quartett von Ernst gespielt,
Lieder von Mendelssohn gesungen, aber grosstentheils
vergriffen wurden. Zum Beschluss zu Mrs. Sartoris. Kein
"Wunder, dass wir diesmal ihre Musik gleichgiiltig fanden;
auch zum Anhoren gebraucht man Kraft und die unsrige
war schon in einem Tonmeer untergegangen."
Die eine grosse, unvergleichliche.Freude dieser Saison
blieb Mendelssohn's Anwesenheit. Er dirigirte fiinf Phil-
harmonische Concerts, hielt aber erst eine Vorprobe neuer
Orchester-Compositionen , u. A. der Schubert'schen und
■einer neuen Gade'schen Symphonic „Als Mendelssohn im
■Orchester erschien", sagt das Tagebuch, „wurde er mit
. -f
na —
Liebe und Enthusiasmus aufgenommen, wie sich's gehort.
Unter seiner permanenten Leitung miissen sich die Con-
certe heben. Mich driickten oft die mittelmassigen Auf-
fiihrungen und doch wollte man keinen permanenten Di-
rector zu ihrer Verbesserung anstellen; jetzt fiihle ich
mich befreit. Im ersten Theil hatten wir Mozart's Es-dur-
Symphonie, C-moll-Concert von Sterndale Bennett, eine sehr
interessante Composition im Mozart-Styl, sein Spiel be-
deutend. Gesang zwei Mai Madame Castellan, sehr gut,
und die Leonoren-Ouverture. Z we iter Theil: Mendels-
sohn's A-moll-Symphonie. Sie erregte allgemeine Freud e;
mir bot sie eine interessante Reihenfolge von Geniissen.
Die Instrumentation ist vortrefflich, pikant, neu." Die
Musik zum Sommernachtstraum erregte so grosse Be-
geisterung, dass sie nicht nur im fiinften, sondern auch
im sechsten Philharmonischen Concert — diesmal im Bei-
sein des Hofes aufgefiihrt werden musste, und im achten
ergotzte man sich an der genialen Walpurgisnacht, Nie-
mand mehr als Moscheles, der das neue Werk schon „im
Hochgenuss" von Mendelssohn am Clavier gehort hatte.
Einmal spielt Joachim Beethoven's Violin-Concert meister-
lich, einmal lasst Mendelssohn das G - dur- Concert des
Meisters mit seinen eigenen improvisirten Cadenzen horen,
und ausser den Beethoven'schen Symphonien giebt man noch
zum ersten Mai eine Suite von Bach. „Welche Geniisse
haben wir wieder dem herrlichen Freunde zu danken!
Aber auch das Publikum ist dankbar und die Direction
mit ihm.'.' Zwischen diesen Philharmonischen Concerten
gab es die genussreichsten Abende mit ihm und Klinge-
mann im Moscheles'schen Hause; Alsager giebt Mendels-
sohn zu Ehren eine Musik, wo sein Quartett und Quintett
von Joachim vortrefflich gespielt werden; „bei Chorley",
sagt das Tagebuch, „setzte Mendelssohn der Musik die
Krone auf, indem er erst einige Lieder ohne Worte, dann
eine fantasiereiche Improvisation spielte. Zu meiner grossen
Ueberraschung wahlte er erst das Thema meines G-moll-
Concerts, dann -einen Takt aus den Pensees fugitives, die
ich eben mit Ernst gespielt hatte und endlich die Ballade
— 113 —
aus Benedict's Oper „the brides of Venice." Es wechselten
geistreiche Verwickelungen , contrapunktische Satze, don-
nernde Octaven mit melodischen, Herz und . Gemiith ari-
greifenden Phrasen." NatSrlich verherrlicht Mendelssohn
den Geburtstag am 30. Mai, bringt auch einen zweiten
„rothen Bogen" rnit Randzeichnungen , ahnlich dem in
1832 beschriebenen, und setzt unter diesen die leider un-
erfullt gebliebenenWorte: „So Gott will, to be continued."
Zwei Tage spater hcisst es: „Nach Ayrton's Diner
mussten Mendelssohn und ich zusammen improvisiren; er
zwang mich, oben zu sitzen; ich folgte mit dem hochsten
Interesse seinen Inspirationen, erst iiber eine Melodie im
englischen Balladenstyl, dann iiber „see the conquering
hero"; in Alles hinein mischte ich das Scherzo seiner
A-moll-Symphonie." Hullah lasst seine besten Schiilerinnen
Mendelssohn's Motetten singen und zum Schluss phantasirt
der Meister, spater singt der befreundete Kreis, durch die
Schiiler unterstiitzt, die Walpurgisnacht im Hullah'schen
Hause, Mendelssohn accompagnirt; „aber die Zuhdrer ver-
langen stiirmisch eine Wiederholung des Ganzen, und sa
setzte ich mich an's Clavier, um dem sehr erschopften
Freunde die Miihe abzunehmen." Es ist unmoglich, alle-
Familien zu nennen, die sich um ihn bemiihten, in deren
Hausern er spielte, alle Kiinstler herzuzahlen, die er in
ihren Concerten unter stiitzte; er spielte wiederholt das
Bach'sche Tripelconcert, immer mit Moscheles, zuweilen
mit Madame Dulcken oder Benedict. Mitunter mussten
die Freunde auch Kreisleriana zusammen ausstehen. „In
Dulcken's Matinee sassen wir nebeneinander und waren
iiber die Gehaltlosigkeit der modernen Clavierphantasien
ganz einverstanden", fiihrt dasTagebuch an, „Mendelssohn
lachte, als ich behauptete, die Wasserstrome der No ten
schwemmten alle musikahschen Gedanken weg." „In
Ayrton's Soiree spielte L. v. M. wieder rollend; das Stuck
der schonen Pianistin Miss W., die Charles Dickens ein-
gefiihrt hatte, klang wie ein Blumensalat mit Rosendl und
Spitzbuben - Essig angemacht. "Weber's Einladung zum
Tanz, das „Duett" aus Mendelssohn's Eiedern dhne "Worte
Moscheles' Leben. II. g
■■■>:--;
■— ii4 — .
und die Coda aus Thalberg's Mose waren darin ruckweise
ineinandergemengt. Zum Schluss spielte ich mit Mendels-
sohn seine Musik zum Sommernachtstraum, dann phanta-
sirten wir zusammen recht begeistert."
„Paulus" wird in Exeter- Hall gegeben , und die
beiden letzten Tage von Mendelssohn's Anwesenheit in
London noch sehr genossen: „Fruh hatten wir eine trau-
liche Unterhaltung, bei der ich ihm seinen Standpunkt
den Verlegern gegeniiber, recht klar machte; er muss
ordentliche Honorare verlangen." Ein Brief der Frau er-
zahlt: „Mendelssohn bleibt der liebenswiirdige Freund bis
zum Augenblick der Trennung. Er gab vor, er reise
gleich nach dem 8. Juli, wo er das letzte Philharmonische
Concert zu dirigiren hatte, verabredete aber mit uns eine
Zusammenkunft aller gegenseitigen Freunde in unserem
Hause fiir eben den Nachmittag, so wie eine Soiree bei
Klingemann fiir den 9. Juli, Wie gern Alle herbeikamen,
konnt Ihr denken und auch das glaubt Ihr mir, dass die
Musik ausgezeichnet war. Moscheles' Es-dur-Sonate von
ihm und Mendelssohn, die Preziosa-Variationen von Beiden,
die Variations serieuses und der herrliche Gesang der
Sartoris, das AUes kann ich nicht beschreiben und noch
weniger das Zusammen-Phantasiren, das im Vorgefiihl der
Trennung gewiss einzig in seiner Art war. Alle, denen
dieser Genuss zu Theil wurde, sind dankbar, am dank-
bar sten ich selbst, denn das sind goldene Stunden!..."
Das Zusammenfassen von Mendelssohn's Anwesenheit
hat uns bis in den Juli gefiihrt; doch rmissen wir zum
Mai und zu Moscheles' Angelegenheiten zuruckkehren.
Er unternahm ein Concert zusammen mit Ernst, der im
Concertsaal selbst, von einem, bei ihm chronisch gewor de-
nen Uebel befallen wurde, dann aber doch noch, obwohl
rnit unsaglicher Anstrengung spielte. Hinterher liess ihn
die Krankheit noch Manches schwarzer sehen, als recht
war, so dass Moscheles in sein Tagebuch schreibt: „Ich
ziehe mir aus alien diesen Vorfallen die Lehre, mich nie
wieder auf eine Concert-Association einzulassen." Einige
Tage spater schreibt die Frau: ..Ernst's Zorn hat sich
™ t ^fSWg«s!V.7?9!!"Vv'- ■
115 —
ebenso schnell gelegt, als er entstanden war; der Arme
ist sehr kranklich und wohl oft iibel berathen. So er-
.zahlte er mir nach einem Hof-Concert, er habe sein Ho-
norar von zehn .Guineen als zu gering zuriickgeschickt,
und ich konnte nicht umhin, zu antworten: „Wie schade,
alle Kunstler bekommen dieselbe Summe und die Konigin
wird wohl nie erfahren, dass Site sie ausgeschlagen haben."
Er g-ab am 5. Juli noch ein Concert, worm Moscheles mit
ihm die Kreutzer-Sonate von Beethoven spielte, Mendels-
sohn das Bach'sche Concert. Das Tagebuch sagt: „Als
Mendelssohn der Miss Dolby den Erlkonig accompagnirt
hatte, spielte Ernst dasselbe Lied auf seiner Geige —
wahrhaft ergreifend. Sein Spielen eines Mendelssohn'schen
Quartetts, seine dramatische Scene, alles war gediegen
kiinstlerisch."
Der Sohn des zu fruh heimgegangenen CM. v. Weber
kam nach London, um die irdischen Reste seines Vaters
heimzuholen, die in Moorfields Chapel beigesetzt waren.
Die Maler Magnus und Jacob aus Berlin waren auch ge-
koramen und ebenso wie die geistreiche Schriftstellerin
Mrs. Jameson eine angenehme Zugabe des sich stets er-
weiternden hauslichen Kreises. Ganz unerwartet wiinschte
auch der in London anwesende Nesselrode bei Moscheles
eingefiihrt zu werden, was der russische Gesandte Baron
Brunnow ubernahm. DieFrau schreibt: „Als beideHerren,
die uns gemeldet waren, eintraten, meinte ich, der Grosse
mit dem Crachat miisse auch die beriihmte Grosse sein,
aber umgekehrt; es war der Kleine in dem unscheinbaren
Anzug ohne Orden, aber mit sehr stechenden Augen.
Hoiiich und liebenswiirdig war er, wie nur ein russischer
Staatsminister es sein kann und Moscheles spielte, ich
weiss nicht wie viel und wie lange. Auch E. musste
sich produciren und erntete viel Lob und der Refrain
zwischen den Musikstucken war immer und wieder der
ausgesprochene Wunsch, uns Alle in Russland zu sehen.
Auch der Graf Michael Vielhoursky beredet Moscheles
zu dieser Reise, und alle versprechen goldene. Berge und
Felsen, aus denen eitel Lorbeer spriesst."
— n6 —
..Vielhoursky.", fiigt Moscheles hinzu, „ist einer der
ersten Amateurs in Petersburg. Er singt russische Lieder
mit Gefuhl und Lebendigkeit und begleitet sich nicht nur
diese, sondern auch Stiicke aus einer selbstcomponirten,.
nationell inter essanten Oper, ganz vortrefflich. Er und
Nesselrode sind mir freundjich gesinnt und wollen mir
den Aufenthalt so niitzlich als angenehm machen, falls
die Grossfiirstin Alexandra sich erholt; denn wenn sie
stiirbe, so ware fur dies Jahr wenigstens nicht viel in.
Petersburg zu unternehmen." — — — Sie starb und so
ward dieser Reiseplan im Entstehen aufgegeben. Spater
schreibt die Frau: . ..,,Es ist koniisch, dass so ein Mann
wie Nesselrode sich nicht rauspern darf, ohne dass es in
die Zeitung kommt, Sogar iiber seinen Besuch bei uns-
wird geschrieben und erzahlt, wie es Moscheles erstaunt
und iiberrascht hatte, des grossen Mannes musikalisches
Verstandniss kennen 2U lernen; dieser, dem Moscheles'
Ruf bekannt, ware seinerseits nicht astonished aber highly
delighted gewesen u. s. w. Gewiss hatte die Morning
Post ein leeres Fleckchen, das sie ausfiillen musste und
„gossipte" dies." ...
Moscheles hatte sich an den. Verleger Buxton mit
Schumann's „Paradies und Peri" gewendet, musste aber
zu seinem nicht geringen Aerger horen, dass dieser das
herrliche Werk nicht verlegen wollte.
Da die Reise nach Petersburg aufgegeben worden
war, so trat der friihere Wunsch, „das liebe alte Wien
noch Einmal wiederzusehen", mit doppelter Kraft hervor,
und es ward nach mancher Berathung beschlossen, sich
in diesem Herbst mit der alteren Tochter dorthin ?u
wenden. Es ging iiber Boulogne, das ein Brief „die Vor-
stadt Londons" nennt, und wo man viele bekannte englische
Familien und die beriihmtesten Kiinstler wieder fand, sich
aber vor Concerten hutete, nach Aachen. Dort wird Halt
gemacht, weil es so viele alte Freunde giebt, die Mosche-
les wieder horen mochten und die ihn zu einetn Concert
bereden, und mit Recht, da der glanzende Erfolg nur be-
gliickend sein konnte. Eine Woche wird den Schonheiten
— H7 —
des Rheins mit semen Seitenthalern gewidmet, aber die
Frau bemerkt: „ Alle Beschreibungen der herrlichen
Scenerie unterbleiben; wir lassen Byron's Childe Harold
fiir uns reden. Jetzt sind wir in Frankfurt, Mendelssohn
in Soden; was kann schoner sein?" Es wurden Besuche
hiniiber und heriiber gemacht und viel musicirt. „Der
■soeben in Frankfurt .versammelte Pianisten-Congress ist
nicht gering", schreibt Moscheles. „Dohler und Leopold
. von Meyer geben Concerte. Die alteren Freunde Aloys
-Schmitt, Wilhelm Speyer, Rosenhain und Hiller begegnen
mir musikalisch, die liebenswiirdige Frau des verstorbenen
Freundes Ferdinand Ries sah icli gern wieder, Frl. Grau-
mann singt hiibsch, Dr. Reiss brachte mir seinen begabten
jungen Sohn, Gutzkow gesellt sicb gern zu uns Musikern
und ist selbstverstandlich eine angenehme Zugabe zu
unseren Abenden. Die anderen hiesigen Musiker -habe
ich Eucb schon genannt und ich kann sagen, sie nehmen
mich mit offenen Armen auf, behaupten auch, ich nriisse
Concert geben." . . . Wirklicb kam es den 25. September
dazu, und da der Messe halber alle Locale vergriffen
waren, so gab es keinen anderen Saal, als den eigentlich
zu kleinen Miihlens'schen. Mendelssohn spielte das Hom-
mage a Handel mit Moscheles, dieser viele Solo's, das
Publicum bezeigte sich dankbar, und Alles' verhef ganz '
nach Wunsch. Lassen wir uns aber durch einen Brief
der Tochter, am nachsten Tage geschrieben, hinter die
Coulissen fiihren. Sie erzahlt) „Ich bin die einzige Schreib-
fahige. Mutter muss leider eine ihrer bosen Migranen
aushalten, Vater fertigt mit einem halb unterdriickten
„dass dich das Mauserle", einen Diener der Frau *** ab.
Diese Dame, die sich nur fiir Dohler und sein Spiel zu
inter essiren scheint, sagte Vater ganz von Oben herab:
Wollen Sie uns Karten fur Ihr Concert schicken? Er:
Gern, aber wie viele? — Nun fur alle ***. Er: Ich habe
nicht die Ehre, die Zahl der Familienglieder zu kennen
und bitte daher zu bestimmen. — Nun, schicken Sie zwei
Dutzend. — Diese Art war schon sehr unangenehtn, eben-
so ihr Nichterscheinen gesterh Abend, wahrend sie in
■Vr 2 ' Z" 1 7
; — us —
Dohler's Concert den Ton mit Applaus angegeben hatten,
doch- aber mit ansehen mussten, dass sein Saal halb leer
blieb. Nach alledem kommt heute ein Diener, zu fragen,
was Frau *** schuldig sei? — Das war ein bischen zu
viel fiir meinen geduldigen Vater, er riimmt in einiger
Aufregung einen Concertzettel vom Tisch und giebt ihn
dem Diener mit den Worten: „Eine Empfehlung an Frau
*** und die Preise der Platze waren unten bemerkt",
worauf der etwas verwundert abzog. Im Zimmer geht's
ein und aus wie in einem Taubenschlag. Kunstler kommen
und gehen, um Vater zu seinen gestrigen Erfolgen zu
gratuliren, darunter ist auch der Violinspieler Boucher,
der Napoleon I. ahnlich sieht und sehr viel (auf franzosisch}
spricht, nein schwatzt. Ich versuche taub zu sein Jetzt
musste ich aber eine Pause machen, denn Mendelssohn
kam, und fiir den unterbricht man sich gern. Nun , da
er fort ist, muss ich Euch eine wundervolle Geschichte
von gestern erzahlen, in welcher er eine Hauptrolle spielt.
Der Saal war lange vor Anfang des Concerts gedrangt
voll, und immer kamen noch Menschen; ein kleiner Neben-
saal ohne Banke stand offen, „Was werden die Frank-
furter sagen, wenn sie keine Sitze finden", sagt Mendels-
sohn zu Rosenhain? „Wissen Sie was, wir Beiden wollen
hingehen und Stiihle miethen, Moscheles darf man so
kurz vor Anfang des Concerts nichts sagen." Der gute
Freund Rosenhain ist gleich bereit, die Stiihle sind aber
nicht so leicht zu bekommen. Endlich in einer kleinen
Wirthschaft finden sich vier Dutzend. „Sie sollen gleich
geschickt .werden", sagt Mendelssohn. Aber wer bezahlt?
fragt der Wirth. „Es ist ja ein grosser Kunstler, — Mo-
scbeles — der ein Concert giebt, und es wird so voll, es
fehlt an Stuhlen — das Geld ist Ihnen sicher." — Die
Herren Kunstler, sagt der vorsichtige Wirth, geben
manchmal Concert und gehen mit dem Gelde durch, Sie
mussen mir etwas dran zahlen, Beide leeren ihre Taschen,
die nicht sehr gefiillt waren, befriedigen aber den Wirth,
und nun steigen sie in eine Droschke, Mendelssohn setzt
zwei der Stiihle mit hinein, zwei vorn zum Kutscher und
^ iig — ■
ruft: „Nach dem Miihlens'schen Saal, aber fahreri Sie
recht schnell." So kommen sie an, die andern vierund-
vierzig Stuhle hinterher, und das Publicum hat Platz.
Dennoch sassen Madame Mendelssohn, Mutter und ich
den ganzen Abend auf zwei Stuhlen. Was Mendelssohn
aber weit mehr als die Stuhlgeschichte aufregte, war,
dass Vater in seiner As-dur-Etiide unten das tiefe Bass-C
zugesetzt hatte. „Damit hast Du mich iiberrascht", sagte
er, „das ist ein prach tiger Effect, der darf nicht vergessen
werden, ich will ihn in Madame Moscheles ihr Album
schreiben." Schnell holte ich es und dann zeichnete er
noch die Droschke, sich, Rosenhain und die Stuhle hinein,
aber nur ein halbes Pferd — „das kann ich nicht aus-
wendig machen", behauptete er."...
Von Frankfurt ging es nach Darmstadt, wo Mosche-
les bei Hof spiel te und Concert gab; dann nach Heidel-
berg, dessen Schonheiten die Eltern mit der Toehter
durchliefen, nach Cadsruhe, wo sich die alten Freunde
Haizinger's zu ihnen gesellten, und die Grossherzogin (eine
Wasa), hochst liebenswiirdtg war. „Sie empfing meine
Frau und Toehter mit Kussen", sagt das Tagebuch, „ich
musste ihr viel vorspielen, E. auch und zuletzt spielte sie
selbst mit dieser aus dem vierhandigen Arrangement des
Paulus." Moscheles giebt ein Concert im Theater, „der
hochst interessante Schriftsteller Auerbach" wird in einem
befreundeten Hause angetrofien, wo er „das.Habermus"
und andere Gedichte in alemannischer Mundart vorliest.
Man macht einen Abstecher nach Baden-Baden und dann
geht's fort nach Stuttgart. Dort sind die Aufforderungen
zu einem zweiten Concert nach dem ersten sehr dringend,
aber in Augsburg ist Moscheles schon angekiindigt. Von
dort her schreibt er seiner Frau nach Stuttgart:
„Nachts 10 Uhr. Nachdem mein Programm gemacht
war, ging ich in's Theater, um mich meinen Sangern vor-
zustellen. Der Director Legler empfing mich mit offenen
Armen, das schon costiimirte Personal nicht minder.
• Titus war „clemente", Vitellia lachelte herablassend, Sex-
tus im Tricot (also gunstiger fiir die Entfernung berech-
- ■ - — 120 — ■
net) naherte sich mir demungeachtet und erinnerte mich
daran, dass wir uns schon aus Wien kennen. Wer aber
fallt mir als Chordirector in die Arme? Hummel's' Sohn,
der mir gleich seine Dienste als Accompagnateur anbot.
Ueber hiesige Familien und meine gute Aufnahme bei
ihnen iibermorgen miindlich. O wie schon!..."
In Stuttgart sind Lindpaintner, Max Bohrer, Pischek,
Molique, mit denen viel privatim musicirt wird, und die den
Concerten doppeiten Glanz verleihen; es sind vortreffliche
Dilettanten dort, und die Aufnahme bei ihnen so herzlich,
dass man sich am 27. October ungern trennt, um nach
Munchen zu gehen. — Von dort aus schreibt die Frau r
„Hier scheint ein langerer Aufenthalt unvermeidlich, denn
die Ftisse einer Ballet-Tanzerin, der Elsler, stehen Mo-
scheles' Handen storend entgegen; sie tanzt bis zum
6. November noch sechs Mai, und absorbirt Orchester
und Publikum. Spricht aber Moscheles von Abreise ohne
Concert zu geben, so widersetzt sich Alles; Kapellmeister
Lachner, Graf Pocci, Graf Seinsheim, Baron Poissl, Grafin
Me]*ean : alle diese und noch Andere wollen fiir ihn laufen,
sprechen oder schreiben, um einen friiheren Concerttag,
als den 9. November zu erlangen." Dennoch musste es
trotz aller Bemiihungen bei diesem bleiben, aber die
Zwischenzeit veriliegt blitzschnell im Ansehen der Kunst-
schatze, im Verkehr mit echten Kunstliebhabern und
Kiinstlern. Die Bekanntschaft mit Kaulbach, die
sein Schiiler Asher vermittelt, bietet grosse Gemisse,
man ist viel in seinem Atelier und Moscheles sitzt ihm
fur eine Zeichnung „Er kommt wiederholt im Dammer-
stiindchen, wenn ich meine Finger exercire, in's Hotel",
schreibt Moscheles, „sitzt, die Hand vor den Augen, neben
mir und hort zu." Die Frau bcschreibt eine komiscbe
Aventiire im Kaulbach'schen Atelier: „Esbestehtaus ver-
schiedenen Raumen. In dem einen, grossten, malt er eben
sein Jerusalem; es ist beinahe fertig und wir sehen so
gern zu, wie er, in seinem Pelz dastehend, die letzte Hand
an das Meisterwerk legt. In einem daranstossenden
Zimmer steht ein Clavier; gestern, als wir da waren, bat
— 121 , —
-er Moscheles Etwas zu spielen; als dieser aber eben recht
im Zuge ist, wird Kaulbach leise abgerufen; wir horen
lautes Reden, Moscheles nicht, und erst als Kaulbach und
Konig Ludwig neben ihm am Klavier stehen, wird er sie
gewahr. Nun findet die Majestat gleich das rechte Wort:
„Freut mich, wollte zu einem Kiinstler, finde zwei. Und
die Damen?" Wir werden vorgestellt und miissen auf
Befragen des koniglichen Inquirenten frei bekennen, dass
ich die Mutter, E. die Tochter, dass ich aus Hamburg,
sie aus London stamme, und was der interessanten Urn-
stande mehr sind. Natiirlich muss Moscheles spielen und
■sich lob en lassen und dann verabschiedet sich die Majestat.
Hinterher erzahlt Kaulbach, wie der Konig es ungern
sehe, dass er „fur den Preussen arbeite" und ihn deshalb
heute im Atelier einigermassen zur Rede gestellt habe.
E. will die Scene gleich von Asher illustrirt haben
und besitzt nun diese Zeichnung, treffend und wahr."
Auch Graf Pocci bereichert die Albums der Familie mit
■semen unnachahmlich schonen Federzeichnungen , und
Kaulbach schenkt der Frau eine seiner Original-Hand-
zeichnungen zu Schiller's Raubern, „ein Meisterwerk".
Man muss die feine Ausfuhrung dieser Zeichnung gesehen
haben, um zu begreifen, dass die Familie Moscheles sie
anfanglich fur einen Stahlstich hielt und erst bei genauer
Besichtigung den Schatz gehorig wiirdigen lernte. Der
alte, schon sehr erschopfte Moor ruht in einem Lehnstuhl,
die neben ihm sitzende ,Amalie, ihre Hand liebreich auf
des Greises Arm gelegt, liest ihm aus der heiligen Schrift
vor — Franz , getreu nach Schiller's Beschreibung in
seiner ganzen Widerwartigkeit dargestellt, druckt die
Hand auf die Thiirklinke. als er sie die Worte aus-
sprechen hort: Und Jacob trug Leid um seinen Sohn lang-e
Zeit. — Seine Cainssunde ist in seinen Zugen zu lesen. —
Zur naheren Erklarung aber ist der Brudermord noch in
einem an der Zimmerwand hangenden Bilde dargestellt.
Ja , Kaulbach hat es verstanden , in dieser , Miniatur-
zeichnung das ganze Elend der unglucklichen Familie
Moor bildlich zu verwirklichen und seine Phantasie ver-
r- 122 —
leiht der des jugendlichen Schiller neuen Reiz und Aus-
druck.". ..
Tags nach dem Concert ist das Zimmer uberfullt von
Gratulanten und an „ ordentliches Schreiben nicht zu
denken", berichtet die Frau; „nur so viel in aller Kiirze,
dass der Abend wunderschon war — so schon, dass ich
ihn um keinen Preis hergeben mochte. Der ganze Hof
war dort, der Konig circulirte (wie gewohnlich sagt rrian)
im Zwischenact im Saal, und die jungen Madchen behaup-
ten, er frage dann oft: wie alt?" und bei seiner Taubheit
miissten sie laut antworten, worauf es gewohnlich heisst:
„Und noch keinen Mann!" Aber mehr und ausfuhrlicher
aus "Wien. . . . Doch ehe sie dahin abreisen, sclireibt Mo-
scheles an Frau von Lieben: „Das Herz pocht mir, liebe
Freundin, wenn ich in der nahen Zukunft ein fortgesetztes
"Wiener Leben sich spiegeln sehe. Mit Gottes Hiilfe
wollen wir in der Er inner ung an die Bliithenzeit vergan-
gerter Jahre schwelgen. Bis dahin, wie immer, Ihr alter
Freund I. Moscheles."
Von Wien aus wird uns eine Beschreibung der Reise
gemacht, die uber Salzburg ging, und dann heisst es in
einem Briefe der Frau: „Wir sind gliicklich hier am
Stefansplatz gelandet, und der ehrwiirdige alte Thurm
sieht uns gerade in unsern zweiten Stock hinein. Mosche-
les ist aus, um Kiinstlervisiten zu erwidern, denn viele
seiner alten Freunde waren schon beiihm und die Herzen,
scheint es, fliegen ihm wie friiher entgegen. Diese Reise,
die eigentlich keine Kunstreise sein sollte, und es doch —
man weiss selbst nicht wie — geworden ist, hat ihm
grosse Freude gemacht. Ueberall als Liebling aufgenommen,
umringt von alten Freunden und neuen Bekannten, erfolg-
reich in jedcr offentlichen Unternehmung, ist es eine Er-
quickung fur Geist und Kdrper, sich in der Arena des
Clavierspieles siegreich herumzutummeln, anstatt ewig in
London zu schulmeistern; er geniesst das sehr, E. und
ich vielleicht in erhohtem Grade fur ihn, denn Wenigen
wird wohl das Gliick zu Theil, so zu reisen, wie wir es
thun; das empfindenwir dankbar... Umringt, wie Moscheles
— 123 —
in Wien lebt, bleibt ihm keine Zeit zum Briefschreiben,
und wir mochten daher seine kurzen Tagebuchnotizen
hintereinander folgen lassen, um seine Ansichten iiber das
Musikwesen Wiens als ein Ganzes aufzustellen.
„Haydn's Jahreszeiten in der Reitschule. gehort Die
Hasselt-Barth vortrefflicb." „Statt Beethoven ist jetzt Doni-
zetti die Sonne der Musikwelt, Mich erwarmt sie ..nicht,
leuchtet mir auch nicht voran auf neuer Bahn."... „Bei
Hof war gestern einc Soiree, wo der Professor Wolff aus
Jena eine Improvisation sprach; aber Musik hatten sie
auch, namlich Klatke, Kiinstler auf der Mundharmonika,
und Moreau, Kiinstler auf der Guitarre." . . . „Frau von
Cibbini ist noch aus der guten alten Zeit iibrig geblieben
— und erst die Baronin Erdmann, geb. Erdody! Ich Uess
ihr keine Ruhe, sie musste mir Beethoven's Cis-moll-Sonate
vorspielen und es ging noch vortrefnich. Das ist eine
interessante Reliquie des guten Clavierspiels." . . . „Dass
Frau von Beer, fur die ich als Fraulein Silny mein vier-
handiges Rondo in A schrieb, es heute mit mir probirte
und Vortreffliches leistete, war eine scheme ' Jugenderinne-
rung,"... , Aloys Fuchs besuchte mich, um mir Handel's
M. S. Cantate con stromenti „Hero und Leander" zu zeigen,
1707 in Rom fur den Cardinal Ottoboni componirt und im
Jahre 1834. in Fuchs' Besitz gekommen. Sie fangt an:
:f =?*—?=£
Qual ti ri-veg-go oh Dio.
, Jaell brachte mir seinen zehnjahrigen Wunderknaben
Alfred, der schon Ausserordentliches leistet. Er will mein
Kindermarchen offentlich spielen und ich gab ihm einige
Anweisung dazu." . . . „Nicolai's Oper „Die Heimkehr der
Verbannten" gehort. Gut dramatisch, aber zu sehr ita-
lienisch abgeniitzt." . . . „Saphir's Concert im Josefstadter
Theater. Heindl begaqn es mit Floten- Variation en iiber
ein Schweizerlied — Furore — Ich spielte Serenade ohne
Beifall — Kindermarchen ohne Beifall — Ungarischen
— 124 —
Marsch, Beifall und zwei Mai hervorgerufen. Demoiselle
Neumann und Frau Rettich declamirten. Brume spielte
Bravouren auf seiner Geige mit Beifall und Wiederholung.
Saphir gab zum Schluss eine Vorlesung mit Humor und
"Wortspielen — das Beste, wie er sagt, von der Censur ge-
strichen — ein Capital, das er sich fiir seine alten Tage
aufspart." . . .
„Prume's Oper gehort. Langweiliges Sujet, Musik aus
verbrauchten italienischen Formen zusammengesetzt; die
Hauptrolle spielte die abgedroschene Tiroler Cadenz for-
tissimo vom Chor, den Solosangern und den cornets a piston
unisono herausgeschrien. Freunde des Componisten liessen
diese Stellen wiederholen und suchten die Oper vor ihrem
zweideutigen Schicksal zu retten." . . . „Musikalische Soiree
bei H. v. V. — Wolff improvisirte in gebundener Rede;
ich spielte ein paar Etiiden und auf Verlangen das ewige
Kindermarchen auf einem „Streicher", den der Herr vom
Hause durch sein Schlagen schon verstimmt hatte. Frau
Hasselt sang Lieder seiner Composition, ein Flotenspieler
sauselte und meckerte allerlei Variationen." , . . „Don Juan
mit Frau Hasselt und Draxler war ein grosser G-enuss."
„Von alien Diners, diewir hier mitmachen, war dasgestrige
in Hietzing im Domeyer'sehen Local das Interessanteste ;
fiir den Gaumenkitzel ist uberall gesorgt, aber hier war
statt der gewohn lichen Unterhaltung die vor tref niche
Tanzmusik des jungen Strauss, Walzer, Polka's und Ga-
lopp's, bei denen Einem das Essen im Leibe tanzte." . . .
„Randhartinger's osterreichische Lieder mit Zither-
Begleitung sind nationell pikant."
„Wohlthatigkeits-Concert im Karnthner Thor-Theater.
Ueberfiillt, kaiserliche Familie dort. . Publicum warm, era-
pfanglich fiir Alles. Ouvertiirc zu Cortez; sehr gut aus-
gefiihrt." „Der liebe alte Freund Dessauer liess mich
schone Lieder seiner Composition horen; ich musste ihm
vorspielen,"... „In der Concordia fmde ich viele der alten
Ludlamisten zu meiner Freude wieder. Castelli, der rriir
erzahlt, dass er jetzt 1300 Tabaksdosen in seiner Samm-
lung besitzt, von Vesque, Proch, Marsano, Stern (Geiger),
— I2 5 —
Grillparzer, Deihhardstein , ICuffner, Lannoy, Fischhof,
Prume, Hauser, Randhartinger. Anschiitz declamirte, ich
phantasirte auf einem „Streicher", Prume spielte. Schone
Kupferstiche von Stober waren ausgestellt." „Fischhofs
Besuch bereitete nrir einen hochst interessanten Abend,
denn er brachte Bach'sche M. S. Concerte, die wir pro-
birten. £r will mir auch einige von seinen derarjigen
Schatzen mit nach London geben." „Der Cellist H: * aus
Miinchen hat viel Bravour, ist aber unpoetisch wie
Bairisch Bier." „Der gewisse schreiende S. braehte sein
Wundertochterchen und folterte meine Ohren durch sein
Peroriren und das Geklimper des.Kindes. Endlich durch
den Brieftrager erldst." „Wir wollten E. das Local des-
Redoutensaales zeigen, wo ich Walzer und Menuett zu-
gleich zu horen pfiegte, da ich den Effect oft scherz-
weise anrKlavier nachahmte; jetzt giebt es kein solches
Durcheinander mehr, da man nur im grossen Saal zu
Strauss' vortrefflicher Musik tanzt."...
Moscheles giebt in Wien drei Concerte, am 23. No-
vember, 3. und 17. December, spielt als Novitat sein Pa-
storal-Concert, die Erinnerungen an Irland, mehr ere der
charakteristischen Etiiden, und auch Beethoven's Es-dur-
Concert und As-dur-Sonate, aber auch die alten Alexander-
Variationen werden wieder verlangt, wie gern er sie auch
ignorirt hatte. Zu dem Hommage a Handel wirbt er den
jungen Pauer, „der sie vortrefflich spielt" und ihm grosse
Freude durch das Eingehen in seine Intentionen macht.
Der Dr. Bacher ist bei alien Einrichtungen seine re.chte
Hand, bei alien Schwierigkeiten sein Heifer. Die Frau
schreibt: „Man lacht, wenn wir von einem dreiwochent-
lichen Aufenthalt sprechen und nennt die Idee unmoglich.
Ein Moscheles, der seit 18 Jahren nicht in Wien war,
kdnnte wohl wie Liszt den Winter hier zubringen. Es ist
namlich eine Hetzjagd von Concerten — morgen an dem
einen Tage giebt's deren fiinf, und der erste ganz freie
Tag, sagt man, sei der 26. December; heute haben wir
den 16. November. Der Adel halt noch a l'anglaise seine
Jagden , und eine hier ' anwesende Pester musikalische
— '' 126 —
Notabilitat rath Moscheles, dessen Riickkunft abzuwarten,
indem er einstweilen nach Pest geht und dort spielt.
Graf M. D., der den Schliissel zu den Hofconcerten fiihrt,
behauptet, jetzt im Advent ga.be es deren keine, und vor
Mai fande schwerlich eins statt. Wie Ihr Moscheles kennt,
nimrat er diese Sachen sehr ruhig, freut sich des iiberaus
herzlichen Empfanges, den uns der grosse Kreis seiner
Freunde und Anhanger bereitet, und hat, wie er sagt,
fur diese, schon den 23. d. M. zu seiner Matinee fest-
gesetzt." . . .
E. schreibt Tags nach derselben; „ Es war prachtig,
^Vater von dem vollen Saal als alten Liebling empfangen
zu sehen, immer drei Mai gerufen, das Kindermarchen
wieder verlangt, als er es aber zum zweiten Mai anfangen
wollte, so heftiger Applaus, dass er seinen armen Riicken
erst zu einer Menge Complimenteri beugen musste, ehe er
es, spielen durfte. Zum Schluss der Improvisation iiber
Beethoven's A-dur-Syniphonie brachte Vater das Liedchen:
S'giebt nur a Kaiserstadt etc., das war ein Jubel! Die
gewissen murmelnden Bravo's, die durch den Saal gingen,
kamen von Herzen und hatten Euch ebenso erfreut, wie
Mutter und mich. Schon im Saal wurde der 28. fiir das
zweite Concert festgesetzt, es geht also Schlag auf
Schlag." ....
Es wurde nothwendig, dies zweite Concert auf den
3. December zu verlegen, an dem es, mit womoglich noch
gesteigertem Beifall stattfand. Auch das dritte Concert
erlitt einen achttagigen Aufschub, weil der Hof trotz des
Advents ein Concert fiir Moscheles ansetzte. „Dies ist
ganz ehrenvoll", schreibt die Frau, „doch durchkreuzt all 1
der Aufschub unsere Plane unangenehm, und wie ungern
wir uns von dem neugebackenen Kammer - Virtuosen
Seiner K. K. Majestat trennen, wir eilen zu Euch und
den Kindern. Die Theater sind herrlich, von der Burg
an bis herunter zum Elysium, und' Alle stehen uns durch
die OKite der Abonnenten offen. Das Haus von Eskeles
kann ich nicht genug riihmen, denn es ist wie unser
eigenes; friiher war ich dort Tochter, weil sie Moscheles
— 127- — ' -
in seiner Jugend als Sohn behandelt hatten, nun geht die
Liebe auch auf E. iiber. ... Wir haben einem pracht-
vollen Toison-Fest beigewohnt, wo zwei ganz junge Erz-
herzoge, die in blau und weissem Atlas reizend aussahen,
zu Rittern des goldenen Vliesses geschlagen wurden. Der
arme kleine schwachliche Kaiser Ferdinand konnte nur
mit Hulfe seines Kollowrat das grosse alterthiimliche
Schwert heben und den Jiinglingen die Akkolade geben.
Die Kaiserliche Familie in Hirer Loge, die Ungarisclie
Hobelgarde mit Edelsteinen ubersaet, der antike Ritter-
anzug mit Turban und Mantel merkwurdig, und das Ganze
hochst imposant." ...
Am 12. December Tags nach der Abreise von Frau
und Tocbter schreibt Moscheles iiber seine traurige Stim-
mung. „ Ich fesselte mich an mein Clavier, um die
Grillen dieser plotzlichen Trennung zu verscheuchen."
Ein zweiter Brief desselben Datums um n Uhr Nachts
sagt: „Du fahrst jetzt in die kalteNacht hinein, ich komme
eben aus dem Hof-Concert und will mit Dir wachen, um
Dir dariiber zu berichten, Es fand in dem von Kaiser
Leopold mit den schonsten florentinischen Mosaikbildern
geschmiickten Saal statt, auf die der Kerzenglanz magische
Reflexe warf. Die Gesellschaft war etwa 200 Personen stark,
vorn auf der ersten Reihe die ganze k. Familie. Alle
unterhielten sich gemuthlich mit mir,. sagten mir auch
viel Schones, und die Kaiserin-Wittwe fragte, ob es nicht
im Jahre 1824 gewesen, wo sie micb in Prag nach einer
Krankheit gehort, Sie hatte Recht. Die Erzherzogin
Sophie erinnerte sich meiner am Munchener Hof. Beide
batten auch von meiner Frau und Tocbter gehort, und
wie Letztere ein so schones Talent habe. Erzherzog Carl
gedachte der ihm unter meiner Mitwirkung gebrachten
Serenaden in Baden, Erzherzog Franz Carl hatte mich oft
bei und mit seinem Bruder, dem Erzherzog Rudolf ge-
hort, Mit der Improvisation ware es beinahe schlecht ge-
gangen. Ich bat die Majestaten um ein Thema und sie
wahlten etwas aus „Linda di Chamounix" von Donizetti.
Natiirlich war ich gezwungen, mir das Armuthszeugniss
— 128 —
zu geben, dass ich diese „herrlichste aller Opern" merit,
kenne, worauf man mir unbelesenem alten Zopf denn
Themen aus Mozart'schen Opern vorschlug. Ich nahm
„batti, batti"und dasChampagnerlied, dann imHinblick auf
den Helden Erzherzog Carl, zum Schluss noch „See the
conquering hero." Der Kaiser sagte: „War das letzte nicht
der Marsch aus der Vestalin?" worauf ich: „Etwas Aehn-
liches", und die Kaiserin schnell mit der Frage einfiel:
„ob ich in "Wien Oder Prag meine Schule gemacht?" Um
10 1 j x Uhr entfernte sich der Hof, es wurde Eis gereicht,
und das Confect, das ich dazu nahm, steckte ich fur die
Kinder ein. — Gute Nacht, denn ich habe viel fur's Con-
' cert zu thun; wie schon, wenn ich erst einen Brief von
; Dir bekomme" ....
Am 13. December schreibt Moscheles: „Gut, dass wir
uns zu der temporaren Trennung entschlossen haben,
denn mein hiesiger Aufenthalt spinnt sich neuerdings aus.
Graf Szechenyi war eben bei mir, um mich fur den 19.
zur Erzherzogin Sophie und Erzherzog Franz Carl zu be-
fehlen, bei welchen ich spielen soil. Die Art und Weise,
wie ich iiber das Handel'sche Thema phantasirt, hatte
in ihnen den Wunsch erregt, mich iiber Gluck'sche Motive
improvisiren zu horen. Ausserdem verlangte der Graf
eine Speisekarte meiner Compositionen als Auswahl fiir
den Abend, das Kindermarchen als Confect, und schliess-
lich wurde bestimmt, ich solle Mittwoch Abend zu ihm
kommen, wo wir eine Probe aller bei Hof zu spielenden
Stiicke halten wiirden. — Ein komisches Zwiegesprach
hatte ich mit Graf Moritz D., die Feder eines Hoffmann
wiirde es Dir besser beschreiben; ich erzahle Dir's nur
schlichtweg. £r kam, rausperte sich und sagte: „Fiir Ihr
schones Spiel bei Hofe habe ich Ihnen dieses (ein Roll-
clien Dukaten) zu iibergeben." Ich nahm es, sagte aber,
wie mir irgend ein Andenken der hohen Herrschaften
mehr werth sein wiirde als Geld, worauf er: „Aber was
' thun's mit so a Man's Nipperl? schau'ns der Pruime kriegt
auch Geld, aber nit so viel wie Sie — es sein 60 Duk."
; Ich wiederholte, er wiederholte, endlich sagte ich, wie ich
V^^tv! 1 '•" . ■ " ;;-'-£■■' --. ■-%■'■ ■■' '■= - "- ; ■• - -■?- '"•*■' ?■■;■ '*.-".' ■- ■ '
— 129 — ,
auf seine giittge Vermittelung fiir die Erfiillung meines
Wunsches recline. Die Excellenz wurde weich, verlegen
undsagte: „Na, geben Sie mir das Geld, ich will sehen
was zu thun ist, morgen sollen Sie Bescheid haben." —
Eben, wie ich diesen Brief abschicken will, bringt rair
schon der Graf drei Diamant-Hemdknopfe und sagt: „Ich
hoffe, die treffen Ihren Geschmack, sind auch gerade von
dem Werth des Geldes." Ich bedankte mich hoflichst
fiiir seine Miihe und die Sache war abgethan."
„Wieviel ich seit Deiner Abreise wieder mitmachen
musste, davon imindlich; Du kennst es ja, nur dass jetzt
iiberall von Euch die Rede ist. .... Ein grosses rausi-
kalisches Leid hatte ich auszustehen. Mendelssohn's Lob-
gesang von der Gesellschaft der osterreichischen Musik-
freunde aufgefiihrt; fiir mich ein Hochgenuss, aber ich
sass wie auf griinem Rasen von Eisschollen umgeben;
ich durfte dem Irdischen entriickt,* mit dem Tondichter
in hoheren Spharen schweben, durch nichts gestdrt, durch.
kein Handeklatschen abgezogen, denn das Pubhkum sass
cla in starrem Gleichmuth. Der Choral, das „Huter, ist
die Nacht bald hin", riihrte mich bis zu Thranen. Tritt
_ +
Herr Hoschek, Musiklehrer, zu mir und sagt: „Ist das
nicht kunstvoll zusammengestoppelte Musik?" Ich war
wie aus einem Luftballon heruntergestflrzt, verbiss den
Ingrimm und sagte: „Wie man's nehmen will." Bei'-m
Schlusschor raumte das Wiener Volkchen schon den'Saal;.
die Schoberlsuppe rief. Die Wenigen, die blieben, gaben
so matte Zeichen des Beifalls, dass ich an das Knistern
eines erloschenden Raminfeuers erinnert ward." . : . .
Ein Brief vom 17. December sagt: „Vom Concert nach
Hause kommend, in welchem der Enthusiasmus fiir mich
aufs hochste stieg, gonne ich mir keinen Moment Ruhe
und berichte Dir. Das vielmalige Rufen kennst Du, den
sturmenden Beifall auch, Beides ist hier so gang und gebe,
dass es keinen Eindruck macht; aber ich weiss nicht,
warum mich die Demonstrationen des Publikums wahreiid
meines G-moll-Concertes weich stimmten, so dass ich mir
selbst Gewalt anthun musste, um kampffahig zu bleiben.
Jloscheles' Leben. 31.
— 13° —
Im „Hommage a Handel" wurden wie in Leipzig schon die
letzten 20 Tacte durch Beifall iibertont, was mich beson-
ders fur meinen jungen Compagnon Ernst Pauer freute,
der eben so bescheiden als tiichtig ist. Die Alexander-
Variationen kannst Du Dir denken. Nun habe ich noch
das Hof-Concert, dann kommt die Abreise". . . .
Aus Prag schreibt Moscheles: „Ich habe gestern in
Begleitung der Geschwister das Grab meiner Eltern be-
sucht und mich mehr beruhigt als erschiittert dadurch
gefiihlt. Ueberhaupt thun rair die ruhigen Tage fern von
hoffartigen oder faden Besuchen und wissbegierigen Col-
legen gut. Bei Lemel's bin ich immer gern, da sie mich
wahrhaft herzlich aufnehrnen; sonst vermeiden wir es,
Jemandem von meiner Anwesenheit zu sagen. Ein Con-
cert wurde mich zu viel Zeit kosten , so will ich nur
meinen armen leidenden Bruder trosten und unterhalten,
indem ich ihm von meinen letzten Erlebnissen in Wien
erzahle Nun den Kindern noch ein Wort: Liebe
iilteste Tochter! Du hast gewiss von Deinem zerstreut
tollen "Weltleben den Hamburger Verwandten schon ge-
nug erzahlt und bist eben zu Athem g-ekommen. Jetzt
sehe ich der Zeit entgegen, wo Du Dicb mehr mit Dir
selbst beschaftigen und Deinen Geschwistern als Weg-
weiser auf dem Gebiete der Bildutig dienen wirst! ....
Du liebe S., wirst das Wiedersehen mit Deiner geliebten .
Mutter gewiss als einen gliicklichen Wendepunkt " nach
der Prufungszeit der Entfernung ansehen und es durch
diese doppelt geniessen. — Lieber F., wenn das optime,
das der Lehrer unter Deine Arbeit setzte, sich auf Dein
ganzes Betragen beziebt, wirst Du stets meiner Zufrieden-
heit, meiner Liebe gewiss sein. Nimm Dir vor, das optime
durch's Leben als Wahlsptuch zu behalten. — Dic.h, mein
Kleinchen, hoffe ich als grosses Mamsellchen wiederzu-
sehen. Nimm Dich nur in Acht, wenn Du mir bei'm
Wiedersehen um den Hals springst, dass Du mich nicht
umwirfst. Adieu"
In Dresden findet Moscheles viele concertgebende
Kiinstler, wie Dohler, Piatti, Mortier de Fontaine u. A.,
t
— 131 — : ■ ■
kiindigt daher das seinige fiir den 7. Januar an und. geht
nach Leipzig, wo er am 1. Januar im Gewandhaus-Concert
spielen soil. Das Wiedersehen mit Hauptmann, David,
Gade, Joachim, Frau Frege, dem ganzen musikalischen
Kreis iibt den gewohnten Zauber auf ihn aus. „Das ist
eine echt kiinstlerische Atmosphare, in der sich's gut
Musik macht" schreibt er seiner Frau. „Meine Probe ist
sehr gut ausgefallen, David dirigirte mit dem baton und
wir hatten nicht ein einziges Mai anzuhalten. Ein Violin-
spieler, Bazzini, soil hier in der Maurer'schen Concertante
mit David, Ernst und Joachim grossen Effect gemacht
haben und eine von Ersterem dazu geschriebene Cadenz
electrisch gewirkt haben. Gestern iibte ich mich mehrere
Stunden auf dem Hartel'schen Instrument ein. Abends
war ich bei David's und zwar allein, da alle von ihm da-
zu Geladenen an diesem Sylvester-Abend schon versagt
waren ; darunter der jetzige Concert-Director, der j unge Gade,
der einen Mozartahnlichen Kopf hat. David spielte mir
seine M. S. Variationen in G-dur iiber ein eigenes Thema,
Variationen iiber ein schottisches Lied, Alles pikant; auch
begleitete ich ihm aus der Parti tur Mendelssohn's neues
Violin-Concert, fiir ihn geschrieben. Es ist sehr schon, das
letzte Stuck Mendelssohnisch feenartig hiipfend; der ganze
Abend war genussreich. Um n Uhr ging ich nach Hause,
gab m einen Gedanken Audienz und begriisste das neue
Jahr mit dem Gedanken an Dich und die Unsrigen! —
Es bedarf aller meiner Thattgkeit, um mir unsere lange
Trennung ertraglich zu machen, — aber wie gross, wie
ungetriibt s telle ich mir das Wiederfindeii vor! . . .
1845.
Moscheles schreibt an 'seine Frau:
,, Leipzig, 1. Januar 1845, Morgens 7 Uhr.
Gliick und Segen zum neuen Jahr! Gestern Nacht
schrieb ich Dir, heute will ich noch Einiges nachtragen.
9*
— I 3 2 —
Schleinitz sprach mit mir wegen der Annahme einer Stelle
am Conservatorium , gab mir auch zu gleichem Zweck
einen Brief an den Minister von Falkenstein in Dresden;,
ich konnte naturlich, unvorbereitet wie mir die Idee kam,
nur antworten, wir wiirden seiner Zeit daruber sprechen.
— Ein Herr Preusser, der statt des kiirzlich verstorbenen
F. Kistner Concertdirector ist, hat als Vormund von K.'s
Tochter bestimmt, dass die Musikhandlung nicht verkauft
werde, und hat alle dabei betheiligten Kiinstler — auch
mich — ersucht, unsere Beziehungen aufrecnt zu erhalten,
Es soil ein sehr bliibendes Geschaft sein,
Abends nach dem Concert. Erst jetzt kann ich fort-
fahren. Erst kamen Leute zu mir, dann machte ich musi-
kalische Besuche, probirte mein Trio mit David und Witt-
mann bei Hartel, horte Bach's herrliche Motette (G-moll 3/,),
ass bei David mit Gade, Hauptmann und Joachim und
machte Toilette fur's Gewandhaus- Concert. Saal iibervoll.
Mendelssohn's ftinfundneunzigster Psalm herrlich.
Ouvertiire zu Gluck's Iphigenie.
C-moll-Symphonie Beethoven, vortreffiich mit Piano's.
Miss Lincoln, die Verwandte von Dilke's, sang zwei
Mai brav.
Mein G - moll - Concert sehr gut begleitet und aufge-
nommen.
Nach dem Concert bei - David mit Gade , Schleinitz
u. A "
Das Tagebuch sagt am 2, Januar: „Besuche der Musi-
ker empfangen und ihnen vorgespielt. Um 2 Uhr nach
Dresden, Abends in Dohler's Concert. Er spielte alte
"Sachen mit Ausnahme einer htibschen Ballade in H-dur.
Piatti vortreffiich, Wieck, Reissiger , Fiirstenau u. A. ge-
troffen. Thee bei Kaskels, spater zu Hiller."
f 3. Januar. „Interessante Besuche gemacht und em-
pfangen, u. A. Mme. Schroder-Devrient, Wagner, R. Schu-
1 mann. Um 2 Uhr zuriick nach Leipzig. Concert-Anstalten
fur den 7. d. M. In der Kammermusik mein Trio gespielt
mit Wittmann und David. Alle andern Stucke mit An-
dacht angehoxt und aufgefasst."
:i--*r
— i33 —
Am 4. Januar. „Zuruck nach Dresden. Gutzkow's
-,,Urbild des Tartuffe" gesehen, und mich kostlich unter-
halten. Emil Devrient als Moliere ausgezeichnet."
Am 5. Januar. „Mein Zimmer wurde so voll von
Besuchenden, wie Du es in Wien kanntest, und da yiele
Kunstjunger mid manche Wunderkinder darunter waren,
so ist es gut, dass ich kein Clavier habe. Hiller gab mir
eine grosse Matinee, bei der alle Kiinstler und Kunstlieb-
haber zugegen waren; wir spielten meine Es-dur-Sonate,
ich allein viele Stucke, Alles enthusiastisch aufgenqmmen.
Abends mit Hiller 's in die neue Marschner'sche Oper „ Adolf
von Nassau". Sie hat viel Schones in dramatischer Be-
ziehung, die Instrumentation ist ausgezeichnet, nur in zwei
Stiicken fand ich unverkennbare Plagiate von Spohr und
Donizetti. Der Componist wurde zwei Mai gerufen, ob-
wohl das Publicum gegen Ende zu erkalten schien, Nach
dem Theater fand ich bei den Freunden G.'b eine grosse-
Gesellschaft , in welcher Hofrath Carus eine Vorlesung ,
iiber seine Reise nach England als Begleiter des Konigs
von Sachsen hielt."
Am 6. Januar. „Lipinsky und Reissiger „steckten"
■es mir noch zur rechten Zeit, dass sich einige Kapellisten
wegen Mangels an personlicher Einladung zu meinem
Concert beleidigt fiihlten und schnell machte ich es gut.
— Eine traurige Stunde verlebte ich bei Frau von Weber.
Ich fand sie neuerdings in Thranen urn einen erwachse-
nen Sohn, der vor Kurzem in ihren Armen starb. Die
-arme Frau! Ich konnte ihr meine tiefste Theilnahme
nicht versagen — aber mein Besuch war ihr auch trost-
lich Jetzt ist es J / 2 2 Uhr Nachts und die Fort-
setzung folgt, wenn ich ausgeschlafen habe " ,
Am 7. Januar, wieder 11 Uhr Nachts. „Mein heu-
tiges Concert fiel uber alle Maassen brillant aus; der
schone Saal des Hotel de Saxe iibervoll, der Hof in
«iner Loge, Alles was ich spielte, mit Enthusiasmus von
Publicum und Kapelle applaudirt, ich jedesmal hervorge-
rufen (gleichbedeutend mit sechs Mai in Wien). Ich spielte
heute mein G - moll - Concert mit doppelter Leidenschaft,
— 134 .— '
das Kindermarchen wurde sturmisch wiederverlangt. Ich
improvisirte (dem Ort angemessen) liber Tenorarie und
Lach-Chor aus dem Freischutz und man sagt, es sei mir
Alles besonders gut gelungen. Die Kapellisten umringten
-und ertrankten mich in Lob. Viel Aufselm erregte das
Bach'sche Triple-Concert, dessen Cadenz sich vortrefflich
steigerte. Mme. Schumann spielte die von mir componirte,
darauf improvisirte Hiller die seinige ausgezeich.net schon,
und ich fiihrte auch improvisirend den Schluss herbei, der
effectvoll wurde. Die Schroder sang auch ganz begeistert,
so dass man mir allgemein sagt, es sei eins der schonsten
Concerte in Wahl und Ausfiihrung gewesen. Bei dem
Freunde Hiller zum Thee. Und nun auf baldiges gluck-
liches Wiedersehen " „Morgen babe ich hier noch
vollauf zu thun, dann einen kurzen Aufenthalt in Leipzig
und Berlin; dariiber aber morgen aus Leipzig Naheres,
damit ich mir die Freude Deines Entgegenkommens be--
reiten kann " „Noch vergass ich zu berichten, dass
mich Minister von Falkenstein auf den Brief von Schlei-
nitz hin ausserst freundlich empfing und mir Alles be-
statigte, was dieser mir schon uber das Leipziger Conser-
vatorium gesagt hatte: dass manNichtssehnlicherwiinsche,
als Mendelssohn's Aeusserung zu bewahrheiten ; er selbst
wiifde gern Director des Instituts , und mochte , dass ich
die Leitung des Glavierspiels iibernahme. Bis jetzt, sagte
die Excellenz, fehle es noch an Mitteln, urn Mendelssohn
und mir einen geniigenden Gehalt anzubieten. Doch wiir-
den Beide, Falkenstein und Schleinitz, mich stets im
Auge behalten, auch den K6nig von ihrem Wunsch in
Kenntniss setzen , mich auf diesem Posten zu sehen. Ich
glaube, Beide sind mir wohlgesinnt und so habe ich Aus-
sicht, wieder ein deutscher Kiinstler zu werden und das
modische Schulmeistern abzustreifen "
Der nachste Brief von Moscheles an seine Frau ist
aus Berlin, 10. Januar 1845, 2 Uhr Nachmittags.
„Ehe ich Dir uber die hiesigen Zustande berichte, sollst
Du horen , wie ich meine Zeit zubrachte , seitdem ich Dir
aus Dresden schrieb. Ich hdrte ein schones Gewandhaus-
— i35 —
Concert in Leipzig in der Loge der Directoren, die mir
sammtlich ihr Bedauern ausdriicken , mich nur im Fluge
hier zu sehen. Freitag friih spielte ich bei Hartel vor
einigen Kiinstlern und Freunden die Manuscript - Etiiden,
die ich bei Kistner zur Herausgabe fur die Mozart-Stif-
tung lasse. . . . Zur Theaterzeit in Berlin im Hotel du
Nord und gleich- in die Oper ran Meyerbeer's „Feldlager
in Schlesien" zu horen. Aus dem Brief von ihm," den ich
Dir schickte, weisst Du, dass ich mich vorher gemeldet
hatte; audi fand ich ein Balkonbillet im Hotel vor. Meine
Ueberraschung uber das magnifike Opernhaus lasst sich
nicht beschreiben. Dieses und die pikante Musik, Costume,
Ballete, Decorationen liessen mich nicht zu Athem kom-
men. Wahrhaft entziickt hat mich Jenny Lind. Sie ist
einzig in ihrer Art, und eine Arie mit zw'ei concertanten
Floten vielleicht das Unglaublichste, was man an Bravour
horen kann; ich muss Dir noch viel dariiber erzahlen.
Der arme Meyerbeer musste vom Dirigentenpult an's Bett
seiner Tochter Blanca eilen, der en kranker Zustand sich
gerade wahrend der Oper bis zur Gefahr gesteigert hatte;
so konnte ich -ihn nicht mehr sehen. Alle Freunde haben
mich mit offenen Armen empfangen und Niemand begreift
mein Davoneilen. Aber der Zeitaufwand fiir ein Concert
oder das Spielen bei Hof ware enorm, wie ich aus Meyer-
beer's und Graf Redern's Berichten sehe. Der Konig ist
nach Strelitz gereist (NB. Rossi's auch), Prinz und Prin-
zessin von Preussen durch eine achttagige Reihenfolge
von Ballen und Gesellschaften in Anspruch genommen,
der Concertsaal fiir's franzosische Theater eingerichtet, ist
nicht zu haben, der Saal der Singakademie nur nach acht-
tagigen Vorbereitungen zu • benutzen , der Director des
Konigsstadter Theaters verreist (vielleicht zu meinem
Gliick, denn es soil schwer sein, mit ibm fertig zu wer-
den). Lord Westmoreland und "Witzleben verreist, nur Jenny
Lind, die herrliche und doch so bescheidene Sangerin hatte
ich das Gliick, zu Hause zu treffen. Morgen muss ich
noch, um nicht unhoflich zu sein, ein grosser Diner bei
Graf Redern mitmachen und dieselbe Nacht geht's fort. . . ."
' - - 136 - . ■'
„Meyer beer's Tochter ist in der Besserung; er war liebens-
wiirdig eingehend in meine Absichten, kann aber an den
Verhaltnissen und meiner Eile nichts andern. Er unter-
hielt sich auch mit mir iiber Mendelssohn's schones Ver-
haltniss ziim Konig ". „Wenn Eisenbalm und Eil-
wagen ineinander passen , so habe ich das Gliick , Dich
Dienstag Abend zu umarmen, doch wer kann darauf rech-
nen? Dein Entgegenkommen ware also unthunlich. ..."
Nach einem kurzen Aufenthalt in Hamburg kehrt die
Familie Moscheles nach London zuruck. Von dort aus
schreibt er: „Die AufKihrungen in Exeter-Hall sind wie-
der geisterfrischend underhebend; das franzosische Theater
durch Mile. Plessy, Lemaistre und Mile. Clarisse stets un-
terhaltend; Mendelssohn's Antigone in Goventgarden trotz
der Unvollkommenheit der Chore doch genussreich." Auch
im eigenen Hause \yird Mendelssohn gesungen, derFreund
Hullah hilft mit seinem Chor, Frl. Schloss und Mrs. Shaw
sind machtige Stiitzen; man wagt sich sogar an einige
Stiicke der Matthaus-Passion.
Sir Henry Bishop wird zum permanenten Conductor
derPhilharmonischenConcerte erwahlt, Moscheles schreibt :
„Wie ist es moglich , ihn Bennett vorzuziehen , der doch
thurmhoch iiber ihm steht? Solche Erlebnisse befestigen
in mir den Gedanken, mich dereinst nach dem musikali-
schen Deutschland zuriickzuziehen. Bis es aber dazu kommt,
halte ich mich in Dankbarkeit an old England. Habe ich
doch auch in Deutschland meine Widerwartigkeiten! Ich
darf den inliegenden ArtikeP) wohl dazu rechnen, weil
*) Der betreffende Aitikel lautet:
„Mo5cheles hat bei seinem letzten Aufejithalte in Deutschland gerade
so viel verloren, als er bei seinem ersten gewonnen, namlich 800 s£ Sterl.
(9600 n. Conv.-M.). Diese Summe hat er theils auf der Reise verausgabt,
theils bei scMecht besuchten Concerten zugesetzt. Er selbst schreibt an
etnen Freund in Prag: „Liszt Itostet mich viel. Ich glaubte es niclit, dass
man jetzt ein anderes Urtheil iiber Pianofortespiel gefasst, als mir meiner
Zeit zu Ohren lsam. Es ist leider wahr! Ich war in Deutschland, um zu
erfahren , dass ich seit Liszt rococo geworden. . Zum Gliicli besitze ich so
viel Geld , dass mich der Verlust niclit genirt , und so viel Talent , dass
<es fiir England noch immer genug ist. Dass ich in Wien nicht durclige-
'jTSSTSI'Ty^r^ ?.=. 'T .' ■:
" — I37 —
ich weiss, dass er Sie argert. Ich selbst fiihle mich meinen
Neidern gegeniiber wie ein General, der kleine Wunden nicht _
scheut, wenn er nur das Schlachtfeld behauptet. Auch hatte
ich nicht geantwortet, wenn der Hamburger Correspondent
■das Gewasch nicht aufgenommen hatte; nun bitte ich Sie,
ihm Artikel und Entgegnung*) zu schicken "
Eine tiefe Betriibniss war es, den lieben Freund Neu-
komm erblinden zu sehen; doch erloste ihn spater eine
Operation von seiner Unthatigkeit. Gegen Moscheles'
Bruder erwies sich das Geschick unerbittlicher; er erlag
seinem chronischen Leiden und geliebt wie er war, schlug
seinTod denSeinigen erne tiefe Wunde. Moscheles schreibt:
„Alleswas jetzt meinen Geistund meineZeit nothwendiger-
weise in Anspruch nimmt, ist von dem Trauergedanken
an meinen Bruder durchkreuzt und doch fuhlte ich mich
gestern bei Alsager durch die Gewalt der Kunst iiber
das Irdische erhoben. Ich musste vier Beethoven'sche So-
naten und eine Improvisation spielen und war froh, dass
•drungen, schmerzt mich am Meisten, Dort, wo ich so schon gelebt, hatte
ich nicht zu sterben gedacht, 1 '
*) Hier die Erwiderung;
London, Miirz 1 845.
Als mir urastehender Artikel von einera Freunde in Deutschland au-
rgesandt wurde , hatte ich die Absicht , ihn mit dem Stillschweigen zu
iibergehen , das ich fiir die wiirdigste Entgegnung auf eine solche Fabri-
cation halte; da ich jedoch finde , dass er seit seiner Entstehung in einem
obscuren Blatte auch den Weg in andere Publicationen gefunden hat , so
■ betrachte ich es als raeine Schuldigkeit, gegen alle die Hofe Deutschlands,
die mich im vorigen Hetbst und Winter mit so viel Auszeichnung auf-
genommen, sowie gegen das Publicum der verschiedenen Stadte, in denen
jnir so reichlicher Beifall gespendet wurde, den Inhalt des ganzen Artikels
hiermit fiir unwilir zu erklaren. Ich habe im letzten September, October,
November und December Concerte in Aachen, Frankfurt, Darmstadt, Carls-
ruhe, Stuttgart, Augsburg, Miinchen, Wien, Dresden tind Leipzig gegeben"
und dabei eben so trenig Gelegenheit gehabt , mich iiber den Eintrag zu
beklagen, den mir mein. Freund Liszt gethan haben soil, wie dies vor eini-
gen Jahren der Fall war , als wir gleichzeitig in London unsere Concerte
gaben! — Was den Ausfall gegen England betrifft, so ware ich einer solch
undankbaren Aeusserung gegen das Land, in dem ich seit 22 Jahren An-
erkennung und Erwerb gefunden, als Mann von Ehre nie fahig, und wieder-
hole daher meine ganzliche Ableugnung des Umstehenden. I. Moscheles.
' - i 3 8 -
meine Kraft in der B-dur-Sonate nicht unterlag. Beim
.Adagio in Fis-moll war mein Gefiihl am starksten ange-
regt, aber in der Fuge bedauerte ich so viel extravagante
Misstone unter den Fingern hervorbringen zu mussen.
Sie entha.lt mehr Dissonanzen als Consonanzen und mir
scheint Beethoven darin zu sagen: „Ich will ein Thema
gelehrt verarbeiten, es mag wohlklingen oder nicht."
Der Freund, Professor Fischhof in Wien, schickt
Moscheles das Bach'sche G-moll-Conccrt, in London ganz-
lich unbekannt, und er spielt es, sowie das in D-dur in
einer seiner Matineen fiir classische Claviermusik, die wie-
der grossen Anklang fin den. Auch ljisst er es den Herzog
von Cambridge auf dessen ausdriicklichen Wunsch im eige-
nen Hause horen. ,,Dieser kommt, nur von einem Groom
begleitet, bei uns angeritten", schreibt die Frau, ,,hort mit
Enthusiasmus dem Spiel zu , ist ausserst liebenswiirdig
gegen die Kinder. .... Man kann nicht freundlicher fiir
eine musikalische Stunde danken, wie der Herzog es that;
er nannte sie eine der genussreichsten , die er seit lange
verlebt."
Moscheles wird in dieser Zeit auch zu einem Concert
nach Buckingham-Palace befohlen und theilt die Ehre mit
andern Kvinstlern. „Es giebt deren eine Masse in dieser
Saison", schreibt die Frau, „und wer bekommt die Palme?
Vieuxtemps ist brav und Sivori ist es auch, aber freilich
Teresa Milanollo ist erstaunlich. Pischek, Staudigl und
Oberhoffer streiten auch um den Vorrang, Frl. Schloss.
und Mile. Meerti miissen einander Concurrenz machen, und
auf dem Clavier gab's erst ein en Todtschlager; nun sind's
aber auch schon zwei. Das singende Frankreich ist durch
die Damen Garcia, Dorus Gras, Bertucat, Hennelle und
Bochkoltz-Falconi vertreten. Alle sind uns empfohlen;
denkt Euch das Uebrige. . . ."
Moscheles schreibt: „Ich horte in der Oper Musik
von Felicien David, darunter die "Wuste. Sie giebt das
fremdartig nationelle des Orients pikant wieder. Der
Marsch der Caravane mit der obligaten Clarinette und
dem Sonnenaufgang gefielen mir, obgleich alle seine
?"■->";■; ^R?
— 139 —
Gompositionen in der franzosisch leicliten Manier gehal-
ten sind. Auch eine Quadrillen- und Polka-Oper von Verdi
fur Singstimmen, Klappentrompeten, Posaunen und grosse
Trommel habe ichtgehort; sie heisst Ernani. Am nachsten H
Abend als Contrast im Ancient -Concert, ein Concert von
Emilio del Cavaliere, 1600 componirt fur Violino francese,
Chitarra, Teorbo, Arpa, Organo, Violino etc. Die bekannte
Romanesca aus dem 15. Jahrhundert erinnerte mich an i
Reifrocke und Puder."
Sir Henry Bishop hatte die drei ersten Philharmoni-
schen Concerte dirigirt, die ubrigen funf wurden Mosche-
les iibertragen, Er redete in der Probe das Orchester
ungefa.hr so ah:
„Meine Herren! Indem wir hier zusammen auftreten,
mochte ich Ihre Leistungen mit den Fingern einer vor-
treffiich ausgebildeten Clavierspielerhand vergleichen. Wol-
len Sie mir nun erlauben, die Hand zu sein, welche diese
Finger in Bewegung setzt, darf ich diese durch alle In-
spirationen zu beleben suchen, welche mir die Meister
stets einflossen, und konnen wir uns in diesen Inspiratio-
nen begegnen, so werden wir Grosses leisten." — Ein
andermal bei Gelegenheit einer Beethoven'schen Sym-
phonie theilt er dem Orchester mit, „wie er in Wien
diese und des Meister s andere grosse Werke als Novi-
taten gehort und wie er die Traditionen der Tempo's
bewahre , die Beethoven damals in seiner Direction an-
gab." Endlich erregt er noch grosse Heiterkeit, indem er
Beethoven's Action beim Dirigiren nachahmt: das sich
mehr und mehr Herabneigen bis zum Verschwinden bei
Piano-Stellen , das allmahliche Erstehen beim Crescendo
und das sich auf die Zehen Erheben und Aufhvipfen beim
Fortissimo.
Doch vergisst Moscheles nicht hinzuzufugen: „So wie
ich aber den grossen Mann in seinen Werken nicht er-
reichen kann, so will ich mich huten, seine Action nach-
zuahmen; bei ihm war es Originalitat , bei mir ware es
Caricatur." Bei solchen Gelegenheiten driickten die Fidel-
bogen und die Klappen der Blasinstrumente ihre Zustim-
. — 14D —
mung aus und in den Concerten herrschte Zufriedenheit
und Anerkennung. Im. letzten derselben spielt er das
Bach'sche D-dur- Concert und freut sich iiber die im Or-
chester erzielten Piano's. „Mit der Zeit.wollte ich mir die
braven geschickten Leute schon zu mehr Schatten und
Licht heranbilden."
Dann reist Moscheles zum Musikfest nach Bonn und
schreibt seiner Frau von Coin aus:
„Das Wetter mumsch, glich meiner Stimmung, denn
die Trennung hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht.
Meine Philosophie muss helfen, . . . Meyerbeer babe ich
hier besucht und ihn allein mit Pischek getroffen. Aller-
seitiges ICiissen war der Anfang , viele Fragen nach
Dir die Folge, dann Festangelegenheiten. Meyerbeer
brennen die Haare auf dem Kopf, denn von morgen
an muss er hier in Coin die Proben der Hofconcerte
halten. Alle grossen Vocalsachen sollen ohne Orchester,
'nur mit Clavierbegleitung gegeben werden. Zwischen den
Proben will Meyerbeer die Auffiihrungen in Bonn mitan-
horen •'
Am 10. August kommt er in Bonn an und schreibt
Nachts n Uhr der Frau:
„. . . . Im Hotel de l'etoile d'or , dem Sitz aller ge-
krenten Musikhaupter — braun, grau oder kahl — aller
periikkirten oder lackirten Schadel, dem Versammlungs-
orte aller musik-verriickten Damen, alt und jung — aller
Kunstrichter, aller deutschen und franzosischen Rezensen-
ten und englischen Reporters , endlich des — vermoge
seiner furstlichen Gaben, Alles iiber strahlenden Liszt —
schreibe ich Dir. Kaum angekommen, traf ich Dr. Bacher
aus Wien, den Abgesandten des dsterreichischen Musik-
vereins, der mir gleich anbot, sein bestelltes Zimmer.mit
ihm zu theilen; ein unschatzbarer Freundschaftsdienst,
denn es sieht in den Strassen aus, wie nach einem gros-
sen Brande, wo Jeder nur wieder unterzukommen sucht.
Herren und Damen, darunter viele Englander, mit einem
Gefolge von Packtragern und Koffern jammern und bet-
teln um ein Unterkommen in Hotels oder Privathausern,
— 141 —
Freunde und Bekannte treffen und begriissen einander,
bunte Fahnen wehen, es ist ein geschaftiges Gewiihl, Ich
habe schon Collegen aus aller Herren Lander n gesehen
und gesprochen, war auch bei Liszt, der mit Sekretaren
und Ceremonien - Meistern die Hande voll zu thun hatte, '
wahrend Chorley still in einer Sopbaecke sass. Liszt
kiisste mich, sagte mir eilig confus einige freundliche
Worte, dann sah icb ibn erst im Concertsaal wieder, als
er der Fleyel und andern Daraen die Honneurs machte.
Zu 400 Personen speisten. wir an der table d'hote und
nach 6 Uhr fand das erste Concert unter Spobr's Lei-
tung in der neuen bretternen Beetboven-Halle statt. Die
grosse Messe in D-dur gewahrte mir zwar einen Hochge-
nuss, doch ward er mitunter dadurch getriibt, dass die
Composition vom achten Kirchenstyl abschweift, daber
nicht die Einbeit der Farbe hat, die ich an andern Wer-
ken des Meisters so sehr schatze. Die darauf folgende
neunte Symphonie wurde fast untadelhaft gegeben, der
Sopran in den Choren besser nicht nur wie in London,
sondern besser als icb ihn je gehort. Staudigl unubertrefF-
lich , die Pauken wie in London nicht reingestimmt. —
Herr Jager vom Comite gab mir einen Ehrensitz unter
den Kiinstlern. Liszt, wo er mir begegnet, besonders lie-
benswiirdig. Ich scbreibe Dir dies nach dem offentlichen
Souper im Gastbof , um mich fur die Nacht gut zu stim-
tnen. Einstweilen bleibe ich con amore, languendo, poco
a poco agitato, ma sempre giusto dein . . . ."
Aus dem Tagebuch.
11. August. „Ein neues Dampiboot ward mit vielen
Ceremonien Beethoven getauft. Der Zudrang zu seiner
ersten Fahrt mit Unordnung, Gedrange, vielleicht Lebens-
gefahr verkniipft. Unter Kanonen - Salven machte das
Schiff, in Begleitung eines andern, die lustige Fahrt nach
Nonnenwerth, wo ein kaltes Friihstiick bereit stand. Neben
Spohr und Fischhof vortrefflich placirt. • Taschendiebe
tbatig, wir verschont."
12. Augu'st. Von 8 Uhr friih Lebendigkeit in den
— I45 — '
Strassen. Versammlung der Studenten, Ziinfte etc. Unter
den Ehrengasten auf dem Rathhause gewartet, urn 9 Uhr
mit ihnen unter grossen Miihseligkeiten in die Miinster-
kirche. Beethoven's C - dur - Messe , ein erhebender reiner
Hochgenuss. Vom Miinster auf die Tribunen , die rings
um das Beethoven -Monument errichtet sind. Bis ^ 1 Uhr
den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt; sehr lastig;
endlich erlost durch die Ankunft der hohen Gaste auf dem
Balcon des Furstenberg'schen Hauses. Es waren Konig
und Konigin von Preussen , Queen Victoria und Prinz
Albert; grosser Hofstaat. Rede und Chor von, Professor
Breidenstein." „Der Enthullungs-Moment riihrte mich tief
im Innersten, besonders wegen der grossen Aehnlichkeit
mit dem "Verewigten, die Hahnel erzielt hat. An der table
d*h6te im Stern wieder dasselbe Gewiihl, ich neben Bacher,
Fischhof und Vesque; Liszt und seine Suite an Herren
und Damen dominirend; Lola Montez unter letztern." Um
5 Uhr Concert im Saal."
„Dr. Breidenstein fragte bei mir an, ob ich im morgi-
gen Concert die Adelaide accompagniren wolle; da Mme.
Pleyel darin ein Concert spielen sollte , so fand ich es
meiner Kunstlerehre zuwider, einen geringeren Dienst
darin zu leisten und schlug es ab."
13. August. „Letzter Tag des Festes. Liszt's dazu
componirte Cantate begann. Sie hat manches Wohlge-
dachte und -gefiihlte , wie z. B. die Einfiihrung des An-
dante aus dem B-dur-Trio, die angemessen und geschickt
gemacht ist. Sie hat auch gute Instrumental - Effecte,
ist aber im Ganzen bruchstiickartig. Stiirmischer Beifall
und Orchestertuch war sein Lohn. Der Hof kam nach
der Cantate und sie wurde fur ihn wiederholt. Der Konig
wahlte dann folgende Stiicke aus dem Program m , die er
mitanhorte:
Ouverturen Egmont und Coriolan, die Spohr vortrefF-
lich dirigirte. Violoncellsolo , Ganz. Weber's Concert-
stuck — Mme. Pleyel. Arie aus Fidelio — Miss Sabilla
Novello. Adelaide {schlecht gesungen) — Frl. Kratky.
Liszt begleitete."
— 143 —
„Noch muss ich iiber Liszt sag-en, dass sein Vortrag
des Beethoven'schen Es-dur-Concerts mich grosstentheils
befriedigte. Den energischen geistigen Theil des Werks
kann ich mir nicht besser denken , einiges andere hatte
ich mir gemiithlicher gewimscht."
„Als der Hof fort war, wurden noch einige Stucke
gemacht, andere weggelassen! Um 2 Uhr Festmahl im
Stern; Zudrang noch grosser als friiher. Mit dem Beginn
der Toaste gab es cine Reihe von Scenen, die an Roh-
heit und Ziigellosigkeit mir und jedem Aixwesenden merk-
wiirdig bleiben werden. Gleich nach des Konigs Gesundheit
brachte der Improvisator Wolff einen Toast, den er das
Ivleeblatt nannte; es sollte den Dreiklang reprasentiren:
der Grundton Spohr , die Terz , die Alles mit Liebe ver-
bindet, Liszt', die Dominante, die Alles zur schonen Auf-
losung fiihrt, Professor Breidenstein. Allgemeiner Jubel.
Spohr bringt die Gesundheit der Konigin von England
aus, Dr. Wolff die des Professors Hahnel, des Schopfers
des Monuments, und des Erzgiessers in Burtscheid; Liszt
die des Prinzen Albert; ' ein Professor mit einer Stentor-
stimme wird verhohnt, verlacht, man hort nicht, was er
sagen mochte. Liszt spricht (etwas verwickelt) iiber den
Gegenstand der Feier, alle Nationen wollen dem Meister
ihre Verehrung zollen, alle sollen leben, Hollander, Eng-
ender, Wiener (!!), diehieher wallfahrteten. Chelard erhebt
sich mit Ungestiim und schreit Liszt zu: „Vous avez oublie
les Francais." Viele Stimmen brechen wie Meereswogen
dar iiber herein , einige dafur , andere dagegen. Liszt er-
langt endlich das Wort, sucht sich reinzuwaschen, scheint
sich aber immer tiefer in ein Wortlabyrinth zu verstricken,
bis er den Horerh endlich klar macht, dass er 15 Jahre
unter den Franzosen gelebt und sie sicher nicht absicht-
lich hintangesetzt habe. Nun werden die. Parteien noch
ungestiimer. Viele verlassen ihre Sitze, das Getobe wird
betaubend und die Damen blass. Das Gastmahl bleibt eine
-Stunde lang unterbrochen. Dr. Wolff versucht es, auf dem
Tisch stehend , wieder zu sprechen , wird drei bis vier
Mai von seinem Platz verwiesen, und verlasst endlich den
"--;•?-
- ■ - '44 -
Saal, das Babel seinem Schicksal iiberlassend. In alien
Theilen des grossen Locals treten Parteien zusammen und
durch ihr Toben wusste man nicht mehr, um was es sich
handelte. Die franzosischen und englischen Journalist en
mischen sich rait Klagen iiber Vernachlassigungen aller
Art Seitens des Fest-Comite's in diese Wortschlacht. Als
der Tumult an Thatlichkeiten grenzt, kommt der Wirth
auf die gute Idee, die Musikbande aufspielen zu lassen;
dies ubertont die Schreier, die sich auf den Hof zuruck-
ziehen; die Kellner serviren wieder, manche Gaste, beson-
ders Damen, haben den Saal geraumt. Die streitenden
Gruppen imHof zeigten ihreziigelloseUnverschamtheitund
lacherliche Selbstsucht. Vivier und einige Franzosen nahmen
Liszt in ihre Mitte und machten ihm die schmahlichsten
Vorwiirfe: G. lief .von Partei zu Partei' und schiirte das
Feuer; Chorley war von einem franzosischen Journalisten
angegriffen worden. Mr. J. J. wollte in dem englischen
Gentleman "Wentworth Dilke einen Deutschen sehen, der
ihn vernachlassigt hatte; ich trat zwischen Beide, um
wenigstens diese ungerechte Contro verse zu enden. Ueber-
haupt versuchte ich die geistig Blasirten zu versohnen
und hielt Leichenreden uber die in Wortschwall Unter-
gegangenen. Ich selbst blieb schussfrei und neutral; eben-
so meine Wiener Freunde. Um 6 Uhr Abends verliess ich
betaubt den Schauplatz des Skandals, der mir in den
Ohren nachhallte. Zum musikalischen Kaffee bei der Grafin
Almasy, aber nicht auf dem Festball, sondern lieber dies
geschrieben und ein paar Stunden mit Fischhof verbracht,,
der mir seine „Theorie des Transponirens" zeigte. . . ."
Es giebt ein altes franzosisches Scherzgedicht : „Vous
m'envoyez le lendemain un billet date de la veille." Etwas
Aehnliches sollte Moscheles zu Ende des Bonner Musik-
festes erfahren. Ihm war keine Einladung von Meyerbeer
Oder Liszt zu den Hofconcerten in Stolzenfels und Coblenz
gemacht worden, zu denen manche seiner Kujistbruder
auf circulirenden Listen befohlen wurden; er reiste da-
her am 14. nach Coin, traf dort mit seiner Familie zusam-
men, widmete zwei Tage den Schonheiten des Doms und
— H5 — ■ "
einigen Freunden. Erst am 17., also nach seiner Abreise,
erreichte die folgende Sendung Coin:
„Verehrter Freund! Se. M. der Konig, der erfahren
hat, dass sie in diesen Gegenden sind, hat befohlen, Sie
einzuladen , dem Hof - Concerte beizuwohnen , welches der
Konig in seinem Schlosse zu Coblenz morg-en Abend,
Sonnabend den 16. giebt. Diesen mir sehr verehrten Auf-
trag giebt mir diesen Augenblick der Herr Graf von
Redern im Namen des Ivonigs. Aber es ist Mitternacht,
das Concert in Stolzenfels ist eben voriiber, und es ist
daher nicht moglich, Ihnen diese Zeilen vor Sonnabend
friih nach Coin abzusenden, mogen sie nicht zu spat kom-
men. Auf jeden Fall werden sie Ihnen ein Zeichen der
achtungsvollen und freundlichen Erinnerung sein, in wel-
cher Ihr Name beim Konig steht. Herzliches Lebewohl,
thedrer Freund. Ihr ganz ergebenster *
Meyerbeer."
Herr Lefebre vom Hause Fck in Coin hatte dies
Billet mit einigen Zeilen des Bedauerns begleitet, da er
voraussah, dass sie Moscheles nicht rechtzeitig zukommen
wiirden. Als Moscheles dem Schwiegervater eine Copie
derselben einschickt, schreibt er dazu:
„Ich tiberlasse es Ihrem Scharfsinn, das „Warum"
und „Wieso" dieser Transaction zu ergriinden; warum
ich nicht schon in Bonn zugleich mit den andern Kiinst-
lern zu den Hofconcerten geladen wurde? Wieso des
Konigs Befehl mich nicht rechtzeitig erreichte? Ein konig-
licher Bote , Sonnabend friih den 16. d. M. von Stolzen-
fels abgesandt, musste mich schnell in Coin treffen, meint
man "
In ihren Genii ssen durch diesen Zwischenfall nicht
gestort, macht die Familie Moscheles die Rheinfahrt gleich-
zeitig mit der Prinzessin von Preussen, und geniesst auf
dem Dampfer erst ihre huldvolle Unterhaltung , dann
Abends, den herrlichen Effect der fur sie beleuchteten
Berge und Ruinen, „ein feenhafter Anblick."
Ein stilles, freundliches Eckchen des Lichtenthals bei
'Aloachelcs' Lebcn. II. * to
— I46
Baden nimmt sie und die Familie Rosenhain auf , „und
; - es ist kein Ende der Spaziergange, der Pieknicks iri der
reizenden Umgegend."
i Felicien David ist in Baden und spielt Moscheles seine
Es - dur - Symphonie aus der Partitur vor. „Die Musik
hat viel melodischen Fluss, ist nicht vulgar, auch farben-
reiche Instrumentation hat sie, nur nicht immer Einheit
im Styl,"
Aus dem Badischen geht es nach Paris, wo Mosche-
les seine Sonate symphonique componirt und sie dann
mit Halle, spater rait seiner Tochter in befreundeten ktinst-
lerischen Kreisen zu Gehor bringt. Tags vor seiner Ab-
reise wird er nach St. Cloud befohlen, wo man die auch
in der Oeffentlichkeit besprochene neue Composition horen
will. „Am 23. November", sagt das Tagebuch, „mit E. nach
* St. Cloud, von der koniglichen Familie freundlichst em-
pfangen. Die Konigin, Mme. Adelaide, die Herzogin von
/.; Orleans mit ihren Damen und Cavalieren beim Thee, der
Konig kam aus einer anstossenden Galerie, urn die Sonate
zu horen, die E. sehr brav spielte; sie musste auch Solo
spielen; ich phantasirte a la Gretry, des Konigs Lieblings-
genre. Alles machte den best en Eindruck." So schliesst
der Pariser Aufenthalt. — Im December erreicht Mosche-
les ein gewichtiger Brief- von Mendelssohn. „Wird er",
heisst es darin, „die oft besprochene Uebersiedelungsidee
wahr machen und am Leipziger Conservatorium mit ihm
zusammenwirken? Welch' herrliche Fruchte liessen sich
fur die Kunst und fiir die Freunde von Deiner Annahme
erwarten! DassDirdas Leben hier zusagen wiirde, bezweifie
ich keinen Augenblick, da Du das Leben dort so ansiehst,
wie Du mir sagst. Auch gestehe ich Dir offen, dass Alles,
was ich von dem dortigen Treiben jetzt hore, was ich
zum Theil vor ein und ein halb Jahren selbst mitansah,
' derart ist, dass ich wohl begreife, wie Dir der Aufent-
halt von Jahr zu Jahr weniger zusagt , wie Du Dich von
dem ganzen Wesen wegsehnst, . . . ."
„Nun bitte ich Dich, wenn Du irgend etwas bei der
ganzen Sache zu beriihren hast, sage es mir, und gieb
■'■ ; . . '-■■■"■■'■ ■ '■■ — m — ' ' l '. .'.■-..■'-'■ ■. ; ^
mir Gelegenheit, in einer Unterhandlung" thatig zu sein f
■die moglicherweise eine der segensreichsten werden kann,
die je fiir die hiesige Musik gefuhrt worden sind. . . ." : _' : i
Moscheles' Annahme ware vielleicht sogleich erfolgt, %
hatte der vrichtige Schritt nicht reifliche Ueberlegung ">
erfordert. Er erbittet sich also Bedenkzeit von dem ;'
Freunde und tauscht berathende Briefe mit dem Schwie- ■) '
gervater aus. " ■".-'.
fi^iFVp^^irr^-^-ZF^'K ^^V^^'^'iF~'.s : ' -:.(-_- >; : ■■■' '"^.-^'t -' ■-.'.- ~^f'-\ if" .>■
SP^SJH'P^™^^?:!--.-/ 1 ...-: :■:£■■■ 's^-ww^wj^' >:*"fKi-v-?"^;-?>L"^'.v' vv'-"- v 'i..i.^,'?:^^
S1EBENTER ABSCHN1TT.
LEIPZIG.
1846—1870.
w^m^m^^^^^'^^W^^^WW ^ - S W^£^^W^ ■?f^-> = - s T
1846.
Schon am zweiten Januar erreicht der formliche An-
trag des Leipziger Conservatoriums London; er ist in den
freundlichsten Ausdriicken abgefasst und von den Herren
Dr. Seeburg, Dr. Keil, Preusser und Schleinitz unter-
zeichnet, und wieder schreibt Mendelssohn, wie „die Aus-
sicht der Annahme ihm sehr, sehr grosse Freude macht.^
Und dann: „Am Tage, wo Du zusagst, trinke ich meinen
besten Wein und etwas Champagner obenein." Dann fol-
gen in diesem Briefe eingehende Notizen uber Einnahmen
und Ausgaben in der neuen Stellung, und zum Schluss
sagt er wieder: „Der allgemeine Wunsch der Hiesigen,
und ihre allgemeine Freude bei dem Gedanken Deines
Kommens ist dock- an und fiir sich etwas Ehrenvolles,
das freilich in keinera Verhaltniss steht mit der Ehre, die
Du den Hiesigen durch Deine Uebersiedelung erweisen
wiirdest; — aber schon ein solches wechselseitiges Verhalt-
niss ist gut und segensreich und bietet die beste Gewa.hr
fiir eine frohe Zukunft. Kurz, ich mochte, Du kamest!" —
Moscheles schreibt dem Schwiegervater am 21. Januar:
„Die Fortsetzung meiner Leipziger Angelegenheit sehen Sie
aus den beigelegten Copien der soeben erhaltenen Briefe. Ich
bin mehr als je geneigt, meine hiesige Stellung aufzugeben....
Will man hier der Mann des Publikums sein, so muss man
viele Concessionen machen und ich mochte weder in kauf-
mannischen Zwecken componiren, noch da als Lehrer fun-
giren, wo man meistentheils ohne tieferes Eindringen in
die Kunst, nur der Mode halber lernt. Natiirlich bespreche
ich die brennende Frage viel mit meiner Frau und wir
sind uns ganz einig dariiber , dass wir bei Entbehrung so
— I 5 2 — •
/
mancher Comforts — die Grossartigkeit werden wir nie
entbehren — nicht London in Leipzig such en wollen. Finde
ich dort die kiinstlerische Existenz , die ich mir erwarte,
so weiss ich gewiss, dass wir — ich obenan und meine
Charlotte in der Riickwirkung — . vollkommen befriedigt
sein werden. Bei einer Uebersiedelung wiirde ich auch
das angenehme Bewusstsein mituehmen in England , da
wo ich konnte, durch Lectionen, Spiel oder Geldmittel
ausgeholfen zu haben, auch viele Freunde zuriickzulassen,
die uns Alle ungern fortziehen sehen und deren Zuneigung
und Umgang wir in der Feme schmerzlich vermissen
werden. Dafur kommen wir manchen unserer Verwandten
um soviel miner; das ist wieder ein Gutes. Vor der Hand
spreche ich noch nicht von meinem Ruf nach Leipzig,
iiber dessen Annehmbarkeit in pecuniarer Hinsicht ich
mit mir erst einig sein muss; bin ich doch Familienvater.
Halten Sie nur ferner als President Familien-Conseil und
theilen mir das Protokoll der Sitzung mit; lassen wir uns
aber keine grauen Haare daruber wachsen; denn was das
Schicksal auch bringen moge, immer sind meine Charlotte
und ich ein so gliickliches Paar, dass wir auch in einer
Hutte zufrieden sein wiirden, immer werden wir versuchen,
unsere Kinder so gut zu erziehen, dass sie keiner grossen
Reichthiimer bediirfen, und Ihnen gegeniiber bleibe ich
heute wie immer, in London wie in Leipzig, Ihr treuer
Schwiegersohn I. Moscheles.
Am 24. Januar kommt ein Brief von Mendelssohn,
der durch seine Berechnungen die Zweifel iiber den pecu-
niaren Status beseitigt, und am 25. Januar, einem Sonn-
tag, sagt das Tagebuch: „Heute fasste ich mein Annahme-
Schreiben an das Directorium des Leipziger Conservato-
riums ab. — Nun ist der Schritt geschehen." Mendelssohn
jubelt: „Ich lasse die Hauser roth anstreichen." Noch ehe
die Neuigkeit die musikalische Welt durchlaufen hatte,
kam ein Antrag aus Birmingham an Moscheles, das dortige
grosse Musikfest im September zu dirigiren. Nur Mendels-
sohn's Elias sollte unter dessen eigener Leitung gegeben
werden. Nichts konnte fur Moscheles am Schlusse seines
tt^V - ^'7™V ' r ~f " vT.-^
" 153 _ —
Aufenthalts in England ehrenvoller und erwiinschter sein.
Er schrieb sogleich an Dlle. Lind und Pischek , um lhre
Mitwirkung fur das Fest zu gewinnen , doeh gelang ihm
dies nicht. —
Noch aber ist Moscheles in London; wie seither stets,
stellen sich wieder die Muhen der Saison ein, auch ihre
Gaste. Es giebt viel Musik, alte und neue. „Unter andern
bekamen wir Benedict's neue Oper „the Crusaders" 2U
Itoren; eine angenehme, oft dramatisch efFectvolle Mu-
sik mit pomposer Ausstattung. Cramer , Beale & Co.
verlegen sie und als ich Benedict gestern dort traf,
sagte er , wie sebr er wiinsche , dass ich etwas uber die
beliebtesten Balladen schriebe; da sie aber meine Sonate
symphonique als ein zu grosses und ernstes Werk nicht
haben wollten,' so dankte ich."
Moscheles' vier Matineen for classical pianoforte
Music sind nun auch glorreich iiberstanden und das ist
fur den "Vielbeschaftigten eine grosse Erleichterung , da
das Aufsuchen und Wahlen unter den grossen Massen
alter Musik ein weit schwierigeres Geschaft ist , als das
Spielen selbst am Concerttage. Merkwiirdig ist der wach-
sende Einfluss von jullien's Promenade - Concerts. Mme.
D. sollte dort Beethoven'sche Solo's spielen , lehnte es je-
doch ab, wahrend Sivori und seine Performances auf einem
grossen Karren mit Jullien's Concerts in ellenlangen Let-
tern bezeichnet, Regent Street auf- und abfahrt, und den
beriihmten Geiger ankimdigt.
Nicht lange, so beginnen die Sorgen und Muhen des
Farewell-Concert (Absctueds-Concerts). Moscheles will b'ei
dieser Gelegenheit dem Publikum zeigen,, dass er seine
musikalische Laufbahh in England ebenso endet, wie er
sie begonnen; es soil kein Monstre-Concert mit italieni-
schen Sangern und einem "Wettkampf von Instrumenta-
listen sejn ; er will nicht der Mode frohnen. Das Pro-
gramm soil kurz aber inhaltsvoll werden; die vortreffliche
Pianistin Mme. Pleyel will gefallig seine Sonate sym-
phonique mit ihm spielen „und sie thut es mit einer Auf-
fassung und einer Begeisterung, die mich begliickt", schreibt
r ■ - -,' ■ '. ■ i.
. — ' i54 —
er spater. Den Sanger Pischek hat er engagirt und
einige andere Freunde unterstiitzen ihn freundschaftlich.
Er schreibt dem Schwiegervater am 19. Juni: „Der Aus-
bruch des Enthusiasmus bei und nach meinem jedesmali-
gen Spielen, das Tiicherwehen , das Cheering — Alles
auf den Banken stehend, war ergreifend und bei meinen
scheidenden Biicklingen konnte ich mich der Thranen
nicht erwehren; dann blieb ich noch eine Stunde_ von
Freunden und Bekannten umringt; ja brillanter hatte mein
ofrentlicher Abschied nicht ausfallen kdnnen."
„Und" , fiigt die Frau hinzu , „es thut wohl zu sehen,
wie unsere echten Freunde es so passend und wurdig fur
Moscheles finden, von jetzt an im Verein mit Mendelssohn
eine offentliche Stelle zu bekleiden und von seinem hie-
sigen ermudenden Leben auszuruhen."
In diesen Sommermonaten ist aber noch an keine
Ruhe zu denken. Die Programme fur das Musikfest in
Birmingham miissen gemacht werden, er hat in Concerten
zu accompagniren , zu spielen und bringt wiederholt das
Bach'sche Concert mit den zwei Floten zu Gehor , das
durch ihn ein Liebling des Publikums geworden ist. Die
finishing lessons iiberdauern noch den Juli. Dazwischen
giebt die Familie eine grosse Abschiedsfete; es sind 217
Personen anwesend , und Moscheles schreibt dem Vater
dariiber:
„Gew6hnlich komme ich jetzt um ein oder zwei Uhr
zu Bette und danke Gott, dass meine Constitution, die ich
eisern nennen mdchte , die Tages- und Nach t- Arbeit aus-
halt. Gestern , oder vielmehr heute um 4 Uhr bei auf-
gehender Sonne zu Bette gegangen , schreibe ich Ihnen
jetzt um acht Uhr von unserer gestrigen glanzenden Ab-
schieds - Soiree. Musik von halb elf bis eins , dann Tanz
bis drei Uhr; Charlotte und sogar ich Alter mit der Jugend
unter den raschen Tanzern; doch ist auch sie schon auf
und sitzt schreibend neben mir , wahrend die Madchen
. ausschlafen. Heute habe ich sechs Lectionen und um fiinf
Uhr muss ich im Freemason's Hall sein, um bei einem
musikalischen Wohlthatigkeits - Diner musikalisch mitzu-
— I 55."'— - / _ :'|
wirken; morgen giebt's ausser den Lectionen das ellen- - '. ' r . : .
lange Concert einer Schiilerin zu dirigiren. . . . ."
Die Frau giebt viele Details iiber die Abschiedsge- ' -'■.. t
aellschaft und fiigt hinzu: „Die Zeitungen horeh seit dem _ v
Concert nicht auf, Moscheles' Lob zu posaunen und den ' ■■'.;;
Verlust zu beklagen, den die Kunst durch seine Ueber- ■■;■:■;
siedelung erleidet. Chorley hat ini Athenaum bei dieser f :
Gelegenheit eine Frage aufgeworfen, die mir die einzig , ; i
richtige sdheint: „Warum hat die grosse Stadt London . . ■■ -■"%
dem grossen Kiinstler nicht eine Anstellung geboten, die - ; 1
ihn eben so sicher und angenehm fesselt , wie es nun die
small burgher town thut? Das hatte all' ihren Klagen
iiber seinen Verlust abhelfen konnen " , ~J
Dieses Jahr sollte nicht nur durch die Uebersiedelung,
es sollte ein in jeder Beziehung ereignissreiches-werden, ■ ' ; -
da der Hausfreund , Mr. Roche , urn die alteste Tochter
anhielt, deren Lehrer er seit mehreren Jahren gewesen
war. Die Neigung erwies sich als eine gegenseitige; so <~
verlobte sich das junge Paar unter den Segenswiinschen ■ •.
der Eltern und feierte am 10. September seine Hochzeit.
Moscheles' Tagebuch berichtet, wie Mr. Bartholomew,
der Uebersetzer des „EHas" die Partitur des ersten Theils
bringt und „wie sich ihm schon am Clavier die Schonheit
desselben entwickele; immer mehr und mehr in den vor-
bereitenden Proben." Am 10. August ist die erste Probe
unter Mendelssohn's Leitung im Moscheles'schen Hause.
Dieser folgen zwei Orchesterproben in den Hanover-Square- ■
rooms unter gleichem Entziicken der kleinen Hdrerschaar,
„aber die Sangerinnen machen Mendelssohn zii schaffen." .".
Die Arie liegt nicht -gut in der Stimme, heisst es, er soil
sie transponiren. Er widersteht hoflichst, aber mir theilt
er seine Herzensmeirruiig „iiber "so ein ' Ansinnen" unge-
schminkt mit, sagt Moscheles. Nun geheri Alle nach Bir-
mingham, Moscheles halt sogleich eine Probe, ist aber am : .
n'achsten Tage so unwohl , dass Mendelssohn ihn in einer
Abend- Vor probe vertreten muss; wieder hergestellt, kann
er die erste Morgenproduction, die „Sch6pfung l " dirigiren.
Hierauf folgen einige Stiicke aus Rossini's Stabat Mater.
>-/-*■ .;,:-.-■*->
■ ;- i56 -
mit den Damen G-risi, Bassano und Sigr. Mario, Darauf ehi
gemischtes englisch-italienisches Programm (dreistiindig
von elf bis zwei Uhr); „das befriedigte das Publikum voll-
kommen. Abends hatte ich noch Proben verschiedener
Stiicke". .Die Frau meldet: „Wir flogen in drei Stunden
hierher und gingen sogleich in die Town Hall. Dies noble
Gebaude sieht liber alle Bescbreibung schon und grossartig
aus, und als ich meinen Mann auf diesem prachtvollen
Orchester mit Entbusiasmus empfangen sah , ergriff es
mich tief und freudig. Nacli der Probe las er noch in
seinen Partituren, ich half Mr. Bartholomew bei der Cor-
rectur des Textes, Alles bis gegen ein Uhr Nachts. Das
Fest soil ein besonders ergiebiges werden , wie der unge-
wohnlich starke Verkauf der Sperrsitze beweist. . . . Mo-
scheles wird bier zerrissen und findet wohl kaum Zeit,
urn selbst zu grussen."
„Und doch will ich sie finden" , setzt er hinzu , „bis
ich spater ausfuhrlicber berichte." Am folgenden Tage
schrieb er: ,,26. August. — Mendelssohn feierte bei der
beutigen AufFiibrung seines Eli as den grossten Triumph!
Nacb meiner Meinung hat diesWerk noch regere Schwung-
kraft, noch mehr dramatische Mannigfaltigkeit — aber
im reinsten • Oratorienstyl — als der Paulus, und stellt
ihn auf erne noch hohere Stufe." Die Frau schreibt er-
ganzend : , Ja , Mendelssohn's Triumph bei der gestrigen
Auffiihrung war etwas ganz Unglaubliches , Unerhortes.
Ich glaube, elf Nummern mussten wiederholt werden und
zwar unter Klatschen und Beifallssturm , wahrend sonst
alles Applaudiren bei diesen Musikfesten streng verpont
ist. Soil etwas wiederholt werden , so erhebt sich der
President des Fest - Comite's und winkt mit seinein Pro-
gramm dem Director 2U — das ist das Zeichen. Diesmal
aber war Alles so hingerissen, dass man dem Beifall keine
Fesseln anlegen konnte, und es ging larmend her, wie im
Parterre eines Theaters. Staudigl war ein herrlicher Elias,
der Bassist Phillips vortrefflich und an den Leistungen
der beiden Miss Williams hatte Mendelssohn besonderes
Gefallen. Nach dem Elias giebts in derselben Morning-
w?vv ~;t- ™*?
— J 57 —
performance wieder Arien aus Mozarts Davide penitente,
Abramo von Cimarosa und Handels Coronation- Anthem,
die Moscheles zu dirigiren hatte. Das Abend-Concert, auch
unter seiner Leitung, brachte Beethoven's A-dur-Sym-
phonie -und Ouverture von Spohr , „an denen das Publi-
kum weniger Gefallen fand", sagt das Tagebuch, „als an
englischen Glees und Songs, ,die wieder verlangt wurden;
der Gesang .der anwesenden Englander, Italiener und un-
seres deutschen Staudigl, so wie die „Recollections of lie-
land", die ich spielte, erregten grosse Zufriedenheit." Der
27. August brachte Morgens den Messias unter Moscheles'
Leitung. „Der Veteran Braham", sagt das Tagebuch, „er-
oftnete ihn mit den Ruinen seiner Stimme, Staudigl er-
hob das Gauze."
„Im Abend-Concert gab's Ouverture zu Preciosa, ver-
schiedene Gesangstiicke, mein „Hommage a Handel" mit
Mendelssohn und seine Musik zum Sommernachtstraum."
,,'Am 28. August eine gewaltige Mischung, aber nur
so wollte man es. Erster Theil: Mehuls Ouverture zu
Joseph; mein dreiundneunzigster Psalm fur Soli, Chor und
Orchester: das Kyrie, Gloria, Sanctus und Benedictus aus
Beethoven's D-dur-Messe; das Hallelujah aus Christus am
Oelberge. Dann unbedeutendes Orgelspiel, Hymne an die
Gottheit von Spohr, wieder verschiedene Gesangstiicke
und ein Anthem von Handel. Dabei ereignete sich fol-
gende Episode. Die Stimmen eines kleinen, in den Text-
biichern gedruckten Recitativs waren nicht bei der Hand.
Eine grosse Verlegenheit. Mendelssohn half aus, indem er
in einem Nebensaale, wahrend die vorhergehenden Stiicke
des Concerts gemacht wurden, das Recitativ componirte,
instruments te und die Stimmen copirte; diese wurden dann
— die Dinte nur halb' getrocknet — ohne Probe von dem
Orchester vortrefflich gespielt und das Publikum merkte
Nichts. So macht's ein Mendelssohn." .
Am 29. August schreibt die Frau von London aus:
„Gestern um vier Uhr endete ein Tactschlag unseres Mo-
scheles das grosse Birminghamer Musikfest, das in der
Meinung aller Anwesenden eins der brillantesten und
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schonsten war. Auch hat das Comite meinem Mann seine
ganze Zufriedenheit in den schmeichelhaftesten Ausdriicken
zu erkennen gegeben. Moscheles' kurzes , aber zur Zeit
doch beangstigendes Unwohlsein war die einzige Fatalitat:
nur zeigte es uns Mendelssohn wieder im schonsten Licht."
„Ja", fiigt Moscheles hinzu, „ seine Theilnahme war bruder-
lich, seine oftmaligen Besuche, wahrend die ganze Welt
ihn gerne gehabt hatte, se*ine Aufmerksamkeiten fur mich,
wahrend er so Grosses vorhatte, waren off ruhrend. Als
er aus der Vorprobe kam , die er statt meiner dirigirt
hatte, schien er sehr erschopft, Charlotte reichte ihm ein
Glas Champagner und der Effect war magisch; es hatte
ihn neu belebt. Jetzt sind die musikalischen Geschafte
beseitigt, aber wieviel ander& stehen uns bevor. . . ." Es
sind hauptsachlich die Uebersiedelungs - Geschafte; denn
am 15. September verlasst die Familie das Haus , in welt
chem sie sechszehn gliickliche Jahre verlebt hatte. Alle
Raume werden noch einmal und mit nassen Augen durch-
wandert. Hier sind die beiden jiingsten Kinder geboren,
dort ist das Zimmer , wo allmorgentlich an ihrer Bildung
gearbeitet, ihreSpielegeleitetwurden; hier sind die sorgen-
vollen Krankheitsnachte an ihren Betten durchwacht, dort
die Genesungsfeste, die Geburtstage frohlich und daukbar
gefeiert. Manches Werk, das noch lebensfahig, entstand
da unten im Studirzimmer des Meisters , ging hinaus in
die Welt und brachte seinem Schopfer Ehre; sein Fleiss,
sein unermiidliches Streben gab ihm die Mittel an die
Hand, der Familie in diesen Raumen die angenehmste
Existenz zu bereiten. . . .
In Frankfurt geniesst man das Gluck, die hinreissende
Jenny Lind zu horen. Dann geht die Reise weiter und
man schwelgt in den Schonheiten des Rheins.
Die Eisenbahn ging 1846 noch nicht bis Leipzig, sie
komraen also am 21. October auf der Poststatibn in Leipzig
an. „Dort", sagt das Tagebuch, „kam uns Felix Mendels-
sohn nicht nur freundlich, sondern mit warmer Theilnahme
entgegen. Wie ein Kurier, den man vorausschickt , um
die nothigen Einrichtungen zu treffen, hatte er Alles fur
ra^:!^ j^r$'~vT i^ri ;r - ■■ z : --^ :'^ : ' v^ ^- ~y-^- *-f~m^:. j^?^-m
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' v / - I59 '-- ' .' -""■ ' "V"3§
unseren Empfang vorbereitet. Wir rriussten seinen Wagen ;v?
besteigen, der uns nach dem grossen Blumenberg fuhrte, ^
Dort hatte er uns Zimmer gemiethet, dorthin kam seine ^
Erau und Beide waren eifrig benvuht , unsere temporare .£
Einrichtung bestens zu leiten." ■ '■$
Am 36. October schreibt Moscheles den Verwandten: . ■;
„Meine Theuren! Der neue, wahrscheinlich letzte Ab- ~~l
schnitt meiner Kunst- und Lebens - Lauf bahn nimmt Euer
Aller Theilnahme so sehr in Ansprucb, dass ich Euch "_ -■'-.
insgesammt dariiber berichten mochte. Er bat 'unter Got- -\%
tes Beistand, unter- den besten Auspizien stattgefunden, ":
und wer ist die Triebfeder unserer Zufriedenheit? Men- "".';;
delssobn, Felix Mendelssohn, den ich Bruder oder Sohn -v
nennen mochte! Wie er uns am Postbof empfangen, wisst
Ihr. Abends kamen drei Directoren des Conservatoriums,
Hofrath Keil, Stadtrath Seeburg und Herr Preusser, micb
mit vielen Wiinschen zu bewillkommnen und die Hoff-
nung auszusprechen , dass es mir hier gefallen moge; sie ';',.'/
gaben mir auch die Versicherung, dass sie_ Alles aufbieten ';;
wiirden, meinen Wunschen und Anordnungen im Conser- '..;-'
vatorium zu begegnen. Tags darauf machte ich Gegen- .';
besuche. Abends batten wir den Hochgenuss, ein Abonne- ■
ments-Concert im Gewandhause auf den vom Directorium ■ .}.
geschickten Sperrsitzen zu horen. Eine Symphonie von
Haydn, Ouvertiiren von Hiller und Lachner wurden unter _ ■■:. .
Mendelssohn's Leitung mit einer Prazision gegeben, wie
ich sie selten gehort; die Nuancirungen ein langst ent-
behrter Genuss, Fraulein Schloss sang sehr brav und
Mme. Schumann spielte Beethoven's H-dur- Concert so '
vortrefflich und gediegen, dass es mir nach dem phan-
tastisch-koketten Spiel der kurzlich in London gehorten
P. wohlthat , die reine Kunst ohne Flitterstaat zu ge- . '_
niessen. Ich begrusste sie mit dieser meiner - Ansicht _,
zwischen den Acten und wurde von vielen der alteren
Orchestermitglieder herzlich bewillkommnet. Nach dem
Concert soupirten wir gemuthlich bei Mendelssohns. Gestern
ging ich zu Schleinitz, der unwohl ist und nicht ausgehen
konnte , um die Conser vatorium- Angelegenheiten , die er
W- : " '■ ■' . ' ''-■ " ■ "' : ' : ' '' - " "'. ; '"'
*:■'.'-.. , ' — ' l6o —
i -^
% '".■ hauptsachlich leitet, rait ihm zu besprechen. Die Liste der
7V; Professoren, die er mir vorlegte, lautet:
;"' ■ Dr. F. Mendelssohn-Bartholdy, Composition und
it:. Solospiel.
S/. Organist C. F. Becker, Orgelspiel, Uebung im Dirigiren.
v ; David, Klengel, Sachse, Violinlehrer.
■X: Gade, Harmonie und Composition.
'. Hauptmann, Harmonie, Contrapunkt.
Mospheles, Oberleitung des Pianoforte -Studiums,
j Ausbildung im Vortrag und Pianoforte-Composition.
f \. Plaidy, Wenzel, Pianofortespiel.
l : • Bohme, Solo- und Chorgesang.
^.".- Brendel, Vorlesungen iiber Musik.
£7 - Neumann, Italienisch.
'•:■'■ . Richter, Harmonie und Instrumentation.
"■j : Durch Sphleinitz erfuhr ich , dass Mendelssohn sich
> ausgebeten hat, nicht obenan auf der gedruckten Liste
'p. zu stehen , sondern mit den andern Namen in alphabets
r scher Ordnung zu folgen. Gestern wohnten wir dem Got-
i .' tesdienst in der Nicolai-Kirche bei, eine gute Predigt und
> vortreffliche Orgel. Dann war mir noch die Ehre ernes
L Festessens vorbehalten , das mir sammtliche Professoren,
Felix an ihrer Spitze, gaben; es war in Aeckerlein's
Keller. Die Gesellschaft war mir zum grossen Theil schon
,7 • bekannt, und dem andern stellte mich Felix vor; sie em-
pfingen mich AUe feierlich und herzlich , und ich musste
7 obenansitzen , mit einem Blumenstrauss auf meinem Cou-
'■'7 vert. Das Diner konnte sich mit dem ernes Pariser Cafe
y ■ messen und als der Champagner einen freien gemiith-
;'. lichen Austausch der Gefiihle befordert hatte, nahm Felix
das Wort :
,,Er hatte nie das Talent und den Beruf in sich ge-
:. fiihlt, zu sprechen", sagte er, „bei dieser Gelegenheit aber
miisse er sein Inner stes entfalten. Meine Niederlassung in
, ; • Leipzig , mein Eintritt in's Conservatorium , seien langst
7 sein Wunseh gewesen und er sahe mit grosser Freude,
:." welchen Anklang die Verwirklichung dieses Wunsches
bei den Kunstkollegen , sowie im Publikum fande. Er
:.*^f..-: : xxt- ..:^r : :v^.v -■■.'.■ '■■■-'"■' ■ ■'■" ."' :'.■'."'■? V-_' ''":■■: ..".-■■•"■ ":' ■ ■ v !; ■'■-■■ ■■ ■■'- ■■
— 161 —
wiirde nie den Eindruck vergessen, den mein Talent auf
ihn als Knaben gemacht, wie ich den Gotterfunken in
ihm belebt und ihn zur Begeisterung hingerissen hatte.
Stets hatte ich ihm ermunternd beigestanden, und er einen
Stolz darein gesetzt, sich meiner dauernden Freundschaft
zu versichern; er zweifie nicht, dass die Anwesenden seine
Gefuhle theilten und gem mit ihm auf meine G-esundheit
anstiessen." Das Lebehoch ertonte im gesungenen Drei-
klang und beim Glaserschall konnte ich meine Thranen
nicht mehr unterdrticken. Ich stotterte hierauf Worte der
Erkenntlichkeit hervor, und entschuldigte die Hemmung
meiner Zunge durch das Gefiihl, dass ein Mann, ein
Freund , mir Ehre angethan habe , der mich als Kunst-
heros weit uberfliigelte, der als Mensch hochverehrt, ein
Muster edler Denkungsart unter uns lebe."
Nach und nach loste sich die ernste Stimmung in
Humor auf, wir sprachen viel, und liessen Alles leben;
auch an Tabakswolken fehlte es nicht, und die Stunden
von eins bis sechs waren gemuthlich verfiossen. Dann
machte ich noch einen Ian gen Spaziergang mit Felix, auf
dem er sehr mittheilend fiber seine hiesigen Verhaltnisse
war, und ich ihm die Frage vorlegte, wie er, dem die
grossten Stadte Europas Anerkennung zollten, sich grade
von Leipzig fesseln liesse? Es sei ein gewisser Sinn, eine
besondere Kunstrichtung , erklarte er, die kunstlerische '
Umgebung und Auffassung, die ihn hier so anziehe, und ^
das Conservatorium liege ihm so am Herzen, dass er selbst
wahrend der Composition seines letzten Oratoriums seine
Stunden nicht versaumt habe. — Den Abend brachten
wir bei Mendelssohn's mit ihren Geschwistern, Herrn und
Mme. Schunck sehr gemuthlich zu. Nach dem Souper un-
terhielten wir uns auf zwei Clavieren und endlich gab's
einen improvisirten Wettkampf! Das war eine Geistes-
iibung fiir mich — — ich musste ein paarmal unterliegen,
weil ich dem Felix mit so viel Warme und Bewunderuhg
zuhorte, dass ich das Mitspielen vergass.
Denkt Euch, als wir eintraten, erkannten wir den
guten Mendelssohn kaum, da ihm ein Schnurr- und
Moscheles' Leben. n. FI
T Vv;,;f?"3r
l62
Knebelbart angemalt -war._ Diesen hatte er aus dem
„schwarzen Peter" davongetragen , den er kurz zuvor mit
seitien engelschonen KLindern gespielt.
Wir haben die zweite Etage in Gerhard's Garten ge-
miethet, Schunck's bewohnen die erste und wir freuen uns
auf die angenehme Nachbarschaft "
Am 26. October sagt das Tagebuch: „Felix hatte die
zarte Aufmerksamkeit, im Locale meiner kiinftigen Wirk-
samkeit {dem Conservatorium) eine musikalische Auffiih-
rung der Schtiler und Schiilerinnen fiir mich zu veranstal-
ten, wobei sie mir ihre besten Clavier-Leistungen vorfiihr-
ten. Stadtrath Seeburg hielt eine Rede , worin er meinen
Beitritt zum Conservatorium ein wichtiges Ereigniss nannte.
Ich erwiederte, dass ich mich nur als einzelnen Stein des
schonen Gebaudes betrachte , das auf so solidem Grunde
ruhe. Ich hoffe zur Befestigung des Ganzen mit beizu-
tragen. Konnte ich es auch ausserlich zieren und ver-
schonern helfen, so sei mir ein inniger Wunsch erfiillt."
,,27. October. Aufuahmeprufung im Conservatorium.
Mendelssohn dabei betheiligt. Sein Gefiihl beseelte Lehrer
und Schiiler. Abends in seinem Hause, viel iiber musikali-
sche Verhaltnisse und hausliche Einrichtungen gesprochen
und manchen guten Rath von ihm bekommen. Er zeigte
mir seinen kurzlich componirten Chor ,An die Iviinstler".
Joachim spielte mit ihm die Kreutid'-Sonate." Aehn-
liche Abende vriederholen sich; Moscheles bewundert neue
noch unpublicirte Lieder ohne Worte , kann es kaum be-
greifen, dass Mendelssohn seinen Elias seit der Auffiih-
rung in Birmingham noch verandern will; „das schone
Werk soil also noch schone'r werden, frage ich ihn, und
er bejaht, ohne sich noch selbst iiber das Wie Rechen-
schaft geben zu konnen. Dein Genius verlangt zuviel,
wendete ich ein , er hat sich in diesem Elias schon selbst
ubertroffen, wende Deine Krafte nun neuen Werken zu,
Aber meine Argumente schlugen nicht an, er blieb dabei,
dass geandert "werden miisse." Das Violin - Quintett in
B-dur wird auch angesehen, und Mendelssohn behauptet,
das letzte Stiick sei nicht gut. „Auch das Lauda Sion
SBe^'^^^^W-T^Sf^
•'^■"'V
f:-i
163
2eigt er mir." Spater ist der grosse Genius voller Sorge
fur seinen Diener, den tr.euen Johann, der schwer erkrankt
in seinem Hause verpflegt wird. Er selbst besuchte ihn
taglich, las ihm vor und betrauerte aufrichtig seinen end-
lich erfolgten Tod.
Moscheles und seine Frau gehen oft tnit Mendelssohn's
^spazieren, man 'soupirt nach Abonnements - Concerten bei
Aeckerlein, wozu sich David und Frau als drittes Ehe-
paar gesellen. Mendelssohn giebt Moscheles zu Ehren eine
grosse musikalische Soiree: „Fiir einen Moscheles sagte
er, macht man gute Musik, aber nicht fiir Jeden." „Wir
besuchen hier", .schreibt die Frau, „alle unsere friiheren Be-
kanntenundlassen uns von Mendelssohn auf dessen Wunsch
hei den seinigen einfuhren. Das ist ein grosser und sehr
lieber Kreis , der uns mit Gastfreundschaft und Artigkeit
iiberhauft." Zwischen den Diners, Soireen und Cafe's
bringt das Tagebuch folgende musikalische Notizen:
,,16. November. Friih Probe, Abends Concert von/ wv
Schumann, worin Mendelssohn Schumann's Symphonie in
•C-dur auf dessen Wunsch dirigirte. Mme. Schumann spielte
Mendelssohn's G-moll-Concert vortrefflich und dielnstrumen-
tation trat glanzend hervor. Mit ihrer jiingeren Schwester
spielte sie mein Rondo in A und zum Schluss Lieder ohne
"Worte von Fanny Hensel, eine pikante Barcarole von
Chopin und ein eigenes Scherzo." J
„Am 23. November. Probe und Concert des Or- •
chester-Pensionsfonds. Me} r erbeer's Ouverture zu Struensee,
Gade's Ossians Klange (romantisch), Dithyrambe von Schil-
ler fiir Chor und Solo's , ein gediegenes Stuck von Julius
Rietz; Quartett - Variationen von Gross, sehr pikant und
brillant gespielt von David und Consorten. Andante und
Scherzo von David, vortrefflich vorgetragen von Joachim,
meine „Erinnerungen anlrland" mit schonem Empfang und
Beifall fiir Spiel. Dlles. Schloss und Vogel sangen."
„Am26. November. Abonnements-Concert mit Spohr's
^Weihe der Tone" und andern guten Sachen."
„Am 27. November. Erster Unterricht im Conser-
vatorium von 9 — 11 Uhr. Hinterher Besuch von zwei
11*
;'***--'
- ' . — • 164 —
arpeggirenden Clavierspielern , W. aus England, P. au&
Wien."
„Am 17. December. Einzug in unsere neue Woh-
nung."
„Am 3. December spielte ich Beethoven's C-moll-Con-
cert im Gewandhaus mit improvisirten Cadenzen."
„Am 7. December. Mendelssohn's erster langer Be-
such in der neuen Wohnung, in der nun auch der Erard
als liebes Familienglied seinen Einzug gehalten hatte. Er .
ging handereibend in den Zimmern umher und sagte
„hubsch, hiibsch" wie das seine Art war, wenn ihm Etwas-
gefiel. Er gebrauchte dies einzige "Wort, das bei ihm so-
vielsagend war, sogar einmal Angesichts einer wunderbar
schonen Gegend und rief dadurch das Entsetzen eines
seiner Leipziger Freunde hervor, der ihm auf der Reise
begegnet war, und der sich in Phrasen liber das vor ihnen
ausgebreitete Panorama erging und Mendelssohn's Gleich-
gultigkeit, wie er sie nannte, nicht begreifen konnte "
So verflogen die Tage bis zum 23. December im Ordnen
des Hauswesens, „wobei", wie die Frau schreibt, „der aller-
beste Mann mir stundenlang hilft", im Gemessen der Musik,
welche die Oeffentlichkeit bot , vor allem 'aber im piinkt-
lichen Abhalten der Conservatorium-Stunden und imregen,
stets anziehenden Verkehr mit Mendelssohns; nicht nur
er, der liebenswiirdige intime Freund, sondern auch die
Frau immer lieber und herzlicher; die Kinder reizend.
Und welch' angenehme Hauslichkeit! Die Mittel, die ihm
so reichlich zu Gebote standen, wurden nie auf ausseren
Glanz, wohl aber auf innere Behaglichkeit verwendet und
in diesem Prinzip begegneten er und seine Frau den
Grundsatzen des Moscheles'schen Ehepaars; eben so sehr
in dem Wunsch, liebe Freunde Oder ausgezeichnete Fremde
ohne Ceremonie bei sich zu sehn. In diesera Winter 1846
konnten Moscheles' das- Weihnachtsfest mit den Lieben
feiern, denen die Uebersiedelung sie naher gebracht hatte,
und mit ihnen auch wurde das ereignissreiche Jahr be-
schlossen.
■ " ■_' ' '■' ' 1_; '■■"-.'. " '■ "" ■-■■-- ^ ,-'. , ,.■.-.-
' - i6 5 - " ■
1847.
Ein Brief Moscheles' vom 15. Januar dieses Jahres
rgiebt einen so vollstandigen Einblick in sein und der Fa-
milie Leben, dass er hier statt der fast gleichlautenden
Tagebuch-Notizen seinen Platz finden soil:
Leipzig, 15. Jan. 1847.
„ Kaum von dem angenehmen Abstecher zu Euch,
meine Theuren, glucklich heimgekehrt, so machten wir
-auch schon die Bemerkung, dass der hausHche Comfort
in Leipzig dem hauslichen Comfort in London nichts nach-
giebt. Unsere kleine "Wohnung sieht immer so nett, so
behaglich aus, dass wir uns wohl darin fiihlen; auf die
Grosse kommt es nicht an. Ich glaube auch, dass unsere
Gaste — zufallige oder geladene — den Eindruck theilen,
obwohl mir Manche die Bemerkung machen: Schade, dass
•Sie keinen Musiksaal haben, ein Mann wie Sie u. s. w.
Aber ich denke, es lasst sich uberall gute Musik machen,
und ich habe immer einer Schule angehort, die mehrauf
Klarheit und, Accent als auf lautes Dreinschlagen — mehr
-auf richtiges Verstandniss und dessen gute Wiedergabe,
-als auf iiberraschende Effecte hinzielte. Was die Menschen
betrifft, so uberhaufen sie uns mit Artigkeiten, und der
:gesellige Saus und Braus hiniiber und heriiber ware ganz
-so wie in London, wenn nicht die friiheren Stunden, die
meist kleinen, immer durch interessante Personlichkeiten
belebten Gesellschaften, die Sache erleichterten. Und das
brauche ich wohl kaum zu sagen, dass die haufigen Zu-
sammenkunfte mit Mendelssohn's bei ihnen oder bei uns
■ein Seelengenuss bleiben; das letzte Mai hatten sie auch
Joachim (unsern Liebling); Felix begleitete ihm sein Violin-
■Concert und beide spielten auswendig; und dann Hess
Felix Lieder ohne Worte von seiner Schwester Fanny
horen, ihm sehr nachgeahmt, aber doch mit edit musika-
lischer, interessanter Behandlung. Dann spielte er uns
•den Theil des Elias vor, wo die Wittwe bei Elias Hiilfe
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— 166 — ■
sucht. Er hat ihn umgearbeitet, und ich. muss gestehen r
dass besonders der Elias darin viel gewichtiger und wiir-
diger auftritt, als damals bei der Auffuhrung in Birming-
ham, wo ich das Ganze schon fur vollkommen hielt. Auch
das Engel-Terzett ist jetzt entzuckend schon. — Bei uns
hatten wir ausser Mendelssohn's und Mme. Frege, die
seine Lieder unbeschreiblich schon sang, noch ** und.
Frau; nun das Zimmer war gross genug fur seine fffissi-
mos. Gliicklicherweise machte Mendelssohn dem Ton-
gerausch ein Ende, indemer einige seiner Lieder orme-
"Worte aus dem ersten Heft spielte, dessen Manuscript er
mir geschenkt hat.
David's Umgang und Spiel bietet mir auch wahr-
haften Genuss. Vorgestern Abend horten wir in . sekiem
Hause im V erein mit den Braunschweiger Miiller's ein
Quartett von Haydn, eins von Beethoven und Mendels-
" sohn's Octett. So gediegen horte ich schon lange nicht .
musiciren. Dass wir bei alledem gesund sind, das bleibt
die schonste Gottesgabe. Aber auch das freut mich, dass.
ich mich urn meines Felix fernere Studien kiimmern kann,-
das babe ich den hiesigen massigen Geschaften zu ver-
danken; 16 Stunden wochentlich im Conservatorium, 8 an
Privatschiiler, was ist dasnach der Londoner Hetzjagd?". . .
EinanderesMal schreibt Moscheles: „Nachdem wir bei
Mendelssohn gegessen, ging ich mit ihm zu dem Berliner
Claviermacher Schonemann, der seine neue Erfindung
bierher gebracht hat. Ein Pedal setzt jedem Ton seine
Octave hinzu; da kann man sich die Bravouren eines D.
bequem ersparen; eine kleine Tastatur an die grosse an-
geschraubt, lasst Ein en sogar zwei Octaven spannen;
doch fehlt es dabei an Ton, und iiberhaupt ist die ganze
Erfindung noch in ihrer Kindheit. Wir unterhielten uns
abwechselnd auf dem curiosen Ding und machten Octaven-
passagen, die man acht Mai verdoppelt, wenn auch ab-
geschwacht, darauf horen kann. Kaum war dies ab-
gethan, so stand Mendelssohn auch schon an seinem Di-
rigenten-Pult im Gewandhaus, und ich hatte den Genuss,
seine Ouverture zu „Meeresstille und gluckliche Fahrt" zu.
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hijren. Der alteste Miiller aus Braunschweig spielte zwei
Solo's; er gehort der Viotti-Franzl-Baillot-Schule an, ver-
schmaht das Paganini-Ernst-Phantastische und machte mir
wieder grosse Freude in' einem Concert von David und
Variationen von Alard. Im zweiten Theil gab man eine
neue Symphonie; alle Einzelnheiten interessant und schori
instrumentirt, doch kein frappanter Hauptgedanke und in
den Details Mendelssohn sehr nachgeahmt. Nach dem
Concert kamen David und Miiller gemuthlich zu uns."
Immer sind die Auserwahlten gern bei einander und auf
dem Gewandhausball „tanzt man flott; es gab dort scheme
Bliithen unter der Madchenwelt." . . .
„Am 14. Januar ist Antritts-Diner fair die Professoren
bei Moscheles. — Die Gewandhaus-Concerte sind meist
im Tagebuch besprochen. „Mozart's G - moll - Symphonie
herrlich. Mendelssohn dirigirte das letzte Stuck mit sel-
tener Massigung, wodurch alle chromatischen Modulationen
viel deutlicher wurden, als ich sie sonst in London horen
musste. Dreyschock spielte Weber's Concertstiick mit
Vehemenz und Bravour. Und erst seine Stiicke fur die
linke Hand! Er hat so viel Ausdauer wie ein Gladiator,
da er aber Alles abstosst, so darf ich ihn auch wohl
Fechtmeister auf dem Clavier nennen; wirklicb, er fiihrt
einen guten Stoss. C. M. ist auch aus dieser Schule.
"Virtuositat und Kraft erstaunlich, Composition des Con-
certs nicht stylvoll, mehr einer italienischen Oper ahnlich.
Hiller's Ouvertiire zum Prometheus des Aeschylus wurde
zum ersten Mai gegeben. Merkwiirdiges Schicksal! Merk-
wurchgeAufhahme! fiinfminutenlange Todesstille nach dem
letzten Accord. Wie kann ein Auditorium so ein-
stimmig fiiblen? Oder eigentlich nicht fiihlen? und doch
hat das Werk viel Geist und gute Instrumentation, und
ich wiirde es gern wieder horen, um mir .ein eingehen-
deres Urtheil daruber zu bilden. Die Frauleins Schloss
und Vogel sangen hubsch. Der Contrabassist Miiller ent-
sprach nicht meinen Erwartungen. Warum Cello-Passagen
machen, statt den eigenthiimlich kraftigen Ton des Riesen-
instrunients zu entwickeln?"
— i68 —
In einem anderen Gewandhaus - Concert widerfahrt
einer neuen idyllischen Symphonie von dem Schweden
H ein missliches Schicksal; „neu und doch alt, Ton-
art, Zuschnitt, ganz von der Pastoral-Symphonie geborgt,
und doch. war mir die Eiseskalte und Stille des Publikums
schauerlich." Und wieder giebt es eine neue Sym-
phonie von P. — „Schon war David's Spiel in de Beriot's
fiinftem Concert und seinen russischen Variationen. Die
starke Hitze konnte ihm und seiner Geige nichts anhaben."
Im nachsten Concert ist die Leonoren-Ouvertiire Nr. 3
„begeistemd" und muss wiederholt werden, „Mendelssohn's
A-moll-Sympbonie erwarrnt das ganze Auditorium, micb
insbesondere." Das nachstfolgende Concert ist ein histo-
risches unter Gade's Leitung und Moscheles wird zur Mit-
wirkung aufgefordert, „lehnt jedoch ab, weil er kurz zuvor
in der Kammermusik Beethoven's C-moll-Sonate mit Da-
vid, und sein eigenes Septett gespielt hat." Bach's Or-
chester-Suite wird gegeben und ,Joachim zeichnet sich in
dessen Chiaconne, Adagio und Fuge in D - moll aus."
„Und wieder ein historisches Concert, aber diesmal unter
Mendelssohn's Leitung. Statt Johann Sebastian eine Sym-
phonie von Philipp Emanuel Bach in Form eines Con-
certinos. Vogler's Ouvertiire zu Samori gefiel mir beson-
ders wegen der Verarbeitung der drei Pauken-Themen,
die Ouvertiire zur Zauberflote vortrefflich, weil nicht zu
schnell. Ueberhaupt, wie sehr geniesse ich alle gute
I Musik hier." Schumann's Paradies und Peri wird zum
Besten der Nothleidenden im Erzgebirge gegeben. Das
Tagebuch sagt: „Die Ausfiihrung schwankehd, dennoch
J die grossen und schonen Momente des Werkes genossen."
„Bei Frau Frege", heisst es weiter, „versammeln sich
die besten Kiinstler und Kunstliebhaber Leipzigs so gem,
um ihren herrlichen Gesang zu bewundern. Ihre Stimme
ist immer schon, ihr Vortrag immer gediegen, aber in
Mendelssohn's Liedern bleibt sie — auch nach seiner
Meinung — einzig, uniibertroffen. Gestern Matinee bei
ihr; sie, Mendelssohn, David und ich machten die Musik."
Mendelssohn will auch bei der Kindergesellschaft im
— i6y ■ — ■ .
Moscheles'schen Hause nicht fehlen; „doeh waren unsere
■Gesprache rein musikalisch", sagt das Tagebuch, „wahrend
man die Kinder mit Thorheiten unterhielt. Ich hatte ihm
•einen Antrag zu machen von Chappell, der das Verlags-
recht seiner zu schreibenden Oper haben. mochte. Das
Sujet englisch „The tempest" (der Sturm), aber die Oper
echt italienisch fur Lumley. NocH ist keine Note davon ge-
schrieben, und doch ist das Werk schon fur das Auftreten
der Lind in kommender Saison angekundigt!" Spater giebt
Mendelssohn den Plan, diesen Text zu componiren, ganz auf,
und schreibt dies dem nicht wenig betretenen Director,
Mendelssohn's Geburtstag — wer hatte damals geahnt,
dass es sein letzter sein sollte? — muss frohlich begangen
werden. Dazu vereinigt man sich mit Frau, Kindern
und Schwagerin des zu Ueberraschenderi. Ein Prolog,
ein Scherz im Frankfurter Dialekt, das Wort „Gewand-
haus" als Charade aufgefuhrt — Alles ergotzt den Ge-
feierten. Er wiegt sich , von Lachen erstickt, auf seinem
Stuhl. Wer dachte an den grossen Musiker, der dem
Heiligsten den richtigen Ausdruck in erhabenen Har-
monien zu verleihen weiss? Wer an den Familienvater?
Er ist der Schulknabe, der seinen Feiertag geniesst, jedes
Wortspiel wird dankbar von ihm gewurdigt. Alles wird
von ihm enthusiastisch beklatscht, vom ganzen Kinder-
chor unterstutzt; es ist ein "vvahrer Jubel. Die bevorstehen-
den Schrecknisse des neuen angetretenen Jahres sind noch
in wohlthatige Schleier gehullt. Wenn die eherne Hand
des Schicksals diese unerbittlich liiftet, wird eine reine
Kunstlerseele, ein edler Mensch fur die bessere Welt ge-
fordert, Verwandte, Freunde und Kunstjiinger in eine nie
zu hebende Trauer versenkt, aber heute halten sie ihn
noch, und kein Schatten fallt auf die allgemeine Heiter-
keit. Sich so an den Freund zu erinnern, wie er an- dem
Abend war, ist fur die Hinterbliebenen ein Trost.
Am 17. Februar sagt das Tagebuch: „Mit Mendels-
sohn hatte ich eine wahre Herzensergiessung iiber mein
Abschlagen des Spielens in Gade's historischem Concert.
Ich will meine Leistungen nicht zu hauiig dem jetzigen
U' : ■ ' . -r- 170 —
*v ' ■ •
j>:'_ Modegeschmack aufdringen, sagte ich. Im Gewandhaus
'£}- hatte ich aus Gefllligkeit fur die Direction gespielt, was
p- ich dadurch bevvies, dass ich das Honorar zuruckschickte
£;' und dem Pensionsfonds bestimmte, auch in der Kammer-
%-' v - musik hatte man mich gehort, das ist genug. Die Com-
jv?_ positionen miissen jetzt so und so viel Zoll italienischer
v Phrasen, das Spiel so und so viel Schock Octaven zahlen,
(:■./■■■ urn zu gefallen, bedeutete ich dera Freunde, das ist mir
I. zuwider,' und er gab mir Recht. Seinen Entschluss, an
jy^ der fiir den Charfreitag. beabsichtigten Auffiihrung des-
|v - Paulus keinen Antheil zu nehmen, konnte ich aber nicht
fc;' : " billigen, und es gelang mir, ihn zum Gegentheil zu be-
•y'' reden, so dass er bald die Proben begann; aber im Ge-
s - ' wandhaus spielen wollte er auch nicht und hatte es dem
; r;'-- Directorium abgescblagen."
■ ---- Nach der zweiten Paulus-Probe sagt das Tagebuch:
£? '-. „Mendelssohn's Strenge mit dem zahlreich versammelten
f .-■'.' Liebhaberchor war eben so gross, wie sein Zusammen-
?C ! halten des Ensemble durch seine Clavierbegleitung aus-
gezeichnet," So besucht Moscheles alle Proben und
- schreibt nach der Auifuhrung am Charfreitag: „ Durch
genaue Bekanntschaft mit dem herrlichen Werk habe ich
L ; es erst vollkommen gewurdigt."
-. . . .,,Hubsch, wie es hier ist, muss man auch Manches
;.:■, von durchreisenden Musikern erdulden, I J, M. brachte
'-_ Abends sein Instrument und ein fettes Portefeuille
; I mit; C. C. fiel zuf allig in den Strudel seiner Passagen-
: u / Sundfiuth und der Redseligkeit, mit der er bei jedem neu
aufgelegten Manuscript behauptete, es iibertreffe das vor-
■' : hergehende an Schonheit und Classicitat. — Der Clavier-
spieler * ist mir empfohlen, er spielte sein Arrangement
"': einesCantus von Haydn in der wohlbekannten Umkleidung.
von Arpeggien und getheilten Octaven. Die jetzigen Cla-
:-;. vier-Compositionen tragen Alle die gleiche . Uniform, als
£ . gehorten sie zu einem Regiment, obschon die Epaulettes
■£ oder Goldverbramungen mehr oder weniger reich sind.
i'.-: : , Mit den mir nachgereisten englischeh Schiilem des Con-
'(-' servatdriums habe ich auch meine liebe Noth. C, von
it^SfW*
171 —
dem man behauptet, er trinke, ski sir te sich bei der Probe-
prufung; die schonen jungen Damen Hess ich zusammen
Czerny's Stuck fur acht Hande in der Hauptpriifung
spielen, aber sie hatten wieder weissgepuderte Gesichter,
woriiber die Deutschen zischelten. Miss F. zeichnete sich
durch ein enormes Haargebaude aus, und wodurch ausser-
dem? Sie hatte ihre Musik vergessen! Mendelssohn, ausser
sich, fuhr sie verdientermassen an: „Kleinigkeiten kann
man vergessen, aber die Musik fur eine offentliche Pro-
duction, das ist zu viel! Nun sitzt das Publikum und
wartet, weil Sie Ihre -Musik vergessen haben" u. s. w.
In diesem Dilemma holte ich mir den Stimmer aus seiner
Ecke hervor: „Stimmen Sie an beiden Glavieren herum
und horen Sie nicht eher auf, bis Sie sehen, dass der aus-
gesandte Orchesterdiener die Musikpartie von Fraulein F.
bringt." Er that esund die Pause war, wenn auch nicht ange-
nehm, doch ohne Aufsehen ausgefiillt. Sie spielten nicht iibel
und wurden bewundert und beklatscht; wozu das hiibsche
Gesichtchen der Miss J. vielleicht nicht wenig beitrug."
„Also der junge G. ist nach Paris gegangen, urn re-
publikanisch Clavierspielen zu lernen, und noch dazu von
Chopin, der in seinen Mazurka's und Balladen die zer-
knirschte Freiheit seiner Nation beweintl Im Ernst, mag
er ihm im Spiel manches Gute ablauschen, aber in der
Composition beweist Chopin, dass er nur einzelne gliick-
liche Gedanken hat, die er aber nicht zu einem gerunde-
ten Ganzen zu verarbeiten versteht. In der soeben heraus-
gekommenen Sonate mit Violoncell finde ich oft Stellen,
die mir klingen, als praludire Einer am Clavier und
klopfe an alien Tonarten an, um zu erfahren, ob irgend
wo ein Wohlklang zu Hause ist."
Sodann: „Ich unterhielt mich. mit David, indem wir
Hiller's sechs EtMen fur Clavier und "Violine probirten.
Sie sind, selbst als Salonstucke, recht pikant und effect-
voll. Auch. die Pensees fugitives von Ernst und Heller,
spielten wir." Moscheles componirt Lieder ein- und vier-
stimmig, unter den letzteren „Winternacht" und- „Mai-
feier" — unter den ersteren .,Freie Kunst", „Die Ge-
1 — IJ2 —
spielen", seine beliebt gewordene „Botschaft" u. . A. Eine
Phantasie. iiber einige von Jenny Lind gesungene schwe-
dische Lieder, die er schreibt, interessirt ihn der reizen-
den Original weisen halber, sowie in Erinnerung an die
gefeierte Kiinstlerin, deren Charakteristik er darin wiede'r-
zugeben sucht. Eine grosse Sonate fur Clavier und Violine
wurde skizzirt, blieb aber liegen.
Am 7. April reist der liebe Freund Mendelssobn nach
England, um "seinen Elias aufzufiihren; als die Familie
Moscheles am 14. Mai in London ankam, war er schon
nach Frankfurt abgereist, wo ihn die Trauerpost iiber den
Tod der geliebten Scliwester Fanny ereilen sollte. Ein
Schlag, der ihn fast todtlich traf, konnte seine Freunde
nur tief beruhren. „E r schreibt mir von Baden-Baden
aus", sagt die Frau, „auch bei dieser Gelegenheit wieder
alles Schone aus der Tiefe seines reinen Gemiithes. Ob
sie nun noch in die Schweiz gehen oder nach Leipzig
zuriickkehren , ist unbestimmt. Der Arme ist tief be-
trubt, doch sind sie Gottlob Alle gesund."
Die Geburt eines ersten Enkels hatte Frau Moscheles
nach London gerufen. Moscheles begleitete sie. Er be-
suchte dort die alten Freunde, findet aber auch, wie er
schreibt, musikalisch Alles bei'm Alten. „Ausser Lablache
und Mme. Castellan noch viele -inis und -ettis mit ihren
Trillereien, und nirgends ein voller Saal. Ich habe auf
Benedict's Wunsch ein achthandiges Stiick fur sein Con-
cert geschrieben, das gut ging und aufgenommen wurde;
dennoch habe ich das Bewusstsein, dass das Damen-
Publikum sich nur recht erwarmen kann, wenn man ihm
Melodieen aus Lucia, I Lombardi, I Puritani u. a. auf-
tischt, in denen die gewohnlichen Rouladen der Italiener
vorkommen. Und dabei das Herableiern der neunund-
\'ierzig Nummern in diesem Concert! Es giebt reuige
Biisser, die sich durch einen fastenden Magen ihrer Siin-
den entledigen; hier bfisst man, indem der musikalische
Magen mit alien diesen Dingen, unter gewaltigem Zeit-
opfer, iiberladen wird. Benedict wiinschte in seinem Con-
cert ein Duett mit mir zu spielen, Willmers und Bennett
";W>
-■[■^■'■:\;m
— 173 . — .
auch, doch lehnte ich alles offentliche Solospielen ab. Ich
hdrte Spohr und Mozart im Philharmonic, aber seitdem
ich das Gewandhaus kenne, haben diese Concerte viel
von ihrem Reiz verloren; dagegen machte mir Joachim in
Ella's Quartettmusik grosse Freude."
Ueber die Oper berichtet ein anderer Brief, dass die
Grisi, Alboni und Tamburini, selbst in der Lucrezia Borgia
des Anhorens werth waren, da sie Ausgezeichnetes leiste-
ten: „fur Jenny Lind finde ich keine Worte, denn wie
lassen sich Eindriicke, die zugleich grossartig und wohl-
thuend sind, durch wenige "Worte wiedergeben? Ohnehin
sind alle Epitheta schon fur sie erschopft, und sie steht
mir viel zu hoch, um sie zur Banalitat eines Lobes herab-
zuziehen, wie die Zeitungsschreiber es iiber sie ausgiessen.
Sie hat hier einen unerhorten Eindruck gemacht. Jeder
will sie sehen und hdren, oder hat sie gesehen und ge-
hort und mochte sie wieder sehen und horen. Ich wollte
sie ausserhalb des Theaters auch noch sehen, da sie aber
etwas entlegen wohnt, bat ich sie schriftlich, mir eine
Empfangsstunde zu bes,timmen. In der Mittagsstunde des
nachsten Tages ward sie mir gemeldet. Schlicht und ein-
fach kam sie selbst, mir zu sagen, dass sie meinen Be-
such gem empfangen wiirde. So viel Bescheidenheit und
so viel Grosse findet man wohl selten — wenn iiberhaupt
— gepaart, und wenn ich auch durch Mendelssohn, der
sie naher kennt, in die grossen Eigenschaften dieses Cha-
rakters eingeweiht war, sie uberraschten mich schon durch
ihre Aussenseite. Ich musste ihr meine Phantasie uber
ihre schwedischen Lieder vorspielen. Mendelssohn hatte die
Them en mit mir gewahlt; sie sagte mir viel Schones uber
meine Auffassung und Wiedergabe derselben. Wir erwider-
ten ihren Besuch in Old-Brompton, wo sie fern vom Larm
der Hauptstadt und dem Glanz ihrer Leistungen wohnt."
Der ganze fiinfwochentliche Aufenthalt mit seinen
Notizen beweist uns, wie Moscheles und die Seinigen mit
Genugthuung auf ihre Uebersiedelung blicken. Das Ver-
haltniss zu den alten Freunden ist zwar dasselbe herzliche
geblieben, die Freude an der Tochter und dem Enkelchen
?ft£-
•-{■#■ --.z&c'f ,i^.' ;7^.- -'<!-> ^^:tr:i'r r -"i*j'j;ds**3'7 str? ..*:>■* i^ <■■:.'
" — J74 "
ware unbeschreiblich gross, koxinte man mit ihnen zu-
sammen. leben; — „aber die Kunst", pfiegte Moscheles zu
sagen, „hat mir in Leipzig einen schoneren "Wirkungskreis
angewiesen." Und so finden wir ihn im Juli wieder unter
seinen Conservatorium-Schiilern, „fleissig und piinktlich",
wie ef sich's ■ beim Antritt der Stelle vorgenommen hatte.
Ebenso gewissenhaft ist er in dem Arrangement von
Beethoven's Symphonie in A, die eigene Arbeit mit der
von Hummel vergleichend. Das Tagebuch sagf. „Hummel
nimmt sicb alle moglichen Freiheiten, will Beethoven in
Vortragszeichen wie in Noten verbessern, z. B. imAnfange
des, ersten Allegro giebt er dem Bass einen veranderten
Rhythmus:
Die Stelle
schreibt er so
Gegen Ende des Stiickes schneidet er auf der elften
Seite zehn Tacte ab!!! Im letzten Stuck auf der dreissig-
sten Seite zweiundzwanzig Tacte!!!? ...
Im August schreibt Moscheles: „Ein soldier Besuch,
wie der von Ferdinand Hiller, war mir eine angenehme
Zerstreuung. Uebrigens freut es mich, wenn sich mein
hiesiges Leben so gestaltet, wie es mir Bediirfhiss ist,
wenn nichts Auffallendes meinen Geschaftsgang, meine
Zeiteintheilung stort. Das Neue suche ich in den Blattern,
das schon Bekannte in den schon geschriebenen Girondins
und Dahlmann's vortreffiicher Geschichte der franzosischen
Revolution. Die romische Conspiration, die englischen
Parlaments-Wahlen und Isabellen's hauslichen Zwist, lasse
ich ebenso unbekummert an mir voruberziehen, wie die
junge Kunstwelt in ihren unnaturlichen Leistungen; nur die
hiesigen Kunstjunger bewache und leite ich. — Der Redac-
teur der hiesigen Zeitschrift fur Musik hat eine Kiinstler-
versammlung auf den 13. und 14. d. M. zusammenberufen,
bei der das Wohl von Kunst und Ktinstlern besprochen
werden soil. Ich halte von solchen Hebeln zu ihrem
SPSCprf
— 175 —
■Gedeihen nichts; -wollte mich aber nicht ausschlies-
,sen." .... . ■ . "
Am 13. August eroffnet Brendel. die Versammlung,
tragt auf das Spielen von klassischer Musik in Concerten
an. Schumann sendet brieflich seinen Wunsch ein, man" 1
moge deutsche Titel auf Musikalien einfiihfen. Andere^
sprechen. Nachmittags Concert. „Ich spielte S. Bach's
D-moll - Concert mit improvisirter Cadenz, dann Etiiden;
David Beethoven's letztes Quartett B-dur, Andante und
Variationen aus Schubert's Quartett. Mme. Brendel Sonate
von Fliigel. Fraulein Vogel und Andere sangen."
14. August. „Dorffel tragt auf Verbesserung des
Clavier - Unterrichts an und sagt, es miisse ein Leit-
faden fur Lehrer verfasst werden. Ich nenne meine Me-
thode des methodes als solchen. Debatte zwischen mir
und Herrn Knorr iiber seine Edition der Cramer'schen
Etiiden, in welcher er seinen eigenen Fingersatz dem des
Autors substituirt hat. Ich befiirworte meine Ansicht dem
Schiiler lieber verschiedene Arten von Fingersatz zu zeigen,
wie z. B. in meinen Etiiden, Griepenkerl spricht blumen-
reich iiber antike Opernstoffe und die Bedurfhisse der
Jetztzeit, bezieht sich auf Gluck und Spontini, nicht auf
Mozart und "Weber. In der Pauliner-Kirche ist ein Orgel-
ooncert und Abends ein Festmahl im Hotel de Prusse.
Es giebt Toaste, Reden und vierstimmige Lieder." . . .
Es fmden sich in diesen Sommermonaten gar viele
durchreisende Kiinstler ein. die spielen, singen und vor-
gespielt haben wollen. Sie befriedigen ihn selten, „aber
anhoren muss man doch Alles, und dann muss ich den
Leutchen doch auch zeigen, dass man Clavierspieleh kann
ohne dreinzuschlagen , und dass es ein pp. auch ohne
das einsaitige Pedal giebt. Die Pedale sind Hulfsmittel;
wer sie zur Hauptsache macht, giebt seinen Fingern ein
Unfahigkeits - Zeugniss , und wer nur Polka du Diable,
Valse infernale und Menuet a la Demon oder 'als Gegen-
satz Mondschein-Elegien, Sehnsuchts-Notturnos, und Aeols-
harfen-Sonaten schreibt, der will durch Titel, nicht durch
originelle Gedanken anziehen. C. L's, Fruhlings-Nahen
iii* -~ '* ■■ ""' ' ' ^'" . "'"' "'■■ -' ' ' '-',' "■ i ■ '
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•t . ist eher ein Herbststiick, denn die Composition ist welk.
'.'.- wie herabfallende Blatter."
y.:y ' Wahrend der Ferien wird ein kleiner Ausflug nach
£~i . Dresden gemacht; man geniesst die dortigen Kunstschatze-
■•■ , und verkehrt viel mit Schumann's, Hiller's u. A.
*;-. ^ Am 17. September erfolgt die Riickkunft der Familie-
s' Mendelssohn aus der Schweiz. Geistig ist der herrliche
£,."■ Freund ganz derselbe treue, korperlich scheint er ver-
i;. andert; er hat "gealtert, ist matt, und sein Gang weniger
i,i- rasch als friiher. Sieht man ihn aber am Clavier, oder
fL *" hort ihn iiber Kunst und Kiinstler sprechen, so ist er
;S"; ganz Leben und Feuer. Sein Freund Julius Rietz tritt
fc ' soeben sein Amt als Kapellmeister in Leipzig an, das ist
ii '",.': ihm eine wahre Freude. „Noch Einer", sagt Mendelssohn,
?A\ „der es ernst 'mit der guten Musik meint, der selbst
:;?, Tiichtiges leistet und die Leistungen Anderer zur hochsten
£ ' Stufe der Vollkommenheit fiihren kann, das muss den Ge-
-?> wandhaus-Concerten erst die richtige Weihe geben. Und
(V: was wird Alles von und bei uns musicirt werden? Rietz
,--*; spielt so gut Cello, es wird ein prachtiger Winter." . . ,
^ . :■, So extasirte er sich, setzte auch gleich einen Abend
an, den alle Moscheles und Rietz zusammen bei ihm zu-
; ; . , ' bringen sollten. Dort gab das neue, fur Benedict's Con-
£" cert geschriebene, achthandige Stuck von Moscheles An-
;■■: lass zu einer lebhaften Discussion; es sollte „jadis et au-
■ r '. jourd'hui" heissen, und dem widersetzte sich Mendelssohn.
>:': „Die ernste Ftage bezieht sich auf die gute alte Zeit", be-
F- hauptete Moscheles, „die leichteren Satze sollen unser mu-
'?'■' sikalisches Heute vorstellen." „Aber warum das", meinte
r Mendelssohn? „ Werden nicht jetzt noch interessante Fugen
-; - geschrieben? Unsere Zeit leistet auch noch Gutes." — „Aber
der Modegeschmack ist verderbt", sagte wieder Moscheles,.
„sie wollen nur noch leichte Musik, in's Ohr fallende
£ . Rhythmen horen." „Ja sie w'ollen", unterbrach Mendels-
v;" sohn lebhaft, „aber sie sollen nicht. Leben Du und ich
v'; nicht? Haben wir nicht die Absicht, gute Musik zu
j;r. schreiben? Wir wollen beweisen, dass die Zeit noch Gutes
i&- leisten kann, d'runi bitt' ich Dich, nicht den Titel." Dieser
"'".'"■'' / ' : """■■.." ■ . ■ - -""177 .- ' ■ ■■:■;',"■ :' ,; ' -"->|
v-.y3
Bitte war nicht zu widerstehen und so ward ans dem > ; ''. ,.
„Jadis et aujourd'hui" — les Corttrastes, womit der Freiind '■;.£
sich einverstanden erklarte. '■'..$
Lassen wir nun wieder das Tagebuch sprechen, am ^
3. October: „Nachdem Mendelssohn's mit uns gegessen ,-:
hatten, unterhielten Felix und ich uns am Clavier rait Fugen
und Giguen von Bach; dann aber ahmte er. vortreffuch L ',';
eine Polka der Frankfurter Stadtmusikanten nach, die er zu ■ ;
seinem Verdruss hatte unzahlige Male horen miissen." . . . ', J".'
Am 5. October. „Den ganzen Nachrnittag bei Men- ..•'
delssohn bei freundlichster Aufnahme und gemiithlichen f
Mittheilungen iiber hiesige Kunstverhaltnisse. Er- spielte ■ '.;:•'
mir sein letztes Quartett vor; alle vier Stiicke in F-moll. - .,'
Der leidenschaftliche Charakter des Ganzen und die
diistere Tonart scheinen mir ein Ausdruck seines tief-
erschiitterten Seelenlebens; er kampfte noch mit dem, ; .'
Schmerz iiber den "Verlust seiner Schwester. Auch ejnige
Manuscript-Lieder zeigte er mir. Alles gemiithlich, wenn '"■■■'■'-
auch nicht immer originell." "
Am 7. October. „Mendelssohn holte mich zum Spa- ' '
ziergang ab; obgleich es regnete, wandelten wir unter
den interessantesten Gesprachen im Rosenthal. Die Zeit ■ '■
verfloss kostlich."
Am 8. October. „Prufung im Conservatorium. Men-
delssohn schrieb mit Kreide Generalbass - Exempel , als , .'
Probestein fur die Schiiler, auf eine Tafel; wahrend diese 7
sie ausarbeiteten, skizzirte er reizende Landschaften mit ;
der Feder. Ein stets schaffendes Genie!" '•'■■
„Nachmittags und Abends waren wir in seinem Hause.
Er spielte mit Rietz seine D-dur-Sonate mit Cello und die '
beiden Beethoven'schen Op. 102, mit mir meine Senate , -,
symphnnique, ich mit E. les Contrastes."
Aim. g. October holte Mendelssohn Charlotte und mich
zum Spaziergang ab; wir sahen ihn matt und langsam
durch den Garten in's Haus kommen. Auf die theil-
nehmende Frage meiner Frau, wie es ihm gehe, antwortete
er: „Wie es mir geht? Grau in grau geht es mir." Sie
trostete, dass das sonnige Wetter, der Spaziergang ihm
Moseheles' Leben. II. 12
--;': .- " ';■. -'']"> ' ^ ^ ■- ■.■.'■'.
gut thun wiirden. Und wirklich wurde er wahrend un-
,, serer Wanderung durch's Rosenthal so frisch und belebt,
dass wir sein Unwohlsein vergassen. Er erzahlte von
seinem letzten Besuch in London, seinem Besuch bei der
Konigin, wie sie ihm hiibsch vorgesungen, riachdem er
i ihr und dem Prinzen . vorgespielt; wie sie dann hochst
liebenswiirdig gesagt: „Er habe ihr so oft Freude ge-
macht, wodurch konne sie ibm nun eine machen?" Wie
; er gebeten, die Kinder zu sehen, und wie sie ihn dann in
das vortrefflich gehaltene Kinderstuben-Revier geleitet, die
kleinen. Prinzen und Prinzessinnen so wohlerzogen und
artig, dass es ihm wahre Freude gemacht. Dann sprach
■]'. er iiber den bevorstehenden Geburtstag seiner Frau, zu
^ dem er einen Mantel gekauft." Ein anderes unschatzbares
-V Geschenk war ihr aber auch von ihm fur diesen Geburts-
'-., tag vorbereitet. Als er namlich mit Klingemann eine
Touu nach Schottland gemacht, fiihrten Beide zusammen
ein Tagebuch; Klingemann dichtend, Mendelssohn zeich-
nend. Diese fliichtigen Skizzen waren nun ausgearbeitet,
vereinigt und gebunden; doch war er, der seine Frau
durch dies Angebinde erfreuen wollte, schon todtkrank,
als er es ihr iiberreichte!
„Wir trennten uns", sagt das Tagebuch, „gegen i Uhr
in heiterster Laune." Aber schon am selben Nachmittage
ward er im Frege'schen Hause sehr unwohl. Dorthin war
er gegangen, urn die von ihm so hochgestellte Kunstlerin
auf's Neue zu bereden, sie moge in der bevorstehenden
!.'■ Auffiihrung seines Elias singen. „Sie scheut sich vor der
Oeffentlichkeit, hatte er uns schon in den vorhergehenden
Tagen gesagt, weil sie viel am Hals gelitten hat; aber so
wie sie wird's doch keine singen; ich muss ihr Muth
machen."
Die wortlich hier folgende Mittheilung iiber seinen
Besuch bei Frau Frege ^ am 9. October verdanken wir
personlicher Mittheilung: „Als er eintrat, waren seine
Worte: „„Ich komme heute und alle Tage, bis Sie mir
Ihre Zusage geben, und nun bringe ich wieder die ver-
anderten Stiicke (des Elias) mit. Eigentlich ist mir aber
^^f^^W^py-f:': &
— ■179 —
miserabel zu Muth — ja so, dass ich neulich bei meinem
Trio geweint habe. Heute miissen Sie mir aber vor dera
Elias noch helfen ein Liederheft zusammenzusuchen, Har-
tel's drangen mich so dazu."" Er brachte das Heft Op. 71,
und als siebentes Lied das altdeutsche Fruhlingslied „Der
trtibe Winter ist vorbei", was er schon im Sommer dieses
Jahres componirt, aber am 7. October erst aufgeschrieben
hatte, mit. Ich wusste, sagte Frau Freg-e, wie er unge-
fahr die Reihenfolge arrangiren wiirde, und legte sie so
nach und nach auf den Fliigel, Als ich das erste ge-
sungen, war er sehr ergriffen, verlangte es noch einmal:
„„Das ist ein erristes Geburtstagsgeschenk am 1. October
fur Schleinitz gewesen, — aber es ist mir eben so zu
Muth, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie mich in Ber-
lin Fanny's noch unveranderte Zimmer wieder traurig ge-
macht haben! Aber ich habe ja Gott so viel zu danken
— geht es doch Cecile und dem kleinen Felix {seinem
jiingsten, oft kranklichen Sohne) so gut!"" Ich musste
alle Lieder mehrfach wiederholen und blieb dabei, dass
mir das Fruhlingslied weniger in das Heft passe. Da
sagte er: „„Nun gut! Ernsthaft sieht das ganze Heft aus
— es mag so in die Welt' gehen."" Obgleich er sehr
bleich aussah, musste ich ihm zum dritten Male das erste
Lied singen, und er sprach allerhand Liebes und Freund-
liches dariiber. Dann sagte er: „„Wenn Sie nicht zu miide
sind, wollen wir das letzte Quartett aus Elias noch singen.""
Ich ging aus dem Zimmer, um Lampen zu bestellen, als
ich zuriickkam, sass er im anderen Zimmer in der Sopha-
ecke und meinte, er habe ganz kalte steife Hande be-
kommen, er wolle doch verniinftig sein und lieber noch
einmal um die Stadt laufen, denn er fiihle sich zu schlecht,
um gut Musik zu machen. Ich wollte einen Wagen holen
lassen, aber er litt es nicht, und ging, nachdem ich ihm
ZuckerwasserundBrausepulvergegeben, etwa um */ 2 6Uhr.
Als er in die Luft kam, fiihlte er, es sei besser, gleich
nach Hause zu gehen, setzte sich dort in die Sophaecke,
ward aber von Cecile um 7 Uhr wieder mit einem solchen
Anfall abgestorbener Hande gefunden. — Das arge Kopf-
f^^^Fw^sa?^^^
V-v-C'-^^yi'ij. - *!
— 180 —
weh, an dem er den folgenden Tag" litt, wurde vom Arzt
mit Blutegeln behandelt; er hielt es fur ein Magenleiden
und erklarte es erst viel spater fur einen iiberreizten
Nervenzustand. Mir war scnon lange Zeit — noch vor
Fanny's Tode — seine Blasse beim Dirigiren und Spielen
aufgefallen — Alles griff ihn mehr an, als friiher." Ein
Schrecken durchflog die Stadt, die Freunde zitterten, als
die Kunde seiner Kr ankheit erscholl, glaubten aber wieder
an seine dauemde Besserung, als cr anfing, sich zu er-
holen.
„Am 15. October", sagt das Tagebuch, „liess er sich
viel iiber Hiller's Oper von mir erzahlen, deren gute Auf-
nahme ihn herzlich erfreute." Dieser „Conradin, der letzte
Hohenstaufe" war am 13. zum ersten Mai in Dresden
aufgefiihrt worden. Moscheles, David und Benedict, letz-
terer eben aus London gekornmen, waren zusammen
hinubergefahren, um die Zabl der theilnehmenden Freunde
zu vermehren, die das Haus brillant fiillten. Das Tage-
buch sagt: „Es ist ein verdienstvolles, schemes Werk und
Hiller fand auch verdiente Anerkennung, indem er wieder-
holt gerufen •wurde. Die Musik ist leidenschaftlich, wahr
und edel. An Cantilenen und rhythmisch klaren Phrasen
ist jedoch Mangel, welches der Popularitat des Werkes
hinderlich werden konnte. Fraulein Wagner und Tichat-
schek waren vortreffiich , Chore und Ensembles sehr
gut."
In den nachsten Tagen wird Mendelssohn von seinen
Freunden besucht, ist guten Muthes und macht Plane iiber
Plane. Sogar nach Wien wollte er reisen, um versprochener-
massen seinen Elias zu dirigiren , doch reden ihm die
Freunde von dieser Anstrengung ab. Zu Frau Frege, die
ihn besucht, sagte er: „Na, Sie mogen. iiber mich schon
erschrocken sein, denn ich mussmunterausgesehenhaben."
Der Genesende fiihlt sich immer wohler, darf am 28. einen
Spaziergang mit seiner Frau machen, verspiirt sogar Lust,
noch einmal auszugehen; die vorsorgliche Frau beredet
ihn, lieber der Rune zu pfiegen, er willigt ein. Aber achl
gleich darauf sinkt er zusammen. Man nannte es Nerven-
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■schlag. Die Angst und Sorg-e der nachsten Tage lasst.
.sich nicht beschreiben, die ganze Stadt theilt sie mit
Verwandten und Freunden. Noch einmal tritt eine schein-
bare Besserung ein, bald aber spricht er in grosser Er-
regung englisch und am 3. November 7*3 Uhr Nach-
mittags tritt der dritte Schlaganfall ein und umnebelt
seine Sinne ganzlich. Das ausgelegt.e Bulletin wird be-
lagert, die Nachrichten, die es bringt, wissen nichts von
Besserung. So kommt der 4. November heran. Geben
wir Moscheles' eigene Worte, wie er sie am Morgen des
verhangnissvollen Tages in Mendelssohn's Wohnung
schrieb: „Natur, verlangst Du Deine Rechte? Engel,
deren Heimath die himmlischen Spharen sind, wollt Ihr
Euren Bruder, den Ihr als Euer eigen betrachtet, den Ihr
zu hoch zum Verkehr mit uns gewohnlichen Sterblichen
haltet? Noch besitzen, noch umklammern wir ihn, wir
hoffen auf die Gnade Gottes, den noch langer unter uns
zu lassen, der uns stets als ein Muster alles Edlen und
Sch&nen geleuchtet hat, der unser Jahrhundert ziert! Dir,
o Schopfer, ist es bewusst, warum, wie so Du in dieser
Seele Schatze des Geistes und Gemiithes angehauft hast,
die die zarte Hiille seines Korpers nur auf beschrankte
Zeit tragen, die sein Dasein zu verkiirzen drohen! Kann
unser Flehen uns den Menschen, den Mitbruder von Dir
erbitten? Welches Werk hast Du in ihm vollbrachtS Du
hast uns gezeigt, wie hoch sich der Mensch zu Dir er-
heben, wie er sich Dir zu nahern vermag! Keiner ist Dir
naher gekommen, als er, fur den wir zittern. Lass ihn
auch den irdischen Lcihn geniessen, lass ihn die Liebe
seiner Lebensgefahrtin, die Entwickelung seiner Kinder,
die Bande der Fre.undschaft, die Verehrung der Welt ge-
niessen!" — — •
Mittags. „Die Aerzte Dr. Hammer, Hofrath Clarus,
der Chirurg- Walther sind abwechselnd um den Kranken;
das von Schleinitz geschriebene Bulletin erklart den Zu-
stand hoffnungslos. Herr und Frau Dr. Frege , David,
Rietz, Schleinitz, meine Frau und ich bleiben angstvoU in
■der Nahe des Krankenzimmers. Die Aerzte sprechen die
■• — 182 — -
einzigen Muth einflossenden Worte: uWenn er nicht einere
neuen Anfall von Nerven- oder Lungenschlag bekommt,.
so konnte die scheinbare Ruhe zu einer gliicklichen
Weridung, zu seiner Rettung fuhren." — Aber diese-
Ruhe war die Folge der Abnahme seiner physischen.
Krafte!"
Abends. „Von 2 Uhr Nachmittags an, wo eine Wieder-
holung des Schlaganfalles um dieselbe Stunde zu befiirch-
ten war, fing seine giinzliche Bewusstlosigkeit an. Alle
feineren Organe und geistigen Krafte waren dahin, er
lag ruhig, laut und schwer athmend. Abends waren wir
schon abwechselnd um sein Bett versammelt, ohne eine
Storung zu befiirchten; sein engelhaft ruhiges Antlitz war
der Stempel seiner unsterblichen Seele, welcher sich tief f
unverwischbar in unsere Seelen abdruckte. Seine Cecile
trug das centner schwere Gewicht ihres Schmerzes helden-
massig sie unterlag keiner Hinfalligkeit, kein Wort
verrieth ihren inner en Schmerz. Sein Bruder Paul, wie
ein bewegliches Marmorbild, war unablassig an seinem Bette.
Diese tragische Scene wurde noch dadurch erhoht, dass
man die Ankunft seiner Schwester, Frau Dirichlet, oder der
Geschwister, des Herrn und der Frau Schunck vergeblich
erwartete. Dr. Hartel war nach Berlin gereist, um sie und
auch Dr. Schonlein zu holen — aber sie kamen nicht.
Von 9 Uhr Abends riickte die verhangnissvolle Auf-
losung heran! Seine Athemzuge nahmen ein langsameres
Zeitmass an. Die Aerzte zahlten sie, als wollten sie die
Wissenschaft mit neuen Entdeckungen bereichern, seine
Zuge wurden verklarter; Cecile kniete an seinem Bette in
Thranen aufgelost; auch Paul Mendelssohn, David, Schlei-
nitz und ich umringten sein Bett todtenstill, in Gebete-
versunken. Bei jedem Athemzug, der sich ibm entwand,
fiihlte ich den Kampf des grossen Geistes, der sich von
der irdischen Hiille befreien will. Ich habe ihn viel 1
neben mir in Kunstbegeisterung athmen , wie auf
einem Pegasus himmelan stiirmen gehort, und nun
mussten mir diese unvergesslichen Rhythmen in sol-
cher Auflosung erklingen! Beethoven's Schauerlaute
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zogen mich hintiber in bessere Welten; nur das unter-
driickte Schluchzen der Anwesenden und meine eigenen
heissen Thranen knupften rnich an die Gegenwart."
„Um 9 Uhr 24 Minuten hauchte er mit einem tiefen
Seufzer seine grosse Seele aus. Der Arzt brachte Cecile
in ein anderes Zimmer und stand ihr in ihrera stummen
Schmerz bei. Ich kniete vor dem Bette, begleitete die
Seele des Hingeschiedenen mit meinen Gebeten gen Him-
mel und kiisste die hohe Stirn, ehe sie im Todesschweiss
erkaltete. Noch mehrere Stunden bejammerten- wir ge-
meinschaftlich den unersetzlichen Verlust; dann zog sich
Jeder mit seinem Schmerz zuriick. Seine Kinder waren
um 9 Uhr zu Bette geschickt worden und schliefen schon
sanft, als Gott ihren Vater zu sich rief. Alles, was die
Begrabnissfeier schauerlich Erhabenes mit sich bringen
kann, wird den Gefiihlen nicht gleich kommen, welche
ich fiir meine iibrige Lebenszeit in Erinnerung des uner-
setzlichen Mannes, des geliebten Freundes mit mir tragen
werde." ...
Die ganze Stadt trauerte, das Gewandhaus gab an
diesem 4. November nicht wie gewohnlich sein Concert;
werhatteauch hineingehen mogen? Die eine gesprungene
Saite hatte alle Seelen verstimmt! — Moscheles wohnt in
den nachsten Tagen den Conferenzen. fur eine Todtenfeier
des geliebten Freundes hei; er instrumentirt dessen eige-
nes Lied ohne Worte in E-moll fiir die Gelegenheit. Die
Leiche ward alsbald nach Berlin gebracht; die Todten-
feier findet am 7. November in der Paulinerkirche start.
Es waren schwere Stunden, schmerzliche Wochen! —
Die Berliner Staatszeitung bringt folgenden Bericht:
„Am 6. November ward Mendelssohn's Leiche unter Be-
■«Ki
aus dem Trauermarsch der Eroica, besonders diese Stelle ' : t?M
:': ■' --■''■"' . ' ■■ : '" ' '.' — : "1B4;— - : '
.'■ gleitung einerBande vonBlechinstrumenten, welche Beeth-
oven's Trauermarsch spielte, in die Pavdiner- (Universitats-)
; : Kirche getragen. Der Zug bestand aus den Mitgliedern
des Gewandhaus-Orchesters, den Schulern des Conser-
vator rums, das der Verstorbene gegriindet hatte; dem
1 Sarge — das Leichentuch getragen von Moscheles, David,
Hauptmann und Gade — folgten die Professoren des Con-
servatoriums, Mendelssohn's Brii der als Haupt-Leidtragende,
mehrere musikalische Gesellschaften aus Leipzig und Dres-
den. Nach der Rede des Pastors in der Kirche wurden
em Orgel-Praludium und Chorale aus dem Paulus und aus
Bach's Passion unter Gade's und David's Leitung vom
■' Orchester gespielt. Der Sarg stand wahrend dieses
Gottesdienstes offen da, der Todte einen Lorbeerkranz
r. auf der Stirn, ward von den Malern Bendemann, Hiibner
und Richard aus Dresden gezeichnet. Nachts um 10 Uhr
t schloss man den Sarg, und er ward von den Schiilern
k. des Conservatoriums an die Station des Berliner Bahn-
hofes getragen. Ein Fackelzug von mehr als 1000 Per-
sonen geleitete die Prozession durch die iiberfullten Strassen
Leipzigs, und gleiche Ehren mit Grabgesangen wurden der
Leiche in Cothen, Dessau und anderen Stadten, durch
welche sie auf ihrem Wege nach Berlin kam, zu Theil. ,
:' Diese Stadt , erreichte man am 7. um 8 Uhr Morgens.
Dort ward der Sarg mit' Eichenlaub und einem grossen
:-".. Lorbeerkranz geschmuckt und von sechs schwarz behan-
gehen Pferden auf den Friedhof der heiligen Dreifaltigkeit
■ gebracht. Tausende folgten entblossten Hauptes und
wieder ward Beethoven's Trauermarsch gespielt. Zwei
Prediger und andere Freunde des Verstorbenen hielten
Reden am Grabe und ein 600 Personen starker Chor sang
eine Hymne von Groeber, „Christus und die Auferstenung."
Es ist unmoglich, die Theilnahme zu beschreiben, welche
sich unter den Anwesenden kund gab, wahrend die Manner
Erde, Frauen und Kinder Blumen auf den hinabgesenkten
Sarg warfen. Mendelssohn schlaft nun neben der gelieb-
ten Schwester, deren Tod einen so machtig beklagens-
werthen Einfluss auf ihn iibte."
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■■*''■ — 185 —
Der Konig von Preussen hatte Mendelssohn ein
Schreiben gesandt, worin er ihra die grosste Befriedigung
uber die erste Auffiihrung des „EUas" in Berlin ausdriickte;
leider aber erreichte dies Schreiben Leipzig einen Tag
nach dem Tode des grossen Meisters. Im Gewandhaus-
Concert des 11. Novembers gab man:
Erster Theil: Paulus-Ouvertiire; Motette, „Herr, nun
lassest Du Deinen Diener in Friedenfahren"; Mendelssohn's
Lied, „ Vergangen ist der lichteTag" von Frau Frege riih-
rend schon vorgetragen; Ouverture zu Melusine.
Zweiter Theil: Beethoven's Eroica.
Wer mochte die Gefiihle bei diesem Concert schildern!
Jeder kennt nur den eigenen Herzensschrein und verbirgt
ihn gem vor dem Auge der Welt.
Frau Moscheles, nach Frauenart ergrifFen, meinte, an
■ein Verbleiben in Leipzig sei nun wohl nicht zu denken.
Der Verlust sei gar zu gross, der Zweck einer Thatigkeit
im Verein mit Mendelssohn durch diesen Schlag zerstort.
— — Aber Moscheles berichtigte bald ihre Ideen.' „Er hat
mich an das ihm . so liebe Institut berufen, ein "Wirken
daran mit ihm ware mir eine tagliche Freude und Ge-
nugthuung gewesen, das Wirken daran ohne ihn bleibt
mir Pflicht und heiliges Vermachtniss. Ich muss nun fur
uns Beide arbeiten."
So beginnt er seine Lectionen am Montag den 7. No-
vember von Neuem und findet in seiner Pflichttreue gegen
■die Schiller den besten Trost fur seinen herben Schmerz.
Der Verkehr mit den Lieben des Verstorbenen, das Lesen
seiner wohlthuenden an Mann und Frau gerichteten Briefe,
das Spielen seiner Musik — „Ton den Kinder stucken an,
■vvelche C. lernt, bis zu S.'s vierhandigem Spiel mit mir
und meinem alleinigen Durchgehen seiner schonsten Cla-
viercompositionen" — das sind lebendig trostliche Ver-
machtnisse von ihm", schreibt Moscheles. Seine Compo-
sitionen werden audi in befreundeten Hausern im kleinen
Kreise gespielt, die Kammermusik giebt sein Octett; so
lebt man den triiben Winter mit ihm fort.
Der Konig von Sachsen wohnt einer Auffiihrung der
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'; ' ■ ■ ■'■"':'' .-.'■'. ''.■■'■ | -'''".. ' ; .
' , — i86 — '■..','
Walpurgisnacht im Gewandhaus bei; die Bruchstiicke der
Loreley werden aufgefiihrt und „oh", seufzt das Tagebuch,
„warum sind es Bruchstiicke ? Warum durfte er die viel-
versprechenden nicht vollenden"? Es erscheinen zahllose
Skizzen von Mendelssohn's Leben, keine schildert ihn so,
wie seine eigenen Briefe es thun. Jeder seiner Freunde
kann nur bezeugen, was er ihm war, was er an ihm ver-
liert; die Welt muss es beklagen, dass dieser schopierische
Genius abberufen ward, ebe er Zeit hatte, alle Keime, die
in ihm lagen, zur Reife zu bringen; man kann nur be-
wundernd lesen, wie er seine edle Gesinnung, seine An-
hanglichkeit an Alle, die er liebte, aussprach. Keinem
Menschen hat er je iibel gewollt, die Kunst betrachtete
er als ein Himmelsgeschenk; es war ihm verliehen, er
musste es hegen und pflegen als ein herrliches Gut, und
wahrend so Manche seiner Zeitgenossen fur die Welt, den
Modegeschmack, das Publikum schrieben, trachtete er ein-
zig und allein darnach, poetische oder gottlich erhabene
Gedanken in die edelsten lieblichsten Harmonien zu
kleiden. Auch seine Werke fanden ihre Tadler — wer
fande diese nicht? Aber Kleiner kann ihm vorwerfen,
sich selbst und dem, was er fur das Wahre, Richtige
hielt, jemals untreu geworden zu sein!
1848.
Das Jahr begann mit dem regen musikahschen Treiben,
das die Stadt Leipzig noch heute charakterisirt. Zu den
einheimischen Grossen Hauptmann, David, Rietz, Coss-
mann, Joachim, gesellten sich als Mitwirkende in den
Abonnements-Concerten und der Kammermusik Reinecke,
Schubert, Lipinsky, und vor AHem das genialische Paar
Robert und Clara Schumann, er mit den auserlesensten
Novitaten fur Orchester und Clavier, sie einzig gross in
Wiedergabe der letzteren. Auch der vortreffliche Or-
'> ' ' ■ — 187 —
ganist Becker kam, dann Friedrich Schneider aus Dessau l'q
mit einer neuen Symphonie fur's Gewandhaus. Die Kimst-
lerversammlung hielt Reden iiber den wahren Fortschritt
der Kunst und Griepenkerl gab Vorlesungen iiber Poesie
und Musik. „Immer aber leben wir dem Andenken Men-
delssohn's", sagt ein Brief Moscbeles', „und haben innigen
Verkehr mit seinen Hinterbliebenen. Seine Fran hat den
Muth, bei alien Auffiihrungen , welche die Freunde ihres
Mannes veranstalten, zugegen zu sein, und solche tief ergrei-
fende Compositionen , wie das letzte Quartett in F - moll
und das Nachtlied so vorgetragen, wie es nur Frau Freg e
kann, mitanzuhoren. Am 3, Februar, seinem Geburtstag,
ist auch der „Elias" gegeben." „Ich habe alien Proben bei-
gewohnt, E. und S. sangenmit. LeiderwarjadieseersteAuf-
fiihrung zugleich eine Todtenfeier! Sein dazu angefertig-
tes Medaillon vom Bildhauer Knaur hing bekranzt iiber
dem Orchester. Behr war ein braver energischer Elias,
Frau Frege sang die Wittwe glockenrein und seelenvoll,
Frl. Schloss die Alt-Partie vortrefflich. Gade's Leitung
war fleissig und gut, bis auf einige Tempi, die Mendels-
sohn in Birmingham anders genommen hatte. Dort er-
hohte die Orgel viele Effecte. Das Concert, zum Besten des
Pensions-Fonds gegeben, konnte sich unbegreiflicherweise
nur eines zwei Drittel gefullten Saales riihmen; die ehf-
furchtsvolle Stille, mit der das Werk aufgenommen wurde,
liess einige Blatter behaupten , das Publikum sei nicht
davon ergriffen gewesen. Die ganze Sache rief bei uns
und einigen Gleichgesinnten viel Entrustung hervor." Die
Auffuhrung des „Elias" wircl spater wiederholt.
Inzwischen begann es, nach dem Vorbilde Frank-
reichs, auch auf unserer heimathlichen Erde zu gahren.
Hatten die Franzosen ihre Revolution , so mussten wir
es ihnen nachthun, und man weiss, wie es aller Orten
nicht an iiberreizten Kopfen fehlte. Der Vater in Ham-
burg nimmt sich alles so sehr zu Herzen, dass man be-
sorgt um ihn wird. Die Tochter besucht ihn auf acht
Tage , und hier folgen Ausziige aus den Briefen , welche
Moscheles in dieser Zeit an sie richtete:
'-. , \
i^W£^,y-=-;-fc'^ *,.'•>■■■. "-i>; : ^^£pv >r^. -"ff-'.^i. ■■'■■■. ?, : =-; -r---T r ^^w^
25. Marz 1848.
„Schon bist Du sechs Stunden fort; es ist Zeit, dass
Ich ein wenig mit Dir plaudore, damit Dich diese Zeilen
ira Kreise der Unsrigen begriissen. Sieh zu, dass Du
ihnen etwas von unserer sachsisch-politischen Besonnen-
heit und meinem selbstbeherrschenden Gleichmuth bei-
bringst. Ich hofte, Deine Gegenwart ermuthigt sie die
herben Zeitereignisse mit Standhaftigkeit und Vertrauen
auf Gott zu ertragen. Wenn Du nicht helfen -kannst,
vrirst Du sie gewiss angenehm zerstreuen und somit ware
der Zweck Deiner Reise erreicht. Eben unterbricht mich
ein neuer Clavierspieler A., ein halber Englander, von
Schnyder von Wartensee empfohlen. Er klopfte mein
Clavier ein bischen durch und macbte mich mit einigen
neuen schlagenden Effecten bekannt; sich mochte er hier
bekannt machen." . . .
Sonntag, 26. Miirz 1848.
. . . „Cecile bat mich gestern, die eben corrigirten Or-
chester-Stimmen von Felix' A-dur-Symphonie zu revidiren,
weil sie vielleicht im letzten Concert gegeben werden soil.
Ich bin auch im Theater gewesen, eine neue Oper zu
horen; aber sie fiel durch. Die Musik war so alltaglich
schlecht, dass sie mich sogar im Schlaf storte; besser
vielleicht, dass ich zu keiner Ruhe kommen konnte, da
das Theater doch nicht zum Schlafen gemacht ist. Prof.
G. wiirde gesagt haben: die Composition entspricht dem
Zeitgeist nicht. David sah mich vom Orchester aus in
den drei Entr'acten betrubt an; ich bemitleidete ihn. . . .
Robert Blum vom Arbeiter-Verein, den das Tageblatt als
sehr verminftig riihmt, zum Abgeordneten beim Parla-
ment erwahlt, nahm es freudig an." , . .
Nachts 11 Uhr. „Heute friih schrieb ich Dir und
jetzt beginne ich meinen Brief fur morgen, da das
Conservatorium morgen nicht viel Zeit lassen wird.
Wir assen behaglich bei David mit Gade und Coss-
raann und tranken auf Deine Gesundheit
Alle Bekannten fragen nach Dir, ich habe durch mein
Strohwittwerthum alien Glanz verloren. Im Museum fand
— 189 —
ich gahrende Berichte iiber Schleswig-Holstein; Du wirst
dort mehr dariiber wissen; Gott behiite vor einem nahen
Krieg! — Besuch bei Cecile, iiber die Promenade bei
heissen Sonnenstrahlen, dann Dein erster Brief. . . . Der
Clavierspieler A. kommt eben, noch vor meiner Siesta; der
wird mich wach erhalten; aber er trennt micb vonDir." ...
27. Marz, 11 Uhr Nachts.
„ Ich will nicht zu Bette gehen , ohne
ein Wdrtchen mit Dir zu plaudern. Ich sitze in mcinem
Zimrper bei ungeheiztem Ofen, die Cigarre im Muhde.
S. habe ich jetzt von ihrem Zeichnen weg, zu Bette
geschickt, F. um 10, C. urn 9 Uhr. Sie sind so gut wie
der Dreiklang. S. der Bass, F. die Schalmei (Schelmerei),
C. die Trompete. Bis 7 Uhr spielte mir A. seine quand
meme-Stiicke vor, ein Gemisch von interessanten Combi-
nationen und chaotischen Phrasen. Ich hore, dass Gade
ihm abgerathen, seine Sachen hier zu spielen, und da er
gem Dienstag im Pensionsfonds-Concert auftreten mochte,
so wird er sich in Hummel's H-m oil-Concert horen lassen.
Dann gab ich dem W. eine Lection. Kaum war der fort,
so kam wieder ein fremder Clavierspieler mit Manuscript,
aber Behr's Besuch schiitzte mich, sonst hatte er mir auch
vorgetrommelt. Behr war in Berlin gewesen und erzahlte
viel iiber dortige Zustande, dann probirte er drei Mai mein
Lied ,jFreie Kunst". Endlich um 7 Uhr ging ich in's Mu-
seum und las iiber das Drama der Zeit, worin Petitionen,
Cocarden, Barrikaden und dreifarbige Fahnen als Com-
parsen auftreten. Dann trank ich mit den Kindern Thee, las
wieder Zeitung und dann noch eine Stunde an's Clavier." ...
Dienstag, 28. Marz.
Abends nach dem Thee. „Ich will meinem Vor-
satz getreu bleiben, Dir taglich zu schreiben, obwohl
dies kerne. Uebereinkunft zwischen uns ist, ich Dir
auch keinen Vorwurf mache, dass Du gestern nicht
schriebst, da ich Deine dortigen Abhaltungen kenne.
Komischerweise fand ich in der Wiener Zeitung einen
Artikel. „der dem Konig von Preussen vorwirft, er habe
— igo —
seinem Volk erst iiber den Leichen der Burger Freiheiten
und Aufklarung gegeben." Und das von Oesterreich!
Wohin es gekommen ist! Hast Du einmal in einer Ballet-
Pantomime Figuren tanzen sehen, die von vorn wie alt-
mo dische Herren aussehen, indem sie sich umdrehen, aber
junge, leichte, lachende Figuren vorstellen — so kommt
mir Oesterreich vor." ...
Die Frau wird auf ihrer Riickreise schon in Berlin
von Moscheles empfangen, „damit sie zusammen Mendels-
sohn's Grab besuchen konnen." „Es war ein trauriger
Gang, doch that er unsern Herzen wohl", schreibt sie.
Die Politik nahm damals natiirlich das grosste In-
teresse in Anspruch; sie bildete den Gegenstand des Ge-
spraches, sie findet auch in Moscheles' Tagebuch selbst-
verstandlich mehrfach Erwahnung, und seine Correspon-
denz nimmt oft Bezug auf politische Vorgange. Wir
fiihren nur Weniges an, um darzuthun, welches Urtheil
Moscheles sich iiber die staatlichen und gesellschaftlichen
Verhaltnisse bildete. Bieten derartige Ausspriiche doch
auch kleine Beitrage zu seiner Charakteristik dar. So
schreibt er u. A. nach Hamburg:
„Es ist als hatten die Staaten einen Krebsschaden
und in Frankfurt fande die Consultation der Chirurgen
statt. Kiinstliche Arme, Beine, Augen und Nasen werden
dort in der grossen Versammlung dem verstiimmelten
Staatskorper angesetzt, und unser Zeitalter hat das trau-
rige Loos, diesen Operationen zusehen zu miissen. Fine
harte Pruning; aber Gott hat sie uns auferlegt! Ich bin
nicht vom Freiheitsschwindel ergriffen, wiinsche mir ein
monarchisches juste milieu, mochte aber nicht unter Ni-
colaus' Zuchtruthe kommen, und auch nicht meine Neben-
menschen darunter sehen." Die Prager Verwandten
fliichten nach Leipzig — es geht dort zu schlimm her. —
„Und mein altes Wien mit seinem durch Menschenblut
errungenen Jubel! Mein leichtsinniges, musikalisches Wien!
das kann ich mir noch weniger in seinen Gahrungen vor-
stellen, wie Berlin, wo sich die Tragodie grasslich ent-
wickelt. Gott behiite uns vor einer Wiederholung der
.1 a
goer Jahre! Freitag Abend horten all' unsere Bekannten
und wir auch die Debatten des hiesigen Deutschen Ver-
eins. Laube, eben aus Wien gekommen, sprach gut iiber
die dortigen Zustande, Flathe schlug Auswanderung als
einziges Hiilfsmittel vor, um der Volksnoth zu steuern,
Zestermann vertheidigte die Zittauer, seine Landsleute,
deren Patriotismus man hatte verdachtigen wollen; das
Alles ging unter Cigarrendampf vor sich ; schlecbt fiir die
Damen, aber besser als Pulverdampf." „Mitten in die bose
Politik hinein", schreibt die Frau, „bringen Kunst und
Beruf ihre Trostungen; letzterer in den Vorbereitungen
zur Schuler-Priifung. Abends vergeht uns mancbes Stiind-
ohen angenehm am Clavier." „Wenn ich spiele, vergesse
ich Alles", sagt Moscheles, „aber freilich zum Componiren
kann ich mich in jetziger Zeit nicht sammeln. Die Natur
bringt aber auch ihre Trostungen. Sieht man wie wir,
bei unserer sonntaglichen Fahrt nach Liitzschena die
Schonheiten dieses Parkes, so wachst das Zutrauen zu
Gott, der Alles so herrlich gemacht hat. Die zweihundert
alten Bilder der dortigen Galerie gabeh uns Geistesnahrung
und Genuss, dann besuchten wir mit Freude die Muster-
wirthschaft des Gutes. Ja, es giebt noch scheme Winkel
auf unserer Erde, und ich schliesse mich gern alien den
Hoffhungen an, die uns die Freiheit nach fibers tan denem
Elend verspricht. Mochten wir bald ihren Triumphzug
sehen, wie wir das Auf- und Abtreten von Konigen und Mi-
nistern gesehen haben."
Frau Frege giebt ein Concert. zum Besten der noth-
leidenden Arbeiter mit Hinzuziehung vieler Kunstler —
auch Moscheles wirkt mit. Es fallt brillant aus, und da
der Kammerrath Frege grossmiithig die Kosten von
200 Thlr. iibernimmt, so bleibt eine reine Einnahme von
640 Thlr. fiir die Fabrik-Arbeiter. Ein Brief Moscheles'
sagt nach einer Auffiihrung von Beethoven's neunter Sym-
phonie: „Mein Entziicken war gross. Sie entfaltete mir
neue Herrlichkeiten. Es traten Einzelnheiten und Effecte
hervor, die ich trotz aller Miihe und allem Fleiss mit dem
Londoner Orchester nicht erreichen konnte. Die Instru-
mente verwebten sich in echt nmsikalischer Weise zu
- einem Ganzen, zu einem Ideale, nach welchem ich in Eng-
land lange geschmachtet hatte. Das Werk selbst steht in
Verhaltnissen zu anderen Symphonien wie der Kolner Dom
zu anderen Kirchen ; Rietz dirigirte und wusste den wichtigen
Posten mit Sachkenntniss undBegeisterung zu behaupten.". . -
Der 30. Maij Moscheles' Geburtstag, ruft folgenden
Brief hervor: „Eure Wunsche waren mir doppelt will-
kommen in einer-Zeit, wo die Staatsbande locker, die Fa-
miBenbande oft durch die .leidige Politik gefahrdet sind^
da lasst uns doppelt die Giinst Gottes geniessen, der uns-
den Tag wieder erleben liess. In meinem hauslichen
Kreise geschah Alles, um mich die diistere Gegenwart
vergessen zu machen; so liess ich mich denn auch ganz
geduldig mit verbundenen Augen von den Kindern vor
meinen Geburtstagstisch fiihren, um spater mit offenen
Ohren Alle spielen zu horen. Es gab aber auch eine
hiibsche Zeichnung von S., und was mir die grosste Ereude
machte, Mendelssohn's Studirzimmer, von Felix aquarellirt,
getreu so, wie er 6s bei seinem Tode verliess, jede, auch
die kleinste Einzelnheit aufgenommen. Cecile schenkte
mir ihres Mannes Ziindmaschine. Ein theures Andenken,
wie Alles, was von ihm kommt." . . .
Herr Schletter eroffnet seine schone Bildergalerie
gegen ein Entree von mindestens z'fa Groschen zum Besten
der Nothleidenden. Die Frau schreibt: „Uns steht doch
das ungliickliche Orchester mit seiner geringen Bezahlung
und den Liicken, die ihm die Zeit in seiner Einnahme ver-
ursacht, am nachsten. Sie spielen nun seit zweiundeinhalb
Monaten ohne Gage am Theater und wollen deshalb im
Verein mit der Truppe -gegen den Director processiren.
Diese Leute sind keine Schreier und Ruhestorer, sondern
sehr honette Familienvater, die- ohne ihre Schuld Frau
und Kinder darben sehen. Da will ich eine Lotterie von
Handarbeiten fur sie veranstalten, um doch wenigstens
einen lindernden Tropfen in den Ocean ihrer Leiden zu
traufeln. Die Kinder helfen mir tiichtig arbeiten, auch
liefern die hiesigen Damen hiibsche Sachen und die Loose
^>>ra^*<" -?'-^*^J-r.-: '^ rl c,:, ^s,,-v; ^ , <*'Wj<£H«*i.;
— 193
verkaufen sich gut." Die Lotterie tragt 213 Thlr. 10 Gr.
ein und die kleine Austheihmg verbreitet grosse Freude.
Der beriihmte Wiener Koraiker Nestroy fallt mit
seiner „Freiheit in Krahwinkel" gerade recht in die triibe
Leipziger Zeit hinein, urn Alles zu erheitern. Moscheles
sagt: „Es gehort ein Nestroy dazu, um Staatsreform und
Freiheit zu parodiren, ohne zu ermuden oder gar zu be-
leidigen. Friiher hatte ihm das Stiick einen freien Aufent-
halt auf dem Spielberg eingetragen — jetzt darf er sogar
einen Metternich ungestraft als komische Figur aufs
Theater bringen. Gelungen ist auch der Moment, wo er
als Aufwiegler vor der Biirgerschaft von Krahwinkel auf
einen Stuhl steigt, um sie anzureden. Kaurri aber hat er
„Meine Herren", hervorgebracht, so unterbrechen ihn die
lautesten Hurrah's und Bravo's — er versucht zum zweiten,
zum dritten Mai, aber die Scene der bis zur Betaubung
gesteigerten Bravo's wiederholt sich und er tritt ab, ohne
gesprochen zu haben!"
In einem Concert fur die brodlosen Arbeiter spielt
Moscheles sein E-dur-Concert und sagt: „Das Orchester
unter Rietz und David folgte mir mit einer Uebereinstim-
mung, die ich dem einig zu werdenden Deutschland
wiinsche, und allgemein erkannte man, was ich wollte —
Musik, nicht Seiltanzerei. Gottlob, dass ich jetzt nicht
erst anfangen muss, mir mit meiner Kunst mein Brod zu
verdienen, sonst miisste ich auch Seiltanzer werden
Formes als Leporello war neulich sehr markig und kraf-
tig, aber mich argerte, dass er in der Kirchhof-Scene
ausrief: „das klingt ja wie Posaunen." Das Publikum
fand Wohlgefallen daran, aber das Publikum, wenn es so
etwas beklatscht, ist mit dem Irrlicht in der Wiiste zu
vergleichen; es fiihrt den Kilnstler auf Abwege. Rietz
nahm viele Tempi langsam, was mich an einem modernen
Kapellmeister wunderte." Einmal schreibt Moscheles:
Ich, der ich bisher nur von musikalischen Combina-
tionen und Partituren umstrickt war, lebe jetzt ganz in
der Politik, wenn ich mich von meinen Berufsgeschaften
abmiissigen kann. Nur der Familienkreis mit seiner be-
llosciicles' Lcben. II. 1 3
iwsfp^f?^
— 194. —
standigen Harmonie hat Trostliches. Wir musiciren oder
lesen Abends laut vor, die Kinder werden unterriehtet, es
ist ein wohlthatig reges Leben im Hause. Der Violin-
spieler K. mit seinen Kunststiickchen aller Art, mit seinem
„Tnngemalde" ohne Musik, dem vielen Orchesterlarm, bier
und da durch ein weinendes Violin-Solo unterbrochen,
zerstreut mich freilich nicht, aber Reinecke ist interessant,
Billow hat eine vortreffliche Technik und schon jetzt,
trotz seiner Jugend grosse Ilerrschaft iiber das In-
strument." . . .
Der Freiheitsrausch ergreift Leipzig immer mehr,
.-aber ehe der Sturm ungefesselt losbricht, konnte die Fa-
mine Moscheles noch eine Woche der Erholung in Dres-
den und der Sachsischen Schweiz geniessen. „Am Sonn-
tag Vormittag in der Katholischen Kirche lernte ich auf
•dem Chor Wagner, den republikanischen Componisten
;und wirklichen Republikaner, kennen; ich besuchte Reis-
■siger, der mir mehrere seiner griindlich gediegenen Com-
positionen vorspielte, unter diesen eine Violin-Sonate, die
_er mir dedicirt. Mit der Grafin B. meine Es-dur-Sonate
J probirt. Sie spielt ganz vortrefnich. Schumann's . hatten
viel von ihrem Streit mit *** zu erzahlen, der gestern bei
ihnen spielte und gegen Mendelssohn loszog. Unwiirdig
1 und undankbar! — Abends bei Hiibner's und Bendemann's,
die interessanteste und • erfrischendste Unterhaltung iiber
'Kunst, statt der Monotonie der ewigen Kannegiessereien.
Ich spielte ihnen auch recht viel vor." Nach diesen
Kunstgeniissen, zu denen noch herrliche Stunden in der
Bildergalerie gehoren, waren die Naturgeniisse doppelt
erfrischend. „Wir wander n mit ein em Fiihrer durch
Thaler und Schluchten, bergauf, bergab, aber Kiemand
•ermiidet in der herrlichen Luft, invAnschauen der schonen
Panoramen, durch die sich die Elbe malerisch schlangelt.
Der junge Freund N. begleitet uns und treibt viel Spass
mit den Kindern. Aber wir alten Kinder sind auch lustig."
Es riickt der 4. ]ulf heran und bringt den Sturz des
franzosischen Ministeriums; es.kommt der 10. und mit ihm
die Durchreise des Reichsverwesers ; es bildet sich unter
', <r-'Mr
5VSS?«-KTWS.'' iV-H^- ; -v'-*j> ; ,■* ; ■--:?. ;.r ■..■- ;- -.r-" ■■.-•;-■-?■ ■:. ■■ >■-■■?.- ■::■'•: - ■■-■■!'-;< AvjvvV-
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— 195 —
•den Biirgern Leipzig's eine Sch'utzwache, der auch Mosche-
les beitritt. Aber er selbst pnegte iiber seine geringen
Talente zu kriegerischen Unternehmungen zu scherzen;
als Waffe hat er sich die Pike gewahlt, und als er von
einem Nachtdienst heimkehrte, erzahlte er, wig Brassin
(der Bassist am Leipziger Theater), der auch auf Wache
war, sich gemuthlich mit ihm iiber die letzte Auffiihrung
■des Don Juan unterfialten, „so dass die Zeit schnell und
angenehm verstrich."
Im September schreibt er dem Vater: „Die Privat-
Priifungen im Conservatorium, denen bald die offentlichen
folgen werden, nehmen mich jetzt sehr in Anspruch; es
haben sich mehr neue Schiller gemeldet, als sich in die-
sem Jahre erwarten liessen, und Schleinitz, Preusser und
Dr. Seeburg sind die theilnehmendsten unter den Direc-
toren. Ersterer dirigirt das Institut mit derselben Liebe,
■die ich ihm weihe, von derselben Triebfeder beseelt; es
ist eine Griindung, ein Vermachtniss des Freundes Men-
delssohn. Mendelssohn's musikalischer Nachlass>, unter
dem sich noch einige nicht publicirte "Werke befinden, ist
in Schleinitz' Handen als Vormund der Kinder. Eins
dieser Werke, „Reformations-Symphonie", wurde gestern
ganz privatim probirt. Es athmet kirchlichen Ernst und
gefiel mir, wie er selbst auch daran zu tadeln hatte.
Kannte er doch die Tiefe und Wurde des geistlichen Styls
50 gut wie den Spuk der tanzenden Elfen, oder die Ge-
miithlichkeit der Lieder! Sein Genie wird meinen Geist
nahren, so lange ich lebe."
Auch der Gedachtnissfeier im Conservatorium an
Mendelssohn's Todestage gedenkt er tief geriihrt. „Nur
die Professoren und ihre Frauen geladen und AUes ' in
Trauer. Es wurde Musik gemacht, und Seeburg hielt
vor Mendelssohn's Biiste eine Rede, in welcher er die
Schiiler ermahnte, ihrem grossen Vorbilde, dem Griinder
des Institutes nachzustreben. Uns ergriff die Feier sehr,
besonders eines der letzten Lieder von Mendelssohn, das
Frau Frege mit dem ihr eigenen riihrenden Ausdruck
und Schmerz vortrug; dann aber auch das tief aufgeregte
13*
- — 196 —
leidenschaftliche F-rholl-Quartett, das Joachim, als Ersatz
fur David, der unwohl war, vortrefflich und im richtigen
Geist spielte."
Ausserhalb der Kunstwelt, am politischen Horizon t,
wird es immer diisterer. Moscheles schreibt: „Alle Re-
formen, die uns die Neuzeit bringen soil, scheinen noch
unreif und ich mochte, wir konnten sie wie die Friichte
in Stroll legen, damit sie reif wiirden. Vielleicht liesse-
sich dadurch das Diingen mit Menschenblut ersparen.". ..
Ein an der Mai: . . . „Bedenken Sie nur, ein ewiger Friede
ware wie ein ewiger Fruhling; Beides giebt es nicht in
dieser Welt." Aber die politischen Stiirme heulen mit
erhohter Wuth. Moscheles' „liebes altes "Wien" hat ihre
Verheerungen zu ertragen; die Freiheitsmanner wollen es
von seiner langjahrigen Bedruckung befreien. Litolff
schliesst sich den Kampfenden an, die weisse Binde um
den kunstgeiibten Arm; Robert Blum ist mit zahlreichen
Gesinnungsgenossen zur Kaiserstadt gezogen, aber man
bemachtigt sich seiner, gerade an ihm soil ein Exempel
statuirt werden — er wird erschossen.
Als die Kunde Leipzig erreicht, giebt es Trauer und
Freude, Entriistung und Jubel, die sich im Hause und auf
der Strasse aussern. „Es sind herbe Priifungen", sagt das
Tagebuch am 27. November, , ; aber mit Gottes Hiilfe sind
sie mit der gestrigen Todtenfeier "fur Robert Blum er-
massigt. Ich wohnte ihr auf dem Chor der Thomaskirche •
bei, wo ich mich ganz in's Durchlesen der Cherubini'schen
Partitur des Requiems in C-moll vertiefte. Der Phantast
und Wiihler Dr. M. unterbrach mich und Rietz in unserm
Gesprach daruber durch sein Schimpfen iiber die Behorde,
der er die Genehmigung zu einem Concert im Theater
als Fonds zu einer Blumstiftung abdringen musste; dann
polterte und larmte er fort, unbekummert um die Locali-
tat, bis ich ihm die Seite in der Partitur zeigte, wo im
Kyrie verdeckte Pauken angegeben sind. Das brachte
.inn zum Schweigen. Wieder also hat die Kunst gesiegt."
Sie bereitet Moscheles in diesen Tagen eine Freude, in-
dem seine Ouvertiire zur Jungfrau von Orleans unter
■ ■ ■ ' ; i.
— 197. — ■
Rietz' Leitung mit grosser Sorgfalt im Gewandhaus-
Concert gegeben, eine Mozart'sche Messe unter Haupt-
mann's Leitung in der Nicolaikirche mit angehort wird.
Johanna Wagner utid Tichatschek bieten audi grosse Ge-
niisse. „Aber ein Cellist spielt im Gewandhaus-Concert
eine Phantasie uber einen tragischen Walzer und regte
mich auf, wie der unruhige Schlaf den Fieberkranken.
Hiller's D-moll-Concert war pikant, die Leonoren-Ouver-
tiire Nr. 3 schloss glorreich. In der Thomaskirche Spohr's
Oratortum: „Die letzten Dinge" mit S. und F. gehort. Die
Musik, die mich. vor 28 Jahren sehr interessirt hatte, kam
mir monoton und zu manierirt vor. Im Anhoren zogen
mir alle Spohr'schen Werke am Ohr voriiber, dieselbe
thematische, chromatische , enharmonische Behandlung
wiederholt sich." .... Nach einem Gewandhaus-Concert
finden wir die Notiz: „Ouverture und zweiter Entr'acte zu
Cherubini's Medea hinreissend schon und begeisternd,
Mendelssohn's „ Chor an die Kiinstler ", seiner wiirdig.
Aufnahme vortrefflich." ...
Am 17, December sagt das Tagebuch: „Leider ist es
mir trotz zehntagiger Bemiihungen und vielen Bettelns
nicht gelungen, der blinden Sangerin A. Z. einen vollen
Saal bei ihrer heutigen Matinee zu verschaffen. Joachim
spiel te vortrefflich, der neue Clavierspieler P. trat zum
ersten Mai auf (freilich alltaglich), die arme Sangerin
sang ihre Schweizerlieder und einiges Andere ganz ge-
miithlich und doch blieben ihr nur 26 Thlr. iibrig." '
Zu Weihnachten schreibt Moscheles: „Meine Conser-
vatoriumsgeschafte endeten fur dieses Jahr mit dem offent-
lichen Priifungsconcert der Schiiler am letzten Donnerstag, v
das besonders befriedigend war. Alle Productionen warm
aufgenommen und die Lehrer von den Directoren be-
complimentirt."
Als der Weihnachtsbaum angeziindet wird, kann die
alteste Tochter mit ihren beiden Knaben dabei erschei-
nen; der jiingste hat wenige Wochen 2uvor im elterlichen
Hause das Licht der Welt erblickt; ,,sein und der Mutter
gedeihlicher Zustand unser schonstes Geschenk", sagt das
' ' ' — igS —
Tagebuch; „es eroffnet sich uns auch eine hellere Zukunft
fiir das nachste Jahr; dafiir und fur die Segnungen der
Familie sei dem.Lenker der Schicksale Lob und Dank
gebracht."
1849.
Ein Brief vom 2. Januar sagt: „Ich muss Ihnen ein
fiir Leipzig bedeutendes Ereigniss melden; es ist der Tod
einer sojahrigen Kunst-Macenin. Sie lebte zu Haydn's,
Mozart's und Beethoven's Zeiten in Wohlstand, und war
im Auslande mit . Ehren und Auszeichnung empfangen.
Zuweilen war sie eine Neuigkeits-Kramerin, oft aber war
ihre Unterhaltung belehrend. Sie reiste nie mit Species,
nur mit Noten; ihr Name — die „Leipziger Allgemeine
Zeitung fur Musik." In ihrem Abschiedsblatt sagt die
Redaction u. A.: „Die Kunst-Productivitat ist jetzt so
sehr im Stocken, dass der Stoff zu einer Musikzeitung
fehlt." In dieser letzten Nummer veroffentlicht Schleinitz
die Statuten zu einer Mendelssohn-Stiftung, von der er
mir schon friiher sagte, dass er sie zu grunden beabsich-
tige. Sie hat den wiirdigen Zweck in "Verbindung mit
dem hiesigen Conservatorium durch wohlthatige Kunst-
beforderung das Andenken Mendelssohn's zu verewigen.
Der Konig hat das Protectorat derselben angenommen,
meine Wenigkeit mit nicht geringer Ereude einen Platz
als Mitdirector. Der Konig hat mich auch mit einem
Schreiben und einer goldenen Dose fiir meine Dedication
der „Contrastes" beehrt; aber ich spreche nicht dariiber,,
sonst geht es gleich durch die Zeitungen." . . .
Das Tagebuch erwahnt Gade's Ouvertiire „Ossian*s
Klange' r als „pikant durch ihre eigenthiimliche Instrumen-
tation. Der Lobgesang war ein uppiger Genuss, ob-
gleich die feineren Nuancen in Orchester und Chor nioht
so gegeben wurden, wie unter dem Componisten; das.
erste Allegro iibereilt. So wie in Birmingham mit der
— igg — ' • - : y[A
Org el war es nicht. Die ganze Aufluhrung damit ver-
glichen, kam mir vor, wie ein Abdruck apres la lettre." ;^
Spater schreibt er: „Es i st schon, dass uns gleich der 1 ■;
erste Monat im Jahre solche Geniisse bringt, wie die :'•■-
Soiree der Damen Schumann und Schroder- Devrient. ^»fe'
Frau Schumann spielte ihres Mannes Quintett (nach
meiner Meinung seine beste Clavier-Composition). Frau j .'
Schroder war nicht minder gross als friiher; denn sie er-
setzt durch dramatischen Vortrag, was ihr an Frische der v
Stimme fehlt. Im Gewandhaus horten wir Schumann's?
C-dur-Symphonie. Er folgt genialisch Beethoven's Manier,
ist ihm an Kuhnheit ahnlich, doch nicht an Gerniith. Sein .'
D-moll-Trio in der Kammermusik (mit David und Wittmann)
erkannte ich als eine Composition vom leidenschaftlichsten
Charakter. Dieser beruht nicht sowohl auf der Intensitat
der Gedanken, als auf einem Sichergehen in den entfern-
testen Tonarten. Das Scherzo ist das pikanteste Stuck
und musste wiederholt werden, das Adagio sehr triibe.
Frau Schumann spielte ihres Mannes Sachen, Mendelssohn, j
Chopin, genug, Alles als Meisterin. Joachim in Beet-
hoven's und dem neuen Gade'schen Octett war nicht
minder ausgezeichnet. Das letztere soil und will sich als
Seitenstiick zu dem Mendelssohn'schen hinstellen, verliert
aber bei dem Vergleich. Es ist jedoch eine tiichtige Ar-~->
beit, die bei ofterem H6ren gewinnen kann. Wir sahen
die Fremden viel; die Damen waren stets liebenswiirdig,
Schumann, dem ich mich gern in einem Kunstgesprach
genahert hatte, stets abgeschlossen. Bei uns, als ich eben ■'
meine Es-dur-Sonate mit Frau Schumann spielte, nachdem
uns Frau Schroder und Frau JFrege schon durch die
schbnsten Lieder erfreut hatten, erscholl ein Standchen
vom Garten herauf. Es war ein Mannerchor, der trotz
des Regens die Fremden feierte." (
DasTagebuch sagt: „Paul Mendelssohn besuchte mich,
urn mich im Namen seiner Schwagerin zu ersuchen, im
Verein mit Hauptmann, David und Rietz die Herausgabe
der posthumen Werke seines Bruders zu leiten. Ein
Dienst, den ich mit Liebe und Pietat verrichten werde."
^yys^^mt^wwffi
■ — 200.
— „Scbon am nachsten Abend horte ich bei David einige
der posthumen Quartett-Satze. Am ausgezeichnetsten ist
das Quartett in F-moll, bedeutend ein Quintett in B-dur."
Die Athalia von Mendelssohn wird aufgefuhrt und
Eduard Devrient spricht sein dazu gemachtes verbinden-
des Gedicht, „seiner und der Aufgabe wiirdig; die Athalie
von Frau Frege ebenso vortrefflich' aufgefasst, wie der
Beethoven'sche Liederkreis. Felix hatte mir die Athalia
in London am Clavier vorgespielt, jedes Blasinstrument,
besonders im Priestermarsch, getutet, wie er es nannte,
und ich hatte die iiberraschendsten Modulationen im Kopf.
Damals gefiel mir das Werk, jetzt, nachdem ich Proben
und Auffiihrung mitgemacht, verehre ich es. Mein Ge-
miith wurde bei gewissen Stellen wieder und wieder er-
griffen. Wie muss es das seinige gewesen sein, als er
das schrieb! Aber das Leipziger Publikum war es merk-
wiirdigerweise nicht — ■ sondern wie bei'm Elias kiihl.
Was soil man davon denken?" — Bei Mendelssohn's Ge-
burtstagsfeier im Conservatorium spielt Moscheles dessen
posthume Variationen in Es-dur. — Die Statuten der
Mendelssohn-Stiftung werden vertheilt.
Familienverhaltnisse rufen Moscheles auf 14 Tage
nach London. Der erste Brief von dort her an seine Fran
beginnt in folgender Weise:
„Ich bleibe Dein Dich liebender treuer Mann I. Mo-
scheles."
„Mit dem Ende fange ich an, so wie jadis mein C-dur-
Concert mit der Schluss-Cadenz anfing, weil in beiden
Fallen mein Hauptgedanke ausgesprochen ist:
.... „Nun erst uber hiesige Zustande. Exeter-Hall
bot mir gleich bei meiner Ankunft ein" Engagement an;
aber mit einem an Stolz grenzenden Wohlbehagen er-
klarte ich, nicht mehr offentlich spielen zu wollen. —
Alles empfangt mich mit offenen Arm en." ...
''■..'■ — 20I — ' '-S
. . . „Die Musiker und ihre Verleger sind noch immer y
g&nz von ihren Geschaften absorbirt; ich traf einen Con- . ;'■
gress derselben in Chappell's Laden an. Osborne nahm ' ,.'^fj
mich sogleich in Beschlag, sein neues vierhandiges Stiick -, : £.
mit ihm zu spielen, Es-moll mit 6 Be, aber ich wagte es, .;■
und es ging zu .seiner Verwunderung. Es waren auch ;.;■
Theaterdirectoren dort im Laden, die mir Logen zu ihren ...''
Vorstellungen anboten. Von einigen Anderen ward ich
mit Complimenten uberschiittet, die mir widerlich wie Sy- ".
rup waren. Endlich erschien Dulcken, erzahlte mir, sein . ": : ;;-
Concert am 20. {er vergass, dass seine Frau es gab) werde
zu voll, alle Billette schon verkauft. Waren die Hanover- :■
Square-rooms dreimal so gross, er wiirde sie fiillen. Wa-
rum es nicht in Exeter-Hall geben, fragte ich? „Weil '■.-■:,
Fraulein Lind, deren Intimitat mit meiner Frau aus Stock-
holm datirt, uns die Gunst erweist, zu singen, und es nicht
gern in Exeter-Hall thut." Als ich spater Frau Dulcken
besuchte, bat sie mich, ein Duett mit ihr in demselben
Concert zu spielen; doch musste ich aus den Dir bekann-
ten Griinden es verweigern. Sogar bei Benedict in einer
Privat-Soiree wollte ich nicht spielen, musste aber dann ?
doch mit ihm die Mozart'sche Fuge in F-moll zum Besten
geben." •
„Beethoven's Messe in C-dur war ein Hochgenuss;.
Mendelssohn's Lobgesang auch. Costa's Herumwerfen mit
dem baton hatte zwar etwas Storendes fur mich, doch \
hielt er die 700 Ausfiihrenden vortrefflich zusammen, wenn ^
auch nicht immer in den von mir als richtig erkannten -
Tempi.' Mr. Gladstone, mein Nachbar, that mir viele
musikalische Fragen. — Als der Saal fast leer war, sah . -';
ich noch den Veteran Lindley mit seinem Cello dasitzen. _ <
und das crinnerte mich daran, dass man mir friiher er-
zahlte, er habe sich, nachdem er in einer Postkutsche um-
geworfen, aufs freie Feld gesetzt und sein Instrument
probirt, ob es nicht .etwa Schaden genommen hatte. —
Dies ist ein langer Brief — nun bald mundlich mehn"
Nach Leipzig zuriickgekehrt , lernt Moscheles den
Theologen Harless kennen und freut sich, „eine harmo-
:'.;-.;■'- ' — 202 ' '—
nisch verbriiderte Seele in ihm zu finden. Er hatte sich
der Kunst widmen woilen, es seinen Eltern zu Liebe aber
• nicht gethan. Er hat seit seiner friihesten Jugend meine
Sachen studirt. Auch die Angelegenheit, die uns einander
naher brachte — die Confirmation — besprach er mit
einer Warme und Theilnahme, die ihm ansere Herzen ge-
wann. Seine Offenheit und Unparteilichkeit im Beleuchten
der brennenden Zeitfragen war belehrend und interessant."
Ueber musikalische "Vergniigen berichtet ein Brief aus
dem Marz: „Ernst hat eine Matinee gegeben, die sparlich
besucht war. Er hat die ganze Kuhnheit seiner Schwierig-
keiten in seinem Fis-moll-Concert zusammengerafft; dies
im Verein mit der Leidenschaftlichkeit seines Vortrages
bilden ein ,hochst interessantes Ganze. Sein skelettahnliches
Aussehen, das an einen Florestan in der Kerkerscene er-
innert, contrastirte merkwiirdig mit seinem vollen Ton
und energischen Strich. Die Othello-Phantasie und ungari-
schen Variationen mit ihrer brillanten Virtuosi tat, rissen
zu stiirmischem Beifall hin. Bei uns musicirte er beson-
ders gut aufgelegt und'im Gewandhaus trat er mit Eduard
Franck zugleich auf. Dieser trug sein A-moll-Concert
brillant schon vor, und auch die Composition tritt aus dem
Kreise der gedankenlosen Virtuosenstiicke hervor; sie hat
edle Haltung, poetische Ideen und gute Instrumentation; —
eben deshalb vielleicht machte sie keinen allgemeinen Ein-
druck. Ich horte viel unbedeutendere Kiinstler viel mehr
applaudiren. Wie froh bin ich, keine solchen Eichter
mehr zu haben! — Noch eine Novitat war F. Hiller's
Symphonie in E-dur mit dem Motto: „Es muss doch Friih-
ling werden." Ein Werk in grossem Styl mit vielen ge-
diegenen Einzelnheiten , welches aber bei einmaligem
Horen keinen Total-Eindruck auf mich machen konnte.
Auch das Publikum verhielt sich flau dabei. Ich erkenne
jedenfalls in Hiller einen nach dem wahren Schonen
strebenden Componisten. Liszt, am Morgen des letzten
Gewandhaus-Concerts angekommen, spielte das erste Stuck
eines Henselt'schen Concerts und seine Don Juan-Phantasie
mit seiner gigantischen Bravour und seinen stets genialischen
m^wi mf"^ww^ : ^^' % ^W^W &W^??W^^^Wm^
ismm
— 203 -r "
Effecten. Merkwurdig bleibt mir noch itnnier sein Herun>
werfen derHande, welche sagen zuwollen scheinen: das ist
Begeisterung. Merkwurdig aber ist es auch, dass ihm die
gefahrvollstenSpriinge trotz dieses Herumwerfensnur sel-
ten misslingen. Seine . iiberwiegende Virtuositat erwarb
ihm den rauschendsten Beifall. Sein Besuch bei uns war
sehr interessant; er sprach liebenswiirdig offen iiber alle
seine Privatverhaltnisse, und wer konnte bessef sprechen
und liebenswiirdiger sein als er? Nicht Herr **, der eine
neue Mundharmonika erfunden "hat. Er macht die Augen
zu, stopft die Fauste in den Mund wie ein Kind, das
zahnt , und hatte uns (ohne die nothwendige Bildung)
mehr zum Lachen, als zur Bewunderung hingerissen."
„Sprechen wir lieber von der Kunst. Das Fragment
„Christus" aus Mendelssohn's Nachlass wird jetzt von
miser en Schiilern einstudirt; es besteht aus fiinf oder sechs
Choren, Recitativen und einem Terzett itn erhabensten
Styl , wiirdig des Gegenstandes. Ein Trauerchor der
Tochter Zion's , einer des Volkes „Kreuziget ihn" sind
Meisterwerke, die sich selbst als Bruchstiicke einen Ehren-
platz erwerben mussen. Die Zeit der Herausgabe ist noch
nicht bestimmt."
. „Oestern sahen wir 2um ersten Mai Halevy's „Thal
von Andorra", eine echt dramatische Musik, welche mehr
Melodienfluss hat, als seine anderen Opern. Der Stoff ist
geschickt verarbeitet und wirkt auf das Gemiith; die Auf-
fiihrung war so brav, dass das ganze Personal gerufen
. wurde." . . . „Ich las Berlioz' Feuilleton fiber Meyerbeer's
Prophet. Das- Libretto ist grasslich, und Emotionen muss
es darin geben, die Einem Haut und Knochen schaudern
machen. Die Musik soil Meyerbeer's wiirdig sein und ich
sehe ihr erwartungsvoll entgegen." Gleichzeitig -schreibt
Moscheles an Frau von Lieben in Wien:
. . . „Der Prophet hat nun seinen Triumph-Einzug bei
Ihnen gehalten und wird sich gewiss als eine ausser-
ordentliche Erscheinung im Gebiete der Kunst dort zu
behaupten wissen. Sie erinnern sich gewiss, wie ich einst
in Ihrem elterlichen Hause, als Sie noch Kbd waren, mit
WW^ <r,i -~?r-'&"~i?~' ^'^'&^? r?\ T**'-K ■■'"' "',
.— 204 —
Meyerbeer Virtuosen-Kameradschaft geschlossen und ge-
pflegt habe. Ich gonne nun dem genialen Meister seine
Kronen."
. . . „Lortzing's Oper, „Roland's Knappen", erinnerte
mich an die emsige Biene, die ihren Saft aus vielen
Blumen saugt. Seine zahlreichen Freunde riefen ihn und
die Truppe,"
Der Winter hatte aber auch triibe Stunden gebracht.
Das Tagebuch spricht sich wiederholt in warmster Theil-
nahme fiir die bedrangteh Holsteiner aus, trauert iiber
die bhitigen Verluste der Kampfer.
„Und erst der Wonnemond mit seiner Bluthenpracht,
seinen sonnigen Tagen und mondhellen Nachten — welche
Aufregung, welches Elend bringt er uns in nachster Nahe!
Eine Schroder-Devrient, ein Richard Wagner , die das
Dresdner Volk haranguiren. Wozu soil das fiihren?" —
Es fuhrte zu den bekannten Vorgangen in Leipzig, die
mit dem beklagenswerthen Tode eines hochgeachteten
Mitburgers, Herrn G., endeten. „Ich kann Euch unsern
Kummer und die Theilnahme der Stadt nicht beschreiben",
sagt Moscheles in einem Brief; „denn seine Liebenswiirdig-
keit, sein Wohlthatigkeitssinn waren allgemein aner-
kannt." Moscheles fuhrt seinen jungen Sohn vor die Leiche,
schliesst sich dem unabsehbar langen Trauerzuge an und
hort „Harless' tief ergreifende Rede am Grabe." Man
erinnert sich in der Familie gem eines liebenswurdigen
Zuges des Verewigten. Als F.rau Moscheles ihre Lotterie
' zum Besten von Musikern veranstaltet, begegnet ihr Herr
G. „Nun, Sie haben mich ja nicht aufgefordert, Ihnen
Loose abzunehmen?" — Ich wagte nicht. — „Nun gut, ich
muss mich doch betheiligen. " Erschickte ihr zehn Thaler.
Als die gahrenden Elemente beruhigt sind, fuhrt
Moscheles seine Familie nach Prag. „Sie sollen Alles
kennen. lernen", schreibt er, ,,den Geburtsort und das Ge-
burtshaus des Yaters, die Grabstatten der Verstorbenen,
die Stelle auf dem Ring, wo ich als kleiner Bub' so gern
den Blasern die Noten hielt, das Haus von Dionys Weber
— ja sogar den Eckstein, woran ich die Weinfiasche zer-
— 205 — " ..;;
stiess, die ich in seinem Auftrage zu seinem Freunde, dem .}*
Pralaten ttug. Endlich will ich die Kinder mit den noch 7
lebenden Verwandten und mit den Sehenswiirdigkeiten ■ £
Prags bekannt machen." Nach Leipzig zuriickgekehrt, v : "
linden wir, dass Moscheles Dessoir's Gastspiel „als echt - ^|
kiinstlerisch geniesst", noch mehr aber Spohr's Anwesen- ' -:,i
heit. Ein Brief sagt: „Er spielte im Voigt'schen Hause, . . i
diesem Sammelplatz fur gute Musik, seinQuartett in C-dur ':j . ,:
und Doppelquartett in G-moll, Beides aus den Probe- .,;
drucken. Die Composition interessant wie immer, aber ■'.}
auch Spohr wie immer; das Spiel noch edel und frisch. '-*
— Im Conservatorium empfingen wir ihn vor seiner be-
kranzten Biiste; er spielte Mehreres, brachte den Rest .-
des Abends bei uns zu, und mitten in unsere Musik hinein
erscholl ein Standchen, das ihm unsere Schiiler und Schii-
lerinnen brachten." „Ein kurzer Besuch von Cecile (Men- '..'■-
delssohn) auf ihrer Durchreise brachte unvergessliche Er- j'
innerungen. Ich musste ihr den Marsch aus Athalia vor- '; -,"
spielen, seine Biiste sah auf uns herab, und sie dahkte .1;';
mir mit einem stummen Handedtaick." — „Kullak be- -.
suchte mich, spielte mir vor und bewiihrte sich als kraf- ';..
tiger, solider Kunstler." '.••
Eine Krankheitsnachricht aus London veranlasst Frau . 'v
Moscheles, ihrer Tochter zu Hiilfe zu eilen. Dorthin ,'
schreibt er ihr: .;■
Leipzig, 12. Juli. i
„Dein eben aus London angekommener Brief, der mir x
in's Conservatorium nachgeschickt wurde, versetzte mich ''.':?
in eine so gute Laune, dass ich hinterher alle falschen '•■
Noten, alle schlechten Fingersetzungen gut hiess. . . . Ich ■■'■ ■."■[.
las heute in der Times den Triumph unserer alten, noch
jugendlichen Freundin Henriette Sonntag, Du wirst sie
hoffentlich horen und sprechen; ein susses Vergniigen.
Ich habe ein Lied von unserm Hausherrn (Legationsfath ,r
Gerhard) componirt, das „Schmetterling und Liebchen" ;-
heisst. Er meinte, es solle ein Gegenstiick zu meiner
,,Botschaft" werden. Der Text ist poetisch und heimelt :•■■
mich an; Du wirst sehen, ob ich's so gut getroffen habe,
— 206 '
wie mit der „Botschaft". Meine Reisevorbereitungen
schreiten fort" . . .
Als Moscheles in London ankommt, wird „der Prophet
gegeben; alle Platze vergriffen, aber ich nehme lieber
zwei schlechte Platze, als gar keine." — Und am Tage
nach der Auffuhrung: „Mme. Viardot ist nicht nur eine
ausgezeichnete Fides, sie hat auch, wie die Franzosen
sagen, cree le r61e; sie ist Kapellmeister, Regisseiir — mit
einem Wort, die Seele der Oper, die ihren gross'en Er-
folg wohl zur Halfte ihr verdankt. Es sind wieder vor-
treffliche Sachen darin, doch nach einmaligem Horen
scheint sie mir die Hugenotten nicht zu erreichen. Ausser-
. . dem hort man ja mitunter nur mit einem Ohr; in der
schauerlichen Kirchenscene, in der die Viardot unvergleich-
'.-' lich ist, nimmt die Situation ganz in Anspruch. Die
Schlittschuhlauferei erregte unsern Neid bei der driicken-
den Hitze."
:.''■-; Ein Monat der Erholung wird von der vereinten Fa-
milie in dem Seebad Treport zugebracht, dann Rouen und
■■■: Paris besucht. Ein Brief Moscheles' sagt: „Sehr interes-
sant war es mir, le mariage de Figaro von Beaumarchais
zu sehen; das Original des Stoffes, der Mozart zu seiner
unsterblichen Musik begeisterte. Die Auffuhrung war,
wie urspriinglich, mit etwas eingeschobener Musik ver-
setzt; statt der schonen Romanze des Pagen gab es ein
sentimentales Vaudeville- Lied, bei der Hochzeit einen tri-
; vialen Marsch, der nichts weniger als spanisch war, aber als
Entr'acte die echte Mozart'sche Romanze. Ich hatte einen
grossen Genuss an alien Finessen der Sprache, wahrend
ich mir die schone Musik hinzudachte: — Roger hat auch
seinen Wiedereinzug in der „Favorite" gehalten; er 1st
ein vortrefflicher Sanger mit einer volltonenden Stimme;
aber er und die ganze Truppe uberlassen sich dem Tre-
moliren, das sie in der Fachsprache „vibrando" nennen;
dazu gesellt sich dann oft noch ein wahres Schreien, und
je mehr sie geschrieen haben, desto mehr werden sie ap-
plaudirt. Das letzte Duett musste drei Mai gesungen
werden; jedesmal steigerte sich das Schreien und somit
i^P>^^'^j^^W^m^^^s^^^^^^^s,
— . 207 — .
der Applaus. Endlich flogen Bluraen und Bouquets auf
die Buhne." . . . „Leider horten wir von Chopin's lebens-
gefahrlichem Zustande, fragten selbst nacn und fanden
alles Traurige bestatigt. Seitdem er so darniederliegt, ist
seine Schwester bei ibm. Jetzt sind die Tage des Armen
nur noch gezahlt, sein Leiden gross. Trauriges Loos!"
Nicht lange, so tritt die gefiirchtete Katastrophe ein
und Moscheles schreibt: „Die Kunst hat viel an dem
armen Chopin verloren, denn, war er auch nicht Classiker,
hat er auch keine gfossen Kunstwerke geschaffen, so be-
sass er doch ganz seltene Eigenschaften: Gemiith, Em-
pfindung und Eigenthiimlichkeit. Jules Janin schreibt im
Journal des debats, wie er sich kurz vor seinem Hin-
scheiden ein polnisches Lied und Mozart's Requiem vor-
spielen Hess."
Auf der Ruckreise lernt man im Hause der vortreff-
lichen Familie Naumann „den alten Arndt" kerinen,'
„dessen heitere und nimmer stockende Unterhaltung dem
ganzen interessanten Kreise einen noch hoheren Schwung
verleiht." Kaum nach Leipzig zuriick gekommen, heisst es: ~1
„Dasselbe Publikum, das sich fur Schumann's grosses^
Werk, die B-dur-Symphonie mit Fug und Recht be-
geisterte , ward durch eine Harfenspielerin und Parish
Alvars' Bravourstiick auch zur Bewunderung hingerissen;
das ist das sogenannte kunst gelehrte Auditorium!" Fraulein 1
Nissen ist als Concertsangerin engagirt und zum ersten
Mai aufgetreten. Sie geflel allgemein und ist eine vor-
treffliche Acquisition, in jeder Schule zu Hause. Die
Leonoren-Ouverture, Mendelssohn's A-dur-Symphonie, sein
42. Psalm, Alles war ergreifend schon, obwohl ich einige
Tempi nicht in Uebereins'timmung mit meinen Traditionen
fand. Und die Aufnahme? — Lauwarm. O Clique! Als~]
wenn in einer Stadt, wo man den Genius eines Schumann
verehrt, Mendelssohn als schulmeisterlich verschrieen, ■
unter ihn gesetzt werden miisste! Das Pubhkum verliert
alle Initiative und steht mit seiner Auffassung und seinen
Gefuhlen unter einer Leitung, die es eben so beruckt, wie
die Wuhler das deutsche Volk." — Eine nicht minder /
^_r fev*- f ."j"_-; A ,* -J "^- .'-■■"."•;■ ; m ■■■■■■" .^-v ". \ v 't ■'■■!'-' V'^.^-M'V- ■■;-. * „■ ■ '" , ■■"?,■ ^ - ■ l "'->- : r > .'; J ■
^ -": - .■■'■■ ■"'■>' ,. ■. -i". ^ I" ■ : . "?:- ■-'■ - V V ;:■■.•"' -
Pjv ' — 208 — '
J s : ; aufgeregte Notiz ist die folgende: „Was die Schiiler be-
Jv '; trifft, da verstehe ich keinenSpass! Ich habe einen Strauss
?; fiir einige unter ihiien bestanden. WederpersonlicheRiick-
': : sichten noch Zuriicksetzungen diirfen beim Spielen in den
¥■ Abendunterhaltungen stattfinden: Jeder und Jede miissen
y da gehort werden, wo sie es verdienen!"
1850.
Das Leben in Leipzig mit seinem bestimmten Cha-
rakter, mit seiner Thatigkeit in und ausser dem Hause,
ist freilich mehr geregelt als bewegt, nie aber einformig.
Moscheles iiberwacht nicht nur vaterlich die Kunststudien
-seiner Kinder, er ist auch der Vater seiner grossen
Schulerfamilie. Alle unter ihnen, denen dies Blatt be-
gegnet, werden sich dadurch an kleine Feste erinnern,
die fiir sie veranstaltet, durch seine Heiterkeit ver-
schonert wurden. Hatte er doch fur Jeden einen freund-
lichen Blick, ein gutes Wort und wie Viele haben bei
solchen Gelegenheiten nach seinen Walzern, s einen
Polka's getanzt! — Verliessen sie nach vollendetem Stu-
dium das Conservatorium, so riistete Moscheles sie mit
Zeugnissen aus, welche ihnen, fast ohne Ausnahme, ehren-
volle Anstellung verschafften. Es ist wahr, sein Name
stand nicht hoher, als der so mancher anderer Kiinstler,
die iiber ahnlichen Einfluss zu gebieten hatten, aber sein
Wohlwollen, seine Besorgniss um die Ausbildung und das
Fortkommen junger Talente, mqgen wohl einzig in ihrer
Art zu nennen sein, eine Behauptung, welche sich auf die
noch vorhandene, iiber diesen Gegenstand gefiihrte vo-
luminose Correspondenz und die grosse Anzahl der nach
seinem Tode vorgefundenen Copien von ausgestellten
Zeugnissen stutzt. Wie sehr er aber auch jede ihm er-
wiesene Freundlichkeit der Schiiler schatzte, das beweisen
dieNotizen des Tagebuches, in welchen die ihm gebrachten
— 209 — " . ."..'"'■.'
Morgen- und Abends'tandchen, die Liebesgaben und -alle
anderen Aufmerksamkeiten anerkennend verzeichnet stehen.
Die Leser miisste es langweilen, wollte man sblche, oft
wiederkehrende kleine Erlebnisse hier anfuhren, weshalb
wir uns nur auf folgende Mittheilung beschranken. Bel
Gelegenheit eines langeren Unwohlseins lesen wir: „Ich
empfange meine Schiller zu Hause, und wie leicht die
iibrigen Stundeii vergehen, die ich init g-emiithlicher
Unterhaltung und Lecture im Vcrein mit den Meinigen
zubringe, konnen Sie denken; dabei spiele ich' mich so
grundlich ein, als hatte ich die Absicht, eben eine Kunst-
reise anzutreten. Ob mir nun meine Gesundheit erlauben
wird, unsern nachsten i. Marz {den 25Jahrigen Hochzeits-
tag) wirklich mit Ihnen Allen in Hamburg zuzubringen,
das hoffen wir noch, behandeln aber unsere Wiinsche mit
all' dem Vorbehalt, dem menschliche Plane ausgesetzt
sind. Was man Von der Zukunft nicht allzu sicher er-
wartet, das bekommt in der glucklichen Ausfiihrung dop-
pelten Werth. Wenigfe fiihlen sich bei diesem Wetter
behaglich, Wenigen aber auch gewahrt die Unterhaltung-:
am Clavier so viel Freude wie mir. Ich spiele nicht nur
meine Lieblingswerke, sondern auch alle Novitaten, muss
hier aber gestehen, dass ich' beim Lesen derselben auf
grosse Hande mehr und mehr neidisch werde. Meine
kurzen Finger reichen nicht aus, obgleich sie nicht eben
steif sind und sich zu dehnen verstehen und Rietz mit
seiner colossalen Hand scheiht mir beneidenswerth. . Er _
spannt drei Octaven in einem Accord; auch spielt er
Octavenpassagen mit dem zweiten und funften Finger." .
Geich im Beginn dieses Jahres wird die jugehdliche
Wilheimine Clauss als „neuer Stern" am Pianistenhimmel/
oezeichnet. Noch nicht zu der spater erlangten Reife'
gediehen, war sie doch fur Moscheles, dieseh Beschiitzer
junger Talente, schon bedeutend und anziehend, und im
Tagebuch findet sich die Notiz: >,Nach der Gewahdhaus-1
probe in's Hotel zu Fraulein Clauss gegangen. Sie hatte
viel mit den schweren Rhythmen des Schumann'schen
Concertes zu kampfen gehabt und war angstlich geworden. <
Moscheles 7 Leben-. II.
14
^%^T^^**sw*Tr^^^^W"^^
2IO
1 Ich munterte sie auf und David bemiihte sich so eifrig
fiir den Erfolg der jungen Kiinstlerin, dass im Concert
L Alles vortrefflich ging und sie gerechten Beifall erntete."
Einige Tage spater nihmt das. Tagebuch ihre Vielseitig-
keit: „sie spielte Notturno von Chopin, meine G-dur-Etiide,
ein Sommertag von W. — freilich nur brennende Hitze
ohne erquickenden Schatten; eine Rhapsodie von D.,
freilich Musik ohne Gehalt, dann aber letztes Stuck aus
Beethoven's grosser F-moll-Sonate, Alles brav und fast
f - alles auswendig." Im nachsten Gewandhaus-Concert horte
man Frau Schumann in einer Novitat ihres Mannes, In-
troduction et Allegro appassionato. „Es ist frappant in-
strumentirt, aber beinahe Orchester-Musik zu nennen, denn
als Clavierstiick sind die anhaltenden Arpeggien zu sehr
von der Begleitung gedeckt; der Vartrag war ausgezeich-
net." Die grosse Kiinstlerin ebenso vortrefflich bei Mo-
scheles in einer ihr und ihrem Manne zu Ehren geg'ebe-
nen Soiree. Schumann's laden das Moscheles'sche Ehe-
paar ein, die Genoveva, seine Erstlings-Oper, von Frau
Schumann am Clavier begleitet, bei ihnen zu horen. ,,Der
Componist noch unentschieden", sagt das Tagebuch, „ob
der versohnende Schluss in der Einode oder im festlichen
Schlosse stattfinden soil. Die Oper ist jedenfalls sehr in-
teressant fiir den Kiinstler; ob sie popular wird, kann
mir diese Clavierprobe natiirlich nicht klar machen."
Mehrere Monate spater, im folgenden Sommer, nach der
ersten Auffuhrung im Leipziger Theater, schreibt Mosche-
les in's Tagebuch: „Erster Eindruck: Ouvertiire vortreff-
lich, leidenschaftlich. Chore charakteristisch, der ganze
Vocaltheil leidenschaftlich gefuhlt, aber nicht ergreifend
entwickelt. Mangel an fasslicher, Eiessender, rhythmischer
Melodie. Ich gehore auch zu Schumann's Verehrern, doch
kann ich mir diese Schwache nicht verhehlen. Wir ap-
plaudirten enthusiastisch, und riefen ihn am Schluss, doch
kam es zu keiner Wiederholung irgend einer Nummer."
Urn zu den Winterberichten zuriickzukehren, geben
wir einen Brief an den Schwiegervater: „In der Quartett-
Unterhaltung im Gewandhaus hatten wir merkwiirdige
-^S^m^^-.'^rjS^^i ■.;.', ,;',>* V^-'" M-^-v^ :> >?>:^;' - >~'._;^ " P7i ."?• -■ : ^_T/^^%-^HWjp
— 211
Kunst-Extreme. Erst das Schumann'sche Quartett in
A-dur, stark Beethovenisch, dann zuriick zu einem Haydn'-
schen — der Uebergang zur Mozart'schen Schule — und
endlich Beethoven's Quartett in B-dur, Opus 130. Da hort
man den Himmelsstiirmer, fuhlt aber hindurch, wie ihm
das Herz kindlich pocht, wie er iiberwaltigt in Thranen
schmilzt." „Hier auch eine grosse musikalische Neuigkeit.
Die Welt geht aus den Fugen, netn, sie geht vielmehr
wieder hinein. Thalberg hat am 20. Mai Mozart's D-molU
Concert im Philharmonic gespielt. Welcher Triumph fiir
die alte Schule 1 welche heilsame Reaction! — Ueber die
Frege'sche Soiree kann ich Ihnen nicht genug sagen.
Der Saal war als Theater eingerichtet, das Orchester unter
Rietz' und David's Leitung zahlte Joachim und andere
grosse Kiinstler unter seinen Mitwirkenden. Mendelssohn's
Singspiel, „Die Heimkehr aus der Fremde", zur silbernen
Hochzeit seiner Eltern geschrieben, ward gegeben. Frau
F. in der Rolle eines naiven Landmadchens entzuckend
in Spiel und Gesang. Fraulein Buck und der Sanger
Pogner gaben das alte Elternpaar, Widemann den Lieb-
haber, Sturmer die lustige Person. Scene und Decoration
allerliebst. Wir sassen neben Frau Cecile, Paul und Frau
Dirichlet, Alle zu der Vorstellung .heriibergefahren. Die
Erstere war abwechselnd ergriffen, g-espannt und erfreut,
die Gesellschaft entzuckt und alles stimmte darin uberein,
dass diese kleine Idylle auf offentlichen Buhnen einen
ehrenvollen Platz einnehmen konnte. Das Bruchstiick der
Oper Lorelei, welches folgte, erschiitterte uns tief, denn
darin zeigt Mendelssohn so deutlich seine Befahigung als
dratnatischer Componist, dass sein friiher Tod einen ver-
scharften Stachel bekommt. Der schauerliche Pathos der
Flussgotter steigert sich ebenso meisterlich wie die leiden-
schaftliche Tragik der Lorelei, von Frau F. grossartig
-aufgefasst und wiedergegeben. Musste ihr grosses Talent
nicht dem Publikum vorenthalten bleiben, es konnte noch
jetzt wie der Phonix aus der A.sohe seiner friiheren Kunst-
glorie erstehen. Ich werde der genialischen Frau vielleicht
noch manche Melodie verdanken, denn die Art, wie sie
14*
^^P^'^^:---)~-^^^^ , ^^^.-0^^^^^-' i i?A V>- ';-'— '^y^;
S3--'...
:|i.-..
— 212 —
ineine neuen Lieder auffasst und„vortragt, entziickt mich
und wird mich zu neuen Versuchen anregen." Ueber die-
Mendelssohn'sche Musik mm „Oedipus" schreibt er: „Die-
AufFQhrung unter Rietz's Leitung war wie imraer vor-
trefflich. Der Pathos der Mannerchore, die antike Klang-
farbe dieses . herrlichen Werkes umfassten meine Sinne
zauberisch und fiihrten mich in die antike Welt zuriick.
Das Publikum vergass zu applaudiren, ob aus Ignoranz
oder Wonne, mag dahingestellt bleiben." Fran Cecile
wohnte auch dieser Auffiihrung bei und am fruhen Mor-
gen des 26. Februar reiste die Familie Moscheles mit ihr
nach Berlin zuriick und fand sie in derri vaterlichen Hause,
Leipziger Strasse Nr. 3 eingerichtet, wo Alle so gliickliche
Stunden mit dem Heimgegangenen verlebt hatten. Das
Tagebuch sagt: „Sie empfing uns mit der ihr eigenen
Lieblichkeit, die reizenden Kinder umsprangen uns, der
kleine Felix wiederhergestellt. Ich musste mich an den
Erard setzen, dessen Tasten des Meisters Finger geweiht
hatten, spielte Einiges, u. A. sein Friihlingslied; fur dis-
arm e Frau war das zu viel, sie verliess das Zimmer, kam
mit verweinten Augen zuriick und driickte mir stumm die
Hande."
Am 27. Februar reist die Familie Moscheles nach Ham-
burg und begeht dort mit den Lieben das schone Fest, die
silberne Hochzeit. Der Ruckblick auf dies 25Jahrige
eheliche G-liick ein Lichtbild ohne Flecken.
Das Tagebuch sagt am 1. Marz: „Der allgiitige Gott
liess mich nach iiberstandener Krankheit diesen schonen
Tag — einen der wich tigs ten — im Kreise der Unsrigen
hier erleben. Eine Harmonie-Musik weckte uns mit dem
Choral: „Nun danket Alle Gott"; dann folgte der Hoch-
zeitsmarsch aus dem „Sommernachtstraum", ergreifend
durch das Andenken an den verewigten Freund, der so
grossen Antheilan unserm Gliick genommen hatte." Mo-
scheles kann dem Familienfeste nur zehn Tage widmen,
es drangt ihn, trotz aller Freiheit, die man ihm lasst, zu.
seinen Schiilern zuriickzukehren. Vier Briefe an die Frau
zwischen dem 12. und 16. Marz geschrieben, enthalten viel
— -«3- — ;>
Personliches fur sie, die er unwqhl verlassen musste, dann
schreibt er: „Ich habe Griepenkerl's ..Robespierre" ge-
sehen, er und Danton briillten mir oft zu stark; das Stuck
hat aber gute Momente, audi mirden die Schauspieler :"
nach jedem Act gerufen, aber gezischt wurde doch am 3
Schluss. Es bleibt iramer eine schwierige Aufgabe fur
den Dicbter, eine historische Personlichkeit redend und ; ;
handelnd auf die Biihne zu bringen. Der Beschauer hat :V
sich je nach seiner Individuality ein Bild des Betreffen-
den entworfen und kann dies nicht so leicht mit der An-
schauung des Autors vertauschen, das fiihlte ich an mir '■ ;?■
selbst."
„Du weisst, dass wir leider in diesen Tagen unsern
Oppolzer verlieren, zu Nutz und Frommen der- Kaiserstadt
(Wien). Wie oft hat der herrliche Arzt, der liebe Freund
uns in Krankheit beigestanden ! Heute sah ich auf dem
Corridor die Frau, die mir von 80 Uebersiedelungs-Colli
sprach und mir ein ..bleiben's fein g'sund" nachrief, als
ich zu ihm eintrat. Man sah ihm keine Eile, keine Ueber-
beschaftigung an, freundlich wie immer, die Augen ■■>
funkelnd, wie' Du sie kennst, gab er mir noch viele Ver-
halturigsmassregeln, viele gute Wiinsche mit auf den Weg. " _- '.
Den werden Studenten wie Patienten vermissen! . . . Ich ■ •
horte Paul David ein Rode'sches Concert spielen ;■ der , <'
Junge machte seine Sache so gut, wie ein Kind, das auf "
einem hohen Gaul reitet,* einige Male abgeworfen wird ,-'
und sogleich wieder im Sattel sitzt. Der wird es weit -V
bringen." ... ' . v"
Von Leipzig aus schreibt er dem Vater: „Zwei sehr i' ;
contrastirende Werke erhielten im Gewandhaus grossen -..-.'>
Beifall. Schumann's zweite Symphonie, ein grossartiges - ] ^
Werk, aber aus einem leidenschaftlichen, etwas umdiister- . y
ten Gemiith entsprungen, und Rossini's Tell-Ouvertiire, ■ . ,;
der Erguss eines sudlich bliihenden Genies. Selbst Rietz 1
war entziickt davon. So ausgefuhrt habe. ich sie noch V
nie gehort, die Kraft, das Feuer und die Nuancen dieses ; :
Orchesters sind und bleiben unvergleichlich. Auch bei '.'
«iner Auffiihrung des „Propheten" musste ich mir sagen, ."-'-'
— 214 —
dass weder das Hamburg-er noch das Londoner Orchester
so Grosses leistet, wie das hiesige. Ich schatze die Meyer-
beer'sche Musik wegen ihrer ausgezeichneten dramatischen
Effecte, weiss aber eben so gut, wie die Hyper-Kritiker,,
was ihre Schwachen sind." Spater schreibt er: „WoM
dem, der jetzt in der Kunst lebt und nur mitleidvoll in
der Feme liest, wie die armen Franzosen einander mit
Tatzen und Tigerklauen zerreissen. Sie schildern mir
diese Zustande in ihrer ganzen Grasslichkeit, um dann
Schlusse fiir Finanzoperationen daraus zu Ziehen, 'und ich
stecke ganz in Liedern, ein- und vierstiramigen, die ich
eben auch zeitgemass componire, denn wir sind itn Mai
und das eine heisst „Mayfair." Auch eine Mazurka ap-
passionata schreibe ich. Dennoch bin ich Ihnen dankbar
fiir alle Winke, die mir mein kleines Besitzthum sichern
konnen, bin ich doch r'amilienvater." . . .
) Der Juni ist ungewohnlich belebt; Schumann's treffen
mit Spohr in Leipzig zusammen. „Wir haben die grossen
Kiinstler bei uns und im Conservatorium gefeiert, sind
ihnen in dem ganzen Kreise musikalisch begegnet; David
und Joachim, Gade auf der Bratsche u. A. als Mitwirkende.
Frau Frege mit ihren Liedern und ihrer Innigkeit trat
wohlthuend zwischen die Spohr'sche und Schumann'sche
Instrumentalmusik hinein. Frau Schumann bleibt immer-
i vortrefflich in ihren Leistungen. Spohr ist noch ganz
Herr seiner Geige und dirigirte seine „Jahreszeiten" wiir-
dig und sicher. Die Erfindung darin ist schwach, aber
die Behandlung und Instrumentation so kiinstlerisch
vortrefflich wie immer. Das „Erwachen des Friih-
lings" enthalt nebst einer lieblichen Melodie der
Streichenden eine Tonmalerei der gefiederten Thier-
welt , kiinstlich , contrapunktisch berechnet , aber nicht
poetisch. Es windet sich alles langsam fort wie durch
tiefen Sand ein Wagen, von dem ein Rad noch dazu
knarrende, achzende Seufzer von sich giebt; der Herbst
hat seine Lustigkeit und das Rheinlied mischt sich
gelehrt hinein. Contrapunktische Zusammenstellung
der verschiedenen Motive beschaftigt den denkenden
^sps^fi 2 ??^^
— 215 — - .
Kunstler, erhebt ihn aber nicht, wie es ein gewisser
Beethoven thut,"
Ein Sommeraufenthalt in „Bellevue" bei Kiel wird
von der ganzen Familie als ein idyllischer geschildert.
Doch bald triiben ihn die Kriegswirren. Zwar hat der
erste Zusammenstoss des „Bonin" m it den danischen Schiffen
noch keine iibeln Folgen und man athmet auf, als. plotz-
lich in der Nacht vom 25, auf den 26. Juli der feme Ka-
nonendonner die Fenster in Bellevue erdrohnen machte.
Die ungluckliche Schlacht bei Idstedt wurde geschlagen.
In derselben verhangnissvollen Nacht erkrankte die jungste
Tochter, und da alle Aerzte in und urn Kiel auf dem
Schlachtfeld Dienst thaten, so entschloss man sich kurz,
in Hamburg Hiilfe zu suchen. Die Reise in einem Bahn-
zug, der Hunderte von Verwundeten mit sich fiihrte, die
entsetzliche Hitze, die das Elend der Unglucklichen, so
wie das Fieber der Kranken steigerte, war eine peinliche,
und die Aufregung und Ueberfullung auf dem Kiel-
Altonaer Bahnhof so gross, dass man eine imihevolle
Stunde gebrauchte, um sich dem dichten Menschenknauel
zu entwinden, der sich gaffend, fragend oder jammernd
an die Aussteigenden heranwalzte.
Kaum in Hamburg angekommen, musste man dieAuf-
losung der Q2Jahrigen Grossmutter erleben. Sie war, von der
ganzen Familie geliebt und geschatzt, geistig und korperlich
frisch bis an ihr Lebensende geblieben; nun ward sie ab-
berufen ! Nach Bestattungihrer irdischenHiille eiltedie Familie
Moscheles auf den dringenden Wunsch des Arztes mit der
kranken Tochter nach Aachen, um dort lange, schmerzvolle
Wochen mit ihr in der Cur zu verleben. Wieder bleibt die
Kunst der Trost des mitleidenden Vaters. Er componirt
Lieder und es schaaren sich Musiker und die Bekannten'um
ihn, denen er vorspielen, die er horen muss; an die Oeffent-
lichkeit will er aber nicht treten und spielt nur einmal in
der Liedertafel zum Besten einer verarmten Familie. Ein
Ehrendiplom der Gesellschaft, gute Einnahme fur die Be-
durftigen und Dankbarkeit der Horer ist sein Lohn.
Dieser Sommer brachte die Trennung von dem ein-
■' i' ■..-'- ' : ; ■■* :'.<■ ""-'-'£ y ,; : ' : '- """'■''-'' ,'i'-' .- r ' " -■ r -■'*■ '.^' 'i
' .' ■ "■' — 2x6" - — -
zigen Sohn. Auf den Wunsch des Vaters sollte er das
Abiturienten-Examen bestehen, ehe , er sich seinen Fach-
studien in der Malerei widmete, welche er in Paris be-
gann. Auch rauinlich getrennt bethatigte der Vater seinen
. Einfluss auf den Sohh durch eine zwanzig Jahre lang
ununterbrochen gefiihrte Correspondenz, von der sich man-
ches Bruchstiick hier einweben wird. Auch far das Ehe-
paar giebt es eine Trennung. Moscheles kehrt zu den
'Schiilern zuriick, die Frau muss bis Mitte October mit der
Genesenden in Aachen ausharren. In diese Zeit fallt Neu-
komrn's Besuch im Moscheles'schen Hause in Leipzig; die
zweite To.chter ist eine sorgsame Pflegerin des halb er-
blindeten Freundes. Moscheles schreibt seiner Frau:
„ Abends gehe ich Neukomm's Messe mit ihm am
Clavier durch, er halt rhich streng an die langwierigsten
Tempi; um ein accelerando oder animato hatte ich ein
Konigreich gegeben. Das sind Opfer, die man nur einem
alten eiprobten Freunde bringt. Eine Geduldsprobe an-
derer Art bietet mir aber Chopin's Violoncell-Sonate, in-
dem ich sie zu vier Handen arrangire. Fur mich ist sie
ein wild verwachsener Wald, in den nur mitunter ein
Sonnenstrahl dringt. Frau Frege hat neulich mir und Neu-
kom.m "wieder einen grossen Genuss bereitet, indem sie
uns den Beethoven'schen Liederkreis yorsang. Auch
meine neuen Lieder, , Abends", „Dreifacher Schnee" und
das „Abendlied" mit Cello-Begleitung las sie mit bewun-
dernswerther Auffassung. David belebte Abends unsern
kleinen Kreis, ich spielte sein Arrangement der Mendels-
sohn'schen Cello-Sonate und seine „Bunte Reihe" mit ihm;
frische geschmack voile Stiicke." Nach dem ersten Ge-
- wandhaus-Concert heisst es: „Die herrliche Eroica mit den
feinsten Nuancen ausgeftihrt, hat mich aus meiner diistern
Stimmung gerissen, indem sie mich in eine entfernte,
ideelle Welt versetzte. Otto Goldschmidt spielte Mendels-
sohn's G-moll-Concert, ein eigenes Caprice und Liszt's
Lucia-Phantasie mit den Triller-Lawinen sehr brav."
Der nachste Brief sagt: „Meine Collegen sind sehr
gereizt durch einen Artikel, den Brendel (auch ein College)
^^^^^pmw&f 'w-f : '-&wi- t -??' ?%fw? ^w^m^^s^^^M
— • 217 —
in seine musikalische Zeitschrift aufgenommen hat* er
lieisst „Das Judenthum in der Musik" und sucht Mendels-
sohn und Meyerbeer auf jede Art zu verkleinern. Ich sage
sucht, denn was kann ein boshafter Zeitungsartikel einem
bedeutenden Menschen anhaben? Aber ein er lei, Alle sind
wiithend, ich bin es auch, blieb aber ausserlich ruhig.
Rietz hat nun folgenden Brief an das Directorium con-
cipirt: „„Dem geehrten Directorium des Conservatoriums
kann cs nicbt entgangen scin, wie die hier erscheinende
sogenannte „ Neue Zeitschrift fur Musik " seit langerer
Zeit es sich zur Aufgabe gestellt zu haben scheint, nicht
allein die hiesigen musikalischen Zustande und Leistungen
in hochst einseitiger, geringschatzender, ofters hohnender
Weise, und in einem, jeder wahren Kritik durchaus frem-
■den Tone zu besprechen, sond'ern eben auch in der Weise
fiber Manner abzuurtheilen, deren Verdienste in der gan-
zen musikalischen Welt anerkannt werden und deren
Werke jedem mit klaren Augen sehendeil Kiinstler vom
Fach, so wie Laien, lieb und theuer sind. Diese Art und
Weise, die musikalische Kritik zu missbrauchen, bat in
neuester Zeit alle Grenzen des Schicklichen uberschritten.
Wir Unterzeichneten wiirden dergleichen ganzlich igno-
riren, wenn nicht der Redacteur jener Zeitschrift, Herr
Dr. Brendel, zugleich Lehrer an der musikalischen
Bildungsanstalt ware, welcher auch wir einen Theil un-
serer Krafte widmen. Da aber unsere Ansichten in dem
positivsten Widerspruch mit denen des genannten Herrn
stehen und es mit der Zeit nicht. ausbleiben kann, dass
diese widersprechenden Ansichten von unheilvollem Ein-
flusse auf die unserer Leitung anvertrauten Zoglinge sind,
und sie in Verwirrung setzen, so halten wir es fur eine
■ernste Pflicht, das geehrte Directorium auf dieses Miss-
verhaltniss aufmerksam zu machen und geben uns eben
der Hoffnung hin, dass das geehrte Directorium seine
Missbilligung an jenem Treiben energisch, und zwar durch
die sofortige Entlassung des Herrn Dr. Brendel von dem
Conservatorium an den Tag legen werde. Gezeichnet:
Becker, Bohme, David, Hauptmann, Hermann, Joachim,
— 2l8 — <
Klengel, Moscheles, Plaidy, J. Rietz, Wenzel." " Als dieser
Brief dem versammelten Directorium vorgelegt ward, be-
schloss es, Herrn Brendel iiber seine journalistischen Aus-
falle zur Rede zu stellen , ihm aber sein Lehrarnt am
Conseryatorium nicht zu entziehen. Und so geschah es*
Als Herr Dr. Brendel bestiirmt ward, den Autor des Ar-
tikels zu nennen, hatte er die Ehrenhaftigkeit, dies stand-
haft zu verweigern*). — Das hiesige Orchester hat aucfr
seitien Kampf zu bestehen und zwar mit dem Theater-
Director Wirsing. Doch da tritt David als tuchtiger Ad-
yokat auf und wird's schon fur die armen Leute ausfechten.
Der Herr Impressario soil namlich 10,000 Thlr. an „Pro-
phet" und „Rosenfee" (von Halevy) verdient haben, und
docb will er sein vortrefflich.es, ohnehin zu gering bezahl-
tes Orchester auf Grund der schlechten Zeiten nicht ordent-
lich auszablen und auf „warten" vertrosten; das erlaubt
aber David nicht."
Mendelssohn's Sterbetag wird wieder feierlich began-
gen, erst im Conservatorium, dann hn Gewandhaus-Concert,
wo man Cherubini's Requiem, Mozart's G-moll-Symphonie
und den ersten Theil des Elias giebt. Kurz darauf schreibt
Moscheles: „Siebentes Heft Lieder ohneWorte, dreiLieder
fiir eine tiefe Stimme, sechs fur eine hohere aus Mendels-
sohn's Nachlass fiir den Stich revidirt; die Composition
des Goetbe'schen Textes „Ein Blick von Deinen Augen",
fremdartig auffallend im Rhythmus, doch aber beim Ver-
gleicb mit dem Manuscript richtig gefunden."
Die Bachgesellschaft mit Becker, David, Hartel,
Hauptmann, Prof. Jahn, Moscheles, Rietz constituirt sich
in diesem Winter und beschliesst, als erste Lieferang die
H-moll-Messe herauszugeben. Um diese Zeit sagt das Tage-
buch: . . . „Als ich gestern Liszt's Illustration des Pro-
pheten las, fand ich die an ihm bekannten vollgriffigen
Passagen mit den Gemsensprungen von Einer Tonart in
die Andere." . . .
*) Erst nach Jahren erfuhr man, dass Richard Wagner ihn verfasst
habe.
— 219 —
Joachim, der schon begonnen hatte, der grosse Jo-
achim zu vverden, verliess Leipzig in diesem Winter und
ging nach Weimar als Concertmeister, fand auch dort die
ihm gebiihrende Anerkennung, wahrend Raimund Drey-
schock sich Leipzig zuwandte, um dort tiichtig und ehren- j
voll bis an sein Lebensende als zweiter Concertmeister
und Lehrer des Conservatoriums zu wirken. Die Frau
schreibt: „Ich bin sehr glucklich daruber, dass die Com- "
position der neubegonnenen Cello-Sonate wieder alles
Trube verscheucht, was Moscheles eben jetzt erfahren
musste, und ihm seine ruhige Heiterkeit wiedergegeben
hat. Wer die Kunst so liebt wie er, dem bleibt sie auch
eine hiilfreiche Trosterin." Und er selbst schreibt im No-
vember, als Deutschlands politische Zustande in arger
Gahrung sind: „Ich danke Ihnen fur alles Licht, welches
Sie mir, dem Dilettanten in der Politik, iiber die diistern
Weltzustande zu verbreiten suchen. Mir sind die ewigen
Reibungen der Regierungsprincipien in unserrn armen
Deutschland gleich einer Flasche alten feinen Weines,
man schiittelt ihn und der satzige Grund verbittert seinen
edlen Inhalt. Ich lese alle moglichen Zeitungen und
wiinsche mir beinah' die alten bosen Zeiten zuriick, wo
wir doch nur den fremden Feind zu bekampfen hatten.- '
Aber jetzt! Deutsche gegen Deutsche!! Pfui doch! Sie
sollten's lieber durch Diplomaten oder gar durch Ad-
vocaten in Perriicken abmachen, um ihre Annalen mit
rother Tinte, statt mit Blut schreiben zu konnen: Hier
hangen die Leute die Kopfe wie iiberall, aber ich klam-
mere mich fest an meinen Kunstberuf und lasse mich von
der Frau Musica aufrecht erhalten, schliesse auch das triibe
Jahr mit dem Wunsch, dass uns das beginnende neue
gliicklichere Zeiten bringen moge." ...
y*^;^ '-iai^-t?;-.- / "-^f^I%^!(??^^F?.^^.^Z.-b^~i-Zs-''^ •-? -:^>--' ...8*.s*.t,-
— 220 v—
1851.
Das Tagebuch wirft am i. Januar einen Riicklick auf
das vergangene Jahr: „Dankbar fur den Besitz der ge-
liebten Meinigen, fur manche iiberstandene Krankheit, fur
die andauernde Arbeitsfahigkeit .... in dieser Stimmung
war das Concert erhebend. „Ein' feste Burg" von
J. S. Bach, ein grosses contrapunktisches Werk; die
Oboen, Trompeten und Posaunen hier und da effectvoll
von Rietz verdoppelt; Mendelssohn's 95. Psalm gross und
schon, mit einem merkwiirdig pathetischen Canon in C-moll.
Die ganze Auffiihrung ein wiirdiger Jahres-Anfang."
Wir fiihren hier einige Urtheile an, die Moscheles
gelegentlich fallte: z. B. iiber die Schubert'sche C-dur-
Symphonie. „Schone Motive und Verarbeitung, aber mir
zu oft wiederholt; mit der Halfte wiirde der doppelte
Effect erreicht." „Die Haydn'sche Symphonie war wieder
frisch und gesund, ohne damonisches Element." — „Schon
die Probe der Antigone riss mich zur Bewunderung hin
(was die Musik betrifft); fiir den Concertsaal finde ich sie
wenig geeignet" — „Mendelssohn's Finale zur Oper Lore-
lei ist hinreissend schon, schauerlich, dramatisch, melodisch,
Alles edel, sogar die grosse Trommel hier veredelt. Der
allgemeine Eindruck war elektrisch und selbst die Ver-
fechter einer neuen Richtung bis zum Applaus begeistert,
wahrend sie doch sonst Mendelssohn und seine Schopfun-
gen als veraltet erklaren mochten. Sollte dies Bruchstiick
nicht auf die Biihne kommen, so wird es durch seine Ge-
diegenheit und Innigkeit stets von Werth fiir den Con-
certsaal bleiben, eine Zierde des Mendelssohn'schen Nach-
lasses." — „Beethoven's 9. Symphonie riss die Zuhorer im
Sturm ihrer Leidenschaft mit sich fort. Die Ausfuhrung
begegnete kampflustig alien Schwierigkeiten und der Sieg
war glorreich. „Freude schoner Gotterfunken" ergliihte
in Aller Herzen. Die Sachen waren aber auch unter
Rietz' Leitung mit David als Concertmeister moglichst
fleissig und mit strengster Gewissenhaftigkeit einstudirt
worden."
jq^*^^!^p£^«A,, <\s ^r^v-nr * ■"^T^^^?-M"«~yi^j
221 —
Ueber die Clavierspieler heisst es: „Alle die, welche
siisslich italienische Sachen schreiben und sie halb.doh-
nernd, halb sentimental spiel en, vertrage ich schlechter,
wie einen Litolff mit seiner leichtfingerigen Bravour, seinen
damonischen Effecten und seinem nervosen Naturell, denn
'sein Vortrag, wenn auch ruhelos tobend, ist doch pikant."
„In einer der wochentlichen Auffiihrungen bei Fran FregeT 4%So
horte ich „Requiem fiir Mignon" von Schumann. Es spricht
mich weniger an als seine grosseren Sachen. Auch in
den Waldscenen, die ich in diesen Tagen spielte, ist mir
die Form zu skizzenhaft. Ich verstehe wohl, dass er wie
ein guter Dichter, Etwas andeuten und die Erganzung der
Phantasie des Horers iiberlassen will; aber ich liebe mehr
Bestimmtheit, mehr Verarbeitung in der Musik, nicht das
gewisse schwarmerische, scheinbar planlose Herumfiihlen.
In seinen Symphonien steht er gross da." — „Die Damen (
Stranz und Heller hatten sich schon mit gerechtem Bei-
fall in den Abonnements-Concerten horen lassen, als die
vielbesprochene Castellan ihren Platz fiillte. Schon, und
von der italienischen Oper in Paris und London! Das
waren Vorziige, die den Arien aller „ini" und „etti" bei
dem klassischen Leipziger Publikum Eingang verschafften;
sie machte Furore. Der Enthusiasmus trotz abgeleierter
Figuren in den Rodeschen Variationen bewies, dass der
echt italienische Gesang in Deutschland noch als Neuheit
beriicken kann."
Spater schreibt Moscheles: „Ich habe mich ernstlich
mit der Composition einer Sonate fiir Clavier und Cello
beschaftigt, und die Kunst, die Hebe Kunst stand mir da
wieder als Trosterin zur Seite. . \ . Im Arbeiten vergass
ich alle Sorge; heiter wollte ich sein, frisch sollte die Mu-
sik werden. Nun habe ich sie schon mit Rietz und Grutz»
macher gespielt, und David, der sie horte, will sie sogar
fiir Violine arrangiren. An die Herausgabe denke ich
nicht; ich lasse meine Sachen gern etwas liegen, damit sie
sich ausgahren, d. h. damit ich nach der ersten Hitze des
Entstehens noch etwas feilen kann." .
Moscheles spielte die Sonate in der Kammermusik
SS-'.r £yk*.T»-
222 — :
und sagt: „Ich hatte zuerst meine Bedenken, dann aber
entschloss ich mich, trat am Abend beherzt an's Instru-
ment und wurde freundlich empfangen. Die Sonate sprach
sich frisch von der Leber weg aus, Rietz unterstiitzte
mich vortreffiich im Cello -Part, Beifall und Hervorruf
blieben nicht aus. Meinem Schopfer danke ich es,- dass'
er mir Kraft in Gemiith und Finger gelegt bat, um alles
das, was ich musikalisch gewollt habe, mit Leichtigkeit
auszudriicken." „ Wir haben Mendelssohn's Liederspiel
,,Die Heimkehr aus der Fremde", zwei Mai im Theater
geho'rt Wahrend der idyllische Charakter die Musik-
Kenner und Liebhaber entziickte, gab es doch zum Schluss
jedesmal einige dissentirende Stimmen; — etwa so wie
bei den offentlichen Hurrah's fur ein gekrontes Haupt
auch zuweilen einige a bas ausgestossen werden."
Als Antwort auf eine Frage, ob nicht Beethoven's
„Christus am Oelberge" allzu weltlich gehalten sei, "ant-
wortete er: „Freilich hat man ihm das wiederholt vor-
geworfen, und wenn auch mit einigem Recht, wer mochte
den grossen Mann tadeln? Wer mit Gottfried Weber in
seiner „Cacilia" selbst Mozart's „Requiem" als nicht streng
genug im Styl angreifen? Bei so schoner Musik sollte
man keine zu strenge Grenze zwischen dem Kirchlichen
und Dramatischen ziehen; sie ist allzu schwer zu bestimmen "
Die beiden folgenden Notizen beweisen Moscheles'
regen Antheil an Allem, was die Familienglieder erfreut
und bewegt. Einem jungen Eliepaar schreibt er: „Hurrah
zum Ehrentage! Ich werde auf meinem Erard einen Tusch
spielen, dass ihm die Saiten und Seiten erbeben sollen,
Verzeiht den Anflug von Saphirschem Humor, ich bin
nun einmal frohlich angeregt durch den Gedanken an
Euch, so habt Nachsicht!"
Dem Vater schreibt er: ... „Ich hoffe, die obige
Auseinandersetzung hat viel zu Ihrer Beruhigung bei-
getragen, und ich schmeichle mir, dass unsere verschiede-
nen Ansichten sich immer auf dem Wege der Liebe aus-
gleichen werden. Scheuen Sie sich ferner nicht, uns Ihre
Meinung in Allem mitzutheilen; wenn wir auch im Gefiihl
— 223 —
unserer Miindigkeit und Verantwortlichkeit nicht immer
beipflichten konnen, so verkennen wir doch den Werth
Ihrer Erfahrungen und guten Absichten nicht. — Tausend
Dank fur Ihre herzlichen Geburtstagswiinsche. Ich habe.
-dem Schopfer fur viel Gliick und grosse Gunst zu danken,
und ergebe mich in jede Priifung ', die diese irdischen
Giiter begleitet." ...
Eine Anfrage an Moscheles: „Ob man ihn solle als
Dirigent des Musikfestes in Norwich vorschlagen", lehnt
er ab, da er besonderer Umstande und Riicksichten halber
England in diesem Jahre nicht besuchen konnte. Im Mai
hort er mit seiner Frau den „ Lohengrin" in Weimar.
Das Tagebuch sagt: „Liszt dirigirte das gut geschulte
•Orchester; Fraulein Agthe, Milde, Beck, sehr brav. Von
der Introduction an, mit ihren hohen Violinlagen und
Gradations-Efiecten fiel mir die Instrumentation als frap-
pant originell (audi originell hart) auf. Ein dramatisches
Leben ist in dieser Musik charakterisirt; dass dies aber
2um grossen Theil in Recitativen liegt, sagt mir nicht zu;
ich mochte sie gem ofter durch rhythmisch melodische
Phrasen oder formelle Stiicke unterbrochen sehen. Wag-
ner's Behandlung ermiidete mich oft, weil sie zu mono ton
und zu stark aufgetragen ist. Gern hatte ich fur einen
durchgefiihrten Hauptgedanken , fiir eine anhaltendere
Empfindung manche schone, aber- zu schnell voriiber-
gehende Einzelnheit, manchen schlagenden Effect entbehrt,
dennoch interessirte mich das Werk sehr. Man muss es
gehort haben und wieder horen, um genauer zu urtheilen."
„Wir hatten vor der Abreise aus Weimar noch grossen
Genuss an den Kunstschatzen des Schlosses, die uns durch
die Herrschaften selbst in liebenswiirdigster Weise zu-
ganglich gemacht wurden." — „Die Aufforderung, Etwas
fiir das Schiller-Album in Weimar zu schreiben, veran-
lasste mich, eine Phantasie fiir Pianoforte-Solo iiber Schil-
ler's Gedicht „Die Erwartung" zu componiren." — „Cranz
aus Hamburg, der heute hier (in Leipzig) die „Erwartung"
horte, sprang auf und sagte: „Das Stuck muss ich haben,
setzen Sie Ihren Preis darauf."
\''~ . —. ^ 2 4 —
I- Das Pfingstfest wird in Dresden mit Collegen und
Freunden gefeiert und gleich bei der Riickkehr nach Leip-
zig ist der Besuch des „hochgeachteten Freundes Fisch-
hof aus Wien" verzeichnet. „Er wollte viel horen und
rait ihm tausche ich so gern die gleichgestimmten musi-
kalischen Ideen aus." „Schade", schreibt die Frau, „dass
der Strohfidelspieler Eben mitten in diese Zusammenkunft
: hineinfiel; aber raein Mann ist so gut, weist nicht gern
. ■' ■ , Jemanden. ab." Als Beweis aber, wie er auch fest auf-
treten konnte, mag die Tagebuch-Notiz des 21. Juni gel ten:
„Vorprobe zur zweiten Hauptpriifung. Es sollten Etuden
von Chopin und Thalberg zu zwei Clavieren gespielt
werden; ich opponirte, und mit Erfolg. Nein, zum Clavier-
'<':'■' spielen gehort mehr als Taktfestigkeit , und erst um
Chopin zu spielen! Fur dieGeige, dies Orchestermstrument,
eignet sich die pracise Streichart; das Clavier darf nicht
unisono mit einem anderen Clavier spielen, ohne von seiner
Poesie zu verlieren." Und dann wieder: „Eine Probe fur
offentliche Schuler-Leistungen Knall und Fall angesetzt,
c. das Stuck der Fraulein S. nicht bei mir einstudirt, das
erlaube ich nicht. Ich bin allein verantwortlich fiir die
Clavierschiiler und werde mein Recht zu behaupten wissen.'"
Wenige Tage spater ist im Moscheles'schen Garten ein
; J Fest fur die Schuler. Es werden vierstimmige Liederge-
sungen, im Freien zu Abend gegessen, endlich getanzt.
Das ist der Abschied vor der Sommerreise. Vom Harz
aus, den die Familie nach alien Richtungen durchwaridert,
schreibt Moscheles; „Freilich haben manche der Wirths-
haus-Claviere, der kleinen Orgeln die Lungensucht; aber
probiren muss ich sie doch, und iiberall giebt's ftinen
Cantor, einen Organisten, mitunter auch nur einen Kellner
oder Geheimrath, der mir erstaunt zuhort; vom schorien,
zuweilen auch hassUchen Geschlecht, gar nicht zu reden,"
In Alexisbad erreicht die Musik den Hohepunkt. Die
Herzogin von Bernburg feiert den Kiinstler auf die liebens-
wiirdigste Weise; ihm zu Ehren werden Tableaux im Kur-
aaal gestellt, wir lesen von Illumination, einem Musikchor,
7 - fiir das Moscheles ein Bergmannslied schreibt, vor Allem
'■;•: ' ■■ •■■- - '-.■—' 2251 -"'■-■
aber von einer Familie, nut der man nachbarlich und zu
gegenseitiger Freude verkehrt."
„In Weimar war mir wieder ein hubsches Zusammen-
treffen mit Joachim bescheert. Der junge Mann spielte
David's Arrangement meiner Cello-Sonate meisterlich vom
"Blatt." — „In Thiiringen ist die Natur lieblkher als im
Harz; auch die Menschen waren freundlich fur meine
Kunst und meine Familie. Einen Abend brachten wir
bei der Herzogin Ida von Meiningen zu, einen anderen
auf dem Altenstein, machten auch eine schone Spazierfahrt
mit den Herrschaften. Da ich mit dem Herzog allein fuhr,
war unsere Unterhaltung eingehend, und zu meiner Freude
gab er mir den Auftrag, ihm einen tiichtigen Conser-
vatorium-Schiiler als Lehrer zu schicken. Also wieder
Einer gut placirt."
Ein Befehl der Frau Grossherzogin ruft Moscheles
nach Weimar, und er schreibt der -Frau bei seiner An-
kunft, 26. September 1851:
„Ich benutze einige Minuten vor der table d'hdte, urn
Dir Rechenschaft von mir zu geben. Joachim und Coss-
mann empfingen mich mit Freude, sind aber heute Abend
nicht bei Hof. Die Hoheit wiinscht mich allein zu horen;.
nur Fraulein von Hopfgarten und einige Minister werden
da sein und ich nehme mir vor, schon zu spielen. . . . Eben
komme ich von der table d'h6te, wo es leer an Menschen
und guten Speisen war; acht Personen, den Wirth einge-
rechnet." ...
Nachdem die Gewandhaus-Concerte in Leipzig begon-
nen hatten, sagt das Tagebuch am 31. October: „Ein
schemes Programm! Ouvertiire zur Zauberflote, Orchester-
Suite von Bach, Hallelujah von Handel und Lobgesang
von Mendelssohn; was will man mehr?" Und wieder: „Es
treten auch viele Solisten auf, sind es Clavierspieler, so
hore ich ihre Arpeggiofluthen und italienisirten Opern-
-themen meist vorher und bin bald von der Monotonie
und Seichtheit der Arrangements gesiittigt. Auch das
Publikum ist eigen; Wehige gefallen und man entlasst
sie kalt. Nur das Zischen sollte verboten sein, das gehort
Moscheles' Leben. If. i -
- — 226 '— ■ '
'; ins Theater, nicht in den Concertsaal. Bei einer gemisch-
ten Leistung sollte man ein Ohr fur das Gute, nicht bios
fur die Schwachen haben." — Ein ander Mai in einem
Brief: „Die Geiger hatten ihren wohlverdienten Beifall in
diesem Winter, besonders David in Mendelssohn's Concert,
das er irit Warme und Begeisterung spielte; auch Ed-
mund Singer zundete. Van der Osten's Gesang ent-
ziickte mich und Marchesi war einer der Wenigen, die
_.. sich Lorbern errangen."
I „Ich fand Schumann's Ouvertiire zur „Braut von Mes-
sina" bei diesem zweiten Anhoren kraftig charakteristisch,
voll Leidenschaft ; aber das Publikum, obwohl es viele
Freunde Schumann's zahlte, war unentschieden in seinem
|_ Beifall."
Am 4. November schreibt Moscheles: „Schon vier
Jahre seit Mendelssohn starb! Der Gedanke an ihn erfiillt
meine ganze Seele; — war er mir doch der Auserwahlteste
als Mensch und Kiinstler! Die Erinnerungsfeier im Con-
servatorium war weihevoll; die schwarzgekleideten Schiiler
und Zuhorer zu meiner Stimmung passend."
Am 8. November spielt er sein Pastoral-Concert zum
Besten einer verarmten Famine: „Immer behalt dasWohl-
thun sein Recht, auch fur den zuruckgezogenen Pia-
nisten. Mir selbst, spiele ich Liszt's neues Concertsolo, die
Paganini-Etiiden und an der e moderne Sachen vor, zur
Erlernung dieses Styls." — „Mit Liszt habe ich bei seinem
unerwarteten Besuch eine schone bevue gemacht. Ich
hatte gerade vor seinem Eintreten den „Scudo" aus Paris
geschickt bekommen und fragte ihn: „Kennen Sie das
Buch? Der erste Artikel, sehe ich, tragi Ihren Namen."
Ja, um mir gute Schlage auszutheilen , erwidert er.
lachend und fangt an die Angriffe des Autors vorzulesen.
Ich war zuerst bestiirzt, da ich mir von dieser Publication
das Gegentheil erwartet hatte, dann lachte ich mit ihm.
Er kennt mich zu gut, um mir eine Absichtlichkeit dabei
unterzulegen und er kann zu so Etwas lachen."
Ein Brief Moscheles' vom 24. December sagt: „Es ist
5 Uhr Nachmittags und bald beginnt das grosse Fest, das
^^^^^^mf^w^^W7^W^^?^W^^^^^^^
■— 227 —
nicht nur alle Christen, nein, auch viele Juden mitfeiern.
Hat sich doch das Licht unseres Zeitalters durch die
Toleranz der gemischten Ehen sehr verbreitet; warum
sollte nicht auch ein Rabbi Samuel seiner Marie ein
Weihnachtsbaumchen anzunden? Alle socialen, moralischen
und merkantilen Verkettungen unserer Aera fallen rair
naturlich vor dem Beginn unserer hauslichen Feier ein,
die durch allseitiges Wohlsein und das erwartungsvolle
<rluck der Jugend einen erhohten Reiz fur uns bekommt."
1852.
Ein Brief Moscheles' sagt : „Das Beste, was dies
neue Jahr bringen konnte, ist die Gewissheit, unsern Da-
vid zu behalten : Sie wissen, dass er uns ernstlich mit einer
Uebersiedlung nach Coin bedrohte? Nun hat er sich mit
den Behorden geeinigt; weniger Dienst und eine Gehalts-
zulage sind seine Errungenschaften.
Ferdinand Hiller, der in Paris ist, wird, wie es heisst,
zu seinen Colnern zuriickgehen; auch ein Gewinn fur
Deutschland. Das Wetter ist heute am 6. Januar so schon
und klar, dass die heil. drei Konige selbst gern darin
spazieren gegangen waxen, unbeschadet des Spruch worts:
Wenn die Frommen wandeln, regnet's. Wir waren auch '
nicht fromm und wandelten viel und hinterher liess ich
die Tochter den Gradus ad Parnassum studiren, da ich sie
doch gerne auf seinen Gipfel bringen mochte!"
In einem spateren Briefe heisst es: „Es thut mir leid,
aber ich habe bestandig an den Solisten der Gewandhaus-
Concerte zu tadeln. Viel Fertigkeit ist den Clavierspie-
lem nicht abzulaugnen, aber A lies wird mit Raserei dureh-
gejagt, die moderne Schule in ultramoderner Nachaffung
reprasentirt; zuweilen giebt es statt der gehaltlosen Triller
und Arpeggien eine gute Original-Melodie mit einer
schlechten Sauce, ein liebes einf aches Volksliedchen in
der beliebten Schlendrian-Manier aufgetischt; will das
■r: >^
'0-:' '■'■*■.'" '.'"■. ■._■' 228' ■— ■ - '■'."'
?'"->'■ ' " ' • "
|g? - Publikum dann nicht begeistert thun, so hore ich Klagerr
W&/ gegen unsere kalten Leipzig er und . entschuldige sie mit
P ; " der nordischen Lage ihres Landes. Der seelenvolle hohe
Sopran der Fraulein Hiller enthusiasmirte Alles , was
l/'-i. deutsche Musik liebt. Fern sei es von mir, einer Grisi,
:', . einem Rubini zu nahe treten zu wollen; sie sind grosse
?'; Kiinstler; nur sollen sie in der italienischen Oper bleiben ;
!, - dorthin gehoren sie. Wenn aber Sanger und Instrumen-
:> talisten ihre Unarten nachahmen und fortpflanzen wollen,
*■' wenn sie auch tremuliren, kopfschiitteln und Augen ver-
""_. drehen , dann kann ich nur mit Achselzucken auf sie
herabsehen. Die deutsche Schule muss unverfalscht auf
'£■. ihrem eigenen "Werth beruhen; bilden wir unsere Stimmen
;<f. zu schonem Einklange heran, ahmen wir als Instrumen-
v ,. . talisten den Melodien-Reichthum eines Beethoven, eines
r " "Weber und Andrer nach." Beide, Stighelli und Marchesi
* . sangen mit Beifall, und fur Letzteren componirte Mo-
^ scheles eine Meditazione und eine Barcarole. Was ihn
v,-. aber Moscheles ganz besonders zum Freund machte, war f
■>,; dass er trotz seiner sicilianischen Abkunft ein aufrichtiger
5; v ■' Verehrer klassischer Musik war*). Einmal beschreibt Mo-
'-, T ' scheles einen heitern Abend und endet mit den Worten:
„Die Lustigkeit nach dem Souper nahm so zu, dass David
i" und ich abwechselnd den Rhythrnus zum Tanz trommelten,
:f --' aber aueh abwechselnd mittanzten." „Auch die Sonntag
^ • erschien in diesem Winter in Leipzig", schreibt Moscheles,
.':'... . fi etwas alter, etwas weniger sylphidenhaft, aber anmuthig,
h. gut und anspruchslos mit wohlerhaltener Stimme und
,.y tadelloser KLehlfertigkeit. Der wachsende Enthusiasmus
r fiir sie schiittelt die Leipziger durch und durch, es ist ein
;•■', Wonnerausch, eine Reihenfolge von Ovationen mit obli-
~ gatem Fackelzug der Pauliner. Wir haben sie in alien
, r .', ihren Vorstellungen gesehen; die Stimme geniigt' voll-
; : : kommen fiir unser kleines Haus und immer noch. kann sie
•$. wie in fniheren Jahren von ihrer Kehle sagen: 's muss
%- g'schmiert geh'n wie a Kuglhupf. Man soil zwar nicht
;•■■ *) Seitdem hat er sich in der KJnderwelt durch seinen „lcleinen
\:, Hans" grosse Anerkennung erworben.
_ - ' • " ■ '■ — '229 — :' J ' ' ■ ■ .'-■"■''
vergleichen, aber entziickt wie ich war, konnte ich nicht
umhin, bei diesem ruhig kiihlen Spiel an die tief gemiith-
lichen Darstellungen der Lind, an die Leidenschaftlichkeit
<ier Malibran zu denken. So undankbar ist der Mensch.
Hore ich sie meine Lieder sing en, was sie oft und gern
thut, so entziickt sie mich."
Spater schreibt er: . . . . „und nun muss ich gar ein
Bravourstuck fur die Sonntag componiren. Ich spiele ihr
auf thren Wunsch namlich oft vor, neulich meine uhga-
rische Phantasie „Magyarenklange", in der ihr eine &te-
lodie so gefiel, dass sie sagte: die mochte ich singen,
machen Sie mir doch ein paar Variationen dazu, Mosche-
les! Natiirlich war dieser Wunsch mir Befehl und so be-
schaftige ich mich damit, etwas unmogliche Bravour zu
schreiben." — Als sie nach Dresden gegangen ist,
schreibtMoscheles: „Bis jetzt erfullt sie noch ganz Leipzig,
ja beinahe hatte man vergessen, die Bahnziige abgehen
zu lassen und die Thurmuhren aufzuziehen," Nachdem sie
. auch in Weimar aufgetreten war, erschien ein furioser
Artikel von dorther in der „Neuen Zeitschrift fur Musik".
Die Sonntag und die Lind werden gleich beide zusam-
men mitgenommen und Gesang-Nixen genannt. Da der
Artikel B...W unterzeichnet ist, so weiss man, von wem
er stammt. Fur Weimar hatte dieser Ausfall die schlirrime
Folge, dass Rossi dem Grrossherzog den Artikel ein-
schickte mit dem Bedeuten, seine Frau konne nie wieder
in einer Stadt singen, wo man ihr so feindlich begegnet
sei, deshalb miisse sie ihr Versprechen zuriicknehmen, fiir
die Goethe-Stiftung im Radziwil'schen Faust zu singen.
Mich machte die allerliebste Frau lachen, als sie bei Ge-
legenheit dieses Artikels scherzend sagte: Der Neid hat
nicht nur iiber meinen Gesang, sondern auch iiber meine
Personlichkeit bestandig zu schwatzen. Was soil ich nicht
Alles falsch haben! Falsche Zahne natiirlich, aber sogar
einen, falschen Hals!"
Bei Moscheles hatte das Componiren von Vocal- Varia-
tionen neue Lieder wachgerufen, die sich eins nach dem
^indern an's Licht drangten.
>*:2i££
^■; : :-f -"'■;'■ ".■' : r-'--- -V- : '■■■;" ■■■ .■■■; '" ~'
£f: KLurz nach der Sonntag gastirt die ausgezeichnete-
"-; Johanna Wagner in Leipzig, Stimme, Gesang, edle Hal-
\ii '■'■'■■ tung im Spiel, Alles erwirbt ihr gerechten, und man sollte-
if- meinen, auch dauernden Beifall. Aber nein — eine Ma-
F: . dame Lagrange folgt ihr auf der Leipziger Biihne und die
i$r ;.-''. Frau schreibt: „Was doch die Welt fur ein undankbares
I?.' Institut ist ! Jetzt lobt man die Lagrange auf Kosten der
^ Sonntag und Wagner, denen man Stimme und Gesangs-
£:-■'. kunst abspricht. Wie reimt sich das mit der Schwarmerei
Y.i\- der letztvergangenen Wochen fur die beiden nun hintan-
£;'-'. gesetzten Kiinstlerinnen ?
v,v- Am 18. Marz sagt das Tagebuch: „Ein Genu?s
t >l.: seltenster Art wurde mir durch Frau Schumann's Spiel
'£. ■ meines G-moll-Concerts zu Theil. Ich hatte es nie so
"J,-- J_ richtig aufgefasst gehort als von dieser Meisterhand.
;f.;.- f Schumann's Symphonie setzte ich wieder hoch uber seine
f J . neue Sonate (A-moll mit Violine) und das M. S. Trio in
1 ; .- G-moll. Die erstere gefiel mir besser als das letztere. Dies
; ■ ergeht sich in einer beunruhigenden Leidenschaftlichkeit,.
in contrapunktischen Verstrickungen, rhy thmischen Schwan-
j.:, kungen und oft wiederholten Vorhalten. Das melodische
H: Element geht dabei verloren wie der Sonnenstrahl im
•v Nebel. Selbst den Humor im letzten Stuck des Trios
-<■■ wiinsche ich mir weniger tobend, dafiir frohlicher und ge-
: ' ' f~ muthlicher. — Die „Pilgerfahrt" der Rose hat viel edlen
;>-■ Schwung und gliickliche Empfindungs-Malerei. In den
:■ ' Liebesergussen ist er mir mitunter zu pathetisch, granzt
'<■ 1 beinah an's Kirchliche."
v-'., ■ ■ i „Frau Schumann spielte raeine Cello -Sonate mit
;.' Grabau und ich kann sagen mit Liebe. Sch. selbst blieb-
einsylbig; meine Bemer kungen iiber Kunst, in die ich inn
v hineinziehen wollte, riefen nur ein einsylbiges Nickert
? I hervor."
■•'. Mit der Bach-Gesellschaft , deren Conferenzen Mo-
scheles eifrig besucht, konnte er nicht imraer Wellert
?',% schlagen. Sein Antrag, die erste Lieferung mit Clavier-
^> . auszug herauszugeben, ward iiberstimmt; das verdross
<: ■ ihn. „Die Dorfschulmeister und nicht Gelehrten, die keine
■■■■■■ : - 231 - -^
■ . v$;
Partitur lesen konnen, sollten den Meister durch den ' -.^
Clavierauszug kennen lernen", meinte er — aber umsonst. ^|
Auch als Dr. Weber aus Coin und mehrere dortige Mu- ■'■■■v5
siker beim Comite anfragten: Warum ihnen der ver- : ; ^|
sprochene Clavierauszug vorenthalten bleibe, ward die :ȣ
Sache nicht geand'ert. — Nachdem Moscheles der Bach- , .-vJi
feier in der Thomasschule beige wohnt, sagt das Tagebuch: . ;.;i
„Sie haben dort den alten Musiksaal ausgebaut, in wel- ■ ./;,*
chem der Meister seine Uebungen mit den Schiilern hielt. ,:.|
Der Neubau wurde durch den Vortrag vierstimmiger Gesange . ■. c
unter Hauptrnann's Leitung eingeweiht, und dabei sah das ify
alte Bach-Portrait, neu restaurirt, auf uns herunter und --'ty
einer der Schiiler hielt eine begeisterte Rede." Zum Char- : .^
freitag giebt man die Matthaus-Passion. „Ich bin tief •' -;
davon ergriffen", schreibt Moscheles dem Vater, „und •■-
habe meine Eindriicke iiber dies grossartigste Werk in 'T%
der „Deutschen Allgemeinen" ausgesprochen. Aber was ; 'yp
sind da Worte? Diese Doppelchore, durch die sich der \^i
Choral erhebend hindurchzieht, der Moment, wo Petras ■V'-'..*
iiber den eigenen Verrath „bitterlich weint", die Arie „Ich ■ >
will bei meinem Tesu wachen" und dann noch alle andern ■'■■;=
Arien und Chore und jedes der herrlichen Stiicke! Sie " :■'■
miissen es A lies bei erster Gelegenheit horen. Schneider ■-$
war der vortrefflichste Evangelist, alle andern Sanger " . .-._■*
und Sangerinnen, Rietz und David ausgezeichnet. Wenn . , ; ^j
Sie dies Alles leseh und mich so in die Kunst vertieft '■'*
sehen, werden Sie kaum mehr von mir verlangen, dass ~ : :i
ich meine Meinung iiber Staatspapiere u. dgl. abgebe. 1st . "; J
es doch, als sollten Sie mir Ihre Ansicht iiber eine Par- ^
titur geben, handeln Sie daher fur mich — ich gebe mich _■%
gern in Ihre HSnde. Wissen Sie denn schon, dass einer r--'.
Ihrer Mitbiirger, Otto Goldschmidt, das Gliick gehabt ~ : -%
hat, unsere grosse Kiinstlerin Jenny Lind heimzufuhren? t
Er hat einen grossen Preis errungen, sie sich mit einem '■' t-
ehrenwerthen Mann und tiichtigen Musiker in der besten ' "
Richtung verbunden."
Urn Ostern begegnen wir wieder einigen Klagen iiber "'
das Conservatorium : „Die Schiilerinnen werden nicht an- ■ ■'-
%i:\ ■'■'.—■: m —
^ gehalten bei meiner Auffasstfng, meinetn Tempo zu
li? bleiben ; andre finde ich falsch — nocb. mehr aber
=, wunsche ich, dass ihnen Zeit bleibe, sich fur meine
Classen vorzubereiten. Mit einera Wort, ich will Unter-
stiitzung in raeinem Lehramt, aber kerne fremden Ein-
flusse, dariiber habe ich mich heute deutlich ausge-
sprochen." ,Und was soil ich dazu sagen? Eine
Schiilerin spielt bei der Priifung eine posthume Mscr.-
Etiide in F-dur von Mendelssohn, die mir unbekannt ist:
} — ich hore auch bei dieser Priifung so ganz nebenbei
'} r davon sprechen, dass noch manches von Bedeutung in
Mendelssohn's Nachlass ist; und doch bin ich mit einigen
■b- . Anderen von seiner Wittwe dazu ausersehen, seine hinter-
;'■'"-" lassenen Werke fur die Herausgabe durchzusehen, auch
zusammenzustellen und wo moglich zu erganzen. Also
•;'- eine begunstigte Schiilerin geniesst das Vorrecht, ein
-';'■ posthumes Werk von Mendelssohn vor mir kennen zu
-■- lernen, zu spielen! Das ertrage, wem's gefallt!" — War
j' dieser Zwischenfall ein „argerlicher", so finden wir gerade
;'..-■ in dieser Zeit Notizen iiber so manche Schuler, die gern
gesehen werden, mit denen es sich gut lebt und musicirt.
Obenan J. O. Grimm, der mit inniger Verehrung die Liebe
des Meisters erwiderte; auch die Herren Radecke, v. Sahr,
:_:, Jadassohn, Mertel u. A. hatte Moscheles gern urn sich,
erfreute sich an ihren Fortschritten und nahm das herz-
lichste Interesse an dem der Kindheit entwachsenden
Gernsheim, so wie an den Gebriidern Brassin. Es ver-
jiingte ihn, mit diesen bildungsfahigen Jiingern zu ver-
kehren, seine Schule, die musikalischen Erfahrungen
seiner Kiinstlerlaufbahn durch sie fortzupflanzen. Nahte
das Friihjahr heran und „die Kiinstler aus der Feme" be-
suchten Leipzig oder beriihrten es nur kurz auf ihrer
Weiterreise, so erfreute ihn der „anregende Verkehr",
denn Alles sprach bei ihm vor. In diesem Jahre, wie uns
das Tagebuch beweist, der hochgeschatzte Lindpaintner,
Freund Rosenhain , Speidel, Cossmann, Konigslow, Bott
u. a. m. Es fand auch eine freundschaftliche Annaherung
an die grafliche Familie * * statt, die zu vielen genuss-
m^^0^fm^^' : v^^f^^!^^^^f!(^^
™^,
— 233 —
reichen Tagen des Landaufenthalts und zu interessanten
Abenden fiihrte, und diese wieder zu naherer Beriihrung
mit dem Fiirsten, dem, wie er sagte, sein grosser Vorfahr
■Carl August die Liebe zur Kunst als schonstes Erbtheil
vermacht, ja der ihm die Pflicht auferlegt habe, nach
besten Kraften damit zu wuchern." Wie sehr der Fiirst
das Erbtheil geniitzt, die Pflicht erfiillt hat, beweist die
von ihm gegriindete Maler- Academie, deren Zierden
Pawels und Verlat sind, sowie die Berufung literarischer
Grossen an seinen Hof. „In meiner Kunst", sagt Mo-
scheles, „ist Weimar stets reich an Novitaten und ist auch
neu nicht immer gleichbedeutend mit gut, so bleibt es
doch ein Verdienst, das Neue zu Gehor zu bringen, denn
kennen sollte man Alles."
Moscheles nimmt eine Einladung seines friiheren
Schulers Litolff an, dem Braunschweiger Musikfest beizu-
wohnen, wird mit Liebe und Pietat in seinem Hause
empfangen. Er schreibt: „Ich habe Liszt und viele Be-
kannte getroffen; horte den Elias, die neunte Symphonie
u. A. Die Aegidienkirche ist ein herrlicher Raum, und
die 700 Mitwirkenden fullten ihn gut aus, hatte nur
Litolff etwas mehr Ruhe und Gelassenheit beim Dirigiren
gezeigt! Diese Hand ist zu aufgeregt fur den Commando-
stab. Sein Spiel war vortrefnich. Mich beredete er, das
„Hommage a Handel" mit ihm in einem der Fest-Con-
oerte hdren zu lassen."
Ein schmerzlicher tief ergreifender Todesfall in der
Familie und die gedriickte Stimmung, die " er zur Folge
hat, scheinen eine Erholung in guter Luft und landlicher
Ruhe als nothwendig anzuzeigen und so durchwandert
man die schone Gegend zwischen .Dresden und Friedland.
Moscheles schreibt: „Heute habe ich cine komische Ge-
schichte zu erzal !on und Ihr miisst mit uns lachen, wie
wenig Ihr auch daai aufgelegt sein mogt. Wir kommen
Abends spat nach Tetschen, hungrig und todtmiide und
verlangen oben zu essen. Aber ach! im Nebenzimmer
wird Clavier geklimpert. Denkt Euch, nur eine dikme
Thure zwischen mir und Weber's invitation a la valse von
■ ' — 2 34 —
ungeiibter Hand als „langsames Presto", wie Mendelssohn
zu sagen pflegte, abgeleiert. Ich klingle. Wer spielt da r
donnere ich die Kellnerin an. O, es ist nur ein junger
Mann, der den ganzen Tag in Geschaften aus ist; bios
Abends spielt er ein paar Stunden. Eine schone Aus-
sicht! Ich versuche zu essen, aber der Bissen bleibt mir
im Halse stecken, und plotzlich ist mein Entschluss ge-
fasst. Ohne den erstaunten Meinigen ein Wort zu sagen,
nehme ich meinen Hut, eile hinaus und klopfe an die-
Nachbarthiir. Das „Herein" bringt mich Aug' in Auge-
mit dem schuldlosen Delinquenten. „Ihr Spiel hat mieh
verlockt, Ihnen als Fremder meinen Besuch abzustatten",.
sagte ich mit erheuchelter Freundlichkeit, „ich spiele auch
ein bischen und habe dies Stuck studirt. Wurde es Ihnen
angenehm sein, es mit meiner Auffassung zu horen?"
Somit trete ich an's Clavier. Der junge Mann ganz ver-
dutzt, raumt mir seinen Platz ein, ohne eine Antwort ab-
zuwarten, jage ich das Stuck im rasendsten Tempo durch
und bringe alle nur moglichen Verdoppelungen an. Das
wirkte. Ach, sagte er mit einem Seufzer, so werde ich
wohl nie spielen! „Warum nicht, erwiderte ich, wenn Sie-
brav studiren, aber — ich empfehle mich Ihnen." Mein
Zweck war erreicht, der nachtliche Spieler verstummte
(ob auf ewig weiss ich nicht), aber ich konnte in Ruhe
essen und schlafen. Die Andern hatten, das Ohr
an die Wand gedriickt, die komische Scene mitan-
gehort, mitgenossen; ich denke, Ihr geniesst sie uns
nach."
Im October hort Moscheles den „Tannhauser" in
Dresden unter Reissigers Direction: „Ich war oft uber-
rascht durch genialische Einzelheiten, durch gute Instru-
mentation, auch durch Origin alitat, Im Ganzen geht's mir
aber wie bei Lohengrin. Zuviel Recitativ, zuviel Bruch-
stiickartiges und Monotonie durch Formlosigkeit herbei-
gefiihrt. Nehme ich auch die Erinnerung an geistreiche
Stellen, an iiberraschende Effecte mit, doch bleiben Herz
und Gemuth kalt bei dieser Anhaufung von leidenschaft-
licher Musik." — Trotz dieses Mangels an Befriedigung
* ■ ' — -235 — -
zieht ihn schon im November eine andere Novitat an. Er
geht nach Weimar, um Berlioz'sche Musik kennen zu
lernen. Das Tagebuch sagt: „B. hatte einen warmen
Empfang an seinem lorberbekranzten Pult; meine Er-
wartungen waren nicht hoch gestellt, aber er hat sie iiber^
trofien. Manches ist zwar barock und unzusammenhan-
gend, Vieles aber grossartig gelungen. Im Faust ist die
Benutzung des Rakoczy-Marsches electrisirend; er wurde
wiederholt, sowie auch Soldatenlied und Waker. Konigin
Mab's Musik in „Romeo und Julie" ist auch reizend an
Effect und Mendelssohn's Werken ahnlicher Art wiirdig
an die Seite zu stellen. B.'s Leitung theilte der Auffuh-
. rung ein Leben mit, das A lies mit sich fortriss und es
freut mich, ihn. als Componist und Dirigent kennen gelernt
zu haben. Das Orchester mit zwei Paar Pauken war
iibervoll und kraftig; die Chore vortrefnich von Herrn
Montag einstudirt."
Die betagte Frau Grossherzogin empfangt Moscheles
am nachsten Morgen, ladet ihn zur Tafel mit Liszt und
Berlioz und Abends findet die Vorstellung von Berlioz'
,,Benvenuto Cellini" unter Liszt's Direction statt. „Ich war
iiberrascht von dem Melodieenfluss", sagt das Tagebuch,
„von der mitunter sehr discreten Instrumentation; doch
war mir Vieles Unklar und das Finale, der Carneval von
Rom, ganz unverstandlich. Die giinstige' Meinung fur die
Musik war im Publikum vorherrschend, obwohl kein ein-
ziges Stuck zum da capo reizte. B. wurde" nach jedem Act
gerufen. Nach der Oper vereinigte Liszt den ganzen
musikalischen Kreis bei sich, der Ton ein sehr lebendiger
und Berlioz der Gefeierte. Ich unterhielt mich viel mit
ihm und fand ihn sehr geistreich."
Der December bringt einen hochst fremdartigen Gast
in's Leipziger Stadttheater, den Neger Ira Aldridge.
Dieser reiste mit einer kleinen, hochst mittelmassigen
engliachen Truppe und gab einige Ausziige aus seinen •
Hauptrollen.
„Im Othello gebrauchte er keine Schminke", sagt
Moscheles. „Er spricht gut, hat eine Theaterfigur, doch
^r^!«s^-i< T: f-T , V/"''^! : '^''-*" j t*^A^"J'f^rv ! '-' , ^** : j ' 7'^ '- ■^■" '"" vv ! r- . V ^^i" < ■"■!"■"''>'' J 1 .,.
-■ — ' 236. —
entbehrt sein Spiel allef feinen Nuanrirung und die Eifer-
suchtsscenen raste er auf haarstraubende Weise herunter.
Schneider brachte ihn zu uns, Ef ist schrecklich hasslich,
eine in Kaffee getunkte Haut, von Pockennarben durch-
lochert, eine platte Nase und wolliges Haar berechtigen
zu dieser Aussage; die Kopfform ist gut, die Zahne sind
blendend weiss. Sein Wesen ist ofFen und er sprach viel
fiber die Emancipationsfrage , fiber den Abscheu der
Amerikaner gegen die Neger, und fand die Zustande in
Uncle Toms Cabin viel zu gelinde geschildert. Aucb fiber
seine Kunst und seinen Drang, sich ausziizeichnen, sprach
er, gab uns aber in seiner Ausdrucksweise nicht Gelegen-
heit, den feingebildeten. Mann in ihra zu erkennen."
Bei einer geselligen Vereinigung der Leipziger Pro-
fessoren (dem s. g. Professorium) trat Moscheles spielend
und redend auf. Erst trug er Beethoven's Sonate Op. 53
vor, dann bevorwortete er sein Spiel der Solophantasie
Op. 77 durch erklarende Worte fiber ihre Entstehung und
ihren Charakter. „Diese Phantasie ist rhapsodisch, barock
und deshalb nur wenig unter Liebhabern bekannt", sagte
Moscheles. „Mir scheint, als habe Beethoven sich darin
selbst wiedergeben wollen, wie er sich unvorbereitet, viel-
leicht gar iibler Laune an's Instrument setzt und im Reich
seiner Gedanken planlos herumfahrt. Ich selbst habe ihn -
zuweilen auf solche Weise spielen horen und immer sind
mir solche Momente beim Anhoren dieser Phantasie un-
willkurhch wieder eingefallen."
Der "Winter bringt wieder viele moderne Pianisten.
„Der Eine spielt klar und hell wie eine Mondnacht, aber
auch frostig wie diese, der Andere mit seinen ewigen
Kraft-Akkorden, Trillem und Arpeggien greift meinen
armen Erard gar zu sehr an." — ,,Endlich ist einmal ein
Ungluck geschehen, der Stimmstock hat einen Riss be-
kommen, ich weiss auch durch wen — es konnte nicht
gut gehen." In Leipzig konnte man den Schaden nicht
ausbessern, so schrieb Moscheles in grosser Bedrang-
niss an das Haus Erard: Was zu thun sei? Solltt.
man den schadhaften Theil nach Coin — nach. Paris
, . - — 237 — t
schicken? Und wie lange mtisse er ohne seinen Erard
ausharren?
* „Noch ein Weilchen", war die Antwort des stets
freundlich geshmten Hauses, „so lange, bis wir Ihnen
einen unsrer allerbesten Fliigel verpagken und zusenden
lassen ; den Ihrigen haben Sie bereits 7 oder 8 Jahre, seit-
dem habeh wir viele Verbesserungen gemacht und Sie
sollten stets das Beste haben." Moscheles' Freude liber
diesen Brief war gross, seine Dankbarkeit aufrichtig und
[ was der heil. Christ auch diesmal bescheerte, die Erwar-
t tung des neuen Fliigels blieb sein schonstes Weihnachts-
geschenk. '
1853.
„Ks giebt manches Neue in diesem Winter", schreibt
Moscheles. „Gade als Director der Gewandhaus-Concerte,
seine Symphonie mit obligatem Clavierpart — schon
instrumentirt, aber das Clavier eine unniitze Neuerung, da
man es nicht hort; eine neue schwungvolle Ouverture zu
Julius Casar von Schumann — neu ist aber auch mein
Erard, und' ich habe grosse Freude daran. Er hat Orgel-
und Flotentone, Weichheit und Kraft, und dabei einen
federleichten Anschlag. Bei seinem glanzenden Aeussern
drangen sich mir Schiller s Worte auf : In dem schonen
Korper muss auch eine scheme Seele wohnen. Wirklich
kann ich auf ihn einwirken wie auf ein Gemuth; den Ton
ausspinnen wie auf einem Saiteninstrument, und das ohne
Dampfung, — ein pp. erzielen ohne einsaitiges Pedal,
jeden Contrast im Anschlag hervorbringen. Kein Wunder,
dass ich den neuen Ankommling fetire, indem ich nicht
nur allein oder mit den Meinigen darauf spiele, sondern
auch Freunde und Bekannte einladej ihn zu bewundern.
David ergeht sich gem mit uns darauf. ' : Spater, als das
alte Instrument zuriickgeschickt wird, schreibt Moscheles,
elegisch gestimmt: „Der treue, harmonische Freund, wie
1
J
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' — 238 -
ungern sehe ich ihn scheiden, 1st es doch, als verliesse
uns em geliebter Mensch. Als ich vom Fenster aus die
Kiste fortrollen sah, war es mir, als ware sie ein Sarg.
Aber Gottlob (setzt die iiberwiegend heitere Natur
hinzu) : Wir haben keinen wirklichen Verlust zu beklagen
im Gegentheil stehen uns tausend Freuden durch den
Neugeborenen bevor."
Ueber die Bachgesellschaft schreibt Moscheles: „Ich
habe mich von ihr losgesagt, weil in einer Conferenz mit
beiden Hartels, Hauptmann, Becker und Otto Jahn von
Letzterem der Vorschlag gemacht und angenommen
wurde, dass Becker die Claviersachen redigiren solle. Da
halte ich mich fur iibernussig im Ausschuss und zeigte es
den Herren an. Desto mehr habe ich mich mit Bach's
neu herausgekommenem Concert (mit concertanter Violine
und Flote) beschaftigt, denn ich wollte es zuerst in der Kam-
mermusik spielen, doch bat man mich, es lieber im Abon-
nementconcerte mit vollem Orchester zu Gehor zu bringen."
Es gefiel sehr. Auch in einem Wohlthatigkeitsconcert in
Halle spielt Moscheles, am meisten aber beschaftigen ihn.
die Vorbereitungen zur Feier des zehnjahrigen Bestehens
des Conservatoriums. Jetzige und friihere Schiiler ver-
mischen ihre Leistungen: Frl. Jacobi, Frau Dr. Reclam
singen, Otto Goldschmidt spielt, H. Riccius und Concert-
meister Jahn geigen ; eine Ouverture von Buchner und der
erste Satz einer Symphonie von Grimm werden gegeben,
auch hort man zum erstenmal die Bruchstiicke aus Men-
delssohns unvollendetem Oratorium „Christus". Die Stim-
mung ist eine gehobene, alle Leistungen mehr oder minder
ausgezeichnet und freudig anerkannt. Das gewohnliche
Ende solcher Festlichkeiten — ein Souper mit Toasten
und Reden blieb nicht aus, und des Konigs dabei ver-
kiindetes Geschenk von 300 Thlr. rief grossen Enthu-
siasmus hervor. Schalten wir hier, wenn auch etwas ver-
spatet, ein, dass das Tagebuch am 23. April bemerkt
„Den fruhern jungen Ofhzier, Franz v. Holstein, gepriift.
Seine Finger nicht gelenkig, aber viel musikalische Be-
gabung scheint da zu sein. Er widmet sich der Musik und
Sf^^sp^^p^f/v^:''"^^ '"?■?''''■ s- ; ?*?^ *" ,.*#*• eftr*:,* ""-^M ^zWfi
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— 239 — .
tritt in's Conservatorium ein. Auch den jungen Schnorr
-aufgenommen." Ferner heisst es : „v. Sahr's Trio interesant .
-componirt, hat auch Melodie." — „Grimm's Symphonie,
ein grosser Fortschritt." — „Werden meine Schiiler
-dereinst denn auch solche Neuerungen ersinnen, wie
Haberbier in- seinem Fingersatz? Er will laufende Pas-
sagen von beiden Handen, einander ablosend, gemacht
haben ; die Finger sollen schleifend iiber die Untertasten •
gleiten und doch dazwischen die Obertasten beruhren.
Das fiihrt auf die S. Bach'sche Manier zuriick; damals
wollte man einer Hand allein nicht zuviel zjimuthen. Ob
das zu einem Fortschritt in der Kunst fiihren wird? ■ —
— Einstweilen spiele ich die Meister mit meinem Finger-
satz und befinde mich wohl dabei, componire auch ein
neues Stuck, eine Phantasie und versuche darin neu
zu sein."
Pleiss-Athen ist stark musikalisch bevolkert, das
Hotel Moscheles eifrig besucht. ,Jch laufe oft Gefahr,
von den durch das Concertdirectorium Unbefriedigten in
die Scylla ihrer Klagen mit hineingezogen zu werden,
will aber nie in der Charybdis dieser Medisance unter-
gehen, sondern stemme mich kraftig gegen den verhee-
renden Strudel." ,
Es wird der Familie Moscheles in diesem Jahre ein
unschatzbares Gliick zu Theil ; ihre Bekanntschaft mit der
Familie Geibel spinht sich zu einer Freundschaft aus, die
in einem secliszehnjahrigen taglichen Verkehr wachst und
gedeiht. Das Beisammenleben in einem Hause giebt Ge-
legenheit, den gleichen Geschmack in Kunst und Wissen-
schaft, in Grundsatz und Gesinnung darzuthun ; man theilt
Freude und Leid, man. wird eine grosse Familie!
Diesmal gelit Moscheles* Sommerreise mit der Frau,
■den beiden Tochtern und dem Sohn sudwarts iiber Niirn-
berg mit seinen Schatzen nach Miinchen, wo der Freund
Hauser ihm collegialisch seine Schiiler vorfiihrt — .nach
Starenberg, wo die Familie Kaulbach weilt. Bei einer
Aussicht auf den sonnenhellen See componirt Moscheles
■der lustigen Gesellschaft einen Canon, der sogleich ge-
— 24O —
sungen wird. Einen nachsten Halt macht man in dem von
Schneebergen gekronten Partenkirchen. „Wer konnte
anders als bet diesem Anblick schwarmen? Dazu die
ewig wechselnde Abendbeleuchtung und der Mond am
tiefblauen Himmel!" Innsbruck hat wieder seine Sehens-
wiirdigkeiteri, Schloss Ambras seine Erinneiunge'n an di&
schone Philippine Welser, „die dort mit ihrem Gatten,
dem Erzherzog Ferdinand von Oesterreich gliickliche
jahre verlebte." — „Hinter Innsbruck schaumt der Inn
wild iiber grosse Steinmassen hin, griinbewachsene Berg-
kuppen, Tannenabhange und die ehrwiirdigen Schnee-
haupter der Tiroler Alpen in der Feme." — „Der Abend
in Mais ist erquickend; machtige Giessbache stiirzen sich
von den Bergen herab, rauschen wie Meereswogen, Alles
ist iiberraschend, ergreifend."" Hinter Kolman wechseln
bald die wildromantischen Felsen, die Schneegebirge, die
dunkeln Fohrenwalder mit den milderen Weinbergen und
Garten; Maronen, Feigen, Granat und Wallnuss gedeihen
ichon."
Morgens in aller Friihe geht es nach Gries und
gleich in die hubsche reich ausgeschmiickte Kirche, wo
viel reinlich gekleidetes Landvolk andachtig betet. Mo-
scheles geht auf den Orgelchor. Ein Brief vom 14. Juli sagt:
.... „Es war drollig. Der Organist begleitete gerade das
Kyrie; ich griff ihm wahrend seines Spiels zwischen die
Finger und spielend erklomm ich auch die Orgelbank,
von der er, erstaunt, herunterrutschte ; ich fuhr da in der
Musik fort, wo er aufgehort hatte; das Stiick geendet,
sagte er: „Jetzt miissen Sie praludiren, bis der Geistliche
vorsingt", und dann wieder ,Jetzt begleiten Sie den
Schulkindern das Gloria". Ich gehorchte. Er ward immer
angstlicher und verlegener, sah mich fragend an und
platzte endlich rr.it den Worten heraus: Aber urn Gottes-
willen wer sind Sie? Ich schrieb nieinen Namen auf die
Musik. Er machte grosse Augen, fiel mir um den Hals,
kiisste mir die Hande und kiisste sie wieder, als ich schon
das Credo begleitet." .... ,,15. Juli. Der anhaltende
Regen vereitelte gestern Abend unsern projectirten Spa-
'53
— "My — ■ ; . "
ziergang und so liessen wir uns zu einem Zither- und Ge-
sangsconcert verlocken, das nationell sein so lite und es
zu wenig fur unsern Geschmack war. Die Tracht war
freilich echt tirolensch, die Zither auch, aber der Wurm
moderner Musik hatte sich in die gesunde Tiroler Frucht
eingenagt. Wir mussteh schon in der ersten Halfte
etwas „Martha", allerlei Walter und eine „Strapazier-Polka"
ausstehen ; die zweite liessen wir im Stich und liefen im '
Regen nach Hause." Weiter geht cs nach kurzer Besich-
tigung Merans, iiber Botzen, Trient und Riva nach Ve-
nedig. Dort im Palazzo Mocenigo findet sich eine Woh-
nung fiir die Familie, vor ihnen wohnte kein geringerer
als Byron in diesen Mauern, \ einige ihrer Raume werden
von der Contessa Mocenigo, der Aeltermutter des Ge-
schlechts bewohnt. Die Dogen, ihre Vorfahren, sind von
Giambellino u. A. an der Zimmerdecke portraitirt; sie-
selbst ein Bild aus alter Zeit, vornehm in Sprache und
Wesen und dabei liebenswiirdig zuvorkommend gegen den
Kiirtstler, den sie verehrt. „Wenn sie in dichte Schleier
gehiillt, ihre reich vergoldete, mit Wappen geschmiickte
Gondel besteigt, sich auf ihren goldenen Sessel nieder-
lasst, ein altes Dienerpaar ihre Gebetbiicher tragend
diesen umsteht, so eilen wir zum Balcon, um dies Bild
mittelalterlicher Sitte zu betrachten." .... „Ich habe einen
guten Fliigel, der vielleicht durch den Marmorfussboden,
auf dem er stent, doppelt gut klingt, und neue Empfin-
dungen stroinen unter meinen Fingern hervor, wenn ich
an die Dichtungen denke, welche diese- Mauern -rair
wiederholen konnten; an die Lagune mit ihren Palasten,
an den Mond auf der Piazzetta, an sein Spiegelbild in den
"Wellen und an die ganze magische Beleuchtung. Alles
ein Riickblick in alte Zeiten und Zustande mit ihren
grossen historischen Erinnerungen, ihrem Reichthum und
ihren Greuelthaten." , Weiter schreibt Moscheles; „Gern
hatte ich mich hier mit den Musikzustanden und Musik-
treibenden bekannt gemacht; doch finde ich allenthalben
Mittelmassigkeit und Seichtheit. Das Teatro Fenice ist ge-
schlossen , der Director des San Samuele , der zugleich
'.. ^V" ; -f-^r ■! ^1--V r |- V > ' J- rt > r ' ^ "i- V '
242
&< "Wiener Claviere vermiethet, erzahlt mir, dass es am
■{.; 1. Sept. mit den Puritani und einem grossen Ballet eroffnet
f £ werden soil. Die wandernden Musikanten , die Abends
^■" auf dem Marcusplatz und in den Speisehausern gegen
h VV-. Kreuzerhonorar auf Teller n spielen, sind mehr betaubend
iS ' als belebend ; nur der Ton der mannlichen und weiblichen
y^< Violinisten hat oft etwas Eindringliches und erinnert an
v v - den Sty! Paganini's, das heisst, wie etwa der Leipziger
£.-.. .Schneckenberg an den Montblanc. Tags iiber horen wir
f{.._ aus dem gegeniiberliegenden Palazzo Foscari (jetzt eine
fey Caserne) gellende Trompetensignale, die trotz des zwischen
1$?' uns liegenden Canal's unsere Ohren beleidigeii. Wir horen
^: auch die Gondoliere des nahen Traghetto (Anhaltestelle
•ij£f. f , ,> fur die Gondoliere) mit huhschen weichen Stimmen ihre
^,',v nichtssagenden Barcarolen singen, was man aus den Fen-
p/\ , stern vernimmt, ist Clavier- und Guitarren-Geklimper
|i^"' und abgedroschene Gurgeleien (fioriture), die mir nicht so
j| - -■ . lieb sind wie gute Fritture. Nur die osterreichische Mili-
t'>. tarmusik spielt vortrefflich an drei Abenden der Woche
'i-,- .j. auf dem Marcusplatz. Nun aber von meiner musikalischen
>f ■; ^ Aventure. Ich gehe durch eines der calle (Gasschen),
fe;; die hinterwarts an den Hausern herlaufen und hore fertig
j*£'.' Clavier spielen. Halt, denke ich, das ist kein Liebhaber,
H, sondern ein Schlager von Profession. Ich klingle und
y^-'. frage dreist, ob der Professore di Cembalo zu Hause ist.
[!/■-■ Ja, ist die Antwort, und bald werde ich in ein Zirnmer
&''" ■ gefiihrt; ein etwa dreissigjahriger Mann spielt eben eine
Sl'V Bravour-Mazurka von Fumagalli, deren Anfang ich schon
-?^~ unten gehort hatte; neben ihm sitzt ein junger Abbate.
£:-■■,■ Ich bitte ihn durch Zeichen, sich nicht zu unterbrechen.
|;L\ Als er geendet, frage ich: Wollen Sie mir Lectionen
■>> geben? und er bejaht. Nun spielt er noch Fumagalli's
f' Carnevale di piu und macht die Spriinge und Octaven
^'-_, recht artig, so dass ich ihn wiederholt durch ein Bravis-
M ■ simo unterbreche. Darauf soil auch ich das Instrument pro-
;;^ ; - biren und Lehrer wie Abbate folgen meiner Improvisation
*f' v mit steigendem-Interesse; dann fragt Ersterer verlegen :
'> .' Wessen Schiller sind Sie? — Von Moscheles. — O, diesen
— 243 —
"beruhmten Namen kenne ich. — Keimeti Sie auch seine
Compositionen? — In Venedig spielen wir solche ernste
Sachen nicht. — Welche Musik wahlen Sie zu Ihrer Aus-
bildung? — "Wir studiren meist die Arrangements aus
den beliebtesten Opern. — Ich will Ihnen eine Etude von
Moscheles spielen, sagte ich, und wahlte dazu meine
chramatische in G-dur. Nun wollte ich mich verabschieden,
aber er liess mich nicht, — Lectionen von mir gebrauchen
Sie nicht, das ist klar, aber sagen Sie mir doch Ihren
Namen — der meinige ist Carlo Fortunati, A l ls ich mich
nannte, schloss er mich mit siidlandischer Vehemenz in
seine Arme, es regnete Kiisse und Epitheta und wir
schieden als musikalische Freunde, werden uns auch als
solche wiedersehen. Auch der Abbate ist ein Musik-
Enthusiast"
Fortunati kommt oft, zuweilen als Horer, mitunter
auch als Spieler. Als er die vierhandige Ouverture zu
Nabucco von Verdi brachte, um sie mit S. zu probiren,
hatte sie viel Aergerniss an seiner Tactlosigkeit, wahrend
er bei jedem Tanzrhythmus entziickt ausrief : „Oh che
bella Sinfonia!
Wir wollen fur Venedig eben so wenig wie fur
die iibrige Reise Beschreibungen a la Murray oier
Badeker Hefern; es versteht sich, dass man Alles sah,
Alles genoss. Nur das sei erwahnt, dass italienische Ge-
sangs- und Malerstudien fiir die Jugend damit verbunden
wurden. Bei den letzteren war Carl Werner der hiilf-
reiche Freund, sowie er und seine Schiiler auch allabend-
lich eine musikalische Stunde bei Moscheles genossen. W.
beschenkte sie auch mit einem von ihrem Balcon aus ge-
machten Aquarell und mit einem auf der Insel San Fran-
cisco getreu nachgeahmten Sonnenunterg-ang- siidlichster
Farbung
Dann wieder schreibt Moscheles: „Ich spielte in einer
Clavier-Niederlage auf einem Boisselot aus Marseille vor
einigen Leuten , unsere 88jahrige Hausfrau - Contessa
darunter. Habe ich immer der deutschen Schule ange-
hort, so versuchte ich hier, mich zu italienisiren, und kam
i6»
— 244 — ■
doch einmal etwas vor, das sie nicht verstanden, so nannten
sie es klassisch. Ich kann unmoglich alle Schatze beschreiben,
die wir hier taglich sehen, aber sie werden "in's Tagebuch
verzeichnet — nur das darf ich nicht verschweigen, dass
ich bei Titian's Himmelfahrt in ihrer Farbenpracht ver-
steinert stand . . . ." — „Gestern gab's eine Serenade.
Ein grosser Holzbau, roth und weiss drapirt, von zwei
mit Lampions behangenen Pyramiden beleuchtet, schwimmt
bei einbrechender Nacht den Canal herunter; es ist ein
MusikschifF,' auf dem ein ganzes Orchester, zwei Fliigel
und die Solisten Platz haben; es wird gesungen, auf
Geige, Flote und Clavier gespielt, aber Alles im gewohn-
lichsten italienischen Schlendrian, nichts fur das musik-
gebildete Ohr, fiir's schonheitsliebende Auge Alles; denn
bengalische Flammen beleuchten den Canal, als war's eine
Scene aus Tausend und einer Nacht. Das helle Musik-
schifF ist von schwarzen Gondeln dicht eingerahmt, oft
aber auch aufgehalten, so dass die vier, die es remorcmiren
sollen, in ihren Bestrebungen gehemmt werden. Urn desto
mehrgenossenwiralsBeschauervomBalconunsrerWohnung
den Blick auf die elegante Welt in den Gondeln und spat
in der Nacht batten wir noch von der Hohe des Rialto
aus die Uebersicht auf das ganze Bild! . . .' : ... „Die
Festa di San Rocco ward schon am Vorabend durch eine
Musica a grand' Orchestra eingelautet, aber wie? Schone
Walzer und Polka's auf der Orgel gespielt, dann eine
Fuge, worin Quinten und Octaven schrieen, dazwischen
des Priesters heisere Stimme am Hochaltar, die Orgel
selbst nasal und unrein. Der Dirigent markirte jeden
guten Tacttheil und schlug sein Pult so stark, wie nur
der arme Santo mag bei Lebzeiten geschlagen worden
sein, iibertonte oft das scharfe Blech des Orchesters und
todtete den EiFect des Solo's, das eine schone wenn auch
tremulirende Ten or stimme sang. Zuweilen klatschte es
mitten in die Musik hinein wie Castagnetten, ofter wie eine
Postillonspeitsche. Die arme Kirche hatte wieder den
schonen Marmor ihrer Saulen unter einen rothen Damast-
l T eberwurf verbergen miissen, ihre grossen Kerzen brann-
— 245 — ■ ■ .'-'■" -^
ten duster in der von der Fiille gepressten Luft und die ;JJ
Geruchsnerven litten von Schnupftabak und Knoblauch, ;|
den das versammelte Volk reichlich aushauchte." Ehe <^~
man Venedig verlasst, hat sich der Bekanntenkreis sehr _.P.j
vergrossert. Conte's undAbbate's, aber auch eine deutsche ; ."■*
Farnilie, die des Generals Culocz gehoren dazu. Bei .'-v
diesem, der Gouverneur von Mantua isV wird Halt ge- :g|
[ macht; „doch kann das italienische Theater, und selbst ■ 7 |^
die Giulio Romano's nicht Ersatz fur .Venedig bieten." -"'J
In Brescia hort man die etwas altliche aber doch sehr ■■"■*•
gute Barbieri-Nini, sieht die Denkwiirdigkeiten und reist '#
dann nach Mailand. Moscheles besucht das Conservato- > -
rium der Musik, „fruher ein Kloster, jetzt halb Kaserne, }%
halb Pflanzschule junger Musiker. Die Professoren be- >*
zeigen mir grosse Ehre, meine Etiiden sind eingefiihrt, .-Aj
sonst kennt man nichts von meinen Sachen, von Beethoven . ' ; |:
und Mendelssohn gar nichts. Ich spielte ihnen meine ^
grande valse, um ihnen etwas deutsche Bravour vorzu- . .. .-.."f,
fuhren ; Fumagalli spielte. ein Lied von Gordigiani: , ,i
„0 santissima vergine Maria", sehr gracios von ihm . 'f
behandelt und nett vorgetragen. Viel mehr Bravour -,.
und pikante Effecte horte ich dann in seinem Carnevale * ■ ,r j
di piii, die dem Humor und Uebermuth Paganini's nichts ■■'.'/&
nachgeben. In der Damenwelt wird der hiibsche junge "i
Mann noch Aufsehen mit diesem Stiicke machen. Am v|
folgenden Tage spielten wir uns wieder gegenseitig vor, er ? ;"'i
u. A. eine Phantasie fur die linke Hand iiber Casta Diva. . .';."|i
Er behandelt die modernen Effecte mit vielem Geschmack, '■;;-$
hat eine vortreffliche Execution und guten Anschlag." ' :fi
Das Teatro Radegonda 1st zweiten Ranges, Orchester . '?£
und Sanger meist roh und ungebildet; der unbedeckt ;,*i
sitzende Souffleur singt zuweilen mit; die guten Stimmen V
gehen in den detonirendenSchrei-Effecten unter, kommt ;-; ;
aber die gewisse Stelle mit ausgestreckten Armen und ver- v,
zuckten Augen, so klatscht der Publicus. Die Oper :'.
war Luisa Miller (Cabale und Liebe) von "Verdi und ':^i
hatte keine Ouvertiire, nur abgedroschene Gedanken, blin- .. -
den Larm und nur hie und da ein paar gute Vocal- : ':' r
3tTv>; .■?-;
— 246 —
effecte, die allein mich bei der driickenden Hitze wacfo
erhielten."
Der Comer See wird "besucht. Man spricht in der
Villa Pasta vor, urn der in London bewunderten Kiinst-
lerin die Aufwartung zu machen, „Die Villa ist ■ ver-
miethet, sie selbst wohnt in einem kleinen Nebenhause,
dessen Umgebung echt italienisch war. Schmutzige Casse-
rollen und sonstiger Kiichenrath zeigten den Abhub eines
kiirzlich verzehrten Mittagsmalils — dreiMadchen zwischen
13 und 15 Jahren, an denen der Kamm nicht viel Arbeit
verrichtet hatte, sassen nahend unter diesen. Auf meine
Bitte trug eine derselben unsere Karten hinein und bald
erschien die grosse Frau balb verschlafen, weil man sie
in ihrer Siesta gestort hatte, dennoch freundlich dankbar
fur unsern Besuch. Der Mund und seine Zahnreihen sind
noch lieblich, die grossen Augen seelenvoll, das Haar
schwarz, aber ungeordnet wie das der Zofen; der Anzug
hochst originell zusammengewurfelt. Sie konnte nicht auf-
horen, alte Zeiten zu besprechen. Die Villa bewohnt sie
nicht, weilj sie Mutter und Mann darin verloren hat;
das kleine Haus sollte fur sie ausgebaut werden u. s. w.
Dann schrieb sie uns Albumblatter und gab uns schone
Blumen." . . .
Von Baveno aus wird der Lago maggiore in einer
Barke befahren und die Wunder der borromaischen
Inseln unter die schonsten Reiseerinnerungen gezahlt.
Ueber Magadino und Bellinzona geht es die Gotthardt-
strasse herunter iiber Altorff nach Luzern und Zurich, wo
man den Sohn des alten Freundes Nageli aufsucht. „Er
besitzt einen Schatz", sagt Moscheles, „das Manuscript
von Bach's H-moll Messe, in dessen Besitz sein Vater
durch Schwenke in Hamburg kam. Ich liess es mir
zeigen und zweifle nicht an seiner Echtheit, die Leipziger
Bachgesellschaft hatte es gern von ihm erstanden, doch
weigerte er sich standhaft. Ausserdem besitzt er noch
ein unpublizirtes Concert fur vier Claviere von Bach; es
ist in A moll."
Von Zurich aus kehrt Moscheles rasch zu den seiner
'■VWW-7
^-^ff^^^p^
— 547 —
harrenden Schiilern zuruck. Das regelmassige Leben,
unterbrochen von angenehmen Besuchen, beginnt wieder.
Ein kurzer Aufenthalt Liszt's in Leipzig bringt ihn in die
Abend-Unterhaltung des Conservatoriums. ,,-Er schien mit
den Leistungen der Schiiler zufrieden und sagte ihnen
manches verbindliche Wort, aber vorspielen wollte er
ihnen nicht; das brachte unerfiillte Wiinsche zu Tage.
Wir horten ihn.bei David seine Phantasie fiber den Pro-
pheten, die eigentlich fur Orgel ist, in einem Arrangement
furs Clavier spielen. Hans v. Biilow half bei den Pedal-
bassen in der untersten Octave. Das erste und letzte
Stuck sturmt heftig fugirt daher, das mittlere ganz auf
einer Saite gespielt hat ein ruhigeres Motiv und sagt niir
besser zu. Auf meinen Wunsch, er mo'ge uns noch
Etwas geben, spielte er seinen pikanten "Walzer in As-dur
und brachte viele iiberwiirzte Effecte durch die Verschie-
bung hervor, in dieser aber gab es wieder einzelne stark
markirte Accente. Ich versaumte seinen Morgenbesuch,
aber mit Charlotte hatte er eine zweistiindige Plauderei,
gemiithlich und interessant, wie sie sagt." Ein Brief vom
2%. September" sagt: „Heute schreibe ich Ihnen wahrend
der Priifung des Conservatoriums. 118 Schiiler, die in
dieser Woche gehort werden mussen! Die Director en und
Lehrer sitzen als Richter um einen Tisch, erstere fiiistern
oft untereinander, letztere, wenn's sich eben nicht um
eigene Schiiler handelt, suchen sich einen Zeitvertreib,
David zeichnet, ich schreibe Ihnen , . . Ich gehe viele
Novitaten durch : Czerny's Op. 800. Gradus ad Parnassum
mit bequem liegenden aber verbrauchten Schwierigkeiten,
Liszt 's Rhapsodie hongroise, interessant wegen ihrer richtig
aufgefassten Nationalmusik ' — sogar Fumagalli's Carne-
valc di piu suche ich so geschickt als moglich nachzu-
spielen .... In Griitzmachers Trio lernte ich eine tiich-
tige Arbeit kennen."
Die Gewandhaus - Concerte beginnen im October.
Moscheles iibernirnrnt in einem derselben aus Gefalligkeit
die Clavierpartie in Gade's Friihlings-Phantasie ; er sagt
im Tagebuch: „Ein sehr untergeordneter, vielleicht oft
:"*vs
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^•V^^; ; ^N:'?' ■ , r- T ---^''^^;^ : '^ >'■■ " ■'"'■■ v - : '. ; ■'"'■•:' ' r - v; — ■
!;V-' / — 248 — .
;;* ungehorter Part, mitunter aber durch die scheme Instru- .
- mentation gehoben; das Ganze hiibsch und originell ..."
In spateren Notizen heisst es : „Was der * * dem armen
David fur Plage durch seinen barocken sich ewig erneu-
ernden Tempowechsel machte; er unterbrach alle Phrasen,
plotzlichen "Windstossen gleich . . ." „C. weiss nicht mit
der Sonate Op. 106 von Beethoven umzuspringen, doch ich
musste ihm das thatsachlich beweisen, damit . er es
glaubte. Alle verlangen Rath von rair, aber Rath soil
Lob heissen . . ." „Nicht genug, dass der junge * * mit
seiner EfFecthascherei nicht gefiel, mir ist auch sein
Aeusseres, seine Anmassung, sein bestandiges Stock-beissen
unleidlich; als ware der Elfenbeinknopf eine Bhime und
er die Biene, die den Honig daraus saugt ..." „Wie
gem musicire ich dagegen mit Dilettantinnen, wenn sie
. . . so spielen wie Frau Br ... r. Sie hat mein Concerto
pathetique vortrefflich einstudirt und brav aufgefasst. Als
ich es von ihr horte, erzeugte es den Wunsch in mir. es
selbst vvieder ofter zu spielen. In dieser Composition
glaube ich Form und Styl sehr erveitert und rnich be-
" deutend entwickelt zu haben, doch blieb sie bis jetzt
unbeachtet!" . . . „Hnlers rhythmische Studien spiele ieh
viel, ohne mich mit seiner Intention aussohneri zu konnen;
ich schneb ihm dariiber ..."
. . . „Der Himmel geht in Sack und Asche. Soil ich
es etwa auch thun, weil die Weltereignisse vom Orient
her drohend aussehen, oder weil ich an einem Knieiibel
darniederliege? Nein, die streitenden Machte werden
schon fur das Gleichgewicht Europa's sorgen, ich sorge
fur meine musikalische Pnanzschule, und fur mein Knie
sorgt Dr. Reclam. Ich glaube, er hat den Stein der
Weisen gefunden; denn Homoopathie und Allopatlne,
nichts wollte anschlagen — und sein galvano-elektrischer
Apparat scheint zu helfen. Mit den Fingern und dem
Rath bin ich ubrigens "thatig wie immer, denn die Schiiler
kommen zu mir in's Haus und ich spiele viel; die Zehn
sind noch gelenkig, weder altersschwach noch steif und
ich habe auch sonst kein chronisches Uebel mit mir
— 249 —
herurnzusehleppen" . . - Der galvano-elektrische Apparat
stellte Moscheles bald her und seit jener Zeit blieb Pro-
fessor Reclam der umsichtig freundliche Arzt der Familie;
ein Pfleger und Heifer in schwerer, ein Troster in den
schwersten Stunden, stets der Freund des Hauses. Seine
Gattin, von Moscheles als Kiinstlerin hochgeschatzt, war
die Stiitze der hauslichen Vocalmusik. Oft erfreute sie
Moscheles durch den Vortrag seiner Lieder.
Lassen wir wieder das Tagebuch reden: „Brahms' ■'
Compositionen haben viel Schwung und Schumann, den
er sich zum Vorbild erwahlt hat, empfiehlt ihn als „musi- .
kalischen Messias". Ich finde ihn oft pikant, wie Schu-
mann, zuweilen zu gesucht. Unsre Schule, behauptet man,
habe auch Beethoven beim ersten Erscheinen seiner
Werke das Sue hen vorgeworfen, ihn nicht gleich ver-
standen. Es ist wain-, Beethoven's Geist verlockte ihn in
nie betretene Bahnen, die nicht Jedem zuganglich sind —
und doch hat es sich seitdem erwiesen,*dass er nicht nur
gesucht, sondern auch gefunden hat, was er musikalisch
ausdriicken wollte. HofFen wir, dass dies auch bei dem
jiingeren Componisten der Fall sein m6ge. B.'s Technik,
sein „vom Blattlesen" machen ihm und seinem Lehrer
Eduard Marxsen alle Ehre." . . . „Auch viel Berlioz gehort
und aufmerksam verfolgt. Meine Meinung iiber seine
Sachen unerschiitterlich dieselbe; — anerkennend und
doch oft unverstanden. Oder soil man so einen Hexen-
■Sabbath z. B. gar nicht verstehen?" . . . „Sonderbar!
Jetzt hort man wieder mit Vergniigen die einfache Oper:
„Doctor und Apotheker" von Dittersdorf, in welcher Behr
und Schneider vortrefflich singen und prachtigen Humor
entwickeln; man vergisst dabei, wie Rossini im Tell,
Meyerbeer in seinen Opern, die Welt mit ihrem Reich-
thum an Instrumentation, ihren scenischen- Effecten iiber-
fiittert, wie Wagner beide iiberbpten hat. Les extremes
se touchent ..."
Der Jahresschluss brachte ein frohes Ereigniss: die
Verlobung der zweiten Tochter iriit Dr. Georg Rosen,
damals Consul fiir Preussen und die Hansestadte in dem
s
'■'.«
;X">i- .-~-'-j3» 1 'r«i'
— 250 —
fernen Jerusalem. Diese Eerne war fiir die Angehorigen
der bitter e Tropfen in dera Freudenbecher; giebt es doch
kein vollkommenes Erdengliick. Das Brautpaar in Be-
gleitung der Eltern und Schwestern reiste zu den be-
jahrten Familienhauptern, um sich deren Segen einzuholen.
Moscheles schreibt wenige Tage vor diesen Besuchen:
. , . „"Wundert Euch nicht, wenn der Brief etwas
confus wird; ausser der Verlobung und Wiedersehens-
freude habe ich doch auch noch meine Berufsgeschafte zu
besorgen. Ich bin so erfullt von dem Gedanken, bei Euch
mit meinem charmanten Schwiegersohn in spe aufzu-
treten, dass ich gar nicht weiss, was ich thue, und den
Schiilern lauter falsche Fingersetzungeh vorzeichne; nur
gut, wenn ich rnich nicht taktlos dabei benehme. Den
Gedanken an Jerusalem, der mir immer vor den Ohren
klingt, kann ich mir aber nur ertraglich machen, wenn
ich mir Mendelssohn's Musik dazu denke , . ."
Das in diesem Herbst erfolgte Hinscheiden von Cecile
Mendelssohn, der innig verehrten Freundin, wird schmerz-
lich beklagt; sie hatte ihre siebenjahrige Wittwentrauer
wiirdig ertragen, fur die unmiindig verwaisten Kinder,
die Verwandten und Freunde blieb der Verlust ein uner-
setzlicher.
1854.
„Ein fiir uns Eltern gewichtiges Jahr", schreibt Mo-
scheles, „durch die bevorstehende Trauung unserer zweiten
Tochter." Und als diese voriiber ist: „Nun liegt die
ganze schone Zeit mit dem Familiencongress hinter uns.
Unsere vier Kinder festlich bei uns zu sehen, war ein
grosser Genuss , den alle unsere Freunde aufrichtig
theilten. Die heiteren Tage haben uns Eltern verjungt
und mussen uns fiir die Bitter keit der Trennung star ken.
Wir haben vie 1 an unsern Kindern und wollte Gott, wir
konnten das bestandig unter Augen haben."
— 251 —
Spater, als die Tochter ihm schreibt, sie habe es
ubernommen, beim deutschen Gottesdienst in Jerusalem
Orgel zu spielen, antwortet er der „Frau Dr. K.., ange-
stellten und zugleich sitzenden Organistin an der
protestantischen Kirche der heil. Stadt. Der Kunstver-
wandtschaft wegen erlaube ich mir, Sie per Du anzu-
reden." Nun giebt er ihr guten Rath, wie sie ihre Orgel-
studien betreiben solle, legt auch ein fur sie geschriebenes
Orgel-Praludium und seine Harmonisirung der einge-
schickten Kirchengesange bei.
In der Quartettmusik spielt Moscheles sein Trio und
auf den ausdriicklichen Wunsch des Freundes Spohr
dessen neues Septett, das ein Berichterstatter „besonders
im Adagio zu den schonsten, liebenswurdigsten Compo-
sitionen des melodieenreichen Kasseler Schwans — je'tzt
ein hoher Sechziger — zahlt. Moscheles", fahrt derBericht
fort, „ein gleichfalls Hochbetagter, hat bei grefcem Haar
sicb und seiner Kunst die Jugendfrische in Spiel und
Composition zu erhalten gewusst und errang sich bei
Kennern und dem Publikum laute Anerkennung." Ein
Brief der Frau an eine Tochter sagt iiber das Trio: „Alle
spielten con amore; Griitzmacher zart, David mit einer
neu angebrachten Strichart bei der "Wiederholung des
Thema's im Scherzo, die grossen Effect machte. Der
Erard war ganz so, wie Du ihn kennst." Moscheles fiigt
hinzu : „Nehmt, meine lieben Kinder, von mir als Nach-
ziigler nur die Bemerkung, dass es mir sonderbar vor-
kommt, wenn mich die Blatter den „Nestor" oder „Alt-
meister" der Clavierspieler nennen, denn so lange ich
noch mit jugendlicher Warme spielen kann, vergesse ich
mein Alter . . ."
Aber auch die jungeren Kunstler regten sich. Eine
neue Symphonie in C-dur von Gouvy ward im Gewand-
haus vortrefflich aufgenommen. „Sie hat pikante Phrasen,
kunstlerische Verarbeitung", sagt Moscheles. „Das An-
dante mit obligater Harfe ist idyllisch; vielleicht zu
idyllisch, da es mich an Beethoven's „Scene am Bache 11
erinnert. Die Ouvertiire zu Cherubini's Medea war wieder
*J'&:
— 252 —
sublim; sie horen, ist fur mich jedesmal ein Hochgenuss."
„Die Umschreibung von Mendelssohn's Sommernachts-
traum scheint mir nicht fur's Gewandhaus zu passen; ja
es kam mir vor, als wollte das Gyps-Medaillon iiber dera
• Orchester bei dieser unerhorten Bravour mit dem Geist
im Don Juan ausrufen: Hier erwartet die Rache meinen
Morder."
„Der Winter bringt uns tiichtige Krafte in's Gewand-
haus. Frl. Wilhelmine Clauss, Lacombe, Litolff, Speidel,
Kriiger, Joachim, Singer, Konigslow, — Alle diese und
noch andere treten mit Ehre in die musikalischen Schran-
ken, t viele bewahren sich als Lieblinge des Publicums;
Fraulein Stabbach, eine Englanderin, vertritt zur allge-
meinen Zufriedenheit den Vocaltheil in einer Reihenfolge
von Concerten." — Ein Ereigniss, und zwar ein freudig
bewillkommnetes, war das Erscheinen des Lind-Gold-
schmidt'schen Ehepaares, zum erstenmal nacli ihrer Ver-
heirathung. Sie trat im Pensionsfonds- und Abonnements-
Concert auf: ,,Ihre Stimme klang wunderbar schon, und
doch kann sie sie bis zu einem ungeahnten ppp. herab-
stimmen, dabei den leisen Ton in jedem, auch dem ent-
ferntesten Winkel des Saales horbar ausspinnen. Hat sie
durcb ihre Coloratur Alles erstaunt, durch ihren seelen-
vollen Vortrag die Herzen bewegt, so ist sie auf einmal
na'iv und singt ein Taubertsches KAnderlied, oder den
„Sonnenschein", so dass man wieder mit verjiingt wird.
Goldschmidt liess uns auch viel Schemes horen und war
in Chopin's Concert, in Mendelssohn's Variations serieuses,
in einem Praludium von Bach und eigenen Salonstiicken,
der tiichtige bewahrte Kiinstler, ernst und gediegen, ohne
Effecthascherei. Mir machte es grosse Freude, ihm durch
das Darleihen meines Erard'schen Fliigels beweisen zu
konnen, wie viel ich auf ihn halte."
Spater heisst es: „Wir haben noch genussreiche
Stunden mit Goldschmidt's verlebt: bei einem Familien-
diner, bei einer Preusser'schen Matinee, wo mir sein Trio
als klar-melodische gesunde Musik grosseFreude machte;
endlich im Conservatorium. Sie zeigten grosse Zufrieden-
— 2 53 — '
heit mit den Leistungen der Schiiler; — besonders gefiel
ihnen der kleine Fritz Gernsheim, der Mendelssohns
Serenade und Allegro yortrefflich. spielte; und sie driickte
wiederholt „ihre Achtung vor dem musikalischen Institut
aus, dem ihr Mann seine musikalische Bildung verdankt" ;
that dies aber nicht nur in Worten, sondern auch in
Tonen, indem sie Mendelssohn's Hyrane fur Sopran und
Chor wunderschon sang; eine Leistung, die gewiss
alien Horern einen unausloschlichen Eindruck zuriicklassen
muss, Wir gingen begeistert nach Hause." Unter den
Schiilern giebt es ausser Fritz Gernsheim zur Freude des
Lehrers die drei Briider Brassin, denen er „eine schone
Zukunft auf Clavier und Geige" prophezeit; „es giebt
auch wieder ein vollkommenes Lied von Holstein: „„Ich
fahr dahin . . . " "
„Leider sind auch Manche, die ihre Zeit nicht auf das
Studium der Composition verwenden, sondern drastische
Artikel fur die musikalische Presse liefern, wobei ich
immer wieder an Mendelssohns Wort denken muss : Was
sprechen und schreiben sie denn soviel? Sie sollen gute
Musik machen! Ich glaube nicht, dass er die Stiicke voll
Weltschmerz, die ich zuweilen mitanhoren muss, unter die
guten gerechnet hatte." — „Einer der Schiiler "hat sich
4oliniges Notenpapier rastriren lassen, um eine Oper zu
schreiben, aber ich fand nicht, dass ihm die 40 Linien
vier Gedanken gebracht hatten ! . . ." „Hauptmann schreibt
die folgenden frappanten Worte fiber einen der lassigsten
Schiiler:. „„Die Friichte der Studienweise des Herrn * *
zeigen sich in bedeutenden Fortschritten in der Unklar-
heit und Wirrniss!"" . . . „Eine neue Sonate —
3? Seiten lang — aber sie begeistert mich nicht. Welches
Chaos! Gedanken, hochstrebende Gedanken schimmern
mitunter durch; das Ganze ist aber so wiist, wie ein
Gottesacker, auf dem ein Erdbeben Grabmaler und Ge-
denksteine zu einem Schutthaufen umgewandelt hat. Die
Graber sind geborsten, grinsende Schadel starren aus
ihnen hervor; auch der irgend eines schulgerechten
Contrapunktisten, der sich fiber alle gottlosen italienischen
— 254- ,—
Rouladen lustig zu machen scheint. Die weiblichen
Leichnatne stimmen ihr Hexengeheul ati! Ich ging be-
taubt zu Bette und schlief unruhig — besser vielleicht,
ich hatte die ganze Nacht geraucht und Kaffee getrun-
ken, um niichtern zu werden." . . .
Ein Brief als Antwort auf die Beschreibung musika-
lischer Zustande in Jerusalem sagt: „Die unraffinirte
asiatische Nationalmusik mit ihrer eintonigen Melancholie,
wie Du sie mir beschreibst, steht freilicb auf einera ganz
entgegengesetzten Standpunkt. Sie mag den Eingeborenen
eben so interessant sein wie uns Handel oder Mendels-
sohn, und bei der Eroica wiirden sie .sich langweilen. Die
dortigen Europaerinnen, die nicht ijber ein Lied oder
einen Choral herausgehen, sind auch charakteristisch. Sie
werden sich schwerlich bis zu Beethovens letzten Werken
aufschwingen, wiihrend unser iunges Deutschland diesen
Heros schon als Zopf betrachtet und die Fliigel iiber ihn
zu. erheben trachtet ..."
Dann wieder sagt das Tagebuch: ,,Don Juan gehort
— Mitterwurzer besonders interessant. Ich habe mich
gefreut, dass statt des Dialogs die Original-Recitative ge-
sungen wurden und die dumme Scene mit dem Gerichts-
boten wegblieb. So oft ich beim Anhoren dieser Oper an
die Zukunftsmusik dachte, war mir zu Muthe, als triite
ich aus einem nebelumschleierten Wald, in welch em
Uriken mit Kobolden concertirten, hinaus an's sonnige
Tageslicht, und Apollo spielte mir „himmlische Melodten
vor" . . . „David tritt von der Direction der Gewandhaus-
concerte zuriick und in sein Concertmeisteramt wieder ein;
da er so Grosses in diesem leistet, so bleibt uns sein
ganzer Einfluss erhalten; aber argerlich sind die rohen
Angriffe auf ihn in offentlichen Blattern und er hat Recht,
wenn er sich ihnen nicht langer aussetzen will. Als wir
daruber sprachen, konnte ich ihm ein auf mich beziig-
liches Seitenstiick vorfiihren; namlich Schindlers kurzlich
herausgegebene Schrift „ iiber die Entwicklung des Clavier-
spiels seit Clemen ti." Immer tritt sein Ich darin hervor:
Er hat mit Clementi, Cramer und Beethoven iiber das
i,?!;_ :•»*?'; ^\-.
..-— 255 —
Wohl der Kunst verhandelt; — "durch Hummel und Mo-
scheles ist das Clavierspiel seinem Verderben entgegen
gegangen. Letzterer hat sogar die Anmassung gehabt,
Werke von. Beethoven, den er nie spiel en gehort, zu
metronomisiren, er, Schindler, habe ihm aber schon
anderswo seinen gehofigen Lohn dafiir gegeben. Liszt,
den er auch gewaltig mitnimmt, babe sich drei Jahre von
ihm zur Besserung ausgebeten (ein guter Witz von Liszt),
er ihm vier Jahre zugestanden ; nun gebe er ihn auf . . ." *)
„Ich beschaftige mich", sagt Moscheles, „einstweilen
mit Beethoven's Genius, da ich Cadenzen zu seinen Con-
berten schreibe, die Senff verlegen will. Naturlich be-
diirfen selbstschaffende Kiinstler deren nicht zu ihren
Leistungen ; sie konnen ihren eigenen Inspirationen folgen ;
den hierzu weniger befahigten Spielern hoffe ich aber
niitzlich zu werden." Auch eine neue Auflage nieiner
Praludien muss ich eben jetzt vorbereiten."
„Merkwiirdige Titel zu Clavierstiicken habe ich kurz-
lich gesehen : Le torrent? Meinetwegen, weil es wirklich
ein Sturzbad von Noten ist, aber „Aus dem Hochlande";
' „Sonnenuntergang" und „Unwetter" konnten auch irgend
eine andere Benennung bekommen. Giebt man einen Titel, so
sollte er passen wie der Punkt auf s i, sonst mache ich
lieber einen Strich, wie durch's t!" . . .
Die Sommerferien werden in Miinchen zugebracht,
weil der Sobn dort seine Zeichen- und Maler-Studien macht.
Moscheles schreibt: „Wir linden Miinchen in grosser Reg-
samkeit und man sieht ihm das schwerfallig machende
*) Ferdinand Hiller liess einen offenen Brief an Schindler als
Entgegnung drucken, in welchem er seine -Lacherlichkeiten als bekannten
ami de Beethoven ins hellste I-icht setzt und ilm fragt, ,,ob cr cs in
seinem Leben so weit gebracht, die erste Etude von Cramer spjelen zu
konnen ? Ob er ihm irgend eine Spur von einer Schindler'schen Compo-
sition irgendwo naqhweisen konne ? Ob er als Dirigent eine der "Welt
unbekannte Vergangenheit habe? Ob er Anspriiche auf die Stelle eines
Statthalters Beethovens mache? H. schliesst mit den Worten: Nur
die Lumpe sind bescbeiden, sagt Goethe; ich recline daher auf eine auf-
i-iclltige unbescheidene AntworL Ihr so viel wie moglich ergebener
F. Hiller."
256
Bier (welches iibrigens sehr gut schmeckt) keineswegs an.
Alles putzt sich in und ausser den Hausern fur die bevor-
stehende grosse Ausstellung; sogar Pflaster und Trottoirs
werden ausgebessert, neu uniformirte Droschkenkutscher
tragen ihre silberbordtrten Hiite, rothe Kragen und sogar
weisse Halstiicher zur Schau. Wahrend man sich aber
mit der Aufstellung aller Gegenstande sputet, dringen
noch hie und da heftige Gewitterreg~en durch die Be-
dachung dcs Gcbiiudes. Ganz so wie friiher in London."
„Das Wetter ist und bleibt ungiinstig", schreibt er spater.
„Proportion: 1 Loth Sonnenschein auf 1 Pfund Regen
nur die Kunstgeniisse, die jetzt verdoppelt sind, entscha-
digen den durchnassten Sterblichen. Ausser den Museen,
Maler-Ateliers und Privat-Galerien, die Miinchen immer
besitzt, hat es jetzt seine Ausstellung und ein Theater,
das seltene Genusse bietet. Der Name „Muster"-Vorstel-
lung - ist wohl am Platz, wenn Frau Rettich und Frau
Haizinger, die Frl. Seebach und Neumann, die Herren
Devrient, Hendrichs, Doring u. A. miteinander wetteifern.
So wusste man in der Minna von Barnhelm nicht, wem
die Palme zu reicben: Louise Neumann als Franziska
oder Julie Rettich als Wittwe bei ihrem kurzen Auf-
treten, Doring als Wirth oder Emil Devrient als Fran-
zosen. — In „Dorf und Stadt" konnte man nur fur die
liebliche Frau Haizinger und ihre Tochter schwarmen, in
Mendelssohn's Antigone war Kindermanns volltonende
Stimme besonders effectvoll und so geht man von einem
Genuss zum andern . . ." „Alle diese interessanten Per-
sonlichkeiten, sowie Melchior Meyr, Wolfgang Miiller von
Konigswinter, Bodenstedt und viele Fremde treffen wir
an den Empfangsabenden bei Liebigs und Donniges; bei
Kaulbachs geht es Sonntag Abends gar gemiithlich zu;
wir fuhlen uns dort schon ganz heimisch. Gestern wurde
zuerst der Garten, dann Musik genossen, darauf von Frl.
Seebach mit grosser Begeisterung eine Scene aus Romeo
und Julie gelesen. Sie schwarmt fur Shakespeare und ist
iiberhaupt „jeder Zoll eine Kiinstlerin". Zum Schluss
wurde trotz asiatischen Klima's noch energisch getanzt,
— 257 — " ' " ' Y.2
aber nicht nur von der Jugend, nein, auch ich alter Papa i
drehte mich in einem Waker mit der liebenswiirdigen
Frau vom Hause, eine Ehre, die ich mir durch mein ",
Polkaspielen verdient hatte. \ : ..-
Ueber einen Abend in der Kiinstlerkneipe (bei Schaff-
rath) schreibt Moscheles: „Er war dem greisen Rauch ge- '"■:
widmet, dem man ein Ehrendiplom iiberreichte und ein
donnerndes Lebehoch brachte. Er bewegte sich trotz .;;
seiner 71 Jahre mit "Wiirde, Anmuth und Liebenswiirdig- . ->
keit, und ich lernte nicht nur ihn, sondern alle Maler-
Beruhmtheiten bei schaumenden Bierkriigen und in einem .- ■■'
Nebel von Cigarrendampf kennen." . . . „Was die Aus- _■ :•
stellung betrifft, so uberlasse ich es den Zeitungen, daruber
zu berichten und erzahle nur von dem, was mich angeht
— den Clavieren. Die Commission ertheilte mir die Er-
laubnisSj sie vor Einlass des Publikums, also ohne Zu-
hcirer zu priifen. Doch wie friih ich auch ins Gebaude '">.'
komme, ich finde schon ihre „Vater" aus den verschiede-
nen Gauen Deutschlands versammelt. Streicher ist nur
Preisrichter , aber Seiffert , Remsch und Schweighoffer
aus Wien haben ausgestellt und unter diesen gebe icli dem
letzteren den Vorzug. Vortrefflich sind auch Hartel,
Bliithner und Irmler aus Leipzig, Schiedmayer aus Stutt- -\
gart , Ritmuller aus Gottingen, Klems aus Dusseldorf J ' :
(von Clara Schumann gezeichnet) und Andre's sogenanntes
Mozart-Clavier aus Frankfurt. Unter den Miinchenern ist ,
mir Bieber der liebste. Ich finde leicht die Eigenthiim-
lichkeiten dieser verschiedenen Instrumente heraus und ;
suche jedes durch meine Behandlung zur Geltung zu brin- ,.
gen. Sie kennen riiein altes Sprichwort: Ein guter Reiter
muss auf jedem Pferde gut sitzen konnen." ... . ~
Moscheles' haben sich spater mit den Familien Don-
niges und Bodenstedt in Egern am Tegernsee in nach- ~
barlicher Ansiedelung zusammengefunden. Die stets le- '.*
bendige Unterhaltung, die Vorlesungen des Dichters, das
Spiel des Musikers erhohen alle Naturgemisse. Die
Schrecknisse der Cholera, soeben iiber Miinchen herein-
gebrochen, erreichen dies schone Fleckchen Erde nicht.
Mosiheles' Lclien. if. > 17
■ — 25« —
„Nur schade", schreibt Moscheles, „dass die Berge die
iible Gewohnheit haben, zuweilen ihre Nebelkappen auf-
zusetzen und dabei uber ihre eigene Hasslichkeit zu wei-
nen. Es giebt dann Giisse, gegen die kein Regenschirm
hilft, Pfiitzen, die zu Untiefen werden, aber schnell, wie
das Sturzbad kommt, macht es auch wieder einer lachen-
den Sonne Platz und wird vergessen. Wir befahren den
See, erklimtnen die Berge, besuchen Sennhutten, essen
Kaiserschmarren, singen vierstimmig und lachen unisono.
Wiissten nur die Grillen, dass wir selbst musikalisch sind,
sie wiirden uns vielleicht weniger vorzirpen." . . . Ein
ander Mai heisst es: „Mierdel Jule und Liese, die dunkeln
Kopftiicher auf den blonden Kopfchen, die braunen
Fiisse rnalerisch unbekleidet, sind zugleich F.'s Modelle
und meine Lehrerinnen in der Natkmal-Lyrik. Ich habe
mir das hiibsche Lied: „z' Lauterbach han i mei Strump
verlor'n" u. A. aufgeschrieben , componire aber auch
Texte von Bodenstedt (einer derselben war das sehr beliebt
gewordene Friihlingslied: „Wenn der Eriihling auf die
Berge steigt")." . . .
Im September geht es uber den Kesselsberg und die
Seen stadtwarts zuriick in die Ebene , wo die Schiiler
harren. Wie gewohnlich finden sich fremde Kiinstler ein.
Moscheles schreibt: „Ich horte schon eine „Fontaine", die
nicht springt, ein „ Spinner lied", das nicht spinnt und eine
„Polka", die einen sentimentalen Namen tragt, die aber
weder sauselt noch tanzt, sondern bles sturmt. Die Be-
kannten nothigten uns auch an einem Pepita- Abend ins
Theater hinein; ich kann aber an diesen gierigen Augen,
diesen mehr herausfordernden als graziosen Bewegungen,
kein Gefallen iinden."
Nun haben wir auch die talentvollen Flotisten
Doppler gehort,- deren Leistungen mich beinahe rait der
Armuth ihres Instrumentes ausgesohnt haben Dietrich
spielte begeistert ein Heft Charakterstiicke von Kirchner,
fiir die er schwarmt. — Jaell entfaltete seine grosse Tech-
nik auf meinem Erard und schon te ihn dabei, was ich
ihm hoch anrechne. . . . Eilers hat im Concert gerechten
. .-*;' ■■ ' /: -:-: C - K '' ■■' ,^ v '- ■''"■;■". . '.■'" ~ V-.- : "-- .' ■'-":■'■ ^''-" ; '. T 'v V" ■-'■;'" r '' : ^.^ ; "'^H^
— 259 — ' :/ ' ; M
Beifall fiir seinen jugendlich frischen Bariton und seine ' "'f
gute Schule geerntet, machte mir auch viel Freude durch ..''■£
seine vortrefniche Auffassung meines Liedes „Freie Kunst" ' ;r
mit Uhland's schonem Text." ... '?H
„Rubinstein, den wir vor 14 Jahren als Wunder- .'■'■':?.
knaben in London horten, trat als Componist einer Sym- ' <;^
phonie auf, die er „Ocean" nennt. Die Klarheit des ersten ; . ;
5tiickes wirkte wohlthuend wie ein spiegelglattes Meer ^: :
auf mien; — dann aber kam das moderne Toben und . -?'■}
Brausen und wurde mir zum unverstandlichen , sturm- . r
bewegten Element, und meine Gedanken konnten in die- '■" ^
-sen gewagt harmonischen Untiefen nicht mehr Anker
werfen. Dennoch erkenne ich in ihm ein hervorragendes
•Compositions talent." ... - : '_
Spater, als Moscheles den jungen Kiinstler im Ge- ■"
wandhaus gehort hat, schreibt er: „In seinem Concert sind
wahre Schonheiten und poetischer Schwung, hier und da
freilich auch tobende Extravaganzen , seine kiirzeren
Stiicke haben meistens eine lobenswerth rationelle Form; . y-
an Kraft und Technik steht er Niemandem nacb , und ';
seine Ziige, sein kurzes aufstrebendes Haar erinnern an ' '*
Beethoven. Als Mensch ist er uns in seinem einfach auf-
richtigen Wesen sehr lieb und werth und stets gern ge- '..; '-j
sehen. Neulich traf er mit Arabella Goddard bei uns zu- .-'■;
sammen ; . auch diese hatte ich als Kind in Paris gehort
und ihr eine glanzende Zukunft prophezeiht; wer wird
mich "nicht kiinftig als Prophet gelten lassen? Sie be- • ;".'■'
herrscht die grossten Schwierigkeiten mit bewunderns-
werther Ruhe und Eleganz, und ihr Anschlag ist klar
und hell wie eine Glocke. Hier fand sie die gebuhrende
Anerkennung und wird uberall, auch dem strengsten Kunst-
richter, gefallen. . . . Uebrigens soil dies kein Brief, son-
dern nur einer der Griisse sein, die stets in der Schatz-
kammer meines Herzens fur Sie bereit liegen. . . . Mit
meiner Politik will ich Sie verschonen, sie verhalt sich zu
der Ihrigen , wie ein Stahlstich zu einem Oelgemalde.
Nur so viel: dass ich mit Oesterreichs Haltung zufrieden
bin und dass der Konig vonPreussen und ich mit gleichen
17* ■ '■ '
^; *i* •:- ■
£-7 .
266 —
Gefiihlen fur Deutschlands Einigung beseelt sind, Mochte
der Kaiser von Russland empfinden lernen, dass Bader in
der freien Miindung der Donau besser wirken, als Blut-
bader! Dies der Wunsch, den ich dem scheidenden Jahre
mit auf den Weg gebe!" . . .
1855.
Moscheles, der sich sonst gegen jeden Aberglauben
auflehnte, schreibt diesmal am Neujahrstage: „Ich lese-
nur von Schiffbriichen und Ueberschwemmungen, und als
in vergangener Nacht Regen und Sturmwind gegen die
Fenster peitschten, dachte ich, man konne dies Unwetter,
gerade in der Neujahrsnacht fur ein schlechtes Omen
halten. Mit dem Morgengrauen kamen aber bessere Ge-
danken und ich fuhlte, dass die Aufregung in mir selbst
lag , ich hoffe auch heute wie immer , dass uns nicht all-
zu schwere Priifungen bevorstehen; — auch dass der euro-
paische Friede nicht mit allzu viel Blut erkauft werden
muss!" — Wirklich ward das Jahr durch Krankheit und
Todesfalle ein . fur die Familie schmerzliches, aber Mo-
scheles zeigt es uns als Pfleger und Troster seines kran-
ken Sohnes. Er theilt dem Gefesselten alle Erlebnisse
der musikalischen und politischen Aussenwelt mit,, ganz
so, wie er sie spater in sein Tagebuch verzeichnet.
„ Rubinstein feierte Triumphe durch seine Virtuositat
und Composition; seine Sachen haben eine logische Form."
— „Hiller nennt sein Manuscript-Trio ,, Serenade"; es ist pi-
kant, fliessend und solid comporurt, das Scherzo abwech-
selnd in 3 / + und % Takt klingt naSv; gleich spielten Da-
vid und Griitzmacher es in vortrefflicher Auffassung mit
ihm. Frau Reclam sang seinen Psalm ausgezeichnet schon.
Seine Symphonie „Im Freien" ist das Werk eines gedie-
genen Musikers und voll guter Intentionen, wurde auch
gut aufgenommen, doch fehlte dem Publikum die eigent-
V ^s^w^'rW'*-'-^ v ,.- v . ' -ri vT;? ■?. ^.^w^m ^^gm^j^^m
201 —
liche Warme, und ich fiirchte, der Freund hat hier eine
Partei gegen sich. Seine Ouvertiire zur „Phadra" ist eine
tiichtige Arbeit, poetisch-pathetischenlnhaltes." — „Spohr's-
Symphqnie fur Doppel-Orchester, „Irdisches und Gottliches"
genannt, geht die verschiedenen Empfindungen eines Men-
schenalters in seinen Abstufuhgen durch. Der Gegenstand
ist eines Beethoven wurdig; unter Spohr's Handen ver-
drangt der kiinstliche Bau den freien Ausfluss der Gefiihle,
und die Musxk wird monoton." . . . „Mcrkwurdig war es
gestern im Gewandhaiis , dass sich nach der tobenden
Ouvertiire zum „Fliegenden Hollander" keine Hand regte,
sich nicht einmal ein Zischer horen liess. Es ist viel
Geist, aber versengender, in dem Stiick, und mir : ist eine
so massenhaft fortgefiihrte Instrumentation und eine solche
Anhaufung von verminderten Septimen und Dissonanzen
-aller Art betaubend und ungeniessbar. Hat doch Gluck
auch seine musikalischen Damonen und Mozart im Don
Juan seine Holle; aber Kopfweh bekommt man nicht da-
von. Dennoch spricht sich oft in der Presse die Meinung
aus: „So wie man Beethoven's letzte Sachen nicht gleich
verstanden, so werde auch die Erkenntnlss von Wagner
erst mit der Zeit reifen." . . . „Jede Auffuhrung von
Beethoven's Ouvertiire in C. Op. 115 ist mir besonders in-
ter essant, weil sie mich an die alte Wiener Zeit er inner t,
wo er sie mir im Manuscript zu einem meiner Concerte
Keh; diesroal ging sie ga'nz vortrefnich." . . . „Der Schlitt-
schuhtanz im „Propheten" wurde nicht applaudirt; viel-
leicht nicht klassisch genug fur Leipzig; in London und
Paris ist das anders; doch giebt es Sachen in der neuesten
Schule, die, obwohl nicht weniger trivial, doch Beifall
"finden."
Den Verwandten schreibt er: „Die KLrankheit steht
noch wie eine schwere Gewitterwolke iiber unserm Hause,
und wir sind oft in einer Stimmung, in der wir Alles
schwarz sehen. Dennoch dringen mitunter einige Sonnen-
blicke durch diese dustern Wolken, und wir haben das
Vertrauen auf die Vorsehung nie verloren. Ich theile
meine Zeit stets zwischen meinen Geschaften und dem
jS':i ; .i ;.
262 .
lieben Patienten und jetzt will ich mich sogar zu einer offent-
lichen Production heraufschrauben." Er spielt im Concert zum
■ Besten der Armen dasMozart'sche A-moll-Concert mit eigenen
Cadenzen und schreibt Tags darauf: „Ich danke Gott, dass die
Macht der Begeisterung die Uebelstande iiberwunden hat,,
die mein Gemiith beschwerten , so dass man mir nichts
anmerkte. Ich habe Alles gehabt, was man sich an Em-
pfang, Hervorruf und solchen Aeusserlichkeiten wiinschen
kann und beim Adagio sagte ich mir selbst: Ei, wie
reizend klingt das Stuck und wunderte mich gar nicht,
dass es den Leuten so ausnehmend gefiel; es ist mir auch
lieb, dass ich mir selbst beweisen konnte, wie ich meine
Kunst noch nicht an den Nagel gehangt; — doch reizt
mich die Oeffentlichkeit nicht mehr. Fur Mozart's Schon-
heiten werde ich hoffentlich bis an mein Lebensende die
Warme und Frische behalten, die ein Theil meines Selbst
ist." Einige Wochen spater spielt er fur eine verarmte
Familie. „Der Wohlthatigkeit die Ehre", sagt er. „Ich
wahlte Beethoven's Trio in D und horte dort .zum ersten
Mai Fraulein Tietjens mit ihrer prachtvollen Stimme."
Spater bewundert er die Leistungen der grosser! Kiinst-
lerin auf der Biihne, ist auch von Dawison's „Carlos" im
Clavigo gebiihrend entziickt. „So wahr, so naturgetreu,
man glaubt mit dem wirklichen Carlos zu verkehren."
Unter den Besuchen von Fremden ist Auerbach „mit sei-
r.ar angenehm anregenden Unterhaltung" ; „auch Hanslick
aus ~\Vien, der durch und durch gebildete Kritiker. Er
schenkte mir mehrere Stunden und ich musste ihm un-
endlich viel vorspielen. Ueber unsere Kunstgesprache
konnte ich mich nur freuen , da er meine Ansichten
nieistens theilt und ich sie nun in seiner gewandten Rede
mit einer Klarheit ausgedriickt fand, die mich ihre Trag-
weite besser verstehen Hess." . . . ,Ja, . heute kam ich
einmal verdriesslich vom Conservatorium nach Hause.
Ich habe unurawunden meine Ansicht iiber den Vortrag
von Schiiler-Compositionen geltend gemacht. Diese sollten
nur dann in den offentlichen Hauptpriifungen zu Gehor
kommen, wenn die Lehrer sie aufmerksam durchgegangen
— . 263 —
und angenommen haben, meinte ich, und nie sollte soldi'
unreifes Zeug aufgefiihrt werden, wie die Phantasie mit
dem Motto; „Ruhrung passt nur fur Frauen, der Mann
aber muss Feuer aus dem Geiste schlagen." Grosser Beet-
hoven! Du konntest Frauen riihren und Manner begeistern,
aber Deine Nachahmer sind'kranker im Gemiith als Dich
Deine Taubheit gemacht hatte! — Diese Phantasie in drei
Stucken — Es-moll, A-dur, Es-moll nebst noch 23 andern
Tonarten tobte und winselte, und was an Geist, Tiefe
oder Poesie darin auf blitzte, ging in der gedehnten Lange
und Monotonie, in der Formlosigkeit und dem Mangel an
Ebenmaass unter. Ich mochte den jungen Componisten
nicht dafiir verantwortlich machen; er hat Talent und
Einsicht genug, in einem Jahre etwas viel Besseres zu
liefem. Warum ihn nicht belehrend auf seine jet2igen
Fehler aufmerksam machen und ihn auf eine kiinftige
Auffiihrung vertrosten? Man darf nicht gleich seine Jugend-
arbeiten herausgeben, sie sind wie ungegohrener Wein,
schwer verdauhch. Erst mit der Zeit klart man sich ab
und versteht selbst, was man seinem Publikum verstand-
lich machen wo lite; dann soil man hervortreten und reden."
Eine Kur in Cannstatt ist das Ziel der Sommerreise.
Moscheles kann den musikalischen Verkehr mit den dor-
tigen Kiinstlern geniessen, die schone Umgebung durch-
wandern,
Nur componiren kann ich nicht", schreibt er,
und bewahre mir die von Dir ausgesuchten Gedichte fiir
bessere Zeiten, lege sie als Samenkorner in meinen Hirn-
kasten , damit sie kiinftig darin aufgehen." — Spater
schreibt er eine Phantasie iiber „Die Sehnsucht" von
Schiller und sagt daruber: „Es ist dies nicht eine kran-
kelnde Sehnsucht, sondern eine poetisch-philosophische,
und der Spieler muss im Vortrag wiedergeben, was ich
dem Dichter nachempfunden habe und eine Analogie
zwischen dem „Du musst glauben, Du musst wagen" und
meiner Musik herstellen."
Im Herbst nach Leipzig zuriickgekehrt, erfreut sich
Moscheles an einem neuen Concert von David fiir Viola,
' ■ — 264 —
das er selbst spielte; „es ist pikant und originell." . . . .
„ Wagner's Ouvertiire zum „Faust" stelle ich hoher als
seine anderen Werke. Alles Damonische darin ist gut
motivirt und bessere Regungen dureh klar-melodische Ge-
danken angedeutet. Fur meinen Geschmack ist aber hier
wie iiberall bei W. eine zu grosse Ueberladung an In-
strumental-Massen." . . . Ein Brief sagt: „Auf Wunsch
mehrerer Orchester-Mitglieder sollte im Pensionsfonds-
Concert ein posthumes Werk von Mendelssohn gegeben
werden; — die sogenannte „Reformations-Symphonie." —
Er selbst war mit dieser Composition unzufrieden und
wollte sie nicht herausgeben; sein Bruder, den wir wegen
der Auffiihrung befragten, iiberliess die Entscheidung
Rietz, David, Hauptmann und mir. Wir veranstalteten
eine Probe, in der wir trotz vieler Schonheiten, die das
Werk entha.lt, uns doch fur Nichtgeben entschlossen,
da das Ganze nicht auf der Hone von Mendelssohn's an-
dern Werken steht und wir furchteten, die RLritik mochte
das Andenken des Freundes verunglimpfen." . . .
Gut, wie die Absicht war, fiihrte sie doch zu einer'un-
angenehmen Zeitungs-Polemik, da man sich von England
aus bitter beklagte, dass dieses Werk dem Publikum vor-
enthalten bleibe; doch bedarf es hier nur fiiichtiger Be-
riihrung dieser vielbesprochenen Discussion.
1856.
Der 1. Januar brachte den Kapellmeister Rietz in
einiger Verlegenheit zu Moscheles. — David, sagte er,
sei verhindert im Beethoven'schen Triple-Concert, das er
mit ihm und Moscheles spielen sollte, mitzuwirken : wolle
Moscheles allein, als Heifer in der Noth eintreten? „Ich
spiele Ihnen statt des Triple-Concerts ein anderes von
Beethoven", sagte dieser, „wahlen Sie selbst, welches."
Die Wahl fiel auf das C-dur-Concert, das wenige Stunden
;■*#.'■'
' — 26 5 - '
spater probirt und datm Abends im Concert vorgetragen
ward (das Honorar iibermachte er seiner Zeit dem Pen-
- sionsfonds). — Mehr aber, als diese improvisirte Leistung
beschaftigte ihn der Wunsch, zu Mozart's Andenken mit-
zuwirken, und dieserr theilte er dem Directorium schon
ini December mit. Man harte namlich am 27. Januar im
Gewandhause eine Matinee zu Mozart's hundertjahrigem
Geburtstage veranstaltet, der Ertrag war zur Griindung eines
Mozart-Stipendiums fur einen talentvollen Schiiler oder
eine Schiilerin des Conservatoriums bestimmt. Da das
Programm durch seine historischen Daten interessant ist,
so fiihren wir es bier an.
Ein Prolog, von Herrn Behr gesprpchen, eroffnete
das Concert. Es folgten:
Ouvertiire zum Re pastore. 1775 als Festoper in Salzburg com-
Romanze und Duett aus derselben ponirt und zum ersten Mai aufgeiuhrt,
Oper. um den Besuch des Erzherzogs Maxi-
Concert fur Violine undBratsclie, com- milian beim Bischof Hierqnymus zu
ponirt im Jahrc 1778, gespielt von feiern.
den Hrn. DreyscliocU und David.
Ourertiire zu Idomeneo. Zum ersten Mai gegeben 29. Ja-
Scene und Ai'ie und Marsch aus der- nuar 1781 in Miinchen.
selbeu Oper.
Priestermarsch, Arie und Chore aus Zum ersten Mai aufgeiuhrt 30. Sep-
der Zauberflote. tember 1791 in Wien.
Ouvertiire zu Titus. Erste Auffiihrung in Prag 1 791,
Schlussscene, 3, Act Don Juan, Erste Auffiihrung in Prag 28. Oc-
tober 1787.
Symphonie C-dur mit der Schlussfuge, componirt im August 1788.
Moscheles konnte nicht dariiber hinwegkommen, dass
man bei dieser* Gelegenheit das Clavier als solches uber-
gangen und dass ihm personlich nicht gestattet war, seine
Pietat fur den Meister an den Tag zu legen. Verstimmt
durch diese „Zuriicksetzung", wie er sie wiederholt im
Tagebuch so wie in Briefen nannte, „schlug er den An-
trag des Directoriums, im Armen-Concert zu spielen, aus,
mit dem Bedeuten: „Er stehe in den Augen der Kunst-
welt vielleicht im Verdacht der Gleichgiiltigkeit gegen
den grossen Meister, und wolle im herannahenden Wohl-
— 266 —
thatigkeits-Concert nur unter der Zahl der Subscribenten
erscheinen, nicht aber sich dem Publikum als Solospieler
aufdrangen.' 1 Mozart ward, wie begreiflich, nocli in der
Kammermusik, im Theater und an andern Orten, aber
aucb in einer Soiree bei Moscheles gefeiert, wobei das
„Bandl-Terzett" den heitern Schluss bildete. — Litolff trat
im Gewandhaus auf. Wir kennen Moscheles' Meinung
iiber dessen Spiel und Compositionen , aber noch sagt er
iiber ihn: „Es ist sonderbar, dass er in einem ofFenen
Brief Liszt und seiner Kichtung huldigt, es doch aber
nicht Wort haben "will, dass er ihr angehort?" .Johan-
nes Brahms spielte Beethoven's G-dur-Concert sehr brav."
„An Frau Biirde-Ney bewunderten wir erst ihre machtige
Stimme in der grossen Arie aus Fidelio; dann iiberwogte
sie in einem Bravour-Walzer, der Strauss aus dem Ge-
sicht geschnitten ist, die starke Instrumentation, so dass
das Piccolo bei ihren hohen Tonen unterlag und ihr Sturm
von Trillem und Rouladen, die fff. des Orchesters be-
herrschte. Ich hatte diese grossen Mittel lieber in einer
grossen Composition verwendet gesehen; so aber trug der
Tanzrhythmus den Sieg iiber die Classicitat da von, die
doch eigentlich in den Gewandhausmauern eingewurzelt
sein soil." — „In Fraulein Bianchi haben, wir eine tiich-
tige Kiinstlerin gewonnen. Sie kann von Leonardo Leo
an bis zu einer italienischen Coloratur-Arie Alles singen
obne etwas zu verderben, singt auch Vieles ganz vortreff-
lich und ist dabei frei von aller Anmassung; ein stets
gem gesehener Gast in unserm Hause. Sie hat zu un-
serer Freude durch unsere Empfehlung .an den Gross-
herzog von Weimar wiederholte Einladungen an seinen
Hof und grosse Erfolge gehabt, und Joachim, dieser Gross-
herzog unter den Geigern empfangt sie eben so gern in
Hannover."
„Unsere Novitaten", erzahlt ein Brief, „waren: Tau-
bert's Symphonie in C-moll; erster Satz feurig, eigenthijm-
lich, hat gute Instrumental-Contraste; Scherzo recht pikant,
Andante etwas verbrauchte Sentimentalitat; letzter Satz
auch feurig mit interessanten contrapunktischen Combi-
— 267 —
nationen. Die Aufnahme war beifallig, nur eine Parte!
blieb lau."
„ Schindelmeisser's Ouvertiire „Mondnacht, auf dem
Wasser" gut gearbeitet." „von Sahr's Friihlings-Ouver-
tiire gut gedacht." „Singer's Variationen fur zwei Cla-
viere, der Gegensatz von trivial, dafur aber ultra-roman-
tisch." „Dazwischen horten wir die pathetisch-klassischen ~~^
Chore zum „Oedipus" und Schumann's vortrefflich gedie-
gene, von Leidenschaft uberstromende Ouvertiire zu „Man-
fred." - 1
„Ich studire jetzt wieder fleissig an einer meiner ener-
gischsten Compositionen, dem nun schon alten Concerto pa-
thetique, das einen eigenthumlichen Vortrag erheischt;
aber auch Bach'sche Fugen spiele ich viel, und — —
Litolffs viertes Concert, damit es doch Contraste gebe,
Es kommt auch viel lieber Besuch: der verehrte Freund
und Theoretiker Schnyder von Wartensee; — Auerbach,
der zwar, wie er sagt, nicht Musik heucheln will, den
Musiker aber dennoch zu dessen Freude aufsucht." Bel
den offentlichen Schtilerprufungen ist diesmal die Prinzessin
Amalie von Sachsen zugegen, die sich den "Winter uber
in Leipzig aufhalt. Professor Coccius hat ihr durch eine
gelungene Operation das Augenlicht wieder gegeben; nun
empfangt sie vor ihrer Abreise die Spitzen der Behorden
zum Diner, „wobei ihre Liebenswiirdigkeit gegen die
Gaste, ihr reges Interesse an der Kunst nicht genug geruhmt.
werden konnen." . . . „Wir haben einen grossen Verlust in
der literarischen Welt zu beklagen. Heinrich Heine ist in
Paris gestorben und auf dem Montmartre begraben!"
„Weniger fiihlbar, aber doch traurig, ist das Ende des
Amerikaners von Heringen; er erschoss sich in New- York
und auf seinem Tische fand man einige Zeilen, welche die
Schuld dieses Selbstmordes auf diejenigen walzen, die sich
weigerten, seine Erriudung anzuerkennen und zu ver'breiten.
Bekanntlich waren dies aber alle Musiker in aller Herren
Lander diesseits und jenseits des Oceans. Denn wer wollte
Herrn von Heringen zu'Liebe eine neue Notenschrift ein- '
fiihren und gleich damit anfangen alle Verlagsplatten zu
ram^^r^s-'irivi
- _ 2 68 ■ —
zerstoren, um sie auf die neue Art wieder stechen zu
lassen? Und doch wollte er mir dies Verfahren plausibel
machen ! Ein musikalisch Verirrter."
In eiiiem Brief Moscheles' heisst es: „Was geht nicht
Alles in derWelt vor! Halm und der Schulmeister Bacherl
streiten sich um den Fechter von Ravenna; Lutze und
Bock treten als Fechter in der Medicin gegen einander
auf, die Azteken mit ihren Vogelgesichtern werden he-
stritten ; ' man sagt, sie seicn nur verkappte Cretins, keinc
unbekannte Menschenrace, und auch in der musikalischen
Welt cursirt eine Anekdote — ob wahr oder unwahr
weiss ich nicht — , die etwas unharmonisch klingt. Liszt,
heisst es, Hess neulich zu Ehren von Litolff und Berlioz
Tannhauser ansetzen und lud auch Beide zur Probe ein.
Dort langweilten sie sich und zogen die Gemuthlichkeit
einer Flasche Wein im „Erbprinzen" vor. Als Liszt sie
dabei antraf, gab es derbe Worte hiniiber und heriiber,
und endlich behauptete dieser: „Ihr Beiden zusammen
genommen, macht noch nicht einen "Wagner!" Moge
Gott mir verzeihen, wenn ich Euch da etwas Unwahres
erzahlt habe! Meine harmonischeNeuigkeit nach all'diesen
Dissonanzen ist die Erscheinung von Julius Stockhausen.
Wenn ich sage, man merkt seinem Gesang deutlich an,
dass er der Sohn seiner Mutter ist, so mache ich ihm ein
grosses Compliment, und das verdient er. Seine Aus-
sprache und Stimmbildung sind tadellos und er erwarmte
unser wenig demonstratives Publikum bis zum enthusiasti-
schen Applaus und Hervorruf, uns entziickte er ganz
besonders an einem Abend bei uns, wo er und Frau Frege
nicht miide wurden, einander Mendelssohn'sche Lieder zu
gegenseitiger Bewunderung vorzusingen."
Ein kurzer Aufenthalt der Familie Moscheles in
Heidelberg bringt unter vielseitigen Genussen auch ein
freundliches Wiedersehen mit der dort angesiedelten Fa-
milie Bunsen, mit dem Freunde Neukomm, endlich mit
Joachim, dem Moscheles oft und stets gern musikalisch
begegnet.
Von Heidelberg geht es wie im vorigen Jahre nach
— 2bq — ■ ■ "H
Cannstatt, aber statt des kranken Sohnes hat sich eihe .-':,j.j
verheirathete Tochter der Familie zugesellt, „so kon- >;•'
nen wir die griinumrankte Veranda und den Rosenflor ..y-
des malerischen Schweizerhauses doppelt geniessen." Die ■'
Eisenbahn bringt auch viel Besuch aus Stuttgart; ' es wird ;
mit und ohne Caffee im Salon, zuweilen auch in <ler Kirche - ' .
musicirt; Lindpaintner, Dr. Faisst, Lebert, Speidel und ' ^;.
Hacklander unter den Gasten. Aber auch Kreisleriana '^v
werden erduldet. .;
Im Stuttgarter Theater findet eine Fest-Vorstellung ■ 3:
fiir einen' hohen Gast, den Konig von Preussen statt- J
„Kiicken dirigirte Adam's abgedroschene Oper „Giralda", .;:
Fraulein Geishard , Schutky , Sontheim , sonst tiichtige ._■'
Sanger, gefielen' sich leider im Tremuliren." Auch im r v-
Cannstatter Theater ist eine Fest-Vorstellung. Lind-
paintner dirigirte Monsigny's Oper „Der Deserteur", 1776 "..■:;
componirt. „B e i der Vorstellung des „Nordstern" fand ich ' -■
die russischen National - Melodien geschickt iibertragen . ^
und Riehl hat Recht, wenn er sagt, dass Meyerbeer es • ;^
unter alien anderen Componisten am besten versteht, von - %"
vermehrten Blechinstrumenten Gebrauch zu machen. Wir 7
horten auch eine recht befriedigende Auffiihrung des
,,Messias" mit Neukomm, der uns hier besucht; die Orgel . .- 1
unter den kunstlerischen Handen des Dr. Faisst." Neu- ■•:
komm componirte damals die 30 geistlichen Lieder aus ;.i<
Bunsen's Gesang- und Gebetbuch. — Moscheles componirt : ;
fiir die Clavierschule von Lebert und Stark seine grosse _ f--'- :
Terzen-Etiide in Es-dur, schreibt auch manche Lieder. Im ... V;
September kehrt die Familie in ihre Heimath zuriick. ■ ; '■;
Ein musikalischer Herbst in Leipzig ist in keiner - ^
Weise mit dem Herzschlag einer Londoner Saison und --■
.--einen fieberhaften Wallungen zu vergleichen. Er ist,
was die Orchesterwerke betriflt, ein gesund normaler Puis, \.
dessen Aufregung zwar bis zur Begeisterung steigen, aber
nie dariiber hinausschweifen darf. Solche Musiker, welche ;
das Gewandhaus mit seiner Vergangenheit und Gegen-
wart zopng nennen und ihm eine vielversprechende Zu-
kunft eroffnen mochten, bewerben sich um eine Auffiihrung
i x';.:n
"'.■"?.: '■:'
— 270 —
Ihrer neuen Werke oder urn ein Auftreten zu Instrumen-
tal- Vortragen im neuen Styl; so finden die Klassiker ihre
Contraste, das Publikum eine nie fehlende Abwechslung,
die sich mit iiber das Moscheles'sche Haus ergiesst. Dort-
hin kommen die auf Engagement Harrenden, die nicht
Zugelassenen, die kalt Aufgenommenen, die mit Lob Ge-
kronten. Junge Talente, wie die Geschwister Ratschek,
dann wieder der erprobte Rubinstein, der Concertmeister
Singer, Taglichsbeck aus Hechingen, Cusins aus London,
Schiller aus Petersburg, Wii liner aus Miinchen, Abert aus
Stuttgart, Reichardt aus Altenburg, das Ehepaar Nissen-
Saloman, endlich neue Schiller aus alien Theilen von
Deutschland, England und Amerika — sie Alle und nock
viele Andere linden wir in diesem Winter als Besuchende,
Musikmachende und Horende im Mosclieles'schen Hause.
Moscheles beschaftigt sich viel „mit den beiden Ban-
den der posthumen Canons von August Klengel, die
reich an Gediegenheit und Gelehrsamkeit sind." Er spielt
im Pauliner-Concert, „weil sie so brave Sanger sind und
Langer ein . guter Freund"; er besucht ein Concert der
Schiller zu Ehren Schumann's und ergeht sich viel mit
David in alten und neuen Compositionen. Nach einer
Auffuhrung des Riedel'schen Vereins sagt das Tagebuch:
„In dem Stabat mater von Palestrina (16. Jahrhundert) ist
folgende harmonische Fortschreitung charakteristisch :
fc
531^
--M=m
p=
3^E
So wie im altdeutschen Choral von Steurlein
16. Jahrhundert) diese:
{auch
te
;=fefc3=l
:.*:■<*■:
2-Jt
Moscheles schreibt die „humoristischen Variationen",
die, wie das Tagebuch berichtet, in einer durchwachten
Nacht entstehen. „Unwohl und schlaflos, wie ich war,
half mir die geistige Beschaftigung iiber den unerquick-
lichen Korperzustand hinweg."
1857.
Das Concertdkectorium hatte durch eine ' Preis-Erho-
hu'ng der Gewandhaussitze viel Unzufriedenheit unter den
Abonnenten und eine Polemik in der Tagespresse hervor-
gerufen; doch legte sich der Sturm, sobald die Concerte
begannen, und der Saal fullte sich wie zuvor. Auch die
Kiinstler kamen wie in fruheren Jahren herzugereist,
Ernst Pauer einer der ersten unter ihnen. „Eine bedeu-
tende Erscheinung", sagt Moscheles. „Er tragt den leichten
Anschlag in den Fingern und die Gemiithlichkeit auf der
Stirne. Uns ist er sehr sympathisch. sein achtundvierzig-
stiindiger Aufenthalt gar zu kurz, doch kann ein in
London wohlbestallter Kiinstler nicht mehr Zeit auf die
Ehre des Auftretens im Gewandhause verwenden. Er ent-
faltete in Beethoven's Concert in G seine ganze Techriik,
und es war mir besonders interessant zu sehen, dass Pauer
wie ich selbst, im Besitz der Beethoven'schen Skizzen zu
den Cadenzen dieses Concerts ist. Haslinger, der sie nie
herausgeben wollte, lieh sie mir, und wie ich nun sehe,
auch Pauer — zur Abschrift. Ich fand sie nicht auf der
Hohe des grossartigen Concerts und benutzte sie daher
nicht; Pauer spielte die eine, ohne besondern Effect damit zu
roachen, derm Niemand fragte, von wem sie sei. Sie hat
auch nicht den Beethoven-Schwung." — Spater schreibt
Moscheles: „Wir stehen jetzt am Schlusse der vormarz-
lichen — besser gesagt der vor-osterlichen Musik und
wie viel Schones haben wir gehort und genossen! Den
Prometheus von Beethoven, der freilich an seine friiheste
Zeit erinnert, in dem aber der edle Geist des Tonmeisters
^fF^^^milX-'-^ ;;..-" .%,^ M^iG'ff-^i
r
— 272 —
schon hindurchweht ; — eine posthume Ouvertiire zu
Hermann und Dorothea von Schumann, die einen sehr
poetischen Hauch hat; — Otto und Sabbath, zwei ausge-
zeichnete Sanger, frei von Affectation, mit schonen
Stimmen; — die Greiger Laub, Bazzini, Lauterbach, die
Dam en Mandl, Dolby, Kriiger, Krall und viele Andere.
Ja, und bei einer 9. oder C-moll Symphonie, dem Alexan-
derfest, dem Lobgesang, der Walpurgisnacht, der Coriolan-
und andren Ouvertiiren, die wir in diesem Winter horten,
ist die Kunst heiter; — wenn schon und heiter hier als
gleichbgdeutend gelten darf; — aber ernst ist das Leben,
schwerfallig und ermiidend die Kunst in manchen offent-
lichen und Privatleistungen, in denen sich Eitelkeit und
Effecthascherei breit machen, — argerlich w_ar mir die
Musik bei einer Auffiihrung von Hiller's Symphonie: „Es
muss doch endlich Friihling werden"; denn angenommen,
das Publicum verstand sie nicht, liebte sie nicht, so musste es
doch dem Namen und den Verdiensten des Componisten die
schuldige Achtung zollen. Ich fmde viele grossartige Intentio-
nen und tiichtige musikalische Verkettungen darin, wenn ich
mir auch mitunter mehr Klarheit wiinschte. Aergerlich ist mir
auch die Musik als „Zeichen der Zeit", wenn so ein Zug-
vogel aus der neuen Clavierschule bei mir in's Nest geht,
gern selbst an der Futterkrippe meines Erard pickt, von
mir aber keine Nahrung verlangt. Der Erard muss dabei
manchmal eine Saite springen lassen, da er nicht wie ein
Mensch aus der Haut springen kann. Mich macht es
hinterher lachen, dass mich die jetzige Kilnstlergilde fur
todt halt, denn ich zehre noch theils von meinem eigenen
Blute, theils nahre ich meine Kraft an dem alten Bach,
dessen Toccaten und Fugen ich jetzt mit erneuter Passion
spiele. Aber auch die Partituren von Liszt's Werken habe
ich mir geholt, die Preludes und Mazeppa kommen hier
nachstens zur Auffiihrung, da muss ich sie vorher griind-
lich durchstudiren."
Moscheles muss seine nun beendeten „ humor istischen
Variationen" in der Kammermusik spielen, die ein Kri-
tiker einen musikalischen Scherz, eine Parodie auf die Be-
■V: '■';•-"-'"')■*■■'
— 273 — . . -
strebungen der Neuzeit nennt. „Und doch wollte ich",
sagt Moscheles, „nur zeigen, dass auch ich neu und
barock sein kann, wenn mir daran gelegen ist. Vorzugs-
weise halte ich mich an die alte Schule und habe sie in
diesen Tagen bei einer Auffiihrung des Beethovenschen
Septetts in unserm Hause sehr genossen; ebenso, als ich
mit David und Griitzmacher das Triple-Concert des Mei-
sters im Gewandhaus spielte. Dazu konnen sie mich
„iiberwundenen Standpunkt" noch gebrauchen."
Hier tritt uns eine Notiz entgegen, die das Mitleid
mit den geistig Verarmten wohlthuend beleuchtet.. . . .„Beide
(es sind diesmal Literaten) haben mich mit ihren Narr-
heiten mehr gefoltert als das Publikum, denn dies soil
nur horen, ich aber den eingebildeten Thoren zu grosserer
Geltung verhelfen. Das kann ich nicht, denn das hiesse
mich selbst zum Thoren stempeln. Aber bedauern muss
ich Beide; ein langes muhe voiles Leben liegt hinter ihnen
und erreicht haben sie nur den Ruf, lacherlich zu sein.
Trotzdem kann ich sie nicht mit auslachen. - — Aber da
hiitte ich ausMer Haut fahren mogen,' als A. Dreyschock sein
neues Concert und eine Musterkarte neuer Salonstiicke
zum Besten gab. Solche dilettantische Arbeiten sind die
richtige Illustration einer zopfigen Vergangenheit. — Und
was mache ich mit so einer neuen Erfindung, wie sie mir
ein Herr Delia Casa zur Beurtheilung aus Paris schickt?
Ich kann mich mit seineni Art de d^chiffrer und seiner
Molltonleiter nicht einverstanden erklaren."
Die Herren Gloggl und Sohn in Wien bitten, Mo-
scheles moge das Richteramt bei ihren Preisaufgaben mit
iibernehmen; — die schwedische Akademie der Musik
ertheilt ihm ein Ehrendiplom; E. Hallberger in .Stuttgart
beauftragt ihn, eine neue Auflage der Classiker fiir sein
Haus zu machen; so wirkt er unermudlich fort. Liszt's
Erscheinung in Leipzig als Dirigent eigener Orchester-
werke unterbricht diese Thatigkeit, denn Moscheles macht
Alles mit, Proben wie Auffiihrungen. Ein Brief von ihm
sagt: „Die Weimaraner haben mit den Leipzigern eine
Schlacht geschlagen; es gab keine Todte dabei, nur
Mosclieles' Leben. n. 18 '
einige Verwundete. Liszt soil vor dem Concert gesagt
haben: „Sie werden mir wohl eine Niederlage bereiten",
aber sie thaten es nicht. Er dirigirte seine Preludes,
die manche grossartige Effecte, aber nicht genug Klarheit
: , haben (Frau Pohl an der Harfe}. Seine tobende
'. Mazeppa-Musik und sein Pianoforte-Concert, von Bulow mit
ausserster Pertigkeit gespielt, Alles wurde anstandig
wenn auch ohne Enthusiasmus begriisst, und mir ist es
lieb, dass die Trager dieser Richtung, zu der ich zwar
nicht gehore, nach der Erstiirmung der heiligen Gewand-
haushallen, mit klingendem Spiel 1 abziehen- durften, wobei
ihre drei Floten, extra Posaunen und tiirkische Musik
wohl einen erhohten Effect hervorbrachten.
Behr gab zu seinem Benefiz den Tannhauser unter
Liszts Direction und der Mitwirkung der Weimar'schen
Sanger. Man wollte meine Meinung iiber diese Oper und
die ganze Liszt- Woche wissen und ich gestand, dass ich
diese Richtung nicht durchaus billige, obgleich ich
■-■' - Gutes darin finde, und da, wo ich es finde, gem aner-
kenne. Mochten nur die Neuerer nicht uber Beethoven
hinausstreben, Haydn und Mozart aber, die bis jetzt als
unsere Grundpfeiler galten, umstossen wollen. Wir kleinen
Lichter sollen natiirlich unter diesem Schutt begraben
werden, und ich fur meinen Theil mache mir eine Ehre
daraus. Wer weiss auch, ob wir nicht dermaleinst aus-
gegraben werden wie Herculanum und Pompeii?"
„Ein unerwarteter Besuch von Stephen Heller hat
uns wahrhaft erfreut", schreibt die Frau, „gehort er doch
zu unsern Lieblingen, mit und ohne Musik; er ist in's
Pariser Leben verliebt und doch gemiithlich wie ein
Deutscher. Wir hatten ihm -zu Ehren einen durchaus
musikahschen Tag. Friih spielten Ferdinand David
und Gefahrten bei Hartel Quartett und das wunder-
voll. Dann kam der Hebe Gast zu uns und Abends ge-
sellte sich die Bliithe der Leipziger Dilettantenwelt dazu ;
die Musiker waren, wie Moscheles sagt, sammtlich vom
Teufel zu seinem Robert in's Theater geholt; die beiden
Pianisten aber und die hauslichen Sangerinnen verschafften
- : " . — 275 — . ■ ,-- .■-'"'_. . '"-::M
Tins einen sehr genussreichen Abend. Lustig waren wir " ■'"$
auch und schade nur, dass Heller uns schon morgen wieder '^)
verlasst. Solche gliickliche Stunden miissen Einem aber ■■'■"•$
fur andere, weniger erquickliche entschadigen, wie z. B. , .. ,1.|
fur eine Steeple chase, wie die folgende : Zwei Schiilerinnen -.-g
sind bestellt, um Moscheles vorzuspielen, aber kaum ange- "■ ]■%
kommen, so erscheint eine fremde blaubebrillte Dame mit ]' : i
einem Bruder Jimgling; sie sind weit hergereist, weil er -'IW?
Lectionen von Moscheles wiinscht; dieser wie immer .'■'$,
abwehrend gegen Privatschiiler, rath ihm lieber in's Con- •'-.jj
servatorium einzutreten, findet aber nicht gleich Anklang. : ^
Dazwischen kommt der Musikdirector R. aus Gottingen, ■ ^
der Ueberbringer des Doctor-Diploms an Hauptmann, der ' vt :
bei dieser Gelegenheit dies und jenes und Alles von Mo- , .^y
scheles horen mochte. Doch was ist alles das gegen die . ■ ■ >
zwei Leoparden — sagen wir L6wen — die jetzt das ",\
doppeltgeoffnete Thor ausspeit? Es ist der i3Jahrige ;^
'Arthur Napoleon mit -seinem Vater. Der Junge sieht be- "s
triibend schwachlich aus, hat aber herkulische Finger. '^l
An Haaren ist er ein Liszt, an Korperbewegung • und >;>;
Pedalgebrauch ein Vertreter der modernen Pianistenwelt, , ■'j
Alle Bewohner beider Etagen, besonders die Kinder, .;;■?
wurden zusammen gerufen, um die staunenswerthen . ; r ;|
Leistungen dieses jugendlichen Napoleon des Clavierspiels , ,; \*
7.M. horen. Zum Beschluss kam Frl. Bianchi, die stets -'■$,
AVillkommene!" . . . Das Pauliner-Concert, „der Rose PU- "~I '^
gerfahrt" in der Euterpe , die Auffiihrungen bei Frau "^
Frege, sind noch Glieder in der musikalischen Kette, die ( i? ;^
Moscheles' Leben einschliesst ; ein Theaterabend, an dem .. .'■ 'ij?
die Hebriden-Ouvertiire, das Finale der Loreley von Frl, /.:$i
C. Mayer, und zum Beschluss die „bezahmte Wider- ''4
spanstige" von Frau Wohlstadt gegeben, wird recht musi- ;^
kalisch-poetisch genannt; — die Vorlesungen des Professor %
Mobius iiber Gellert, Klopstock und Lessing rufen die •'■;
Bemerkung hervor: „dass Poesie auch Musik ist und dass , .-,
die Logik oder Philosophie, die ihr zu Grunde liegt, der '"#
strengen Basis einer wohldurchdachten Tonschopfung -".;.,
gleicht." : '^
Als die Frau den Sohn, der in Antwerpen studirt,
auf kurzeTage besucht, schreibt Moscheles ihir: .'. . „Und
nun will ich Dir beschreiben , wie ein Philosoph lebt,
dessen bessere Halfte belgische Luft athmet. Er hort die
Euryanthe, geht zu David und triift dort eine alte Wie-
nerin, die alle Seichtheit in der Kunst vertheidigen will:
„Warum immer die Klassiker? "Warum das ewig pedan-
tische Wesen ?" David erklart, erhitzt sich endlich, icb
bin meist still, wie Du mich kennst, als aber die
Schwatzerin beim Weggehen iiber die Mode der kleinen
Damenhiite heriallt, platze ich heraus: Also mit der
Mode in der Kunst sind Sie nachsichtiger, als mit so einer
Lappalie, der Mode eines Huts?" ....
Die Urcgegend von Hamburg ist das Ziel der dies-
jahrigen Sonmerreise. Dort spielt er viel auf einem
Streicher und schreibt bei seiner Riickkehr nach Leipzig:
„Meinen Erard hatte ich kiissen mogen; er trat mir so
freundlich entgegen, als wollte er sagen: Sieh, ich bin
nicht verstimmt ob Deiner Intimitat mit dem neuen
Freunde, dem Hamburger Streicher . . ."
Ein Brief an die Tochter nach ihrer Heimkehr in
den Orient lautet: „Ein schoner Friihlingstag, eine Sym-
phonic von Beethoven oder ein Chor von Handel hatte
. mir keinen grosseren Genuss gewahren konnen als die
Kunde Eurer gliicklichen Ankunft. Euer Brief enthalt
Beziigliches auf verschiedene Kunstwerke, als „Meeres-
slille und gliicklicheFahrt" — „Kindermarchen" — „Dich-
' tung und Wahrheit" — sogar Hoffmann mit seinem
Meister F . . . lebt darin fort; und was mich betiifFt, so
wird Gegenstand meiner kiinftigen Traume sein: les
adieux, l'absence et le retour (von einem gewissen
Beethoven)."
Gestern spielte Louis Brassin im Gewandhaus mein
G-moll Concert mit so viel Rundung des Anschlags und
Warme der Auffassung, dass ihm grosser Beifall zu Theil
ward, obwohl die iihergrosse Technik im letzten Satz mit
einem uberschnellen Tempo davonlief. Concertmeister
Miiller aus Braunschweig und Director Stern aus Berlin,
. — 277 — ■ : ■■-.■" - '- .. : -;>
■ ■ - ■ >■ ;..;■':■
<die zugegen waren, ertheilten ihm auch das Biifgerrecht _ [ ;f
in der Kunstwelt Konnte ich nur * * meine Abso- , : | l
lution fur seine Compositionsversuche ertheilen! Er wird :;^
zwslt mit alien Notenfressern urn die Wette uberall Gliick : M
maclien, wo solche Kost beliebt ist; doch thut mir's leid ,^
urn den jungen Menschen, denn er hatte besseres leisten . '■(■';
konnen!" „Und," fiigt der Sohn hinzu, „ware dieser Brief %■
die Strickleiter, auf der Du zu uns hersteigen konntest, -,V
Du sahest Vater am Clavier und hortest, wie er bei jeder - ■''■■'-
nicht ganz orthodoxen Stelle stehen bleibt, und den - . vj,
schuldigen Akkord moglichst lange im Fegefeuer seiner •{;
Unzufriedenheit verharren lasst, bis endlich die Auil'osung :■}'*;
kommt und auch er in den Chor der Seligen mit ein- ' : . ":;
stirnmen darf. Du kennst solche Zustande." • 't,
„Was sich doch Alles bei uns zutragt", schreibt Mo- '. -i
scheles- „Sogar ein gewisser L. will mit seiner „Scho- ."■■■;%
pfung der Welt" und seinem „jiingsten Gericht" ins Ge- -;.
wandhaus eindringen, kann aber naturlich nicht, da das ~j ."
Format der Werke grosser ist als deren Gedanken. Nun . .":
giebt es aber eine lustige Scene, denn L. hat einige Stadt- . i-
musiker, die er Orchester nennt, zusammengetrommelt >'
und fuchtelt mit dem baton, als wollte er ihnen die Knute ■ %
geben, anstatt sie friedlich zu dirigiren. Alls zwei Minuten ':.■;*
muss er anhalten, weil sie auseinander sind, die anwesen- '/.
den Schuler lachen; der russische Consul und ich hatten . ■'
es, glaub' ich, auch gerne gethan, aber die Seele klap- • . -■■'/-
perte uns im Leibe. Die sogenannte Auffuhrung (ohne . ./■;!,
Sanger) 'findet namlich im grossen Saal der Centralhalle ' -^
statt, der wahrend der Musik von zwei Frauen mit Wasch- ■ .' !.\
fassern gereinigt wird. Ich hielt nicht lange aus, war aber. ■:;
mit dem Narren noch nicht fertig. Ich sollte nichts Gerin- _ : ';: r
geres, als seine Compositionsn in der Conservatoriums- ' ' V
Bibliothek niederlegen, ihm als Austausch ein Ehrendiplom . S-
verschaffen und sein eingerahmtes Portrait in unserm , '.
Classensaal aufhangen. Da ich das Alles nicht konnte,'
so hat u er seinen Unwillen eingepackt und ist nach Dresden ,[
gereist." , ;.
Der nachste Brief sagt: „Wenn Ihr Euch erinnert*
']'';"-■ . — 278 —
:V : - was ich Euch zuletzt schrieb, so kan'n ich heute nur
; sagen: Du ridicule au sublime! "Wir habeh wieder das-
Goldschmidt'sche Ehepaar genossen. Er spielte Beethoven's
. Concert mit eigner Cadenz, genossen. Etiiden und Gigue von
Bach. Sie sang ausser der Ereischiitz-Arie und Liedern
noch Chopin'sche Mazurken von ihm begleitet und machte
drei bis vier Mai hintereinander folgende electrisirende
Cadenz:
Auch im 10. Gewandhaus-Concert trat sie auf und
sang wie immer. Ich mochte ncch. viel dariiber schrei-
ben, aber ein junger, mir empfohlener Pianist erwartet
mich nebenan am Claviej: mit Octaven-Avalanchen ; dabei
kann ich keinen Gedanken fassen als den, dass er gute
Chance hat, in die Leibgarde der Clavierstiirmer aufge-
nommen zu werden,"
Zum Jahresschluss schreibt er: „M6chte das arte-
krankelnde Jahr mit seiner Handelskrisis, seiner Pulver-
Explosion in Mainz und seinem Erdbeben in Neapel und
Sicilien alle seine Krebsschaden zu Grabe tragen! Ich
theile die Betriibniss, die Sorgen der vielen an diesen
Schickungen Betheiligten, doch erhalte ich meinen Sinn
an der Kunst, an den Meisterwerken der Vergangenheit
und Gegenwart, so wie an dem eignen mir zuertheilten
Wirken aufrecht und wiinsche, dass das neue Jahr der
Menschheit neue Vernunft, Moral und I.iebe bringe.
Amen."
^.-■'.■■-■: ■'; ■;■'■ v v -; '-' -V ■"'■' ' :■■''.■■■'--'.■■ -^.- ■■=».;■ ;=■- ■■^■■■■^ , : V.v;^
— 279 — - ■■/■■if
1858.
„Das Jahr fangt miteiner mir werthen Gabe an", sagt :
das Tagebuch. „Hartels schickten mir einen feinen Stahl- ^
stich — Mozart in seiner Jugend, nach einem in Italien ' ? :
. befindlichen Bilde; gleich babe ich ihn meinem Album ; "
neben der Autograph-Cadenz des grossen Mannes einver- _~-
leibt, undmeineFreudedaranistaufrichtig.DasGewandhaus " 7 :-
begann se,inen Concert-Cyclus mit grossem Ernst; der -.J.
erste Theil lauter geistlicbe Musik, der zweite Mozart's ;;'
C-dur Symphonie vortrefnich gegeben und doch — meinem
Gefiihl nach — die Tempi des ersten und letzten Satzes
zu schnell. Ob ich alter geworden bin und mein Blut :
trager circulirt? Ob die Andern einer neuen, Alles auf
die Spitze treibenden Richtung folgen? — Ich weiss es ■;<
nicht — es ist eine Gefiihlssache."
Um nur der Novitaten dieses Winters zu erwahnen,
nennen wir Herrn von Bronsart, einen Schiller Liszt's, der ,r
Moscheles' Concerto pathetique „sehr brav spielt" —
spater lasst er ein eigenes Trio, „eine tiichtige Composi-
tion mit pikantem Scherzo horen, und in seiner Fruhlings- ■".'
phantasie fehlt es nicht an guten Effecten! .... „Vin- . ■■■
"cenzo Colosanti mit einem Solo auf der Ophicleide war '.
eine Neuigkeit", schreibt die Frau; „aber was fiir eine!
Der Ungliickliche brachte die schwierigsten Varia- . i
tionen heraus, bis er dunkelroth im Gesicht war, und L ;
was that das Publicum? — es lachte. Das mag dem ^
heissbliitigen Italiener zu viel gewesen sein, denn mein %
guter Mann, der zwischen den Akten hinunterging, fand r
ihn wiithend, und musste all' seine italienische Redekunst ;,;
aufbieten, um ihn zu beruhigen. Mich erinnerte er an eine
vor Jahren in London gesehene Pantomime, auf der der
Liebhaber seiner sproden Schonen eine Serenade auf der
Ophicleide brachte und durch die Anwendung dieser
musikalischen Harlekinade viel Gliick machte."
. Unter den Geigern war der vortreffliche Damrosch
r,r~-
— 280 —
neu; utiter den Ouverturen die „zur Sophonisbe von
Reinecke; in der Kammermusik spiel te Reinecke ein
eigenes Trio und Variationen iiber ein Thema =von Bach
in etwas strengem Styl und sehr gelungen. Ueberhaupt
ist er ein tiichtiger Kunstler und ELner, mit dem ich gern
Musik mache. Der Fond ist solide und er kann noch
Grosses leisten." Das dreimalige Erscheinen der Frau
Viardot in Leipzig in diesem Jahr im Gewandhaus, dann
spater auf der Biihne, war epochemachend, denn so
hatte man Glucks Arie aus dem Orpheus, die Graun'sche
Coloratur in der Arie aus „Britannicus" noch nicht gehort;
dazu nach der Classicitat noch etwas Rossini, selbst begleitete
spanische Lieder und die Zugabe einet Chopin'schen Ma-
zurka, Alles in hochster Vollkommenheit. Das begeisterte
die Horer und ein wohlgefalliges sonst seltenes Lacheln
spielte um den Mund des Directors; das Orchester driickte
der Gefeierten seine Anerkennung in einem Tusche aus,
wahrend sie selbst nicht aufhoren konnte das Publicum,
von dessen Kalte sie gehort hatte, fur seine Freundlich-
keit zu loben und oft auszurufen: „Oh thon bon petit
Leipsic !"
Von einer Sangerin, die nach diesen Leistungen „di
tanti palpiti" im Gewandhaus horen Hess, schreibt Mo-
scheles: „Die Ungluckliche! sie konnte nicht gefallen, und
dazu palpitirte sie unrein, so dass der Horer selbst das-
tremolo bekam." Von einer Kammermusik heisst es:
„Das hiesige Quartettspiel ist von David auf die hochste
Hohe gebracht, Schubert's Quartett in A-moll eine fLiessende,
hochst anmuthige Composition, Mendelssohn's Quintett in
B-dur Viel schwungvoller als seine andern Werke der-
selben Gattung, Beethovens Op. 132 durch seine Langen
im Adagio und seine Mystik ein Irrlicht fiir die Zukunfts-
musiker. Mochten sie sich lieber seine grosse Klarheit in
so vielen andern seiner Compositionen zum Vorbild
nehmen!"
„Reinthalers ,Jephtha" hat melodische und harmo-
nische Reize; eine Novitat, die jeder Musiker mit Freude
bewillkommnen muss. Hiller kam zur Auffiihrung heriiber."
\^if--*'L^r<-,. V 1 -;;-' rev--;?-.. , -,-> . r,H.,^ .? ' ■-'*? " i-^- "ij*» ■■ ' L V' ^iirg'frtyrty&jl
— 281 ' —
„Ein junger Componist, Max Bruch, zeigte mir eine Menge'
von ihm geschriebener Studien. Seine Lieder sind fein
gefiihlt und aus seinem Capriccio in Fis-moll und seinen
Cantaten „Rinaldo" und ,Jubilate" mochte ich ihm eine
schone Zukunft prophezeien, denn es ist viel Frische und
Tiichtigkeit in seinen Sachen." „Heute habe ich mir von
Herrn Arnim Friih seine neue Erfindung des Semeio-
melodium zeigen lassen. Ein Lehr-Instrument , das die
Tonverhaltnisse nicht nUr horbar, sondefn auch sichtbar
niacht. Ich gab ihm ' empfehlende Zeugnisse!"
Ein Brief Moscheles' sagt : „Behr gab den Joseph von
Mehul, eine meiner Lieblingsopern zu seinem Benefiz, und
der Tenorist Rebling, friiherer Schuler des Conser-
vatoriums trat darin zum ersten Mai auf. Seine Stimme
ist klar und kraftig, wenn auch noch unpolirt; gewiss
wird er mit der Zeit ein brauchbares Mitglied unsrer
Oper werden. * * treibt sich hier auch noch herum,
mochte im Gewandhaus spielen und kommt nicht dazu;
sein Verstand scheint fest eingenistet in seinen dichten-
Haaren, die Eitelkeit gedeiht unter dem Knopflochband-
chen und die Prahlereien hat er wohl mit der Muttermilch
eingesogen.
Oeffentlich giebt es wieder viel. musikalischen Streit,
wozu Liszt's und Wagner's Panegyriker den ersten An-
stoss gab en, die Graner Messe und ihre Lobredner das
Weitere thun. Ein Herr von Wolzogen, der sich v. W.
unterzeichnet, nimmt diese Schule in der Beilage der
„Augsburger Allgemeinen" in seinem Aufsatz betitelt:
„Musikalische Leiden der Gegenwart" iibel mit; die Leig-
ziger „Neue Zeitschrift fur Musik" tritt fiir derenHaupter
auf, und nun kommt eine Erwiderung, in der solche Klei-
nigkeiten 'vorkommen, wie: „sie haben es wie in ihrer
Musik, so auch in ihrem literarischen Treiben lediglich
auf's Ueberschreien angesehen" „so muss man den
Mund aufthun und seine Lungen anstrengen." Zunachst
handelt es sich bei dem Streit nur um Beethoven's letzte
Schopfungen, v. W. hat sie diister genannt, die Zukiinftler
nennen sie humoristisch. „Der Humor der Verzweiflung
.;_■ ■ _• 282: - -
dem des Hamlet verwandt", sagt wieder v. W. und „die
Unbedeutendheit hangt sich hier wie fiberall an des
grossen .Mannes Bldssen, um die eigene Unklarheit zu
motiviren". Dann warden alle Meinungen der Zukunfts-
partei iiber Mozart und bis zu Bach zuruck angefiihrt
und beleuchtet, zuletzt die Graner Messe scharf kritisirt
und der Artikel schliesst mit den Worten: „Diese Art der
Composition ist doch auch. kaum etwas Anderes als Arith-
metik." Dazu schreibt Moscheles ins Tagebuch: „Wohl
dem. der solchen Parteiungen fern bleibt, sie benehmen
der Seele das kiinstlerische Gleichgewicht." .... „Ich
habe jetzt ausser Beethoven's Sonate op. 106, Mendels-
sohn's Variations serieuses und Rubinsteins G-dur Concert
auch viel Liszt studirt. Zuerst seine Transcription der
„Eroica", dann die Partitur seines A-dur Concerts, aber
iiber manche Stellen kann ich nicht hinwegkommen."
Ein Brief sagt : „Ein vielverspre'chender junger Mann
ist aus London als Mendelssohn - Stipendiat hieher an's
Conservatorium geschickt worden, er heisst Arthur
Sullivan; iiberhaupt habe ich jetzt viel brave Schuler. Die
Fraud ein Haulfe und Hering und der junge Breunung sind
mit gerechtem Beifall im Concert und der Kammermusik
aufgenommen worden, Mills und Levi haben sich in der
Prufung ausgezeichnet, ebenso Begrow, Jadassohn, Euer
Hamburger Krause, der bei seinem Augenleiden das Un-
glaublichste leistete, indem er den ersten Satz von Men-
delssohn's C-moll Trio auswendig und in musikalischem
Geiste spielte. Der Fleiss hilft bei ihm dem Gesichts-
mangel nach; sie Alle gehoren nicht zu jener Gattung,
welche die Thierwelt in ihren Affenspriingen und ihren
Biirentanzen nachahmt; sie sind verniinftig und ver-
sprechen gediegene Kiinstler zu werden. Weissheimer
"will, nach Weimar gehen und den Zukunftsglauben
annehmen, sowie er schon Liszt's symphonische Dichtun-
gen als das einzig vernflnftige Erzeugniss seit dem Er-
scheinen der 9. Symphonie bezeichnet, und dem Fort-
schritt in der Kunst nur von Weimar aus entgegensieht.
Ich gebrauchte all' meine Geduld, um den fanatischen
'•■ - - . ■■-■■. ■-,■- - .■■■ ■ ■ .-: m;-p.
— .283 — : ;^
jungen Mann mit Ruhe anzuhoren. Sein Exemplar der .--■■■
g. Symphonie hat er elegant einbinden und darauf in . ^
goldenen Lettern drucken lassen: „Wahres Evangelium =
der Kunst" ..... „Die zopfige und mir doch so lieb- i
' werthe Kunst hat zwei grosse Verluste erlitten — ich bin ; r
zweier unvergesslicher Freunde beraubt. Neukomm starb am \
3., J. B. Cramer am ig. April. Solche Lucken bleiben un-
ausfiillbar .... War doch unser guter Neukomm ein , ^_
liebes Familienglied !" : : :
Gewohnlich schliessen die winterlich musikalischen ; ';
Geniisse in Leipzig mit der Passionsmusik am Charfreitag - :'-W
der dann die offentlichen Priifungen der Schiiler folgen. - '■
Diesmal brachte das zweite Wiedererscheinen der Madame
Viardot neues Leben in die musikalischen Geniisse; war
sie tragisch in ihrer Norma, ihrer Fides, so war sie gross '-:'",-
in der Sonnambula, ergotzend in der Rosine, sublim als
Donna Anna. Zu Moscheles' kam sie oft und bewahrte ;
sich wiederholt als ausgezeichnete Pianistin, „als sie ein
Beethoven'sches Trio mit Begleitung von David und - ;
Rietz spielte, merkte man ihr die Sangerin nicht an", wie '?.
Moscheles sagt; „vielmehr erschien sie mir als ein hoch-
geschatzter College." Kaum hatte sie Leipzig verlassen, ''.}.
so stand dem Publicum schon ein neuer theatralischer -\- :
Genuss in den ausgezeichneten Leistungen der Fraulein
Johanna Wagner — als Fides, als Orpheus und in andern ~_ : '_
Rollen bevor. Auch sie fand die aufrichtigste Aner- - |,
kennung. '//
Endlich waren die Fremden alle, und auch viele der Ein- ■■■
heimischen mit den Sommervogeln davongezogen ; da -._;;
schlossen sich die schon eng befreundeten Familien David
und Moscheles noch fester aneinander ; in der Friihstunde ii
zu erfrischenden Gangen ins Rosenthal, nach dem heissen ''■',
Tagewerk zu musikalischen Zusammenkunften. David hatte
die Idee gefasst, Moscheles' 24 Etiiden fiir die Geige zu
bearbeiten, und fuhrte sie mit gewohnter Meisterschaft
aus; Moscheles schrieb die einfache Clavierbegleitung zu
dem neuen Arrangement, arbeitete aber auch viel an den
Clementischen Sonaten und dem Gradus ad parnassum fiir
_ 284, — , " ' '
Hallberger's Ausgabe. „Sie sollen mir aus Mangel an
Fingersatz oder genauer jBezeichnung des Vortrags und
der Tempo's nicht in Irrthum gerathen", pflegte er zu
- sagen, „deshalb ziehe ich jede schon vorhandene Aus-
gabe vergleichend zu Rathe." Ferner setzte Moscheles
Mendelssohns E-dur Concert fur zwei Claviere nach den
Stimmeh in Partitur. Ein Herr Moritz, Studiosus, war in
dessen Besitz und lieh es ihm. Von seinen eig-enen Wer-
ken wurde ura diese Zeit ein Catalog von einem Herrn
Schubert angefertigt, den er genau revidirte und der
spater in der Kistner'schen Musikhandlung erschien.
Im Juli feiert das Prager Conservatorium der Musik
sein Jubilaum, und die Schwester-Anstalt in Leipzig ent-
sendet ihren David und ihren Moscheles mit Festgriissen
dahin. Letzterer schreibt den Verwandten : „Das Prager
Fest fiel ausserst brillant aus. Es begann mit einem
Hochamt in der Jacobskirche, Abends war Concert im
Theater, in welchem jetzige und friihere, nun Meister ge-
wordene Schuler mitwirkten ; der Enthusiasmus fur AHe
und Alles ziigellos. Der zweite Abend brachte Spohr's
Jessonda von ihm selbst dirigirt; der Lorberkranz, der
enthusiastische Empfang, der Hervorruf nach jedem Act,
nichts fehlte, urn den Meister in ruhrender Weise zu
ehren. Am dritten Abend ward, unter Kittl's Direction,
Gluck's Ouvertiire zur Iphigenie, ein Psalm von Handel
. und die '9. Symphonie gegeben, als Schiilerleistungen
brav, aber obgleich David und R. Dreyschock mitspiel-
. ten, fehlte meinen verwShnten Ohren viel. Am 4. Tag
grosses Festessen im Baumgarten rait Musik und zahllosen
Toasten. Ich wurde gebeten, den Dank im Namen aller
Fremden auszusprechen; so nahm ich mich zusammen,
zollte dem bohmischen Kunstsinn so wie alien durch ihn
hervorgerufenen Instituten die schuldige Verehrung, sagte,
wie stolz ich sei, dem musikalischen Lande anzugehoren
und sprach nicht ohne Ruhrung dariiber, dass ich vor
etwa 50 Jahren mein Vaterland verlassen, u.ti kunstbe-
fiissene fremde Lander zu durchzlehen u. s. w. Alles
schien rait mir zu fiihlen, jeder Satz wurde mit uberwal-
■'- 285 - ~M
tigendem Jubel_ aufgenommen. Des mit mir Anstossens
war kein Ende, Herzens- und Champagner-Ergiisse gingen
Hand in Hand und letztere flossen so reichlieh fiber - . ■'.
meinen Rock, dass die vergossene Quantitat Wein hin- ,
gereicht hatte, urn einen Korporal betrunken zu machen." " ;;'
Zwischen diesen Fest- Aufffihrungen gab es viel • . ■"
heitere Stunden mit David, Dreyschock, Rietz, Spohr - ■
und A., „besonders bei einer Keller-Kneiperei, wo alte . ,-. : '
Bekanntschaften aufgefrischt , neue gemacht wurden. '. .'
Wir Leipziger tiberreichten eine Votiv-Tafel von Seiten V
unseres Instituts, und ich fand noch Zeit, in der Clavier-
Lehranstalt von Proksch vier- und achthandige Leistungen
der Schiiler zu horen. Ich geniesse hier manche Familien- S
freuden; zuerst war ich bei meinen Lieben in Podiebrad,
dann bei den Meinigen in Prag. Es ist ein ganz eigenes .':'.*'
seltsames Geffihl, dieselben Raume zu betreten, wo ich vor :
50 Jahren meinen Jugendtraum durchlebte. Alle damaligen -
Zustande Ziehen bunt wie in einem Kaleidoskop an mir ' ^
voriiber; das Bild meiner seligen Mutter lachelt mir von
der Wand entgegen; die Schwester hat ihre Zuge und ihr " '■■
liebendes Herz. Vorspielen muss ich ihnen auch und sie ' ',
sind gebiihrend entztickt." .... ■-■
Die Frau schreibt: ,,Unsere Riickreise hatte durch . - .';
entsetzliche Regengiisse recht unangenehm werden kon-
nen, aber was machten sich die „wandernden Virtuosen" .?■
aus dem Wetter? In der Kunst ist immer Sonnenschein.
Wir verstanden uns mit dem Scbaffner, hatten das Coupe ■*';
allein und David, der seine Geige nie verlasst, spielte
mit Dampf noch schemer als sonst; wir horten ein Con- ^
cert nach dem andern im Coupe und dann wurden Stellen
aus Moscheles' Etiiden probirt. „Gefallt's Ihnen so? oder
lieber auf die Art?" Genug, die Zeit verflog uns, und 7
auf einmal waren wir in Dresden; dort haben wir Vieles
genossen; das Museum, das. grime Gewolbe, den Tann-
hauser, Dawison's Hamlet, Alles nahmen wir schnell mit
und jetzt sind wir nur in Leipzig, um uns auf eine
grosser e Reise vorzubereiten." Diese geht fiber Coin nach
Antwerpen zu dem Sohn. Da werden die Maler- Ateliers,
— ■ 286 —
yJ.^Kr '^i--
die offentlichen Kunstechatze besucht, und da wo Mo-
scheles geniesst, verbreitet er auch wieder Freude durch
seine Kunst. Dem soeben beendeten Bilde de Keysers
gegeniiber, das Weber's letzte Stunden darstellt, kann er
nur fiber Motive des Meisters phantasiren, in der eigenen
Wohnung werden die ICiinstler Leys, de Keyser, v. Lerius,
Jacob Jacobs, Alma Tadema, Lies, Bource, Schaffels,
Heyermanns stets gern empfangen. Ein kurzer Aufent-
halt in Briissel bringt musikalische Wechselwirkungen
mit Fetis, Kufferath, Leonard u. A,
„Ich horte", sagt Moscheles, „einen Concours du Con-
servatoire mit an und hatte den Muth, die Schulerinnen
der Madame Pleyel sammtlich den ersten Satz des Hum-
mel'schen A-moll Concerts und Mendelssohns Andante
und Scherzo in E-dur und -moll spielen zu horen. Ein
junges Madchen nach dem andern trat mit einstudirter
Technik, aber mit Armuth an Auffassung und Vortrag
auf; mannliche Classen liessen Charles Mayer und Weber
horen .und da sie noch melir dreinschlugen als die
Madchen, so erschienen mir die Letzteren als die Marke-
tenderinnen des Regiments, das die Ersteren bildeten."
Man macht Ausfluge von Briissel aus und setzt dann
die Reise fort. Eine Fahrt von Namur nach Din ant
bringt viele Naturgenttsse. In dem Stadtchen Huy ange-
kommen ruft das Tagebuch aus : „Welch reizende Fahrt!
Zwei Wagen erster Classe durch eine offene Plattform
verbunden, auf welche die Passagiere im Fahren hinaus-
treten konnen. Wir setzten uns bei lieblichem Wetter
auf Feldstuhlen dahin und hatten auf einer Seite die
majestatische Felsenkette, auf der andern die reizende
Maas mit ihren griinen Ufern, Dorfern und Villen. Bei
schlechtem Wetter werfen grosse Spiegel im Innem des
Wagens die schone Gegend zuriick. So eine Bahn ist,
glaub' ich, ein Unicum."
Das Stadtchen Huy (10,000 Einwohner) ist es auch,
so romantisch lieblich liegt es da. und spiegelt sich in der
hellen Maas. ,,In den Strassen", sagt ein Brief der Frau,
„konnte man vor Blumen , Fahnen , Drehorgeln und
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pr :*r^% : -i
■ — 287' —
Draperien kaum fortkoramen. Es war die fete septennale
de la Vierge, der Schutzpatronin des Stadtchens. Als
wir die Ankiindigungen eines Concours de chant und
ernes Concertes der beruhmten koniglichen Musikbande
„Guides du roi"„ lasen, scbickte Moscheles seine Karte zu
dem Director, um Billette zu erlangen, die, wie man
sagte, sammtlich vergriffen waren. Fiinf Minuten spatei*
kam der Mann selbst und ging nicht eher, als bis Mo-
scheles zugesagt hatte, der Jury des Concours de chant
zu prasidiren; dann kam der President des Festcomite's
Mr. Godin, ein reicher Papierfabrikant, um uns zu Tische
einzuladen. Tags darauf mussten wir zu ihm und seiner
Familie in ihr prachtvolles Schloss ziehen, das in einem
grossen Park liegt, und als historische Merkwiirdigkeit
das Grabmal von Pierre Thermite birgt. "
„Mein Amt bei der Jury", schreibt Moscheles, „kostete
mich manchen Schweisstropfen, da ich vier Vor- und vier
Nachmittagsstunden zwischen dem Prasidenten und Biir-
germeister den brennenden Sonnenstrahlen ausgesetzt
blieb. Wir sassen auf offnem Markte auf einer hohen
Estrade, rings um uns her Musik, eine wogende Volks-
menge und die ganze elegante Welt der Umgegend. Die
verschiedenen Singvereine marschirten jeder einzeln mit
sammetgestickter Fahne auf, um sich dann horen zu lassen.
Kein einziger war schlecht, viele sogar gut zu nennen."
Aus Spa schreibt die Frau: „Die vie de. chateau liess
an Liebenswiirdigkeit der Wirthe und ihrer Gaste, an
Comfort und Luxus nichts zu wiinschen iibrig; aber nach
all' dem bunten Treiben thut uns das ruhige Familien-
leben mit seinen Spaziergangen und Fahrten wohl."
„Und ich", schreibt Moscheles, „werde hier nicht armer
und nicht reicher, denn ich habe an dem elenden Anblick
dieser Spielhollen genug, ohne zu setzen. Die Menschen,
die diesen griinen Tisch umstehen, kommen mir vor wie
die Fliegen, die den Giftteller umkreisen; sie nippen
daraus, bis sie ohnmachtig niederfailen. So soil es kiirz-
lich dem beruhmten Sanger T. ergangen sein; ich wollte
seine Bekanntschaft machen, um ihn zu horen, doch war
\ ' , ■ — 288 — '
er plotzlich fort; er hatte Alles verloren." Auf eine An-
frage der Verwandten in Hamburg, ob die Familie Mo-
scheles sie nicht vor der Riickkehr nach Leipzig mit
eiijem kurzen Besuch erfreuen wolle, erwidert Moscheles r
„Ich widerstehe der Versuchung einer ^o freundlichen
Einladung, uin meine Schiiler nicht langer zu verlassen.
Die bekannte Gewissenhaftigkeit, hore ich Euch ausrufen,
aber ich kann nicht anders, selbst wenn Ihr mich be-
lacheln solltet." Zwei jugendliche Kunstlerinnen — Frl.
Ingeborg Stark in Moscheles' E-dur Concert, Frl. Mosner
in Parish Alvars' und Godefroi's Harfen-Com position en
feiern in diesem Herbst grosse Triumphe im Gewand-
hause. „F r h Stark(Frauv. Bronsart) schreibt auch tiichtige
Fugen", sagt das Tagebuch, „und leistet viel in jeder Be-
ziehung; Frl, Mosner auch, aber wenn ich diese Harfen-
effecte hore, so werde ich mit Betriibniss daran erinnert,
dass die Arpeggios, mit denen die Claviermusik jetzt
iiberladen ist, zuerst der Harfe entlehnt wurden; bedenkt
man aber, dass das Clavier ein orchestrales Instrument
ist, so kann diese Neuerung eher zum Verfall, als zur
Hebung der Kunst beitragen."
Und wieder finden wir zwei grosse Kunstlerinnen,
aber diesmal statt der jugendlichen Aspirantinnen schon
bewahrte Beriihmtheiten, Madame Unger- Saba tier, Frau
von Bock (Schroder-Devrient). Sie beide treten nicht
offentlich auf, aber der Moscheles'schen Familie wird der
Genuss, sie privatim zu treffen. Ein Brief Moscheles'
sagt: „Spohr war vom. Concertdirectorium eingeladen, hier
einmal wieder einige seiner Compositionen zu horen; er
erschien und war von deni Orchester unter Rietz mehr
als befriedigt, meinte sogar, es hatte noch gewonnen. Es
vergalt ihm dies Lob durch einen kraftigen Tusch, dem
Publicum und Kunstbriider jubelnd beistimmten. Wir
horten seine C-moll Symphonie und Ouverture zur Jes-
sonda. Am nachsten Morgen war wieder eine musikalische
Auffuhrung im Gewandhaus, dem beriihmten Gast zu
Ehren. Mich electrisirte die Leonoren-Ouvertiire Nr. 3
wie gewohnlich, und bei Mendelssohns A-moll Symphonie
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■ „ 2 $g —
dachte ich: „Zukunftsmusik, was willst Du?" David lud
seinen lieben alten Lehrer zu einem Kfinstler-Diner; wie
behaglich sich dieser bei ihm ffihlte, beweisen die Ge-
schiehtchen, die er uns bei Tische erzahlte, Von dem
Churfiirsteri meinte er, er plage den jetzigen Kapellmeister
Carl Reiss ebenso sehr wie ihn selbst in friiheren Jahren;
sogar in der Aufstellung des Orchesters ' bleibe er Auto-
krat, was Wunder, dass man in so einem Theaterdienst
manchmal ausser sich gerathe?"
„Ich fiihrte dem Meister im Conservatorium meine
brave Schfilerin Fraulein Albrecht aus Russland in seinem
Quintett vor, David liess seine Schfiler das Octett fiir
Streichinstrumente spielen und das Blumenduett aus „ Jes-
sonda" ward gesungen."
Ein anderer Brief sagt: ... „Die „Eroica" und „ Athalia"
in einem Concert — das war schon! Und was auch das
Rurnpf-Parlament der Musiker leistet, Besseres leistet
es nicht. Frl. Mosner brachte die Harfenpartie der „Athalia"
so zur Geltung, wie wir sie noch nicht gehort haben; Frau
Reclam sang vortrefflich, echt musikalisch, so wie sie auch
die Stfitze der Soli im Riedel'schen Verein ist. — Ich bin
ganz durch Zufall dazu gekommen, erne Phantasie fiber
den „Tanz" von Schiller zu schreiben. Das Schiller-Comite
liess mich fragen, ob ich am n. November meine Ouver-
tiire zur „Jungfrau" bei der Festfeier wolle aufffihren
lassen? das fand ich des mittelmassigen Orchesters halber
gewagt, und schlug daher vor, dass mein tiichtiger Schiller
Mertke meine Phantasie fiber Schiller's „Sehnsucht" spiele
und mit dem hinzucomponirten „ Tanz " brillant ende."
Spjitere Berichte aus der Oeffentlichkeit erzahlen uns von
dem Beifall, den Herr Mertke erntete, und wie schon Frau
"Wohlstadt die betreffenden Gedichte declamirte. Das
Schillerfest und des Konigs Geburtstag reihen sich an-
einander und fur die Feier des Letzteren im Conservato-
rium hat Moscheles ein „Salvum fac regem" componirt.
Die Frau schreibt: „Unsere hauslichen Abende sind
genussrelcher als je durch den jungen Davidoff, der so
wunderschon Cello spielt, durch David ohne off, dessen
Moscheles* Leben. II, ID
— ^ 290 —
Geige und Personlichkeit sich iramer mehr bei uns ein-
biirgert, durch Ludwig Strauss, H. Wieniawski, Fraulein
Bondy und andere Kiinstler, die schon im Concert ge-
spielt haben oder noch spielen werden; — durch Lind-
hould, der im Zimmer wunderschon singt. Dann giebt es
vierhandige Stiicke mit dem jungen Sullivan, der unser
Stammgast 1st; es giebt aber audi Abende, an denen
Shakespeare mit vertheilten Rollen gelesen wird. Bei
dem Allen is! der Hauslierr meist betheiligt, zuweilen
aber auch lasst er uns gewahren und arbeitet an seiner
Mozart- Ausgabe fur Hallberger, in der verlangerte
Bogen und hinzugefugte Vortragszeichen erne grosse
Rolle spielen."
Ein von Carl Werner gestifteter Kunstlerverein wird
bei seiner ersten Zusammenkunft von Moscheles als Mit-
glied besucht, und so „kunstberlissen als heiter genannt",
auch im Professoren - Verein gab's einen interessanten
Abend zu Ehren des neuen Rectors, des Geheimen Rath
von "Wachter. Endlich. im December erscheint Frau
Viardot zum dritten Mai. Wie zuvor lasst sie alle Musik-
Gattungen, von der Arie aus Lully's Oper „Persee" (1682)
bis zu Chopin'schen Mazurken horen. „Mir fiel ein mexi-
canisches Lied, das sie sang, durch diese eigenthumliche
Begleitung auf:
und ich machte ihr ein kleines Notturno daruber fur ihr
Album, Die genialische Frau wird unserer Stadt mit dem
scheidenden Jahr entfiibrt."
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1859. M
Es giebt nichts Neues unter der Sonne, sagt das alte .;.
Sprichwort, und dies schien sich in den ersten drei Mo-
. naten dieses Jahres an den Musikzustanden zu bewahren,
denn die Gewandhausconcerte , die Schiilerprufungen,
mit Sorgfalt vorbereitet, gehen in gewohnter Weise, auch
mit dem besten Erfolg voruber. Da Moscheles eben in
diesem Winter findet, dass seine Muhewaltungen fur An-
dere sich sehr gesteigert haben, so liest er mit besonde-
rem Interesse einen Brief des greisen Alexander von Hum-
boldt, der eben durch die Zeitungen geht. Der grosse
Mann verbittet sich von nun an alle wissenschaftlichen
Nachfragen u. a. derartige Zuschriften, „da ihre Zahl sich
auf jahrlich 2000 belauft, er sich wie ein Adress-Comptoir
gebrauclit sieht, und seine abnehmenden Krafte ihm
solche Anstrengung nicht mehr erlauben." . . . „Es giebt
mir zu denken", sagt dasTagebuch; „auch kleinere Lichter
sollten - sich nicht missbrauchen lassen: man muss eine .
Auswahl treffen." Nicht lange, so verkiinden die Zeitun- - :
gen den Tod des grossen Forschers im Gebiete der
Wissenschaft.
„Fur's Erste aber", schreibt Moscheles, „lauft die mu-
sikalische Welt einen kiihnen Wettlauf. Die „Neue Zeit-
schrift fur Musik" feiert im Juni ihr 25Jahriges Jubilaum »'
und die Partei, deren Interesseri sie hauptsachlich vertritt,
will hier urn diese Zeit ein grosses Kiinstlerfest veran- ■■<).
stalten; dies die Novitat des Jahres. Der Riedel'sche
Verein studirt mit grossem Eifer die Graner Messe dazu
ein." Es bildet sich ein Comite, um den im Juni erwar- ';
teteh fremden Musikern einen ehrenvollen Empfang zu ,'
bereiten, und Moscheles wird eingeladen, sich diesem bei- ,i"
zugesellen. Festprogramme werden vertheilt und die Auf-
fuhrungen vielfach angekiindigt. Als Liszt im Mai zu
kurzem Besuch in Leipzig erscheint, weiss er Moscheles
2u bereden, sich mit demVortrag seines Homraage a Han-
del bei dem Feste zu bethailigen. „Er nennt mich einen
19*
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der Pfeiler des Clavierspiels, der nicht fehlen darf, ich
nenne mich den nothwendigen Contrast zwischen der
alten und neuen Schule und willige ein. Ich habe meine
Grundsatze, meine Ueberzeugungen, doch will ich mich
der neuen Partei durchaus nicht schroff entgegen-
stellen." ...
In diesen Tagen fahrt ein Kiinstler-Conclave nach
Weimar, um eine neue einactige Oper von Rietz, „G. Neu-
mark tind die Gamba" zu horen. „Er dirigirte selbst'V
schreibt Moscheles, „und das Werk ward mit Applaus
und Hervormf des Componisten aufgenommen. Orchester
' und Sanger zeichneten sich aus, vor Allen Frau von Milde.
■ Noch vor der Oper bewirthete uns Liszt auf's Liebens-
wiirdigste; voile Schlauche, Niederlagen von Cigarren,
und als ef sich an's Clavier setzte, horte ich zu meiner
nicht geringen Ueberraschung mein altes Op. 42, Variatio-
nen iaber das osterreichische Liedchen,
i^ BS:^^
EH
das ich seit vierzig Jahren ignorirt habe. Er spielte sie
auswendig und legte Effecte hinein, die in ihrem Ueber-
muth Aufsehen erregend waren, auch liess er uns eine eigene
Orgelphantasie iiber die Buchstaben Bach horen; kiihn
geni'ale Verwickelungen, donnernd ausgefuhrt. In der
Nacht fuhren wir Alle nach Leipzig zuriick." . . .
Einige Tage spater heisst es: „Ich gab Liszt ein
Kiinstlerdiner , gemuthlich ungenirt. Xach Tische fand
er, die Cigarre im Munde, unter Musikalien meinen Tanz
und die humoristischen Variationen , beides vierhandig,
und gleich musste ich es mit ihm spielen. Alles knallte
und sprudelte prachtig;- dann kamen wieder die alten Va-
riationen und endlich meine Sonate melancolique mit wahr-
haft kiinstlerischer Begeisterung; — es war ein Hoch-
genuss. Schade, dass ich mich fiir die Richtung, die er
in semen Compositionen einschlagt, nicht begeistern kauri;
es ist das der Schleier, der utter unsere kiinstlerische In-
. ■ - ■ . — 293 ■— ■
timitat fallt. — Bei David hatten wir auch eine musika-
lische Zusammenkunft, das Muller-Quartett, meine „Con-
trastes" mit Liszt, Jaell und Bfonsart, ausserdem Tausig,
Frau von Milde u, A. Liszt spiel te seine colossale Bach-
phantasie, und mit Bronsart seinen Orpheus auf zwei Cla- .
vieren. Eine Anzahl der fremden Musiker, Liszt an der
Spitze, kam auch zu mir, urn mich spielen zu horen, sie
wollten wissen, wo mir der Zopf hang-t. Aber Zopf oder
nicht, mein Verhaltniss 2u Liszt ist ein cordiales, wir
wissen genau, was wir von einander zu halten haben, und
"vvenn wir vierhandig spielen, so geben wir, trotz unserer
verschiedenen Racen ein gutes Gespann, von Gott Apollo •
ohne Peitsche kutschirt. Liszt spielt noch immer gigan-
tisch ergreifend oder idyllisch kosend. — Mein Hommage
a Handel mit Jaell in einer der Festmatineen ging auch
gut und Frau Reclam sang vortrefnich." — „Das Concert. ~j
im Theater mit Compositionen von Mendelssohn, Schubert,
Berlioz, Schumann, Wagner, Franz, Liszt war hochst in-
teressant und vortrefnich ausgefiihrt, der Applaus en-
thusiastisch." — „In der Graner Messe ist ein achtbares J
Streben unverkennb'ar , und sie ist theilweise erhaben'
theihveise aber gesucht und erinnert mitunter an den
Venusberg. Die Soli wurden von Herrn und Frau yon
Milde, . Weixelstorfer und Fraulein Hinckel sehr gut aus-
gefiihrt." • — „Bach's H-moll-Messe in der Thomaskirche
-war grossartig wie immer, aber all' unsere Geniisse im
Schweisse unseres Angesichts erkauft." — „Der Genuss, - " \
Schumann's „Genovefa" im Theater zu horen, aueh durch
die Hitze verleidet." — „Bei dem grossen Souper, wo von
Fremden und Einheimischen viel getoastet wurde, stiessen ■
Manche in grosser Herzlichkeit ihr Glas an das meinige; ■
doch sah ich auch Andere, deren Gesichter so lang waren,
wie ihr Haupt oder .Barthaar, und die sich fern von
mir hielten. Einerlei; — das Fest, durch viele Reden
iiber Kunst-Forderung und kunftige Kiinstler-Versamm-
lungen beschlossen, hat ein gliickliches Ende genommen;
■die Fremden haben alien Grund zur Befriedigung, wir
Leipziger aber auch, indem wir ihnen diese bereiteten.
>v.. *-/:'■'..
— 294 —
Nicht einmal der unselige Krieg, der jedes Gemiith be-
unruhigt, indem er Viele zu Grunde richtet und Alle ge-
fahrdet, trat storend auf, und hat auch der Federkrieg
der verscliiedenen Parteien schon begonnen: er wird kein
bleibendes Unheil anrichten, denn im Ganzen war doch
dieses Kiinstlerfest ein Friedenscongress. — Die Fremden
sind nun nach Merseburg, wo ein Orgel-Concert ira Dom
stattfindet. Auch David ist dabei betheiligt, und wenrt
er so spielt, wie hier in der Matinee im Schutzenhause,
so karin man ihn nur ausgezeichnet nennen." Ein spa-
terer Brief sagt: „In den Kriegswirren habe ich die Zu-
kunfts-Musiker schon beinahe vergessen. Im Mai schrieb
ich noch einen patriotischen Marsch zu vier Handen, in
welchem ich das osterreichische Volkslied und Liitzow's
wilde Jagd erst getrennt, dann vereint brachte, und nun
.sieht es schlimmer als je um .die Vereinigung unserer
Grossmjichte aus! Sogar ich alter Musiker habe also nicht
gut gezahlt, heisst das gerechnet (der schlechte Witz
bittet um Entschuldigung). Der Marsch wurde im Schiitzen-
hause von dem Orchester des Director Menzel gespielt."
. . . „Wir sind sehr eifrig in unseren Friihpromenaden
sowohl, wie in unseren musikalischen Abenden mit David,
und bald gehen wir nach Thiiringen, dessen griine Ruhe
uns wohlthun wird." Auf der Reise dorthin wird ein
kurzer Halt in Halle gemacht, um der Enthiillung des
Handel-Monuments von Heidel und der Auffuhrung seines
„Simson" beizuwohnen.
DieMonate Juli und August werden mit Verwandten
und Freunden auf's Angenehmste verlebt. „Ein griin-
umranktes Hauschen am Fusse der Wartburg mit der
himmlischen Aussicht auf Feld, Wald und Berge" wird
alsbald bezogen. Der Commandant, Freiherr von Arns-
wald, nimmt die Familie mit grosster Herzlichkeit auf.
Wahrend diese fur die Schonheiten der Burg und ihrer
Umgebungeri schwarmt, weiss Moscheles jenem musika-
lische Genusse — oben auf der Orgel, unten auf dem
Clavier — zu bereiten. — Gleich bei der Ankunft im
Hotel, als die Familie Moscheles zu Abend isst, erlebt
- — 295' — '■""'■ ; ,-;.v
man eine komische Episode. Man hort plotzlich im Neben-
zimmer Moscheles' G-dur-Etiide in David's Uebertragung ■
meisterlich auf der Geige spielen. Grosses Wunder! Mo-
scheles springtaufund_klingelt. „Werwohntdaneben?"ruft .'->-Z
er dem Kellner entgegen. „„Herr Concertmeister Singer"" - .'
ist die Antwort. Nun war das Wunder erklart, die Ver-
bindungsthtir blieb nicht lange geschlossen, und Alle
freuten sich iiber das hiibsche Zusammentreffen. — „Am
Geburtstag der heiligen Elisabeth war es auf der Wart-
bur£ poetischer wie gewohnlich", schreibt die Frau. Ich
durfte Frau Arnemann und einigen anderen Damen helfen,
riesige Laub-Gewinde fur die Eingange zu binden, um sie
damit zu bekranzen. Die hier tagende Synode von Pra-
laten aus alien vier Himmelsgegenden — hatte sich in v ;
der dammerigen Kapelle versammelt. Ort, Zeit und Stim-
mung waren Andacht erweckend, und Moscheles' Orgelspiel
war es auch. — Eine weihevolle Stunde!" Moscheles com-
ponirtauch ein vierstimmiges Wartburglied, das im grossen
Siingersaal probirt wird und schreibt: „Den Spruch, den
ich dort fand, muss ich mir als Wahr hier verzeichnen.
Er lautet: , ~' ?
Das .mag die rechte Musik sein, \
Wenn Mund und Herz; stimmt iiberem."
„Ich muss mein altes Sextett neu fur Hofmeister ar- '
rangiren, und, o saure Arbeit! vierzehn Nonette fur Blas-
instrumente durchlesen und beurtheilen, die mir als Preis-
richter die deutsche Tonhalle eingeschickt hat."
Nach Verlauf eines Monats wird das schone Thiirin- " .'.
gen heiter und in kleinen Absatzen durchkreuzt, bis man
Friedrichsroda und den lieben Freundeskreis, David an v;;
der Spitze, erreicht, der sich dort hauslich niederg-elassen
hat. Nun ist des Musicirens kein Ende, aber auch der
Vaterfreuden nicht, denn Sohn „und Tochter aus London
besuchen die Eltern und Moscheles hatte nicht umsonst
schon beim Entstehen dieses Reiseplans geschrieben : „Er
ist schon als Luftschloss so schon, dass ich ihm nur ein -
marmornes Piedestal wiinschen kann."
;■■■•'■■■ - 7— '296 —
Vor der Heimreise giebt er noch in Eisenach eine
Matinee zum Besten einer Nahschule, fur die sich Frau
Arnemann interessirt, und Moscheles schreibt: „Es fehlte
nicht an Beifall, ja. nicht einmal an einem Lorberkranz!
Vielleicht bekam ich ihn zur "Wurze meiner hiesigen
Suppen, der en Hauptingredienz dem Brunnen entnommen
zu sein scheint, sowie die Braten von irgend einem Schuh-
macher verarbeitet werden konnten. Mit einem "Wort,
das Thiiringische Essen ist ebenso miserabel . wie der
Thiiringisclie Bauerngesang; diesen horten wir neulich
bei einem Feste. Die Madchen standen auf der Berg-
kuppe im Kreise und sahen so apathisch aus, dass man
nicht wusste, waren sie hiibsch oder hasslich, doch glaube
ich letzteres, und als sie sangen: Alles mit Jeduld, Jeduld
ertra-a-a-agen, dachte ich: Ihr habt Recht; doch wer weiss,
wie bald meine Geduld reissen wird! Denn an Euch hat
der Herr Schulmeister kein Wunder gewirkt. . . . Schliess- ■
lich fiel mir ein, wie diesen Sangerinnen wohl unsere
viele Musik missfallen mag, die sie taglich unten im Dorf
horen und wie sie vielleicht auch mit Jeduld David und
mich und die vortrefflichen Liebhaberinnen unserer kleinen
Colonie ertra-a-gen!"
Im Herbst, als die jiingste Tochter sich in Paris auf-
halt, um Gesangs- -und andere musikalische Studien bei
Mme. Viardot zu machen, schreibt ihr der Vater: „Dein
erster Brief aus dem kunstgeweihten Hause hat mich er-
freut, Deine Thatigkeit im Transponiren etc., uber die Du
berichtest, gleichfalls; nur springe nicht von einem zum
andern, und bei Deinen Compositionsversuchen empfehle
ich Dir. immer eine bestimmte Emphndung auszudriicken,
eine ernste oder frohliche, eine zufriedene oder angstliche
u. s. w. Wenn Dir das in kurzen Stiicken gelingt, so
kannst Du Dich an grossere wagen, in denen die Empfin-
dungen gleichsam dramatisch wechseln. Immer denke
Dir eine Scene aus dem menschlichen Leben und ver-
schmahe die bios mechanischen Mittel, um Effect zu
machen. Die Technik muss nur zu Hiilfe kommen, um
den Hauptgedanken zu steigern und ihm Kraft Oder Cha-
■.'.■■■ :' ' ■v-->
■_ — 297 — ...>>
rakteristik zu geben. Deine Notenschrift ist verbessert, ■■"■;*
aber ich setzte doch manchen Noten die Kopfe zurecht, ..'_'~-\'
wegen der Deutlichkeit. Avis au lecteur. . . . Alles was ; ' ;?
Du mir iiber Berlioz schreibst, interessirt mich besondef s,
denn er ist gewiss unter den strebenden Kiinstlern einer .;?.
derjenigen, die viel Erfindungskraft haben und die Kunst '■
nicht absichtlich zu.verzerren suchen. Seine in Weimar
gehorte Oper „Benvenuto Cellini" berechtigt nrich zu ■■'
den schonsten Erwartungen fur die nun zu gebenden ., :
„Trojaner". Er hat mir nie viel Sympathie gezeigt, halt mich
vielleicht fur seinen Gegner, aber mit Unrecht. Dass Du f
Betrachtungen iiber modernes Clavierspiel anstellst — dass \i
Du findest, die Charakteristik einer guten Composition
werde durch die Sucht zu glanzen, entstellt, die Tiefe der ' : -
Empfindung und die edle Leidenschaftlichkeit arte in . ;
Affectation aus, Dein Vater aber habe nie solchen Gotzen
geopfert *— gefallt mir natiirlich. Du streichst mir damit, '■'■ i
wie man sagt, Honig urn den Bart und erregst meine
Eitelkeit. Sei aber auch nicht ungerecht gegen streb- - '■■'<■;
same Kiinstler, und was Dein eigenes Spiel anbetrifft, so - '■ ■;]
suche in die Fusstapfen der schonsten weiblichen Vor- ;'-
bilder zu treten. . . . Unser Leben war zeither bunt; um ■■■
3 Uhr zu Bette und um 9 Uhr im Conservatorium. Nach- . '.;-
mittags spielte ich dem anwesenden Schachner aus Mun-
chen auf seinen Wunsch meine drei Schillerstucke: „E r - '■"'
wartung", ,/Tanz" und „Sehnsucht" und das Concerto fan- .;"
tastique vor, und so geht's mehr oder minder alle Tage. '^
DavidofF und der Rigaer Poorten sind zwei vortreffliche ;;
Cellisten und wie Vieuxtemps stets willkommene Gaste J
fiir die hausliche Musik, ebenso der junge Rudorff und -:,-;
Carl Rose, beide talentvolle junge Schiiler auf Clavier
und Geige. — An dem kleinen Rontgen lernten wir ein
wahres Wunderkind kennen. Er ist 5 Jahr alt, hat ein " '-;.
merkwiirdiges Gehor und spielt schon allerliebst. Da er
das Pedal mit seinen kurzen Beinchen nicht erreichen .
kann, so legt sich sein dreijahriges Schwesterchen unters V
Clavier und driickt es an den richtigen Stellen nieder, ist
also auch musikalisch begabt,"
— ' ■ 298 —
Ein Brief votn 14, October sagt: „Ich war im Theater,
urn erne Oper ■ zu horen — .die des perriickenhaften Rous-
seau, des Salzburger Wundermannes, des Bonner Himmels-
stiirmers, des Freischiitzen-Generals, des General Meyer-
hof-Intendanten bis herunter auf Marthe mit dem Milch-
topf (aus dem viel Wasser fliesst), kannte ich, aber eine
herzogliche Oper hatte ich noch nicht gehort; also ging
ich in „St. Chiara". Und wirklich vereinigt. diese Oper
1 alle Eigcnthiimlichkeiten der soeben genannten verschie-
denen Epoch en in sich; man begegnet darin aber auch
der Zukunft. Ein Zopf, der das unter die musikalischen
Siinden rechnet! Ein Regent muss alle Stande unter dem
Gesammtnamen Volk beriicksichtigen; — den dritten,
welcher die Galerie fiillt, so gut wie den ersten, der di-
plomatische Noten schreibt und die parfumirten Schdnen,
welche Italiens Siissigkeiten lieben, Allen muss er gerecht
werden. Die Sanger wurden es seiner Musik nicht, aber
die aussere Ausstattung war so glanzend, dass das Band
im Knopfloch des Directors nicht ausbleiben wird. — Ein
weniger hoher Dilettant, wenn auch ein hochgestellter
Mann, der President Veit aus Eger hat seiner Symphonie
Eingang und Beifall im Gewandhaus verschafft; eine klar
melodische Arbeit. Das Orchester und seine Fuhrer ehr-
ten ihn durch die, Pri vat - Auffuh rung einiger grossen
"Werke im Gewandhause."
Als endlich Italiens Kampf beendet ist, heisst es:
„Der Kladderadatsch bringt folgenden gut en Witz uber
den bevorstehenden Friedens congress: England ist fur
Hochkirch und Essen. — Russland stimmt fur Wart-
burg, hat aber auch nichts gegen Erlangen; — Oester-
reich wiirde sich zu Schonen verstehen, falls es ihm
nicht gelange, sich mit Gel der n zu arrangiren; Preussen
ist fur Friedberg oder einen anderen sicheren Ort, fur
den sich auch Anhalt gewinnen liesse."
Im November ist Leipzig ganz Schillerfeier; der
ioojahrige Geburtstag des grossen Dichters wird mit
ausserster Pracht begangen und Moscheles als Mitglied
des von Carl Werner gestifteten Kiinstlervereins , funf
>-:- Ji"> — ■..'. * i? - •: „.. - -,7 -7 *■■- "■!.--- .»■; ?-.■■■ ' ; k ;'-' ? ;-i? ; i'^!
Stunden mit im Festzuge. „Mehr aber als dieser oder ,
die Theater-Festvorstellung", schreibt er, „interessirte ■ ':
mich das Concert mit der neunten Symphonie, die Solo- •■■,
stimmen von Fraulein Dannemann und Ffinckel, den . ;;l
Herren Bernard und Bertram gesungen. So ausgefiihrt ^ '
liatte ich das Werk nie gehort; es electrisirte mich. Die
Begeisterung war vom Dirigenten und Vorgeiger hinauf
bis zu dem Pauker gedrungen, und Alle — Horer so wie
Mitwirkende — fuhlten, dass man etwas nie Geahntes ge-
leistet haite. Man jubelte. — Nun sind die Festlichkeiten •:
voriiber, aber die Symphonie soil noch einmal gegeben . '
werden. Rietz batte fur die Feier eine Ouverture, Rich-
ter eine Cantate mit Text von Dr. Adolar Gerhard ge- ,■
schrieben. Ich habe mein Stuck nach Schiller's „Tanz",
zwei- und vierhandig, als einen kleinen Beitrag derSchiller-
stiftung iibermacht." . *''
Hatte der Anfang des Monats November in Erinne- - ;
rung an Spohr's Tod und Mendelssohn's Sterbetag ein
ernstes wiirdiges Gewandhaus-Concert mit Mozart's Re-
quiem und Mendelssohn's 42. Psalm hervorgerufen , so j.
brachte das Ende desselben eine Todtenfeier fur Reissiger
im Conservatorium.
„Am 2. December", schreibt Moscheles, „feierte die
Aula ihr 45ojahriges Bestehen im Beisein des sachsischen
Konigshauses. Rietz, "dem eben die Doctorwurde ertheilt '.'
worden ist, hat eine~ t Composition im gediegensten Styl
fur die Feier gemacht, und der Rector, Professor von
Wachter hielt eine<schone Rede."
Am 3. December finden wir die Notiz, „dass in der
Abend-Unterhaltung des Conservatoriums besonders Gutes
geleistet wurde. Die Herren Hegar, Rose, Albrecht und
Griitzmacher jun. spielten Beethoven's Quartett Op. 132 -
trotz seiner eminenten Schwierigkeiten ganz vortrefflich,
und Herr Jadassohn liess sein von vielem Talent zeugen-
des E-moIl-Trio von seinem Mitschiiler Herrn Barnett vor-
tragen." ...
Es sei uns vergonnt, hier zum Jahresschluss eine un-
musikalische Notiz anzureihen, weil sie einen Charakter-
?&■•>%{£;? Jlr ■•■••*. :./■-, fr ■ 'i.^-Ui^yygvt-
— 300 . —
zug enthalt. Moscheles schreibt . einem jungen Manne in
Bezug auf eine vorherrschende Empfindlichkeit: „Thue
nur ja nicht bose mit Deinem Freunde, denn Du hattest
Unrecht, wenn Du ernstlich schmolltest. Ein kleines Ver-
sehen oder eine Vernachlassigung konnte in der Feme zu
einem Bruche fuhren, und man sollte doch die Schwachen
seiner Freunde entweder eitragen oder 'mit Gelassenheit
riigen. Dies mein Rath. Gott leite Dicli zu allem Guten
und Schonen!"
1860.
Moscheles schreibt den in Paris weilenden Kindern:
„Die Gewandhausprobe wurde mir durch die Auf-
fuhrung der Melusinen - Ouvertiire und des" Finale der
Lorelei eine sehr aufregende, und als vollends Paul Men-
delssohn in den Saal trat , da wurde mir schlimm zu
Muthe. Die theuren Ziige seines unsterblichen Bruders
standen in ihrer Lieblichkeit vor m einem Geistesauge,
trotz geringer Aehnlichkeit zwischen den beiden."
„Frau Biirde-Ney mit ihrer grossen Stimme- leistete
Grosses. Rietz, der uns nun wirklich verlasst, um nach
Dresden zu gehen, war ganz.weich gestimmt, als er von
seiner Uebersiedelung sprach und driickte mir zartlich die
Hande. Sein Abtreten ist ein grosser, noch unersetzter
"Verlust." .... Aber was sagt Ihr zu **, eben aus Paris
kommend, den ich fragte, ob er den Orpheus gesehen?
Antwort: ,Ja, es ist ein nettes Lustspiel, welches viele
Vorstellungen erlebt hat; die Oper kenne ich nicht."
Und doch hat Mme. Viardot ihn nun schon 52 Mai ge-
sungen.'" ....
Ein anderer Brief sagt: „Ihr wisst, wie unersattlich
ich im Horen aller mir geboteneti Musik bin; wie ich in
die Euterpe gehe, obgleich sie mit dem unvergleichlichen
Gewandhaus-Orchester nicht auf einer Stufe steht. Ich
hore auch dort manches Gute, ja, ware es nur Mittel-
massiges, man konnte auch davon noch lernen, wie man
— 301 — ■' . ■
es namlich nicht machen soil! — Jetzt. besuche ich auch
noch den Dilettanten-Verein. Es sind eben Dilettanten,
aber Herr von Bernuth, der friihere Conservatoriums-
Schiiler, dirigirt ihn tactvoll, das zieht mich hinein; sehe
ich doch so gem die Schiiler Carriere machen."
Und in einem spateren Briefe : „Du sagst, J. und B.
sind in Paris! Sie kommen-mir vor, wie zwei Kunstreiter
die sich im Galopp die Hande reichen; griisse sie von mir.
Ich hoffe, dass Keiner sich den Hals bricht und mochten
sie unversehrt bleiben, wenn sie durch die Papierfasser — .
die Journale springen. Eine Auskunft mochte ich mir
verschaffen: ob namlich in der Ouvertiire zu Don Juan
die ersteNote im zweitenTact eine halbe oder Viertel-
note fur den Contrabass ist? Ich mochte es durch die
Partitur der Oper im Besitz von Mme. Viardot ermitteln.
— Unser thatiges Leipzig ruft wieder einen neuen Verein
ins Leben, diesmal unter den Israeliten; er soil „Moses
und Felix Mendelssohn- Verein" heissen und hat den scho-
nen Zweck, arme Studenten oder Conservatorium-Schiiler
zu unterstiitzen. Im Interesse der Letzteren wohnten
Schleinitz und ich den Berathungen bei." — „Ihr wisst, wie
ich stets gegen das „Recensiren" in musikalischen Zeitun-
gen eifere, dem sich einige Schiiler ergeben haben; auch
wie sehr Mendelssohn dagegen war; so ist beifolgendes
Gedicht Wasser auf unsere Miihle. Ich fand es in Gutz-
kow's „Unterhaltungen am hauslichen Herd."
Dem Zukunftsmusiker von Ludwig Seeger.
Welch tolle Laune plagt den Manh
Beim Handwerl: nicht zu bleiben?
Wer singen und Laute splelen kann,
Was braucht der Biicher zu schreiben ?
Wer zu dem Schwerte greifi, der fallt
Durch's Schwert, das merk' sich Jedei*.
Wer durch die Feder simdigt, erhalt
Ein TJrtheil durch die Feder.
Die Zukun ftsgrillen verscheuche sie,
Lass Andre sich kritisch befehden!
Dein ist die That, die Melodie,
Die Aridern mbgeri reden.
:.xii ,>'-'
— .302 —
In einem anderen Briefe heisst es: „Wir haben uns
viel-unter beriihmten Reisenden bewegt. Mit Gerstacker,
als er lebendig von seinen Erlebnissen erzahlte, waren
wir in der Prairie, mit Tischendorf auf dem Sinai, als er
erklarte, wie er dort eine Bibel aus dem vierten Jahr-
hundert aufgefunden; mit Schlagintweit trauerten wir
uber die entsetzliche Todesart seines Bruders. Und Ihr
wisst schon, nur s o mache ich gern solche unternehmende
Reiscn, bequem auf meinem Sopha, oder beim Souper in
einem befreundeten Hause; meine Einbildungskraft thut
dann das Uebrige hinzu und den nachsten Morgen habe
ich wieder die Schiiler, Abends Concert, statt mich mit
Wilden oder Monchen bei Hitz' und bei Kalte berum-
zuplagen, und mir am Ende nocb einen Finger abschlagen
zu lassen." .... „Wir haben auch Emil Devrient viel In-
teressantes iiber seine Leistungen erzahlen horen. Dass
er stets den Souffleur zahlte, damit er schwiege, gefiel
mir besonders, denn je weniger der Kiinstler sich auf
Andere stiitzt, desto grosser steht er da; auch sein eigen-
handiges Packen der sechs Costiime-Koffer, die er mit
sich fiihrte, begegnete sympathisch meinem angstlichen
Ordnungssinn. Urn den Brief musikalisch zu schliessen,
will ich noch erzahlen, dass ich neulich einigen tiichtigen
Schiilern Vieles von mir, und zuletzt Beethoven's Phan-
tasie mit dem herabstiirzenden Lauf-Anfang spielte. Ich
war recht gut „bei Fingern", da mein regelmassiges Lesen
der neuen halsbrechenden Compositionen sie mir ge-
schmeidig erhalt. Die jungen Leute thaten iiberrascht,
ergriffen, und schienen sagen zu wollen: „Du verstehst es
doch besser als wir dachten." Vielleicht werden sie mir
kiinftig glauben, wenn ich ihnen predige, dass mehr
Effect im Verstandniss und Vortrag liegt, als in der
blossen Ueberwindung von technischen Schwierigkeiten
und Bravouren, dass diese letzteren nur das Mittel, nicht
der Zweck sind." ....
Moscheles bereitet in diesem Winter eine neue Auf-
lage seiner Etiiden Op. 70 vor, giebt seinen symphonisch-
heroischen Marsch, sechs Lieder und vier Vocalduette
'Wf.«^*-..rV;'"\< '-■.'■■ ■''>■- — ■" • ■ frT-^~. " ■*',*. V .^v*y^M"5tTs£?5F
— 303 —
heraus, aber einen Vorschlag, progressive Stiieke zu
schreiben, verwirft er, „weil es beinahe unmoglich ist,
mit solchen Sachen Phantasie zu verbinden."
„Unsere Winter - Musik ist wiirdig durch die Auf-
fiihrung der Passion am Charfreitag abgeschlossen:; nun
steht man vor den Bliithen und Knospen des Friihlings
,„und weiss doch selber nicht -wie."" „Man steht aber auch
im Moscheles'schen Hause vor einem begliickenden Fa-
miliencongress, und als Alle von Ost, ^West und Nord
versammelt sind, schreibt Moscheles:
.... „Das sind die hauslichen Freuden, aber kunst-
lerisch sollen sie sich auch als meine Tochter zeigen."
Von den Enkeln sagt er: „Ich raachte mich zum Kinde
mit ihnen, ich erlaube ihnen sogar auf den Flugeln zu
klimpern; die kleineh Finger greifen sie nicht so stark an,
wie die modernen Clavierspieler." ...
In 'diese Tage fiel Schumann's 5ojahriger Geburtstag, /
der durch die Auffuhrung seiner „Genovefa" im Theater
gefeiert wurde. Das Tagebuch sagt: „Schumann's Oper
fesselte meine Aufmerksamkeit dergestalt, dass ich wah-
rend des ganzen Abends nicht miide wurde, der geniali-
schen Musik zu folgen und mich daran zu ergotzen." —
Auch im Conservatorium gab es dem Meister zu Ehren
eine brave Schiilerfeier. j
In den Ferien geht Moscheles nach Paris und schreibt
seiner Frau : . . . „und nun so fort im musikalischen Depeschen-
Styl, denn wo die Zeit zu einem ordentlichen Brief her-
nehmen? Mme. Viardot sang mir die zwei Orpheus- Ari en
mit den staunenswerthen Cadenzen vor; von Stephen
Heller horte ich seih neuestes Stuck „Genrebild"; mit
Damcke und seiner Frau wird viel musicirt, auch werden
musikalische Ansichten mit dem Denker und feinfuhlen-
den Componisten ausgetauscht. Die Verwandten, Mme.
Erard, Cremieux, Alle nehmen mich gastfreundlich auf
und zuletzt"" muss ich vorspielen. Sie wollen wissen, wie
der Moscheles aus der alten Zeit sich in der neuen aus-
niimnt. Bei dem Lobe denke ich mir dann: Rabattez la
moitie et marchandez sur le reste. . . . Bei einer Kiinstler-
!*^v**p\-;.7?y5-.™ 1 -S -"J 5 .'. 1 .- -.^i'lvllT Vt,^* "j-Vf, . ._^. v . ■ y;r "■*.■ ..t f :;,,.-■ ■: " ■■;■.' y, ■■ -■ ' " -' - ■ : - '■ ■- * - .. ■.-■ ' r; '
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— 304 — ■ . ■ . -■>
■ matin6e, die ich gab, iibersetzte ich mir die blumenreichen
Epitheta, die man mir, wie einer Ballettanzerin die Strausse,
zuwarf, in die richtige Prosa." . . . „Herz hat seine Classe .
fur den bevorstehenden Concours du Conservatoire mem
Es-dur-Concert studiren lassen, aber o weh! in vvelcher
Verrenkung oder Zusammenpressung. . . • Der Director
Auber befiehlt, dass jedem Schuler nur 4 bis 5 Minuten
fur sein Spielen im Concours gestattet werden; also giebt
es 8 Tacte vom Tutti, und dann die Halite des ersten
Solos mit der zweiten Halfte des dritten Solos zusammen.
gezogen. Und darin sollen die Fahigkeiten der Vor-
tragenden sich zeigen? Nimmermehr. Man hid mich . ein,
mit Auber, Ambroise Thomas u. A., in der Jury zu sitzen
aber ich dankte. Nun kommen viele preissuchtige Schu-
lerinnen, um mir mein verstummeltes Concert vorzuspielen.
Sie warten auf den ersten Preis, wie die Jockeys beim
Pferderennen und bitten um meine Protection , wie man
um Votes zu einem englischen Parlamentssitz bittet." . .
,Jch habe viele scheme Fliigel in ihren Fabriken probirt,
unter andern auch die Pleyel'schen Stutzfliigel, die mich
durch ihre Schonheit iiberraschten ; die giitigen Besitzer
wollen mir einen derselben nach Leipzig schicken. Der
Associe, George Pfeiffer, ist ein vortrefrlicher Pianist, der
sehr hiibsche Sachen geschrieben hat. Henri Wieniawski
finde ich unendlich fortgeschritten in seinen Leistungen.
Mme. Marjolin, die Tochter von Ary Scheffer, lebt ganz
dem Andenken ihres grossen Vaters, von dessen Werken
sie in ihren Salons umgeben ist. Ich durchflog im Ge-
sprach mit ihr noch einmal die inter essanten Stunden,
die wir fruher zusarr.men in seinem Atelier zubrachten." . . .
. . . „Aber denke Dir, die Vorstellung der „Semiramis"
war mir ermiidend; die Musik veraltet, die Sanger nicht
nach meinem Geschmack, die Ballettanzerinnen hasslich,
und da ich Auber den ganzen Abend in seiner Loge
schlafen sah, so liess ich den vierten Act im Stich, da-
mit es mir nicht ebenso erginge." . . .
Viel lieber begegnet Moscheles dem Maestro Rossini
ausserhalb der Oper. Gleich in den ersten Tagen Fahrt
' — 305 — ''-■'..'$,
er mit deni Sohn >nach Passy, wo dieser schon seit lan-
gerer Zeit freundlich empfarigen war. ■../
„Man fuhrte uns gleich beim Eintritt in die schone -.-*V
Villa in den Parterre-Salon mit reichvergoldetemAmeuble- -_.v";
ment, und ehe Rossini selbst erschien, besahen wir uns ' -.1
seine Photographie in einem Kranz von Porzellan einge- : 'j;
rahmt, dessen Blatter die Natnen seiner Werke tragen. - ; : '
Der Plafond zeigt in seinen Malereien Scenen aus Pales- ; .
trina's und Mozart's Leben; in der Mitte des Zimmers steht : -_l,
ein Pleyel. Als Rossini erschien, war er siidlich er- ;•
gliihend in seinem Kuss, in seinen Freudenbezeigungen -^
iiber mein Wiedererscheinen, in seinen Complimenten iiber
Felix. Seine, im Laufe des Besuches ausgesprochenen . ■■■-
Ansichten iiber Gesangs-Richtung und Studien waren voll ■ •
schlagender Wahrheit und geistreicher Satyre, besonders
gegen die Neuzeit." „Ich mag nichts mehr davon horen", ; :
sagte er, „sie schreien! Nur eine sonore Stimme, keine '_"!
kreischende, will ich sprechen oder singen horen,' Alles
muss melodisch klingen." Dann sprach er von seiner ."-■■.<
Lust, sich am Clavier zu beschaitigen und'wenn es nicht ' ■ : ,
unbescheiden sei, fur das Instrument zu componiren; nur ,"_
wollten beim Spielen der vierte und fiinfte Finger nicht recht . y
ihre Schuldigkeit thun. Uebrigens werde das Clavier jetzt
misshandelt: „Ils enfoncent non seulement le Piano, mais ,- ;
encore le fauteuil et meme le parquet." Dann kam er ..; j
auf die Natur der verschiedenen Instrumente zu sprechen ,.- -^
und meinte, der Guitarrist Sor und der Mandolinespieler .-■
"Vimercati fuhrten den Beweis, dass man auch mit gerin-
gen Mitteln grosse Kunstleistungen erzielen kSnne. —
Ich hatte die Genannten gehort und stimmte der Ansicht
bei. Rossini erzahlte mir, wie er eines Abends spat in einer
kleinen Stadt Italiens angekommen, sich schon der Nacht-
ruhe freute, als Vimercati, der dort Kapellmeister war,
ihn zu der Vorstellung einer seiner Opern einladen liess.
Damals noch nicht so hartherzig wie jetzt, wo er sich
standhaft weigert, einer Auffuhruhg seiner Werke bei-
zuwohnen, ging er ins Theater und ersetzte dort sogar
den ausgebliebenen Contrabassisten. Dies erinnerte mich
Moicbelei' Leben. U. 20
mW^^^^W^^^WW^^^-'' ' '"—''- -^ ^ ■
sS.'r--- 1 -'--'
— 366 — •
an die fehlende Bratsche und das zutiefe Fagott, in Mo-
zart's D-dur-Symphonie, an denen ich einst in York ge-
litten hatte, und ich zeigte Rossini den Effect am Clavier;
dieser lacht herzlich, will dann aber etwas Ernstes horen.
Ich improvisirte und Rossini fragt: „Cela est-il grave?
C'est de la musique, qui coule de la source; il y a l'eau de
reservoir et l'eau de source; l'une ne coule que quand
vous ouvrez le robinet, elle sent toujours la vase, l'autre
fraiche et limpide coule toujours." Ueber musikalische
Gedanken sagt er: „ Aujourd'hui on confond le simple et
le trivial; un motif de Mozart, on l'appellerait trivial, si on
osait!" Als das Gesprach auf das Leipziger Conservator ium
kam, erfreute es ihn zu horen,, dass man dort das Orgel-
spiel mit Ernst betreibe; er klagte uber den Verfall der
Kirchenmusik in Italien und gedachte mit Begeisterung
der sublimen Schdpfungen eines Marcello und eines Pa-
lestrina. Ehe wir schieden, musste ich ihm versprechen,
ihn noch vor dem Diner, zu dem er mich geladen, wieder
zu besuchen."
Moscheles halt "Wort, und auf seinen Wunsch spielt
Rossini nicht ohne bescheidene Vorrede ein Andante in
B-dur, etwa so anfangend:
woran sich nach den ersten 8 Tacten folgende interessante
modulatorische Wendung anschloss:
^—= = t,l: £
T . T T f f
„Das Stuck ist, was wir Deutschen zahm nennsn
wurden. Er holte dann zwei Manuscript-Compositionen,
eine Introduction und Fuge C-dur und eine Art Pastoral-
Phantasie mit brillantem Rondo in A-dur, die ich ihm vor-
spielen musste. Von einem fehlenden 3, das ich dem Ma-
1 -:,'- r /. ■ ;' ■; ';-'',,"■■■ * ..'. ■■-'-"";.■. .,.■■"-■ .- -.. ,"■..'""■ ! ■."■■'•"'' '•■" '."/■'' s " ?r - '■,■*''
— 307 — ';■'-
nuscript beiftigte, behauptete er, das sei ihm Goldes werth!
C, die mich begleitete, und die ihra schon zu seiner Zu-
friedenheit mein „ Friihlingslied " von Holty und meine
„Botschaft" vorgesungen hatte (ohne vor Angst zu ver-
gehen), musste beide Lieder vor den soeben eingetretenen
Sangern Poncliard und Levasseur wiederholen, ich wieder
spielen. Als er meinte, ich hatte genug melodischen Fluss,
urn eine Oper zu schreiben, erwiderte ich: „Schade, dass
ich nicht jung genug bin, urn Ihr Schiiler zu werden."
Ich muss nun auch seine Manuscripte spielen und das er-
hebt mich zum „K6nig der Pianisten". „Was ich bin, ver-
danke ich der alten Schule, dem Altmeister Clementi",
sage ich, und bei Nennung dieses Namens geht Rossini
ans Clavier und spielt auswendig Bruchstucke aus dessen
Sonaten." ...
Moscheles muss ihm wahrend seines Aufenthaltes in
Paris noch viel vorspielen. In den „humoristischen Va-
riationen" will er Barricaden gefunden haben , so sehr
scheinen sie sich gegen das Althergebrachte aufzulehnen;
den Titel der Grande Valse findet er zu bescheiden. Mo-
scheles miisse mit einer engelschonen Dame getanzt haben,
um ihn hervorzurufen und das sollte der Titel ausdriicken;
der Titel miisse die Spannung des Publikums erhohen. _.;j
„Eine mir widerstrebende Ansicht", fiigte Moscheles hinzu,
„doch discutirte ich sie nicht" „Ein Diner bei Rossini
ist ganz fur Feinschmecker eingerichtet", schreibt Mosche-
les, „und er selbst bewahrte sich als solcher, indem er
den ausgesuchten Schiisseln mit Verstjindniss zuspraeh.
Als ich ihm nach Tische mein Album zeigte, begeisterte
er sich fur jeden darin ver?eichneten Namen; zuletzt wur-
den wir sehr lustig, ich musste meine Scherze am Clavier
machen, F. und C. sich in dem Duett producircn, in wel-
chem ich ihre Singstimme von seine m, rn.it dem Mund "
nachgeahmten Horn begleiten lasse. Unser Scherz machte
bei dem lustigen Italiener Furore und so ging die Heiter-
keit fort, bis er mir einen 1 Kuss zur Gutenacht auf-
driickte." ...
Bei dem nachsten Besuch, der zugleich der letzte vor
^'V^W^*^
Moscheles' Abreise ist, „zeigt Rossini sein gestern com-
ponirtes Manuscript, ein niedliches Lied ohne Worte, die
bekannte technische Form, aus der die reizende Melodie
angenehm hervorsticht. Ueber die Semiramis sagte er:
Nicht wahr, Sie haben hubsche Decorationen darin ge-
sehen? und dabei lachelte er spottisch. Er hat die Mar-
chisios nicht empfangen, aus Furcht, sie mochten ihm
vorsingen, sie auch im Theater nicht gehort. Von der
Pasta, Lablache, Rubini u. A. sprach er mit Warme; dann
meinte er, ich solle ja nicht mit Eifersucht auf sein auf-
keimendes Clavierspieler-Talent blicken, vielmehr ihm in
Leipzig einen guten Namen als solchen machen. Fur
meine Intimitat mit Clementi zeigte er erneutes Interesse;
mich als seinen wiirdigen Erben mochte er gern in Leip-
zig besuchen, nur konne er die Eisenbahn nicht vertragen.
Das Alles ward scherzend hervorgesprudelt. Als- aber
.die Rede auf Chevet kam, der die Noten durch Ziffern
bezeichnet haben will, sagte er ernst, beinahe gelehrt:
die Notenschrift, wie sie sich seit Papst Gregor entwickelt,
sei ausreichend fiir alle musikalischen Erfordernisse. Er
konne zwar dem Chevet seine Anerkennung nicht ver-
sagen, doch habe er als Membre de l'lnstitut das Gut-
achten zu dessen Gunsten nicht bestatigt, weil er die
Ausfuhfbarkeit des Systems fur unmoglich halte."
So spann sich die nie versiegende Unterhaltung bis
11 Uhr fort und dann folgte der nicht ausbleibende Kuss,
dem sich diesmalnoch Abschieds-Segnungen zugesellten." . . .
Als Moscheles abgereist ist, muss der Sohn Rossini
fiber das Ergehen der Familie berichten, und dem Vater
„soll er schreiben, dass Rossini ihm bei seinem nachsten
Besuch in Paris besser eingeiibt vorspielen wird." ...„Dann
kam er auf deutsche Musik zu sprechen", berichtet der
Sohn. „Ich fragte ihn, welche der Classiker er am meisten
verehre." Von Beethoven sagte er: „Je leprends deux fois
par semaine, Haydn quatre fois et Mozart tous les jours, Vous
me direz Beethoven est un colosse qui vous donne sou vent des
coups de poing dans les c6tes, tandisque Mozart est tou-
jours adorable. C'est que lui a eu la chance d'aller tres
'^.^^^^^/l}^-^^^^^-:^.0^'-<
*<: T; iff^W^'^^^^MyiM^W! Z^^vf^^m
3°9
jeune eri Italie a une epoque, ou Ton chantait encore
Men." Von "Weber sagt er: „I1 a du talent a revendre
celuila." Auch das kam zur Sprache, dass man Rossini's
Tancred in Berlin hatte von einer Bassstimme singen
lassen, dass Weber heftige Artikel gegen das dortige
Theater geschrieben, in denen auch gegen den Cpmpo-
nisten gesprochen ward. Genug, als Weber nach Paris kam,
liess er sich durch diese Vorgange abhalten, Rossini zu
besuchen; dieser aber liess ihn wissen, er habe ihm seine
Artikel nicht libel genommen, er moge mir kommen, und
so lernten sie einander kennen. Ich fragte ihn, ob er
Byron in Venedig gesehen? „Nur in einem Restaurant",
war die Antwort, „wo ich ihm vor-gestellt wurde, aber
die Bekanntschaft blieb oberflachlich; il parait qu'il a parle
de moi, mais je ne sais pas ce qu'il dit." Ich iibersetzte
ihm in etwas milderer Form die Worte Byron's, die mir
gerade frisch im Gedachtniss waren: They have been cru-
cifying Othello into an Opera, the music good but lugubrious,
but as for the words all the real scenes with Jago cut out and
the greatest nonsense instead, the handkerchief turned into a
billet-doux and the first singer would not black Ids face.
Singing dresses and Music very good." Der Maestro
bedauerte seine Unkenntniss der englischen Sprache und
erzahlte: „Dans mon temps, je me suis beaucoup occupy de
notre litterature italienne. C'est a Dante que je dois
beaucoup; j'ai plus appris de musique en lisant Dante que
dans toutes mes lecons de musique. Aussi j'ai absolument
voulu introduire des vers de Dante dans mon Otello — vous
savez les vers du gondolier. Mon poete a eu beau me dire,
que les gondoliers ne chantaient jamais le Dante, tout au
plus le Tasse. Je lui ai repondu, je sais cela mieux. que
toi, car j'ai habit6 Venise et tu ne l'as pas habits — il me
faut du Dante." ....
Du sublime au ridicule kamen wir auf meine Zeich--
nung der Marchisios, und Rossini zeigte mir das Duett
aus „Semiramis", worauf sie abgebildet sind. Er hat sich
herbeigelassen , sie zu empfangen, sie haben ihm vor-
gesungen, er ihnen ein Stuck componirt und nachstens
-"..■■■■ .■ ■*'■; '■ ■-'■■"":. i
. — 310.. —
soil ich sie dort trefien. Er hat mir mit grosser Liebens-
•wurdigkeit ein Stuck fur mein Mundhorn componirt und
ins Album geschrieben. Oben dariiber steht: „Theme de
Rossini suivi de deux variations et Coda par Moscheles
pere", und darunter schrieb er: „offert a mon jeune ami
Felix Moscheles. G. Rossini, Passy, ce 20 A out 1860."
Als der Sohn dem Vater die Abschrift dieses Stuckes
einsendet, werden sofort die „bestellten 2 Variationen
nebstCoda" geschrieben, dann bei dem Maestro angefragt,
ob das kleine Stuck ihm dedicirt erscheinen diirfe. Man
erhielt folgende Antwort:
Paris-Passy, 186 1.
„Mon Maitre (de Piano) et Ami!
Permettez moi de vous remercier de votre aimable
lettre. Rien ne pouvait ni ne devait m'etre plus agreable,
plus ilatteur qu'une dedicace de vous. Ce temoignage de
votre affection est d'un prix inestimable a mes yeux, je
vous en remercie avec toute la chaleur qui me reste, et
qui n'a point encore glace mon vieux coeur.
Vous me demandez l'autorisation de faire graver le
petit theme que j'ai note pour votre cher fils; — elle
vous est accordee. Rien de plus honorable, cher ami, que
d'associer mon nom au v&tre dans cette petite publication,
mais helas! quel est le role que vous me faites jouer en si
glorieux mariage? Celui du compositeur vous octroy ant a
vous le grand patriarche, l'exclusif du pianiste. Pourquoi
ne voulez vous done pas m'admettre dans la grande famille
un de plus hein! quoique je me sois place tres modestement
(mais non sans vive peine) dans la categorie de pianiste
de 4 4me classe. Voulez-vous done, cher Moscheles, me faire
mourir de chagrin?
Vous y reussirez, vous autres grands pianistes, en me
traitant en Paria, oui vous serez responsables devant Dieu
et devant les hommes de ma mort.
Veuillez me rappeler au souvenir de Mme. et des chers
enfants, en agreant pour vous l'affection sincere de votre
ami de coeur ^ t-, ■ • „
tr. Rossini,"
— $ n — _ ■.'/'■■'%
Hier ein Auszug aus Moscheles' Erwiderung:) '*
„Mon cher Maitrel Savez vous, quel est mon numero '.;
favori? C'est le numero 4; nous lui devons l'harmonie
la plus parfaite; 4 voix humaines, les quatre instruments du
' Quatuor, le pianiste enfin de 4err.e classe qui en lui seul , : ;i
represente l'harmonie de toutes les voix et de tous les
instruments. N'allez pas me dire, cher Maitre, que vous
detestez' le meme Nr. 4, puisque c'est la 4eme lettre que
je vous ecris depuis peu, puisque c'est le 4eme protege , ■;'
que j'autorise de frapper a votre porte hospitaliere" ...
Dem Pariser Aufenthalt folgen vier Wochen des
Familienlebens in Boulogne; nur musicalisch gefallt es
Moscheles dort nicht.. „Ueberall in Frankreich verfolgt
mich das leidige Tremuliren, die Alboni wurdigt ihre
prachtvolle Stimme dazu herab, Streich- und Blasinstru- ':
mente, Harmonium und Drehorgeln, ja sogar Claviere
wollen diesen geschmacklosen Effect nachahmen; — bei
einer Preisvertheilung spielt eine ordinare Musikbande mit
einaugigen Instrumenten und die grosse Trommel donnert
dazwischen hinein; — bei einer kirchlichen Prozession
werden die Cantiques unrein gesungen und vaudeville-
artige Melodieen sind mit in die Musik hinein verflochten. .
In Wien muss sich auch Vieles verandert haben, wenn
mir der Sanger R. wahr erzahlt. Es soil nicht mehr so
sein wie damals, als ich Beethoven in wachsender Glorie
verehrte, ich selbst aber unter dem schiitzenden Maecenat
der Familien Arnstein, Eskeles u. A. geborgen war." ... ..:.'.
Bei der Riickkehr nach Leipzig hat man zwei Trauer- y ;
falle verschiedener Art zu beklagen. Bunsen ist der
Wissenschaft, und Zollner der Gesangswelt entrissen. Mo-
scheles gehort zu dem Comite, das dem Mitburger und .^
Kunstbruder ehrenvolle Auffiihrungen vorbereiten soil.
„K.einecke tritt seine Stelle als Director der Gewand-
haus-Concerte an", schreibt Moscheles, „und beginnt seinen
Wirkungskreis wurdig, indem er viel alte Musik zur Auf-
fiihrung bringt. Die Musical Society of London sendet
Moscheles ein Diplom als Ehrenmitglied , von einem
schmeichelhaften Schreiben begleitet. Er componirt eine
Toccata in Fis-moll fur das Mozart- Album, auch ein zwei-
stimmiges Weihnachtslied und fugt dem Brief, in welchem
er dies mittheilt, hinzu: „Icli wiirde grossere Sachen fur
mein Instrument schreiben, hatte ich merit die Ueberzeu-
gung, dass man sie doch nicht in die heutigen Programme
aufhehmen wiirde. Nur Beetbovens, Mendelssohns, Schu-
manns und Chopins Concerte werden gespielt. Mozart
und Hummel bleiben ganzlich liegen, und vori meinen
acbt Concerten erlebt das in G-moll eine immer seltener
werdende Auffuhrung. Ich bilde mir ein, dass meine
characteristischen Etuden, meine grande Valse und einige
meiner andern Solostucke durch Bravour ziinden, mein
Kindermarchen und meine As-dur Etude mit den moder-
nen Notturno's um die "Wette singen konnten. Doch ver-
sucbt es keiner meiner Collegen, sie oifentlich horen zu
lassen, — ich selbst spiele nicht mehr in Concerten, und
— um mit Byron zu reden — for the sexton authorship,
the trunkmaker — zu deutsch fiir einen Verfertiger alter
Koffer-Maculatur, die darin begraben bleibt, halte ich
mich denn doch zu gut. Wollen die Ratten und Mause
solche Speise zum Zernagen haben, so soll.es nicht meine
Musik schon bei lebendigem Leibe sein. So mache ich
mitunter ein Stuck fiir eine milde Stiftung oder schreibe
Lteder und kleinere Stiicke fiirs Haus — auch fur die
Enkel; ich beschranke mich darauf, aber nicht aus Kraft-
losigkeit, sondern aus Stolz. Dies meine musicahsche
Ohrenbeichte fur Euch zum Jahresschluss."
1861.
Leipzig feiert in diesem neuen Jahr -das 25jahrige
Jubilaum seines Concertmeisters David, Das Gewandhaus,
die Schiiler und die Freunde bringen ihm wohlverdiente
Ovationen. „Als ich ihm gratulirte", schreibt Moscheles,
„zeigte er mir den Brief, in welchem Felix Mendelssohn
ihm die Concertmeisterstelle antragt ; er ist so schon und
' ' '';■■ ■■J?! ■ '.-"" .". " ""' -' ■" '-. ■' '-> . '-: '■■: " '■--.. -1 , " ■■"" .' ■;'; ■' "'■ i' '' V-.-T. .' r "*-*&&
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- m — ■ - - ' ..; v /,':-.|
herzlich wie Alles, was er schrieb. Erist in seinen Briefen ' ■ ~'^
eben so gross an Seele wie in seinen Werken, und wie ~.*,f
begliickt spricht sich das jngendliche Kunstlergemiith bei . : : ' ; |
seinem ersten Ausflug in den Siiden aus. Dabei geniesst ■.-?■*-*
er Alles doppelt, weil er es in warmer Sohnesliebe von ■■■* ^,
seinen Eltern empfangen hat. Welches Aufsehen werden
diese Reisebriefe erregen! Ich rnochte ihnen den Titel
.geben: Schule fur den~KLiinstler und Menschen."
„Danreuther, Lienau, Miss Schiller machen mir viel ,.■■_.
Freude als Schiller ; — die Prufungsconcerte fielen . . ■ " v
brillant aus; ■ — Sullivan's Musik zu Shakespeare's tempest _. ' '\;
klang frisch und klar, und er hatte den einstimmigen ; : "!
Hervorruf am Schluss wohlverdient, dennoch habe ich s;
manche Plagen, was die Schiiler betrifft. Ich rnochte ' .. ':-
ihnen eine klassische Richtung geben, und es wird mir in
diesem Vorhaben nicht immer in die Hande gearbeitet.
Sehe ich aber wie kurzlich, dass Dieser Herz, Jener •
Thalberg studirt, urn sie in der Abend-Unterhaltung zu
spielen, so trete ich dagegen auf. Diese jungen Leute
haben noch so manches grosse Vorbild kennen zu U:
lernen, warum sollen sie ihre Studienjahre schon auf die ,,
Modetandelei verwenden? Dazu bleibt hoch Zeit, wenn sie _ r
die Classiker inne haben; diese veredeln den Geschmack, .'. ... :
jene ziehen ihn herab." '_k
„Die Gewandhaus-Concerte begannen mit der g. Sym-
phonie. Welch' schoner Anfang; es ist das Riesenwerk .:
eines Riesengeistes,"
„K6mpel, Strauss und Lotto leisten Grosses auf der ;;
Geige, ja der Letztere ist eine Art Paganini". — „Frh ';
Ingeborg Stark zeigte ihr grosses Talent in dem reichen
Programm ihrer Matinee. Mit den Verbramungen in
Liszt's Arrangement von Mendelssohn's Sommernaclits- '':
traum war ich wieder unzufrieden; sie passen ebensowenig
dahin, wie die Crinoline fur eine Venus von Milo." -
Bei David sah ich sechs oder acht M. S. Quartette
und Quintette von Beethoven. Sie gehoren Herrn Paul
Mendelssohn, der sie ihm lieh, urn eine neue Auflage fiir
Breitkopf und Hartel danach zu redigiren. Sie enthalten
— . 314 — '
einen Schatz von Belehrung selbst in den weggestrichenen
Stellen oder einzelnen Noten."
In diesem "Winter giebt es in Leipzig eine franzd-
sische Vaudeville-Truppe und spater eine italienische
Operngesellschaft. „Die Damen Trebelli und Moriani, die
Herren Galvani und Zucchi srngen schon, aber die Opern
Lucrezia Borgia, der Trovatore u. dgl. haben keinen Reiz
fur mich."
Lieber beschaftigt er sich mit dem. Altmeister Bach;
spielt ihn aber nicht nur, sondern lasst sich durch Gou-
nod's Beigabe einer Cellostimme zum ersten Praludium
des wohltemperirten Claviers, zu einer ahnlichen Arbeit
anregen. Es entsteht eine • Reihenfolge von zehn eigenen
Melodien fur Cello, welche zehn der Bach'schen Praludien
begleiten, und spater iibertragt er diese Melodien mtt
erhohtem Effect auf ein zweites Clavier. Er selbst liebte
diese Arbeit; von Einigen ward sie auf gehassige Weise
getadelt und gesagt: „Wozu dem unverbesserlichen Bach
diese Melodien unterlegen? Hatte er sie doch selbst
• schreiben konnen, wenn er die Lust dazu verspiirt hatte."
Die Mehrzahl der Kenner und Kunstrichter aber erfreute
sich an den orchestralen Effecten und der contrapunk-
tischen Verarbeitung dieser Composition, die sie „stylvoll
und wohlklingend" nannte.
Moscheles selbst sagt dariiber: „Ich werde geruhmt
oder arg mitgenommen wegen dieser Praludien; aber viel-
leicht werden sie doch Einigen durch meine Melodie be-
kannt, die das blosse Praludium als zu trocken nicht ge-
spielt hatten, und dann bin ich zufrieden; eine genauere
Kenntniss von Bachs Werken kann nur forderlich fiir
die Kunst sein. Ich komme mir bei diesem Arrangement
vor wie unsere Romanschriftsteller ; sie konnen einer
wichtigen Tagesfrage eher in einer romanhaften Um-
hiillung als in einer trockenen Abhandlung Eingang ver-
schaffen."
Ein Familienereigniss frohester Art ruft Moscheles
und seine Frau nach Amsterdam, und dann gehen sie
nach London. Von dorther schreibt Moscheles: ,Ja
•">-''■-"'' '-'"-',■. ' . -;■"■■" '_ ;" -' '■ L ; ' : "■'■": ■ , ■*>"*■'>.'"■: '■■':> ~-'~^-/ : ''- : "-'''"Y''V/ ; -^-^?3V&&
■ — 315 —.- " -.''tI
so eine Londoner Saison ist anstrengend ■ ich geniesse -./;;
wenig Nachtruhe und doch schreibe ich schon am 7 Uhr „■;'•■
friih,- und schon die Masse des hier Gehorten verdient ; ,- r ~\
diese Aufzahlung als staunenswerth. Alle Nationen sind ^
als Sanger vertreten. Mme. Miolan-Carvalho macht den £
Franzosen Ehre, die Tietjens und Formes uns Deutschen, '
von Englandern muss ich Sims Reeves, Mm. Parepa und ,:M
Mrs. Lemmens-Sherrington loben; die Grisi macht eben ; .
dem neu aufgehenden Stern Adelina Patti Platz, indem ■ "
sie ihre Abschiedsvorstellungen giebt; diese Patti mit S''
ihrer biegsamen Stimme geht hinauf bis in's dreige- :"
strichene F, ohne dass es ihr schwer iiele; ihr schones, ja "'.'.'..
ausgezeichnetes Talent bei so grosser Jugend interessirte '
mich ungemein. Mitunter hore ich einen Sanger, der tre-
mulirt wie ein geborstener Resonanzboden, dann mochte ,; ;
ich davon laufen." ... ' ';
. , . „Ein Tag bei Otto Goldschmidts war reich an '■-']
Geniissen, nirgends driickender Luxus und doch Eleganz; . i
nirgends ausserer Prunk, aber desto mehr innere Gemiith-
lichkeit. Und nun erst die Musik. Mit Otto Goldschmidt ' ;
hatte ich die Freude, mein Hommage a Handel zu spielen - :
und zwar ohne Concession meiner besseren Ueberzeugung, ■ :
vielmehr in vollkomrr.enem Einverstandniss. Auch die : '-Z
Bachpraludien spielten wir und er bezeigte mir seine Be-
friedigung fiber die Idee und Ausfuhrung. Seine Frau
in ihrem eigenen Hause Lieder sin gen zu horen, ist ein //■
unbeschreiblicher Genuss; ihre Stimme klingt noch so , '
schon wie immer, sie begeisterte uns" ...
Eine Anfrage des Old Philharmonic an Moscheles, ' ■■-:
„ob dieser in einem ihrer Concerte spielen wolle", ruft die
alten Bedenken wegen des „nicht mehr offentlich Auf-
tretens hervor; das einmal aufgestellte Prinzip sollte ge-
wahrt werden und doch fallt der "Wunsch, den alten ■"■
Freunden und Collegen angenehm, vielleicht niitzlich zu
werden, so schwer in's Gewicht, dass er schreibt: „Ich .
habe doch eingewilligt, aber mit dem Bedeuten, dass ich
nur aus alter Freundschaft, nicht um ein Honorar spiele."
Moscheles fiihlte sich bei diesem Auftreten — dem ersten
■" ■'— sit .— ;
in England nach einer funfzehnjahrigen Pause — keinen
Augenblick beunruhigt und sagte beim Eintreten in den
Saal lachelnd zu seiner Fran, der er wohl die Spannung
ansehen mochte: „Du angstigst Dich doch nicht? Ich
denke schon zu spielen und Dir Ehre zu machen. Bei der
Probe hast Du mich durch die Freundschaftsdemonstra-
tionen uberwaltigt gesehen; — sie hatten mich iiberrascht
— heute bleibe ich fest, wie sie auch klatschen und mit
den Fidelbogeh klappen — sei Du nur ganz ruhig." Und
wirklich liess er sich durch den Beifallssturm, durch die
lauten Bravo's, das Tiichersclvwenken nicht iibermannen.
Die Scene passte eher in's Theater als in den Concertsaal,
und hinterher gingen die gluckwiinschenden Freunde,
die dankbaren D.irectoren bei Moscheles ein und aus, und
Alle behaupteten, er habe gespielt wie nie zuvor, habe
:sich selbst iibertroffen.
Ein spaterer Brief sagt: „Ich will heute nur von
meiner Bekanntschaft mit Mazzini sprechen. So hatte
ich mir den oft verschrieenen Verschworer nicht gedacht;
denn er erscheint angenehm und ansprudhslos , spricht
selbst uber Politik ruhig und scheinbar harmlos und
interessirt sich lebhaft fur Musik. Seine Guitarre be-
gleitet ihn in alle seine politischen Verstecke, und Meyer-
beer ist sein Lieblingscomponist. Cavour's Tod, Gari-
baldi's Unwohlsein, die Quasi-Gefangenschaft des Papstes,
Alles ward von ihm besprochen, immer aber zum
Schluss hinzugesetzt : „die Vorsehung werde schon Alles
zum Besten fiihren." . . .
Die Londoner Kinder und Enkel begleiten Moscheles
und seine Frau nach Boulogne und er wiinscht sich
ganzliche Ruhe, wird aber stets mit in die Musik hinein-
gezogen, die ihm in alien Stiicken missfallt. „Das Bou-
logner Invalidenorchester", „die Musikbande, die den Saft
aus Robert leDiable quetscht", „der mittelmassige Concours
de Chant, bei dem sie mich in der Jury mit aufpflanzten",
„em Geiger geigt wie toll", „die Sanger tremuBren und
cadenziren." Ein empfohlener Clavierspieler zeigt ihm ein
„,Notturno", das einen unruhigen Schlaf bringen miisste,
■.-'•■ ~ V 7 ~^- '''.'.
horte man mit beiden Ohren'zu, wenn er es spielt; sein
Concert ist eine an Passagen uberladene mechanfeche ,
Arbeit, Er nennt sie zu gelehrt fur Paris, ich unpassend
fiir Deutschland. Ich gestand ihm und vielen seiner .
Collegen die Eigenschaft zu, das italienisch melodische-
Element geschickt aui's Clavier ubertragen zu haben,
doch sei man davon iibersattigt, und nur Liebhaber, die-
Ohr und Gefiihl am dolce far niente verwohnt, konnten
" das noch ertrageri. Er meinte, die deutsche Musik sei
trocken und gelehrt : ich spielte ihm Motive aus Mozart,
Beethoven und Mendelssohn, das musste ihn schlagen.'^
„Aber die waren Genie's", sagte er endlich. Und ich:
,Ja, und nur Genie's sollten componiren, die Andern aber
die Meister studiren, bis ihnen die richtige Erkenntniss
kommt."
Bei der Rtickkehr in Leipzig findet der gute Gross-
vater Zeit, einem Enkel zu schreiben : „Weisst Du, lieber
Fritz, dass seit Sonntag die Messe bei uns voriiber ist?
Diesmal war Renz nicht da, nur die Affen spielten Ko-
modie; aber ich ging nicht hin, um sie zu sehen, weil
mich kein kleiner Junge mitnahm, sondern blieb zu Hause
und lernte meine Lection am Clavier". Spater schreibt
er: „Viele verlangen Auskunft von mir, wie man wohl-
feil zur Unsterblichkeit befordert, wie man, trotz leichten
Calibers zur Kunstgrosse wird, und da ich ihnen nicht
helfen kann, so halte ich mich lieber an die Bitte des
Finanzraths M. M. von Weber, der seines Vaters Biographie
schreibt und Notizen uber seine letzten Tage von mir
verlangt, die mein Tagebuch ihm liefern wird."
„Rubinstein hat uns wieder mit seiner gigantischen
Kraft vorgespielt; einige seiner Stiicke barock, andere
genialisch, oft beides in Einem. Jean Becker liess sich in
Rubinstein's Violin-Concert im Gewandhaus horen; das
Spiel meisterlich, die Orchester-Efiecte pikant, besonders
im Adagio. Meine Bachpraludien gefielen Rubinstein
sehr, als er sie mit mir probirte, und er wiinschte sie
auch fiir Cello zu horen. Davidoff spielte sie und
iiberraschte uns durch seinen seelenvollen Ton und Vor-
■"■■■ W'Via.-.---,--
*
trag. Gut, diass die Kunst erwarmt; draussen ist es
schon herbstlich, wir haben unsere Friihpromenaden ein-
gestellt und die Leute drangen sich, urn ihre Billette zu
den Concerten einzulosen. Gounod's Faust wird hier und
in Dresden gegeben und ich horte die feine, pikante
Musik in beiden Stiidten mit grossem Genuss. Sie wird
eine Zugoper, wie auch die Kritik gegen die Verstumme-
lung des Goetheschen Meisterwerks eifert ; denn es ist ein
frisches interessantes Werk, das melodischen Fluss und
schone Instrumentation hat."
Ein spaterer Brief erzahlt: Die Trebelli ist
wieder da, und machte schon in der Gewandhausprobe
Aufsehen, indem sie eine voile halbe Stunde auf sich
warten Hess, wahrend welcher das ungeduldige Orchester
drei Fasser Bier schliirfte und 500 Cigarren rauchte. Aber
auch ihre klangreiche Stimme, ihre Coloratur und ihr
"Vortrag machten Aufsehen, obwohl sie drei banale Stiicke
sang und einen kuriosen Triller auf e machte, der so
klang, als wiirde eine Saite gestimmt, wo man Schwe-
bungen von einviertel und eindrittel TSnen hort, und
endlich etwas wie eine kleine Secunde. Ihre Triller auf
anderen Noten waren correct und schon." "Von einer
andern Sangerin heisst es: „Sie articulirte den Text so
schlecht, sie hatte eben so gut konnen feing tsang tsu
singen. Schoner Ansatz und reine Intonation konnten
■ mir nicht den Mangel an declamatorischem Vortrag
ersetzen. Die Singstimme soil nicht bios ein Instrument,
sie soil ein sprechendes Organ sein." — „Ferdinand Hiller
hat mir sein neues Concert in Fis-moirgeschickt, das ich
fur eine der besten Compositionen unserer Zeit halte." —
„Taubert's neue Sonate gefallt mir gut." . , . „Als Ant-
wort auf Deine Frage sage ich; ja, ich glaube, dass
Beethoven Katholik war, aber Freigeist zugleich. Fromm
muss er aber auch gewesen sein, denn seine Musik spricht
zu den Herzen aller Nationen, sowie Bach und die Alten,
Mozart und Mendelssohn es in ihrer geistlichen Musik
thaten. Ich hatte schon die Feder eingetaucht, um noch
ein wenig zu plaudern, da kommen mir auFzunehmende
-.■■' '.-■ ;■ : -■■■-■:■■■ ■ , : *■■:-;. ;-^-:r-:;^^;.\;v;^!=i ^^
. — 319. — ^ -■:.-;.;■:?
Schiiler mit Vatern und Miittern in die Quere. So schicke, .:'
ich nur meine Gedanken und Kiisse; das Uebergewicht .',-_■
erhalten sie durch meine Liebe " ■ . .. &
Mendelssohn's Sterbetag wird diesmal wegen des" /.'
Neubaues im Conservatorium nicht begangen, im Decern- ' . ,£,'
ber ist dieser beendet. „Der neue Saal fasst 700 Per- *$
sonen", schreibt Moscheles, „und ist gut akustisch; er soil
zu des Konigs Geburtstag mit einer Schiilertnusik einge- ;"j
weiht werden. Dies schreibe ich Euch, weil ich gern als guter
Eamilien-Cor respondent gelte, zwischen Conservatorium.
und Euterpe, Da Euch die Zeitungen vom miirrischen : .
Vesuv, vom wackelnden Papst und Englands Trauer be-
richten, so will ich die wichtige Local-Neuigkeit mitthei- - ;-:
Ten, dass wir kohlensaure Buden mit kohlensauren Jung-
frauen und ein Packtrager-Institut bekommen haben, und
ist Euch das zu trivial, so erhebe ich mich gleich wieder
in's KLunstgebiet , denn auch da giebt es Novitaten:
25 Variationen von Brahrns iiber ein Handel'sches
Thema, sehr interessant; die neue „Michel Angelo-Ouver- . y
tiire" von Gade, ansprechend; — Schumann's Fest-Ouver-
tiire iiber das Rheinweinlied, ein besonders klares freund-
liches Werk, das ich wiederhoren muss; aber als Gegensatz
gab es auch eine neue Ton-Mosaik, von einem anderen
Autor, die ich durch folgende Worte naher bezeichnen
mochte : Mystik, Leichentuch, Verdammniss, Trommelfell ^j
mit gliihenden Zangen gekitzelt, Scheintod! — -Ich fiihlte
mich beim Anhoren in einem Fieberzustand" . . .
Lassen wir auch den Vater in -einigen Ausziigen
aus Briefen an seine Kinder auftreten. Er schreibt :
. . . „Ich spreche Dir denselben Muth zu, den wir
bereits gefasst haben. Ich bin ein Optimist und habe
mich nie getauscht. Das Schlimmste, das mir begegnet
ist, hat doch noch immer ein gutes Ende genommen und
so wird sich mein Gliick segnend fur Dich fortpfianzdn.
Wir wollen von Wiinschen leben und an Hoffhungen
zehren, bis wir uns gegenseitig zu unserer Ausdauer Gliick
wiinschen konnen." Bei der Geburt seiner Enkelin Octavia
schreibt er^ „Ihr habt uns durch den Klang der Octave
1
■\ :: '-' ■' , '''■ : '" ;.'. ' — '320- .— '
alle Toffstufen- der 'Freude ' durchlaufen ■ lassen. Wir
beriihrten alle Intervalle, die reinen waren vorherrschend,
und die verminderten wurden durch ubermassige ersetzt
Die freudige Stimmung hat mich zu zwei kleineren
- Vocalduetten — Dankgebet und Wiegenlied — begeistert,
die icTi hier beilege." Und wieder einer Tochter: „Es
macht mir Freude, wenn ich sehe, wie Du Dicb fiir mei-
nen in der Kunstwelt errungenen Namen interessirst
und es nicht gern siehst, dass ich von einem musika-
lischen Schriftsfeller kalt genannt werde, weil ich nicht
der von ihm vertretenen Richtung angehore. Ich finde
mich recht glimpflich von ihm behandelt, weiss iibrigens,
dass die* KLunst und ihre grossen Schopfungen, so wie der
grosste Kunstheros Beethoven, mich stets erwarmt
haben. Es gliiht Gottlob in mir fort, und das bis in die
Fingerspitzen hinein; doch lasse ich die innere Flamme
nicht zum Dache hinauslodern. Ich habe zu viel Ehrfurcht
vor den klassischen Werken, um sie einem versengenden
Vortrag zii unterwerfen. Als ich neulich beim Schiller-
fest liber das Lied „an die Freude" phantasirte, muss ich
recht warm gewesen sein, da man mir offentlich und pri-
vatim Lob spendet." .... „Ich hatte versprochen, im
Orchester-Pensionsfonds-Concert mit Frau Schumann und
Reinecke ein posthumes Triple-Concert von Mozart zu
spielen. Da dieses aber eine Jugendarbeit zu sein scheint,
die sich beim Probiren als klein und unbedeutend erwies,
so entschlossen wir uns, lieber das in Leipzig noch nicht
gehorte Triple-Concert von Bach (C-dur) zu spielen. Es
war mir ein erhebendes Gefuhl, als ich vom Publicum,
wie ein Vater mit seinen Kindern empfangen wurde, als
wir dann unser Stuck wie aus einem Gusse vortrugen
und ich beim Hervorruf Frau Schumann an meinem Arm
herausfuhrte." ■ . .
r
^."^^^^^mj^^^w^^^&^^w^B^^.
— 3 21
1862 — 1870.
Wir finden Moscheles in diesen Sechziger Jahren noch
in voller Geistes- und KLorperfrische , unermiidlich im
Lehren wie im Horen, und eben deshalb doppelt.empfind-
lich gegen einige Uebelstande, welche ihm der Zeitutn-
schwung nicht ersparte. Als Jungling hatte er es, wie
wir gesehen haben, vvermieden, seinem Dionys Weber un-
treu zu werden, indem er sich jedes andern Unterrichts.
enthielt; an seinen Lieblingsschulern aber musste er es-
oft erleben, dass sie zu andern Meistern ubergingen, un-
ter denen sein Legato, seine Weichheit des Anschlags
gegen das moderne Martellato eingetauschf wurden. Statt
seiner Gemessenheit erprobten sie die Kraft des losen
Geienkes, statt seiner Massigkeit im Gebrauch beider Pe-
dale lernten sie deren fast unausgesetzte Anwendung.
Das betriibte inn. Nicht minder die Geschmacks-Richtung
in der modernen Composition. Er klagte oft uber die
grellen Contraste: „Zu viel Weltschmerz und zu viel don-
nernde Effecte", mit denen man das grosse Publicum an-
zulocken und zu entziinden wusste; ef konnte es auch nie
anders als eine „Gewissens-Entlastung" nennen, wenn man
in einem Concert den Bravour-Solostiicken eine von Bach's
grossartigen Fugen voranschickte, „und noch dazu prestis-
simo"; dahingegen erfreute es ihn aufrichtig, wenn Haydn's
Humor, Mozart's Cantilene, Beethoven's Grossartigkeit die
gebuhrende Anerkennung fanden, „wenn Freund Mendels-
sohn noch fortlebte". Nur hatte er dabei oft an den
Tempi zu tadeln; ihm fehlten iiberall die Traditionen
seiner Jugend. „Die rasende Schnelligkeit , die mancheK
Notchen verschluckt", — „das Ausspinnen eines Andante,
bis es zum Adagio wird", — „ein' Andante con moto, dem
das moto fehlt", „ein Allegro comodo, das sich's gar nicht
mehr bequem macht," das Alles storte ihm den Genuss.
Im Anfang wagte er, den jungeren Kunstbrudern seine
Ansicht dariiber mitzutheilen, doch blieb sie unbeachtet,.
und- da es nicht in seiner Geschmacksrichtung lag, sich.
fttoscheW Lehen. 11. jl
?' "• ' '.--. '-''■.■ ; — 322 — '■•"''■
einer Zeitbewegung entgegenzustemmen , so „nahrte er
sieh" an solcher Musik, die er liebte, und in der Weise,
wie er sie liebte — und schwieg.
Er selbst hatte gleichmassig ruhig gelebt und ge-
schrieben; — ein sanft dahingleitender Bach, in dessen er-
frischender Kiihle Vieles gedieh, an dessen Ufern lieb-
. liche Blumen entsprossen waren. Auch bewahrten ihm
alt& Freunde in dankbarer Erinnerung manches dort ge-
pfliickte Vergissmeinnicbt. Dann aber breitete sich eine
Riesenpflanze fiber das ganze Gewasser und umspann es
wie mit einem Zaubernetz. Scbon jedes einzelne fremd-
artige Blatt ward angestaunt, und als die Pflanze vollends
erbliihte, eilte Alles herzu, um sie zu bewundern. Da ward
im Gedrange jedes Bliimchen am Ufer des Baches zer-
treten. Ob auch in der "Wurzel zerstort? — das muss ein
neuer Friihling lehren.
Einstweilen schien die Wintersonne des Jahres 1862
erwarmend auf das jugendliche Greisenhaupt des Meisters,
denn es war ein der Familie theures Haupt.
Die Liebe zu ihm, die in den alteren Mitgliedern un-
geschwacbt fortlebte, war von den Kindern auf die Enkel, j
von den Neffen und Nichten auf ihre Kinder iibergegan-
gen und wurde herzlich erwidert. Fiir diesen Kreis
hatte er stets „eine hiilfreiche Clavierstunde" — „ein er- i
leichterndes Arrangement" — ein „bischen Anweisung in ,
guter Notenschrift." Fur diese „braven Dilettanten" wurde
bald eineCello-Partie, bald ein Lied, ein Albumblatt, ein
Tonleiter stuck geschrieben, — bei den sich oft wieder-
holenden Familienbesuchen — „dies und das einstudirt,
aber mit dem 'richtigen Fingersatz, wie er eben fiir die
Hand passt."
War man durch die unerbittliche Feme getrennt, so
hatte er „als guter Familien-Correspondent" Zeit zu brief-
licher Erzahlung oder musikalischer Aufklarung. So
schreibt er dem Sohn als Erwiderung auf einige An-
fragen: „Beethoven hat nicht weniger als drei Ouver-
tiiren in C-dur zu seiner Oper Leonore geschrieben, der en
erste 1805 zur Auffiihrung kam; als aber das Werk im
Jahre 1814 ganz umgearbeitet unter dem Namen Fidelio ]
gegeben wurde> componirte er noch eine in E-dur hinzu.
Das nennt man Gedanken-Reicbthum." . . . Rossini's Tell
liebe ich eben so sehr wie Du; er hat darin sein Genie
der deutschen Gediegenheit angepasst, und die sogenann- _;,
ten Coloratur-Knalleffecte weggelassen. Freilich vermin- -
dert das seine Popularitat, aber als Musiker erhebt es
ihn." . . . „Du weisst — ich habe die Gewohnheit, mir
hier und da etvvas aus den Zeitungen abzuschreiben, und
so fand ich neulich folgendes auf beide Napoleons Be-
2Ugliche:
L'oncle et le neveu sont des gloires egales,
Mais ils ont parcqam des chemins indgaux.
Si l'un de 1'iHrauger a pris les capitales
I/autre de son pays a pris les capitaux.
Nock mehr aber schlagt es in mein Fach, dass ira.
Programm des Concert du Conservatoire stent: „Ouverture
de Jubel . . , Weber." ...
Ein andermal, als er grosse Freude an dem Spiel des
spanischen Geigers Monasterio hat. „der im Carneval de
Venise excellirt und trotzdem die Kxeutzer-Sonate und
Mendelssohn's Violin-Concert klassisch spielt", empfiehlt
er ihn Rietz in folgenden Worten: „Ich erlaube mir Ihnen
den Ueberbringer, Herrn de M. als einen der extrafeinsten
Kiinstler vorzustellen. Seitdem das zahlende Concert-
Publikum mit Paganini begonnen, seit uns die Bibel
von David und Joachim erzahlt und mangern mitErnst
concertirt, seit der Becker fur einen Kreutzer Nahrung
liefert, und unter Laub am fliessenden Lauterbach die
schmachtende Violine singt, die Hazardspiele verpont
sind und man aufs Lotto hofft, seitdem die "Virtuosen
sich mehr als Dreyschock-weise mehren, ist kein so an-
muthiger Herzens-Eroberer erschienen, wie der junge
Klosterbruder Monasterio." ...
Einer Tochter schreibt er: „Gestern Abend sahen wir
im Theater Mendelssohn's Walpurgisnacht von Eduard
Devrient scenisch eingerichtet. Wir hatten grosse Freude
daran, Alles machte sich vortrefflich: Bertram's Druiden-
^^^'Ws *&££'&■&■ JfSp^^S^AS^X c r " -t^ 5 ^
— 324 —
Priester war ausgezeichnet und das Publikum dankbar en-
thusiastisch. — Ich habe kurzlich Nahrung fur meine Lieb-
haberei gefunden, interessante Autographen zu sehen. In
der Sammlung des Freundes Gen.-Consul Clauss einen Brief
von Beethoven an einen Herrn von Warena in Gratz, der
wieder seinen Seelenadel bezeugt; ausserdem nichts Ge-
ringeres als die eigenhandige Partitur der Singstimmen
zur Pianoforte - Phantasie mit der eigenen Abtheilungs-
weise Go-tter, Gu-nst, und interessante Bach-Autographen.
Dann wieder bei Breitkopf & Hartel 2 posthume Streich-
Quartette von Cherubini, welche die "Wittwe ihnen zur
Herausgabe schickte und bei Peters eine Manuscript-
Orgelfuge und die Clavierstimme des B - dur - Concerts,
beides von Bach. Wie gern halte ich solche Verkorpe-
rungen der edelsten Gedanken in den Handen!" . . .
Nach seinem Geburtstage schreibt er: „Das war ein
glorreicher reizender 68. Geburtstag! Vor Allem danke
ich Gott fur meinen vortrefflichen Gesundheitszustand.
Die liebenswiirdigen Gratulantinnen bekomplimentirten
micb so einstimmig iiber mein gutes Aussehen, dass sie
michzumGeckentnachenkonnten, wennich nichtwiinschte,
ausschliesslich meiner Frau zu g - efallen, und mich in irgend
einer Weltausstellung als Model-husband (Muster-Ehemann)
sehen zu lassen. Spat, als ich die Feier schon beendet
glaubte, erscholl vierstimmiger Gesang aus nicht weniger
al.s 60 Schiilerkehlen unter der Leitung des jungen Boas.
Eine wohlgelungene Ueberraschung, die in einer Bowie
Maitrank ihren Untergang fand." . . .
Wenige Tage spater reist Moscheles zum Musikfest
nach Coin und schreibt: „Die Auffiihrungen unter Hiller
in dem imposanten Giirzcnich waren glanzend; seine neue
Cantate „Die Nacht" erwarb ihm mit Recht Tusch und
Lorberkranz und Mozart's D-dur-Concert spielte er echt
und gediegen. ...
Im Juli berichtet er: „Vor einigen Tagen beehrten
die sachsischen Majestaten unser Conservatorium , wir
fiihrten ihnen unsere besten Schuler vor und sie bezeigten
ihnen ihre Zufriedenheit; das wird ein neuer Sporn fur
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die jungen Leute sein, Mich erinnerte die Konigin mit
freundlichen Worten an mein Spielen bei ihrem Vater,
dem Konig Max im Jahre 1819. Gestern sahen wir den "' :
Konig auf seiner Fahrt durch Abtnaundorf, wo wir seit ■.-:■
einigen Tagen freundlich aufgenommen sind. Frege's ;.}■.'
hatten eine Ehrenpforte von Blumengewinden erncHen . '*■
lassen, unter welcher der konigliche Wagen hielt; unsere
liebe "Wirthin iiberreichte ein Bouquet von seltener Pracht,
lauter Orchideen — und spater begiinstigte der Himmel
ein reizend landliches Fest, an dem auch die Schulkinder -' <:
des Ortes Theil nehmen durften. Wir alten Stadtkinder
geniessen den Aufenthalt in dem, schonen Park, bei duf-
tenden Heuwiesen gar sehr und schwarmen gern bei
Mondschein. Ich schwarme aber auch fur unsere Unter-
baltungen am Clavier. Natur ohne Musik ware nur eine,
balbe Existenz; gute Musik in schoner Natur ist ein dop-
pelter Genuss."
Auch aus Loschwitz, wo die Familie ihren bleibenden
So mmer- Aufenthalt nimtnt, ist wieder die erste briefliche
Mittheilung eine musikalische. „Der Kapellmeister Dorn,
der sich hier mit den Seinigen aufha.lt, hat mir kurzlich / .]
den Genuss verschafft, Mozart's eigenhandige Partitur des
Figaro zu durchblattern. Er hatte in Erfahrung gebracht, ,'-
dass der Musiklehrer Schurig in Dresden sie von seinem
Vater geerbt, dieser sie von einer wandernden Opern-
gesellschaft um ein Geringes angekauft habe. Nun
hatte ich die unsterblichen Ziige vor mir, auf schlich-
tem i4linigen Papier leicht hingeworfen, der italieniscbe -■'.
Text und die Recitative von Mozart, die deutsche Ueber-
setzung von anderer Hand hineingeschrieben. Warum
bin ich nicht reich genug, um den hohen Preis, den der
jetzige Besitzer verlangt, fiir diesen Schatz zu zahlen? —
Der Clavierauszug (bei Simrock) weicht mitunter von dem ^
Original ab, wie z, B. in der Cavatine des Pagen: Non
so piu"*).
*) Da das Haus Sinatock spiter diese OriginaL-Partitur fiir 800 Thlr.
erstand, so sind diese Abweichungeii wohl laagst ausgeglichen.J]
^^^mmmm^^^^mm^^^m^^^ **?*
..-■■— 326 —
Ein anderer Brief Moscheles' sagti . . . „und wieder
schlurfte ich himmlisch musikalischen Genuss. Graf Bau-
dissin schickte mir Mozart's eigenhandige Partitur der
Zauberflote zur Ansicht und Bestatigung der Echtheit ftir
Graf Rantzau, der sie kaiifen wollte. Ich hatte sie schon
vor 40 Jahren bei Andre in Offenbach durchblattert.
Alles darin deutet auf gottliche Eingebung und Wahrheit,
die Aenderungen sind interessant. Zwei Solotacte in der
Ouverture sind weggestrichen, in dem Duett ,,Bei Mannern"
ist die Tactart von c / 8 zu 3 /s Tact verandert." . . .
Spater scbreibt Moscheles: „Es giebt Spaziergange
mit Dorn, bei denen ich rnich so in musikalische Gesprache
vertiefe, dass ich sogar in's Bergsteigen gerathe, was doch
sonst eben nicht meine Sache ist. . . . Zu Hause habe
ich auch grosse Freude an dem sich immer schoner ent-
faltenden Talent der kleinen Mary Krebs, der ich so gern
einigen Rath iiber den Vortrag meiner Stiicke ertheile
Eine Hauptarbeit dieses Landaufenthaltes bleibt die Re-
vision meiner friihesten Tagebiicher. Charlotte widmet
ihr die Vormittage, und Abends liest sie mir ihre Aus-
ziige vor. So lebe ich meine Jugend noch einmal durch,
und Gottlob ohne Reue; denn wie wenig ich auch erreicht
habe, ich meinte es immer ehrlich und neissig mit meiner
Kunst. Bei unserm vierhandigen Spielen kommt auch
das Burchardt'sche Arrangement von Handel's Feuer- und
Wasser-Musik vor; erstere 1716 zu einer Themsenfahrt des
Parlaments, letztere 1749 zur Feier des Aachener Friedens und
dem dabei veranstalteten Fest in St. James' Park componirt."
Es wird auch ein Concert in der Loschwitzer Kirche
veranstaltet, in dem Moscheles Orgel spielt und fiir seine
Tochter und zwei Freundinnen den Psalm „Lobe den
Herrn meine Seele" als Terzett componirt. Die Konigin
und eine zablreiche Versammlung beehren das Concert^
und der Ertrag, an den Kirchthiiren gesammelt, wird
unter den Frauenverein und eine ungliickliche Famihe ge-
theilt. Am 26. August lesen wir von einer Kornerfeier,
„die mich", schreibt er, „ausser der patriotischen Anregung,
noch besonders durch meinen personlichen Umgang mit
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ihfn interessirte. Damals schrieb er -fur die Ki K. Hof-
schauspielerin Fraulein Adamberger sein Drama „Toni".
Ich folgte dem Festzuge der jubelnden Ziinfte bis ans ja-
panische Palais, horte dort die Festgesange, die Festrede
und dann folgende nicM festliche Mischung der eben ab-
marschirenden Musikbanden, deren Tonwellen sich kreuzten:
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Betaubt drangte ich mich durch Menschenmassen und
Staub nach der Altstadt zuriick." ...
Dieser Aufenthalt in Loschwitz wird durch die Nahe
der Dresdener Freunde, das Besichtigen der Kunstschatze
und den Genuss des Theaters' als ein besonders ange-
nehmer geruhmt, doch vermeiden wir es, dies Alles ein-
gehend zu besprechen, wollen auch die Leistungen der
Leipziger Musikwelt nicht mehr in chronologischer Ord-
nung aufzahlen. Das Alles steht der Jetztzeit zu nahe
und raochte den Leser ermuden. Moscheles' Bericht uber
die sojahrige Feier der Volkerschlacht bei Leipzig im
October dieses Jahres moge aber hier seinen Platz finden:
» . .„AU e Veteranen waren in Privathausernuntergebracht;
wir hatten deren zwei, Gratzer Feuerwerker, denen der
gute Wein bei den abendlichen Festlichkeiten zuweilen,
arg zu Kopf stieg. Als alle die alten Leute im Zuge,
g&p;;?'- .■--''•'■;■ ' v ; "■■-'■- -'^- 32 8- -^ _■-:'■■'■■■ . '. ■'. '-
Jeder aft der Hand einer weissgekleideten Jungfrau daher-
: schritten, hatte der Anblick etwas Ruhrendes: die sichere
Jugend, die dem schwankenden Alter als Stiitze dient.
Bei der Heimkehr des Zuges beehrten mich die darin
mitziehenden Pauliner und andere musikalische Korper-
scliafteri vor unsern ofienen geschmiickten Fenstern mit
Fahnen-Schwenken und Zuruf. Die Musik auf dem Markt,
der Fackelzug, die Illumination, Alles war vortrefflich an-
geordnet, gut ausgefuhrt und vom schonsten Wetter be-
giinstigt."
Und dann wieder heisst es: „Fast die ganze Stadt be-
ging den Geburtstag unseres wiirdigen Cantors Haupt-
mann, den man verdientermassen in jeder Weise feierte.
Ich iiberreichte ihm das Manuscript meines C-moll-Trios.
• Mochte der Vortreffliche unserer Stadt und unserem In-
stitut noch lange erhalten bleiben!"
Moscheles schrieb in dieser Zeit seine „Variationen
im Volkston" und arrangirte die „Sonate symphonique" zu
acht Handen. -Den wiederholten Anfragen des Herrn
Zellner aus Wien, in dessen historischen Concerten zu
spielen, konnte er nichtFolge leisten, dennwie schmeichelr
baft und verlockend der Antrag war, er musste seinem
Grundsatze des „Nicht offentlich Spielens" treu bleiben."
Aber auch anderen musikalischen Grundsatzen bleibt
er treu. Er, der stets den Handleiter und andere mecha-
nische Mittel verschmabte, schreibt: „Wie konnen chirur-
gische Abhandlungen iiber'die Arm-, Hand- und Finger-
gelenke den Weg zur Kunst des Clavierspiels bahnen, wie
die soeben erschienene Schrift es beabsichtigt? Um diesen
Preis ware ich nie ein Clavierspieler geworden. Die Seele
muss durch die Finger zum.Herzen reden, das ist die
Hauptsacbe. Abes ich verschmahe es nicht, technisch
schwere Passagen als Turniibung fiir meine Finger zu
spielen und halte es mit Riehl's Worten: „Ein 5ojahriger
Mann, der Leib und Geist schlaff hangen lasst, ist binnen .
■ ' zwei Jahren'siebzig alt. Ein Siebenziger, der immer in Kraft
und Arbeit hat jung bleiben wo lien, ist ein Mann in sei-
nen besten Jahren." Doch bin ich, fahrt Moscheles fort,
£F*SS
— 329 — ' : _ :
in seinen sonst trefflichen Briefen iiber die musikalische
Erziehung des Volkes nicht darin mit ihm einverstanden,
dass er die Geige vor dem Clavier gelehrt haben will.
Orgel und Clavier bieten die beste Gelegenheit, die Ton-
Verhaltnisse und den harmontschen Zusammenklang zu
fassen; die muss man erst studiren."
Ein andermal schreibt er: „Wie ich es auch versuche,
die Schiiler fur ein Stuck — etwa Beethoven's Sonate
pathetique zu begeistern, doch giebt es Falle, wo mir dies
nicht gelingen will. Sie bemeistern die Technik, aber es
fallt kein ziindender Funke vom Himmel auf sie herab,
Dann wende ich noch mein letztes Mittel an. Ich suche
irgend einen, der Musik sich anpassenden Satz zu finden, den
ich mit greller Betonung herausstosse; als z. B. „ „Kennst
Du die G-otter in ihrera Zorne? Flehe zu ihnen.""
Konnt Ihr mir das nachsprechen, sage ich, so driickt
auch das Gefiihl im Anschlag aus ! Ich selbst habe immer
am Hebsten meine Gefuhle in Tonen wiedergegeben.
Uebrigens arbeitet meine Frau unermiidlich daran, alle
meine im Tagebuche ausgesprochenen Ideen iiber Musik
und alien Rath fur junge Kiinstler zusammenzustellen,
und wie wiirde es mich erfreuen, wenn sie der Jugend
von einigem Nutzen sein konnten! Heute half ich ihr die
Memoranda iiber das grosse Musikfest in der Westminster-
Abtei aus den von mir damals so sorgfaltig gesammelten
Berichten zusammenzustellen," ...
In diesem Jahre werden zwei siebenzigste Geburtstage
in Leipzig gefeiert. Der des geschatzten Klengel, seit 50
Jahren einer der Pfeiler des Gewandhaus-Orchesters, und
der von Moscheles. — ,,Reinecke und sein Chor lauteten
ihn schon am Vorabend durch vierstimmigen Gesang im
Garten ein, wozu er Moscheles' Lied fur eine Stirame „Das ist
'der Tag des Herrn" vierstimmig arrangirt hatte." Das
Liebhabertheater producirt Abends das auf Moscheles an-
zuwendende Stuck: „Weisse Haare, junges Herz" und den
„HausIichen Zwist" von Klotzebue als Jugend-Erinnerung
fiir den Gefeierten, der 50 Jahre zuvor selbst darin auf-
getreten a .war. Die sonstigen Beweise von Liebe und
> ' ." "' : :\ '■'-■ , " — 33°' —■■-"' -
Achtung gipfelten in des Konigs Verleihung des Albrecht-
Ordens.
Als von der Schlesinger'schen Musikhandlung in Ber-
lin neue Auflagen seiner Sonate melancolique, Allegro di
bravura in C-rnoll und Charrnes de Paris gemacht werden,
schreibt er: „~Wohl mogen Manche diese neuer dings ans
Licht der Welt tretenden Compositionen zopfig nennen;
aber doch nicht so zopfig wie eine Transcription, die ich
gestern horte und die icb als Zopf mit Haarbeutel classi-
ncire."
Als die Musik in Leipzig nur noch in den Kehlen ' 1
der gefiederten Sanger Tfortlebt, reist die Famine Mosche-
les nach Baden-Baden, und schon unterwegs, in Mainz, 1
wird in Gresellschaft des Freundes Hiller und anderer
Kunstbriider einTheil des fiinften mittelrheinischen Musik-
festes mitgemacht, „urn Mendelssohn's Lobgesangzuhoren.
Die Sanger leisteten Vorziigliches."
Die Sommerwohnung wird in dem reizenden Lichten- -
thai bei Baden gewahlt, „in der Ntihe von Fran Schumann,
Rosenhain und Mme. Viardot. Von Baden mit seinem
Luxus, seinen siindigen Spielhollen und der Schamlosig-
keit seiner Sitten wollen wir nichts -wissen, sind auch in
diesem reizenden Fleckchen Erde fern davon. Als ich
meinen guten alten Pixis aufsuchte, zeigte er mir ein
ziemlich gut erhalteDes Clavier von Clementi. Meyerbeer
hat eigenhandig hineingeschrieben, dass er, als Pixis ihm
dies Instrument geliehen, den grossten Theil seiner Hu-
genotten daran componirt hat. Als Reliquie von Mozart
bewahrt Pixis ein Billet von dessen Hand, in welchem er
einen Freund um einige Gulden anspricht, ihm 'aus der
Noth zu helfen."
„Unendliches Interesse bietet mir die Lecture von
Mozart's Brief en, die Ludwig Nohl hefausgegeben hat.
Ich copire viele Stellen daraus."
Ein Brief Moscheles' sagt: „Es ware lacherlich, die
Natur - Schonheiten Badens zu riihrnen. Sind sie doch
weltbekannt; ebenso die hier versammelten Kiinstler, wie
ich Euch durch die blosse Aufzahlung ihrer Namen be-
&mwm^^^ii
— 331 —
weisen kann. Also ausser dem hier ansassigen Vieux-
temps, Giehne, Cossraann, Levi und den Geschwistern
Heermann noch Rubinstein, Brahms, Max Bruch, Mme.
Szarvady, Jaell, Fraulein Trautmann, Bargiel, Ludwig
Strauss, Marie Wieck u. A, Es versteht sich, dass wir
uns gegenseitig sehen und horen, und ganz besonders ge-
nussreich waren uns zwei musikalische Abende in der
Villa der Frau Schumann, in der die Kimster-Phalanx"?
stark vertreten war. Ich erbat mir von unserer geniali-
schen Wirthin die Noveletten ihres Mannes, besonders
meinen Liebling in Es-dur. Mit mir spielte sie meine
Variationen im Volkston und schmiickte sie mit ihrem
Geist. Wo eine Schumann, ein Rubinstein, eine Viardot
und das Ehepaar Joachim musiciren, „da giebt es einen
guten Klang". Aber auch mit einer lieben Dilettantin
und Zeitgenossin, der Frau Beer, — derselben Eugenie
Silny, fur die ich vor 55 Jahren mein vierhandiges Rondo
in A schrieb, die es im Jahre 1844 in Wien mit mir durch-
ging, spielte ich es heute noch. Das sind Kunst- und
Freundschafts-Reminiscenzen , die Ein em das Altwerden
Heb machen. ' Und noch etwas gutes Altes haben wir ge-
hort: die Alceste von Gluck. Seine Grosse lag im decla-
matorischen Ausdruck, in der Seele seiner -Musik; schone
melodische Form war seltener."
Bei der Riickkehr im Herbst in die Leipziger Heimath
wird ein freudiges Familienfest im Familienkreise gefeiert,
die Hochzeit der dritten Tochter mit dem Advocaten
Dr. Adolar Gerhard, und Moscheles componirt bei dieser
Gelegenheit zwei Lieder, deren Texte aus der (Feder des
neuen Schwiegersohnes geflossen sind.
Im Jahre 1S66 hatte sich eine ' neue Gesellschaft
in Leipzig gebildet; sie sollte an zwanglosen Abenden
ernste gute Musik und scherzhafte Auffuhrungen bringen.
Man nannte sie „Klapperkasten". Sie hatte ziemhch im
Beginn ihrer Thatigkeit einen Hauptmann-Abend gegeben,
dem bald ein Moscheles- Abend folgte. „Alles sinnig und
ehrenvoll angeordnet", schreibt Moscheles, „Alles war so
hiibsch als freundlich und mancher riihrende Moment in
— 332 —
dem Abend. Nicht genug, dass Fraulein J. V. einen Prolog in
Versen sprach, Benedix und Reclaro Reden hielten, irj denen
sie meine imusikalische Lauf bahn durchgingeh,- Knaur micb
in einer Biiste verewigt batte; — man wollte sich auch mit
'eigenen Obren an meinem Thun von Sonst und Jetzt be-
tbeiligen. Dorffel zog meine Alexander- Variationen unter
ihrer verjabrten Schuttdecke bervor und spielte sie vor-
trefnich; dann nothigte man mich als lebendige Reliquie
ans Clavier, wo ich uber Bach, Handel und die Freuden-
ode aus der neunten Symphonie pbantasirte."
„Schade, dass nicbt mebr Einverstandniss unter diesen
musikabschen Potentaten herrscht, wie jetzt unter den
Staatsmannern", scbreibt Moscheles spater. „Eine zweite
Gesellschaft , Andante Allegro" genannt, meinen vortreff-
Kchen Scbiiler Oscar Paul an der Spitze, bildete sicb aus
den ,'vom Klapperkasten 'ausgeschiedenen Elementen —
und das leider nicbt ohne Bitterkeit. Ich bin aber ein
Mann des Friedens, und brachte auch in dieser Gesell-
schaft einen gemiitblicb musikaliscben Abend zu."
Moscheles beh dem Hause Peters das Bacb'sche Pra-
ludium und die Fuge in C, auch des Meisters Trio in
A-moll — Alles aus seiner 'Autographen-Sammlung — und
freute sich, diese Stiicke durch den Stich einem grosseren
Publikum zuganglich gemacht zu seben. — Als Beweis
der bis ins Genaueste gebenden Kenntniss der Beethoven'-
schen Compositionen tbeilen wir folgende Stelle aus Mo-
scheles' Tagebuch mit:
„In dera Quintett von Beethoven, das ich kiirzlich im
Gewandhaus horte, hatte ich bei der Stelle
i^feei^
eine Zwiscben-Note gehort, die mir fremd war; so:
— HS-*-!')-*- 3 ^*- (») — '
1 1 ! I
Sf^rSv™"
'■ — 333 — ■:/ ~B
Ich Hess mir die Par titur zeigen und fand, dass Beeth- ""'■ y
oven dieses Viertel fiir das Violoncell zusetzte." - jj
Hatte schon das Schicksal Holsteins Moscheles im r
Jahre 1864 sehr aufgeregt und er im Tagebuche stets den ■ ; ■
innigsten Antheil an seiner Bedrangniss verzeichnet , so . £j
geschieht dies irn Jahre 1866 angesichts des sich ent- i
wickelnden Krieges zwischen Preussen und Oesterreich '■;*
noch im erhohten Massstabe. ,,Tch will, ich kann es nicht .-.
glauben, dass .Deutsche gegen Deutsche zu Felde Ziehen
wollen", und als nun endlich die Stadt Leipzig durch
Preussen besetzt wird, und es immer kriegerischer aus- . ' ..' : \
sieht, „da erfreut mich der Gedanke, dass es verabredeter- • *
massen nun bald nach England geht, fern vom Kriegs- J-
getiimmel." Doch nimmt er seine Sorgen, seine Theil-
nahme mit iiber's Meer, und kaum in London angekom-
men, so entsteht auch schon der Wunsch in ihm, sich fur
das Wohl der unglucklichen Briider thatig zu erweisen.
„Fiir s o einen Zweck spiele ich gern noch einmal offent-
lich", — „dafiir lasse ich mich gern veraltet nennen, wenn
ich nur erst als gealterte Ctmositat habe brav Guineen : -
einsammeln konnen. Das was ich personlich geben kann, '>;
ist zu gering fiir diese Massen Unglficklicher. Also die '^
ICunst gegen den Krieg, und wir wollen sehen, ob die
friedliche es nicht mit [dem Zerstorer aufnehmen kann. ^ 'V
Ein Concert statt des Schlachtenlarms." ' k . :
Frau Salis Schwabe in' ihrer bekannten Philanthropie ■'--"
hatte dieselbe Idee geliabt; Frau Jenny Lind-Goldschmidt ' . ;
in ihrer Grossmuth ihr jurid Moscheles versprochen, den " ,'
Unternehmungen die machtige Stiitze ihres Gesanges .zu ;-: r
leihen. Um -diese aber nicht durch eine Zwiefaltigkeit ■■x
abzuschwachen, entschloss man'sich zu einer Fusion; an-_ ■-'■"
dere Kiinstler traten bereitwillig hihzu, die. grosse St. Ja-
mes-Hall fullte und: uberfiillte sich; Ausiibende und Zu-
horer schwelgten in einer Wechselwirkung von Genuss
und Anerkennung, und Moscheles hatte die Freude, eine
Summe von 1400 Thlr. als seine Halfte des Reinertrages
„for the sufferers by the war" an die betreffenden Be- ■'■:
horden ubermachen zu konnen.
Moscheles schreibt: „ Unsere. Aufhahme in London
-war aber auch privatim eine prachtig herzliche und wir
genossen abwechselnd die Gastfreundschaft der liebens-
wurdigen Familie Casella, sowie die der bewahrten alten
Ereundin Mrs. Newman Smith. Wir wohnten dem Ab-
schiedsdiner bei, welches Mrs. Schwabe unserm deutschen
Freiligrath gab; er ist im Begriff, mit den Seinigen in die
Heimath zuriickzukehren. Ich habe das ganze Handelfest,
Probcn und Auffiihrungen im Crystallpalast mitgenossen
und grossartige Momente erlebt. Costa steuerte sein
Schiff geschickt durch die Riesenklippen dieser Localitat
und die Riesenstimme der Tietjens kam zur Geltung. Die
Doppelchore hatten mitunter machtige Effecte und ich
dachte mir; Wenn der alte Handel da oben stande und
seine Riesenwerke in dem Riesenlocal dirigirte — — —
ja und noch viel Anderes dachte ich mir dabei . . . wer
konnte so viel Handel horen oline viel dabei zu denken? - '
In einem anderen Brief e aus London heisst es: „Ich
hore alle Concerte, gehe in viele Theater und vertrage es
gut. Die Hitze, die spaten Stunden, nichts ficht mich an,
und kommt ja einmal eine Uebermiidung, so macht ein
gesunder Schlaf Alles wieder gut; dann kann ich wieder
Wunderkinder — und was schlimmer ist — ihre Vater
und Mutter — empfangen; kann mein Gutachten iiber
so manche musikalische Begabung oder IStichtbegabung
abgeben, Besuche empfangen, in Blumen- oder sonstige
Ausstellungen gehen — und immer bleibt mir Zeit und
Lust, mit meiner lieben talentvollen Wirthin Musik zu
machen."
„Mich wundert, dass ich gestern nach so einem Mor-
gen noch das Stuck von Boucicault „The strike" aus-
h alten konnte, das jeden Abend gegeben wird, das Jeder
sehen muss, also auch Moscheles. Es behandelt die
schwierige Arbeiterfrage und durchlauft die ganze Scala
der Greuel: Unverschuldete Armuth, Noth, Rachsucht,
endlich Mord! Eine haarstraubende Geschichte, Eugene
Sue in Eleisch und Blut dargestellt. Aber — es^ist das
alte Uebel — nur das fiillt das Haus."
— "■ 335'— V.-.'' '■ ; ;^- . ■■ "'■■■' ^''H
. ■ . ' ''-'^
Ein Aufenthalt an der Seekiiste mit den englfechen .:
Kindern und Enkeln ist geistig und korperlich erfrischend . -J
und dort componirt er sein vierhlndiges „Familienleben". . r*1
„Die kleinen Stiicke sollen ein Andenken fur die Enkel ' '--"'ji
sein; zunachst fur die meinigen, dann aber aueh fiir all' ,-i'&.
meine Enkel in der Kunst, und ich hoffe, sie sollen Un- "^
terhaltung darin finden. Jedes Stuck enthalt eine Erzah- 'K
lung, eine mit den Kleinen durchlebte oder fur das Kin- ,•'
dergenviith anziehende Situation, so konnen sie sich Etwas ~/-' : ±
dabei denken, etwas dabei fiihlen, und thun sie das, so .'-^
werden sie auch gut spielen." -^
Moscheles fiigte spater den 12 Stiicken des „Familien- ....-'■
lebens" noch drei hinzu: „T>ie kleine Schwatzerin", „Der '
Grossmutter Nachtgedanken am Spinnrad" und „Des ■;
Knaben Schaukelpferd." Oft, wenn Moscheles Abends _..,.;
spielte, hatte er ausserhalb des Hauses eine dankbare ' _ >■
Zuhorerschaar aus den untersten Volksschichten, und es ,-'.'
machte nicbt wenig Eindruck auf die Kinder, dass eines ■ J ;
Abends ein Mann auf des andern Schulter steigend , mit ; v _;"j
einer Stentorstimme ins offene Fenster hinein rief: God .-;!»
grant that Gentleman for a long time the use of his ' ■!
hands! {Gott gebe diesem Herrn noch lange den Gebrauch ^»-
seiner Hande!) . . : -j
In dieser Zeit begann auch der Sohn des Vaters -: : '. : i&
Portrait zu malen, und es mag wohl ein giinstiger Mo- "•%'£
-ment gewesen sein. Geistig durch die kunstlerische An- "'^
erkennung gehoben, korperlich durch den. Aufenthalt an "*.'i
der See gestarkt, sah er heiter und lebensfrisch aus. Die ■<
Sitzungen waren so viele Stunden eingehender Kunst- ">
gesprache mit dem langentbehrten Sohn; — Vergleiche ; '-'A
zwischen der Musik und Malerei, wie Moscheles sie stets '"■.%
zu machen liebte. So wirft uns diese Leinwand die Seele . /|
des Kunstlers und den freundlich heitern Blick des Vaters ; :V=
als Spiegelbild zuriick. ' ^'f.
Im Spatherbst bei der Riickkehr nach Leipzig em- ,. -
pfangt man im Moscheles'schen Hause an Sonntag-Nach- ;;'-*
mittagen Kiinstler und Liebhaber, wie man es schon im .. ?V
letzten Jahre gethan hatte. „Und wie gem sehe ich den f.
Sohn meines alten Freundes, des Kapellmeisters Schmitt
dabei," — „Mit Dr. S . . . ., dem Orientalisten, rausicire
ich immer gem. Er liest vom Blatt wie Einer vom Hand-
werk und ist musikalischer wie so Mancher, den der Zeit-
geist unterwiihlt." .... „Das Jean Becker-Quartett hat
mich entziickt und meinen Sonntagen Glanz verliehen.
das vollkommenste Ensemble, das ich je gehort habe.
Immer Wohlklang, strengste Pietat fiir die Meister, Ver-
meidung aller Koketterie, und dabei ein Bratschist (Chio-
stri), der seine Partie oft zu einer noblen Selbstandigkeit
erhebt; ein Muster-Quartett."
„Neben den musikalischen Geniissen, die mir meine
Lieblinge Joachim, Frau Flinsch-Orville, Stockhausen und
die Or Chester- Auffiihrungen bereiten, suche ich auch den
Mann im Monde", schreibt er, „in den popularen Vor-
lesungen des Director Bruhns, bewundere das neue che-
mische Laboratorium des Professor Kolbe. Unser Leip-
zig wird immer grossstjidtischer. Die rechte Gelehrsam-
keit fiir mich bleibt mein Scarlatti, dessen Werke in
alien Schliisseln ich jetzt viel spiele, Meine Besuche bei
Hauptmann sind mir stets interessant. Der Arme hat ge-
fesselte Glieder, aber einen lebensfriscben Humor und ge- •
diegenen Geist." , — Der 73. Geburtstag ruft folgende
Worte hervo'r: „Wie konnte ich diese grosse Zahl von
Lebensjahren zahlen, ohne dem lieben Gott zu danken,
dass er mich unter seinem Schutze so weit gefiihrt hat,
und das an der Seite einer liebenden, geliebten Frau!
Altwerden ist etwas Alltagliches, aber sich dabei jung
und empfanglich fur .a He Lebensgeniisse fiJhlen, ist ein
Bewusstsein seltener. Art!" ....
Zu Pfingstcn besucht Moscheles das Aachener Musik-
fest und. schreibt seiner Frau: . . . ,,Schones Wiedersehen
mit Hiller, Rietz, Grimm u. A. gefeiert und Einen „aus
der .grossen Schulerfamilie" in einer angenehmen Stellung
gefunden; es ist der hiesige Musikdirector Breunung. Er
hat eine obligate Orgelpartie zum Judas Maccabaus ge-
setzt, die er selbst spielen wird." . . . Und spater: „Rietz
hat seine vortreffliche Direction bei den Proben mit aller-
— 337 —
lei Witzen gewiirzt, wie z.B. „„Pausen sind dazu geraacht, ;
um sich im- Zahlen zu iiben." " Fraulein Bettelheim in
der Walpurgisnacht war hinreissend. Komisch ist es, dass
im Fremdenblatt der Leipziger Redacteur ** als Restau-
rateur aufgenommen ist. Ueber die Musik miindlich." . . .
. . . „Heute schreibe ich Dir schon aus Coin, wohin
ich mit Gouvy gereist bin. Wir hatten in Aachen noch
ein grosses Festessen mit Toasten und Reden, bei dem
ich auch sprach. Gegen i Uhr Nachts zog ich mich von
dem Champagner- und Redefluss zuriick, froh, dass ich
Kraft hatte an den vielseitigen Geniissen Theil zu neh-
men, dazwischen noch privatim mit Einigen unter den
Freunden zu musiciren. Im Hotel packte ich schnell und
hatte kurze Nachtruhe, indem mich der Truthahn des
Hauses mit seinem taglichen
hu-de hu - de
schon bei Tagesanbruch weckte."
In Coin bei Hiller wird „gediegene Musik und ge-
diegene Freundschaft" genossen, und dann geht es mit
dem Nachtzug nach Leipzig.
Im Juli finden wir Moscheles und seine Frau in
Oesterreich, wo die aus Jerusalem angekommenen Kinder
und.Enkel aufgesucht, ein langerer Aufenthalt mit ihnen
auf dem malerischen Rosenberg bei Gratz genommen wird.
Die Fahrt dahin geht iiber den Semmering — „eine
staunenswerthe beinahe ubermenschliche Eisenbahn — so
hoch, dass wir bis zur Region des ,,Edelweiss" gelangten,
das uns in den Wagen hinein zum Verkauf gereicht
wurde, wie das „Bier und Butterbrot und die Gnadauer
Bretzel" bei Magdeburg."
Vom Rosenberg schreibt Moscheles: „Es ist ein pa-
radiesischer Aufenthalt. Die duftigen Morgenspaziergange,
das Panorama der Stadt von unserer Hohe aus, die sma-
ragdgriinen Ufer des Sees, der Sonnenuntergang hinter
Moscheles 1 JLeben. IT.
33
den Bergen, der silberne Mondschein, Alles entziickt
mich. — An Frau , Flinsch und den Ihrigen haben wir
die angenehmsten Nachbarn; der Finanzrath S., ein alter
Freund und Meloman, gesellt sich mit den Seinigen dazu
und was da Alles musicirt wird, konnt Ihr.denken. Hier
und da tauchen enthusiastische Wiener auf, die mich im
Jiinglingsalter gehort haben. Einer spricht nur von dem
alten Rondo in A, der Andere von der vierhandigen Se-
nate in Es, damals neu, aber zu meiner Freude doch jetzt
noch am Leben."
Im September, als Leipzig kaum erreicht ist, „kommt
schon ein russischer Clavierlehrer mit einer gedruckten
Polemik, zwei Amerikaner, die musikalische Antiquitaten
suchen, und mich deshalb horen mochteri, der Vater eines
Trios, dem ich einen Verleger linden soil, endlich aber
auch ganz iiberraschend ein Familienbesuch." .... „Nun
haben wir unsere vier Kinder beisammen", schreibt der
begliickte Vater
Adolf Henselt, mit dem Moscheles sich bis jetzt
stets verfehlt, kommt nach Leipzig und bringt einen mu-
sikalischen Tag bei Moscheles zu. „ Er spielte wieder
Alles mit kunstlerischer Auffassung und Ausschmiickung
und interessirte mich sehr." Ein Vergniigen anderer Art
ist „ das Herumfuhren der Kinder und Enkel auf der
Messe, und konnten mir der Kautschukmann und der Ba-
jazzo auch kein Lacheln abgewjnnen, die begluckten Klei-
nen wirkten wohlthuend auf mein Gemiith."
Dies Gemiith wird durch die unverkennbaren, wenn
auch wieder verschwindenden Anfange eines schmerz-
vollen Leidens nicht verdiistert, im Gegentheil entlockt
ihm die Trauerkunde, dass ein Jugendfreund im Erblinden
ist, die Worte: „Wieviel habe ich yor ihm voraus, wieviel
Grund zur Dankbarkeitl"
Leider bringt dies jahr eine Todtenfeier — die des
hochverehrtenHauptmann, „dessen sinnig-freundliche Ziige
ich als Leiche betrachtete, dessen Ueberreste ich zu ihrer
letzten Ruhestatte geleitete. Ein unersetzlicher Verlust.
Er hatte mir noch kurz vor seinem Ende die Freude ge-
■ ■ .. ■ — 3 39. ; — ■■:. .■■■'-;> > ■■"* J ■':'"■-.■ ■': ."',.3|
raacht, mein „FamilienIeben" in der OeffentHchkeit aner-. ''■'■';:&;
kennend zu besprechen." .. : -•\>£
Das Conservatqrium feiert im Jahre 1868 seiti 25Jahri- .'■■ '■".; r : ..-*l
ges Jubilaum und Moscheles componirt ein achthandiges ■_'&*
Stuck fur die Gelegenheit. „Auch jetzige und fruhere '^
Schiiler traten mit C ompositionen auf, und wie freut es ■ ."■";";§
mich, wenn ich in solchen neuen Sachen eine. Tendenz ,/: ; j71
zur Oeconomie in den Uebergangen von Tonart zu Tonart -^
finde; nur diese kann wirksam sein, nicbt das Uebermass." ;'-'v
Dringende Einladungen von Verwandten und Freun- : 4
den ziehen Moscheles und seine Frau im Sommer wieder , ->
nach England. Das „bunteste Londoner Leben, alle Mu- '.. ! :. : T <
sikzustande unverandert" spinnt sich wahrend einiger '; 's
Wochen ab; dann kommt der Genuss von Wald- und . r,'->\
Seeluft, durch die Gastfreundschaft der lieben Freundin, .'.'$
Mrs. Newman Smith geboten. „Ein schiiner Erard und ' iyS
dabei die ewig wechselnde See, ihr Farbenspiel, ihr ''■:..'%
Rauschen, der silberne Mond, der sich in ihren Wellen - '$
spiegelt, vor allem aber die Freude, die ich der lieben- y%-
musikalischen Wirthin durch meine Kunst, durch das mit . - ; J
ihr Musiciren bereite, ' sind erquickend. Ich habe ein Ave /,;'•
Maria und einige Stiicke in der Fiinffingerlage geschrie- ;|
ben." .... " , . ■ ' : : '(;
- . . . „Die Trennung wurde uns Allen diesmal beson- . ■ -3
ders schwer." ... ■/-;. .^
Von London aus wird noch ein beiterer Landaufent- j^
' halt mit Kindern und Enkeln gemacht. „Heute habe ich jli!
die Neun wie Orgelpfeifen aufgesteilt und sie zu meiner ■:=:'£
Musik tanzen lassen. Fur mich der schdnste . Ball." - ■■■ ;^j
Bei der Ruckkehr in Leipzig ist viel die Rede von - .'-*S
Franz von Holstein's Oper „Der Haideschacht", die in .;?.j
Dresden gegeben werden soil. „Die' durfen wir nicht ■ >%,
versaumen", sagt das Tagebuch, und nach der Auffiihrung ,:'s
schreibt er: „Das Werk hatte mir schon am Clavier sehr ;;-x;
. gefallen und jetzt fand ich alle damals angedeuteten Vor- 'J;-.
ziige verwirklicht. Die Musik hat melodischen" Fluss, •'$
effectvolle Instrumentation und dramatischen Schwung. :.^
Alle Kunstler sangen mit Liebe, ja mit Enthusiasmus; ich *■]»
f^f^ ( ^Wffi^^£f
erwarte rnir noch viel von dem Comporiisten." Beweist
diese Notiz Moscheles' Interesse an einetn jiingeren
Kwnstbruder, so finden wir auch gleich daneben eine Auf-
zeichmong iiber einen alien Jugendfreund: „Einen Riick-
blick in meine Wiener Tage mit Castelli, Lenau, Komer,
Grillparzer u. A. bringt mir folgender Artikel: . . . „ „Die
Ritter von der grunen Insel feierteri in ihrer diistern
Bucht am ■Kohlma.rkt den 77. Geburtstag ihres greisen
Ehrenritters Zdenko von Bochotin, welchen andere Sterb-
licbe gewohnlicb Grillparzer nennen. Em junger Ritter,
Romeo las dabei eine Anekdote iiber Grillparzer und
Hebbel vor. Ersterer schlug eine Einladung aus, weil
auch Letzterer gebeten war, und zwar desbalb, „weil es
Einem passiren konnte, dass der Hebbel plfitzlich fragt":
„Sagen Sie, wie ist Gott entstanden?" und,, setzte er weh-
miithig hinzii: das ware schlimm, denn der Hebbel weiss
es,_ aber ich weiss es nicht." "
Im Jahre 1869 gab es fur Moscheles viele, durcb Un-
wohlsein hervorgerufene , unbehagliche Stunden; noch
folgte er aber seinem Beruf mit dem gewohnten Eifer,
noch siegt die Kunst als Zerstreuungsmittel, wir finden
ihn bei der isojahfigen Feier des Hauses Breitkopf & Har-
tel, in Concerten, in der Oper; und als Frau Heinze geb.
Magnus sein G-moll-Concert offentlich spielt, macht sie
ihm grosse Freude. Nach den anstrengenden Schiiler-
prufvmgen wird in Thiiringen, in dem ruhigen Berka Er-
holung gesucht und im vollsten Masse gefunden. Der
Winterharm ist vergessen und Moscheles reiselustig wie
friiher. Man h6rt Wagner's Meistersinger in Dresden
und Moscheles schreibt: „Ich fand in dieser Oper mehr
Einheitliches als in den fruheren; das Verhaltniss des
Orchesters zu den Sangern ist und bleibt ein eigenthiim-
liches. Ersteres schreitet mit iippigen Modulations- und
Instrumentations-Effecten voran, Letztere gehen recitirend
declamirend, oft parlando mit. Ich fand einige Anklange
an Don Juan, da wo Leporello die „masche.re" im Me-
nuett-Rhythmus zum Ball einladet." Tags darauf heisst
es: „Ich sprach viel mit Rietz iiber die Eigenheiten, sowie
^^^^^^P^^PPPI^I
liber die anerkennenswerthen Eigenschaften der Meister-
singer; auch nahmen wir die gedruckte Partitur zur Hand
und bewunderten die wohlberechneteh Instrumental-Effecte.
Die alterthiimliche Laute, deren sich Beckmesser beim
Standchen bedient, wird in der Vorstellung durch eine
kleine Harfe mit Metall- und nicht mit Darm-Saiten be-
zogen, auf drastische Weise hergestellt."
Von Dresden geht es liber Wien nach Belgrad, wo
fiinf Wochen der Ruhe und Erquickung mit den dortigen
Kindern und Enkeln verlebt werden. „Wir bewegen uns
freilich in europaischer Gesellschaft", schreibt Moscheles,
„machen auch europaische Musik; doch giebt es auch viel
des Neuen und Fremdartigen zu sehen. Den Park von.
Topschidere, wo der Furst Michael meuchlings erschossen
ward; ~ den jungen Fiirsten in seinem Schloss; - — den
Markt mit seinen Nationalitaten und ihren Costu'men, —
das tiirkische Stadtviertel mit dem halbzerfallenen Palast
Prinz Eugen's und die Zigeunerstrasse mit ihren struppi-
gen, wenig bekleideten bettelnden Bewohnern. Serbische
Schneider, "Weber und Schuhmacher treiben ihr Handwerk
in offenen Buden, der Trodel fiorirt, an grunen Tischen.
hinter verkiimmerten Oleandern wird Slibowitz getrunken,
Friichte und Gemuse und heisse Thierhautstiickchen wer-
den verkauft und gegessen; wie fremdartig, originell!" . ..
. . . „Nun haben wir auch einen serbischen Hochzeits-
zug gesehen", schreibt Moscheles. „Ich zahlte 20 offene
Caleschen, alle Betheiligten im buntesten Costiim, sogar
die Pferde hatte man mit gebliimten Tuchern geschmuckt,
die zu den Hochzeitsgeschenken. der Neuvermahlten ge-
horen." — Die Familie macht die sechsstiindige Fahrt
nach Neusatz im Dampfer und besucht Peterwardein, „die
uneinnehmbare Festung". Sie liegt auf hohem Felsen, zu
ihren Fiissen die Donau mit ihren grunen Ufern, Stadten
und Dorfern.
Gegen Ende Juli wird die Riickreise uber Ungarn
angetreten, liebe alte Freunde besucht und eine ganz ori-
ginelle Zigeunerbande gehort. „Die Augen funkeln, das
lange Haar weht im Tact und die Bogen streichen mit
?3M
— 3P — '
Vehemenz, wahrend die Finger der linken Hand krampf-
haft in die Saiten greifen." — In Pesth wird von dera
Musikhandler Herrn " Dunkel und von . Professoren wie
Liebhabern ein Bankett Moscheles zu Ehren veranstaltet.
Fran Dunkel iibef rascht ihn durch den reizenden Vortrag
seines liedes „Am Bache", zwei seiner friiheren Schiiler,.
die jungen Therns spielen seine Musik, Brand, Volkmann
u, A, ehren ihn in Toasten, die er mit Herzlichkeit und
nicht ohne Riihrung beantwortet. Der nachste Morgen
bringt Moscheles ins Theater, wo man ihn mit Orchester-
tusch empfangt tmd ihm verabredetermassen die Ouver-
tiire zu der Nationaloper Hunyady u. a. Stiicke vorspielt.
— „Bei einem Festball auf der Margaretheninsel sahen
wir den Csardas, diesen reizendsten aller Nationaltanze,
mit Grazie tanzen. Die Musik ist abwechselnd pathetisch
und stiirmisch und voller Originalitat."
Der nachste Halt der Reisenden ist in Podiebrad —
„wieder eine schon verlebte Woche im traulichsten Fa-
miliehkreise", und dann folgt.ein Landaufenthalt bei Ham-
burg mit den Wundern der Gartenbau-Ausstellung. Herr
von Bernuth, ein friiherer Schiiler des Conservatoriums,
jetzt Director der. Philharmonischen Concerte in Hamburg,
und sein Freund Herr Giiltzow fiihren Moscheles in die
Stadtbibliothek. „Dort", schreibt er, „konnte ich den
Scbatz der kiirzlich angekauften Directions-Partituren von
Handel durchblattern ; eine schone Acquisition fur die
Hamburger." — Als Moscheles Handel's Orgel-Concert
durchspielt, fallt es ihm im Andante (B-dur) auf, dass eine
grosse Aehnlichkeit mit der Gigue (G-moll) aus Handel's
Suiten darin vorherrscht, die sich spater wiederholt. „Ob
Handel dies absichtljch oder unabsichtlich gethan hat?"
AjidanU.
-=-)==
-fi-0-
Gigue.
*-*z
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— 343 —
spater
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etc.
■A
Nach der Ruckkunft in Leipzig - schreibt MosCheles:
„Wie dankbar kann ich auf diese gelungene Reise zuriick-
sehen! Liebe Verwandte, nah und fern, haben wir besucht,
Kunst und Natur mit ihnen genossen, ein fremdes Land
kennen gelernt, viel Anerkennung ist mir erwie§en und
alle Reisebeschwerlichkeiten habe ich. gut ertragen."
Dennoch fanden die auswartigen Kinder, die sich im
October zu einem Besuch bei den Eltern einfanden, ihn
oft matt und angegriffen. Sie waren wieder alle vier
beisammen, aber sie verliessen ihn nicht ohne Besorgniss.
Der November brachte Leiden und schlaflose Nachte
und die Bemiihungen des arztlichen Freundes Professor
Reclam, sowie des als Consulent hinzugezogehen Professor
Wagner konnten erst im December einige Erleichterung
verschaffen. Was 'ihm und seiner Frau der theure Freun-.
deskreis in dieser Zeit war, das lasst sich kaum durch
Worte ausdriicken. Man wetteiferte mit den in Leipzig
wohnenden Kindern , mit den lieben Hausgenossen in
Theilnahme und Aufmerksamkeiten. Jedes einzelne Glied
dieser Kette schloss golden seinen Lebensabend ein, und
erweckte bei ihr eine Dankbarkeit, die sein Grab iiber-
dauert. Mochten Alle, deren sie beim Schreiben dieser
Zeilen gedenkt, sich darin wiedererkennen, ihr auch beim
Lesen dieser Blatter in Liebe begegnen!
Unterm 6. December linden wir folgendes Blatt von
seiner Hand geschrieben:
„Aufl6sung ist das Ziel unseres irdischen Lebens.
Temjio ad libitum.
te T^a Jfe -
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~fch^
dim.
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p]
lg P, g-£
U J2. 12.
Leipzig-, 6. December 1869.
I. Moscheles."
Am S. December 1869: „Zu meinem Tagebuch:
In meinen heberhaft aufgeregten nachtlichen Leidens-
stunden kam mir Mendelssohn's Capriccio (A-moll) Op. 33.
Nr. 1 nicht aus dem Sinn, von der ersten bis zur letzten
Note meinen Zustand ausdriickerid. Dieses makellose
Stuck bat jedoch eine holprige Stelle in Beziehung auf
harmonische, Orthodoxie, die mir nicht entging, Es ist
die Folge des 263. Tacts zum nachsten":
Am 20. December, Dienstag, schreibt er in sein Tage-
buch:
„Nach einer unruhigen, beinahe schlaflosen Nacht
hatte ich gegen Morgen folgenden hochst aufgeregten
Traum:^ „Es kam mir zu Gehor (woher?!), dass seit dem
Sterbetage Beethovens in Wien ein altes Dienerpaar die
Statte seines Hinscheidens bewahrte und behauptete, dass
jahrlich an Beethoven's Geburtstage seine Gestalt herauf-
zubeschworen sei — aber nttr fiir diejenigen, die Beeth-
oven wahrend seines Lebens personlich gekannt hatten.
Die Wachter hatten eirie Beschreibung seiner letzten Mo-
mente drucken lassen und verkauften sie den sich Ein-
stellenden fiir ein geringes Honorar oder Trinkgeld. Da-
hin muss ich (sagte ich mir) und theilte es auch' meiner
■Charlotte mit Sie, voll der unwiderstehlichsten Theil-
nahme, rief aus: „Du nimtnst mich doch mit?" Ich (be-
troffen) erklarte ihr, wie unthunlich dies sei, da sie Beeth-
oven nicht personlich gekannt hatte. Sie wurde dring-
lich-bittend sie mitzunehmen, damit sie die Manen des
grossen Hingeschiedenen wenigstens sahe und dass ich
ihm begreiflich mache, meine Frau diirfte sich diese In-
discretion erlauben. Nach'vielem Hesitiren gab ich nach!
— Wir kamen an dem verheissenen Tage in Wien an
und verlangten Einlass. Wir sassen an dem Bette, in
welchem Beethoven die letzteri Worte: „plaudite amici,
comoedia finita est" ausgesprochen hatte. Die Wachter
machten einige geheimnissvolle Bewegungen mit den Han-
den — und alsbald erhob sich langsam Beethoven's Ge-
stalt in Lebensgrosse, gleich einer Statue von weissem
Marmor, der Korper war in einen griechischen Falten-
Mantel gehiillt. Die Gestalt naherte sich mir, streckte
mir die kalten Hande entgegen — ich erfasste sie sogleich
und kiisste sie. Beethoven wendete mir freundlich sein
Haupt entgegen, als wollte er mir Fragen thun! Ich be-
deutete ihm durch Zeichen, dass'er meine Antworten nicht
horen konne! Er schiittelte bedenklich den Kopf, zog
seine Hande aus den meinigen zuriick und verschwand
nach oben — da erwachte ich."
Am 31. December heisst es:
,,31. December 1869. Meine Gedanken waren dem
Schopfer zugewendet, der mich nach einem frucht- und
saftreichen Leben dem Winter meiner Existenz zufuhrte.
Geliebt, gepflegt von meiner treuen Charlotte, in Liebe
gekettet an meine ganze Familie finde ich selbst als In-
valide ein behagliches Befinden. Somit: Abschied vom
Jahre 1869.
Finis.
■'--'■■■ - '"■'■ > -' ; — 34 6 ^- ' ■
Im Januar und Februar kann er wieder Luft — und
die fur ihn geistige Luft — Musik geniessen. Das jugend-
Kche Talent der begabten Emma Brandes erfreut ihn; er
lasst sie sein Kinder marchen studiren, spielt ihr vor, labt
sich an ihrer echt kiinstlerischen Einfachheit, ermuntert
eie, fern von aller Mode-Tandelei zu bleiben und pro-
phezeit ihr eine glanzende Zukunft.
Eine seiner Lieblingsopern, die Medea von Cherubim
muss er horen; als Grimm's Suite im Gewandhaus probirt
wird, muss er in die Probe gehen, spielt audi mit einem
befreundeten Brautpaar und seiner jungsten Tochter noch
zu acht Handen. Das geschah am i. Marz; dann kam ein
Riickfall — der letzte!
Vertrauensvoll, wie er im Jahre 1825 auf hoher See
seinem v Untergange ins Auge geblickt hatte, so auch in
dieser Krankheit Er hatte redlich mit der ihm anver-
trauten Gottesgabe gewirkt; seine Liebe zur Kunst ge-
leitete ihn bis in seine letzten Lebenstage hinein, und der
Geist wollte noch horen, als dem erschlafften Korper
schon die Ksaft dazu mangelte.
Er "war der beste Sohn, Gatte, Vater und Freund!
Er hatte jede Minute seines Lebens zu Nutz und Frommen
seiner Familie und seiner Schiiler verwendet. Nun konnte
er es ohne Reue verlassen.
Auch die Freundlichkeit seines Wesens behielt er bis
an sein Ende. Am 10. Marz 1870, als der Todesfittig
schon das Gemach umdiisterte, hatte er noch sein liebe-
volles Lacheln fiir seine Umgebungen. Die Seele rang
sich nicht los, sie entschwebte in einem tiefen Seufzer
unter dem Kuss des Todesengels. Er starb, wie er ge-
lebt hatte: friedlich und gottergeben!
=§S«=&»
^y^'^fmw^nm^^f^w^m^^^^^^
Verzeichniss sammtlicher Corapositionen von
I. Moscheles.*)
A. Compositionen mit Angabe der Opus-Zahl.
Op. i. Variations sur un Theme de l'Opira „Une folie" de M£hul,
pour le Piano. Leipzig, Kistner.
Op. 2. Dix Variations sur an Air favori de 1'Opera „Der Dorfbarbier",
pour le Piano. Wien, Haslinger.
Op. 3. Polonaise pour le Piano. Leipzig, Hofmeister.
Op. 4. Nouvelle Sonatine facile et agreable pour le Piano. Wien,
Artaria & Co.
Op. 5. Air favori de Weigh „Wer hdrte wohl" etc. varie p. le Piano.
Wien, Spina,
Op. 6. Variations pour le Piano sur un Air national Autrichien. Wien,
Artaria & Co.
Op. 7. Variazioni sopra una Cavattna dell' Opera „Trajano in Dacia".
Ebend.
Op. 8, Dix Valses pour le Pianoforte. Ebend.
Op. 9. Fiinf deutsche Tanze f, d, Pianof. Wien, "Spina.
Op. 10. Xriumphmarsch nebst 2 Trios fur das Pianoforte zu 4 Handen.
Ebend.
Op. 11. Deux Rondeaux pour le Piano sur des Motifs introduits dans
le Ballet „Les portraits'. Leipzig, Kistner.
Op. 12. Introduction et Rondeau pour le Piano sur une barcarole vent-
tienne. Wien, Haslinger.
Op, 13. Fantaisie heroique pour le Piano. Wien, Spina — Nouvelle
Edit. Leipzig, Hofmeister.
Op. 14. Rondo brillante pour le Piano. Wien, Artaria & Co.
Op. 15. Variations pour le Piano sur un theme de 1'Opera ,,der Augen-
arzt", Wien, Spina.
Op. 16. Drei erotische Lieder von E. Ludwig, mit Begleitung des Pfte.
(Tranm und Wahrheit — der Kuss. — das Unvergangliche). Leipzig,
Hofmeister.
*) Dies Verzeichniss wurde auf GrundJage ^Hes „Thematischen Verzeiebnisses im
Druck erscbienener Compositionen von I. Moscheles", Leipzig, Kistner. 2 Thtr., dessen
Benutzuag freundlichst gestattet wurde, bearbcitet.
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Op.
Op.
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Op.
Op,
Op,
Op.
Op.
Op.
Op.
Op.
Op.
Op.
Ebd.
Guitarre.
23-
24.
25.
26.
28.
29.
31.
32.
33.
34-
35-
Wien, Ar-
Wien, Has-
Artaria & Go.
17. Intfod. et variations concertantes pour Piano, Violon et Vio-
loncello. Wien, Haslinger."
18. Trois Rondeaux p. 1. P. "Wien, Spina.
19. Polonaise precedee d'une introd, p. 1. P.
20. Grand Duo concertant pour Piano et
taria & Co.
21. Six Variations pour Piano et Piute ou Violon.
linger.
,_2Z^ Sonate p. 1, P, Wien, Spina.
Variations p. 1. P. sur un theme russe, Wien,
Rondo espagnol p. 1. P. Wien, Spina.
Caprice p. 1. P. Ebd.
Triumpheinzug der verbiindeten Machte in Paris, ein character.
Tongemalde f. d. P. Wien, Artaria & Co.
,27; Sonate (caracteristique) p. 1. P. Ebd.
Six divertissements p. 1. P, "Wien, Spina.
Variations p. 1. P. sur un theme de Handel. Ebd.
Rondo brillant p. 1. P. a 4 ms, Ebd.
Trots Marches heroiques p. 1. P. a 4 ms. Ebd.
La Marche d Alexandre, variee p. 1. P. avec accomp, de l'Or-
chestre. Wien, Artaria & Co.
Arrang. mit Quartett; Piano solo; Piano a 4 ms. (Leipzig, BreitUopf &
HarteL)
Six Valses avec Trios p. 1. P. a 4 ms. Wien, Artaria & Co.
Grand Duo concertant p. 1. P. et Violoncelle ou Basson. Ebd.
Grand Sextuor p. P., Viol., Fl., 2 Cors et Violoncelle. Leipzig,
Hofmeister.
Arrang. en Sonate p. P. ; p. 2 Pftes. ; p. P. a 4 ms..
36. Variationen " iiber einen dsterr. Walzer f. Piano f. und Violine.
Wien, Haslinger.
37. Grand Caprice d'un Potp, suivi p. P. et Violl. ou Violon, con-
certants. Wien, Spina.
^3*.' Pantasie (im italien. Style), verbunden mit einem grossen Rondo
f. d. P. Wien, Haslinger.
39. Einleitung und Variationen f. d. P. iiber ein osterr. National-
lied. Wien, Haslinger.
40. Les portraits. Ballet charnpetre et comique , arr. p. 1. P. Wien,
Artaria & Co.
Onvertnre p. P. seul — p. P. a 4 ms.
Trois Divertissements p, 1, P, Les motifs tires du Ballet: Les por-
traits. Leipzig, Hofmeister.
41. Grosse Sonate fur das Pianoforte (Beethoven geividmet). Wien,
Haslinger.
42. Grandes Variations sur une melodie nationale autrichienne p.
1. P. avec 2 Violons, Alto, Violoncelle et Contrebasse ou sans ac-
comp agnement, Wien, Artaria & Co.
Op, 43. Grand Rondeau brillant p, 1. p. avec Accomp. de .2 Violons,. .'"'■■ i$-
Alto, Violle. et Coritrebasse (ad lib.) Wien, Artaria & Co. -fffi:
Pour le P. sen! — a 4 ms. Leipzig, Hofmeister. V '"; jLg
Gp. 44. Grande Sonate concertante pour Piano et Flute. "Wien, Ar- "';I- :
taria & Co, . ."-V|i
Op. 45, Concert de societe p. 1. Piano m. Begleitung eines kleinen Or- ^
ehesters. Wien, Spina. \ r 7j'
Fur Piano solo. — Rondo daraus f. 4 Hde, Leipzig, Hofmeister . ■ "?'■
Op. 46. Fantasie, Variationen und Finale iiber das bohmische Volkslied : , />
„To gsau k6ne" concertirend fur Piano , Violins T Clarinette imd Vio- v-
loncell. Wien, Haslinger. -?T<
Op. 47. Grande Sonate p. 1. P, 1 4 ms. (Es-dur-Sonate.) Wien, Ar- "■'■.■;
taria & Co.
Sp'atero Aufl. Hamburg, Ctatiz. ._ "■:
Op. 48. Franzbsiscbes Rondo concertirend fur Piano nnd Violine rnit "'-. : .';
kleinem Oder ohne Orchester. Wien, Haslinger. -'"■"-
Op. 49. Sonate melancolique p. 1. P. Wien, Artaria & Co. Berlin, * :,L
Schlesinger. "■ , -.-»'
Op, 50. Fantaisie et Variations sur 1'air favori „Au clair de la lone" ";'-?
p, 1. P. avec ace, de 1'Orcb.estre. Berlin, Schlesinger. ',-■;_
Mit Qnartett. Fur Piano solo.
Op. 51. Allegri di Bravura (la forza — la leggerezza — il capriccio), .'.'-:
Leipzig, Peters.
Op. 52. La Tenerezza. Rondoletto p. 1. P. Wien, Spina, .j
Nouv, edit, Hamburg, Cranz. r - :".■
Op, 53, Polonaise brillante p. 1. P. Leipzig, Hofmeister, '-Ji
Op, 54. Les Charmes de Paris. Rondo brill, pour le Piano. Berlin, j/;
Schlesinger, ,;-'
Fijr P. zu 4 Hdn. arrangirt. ■ -~£
Op. 55. Bonbonniere musicale. Suite de morceaux faciles p. 1. Piano, .'^
Paris, Schlesinger. ;Ji
Op. 56. Grosses Concert (Nr. 2 Es-dur) p. 1, P. m, Begl. d. Orchesters. : -'i^
Leipzig, Klemm. ■ \^
Mit Quartett. — f. Piano solo. — Rondo brill, alia Polacca p. P. a 4 ms. -. : !-T^
Leipzig, Hofmeister. -'^V
Op, 57, Fantaisie p. 1, P. sur trois airs favoris ecossais. Leipzig, Breit- . ^
kopf & HSrtel.' ":...^
Op. 58. Jadis et aujourd'hni. Un Gigue et nn Quadrille-Rondeau pour . _-'3'
le Piano. Hamburg, Cranz. -"!-- j;
Op, 59- Grand Potpourri concertant -p. Piano et Violon on Flfite (par / ;*;
Moscheles et Lafont). Berlin, Schlesinger. -.'r-;^
Op. 60. Drittes Concert (G-moll) fur das Piano mit Orchester. Leipzig, '■
Klemm. '". =
Mit Quartett, — Fur Piano solo. ;/
Op, 61. Rondoletto sur un Nocturne favori de Paer p, 1. P. Wien, • ^
Artaria & Co, ■'■-?
Op. 62. Impromptu p. 1. P. Leipzig, Kistner.
Op. 63, Introduction et'Rpndeau ecossais concertants p. P. et Cor (on
Violon et Violle). Leipzig, Kistner. , »
Fur P. a 4 ms, arrangirt.
Op. 64, Viertes Concert fiir das Piano wit Orchesterbegleitung. Wien,
Steiner & Co. '
Op. 65. Impromptu martial sur Pair anglais ,,B.evenge he gries" p. 1, P.
Leipzig, Kistner.
Op. 66. La petite Babillarde. Rondeau pour le Piano. Leipzig,
Kistner.
Op. 67. Trois Rondeaus brillants p. 1. P. sur des Motifs favoris dxi
Vaudeville : „Les Viennois a Berlin". Berlin, Schlesinger.
Op. 68. Fantaisie et Rondeau sur une marche autrichienne p. 1. Piano,
Leipzig, Kistner.
Op, 69. Souvenirs d'Irlande. Grande Fantaisie p. I. P. avec Accomp,
-d'Orchestre on Quatuor. Leipzig, Hofmeister.
Pour P. solo — p. P. a 4 ms.
Op. 70. Studien fiir das Pianoforte, zur hoheren Vollendung bereits
ausgebildeter Clavierspieler, bestehend aus 24 character. Tonstiiclten.
2 Hefte. Leipzig, Kistner.
Op, 71. Rondeau expressif sur un Theme favori de Gallenberg p. 1. P.
Leipzig, Kistner.
Op. 72. Nr. I. Fantaisie dramatique dans le Style italien sur des Airs
favoris chantes par Mme. Pasta, p. 1. P. Leipzig, Kistner.
Op. 72. Nr. 2. Bijoux a la Sontag. Fantaisie dramatique p. 1. Piano.
Ebend.
Op. 72, Nr. 3. Bijoux a la Malibran. Fantaisie dramatique. 2 Hefte.
Ebend. "
Op. 73. Fiinfzig Praeludien in den verschiedenen Dur- und Mollton-
arten f. d. P. Ebend.
Op. 74. Les Charmes de Londres. Rondeau brillant pour le Piano.
Ebend,
Op. 75. Anklange aus Schottland. Fantasie Tiber schottische National-
lieder fur das Pianoforte mit Orcliester oder Quartett. Leipzig,
Hofmeister.
FUr P. solo a-rraagirt.
Op. 76. La belle Union. Rondeau brill, prec. d'une introd. p. 1. P.
a 4. ms. Leipzig, Kistner.
Op. 77. Allegro di Bravura p. 1. P._ (Mendelssohn gewidmet). Berlin,
Schlesinger.
Op. 78. Divertissements a la Savoyarde p. Piano et Flute ou Violon.
Leipzig, Hofmeister.
Op- 3*fc Sonate concertante pour Piano et Flute (ou Violon). Leipzig.
Kistner.
Op. pi. Fantaisie sur des airs des Bardes ecossais, p. 1. P. avec Or-
chestre (ad lib.), Leipzig, Kistner. ...
Fur Piano alletn arrangirt.
' -*^ : : ; -:"': :-"^'; : ; ■-.,. ; T- :
Op. 81. Erste Sinfonie (in C-dur) fur grosses Orchester, Leipzig,
Kistner,
Fur P. zu 4 Hdn. arraugirt.
Op. 82a. Rondeau sentimental p. LP, Ebd.
Op. 82 b. Quatre Divertissements p. P. et Flute, Ebd.
Op. 83. Souvenirs de Danemarc. Fantaisie sur des Airs national!*
danois p. 1. P. avec Orchestre. Ebd.
Bur Piano solo artangirt.
Op. 84. Grand Trio pour Piano, Violon et Violle. , dediee a Cherubini.
Ebend.
Op, 85. La Gaiete. Rondeau brill, p. 1, P. Ebd.
Op, 86 a. Marche facile avec Trio p. 1. P, i 4 ms. Ebd.
Op. 86b. Souvenir de Rubini. Fantaisie dramatique p. 1. P. sur une
Cavatine de 1'Opera „Anna Bolena". Ebd.
Op. 87. Funftes Concert (C-dur) fur das Piano mit Oichesterbegleitung,
Wien, Haslinger.
Mlt Qaartett — fiir Piano solo.
Op. 87 a. Souvenir de 1'Opera. Fantaisie dramatique pour le Piano
sur des airs favoris chantes a Londres par Mme. Pasta. Leipzig,
Kistner.
Op. 87 b. Duo eoncertant pour deux Pianos avec ace. d'Orchestre en
variations brillantes sur la marche Bohemienne tiree du Melodrame
Freciosa, comp. par F. Mendelssohn et I. Moscheles. Ebd.
Fur 2 P. ohne Begleitg. — Fiir P. zu 4. Hdn.
Op. 88. Grand Septuor p. P., Violon, Alto, Clarinette, Cor, Vile, et
Contrebasse, Ebd.
Fiir P. solo — fur P. zu 4 Hdn.
Op. 89. Impromptu p. 1. P. Ebd.
Op. 90. Concerto fantastique (Nr. 6) p. Piano avec Orchestre. Wien,
Haslinger.
Avec quatuor. — Pour !. P. seul.
Op. 91. Ouverture a grand Orchestre, de ,Jeanne d'Arc", Tragedie de
Schiller. Leipzig, Kistner,
Fur P. zu 4 Hdn. arrangirt.
Op. 92. „ Hommage a Handel. Grand Duo pour deux Pianofortes.
Ebend.
Fiir P. zu 4 Hdn. arrangirt.
Op. 93, Concerto pathetique p. 1, P. avec Orchestre (Nr. 7.). "Wien,
Haslinger.
Avec quatoor. — Pour 1. P. seul.
Op. 94 a. Rondeau brill, sur la romance favor, de Dessauer „le retour
des Promis". Leipzig, Kistner.
Op, 94b. Hommage caracteristique a la Memoire de Mme. Malibran
de Beriot en forme de Fantaisie p. 1. P. Ebd.
Op. ,95. Characteristische Studien f. d. P. zur hdheren Entwicklung des
Vortrags und der Bravour. Ebend.
Zorn — Terso'hnuog — Widerspruch — Jnao — Kindermarchen ~ Bao-
^^^ff^^^^'iS^*.^ '■■■■ "
■>:■_•■■■ -; ; -' --■■■■■ :- : -: ■,-;' ^ s&y—: ■
eianal — Zartltchkeit — Volkefest-Scenen — ifondnacht am Seogestade-
— Terpsichore — Traiim — Angst
Op. 96. Concerto pastorale (Nr. 8) p. 1. Piano avec ace. d'Orchestre,
Wien, Haslinger.
Op. 97, Sechs Lieder far erne Singstimme mit Begleitung des Piano,
Leipzig, Kistner,
Stnmme Liebe — Det Schmied — Zuversicht — Das Reh — Im Herbste
— Sakoatala.
Op. 98. Deux Etudes: L'anibition — l'enjouement, tirees de la Methods
des methodes. Berlin, Schlesinger.
Op, 99. Tutti frutti. Six nouvelles miiodies pour le Piano, Paris,
Pacini.
Op. IOO. Ballade p. 1. P. Braunschweig, Spehr.
Fur P. zu 4 Hdn, arrangirt.
Op. 101. Romance et Tarantelle brillante ponr le Piano. Leipzig,.
Hofineister.
Op. ro2. Hommage a "Weber. Grand Duo p. 1. P. a 4 ms. sur des
motifs d'Euryanthe et d'Oberon. Leipzig, Kistner.
Op. 103. Serenade p. 1. P. Ebd.
Op. 104. Romanesca p. 1. P. Ebd.
Op, 105. Deux Etudes p. I, P., ecrites pour l'Album de Beethoven.
Wien, Spina.
Op. 106. Fantaisie brill, pour le Piano stir une Cavatine de l'Opera
„Zelmire" de Rossini et une Ballade de ,,1'Enlevement du Serail"
de Mozart. Leipzig, Kistner.
Op. 107. Tagliche Studien fiber die barmonischen Scalen zur Uebung
in den verschiedenen Rhythmen, Ein Cyclus von 59 vierh. Clavier-
stiicken. 2 Hefte. Ebd.
Op. 108. Deux Fantaisies brillantes pour le Piano sur des Airs favoris
de l'Opera „la Bohemienne'' de Balfe. 2 Hfte. Ebd.
Op. 109 a. Fantaisie brillante sur des themes favoris de l'Opera „Don
Pasquale" p. 1. P. Leipzig, Hofineister.
Op, 109b. Melange p. 1. P. sur la Serenade et d'autres airs favoris de
l'Opera ,,Don Pasquale". Ebd.
Op. no. Gondoliers Lied f. d. P. Rotterdam.
Op. in. Quatre grandes Etndes de Concert p. 1. P. Leipzig,
Kistner.
Reverie et Allegresse. — Le Carillon. — Tendressc et exaltatioo. — La
Foague.
Op. 112. Grande Sonate symphonique Nr. 2 a 4 ms. p. I, P. Berlin,
Friedlander.
Op. ri3. Album des chants favoris de Pischek transcr. p, 1. P. en
forme de fantaisie brillante. Leipzig, Kistner.
Op, 114. Souvenirs de Jenny Lind. Fantaisie brill, p. 1. P. sur des
airs Suedois. Ebd.
Op. 115. Les Contrastes. Grand Duo p. deux Pianos h 8 ms. Ebd,
FUr d. P. zu 4 Hdn. arrangirt.
■.'".'■"" ^ 35? .— '"''[■•{ ':'". . 'H
Op. 1 1.6. Freie Kunst, &ediclit von Uhland fur eine Bass- oder Alt-
slimme mit Begl, des Pianoforte. Ebd.
Op. 117. Sechs Lieder fur eine Singstimme mit Begleitung des Piano.
Ebend,
Liebeslauschen, — Dem Liebesanger. — Warum so stumm. — Botscuaft-
. — Scbafers Sotmtagslied. — • Frublingslied.
Op. 118. Grande Valse p. 1. P. Ebd.
Op. 119. Sechs Gesiinge fur eine Singstimme mit Begleitung des Piano, v
Ebend,
Abends. — Die ZigeunBrln. — Strenge. — Jemand. — Der Liebenswiir-
digen. — Der dreifache Sclm&e,
Op, 120. Mazurka nppassionata p. 1. P. Ebd.
Op. 121. Sonate f. P. und Violoncello. Ebd.
Fur P. und Tioline — Fur P. zu 4 Hdn.
Op. 122. Die Envartung (nach Schiller). Fantasie p. 1. P. Hamburg,
Cranz. ' ,
Op. 123. Magyarenklange, Original-Fantasie fur das Pianoforte. Braun-
schweig, Litolff.
Op. 124. Sehnsucht (nach Schiller), Fantasie f. d. Pfte, Leipzig,
Siege],
Op. 125. Fruhlingslied fiir eine Sopran- oder Tenorstimme mit Pianof.-
Begl. Coin, Schloss.
Op, 126. Grossc Concert-Etude f. P. Leipzig, Kistner.
Op. 127. Scherzo f. d. P. Leipzig, Payne.
Op. 128. Humoristische Variationen. Scherzo und Variationen f. d. P.
Leipzig, Kistner.
Op. 129. Der Tanz. Characterstiick (nach Schiller), f. d, P, Leipzig,
Breitkopf & HarteL
Op. 130. Symphonisch-heroischer Marsch fiber deutsche Volkslieder fiir
d. P. zu 4 Hdn. Leipzig, Kistner,
Fiir 2 Pianos arrangirt.
Op. J 31. Sechs Lieder fur eine Singstimme mit Begleitung des Piano-
forte. Ebd.
Gieb ubs tiiglicb. Brod. — Frtihlingslicbe. — Scbmetterling und Liebchen.
— Am Meere. — Inniges Verstindniss. — Tanz-Reigen der doruschen
Kosaken.
Op. J 32, Vier Duette fiir Sopran und Alt mit Begleitung des Piano-
forte. Ebd,
Des Lilien-Miidchens Wiegenlied. — Am Bacbe. — 'Winter und Friihling.
— Unter den Baumen.
Op. 133. Reverie melodique fiir das Pianof, Stuttgart, E. Hallberger.
Op. 134. Toccate f. d. P. (Im Mozart- Album.) _
Op, 135. Pastorale im Orgel-Style. Erfurt, Barthblomaus.
Op. 136. An G. Rossini. ,,Am Bache". Lied mit oblig. Begl. f. Horn
(Violl.) u, P. Leipzig, Kistner.
Op. 137. Melodisch-contrapunktische Studien. Eine Auswahl von
10 Praludien aus Johann Sebastian Bach's wohltemperirtem Clavier
Moscbeles* Leben. 23
1,/' ;■£*
■ ■■■-— .354 ■—_
mit einer hinzucomponirten obligaten Violoncell-Stimrrie. Leipzig,
Kistner.
Audi fiir ein zvreites Clavier statt des Violle. arrangirt.
Op, 138. Feuillet d'Album de Rossini, Theme original pour Piano et
Cor. Eb'd.
Fiir P. end Violle. — Fiir 2 Pianos.
Op, 139. _ Lied im Volkston mit "Variationen iib. e. Original-Therna.
Leipzig, Klemm.
Op, 140. Familienleben. 12 progress. Clavierstiicke f. d. P. zu 4 Hdn.
2 Hefte. Leipzig, Kistner,
Op. 141. Marsch und Scherzo als rhythmiscbe Uebungen (in den 5 Finger-
lagen f. den Schiiler) Nr. 1. Marsch. Nr. 2. Scherzo. Hamburg, Cranz.
Op. 142. Drei Charakterstiicke f. d. P. zu 4 Handen. Leipzig, Kistner.
B. Compositionen ohne Angabe einer Opus-Zahl.
1. Souvenir de Belisaire. Deux Fantaisies pour Je Piano. Leipzig,
Kistner.
2. Fantaisie p. 1. P. sur des motifs de „Falstaff" de Balfe. Mainz,
Schott's Sohne.
3. Fantaisie sur des Themes favoris de l'Qpera ,,Oberon" p. 1. P. Berlin,
Schlesinger.
4. Fantaisie a la Paganini p. 1. P. sen!. Leipzig, Kistner.
5. Fantaisie sur des motifs de l'Opera ,,Le Siege de Rochelle" de Balfe
p. 1, P. Wien, Spina.
6. Bouquet des Melodies. Petite Fantaisie sur des airs favoris. Ham-
burg, Cranz.
7. The popular Barcarolle „Or che in cielo'' sung by Sign. Ivanoft in
Donizetti's Opera „Marino Faliero" arrang. as a Fantaisie with Va-
riations for the Pianoforte. London, Addison & Hodson.
8. Pens£es fugitives p. 1. P. Wien, Spina.
Romance. — Impromptu. — Nocturne. — Rhapsodie.
9. Andante et Rondeau sur un theme allemand p. 1. P. Leipzig, Kistner.
10. Echo des Alpes. Divertissement p. 1. P. sur trois Airs past, 'de la
Suisse, Ebd.
11. Die Tyrolerfamilie. 3me Divertissement p. 1. P. Leipzig, Hofmeister.
12. Divertissement sur des airs tiroliens chantes par la famille Rainer,
p. 1. P. Leipzig, Peters.
13. Divertissement sur des* airs suisses nationaux p. 1, P. Leipzig, Kistner.
14. Rondo iib. eine bel. schottische Melodie f. d. P. Wien, Haslinger.
15. Rondeau militaire p. 1. P. sur le Duo favori „Entendez-vous" de la
Fiancee d'Auber. Leipzig, Kistner.
16. Abschiedsmarsch des Infant.-Reg, Kaiser Alexander. Wien, Spina,
17. Zwei grosse Marsche f. d. Reg. Kaiser Alexander f. d. P. Ebd.
, • — 355 — ' . ■•"'■ ' : ■' ^
18. Marsch des 2, Regiments "Wiener Stadtmiliz f. d. P. Ebd. ' .■?:
19'. Favoritmarsch mit Trio (d. Regiments Kutschera und Max Joseph)
f. d. P. auf 4 Hde. Ebd.
20. Rhapsodie champ6tre p. 1. P. Berlin, Schlesinger. • ''
21. Der Abschied der Troubadours, Romanze mit deutschem und italie-
nischem Texte, Unterhaltungsstiiek fur Gesang, Pianof., Guitarre und"
Violine mit abwechselnden Variationen von Moscheles , Giuliani und -
Mayseder. Wien, Spina/
Fiir a Pfte. arr. v. Czerny. — Fur P. a 4 ms. v. Lictl.
22. Musik bei der bei Anwesenheit der hohen Alliirten gehaltnen Schlit-
tenfabrt, f. d. P. arr. Wien, Artaria & Co.
33. Drei Modewalzer f. d. P. Ebd.
24. Zwolf deutsche Tanze sammt Trios und Goda I. d. P. "Wien, k. k.
Hoftheater-Musikverlag.
25. Six Valses p. 1. P. "Wien, Spina. •
26. Sis Ecossaises p. 1. P. Wien, Artaria & Co.
27. Six Valses p. 1. P. Leipzig, Peters.
28. Verstandniss. Ged. v. Probald, f. e. Singst. m. P. Leipzig, Payne.
29. Fantaisie p. 1. P. sar des airs de Neukomm. London, Cramer & Co.
30. L'Elegante. Rondeau p. 1, P. London, Chappell,
31. Variationen iiber G. F. Handel's Harmonious' Blacksmith f. d. P. z.
4 Hdn. Leipzig, KisEner.
NAMENS-VERZEICHNISS.
Abert, J. 270.
Adamberger, Frl. 327.
Adams 46,
Agthe, Frl. 223. 292. 293.
Aguilar 18S. '189,
Aimemartin 41.
Albert, Frl. 1 04,
Albert, Prinz-Regent 91, 104,
Alboni 173. 311.
Albrecht 299.
Albrecht, Frl. 289.
Aldridge, Ira 235.
Almasy, Grafin 144,
Alsager 94. 103,
Amalie, Prinzessin zu Sachsen 267.
van Amburgh 33.
Anderson, Mrs. 26. 48.
Anschutz, H. 125.
Arnal 42.
Arndt, E. M. 207.
Arnemann, Fran 295. 296,
Arnswald, Freiherr von 294,
Arnstein 311.
Asher 120. 121.
Auber 40. 304.
Auerbach, Berthold 118. 262. 267.
Austin 49.
Ayrton 53. 113.
Bacher, Dr. 125. 140. 142.
Bacherl 26S.
Balfe 4. 20. 29. 107.
Bargiel 33 1.
Barnett 299.
Bartholomew 155. 156,
Bassano, Mile. 156.
Baudissin, Graf 326.
Bazzini 13 1. 272.
Beck 223,
Becker, C. F. 217. 218, 238.
Becker, Jean 317. 323, 336.
Beer, Frl. 38.
Beer, Frau von, s. Silny.
Begrow 282.
Behr, Heinr., 188. 189. 249. 265.
274. 281.
Belleville, Frl., s. Oury, Mrae.
Bendemann 184. 194.
Benedict, J. 5. 19. 24. 29. 46. 48,
80. 86. 94. 98. 106. 113. 172.
ifio. 201.
Beuedii, Roderick 332.
Bennett, W. Sterndale 36. 90. 1 12.
136- 173.
de Beriot 4. 6. 7. 8.
Berlioa 40. 235. 268. 297.
Bernard 299.
Bernuth, von 301. 342.
Bertram (Baritonist) 299. 323.
^JrW^tPS^ ^ ^
Bertucat 138.
Bettelheim, Caroline 337.
Bianchi, Frl. 266. 375.
Bieber 257.
Birch, Miss 75.
Bishop, Henry 136. 139.
Blagrove 90.
Blum, Robert 188. 196.
Bliithner 257.
Bochkoltz-Falconi 138.
Bock, Prof. Dr. E. 268.
Bock, Frau von, s, Schroder-Devrient.
Bodenstedt 256. 257.
Bohme 217.
Bohrer, Max 120.
Bondy, Frl. 290.
Bott 27. 232.
Bouffe 42. 104.
Braham 3. 6. 33. 55. 56. 107. 157.
Braham, Charles 107.
Braham, Hamilton 107.
Brahms 249, 266. 319. 331.
Brand 342.
Brandes, Emma 346.
Brassin (Baritonist) 195.
Brassin, L. (Clavierspieler) 276.
Brassin, Gebr. 232. 253.
Braum 28.
Breidenstein 142.
Brendel, F, 174. 175. 216. 217.
Brendel, Mine, 175.
Breunung 282. 336.
Broadwood ir. 16.
Bronsart, H. von 279. 293. 313.
Bronsart, Frau von 288.
Bnich, Max 281. 331.
Brunei, Isambard 100.
Bruhns, Director 336.
Brunno'w, Baron 115.
Biichner, E. 238.
Buddeus 107, no.
Bull, Ole 10. 60. 61.
Biilow, Hans von 194. 247,
Bunsen 87. 89. 99. 102. 268. 311.
Burde-Ney, Jenny 266. 300.
Burghersh 29. . •
Bnsch, Frl. 211.
Butler, Mrs., s. Kemble, Fanny. ■
Buxton 116.
Cambridge, Herzog von 25, 80. 138.
Caradori-Allan 57. in.
Cams, K, G-. 132,
Casella 334.
Castellan, Mme. 112. 172. 221.
CastelU 124. 340.
Cerrito, Fanny in.
CMlard 143.
Cherubini 40.
Chevet 308.
Chiostri 336.
Chopin 20. 31. 39. 43. 44. 207.
Chorley 54. 57?. 73. 94. 112. 141.
144- IS5-
Cibbini, Frau von 123,
Cinti-Damoreau 4. 29. 104. ■
Clarisse, Mile. 136.
Clarus (Hofrath) l8l.
Gauss, General-Consul 324.
Clauss-Szarv&dy, "Wilhelmine 209.
252. 331-
Clementi 307.
Coccius, Prof. Dr. 267.
Colosanti, "Vincenzo 279.
Corelli it I.
Cossmann 186. 188. 225. 232. 331,
Costa 201. 334.
Cramer, J. B. 40. 77. 283.
Cramer, F. 52.
Cranz 223.
Cre'mieux 41. 303.
Culocz 245.
Curtis, W. 35.
Cusins 270.
Czerny, C. 19.
Damcke 303.
Damrosch, L. 279.
Dannemann, Frl. 299.
Danreuther 313.
David, Faicien 138.
David, Ferdinand 34. 35. 62. 63.
. ..-.^
■* 66, 67.: 79. 131; 132. 163. 1.66.
168. 170. 171, 175. 180. 181.
184. 186. 188, 199. 210. 2ii.
214, 216. 217. 218. 220 ff, 231.
237. 247. 251. 254. 263. 264.
273. 274. 276, 28b. 283. 284.
285. 289. 293—296. 312. 313. 323.
David, Paul 2 13.
Davidoff 289. 297. 317.
Davison ill.
Dawison, Bogumil 262,
Deinhardstein 125.
Dejazet 42, 104.
Dessauer 1 24.
Dessoir, Ludwig 205.
; Destin 28.
Devrient, Eduard 200.
Devrient, Emil 133. 256. 302.
Dietrich, A. 258.
Dietrichstein, Graf Moritz 126. 128.
Dilke, 'Werttworth 144,
Dirichlet 182. 211,
Dbhler, Th. 28. 49- 117. 130. 13^
Dolby, Helene 115. 272.
Donniges, von 256. 257.
Doppler, Gebr. 258.
DorEel, 'Alfred 175. 332.
Doringf Theodor 256.
Darn, Heinrich 325.
Dorus-Gras 42. 55. 79. 13S.
Doyle 101.
Draxler 124.
Dreyschock, A. IOI. 167, 273.
Dreyschock, Raimund 219. 265.
284. 285. 323.
Dulcken 201,
Dulcken, Louise 26. 35. 107, 113,
201.
Dunkel 342.
Duponchel 41.
Duprez 41. 42, 94.
Ebea 224.
Eicke 60. 61.
Eilers 258.
Elsler, Fanny 29. 104, 1 20,
Erard, Mme, 303.
Erdmann, Baronin 123.
Ernst 102, 106. no. 112. 114. 131.
202. 323.
Eskeles 126. 311.
Faisst, Dr. E. 269.
Falkenstein, von 134.
Fawcett, Helen 49.
Ferdinand I., Kaiser v. OestreicL,
127. 128.
Fetis 73. 286.
Filtsh 104.
Fink, G. W. 67.
Fischhof 125. 138. 142.
Fleming 34.
Flinsch-Orville, Julie 336. 338.
Formes, Karl 193. 313.
Fornasari no. in.
Fortunati, Carlo 243;
Franchomme 19.
Franck, Eduard 41. 202,
Franz Carl, Erzlierzog von Oest-
reich 127. 128.
Frege (Kammerrath) 191.
Frege, Prof. Dr. 181, ' y-Ahi
Frege, Livia 68. 131. 166/178. 181.
J85. 187. 191. 199. 200. 211.
216. 268. 275: 323.
Fruh, Arnira 281.
Fuchs, Aloys 1 2 3.
Fumagalli 245.
Furstenau 132.
Gade, Niels 131. 132. "184. 187.
188. 214. 237. 319.
Galvani 314.
Ganz 19. 142.
Garcia ,. Pauline 42, 78. 79. 206.
280. 283. 290. 296. 300. 301.
303. 310.
Geibel 239,
Geishard, Frl, 269.
Georges, Frl. 107.
Gerhard (Legationsrath) 205.
Gerhard, Adolar 229, 331.
Gerke 19.
-'W^^p^^^^^^^^mm^m
^359
Gernsheini, Fritz 252.
Gerstacker, Friedrich 302,
Giehne 331.
Gladstone 201.
Gloggl 273.
Goddard, Arabella 25 9.
Godin 287.
Goldschmidt, Otto 216. 231. 238.
252. 278. 31;.
Goldschmidt, Frau, siehe Lirid,
Jenny.
Gounod 318.
Gouvy 251. 337.
Graumann, Frl. 117.
Griepenkerl 175. 187- 213'
Grillparzer, F. 125. 340.
Grimm, J. O. 232. 239. 336. 346.
Grisi, Giulia 8. 22. 49. no. in.
156- 173- 3IS.
Grote, George 49. 94. 100.
Griitzmacher, F., 221. 247. 251.
373.
Griitzmacher jun. 299,
Giiltzow 342.
Gusikow 1 1.
Gutmann 39.
Gutzkow 117.
Habeneck 41.
Haberbier 239.
Hacklander 269.
Hahnel 142.
Haizinger, A. 79. 94. 119- 2$6-
Halevy 41. 106.
Hallberger, E. 273. 290,
Halle 98. 103. 106.
Halm, Friedrich 268.
Hammer, Dr. 181.
Hanslick, Eduard 262.
Harless 201. 204.
Hartel 62. 135. 182. 218. 238. 257.
274. 279-
Haslinger 271.
Hasselt-Barth 123- 1 24.
Hauffe, Frl. L. 282.
Hauptmann, Moritz 131. 132. 184.
186. 199. 217. 218. 231. 238.
253- 328- -
Hauser 125. 239.
Hausmann 27. 32.
Hebbel 340.
Heermann, Geschwister 331.
Hegar 299/
Heindl 123.
Heine, Heinrich 41. 267.
Heinemeyer 27.
Heinze, Frau Sara 340,
Heller 221.
Heller, Stephen 40. 106. 274. 303.
Hendrichs 256.
Hennelle 138.
Hensel 100.
Hensel, Fanny 2. >463.
Henselt, A. 31. 338.
Hering, Frl. Jenny 282.
Heringen, von 267. 268.
Hermann 217.
Herz, H. 11. 28. 41. 304.
Hill, Rowland ior.
Hiller, Frl. 228.
Hiller, Ferdinand 117. 132 und ff.
174. 180. 202. 227. 255. 260.
280. 318. 324. 330. 336. 337.
Hinckel, Frl- 293- 399-
HoJfmeister, Fr. 295,
Holstein, Franz von 238. 253. 339.
Hopfgarten, von 225.
Horsley 98.
Hoschek 129,
Hiibner, Jul. 184. 194.
Humboldt, A. von 87. 29 1.
Hummel 33. 174.
Hummel jun. 120.
Jacob, Maler 115.
Jacobi, Frl. 238.
Jadassohn, S. 232. 282. 299.
Jager 141,
Jahn (Concertmeister) 238.
Jahn, Otto 21S. 238.
Jaell, Alfred 123. 258. 293.
Jameson 49. 115.
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Jam-hod-deea 11. : ...
Janin, Jules 207:
Janet 4g.
Jeanrenaud, Cecile, s. Mendelssohn.
Joachim, Joseph 109. III. 112, 151.
132. 162. 163. 165. 173. 186.
196. 199. 211. 214. 317. 219.
225. 252. 266. 268. 323-33 1 - 336.
Irmler 257.
Jullien 95. 108.
Kalkbrenner 4.3.
Kalkbrenner jtm. 106.
Kaskel 132.
Kanlbach, "W. v. 120. 121. 239.
Keil, Dr. 151. 159.
Kemble, Charles 78.
Kemble, Fanny 78. 94.
Kemble, Adelaide 78. 94.
de Keysers 286.
Kindermann, August 256,
Kistner 62, 64. 66.
Kittl 284.
Klems 257.
Klengel (Violinspieler) 329.
Klengel, A. 218. 270.
Klingemann 5. 24. 54. 112, 178.
Knaur 187.
Knorr, Julius 175.
Knyvelt 6. 52,
Kohl, J. G. 100.
Kolbe, Prof. 336.
Kollowrat, Graf 127.
Komer 340.
Kompel 313.
Konigslow, O. von 232. 252.
Kratky, Frl. 142.
Krall, Emilie 272.
Kiause, A. 282,
Krebs, Mary 326.
Kreutzer, Rudolf 323.
Kriiger 252.
KLiicken 269.
Kufferath 286,
Kuffner 12$.
Kullak, Theodor 205.
Kustner 41,
Lablache 6. 8. 22. 49. 55. 57. 92.
no. in. 172. 308.
Lachner, Franz 120.
Lacombe 252.
Lafont 41,
Lagrange, Mrae. 230.
Landseer 98. 100.
Lannoy 125.
Lansdown, Marquis von 80.
Laub, Ferdinand 272. 323,
Lauterbach, Concertmeister 272.
Las, L, 61.
Lebert 269.
Lefebre 145.
Legler 1 19.
Lehmann, Heinrich 105.
Lehmann, Rudolf 1 06.
Lemaistre 136.
Lemel 69, 70.
Lemraens-Sherrington, Mme. 315.
Lenau 340.
Leonard 286.
Levasseur 307.
Levassor 104.
Levi 282. 331.
Lidel 72.
Lieben, Frau von 84. 122.
Liebig, von 256.
Lienau 313.
Limburger 62. 64.
Lincoln, Miss 132,
Lind, Jenny 135. 153. 158. !73-
,228. 231. 252. 333.
Lindhould 290.
Lindley 25. 201.
Lindpaintner 1 20. 232. 269.
Lipinski 10. n. 133. 186.
List, Frl. 63. 66.
Liszt, Franz 16. 31. 50. 76. 77.
136. 140 u, ff. 202, 223. 226.
233- 235. 347- 2 SS- 268 - 2 ?3-
291. 292.
Litolff 17. 49. 196. 233- 252. 266 - 26s -
Lockhart 10.
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Lortzing 204.
Lotto, Isidor 313, 323.
Louis Philippe 43. 44.
Loipenstem 36. 62.
Ludwig I. v. Bayem 121.
Lutze, A. 268.
Lwoff 51.
Macfarren in.
Macready 49.
Magnus, Sara, s. Heinze.
Magnus, Maler US-
Malibran, Marie 4. 5. 6. 7, 8.
Marchesi, Salvatore 226. 228.
Marchisio, Geschwister 309.
Mario 43. no. in. 156,
Marjolin, Mme. 304.
Mars 42.
Marsano 124,
Marschner, H. 133.
Marxsen, E. 249.
Masson, Mrs. 20.
Mayer (Aachen) 60. 61.
Mayer, Frl, Caroline 275.
Mazzini 316.
Meerti 79, 138.
Meiningen, Herzog von 225.
Mejean, Grafin 120.
Mendelssohn-Bartholdy , F. 12. 20.
24. 36. 45. 46. 53 ff- 92- 93. 99.
in ff. 117. 155 ff. 158. 160 ff.
176 ff. 180 ff. (sein Tod). 195.
Mendelssohn, Cecile 13. 14. 62. 93.
205. 211. 212. 250.
Mendelssohn, Paul 1S2, 199. an.
300. 313.
Menzel, Director 294.
Mertel 232.
Mertke 289.
Meyer, L. von III. 113. 117.
Meyerbeer 21. 41. 106, 135. 140.
144- 145- 203. 269. 330.
Meyr, Mekhior 256.
Milanollo, Teresa 138.
Milde, von 223. 293.
Milde, Frau von, s. Agthe.
Mills 282. . '''■..
Miolan-Carvalho, Mine. 315.
Mitterwurser 254.
Mobius, Prof. Paul 275.
Mocenigo, Contessa 241. 243.
Molique 49. 120.
Monasterio 323.
Montez, Lola 142.
Moore 53,
Morgan, Charles 29.
Mori 36.
Moriani 314.'
Moritz 284.
Mortier de Fontaine 130.
Mbsner, Frl. 288. 289.
Miihlenfeld 19.
Miller (Concertrneister) 276.
Miiller (Contrabassist) 27. 167.
Miiller (Posannist) 63.
Miiller von Konigswinter, "Wolf-
gang 256.
Miiller, Gebr. (Violinquartett) 166.
293.
Murray 51.
v. Muth 70.
Nageli jun, 246.
Napoleon, Arthur 275.
Napoleon, Prinz Louis 35. 36. 37. 52.
Naumann 207.
Nesselrode, Graf 115, 116.
Nestroy 193.
Nettkornm, S. 19. 24. 89. 137. 216.
268. 269, 283.
Neumann, Louise 124. 256.
Newman-Smith, Mrs. 334. 339.
Nissen-Saloman, Henr. 104. 207.
270.
Nohl, Ludwig 330.
Nourrit 4.
Novello, Clara 8. 45. 97-
Novello, Sabilla 142.
Oberhoffer 138.
Oppolzer 213.
Osborne 201.
Osten, van der 226,
362 .^
Otto (Domaanger) 272. ,
Oury, Mme. 27.
Paganini 323.
Palmerston 34.
Parepa, Mme. 313,
Parish- Alvars no.
Parry, John 7. 96.
Pasta, Giuditta 346. 308.
Patty, Adelina 315.
Pauer, Ernst 130. 271. ■
Paul, Oscar 333.
Persiani 79. in.
Perthuis, Graf 43.
Peters, C. F. 324. '
Pfeiffer, George 304.
PhiUips 6. 12. 45. 55. 75. 97. 156.
Piatti 130. 132.
Pischek 120. 138. 140. 153. IJ4-
Pixis, Peter 41. 330.
Plaidy, L. 21 8.
Flessy, Mile. 136.
Pleyel, Mme. 141:. 142. 153. 286.
Pocci, Graf 120. 121.
Pogner, 211.
Pohl, Frau 274.
Poissl, Baron 120.
Ponchard 307.
Poorten 297.
Preusser 132. 151. 159. 195. 252.
Proch, H. 124.
Proksch 285.
Prume 124. 125.
Puzzi 21.
Rachel 41. 82.
Radecke, Robert 232.
Randhartinger 124. 125.
Rantzau, Graf 326.
Ratschek 270.
Ranch 257.
Rebling 28 1.
Reclam, Prof. Dr. Carl 24S,
Reclam, Frau Dr. 238. 260. 289.
293. 332-
Redem, Graf 135.
Regondi 72.
Reichardt (Altenburg) 270,
Reinecke, Carl 186. 280. 311. 320.
339.
Reinthakr 280.
Reiss, Dr. 117.
Reiss, Carl 289.
Reissiger 132. 133. 234.
Remsch 257.
Rettich, Julie 124. 256.
Richard 184.
Richter, E. F. 299.
Ricchis, H. 238.
Riehl 269. 328.
Ries, F. 19. 26.
Rietz, Julius 176. 181. 186. 192.
193. 196. 199. 212. 213. 217.
218. 220 fF. 23 r. 264. 283. 285.
292. 299. 300. 336. 340.
Ritmiiller 257.
Roche 155.
Rochlitz, F. 64.
Roger, Gustove 206.
Rogers, Samuel 100.
Ronconi 22.
Rontgen jun. 297.
Rose, Carl 297. 299.
Rosen, Dr. Georg 249.
Rosenhain, Jacques 19, 28. 117.
146. 232. 330.
Rossi, Graf 229.
Rossini 304 ff.
Rubini 22. 29. 42. 49. 308.
Rubinstein, A. 90. 259. 260. 317.
Rudolf, Erzherzog v, Oestreich 127.
Rudorff 297.
Russo 79.
Sabbath (Domsauger) 227.
v, Sahr 233. 239. 267.
Sand, George 28.
Sanklow to.
Sanson 42.
Saphir 124.
Sartoris 78. 96. 98, III. 114.
Schaffrath 257.
Scheibler 12.
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^p^^i^i^^w^w^Wf
363 — ":
Schenck 91.
Schiedmayer 257.
Schiller (Petersburg) 270.
Schiller, Miss 3 13,
Schindelmeisser 267.
Schindler, A. 60. 254.
Schlagintweit, von 302.
Schleinitz 66. 132. 151. 159. 181.
195-
Schletter, S. 192.
Schloss, Frl. 136. 138. 159. 163.
167. 187.
Schmitt, Aloys 117.
Schmitt jun. 336.
Schneider, Carl 231, 24.9, ,
Schneider, Friedrich 187.
Schnorr v. Carolsfeld 239.
SchnydervonWartensee 10, 188.267.
Schonemann 166,
Schramm, Slaler 66.
Schroder-Devrient, "Wilhelmine 4.
21. 69. 132. 134. 199. 204.
Schubert 284.
Schubert, Franz (Dresden) 186.
Schumann, Clara 62, 66. 67. 68.
134. 159- 163. 186. 194. 199. 210,
214. 330. 257. 320. 330. 331.
Schumann, Robert 15, 24. 62. 133.
175. 186. 194. 199. 210. 214. 230.
Schunck 63.' 64. 161. 162, 182.
Schurig, Musiklehrer 325.
Schiitky 269.
Sch-wabe, Frau 333. 334'
Scrrwenke 84. 246.
Seebach, Marie 256.
Seeburg, Dr. 151. 159. 162. 195.
Ssiffert 257.
Seinsheim, Graf 120.
Senff, Barthqlf 255.
Servais 10.
Shaw, Jlrs. 20. 93. 97. III. 136,
Silny, Frl. 123. 331.
Sims Reeves 315,
Singer, Edmund 226. 252, 267. 270.
=95- '
Sivori 101. in. 138. 153. '
Smart, George 6'.. 29.
Sontag, Henriette 205. 228. 229.'
Sontheim 269.
Sophie, Erzherzogin v, Oestreich
127, 128.
Sor (Guitarrespieler) 305.
Speidel, W. 232. 252. 269.
Speier, Wilhelm 117.
Spohr, L. 81. 82. 90. ro2. 103. 141.
142. 205. 214. 251. 26 r. 285. 288.
Stabbach, Frl. 252.
Stark 269.
Stark, Ingeborg, siehe; Bronsarr,
Frau von.
Staudigl 79. 80. 94. in. 138. 141.
156. 157.
Stern 276.
Stern (Geiger) 124.
Stighelli 228.
Stockhausen, Julius 268.
Stockl-Heinefetter 79. g4.
Stranz 221.
Strauss, Johann 28,
Strauss, Ludwig 290. 313. 331,
Streicher 257.
Stunner, Heinrich 211.
Sullivan, Arthur 282. 290. 313.
Sutherland, Herzogin von 30.
Szarvady, s.: Clauss, Wilhelmine.
Szechenyi, Graf 128.
Taglichsbeck 270.
Tamburini 42. 173.
Taubert, W. 266. 318.
Tausig, Carl 293.
Thalberg, S. 5. 6. 8. 9. 16. 18. 19.
24. 28, 31. 36. 40. 46. 47.
Thomas, Ambroise 304,]
Tichatschek 180. 197.
Tjetjens, Therese 262. 334.
Tischendorf 302.
Trautmann, Frl. 331.
Trebelli 3 14, 3 1 8.
TJnger-Sabatier, Mme, 288.
"Vaugham 6.
— 364 ■+■■
Teit 298.
Verprfi, Jenny 3.
Vesque 124. 142.
Viardot, Pauline, s.: Garcia.
Vielhoursky, Graf 115, ir6,
Vieuxtemps 75. 79. 138. 331.
, Vigny, A. de 28.
"Vimercati (Mandolinespieler) 305.
Vivier 144.
Vogel, Dlle. 163. 167. 175.
Volkmann, Robert 342.
Wachter, C. G. von 290. 299,
Wagner, Prof. Dr. 343.
"Wagner, Johanna 180. 197. 230,
283.
"Wagner, Richard 133. 194. 204.
261, 264.
Walther 181.
Warena, von 324,
Weber, Dr. (Koln) 231.
"Weber, Fran von 133,
Weber, Dionys 70. 204. 321.
Weber, Gottfr. 222.
Weber, M. M. v. 115. 317.
Weissheimer, Wendelin 282.
Webcelstbrfer 293.
Wellington, Herzog von. 100.
Wenzel 218.
Werner, Carl 243. 290. 298.
Westmacott 98. 100.
Westmoreland, Lord 135.
Widemann (Tenorist) 211.
Wieck, Friedrich 132.
Wieck, Marie 163. 331.
Wieniawski, Henri 290. 304.
Wilkinson 48. 100.
Williams, Miss 156,
Willmers, R. 172.
Winterhalter roo,
Wirsing, Rudolf 218.
Wittmann 132. 199.
Witzleben, von 135.
Wohlstadt, Frau 275, 289.
Wolff, O. L. B, 123. 124. 143,
Wolzogen, A. von 28 r.
Wiillner, Franz 270.
Zellner 328.
Zimmermann 40,
Zollner, Carl 311.
Zucchi 314,
Druck von Biir & Hermann in Leipzig.